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If you are not located in the United States, you -will have to check the laws of the country where you are located before -using this eBook. - -Title: Lose Blätter - Neue Novellen - -Authors: Doris von Spättgen - Doris von Scheliha - -Release Date: April 18, 2022 [eBook #67861] - -Language: German - -Produced by: the Online Distributed Proofreading Team at - https://www.pgdp.net (This book was produced from images - made available by the HathiTrust Digital Library.) - -*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK LOSE BLÄTTER *** - - - - - - Lose Blätter. - - - Neue Novellen - - von - - Doris Freiin von Spättgen. - - - Leipzig. - - Verlag von F. A. Berger. - - 1895. - - - Vor Nachdruck geschützt. - Übersetzungsrecht vorbehalten. - - - - -Inhaltsverzeichnis. - - - Licht 3 - - Fächer-Bilder 35 - - Aus Großtantchens Hofdamenleben 63 - - Unter dem Niagara-Falle 83 - - Zahnschmerzen 103 - - Amerikanische Existenzen 133 - - - - -Licht. - - -Weit draußen am äußersten Ende von Williamsbourgk, einem Stadtteile -Brooklyns, dort, wo die Straßen- und Häuserreihen bereits durch -ausgedehnte Wiesenflächen und üppige Obstplantagen unterbrochen werden, -so daß die Bezeichnung »Stadt« daselbst eigentlich nicht mehr zutreffend -erscheint, weil die Gegend schon allmählich den Charakter des Ländlichen -annimmt -- dort steht eine Reihe allerliebster, hüttenartiger Häuschen, -deren Gesamtheit, wegen der Zierlichkeit und Gleichheit der Gebäude, -im Volksmunde »Dolly Ward (Puppenfestung)« benannt wird. Diese -Miniaturvillen, eine aufs Haar genau so wie die andere, mußten -unzweifelhaft aus der Hand desselben Baukünstlers hervorgegangen sein, der -sie, wohl mehr um einer flüchtigen Laune zu genügen, als um praktische -Behausungen zu schaffen, aus der Erde hervorgezaubert haben mochte. - -Jedes der Häuschen war mit einem niedlichen Vorgärtchen, einer Art -Veranda, worauf die Hausthür mündete, und einer grün angestrichenen, -hölzernen Treppe versehen, deren Geländer ein fast elegant zu nennendes -Schnitzwerk auswies. Das Innere einer solchen Villa bestand aus nur -zwei größeren Zimmern im ersten Stock, sogenannten Parlours, drei -Mansardenstübchen und der großen hellen Küche im Basement (Souterrain). - -Merkwürdigerweise stand nur äußerst selten ein Häuschen der Dolly Ward -zu vermieten. Die meisten derselben befanden sich schon seit vielen Jahren -in festen Händen, was ihr Äußeres auch fast durchweg verriet. Die -Gärtchen zeigten sich auf das sorgsamste gepflegt, ihre schmalen Gänge -waren mit rotem Kies bestreut, während verschiedenes feines Strauchwerk -die etwas primitiven Staketenzäune, welche die Grundstücke von der -Verkehrsstraße trennten, verdeckte und dadurch eine Art hübsche lebende -Hecke bildete. Rosen und andere duftende Blumen erfreuten im Sommer -das Auge der Vorübergehenden, und die stets blitzblank geputzten -Fensterscheiben und sauberen Gardinen vollendeten den guten Eindruck, den -diese Villen auf den Fremden ausübten. - -Die Bewohner von Dolly Ward, zum Teil bejahrte Leute, welche sich nun ins -Privatleben zurückgezogen hatten, zum Teil Angestellte großer Geschäfte -von Brooklyn und New York, welche ihrer Familie wegen die bei weitem -billigeren und gesünderen Wohnungen hier draußen dem Geräusch und -dem Staube der Großstadt vorgezogen, und einige alte Fräuleins, welche -Pensionäre hatten, bildeten eine förmliche feste Clique, so daß auf -Dolly Ward jeder neue Ankömmling anfänglich allseitigem Mißtrauen -begegnete. - -Im Anfang des Frühlings 188. war Mr. Holstein, der deutsche Eigentümer -des Häuschens Nr. 9, plötzlich gestorben und bald darauf hatte seine -Witwe den guten Bekannten von rechts und links Lebewohl gesagt, weil sie -ihren Aufenthalt fortan nach Jersey City zu einer verheirateten Tochter zu -verlegen gedachte. Mr. O'Reilly, der Nachbar zur Rechten, welchem die alte -Dame vor ihrem Scheiden die vorteilhafte Vermietung ihres Besitztums noch -recht eindringlich ans Herz gelegt hatte, hing eigenhändig die weiße -Tafel zum Fenster hinaus, auf welcher mit großen Lettern zu lesen stand: -»=to let=.« - -Etwa vier Wochen lang zerbrach man sich in Dolly Ward die Köpfe, wer wohl -seinen Weg hier heraus nach dem entlegenen Teile von Williamsbourgk nehmen -würde, denn die guten Leute der kleinen Villenkolonie waren äußerst -exklusiv und fürchteten begreiflicherweise das Niederlassen des ersten -besten Rowdy in ihrer friedlichen Ansiedelung. Da verkündete Mr. O'Reilly -eines Morgens einer wißbegierigen Dame, daß des seligen Holsteins -Häuschen vermietet worden sei und die neuen Bewohner, in Gestalt von -Mutter und Tochter demnächst schon eintreffen würden. Das gab natürlich -viel zu reden. Allein auf alle an ihn gerichteten Fragen vermochte Mr. -O'Reilly keine weitere Auskunft zu geben, als daß beide Damen respektabel -aussähen und gebildet schienen. - -Vier Tage später war die kleine Villa von den neuen Bewohnern bezogen. -»Wer mag das wohl sein? Weshalb kommen Leute, die solch eine Masse von -eleganten Möbeln mit sich führen, hier heraus? Die Geschichte gefällt -uns nicht -- das hat sicher noch einen Haken!« So flüsterte man sich -gegenseitig zu nach dem Eintreffen von Mrs. Northland und ihrer schönen -Tochter auf Dolly Ward. Nachdem jedoch zwei und drei Monate ins Land -gegangen und die beiden Damen trotz ihrer großen Zurückhaltung bekannter -geworden waren, fing man an, sie gerade um ihrer Zurückhaltung und -vornehmen Würde willen mit anderen Augen anzusehen, und nun sagten die -Nachbarn von rechts und links unter sich: »Feine Leute sind es offenbar, -das bezeugt ihr ganzes Auftreten, allein -- wovon leben sie?« - -Nach amerikanischen Begriffen hat das Wort »Arbeit« die höchste -und ehrendste Bedeutung und nur der gilt als angesehen, welcher auf -irgendwelche ehrliche Weise durch eigene Arbeit sein Brot erwirbt. Die -reichen Leute arbeiten aus angeborener und anerzogener Lust zum Schaffen, -die Unbemittelten, um reich zu werden -- Müßiggang giebt es in den -Vereinigten Staaten nicht und wer sich ihm hingiebt, hat Mißtrauen zu -fürchten über die Art, durch die er sich seinen Lebensunterhalt erwirbt. -Da nun Mrs. Northland und ihre Tochter, außer einer gelegentlichen Fahrt -nach New York, keine besondere Beschäftigung zu haben schienen, so war das -selbstverständlich auch ein Grund, sich über die seltsame Lebensweise -der beiden Damen aufzuhalten. Dessenungeachtet hatten die Fremden es -verstanden, sich bald die Achtung und Teilnahme der Bewohner von Dolly Ward -zu erwerben. Wer auch hätte dem freundlich sanften Wesen der Mutter, wer -dem bezaubernden Augenaufschlag der Tochter zu widerstehen vermocht? So -schroff und absprechend auch anfangs über die beiden Frauen geurteilt -worden war, jetzt bemühte sich jeder, ihnen Gefälligkeiten zu erweisen, -wenn auch ein näherer Verkehr nicht in den Wünschen der Damen zu liegen -schien. - -Außer Mr. O'Reilly, dem jungen Advokaten, welcher in Goldsmiths Office -in Brooklyn arbeitete und hier bei der alten Miß Colnay Pensionär war, -außer diesem hatte noch keiner der Bewohner von Dolly Ward Mrs. Northlands -Schwelle überschritten, und auch sein Verkehr mit den beiden Damen -beschränkte sich nur auf einige geschäftliche Besuche, die O'Reilly -der neuen Mieterin als Verwalter des Holsteinschen Grundstücks zu machen -hatte. Es schien auch durchaus nicht in deren Absicht zu liegen, mit -irgend jemand näher bekannt zu werden. Bei Begegnungen grüßte man -untereinander, sprach gelegentlich einige Worte über den Gartenzaun, das -war alles. - -Im allgemeinen galt Mr. O'Reilly als wortkarger Mann; seit er jedoch die -Bekanntschaft der Fremden gemacht, gab es dennoch einen Punkt, der seinen -Mund überfließen machte: das war, wenn er von Mrs. Northland und deren -Tochter sprach und in Lob und offener Bewunderung über beide sich erging. -Durch ihn wußte es auch bald jedermann in Dolly Ward, daß diese Damen -eine ganz ungewöhnliche Bildung, sowie die feinsten Umgangsformen -besäßen und daß, obwohl Miß Grace Northland alltäglich mit einem -Körbchen am Arm die Einkäufe bei Fleischer und Kaufmann selbst machte, -die jetzige Einrichtung von Nr. 9 derjenigen einer Lady der V. Avenue von -New York gleichgestellt werden konnte. - -An einem regnerischen Junitage, um die sechste Abendstunde, trat Miß -Grace, eine schlank gewachsene Brünette, mit kühn geschwungenen -Augenbrauen und herbgeschlossenem, ausdrucksvollem Munde, dessen Linien -sowohl starke Willenskraft wie auch Unerschrockenheit bekundeten, nach -einem Ausgange durch die Verandathür in das vordere der beiden Parlours -und schaute sich sichtlich befremdet darin um: »M'ma! Mama!« - -Keine Antwort erfolgte -- das junge Mädchen stellte daher den Regenschirm -rasch beiseite und eilte nach dem zweiten, nach der Rückseite des -Häuschens gelegenen, kleinen Salon, welcher von dem ersten nur durch eine -schwere, moosgrüne Portiere getrennt war. - -»M'a!« - -Auch hier zeigte sich niemand. Und doch wußte Grace, daß die Mutter Tag -für Tag an dem nach der Straße gelegenen Fenster saß und die Tochter, -wenn sie von ihren kurzen Ausgängen heimkehrte, regelmäßig an diesem -Plätzchen erwartete. So lange man auf Dolly Ward wohnte, war dies -geschehen und heute nun zum erstenmale vermißte sie die teure Gestalt an -dem gewohnten Platze. - -Ein banges Gefühl beklemmte die Brust des jungen Mädchens. Rasch sprang -sie die Treppe zum oberen Stockwerk hinan und öffnete die Thür des -gemeinsamen Schlafgemachs -- dort saß Mrs. Northland und schien, über ein -weißes Papier gebeugt, zu schreiben. Sobald die ältere Dame jedoch der -schnell Eintretenden ansichtig wurde, schrak sie leicht zusammen und sagte -halb verlegen, die Hand über das vor ihr liegende Schriftstück breitend: - -»Wie, schon zurück, mein Kind? Ich habe Dich noch nicht erwartet.« - -»Eben das befremdet mich, Mama, was thust Du hier allein?« - -Mit diesen erregt gesprochenen Worten eilte Grace auf die Mutter zu und -umschlang sie mit fast ungestümer Zärtlichkeit. »M'a, geliebte M'a, Du -verbirgst etwas vor mir, Du willst etwas thun, was ich nicht wissen soll. -O warum das? Haben wir bisher nicht alle Sorgen und Mühen miteinander -geteilt?« Ein wahrhaft rührender Ausdruck lag jetzt über den schönen -Zügen der jungen Sprecherin. - -»Grace!« Die ältere Dame suchte ein Schluchzen zu bekämpfen, »o Grace, -es kann ja so nicht weiter gehen.« - -»Es darf nicht, Mama, Du leidest physisch und seelisch darunter, das habe -ich Dir schon oft gesagt, und deshalb werde ich Abhilfe schaffen. Ich muß -es schon um Deinetwillen thun,« entgegnete das junge Mädchen mit fester -Stimme. - -»Nein, nein, nur das nicht! Du sollst nicht hingehen in die großen -Geschäfte, wo all' die tausend von jungen Mädchen als Verkäuferinnen -angestellt und von früh bis spät in jenen Tretmühlen beschäftigt sind --- nimmermehr! Mein Stolz würde das nie ertragen lernen. Lasse mir doch -diesen Stolz -- er ist das einzige, was von allem Glanz und Schimmer der -schönen Vergangenheit mir geblieben ist,« schluchzte Mrs. Northland unter -heißen Thränen. - -»Es giebt aber doch auch noch andere Wege, uns einen genügenden Unterhalt -zu verdienen,« gab Grace unbeirrt zurück. - -»Du meinst als Lehrerin, mein Kind! Gewiß -- diese Damen werden gut -bezahlt, allein, ob wir auch an Deine Erziehung viel gewendet haben, so -bist Du für diesen Beruf doch noch nicht ausgebildet genug und müßtest -noch einmal mit Deinem Studium von vorn beginnen, was einige Jahre -beanspruchen -- nein, mein Kind, auch das will ich nicht. Welchen -Demütigungen und Versuchungen wärest Du in einer solchen Stellung -ausgesetzt!« fügte Mrs. Northland hinzu, ihre Wange zärtlich an die der -Tochter schmiegend. - -»Aber, was willst Du denn thun, Herzens-Mama, hast Du denn einen anderen -Plan?« fragte das junge Mädchen eindringlich, indem sie das mit Zahlen -bedeckte Papier auf dem Tische prüfend musterte. - -Die Antwort ließ eine Weile auf sich warten, dann kam es zagend über der -Mutter Lippen: »Ich glaube, daß unsere Einrichtung, das bißchen Silber -dazu genommen, noch ein recht leidliches Sümmchen repräsentiert. Nach -meiner Zusammenstellung des Ganzen ergiebt sich -- schlecht gerechnet -- -ein Ertrag von 2300 Dollars. Damit könnte ich vielleicht -- irgend ein --- bescheidenes Geschäft beginnen, das uns wenigstens vor Not schützte. -Niemand kennt uns in New York -- wer ahnt in mir die Witwe des Millionärs -und Eisenbahnkönigs Frederik A. Northland aus St. Louis, dessen Name -ehedem im Westen einen solch' bedeutungsvollen Klang gehabt?! Nicht Du, -mein Liebling, sondern ich muß mich aufraffen aus dieser lähmenden -Apathie und für unsere Zukunft sorgen!« - -»Nein, um Gotteswillen, nein, wenn Du mich liebst, Mama, so schweige von -solchen Dingen,« rief Grace fast leidenschaftlich, »Du, die schöne, -vornehme Frau Dich erniedrigen, hinter dem Ladentische zu stehen -- -entsetzlich! Du Dich von Deinen lieben Sachen trennen, wo jedes Stück -Dich an das frühere Glück und den teuren Vater erinnert! Das undankbarste -Geschöpf unter der Sonne müßte ich sein, wollte ich das zulassen. Wozu -bin ich jung und kräftig. Nein, Mama, daraus wird absolut nichts!« Jetzt -hatte das junge Mädchen sich zur vollen Höhe emporgerichtet, wobei ein -Ausdruck von Energie und Mut aus den schönen Augen leuchtete. - -»O Gott, daß es dahin kommen mußte! Wenn er, Dein Vater, noch lebte, es -stünde besser mit uns, und wie gern wollte ich auch Not und Sorgen mit ihm -teilen!« weinte leise die beklagenswerte Frau. - -»Der Himmel hat ihm dieses Schwerste erspart, das muß uns trösten, -M'a,« sagte die Tochter weich. - -»Als wir hier ankamen, Grace, glaubten wir uns beinahe reich mit der -kleinen Summe, die wir mitbrachten -- nun ist sie fast ganz zusammen -geschmolzen! Ich habe nie gedacht, daß die täglichen Bedürfnisse des -Lebens soviel Geld verschlingen könnten. Dabei steht der Quartalswechsel -vor der Thür und die Miete soll an Mr. O'Reilly bezahlt werden. -- Ach, -ich werde ihn wohl bitten müssen, uns den Betrag für einige Wochen zu -stunden.« - -»Nimmermehr, Mama! Nur keine Gefälligkeit von diesem Manne, es wäre -mir schrecklich -- erdrückend!« wehrte Grace mit auffälliger Hast ab. -Prüfend schaute ihr die Mutter ins Gesicht und sagte bedeutsam: - -»Er ist kein übler Mann. Seine Manieren sind tadellos und neben einem -guten Einkommen scheint er ein redliches gutes Herz zu besitzen. Nicht ohne -Grund sucht er uns verlassenen Frauen öfters auf -- hast Du daran schon -gedacht, mein Kind?« - -»Er ist mir unsympathisch, Mama! Bitte, erwähne seiner gegen mich nie -mehr in dieser Weise, ich könnte Mr. O'Reilly sonst nicht mehr unbefangen -und freundlich begegnen,« gab Grace unwillig und in ernstem Tone zurück. -Mrs. Northland seufzte und schwieg, worauf beide Damen langsam nach der -unteren Etage hinabstiegen. - -Da die Dämmerung eingetreten war, so brachte das junge Mädchen die -Lampe, welche sie alsbald mit großer Geschicklichkeit in Brand setzte. Ein -intensives Licht beleuchtete jetzt das mit feinem Geschmack ausgestattete -Gemach, so daß jeder Gegenstand darin erkennbar war. Die Mutter, welche -mit sichtlichem Vergnügen den flinken Bewegungen der auffallend schönen -Hände ihres Kindes zugeschaut hatte, sagte plötzlich lächelnd: - -»Wie Du doch diese wenig anmutende Arbeit verstehst und graziös -verrichtest, mein Liebling! Ich habe niemals, auch in jener Zeit, als viele -Diener mir zur Verfügung standen, solche hell und klar brennende -Lampe gehabt, wie jetzt, wo mein teueres Töchterchen sich dieser Mühe -eigenhändigst unterzieht!« - -»Ich bin auch stolz darauf, Mama, weil ich mir sage: Arbeit schändet -nicht,« versetzte Grace heiter. - -»Nein, gewiß nicht, aber, ganz abgesehen von Deiner Opferwilligkeit, Du -hast wirklich ein großes Talent dafür.« - -Bei diesen harmlosen Worten hob das schöne Mädchen die langen, dunklen -Wimpern und sah der Sprecherin einige Sekunden starr und nachdenklich -ins Gesicht. Eine schärfere Beobachterin, als Mrs. Northland war, würde -wahrgenommen haben, daß es zugleich wie ein blitzartiges Aufleuchten über -die regelmäßigen Züge glitt. - -Als nach einer halben Stunde die Damen am Theetisch saßen, der in seinem -zierlichen Arrangement von gutem Porzellan und einigen wertvollen Stücken -Silbergerät nur zu deutlich verriet, daß die Dasitzenden einst bessere -Tage gesehen, erschien Grace merklich einsilbig und zerstreut. Abermals -seufzte die Mutter still für sich und beobachtete mit Wehmut und Trauer, -aber verstohlen des einzigen Kindes liebes Angesicht. - -Am nächsten Morgen fuhr Grace, kleine Einkäufe vorschützend, hinüber -nach New York. Pünktlich nach drei Stunden, wie sie es versprochen, -kehrte sie auch zurück, doch konnte das junge Mädchen es jetzt nicht -unterlassen, der Mutter eine Mitteilung zu machen. Halb verlegen, halb -freudig schlüpfte die geheimnisvolle Enthüllung über die rosigen Lippen, -daß sie Hoffnung hege, vielleicht einen kleinen Verdienst zu bekommen. - -Aufs höchste erschreckt, starrte Mrs. Northland der Erzählerin ins -Gesicht, indem sie darauf noch einmal alles schon unzählig oft Gesagte -wiederholte und das junge Mädchen himmelhoch beschwor, sich nicht als -Ladenmädchen zu verdingen. Aber Grace beruhigte die erregte Frau insofern, -daß diese Aussicht auf einen Erwerb bisher nur in einer Annonce bestände, -die sie in den »Herald« habe einrücken lassen und worüber sie die -Mutter aufklären wolle, sobald man darauf geantwortet haben würde. Unter -einer Chiffre habe sie Briefe, Hauptpostamt restante New York erbeten. -Der flehende und zugleich so mädchenhafte reine Ausdruck in Graces Augen -bekämpfte die im Herzen der bekümmerten Frau aufsteigenden Zweifel und -damit war diese Sache fürs erste abgethan. -- - - * * * * * - -Im Speisesaale eines hocheleganten Privathauses der V. Avenue in New York -befanden sich eine ältere, aber noch immer sehr wohl konservierte Dame, -welche, den »Herald« in der Hand, am Fenster saß, und ein junger -auffallend hübscher Mann von vielleicht neunundzwanzig Jahren, der sich -mit seinem Frühstück beschäftigte. - -»Welch' seltsame Annonce! Bitte, höre mir einmal zu, Anthony, Hahaha!« - -»Ja, sofort, Mutter! Erlaube nur, daß ich noch dieses halbe Ei verzehre, -dann stehe ich zu Deinen Diensten.« - -»Das ist wirklich originell, hahaha!« -- Abermals tönte das helle Lachen -nach dem Sprechenden hinüber. - -»So, nun, was ist denn da so spaßig, Mutter.« - -Der Gerufene war jetzt näher getreten und zog sich einen Stuhl dicht an -die Seite der stattlichen Frau. Diese las: - - »Eine sehr respektable junge Dame aus guter Familie, welche, durch - mißliche Verhältnisse gezwungen, sich einen eigenen Broterwerb zu - verschaffen genötigt ist, bietet in nur feinen Häusern ihre Dienste - an, um das von den Domestiken in der Regel vernachlässigte Geschäft - des Putzens, Reinigens und Versorgens der Lampen zu übernehmen und - bestmöglichst auszuführen. Dieselbe besitzt in dieser Branche - eine seltene Fertigkeit und Übung und wird ihre Kunden sicherlich - zufriedenstellen. Auf Wunsch Referenzen. Briefe erbeten: - =Head-Postoffice restante Nr. 600=.« - -»In der That höchst sonderbar,« äußerte der mit Anthony Angeredete -kopfschüttelnd, mehr ernst als scherzend, »entweder ist das nur ein -schlechter Spaß oder -- was mir wahrscheinlicher dünkt -- ein Notschrei -aus der Brust einer armen Frau.« Er nahm die Zeitung in die Hand und ließ -die Blicke über die vielen kleinen Annoncen gleiten, ehe er fort -fuhr: »Ich bin überzeugt, daß fast jede dieser Zeilen einen Roman zu -verzeichnen hat. Dafür lebt man eben in der Riesenstadt New York. Wohl -demjenigen, dem es einmal vergönnt ist, einen Blick in solch' verborgenes -Leid zu thun, der in die Lage versetzt wird, heimlich geweinte Thränen -trocknen zu können!« - -»Du bist ein Schwärmer, Anthony. Diesen weichen, menschenfreundlichen -Sinn und das poetische Gemüt muß Dir Deine deutsche Mutter vererbt haben. -Dein Vater besaß hiervon nichts,« versetzte die stattliche Dame mit -einem leichten Seufzer, indem sie das edel geformte Antlitz des Stiefsohnes -wohlgefällig betrachtete. »Was meinst Du, Anthony, ob ich diese -Annonce beantworte? Man könnte ja dann sofort erfahren, inwieweit Deine -Vermutungen zutreffend sind oder nicht.« - -»Thue das, Mutter; es würde mich herzlich freuen, wenn Du ein gutes Werk -damit zu stiften im stande wärest,« sagte der junge Mann lebhaft, und die -Dame fuhr angeregt fort: - -»Übrigens könnte wirklich eine kunstgeübte Hand unseren Lampen samt -und sonders nicht schaden, da der alte, schwachköpfige Jim sein Geschäft -zuweilen arg vernachlässigt. Fast täglich habe ich Klage über ihn zu -führen -- wohlan, ich schreibe, Anthony.« - -Als der junge Handelsherr Mr. Anthony E. Clark gegen die elfte -Vormittagsstunde nach seiner in der unteren Stadt gelegenen Office fuhr, -hatte er selbst den Brief der Stiefmutter zur Beförderung in der Tasche. -Als dies geschehen, war aber bei ihm auch die Annonce und das darauf -bezügliche Gespräch vergessen. -- - -Der nächste Morgen führte den jungen Mann indessen nach der in einem -Seitenflügel seines großen Hauses gelegenen Bibliothek, um ein für sein -Geschäft wichtiges Werk daraus zu entnehmen. Beim Durchschreiten eines -in den Garten mündenden Zimmers, welches von seiner Stiefmutter zur -Aufbewahrung des häuslichen Wäscheschatzes benutzt wurde und mächtige -Schränke und Truhen aufwies, stutzte Mr. Anthony überrascht. Dort an -einem großen Tische am Fenster, auf welchem eine förmliche Batterie von -Lampen aufgestellt war, stand ein hochgewachsenes Mädchen und schien in -ihre prosaische Beschäftigung so vertieft zu sein, daß sie den Eintritt -des jungen Mannes gar nicht wahrgenommen hatte. - -Wohl drei Minuten betrachtete dieser das trotz seiner Originalität höchst -anmutige Bild. Durch die halb zugezogene Gardine fiel ein Strahl der -goldenen Morgensonne gerade über den dunkeln Scheitel des feinen, etwas -vorgebeugten Kopfes und ließ ein wahrhaft holdseliges Profil erblicken, -das gegen den hellen Hintergrund wie gemeißelt erschien. Die ebenmäßige -Figur zeigte auffallend schöne Formen, wie auch der Schnitt des -Kleides unleugbare Eleganz bewies. Anthony Clark zögerte noch immer, -weiterzuschreiten, weil er darauf wartete, daß die junge Unbekannte -vielleicht einmal die tief auf die Arbeit gesenkten Augen heben würde, -aber vergebens. Nun trafen seine prüfenden Blicke die rührigen Finger -- -wie sonderbar! Ein Paar waschlederne Handschuh bedeckten die Hände bis zum -Gelenk, hieran schlossen sich eine Art Schutzärmel aus grauem Futterstoff, -die bis über den Ellenbogen hinaufreichten; ein kleines, weißes -Schürzchen vervollkommnete diese seltsame Toilette. - -Das also war die junge Dame aus guter Familie, welche ihr Brot zu erwerben -genötigt war? Er hatte mit seinen Vermutungen demnach doch recht gehabt. -»Eine _Dame_, hm!« Im Augenblick dachte er gar nicht mehr an seine -Absicht, jenes Buch zu holen, sondern beschäftigte sich mit dem Gedanken, -daß diese Bezeichnung hier in der That höchst gerechtfertigt erschien, -wobei ein merkwürdiges Gefühl, halb Befriedigung, halb Freude sein -Inneres bewegte: »Wie glücklich mochte das arme Mädchen sein, etwas -Beschäftigung -- und hoffentlich auch recht lohnende -- gefunden zu -haben!« -- - -Gleichsam instinktiv, als ob es die Nähe eines Fremden ahne, schlug das -schöne Mädchen jetzt die Augen empor und trat, merklich erschrocken, -zurück, während ein heißes, verräterisches Rot sich über Antlitz und -Hals ergoß. Mr. Anthony Clark wußte nichts anderes zu thun, als leicht zu -grüßen und rasch nach der Bibliothek hinüberzuschreiten, von wo aus er -dann seinen Rückweg durch einen anderen Teil des Hauses nahm. - -Etwa vier Wochen mochten vergangen sein, während welcher die junge -Fremde alltäglich um die zehnte Morgenstunde bei Mrs. Clark erschien, um -sämtliche im Haushalt gebrauchten Lampen in Ordnung und Stand zu setzen. -Nach Vereinbarung wurde ihr regelmäßig durch die Lady selbst ein Dollar -für ihre Arbeit verabreicht, den sie auch mit ruhiger Würde, man hätte -fast sagen können, mit vornehmer Herablassung entgegennahm, als ob sie -selbst dem Hause einen großen Dienst geleistet hätte und nicht die -Empfängerin eines unverhältnismäßig hohen Arbeitslohnes sei. Mrs. -Clark, eine obwohl stolze, doch zugleich äußerst gutherzige Frau, hatte -das junge Mädchen, dessen schönes Antlitz sie oft nachdenklich musterte, -gelegentlich auch einmal gefragt, ob es auf die im »Herald« erlassene -Annonce noch mehr Arbeit und Verdienst erhalten habe, worauf ihr die -in kühlem Tone gegebene Antwort wurde, daß sie bereits fünfzehn der -feinsten Familien New Yorks zu ihren Kunden zähle und mit der Zeit noch -bekannter zu werden hoffe. - -Mr. Anthony Clark, ein Mann von durchaus ehrenhaften, edlen Gesinnungen, -hatte es nicht mehr gewagt, die Unbekannte bei ihrer mehr oder weniger -demütigenden Beschäftigung durch seine Gegenwart zu belästigen, und -mied das Zimmer, in welchem sie ihre Arbeit stets pflichttreu verrichtete. -Allein der Zufall wollte es, daß er ihr öfters in der großen Halle oder -auf der Treppe begegnete. Alsdann lüftete er jedesmal in ausgesuchtester -Höflichkeit den Hut, wobei er es jedoch nicht unterlassen konnte, einen -raschen Blick in das reizende, stets so ernste Mädchengesicht zu thun. - -»Nun, freust Du Dich nicht über meine Acquisition, Anthony?« fragte Mrs. -Clark eines Abends, als man einige Freunde zum Diner erwartete und nun bei -den prächtig und tadellos brennenden Lampen saß. - -»Die Freude ist eine problematische, Mutter,« lautete die freundliche, -aber bestimmte Antwort des Stiefsohnes, »die blendende Helligkeit all' -dieser Lampen bildet einen grellen Kontrast zu dem dunklen Lebenswege des -armen Mädchens, dem wir zu Dank verpflichtet sind.« - -Die Hausfrau zuckte halb bedauernd die Schultern und meinte gutmütig, -daß man der Fremden zu Neujahr ein recht anständiges Geschenk zu machen -verpflichtet wäre. -- - -Eines Morgens, bevor Mr. Anthony wie gewöhnlich nach seiner Office fuhr, -trat Mrs. Clark, zum Ausgange gerüstet, noch einmal in des Stiefsohnes -Privatzimmer und sagte in mütterlich herzlicher Weise: »Bitte, thue mir -den großen Gefallen, Anthony und trage die Bücher, welche ich mir gestern -Abend aus der Bibliothek holte, wieder an den alten Platz. Du weißt, ich -liebe die Ordnung -- sie liegen auf meinem Schreibtisch.« - -Da das Verhältnis zwischen dem Sohne und der zweiten Frau des verstorbenen -Mr. Clark ein selten inniges war, so entgegnete er ebenso freundlich und -zuvorkommend: - -»O gewiß gern, liebe Mutter, aber ...« - -Den Schluß seiner Rede hörte die Dame nicht mehr, weil sie Eile zu haben -schien und das Zimmer bereits verlassen hatte. - -Zögernd und mit einer ihm selbst unerklärlichen Befangenheit stand -Anthony Clark noch einige Minuten vor der Thür des Zimmers, das von der -Fremden zu ihrem prosaischen Geschäft benutzt wurde. Er wußte es selbst -nicht, warum er gerade diesen Weg nach der Bibliothek eingeschlagen hatte. -Einerseits scheute er eine Begegnung mit dem jungen Mädchen, andererseits -trieb eine innere Gewalt ihn vorwärts. War er denn nicht der Hausherr -hier, der überallhin kommen und gehen konnte, wie es ihm beliebte? Mit -dieser Schlußfolgerung trat er endlich ein. - -Ja, da stand sie wieder, die so eigentümlich imponierende und doch so -mädchenhaft schüchterne Gestalt. Ein leichtes Rot war ihm nun in die -Stirn gestiegen, weil er sich bewußt war, oft -- vielleicht sehr oft sich -dieses seltsame Bild vor die Seele gezaubert zu haben. - -Recht auffällig sichtbar nahm er nun den mitgebrachten Bücherstoß in -seinen linken Arm und grüßte höflich mit den Worten: »Verzeihung, -mein Fräulein, daß ich Sie störe, allein -- ich muß hinüber nach der -Bibliothek!« Dabei war aber Anthony keineswegs weitergeschritten, sondern -etwa sechs Schritte von dem jungen Mädchen stehen geblieben. Verwundert -und, wie es ihm vorkam, mit leisem Lächeln, begegnete sie seinem -leuchtenden Blicke. - -»Es steht mir kein Recht zu, dieses Zimmer für mich allein beanspruchen -zu wollen, Mr. Clark,« entgegnete sie mit volltönender überaus -sympathischer Stimme. -- Also wußte die Fremde darum, daß er der Hausherr -war. Rasch erwiderte er: - -»O doch, Miß, Miß --« (augenscheinlich verlangte es ihn, ihren Namen zu -erfahren) -- »Northland!« klang es sehr leise zurück. - -»O doch, Sie haben ein Recht, hier ganz ungestört zu sein, Miß -Northland. Sie sind ja die Wohlthäterin für das ganze Haus, ich meine: -seit Sie zuerst hier eingetreten, ist es -- Licht geworden.« - -Der schöne Mädchenkopf senkte sich tiefer auf die Brust herab. »Man ist -gütig gegen mich,« flüsterte sie bescheiden. - -»Vielleicht ist es sehr anmaßend von mir, Ihnen ein plumpes Lob zu -spenden, aber ich kann es doch nicht unterlassen, Ihnen zu gestehen, daß -ich Ihren Mut, Ihre Willensstärke und Selbstverleugnung -- bewundere,« -sagte Anthony nun eigentümlich erregt. - -»Das Wörtlein ›muß‹ ist ein strenger Lehrmeister, Mr. Clark, welcher -mit eiserner Hand alle rebellischen Oppositionsgelüste herabzudrücken -versteht. Aber dennoch giebt es noch etwas Mächtigeres als diesen -moralischen Zwang, und diesem Mächtigeren bringt man gerne Hochmut, -Eitelkeit und thörichte Eigenliebe zum Opfer,« versetzte das schöne -Mädchen, indem ihre großen Augen freudig aufleuchteten. - -»Sie haben Eltern, Miß Northland, eine Mutter, für die Sie sorgen?« -forschte er, näher tretend. - -»Jawohl, um meiner Mutter willen stehe ich hier an diesem Platze, und -das Bewußtsein, für sie, die mir auf Erden das teuerste ist, meine -Kindespflicht zu erfüllen, hat den Gedanken an Demütigung und -Erniedrigung noch niemals in mir aufkommen lassen.« - -Mr. Anthony erwiderte kein Wort und so war es mehrere Minuten ganz still -im Zimmer; Miß Northland hatte unterdessen ihre Beschäftigung wieder -aufgenommen. - -»Haben Sie keine Verwandten oder Freunde hier in New York?« fragte er nun -eindringlich und leise. Es kam ihm so vor, als ob seine Stimme plötzlich -einen veränderten Klang bekommen hätte. - -»Nein, keine; wir sind erst vor einigen Monaten aus dem Westen -- aus -St. Louis gekommen und daher noch ganz fremd hier,« lautete der einfache -Bescheid. - -Die Sprecherin gewahrte nicht die sichtliche Überraschung in des jungen -Mannes Zügen; unverwandt und forschend waren seine Augen auf das feine -Profil gerichtet. Nur als er sich jetzt fast ehrfurchtsvoll vor ihr -verbeugte und leise sagte: »Auf Wiedersehen, Miß Northland,« schaute sie -eigentümlich befremdet auf und entgegnete schüchtern: - -»Ich hoffe, daß Ihre Frau Mutter meine kleinen Dienste noch einige Zeit -wird gebrauchen können.« - -Nicht lange verweilte Mr. Anthony in der nahen Bibliothek, schon nach fünf -Minuten kehrte er daraus zurück; allein dieses Mal durchmaß er beinahe -hastig das Gemach, indem er in Anknüpfung an das vorige Gespräch nur die -halb prophetische, halb aufmunternde Bemerkung hinwarf: - -»Miß Northland, gewiß wird sich auch an Ihnen das Dichterwort erfüllen: -Was man Schwerstes je empfunden, Liebe hat es überwunden!« -- - -An demselben Abend nach dem Diner war es das erste Mal, daß Anthony seiner -Stiefmutter gegenüber die Rede auf die Fremde brachte. Er blätterte -dabei in einem Buche und seine gleichgültige Miene zeigte nichts von der -Erregung und Unruhe, die in ihm arbeiteten. Ernst und wie beiläufig fragte -er: - -»Hast Du niemals nach den Familienverhältnissen des Mädchens geforscht, -das seit einigen Wochen hier ein- und ausgeht, Mutter?« - -»Nein, wieso? Ich denke, sie ist sehr bescheiden und zurückhaltend. Auf -mich macht sie einen ausnehmend günstigen Eindruck. Vielleicht bin ich -aber bei dieser Meinung beeinflußt durch eine Ähnlichkeit, welche -- mich -an frühere glückliche Zeiten erinnert. Hast Du, mein Sohn, etwas gegen -das Mädchen einzuwenden?« - -»Ich -- einzuwenden? Allerdings!« Der junge Handelsherr war aufgesprungen -und ließ sein schönes, kluges Auge mehrere Sekunden prüfend auf den -wohlgebildeten Zügen der älteren Dame haften, dann fuhr er, tief und -schwer aufatmend, fort: - -»Als ich heute, auf dem Wege zur Bibliothek, zufällig einige Worte mit -der jungen Dame (er betonte letzteres Wort ziemlich scharf) wechselte, -erfuhr ich, daß sie den Namen »Northland« führt und mit ihrer Mutter -aus St. Louis herübergekommen ist. Du hast mir nun früher das große -Vertrauen geschenkt, mich in eine mir ziemlich nahe gehende Angelegenheit -einzuweihen, und soviel ich mich aus Deinen damaligen Mitteilungen -erinnere, ist dieser Name Dir durchaus nicht unbekannt, vorausgesetzt, daß -irgendwelche Beziehungen bestehen sollten, zwischen -- zwischen ...« Er -stockte. - -»Northland! O mein Gott, also doch! Ja, diese Ähnlichkeit mit diesem -Manne, den ich einst liebte, frappierte mich sofort.« Tief erblaßt hatte -Mrs. Clark jenen Ausspruch hervorgestoßen und die Hände dabei aufs Herz -gepreßt: »O Anthony, sie, diese arme Kleine, wäre Marys und Northlands -Kind? Nein, das kann, das darf ja nicht möglich sein!« - -»Dieses Rätsel bald -- recht bald zu lösen, soll Dir und mir eine -Pflicht sein!« gab der Sohn mit Nachdruck zurück, indem er seinen Arm -zärtlich um die Schulter der tief erschütterten Stiefmutter legte. Mit -dem Taschentuche vor den Augen weinte diese jetzt leise vor sich hin: - -»O, Anthony, das wäre eine grausame Strafe für mich. Wie oft, als -ich mich damals voll Empörung mit harten Worten von Mary losgesagt und -Northlands Reichtum und Ansehen höher und höher stieg, wie oft habe -ich da das Glück dieses Paares beneidet und berufen! Und tief im Herzen -grollte ich der einstigen Freundin, weil von rechtswegen der Platz an ihres -schönen Gatten Seite mir gebührte, mir, die ihn ebenso, vielleicht noch -inniger geliebt. Und auf diese Weise soll ich endlich, endlich wieder von -Mary hören! Anthony, ich kann's nicht fassen!« - -»Gottes Wege sind unerforschlich,« versetzte der Angeredete sanft. - -»Aber, mein Himmel, was sitze ich hier so müßig und lasse die kostbare -Zeit verrinnen,« rief Mrs. Clark nun heftig aufspringend. »Mary, meine -arme Mary in Not und Elend, während ich in Wohlleben und Überfluß -schwelge. Fort, mein Sohn, bringe mich zu ihr! An mein reuiges Herz ziehen -will ich die Teure und ihr Kind. O, welch' eine Schmach ist es für mich, -daß gerade hier in unserem Hause das arme Mädchen sich so erniedrigen -mußte, Anthony!« - -»Erniedrigen? O nein, Mutter! Das, was Miß Northland gethan hat, webt -einen Glorienschein um ihr edles Haupt,« klang es auffallend feurig aus -des jungen Mannes Munde, so daß Mrs. Clark in stummer Überraschung zu dem -Stiefsohne aufblickte. - -»Willst Du meine Ratschläge befolgen, Mutter?« fragte er nach einer -Pause. - -»Thue ich das nicht stets, Anthony?« - -»Wohlan, so lasse die junge Dame, welche zweifellos die Tochter Deiner -Freundin ist, morgen noch einmal -- zum letztenmale -- hier ihres schweren -Amtes walten, nur damit ich ihr dann unbemerkt folgen und Mrs. Northlands -Wohnung erforschen kann. Ist das erreicht, so magst Du hingehen und thun, -was Dir Pflicht und Herz gebieten. Bist Du damit einverstanden, Mutter?« - -Unter Thränen nickte diese ihm zu. -- - -Anthony Clark vermochte in der darauffolgenden Nacht gar keine Ruhe zu -finden. Immer und immer stand das hochherzige Mädchen mit den ernsten, -charaktervollen Zügen und den wunderbar schönen Augen vor seinem -fieberhaft erregten Geist. Und als gegen Morgen der Schlaf sich endlich -auf seine Lider herabsenkte, war es ihm, wie wenn ihr holdes Angesicht, von -einer leuchtenden Strahlenkrone umgeben, sich über ihn niederbeugte und -die melodische Stimme in sein Ohr flüsterte: »Was man Schwerstes je -empfunden, Liebe hat es überwunden!« -- -- -- - -Ganz seltsam unsicher und befangen hatte Miß Northland am andern Morgen -das Clarksche Haus betreten und war viel eiliger als sonst durch die weite -Halle der unteren Etage die Treppe hinauf nach dem für ihre Obliegenheiten -bestimmten Zimmer geschlüpft. Dort angekommen atmete sie förmlich -erleichtert auf, daß ihr niemand begegnet war, weil sie sich nach ihrer -Idee in einer krankhaft erregten Gemütsstimmung befand. Zu ihrer Schande -mußte sie auch selbst die Wahrnehmung machen, daß ihr die zu verrichtende -Arbeit zum erstenmale drückend und peinlich erschien. Wenn Mr. Clark nur -nicht etwa wieder bei ihr eintreten und ein Gespräch mit ihr anknüpfen -wollte, dachte das junge Mädchen hochklopfenden Herzens -- heute würde -sie ihm nicht mehr so unbefangen in die klugen Augen blicken und nicht mehr -so präcise antworten können! Warum aber fürchtete sie sich davor? Über -dieses Warum indessen vermochte sich Grace nicht klar zu werden und schob -es auf »ihre krankhaft erregte Gemütsstimmung!« -- - -Bei ihrem Eintritt in den gewohnten Arbeitsraum stand alles wie sonst am -bekannten Platze. Sie zog flink Schürze, Schutzärmel und Handschuhe aus -der mitgebrachten Tasche hervor und war eben im Begriff, an die Arbeit zu -gehen -- da gewahrte sie, dicht neben den Lampen liegend, eine prachtvolle -Marschall-Niel-Rose. Was bedeutet das? Beim Anblick der Blüte war Grace -dunkle Glut ins Gesicht geschossen und eine tiefe Zornesfalte legte sich -über die weiße Stirn. Empörend! Das mußte der unverschämte Nigger, der -Butler des Hauses gethan haben, welcher ihr beim Kommen und Gehen stets den -Mantel an- und ausziehen half und sie dabei immer so keck anstierte oder -seine wulstigen Lippen zu süßlichem Grinsen verzog. Empörend war das! -Mit dem Zeigefinger der linken Hand schob sie die zartgelbe Blüte an das -entgegengesetzte Ende des großen Tisches; allein eben so schnell ergriff -sie dieselbe wieder, sie mit fast wildem Ungestüm an die Brust pressend. -Allmächtiger Gott, wäre es denkbar, konnte es möglich sein, daß er -- -Anthony Clark, dessen Bild sich in ihrer jungen Brust gar fest eingelebt -hatte, dessen milde, zum Herzen dringende Stimme ihr noch jetzt durch das -Gemüt klang, daß er jene Blume hier auf diesen Tisch gelegt? Ein Zittern -überfiel die hohe Mädchengestalt -- und wenn er es wirklich gethan, -mußte sie es dann nicht eher als Demütigung und Beleidigung ansehen, die -er, der reiche, hochgestellte Mann dem armen, schutzlosen Mädchen damit -angethan? Durfte sie die Blüte, ohne erröten zu müssen, auch wirklich -annehmen? Was würde die Mutter dazu sagen? O gewiß, Anthony Clark war -eines unedlen Gedankens nie fähig, das war ja sonnenklar! Mit fliegenden -Händen, gewiß das erste Mal weniger gewissenhaft als sonst, verrichtete -Grace Northland an diesem verhängnisvollen Morgen ihre Arbeit. Mrs. Clark -sei ausgegangen, bedeutete sie der aufwartende Butler, als sie sich zur -Dame des Hauses, wie alltäglich, begeben wollte. Wie Grace bei dieser -Auskunft voll Beruhigung wahrnahm, verrieten die Züge des Schwarzen heute -nur steife Würde und stumme Ehrerbietung. Gott sei Dank, endlich konnte -sie dem sie heute so eigentümlich beengenden Hause den Rücken wenden, -flink eilte das junge Mädchen in die anderen Häuser, in welchen sie die -nämliche Beschäftigung zu verrichten hatte, und wenige Stunden später -lief Grace Northland bereits leichtfüßig die Treppenstufen zu dem -traulichen Häuschen Nr. 9 auf Dolly Ward hinan. - -Hätte sie während des Weges nur ein einziges Mal nach rückwärts -geschaut, dann würde sie wohl sicher nicht mehr im Zweifel über den Geber -jener Rose gewesen sein. - - * * * * * - -Es war ein zauberisch schöner Juliabend. Gleich Diamanten strahlten die -Sterne am Himmel und wer nie eine amerikanische Sommernacht durchlebte, der -hätte denken können, ein Teil der Gestirne wäre zur Erde herabgefallen, -so glitzerten und funkelten die zahlreichen =glow worms= (Leuchtkäfer) -allenthalben im tauigen Grase und duftigen Gesträuch. In traulicher -Eintracht saßen Mutter und Tochter auf der kleinen Veranda, während -Polly, eine junge Negerin, welche Grace, seitdem sie so guten Verdienst -erzielte, zum Beistand der Mutter ins Hauswesen genommen, geräuschlos hin -und her glitt und den Theetisch abräumte. - -»Du bist heute so still, mein Kind, was ist Dir? Zuweilen scheint es mir, -als ob Deine Gedanken ganz wo anders weilten, als zu Hause!« fragte Mrs. -Northland, nachdem sie schon einigemal nach der prächtigen Rose geschaut, -die an des jungen Mädchens Busen prangte. - -»Ich denke darüber nach, daß wir doch jetzt sehr glücklich sein -können, Ma,« entgegnete die Angeredete mit halb abgewandtem Gesicht. - -»Du, mein Engelskind! Wie sorgst und plagst Du Dich für mich -- das -zu vergelten, vermag nur Gott,« flüsterte die ältere Dame in tiefer -Bewegung. - -»Ich ernte ja auch reiche Früchte. Die Mühe ist so gering, in -anbetracht, daß ich Deine Stirn wieder ohne Sorgenfalten erblicke,« -lautete die heitere Erwiderung. - -»Du wolltest mir ja längst einmal etwas über die verschiedenen Häuser -erzählen, in denen Du ein- und ausgehst, Grace. Ich hoffe, man begegnet -Dir mit Achtung?« - -»Sei außer Sorge, Mama. Noch niemals habe ich die geringste -Zurücksetzung erfahren. Vor allen ist es --« (Grace zögerte ein wenig) -»ist es Mrs. Clark, die stets in sehr liebreicher Weise zu mir spricht.« - -»Mrs. Clark, eine noch junge Frau?« - -»Etwa in Deinem Alter. Sie ist eine große volle Blondine, mit selten -schönen, blauen Augen und -- --« - -»Und einem kleinen, roten Male an der Oberlippe?« fiel Mrs. Northland der -Tochter hastig ins Wort. - -»Ja, gewiß. Woher kennst Du denn diese Dame?« - -Die Mutter war jetzt in ihren Stuhl zurückgesunken und atmete tief und -schwer. - -»O Grace, welche Entdeckung! Warum auch mußtest Du gerade in dieses Haus -geraten? Gerade sie ist die Frau, um deretwillen Dein armer Vater einen -Treubruch beging, indem er mich ihr, dem reichen Mädchen, mit welchem er -bereits verlobt war, vorzog. Einst waren wir uns beide in beinahe mehr als -schwesterlicher Liebe zugethan, lange Jahre hindurch; dann aber hat sie mir -die Thür gewiesen, sich gänzlich von mir losgesagt -- mich verflucht! -Ein Unsegen ruhte seitdem auf dem Bunde zwischen Deinem Vater und mir. Dein -Vater verlor sein ganzes Hab und Gut und ist im kräftigsten Mannesalter -dahingerafft worden. Annie, meine frühere Freundin, wurde die zweite Frau -des reichen Handelsherrn Mr. Albert Clark, wie ihr Vater es wünschte, und -nun lebt sie im Überfluß in New York. So viel ich weiß, besaß Clark -auch einen Sohn aus erster Ehe; Annie hatte keine Kinder!« - -Längst war das junge Mädchen von ihrem Sitze aufgesprungen, war -niedergekniet und lauschte, die verschlungenen Hände im Schoße der -Mutter, atemlos deren Worten. »Grace,« fuhr dieselbe nach kurzer Pause -fort, »in diesem Hause darfst Du Deinen Namen niemals nennen, hörst Du, -Grace?« - -Es erfolgte keine Antwort. Dafür aber gewahrte Mrs. Northland, ungeachtet -der zunehmenden Dunkelheit, wie ein Herr und eine Dame sich langsam -dem Hause Nr. 9 genähert hatten und nun leise zögernd die Stufen der -hölzernen Treppe emporstiegen. - -Durch die Glasthür der Veranda fiel ein heller Lichtstrahl direkt auf das -blasse Gesicht einer stattlichen, noch immer schönen Frau. - -»Annie! Barmherziger Gott!« - -»Mary!« - -Wie durch einen Federdruck in die Höhe geschnellt, fuhr nun auch des -jungen Mädchens Kopf aus dem Schoß der Mutter empor. Allein, Grace sah -nicht, daß diese der eleganten Dame in die Arme sank, nicht, daß jene das -vergrämte Gesicht der Wiedergefundenen mit heißen Küssen bedeckte -- -sie sah nur ihn -- Anthony Clark und seine herzlich und liebevoll auf sie -blickenden Augen. - -»Annie, Du kommst zu mir? Bringst Du mir Vergebung -- bringst Du Deine so -schmerzlich vermißte Liebe mir zurück?« klang es schluchzend aus Mrs. -Northlands Munde. - -»Alles, alles, Mary. Aber ich bringe Dir noch mehr: Siehe hier, das ist -Anthony Clark, der mir zu jeder Zeit ein lieber Sohn gewesen. Er hat eine -Bitte an Dich zu richten, die so groß und bedeutungsschwer ist, daß es -meiner Fürsprache bei Dir bedarf!« - -Der Genannte war rasch näher getreten und verneigte sich tief vor der -überraschten Frau. - -»Eine Bitte an mich?« stammelte Mrs. Northland, während sie in fast -scheuer Verwunderung von dem eleganten, hübschen Manne zu ihrer -Tochter hinübersah. Was war denn hier geschehen? -- Das purpurglühende -Gesichtchen mit den Händen bedeckend, lehnte das junge Mädchen an einem -Sessel. - -Obwohl in leidenschaftlicher Erregung, aber doch in festem Tone, sagte nun -Mr. Anthony: »Ich habe einmal die Äußerung gethan, daß es, seit Sie, -Grace Northland, die Schwelle unseres Hauses überschritten, Licht darin -geworden ist. Allein damals wagte ich nicht, hinzuzusetzen, daß dieses -Licht mit einer Kraft und Macht, die höheren Ursprung zeigten, auch mir -ins Herz hineingedrungen ist! Wie ein Geblendeter bin ich seit -Wochen umhergegangen -- geblendet und beschämt über die eigentliche -Erbärmlichkeit des sonst so hochgeschätzten eigenen Wertes. Erst Sie, nur -Sie, Miß Northland, haben mich gelehrt, daß es noch Höheres giebt als -das, was mir bis dahin als allein edel und erhaben vorgeschwebt. Wenn ich -mir bisher einbildete, ein guter Mensch zu sein, so erkannte ich mich jetzt -als einen egoistischen, jämmerlichen Wicht, dessen ganzes Verdienst darin -bestanden hatte, die Annehmlichkeiten des Lebens mit Behagen zu genießen. --- Heute, als die verhängnisvolle Rose auf Ihrem Platze lag, war ich so -anmaßend, durch eine Thürspalte zu Ihnen hinüber zu sehen. Ich gewahrte -Ihren Kampf, gewahrte aber auch, wie mein stummes Liebeszeichen mit -Ungestüm ans Herz gepreßt wurde. Grace Northland! Diese Brust erfüllt -nunmehr ein einziger, seliger, heißer Wunsch -- eine Bitte -- --« - -»Anthony!« Ein fassungsloser Jubelruf unterbrach den Sprecher; Graces -Arme waren jetzt schlaff herabgesunken und wie in einer Verklärung starrte -sie ihn an. - -»Grace, mein hochherziges, mutiges Mädchen, ich will noch nichts anderes -wissen, als ob Sie meine tiefe innige Liebe einst werden erwidern können. -Das weitere überlassen wir der Zeit und diesen da ...« - -Damit deutete er auf die beiden älteren Damen, welche Hand in Hand -nebeneinander standen und mit seligen Blicken an der reizenden Befangenheit -des holden jungen Mädchens sich weideten. - -Jedenfalls mußte die Antwort auf jene inhaltsschwere Frage wohl zur -allseitigen Zufriedenheit ausgefallen sein, denn bald darauf saßen vier -glückliche Menschen in dem kleinen, gemütlichen Salon, wo Erinnerungen -ausgetauscht und neue Zukunftspläne geschmiedet wurden. Als Anthony Clark, -über das Geländer der Veranda gebeugt, indessen die Stiefmutter -lächelnd vorausgegangen war, noch ein letztes Lebewohl, einen warmen -Kuß austauschte mit seiner schönen Braut, war es bereits dunkle Nacht -geworden. - - * * * * * - -Selbstverständlich brachte nun die nächste Zeit den guten Leuten von -Dolly Ward wieder viel Stoff zum Reden. Mr. O'Reilly jedoch ging womöglich -noch etwas einsilbiger als sonst umher. So lange schon hatte er sich, nach -einem schweren Kampf mit seiner ursprünglichen Absicht einer Geldheirat, -bereit gemacht, der schönen Tochter seiner Nachbarin von Nr. 9 einen -ernsten Antrag zu machen, aber es hatte ihm stets an dem nötigen Mut -gefehlt, und nun mußte ihn das glückstrahlende Gesicht des jungen -Mädchens, als es wenige Tage später an Anthony Clarks Arme an der -Behausung des Advokaten vorüberging, hinlänglich darüber aufklären, -daß seine erträumten Aussichten auf Erfüllung seiner stillen -Herzenswünsche nur sehr kümmerlich beschaffen gewesen seien, und das -schien ihm ziemlich nahe zu gehen, denn bei einem gelegentlichen Besuche -in der Nr. 9 ließ der junge Irländer die Bemerkung fallen, daß er -demnächst »aus Geschäftsrücksichten« nach Brooklyn übersiedeln werde. - -Noch vor seiner Vermählung mit Grace hat Anthony Clark ganz heimlich das -Häuschen Nr. 9 auf Dolly Ward käuflich erworben, um es seiner holden -Braut als Morgengabe zu schenken. Mrs. Northland ist fortan die Gebieterin -desselben, und für die schwergeprüfte Frau ist es stets ein Festtag, -wenn das glückliche junge Paar dem Geräusch und Getriebe der Riesenstadt -einmal entflieht, um ein paar ruhige, selige Stunden zu verleben in der -poetischen Einsamkeit von Dolly Ward. - - - - -Fächer-Bilder. - - - Berlin, 14. Januar 18.. - - »=Caro amico!= - -Warum ich so lange nicht geschrieben, willst Du wissen? Nun, das ist -eigentlich keine so leichte Sache, Dir zu erklären. Fürs erste begnüge -Dich damit, daß ich mich langweile -- zum Sterben langweile und Dein -heiteres Künstlergemüt -- Dich, Du Glücklicher, der Du unter Italiens -Sonne der abgeschmackten Wintergenüsse unserer Reichshauptstadt kaum mehr -gedenkst, nicht mit Stoßseufzern und Lamentationen inkommodieren wollte, -die Dir doch vielleicht nur ein mitleidiges Lächeln entlockt haben -würden! - -»Aber Mensch, bist Du verrückt geworden!« höre ich in Gedanken Deine -Stimme rufen: »Bist verheiratet seit sechs Monaten, hast eine charmante -Frau, ein Heim, eine Stellung unter den Künstlern, um die Dich die Götter -beneiden könnten, und sprichst von Langweile?!« Zugegeben -- alles -zugegeben, alter Freund! Aber ich kann Dir einmal nicht helfen. Gerade -das Geregelte meines jetzigen Daseins widert mich an. Es erscheint mir zu -philisterhaft, zu sittsam, zu hausbacken, keine Spur von Abwechslung -- -von prickelnden Reizen liegt darin. Wo bist Du hin, Du goldige -Junggesellenzeit! Nimm den freien Waldvogel, stecke ihn unbarmherzig in -einen Paradekäfig und schau zu, was er für eine Miene macht! So ungefähr -kannst Du Dir denken, wie mir, den Du früher zur Genüge gekannt, nun zu -Mute ist. O heiliger Brahma! Es war eine große Dummheit, mir jetzt schon -die Flügel zu stutzen und mich ins Joch zu spannen. Die Galle läuft -mir zuweilen über, wenn ich an die verschiedenen Tanten, Onkels -- und -Schwiegermütter denke, welche mir diese Heirat so plausibel dargestellt -und es fertig gebracht haben, aus einem von Übermut und Lebensgenuß -beseelten Taugenichts einen soliden Ehemann zu machen! -- Solide?? Das -doppelte Fragezeichen steht nicht ohne Bedeutung da. Arme kleine Frau! -Ich glaube, sie hat von uns beiden wohl doch noch die schlechtere Nummer -gezogen, obgleich ich bisweilen moralischen Katzenjammer bekomme und in -bitterer Reue diesem noch so kindlichen Geschöpfe, was sich mein Weib -nennt, alle begangenen Sünden abbitten möchte. Wer aber verlangt auch, -daß ein Maler, ein Künstler von Ruf, wie ich ohne Überhebung es mir -zu sein schmeichle, der überdies in Berlin lebt, Grundsätze und -Selbstverleugnung des heiligen Antonius besitzen soll! Wer das verlangt, -der ist ein Narr! Ich habe Agnes geheiratet, erstens: weil meine und ihre -Familie es wünschten; zweitens: weil sie ein leidlich hübsches, sanftes -Geschöpf ist, die sogar einer Ameise aus dem Wege geht, um sie nicht zu -zertreten, wie viel weniger dem eigenen Gatten unfreundlich begegnen -oder ihm gar widersprechen würde. Darum habe ich sie zu meiner Gemahlin -gemacht, nicht aber, weil --, wie Du es zu glauben scheinst -- sie es -verstanden hätte, mein launisches Herz in Fesseln zu schlagen, noch -weil sie überhaupt qualifiziert wäre, einen Mann -- noch dazu einen -verwöhnten Mann -- zu begeistern und hinzureißen. In unserer Art führen -wir ja auch eine ganz glückliche Ehe. Sie ist eine wohlhabende Frau, -ich derjenige, der um sein Brot schaffen muß. Daher habe ich es mir -selbstverständlich auch zur Pflicht gemacht, jeden ihrer Wünsche zu -erfüllen und ihr stets aufs Rücksichtsvollste zu begegnen. Nebenbei -glaube ich wirklich, daß sie einiges Vertrauen zu mir hat und mir -aufrichtig zugethan ist. Dankbar zeigt sie sich wenigstens für jedes -freundliche Wort aus meinem Munde, wenn auch mein übriges Thun und Lassen --- außer unsern vier Pfählen -- sie wenig oder gar nicht zu interessieren -scheint. Von Eifersucht habe ich vorläufig noch nicht das Mindeste -bemerkt. Manchmal sogar könnte mich der sonst sehr anerkennenswerte -Mangel dieser Untugend an meiner jungen Frau beinahe ungeduldig machen. Wir -führen somit ein ganz modernes, großstädtisch angehauchtes Eheleben. - -Agnes lebt ziemlich häuslich, verkehrt nur im kleinen Verwandten- und -Bekanntenkreise. Ich hingegen tummle mich in der großen Welt umher, wozu -ein Künstler von Beruf verpflichtet ist, wenn er seinen Geist anfeuern -will. Trotzdem aber entgehe ich bei solchem Dasein der Langweile nicht. -Das ewige Haschen nach pikanten Abenteuern und reizvoller Abwechslung wird -schließlich fade; oft fehlt dabei der wahre Humor, oft aber auch jedwede -Poesie! Pah! So ist einmal der Mensch. Er erwartet immer, daß Fortuna ihm -einmal etwas ganz Apartes in den Schoß werfen soll! Das einzige, was mich -wahrhaft befriedigt, ist und bleibt immer die Kunst. Diese edle Dame ist -es auch, die mich zuweilen recht energisch bei den Ohren zieht mit der -Mahnung: »Nun ist's genug, Freund Gilbert, mit dem Vergnügen! An die -Arbeit mit Dir!« Und dieser Mahnung habe ich mich bisher noch immer willig -gefügt. Halte mir aber in Deinem Antwortschreiben um Himmelswillen -nicht etwa eine Moralpredigt, =amico Carolo=, um mich mit diplomatischen -Redensarten auf den schmalen Pfad der Tugend hinüberzulocken! An mir ist -nun einmal Hopfen und Malz verloren, und muß ich fürs Leben verbraucht -werden, wie ich eben bin. Wenn Dir übrigens etwas daran liegt, so will -ich Dir von Zeit zu Zeit eine gedrängte Übersicht meiner hiesigen -Lebensweise, oder richtiger gesagt: ein Sündenregister zukommen lassen. -Vor Dir kennt mein Herz keine Geheimnisse. Und nun Addio bis zum nächsten -Male. - - Gilbert.« - - * * * * * - - Berlin, 8. Februar 18.. - - »Teurer Freund! - -Es ist zum Totlachen! Ich habe ein reizendes Abenteuer erlebt, welches ganz -nach meinem Geschmack ist und die mich befallene schlappe Gemütsstimmung -total aufgefrischt hat. Übrigens danke ich Dir für Deinen Brief und -die freundlichen Grüße an Agnes, der Du allem Anscheine nach ein -liebenswürdiges Interesse zu teil werden läßt. Das gute Kind hatte vor -einigen Tagen zum erstenmale eine Anwandlung von Eifersucht. Wie komisch! -Doch davon später. - -Also: unser Künstlerbund gab vorige Woche einen brillanten Maskenball, -den ich selbstverständlich besucht habe, während meine Frau dergleichen -rauschende Vergnügungen grundsätzlich meidet. Natürlich bin ich weit -davon entfernt, sie in ihren etwas streng puritanischen Ideen beeinflussen -zu wollen. Ich hingegen warf mich mit blasierter Gleichgültigkeit in -den wildesten Strudel dieses Zauberfestes. Ein schlichter Domino aus -moosgrüner Seide, der noch aus meiner Junggesellenzeit stammt und mir -vor Jahren zur Karnevalszeit in Rom gute Dienste geleistet, wurde wieder -hervorgesucht und für tauglich befunden. Vom Scheitel bis zur Zehe -verhüllte er meine Gestalt, so daß ich darauf hätte Gift nehmen wollen, -unerkannt zu bleiben. Allein es kam anders. Denn bereits vom Beginn des -Balles an intriguierten mich zwei Damen ganz impertinent, indem sie mich -auf Schritt und Tritt verfolgten. - -Die eine, ebenfalls im Domino, schien der Figur und Haltung nach -schon etwas bei Jahren zu sein, wogegen die andere, im entzückendsten -Susannenkostüm, Formen und Bewegungen auswies, wie ich solche an einer -Sterblichen überhaupt noch nicht gesehen. Im Nu war meine blasierte -Stimmung verschwunden; ich fühlte einen Feuerstrom durch meine Glieder -ziehen. Große Samtmasken mit lang herabfallenden Spitzenbärten machten -jedes neugierige Erspähen der Gesichtszüge rein unmöglich. - -Wer war dieses Götterweib? Sicherlich wohl eine Fremde. Denn solcher Anmut -und vornehmer Grazie war ich in Berlin noch nicht begegnet. Aufs höchste -interessiert und sympathisch angezogen, daß die Aufmerksamkeit dieser -distinguierten Erscheinung sich gerade auf meine unbedeutende Person -gelenkt, mache ich unserer bisherigen stummen Wanderung durch die Säle ein -Ende mit den an die Jüngere gerichteten bedeutungsvollen Worten: - -»Was veranlaßt wohl nur das Licht, der armseligen ›Motte‹ zu -folgen?« - -Sie zuckte zum Zeichen, daß sie mich nicht verstanden, die wohlgerundeten -Schultern. Ich wiederholte dieselbe Frage auf Französisch. Da lachte -sie hell auf. Es war ein köstliches melodisches Lachen; dann klang eine -glockentiefe Altstimme an mein in Verzückung lauschendes Ohr: - -»Monsieur Gilbert besitzt viele Freunde, ohne daß er davon eine Ahnung zu -haben scheint.« - -Beinahe erschreckt stutze ich. Also faktisch erkannt! - -»Ist er doch nicht umsonst zwei Karnevalsaisons in Rom gewesen. Jener -grüne Domino hier --« (ihre mit schwarzen Halbhandschuhen bekleidete -Rechte strich sanft über meinen Ärmel hinweg) -- »machte den -Verräter.« - -Etwas verblüfft starre ich durch die Augenschlitze der Maske nach der -Sprecherin hin. - -»Eine Freundin, Madame? So sind wir alte Bekannte?« sagte ich ziemlich -indiskret. - -»Das weiß ich nicht, Monsieur! Wer zählt die Völker, kennt die Namen! -Künstler Gilbertos Herz ist weit, aber sein Gedächtnis scheint kurz. -Armer Gilberto!« fuhr sie, bedauernd den Kopf wiegend, fort: »Jetzt ist -er ein Philister geworden; er mußte es =nolens volens= werden, -- hat eine -reiche, unelegante, häßliche Frau heiraten müssen, die nebenbei noch -grimmig eifersüchtig sein mag. Seine Freunde bedauern und bemitleiden ihn -aber aus tiefstem Herzensgrunde und hoffen wenigstens, daß die geniale -Künstlernatur unter solchem Mißgeschick nicht zu Grunde gehen wird!« - -»Eine häßliche Frau!« Das verschnupfte mich, und ein wenig ärgerte -ich mich über solchen meinem sonst stets als kompetent geltenden Geschmack -gemachten Vorwurf, insbesondere, weil er ganz ungerecht war. Allein der -Moment schien nicht geeignet darüber zu streiten, und deshalb nahm ich es -ruhig hin; ja ich war sogar entzückt davon, daß die reizende Susanne nun -=sans gêne= ihren Arm unter den meinen schob und dicht neben mir weiter -schritt. Der weibliche Domino folgte uns. - -Witz, Geist und Übermut sprudelten aus jedem Worte meiner Begleiterin. Ich -schwelgte in einem Meer von Wonne. Hier war doch einmal wieder richtiges -Amüsement, nach welchem ich mich förmlich gesehnt hatte. Berlin, meine -Ehemannspflichten, ja sogar die sanfte, braunhaarige Agnes, -- alles war -vergessen; ich verträumte mich wieder nach Italien, in die selige Periode -meiner unbeschränkten Freiheit! - -=Mio amico!= Ich kann Dir versichern, daß es wirklich ein außerordentlich -amüsanter Abend war. In einem ziemlich entlegenen Winkelchen nahmen wir -ungestört Erfrischungen ein, nach deren Genusse diejenige, welche von -meiner reizenden Maske mit Tante angeredet wurde, in einen wohligen -Halbschlaf zu fallen schien. Wir ignorierten das selbstverständlich und -unterhielten uns um so lebhafter. Aus verschiedenen Äußerungen der jetzt -Schlummernden war mir klar geworden, daß die Damen Russinnen sein mußten, -ihr Domizil in Wiesbaden hatten und bloß für kurze Zeit auf Besuch zu -einer Malerfamilie nach Berlin gekommen waren, indessen die Hauptstadt -schon am nächsten Tage zu verlassen gedachten. Halb mechanisch spielte -ich mit dem mir angeeigneten Fächer meiner Begleiterin und that dabei die -vielleicht etwas dreiste Äußerung, daß ich denselben als Pfand für ein -eventuelles Wiedersehen, oder auch zur Erinnerung an diesen Abend als mein -Eigentum behalten wollte. - -»O nein! Dieses unscheinbare Ding hier ist ein teueres Andenken an einen -Freund,« entgegnete sie wieder mit dem so bezaubernden Lachen. »Aber, -ich will Ihnen einen Vorschlag machen, Monsieur Gilberto! Sie behalten den -Fächer einstweilen und malen mir mit Künstlerhand ein Bildchen darauf, -dann wird er mir erst doppelt wert sein.« - -»Gern. Doch wie soll ich Ihnen denselben wieder zustellen, -=bella= Susanna?« fragte ich gespannt, indem ich ihre reizende, -brillantenfunkelnde Hand einen Moment fest zwischen die meine nahm. - -»=Eh bien!= Sie schicken ihn mir =par poste=, oder was noch besser wäre, -Sie bringen ihn selbst, Gilberto! Meine Adresse ist: Madame de Baranow, -Wiesbaden ... Straße. Im Mai komme ich übrigens wieder nach Berlin.« - -Darauf erhob sie sich, weckte mit sanften Schütteln die schlummernde -Tante, und bald waren die Damen im Maskengewühl meinen Blicken entrückt. - -Ich glaube, daß ich noch eine ziemliche Weile, in selige Träumereien -versunken, mit dem gedachten Fächer in der Hand auf diesem Platze -gesessen habe. Obgleich kein Kunstwerk, was die schöne Unbekannte mir -zurückgelassen, entströmte demselben doch ein eigentümlich süßes -Parfüm. Von goldverziertem Schildpatt war der zierliche Griff, alles -übrige von feiner schwarzer Seidengaze. Und doch fühlte ich mich in -dem Besitze gleich einem Krösus, so daß auch in meinem erregten Geiste -allerlei mögliche Ideen auftauchten -- liebliche Phantasiegebilde, denen -ich auf dem duftigen Gewebe mit dem Pinsel Ausdruck, ja Form und Gestalt -verleihen wollte. Sicherlich sollte Dir, =bella= Susanna, der Beweis -geliefert werden, daß Gilbertos leidenschaftliches Temperament, sein -zündender Geistesfunke noch nicht untergegangen im hausbackenen Eheleben. - -Das Fest hatte jetzt keinen Reiz mehr für mich. Ich ließ mir von dem -ersten besten dienstbaren Geiste ein Stück Papier bringen, wickelte den -mir so kostbaren Fächer sorgfältig ein und schob das kleine Päckchen -in die Tasche. Nach zwanzig Minuten stieg ich die Treppe zu meiner Wohnung -hinan. - -Schon von der Straße aus hatte ich wahrgenommen, daß in dem an mein -Atelier stoßenden Wohnzimmer, wiewohl die Mitternachtsstunde längst -geschlagen, noch eine Lampe brannte. War denn Agnes noch wach? Wollte die -kleine Frau mich, an dessen späte Rückkehr sie doch hinlänglich gewöhnt -sein mußte, heute auf einmal erwarten? Das dünkte mir höchst wunderbar. -Der Entreedrücker befand sich in meiner Tasche, weshalb ich, ohne -zu klingeln und von den Dienstleuten unbemerkt, mein Heim zu betreten -vermochte. Ein wenig neugierig öffnete ich die Stubenthür; doch machte -der sich mir darbietende Anblick unwillkürlich lächeln. Dort -- an dem -mit umfangreichen Weißnähereien bedeckten Tische, über welchen die -Hängelampe ihr mildes Licht ausstrahlte, lag, auf die gekreuzten Arme -herabgesunken, das Haupt meines jungen Weibes, während die Brust der sanft -Schlummernden unter regelmäßigen Atemzügen sich hob und senkte. - -»Die häßliche Frau!« So schoß es mir plötzlich durch den Sinn. Leise -trat ich näher, um mich mit Kritikerblicken einmal zu überzeugen, in wie -weit jener Ausspruch gerechtfertigt schien. Freilich wies dieses zierliche -Köpfchen dort keine regelrechten Schönheitslinien auf. Dafür aber lag -der Schmelz holder Frauenhaftigkeit, die Taufrische eines weiß-rosigen -Teints über dem beinahe noch kindlich runden Gesichte. Häßlich? Nein, -das war entschieden ganz ungerecht. Der Chic der großen Welt, und das so -gewisse, auch weniger schöne Frauen anziehend machende Etwas fehlte hier -natürlich durchaus. Allein mein Malerauge fand heute zum erstenmale, daß -das, was ich an Modellen so oft vergeblich gesucht und wofür ich, um es -auf die Leinwand zu bannen, eine wahre Leidenschaft hegte, nämlich: -einen rötlich goldigen Glanz im hellbraunen Haar, was die Engländer so -bezeichnend =auburn= nennen, -- daß gerade diese große Seltenheit mein -eigenes Weib besaß. In einem langen Prachtzopfe hing dieses jetzt vom -Lampenlicht beleuchtete, wunderbar schimmernde Haar der schlanken Gestalt -über den Nacken herab. Merkwürdig, nicht wahr, =mio amico=? Und noch -merkwürdiger, daß ich das vorher gar niemals beachtete. - -Nachdem ich Cylinder, Handschuhe und das kleine Paket mit dem Fächer -auf den Tisch gelegt, war ich eben im Begriff, mich auch des Paletots zu -entledigen, da erwachte Agnes. - -Halb verstört schaute sie mich an. Doch nur mit verlegenem Gruße raffte -sie eilig die Arbeit zusammen und barg dieselbe auf dem Schoße. - -»Aber, Kind! Was fällt Dir ein, so lange wach zu bleiben! Das ist -thöricht!« sagte ich mehr unwillig, als freundlich, indem ich es -nicht einmal der Mühe wert hielt, ein lautes Gähnen zu unterdrücken. -»Meinetwegen brauchst Du das nicht mehr zu thun!« - -Nur ein ängstlich scheuer Blick aus ihren stahlblauen Augen streifte mich. -Was sie dabei wohl gedacht, vermochte ich nicht zu ergründen. Vielleicht -hatte sie gerade um meinetwillen den Schlaf der halben Nacht geopfert, -vielleicht auch auf ein herzlich dankbares Wort aus meinem Munde gerechnet. -Arme kleine Frau! Sie packte, wie das so ihre Gewohnheit war, meine -nachlässig hingeworfenen Sachen sorgsam zusammen. Dabei aber entschlüpfte -der Fächer seiner papiernen Hülle und fiel zurück auf den Tisch. Sie -stutzte, da sie das verräterische Rot sofort bemerkte, was meine Stirn -bezog. - -»Hast Du Dich neuerdings auf Fächermalen verlegt, Gilbert?« kam es -eigentümlich spöttisch von den rosigen Lippen. Der Ton reizte mich. - -»Ja wohl, wenn Du nichts dagegen hast, kleine Moralistin! Ich werde diesen -schlichten, schwarzen Fächer zu einem wahren Kunstwerk umgestalten, -weil die Besitzerin ein ...« (ich stockte, denn der Ausdruck des mir -zugewandten Gesichtes glich dem eines entsetzten Kindes) -- »weil eine -Dame mich freundlich darum gebeten hat, dieses unscheinbare Ding zu -verschönern,« fügte ich gleichgültig hinzu. - -»So? Nun, mir hast Du noch niemals einen Fächer gemalt, Gilbert!« sagte -sie halb schmollend, während sie den verfänglichen Gegenstand zur Hand -nahm und denselben, das ihm entströmende Parfüm einsaugend, an ihr -Stumpfnäschen hielt. - -»Dir?« fragte ich höchlichst verwundert. »Trägst Du denn überhaupt -einen Fächer? Ich dachte, solch' Spielzeug für große Kinder erscheine -Dir viel zu frivol?« - -Zu meiner noch größeren Verwunderung sah ich, wie das zierliche Köpfchen -mit einem energischen Ruck ganz plötzlich in den Nacken fuhr, worauf -es mit eigentümlich bebender, allein halb trotziger Stimme an mein Ohr -schlug: - -»O, natürlich ahne und verstehe ich nichts vom Fächerspiele all' jener -Frauen, deren Lebenszweck nur eitles Haschen nach Vergnügen ist und für -welche das heilige Wort Pflichten überhaupt keine Bedeutung hat. Einen -Fächer zum Gebrauche in Deinem Sinne brauche ich gottlob nicht! Gute -Nacht, Gilbert!« - -Damit ließ sie mich allein. - -Dergleichen Heftigkeit war mir neu an meiner Gattin. Gut, dachte ich, -fangen wir doch zur Abwechslung einmal an, uns gegenseitig auf den -Kriegsfuß zu stellen! Das würde jedenfalls mehr Anregung bieten im -häuslichen Einerlei, als diese lauwarme Spülwasser-Stimmung. Oho! Ich war -sicher nicht der Mann, um mich über die kindischen Launen der einfältigen -kleinen Frau zu grämen. War doch mein Geist ohnehin so vollständig -gefangen genommen durch das reizvolle Abenteuer des Maskenballes, daß -alles andere gänzlich in den Hintergrund trat. - -Für heute aber mag's genug sein, =mio Carolo=! Das Fächerbild ist bereits -begonnen worden und scheint mir vortrefflich zu gelingen. =Vive l'amour!= - - Dein Gilbert!« - - * * * * * - - Berlin, den 26. März 18.. - - »Lieber Karl! - -Ich bin allein in meiner stillen Bude. Agnes sah in letzter Zeit miserabel -aus und ist recht erholungsbedürftig, so daß ihre besorgte Mama, meine -verehrte Frau Schwiegermutter, für einige Wochen das Töchterlein zu sich -genommen hat, um ihr alle erdenkliche Pflege und Schonung angedeihen zu -lassen, deren sie im eigenen Heim entbehrt. Liegt doch das Haus ihres -Vaters im schönsten, gesundesten Teile Berlins, wo die herrliche laue -Frühlingsluft, die dort vom Tiergarten herüberweht, die Wangen des -blassen Kindes hoffentlich bald wieder runden und rosig färben wird. - -Über die letzte Zeit habe ich wenig Interessantes, noch Erfreuliches zu -berichten. Ich meine, daß ich seit Wochen schauerlich schlechter Laune -und höchst ungemütlich gewesen bin. Manchmal befielen mich wahrhafte -Wutparoxismen, so daß ich am liebsten jede lästige Fessel gesprengt -hätte und hingeeilt wäre zu derjenigen, die unausgesetzt all' mein -Denken gefangen hielt -- hin zu Madame de Baranow nach Wiesbaden. Dann -aber versank ich auch wieder in eine stumpfsinnige Apathie, welche mir -das Dasein fast ekelhaft fade erscheinen ließ. Glücklicherweise ist der -bedeutungsvolle Fächer noch vor dieser Trübsinnsperiode vollendet worden -und befindet sich jetzt schon in den Händen von =bella= Susanna. Was ich -darauf gezaubert? - -Ich glaube wirklich, der Genius der Malerei hat mir dabei die Hand geführt -und Amor die Palette gehalten. Seit jenem Abende fragte Agnes allerdings -nicht mehr nach dem Fächer; doch weil ich so unvorsichtig gewesen, ihn -einmal unverschlossen liegen zu lassen, hatten ihre Kinderaugen ihn dennoch -erblickt. - -Mehreremale in jeder Woche besuche ich das Haus der Schwiegereltern, um -mich pflichtschuldigst nach dem Befinden meiner Gemahlin zu erkundigen, -welche wieder sanft und freundlich zu mir ist, aber auffallend traurig. -Der Herr Papa dagegen betrachtet mich öfters mit seltsam herausfordernden -Blicken, während die Frau Mama mir stets so offen ihre Ungnade zeigt, daß -sie mit mir überhaupt nicht mehr spricht. =Amico Carolo!= Es will mich -bedünken, es steigen düstere Wolken über meinem unseligen Haupte auf. -Zuweilen sogar regen sich im Busen leise Anwandlungen von Reue, und -ich sage mir dann ganz ehrlich, daß ich doch ein recht ungemütliches, -trübseliges Leben führe, welches anders -- besser sein könnte, wenn ich --- ja, was denn eigentlich? Ich glaube, der Fächer hat mich verhext -- ich -bin ein Narr! Adieu! - - Gilbert.« - - * * * * * - - Berlin, 3. Mai 188. - - »Bester Freund! - -Hast Du zufällig jemals die Physiognomie eines Menschen beobachtet, der -in heiterster Stimmung und anregendster Unterhaltung begriffen, sich -niedersetzen will, den aber irgend eine Schicksalstücke des vermeintlich -hinter ihm stehenden Stuhles beraubt hat. Todesschreck, innere Wut, -lächerliche Hilflosigkeit, ja jammervolle Stupidität -- das alles prägt -sich stets in den Zügen solch' eines Beklagenswerten aus. - -Mir ist gestern Abend Ähnliches passiert, das heißt: etwas passiert, -was mich veranlaßte, den Gesichtsausdruck eines dummen Jungen anzunehmen. -Nicht etwa, daß ich mit meinem ganzen physischen Körpergewicht auf die -Erde geplumpst wäre, nein, =amico=, moralisch habe ich einen Purzelbaum -gemacht, der wirksam genug sein könnte, selbst den überspanntesten -Phantasten und Idealisten in die rauhe Wirklichkeit zurückzuführen. Ich -knirsche -- ich tobe in machtlosem Grimme, dabei aber befällt mich auch -wieder ein wahrer Lachkrampf, wenn eine Stimme -- ich glaube, es ist -das bessere Ich in meiner Brust -- mir zuraunt: »Reingefallen, Gilbert, -gründlich reingefallen!« - -Zurückgekehrt von einem Besuche bei Agnes, wo sie mir beim Abschiede, -als wir zufällig allein im Zimmer waren, mit holdem Erröten versicherte, -demnächst bald heimzukommen, finde ich endlich die langersehnte Antwort -aus Wiesbaden vor. Welch' ein Dank, welch' ein Brief! Doch zu meiner -Überraschung zeigt die Marke den Poststempel: Berlin. Frau v. Baranow -teilte mir als Postskriptum mit, sie sei im Kaiserhofe abgestiegen und -erwarte am nächsten Tage meinen Besuch. Wie damals auf dem Maskenballe -fühlte ich jenes aus Entzücken und Leidenschaft gemischte Gefühl meine -Adern durchrieseln. Bombenfest stand es in mir, die verführerische Frau -morgen aufzusuchen. Allein auf welche Weise sollte ich mir die -langen Stunden bis dahin verkürzen? Mit Eifer studierte ich den -Vergnügungsanzeiger Berlins und verfiel schließlich auf das »Deutsche -Theater«. - -Gesagt -- gethan. Zwar war der Andrang an der Kasse desselben groß. Doch -bald hielt ich ein glücklich erobertes Parkett-Billet in den Händen: -Dritte Sitzreihe, Platz Nr. 35. Herrlich fürwahr! Ich bin ganz befriedigt -und befinde mich in äußerst animierter Stimmung. Da es übrigens noch -ziemlich früh war, so mache ich noch eine kleine Wanderung durch die -Straßen, weil ich es hasse, vor Beginn der Komödie meine ohnedies nicht -sehr guten Nerven durch das entsetzliche Bänkeklappen und Thürenwerfen in -unnötigen Aufruhr versetzen zu lassen. Als ich das Theater betrat, war der -Vorhang bereits aufgezogen und das Stück hatte begonnen. Meine Nr. 35 war -glücklicherweise ein Eckplatz. - -Nachdem ich in größter Gemütsruhe das Opernglas blank geputzt, schaue -ich nach der Bühne. Da schlagen die Laute einer mich wie mit elektrischem -Schlage berührenden Stimme aus nächster Nähe an mein Ohr. Herr des -Himmels! Das konnte niemand anders -- das mußte Susanna -- Madame de -Baranow sein, die hier in dem so reinen, so fließend und melodisch -klingenden Französisch eben gesprochen! Gleich einem Achtzehnjährigen -- -beinahe zum Zerspringen klopfte nun mein Herz, und ich lausche atemlos. -Wo -- wo war -- wo saß das entzückende Geschöpf, das allein schon durch -Organ und Grazie mich bestrickte? Sollte es mir jetzt -- von diesem still -verborgenen Platze aus -- vergönnt sein, das im Traume schon tausendmal -mir vor die Sinne gezauberte, holde Angesicht zu schauen? Welche Seligkeit, -die schöne Frau, ohne daß sie meine Gegenwart ahnte, beobachten zu -können! Soviel ich indes mein Gehör auch anstrenge, diese wohllautende -Stimme ließ sich nicht mehr vernehmen. - -Prüfend, aber möglichst vorsichtig, überschaute ich die nächste -Umgebung, die größtenteils aus Herren und einigen schlichten -Matronen bestand. Nur links von mir -- in der ersten Reihe, sah ich die -wohlfrisierten Köpfe zweier eleganten Damen auftauchen. Sollte das ...? -Meine Brust wogte so heftig auf und nieder, daß ich, um mich nicht -bemerklich zu machen, oder aufzufallen, den Atem dämpfen mußte. O -Gott! Sollte sie es wirklich sein? Schien das nicht das nämliche goldige -Lockengeringel im Nacken zu sein, wie es mir viele Stunden lang auf jenem -Maskenballe vor Augen geschwebt? Damals freilich wurde das herrliche Blond -des Vorderhaares von der scheußlichen Maske neidisch verhüllt. Ja gewiß! -Diese und keine andere mußte =bella= Susanna sein! - -Allein so viel ich mich auch drehte und wendete, von ihren Augen vermochte -ich nichts zu erspähen; immer blieben nur die nach aufwärts gekämmten -blonden Haarsträhne des Hinterhauptes sichtbar. -- Da -- noch während ich -dies niederschreibe -- lähmt ein krampfartiges Gefühl die Muskeln meiner -Rechten -- da taucht plötzlich in der Hand der blonden Dame ein Fächer -- -ein ausgebreiteter Fächer auf. Mein Herzschlag stockt; denn mit glühenden -Blicken erspähe ich darauf -- das eigenhändig gemalte Bild! Sie ist's! So -juble ich vor stummem Entzücken und verkrieche mich förmlich hinter den -breiten Rücken eines behäbigen Berliner Rentiers, um recht ungestört -nach der Angebeteten hinüberschauen zu können. Einmal -- hoffte ich -- -würde sie doch wohl den Kopf nach mir herumwenden. Ein unglücklicher -oder vielmehr glücklicher Zufall kam mir zur Hilfe. Noch war der erste -Akt nicht zu Ende gespielt, da ließ eine Dame in der zweiten Sitzreihe -ihr Opernglas mit ziemlichem Geräusch zur Erde fallen. Natürlich -wendeten sich sofort eine Anzahl höchst indignierter Gesichter nach der -Ruhestörerin um, =la bella= Susanna ebenfalls. Allmächtiger Gott! Sind -denn meine Augen getrübt, -- bin ich verrückt oder treibt der Satan -sein Spiel mit mir? Keuchend stößt mein Atem aus der Brust, so daß der -gemütliche Rentier neben mir wohl gedacht haben mochte, ein Mensch im -letzten Stadium der Lungenschwindsucht befinde sich in seiner Nähe. -Einerlei -- ja, was geht mich die ganze Welt an! Wie gelähmt starre ich in -das als engelhaft schön erträumte Antlitz von Madame de Baranow. Wut -und Abscheu krampfen mir das Herz zusammen. Das also ist die vermeintliche -Beauté, um deren Figur und Grazie selbst Juno vor Neid geborsten wäre? -O pfui! Welch' ein tückisches Spiel, welche Grausamkeit der Natur! Ein -pockennarbig gelbes Gesicht mit wulstigen Negerlippen, in welchem -eine niedrige Stirn und kleine geschlitzte Tartarenaugen den fatalen -Gesamteindruck noch erhöhen, zeigt sich meinen getrübten Blicken. Doch -wie ist mir denn! Plötzlich taucht in meinem wilderregten Geiste auch -eine Erinnerung auf. Diese widrigen Züge kenne ich ja; der cynisch-frivole -Ausdruck derselben war mir durchaus nicht fremd? - -Heiliger Brahma! Gleich einem zündenden Funken fiel es in das Gedächtnis -Deines armen Freundes. Lieber Karl! Entsetze Dich nicht! Denn -- die -häßliche, uns allen von Rom her nur zu wohlbekannte Paula Uschakow war -es, welche schon damals gerade mich mit ihrer Affenliebe immer verfolgt und -gepeinigt hat. Und ich Narr, -- ich Esel, -- bin hier so einfältig auf den -Leim gegangen! Meine Empörung kannte keine Grenzen; alles wurde mir mit -einem Schlage klar. Du, mein Freund, mußt es ja noch wissen, daß Paula, -nachdem sie vergeblich darnach getrachtet, durch ihr nicht unbedeutendes -Talent unter den deutschen Künstlern sich einen Mann zu erobern, -schließlich einen alten, sehr reichen Russen geheiratet haben soll. Und -jetzt muß das abscheuliche Weib mir solch' einen Streich aufspielen! -Wirklich schändlich -- empörend! Ist es nicht wahrhaft jammervoll, daß -mein reizendes, poetisches, alle zarten Empfindungen der Menschenbrust -versinnbildlichendes Fächerbild in solche Hände geraten! Dabei aber -tönen, als ob ein guter Geist sie gesprochen, Agnes' Worte sogleich in -mein Ohr: »O, mir hast Du noch niemals einen Fächer gemalt, Gilbert!« -Nein, ihr, diesem reinen, unschuldsvollen Kinde habe ich wirklich noch nie -eine derartige Freude gemacht, habe sie ja kaum beachtet, während ich drei -Monate meiner kostbaren Zeit nur an diese Kokette gedacht. Vor Wut zitternd -ballte ich heimlich die Faust nach den Damen in der ersten Sitzreihe -hin, drückte dann den Hut so tief wie möglich in die Stirn und verließ -eilends das Theater. Erst auf der Straße atmete ich ein wenig freier auf. -Da es kaum halb neun Uhr war, so fand ich unter den Linden noch einige -elegante Läden geöffnet. In dem ersten besten Galanterie-Bazar, wo ich -hineinstürme, verlange ich einen kostbaren, aber unbemalten Fächer. - -»Schwarz?« fragt schüchtern die Verkäuferin mit ängstlichem Blicke -in mein erhitztes Angesicht. Sie mochte wohl gedacht haben, ich sei -angetrunken. - -»Nein, rot -- feuerrot!« entgegnete ich diktatorisch und hielt schon -nach zwei Momenten ein wahrhaft entzückendes Exemplar in den Händen. -Die geforderten vierzig Mark erschienen mir eine Lappalie. Ich hätte -fünfhundert Mark gezahlt, wenn sie verlangt worden wären, ohne eine -Miene zu verziehen. Darauf warf ich mich in eine Droschke und ließ mich -schnurstracks nach Hause fahren. Totenstill -- öde und einsam dünkte mir -in diesem Momente mein sonst so behagliches Heim. - -Der verwundert mich anstarrenden Dienerin befahl ich, im Atelier sofort -einige Lampen anzuzünden, während ich nur ganz beiläufig fragte, -ob irgend eine Nachricht von meiner Frau gekommen wäre. Die bejahende -Erwiderung bewies mir, daß man im Hause eben besser orientiert sei, als -ich, der Ehemann. Denn bald erfuhr ich aus dem Munde des Dienstmädchens, -Agnes gedächte schon in den nächsten Tagen zurückzukehren. - -Deswegen mußte ich also fleißig sein, um das, was mir vorschwebte, -rechtzeitig zu vollenden. - -Nun gute Nacht, Bruderherz! Vielleicht schreibe ich morgen oder übermorgen -weiter. Ich spüre nämlich in mir das Bedürfnis, einer fühlenden Seele -mich mitzuteilen. Gehab Dich wohl und gieb bald Nachricht - - Deinem - - Gilbert.« - - * * * * * - - Berlin, den 8. Mai 188. - - »Alter lieber Freund! - -Wie neugeboren fühle ich mich, wenigstens, wie ein Mensch, der eine lange -Krankheit überstanden und nun mit hoffnungsseligen Empfindungen in der -Brust jetzt ein sonniges Dasein vor sich sieht. -- Übrigens -- Du bist -ein Diplomat, Freundchen! Vielleicht haben auch Deine Briefe, der warme, -herzliche, durchaus nicht mentorhafte Ton, der daraus spricht, sowie -Dein stets vermehrtes Interesse für Agnes ein wenig zu meiner Heilung -beigetragen. - -Aber ich will dem Gange meines »kleinen Romans« nicht vorgreifen, sondern -da weiter erzählen, wo ich im letzten Briefe stehen geblieben bin. - -So höre denn! Nachdem ich schon an dem nämlichen, für mich so -verhängnisvollen Abende eine Skizze entworfen, warf ich mich mit wahrem -Feuereifer auf das Malen des roten Fächers, indem ich täglich einige -Stunden darüber festsaß. Kein Kunstwerk -- kein Bravourstück sollte -diese Arbeit werden, -- Gott behüte! Ich malte ja für Agnes, für mein -junges, sanftes Weib. Etwas aber wollte ich darauf zaubern, was die Augen -des holden Wesens in seliger Freude strahlen machen, -- ein Etwas, was ihr -sagen sollte, daß ihr Gatte .... Doch halt! Die Feder geht schon wieder im -Galopp davon! - -Endlich -- endlich ist das Bildchen vollendet, und meine Mühe zeigt sich -vom schönsten Erfolge gekrönt. Da die Farben noch eine Weile trocknen -mußten, spannte ich den Fächer ausgebreitet auf ein Stück Karton, und -trug ihn, im Gefühl seliger Befriedigung hinüber ins Zimmer meiner Frau. -Dort plazierte ich ihn auf Agnes Schreibtische hinter einem wahren Walde -von Maiglöckchen, ihren Lieblingsblumen. - -Es war der nämliche Nachmittag, an dem meine Frau eintreffen sollte. -Nachdem ich in mein Atelier zurückgekehrt, versuchte ich alle -rebellischen, mir selbst ganz neu und fremdartig erscheinenden Gedanken -durch anstrengende Arbeit zu ersticken, rührte mich auch nicht von -der Stelle, als ich eine Droschke am Hause vorfahren hörte. Direkte -Mitteilung, daß Agnes heimkommen würde, war mir, dem Hausherrn, ja gar -nicht gemacht worden, und hatte ich es nur =en passant= erfahren. Darum sah -ich keine Veranlassung, der Zurückkehrenden entgegenzueilen. Zwar drang -öfteres Thürenzuwerfen und Stimmengemurmel dumpf zu mir herüber, doch -blieb es für die nächste halbe Stunde in meiner Klause ganz still. Ich -male -- male eifrig weiter, obgleich ein sonderbares Flimmern in den Augen -mich die Farben kaum unterscheiden läßt. Da -- auf einmal macht ein -schüchternes Klopfen jeden Nerv in mir erzittern. »Herein!« konnte ich -nur mit Kraftanstrengung über die Lippen bringen, und als bald darauf ein -goldbraunschimmerndes Haupt in der Thür erscheint, erkenne ich mit raschem -Blicke, wie Agnes den Fächer hinter sich verborgen hält. - -»Schon da?!« rief ich mit einer Unbefangenheit, die mich selbst in -Erstaunen setzte. Während ich, Pinsel und Palette beiseite geworfen, der -Eintretenden entgegeneilte, brachte ich keine Silbe heraus und zog nur -schüchtern und ungelenk die kleine Hand an die Lippen. - -»Ich wollte Dich überraschen, Gilbert, und nun bist Du mir zuvorgekommen, -hast mir solch' eine reizende, süße Überraschung bereitet,« kam es -stockend aus Agnes' merklich zitterndem Munde. - -»Ich? Wie so?« fragte ich mit gut gespielter Harmlosigkeit. - -»Aber, Gilbert! Nennst Du das nichts?« - -Mit diesen Worten, die von holdseligem Erröten und glücklichem Lächeln -begleitet waren, hielt sie mir den wohlbekannten Fächer vor die Augen. - -»So? Also das kleine Ding da macht Dir etwas Spaß, Agnes?« Ich glaube, -daß ich zu dieser eigentlich nichtssagenden Bemerkung wirklich ein recht -einfältiges Gesicht gemacht habe. - -»Etwas Spaß?« wiederholte sie leise. »Weiß ich doch gar nicht, wie Du -dazu kommst, mir solch' eine unendliche Freude zu bereiten, Gilbert? Das -Bild ist -- ist entzückend!« - -»Es sind Deine Züge. Wenigstens habe ich mir Mühe gegeben, dieselben -aus -- dem Gedächtnis auf den Fächer zu zaubern. Das -- andere, was noch -darauf ist, sind -- natürlich nur Gebilde meiner Phantasie.« Ich sah ihr -jedoch, während ich das sagte, zum erstenmale voll in die Augen. Allein, -wie mit Purpur übergossen, hatte sie den Blick rasch zur Erde gesenkt. - -Teuerster Carolo! Es fehlte wahrhaftig nicht viel daran, so hätte ich -meine Agnes, das liebliche Geschöpf, mit einem Jubelschrei an die Brust -gezogen, um ihr frei vom Herzen herunter alles das zu enthüllen, was seit -jenem heilsamen Theaterabende meine Pulse fliegen ließ. Doch Gott bewahre! -Ich überwand mich. Nicht jetzt -- nicht um des Fächers willen sollte die -Scheidewand zwischen uns in nichts versinken. Stand doch gerade ein anderes -Fächerbild gleich einem mahnenden Gespenste vor meinem Geiste -- ein -anderes Bild, was die Weihe eines so seligen Moments sicherlich gestört -haben würde. In sanfter, liebender Fürsorge führte ich mein junges Weib -nur hinüber in ihr Zimmer, küßte sie schüchtern auf die Stirn und -- -ging. -- - -Aber Du willst natürlich gern wissen, warum mein Geschenk Agnes so ganz -besonders wertvoll dünkte, warum sie vor seliger Freude darüber errötet -war? Gut, auch das sollst Du jetzt erfahren! Das Fächerbild zeigt nichts -anderes, als eine jugendschöne Mutter, die, strahlendes Glück in ihren -Zügen, über ihr neugeborenes Kindlein sich niederbeugt! - -Bist Du jetzt mit mir zufrieden, =amico=? - - Dein Gilbert.« - - * * * * * - - (24 Stunden später.) - - »Herzensfreund! - -Was ich diesem »meinem kleinen Romane« noch hinzuzufügen habe, -ist wenig, doch ist es das Bedeutungsvollste, was ich während meiner -Künstlerlaufbahn jemals erlebte. - -Nur eine kurze Spanne Zeit verfloß, nachdem Agnes zu mir zurückkehrte; -aber eine Wandlung ist seitdem vor sich gegangen -- mit ihr -- mit mir -- -mit und in unserem Heim, daß ich vor staunender Bewunderung und stummer -Verzückung oft die Hände falte und flüstere: »O Gott, bin ich denn -solchen Glückes auch wert?« - -Aber Du wirst ungeduldig und neugierig über das Mysteriöse meiner Worte -oder errätst Du vielleicht jenes Geheimnis, das Deinen wilden, zügellosen -Freund plötzlich zu einem völlig Anderen umgeschaffen? -- -- - -Bald nach ihrer Ankunft und unserem Wiedersehen im Atelier hatte Agnes, -weil sie ruhebedürftig war, sich zu Bett gelegt. Ich aber langte nach -meinem Hut und stürmte hinaus; hinaus in den wonnig warmen Maienabend zog -es mich. Die erste mir entgegenkommende Droschke rufe ich an und fahre in -den Tiergarten. In Gottes freier Natur wollte ich allein sein mit meinen -Gedanken und Empfindungen. Ich wußte -- fühlte, daß ein veredelnder -Läuterungsprozeß in mir vor sich ging, und diese heilsame Krisis mußte -sich ganz still, fern von allem Menschengewühl vollziehen. Nicht mehr als -der Gilbert, den Du, mein Freund, gekannt und welchen Du aus all' diesen -Briefen noch zur Genüge studieren konntest, -- nein, nein, und tausendmal -nein! -- nur als ein Mann wollte ich Agnes wieder vor die Augen treten, -der das von ihr einst mit so scharfer Betonung gesprochene, heilige Wort -»Pflichten« zu würdigen und im ganzen Maße zu erfüllen verstand. -Verachtungswert erschien mir plötzlich mein verflossenes Leben gegen das -wahre, süße Glück, welches ich heute, als mein junges Weib so holdselig -schüchtern neben mir im Atelier stand, vor mir auftauchen gesehen. -Und dennoch bin ich lange Monate wie ein Blinder an diesem Schatze -vorübergeschritten, ohne ihn zu heben und mein eigen zu nennen. -- - -Viele Stunden mochte ich wohl im Tiergarten umhergeirrt sein; denn längst -war die Sonne zu Rüste gegangen und die ersten Schatten der Maiennacht -zogen bereits über Wege und Rasenplätze. Als ich nach der Uhr sah, zeigte -sie schon ein Viertel vor Zehn. Da durchzuckte plötzlich ein heftiger -Schrecken meine Glieder. In meinem Freuden- und Glückestaumel war ich -von Hause fortgestürmt, hatte nicht bedacht, daß Agnes meiner vielleicht -bedürfen könnte. Sie war allein! Wenn ihr irgend etwas zugestoßen! Jähe -Angst befiel mein Herz. O, ich war doch immer noch der alte Egoist, welcher -zuerst nur an sich selbst dachte! - -Im Sturmschritt ging's nun nach dem Droschkenhalteplatz. Gott Lob! Dort -steht richtig noch das schlichte Gefährt, dessen ich mich zur Herfahrt -bedient. Ich drücke dem Kutscher fünf Mark in die Hand und befehle ihm, -im Galopp nach der angegebenen Adresse zu fahren. Zu Hause angelangt, renne -ich, von düsteren Ahnungen gepeinigt, die zwei Stiegen zu meiner -Wohnung hinan und trete atemlos in den Vorsaal. Nichts regt sich -- alles -mäuschenstill! Dem Himmel sei Dank! Meine allzubange Sorge war demnach -unbegründet, und mit diesem Gefühl der Erleichterung öffne ich die Thür -nach dem Wohnzimmer meiner Frau, an welches ihr Schlafzimmer stößt. -- Da --- da, Allmächtiger, was ist das? Welch' seltsam fremde Laute tönen von -dort heraus an mein Ohr! Ich halte mir den Kopf mit beiden Händen -- ich -taumle. Das klägliche Schreien eines kleinen -- meines Kindes ist's, was -ich vernehme. - -Gleich einem Rasenden laufe ich vorwärts, -- keine Macht der Erde hätte -mich in diesem Momente zurückzuhalten vermocht -- und befinde mich alsbald -in dem matt erhellten Heiligtum. Hatte Agnes mein Kommen gehört oder hatte -das teure Wesen meine Gegenwart nur geahnt? Zwar gedämpft, aber dennoch -deutlich klingt hinter einer hohen spanischen Wand mir mein Name entgegen: -»Gilbert!« - -Nun war es mit Fassung und Selbstbeherrschung an mir vorbei. Ungeachtet -der Anwesenheit einer mir unbekannten Wärterin, ungeachtet des aus dem -Hintergrunde plötzlich auftauchenden, strengverweisenden Gesichts meiner -Frau Schwiegermutter -- machte ich auf den Zehenspitzen zwei Sätze gegen -den Bettschirm hin und lag, ehe ich selbst noch recht zur Besinnung kam, -am Lager derjenigen, die mich zu neuem, besseren Leben zurückgeführt, -den Kopf auf deren kleine Rechte gestützt, knieend und unter Schluchzen -flüsternd: »Agnes, meine Agnes! Ich bin namenlos glücklich!« - -Da schob sie mit der einen freien Hand einen bisher an ihrer Brust -liegenden, meinen unerfahrenen Blicken paketähnlich dünkenden Gegenstand, -woraus nur ein dunkles Köpfchen sich bemerklich machte, sanft nach mir hin -und schlang mit zärtlichem Drucke ihren Arm um meinen Hals. - -»Das ist mein Dank für das süße Fächerbild! Hier ist Dein Sohn! Freust -Du Dich über dieses Geschenk, Gilbert?« -- - -Für heute aber sei es genug, mein lieber Karl! Als ich blind, thöricht, -leichtsinnig und von bösen Leidenschaften verfolgt war, fand ich der Worte -genug, Dir zu schreiben. Jetzt bin ich am Ende. Das Glück ist stumm. -Sei darum nachsichtig mit mir! Das beste wäre übrigens, Du kämest bald -selbst nach Berlin und beglücktest damit Deinen - - stets getreuen Freund Gilbert.« - - - - -Aus Großtantchens Hofdamenleben. - - -Deutlich steht die greisenhafte, schlanke Gestalt der Cousine des seligen -Großvaters noch vor meinem Geiste. - -Damals -- lange Jahre sind nun auch seitdem vergangen -- imponierte -mir Achtzehnjährigen, die ich erst seit wenigen Monaten mit stolzem -Selbstgefühl das Prädikat »Frau« trug und somit in Tante Babettens -Familie hineingeheiratet hatte, diese kleine wahrhaft originelle Dame von -vierundneunzig Jahren gewaltig. - -Noch niemals im Leben hatte ich einem so alten menschlichen Wesen -gegenüber gestanden, und als ich zum erstenmal in dem mit steifer -Empirepracht möblierten Paradezimmer mich tief zur Erde niederbückte, -um meiner alten Verwandten, die kerzengerade und unleugbar hoheitsvoll -von ihrem Sitze sich erhob, in Ehrfurcht die runzelige Hand zu küssen, -da überkam mich eine Empfindung, als wäre ich um acht Jahrzehnte -zurückversetzt, und eine jener mythenhaften Ahnmütter, deren Existenz mir -nur dunkel vorschwebte, sei plötzlich zum Leben erwacht. Wie konnte dieses -mumienartige, zusammengeschrumpfte Gesichtchen, mit den kaum einem Menschen -ähnlichen wimperlosen trüben Augen noch Spuren von Leben, Geist und -Intelligenz verraten? Was wohl würde dieses seltsame Wesen aus einer -längst begrabenen Zeit mit mir, dem heiteren Kinde des neunzehnten -Jahrhunderts, sprechen? War es denn möglich, daß dasselbe überhaupt noch -Interesse zu finden vermochte an Leuten und Verhältnissen, die -- nach -meiner Idee -- den Anschauungen jener Tage so weit entrückt lagen? Das -alles dachte ich im ersten Moment meiner Bekanntschaft mit Tante Babette. - -Wie sehr sollte ich mich jedoch geirrt haben! Heute noch, nachdem der -Greisin kleiner Körper längst von allen irdischen Mühsalen ausruht, --- heute noch gehören alle die Stunden, welche ich in ihrer Gesellschaft -verbringen durfte, mit zu den liebsten, heitersten Erinnerungen meines -Lebens. Tante Babette war zwar ein Original, allein ein geistreiches, -witziges, zuweilen etwas elegisch angehauchtes, zuweilen aber auch ein -wenig scharf boshaftes Original. Von Gedächtnisschwäche und dem bei -solch' hohem Alter vielleicht sehr natürlichen Verwechseln von Personen, -Namen und Daten war an Großtantchen keine Spur zu bemerken. Staunen -erregte es in mir wirklich, wie sie für alles, was in der eigenen Familie, -unter ihren Bekannten, ja sozusagen in der Welt vorging, nicht bloß das -lebhafteste Interesse bezeigte, sondern wie sie sogar in den reichen Schatz -ihrer Erlebnisse mit einer Sicherheit und Genauigkeit zurückzugreifen -vermochte, um dieses oder jenes interessante Stücklein oder lustige -Episode eines langen, erfahrungsreichen Lebens ans Tageslicht zu fördern. - -Dreißig Jahre war Tante Babette als Hofdame bei einer thüringischen -Herzogin gewesen, und schien es besonders diese Zeit zu sein, bei der ihr -reger Geist am liebsten verweilte. Kam es mir, der in Andacht Lauschenden, -dabei doch zuweilen vor, als rolle sich ein Stück Geschichte oftmals vor -meinen Augen auf. - -In bunten Farben schilderte mir die alte Dame unter vielem anderen das -amüsante Leben am zeitweiligen Hofe der Kaiserin Josephine zu Kassel, -dessen wechselvollen Reiz Tante Babette in Begleitung ihrer Herzogin -kennen zu lernen das seltene Glück gehabt. Mit eigenen Augen hatte sie den -überaus glänzenden Kreis geschaut, in welchem Josephine durch Schönheit -wie durch Geist, die Königin Hortense dagegen durch liebenswürdige Anmut -den Mittelpunkt gebildet. Sobald sie aus jener Zeit erzählte, dann -reckte sich die kleine, dürftige Gestalt in die Höhe, und dünkte es mir -zuweilen, als husche dabei ein Schimmer einstiger Jugend über die welken, -verwitterten Züge von Tante Babette, die übrigens niemals schön gewesen -sein soll. Ganz besonders aber war es _ein_ Name, der ihre matten Augen -stets in merkbarem Feuer aufflammen machte. - -Zwar bezeigte Großtantchen sich immer als gute Patriotin, hing auch mit -Leib und Seele treu an ihrem Königshause und hatte in Preußens Sturm- und -Drangperiode gewiß im tiefsten Innern unter des Usurpators Joch geseufzt -und getrauert. Allein trotzdem schlug ihr Herz, wie sie mir oftmals -versichert hatte, in einer ihr unerklärlichen, halb bangen, halb -berauschenden Freude, wenn sie in jener aufregenden, so verhängnisvollen -Zeit des Weltbezwingers Antlitz mit den durchdringenden, stahlgrauen -Adleraugen einmal begegnete. Lächelnd und ungeachtet ihrer vierundneunzig -Jahre mit fast jungfräulichem Senken der Lider gestand Tante Babette mir -eines Tages ein, daß sie nie für einen anderen Mann geschwärmt habe, als -für den großen Kaiser Napoleon. - -»Und er?« hatte ich mit schüchternem Einwurf zu fragen gewagt; worauf -Großtantchen -- noch in der Erinnerung an die dahingegangene Jugend und -deren mannigfache Enttäuschungen -- seufzend erwiderte, daß der Stolze, -Gewaltige der kleinen, so wenig schönen Hofdame wohl eigentlich niemals -Beachtung, ja kaum einen eingehenden Blick geschenkt. Und dennoch hatte -eine Schicksalstücke an dem für eine still im Busen getragene Neigung so -blinden, undankbaren Mann sich zu rächen ersonnen. Tante Babette sollte -eine, wenn auch nur zweifelhaft ehrenvolle Revanche haben. - -Ihre eigenen, genau in der ihr charakteristischen, sentimentalen, dabei -jedoch scharf witzigen Redeweise wiedergegebenen Worte sind es daher -auch, welche ich hier bringe, und die in nachstehender kleinen Episode aus -Großtantchens Hofdamenleben mir damals eben so scherzhaft als originell -erschienen, daß ich heute, nach fast fünfundzwanzig Jahren, weder irgend -Bedenken hegen, noch eine Indiskretion zu begehen fürchte, wenn ich sie -wahrheitsgetreu nacherzähle: - -»Der Kaiser -- der Kaiser sollte auf Besuch zu meinen Herrschaften -kommen! Gleich einem Lauffeuer durchflog diese überraschende Kunde unser -herzogliches Schloß. Wann er eintreffen, wie lange der hohe, mächtige -Gast in unseren bescheidenen Mauern weilen würde, davon verlautete fürs -erste noch nichts. Mir genügte, daß er _kam_, daß ich ihn sehen, daß -meine Füße denselben Boden berühren sollten, den er _gestreift_! Eines -Abends war ich länger als gewöhnlich bei der Frau Herzogin in deren -Gemächern zurückgehalten worden. Der französische Roman, welchen -vorzulesen mir befohlen worden, hielt uns dermaßen in Aufregung und -Spannung, daß wir der späten Stunde gar nicht gedachten. Endlich -- ich -glaube, es schlug bereits halb zwölf Uhr -- nahm meine Gebieterin mir das -Buch aus der Hand und hieß mich zur Ruhe gehen. - -»Mit tiefem Kompliment nach rückwärts hatte ich mich verneigt und war -die Thürklinke bereits in meinen Fingern, als die hohe Frau einen seidenen -Shawl ergriff und eigenhändig ihn mir um Kopf und Schultern schlang. - -»›Die Gänge des Schlosses sind kalt, und der Weg nach Ihren Zimmern ist -weit, mein liebes Kind!‹ sagte sie dabei freundlich wie immer. ›So, nun -aber laufen Sie recht schnell, ich wünsche, daß Ihnen niemand begegnen -möge! Denn -- denn ...‹ - -»Der Herzogin weitere Worte verstand ich nicht mehr, da sie mich rasch auf -die Stirn küßte und zur Thür hinausschob. - -»Hu! Ich fror wirklich; wenigstens rieselte ein eigenartiger Schauer -durch meine Glieder, einerseits verursacht durch die aufregende Lektüre, -andererseits aus Bangigkeit, in schon so weit vorgerückter Nachtstunde den -endlos langen Korridor des Schlosses und sogar noch eine Stiege aufwärts -bis zu meiner ziemlich entfernten Wohnung _allein_ zurücklegen zu -müssen. Spukgeschichten hat wohl ziemlich jedes größere, ältere Schloß -aufzuweisen, und so kam es denn auch, daß in diesem Moment allerlei -gruselige Dinge und Gestalten vor meinem Geiste auftauchten, um so mehr -noch, weil man hinsichtlich der Beleuchtung in jener Zeit noch äußerst -haushälterisch zu Werke ging und nur hier und da in den weitläufigen -Fluren und Gängen ein bescheidenes Lämpchen anbrannte. - -»Thorheit! dachte ich, ärgerlich über mich selbst, und schüttelte -das kindische Grauen von mir ab. Schnell rannte ich eine Strecke in das -gespenstige, ab und zu von einem magischen Lichtschein unterbrochene Dunkel -hinein. Wie unheimlich laut hallten doch meine Schritte von den hohen -gewölbten Wänden wieder! -- Doch vorwärts mußte ich. Noch einmal holte -ich tief Atem und lief, das Tuch fester über den Kopf ziehend, weiter. -Beinahe war die Biegung, in welcher der lange Korridor des zweiten -Schloßflügels und auch die Treppe zum oberen Stockwerk mündete, -glücklich erreicht, -- da höre ich eine Thür leise öffnen und wieder -schließen, und ein fester, energischer Tritt kommt den Gang entlang, mir -gerade entgegen. - -»Entsetzt fahre ich zusammen. Das mußte ein Mann sein. Schrecklich! mich, -der Frau Herzogin Hoffräulein, um die Mitternachtsstunde in den Gängen -des Schlosses anzutreffen! Gerade an unserem Hofe hielt man auf strengste -Etikette. War es aber nicht sofort erklärlich, daß ich aus den Gemächern -meiner Gebieterin kam? Bekannt war es ja, daß diese gern sehr lange -aufzubleiben beliebte. - -»Immer näher ertönen die verhängnisvollen, eigentümlich kurzen, -energischen Schritte. Keiner der Lakaien wagte so sicher aufzutreten. So -mußte es also wohl jemand von den Hofkavalieren sein. Wie ärgerlich, -wie fatal! Jetzt -- neugierig spähe ich -- trotz meines fieberhaften -Herzklopfens -- mit einem Auge aus dem mich verhüllenden Shawl. Eine kaum -an die Mittelgröße hinanreichende, von einem weiten Radmantel bedeckte -Mannesfigur steht vielleicht nur noch zehn Fuß von mir entfernt und -stutzt. Gleich einem vom Geier eingeschüchterten und verfolgten Hühnchen -ducke ich mich und krieche förmlich in mich zusammen, um mit geschickter -Wendung an der drohenden Gestalt rasch vorbeizuhuschen. - -»Da -- ich glaube, jeder Blutstropfen zog sich während dieses -entsetzlichen Augenblicks in mein armes Herz zurück und machte es fast -springen vor Angst und Scham -- da vertritt der Unverschämte mir schnell -und gewandt den Weg. Empört weiche ich etwas nach rückwärts, doch -noch nicht genug; er breitet die Arme aus und drückt mein schmächtiges -Figürchen stürmisch an die Brust. - -»Schreien hätte ich mögen vor Wut und Zorn. Allein was hilft das; es -würde die böse Situation eher noch verschlimmert haben. Mein energisches -Zerren und Winden, um die Umschlingung zu lösen, blieb wenigstens umsonst. -Denn ein bartloses Männergesicht bog sich mit Blitzesschnelle zu meinem -Kopfe nieder, und -- ehe ich noch so recht zum klaren Bewußtsein kam, -brannte ein herzhafter Kuß auf meinen Lippen! - -»Entsetzlich! Mich, der Frau Herzogin sittsames, anerkannt prüdes -Hoffräulein, so =sans façon= zu küssen! Wer war der Beleidiger? Das -konnte -- das durfte ich nicht so ruhig hinnehmen. - -»Zum Glück vermochte der arglistige Attentäter, dem die dunkle -Nachtstunde gerade willkommen schien, ein ahnungsloses Fräulein arglistig -zu überfallen, mich nicht zu erkennen, indem ich das Tuch mit heftigem -Ruck noch tiefer herabgezogen hatte. Doch zwischen den langen seidenen -Franzen hindurch, die schützend ihm meine Züge verhüllten, sah ich nun -direkt in ein lachendes Gesicht mit einem Paar flammensprühender Augen. - -»Allgütiger Gott! Der Kaiser Napoleon -- mein angebeteter Held -- mein -Ideal war es!! - -»Die Füße versagten mir fast den Dienst, und es war nicht weit davon, so -hätte ich laut aufgeschrien. In diesem Moment wußte ich wahrlich nicht, -ob es Todesschreck -- ob es Freude war, was mir jede Spur von Fassung -raubte. Die kraftvollen Arme gaben mich nun endlich frei, und halb -betäubt, nur die Geistesgegenwart bewahrend, daß ich fortan mein -Angesicht vor ihm verbarg, taumelte ich nach rückwärts. - -»›=Adieu, ma belle! Au revoir!=‹ tönte ein heiterer, merklich -spöttischer Ruf mir nach. Aber wie von Furien gejagt, nicht rechts noch -links schauend, stürmte ich meines Wegs -- die Treppe hinan und erreichte -atemlos, dabei an allen Gliedern bebend, glücklich mein Zimmer. -- -- - -»Den anderen Vormittag war ein großer, offizieller Empfang des Kaisers -Napoleon bei der Frau Herzogin. Schon in der Frühe hatte die freudige, -überraschende Kunde sich im Schlosse verbreitet, daß der Allgewaltige, -nur von seinem Adjutanten begleitet, augenscheinlich um jeder lästigen -Feierlichkeit auszuweichen, ganz plötzlich eingetroffen sei. Die -glänzende Suite war dem Kaiser erst am Morgen nach jenem kleinen Abenteuer -gefolgt. Wir drei Hofdamen, Gräfin N. N., Fräulein v. Z. und ich, standen -zu Ehren des hohen Gastes, aufs schönste geschmückt, im Vorzimmer, -welches direkt zu Ihrer Hoheit Privatgemächer führte, und harrten in -Aufregung und banger Ungeduld des verhängnisvollen, so wichtigen Moments. -Beugte sich damals doch alles vor dem siegesstolzen, durch Glück und Ruhm -verwöhnten Mannes Haupt. -- - -»Endlich -- Napoleon in seiner rücksichtslosen Art liebte es, auf sich -warten zu lassen -- endlich öffneten sich die Thüren, und ein glänzender -Zug, eingeführt durch den Hofmarschall unseres Herzogshauses, der Kaiser -in großer Uniform an der Spitze, überschreitet die Schwelle ... - -»Erst nach unserer tiefen Verneigung vermochte ich in schüchternem Blick -die Augen zu erheben zu dem angebeteten und doch wieder gefürchteten -Manne. Stolz, gleich einem Siegesgotte, den charaktervollen Kopf in den -Nacken zurückgelegt, einen Zug von blasiertem Hochmut und unbeugsamen -Trotz um den festgeschlossenen Mund, -- so kam er dahergeschritten. Nun -erst mußte er unserer ansichtig werden. Denn plötzlich stutzte er, und -das große, stahlfarbige Auge richtete sich eine Weile mit neugierigem, -indes scharfprüfendem Ausdruck auf uns drei Damen. - -»Gräfin N. N. war eine große, schlanke Blondine, Fräulein v. Z.s Figur -zeigte auffallend üppige Formen. Beide waren um ein beträchtliches -Teil hübscher als ich. Allein gerade an _meiner_ unbedeutenden, kleinen, -zierlichen Gestalt blieb das Kaiserauge am längsten und eingehendsten -haften. Fest und voll schaute er mir darauf ins Gesicht hinein. Ein Moment -war das, wo ich am liebsten in die Erde hätte sinken mögen. Denn ich -gewahrte, wie die scharf markierten Brauen dieses seltsamen Antlitzes sich -finster zusammenzogen und sichtlich Zeichen von Ärger und Verdruß um die -stolz geschwungenen Lippen sich ausprägten. - -»Was war das? -- Hatte er mich wiedererkannt? -- War diejenige, welcher -sein heiterer Zuruf: ›=Au revoir, ma belle!=‹ gegolten, vielleicht -nicht ganz nach seinem Geschmack, nicht seinen Erwartungen entsprechend? O, -daß ich in dieser bitteren Stunde meinen so wenig anziehenden Zügen den -Stempel der Schönheit hätte zu leihen vermögen! - -»Noch stolzer und steifer richtete der Kaiser sich empor, grüßte nur -mit kurzer, vornehmer Handbewegung nach uns hinüber und verschwand in den -Gemächern der Frau Herzogin. -- - -»Während seines zweitägigen Aufenthalts an unserem Hofe hat der -Allgewaltige auch nicht ein einziges Mal mit mir gesprochen. -- - -»Eingeschüchtert und mit Thränen in den Augen habe ich jedoch später -meiner Gebieterin diese kleine ›Aventure‹ gebeichtet. Sie lachte nur -dazu und meinte, daß sie von der Ankunft des Kaisers an jenem Abende schon -gewußt, es aber für besser gehalten, zu mir darüber zu schweigen. Im -übrigen tröstete sie mich mit den heiteren Worten: ›Einen Kuß in -Ehren, kann niemand wehren!‹ Mir aber ist es zeitlebens nicht recht -klar geworden, worin die große Ehre dieses Kusses eigentlich bestanden. -Wenigstens wußte ich nie, ob ich mich darüber freuen oder grämen -sollte!« -- - -Als Großtantchen mir jene niedliche Episode erzählte, mußte sie indes -wohl die Enttäuschungen, welche der damalige Besuch Napoleons mit sich -gebracht, längst verschmerzt haben. Denn auch sie lachte dabei: nur hatte -sie die Augen geschlossen und leise flüsternd hinzugefügt: »Mein Ideal --- mein kaiserlicher Held blieb er aber dennoch!« -- -- -- - -Großtantchen hat das seltene Alter von 97 Jahren erreicht und -erfreute sich bis zu ihrem eigentlich unerwartet schnellen Ende einer -unerschütterlich guten Gesundheit. Die Kammerfrau fand die dürftige, -kleine Gestalt derselben eines Morgens kalt und steif in ihrer, auf -goldenen Löwenklauen ruhenden, prächtigen Empire-Bettstatt. - -Mir selbst, die ich am entgegengesetzten Ende Deutschlands lebte, war es -leider nur selten beschieden, nach Thüringen reisen und die alte Verwandte -besuchen zu können, allein wurde diese Freude mir einmal zu teil, -so unterließ ich es sicher nicht, Tante Babette zu bestimmen, mir -gelegentlich irgend ein interessantes Episödchen aus dem reichen -Schatzkästlein ihrer Erlebnisse während einer dreißigjährigen -Hofdamenzeit mitzuteilen. - -»Ich bitte mir aber aus, Kind, daß Du nicht etwa alle diese Dinge schon -zu Papier bringst und drucken läßt, so lange ich noch unter den Lebenden -weile. Wenn ich nicht mehr bin, dann magst Du nach Gutdünken damit -verfahren,« hatte die alte Dame einmal lächelnd und mir dabei mit dem -Finger drohend, gesagt. Ich glaube daher jetzt, nachdem Tante Babette schon -mehr als fünfundzwanzig Jahre unter dem grünen Rasen schlummert, keine -allzu große Indiskretion zu begehen, wenn ich das einstige Hoffräulein -der Herzogin von X... abermals selbst reden lasse und eine ihrer -Erzählungen hiermit aus der Erinnerung niederschreibe: - -»Die Geißel des Krieges und das eiserne Joch des Usurpators lastete -schwer auf unserem armen Vaterlande. Nach den unglückseligen Schlachten -von Jena und Auerstädt am 14. Oktober 1806 war nunmehr auch das -gottgesegnete Thüringen der Schauplatz schrecklicher Verheerungen -geworden. Die Felder lagen unbebaut oder waren durch endlose -Truppendurchmärsche verwüstet, die Städte geplündert, die Dörfer zum -teil niedergebrannt, überall Not, Krankheit und Jammer! - -»Um so überraschender mochte es erscheinen, daß, gleich einer Oase -in der Wüste, unser Ländchen von allem Greuel und Ungemach des Krieges -verschont geblieben war. Was hielt den Weltbezwinger wohl davon ab, das -unbedeutende Herzogtum X... nicht mit gleicher Tyrannei und Willkür -zu behandeln. Uneingeweihte mochten sich über diese sonderbare Huld -vielleicht den Kopf zerbrechen. Allein bei uns am Hofe war es durchaus -kein Geheimnis mehr, daß Napoleon diese Rücksicht einzig und allein -dem Herzoge und Gemahl meiner hohen Gebieterin angedeihen ließ, der, wie -allgemein bekannt war, eine schwärmerische Verehrung, ja, ich möchte -sagen, glühende Anbetung für des Kaisers Person hegte und mit seinen -Gefühlen keineswegs hinter dem Berge hielt. - -»Man sprach davon, daß Napoleon, der für jede Schmeichelei sehr -empfänglich war, sich über diese in einem Männerherzen für ihn -entflammte Leidenschaft königlich amüsierte und in einem Anfalle seiner -unberechenbaren Launen den Befehl gegeben habe, das Herzogtum X... nicht -allein in jeder nur erdenklichen Weise zu schonen, sondern auch von allen -Kriegslasten zu entbinden. - -»Wie von seiten anderer Höfe dieser seltsame Umstand aufgefaßt und -beurteilt, ob es dem deutschen Fürsten verdacht wurde oder ob man gar -über ihn spöttelte, das ficht den Gemahl meiner Gebieterin durchaus -nicht an. War es doch ein Mensch, dessen krankhaft überspannter Geist -sich selten mit der Wirklichkeit beschäftigte, sondern sich meist in -einer eingebildeten Welt voll eitler Hirngespinste und traumhafter Ideale -bewegte. Der Herzog lebte nämlich in dem thörichten Wahne, das Fühlen -und Denken, ja die Seele eines _Weibes_ zu besitzen und bemühte sich -daher, jedwede Männlichkeit zu verleugnen und abzuschwören. Aus diesem -Grunde drehten sich auch alle seine Gedanken und Interessen nur um Dinge, -die im Gesichtskreise der Frau liegen. - -»Wer diesen eigentümlichen Mann nicht mit eigenen Augen gesehen, konnte -sich von seiner wunderbaren Erscheinung gar keinen klaren Begriff machen. - -»So war des hohen Herrn Kleidung ganz ausgesprochen frauenhaft, was zu -seinem bartlosen Gesicht mit dem weichlich elegischen Ausdruck und den -schmachtenden großen blauen Augen allerdings nicht übel paßte. Lang -wallende, meist weiße Gewandungen umhüllten seine etwas schlaffen -Glieder, während das üppige, gelockte Blondhaar sich unter einer -turbanartigen Kopfumhüllung bis tief in die Stirn hineinsenkte. - -»Waren wir, das heißt, die Frau Herzogin mit ihren drei Hoffräuleins, -zu Seiner Durchlaucht zum Thee geladen, so lag Serenissimus in halb -griechischem Kostüm mit breitem Goldgurt um die Hüften, den für einen -Mann wirklich blendend weißen Hals und Nacken teilweise entblößt, die -vollen, ebenfalls bloßen Arme über und unter den Ellbogen mit kostbaren -Spangen geschmückt, auf einem Ruhebett und empfing uns, indem er sich -graziös erhob und nach Art der Damen sich verneigte. - -»Niemals drehte sich die Unterhaltung um die damals alle Gemüter -beschäftigende Politik und die aufregenden Ereignisse einer schweren -Zeit, sondern nur um seichte französische Romane -- Hofklatsch und -- -Toilettenangelegenheiten! - -»Selbstverständlich waren wir Hofdamen viel zu gut geschult und nebenbei -von einer zu innigen Teilnahme und Verehrung für unsere Gebieterin -erfüllt, als daß wir gewagt hätten, auch nur den kleinsten Schimmer -eines Lächelns um unsere Lippen zucken zu lassen. Die Etikette jener Zeit -erheischte die allergrößte Rücksicht. - -»Daß unter den obwaltenden Verhältnissen sich unsere Frau Herzogin -sehr unglücklich in ihrer Ehe fühlte und wohl nur die äußere Form und -Konvenienz dieses gewiß niemals innig gewesene Band der beiden Gatten noch -zusammenhielt, sind Dinge, auf die ich jetzt nicht weiter eingehen möchte. -Nur einer kleinen Episode will ich noch Erwähnung thun, die wirklich -höchst spaßig war und dem in seinen Gewohnheiten und Geschmacksrichtungen -oftmals zur Überspanntheit hinneigenden Fürsten eine gründliche Lehre -geben sollte. - -»Napoleon, der sich auf seinem Siegeszuge auf dem Wege nach Berlin befand, -glaubte unserem Herzoge keine größere Freude bereiten zu können, als -wenn er ihm die Ehre eines Besuches schenkte. Vielleicht waren es auch -leise und sehr natürliche Regungen der Neugierde, den als Original -bekannten Fürsten einmal von Angesicht zu Angesicht zu sehen, die den -Weltbezwinger zu diesem Schritte -- persönlich nach X. zu kommen -- -veranlaßten. - -»Kurz, Serenissimus schwamm in einem Meer von Entzücken und ersann die -denkbarsten und undenkbarsten Sachen, um dem vergötterten Kaiser einen ihm -gebührenden Empfang zu bereiten. - -»Natürlich spielte die Toilettenfrage dabei wieder eine nicht -unbedeutende Rolle, und mochte die gefallsüchtigste, kokettste Frau wohl -kaum so lange über die Mittel, ihre Reize in das beste Licht zu stellen, --- nachgegrübelt haben, als es der Herzog vor dem zu erwartenden Besuche -des Kaisers gethan. - -»Vielleicht sollten wir, die am Hofe befindlichen weiblichen Elemente, -alle in Schatten gestellt werden. - -»Unsere Herzogin, die durchaus keine schöne Frau war, ließ in ihrer -edlen Herzensgüte und rührenden Bescheidenheit alles über sich ergehen. -Daher hatte auch Seine Durchlaucht, zweifellos um seine eigene Person -noch mehr zur Geltung zu bringen, den Empfang des hohen Gastes nach seinen -Privatgemächern verlegt, so daß wir übrigen eigentlich nur Staffage -bilden sollten. - -»Vorausschicken muß ich noch, daß Napoleon dem Herzoge bereits -schriftlich die Stunde seines Besuches angekündigt hatte, und in diesem -äußerst huldvollen Briefe mit einfließen ließ, derselbe möge sich -irgend eine _Gnade_ vom Kaiser erbitten. - -»Und der große mit Sehnsucht und Spannung erwartete Moment kam endlich! -War doch die Macht und das Ansehen des Mannes, der auf dem Wege war, sich -ganz Europa zu unterjochen, eine so große, daß hoch und niedrig, alt und -jung vor seinem bloßen Angesicht zitterte. - -»Von seinen Generälen, Adjutanten und einem Kreise besonders bevorzugter -Männer umgeben, betrat Napoleon das mit verschwenderischem Luxus -eingerichtete, jedoch an ein mit verweichlichtem, üppigen Geschmack -ausgestattetes Frauengemach erinnernde Zimmer des Herzogs, in dessen Mitte -ein schwellendes Ruhebett stand, von dem sich eine dem Auge eines Fremden -ganz seltsam erscheinende Gestalt emporrichtete. - -»Hinter meiner Gebieterin versteckt, vermochte ich des Kaisers Züge genau -und völlig unbemerkt zu beobachten, daher sah ich deutlich, wie plötzlich -ein heiteres, allein merkbar spöttisches Lächeln über das ehern finstere -Antlitz glitt und das durchdringende Adlerauge halb ungläubig, halb -staunend an dem sich seinen Blicken Darbietenden haften blieb. - -»War das eine Komödie, eine ganz besondere Überraschung etwa, die man -ihm hier vorgeführt? Was bedeutet das? -- so mochte der hohe Gast wohl bei -sich denken, indem er sich jetzt mit fragendem Gesichtsausdrucke seitwärts -wandte, wo mit gesenkten Lidern und sich schüchtern verneigend, meine -Gebieterin stand! Dieser aus dem Kaiserauge sie treffende Blick war ebenso -demütigend als niederschmetternd, das fühlte selbst ich -- die Hofdame. - -»Entsetzlich! In dieser merkwürdigen, von blaßrosa Seidenstoffen -umwallten Figur, deren entblößter Hals und Arme von kostbarem Geschmeide -strotzte, konnte Napoleon doch unmöglich den Herrn und Gebieter eines -deutschen Fürstenstaats, den regierenden Herzog von X. vermuten! So -weibisch verputzt, in fast lächerlichem Aufzuge, so jeder Männlichkeit -Hohn sprechend, hatte der Weltbezwinger sich denjenigen, dessen glühende -Anbetung er sich bisher stillschweigend gefallen ließ, doch nicht -vorgestellt. Deutlich sah ich die tiefe Falte des Unwillens über der -eisernen Stirn, welche nur zu wohl besagte, daß Napoleon sein Erscheinen -in unserem Schlosse bereits bereuen mochte. - -»Den Herzog vielleicht ausgenommen, fühlten wir alle, daß dies ein -furchtbar peinlicher Moment war, und schien es den Herren aus des Kaisers -Suite wirklich Mühe zu kosten, Fassung und Contenance zu bewahren. Einige, -wenigstens die Jüngsten davon, hatten nicht übel Lust, aller Hofetikette -zum Trotz laut aufzulachen und ihrem Übermut und Witz die Zügel schießen -zu lassen. Andere bissen sich krampfhaft in die Lippen und sahen unverwandt -zu Boden. - -»Obwohl es auch Napoleon noch immer sehr verräterisch um die Mundwinkel -zuckte, trat er jetzt mit hastigen Schritten der in ihrem zweifelhaften -Liebreize vor ihm stehenden rosaumhüllten Gestalt entgegen, maß dieselbe -mitleidigen, spöttischen Blickes und sagte in seiner bekannten schroffen -Art: - -»›Fürwahr, ein sonderbarer Empfang! Aber Wir nehmen ein gegebenes Wort -niemals zurück. Durchlaucht dürfen Sich von Uns eine Gnade erbitten. Sie -soll gewährt sein. =Eh bien?=‹ - -»Die vollen weißen Arme verlangend nach dem Kaiser ausgestreckt, die -blauen Augen in einem Ausdruck schwärmerischer Sinnlichkeit zu des -Weltbezwingers Antlitz emporgeschlagen, flüsterte der Herzog mit -frauenhaft sanfter Stimme, aber laut genug, um von den Anwesenden -verstanden zu werden: ›=Un baiser, Sir!=‹ - -»Für Sekunden war es, als ob der lähmende Druck einer Erstarrung auf -uns allen lastete. Wahre Totenstille herrschte ringsum, weil wohl jeder -befürchten mochte, daß jetzt sicherlich ein brüskes, spottgefärbtes -Lachen oder gar der Ausbruch jenes zügellosen Zornes -- vor dem Europa -zitterte -- von den Lippen des Allgewaltigen hervorbrechen würde. - -»Nichts davon. Trotzdem mir unter dem knappen Atlasleibchen das Herz in -wilden Schlägen hämmerte, verwandte ich von Napoleon keinen einzigen -Blick. - -»Jetzt richtete sich die kleine Gestalt in der ihr eigenen hochmütigen -Weise stolz empor -- das stahlgraue Auge verfinsterte sich merklich, doch -ohne daß in den charaktervoll wie gemeißelt erscheinenden Zügen der -geringste Schimmer von Bewegung sichtbar wurde, stieß er schroff und -verächtlich hervor: ›=Vous êtes un fou! Adieu!=‹ - -»Sprach's und verließ, von seiner glänzenden Suite gefolgt, -unverzüglich das Gemach. - -»So kläglich endete des Kaisers Besuch an unserem Herzogshofe.« - - - - -Unter dem Niagara-Falle. - - - Niagara-Falls, den 18. Oktober. - - Teure Carrie! - -Der glühendste Wunsch meines Lebens ist wirklich in Erfüllung gegangen. -Ich bin unter dem Niagara-Falle gewesen! Nicht allein, daß es mir -vergönnt war, das kolossalste Naturschauspiel unserer Erde zu bewundern, -in stummer, staunender Erstarrung versunken, die gigantischen Fälle in die -Tiefe stürzen zu sehen, während mir dabei ein eisiges Gruseln über jenes -Wunder durch die Glieder bebte, -- nein, Carrie, Herzensschwester, in -die berühmte =cave of the winds= (Windhöhle) bin ich mit Papa -hinabgestiegen! -- - -Von Goat-Island aus ist es möglich, unter die Fälle zu gelangen, oder -richtiger gesagt: unter den Raum zwischen der Felsenwand und den über -dieselbe hinabstürzenden Fluten des amerikanischen Falles. Kaum glaublich -ist das, und doch ist es nur der kleinste Teil der mächtigen Katarakte, -unter welche ein menschliches Wesen sich wagen kann. - -Indes ist es durchaus nicht meine Absicht, Dir, Du Hasenfuß, der aus purem -Mangel an Courage sich an unserer schönen Partie nicht beteiligen wollte, -eine eingehende Naturbeschreibung zum besten zu geben. Wenn es Dich -interessiert, so nimm Dir ein Reisehandbuch vor, und Du bist schneller -orientiert, als ich es zu thun vermöchte. Nur von einem allerliebsten -Abenteuer muß ich Dir noch berichten. Denke Dir: ein Abenteuer unter dem -Niagara-Falle! So etwas erlebt ein einfacher Sterblicher, ein Mädchen von -neunzehn Jahren, und noch dazu eine Deutsche, nicht oft im Leben! - -Höre also! - -Der Fremden-Andrang an den Fällen war, wohl der vorgerückten Jahreszeit -wegen, nicht mehr sehr groß. Nur fünf Personen, darunter Papa und ich, -machten sich auf den Weg nach der Windhöhle; ich als die einzige Dame, -was meinen Stolz nicht wenig hob, besonders, da man mir von verschiedenen -Seiten das wirklich Gefährliche und Anstrengende unseres Unternehmens -klar zu legen sich bemühte. Vor allem war es ein junger Deutscher, -- -die Visitenkarte, welche er uns reichte, lautete: »Arnulf Clemens, -Privatdocent. Berlin«, -- der fast außer sich darüber geriet, als er -erfuhr, daß ich die Herren begleiten, mein blutjunges Leben, wie er feurig -sich ausdrückte, diesen elementaren Mächten der Tiefe preisgeben wolle. -Er selbst habe den Weg durch die Windhöhle in wissenschaftlichem Interesse -schon einmal gemacht, kenne daher die gefährliche Passage ziemlich genau, -worauf er dann noch eine schauerliche Schilderung derselben folgen ließ. -Doch ich blieb unerschütterlich und lachte. Nichts in der Welt hätte mich -auch von meinem Vorhaben abzubringen vermocht. Hatte mein Widerstand den -Deutschen verletzt oder gekränkt? -- ich weiß es nicht. Wenigstens verlor -ich ihn bald darauf aus dem Gesicht, das heißt, sein Gesicht verlor sich -unter der riesigen Kapuze des sogenannten »wasserdichten« Anzuges -aus safrangelbem Wachstuch, womit man uns vom Kopfe bis zu den Füßen -bekleidete. Nebenbei vervollständigten monströse Filzpantoffeln, die -einem jeden von uns unter die Füße gebunden wurden, die originelle -Toilette. Das Betreten des nassen, schlüpfrigen Gesteins wäre -ohne letztere auch eine Unmöglichkeit. Und so traten wir, derartig -ausgerüstet, die Reise nach der Unterwelt an. - -Aber, o Carrie! Deine waghalsige kleine Schwester hatte doch ihren Mut und -ihre Kräfte überschätzt. - -Gar schnell verschwand das übermütige Lachen von meinem Gesicht, und fast -bereuete ich, Mr. Clemens' wohlmeinender Warnung kein Gehör geschenkt zu -haben. Ein unheimliches Brausen und wahrhaftes Donnergetöse umfing uns -bald, und der ungeheure Luftdruck, durch die Gewalt und Geschwindigkeit des -herabstürzenden Wassers verursacht, übte einen so beklemmenden Einfluß -auf unsere Lungen aus, daß man kaum zu atmen vermochte. Über unsere -Häupter hinweg raste und rauschte die Wasserflut mit betäubendem Gebrüll -in den Abgrund, dicke, graue Nebeldämmerung und fortwährender feiner -Regen erfüllte die Atmosphäre ringsum, während von Zeit zu Zeit -brausende Schaumwolken weißen Gischtes bis zu uns heranschlugen. - -So ging man langsam aus dem nur durch ein höchst primitives Geländer -geschützten Wege vorwärts. Drei vermummte Gestalten bewegten sich vor -mir; ich selbst wankte hinterdrein, und zuletzt schritt noch ein Mensch, es -konnte nur Papa sein, der bisher dicht an meiner Seite geblieben war. - -Überwältigend und kaum mehr erträglich wirkte auf mich das furchtbare -Tosen. O spotte meiner deshalb nicht! Denn was sind Menschennerven -gegenüber jenen entfesselten Naturgewalten. Du wirst es daher natürlich -finden, daß wir nicht lange in diesem schauerlich schönen Raume blieben. -Die Großartigkeit der Windhöhle spottet überhaupt jeder Beschreibung. - -Dann kehrte ein jedes auf dem Absatz um und, äußerst vorsichtig, Schritt -um Schritt genau beachtend, tappte man den lebensgefährlichen Weg wieder -rückwärts. Da überkam mich plötzlich ein derartiger Schwindel, daß ich -die Füße nicht mehr zu heben vermochte und die Augen schließen mußte. -Das Geländer umklammerte ich krampfhaft und taumelte hin und her. Im -Moment aber umfaßten auch schon zwei starke Arme meine bebende Gestalt -vorsorglich. Nur denken konnte ich noch: »welches Glück, daß Papa neben -mir ist!« Dann schmiegte ich mich halb besinnungslos, allein glücklich -und beruhigt, an die treue Brust. - -Indes währte diese vorübergehende Schwäche wohl kaum zwei Minuten. -Da schlug ich die Augen auf und drängte wieder vorwärts. Dort, ein -ziemliches Stück von uns entfernt, schritten bereits die übrigen, die -während dem vorgekommen waren. Mutig raffte ich mich daher empor. Und, dem -Himmel sei gedankt, endlich wurde es auch heller, das fürchterliche Sausen -und Brausen verminderte sich. Freier vermochten die Lungen wieder zu atmen, -und schon drang Tagesschein bis zu uns. Nur ein kurzer Pfad noch aufwärts, -und, -- Gott Lob, wir waren gerettet! Freudetrunken schaue ich zurück, um -für meine Heldenthat von Papa mich beglückwünschen zu lassen, -- da, -- -o Schrecken! -- der Deutsche, Mr. Arnulf Clemens, war es, der mir folgte. -Die Kapuze hatte er abgeworfen, und übermütig lachten seine blauen Augen -mich an. - -Gräßlich, Carrie! Nicht wahr? Von seinen Armen umschlungen, habe ich -an seiner Brust geruht! Verwünscht habe ich in diesem Momente alle meine -Niagarasehnsucht. Ich hätte mich selber ohrfeigen mögen. - -Was aber half es? Mußte ich nicht noch gute Miene zum bösen Spiele -machen? Das heißt, ich glaube, daß ich mit wütendem Gesichte gestammelt -habe: ich hätte Papa hinter mir vermutet. Innerlich schäumte ich und nahm -mir fest vor, dem zudringlichen Patron meinen Zorn fühlen zu lassen. - -Auf dem Rückwege nach dem Hotel wich er noch dazu nicht von meiner -Seite, als ob der mir geleistete Dienst ihm etwa gar das Recht einräume, -fernerhin meinen Beschützer zu spielen. Nebenbei entwickelte er eine echt -deutsche Redseligkeit, um mich zu unterhalten. - -Vorausschicken muß ich übrigens, daß er kein übler Mann ist, -- -gewiß nicht, Carrie! Elegante Figur; zwar nicht besonders hübsch, aber -hervorragend intelligent ist sein Gesicht, die Augen könnte man sogar als -schön bezeichnen. Sie sprudeln von Geist und lachen von Herzensgüte. Eine -tiefe Narbe, wahrscheinlich eine Reminiscenz aus der Studentenzeit, zieht -sich über die linke Backe hin. Allein der Mensch hatte sich meine vollste -Ungnade zugezogen, und dafür sollte er büßen. - -Eine günstige Gelegenheit fand sich rasch genug, indem er, da wir deutsch -sprachen, seine Freude ausdrückte, in mir eine Landsmännin zu begrüßen. -Die Männer besitzen alle eine gründliche Portion Neugierde, und so -schlich er denn, wie man in unserem alten lieben Deutschland zu sagen -pflegt, gleich der Katze um den heißen Brei. Er tippte hier, -- er tippte -dort an; kurz, er brannte darauf zu erforschen, wer wir seien. - -Aha, dachte ich, das ist die Falle! - -Endlich erkühnte er sich, zu fragen, ob wir stetig oder nur vorübergehend -in den Vereinigten Staaten wohnten! - -»Stetig. Der Beruf und die so überaus einträgliche Stellung meines -Vaters hält ihn in Amerika fest,« log ich in größter Gemütsruhe. - -»Advokat? Politiker offenbar?« forschte er weiter. - -»O nein!« entgegnete ich mit der ernsthaftesten Miene der Welt. »Papa -ist der -- Totengräber von New York!« - -Bin ich nicht ein gräßliches Mädchen, solch' haarsträubenden Unsinn zu -sprechen, Carrie? =Dear old Pa?= Ich könnte mich tot lachen über meinen -Witz. Und doch, -- im Moment, da die Lüge heraus war, that er mir leid. -Denn das bisher überaus fröhliche Gesicht meines Begleiters nahm einen so -erschreckten, traurigen Ausdruck an, als ständen wir plötzlich inmitten -des großen Gräberfeldes von Greenwood-Cemetry in der Zeit, wo die Uhr die -Geisterstunde schlägt, -- huh! - -Armer Arnulf Clemens! - -Er verbeugte sich höflich, indes merklich steif gegen mich, und wir legten -schweigend den Weg nach dem Hotel zurück. Die Medicin that demnach bereits -ihre Wirkung. Auffallende Abkühlung! Die erhöhte Temperatur seines Blutes -sank auf den Normalstand zurück! - -Während des Lunch saß Mr. Clemens Papa und mir schräg gegenüber und -unterhielt sich lebhaft mit unseren Reisebegleitern. Nur ab und zu streifte -mich ein scheuer -- unsäglich trauriger Seitenblick. Aus den Gesprächen -vermochte ich jedoch so viel zu entnehmen, daß Arnulf Clemens Geologe -sei und eine sechs- bis achtmonatliche Studienreise nach den Vereinigten -Staaten unternommen habe. Darauf sprachen die Herren schrecklich gelehrte -Dinge, über Schliemann, über die alten Ruinen des Forts Ticonderoga -am Champlain-See, über die wunderbare Bodenbeschaffenheit im -Yellowstone-Park, und mehr dergleichen. Ich merkte es Papa an, wie gern er -an dieser wissenschaftlichen Unterhaltung sich beteiligt hätte. Allein, -da ich ihn bereits vor dem Frühstücke von meinem Scherze in Kenntnis -gesetzt, so that er mir wirklich den Gefallen, mich nicht zu blamieren, -und vertiefte sich statt dessen lediglich in die Wissenschaft der -»Gastronomie«. Dabei legte er auch einen so indifferenten, fast -möchte ich sagen stumpfsinnigen Ausdruck in sein liebes Gesicht, der dem -Totengräber von New York wahrhaftig alle Ehre machte. Im übrigen zürnte -er mir durchaus nicht und äußerte, mit dem Finger drohend, bloß, daß -ich ein loser Schelm sei! -- Eine Stunde später dampften wir zurück nach -New York. -- - -Vollkommen befriedigt war meine wißbegierige Seele von unserem Ausfluge. -Auch Papa zeigte sich in bester Laune, schwatzte heiter und machte schon -Pläne für die nächste Sommerferienreise. Und dennoch -- mir, Carrie, --- nun bitte ich wiederum, mich nicht auszulachen --, mir war das Herz -ein wenig schwer! Warum? Ja, das wußte ich selbst nicht. Du Vernünftige, -Vortreffliche, Du, mein besseres Ich, -- Du würdest sagen: das ist die -Reue über eine böse That! Vielleicht hättest Du recht. Der tieftraurige, -erschreckte Blick aus Mr. Arnulf Clemens' blauen Augen peinigt mich -zuweilen fürchterlich. Die Strafe dafür, daß sein schützender Arm eine -schwankende Mädchengestalt im Momente der Gefahr gehalten und an sich -gedrückt, war wohl doch zu grausam? -- - -So endete mein Abenteuer unter dem Niagara-Fall. Gehab' Dich wohl, -amüsiere Dich gut bei unseren Freunden in Washington und schreibe -gelegentlich einmal an - - Deine kleine Schwester Terrie. - - * * * * * - - Washington, den 10. November. - - Meine liebe Terrie! - -Dein frommer Wunsch: amüsiere Dich gut bei unseren Freunden in Washington -hat sich glänzend erfüllt. Die letzten Wochen brachten eine solche Fülle -von Abwechselungen und interessanten Bekanntschaften, daß ich Dich um Dein -spaßiges Niagara-Abenteuer wahrlich nicht beneide. - -Unsere guten Newtons sind Menschen, welche sehr hohe Achtung und große -Liebe hier genießen, so daß jeder, der zum Besuche in ihrem Hause weilt, -täglich mehr von dem Werte dieses vortrefflichen Ehepaars überzeugt wird. -Mich verhätscheln sie fast wie ein Baby und sinnen nur immer darauf, mir -neue Amüsements zu verschaffen. Daher werde ich so bald nicht heimkehren, -und Du wirst für unseren guten Papa noch einige Zeit allein Sorge -tragen müssen. Ach, Terrie, es ist so wundervoll, sich einmal von einem -Mütterchen ein bißchen verwöhnen zu lassen und zu fühlen, daß ...! - -Doch davon später! -- - -Dein allerliebstes Abenteuer unter dem Niagara, welches mich höchlichst -amüsiert und meine prüde, schnell aufbrausende Terrie wieder einmal recht -charakterisiert hat, sollte ein Nachspiel finden --; staune nur! Und das -habe ich erlebt! Mich hatte das Schicksal auserkoren, die Sünden meiner -herzlosen Schwester zu sühnen! - -Trotz der ziemlichen Entfernung zwischen Washington und New York, höre ich -bei diesen Worten Dein Herz klopfen, -- sehe auch deutlich, wie unruhig und -ängstlich Deine Augen flackern. Allein Du mußt noch einige Minuten -Geduld haben, mein teures Schwesterchen, und mich erst in Ruhe über diese -komischste aller irdischen Zufälligkeiten Bericht erstatten lassen. - -Es war bei einer reizenden =Tea-party= bei dem Präsidenten der Vereinigten -Staaten. Schon hieraus magst Du ersehen, welch bevorzugtes Menschenkind ich -bin, daß sogar die exklusiven, geheiligten Räume des weißen Hauses sich -für mich geöffnet haben. - -Also: das glänzende Fest war bereits in vollem Gange, -- übrigens wurde -auch getanzt, -- als aus den dichten Reihen der jüngeren Herren die -Gestalt eines Mannes sich löste, welche sofort meine ganze Aufmerksamkeit -in Anspruch nahm. Elegante Figur, -- intelligentes Gesicht mit einer tiefen -Narbe über der linken Backe, -- schöne, geistvolle blaue Augen! - -Die schäumenden Wasser des Niagara-Falles, die safrangelbe Kapuze, meine -halbohnmächtige, kleine Schwester und, -- der Totengräber von New York, --- das alles tauchte plötzlich zündend vor meinem Geiste auf. - -Eine Pause nach dem Tanze war eben eingetreten, und ich lehnte mich, ein -wenig ermüdet, an einen der riesigen Gas-Kandelaber des Saales, das bunte, -reizvolle Bild gedankenvoll überschauend. Wahrhaftig! Der bewußte Herr -schreitet schnurstracks auf mich zu. Was sollte das wohl bedeuten? -- Das -Herz pochte mir zwar eben nicht; aber etwas Unruhe, oder vielmehr -Unbehagen beschlich mich dennoch. Denn daß ich dem Mr. Arnulf Clemens, -Privat-Docenten aus Berlin, gegenübertreten sollte, war zweifellos. Ebenso -zweifellos aber erblickte er in mir die liebliche Nymphe des Niagara. - -Offen gestehe ich Dir ein, daß die frappante Ähnlichkeit mit Dir, welche -bisher meinen Stolz und das Glück meines Lebens bedeutete, mir in -diesem Momente zum erstenmale peinlich wurde. Hatte der junge Mann den -schändlichen Betrug entdeckt? Wohl sicher nicht, folgerte ich ziemlich -richtig. Denn dann würde er in der Empörung seines Herzens Dich gewiß -mit Verachtung gestraft und die frühere Begegnung völlig ignoriert haben. - -Nein! Ersichtlich war es ja, daß er jene flüchtige Bekanntschaft mit -Dir zu erneuern wünschte, daß das lebhafte Interesse für meine boshafte -kleine Schwester ihm rasch über alle etwaigen Bedenken hinweggeholfen. -Warum soll die Tochter eines »Totengräbers« nicht eine reizende, -feingebildete junge Dame sein, für welche ein feuriges Mannesherz -sich begeistern kann, zumal, wenn man dieselbe auf dem Balle bei -dem Präsidenten der Vereinigten Staaten antrifft? -- Amerikanische -Verhältnisse sind eben andere, als deutsche. So viel hatte Mr. Clemens -sicher schon ausfindig gemacht während des hiesigen Aufenthaltes. Ich -hätte sogar darauf schwören wollen, daß er, als er den heroischen Anlauf -nahm, zu mir heranzutreten, hinter seiner klugen Stirn kombinierte und -meinte, ein Totengräber in Amerika nähme mindestens die hohe Stellung -eines deutschen Geheimrates ein. Und das besiegte entschieden die letzten -Skrupel. - -Den vollendeten Kavalier verratend, indes nicht etwa mit einem -tieftraurigen Blicke, verbeugte sich Mr. Arnulf Clemens vor mir und fragte -artig: ob die Partie nach der Windhöhle mit all den großen Anstrengungen -und Fatiguen auch keine üblen Folgen für mich gehabt? Und lächelnd -setzte er hinzu: - -»Sie waren an jenem Morgen so schnell abgereist, daß ich gar nicht mehr -Zeit gefunden, mich bei Ihnen zu verabschieden.« - -Was sollte ich thun? Irgend ein witziger, oder wenigstens witzig sein -wollender Mensch hat einmal geäußert, daß junge Mädchen im Alter von -fünfzehn bis neunzehn Jahren in für sie kritischer Situation, selbst wenn -ihnen das Weinen nahe sei, nichts klügeres thun könnten, als -- immer nur -lachen! - -Gut! Da ich eben erst neunzehn Jahre geworden bin, so lachte ich. - -Mein Lachen schien ihn jedoch noch mehr zu ermutigen. Denn mit einem -schwärmerischen Aufschlage seiner schönen Augen fragte er weiter, ob -der gemeinsame interessante Ausflug nicht doch sehr reizvoll und poetisch -gewesen sei? Er selbst wäre seitdem wie von einem wunderbaren Zauberbanne -umfangen. Sicherlich müßten Nixen und Geister der Tiefe in der Windhöhle -ihr Wesen treiben. - -Nun war aber der Moment gekommen, ihn über die Täuschung, in der er -schwebte, aufzuklären. - -»Sie irren, mein Herr!« entgegnete ich ebenfalls sehr höflich, doch -glaube ich, daß mir dabei der Schalk um die Mundwinkel zuckte. »Meine -Augen haben das große Schöpfungswunder, den Niagara-Fall, niemals -geschaut. Meine Schwester war es, mit der Sie dort zusammengetroffen -sind.« - -Fast ungläubig stutzte er und schien forschend meine Züge zu mustern, -während Ärger und Verlegenheit deutlich über sein Gesicht huschten. - -»O, verzeihen Sie! Diese fabelhafte Ähnlichkeit, mein Fräulein! Ich -konnte unmöglich ahnen ...!« stieß er lebhaft hervor. - -»Wir sind auch Zwillings-Schwestern!« kam ich ihm mitleidig zu Hilfe. - -Darauf wollte er sich mir noch einmal in aller Form vorstellen; doch war -ich so unbedacht, zu verraten, daß Du mir von ihm bereits geschrieben, -und er daher mir kein völlig Fremder sei. Merkwürdig strahlten bei dieser -Nachricht seine blauen Augen auf. Ich glaube, Terrie, die Nixen der Tiefe -haben es ihm gewaltig angethan. - -Die Musik rief jetzt zur Quadrille, zu der mich Mr. Clemens -pflichtschuldigst aufforderte. Da indes genügend Paare vorhanden waren, -und wir beide eben keine große Lust zum Tanzen verspürten, so behielten -wir unseren Platz inne und plauderten weiter. - -Deine Beschreibung seines Äußeren paßt übrigens vollkommen; ich habe -ihn auch sofort erkannt. Allein, wenn Du Dich gleich mir eine Viertelstunde -mit ihm unterhalten hättest, würdest Du jene häßlichen Worte: -»zudringlicher Patron« ihm im stillen abbitten. Ich finde Arnulf Clemens -nicht nur liebenswürdig und charmant, sondern ich bin sogar überzeugt, -daß er ein ganz vortrefflicher Mensch ist. Doch brauchst Du, wenn dieser -Mann sich nicht von vornherein Deine vollste Ungnade zugezogen, Dir somit -also höchst gleichgültig ist, nicht im geringsten auf mich eifersüchtig -zu sein, aus Gründen, die ich Dir am Schlusse meines Briefes mitteilen -werde. - -Rührend sprach er von seinem lieben, alten Mütterchen in der Heimat und -von zwei jungen, unmündigen Brüdern, für die er arbeitet, und welchen -eine Stütze zu sein, bisher seine Lebensaufgabe gewesen. Nach der -Rückkehr von dieser Reise hoffe er eine Professur an einer hervorragenden -Universität zu erlangen. Jedes Wort, das er sprach, ja sein ganzes Sein -und Denken erschien so treuherzig, edel und wahr, daß es mich wirklich -fast schmerzte, wie Du an diesem Manne frevelhaft Dein Mütchen hast -kühlen können. O schäme Dich, böse Terrie! - -Gleich alten Bekannten plauderten wir zusammen, sodaß er ganz vergessen -zu haben schien, eine fremde junge Dame vor sich zu haben, und gewiß kaum -mehr daran dachte, daß wir des »Totengräbers« Töchter seien. Um -ein Haar wäre ich auch selbst bald aus der Rolle gefallen, indem ich -unvorsichtigerweise äußerte: Du seiest seit drei Wochen mit Papa wieder -in New York, da die Herbstferien zu Ende gegangen, und ersterer betreffs -des Winter-Semesters sehr in Anspruch genommen würde. - -Der starre, fragende Blick des jungen Mannes brachte mich indes schnell zur -Besinnung. Seine Stirne zog sich in Falten, und schweigend schaute er zu -Boden. Offenbar mußte er darüber nachsinnen, wie komisch es klinge, daß -auch Totengräber Ferienreisen unternähmen, oder ob die Sterblichkeit in -Amerika wohl in Semester eingeteilt wäre. - -Herzlich gern hätte ich ihm jetzt gesagt, daß Du einen Scherz mit ihm -getrieben, so leid that er mir in diesem Momente. Aber ich durfte Dich -ja nicht gar zu sehr kompromittieren und wartete mithin eine günstige -Gelegenheit ab, ihm die Wahrheit zu gestehen. - -»Nach den Mitteilungen Ihrer Fräulein Schwester ist der Beruf Ihres Herrn -Vater ein ernster und schwerer?« warf er schüchtern und etwas unsicher -ein. - -»Ernst wohl, aber nicht schwer, da Papa sich ihm mit Leib und Seele -hingiebt, und die Passion alle Mühseligkeiten desselben überwindet,« -entgegnete ich mit schlecht unterdrücktem Lächeln. - -Wieder sah er mich von oben bis unten fragend an. »Passion zum -Totengräber!« mochte er wohl denken. - -»Sie, Mr. Clemens, müssen das doch am besten begreifen und verstehen,« --- sprach ich inzwischen lebhaft weiter, -- »daß ein Mann im Feuereifer -des Studiums und Forschens, wie es Papa zuweilen thut, die lichte, sonnige -Gegenwart, -- die Welt mit ihren Freuden und Genüssen völlig vergessen -kann, um des -- Verblichenen, -- ja um des Staubes der Vergangenheit -willen!« - -Das kluge Auge richtete sich einige Sekunden prüfend und beinahe streng -auf mein lachendes Gesicht. Ohne Zweifel konnte er die innere Verbindung -meines Ideenganges nicht finden. - -»Ich?« fragte er daher halb unwillig. - -»Nun ja! Sagten Sie mir nicht soeben, daß Sie Geologe seien? So ein klein -wenig geistige Verwandtschaft besteht dann wohl zwischen Ihnen und Papa,« -war meine heitere Antwort, indem ich fortwährend sein immer finsterer -werdendes Gesicht beobachtete. - -»Ich weiß nicht, mein Fräulein, ob Sie Scherz mit mir treiben, oder -ob ich selbst in einem argen Irrtume befangen bin?« sagte er in einem -steifen, völlig veränderten Tone. »Denn alles, was Sie in den letzten -fünf Minuten gesprochen haben, erscheint mir dermaßen unverständlich und -rätselhaft, daß ich wirklich bitten muß, sich ein wenig deutlicher zu -erklären!« - -»Aber, mein Gott, wie so denn? Was ist Ihnen nicht klar? Ich scherze -wahrhaftig nicht!« rief ich in ungeduldiger Hast und Erregung. - -»Nicht?!« fragte er immer noch ungläubig. »Dann verzeihen Sie meine -Indiskretion und sagen Sie mir, welche Stellung Ihr Herr Vater eigentlich -bekleidet?« - -Jetzt pochte mein Herz wirklich. Allein in möglichster Unbefangenheit -erwiderte ich: - -»Papa ist Professor der toten Sprachen an der Universität von New York.« - -»Ah!« Mr. Clemens war einige Schritte zurück getreten und starrte, wie -ein Mensch, der aus festem, gesunden Schlafe jäh aufgerüttelt wird, mich -an. - -»Gewiß, mein Herr!« bestätigte ich mit stolzem Selbstgefühle. »Und -einen Ruf besitzt Papa, der weit über die Grenzen von United-States -hinausgeht!« - -»Ja --, aber mein Himmel! Dann muß ich Ihr Fräulein Schwester ganz und -gar mißverstanden haben,« stotterte Mr. Clemens in höchster Verwirrung. - -Ein wunderbar glückseliger Ausdruck breitete sich mit einem Male über -seine treuherzigen Züge, als er fortfuhr: - -»Sie sagte mir doch, daß ...« - -»Wohl möglich,« unterbrach ich ihn herzlich lachend. »Doch wie kann man -auch in nächster Nähe des Niagara-Falles, der, wie Terrie mir schrieb, -solch ein Höllengetöse verursacht, daß der abgefeuerte Schuß einer -Kanone ungehört verhallen würde, -- wie kann man also dort jemanden recht -verstehen?« - -In selige Träume und Erinnerungen versunken, nickte er nur mit dem Kopfe. - -»Terrie, Deine Ehre war gerettet!« -- - -Das also ist _meine_ Begegnung mit Mr. Arnulf Clemens im Weißen Hause. -Übrigens sagte er mir, ehe wir uns trennten, daß er in den allernächsten -Tagen nach New York zu reisen und Euch aufzusuchen gedächte. Hüte Dich -daher, kleine Schwester! Die Nixen der Windhöhle sind arge Neckteufelchen, -die sich an allzu wißbegierigen Menschenkindern gar zu gerne rächen. - -Wie Du, Mr. Clemens gegenüber, Dich dann aus der Schlinge ziehen wirst: -ob Du es bei dem »Mißverständnisse« bewenden lassen, oder ob Du lieber -beichten willst, das werden die eigenen Gefühle Dir wahrscheinlich am -besten sagen, meine Terrie! - -Giebt es doch in der ganzen Welt nichts Unberechenbareres, -Widerspruchsvolleres, als ein Mädchenherz. Man könnte wirklich Bücher -darüber schreiben. Weißt Du noch, wie ich selbst immer über die Liebe -gespöttelt und stets so übermütig -- prahlerisch geäußert habe, daß -dieser süße Dämon niemals Gewalt über mich bekommen würde? Wer solchen -Ausspruch thut, ist -- eine Närrin; denn ...! - -Doch ich muß schließen; Mütterchen ruft nach mir, weil Gilbert -Newton, der einzige Sohn des Hauses, ein junger Schiffs-Kapitän, der ein -auffallend schöner Mann ist, soeben ankam, und ich ihn unterhalten soll. -Wahrhaftig, Terrie, er ist der interessanteste Mensch, welcher mir jemals -begegnete, -- voller Geist und Feuer! Es leben die Amerikaner! - -Schreibe bald von Mr. Arnulf Clemens' Besuch und sei umarmt von - - Deiner glücklichen Schwester Carrie. - -Nachschrift. - -Vielleicht kehre ich doch noch früher heim, als ich anfänglich gedacht, -da Newtons beabsichtigen, selbst mich nach New York zurück zu bringen. Das -wird ja ein herrliches Wiedersehen werden! Gut wäre es aber jedenfalls, -wenn Du Papa langsam auf diesen unverhofften Besuch vorbereiten -wolltest. -- - - * * * * * - - New York, den 20. November. - - Du böse, liebe Carrie! - -Was hast Du da angerichtet? Zur Strafe für Deine Schwatzhaftigkeit sollst -Du jedoch die Antwort auf Deinen Brief heute nur in Form einer Depesche -erhalten, welche wohl genügen dürfte, Dich über die Begebenheiten der -letzten Tage aufzuklären. -- Also: - -»Verratenes Inkognito! Mr. Clemens' Reise nach New York. Schüchterner -Empfang und fieberhaftes Beben aller Glieder meinerseits. Wiederholte -Besuche seinerseits. Niagara-Nixen begannen ihr Spiel. Unumwundene Beichte -aller losen Streiche. Seliges Finden, -- Verlobung! Es leben die Deutschen! - - Deine Terrie.« - -Nachschrift. - -Arnulf schaut mir über die Schulter und findet diese lakonische Kürze -meines Briefes fast beleidigend. Er läßt Dir daher sagen, daß er dem -Feste im Weißen Hause und der witzigen Unterhaltung mit einer gewissen -liebreizenden Blondine, die ein gütiges Geschick ihm als Schwägerin -auserkoren, zwar viel, -- sehr viel verdanke; aber jene unvergessene Stunde -unter dem Niagara-Falle hätte es ihm nun einmal angethan, und würde er -sich das Mädchen, welches damals so kindliche Hilfe suchend sich an seine -Brust geschmiegt, zur Lebensgefährtin zu erringen getrachtet haben, auch -wenn es -- des Totengräbers Töchterlein geblieben! -- - - - - -Zahnschmerzen. - - -»Schneller Entschluß -- guter Entschluß!« heißt es im alten -Sprichwort. Ich möchte aber lieber sagen: »eine Laune« hatte mich im -Jahre 1876 zur Weltausstellung nach Philadelphia geführt. - -Ein ziemliches Stück von Europa war ich bereits durchwandert; nur Amerika -kannte ich noch nicht. Allerdings waren es keine besonderen Sympathien, -die mich hinüber ins Land des allmächtigen Dollars zogen; aber es reizte -mich, den Urtypus des Yankee gerade in dem Momente kennen zu lernen, wo die -sonst kühl-materielle und egoistische Nation in vollster, ungeheuchelter -Begeisterung über die Centennialfeier, das Bestehen ihrer hundertjährigen -Freiheit, sich befand, wo ungeteilte Freude und Einigkeit herrschte und -geherrscht hat -- während der Julitage des Jahres 1876 in der Stadt der -Bruderliebe. - -Eine weitschweifige Schilderung der wahrhaft überraschend großartigen -Ausstellung im Fairmount-Park mit ihren tausend und abertausend Menschen -aller Nationen abzugeben, liegt nicht in meiner Absicht. Genugsam ist -darüber bereits geschrieben und gesprochen worden, obgleich bei uns in -Deutschland dadurch nur ein geringeres Interesse hervorgerufen wurde. -Ausstellungen sind ja seitdem an der Tagesordnung. - -Nachdem ich die mir unglücklichem Neulinge tropenhaft erscheinende -Gluthitze, die damals über Philadelphia lag, bis zur Erschlaffung -durchkostet und alle die Qualen eines bei lebendigem Leibe Gebratenen -erduldet hatte, langte ich nachmittags mit dem 4 Uhr-Train, völlig -abgespannt, in dem -- wenigstens im Vergleich zu Philadelphia während der -Exhibition -- stilleren New York an. - -Wie die Gefilde des Elysiums erschienen meinen Blicken die schönen breiten -Straßen und Avenues der Empire City, wo alles Ruhe und Ordnung atmete. -Gott sei gelobt! Nun gab es kein Drängen, Stoßen, Schreien und Schimpfen, -keine zerbrochenen Wagen und Gliedmaßen, keine vom Sonnenstich befallenen, -armen Opfer mehr, wie ich das zur Zeit meines Aufenthalts in der Stadt der -Bruderliebe genügend geschaut und wovon mein unerfahrenes deutsches Auge -sich oft zornig oder auch hilfesuchend abgewandt hatte. - -Ein kühles, stilles Zimmer zu ungestörter Siesta in einem der prächtigen -Hotels New Yorks, dann ein behagliches kleines Diner, in irgend einem -lauschigen Winkel des Diningrooms -- ein Fläschchen -- -- o nein, wir sind -ja im Lande der Temperenzmen -- eine Flasche erfrischenden Sodawassers -- -wie verlockend wirkte das alles nach stundenlanger Fahrt im durchgluteten -Eisenbahn-Coupé! - -Allein solche Bilder hüpften und tanzten gleich boshaften Neckteufelchen -vor meinem niedergedrückten und bekümmerten Geiste. Denn -- ich litt -an Zahnschmerzen! Bei 30 Grad Reaumur im Schatten an schauderhaften, kaum -erträglichen Zahnschmerzen! - -Die körperlichen und geistigen Anstrengungen der letzten Tage, die von -Stunde zu Stunde noch im Steigen begriffene, mir vollständig ungewohnte -Hitze -- das alles mußte meine Nerven und mein Blut in solche Aufregung -und Wallung versetzt haben, daß dieses leidige Übel, wovon ich -seit meinen Jugendjahren kaum mehr geplagt worden war, mich mit so -unbarmherziger Gewalt gepackt hatte. Wer kennt sie nicht -- all' die -Folterqualen und Torturen endloser, durch nichts zu besänftigende -Zahnschmerzen?! - -In New York angekommen, raste ich, unter Zurücklassung des Gepäcks, wie -ein Besessener vom Bahnhof nach einer in der Nähe gelegenen Apotheke. Mit -meinem etwas unverständlichen Englisch, jedoch mit für jedermann desto -verständlicheren Gesten nach der linken Backe vermochte ich mein Elend -zu offenbaren, und lächelnd wurde mir für 25 Cents eine winzige Phiole -eingehändigt, welche die verheißungsvolle Aufschrift: »=immediatly=« -(augenblicklich) trug. - -O trostreiches, süßes Wort! Am liebsten wäre ich dem unbekannten Retter, -dessen Hand mir diesen Schatz entgegenreichte, um den Hals gefallen. Doch -halt! Mein kühles deutsches Blut bewahrte mich vor einer Übereilung. Erst -probieren! - -Gewiß -- das Wundermittel half -- aber nur für einen »Augenblick«, ganz -der Überschrift entsprechend. Dann kehrten die wütenden Schmerzen mit -doppelter Gewalt zurück. Zornig das Fläschchen beiseite schleudernd, -verlangte ich nun rasch ein anderes Medikament und wankte schließlich, die -Tasche voll Opiumpillen, spanischer Fliege und Kampfer, rat- und mutlos -auf die Straße, um von der Apotheke bis zum ersten besten Hotel die -unerquickliche philosophische Betrachtung anzustellen, warum eigentlich -der weise Schöpfer uns ohnedies geplagten Erdenkindern zum Überfluß auch -noch Zähne gegeben hat? Alle Dichter und Schriftsteller verwünschte ich, -die jemals über: »zwei Reihen Perlen zwischen rosigen Lippen«, oder: -»blendende Elfenbeinzähnchen« gereimt und gefabelt hatten. Alles das ist -bittere Ironie. - -An Speise und Trank war unter solch' kümmerlichen Verhältnissen -natürlich nicht zu denken. Nachdem ich nur notdürftig Gesicht und -Hände vom Eisenbahnstaube gesäubert hatte, bestieg ich den nächsten -Tramwaywagen, bezahlte meine fünf Cents und fuhr hinaus nach dem -Centralparke, weil ich zunächst und vor allem das Bedürfnis hatte -nach reiner, frischer Luft, nach absoluter Ruhe. Fern vom Geräusche -der Großstadt, ungestört von jedem mich belästigenden Blicke aus -teilnehmenden oder neugierigen Augen -- wollte ich dort oben in der -Einsamkeit mein Elend zu vergessen suchen. Zumal lockte der prächtigste -Sommerabend hinaus ins Freie. Endlich -- endlich mußte ja doch dieser -böse Plagegeist ein menschliches -- Unsinn! ein Geist empfindet nie ein -menschlich -- sagen wir also: ein himmlisches Rühren fühlen oder seiner -boshaften Mucken überdrüssig werden. - -Erfrischender Waldgeruch und würziger Blumenduft schlugen mir entgegen. In -langen Atemzügen sog ich den klaren Äther in mich ein. Wohlweislich die -wenig frequentierten Wege suchend, gelangte ich nach etwa halbstündiger -Wanderung in den oberen, romantischeren Teil des Parkes, wo Mutter Natur -mehr gethan, als künstlerisches Schaffen und Geldaufwand zu thun im stande -gewesen. Erschöpft und schon halb verzweifelt ließ ich mich dort auf eine -Bank nieder und stöhnte laut. - -Lachen Sie nicht, meine schönen Leserinnen! Warum soll ein alter -Junggeselle nicht einmal laut stöhnen, selbst wenn er nicht vom Zahnweh -geplagt wäre? Hat doch gerade er am meisten Ursache dazu. Keine weiche -Hand streichelt ihm zärtlich die Wange, kein rosiger Mund spricht -liebevolle Worte oder flüstert ihm tröstend zu, nur nicht ungeduldig -zu werden und hübsch auszuharren! Zwar habe ich nie ein sehr -liebebedürftiges Herz besessen; aber in diesem Momente fühlte ich wieder -so recht allen Jammer und alle Hilflosigkeit meines Junggesellentums! Eine -resolute Ehefrau würde auch vielleicht ausgerufen haben: »Genug jetzt des -grausamen Spieles; geschwind in eine Droschke mit Dir und zum Zahnarzt! Der -Missethäter muß ausgezogen werden!« - -Ja, gewiß lobe und erkenne ich jeden gütigen Rat an, bin überhaupt -windelweich geworden seit gestern, besonders gegen das schöne Geschlecht, -opponiere nie mehr! Doch wenn man zwischen Fünfzig und Sechzig steht, -außerdem mit Kauwerkzeugen nur mehr dürftig versorgt ist und diese -wenigen sich des Gebrauchs halber noch einige Zeit erhalten möchte, da ist -so eine Parforcekur wohl zu erwägen. - -Also laut stöhnend, stützte ich den Kopf in die linke Hand und starrte in -stummer Resignation auf den Kiesweg vor mir. Oder hatte die so natürliche -physische Erschöpfung doch vielleicht für ein Weilchen mir die Augen -geschlossen -- ich weiß es nicht zu sagen. Besserung wenigstens verspürte -ich nicht; denn plötzlich fuhr ich jäh empor. Ein dunkler Schatten war -auf den Weg gefallen, und ich hatte das unbestimmte Gefühl, daß jemand -vor mir stand. - -Ja, vor mir standen wirklich zwei Personen. Aber um alles in der Welt, wer -war das nur? -- Mehrere Sekunden stierte ich mit fast blödem Ausdrucke in -ein hageres braunes Antlitz, aus dem mir ein Paar merkwürdig sprechende -Augen entgegenblitzten. Eine Frauengestalt mit einem Kinde war es; allein -deren Erscheinung schien so durchaus originell, so frappierend, daß die -angeborene deutsche Höflichkeit mir völlig abhanden kam und ich nicht -einmal aufstand, den Hut zu lüften. Demungeachtet merkte ich, wie diese -Gestalt sich etwas zu mir herabbeugte und halb teilnehmend fragend, halb -bedauernd äußerte: - -»Zahnschmerzen, Sir?« - -Welch' guter Geist leitete mich nur in diesem Momente, daß ich, anstatt -die Ruhestörerin schroff abzuweisen, ihr vielmehr offenherzig erwiderte: - -»Ganz fürchterliche, Madame!« - -»O, da wollen wir sofort Linderung oder Hilfe schaffen,« sagte die volle, -merkwürdig tiefe Frauenstimme in fließendem, dabei jedoch eigenartig -accentuiertem Englisch. Auch wurde das mit solcher Bestimmtheit gesprochen, -als ob die Abhilfe so schnell und leicht zu bewerkstelligen wäre, wie man -jemandem ein Stäubchen vom Rockkragen entfernt. - -In sprachlosem Erstaunen, wahrscheinlich mit einem recht einfältigen -Gesichte, blickte ich noch immer zu der seltsamen, wunderbaren Figur empor. -Aber da saß sie auch schon dicht neben mir und suchte eifrig in den Falten -ihres Kleides. - -Trotz der mich noch immer peinigenden Schmerzen folgte ich in steigendem -Interesse jeder ihrer behenden Bewegungen. Jetzt träufelte sie eine helle -Flüssigkeit aus einem Fläschchen auf etwas Baumwolle und reichte mir -diese zu. - -»Hier, Sir! Nun schnell ans Werk! Bezeichnen Sie mir den Übelthäter und -Sie werden wie neugeboren sich fühlen,« meinte sie scherzend, indes im -Tone unverkennbarer Überlegenheit und hohen Selbstbewußtseins. - -Einen Moment zögerte ich. Der scharfe, fast stechende Blick des dunklen -Auges machte mich unsicher. - -»Nun, glauben Sie vielleicht, ich wolle mir nur einen Spaß mit Ihnen -erlauben?« fragte sie jetzt herb. »Haben Sie denn in New York noch nichts -von Mary Powl gehört?« - -»Mary Powl? -- Nein!« stotterte ich zaghaft. Aber halb getröstet und -rasch entschlossen, machte ich den Mund auf und ließ sie gewähren. - -Mehrere Minuten vergingen unter tiefstem Schweigen. Dann sprang ich wie -elektrisiert mit jugendlicher Lebhaftigkeit von der Bank empor. - -»Donnerwetter, Blitz Element! Wo sind denn --?« - -»Pst, pst, noch einige Sekunden Ruhe!« unterbrach sie mich besänftigend, -dabei lächelnd, so daß ihre gesunden Zähne zwischen den Lippen sichtbar -wurden. »Wo sind Ihre Zahnschmerzen -- wollten Sie fragen -- nicht wahr? -Die sind abgethan und hoffentlich für eine lange Weile. So, jetzt gestatte -ich Ihnen, auch wieder zu sprechen, mein Herr! Das heißt, wenn es Ihnen -Vergnügen macht, sich einige Minuten mit mir zu unterhalten.« - -In wirklich tief empfundenen Dankesgefühlen hatte ich ihre braune, -unbehandschuhte, jedoch zarte Hand ergriffen und drückte sie kräftig. - -»Sind Sie Zauberin, Fee oder ein leibhaftiges Menschenkind?« fragte ich -mit vor Erregung zitternder Stimme. Ein wohliges Gefühl rieselte durch -meine Adern. Wahrhaftig -- sie hatte recht, wie neugeboren erschien ich -mir. - -»Mary Powl,« erwiderte sie einfach. - -»Aber, mein Gott, wie kommen Sie dazu, einem Ihnen gänzlich Fremden -solchen Liebesdienst zu erweisen? Erlauben Sie, Madame, daß ich mich Ihnen -vorstelle, mein Name ist ...« - -»O, lassen Sie Ihren Namen, den ich jedenfalls doch nicht aussprechen -kann! Sie sind ein Deutscher und das genügt mir.« - -Ein stolzes Emporwerfen des Kopfes begleitete ihre Worte. - -Schnell hatte ich mich an ihre Seite wieder niedergelassen und war jetzt im -stande, die sonderbare Erscheinung mit Ruhe und Muße zu betrachten. - -Das Kind, anscheinend ein Knabe von elf bis zwölf Jahren, lehnte -gleichgültig dreinschauend und mit einem melancholischen Ausdruck in dem -fast kupferfarbigen mageren Gesichtchen neben der Bank, auf welcher wir -saßen. Ihre auffallende, höchst bunte Tracht mußte jedenfalls eine Art -Nationalkostüm repräsentieren. Denn um am helllichten Tage in New York -in einem Maskenanzuge umherzuziehen, dem widersprach das ganze Wesen und -Auftreten der sonderbaren Frau. - -Ein kornblumenblauer faltiger Rock mit breiter roter Borde bildete das -Untergewand, worüber ein langer, weißer, grobgewebter Mantel fiel, -ähnlich dem Stoffe, den in Mähren die Hannaken über den Schultern -tragen. In malerischen Falten, den schlanken doch kräftig gebauten -Oberkörper nur zum Teil verhüllend, drapierte sich derselbe über ihrer -Figur. Das glatte, pechschwarze, in der Mitte gescheitelte Haar war zur -Hälfte von einem grünlich schillernden Seidentuche bedeckt. Um den Hals -und über die Brust wanden sich mehrere Schnüre bohnengroßer, dicht -aneinander gereihter Goldkörner, während an einem breiten, ziemlich -primitiven Ledergurte ein kurzes, in roher Scheide ruhendes Dolchmesser -herabfiel. - -Ihre Gesichtszüge waren hager, hart und eckig, verrieten indes noch -Spuren einstiger Reize. Ganz besonders aber waren es die Augen in stets -wechselndem Ausdrucke, welche, bald wild flammend, bald herzgewinnend -freundlich, mein Interesse an der merkwürdigen Frau noch besonders -erhöhten. - -In gleich phantastischer Weise war auch das Kostüm des Knaben, dessen -Anzug viel Ähnlichkeit mit dem eines jungen Hochländers verriet. Nur -bildeten Mokassins die Fußbekleidung, und eine Art Toque mit wehender -Adlerfeder zierte das dunkle, nicht uninteressante Köpfchen. - -Stillschweigend, aber keineswegs gekränkt, hatte sie meine scharfe -Musterung über sich wie das Kind ergehen lassen, ja sie schien durch -dieselbe beinahe belustigt. Denn sie brach das Schweigen plötzlich mit den -heiteren Worten: - -»Sie sind ein völlig Fremder hier in New York, wie ich sehe, Sir?« - -»Ja, Madame! Nur um die Weltausstellung zu besichtigen, bin ich -herübergekommen. Meine staunenswerte Unkenntnis über den Namen Mary Powl -ließ Sie das natürlich sogleich vermuten. Jedenfalls hat dieser Name -hier einen hohen und berühmten Klang. Daher segne ich den Zufall -- oder -vielmehr meine Zahnschmerzen, die mir Ihre interessante Bekanntschaft -verschafften,« entgegnete ich mit feiner Galanterie, indem ich mich leicht -verneigte. - -Wieder warf sie so eigenartig stolz und herausfordernd den Kopf in den -Nacken und flüsterte, träumerisch in die Leere starrend: - -»O nein, weder berühmt noch hoch! Einst wohl war er das beides. Aber -dieses einst ist begraben. Hier betrachtet man mich als Original -- als -letztes Überbleibsel eines ehemals mächtigen Irokesenbundes von draußen -am herrlichen Genesee-Thale im westlichen Staate New York. Den Kultus, -den ich noch immer mit dem Andenken früheren Glanzes, mit den teuren -Erinnerungen des so bald dahingeschiedenen Gatten -- eines stolzen -Häuptlings -- treibe, nennen die poesielosen Amerikaner überspannte -Phantastereien. Allein man läßt mich gewähren. Ist doch Mary Powl, die -Indianer-Squaw, völlig harmloser Natur. Die Leute in den Straßen und -die Fremden schauen ihr wohl neugierig oder herausfordernd nach, ja, die -Schulbuben lachen über sie und ihren Sohn -- was thut das! Mary Powl hat -anderen, tieferen Schmerz erfahren und geduldig hinnehmen müssen -- den -nie sterbenden Gram über das Herabsinken, das Niedergehen einer großen, -herrlichen Nation!« - -Aufs höchste interessiert, lauschte ich diesen mit monotoner Stimme -vorgetragenen Worten und entgegnete nur wie schüchtern tröstend: - -»Aber es giebt doch noch viele Indianer Ihres Stammes. Wenngleich, so -viel ich hörte, die einstigen Irokesenbunde teilweise aufgelöst und -deren Glieder in verschiedene Gegenden zerstreut worden sind, so leben doch -gerade hier, im Staate New York, von denselben noch genug und führen als -angesehene Männer unter den Amerikanern ein einträgliches, friedliches -Dasein.« - -Abwehrend und verächtlich schüttelte sie das Haupt. - -»Seit sie ihren Tomahawk vergraben und den Glauben der Weißen angenommen, -hat Omäneo, der große Geist, von ihnen sich abgewendet. Die Amerikaner -haben den Fuß auf den Nacken der roten Männer gesetzt. Nicht Herren sind -sie mehr in diesem Lande, nur erbärmliche Knechte!« - -Tiefe Bitterkeit klang bei dieser Rede durch der Indianerin Stimme, -während sie wie schützend den einen Arm um des Knaben Schulter legte und -fort fuhr: - -»Kinder eines Vaters -- so lehrt das Christentum! Allein, sind wir das -wirklich? Diese Frage drängt sich immer von neuem vor meine Seele. -Ihr Deutschen befolget Gottes Gebot: ›Liebet euren Nächsten!‹ im -schönsten, reinsten Sinne des Wortes, Ihr sehet in uns -- den Farbigen --- den Bruder. Nicht so der Amerikaner, dessen Brust der unbegründete, -bittere Erbhaß erfüllt, ja der ungerecht und hart ist -- oft bis zur -Grausamkeit.« - -»Und dennoch wählten Sie Ihren Wohnsitz mitten unter ihnen?« fragte ich, -die Witwe des Irokesenhäuptlings betrachtend. - -Sie deutete auf den Knaben. - -»Es ist nur um seinetwillen! Iron Hand (die eiserne Hand) soll einst das -reiche Wissen und die Gelehrsamkeit der weißen Männer mit dem Verstande -und dem Mutterwitz seines Stammes verbinden. Meine Lebensaufgabe besteht -einzig noch darin, seine Studien zu überwachen, für ihn zu arbeiten und -das Vermögen, welches sein teurer, tapferer Vater ihm hinterlassen, zu -verdoppeln -- zu verdreifachen! Mein Sohn soll Medizin studieren,« setzte -sie mit einem Blick voll Stolz und Zärtlichkeit hinzu. - -Ich vermochte ein Lächeln nicht zu unterdrücken, und ihr scharfer Geist -mußte meinen Ideengang erraten haben, denn sie sagte schnell: - -»Nun ja! Ich selbst pfusche den Ärzten so ein klein wenig ins Handwerk. -Mein großes Interesse an der Heilkunde hat mir schon manche trübe, -einsame Stunde erhellt Ich schöpfe nur aus der Natur, kenne deren -geheimnisvolle Kräfte, und meine Mittel helfen zuweilen besser, als die -der hochgelehrten Herren dort drüben in der City.« - -Freudig zustimmend nickte ich mit dem Kopfe. Einen Moment schaute sie mich -scharf und prüfend an; dann rief sie lebhaft: - -»Besuchen Sie mich, Sir! Ich sehe, Sie sind ein welterfahrener, -edeldenkender Mann, der die Vorurteile des Kastengeistes von sich -abgestreift hat, dessen Gesichtskreis unbegrenzt ist. Mit solchen Menschen -verkehre ich gern; ihnen zeige ich mich auch von einer anderen Seite, als -wie der übrigen Welt, die in Mary Powl nur ein halb verrücktes weibliches -Original sieht. =All right!= Sie kommen?« - -Mit wirklich anmutigen Bewegungen, jedoch ohne jede Spur von Koketterie, -und mit herzgewinnendem Lächeln reichte sie mir die Hand entgegen. - -»Gewiß, Madame! Mit dem allergrößten Vergnügen,« erwiderte ich, ihre -Rechte herzlich drückend. - -Diese Frau gefiel mir. Es lag so viel Urwüchsigkeit, so viel angeborene -Vornehmheit in ihrem Wesen, nebenbei sprach aus jedem ihrer Worte Geist und -tiefes Denken, so daß für mich in dem freundlichen Anerbieten ein eigener -Reiz lag und ich mir interessante Stunden und Erinnerungen von diesem -Besuche versprach. Mary Powl nannte mir ihre Adresse. Darauf schaute sie -nach der im Sinken begriffenen Sonne und erhob sich. - -»Und wie soll ich meiner gütigen Helferin aus jenem unerträglichen -Zustande danken?« fragte ich, indem ich fast ehrfurchtsvoll den Hut vor -ihr zog. - -»Damit, daß Sie dieser Stunde ein Andenken bewahren, mein Herr!« war die -ernste Antwort. - -Sie nahm den Knaben wieder an die Hand, neigte leicht den Kopf und ging. - -Tief gedankenvoll blickte ich der fremdartigen Erscheinung nach, bis der -leuchtende weiße Mantel hinter dem Gebüsch verschwunden war. Der endlose -Park breitete sich wieder totenstill vor mir aus. Die Spatzen -- andere -Vögel vermag dieser nicht aufzuweisen -- hüpften zutraulich über den -Weg, als ob, seitdem ich auf der einsamen Bank mich niedergelassen, nichts -die feierliche Ruhe ringsum gestört hätte. Sollte ich die letzte halbe -Stunde wirklich nur geträumt haben, oder war die reizvolle Scene einzig -nur meinem erregten Geiste entsprungen? Auch die nüchterne Phantasie eines -alten Junggesellen erlaubt sich zuweilen eine Verirrung. Plötzlich jedoch -lachte ich herzlich auf. Die Zahnschmerzen -- fort waren sie zweifellos; o -Glück! Dieses wonnige Bewußtsein war kein Traum! - -Ein eigentümliches, höchst prosaisches Gefühl in der Magengegend -verscheuchte indes bald alle poesiereichen Gedanken. Jetzt verursachte mir -die Aussicht auf ein gutes Diner ein angenehmes Behagen. Wer auch wollte -mir das verdenken! War doch seit meiner Abreise aus Philadelphia kein -Bissen über meine Lippen gekommen. -- Eine halbe Stunde später saß ich -bei Delmonico, und trotz aller Ehrfurcht und Hochachtung vor der weisen -Einrichtung des Temperenzgesetzes stand eine Flasche »=veuve Cliqot=« vor -mir im Eiskühler. Gern nahm ich am heutigen Tage solche Sünde auf -mein Gewissen. Das erste Glas galt ihr. Es lebe Mary Powl, die -Indianer-Squaw! -- - -Die Vormittagsstunden des nächsten Tages verbrachte ich mit planlosem -Umherstreifen in der großen Hauptstadt der Union. Was mir darin am -charakteristischsten dünkte, das war jenes Hinauf- und Hinunterhetzen -- -anders läßt es sich kaum bezeichnen -- am Broadway. Weder in Paris -noch in London ist mir derartiges Jagen je wieder vorgekommen. Millionen -gewonnen -- Millionen verloren -- alles geschieht dort drüben in fast -ängstlicher Hast! Wer das ganze bunte Bild vom objektiven Standpunkte aus -betrachtet, dem erscheint es wirklich ergötzlich. - -Endlich zeigte die Uhr die vierte Nachmittagsstunde -- die Zeit, welche -Mary Powl mir zum Besuche bestimmt hatte. - -In einer ziemlich entlegenen Gegend -- weit über die 8. Avenue hinaus -- -lag ihre Wohnung, und ich muß offen gestehen, daß eine gewisse Unruhe -oder auch Neugierde mir die Pulse rascher schlagen ließ. Denn obwohl ich -schon manches im Leben gesehen und kennen gelernt hatte -- in die inneren -Verhältnisse einer Indianer-Häuslichkeit war mein Blick noch nicht -gedrungen. Einen Wigwam erwartete ich im Mittelpunkt der City of New York -selbstverständlich nicht; allein ich konnte -- mit Rücksicht auf Mary -Powls Äußeres und deren romantisches Vorleben -- auf außergewöhnliche -interessante Entdeckungen schließen. Da sie ja von dem ererbten Vermögen -ihres tapferen Gemahls gesprochen, so durfte ich annehmen, daß sie -pekuniär in guten Verhältnissen lebe. - -Die Hitze war aufs neue drückend, so daß ich mir ein Cab nahm, um rascher -mein Ziel zu erreichen. Das Haus, wohin dasselbe mich führte, kam mir auf -den ersten Blick allerdings nicht sehr elegant vor. Eines jener =Tenement -houses= -- oder wie wir es bezeichnen würden: eine Mietkaserne war es, wie -dergleichen in New York Leute bewohnen, welche nicht in der Lage sind, -für sich ein Haus allein zu mieten, es aber vorziehen, eigene Menage zu -führen, anstatt sich bei anderen in =board= (Kost) zu geben. Immerhin -deutete das Innere des Gebäudes auf große Sauberkeit und Accuratesse. -Die Stiegen waren mit Wachstuch bekleidet und die Scheiben der hohen -Flurfenster blitzten förmlich in der Sonne. Rasch entschlossen klopfte ich -an die mir genau bezeichnete Thür, weil die Wohnung keinen verschlossenen -Vorsaal nebst Klingelzug aufwies. - -Im selben Augenblicke steckte auch schon ein wollhaariges Negermädchen -den Kopf heraus und fragte mürrisch nach meinem Begehr. Ihr meine Karte -überreichend, erwiderte ich, daß Mrs. Powl mich erwarte. - -Schon nach wenigen Sekunden kehrte die Dienerin zurück und öffnete mir -schweigend die Pforten des geheimnisvollen Tuskulums. Moderne Möbel -- -moderne Teppiche und Fenstervorhänge -- boten sich meinen überraschten -Blicken dar. - -Den ersten Augenblick überkam es mich gleich einem Gefühl der -Enttäuschung. Nichts, auch nicht der kleinste Gegenstand entsprach hier -dem Bilde, das ich mir von dem =home= Mary Powls gemacht hatte. Fast -ärgerlich ließ ich fast alles in dem Gemache Revue passieren. Also nur -mit leeren Worten, und vielleicht mit den paar bunten Lappen, die ihre -Toilette ausmachten, blieb sie dem Andenken an die einstige Berühmtheit -ihres Stammes treu? Von einem Kultus hatte sie gesprochen, den sie mit den -Erinnerungen an die ihr teure Vergangenheit trieb -- und das geschah hier -in dieser, der Erscheinung der Indianerin so gänzlich widersprechenden -Umgebung? Alles Anziehende, jeder Reiz dieses Besuches ging für mich -völlig verloren. - -Sicher mußte ich demnach auch darauf gefaßt sein, sie selbst in moderner -Toilette, mit einer unmöglichen Haarfrisur, das dunkle Bronzegesicht -von einem Lockengekräusel umrahmt, erscheinen zu sehen! Lächerlich! Wie -konnte ich doch nur so unüberlegt und einfältig sein, mich hier anlocken -zu lassen? Möglicherweise lief die ganze Geschichte auf einen echt -amerikanischen Humbug, eine fein angelegte Schwindelei hinaus! Die schlaue -Person witterte sicher in mir einen grünen Deutschen. Wie oft hört und -liest man doch von solch' gründlich gerupften Vögeln -- von Mord -- von -unheimlichem Verschwinden in New York! Unwillkürlich drückte ich die Hand -auf die auf meiner Brust ruhende Barschaft und schaute mich halb forschend, -halb ängstlich um. - -Das Negermädchen hatte das Zimmer wieder verlassen. Da erhob sich -plötzlich ein schwerer, dunkler Thürvorhang und -- Mary Powl stand genau -im nämlichen Anzuge, wie sie mir im Parke begegnet, nur ohne den weißen -Mantel, mir gegenüber. Ernst und ruhige Würde, dabei wieder jene kühl -herablassende Vornehmheit, sprachen aus der ganzen Erscheinung. Ein Seufzer -der Erleichterung entschlüpfte meiner Brust, und fast beglückt schritt -ich ihr entgegen. - -»Ich freue mich, daß Sie Wort gehalten haben, Sir!« sagte sie, mir -näher tretend, mit dem monotonen, etwas schwermütigem Tonfall in der -Stimme, indem sie mir, gleich einem alten Bekannten, die Hand reichte. -»Ich habe mich viel mit Ihnen beschäftigt seit gestern und darüber -nachgedacht, daß ihr Deutschen doch ein beneidenswert glückliches Volk -seid!« - -»Woraus schließen Sie das, Madame?« fragte ich lächelnd, voll Interesse -das dunkle Gesicht anschauend, welches mir heute weniger eckig und in dem -Momente, wo die brennenden Augen in Begeisterung flammten, eher anziehend -erschien. - -»O, ich lese ja Zeitungen!« rief sie, den Kopf selbstbewußt -emporwerfend. »Sie sind Preuße? Ich kenne sie alle, eure großen tapferen -Männer,« -- fuhr sie lebhaft fort -- »den greisen Kaiser William, -Bismarck, Moltke! Das heißt, ich kenne ihre Namen auf dem Papier. In -Wirklichkeit wird mein Auge sie wohl niemals schauen.« - -»Das zu erreichen, liegt ja nur an Ihnen,« erwiderte ich verbindlich, den -mit vornehmer Handbewegung mir angebotenen Platz einnehmend. Sie hatte sich -gegenüber gesetzt und die schlanken braunen Finger im Schoß gefaltet. -»Entschließen Sie sich zu einer Reise nach Berlin, Madame! Das würde -Ihnen eine reizvolle Zerstreuung und Abwechslung gewähren.« - -»Damit ich dann -- nach meiner Rückkehr -- mich um so unglücklicher in -Verhältnissen fühlen würde, in denen zu leben ich doch angewiesen bin. O -nein, Sir! So lange mein Sohn sein Ziel noch nicht erreicht hat, wanke ich -nicht von diesem Platze.« - -Ich mußte ihr beipflichten. - -Darauf fragte sie mich nach meiner Lebensstellung und meinem Berufe, und -als ich ihr gesagt, ich sei Schriftsteller, sah sie mich fast scheu und -ehrfurchtsvoll von der Seite an und meinte befangen, sie hätte sich einen -Mann der Feder ganz anders vorgestellt. Da mußte ich nun viel erzählen -über deutsche Zustände und Sitten; über Litteratur und Geschichte -sprachen wir, und ich gestehe offen, daß ihr, wenn auch nicht gerade -reiches Wissen, so doch ihr richtiges Urteil, ihre Kenntnis von Dingen, die -man ihr kaum zugetraut, mich wahrhaft überraschten. Freilich wohl zwangen -mir die oft kindlich naiven Fragen hin und wieder auch ein Lächeln ab. -Aber ich erinnerte mich dann schnell, mit wem ich die Unterredung führte. -Jedenfalls stand dieselbe, was Originalität und Unterhaltung anlangte, -keiner von jenen mit irgend einer deutschen Dame eingegangenen nach. - -Auch Mary Powl erzählte mir von ihrer Kindheit und Jugend, von dem kurzen -Glück ihrer Ehe, -- daß ihr Gatte bei einem räuberischen Überfall eines -feindlichen Stammes grausam erschlagen worden, und daß sie darauf mit -ihren Landsleuten, mit der Menschheit, ja mit sich selbst zerfallen, der -Heimat den Rücken gekehrt und nach New York übergesiedelt sei. - -»Und hier führe ich nun seit fast zehn Jahren ein stilles, -zurückgezogenes, mir zusagendes Dasein,« schloß sie den schlichten -Bericht. »Mein =home= ist meine Welt, in der ich mich glücklich fühle.« - -Wie das so natürlich war, flog mein Auge über die moderne Einrichtung des -Gemaches, während ich die schüchterne Frage aufwarf, weshalb sie alles, -was an das einstige romantische, abenteuerliche Leben der Vergangenheit -gemahnte, daraus verbannt habe? - -Sie lachte. Es war das erste und letzte Mal, daß ich diese Frau wirklich -lachen hörte. - -»So glauben Sie im Ernst, daß das durch Abhärtung und Entbehrungen aller -Art gestählte Weib an die verweichlichte Lebensweise der Weißen -sich gewöhnt habe, daß solcher Ballast« -- sie deutete auf ein von -schwellenden Kissen strotzendes Ruhebett -- »ihr unentbehrlich geworden -ist? Eine von der Kultur beleckte Indianer-Squaw -- wäre das nicht -eigentlich spaßhaft? Nein, mein Herr! Mit Leib und Seele, mit jeder -Fiber meines Herzens hänge ich noch an alten Erinnerungen. Allein ich -verschließe mein Teuerstes vor der Welt. Kein profaner Blick soll je mein -Heiligtum erreichen! Dieses Zimmer hier bedarf ich zum Empfange von Leuten, -mit denen ich ab und zu geschäftlich verkehre und in Verbindung komme, -für die ich auch nur Mrs. Mary Powl bin, welchen Namen ich mir seit dem -Fortgange aus meinem Heimatsthal gegeben habe. Doch hier« -- in graziös -behenden Bewegungen sprang sie empor und schlug den dunkeln Vorhang, durch -den sie gekommen, zurück -- »hier, Sir, ist mein wahres =home=! -Ihnen zeige ich es; Sie sollen sehen, daß ich das warme Interesse, das -Vertrauen, welches Sie mir bewiesen, zu schätzen weiß!« - -Zögernden Schrittes war ich gefolgt und blickte nun in stummer -Überraschung durch die offene Thür. Mit heiterem Gesichte weidete sie -sich an meinem Staunen. - -»Nun, ich bitte, treten Sie ein, Sir! In diesen Räumen begrüßt Sie die -Witwe des Irokesenhäuptlings Onundega.« - -Wir schritten beide über die Schwelle. - -Jetzt wußte ich, daß jedes Wort, was Mary Powl von ihrer Vergangenheit -mir erzählt, lautere Wahrheit war, daß jeder noch so kleine Verdacht -wider sie, der eben noch in meiner Seele Platz gefunden, eine bittere -Ungerechtigkeit, ja, eine Kränkung für sie gewesen. - -Der Raum, in welchem wir jetzt standen, glich in der That der Vorstellung, -die ich in meinen Knabenjahren von dem Wigwam eines Indianerhäuptlings -mir vielleicht gemacht. Eine von grobem, eigenartig gewebten, -blaubemalten Stoffe, in der Mitte der Decke angebrachte und an den Wänden -niederhängende Draperie war geschickt und kunstgerecht zu einer Art Zelt -verarbeitet, so daß die Seite, wo die Fenster sich befanden, ebenfalls -verhangen blieb, weshalb sich nur ein mattes, angenehmes Dämmerlicht -über den nicht großen Mittelraum verbreitete. Jeder Gegenstand dieses -wunderbaren Gemaches trat klar und scharf ins Auge, und jeder Blick sagte -mir, daß hier Mary Powl in ihrem Elemente, in ihrem eigentlichen =home= -sei. - -Ihr kurz befehlender Wink nach der einen Ecke bedeutete den dort am Boden -kauernden, anscheinend lesenden Knaben aufzustehen und mich zu begrüßen. -Mit dem Buche in der Hand kam er leise herangeschlichen und schaute -schüchtern zu mir auf. - -Liebkosend strich ich ihm über das schlichte, lange tiefschwarze Haar -und fragte, was er denn so fleißig studiere? Mit stolzem Augenaufschlag -erwiderte er: - -»=Latin=, Sir!« - -Dann hüpfte er wieder behende in seinen Winkel, schlug aufs neue das -Lexikon auseinander und nahm anscheinend keine Notiz mehr von uns. - -Währenddessen stand, den einen Arm an die schlanke, doch kräftige Hüfte -gestemmt, die Indianerin neben mir und verfolgte mit einem Ausdruck von -Befriedigung im Gesichte meine sich immer steigernde Verwunderung. - -An der einen Längenwand des Zeltes, dicht über dem Haupte des Knaben, -hingen die einstigen Waffen, Schild, Speer und Bogen, wie der phantastische -Kopfschmuck mit der wehenden Adlerfeder (dem Abzeichen des Häuptlings) -ihres heimgegangenen Gemahls. Verschiedene indianische Gerätschaften oder -Handwerkszeuge, deren Zweck und Nutzen mir im ersten Augenblicke nicht -recht klar war, bildeten eine originelle, malerische Verzierung um die mit -sichtlicher Pietät gehüteten und bewahrten Überbleibsel einer kurzen, -jedenfalls ruhmvollen Kriegerlaufbahn. Und weiter -- mein Auge irrte -neugierig über hundert mir völlig unbekannte Dinge hinweg. Hier lagen -Jagd- und Kriegstrophäen des stolzen Onundega, ausgestopfte Tiere und -Vögel, Köcher und Pfeile, wie auch seltsamer Federschmuck, dort Sattel- -und Zaumzeug seines Lieblings- oder Streitrosses neben den primitiven -Toilettenartikeln eines besiegten Feindes. Aber -- was war das? Mein Blick -war plötzlich auf etwa sieben bis acht ganz unheimliche Gegenstände -gefallen, die in Manneshöhe, an einem starken Hanfseile aufgereiht, gleich -gefangenen Krammetsvögeln im Dohnenstrich, herabhingen. - -Ein leises Gruseln lief mir über den Rücken und ich fühlte die einstigen -Haare meines jetzt kahlen Schädels sich sträuben. Skalpe -- wahrhaftige, -Original-Skalpe, je nach der Nationalität derselben mit langen oder -kurzen Haaren bedeckt und an ihnen zusammengebunden, baumelten da als -Siegestrophäen über meinem Haupte und mußten einem deutschen Herzen wohl -begreifliches Unbehagen einflößen. - -Unwillkürlich wandte ich das Gesicht rasch nach einer anderen. Mary Powl -gewahrte es und führte mich mit feinem Takt schnell zur entgegengesetzten -Seite des Gemachs, wo eine in der That auserlesene Waffen- und -Gewehrsammlung mein Interesse bald völlig in Anspruch nahm. - -Es gab in Mary Powls =home= überhaupt so viel Merkwürdiges zu schauen, -daß wohl Tage dazu gehörten, alle die sehenswerten Dinge mit Ruhe und -Verständnis betrachten zu können. Etwas indes nahm meine Aufmerksamkeit -besonders gefangen. Dieses war ein höchst eigentümliches, primitives -Lager. Auf einer Art Erhöhung nämlich, von Matten und Bärenfellen -zusammengestellt, halb verdeckt von einem blauweißen Vorhange (blau ist -die Lieblingsfarbe der Indianer), befand sich die Schlafstätte dieser -sonderbaren Frau, und ich dachte dabei unwillkürlich ihrer Worte: daß das -an Abhärtung und Entbehrungen gewöhnte Weib sich mit der verweichlichten -Lebensweise der Weißen nicht befreunden könne. - -Also hier schlummerte Mary Powl, hier träumte sie vom einstigen Glück -und Ruhm -- von der hoffnungsvollen Zukunft ihres Knaben! Hier, umgeben -von Waffen, die noch das Blut der Feinde rötete, umgeben von menschlichen -Skalpen, -- hier fand sie Ruhe nach des Tages Lasten! Ländlich -- -sittlich! Ich hätte mein bequemes Bett im lieben Deutschland mit dieser -Lagerstätte sicher nicht vertauschen mögen. - -Viel gesprochen oder gar bewundert und gelobt habe ich nicht, während wir -miteinander einen Rundgang durch den hochinteressanten Raum machten. Das -dünkte mir in dieser Stunde abgeschmackt und einer Mary Powl unwert. -War doch ihr Gesichtsausdruck tiefernst, als riefen all' die Gegenstände -tausend schmerzliche Erinnerungen wach. Jedes leere Wort erschien mir daher -gleich einer Verletzung ihrer innersten Gefühle. - -Doch plötzlich lächelte sie wieder, indem sie mich aufforderte, sie -in das viel kleinere Nebengemach zu begleiten. Dieses war, ähnlich dem -ersteren, geschmückt und aufgeputzt und diente augenscheinlich ihrem Sohne -als Schlafzimmer, ihr selbst jedoch als eine Art Laboratorium. Wunderliche -Gefäße, Retorten und Phiolen standen dort auf rohgezimmerten Bänken -und Borden umher. Auf dem kleinen Herde dampfte und brodelte es auch, und -große Bündel Kräuter und Pflanzen hingen, sorgsam zusammengebunden, von -der Decke herab. - -Was aber in diesem Zimmer mir noch bemerkenswert vorkam, das war eine -ganz prachtvolle amerikanische Safe (eiserner Geldschrank) neuester -Konstruktion, an welche Mary Powl nun herantrat. Sie entnahm daraus -mehrere kleinere Fläschchen, welche sie mir heiter entgegenreichte mit -dem Bemerken, daß das eine vorzüglich gegen Migräne, jenes unfehlbar zur -schleunigen Beförderung des Haarwuchses diene. - -Mechanisch glitt meine Hand über meine recht bedenkliche Glatze. Allein -ich dankte ihr herzlich für diesen feinen Wink, indem ich erwiderte, daß -ich zugleich mit dem Schmucke des Hauptes auch meine Eitelkeit abgelegt -hätte, ja, daß ich mir lächerlich vorkommen würde, wollte ich -plötzlich wieder mit wallenden Locken im Kreise der heimatlichen Freunde -erscheinen; im übrigen glaube ich an die Unfehlbarkeit ihrer Mixturen. -Zögernd indes setzte ich hinzu, daß, wenn sie mir einige Tropfen jenes -wunderthätigen Mittels gegen die Zahnschmerzen geben wolle, so würde -ich das mit größtem Danke annehmen. Gutmütig nickte sie und holte -geschäftig das Wundermittel, welches mich von peinigender Qual befreit, -mir zugleich aber diese interessante Bekanntschaft vermittelt hatte, aus -der =Safe=. Wie eine kostbare Reliquie bewahrte ich dieses Geschenk auf -meinem Busen. - -»Hier, Sir!« sagte sie darauf, die Thür des Schrankes weit öffnend und -mich näher heranwinkend. »Schauen Sie einmal da hinein und sagen Sie mir, -ob Mary Powl nicht gut und haushälterisch für ihren Sohn gewirtschaftet -hat? Das eine habe ich von den Amerikanern profitiert und gelernt -- das -Rechnen und Spekulieren.« - -Überrascht glitten meine Blicke über den Inhalt des Geldschrankes, und -in diesem Momente schämte ich mich wirklich im stillen meiner unedlen, -garstigen Gedanken, die ich, bevor die Indianerin eintrat, über dieselbe -in dem tiefsten Winkel meines sonst vertrauenden Herzens gehegt hatte. - -Dort lagen Wertpapiere, Staats- und Eisenbahn-Obligationen neben -aufgetürmten Rollen Zwanzig-Dollar-Goldstücken. Auch Häufchen -Goldkörner und unregelmäßige Klümpchen dieses edeln Rohmetalls gewahrte -ich und wurde immer mehr durchdrungen von der Überzeugung, Mary Powl sei -nicht allein eine interessante, anziehende sondern auch sehr vermögende -Frau, welche -- nach europäischen Begriffen -- sich ihr Leben hätte ganz -anders gestalten können. - -»Ich staune über Sie, Madame!« konnte ich nicht unterlassen, in vollster -Bewunderung auszurufen. »Gute Mutter, tüchtige Geschäftsfrau und ein -mutiges, unerschrockenes, stets hilfsbereites Weib, -- das vereint sich -selten in einer Person und verdient die höchste Anerkennung, welche jeder -Ihnen zollen muß!« - -Wieder huschte jener Ausdruck von innerer Befriedigung über ihr dunkles -Gesicht und sie entgegnete dann fast traurig: - -»Hier ernte ich nur Undank, wie unüberwindliches Mißtrauen, welches -sich an meine Fersen zu heften scheint, und es mir gar oft erschwert, die -menschenfeindlichen Gefühle und Regungen des Busens zu bekämpfen. Doch -lassen wir das!« setzte sie abwehrend hinzu. »Wir beide ändern das -nicht. -- Jetzt kommen Sie wieder hinüber in mein =Parlour= und nehmen -einen kleinen Imbiß, Sir!« - -Mir rasch voranschreitend, öffnete sie die Thür des vordersten Gemaches. -Noch einen letzten Blick sandte ich über Mary Powls =home=, dann folgte -ich ihr hinaus. - -Das uns entgegenstrahlende grelle Sonnenlicht, verbunden mit dem Anblick -der modischen Zimmereinrichtung wirkte auf mich beinahe, als wäre ich von -einer Wanderung durch ein Märchenland in die Wirklichkeit zurückgekehrt. -Noch halb wie traumbefangen starrte ich auf das Negermädchen, welches -sich eben damit beschäftigte, Wein, Früchte und feines Backwerk auf einem -Tische zu ordnen und für uns bereit zu stellen. - -Aufs neue betrachtete ich gedankenvoll und kopfschüttelnd das elegante -Porzellan-Service und Glasgeschirr, welches im entschiedensten Widerspruche -stand zu allem, was ich soeben geschaut hatte. - -»Wir führen einen echt amerikanischen Haushalt,« sagte Mary Powl, -meinen Ideengang erratend, mit feinem Lächeln, indem sie mir eine Platte -köstlicher Bananen darbot. Ich nahm eine dieser aromatischen Früchte. - -»Meine kleine Sally« -- sie deutete nach der Thür, durch welche die -Negerin uns verlassen -- »ist die Lehrmeisterin, ich bin die Schülerin -in der höhern Kochkunst; und so geht das wundervoll von statten. Was mir -anfänglich schwer und ungewöhnt ist, das überwinde ich schnell bei dem -Gedanken, daß ich Iron Hand ein Opfer bringe. Die Verhältnisse, in denen -sein späteres Leben dahinfließen wird, bedingen sorgfältige Erziehung. -Einst wird er seiner Mutter das danken. O, Sie sollten nur sehen, -- er -speist mit Messer und Gabel wie ein junger Gentleman!« - -Ungefähr noch eine halbe Stunde verweilte ich in anregendem Gespräch mit -der originellen Frau; dann erhob ich mich. Zwei volle Stunden hatte ich -bereits in ihrer Gesellschaft zugebracht und ich mußte nun gestehen, daß -der Abschied von Mary Powl mir nicht leicht wurde. Der weite Ozean mußte -uns ja gar bald für immer trennen. Ob ich -- in ihrer Sprache zu reden --- das große Wasser noch einmal durchschifft hätte, um _sie_ wieder zu -sehen, wenn ich zwanzig Jahre weniger zählte? Wer weiß es! Jedenfalls -wußte ich heute genau, daß dies ein Abschied fürs Leben war. - -Die Worte, die ich dabei gesprochen, mögen wahrscheinlich recht -nichtssagend und abgeschmackt geklungen haben, indem es nämlich eine -Eigentümlichkeit von mir ist, daß ich, je tiefer innerlich eine Sache -mich berührt, äußerlich desto linkischer und trockener werde. Vom -Tragischen zum Lächerlichen ist bekanntlich nur _ein_ Schritt! Das -sollte jeder bedenken, der einmal in reiferen Jahren von einer kleinen -Gefühlsanwandlung übermannt wird -- umsomehr, da sie selbst, die Witwe -des Irokesenhäuptlings, die freie Tochter der Natur, die Frau ohne höhere -Erziehung und Bildung, mir gegenüber keinen Finger breit aus den Formen -edler, züchtiger Weiblichkeit herausgetreten war. Taktlos und indiskret -wäre es daher gewesen, hätte ich mit Blicken oder banalen Redensarten -verraten wollen, daß sie mich aufs Lebhafteste interessiere, daß ich -wirkliches Gefallen an ihr fand. - -Einen Moment hielt sie meine Hand fest in der ihren und schaute mich mit -den brennenden Augen an. Der Knabe war gleichfalls herangetreten und lehnte -sich, zärtlich angeschmiegt, an die Mutter. - -»Ich danke Ihnen für reizvolle, genußreiche Stunden, Sir!« sagte sie in -ihrer schlichten, ruhigen Weise. »Nur selten wird mir das Glück zu teil, -mich frei von der Seele herunter aussprechen zu können. Liegt doch der -Trieb, ja das Bedürfnis hierzu in jeder Menschenbrust. Lange werde ich -über alles, was Sie mir erzählt, nachdenken und weise Lehren daraus -schöpfen für Iron Hand.« - -Einige Sekunden legte ich meine Rechte auf des Knaben Haupt und fragte: - -»Du willst ein kluger Mann -- ein berühmter Arzt werden und Deiner Mutter -treue Liebe und Fürsorge für Dich einst hundertfach vergelten -- nicht -wahr, mein Junge? Sie verdient es im reichsten Maße!« - -Ein strahlendes Aufblitzen der dunklen Kinderaugen gab mir Antwort. - -So schieden wir. -- -- -- - -Jahre sind seitdem dahingezogen. Aber noch oft und gern verweilen meine -Gedanken drüben in der großen Empire City Amerikas bei Mary Powl. - -Die kleine Flasche, welche sie mir damals mitgegeben, hat noch manchmal -ihre wunderthätige Kraft bewährt, sowohl an mir selbst, als auch an -anderen. Stets hat es mir Freude gemacht, im edlen Sinne der gütigen -Spenderin zu wirken und zu helfen. Jetzt ist sie längst geleert. - -Wenn indes einer meiner verehrten Leser oder Leserinnen sich zu einer -interessanten Reise über das Meer und nach New York entschlösse und -drüben von Zahnschmerzen geplagt werden sollte, so rate ich dringend, -nicht zu versäumen, sich auf eine einsame Bank im entlegendsten Teile -des Zentralparks niederzulassen. Vielleicht -- ich sage nur vielleicht --- begegnet ihm dort meine Freundin Mary Powl, die Indianer-Squaw. Ihre -Adresse darf ich diskretionshalber nicht verraten. - -Ob sie noch lebt? Ob Iron Hand ihren stolzen, gerechten Hoffnungen -entsprochen haben wird? -- - -Ich habe von beiden niemals wieder etwas vernommen. - - - - -Amerikanische Existenzen. - - -Die Mittagsglut eines Julitages brütete über dem Madison-Square von New -York, dessen weite Räumlichkeit mir heute beinahe noch endloser -erschien als sonst. Fast senkrecht schleuderte die Sonne ihre glühenden -Strahlenbündel auf den weich gewordenen Asphaltboden nieder, so daß -dieses von stattlichen Häusern eingefaßte große Flächenquadrat völlig -schattenlos vor meinen Blicken lag. - -Ich zog den wahrhaft monströsen Sonnenschutzschirm noch tiefer über mein -gefährdetes Hirn, that mehrere schwere Stoßseufzer und strebte, einen -heroischen Anlauf nehmend, vorwärts über den Platz -- meinem Ziele zu. - -Wer jemals einen amerikanischen Sommertag in New York erlebt hat und der -Gefahr ausgesetzt gewesen ist, vom Sonnenstich betroffen zu werden, der -kennt solche Situation genau. Allein sich sträuben oder gar klagen -half hier nichts, indem ich vorwärts mußte, das heißt, mich von der -Eisenbahnstation aus auf der Wohnungssuche befand und noch vor Abend mit -Sack und Pack in einem guten und bequemen Boardinghouse untergebracht zu -werden wünschte. - -O New York! Du Eldorado aller nach Fortunens Schürzenzipfel haschenden -Deutschen! Wie erfreute mich trotz Hitze und Staub der Anblick der -langentbehrten Metropole der Union, wie hatte ich in Tagen der Trübsal und -des Kampfes ums Dasein mit sehnsüchtigem Verlangen deiner gedacht und das -grausame Schicksal verwünscht, welches mich Jahr um Jahr an den fernen -Westen gebunden. Endlich jedoch schien die launische Göttin ein Einsehen -und Erbarmen mit mir gehabt zu haben. Ein Glücksfall ließ meine -wirklichen oder vielleicht auch nur eingebildeten Talente und Geistesgaben -doch schließlich zur vollen Geltung kommen. Durch die vorsorglich -zurückgelegten Ersparnisse saurer Arbeit und eine, wie durch -höhere Inspiration plötzlich in mir erwachte, fast amerikanische -Unternehmungslust und Dreistigkeit bemühte ich mich um die Partnership -einer der renommiertesten Advokaturen New Yorks und -- erhielt sie. Jetzt -war ich ein gemachter Mann. Denn ich kannte die Verhältnisse Amerikas zu -gut, um nicht überzeugt zu sein, daß ich den mühsam errungenen Platz -auch würde behaupten können. Wie ganz anders waren daher die Empfindungen -meiner Brust gegen diejenigen vor fünf Jahren, wo ich mit wenigen hundert -Mark in der Tasche vom Steamer des Bremer Lloyd ans Land stieg. Mit stolzem -Selbstgefühl betrat ich nun zum zweiten Male den Boden der Empire-City. -Die alten Freunde aus jener Sturm- und Drangperiode meines Debuts im -Heim des allmächtigen Dollars hatte ich indes darob nicht vergessen und -erinnerte mich freudig einer alten Amerikanerin Miß Kathleen Emmerson, -in deren gastlichem Hause ich bereits damals -- dank ihrer Rücksicht -auf meine knappe Barschaft -- unter angenehmen Bedingungen einige -Wochen verbringen durfte. Mit Miß Kathe, wie das liebenswürdige und -menschenfreundliche alte Fräulein von all ihren Bekannten zu jener Zeit -kurzweg benannt wurde, hatte ich später auch ab und zu in Korrespondenz -gestanden und wußte demnach, daß ihre pekuniäre Lage sich gleichfalls -bedeutend verbessert und sie anstatt des kleinen Kosthauses in -St. Marks-Place jetzt ein elegantes Boardinghouse in der 24. Straße -zwischen der 5. und 6. Avenue inne hatte. - -Dorthin also lenkte ich meine Schritte. Das Äußere desselben entsprach -vollkommen meinen Erwartungen. Wenigstens zählte es zu den sogenannten -guten Brownstone-Houses der City, welche die Straßen der oberen Stadtteile -New Yorks zieren und alle ohne Ausnahme wie nach einer Schablone gearbeitet -zu sein scheinen. - -Beim Eintreten gewahrte ich, daß an der mit massivem Gußeisengeländer -versehenen steinernen Vortreppe ein Wagen der New York-Expreß-Compagnie -hielt und verschiedene Gepäckstücke, darunter auch ein wahrer -Monstre-Koffer, abgeladen und ins Haus hineingetragen wurden. »Aha!« -dachte ich mit Befriedigung. »Auch die heiße Jahreszeit thut allem -Anschein nach dem Geschäfte meiner alten Freundin keinen Abbruch. -Gratuliere, Miß Kathe! Solch enorme Bagage-Zahl deutet auf noble und -ständige Gäste.« - -Lebhaft sprang ich nun die sechs bis acht Stufen hinan und trat durch die -bereits offenstehende Eingangsthür. Mehrere Personen, dabei natürlich -auch Miß Emmerson, befanden sich auf dem etwas düsteren Vorflur, als -auch schon der freudige Ruf -- in eigentümlich accentuiert gesprochenen -deutschen Worten mir entgegenklang: - -»Kann ich denn meinen Augen trauen? Sie sind es wirklich, Herr Baron -von ...?« - -»Pst, pst! Lassen wir doch die einstigen Titel und Würden beiseite!« -entgegnete ich lachend und ebenfalls auf deutsch: »Mr. Richard Berken, -Teilhaber der Firma Haberton & Comp. am Broadway, steht heute vor Ihnen, -meine Liebe, und möchte höflich bitten, ihm ein bescheidenes Stübchen in -Ihrem gastlichem Hause anzuweisen, Miß Kathe!« Damit schüttelten wir uns -beide wahrhaft herzlich die Hände. - -Neugierig und mit höflicher Verbeugung schielte ich dabei nach der aus -drei Damen und zwei Herren bestehenden Gesellschaft, welche, in Anbetracht -ihres mit der Hauswirtin unterbrochenen Geschäftes, dem Anschein nach -ziemlich ungeduldig drein schaute. Daher sagte ich zuvorkommend und -entschuldigend, daß ich nicht länger stören wolle. - -Diese verbindliche Äußerung entschlüpfte mir einzig nur wegen des -reizenden Gesichtchens der jüngsten dieser drei eleganten Ladys, deren -blaue Kinderaugen in ernstlich forschendem Ausdruck auf mir hafteten. Dann -folgte ich mit kurzem: »Auf Wiedersehen, Miß Emmerson!« dem durch die -Hausfrau avertierten Neger die Treppe zur oberen Etage hinan. -- - -Um sieben Uhr abends war das gemeinschaftliche Diner, welches alle -Logiergäste des Hauses im Speisesaale versammelte. Ich selbst, bereits -vollständig häuslich eingerichtet, war einer der ersten Ankömmlinge -gewesen und hatte mir die recht hübsch arrangierte Tafel mit Muße -betrachten, wie auch jeden neu Eintretenden eingehend mustern können. - -Halt! Jetzt stutzte ich. Da kam ja meine fashionable Gesellschaft von heute -vormittag, deren voluminöse Koffer schon meine ganze Aufmerksamkeit auf -sich gelenkt, soeben aus der Halle. Voran eine große, brünette Dame -mittleren Alters mit auffallend harten, fast fatalen Gesichtszügen, deren -elegante Seidenrobe mir zu der starkknochigen Gestalt wenig im Einklang zu -stehen schien. Neben ihr schritt eine sehr schlanke, beinahe ätherische, -junge Frau, -- nach meinen unerfahrenen Toilettebegriffen ganz reizend und -distinguiert in einen hellen, undefinierbaren Sommerstoff gekleidet, dessen -roter Seidengürtel und Bandgarnitur den zarten Teint des schmalen Ovals -gar vorteilhaft hob. Trotz der Verschiedenheit der Gesichter zeigte ein -merkwürdig ähnlicher, halb bitterer, halb verdrossener Zug um den Mund, -daß das Mutter und Tochter sein mußten. Ihnen folgten ein mittelgroßer, -hagerer Mann mit militärisch verschnittenem Haar und braunem, -intelligentem Gesichte und meine allerliebste Unbekannte aus dem Vorsaal -- -mit den mir bereits bekannten, mich so sehr anheimelnden blauen Augen. - -Welch poetische Erscheinung! dachte ich lebhaft angeregt. Dieses -hellblonde, gewellte Haar, dieses mädchenhaft zurückhaltende, dabei doch -so edle Auftreten, dieser fast schüchterne Blick -- dies alles entrückte -mich für Sekunden der Gegenwart, ja dem Lande, in dem ich mich befand, -und ließ schmerzliche Erinnerungen an traute deutsche Frauengestalten in -meiner Seele auftauchen. - -Im größten Gegensatze zu den anderen Damen entbehrte der Anzug meiner -»Beauty« fast jedweder Eleganz. Ein schlichtes, aber um so reizenderes -Kleid von feinem grauem Wollstoff bildete die Toilette -- =voilà tout=! - -Völlig in meinen Reflektionen versunken, vergaß ich, mich daran zu -erinnern, daß noch ein zweiter Herr, ein auffallend gut aussehender junger -Mann, diesen Morgen beim Eintreffen der Gesellschaft zugegen gewesen. - -Alsbald führte Miß Emmerson mich mit dem simplen Namen: Mr. Richard -Berken bei allen Anwesenden ein und wies uns die Plätze an. Doch wer -beschreibt meine freudige Überraschung: als ich aufschaute, sitzt die -liebreizende Blondine dicht an meiner Seite. - -Sonderbar! Dieser kurze Aufblick aus ihren Augen glich fast einem -stummen Verhör. Instinktiv fühlte ich, daß sie mit echt amerikanischer -Scharfsichtigkeit sich einen sowohl das Individuum, als auch dessen -Charakter und Nationalität betreffenden Eindruck festzuhalten und sich -einzuprägen suchte. - -»Sie verstehen englisch, Sir?« fragte mich die liebliche Tischnachbarin -mit den aus ihrem Munde reizend klingenden Tönen ihrer Muttersprache. - -Freudig bejahte ich es, und bald kam unsere Unterhaltung in guten Fluß. -Nur sah ich mit Verwunderung auf ihre allerliebsten Hände, wie sie von -allen ihr servierten Gerichten, außer daß sie sich selbst versorgte, noch -reichliche Quantitäten auf bereits vor ihrem Platze stehende Teller legte -und diese dann sorglich mit einem kleinen Schüsselchen bedeckte. Sie -selbst aß hastig und zerstreut. - -Was bedeutete nur das? Als Mann von guter Erziehung wagte ich natürlich -nicht, danach zu fragen. Doch mochten meine Gesichtszüge wohl einige -Neugierde verraten haben; denn lachend -- es war dies genau ein verlegenes -Kinderlachen -- sagte sie: - -»Dies ist für Frank, meinen Gatten, Sir! Er leidet schon seit längerer -Zeit an einer sehr fatalen, unbequemen Magenverstimmung, kann infolgedessen -nicht jedes Gericht vertragen und somit auch nicht mit uns an der Tafel -speisen. Aber es freut ihn immer so sehr, wenn ich selbst ihm sein -bescheidenes Diner hinaufbringe, -- der arme Franky!« - -»O, wie betrübend!« entschlüpfte es unwillkürlich meinen Lippen. Doch -wäre es gewiß schwer festzustellen gewesen, ob der Ausruf des Bedauerns -der üblen Magenverstimmung des armen Franky oder dem Umstande gegolten, -daß mein holder Blondkopf bereits einen Ehemann besaß. Das also war der -gut aussehende Gentleman, welcher an der Gesellschaft fehlte und den ich -diesen Vormittag schon von Angesicht gesehen! - -Wirklich erhob sich nun nach einer Weile die junge Frau, ließ von dem -aufwartenden Neger sich ein Präsentierbrett reichen, arrangierte darauf -die verschiedenen Teller und verließ damit geräuschlos den Speisesaal. -Die übrigen Tischgäste mochten den kleinen Vorfall wohl kaum bemerkt -haben. An meiner Nachbarin rechter Seite saß ein alter Herr mit blauer -Brille, welcher überhaupt miserabel zu sehen schien. Nur Miß Emmerson -warf mir vom anderen Ende des Tisches einen seltsam bedeutungsvollen Blick -herüber, welcher mir nun auch sofort klar machte, warum sie gerade mich an -die Seite der reizenden Amerikanerin placiert hatte. - -Nach beendeter Mahlzeit, als ich schon den Hut in der Hand hielt, um dem -schwülen Speisezimmer zu entfliehen, und hastig hinausstrebte in den -herrlichen Sommerabend, faßte unsere freundliche Wirtin mich plötzlich am -Rockärmel und drängte mich etwas nach einer Fensternische. - -»Ich glaube aus unbedeutenden Reden und Anzeichen leider bemerkt zu haben, -daß hinter dem ganzen Auftreten der Newlands irgend etwas Mystisches -steckt,« flüsterte sie auf deutsch mir ins Ohr -- eine Sprache, welche -die alte Dame in der Praxis, das heißt, in jahrelangem Verkehr mit meinen -Landsleuten, wohl erlernt haben mochte. »Meine große Menschenkenntnis hat -mich noch selten getäuscht, und man könnte, wenn man sich die Zeit -dazu nehmen wollte, zu spionieren, gerade hier vielleicht interessante -Entdeckungen machen. Wir leben aber im glücklichen Lande der Freiheit, Mr. -Berken, und so denke ich, wir lassen jeden ruhig seinen Weg gehen, -- nicht -wahr? Die Newlands zahlen brillant, und mein Haus will bestehen. Alles -übrige geht mich nichts an, wenigstens soweit meine Logiergäste nicht -mit dem Gesetze in Konflikt kommen. Denn darin verstehe ich keinen Spaß. -=Well=, mein Freund! Wir kümmern uns also nicht weiter um dieser Familie -Privatangelegenheiten, noch darum, ob und weshalb Mr. Newland nicht zum -Diner kommt?« - -»Ganz gewiß nicht, Miß Kathe!« entgegnete ich bereitwilligst und heiter -lachend. »Mich interessierten anfänglich nur die auffallend schönen -Augen meiner jungen Tischnachbarin. Doch seit ich erfuhr, daß diese Dame -bereits einen Gatten hat, ist der sie vorher umgebende Nimbus schon ganz -gewaltig geschwunden.« - -»O, immer noch der alte Schelm!« drohte mir Miß Emmerson mit dem Finger. -»Nun, =good evening=, Mr. Berken!« Damit winkte sie mir freundlichst zu -und ich ging meines Weges. - -Man spricht zuweilen in vollster Überzeugung, die Wahrheit gesagt zu -haben, doch trotz alledem eine recht handfeste Lüge aus und gelangt oft -erst durch Zufall hinter solchen Betrug heimtückischer Schicksalsmächte. - -»Seit ich weiß, daß die schöne Mrs. Newland einen Gatten hat, ist ihr -Nimbus gewichen,« hatte ich spöttisch geäußert, und war natürlich -gänzlich davon durchdrungen, daß jene Leute mir total gleichgültig -bleiben würden. Es sollte indes anders kommen. -- - -Etwa 14 Tage mochten wir nun in Miß Emmersons stillem, komfortablem -Boardinghouse wohnen, als etwas sich ereignete, was mein anfänglich -lebhaftes, dann standhaft zurückgedrängtes Interesse für die liebliche -Mrs. Newland plötzlich wieder neu anfachte. Meine anstrengenden -Berufspflichten hielten mich zwar von früh acht Uhr bis nachmittags vier -Uhr in der Office am Broadway fest. Allein ich fand immer noch Zeit genug, -einige gemütliche Stunden im Parlour oder auch auf Miß Kathes luftigem -Balkon zu verbringen. Nach wie vor konversierte ich über allerlei harmlose -Tagesereignisse mit meiner hübschen Nachbarin bei Tische; auch trug nach -wie vor die vorsorgliche Gattin ihrem armen Frank die Speisen hinauf in -sein Zimmer. Aus der Unterhaltung mit ihr erfuhr ich nach und nach, daß -die alte Dame, welche meine Sympathien durchaus nicht erwecken konnte, die -Mutter von Frank Newland, sowie der schlanken jungen Frau sei, deren Mann -mir als Major irgend eines Miliz-Regiments, als Mr. Fowler, vorgestellt -worden war. Meine blonde Freundin erzählte ferner =en passant=, daß sie -schon drei Jahre verheiratet wäre und mit der Familie ihres Gatten früher -in Chicago gelebt, wo ihre Schwiegermutter eine Agentur für den Export -von Nähmaschinen besessen, das Geschäft jedoch aufgegeben habe, um wegen -Franks Kränklichkeit die besten New Yorker Ärzte zu konsultieren. - -Nach dieser Richtung hin war ich also völlig orientiert, und doch mußte -ich mir im Gespräche mit der hübschen Frau oft den größten Zwang -anthun, um sie mit indiskreten Fragen über Dinge nicht zu belästigen, die -mich von rechtswegen und auch rücksichtlich Miß Emmersons Gebot ganz und -gar nichts angingen. Warum kam die Familie Newland gerade in der heißesten -Zeit nach New York, welches dann außer den Geschäftsleuten alle anderen -Menschen fliehen? Was that eigentlich dieser intelligent und schlau -aussehende Mr. Fowler, und womit beschäftigte sich den lieben langen Tag -der von seiner besseren Hälfte, wie ich wahrgenommen, so vergötterte -Franky, indem er stets erst nach Sonnenuntergang das Haus verließ und das -immer nur allein? - -Wer konnte es mir verdenken, daß ich als thätiger Mann solch seltsame -Verhältnisse mir nicht recht zu erklären vermochte! Während dieser 14 -Tage war es mir auch nur ein einziges Mal vergönnt gewesen, den Gatten -meiner Tischnachbarin zu sprechen; das heißt, wir trafen uns eines Abends, -als ich von einem Spaziergange nach Hause zurückkehrte, auf der Treppe. Da -ich ihn sofort erkannte, redete ich ihn freimütig an. - -Das helle Licht der im Hausflur brennenden Gasflamme beleuchtete dabei -grell sein schmales, auffallend edel geformtes Gesicht und ließ mich in -ein Paar sehr ernste, fast finstere Augen schauen. Deutlich merkte ich, -daß er mir auszuweichen suchte; doch hartnäckig vertrat ich ihm den Weg -und sagte ihm rasch einige bedauernde Worte über sein Leiden. Nur lässig -zuckte er die Achsel mit der kurzen Bemerkung: »Sehr gütig, Sir!« - -Darauf erging ich mich in Lobeserhebungen über seine schöne, geistreiche -Frau, hoffend, eine eifersüchtige Regung würde ihn vielleicht aus seiner -stoischen Ruhe aufrütteln. Doch vergebens! Er freue sich sehr, daß Mrs. -Newland angenehme Unterhaltung bei Tische gefunden, lautete die abweisende -Antwort. Dann lüftete er den Hut und ließ mich stehen. - -»Welch ein seltsamer Mann!« dachte ich, zwar halb ärgerlich, trotzdem -aber von dieser Erscheinung angesprochen. Immer deutlicher trat daher die -Überzeugung an mich heran, daß ich hier vor einem Rätsel mich befand. - -Eines Morgens nach dieser Begegnung empfing mich mein Partner, Mr. -Haberton, ein sonst kühler und stiller Geschäftsmann, in der Office -mit sichtlich aufgeregter Miene, indem er mir sofort sechs Stück -Zwanzig-Dollars-Scheine vor die Augen hielt und zornig heraussprudelte: -daß dies jämmerliche Falsifikate seien, daß wir auf eine nichtswürdige -Weise um 120 Dollars betrogen worden, und daß einer seiner Clerks ihm -soeben erzählt habe, während der letzten Tage seien mehrere ähnliche -Fälle in New York vorgekommen und die City müsse einmal wieder mit -falschen Greenbacks (Kassenscheinen) überflutet sein. - -Angenehm erschien mir dieses betrübende Faktum keineswegs, da ich bei -diesem kleinen Verluste natürlich selbst beteiligt war. Allein wenn ich -von Natur nicht ein realistisch angelegter, dabei höchst aufgeklärter -Mensch wäre, so hätte ich mich in diesem Momente beinahe auf -spiritistischem Gebiete ertappt. Denn -- plötzlich sah ich in meiner -Einbildung -- dort über dem kahlen Schädel Mr. Habertons -- das -schöne, todestraurige Gesicht von Frank Newland auftauchen, nur mit dem -Unterschiede, daß die ernsten Augen sich jetzt in einem flehenden -Ausdruck auf mich richteten. Dieses sonderbare Vermengen des Wirklichen und -Phantastischen meinerseits ließ mich -- vielleicht nach meines Partners -Ansicht -- wohl höchst stupid und gleichgültig dreinschauen. Denn er -faßte mich nun ein wenig unsanft bei der Schulter und rief: - -»Sie müssen ein Krösus sein oder Sie kennen den Wert des Geldes bei -uns noch nicht genau, mein lieber Mr. Berken! Denn 120 Dollars wirft wohl -keiner gern umsonst zum Fenster hinaus!« - -Erschreckt fuhr ich auf. Unsinn! Nicht die Spur eines fremden Gesichts war -mehr zu schauen. Ich war ein Narr. - -»Mein lieber Mr. Haberton!« erwiderte ich daher rasch mit der verzweifelt -traurigsten Miene, die ich nur anzunehmen vermochte. »Der Schreck -über unseren Verlust machte mich ganz sprachlos. Der Kukuk soll alle -Falschmünzer Amerikas holen, und wenn ich mich von einem solchen Halunken -je wieder über den Löffel barbieren lasse, so will ich nicht mehr wert -sein, ein Partner der Firma Haberton & Comp. zu heißen!« - -Er schien zufrieden, und im Laufe des Gespräches erfuhr ich dann -noch, daß schon vor mehreren Wochen die Polizei einer großen -Falschmünzer-Gesellschaft, welche aus einer völlig organisierten Bande -bestehen sollte, in St. Louis auf der Spur gewesen. Doch die Schlauköpfe -der Spitzbuben sind oft pfiffiger als die Schlauköpfe des Gesetzes, und so -wäre denn das vorsichtig umstellte Nest der sauberen Vögel doch leer und -von ihnen verlassen gefunden worden. Man spräche indes viel darüber, -daß das Haupt dieser Koterie ein Frauenzimmer sei, welches mit wahrhaft -genialer Geschicklichkeit die feinsten Fäden ihres Einflusses bis in alle -Staaten zu spinnen verstände und ihre Verbindungen in Kreisen haben solle, -wo kein Mensch einen Falschmünzer zu suchen wage. - -Ich glaube, daß ich an diesem Vormittage recht zerstreut bei der Arbeit -war und wirklich Gott dankte, als ich die steinernen Stufen zu Miß -Emmersons Boardinghouse emporsteigen durfte. - -Bei Tische überschaute ich mir sinnend die Gesichter der Familie Newland. -Kerzengerade saß die Alte auf ihrem Platze. Wieder umrauschte eine schwere -Robe ihre Gestalt, während ein feines Spitzengewebe auf ihrem noch dunklen -Scheitel lag und mehrere prächtige Solitäre die Finger schmückten. -Doch als ich mir gerade diese starkknochigen, unschönen Hände näher -betrachtete, mit denen sie eben die Speisen zum Munde führte, konnte -ich mich des Gedankens nicht erwehren, daß dieses Mannweib, bevor der -Bruderkrieg der Union entflammte, sehr wohl eine jener gefürchteten -Sklavenaufseherinnen der Südstaaten hätte sein können, die, mit der -eisenbeschlagenen Hetzpeitsche in der Hand, ihre unseligen Opfer in Zucht -und Ordnung gehalten. - -Unangenehm berührt durch solchen Ideengang, wandte ich mich den -liebreizenden Zügen meiner jungen Nachbarin zu. Sie lächelte mich heute -ein wenig traurig an und meinte, daß Franky sich gar nicht recht frisch -und heiter befände. Die Langeweile, zu der ihn die Ärzte verdammt, sei -doch gar zu geisttötend. - -»So lesen Sie ihm doch vor, Madame!« warf ich freundlich beschwichtigend -ein. - -»O, er haßt ja alle Lektüre, außer Zeitungen, und darin stehen doch -immer die meisten Lügen!« entgegnete die schöne Frau halb trotzig. - -»Nicht immer, Mrs. Newland!« sagte ich dabei sehr ruhig, aber ernst, und -hob mein Auge langsam zu dem ihren. »Der ›New York Herald‹ wird -zum Beispiel in den allernächsten Tagen recht interessante Entdeckungen -offenbaren, die keinesfalls der Phantasie eines eifrigen Zeitungs-Reporters -entsprungen, sondern der Wirklichkeit entnommen sind.« - -Und völlig unbefangen erzählte ich ihr darauf von unserem kleinen -Geldverluste und den Mitteilungen Mr. Habertons. - -Im nächsten Augenblicke jedoch bereute ich das eben Gesagte schon aufs -tiefste. Denn die Veränderung, welche nach meinen Worten in Mrs. Newlands -Zügen sich ausprägte, war eine so entsetzliche, ja beängstigende, -daß ich selbst ganz verwirrt davon wurde und beinahe hilflos verlegen -stotterte: ob sie sich nicht wohl fühle? Das sonst so weiße und rosige -Antlitz war für mehrere Minuten von einer fast bleigrauen Blässe -überzogen. Die Augen starr und ausdruckslos auf einen Punkt gerichtet, die -Lippen krampfhaft zusammengepreßt -- so lehnte das schöne Geschöpf im -Sessel. - -»Nein -- nein -- ja -- die Hitze bringt mich um!« stöhnte sie, mit -vieler Mühe sich ermannend, indem sie halb mechanisch nach dem vor ihrem -Platze stehenden Eiswasser langte. - -Zuvorkommend und selbst äußerst erschreckt, reichte ich ihr das -Glas, woraus sie hastig einige Schlucke des kühlenden Getränkes -hinunterstürzte. Dann -- es war bereits gegen Ende der Mahlzeit -- schob -Mrs. Newland mit sichtlicher Kraftanstrengung den Stuhl zurück und erhob -sich. - -»Ich muß mich leider hinaufbegeben; etwas Migräne, die mich zuweilen -in schwülen Zimmern befällt --, weiter ist es nichts. Gute Nacht, Mr. -Berken! Bitte, thun Sie aber dieses Vorfalls gegen niemanden Erwähnung!« - -Jetzt traf mich ein wahrhaft flehender Blick der blauen Augen. Darauf -schlüpfte die graziöse Gestalt flüchtig und noch geräuschloser als -sonst aus dem Zimmer. -- - -Die nächsten acht Tage ging ich einher, wie jemand, der sich vielleicht -mit einem großartigen Wagstück herumträgt und nicht recht zu einem -festen Entschlusse gelangen kann, auf welche Weise dasselbe auszuführen -sei. »Thun Sie aber dieses Vorfalles gegen niemand Erwähnung!« hatte Mr. -Frank Newlands Gattin mir bittend zugeflüstert. Die Zunge hätte ich mir -lieber abbeißen mögen, ehe ich nur eine Silbe von dem verraten, was seit -jenem Abend -- ja seit dem Morgen, als Mr. Haberton mir in der Office die -falschen Banknoten gezeigt, in meinem Innern vorging. Jeder andere, selbst -meine alte Freundin Miß Kathe, wenn ich ihr das zu jenem waghalsigen -Unternehmen bereits eingesammelte und notwendige Material mitgeteilt, -würde mich auch sicher gründlich ausgelacht und abwehrend etwa geäußert -haben: »Mein Bester, das sind deutsche Thorheiten! Wer Schmutz anfaßt, -der darf sich nicht wundern, wenn etwas davon an den Händen kleben -bleibt!« -- Doch einerlei! Was ging mich die amerikanische Herz- und -Gefühllosigkeit hinsichtlich unserer Mitbrüder an, wo eine innere Stimme -mich unwiderstehlich antrieb, in das dunkle Geschick zweier Menschen, die -mich sympathisch anzogen, einzugreifen -- zu helfen -- zu retten, solange -es noch Zeit war. -- -- - -Die Familie Newland schien seit den allerletzten Tagen sich in sonderbarer -Erregung oder Erwartung zu befinden. Mr. Fowler war höchst wenig zu sehen -und schien dringende auswärtige Geschäfte zu besorgen. Dafür aber saßen -seine Gattin und Schwiegermutter, mit Sorge und Ungeduld der Rückkehr des -Abwesenden harrend, oft bis gegen elf Uhr abends auf dem Balkon. - -»Wir lieben es, die erfrischende Nachtluft zu genießen,« hatte die zarte -junge Frau einmal mit süßem Lächeln zu Miß Emmerson geäußert, und -niemand störte sie darin. - -Mittlerweile brachten die New Yorker Zeitungen, wie ich bereits -vorausgesagt, wirklich eine Menge haarsträubender und mitunter auch -lächerlicher Artikel über den mutmaßlichen Aufenthalt der gefährlichen -Falschmünzergesellschaft, welche an Falsifikaten schon ein Kapital -in Umlauf gesetzt haben sollte, das bereits mehr denn eine Million -repräsentiere. Einerseits hieß es: das Haupt der Sippe befände sich -völlig ungeniert und seelenvergnügt in unserer City; andererseits -lauteten die Berichte, daß die so schlaue, vielleicht auch nur mythenhafte -»Dame« sich in Chicago aufhielte. Auf jeden Fall aber hoffe die Polizei, -dieses Mal einen brillanten Fang zu thun und ihrer wirklich habhaft zu -werden. - -Meine junge Tischnachbarin hatte seit jenem Migräneanfall jetzt oft so -sonderbar rote und geschwollene Augen, und das reizende Kinderantlitz -dünkte mir auch schmäler geworden, als ob irgend ein Gram oder heimliches -Weh an dem Herzen des lieblichen Geschöpfes nage. Sie sprach wenig und aß -fast nichts. - -Dagegen machte ich die Entdeckung, daß sie mit ihrer Schwiegermutter -auf höchst gespanntem Fuße zu leben oder -- richtiger gesagt: unter -dem Despotismus dieser Frau zu leiden schien. Bestärkt wurde ich noch in -meiner Idee, als ich beim Vorüberschreiten an Mr. Franks Zimmer, welches, -wie diejenigen seiner Mutter und Schwester, in der ersten Etage des Hauses -lag und dessen Thür ein wenig offen stand, -- einmal, ohne im mindesten -lauschen zu wollen, die harte Stimme des mir so widerlichen Weibes zu ihrem -Sohne deutlich sagen hörte: - -»Und wenn Du Dich hier am Boden zu meinen Füßen winden würdest, ich -gebe Dir dennoch die Freiheit nicht zurück, weil das Wohl und Wehe eines -einzigen gegen die Existenz und Sicherheit von uns allen nicht in Betracht -kommt. Wir brauchen Dich und das genügt!« - -»Und darüber wird Frank zugrunde gerichtet! Siehst und fühlst Du denn -das nicht, Mama?« vernahm ich jetzt auch die fast schluchzende Stimme -meines kleinen, blonden Lieblings. Wie erstarrt zögerte ich einen Moment. - -»Gut; dann geht er eben zugrunde, wenn er eine Memme -- ein Feigling -ist!« klang es nochmals aus dem Munde dieser Mutter zurück. - -Dann stürmte ich, Abscheu und Wut im Herzen, die Treppe hinan nach meiner -Wohnung. -- -- - -Am selben Nachmittage kam ein feingekleideter, gut aussehender älterer -Herr ins Haus und wünschte Miß Emmerson zu sprechen. Zufällig war ich -selbst mit unserer Hauswirtin im Parlour anwesend, welche mich lächelnd -bat, dazubleiben. - -Nicht umsonst hatte ich die Carriere eines Advokaten in diesem Lande -absolviert, um in dem Eintretenden nicht sofort den Detektiv der -Geheimpolizei zu vermuten. Ein scharf prüfender Blick seines dunklen Auges -glitt im Nu auch über meine unbedeutende Person herab. Doch als Miß Kathe -ihm meine Beziehungen zu der Firma Haberton & Comp. genannt, wurde mir -augenblicklich ein sehr verbindliches: »=How do you do, Sir?=« zu teil, -und nun erst rückte der Besucher, wenngleich noch immer vorsichtig, -mit seinem Anliegen an den Tag. Miß Emmerson solle sein zudringliches -Erscheinen nicht etwa übel deuten, meinte er, Platz nehmend, wobei er den -großen Diamanten an seinem kleinen Finger im Lichte der durchs Fenster -dringenden Sonnenstrahlen spielen ließ. Allein, wie manche Erfahrungen -bereits bewiesen, befänden sich Persönlichkeiten, deren Antecendenzien -mit dem Wortlaute der Gesetzbücher oft nicht recht übereinstimmten, -zuweilen vorzugsweise in den allerfeinsten und fashionabelsten -Boardinghäusern, um soviel als möglich den äußeren Schein zu wahren und -jeden Verdacht von sich abzulenken. Er müsse so unbescheiden sein und um -die Namen und Berufsarten ihrer Hausbewohner bitten. - -Miß Kathe machte trotz dieser glatten Worte ein höchst empörtes und -wütendes Gesicht und rief in der ihr charakteristischen, etwas derben -Trockenheit: ihr Haus berge glücklicherweise nur äußerst respektable -Leute, und wenn dem Herrn ihre Aussage nicht genüge, so fordere sie ihn -auf, heute abend das Diner mit sämtlichen Gästen einzunehmen, was sicher -den Beweis führen würde, daß er dieses Mal auf gänzlich falscher -Fährte sei. - -Herr des Himmels, welche Unvorsichtigkeit von Miß Kathe! Dieselbe -entsprang einzig ihrem völlig unbefangenen Gemüte, dachte ich entsetzt, -und stand wie auf Kohlen in meiner Fensternische, in die ich mich -zurückgezogen hatte. Wenn dieser Spürhund etwas davon erfuhr, daß Frank -Newland die Gesellschaft so auffallend mied und allein auf seinem Zimmer -speiste, wenn ... - -Jetzt erschrak ich fast über meine seltsame Bangigkeit. War es denn -möglich, daß ich selbst, ein Mann des Gesetzes, noch dazu ein Mensch, -welcher jede lichtscheue That aus tiefster Seele verachtete, ja dessen -Lebensaufgabe darin bestand, das gefährdete Recht, wo immer es galt, zu -vertreten, daß ich also selbst für diesen unseligen jungen Verirrten und -dessen Frau Partei nahm, -- daß ich gegenüber der Sicherheitsbehörde New -Yorks mich zu ihrem Schutze bereits aufzustellen gedachte, anstatt daß ich -vor diesen Mann dort hintrat und ihm frank und frei alle Entdeckungen -der letzten Tage offenbarte. Denn was ging mich schließlich dieser -Frank Newland nebst seiner blonden Gattin an? Oder war diese mir selbst -unerklärliche Sympathie für jene Menschen vielleicht doch etwa ein Wink -von oben? - -»Danke bestens, sehr verbunden, Miß Emmerson!« lautete indes zu meiner -größten Beruhigung des Detektivs Antwort. »Ihre Versicherung genügt -mir fürs erste, umsomehr, weil ich in meiner Stellung alles Auffällige -vermeiden muß.« - -Dann machte er sich einige Notizen in sein Taschenbuch und verließ mit -aalglatten Bewegungen und sehr verbindlichen Verbeugungen gegen die Dame -und mich das Parlour. - -»Meinen Sie, Mr. Berken, daß es in der eben angedeuteten Beziehung mit -den Newlands nicht recht geheuer ist?« fragte mich Miß Kathe, als wir -jetzt allein waren, wobei ein etwas ängstliches Zucken ihre Mundwinkel -umspielte. »Ich hielt sie bisher, das heißt die Männer, für Gambler -(Spieler) von Profession, vielleicht auch für Leute, die auf irgend eine -Patent-Medizin reisen oder dergleichen, jedoch hinsichtlich des guten Rufes -meines Hauses für völlig harmlose Kreaturen. Ihnen aber traue ich wohl -eine Portion Menschenkenntnis zu. Nun, was meinen Sie, Mr. Berken? Es -thäte mir wirklich leid, wenn ich den Newlands aufkündigen müßte und -meine Zimmer, voraussichtlich bis in den September hinein, leer ständen.« - -Ich hatte das Gesicht ein klein wenig nach rechts gewandt, so daß Miß -Kathes Blicke nur mein Profil zu treffen vermochte, und entgegnete so -ruhig, als ich trotz der Aufregung, die in mir arbeitete, es fertig zu -bringen imstande war: - -»Liebe Miß Kathe! Da ich von dem Grundsatze ausgehe, besser ist besser -und sicher ist sicherer, so würde ich doch die paar hundert Dollars -nicht ansehen und gelegentlich, das heißt, auf irgend einer triftigen -Entschuldigung fußend, der alten Newland zu verstehen geben, daß Sie -über ihre Zimmer zu disponieren wünschten. Ich verehre Sie zu hoch -und aufrichtig, Miß Kathe, um Sie auf irgend welche Weise in -Unannehmlichkeiten verwickelt zu sehen! Daher rate ich Ihnen offen hierzu, -weil mir die Sache mit dem Detektiv gar nicht gefällt.« - -Erschreckt prallte die alte Dame zurück und starrte mich mehrere Sekunden -durchbohrend an. Dann faßte sie sich rasch und versetzte mit schmerzlichem -Tonfall der Stimme: - -»Sie würden mir das nicht sagen, Mr. Berken, wenn es nicht Ihre innerste -Überzeugung wäre!« - -»Sicherlich nicht, Miß Kathe!« - -»Gut denn; ich folge Ihnen!« - -Ohne zu zucken und ohne vielleicht weiter des vermeintlichen Verlustes -einer für sie ziemlich bedeutenden Summe zu gedenken, reichte die resolute -alte Dame mir die Rechte hin und sagte: - -»Morgen wird ein Ende gemacht. Punktum!« - -Dann verließ auch sie das Sprechzimmer. -- - -»Morgen!« Mechanisch öffnete ich die nach dem Balkon führende Glasthür -und riß in tiefen Gedanken an den an dem Geländer sich emporrankenden -Klematisblüten. »Morgen!« kam es nochmals sorgenvoll über meine Lippen. -Jetzt stand die Sonne bereits tief am Horizonte, und wenn sie dort im -Osten wieder emporstieg, dann mußte etwas geschehen sein, wovon die dabei -beteiligten Personen bis jetzt noch keine Ahnung hatten. - -»Deutsche Sentimentalität und Thorheit!« neckte das böse Prinzip in -meiner Brust. »Laß ab von Sachen, die Dich nichts angehen, und hemme die -Gerechtigkeit nicht in ihrem Lauf!« - -Standhaft wehrte ich mich dagegen und flüsterte dafür kaum hörbar: - -»Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen!« - -Doch horch! Klang das drinnen im Parlour nicht gleich einem unterdrückten -Schluchzen? Peinlich berührt und um nicht etwa hier draußen auf dem -Balkon der unfreiwillige Zeuge irgend einer Scene zu werden, trat ich rasch -ins Zimmer zurück. Allein noch einmal stutzte ich. Dort in einem Sessel, -das Antlitz auf die Armlehne desselben niedergebeugt, lag meine schöne -Tischnachbarin, wie es schien, im Stadium von Agonie oder höchstem -Schmerz. Nur ab und zu drang ein sich qualvoll herausringender Laut aus -ihrer Brust, während die krampfhaft verschlungenen Finger das blonde -Haupt umfaßten. Ungeachtet dieses betrübenden Anblicks durchströmte mich -beinahe wilde Freude. Der Zufall spielte mir hier die beste Gelegenheit zum -Beginn meines Samariterwerks in die Hand. Daher trat ich entschlossen an -die Ahnungslose heran und rief: - -»Mrs. Maud Newland!« Seit heute morgen wußte ich auch den Vornamen des -jungen Geschöpfs. - -Wie durch einen elektrischen Strom berührt, fuhr die Angerufene empor und -stand alsbald kerzengerade mir gegenüber, während die glühenden, noch -bebenden Lippen sich zu einem mühseligen Lächeln verzerrten. - -»O, ich habe geschlafen und -- sehr -- sehr garstig geträumt!« stotterte -sie, sich die wirren Locken aus der Stirn streichend. Ein anderer, als ich, -hätte sich von der Wirklichkeit dieses Arguments überzeugen lassen. - -Welche moralische Kraft und Geistesgegenwart steckte doch in diesem -lieblichen Wesen! - -»Nein, Madame, Sie haben _nicht geschlafen_, sondern in tiefem, -leidenschaftlichem Seelenschmerz -- in fassungslosem Jammer über -das Unheil, welches Schritt um Schritt Ihnen näher rückt, haben Sie -_geweint_!« entgegnete ich ruhig, aber fest. - -Jetzt stierten die blauen Augen in wahrhaft entsetztem Ausdruck mir ins -Gesicht. - -»Mein Herr! Mit welchem Rechte wagen Sie, eine solche Sprache gegen mich -zu führen?« kam es leise, jedoch zornig aus dem zuckenden Munde. - -»Mit dem Rechte aufrichtiger, warmer Freundschaftsgefühle, Mrs. -Newland!« gab ich völlig unbeirrt zurück und faßte nun auch -rückhaltlos nach ihrer Rechten. - -»Freund--schaft?« wiederholten ihre Lippen zögernd in halb ungläubigem -Trotze. Dünkte es mir doch, als ob es dabei gleich nie geahntem -- nie -gekanntem Glücke in den schönen Augen aufflammte. Aber sie entzog mir die -kleinen Finger dennoch und setzte rasch und herb hinzu: - -»Ich danke, Sir, wir -- ich brauche die so edelmütig gebotene -Freundschaft eines -- Fremden nicht, da ja auch gar kein Grund vorliegt, -sich mitleidig unserer anzunehmen, nein, wirklich absolut nicht!« - -»So?« Fest und durchdringend heftete ich meine Blicke auf das bleiche -Gesichtchen. »Wissen Sie, Mrs. Maud Newland, daß Sie in diesem Moment -eine _Lüge_ aussprechen? Wohlan! Mir kann das ja einerlei sein. Aber ich -erinnere Sie nur daran, daß dort oben über uns _Einer_ lebt, dem wir -Rechenschaft zu geben haben von unseren Worten und Werken, und daß auch -für Sie eine Zeit kommen kann, wo Sie dieser Hilfe benötigt wären!« -Schwer und keuchend kamen die Atemzüge aus der jungen Brust. »Wenn man in -demütigem Sinne diesem _Einen_ seine Sorgen und Lasten anempfiehlt, dann -erscheint das Schwerste wirklich nicht so schwer!« fuhr ich eindringlicher -fort. - -Jetzt schluchzte sie auf und bedeckte das Antlitz mit den Händen. - -»O, warum sprechen Sie _so_ zu mir! O, wie lange -- lange, -- fast seit -meinen Mädchentagen ist es her, daß jemand gegen mich den Namen Gottes -genannt hat! Und doch habe auch ich einst, ehe ich Franks Gattin wurde, -oftmals so innig und warm zu ihm gebetet! Stehen denn plötzlich alle -süßen Erinnerungen an die Kindheit auf -- an meine heimgegangenen Eltern --- an jene Zeit, wo noch alles anders war?« fügte sie, die Wangen von -Thränen überströmt, nun träumerisch ins Leere starrend, hinzu. »Wer -sind Sie, Sir, daß Sie es verstehen, solche Saiten in meinem Innern zu -berühren? Gehen Sie -- o gehen Sie! Ich bin Ihrer Teilnahme und Güte -nicht wert, -- habe ja kein Anrecht an die Barmherzigkeit und Milde Gottes! -Denn ...« - -Sie stockte plötzlich und wollte an mir vorüber zur Thür hinaus. Doch -energisch vertrat ich ihr den Ausweg. - -»Nicht _allein_ dürfen Sie hinaus, Mrs. Newland! Gerade um der -schmerzlichen Erinnerungen willen an das glückliche Einst bitte ich Sie, -mich jetzt sofort zu Ihrem Gatten zu führen und mir eine kurze Unterredung -mit ihm zu gestatten. Widersetzen Sie sich dem nicht! Denn es ist zu Ihrem -Wohl -- Ihrer Rettung -- _ich weiß alles_!« - -Tödlich erschreckt fuhr die Fassungslose zurück. - -»Was -- was wissen Sie?« - -»Daß Frank ein armer Bethörter -- ein Unglücklicher ist und schwer -unter dem Drucke eines tyrannischen Weibes, das sich leider seine Mutter -nennt, duldet und darüber zugrunde geht!« flüsterte ich ihr entschlossen -ins Ohr. »Aber, beim Allmächtigen, der mein Vorhaben begünstigt, -schwöre ich, daß wir über diese Megäre, die auch Sie im tiefsten Innern -verachten, siegen werden, und ich Ihnen Freiheit, Glück und Sicherheit -zurückzugeben vermag! Nur folgen Sie mir und fügen Sie sich bedingungslos -meiner Weisung!« - -»Mein Himmel! Träume ich denn? Giebt es in dieser jämmerlichen Welt -wirklich noch etwas, was Hoffnung und Glaube an der Menschheit heißt?« -rang es sich zitternd über die bebenden Lippen der jungen Frau. »Darf -ich Ihnen -- dem Fremden -- wahrhaft trauen? Sind Sie nicht auch etwa -ein Mensch, wie jener, der unlängst hier war, -- ein solcher, der kein -Erbarmen und keine Rücksicht kennt?« - -»Mrs. Maud Newland! Ich dächte doch, daß Sie von der Aufrichtigkeit -meiner Freundschaft überzeugt sein sollten!« entgegnete ich fast -vorwurfsvoll und weich. - -»Freundschaft!« schrie sie darauf in wilder Erregung, so daß ich über -den grellen Ton ihrer Stimme beinahe erschrak. »O, welch ein Zauber liegt -in diesem einen Wort! Kommen Sie, ja kommen Sie rasch hinauf zu meinem -armen, geliebten, unseligen Gatten! Er wird -- er muß Ihnen folgen!« Und -ungestüm zog das liebliche Geschöpf mich mit sich fort. - -Kaum konnte die Stunde zu einem ungestörten Gespräch mit dem jungen -Einsiedler dort oben in seinem stillen Zimmer günstiger gewählt sein. -Denn erst vor einer Weile hatte ich die alte Newland nebst Tochter und -Schwiegersohn das Haus verlassen sehen. Überdies gestand meine Begleiterin -mir jetzt in merkwürdig rührender Vertraulichkeit, daß ihre Verwandten -einen kleinen Ausflug nach Coney Island unternommen und vor spätem -Abend kaum zurückerwartet werden dürften. Man habe zwar ausdrücklich -gewünscht, daß sie selbst an der Partie teilnehmen sollte; doch hätte -sie das, um Frank nicht allein zu lassen, auf das entschiedenste abgelehnt. - -Unter dergleichen leise geführten Reden erreichten wir das erste -Stockwerk, doch machte die junge Frau vor dem verhängnisvollen Gemache -noch einmal Halt und holte, gleichsam um Mut zu schöpfen, tief Atem. -Ach, hätte ich der Ärmsten die Viertelstunde doch ersparen können! Nach -kurzem Zögern öffnete Mrs. Newland mit raschem Entschluß die Thür und -schritt mir ins Zimmer voran. - -Das Erste, was mir beim Eintreten sofort ins Auge fiel, war wieder jener -eisenbeschlagene Monstre-Koffer, dessen Begegnung mir schon einmal zu -denken gegeben und dessen Anblick nun aufs neue die ganze gefährliche -Tragweite, ebenso aber auch die Notwendigkeit dieses Schrittes klarlegte. -Die Fenster des Gemaches gingen gegen Westen, so daß die noch hellen -Strahlen der Abendsonne es bis in seine tiefsten Winkel beleuchteten. - -Mr. Frank Newland schien jedoch unseren Besuch gar nicht zu merken. Denn -mit aufgehobenem rechten Arme, ein Pistol in der Hand haltend, zielte er -soeben nach einer an der Wand der Langseite befestigten Scheibe, deren -durchlöchertes Feld mir zur Genüge zeigte, wie und durch welches -Vergnügen der junge Mann seine Mußestunden sich verkürzte. Wieder -gewahrte ich in seinem schönen Gesichte den finsteren Schmerzensausdruck -und konnte in diesem Momente mich wirklich des Gedankens nicht erwehren, -ob der, wie ich ja wußte, so verzweifelt und vergeblich an seinen Fesseln -Rüttelnde nicht vielleicht dort, wo sich die weiße Papierscheibe befand, -die Häupter seiner Peiniger oder mutmaßlichen Verfolger im Geiste zu -schauen wähnte. - -»Frank! Ich wollte -- ich möchte so gern, daß Du -- diesem Herrn hier, -Mr. Berken, für einige Minuten Gehör schenktest!« rief jetzt, das -lange Schweigen unterbrechend, meine Begleiterin ihrem Gatten bittend und -zärtlich zu, während sie nach ihm hinüberflog und die Arme um seine -Schultern schlang. - -Sofort sank die Hand mit dem Pistol herab, und, mehr erschreckt als -unwillig, fuhr sein Kopf nach mir herum. - -»Was soll's? Du weißt ja, Maud, daß ich nicht gern gestört bin!« kam -es leise, doch grollend über seine Lippen. - -Allein trotz dieses wenig ermutigenden Empfanges hatte ich mich ihm rasch -genähert und begann ohne Zögern: - -»Die große Wichtigkeit dieses Besuches hier, ja meines Anliegens an Sie, -Mr. Newland, überwiegt das Peinliche, was zweifellos für mich in diesem -etwas dreisten Vordringen eines Ihnen fast Fremden liegt!« - -Franks geistvolles, dunkelumrahmtes Auge richtete sich bei diesen Worten -ganz seltsam scheu und fragend nach dem meinen, indem er herb und zögernd -erwiderte: - -»Wegen meines Leidens empfange ich niemals -- grundsätzlich niemals -Besuche. Doch, wenn _sie_« -- (ein vibrierender, auffallend zärtlicher -Ton lag in diesem: _sie_, womit er der Gattin Hand sanft drückte) -- -»ausnahmsweise jemanden bei mir einführt, dann muß ich mich allerdings -schon von der Notwendigkeit durch dies Abweichen von der Regel überzeugen -lassen.« Er verbeugte sich gegen mich und fügte etwas weniger schroff, -indes mit immer noch tief ernster Stimme hinzu: - -»Meine Frau hat mir bereits von Ihrer Liebenswürdigkeit und Ihren -menschenfreundlichen Gesinnungen erzählt, Mr. Berken! Es ist ein edler -Grundzug im Charakter der Deutschen, daß Teilnahme und Freundschaft bei -ihnen nicht leere Worte sind, sondern dem Herzen entspringen.« - -Dabei legte er die kleine Schußwaffe beiseite und reichte mir die Finger -hin. Eine müde Apathie machte sich im Wesen dieses Mannes bemerkbar und -verlieh ihm, verbunden mit dem schmerzlich krankhaften Zuge seines schmalen -Gesichts, den Anstrich eines wirklich Leidenden. - -So ruhig und fest, daß ich mich in diesem Momente selbst über meine -Fassung wunderte, erwiderte ich: - -»Der Hauptgrund unseres Charakters ist eine unüberwindliche, ja, so zu -sagen, schon mit der Muttermilch eingesogene Abneigung gegen jeden falschen -Schein.« - -Ganz sonderbar stutzte er, während ein halb wirrer Blick über meine -Gestalt hinwegglitt, und gleichsam fragend wandte er sich nun nach seiner -jungen Frau, welche mit im Schmerz gefalteten Händen in einen Sessel -gesunken war. - -»Ich muß wohl annehmen, daß Sie einen besonderen Zweck mit diesem -- -Besuche verbinden?« entfuhr es in harten, schroffen Tönen seinem Munde, -indem er nun, wie zu einer kampfbereiten Stellung, sich vor mir aufrichtete -und bald noch heftiger hinzufügte: »Sie hassen den Schein! Sehr gut, -mein Herr! Aber unter welchem Vorwande erklären Sie mir dann Ihr sonderbar -geheimnisvolles Benehmen, welches zweifellos irgend eine Absicht -- einen -Hintergedanken verrät? Denn nur allein deshalb hierher in mein Zimmer zu -kommen, um einen Ihnen fast Unbekannten, der Ihnen niemals störend in den -Weg getreten, mit zweideutigen Reden zu intriguieren, dafür halte ich Sie, -Mr. Berken, doch für zu =gentlemanlike= und edel.« - -»Sie scheinen viel Menschenkenntnis zu besitzen, Mr. Newland!« gab ich -ihm, ohne mit der Wimper zu zucken, zurück. »Wohlan denn! Den Grund -dafür kennt bereits Ihre verehrte Gemahlin; es ist der, daß ich Ihnen mit -Rat und That behilflich sein möchte, Ihre unwürdigen Fesseln zu sprengen! -Ist diese Antwort nicht klar und verständlich genug?« - -Durchdringend heftete ich dabei meine Augen auf das abgehärmte -Männergesicht. Doch nur ein leise gurgelnder Ton drang über seine Lippen, -während er haltlos mehrere Schritte nach rückwärts taumelte. - -»Ich dulde keine Einmischung in meine Angelegenheiten!« stieß er endlich -nach wenigen Sekunden wild heraus. Sein Auge funkelte und jede Fiber des -schlanken, aber sehnigen Körpers schien in Erregung und Leidenschaft zu -zucken. Dann aber lachte er gellend auf. »Und wissen Sie, mein Herr, -was wir Amerikaner aus tiefster Seele verachten? Das sind glattzüngige -Schleicher, die hier und dort mit dem löblichen Grundsatze: ›der Zweck -heiligt die Mittel‹ herumspionieren und schließlich doch nur Unheil -stiften! Solche Leute sind mir in den Tod verhaßt. Und nun, mein Herr, -bitte ich, daß Sie in Zukunft mich unbelästigt lassen!« - -Damit kehrte er mir den Rücken und schritt dem Fenster zu. Hier schien -demnach der Sieg nicht ganz so leicht, als unten im Parlour über die junge -Frau, dachte ich unentschlossen. Doch kam schon die kleine Verbündete mir -rasch zu Hilfe, indem sie, emporspringend und zu dem Gatten hinübereilend, -rief: - -»O Frank! Sei barmherzig! Um Deiner Liebe zu mir -- um unseres Elends -willen, weise diesem Herrn nicht so schroff die Thür! Denn gerade er, Mr. -Berken, will uns ja dazu verhelfen, daß der waghalsige Plan, der schon -längst in Deinem Kopfe reifte, aber stets wieder vereitelt wurde, wirklich -einmal zur Ausführung gelangt. Ich flehe Dich an, Frank, lasse diese gute -Gelegenheit nicht unbenutzt vorübergehen! Denn ohne energischen Beistand -käme es nie -- nie dazu!« sprudelte das schöne Weib in flammender -Begeisterung für die Sache wild hervor. »Du bist so gut und treu, voller -Liebe und Rücksicht für mich, aber dennoch bloß ein schwankendes Rohr -gegenüber der Macht und dem Willen Deiner Mutter!« - -Ich war ebenfalls näher getreten und sah deutlich, wie eine heiße -Blutwelle Mr. Franks Stirn verdunkelte. - -»Schweig, Maud! Du vergißt Dich. Dein noch unerfahrener Sinn setzt -Vorsicht und Pflichten außer acht!« raunte der Gatte unter keuchenden -Atemzügen ihr leise zu. - -Allein sie beachtete diese Warnung nicht. In zwei Sätzen sprang die -graziöse Gestalt zu mir herüber, faßte stürmisch meine Hand und rief: - -»So sagen Sie ihm doch, daß Sie alles wissen -- in alles eingeweiht -sind und den ganzen großen Jammer unserer Existenz entdeckt haben, Mr. -Berken!« - -Da drang es wie ein schlecht unterdrückter Wutschrei über des Mannes -Lippen, der drohend die Faust nach dem lieblichen Haupte emporhob. - -»Maud, -- Unselige! Du hast uns verraten!« - -»Nein, Mr. Newland, Sie irren!« sagte ich, jetzt dicht an ihn -herantretend und mit festem Druck sein Handgelenk umspannend. »Der bloße -Verdacht allein ist schon eine Kränkung für Ihr treues, opfermutiges -Weib. Nicht sie hat den verhüllenden Schleier von dem düsteren Bilde -Ihres Daseins hinweggezogen, nicht Ihre Gemahlin hat mir die traurige -Wahrheit entdeckt, sondern mein eigenes warmes Interesse für ein Paar -bedauernswerte junge Menschen ließ mich Schritt für Schritt dem ersten -leisen Verdachte, den schon jener ominöse Koffer dort anregte, weiter -nachforschen. Auch nicht um Unheil zu stiften, Mr. Frank Newland, wie Sie -soeben voraussetzten, -- nein, einzig nur aus dem Grunde, um im Augenblicke -höchster Gefahr -- und solche ist jetzt vorhanden -- zu retten und zu -helfen!« - -Er riß sich von mir los und rannte, mit beiden Händen den Kopf umfassend, -einigemal wie rasend durch das Zimmer. - -»Wo -- wo ist Gefahr? Wer sagt das? Wer bürgt mir dafür?« rief er -heiser. - -»Frank! Du selbst weißt es ja -- kennst das drohende Gespenst der -Verfolgung, welches Tag und Nacht über uns schwebt; weißt auch, was für -ein Mensch vor kaum einer Stunde bei Mrs. Emmerson Nachfrage hielt, weißt -ferner, daß der Boden unter unseren Füßen bereits wankend geworden!« -mahnte die junge Frau mit todesbleichem Gesicht. »Nur Mut und rasche -Entschlossenheit, Geliebter, und wir entfliehen dieser schauerlichen -Existenz, die ich verabscheue, die entwürdigend für uns ist! Zeige, -daß Du ein Mann bist, Frank -- ein Mann, der, dieser empörenden Tyrannei -anderer müde, sein besseres Ich herauswindet aus einer Bergeslast von Lug -und Trug. O! arbeiten und Dir beistehen will ich ohne Murren und Klagen -Tag für Tag, um uns ein neues Heim zu schaffen!« fuhr die junge Frau mit -überzeugender Wahrheit und bewundernswerter Beredsamkeit fort, -- »ein -stilles, friedliches Heim, welches allein uns gehört und worüber der dort -oben wachen soll, den wir so lange Zeit vernachlässigt haben! Frank, wenn -Du mich wahrhaft liebst, so folge diesem da, der es gut und ehrlich mit uns -meint!« - -Überwältigt durch den Schmerz der hervorbrechenden Gefühle sank die -schöne Frau zur Erde nieder und umfaßte leidenschaftlich des Gatten Knie. -Ein Moment war das, der mich aller Zweifel und aller in mir sich regenden -Ungewißheit überhob. Jetzt wußte ich, daß der wunderbar stürmische -Drang in mir, diesem jungen Paare meine Hilfe zu bieten, höheren Ursprungs -war. Alle Bedenken, gerade durch diese Hilfe mich einer ungesetzlichen, ja -vielleicht gar strafbaren Handlung schuldig zu machen, zerflossen bei dem -Anblicke in ein Nichts. - -»Mr. Frank Newland! Ich sehe, daß die Liebe zu Ihrer Frau bei Ihnen -größer ist, als zu sonst irgend etwas auf Erden, und daß diese Liebe -Ihnen dazu verhelfen wird, selbst das Schwerste zu überwinden!« sagte ich -mit einer Stimme, die die eigene tiefe Bewegung deutlich verriet. »Wollen -Sie fortan bedingungslos sich meiner Führung anvertrauen? Die Zeit ist -kurz. Jetzt gilt nur ein schnelles Entweder -- Oder!« Wie Wetterleuchten -zuckte es über sein bleiches Gesicht. »Zerreißen Sie mit fester Hand -jenes unwürdige Band, welches Sie noch an die Vergangenheit knüpft, --- schauen Sie dafür mutig und mit Gottvertrauen in eine lichtere, -hoffnungsreiche Zukunft!« - -Ungestüm hatte er, während ich sprach, die liebliche Gestalt zu sich -emporgezogen. Eine Weile hielten die Gatten sich umschlungen. - -»Der Fluch der Mutter, -- grimmiger Haß von allen, die mir bisher -vertraut haben, -- ja, ein Leben der Not und Entbehrung, -- das ist es, was -uns sicher erwartet, wenn ich diese Fesseln sprenge! Würdest Du Dich auch -klagelos und willig einem vielleicht noch härteren Geschicke beugen, meine -Maud?« fragte der junge Ehemann so zärtlich und weich, wie man nur zu -einem Kinde redet. - -Ein kaum unterdrückter Jubelschrei stieg aus der Gefragten Brust. - -»Und wenn dieser Schritt meinen Tod bedeutete, ich könnte nicht ruhiger -und beglückter darüber sein, daß Dein Widerstand endlich gebrochen ist -und Du heimlich mit mir von dem Schauplatze unserer Leiden verschwinden -willst, Frank!« rief sie neu belebt und zitternd vor Erregung, indem sie -aus den sie umschlingenden Armen sich befreite und wieder zu mir herüber -eilte. - -»Jetzt aber rasch zum Entschluß, Mr. Berken! Was soll geschehen? -Bestimmen Sie über uns!« flüsterte sie mir hastig zu. - -Allein auch der vor kurzem noch so verschlossene und so schroff und starr -abweisende junge Mann reichte mir jetzt, wenngleich mit einem Ausdruck -bitterer Trauer, seine Hände entgegen, in die ich freudig einschlug. - -»In spätestens einer Stunde werden Sie New York im Rücken haben und sich -auf dem Wege nach Kanada befinden,« erwiderte ich ernst und sehr bestimmt, -während beide mir mit ängstlicher Spannung lauschten. »Spurlos noch ehe -die Untersuchungen in jener traurigen Angelegenheit weiter fortschreiten, -müssen Sie und Mrs. Newland von der hiesigen Bildfläche verschwinden, -als ob der Sturm Ihre Namen hinweggeweht. Fort -- vergessen! Miß Emmerson -sagen Sie indessen, daß Sie anläßlich einer wichtigen Depesche mit Ihrer -Frau auf acht Tage zu verreisen gezwungen wären! Das genügt. Packen Sie -also die nötigste Garderobe und Wäsche in einen nicht zu großen Koffer. -Alle Ihre Sachen mitzunehmen, darauf müssen Sie leider verzichten, weil -das vielleicht Verdacht erregen könnte. Dann benutzen Sie den nächsten -Zug nach Montreal! Fürs erste jedoch, Mr. Newland,« -- fügte ich, indem -ich jenem ominösen Koffer ganz nahe trat, ein wenig zögernd und sehr -leise hinzu -- »schaffen Sie den gefährlichen Inhalt dieses Riesen -schleunigst aus der Welt!« - -Er zuckte jäh zusammen und stotterte in höchster Verwirrung, während -eine fahle Blässe sein Gesicht überzog. - -»So wissen Sie? -- nein, nein, das darf ich nicht thun, -- die -Mutter ...!« - -»Sie dürfen auf niemanden Rücksicht nehmen! Denn ich ahne wohl, daß -hierin die schlagendsten Beweise zur Überführung einer gar schlimmen -Schuld für Sie enthalten sind, mein armer, bethörter Freund!« versetzte -ich freundlich. »Und diese Beweisstücke müssen unter allen Umständen -vertilgt sein. Dort drüben ist der Kaminofen. Was irgend brennbar ist, -- -hinein in ein flackerndes Feuer. Das übrige packen Sie in eine schlichte -Reisetasche, die Sie mit sich nehmen und wie aus Versehen im Gedränge auf -dem Bahnhofe stehen lassen! Dann erst werden Sie frei sein gleich dem -Vogel in der Luft. Das leere Ungetüm hier wird nichts mehr verraten und -grabesstumm bleiben. Sie sehen, mein Plan ist gut und könnte wahrlich der -Intelligenz eines Amerikaners alle Ehre machen,« fügte ich ermutigend -hinzu. Denn es entging mir nicht, wie hastige, schwere Atemzüge über -seine Lippen stießen und er sichtlich zu kämpfen schien, mir mit neuen -Einwendungen entgegenzutreten. - -»Und wohin sollen wir Ausgestoßenen, denen das eigene Vaterland nicht -mehr Raum und Schutz zu bieten vermag, uns wenden?« fragte er herb. -»Welche Aussichten, welcher Erwerb bietet sich uns auf englischem -Boden? Ich bin völlig fremd in Kanada, -- habe nicht die geringsten -Verbindungen ...« - -»Eben deshalb ist es nötig, daß Sie dorthin Ihre Schritte lenken, Mr. -Newland!« gab ich ihm tröstend zurück. »Gerade dort, wo Sie fortan -leben werden, sollen Sie ein Fremder sein; auch sogar den Namen, den Sie -jetzt führen, müssen Sie hier zurücklassen!« - -Bei diesen Worten stieg abermals eine dunkle Röte dem Unglücklichen über -die Stirn und finster, aber leidenschaftlich rief er: - -»Der Name Newland gehört mir von Rechts wegen gar nicht. So hieß -nämlich der zweite Gatte meiner Mutter, der vor einem Jahre starb und -dessen verhängnisvolles, grausiges Vermächtnis eben jener Koffer dort -ist mit allem, was darin sich befindet und daran sich knüpft -- ein -Vermächtnis, das gleich einem Fluche auf uns lastet. Man soll den Toten -nichts Schlimmes nachsagen. Allein noch im Grabe verabscheue ich jenen -Mann, der sich erkühnte, mein Stiefvater zu heißen. ›Welch eine -Erscheinung!‹ hätten auch Sie bei seinem Anblick sicher ausgerufen. -Im Äußeren glich er einem Heroen an Größe, Körperkraft, wie auch an -Geist. Bestechend und verführerisch klang jedes Wort, mit dem er in die -ahnungslose Menschenseele sich einzuschmeicheln verstand. Doch wer ihm -unterlag, der saß fest in den Fangarmen des Teufels. Ein dämonischer -Tyrann war er und hat meine unselige Mutter zu dem gestempelt, was sie -jetzt ist, -- zu einer geldgierigen Megäre, die heute noch einzig nur in -den Fußstapfen des ihr teuer gebliebenen Verblichenen wandelt. Aus -mir aber ...« -- tief schöpfte er Atem -- »aus mir hat er einen der -routiniertesten, gefährlichsten Falschmünzer Amerikas gemacht, -- ha, ha, -ha! Das war ein Meister, wie es keinen zweiten giebt!« - -»O Franky! So lasse doch die alten Erinnerungen!« bat meine kleine blonde -Freundin zärtlich, indem ihr die hellen Tropfen über das süße Gesicht -herabrieselten. - -»Nein, nein! Jetzt muß ich reden!« erwiderte der junge Mann heftig. -»Sie, Mr. Berken, sollen wenigstens erfahren, daß ich zu solch -schmachvollem Berufe verführt -- gezwungen wurde, daß nicht die Gier und -die Lockungen nach mühelos erworbenen Schätzen mich dazu verleiteten! -Beim Allmächtigen, der sich gnädig meiner erbarmen möge, -- ich habe -den schnöden Mammon stets gehaßt! Denn er allein ist der Satan, der -die Menschheit verdirbt und erniedrigt! Was spreche ich doch von mühelos -erworbenem Gelde? Wer hat gearbeitet Nacht um Nacht über Wagstücken, die -oftmals doch mißlangen? Wer hat die Schweißtropfen saurer Mühe hergeben -müssen für solches Teufelswerk? Ich war's -- ich that's, Mr. Berken, weil -ich zu schwach -- zu feige war, mich loszureißen! Geknirscht und geflucht -habe ich oft in ohnmächtigem Zorne. Doch der böse Blick der Mutter, in -welchem ich noch fortdauernd den Dämon meines verfehlten Lebens -- den -Meister -- den Stiefvater zu schauen wähnte, -- er hielt mich gleich einem -Knechte in Zucht und Banden! Aber das Maß ist voll, -- länger ertrage ich -es nicht!« rief er fast schluchzend. »Um ihretwillen, die mein Licht -und Trost ist,« -- das sterbensmüde Auge traf der Gattin aufstrahlendes -Gesicht, »um ihretwillen reiße ich das Band, was mich an diejenige -bindet, die mich geboren, in Stücke!« Ich schaute nach der Uhr und -fragte, in der Absicht, ihn von dem schmerzlichen Thema abzulenken: - -»Darf ich den Wagen für Sie bestellen, Mr. Newland?« - -Wie aus tiefem Sinnen fuhr er auf und nickte halb gedankenvoll: - -»Ja, ja -- den Wagen -- fort!« - -»Auch möchte ich Ihnen hier noch eine Adresse für Montreal überreichen, -Mr. Frank? ... Ja, wie ist denn Ihr wirklicher Name?« - -»Wilson!« entgegnete er kurz. - -»Also, Mr. Wilson! Ein sehr intimer Freund von mir, ebenfalls -ein Deutscher, hat dort eine renommierte und gesuchte Law-Office -(Rechts-Bureau). An diesen ganz vortrefflichen Mann habe ich Sie als -tüchtigen, intelligenten Arbeiter empfohlen, da ich durch Ihre Gemahlin -weiß, welch gründliche Bildung Sie genossen, und daß ein Wissen in Ihnen -steckt, wie junge lebenslustige Amerikaner es sich sonst selten anzueignen -pflegen. Ein Wort von mir genügt, Ihnen den Anfang zu einer vielleicht -sehr lukrativen Laufbahn zu eröffnen, und gingen Sie somit im Auslande -keiner allzu trüben Zukunft entgegen. Die Hauptsache ist natürlich, -daß Sie mit Lust und Energie einen Ihren Kenntnissen angemessenen Beruf -ergreifen.« - -»Mein Gott, das ist zu viel, -- das bin ich nicht wert!« stöhnte der -Überraschte kopfschüttelnd. Es zuckte dabei aber doch ganz seltsam -freudig um seinen Mund. - -Meine kleine blonde Freundin schlug indes die Hände vor das Gesicht und -schluchzte laut. - -»Haben Sie das nötige Reisegeld?« forschte ich, durch nichts beirrt, mit -der ernsten, trockenen Stimme eines Inquirenten weiter, obgleich mir selbst -vor innerer Bewegung der Ton im Halse stecken zu bleiben drohte. - -Eine lange Pause erfolgte. Dann zog Mr. Frank Wilson mehrere -50 Dollar-Billets aus seinem Taschenbuche, zündete am Tische eine Kerze -an und hielt, ohne zu sprechen, noch zu zucken die Banknoten darüber, daß -alsbald die hellen Flammen um seine Finger spielten. - -»Ist denn der Mensch toll geworden!« hätte bei diesem seltsamen Gebahren -ein anderer vielleicht gedacht und solchen Frevel zu vereiteln gesucht. -Ich aber rührte mich nicht von der Stelle. Denn gerade jenes anscheinend -kopflose Experiment redete für mich eine stumme Sprache. Das, was dort -eben in Rauch aufging, waren ja auch nur elende Falsifikate; Lug und Trug -war es --, die schauerlichen Früchte seines arbeitsschweren Daseins, an -denen, wie er selbst gesagt, die Schweißtropfen saurer Arbeit hingen! -Armer Frank! So kurz und straff hielt diese entsetzliche Mutter ihren -einzigen Sohn im Zügel, daß sie ihm nicht das nötigste Geld zur -Verfügung stellte -- aus Angst, er könne doch endlich einmal ihrer -Tyrannei heimlich entfliehen! In diesem Augenblicke überkam es mich wie -eine wahre Wollust, jenem entmenschten Weibe einen Streich spielen zu -können. - -Mit zu Boden gesenkten Wimpern stand der Bedauernswerte vor mir. Welch -beschämende Gefühle mochten in ihm sich regen! Daher schritt ich rasch an -ihn heran und legte meine Rechte sanft auf seine Schulter. - -»Lassen wir Vergangenes ruhen, mein Freund! Ich begreife und verstehe -alles und beklage Sie tief. Und doch ist es am Ende besser so, damit Sie -mit Ihrer Flucht aus New York niemandem -- verstehen Sie wohl: niemandem -mehr verpflichtet sind. Hier, Mr. Frank Wilson, lege ich 500 Dollars -auf den Tisch, als ein Darlehen, was hoffentlich zum Beginn einer neuen -Existenz ausreichen wird! Sie werden arbeiten und später guten Verdienst -haben, davon bin ich überzeugt.« - -Abwehrend erhob er seine Hände. - -»Nun, was wollen Sie?« setzte ich schnell und lächelnd hinzu. »Ohne -Geld kann man nicht reisen, und bleibt Ihnen somit gar nichts anderes -übrig, als meine Hilfe anzunehmen. Im übrigen bin ich auch weit davon -entfernt, diese Summe als verloren zu betrachten. Denn fürs erste bin ich -selbst durchaus kein reicher Mann, und zweitens weiß ich ziemlich sicher, -daß Sie die kleine Schuld mir nach und nach zurückzahlen werden. Sind Sie -demnach mit diesem Geschäfte zufrieden?« - -Einem Traumbefangenen gleich stand er vor mir und stotterte nur ein paarmal -hintereinander: - -»Ich danke -- danke Ihnen, mein Herr!« - -Seit ich mein deutsches Vaterland verlassen, war, glaube ich, eine -ähnliche Anwandlung von Rührung und seelischer Befriedigung nicht über -mich gekommen, als zu jener Stunde, die mit allen ihren Einzelheiten klar -und fest sich bis zum heutigen Tage meinem Gedächtnis eingeprägt hat. - -Stillschweigend hatte ich meinen Hut ergriffen und gedachte mich unbemerkt -zur Thür hinauszuschleichen. Allein der blonden Frau war meine Absicht -nicht entgangen. In stürmischer Hast rannte sie mir nach und faßte -beinahe leidenschaftlich meine Rechte. - -»Nein, so dürfen Sie nicht fort, Mr. Berken! O, es sieht Ihnen ganz -ähnlich, daß Sie unseren Dankesworten sich entziehen wollen! Die wahre -Großmut ist ja immer still und bescheiden, und ihr Deutschen seid alle -von Natur so edel! Wirklich grausam wäre es gegen uns, nicht noch einen -letzten, warmen Händedruck, einen letzten Abschiedsblick des einzig -wahren, teilnehmenden Freundes für unser armseliges Geschick zu -erhalten!« - -So klang es in schmelzenden Tönen an mein Ohr. Wehmütig lächelnd blieb -ich stehen, indem nun auch Mr. Wilson sich mir näherte und mit stummem -Schmerze mir ins Auge schaute. - -»Leben Sie wohl, Mr. Berken!« sagte er, nachdem er seiner sichtlichen -Bewegung endlich Herr geworden. »Was _Sie_ vollbracht haben, ist eine -That, welche mit der Dankbarkeit eines ganzen Lebens kaum gelohnt wäre, -und die nur Gott zu vergelten im stande ist! Sie werden von uns hören. -Leben Sie wohl!« - -Noch einmal schüttelten mir die beiden Verwaisten -- diesen Eindruck -machten sie auf mich, als sie, Arm in Arm, tiefste Wehmut im Angesicht, mir -gegenüberstanden -- die Hände. Dann schloß sich die Pforte hinter mir -und ich stand auf dem Vorsaal. - -Indes schien jetzt durchaus keine Zeit mehr, sich schmerzlichen Gefühlen -und Reflexionen hinzugeben. Die Uhr zeigte 6½ und der Zug, welchen das -junge Paar benutzen sollte, verließ New York in einer Stunde. Rasch sprang -ich die Treppe hinab. Unglücklicherweise begegnete mir im Vorsaal, wo die -Parlours mündeten, Miß Emmerson. - -»Nun, wohin so eilig, Mr. Berken? Sie sehen ja ganz erhitzt aus,« warf -die Dame lächelnd hin. - -»Es ist oben in meinem Zimmer eine Bärenhitze und möchte ich mit der -offenen Car (Pferdebahnwagen) etwas hinaus in den Central-Park fahren,« -log ich mit abgewandtem Gesichte. - -»So? Dann werden Sie zum Essen schwerlich zurück sein -- hm!« Eine Weile -sah sie mir kopfschüttelnd und durchdringend in die Augen. »Nun, ich bin -weit davon entfernt, Sie mit indiskreten Fragen zu belästigen. Aber -- -an der Nase sehe ich es ja Ihnen an, daß irgend etwas faul ist im Staate -Dänemark. Dazu kenne ich Sie zu genau. =Well=, über das =dinner= machen -Sie sich nur keine Sorgen! Für Sie wird es aufbewahrt. Viel Vergnügen, -Mr. Berken!« Damit schritt meine alte Freundin majestätisch ihres Weges. - -Jedenfalls muß ich ein sehr dummes oder verblüfftes Gesicht gemacht -haben, und war wirklich froh, als ich draußen in frischer Luft mich -befand. -- -- - -Erst gegen 8 Uhr abends kehrte ich nach planlosem Herumstreifen in der -City zurück, weil ich es aus verschiedenen Gründen für zweckmäßig -erachtete, daß die Abreise der Wilsons sich ohne meine Anwesenheit -vollzog. - -Unbefangen betrat ich das Speisezimmer, wo in der That noch ein gedecktes -Couvert für mich auflag. »Gute Miß Kathe!« dachte ich befriedigt; denn -ich war hungrig und freute mich auf eine kräftige Mahlzeit. Allein nichts -verriet mir in der nächsten Viertelstunde, daß irgend etwas Besonderes -im Hause vorgefallen. Der aufwartende Neger machte ein völlig indifferent -stumpfsinniges Gesicht und die das Diningroom zufällig passierenden -Logiergäste begrüßten mich nur mit einem kurzen »=Good evening=, -Mr. Berken!« Trotzdem aber lag es mir wie eine Gewitterschwüle auf dem -Gemüte. Waren meine Schützlinge unbehindert und glücklich fortgekommen? -Zu fragen wagte ich nicht, hoffte daher auf einen günstigen Zufall, der es -mir verraten würde. - -Wirklich, als ich nach beendetem Speisen die Treppe nach meinem Zimmer -emporstieg, trat Miß Emmerson aus den von dem jungen Paare bewohnten -Gemächern heraus auf den Flur. Wir stutzten beide, und alsbald drang ein -sonderbarer Geruch nach verbranntem Papier durch die geöffnete Thür mir -entgegen. - -»Ah -- zurück?« fragte sie leichthin, doch merkte ich bald, daß in dem -sonst freundlichen Gesichte ein merklich ernster Ausdruck lag. - -»Ja, Miß Emmerson! Und ich habe mir soeben Ihre vortrefflichen Gerichte -schmecken lassen!« erwiderte ich mit möglichster Heiterkeit. - -»Nun, _mein_ =dinner= ist mir heute recht gestört worden durch die -sonderbare, fluchtartige Abreise zweier meiner Gäste!« war ihre etwas -scharfe Antwort. - -»Fluchtartige Abreise?« fragte ich mit einer äußerst wohlgelungenen -Miene des Staunens, wodurch die alte Dame sofort veranlaßt wurde, halb -befriedigt und freundlicher den Kopf zu wiegen. - -»Nun, ich dachte mir eigentlich, daß Sie vielleicht etwas mehr von diesen -Leuten wüßten, weil die kleine Blondine mit den Taubenaugen bei Tische -immer so zutraulich zu Ihnen redete, und Sie, Mr. Berken, heute so -sonderbar! ... Na, einerlei -- die Newlands sind fort!« - -»Alle?« entfuhr es etwas unbedacht von meinen Lippen. - -»I bewahre! Nur das junge Paar -- scheinbar nur auf eine Woche, wie das -Frauchen schüchtern mir versicherte! Doch ich möchte, obgleich hier -drinnen in den Schränken noch alles voll Sachen hängt, die höchste -Wette eingehen, daß es auf Nimmerwiedersehen ist. Das kommt aber bei solch -leichtsinniger Sippschaft gar nicht darauf an. Nebenbei haben sie in den -Zimmern einen Gestank zurückgelassen, als ob mindestens zwei Zentner -Makulatur verbrannt worden wären. Als ich hineintrat, mußte ich wohl -zwanzigmal hintereinander niesen und konnte vor Rauch die Augen kaum -aufthun, so daß ich schon fürchtete, man habe mir die Bude über dem -Kopfe angesteckt. Aber schließlich kann es mir ja gleichgültig sein!« -argumentierte Miß Kathe lebhaft weiter; »denn bezahlt ist alles bis zum -Ersten, -- und mit den übrigen mache ich morgen früh auch ein Ende. Die -rasche Abreise der beiden ist mir einzig nur des Geredes im Hause wegen -fatal, zumal ich, wie Sie wissen, ohnedem schon heute Nachmittag einen -heiklen Besuch erhalten.« - -»Auf keinen Fall würde ich es beklagen, daß die jungen Newlands fort -sind!« versetzte ich, höchst gleichgültig das Gähnen unterdrückend. -Doch spähte ich trotzdem neugierig durch die halbgeöffnete Thür ins -Zimmer hinein. »Die Alte wird schöne Augen machen, wenn sie bei ihrer -Rückkehr die lieben Kinder nicht mehr findet, Miß Emmerson!« - -»O, die hat längst von der Flucht gewußt! Das war alles geplant und -abgekartet.« - -»_So_ -- glauben Sie?« - -»Sicherlich! Ich wundere mich nur, daß _Sie_, Mr. Berken, bei Ihrem -scharfen Beobachtungstalente nicht auch Wind davon gekriegt haben!« - -Ich lachte sie heiter an. - -»Wer wird so mißtrauisch sein, Miß Kathe. Was gehen _mich_ denn diese -Menschen an? Wahrlich, ich habe ja gar keine Zeit dazu, mich so viel um den -lieben Nächsten zu bekümmern.« - -Die alte Dame schien völlig beruhigt, und freundschaftlich wünschten wir -uns gegenseitig =Good night!= -- - -Ich erinnere mich, daß ich in jener Nacht nicht viel geschlafen habe -und erst wieder frei und beruhigt aufzuatmen begann, als mir am nächsten -Morgen ein Telegramm überreicht wurde mit dem kurzen, aber für mich -bedeutungsvollen Inhalt: »Glücklich Montreal angelangt, Wilson.« Mit -seelischem Behagen kleidete ich mich an und mußte wirklich lachen, welch -ein von Bosheit und Schadenfreude blitzendes Gesicht mir heute aus dem -Spiegel entgegensah. Jetzt gab es ja noch einen Hauptspaß, nämlich -das stille Beobachten der alten Newland, wie deren elegisch angehauchten -Tochter und des ehrenwerten Mr. Fowler beim Frühstück. Denn daran, daß -die Gesellschaft überhaupt kommen würde, zweifelte ich keinen Augenblick. -Schon, um jeden Verdacht von sich abzulenken, mußten sie sich diesen -Morgen zeigen. - -Daher begab ich mich ein wenig früher als gewöhnlich hinab, um die -Personen, in deren Dasein ich ohne ihr Wissen eine so bedeutende Rolle -gespielt, sofort beim Eintreten ins Speisezimmer aufs Korn zu nehmen. Wer -aber beschreibt meine Überraschung! In der Halle, an der weit geöffneten -Hausthür, durch die ich eine elegante Equipage vor dem Hause halten sah, -standen Mrs. Newland und ihre Tochter, völlig reisefertig, im Begriff, -sich von Miß Emmerson zu verabschieden, und deutlich vernahm ich noch die -seltsamen Worte: - -»Der arme Frank! Er leidet zuweilen an schlimmen Anfällen von -Geistesstörung, was seine kindische junge Frau durchaus nicht zugiebt. -Ich fürchte, daß seine unmotivierte plötzliche Abreise abermals ein -trauriger Beweis ist für diese nicht mehr abzustreitende Thatsache. Ellen -und ich müssen uns daher schleunigst auf die Suche der beklagenswerten -Kinder begeben und können daher leider die Annehmlichkeiten Ihres Hauses -nicht länger genießen, meine teure Miß Emmerson! Major Fowler wird indes -noch bis morgen hier bleiben und dann mit unserm Gepäck nachfolgen.« - -Jetzt schritt ich unbefangen und unerschrocken die letzten Stufen der -Treppe, auf der ich stand, hinab, so daß ich nur noch wenige Fuß breit -von den Damen entfernt war. Mit einem höflichen: »=Good morning!=« -lüftete ich den Hut. In demselben Augenblick aber fuhr Mrs. Newlands Kopf -nach mir herum, und ich vermochte voll in ihr Angesicht zu schauen. - -Ich habe wohl davon gehört, daß blühende, gesunde Menschen durch Kummer, -seelischen Schmerz oder körperliche Leiden binnen weniger Monate ein -vollständig verändertes Aussehen erhalten können. Diese bisher noch so -rüstige Frau hatte aber eine einzige Nacht zur Greisin umgewandelt. -Doch nicht der Ausdruck milder, friedlicher Ruhe lag über dem gefurchten -Gesicht, -- nein, eine grauenhafte, grinsende Verzerrung, welche zu -verbergen ihr nicht gelang, zuckte zuweilen darüber hin. Vor diesem -Anblick schauderte ich innerlich und gedachte des Hauptes der Medusa. - -Zwar traf mich nur ein einziger Blick der in stiller Angst, in Grimm und -Wut flackernden dunklen Augen, doch er genügte, mir zu verraten, daß die -fürchterliche Kreatur mir auf dem Grunde der Seele zu lesen beabsichtigte, -und daß ihr scharfer Verstand sie doch vielleicht auf die richtige Spur -geleitet. Wie aus Erz gegossen, mit keiner Wimper zuckend, stand ich vor -ihr. Mir erschien dies jetzt schon als Anfang der Vergeltung, die früher -oder später über diese geldgierige Megäre, wie der eigene Sohn sie -benannte, unfehlbar hereinbrechen mußte. Nochmals verbeugte ich mich kühl -und schritt an ihr vorüber dem Speisezimmer zu. - -Das war auch das letzte, was ich von Frank Wilsons Mutter jemals wieder -geschaut. -- -- - -Zwei Tage später brachten die New Yorker Zeitungen von neuem allerlei -Gerüchte über die vermeintlichen Falschmünzer, unter anderem die -Nachricht, daß die Polizei sich die gefährlichen Vögel jedenfalls -wieder habe aus dem Garn fliegen lassen. Wenigstens sei auf einem der -City-Bahnhöfe eine ominöse Reisetasche, vollgepfropft mit allerlei -äußerst verdächtigem Werkzeuge nebst Zubehör, aufgefunden und mit -Beschlag belegt worden, und könne das wohl zu dem Schlusse berechtigen, -daß die verbrecherischen Eigentümer derselben längst über alle Berge -wären. -- - -Nach etwa sechs Monaten erhielt ich die ersten ausführlicheren Nachrichten -von meinen Schützlingen in einem Briefe, dem ein Check über 150 Dollars, -zahlbar an der Bank von Montreal, beigeschlossen war. Es war Mrs. Maud -Wilson, die mir schrieb; doch mußte ich bei dem Lesen öfters eine Pause -machen, weil eine eigentümliche Rührung mich überkam. Fast Seite um -Seite füllten nur rührende Dankesworte das Papier. Dieses Geld -- so -meldete sie -- sei die erste Rate ihrer Schuld; indes dürften sie nicht im -mindesten deshalb darben. Frank habe einen brillanten Verdienst! -- Und -was stand da noch in diesem Briefe? Von nie gekanntem Glück, von seligem -Frieden und einem süßen, trauten Heim erzählten die Zeilen --; ferner -wie Frank arbeite von früh bis spät, wie einfach und anspruchslos er sei -in seinen Bedürfnissen, aber auch, wie geachtet und geliebt er sei -von seinem Chef und von allen, mit denen er verkehre! »Ist dieses -gottgesegnete Leben jetzt nur eine himmlische Illusion oder haben wir -früher einen bösen Traum geträumt? O, möchte doch die Vergangenheit -gänzlich ausgelöscht sein!« So schloß die junge Frau ihr langes -Schreiben. - -Und sie blieb es wirklich. Denn Frank Wilson ist bis zum heutigen Tage nie -mehr an jene Schreckensperiode seines Daseins erinnert worden. Als ich ihn -nach langer Zeit, völlig zum Manne herangereift, wiedersah, und er mir -stumm, doch mit strahlender Seligkeit im Auge, sein einziges Söhnlein, -einen prächtigen, blonden Jungen von etwa einem Jahre, entgegenreichte, da -wußte ich genau, daß sein einst so verhärtetes, umdüstertes Gemüt -nun endlich Frieden gefunden im Schönsten, was eine weise Hand zu unserem -Segen und Frommen geschaffen -- im eigenen Heim. -- -- - -Und Mrs. Newland? - -Weder mündlich noch schriftlich habe ich jemals den Sohn nach seiner -Mutter zu fragen gewagt. Doch _sie_, die für und für des geprüften -Mannes »Licht und Trost« blieb, die ihm vertraut und an ihm gehangen in -den schrecklichen Tagen des Elends, -- sie flüsterte mir, in dem ihr auch -später noch anhaftenden, fast jungfräulichen Liebreiz einmal ins Ohr, -daß Franks Mutter mit Ellen auf großem Fuße in Paris lebe. Woher sie -diese Kunde erhalten hatte, war mir zu wissen gleichgültig, und ich -fragte nicht danach. Allein irgend welche Gefahr fürchtete ich für meine -Schützlinge nicht mehr. -- -- - - -Druck von Greßner & Schramm in Leipzig. - - - - -[ Hinweise zur Transkription - - -Im Originalbuch tragen die Titelseite, die Kapitelüberschriften und die -Kapitelenden einfachen floralen, die Kapitelanfänge ornamentalen Schmuck, -auf den in dieser Transkription verzichtet wurde. - -Das Originalbuch ist in Fraktur gesetzt. - -Darstellung abweichender Schriftarten: _gesperrt_, =Antiqua= (Römische -Zahlen wurden nicht gesondert markiert). - -Der Text des Originalbuchs wurde grundsätzlich beibehalten, mit folgenden -Ausnahmen, - - Seite 8: - im Original "hatten die Fremden es verstanden sich bald" - geändert in "hatten die Fremden es verstanden, sich bald" - - Seite 9: - im Original "Rückseite des Häuschens gelegenen, kleinen Salons" - geändert in "Rückseite des Häuschens gelegenen, kleinen Salon" - - Seite 9: - im Original "»M'a«!" - geändert in "»M'a!«" - - Seite 11: - im Original "das bißchen Silber dazu geommen" - geändert in "das bißchen Silber dazu genommen" - - Seite 15: - im Original "»Das ist wirklich originell, hahaha!" - geändert in "»Das ist wirklich originell, hahaha!«" - Die Zeitungsannonce wurde durch Einrückung markiert. - - Seite 16: - im Original "Ich bin überzeugt, daß fast jede" - geändert in "»Ich bin überzeugt, daß fast jede" - - Seite 17: - im Original "Bibliothek um ein für sein Geschäft wichtiges Werk" - geändert in "Bibliothek, um ein für sein Geschäft wichtiges Werk" - - Seite 20: - im Original "trat Mrs. Clark zum Ausgange gerüstet, noch einmal" - geändert in "trat Mrs. Clark, zum Ausgange gerüstet, noch einmal" - - Seite 37: - im Original "_Berlin_, 14. Januar 18.." - geändert in "Berlin, 14. Januar 18.." - Zur Angleichung wurde die Sperrung der Ortsangabe aufgehoben. - - Seite 41: - im Original "das Licht, der armseligen »Motte« zu folgen?« - geändert in "das Licht, der armseligen ›Motte‹ zu folgen?« - - Seite 46: - im Original "Meinetwegen brauchst Du das nicht mehr zu thun!«" - geändert in "»Meinetwegen brauchst Du das nicht mehr zu thun!«" - - Seite 59: - im Original "Geheimnis, daß Deinen wilden, zügellosen Freund" - geändert in "Geheimnis, das Deinen wilden, zügellosen Freund" - - Seite 61: - im Original "»Agnes, meine Agnes! Ich bin namenlos glücklich«" - geändert in "»Agnes, meine Agnes! Ich bin namenlos glücklich!«" - - Seite 78: - im Original "Unsere Herzogin, die durchaus keine schöne Frau war" - geändert in "»Unsere Herzogin, die durchaus keine schöne Frau war" - - Seite 92: - im Original "Unsere guten Newtows sind Menschen, welche" - geändert in "Unsere guten Newtons sind Menschen, welche" - - Seite 95: - im Original "»Sie irren, mein Herr! entgegnete ich" - geändert in "»Sie irren, mein Herr!« entgegnete ich" - - Seite 113: - im Original "Nur bildeten Mokassins die Fußbegleidung" - geändert in "Nur bildeten Mokassins die Fußbekleidung" - - Seite 118: - im Original "es sich kaum bezeichnen -- am Brodway" - geändert in "es sich kaum bezeichnen -- am Broadway" - - Seite 125: - im Original "Mein Blick war plötz- auf etwa" - geändert in "Mein Blick war plötzlich auf etwa" - - Seite 128: - im Original "»Ich staune über sie, Madame!«" - geändert in "»Ich staune über Sie, Madame!«" - - Seite 129: - im Original "Was mir an-anfänglich schwer und ungewöhnt ist" - geändert in "Was mir anfänglich schwer und ungewöhnt ist" - - Seite 135: - im Original "Sonne ihre glühenden Strahlenbündel anf den" - geändert in "Sonne ihre glühenden Strahlenbündel auf den" - - Seite 143: - im Original "die Mutter von Frank Newland. sowie" - geändert in "die Mutter von Frank Newland, sowie" - - Seite 147: - im Original "»Der »New York Herald« wird zum Beispiel" - geändert in "»Der ›New York Herald‹ wird zum Beispiel" - - Seite 163: - im Original "»der Zweck heiligt die Mittel«" - geändert in "›der Zweck heiligt die Mittel‹" - - Seite 168: - im Original "»Welch eine Erscheinung!«" - geändert in "›Welch eine Erscheinung!‹" ] - - - -*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK LOSE BLÄTTER *** - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the -United States without permission and without paying copyright -royalties. 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Hart was the originator of the Project -Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be -freely shared with anyone. For forty years, he produced and -distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of -volunteer support. - -Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in -the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not -necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper -edition. - -Most people start at our website which has the main PG search -facility: www.gutenberg.org - -This website includes information about Project Gutenberg-tm, -including how to make donations to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to -subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. diff --git a/old/67861-0.zip b/old/67861-0.zip Binary files differdeleted file mode 100644 index 5477f49..0000000 --- a/old/67861-0.zip +++ /dev/null diff --git a/old/67861-h.zip b/old/67861-h.zip Binary files differdeleted file mode 100644 index 03a5237..0000000 --- a/old/67861-h.zip +++ /dev/null diff --git a/old/67861-h/67861-h.htm b/old/67861-h/67861-h.htm deleted file mode 100644 index e673d46..0000000 --- a/old/67861-h/67861-h.htm +++ /dev/null @@ -1,6684 +0,0 @@ - - -<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN" - "http://www.w3.org/TR/xhtml1/DTD/xhtml1-strict.dtd"> - -<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml" xml:lang="de" lang="de"> - -<head> -<meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> -<meta http-equiv="Content-Style-Type" content="text/css" /> - -<title>The Project Gutenberg eBook of -Lose Blätter -by -Doris von Spättgen</title> - -<link rel="coverpage" href="images/cover.jpg" /> -<style type="text/css"> - -body {margin-left: 10%; margin-right: 10%;} - -h1 {font-size: 300%; text-align: center; font-weight: bold; margin-top: 1em; line-height: 1.3;} -h2 {font-size: 140%; text-align: center; font-weight: bold; margin-top: 4em; margin-bottom: 1em; line-height: 2;} - -p {text-indent: 1em; text-align: justify; margin-top: 0.75em; margin-bottom: 0.75em; vertical-align: bottom; line-height: normal;} - -hr {width: 15%; margin-top: 2em; margin-bottom: 2em; page-break-before: avoid;} - -.ce {text-align: center; text-indent: 0;} -.ge {font-style: normal; letter-spacing: .12em; padding-left: .12em;} -.in0 {text-indent: 0;} -.ci {margin-left: 5%; margin-right: 5%; text-indent:0;} -.da {text-align: right; text-indent: 0;} -.si {text-align: right; margin-right: 2em;} -.ndcbl {text-decoration: none; color: black;} -.pb {page-break-before: always;} -.nopb {page-break-before: avoid;} -.mw36 {max-width: 36em; margin-left: auto; margin-right: auto;} - -.lh1 {line-height: 1.3;} -.lh2 {line-height: 2;} - -.fsl {font-size: 125%;} -.fsxl {font-size: 140%;} -.fss {font-size: 80%;} - -.ml5 {margin-left: 5em;} -.mr10 {margin-right: 10em;} - -.mt2 {margin-top: 2em;} -.mt4 {margin-top: 4em;} - -table {margin-left: auto; margin-right: auto; margin-top: 1em; margin-bottom: 1em;} -.tdl {text-align: left; vertical-align: top; padding-left: 1em; text-indent: -1em;} -.tdr {text-align: right; vertical-align: bottom;} - -a[title].pagenum {position: absolute; right:3%;} - -a[title].pagenum:after { - content: attr(title); - border: 1px solid silver; - display: inline; - font-size: x-small; - text-align: right; - color: #808080; - background-color: inherit; - font-style: normal; - padding: 1px 4px 1px 4px; - font-variant: normal; - font-weight: normal; - text-decoration: none; - text-indent: 0; - letter-spacing: 0; -} - -</style> -</head> - - -<body> -<div lang='en' xml:lang='en'> -<p style='text-align:center; font-size:1.2em; font-weight:bold'>The Project Gutenberg eBook of <span lang='de' xml:lang='de'>Lose Blätter</span>, by Doris von Spättgen</p> -<div style='display:block; margin:1em 0'> -This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and -most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions -whatsoever. 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A. Berger.</span><br /> -1895.</p> - -<p class="mt2 ce fss">Vor Nachdruck geschützt.<br /> -Übersetzungsrecht vorbehalten.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_001"> </a> -Inhaltsverzeichnis.</h2> - - -<table summary="" border="0" cellpadding="5"> - <tr> - <td class="tdl"><a class="ndcbl" href="#page_003">Licht</a></td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_003">3</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl"><a class="ndcbl" href="#page_035">Fächer-Bilder</a></td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_035">35</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl"><a class="ndcbl" href="#page_063">Aus Großtantchens Hofdamenleben</a> </td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_063">63</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl"><a class="ndcbl" href="#page_083">Unter dem Niagara-Falle</a></td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_083">83</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl"><a class="ndcbl" href="#page_103">Zahnschmerzen</a></td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_103">103</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl"><a class="ndcbl" href="#page_133">Amerikanische Existenzen</a></td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_133">133</a></td> - </tr> -</table> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_003" title="3"> </a> -<span class="ge">Licht.</span></h2> - - -<p><a class="pagenum" id="page_005" title="5"> </a> -<b>W</b>eit draußen am äußersten Ende von Williamsbourgk, -einem Stadtteile Brooklyns, dort, wo die Straßen- -und Häuserreihen bereits durch ausgedehnte Wiesenflächen -und üppige Obstplantagen unterbrochen werden, so daß die -Bezeichnung »Stadt« daselbst eigentlich nicht mehr zutreffend -erscheint, weil die Gegend schon allmählich den -Charakter des Ländlichen annimmt – dort steht eine Reihe -allerliebster, hüttenartiger Häuschen, deren Gesamtheit, -wegen der Zierlichkeit und Gleichheit der Gebäude, im -Volksmunde »Dolly Ward (Puppenfestung)« benannt wird. -Diese Miniaturvillen, eine aufs Haar genau so wie die -andere, mußten unzweifelhaft aus der Hand desselben Baukünstlers -hervorgegangen sein, der sie, wohl mehr um einer -flüchtigen Laune zu genügen, als um praktische Behausungen -zu schaffen, aus der Erde hervorgezaubert haben -mochte.</p> - -<p>Jedes der Häuschen war mit einem niedlichen Vorgärtchen, -einer Art Veranda, worauf die Hausthür mündete, -und einer grün angestrichenen, hölzernen Treppe versehen, -deren Geländer ein fast elegant zu nennendes Schnitzwerk -auswies. Das Innere einer solchen Villa bestand aus -nur zwei größeren Zimmern im ersten Stock, sogenannten -<a class="pagenum" id="page_006" title="6"> </a> -Parlours, drei Mansardenstübchen und der großen hellen -Küche im Basement (Souterrain).</p> - -<p>Merkwürdigerweise stand nur äußerst selten ein Häuschen -der Dolly Ward zu vermieten. Die meisten derselben befanden -sich schon seit vielen Jahren in festen Händen, was -ihr Äußeres auch fast durchweg verriet. Die Gärtchen -zeigten sich auf das sorgsamste gepflegt, ihre schmalen Gänge -waren mit rotem Kies bestreut, während verschiedenes feines -Strauchwerk die etwas primitiven Staketenzäune, welche -die Grundstücke von der Verkehrsstraße trennten, verdeckte -und dadurch eine Art hübsche lebende Hecke bildete. Rosen -und andere duftende Blumen erfreuten im Sommer das -Auge der Vorübergehenden, und die stets blitzblank geputzten -Fensterscheiben und sauberen Gardinen vollendeten -den guten Eindruck, den diese Villen auf den Fremden -ausübten.</p> - -<p>Die Bewohner von Dolly Ward, zum Teil bejahrte -Leute, welche sich nun ins Privatleben zurückgezogen hatten, -zum Teil Angestellte großer Geschäfte von Brooklyn und -New York, welche ihrer Familie wegen die bei weitem billigeren -und gesünderen Wohnungen hier draußen dem Geräusch -und dem Staube der Großstadt vorgezogen, und einige alte -Fräuleins, welche Pensionäre hatten, bildeten eine förmliche -feste Clique, so daß auf Dolly Ward jeder neue Ankömmling -anfänglich allseitigem Mißtrauen begegnete.</p> - -<p>Im Anfang des Frühlings 188<span class="ge">.</span> war Mr. Holstein, -der deutsche Eigentümer des Häuschens Nr. 9, plötzlich gestorben -und bald darauf hatte seine Witwe den guten Bekannten -von rechts und links Lebewohl gesagt, weil sie -ihren Aufenthalt fortan nach Jersey City zu einer verheirateten -Tochter zu verlegen gedachte. Mr. O'Reilly, der -Nachbar zur Rechten, welchem die alte Dame vor ihrem -<a class="pagenum" id="page_007" title="7"> </a> -Scheiden die vorteilhafte Vermietung ihres Besitztums noch -recht eindringlich ans Herz gelegt hatte, hing eigenhändig -die weiße Tafel zum Fenster hinaus, auf welcher mit großen -Lettern zu lesen stand: »<i>to let</i>.«</p> - -<p>Etwa vier Wochen lang zerbrach man sich in Dolly Ward -die Köpfe, wer wohl seinen Weg hier heraus nach dem -entlegenen Teile von Williamsbourgk nehmen würde, denn -die guten Leute der kleinen Villenkolonie waren äußerst -exklusiv und fürchteten begreiflicherweise das Niederlassen -des ersten besten Rowdy in ihrer friedlichen Ansiedelung. -Da verkündete Mr. O'Reilly eines Morgens einer wißbegierigen -Dame, daß des seligen Holsteins Häuschen vermietet -worden sei und die neuen Bewohner, in Gestalt von -Mutter und Tochter demnächst schon eintreffen würden. Das -gab natürlich viel zu reden. Allein auf alle an ihn gerichteten -Fragen vermochte Mr. O'Reilly keine weitere Auskunft -zu geben, als daß beide Damen respektabel aussähen -und gebildet schienen.</p> - -<p>Vier Tage später war die kleine Villa von den neuen -Bewohnern bezogen. »Wer mag das wohl sein? Weshalb -kommen Leute, die solch eine Masse von eleganten Möbeln -mit sich führen, hier heraus? Die Geschichte gefällt uns -nicht – das hat sicher noch einen Haken!« So flüsterte man -sich gegenseitig zu nach dem Eintreffen von Mrs. Northland -und ihrer schönen Tochter auf Dolly Ward. Nachdem -jedoch zwei und drei Monate ins Land gegangen und die -beiden Damen trotz ihrer großen Zurückhaltung bekannter -geworden waren, fing man an, sie gerade um ihrer Zurückhaltung -und vornehmen Würde willen mit anderen Augen -anzusehen, und nun sagten die Nachbarn von rechts und -links unter sich: »Feine Leute sind es offenbar, das bezeugt -ihr ganzes Auftreten, allein – wovon leben sie?«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_008" title="8"> </a> -Nach amerikanischen Begriffen hat das Wort »Arbeit« -die höchste und ehrendste Bedeutung und nur der gilt als -angesehen, welcher auf irgendwelche ehrliche Weise durch -eigene Arbeit sein Brot erwirbt. Die reichen Leute arbeiten -aus angeborener und anerzogener Lust zum Schaffen, die -Unbemittelten, um reich zu werden – Müßiggang giebt es -in den Vereinigten Staaten nicht und wer sich ihm hingiebt, -hat Mißtrauen zu fürchten über die Art, durch die -er sich seinen Lebensunterhalt erwirbt. Da nun Mrs. Northland -und ihre Tochter, außer einer gelegentlichen Fahrt -nach New York, keine besondere Beschäftigung zu haben schienen, -so war das selbstverständlich auch ein Grund, sich über die -seltsame Lebensweise der beiden Damen aufzuhalten. Dessenungeachtet -hatten die Fremden es verstanden, sich bald die -Achtung und Teilnahme der Bewohner von Dolly Ward -zu erwerben. Wer auch hätte dem freundlich sanften Wesen -der Mutter, wer dem bezaubernden Augenaufschlag der -Tochter zu widerstehen vermocht? So schroff und absprechend -auch anfangs über die beiden Frauen geurteilt worden war, -jetzt bemühte sich jeder, ihnen Gefälligkeiten zu erweisen, -wenn auch ein näherer Verkehr nicht in den Wünschen der -Damen zu liegen schien.</p> - -<p>Außer Mr. O'Reilly, dem jungen Advokaten, welcher -in Goldsmiths Office in Brooklyn arbeitete und hier bei -der alten Miß Colnay Pensionär war, außer diesem hatte -noch keiner der Bewohner von Dolly Ward Mrs. Northlands -Schwelle überschritten, und auch sein Verkehr mit den -beiden Damen beschränkte sich nur auf einige geschäftliche -Besuche, die O'Reilly der neuen Mieterin als Verwalter -des Holsteinschen Grundstücks zu machen hatte. Es schien -auch durchaus nicht in deren Absicht zu liegen, mit irgend -jemand näher bekannt zu werden. Bei Begegnungen grüßte -<a class="pagenum" id="page_009" title="9"> </a> -man untereinander, sprach gelegentlich einige Worte über -den Gartenzaun, das war alles.</p> - -<p>Im allgemeinen galt Mr. O'Reilly als wortkarger -Mann; seit er jedoch die Bekanntschaft der Fremden gemacht, -gab es dennoch einen Punkt, der seinen Mund überfließen -machte: das war, wenn er von Mrs. Northland und deren -Tochter sprach und in Lob und offener Bewunderung über -beide sich erging. Durch ihn wußte es auch bald jedermann -in Dolly Ward, daß diese Damen eine ganz ungewöhnliche -Bildung, sowie die feinsten Umgangsformen -besäßen und daß, obwohl Miß Grace Northland alltäglich -mit einem Körbchen am Arm die Einkäufe bei Fleischer -und Kaufmann selbst machte, die jetzige Einrichtung von -Nr. 9 derjenigen einer Lady der V. Avenue von New York -gleichgestellt werden konnte.</p> - -<p>An einem regnerischen Junitage, um die sechste Abendstunde, -trat Miß Grace, eine schlank gewachsene Brünette, -mit kühn geschwungenen Augenbrauen und herbgeschlossenem, -ausdrucksvollem Munde, dessen Linien sowohl starke Willenskraft -wie auch Unerschrockenheit bekundeten, nach einem Ausgange -durch die Verandathür in das vordere der beiden -Parlours und schaute sich sichtlich befremdet darin um: -»M'ma! Mama!«</p> - -<p>Keine Antwort erfolgte – das junge Mädchen stellte -daher den Regenschirm rasch beiseite und eilte nach dem -zweiten, nach der Rückseite des Häuschens gelegenen, kleinen -Salon, welcher von dem ersten nur durch eine schwere, -moosgrüne Portiere getrennt war.</p> - -<p>»M'a!«</p> - -<p>Auch hier zeigte sich niemand. Und doch wußte Grace, -daß die Mutter Tag für Tag an dem nach der Straße -gelegenen Fenster saß und die Tochter, wenn sie von ihren -<a class="pagenum" id="page_010" title="10"> </a> -kurzen Ausgängen heimkehrte, regelmäßig an diesem Plätzchen -erwartete. So lange man auf Dolly Ward wohnte, -war dies geschehen und heute nun zum erstenmale vermißte -sie die teure Gestalt an dem gewohnten Platze.</p> - -<p>Ein banges Gefühl beklemmte die Brust des jungen -Mädchens. Rasch sprang sie die Treppe zum oberen Stockwerk -hinan und öffnete die Thür des gemeinsamen Schlafgemachs -– dort saß Mrs. Northland und schien, über ein -weißes Papier gebeugt, zu schreiben. Sobald die ältere Dame -jedoch der schnell Eintretenden ansichtig wurde, schrak sie -leicht zusammen und sagte halb verlegen, die Hand über -das vor ihr liegende Schriftstück breitend:</p> - -<p>»Wie, schon zurück, mein Kind? Ich habe Dich noch -nicht erwartet.«</p> - -<p>»Eben das befremdet mich, Mama, was thust Du hier -allein?«</p> - -<p>Mit diesen erregt gesprochenen Worten eilte Grace auf -die Mutter zu und umschlang sie mit fast ungestümer Zärtlichkeit. -»M'a, geliebte M'a, Du verbirgst etwas vor mir, -Du willst etwas thun, was ich nicht wissen soll. O warum -das? Haben wir bisher nicht alle Sorgen und Mühen -miteinander geteilt?« Ein wahrhaft rührender Ausdruck -lag jetzt über den schönen Zügen der jungen Sprecherin.</p> - -<p>»Grace!« Die ältere Dame suchte ein Schluchzen zu -bekämpfen, »o Grace, es kann ja so nicht weiter gehen.«</p> - -<p>»Es darf nicht, Mama, Du leidest physisch und seelisch -darunter, das habe ich Dir schon oft gesagt, und deshalb -werde ich Abhilfe schaffen. Ich muß es schon um Deinetwillen -thun,« entgegnete das junge Mädchen mit fester -Stimme.</p> - -<p>»Nein, nein, nur das nicht! Du sollst nicht hingehen -in die großen Geschäfte, wo all' die tausend von jungen -<a class="pagenum" id="page_011" title="11"> </a> -Mädchen als Verkäuferinnen angestellt und von früh bis -spät in jenen Tretmühlen beschäftigt sind – nimmermehr! -Mein Stolz würde das nie ertragen lernen. Lasse mir -doch diesen Stolz – er ist das einzige, was von allem -Glanz und Schimmer der schönen Vergangenheit mir geblieben -ist,« schluchzte Mrs. Northland unter heißen Thränen.</p> - -<p>»Es giebt aber doch auch noch andere Wege, uns einen -genügenden Unterhalt zu verdienen,« gab Grace unbeirrt -zurück.</p> - -<p>»Du meinst als Lehrerin, mein Kind! Gewiß – diese -Damen werden gut bezahlt, allein, ob wir auch an Deine -Erziehung viel gewendet haben, so bist Du für diesen -Beruf doch noch nicht ausgebildet genug und müßtest noch -einmal mit Deinem Studium von vorn beginnen, was -einige Jahre beanspruchen – nein, mein Kind, auch das -will ich nicht. Welchen Demütigungen und Versuchungen -wärest Du in einer solchen Stellung ausgesetzt!« fügte Mrs. -Northland hinzu, ihre Wange zärtlich an die der Tochter -schmiegend.</p> - -<p>»Aber, was willst Du denn thun, Herzens-Mama, hast -Du denn einen anderen Plan?« fragte das junge Mädchen -eindringlich, indem sie das mit Zahlen bedeckte Papier auf -dem Tische prüfend musterte.</p> - -<p>Die Antwort ließ eine Weile auf sich warten, dann -kam es zagend über der Mutter Lippen: »Ich glaube, daß -unsere Einrichtung, das bißchen Silber dazu genommen, noch -ein recht leidliches Sümmchen repräsentiert. Nach meiner -Zusammenstellung des Ganzen ergiebt sich – schlecht gerechnet -– ein Ertrag von 2300 Dollars. Damit könnte -ich vielleicht – irgend ein – bescheidenes Geschäft beginnen, -das uns wenigstens vor Not schützte. Niemand kennt uns -in New York – wer ahnt in mir die Witwe des Millionärs -<a class="pagenum" id="page_012" title="12"> </a> -und Eisenbahnkönigs Frederik A. Northland aus St. Louis, -dessen Name ehedem im Westen einen solch' bedeutungsvollen -Klang gehabt?! Nicht Du, mein Liebling, sondern ich muß -mich aufraffen aus dieser lähmenden Apathie und für -unsere Zukunft sorgen!«</p> - -<p>»Nein, um Gotteswillen, nein, wenn Du mich liebst, -Mama, so schweige von solchen Dingen,« rief Grace fast -leidenschaftlich, »Du, die schöne, vornehme Frau Dich erniedrigen, -hinter dem Ladentische zu stehen – entsetzlich! -Du Dich von Deinen lieben Sachen trennen, wo jedes -Stück Dich an das frühere Glück und den teuren Vater -erinnert! Das undankbarste Geschöpf unter der Sonne -müßte ich sein, wollte ich das zulassen. Wozu bin ich -jung und kräftig. Nein, Mama, daraus wird absolut nichts!« -Jetzt hatte das junge Mädchen sich zur vollen Höhe emporgerichtet, -wobei ein Ausdruck von Energie und Mut aus -den schönen Augen leuchtete.</p> - -<p>»O Gott, daß es dahin kommen mußte! Wenn er, -Dein Vater, noch lebte, es stünde besser mit uns, und wie -gern wollte ich auch Not und Sorgen mit ihm teilen!« -weinte leise die beklagenswerte Frau.</p> - -<p>»Der Himmel hat ihm dieses Schwerste erspart, das -muß uns trösten, M'a,« sagte die Tochter weich.</p> - -<p>»Als wir hier ankamen, Grace, glaubten wir uns -beinahe reich mit der kleinen Summe, die wir mitbrachten -– nun ist sie fast ganz zusammen geschmolzen! Ich habe -nie gedacht, daß die täglichen Bedürfnisse des Lebens soviel -Geld verschlingen könnten. Dabei steht der Quartalswechsel -vor der Thür und die Miete soll an Mr. O'Reilly -bezahlt werden. – Ach, ich werde ihn wohl bitten müssen, -uns den Betrag für einige Wochen zu stunden.«</p> - -<p>»Nimmermehr, Mama! Nur keine Gefälligkeit von -<a class="pagenum" id="page_013" title="13"> </a> -diesem Manne, es wäre mir schrecklich – erdrückend!« -wehrte Grace mit auffälliger Hast ab. Prüfend schaute ihr -die Mutter ins Gesicht und sagte bedeutsam:</p> - -<p>»Er ist kein übler Mann. Seine Manieren sind -tadellos und neben einem guten Einkommen scheint er ein -redliches gutes Herz zu besitzen. Nicht ohne Grund sucht -er uns verlassenen Frauen öfters auf – hast Du daran -schon gedacht, mein Kind?«</p> - -<p>»Er ist mir unsympathisch, Mama! Bitte, erwähne -seiner gegen mich nie mehr in dieser Weise, ich könnte -Mr. O'Reilly sonst nicht mehr unbefangen und freundlich -begegnen,« gab Grace unwillig und in ernstem Tone zurück. -Mrs. Northland seufzte und schwieg, worauf beide Damen -langsam nach der unteren Etage hinabstiegen.</p> - -<p>Da die Dämmerung eingetreten war, so brachte das -junge Mädchen die Lampe, welche sie alsbald mit großer -Geschicklichkeit in Brand setzte. Ein intensives Licht beleuchtete -jetzt das mit feinem Geschmack ausgestattete Gemach, -so daß jeder Gegenstand darin erkennbar war. Die Mutter, -welche mit sichtlichem Vergnügen den flinken Bewegungen -der auffallend schönen Hände ihres Kindes zugeschaut hatte, -sagte plötzlich lächelnd:</p> - -<p>»Wie Du doch diese wenig anmutende Arbeit verstehst -und graziös verrichtest, mein Liebling! Ich habe niemals, -auch in jener Zeit, als viele Diener mir zur Verfügung -standen, solche hell und klar brennende Lampe gehabt, wie -jetzt, wo mein teueres Töchterchen sich dieser Mühe eigenhändigst -unterzieht!«</p> - -<p>»Ich bin auch stolz darauf, Mama, weil ich mir sage: -Arbeit schändet nicht,« versetzte Grace heiter.</p> - -<p>»Nein, gewiß nicht, aber, ganz abgesehen von Deiner -Opferwilligkeit, Du hast wirklich ein großes Talent dafür.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_014" title="14"> </a> -Bei diesen harmlosen Worten hob das schöne Mädchen -die langen, dunklen Wimpern und sah der Sprecherin einige -Sekunden starr und nachdenklich ins Gesicht. Eine schärfere -Beobachterin, als Mrs. Northland war, würde wahrgenommen -haben, daß es zugleich wie ein blitzartiges Aufleuchten -über die regelmäßigen Züge glitt.</p> - -<p>Als nach einer halben Stunde die Damen am Theetisch -saßen, der in seinem zierlichen Arrangement von gutem -Porzellan und einigen wertvollen Stücken Silbergerät nur -zu deutlich verriet, daß die Dasitzenden einst bessere Tage -gesehen, erschien Grace merklich einsilbig und zerstreut. -Abermals seufzte die Mutter still für sich und beobachtete -mit Wehmut und Trauer, aber verstohlen des einzigen -Kindes liebes Angesicht.</p> - -<p>Am nächsten Morgen fuhr Grace, kleine Einkäufe vorschützend, -hinüber nach New York. Pünktlich nach drei -Stunden, wie sie es versprochen, kehrte sie auch zurück, doch -konnte das junge Mädchen es jetzt nicht unterlassen, der -Mutter eine Mitteilung zu machen. Halb verlegen, halb -freudig schlüpfte die geheimnisvolle Enthüllung über die -rosigen Lippen, daß sie Hoffnung hege, vielleicht einen kleinen -Verdienst zu bekommen.</p> - -<p>Aufs höchste erschreckt, starrte Mrs. Northland der -Erzählerin ins Gesicht, indem sie darauf noch einmal alles -schon unzählig oft Gesagte wiederholte und das junge -Mädchen himmelhoch beschwor, sich nicht als Ladenmädchen -zu verdingen. Aber Grace beruhigte die erregte Frau insofern, -daß diese Aussicht auf einen Erwerb bisher nur in -einer Annonce bestände, die sie in den »Herald« habe einrücken -lassen und worüber sie die Mutter aufklären wolle, -sobald man darauf geantwortet haben würde. Unter einer -Chiffre habe sie Briefe, Hauptpostamt restante New York -<a class="pagenum" id="page_015" title="15"> </a> -erbeten. Der flehende und zugleich so mädchenhafte reine -Ausdruck in Graces Augen bekämpfte die im Herzen der -bekümmerten Frau aufsteigenden Zweifel und damit war -diese Sache fürs erste abgethan. –</p> - -<hr /> - -<p>Im Speisesaale eines hocheleganten Privathauses der -V. Avenue in New York befanden sich eine ältere, aber noch -immer sehr wohl konservierte Dame, welche, den »Herald« -in der Hand, am Fenster saß, und ein junger auffallend -hübscher Mann von vielleicht neunundzwanzig Jahren, -der sich mit seinem Frühstück beschäftigte.</p> - -<p>»Welch' seltsame Annonce! Bitte, höre mir einmal zu, -Anthony, Hahaha!«</p> - -<p>»Ja, sofort, Mutter! Erlaube nur, daß ich noch dieses -halbe Ei verzehre, dann stehe ich zu Deinen Diensten.«</p> - -<p>»Das ist wirklich originell, hahaha!« – Abermals -tönte das helle Lachen nach dem Sprechenden hinüber.</p> - -<p>»So, nun, was ist denn da so spaßig, Mutter.«</p> - -<p>Der Gerufene war jetzt näher getreten und zog sich -einen Stuhl dicht an die Seite der stattlichen Frau. -Diese las:</p> - -<p class="ci">»Eine sehr respektable junge Dame aus guter Familie, -welche, durch mißliche Verhältnisse gezwungen, sich einen -eigenen Broterwerb zu verschaffen genötigt ist, bietet in -nur feinen Häusern ihre Dienste an, um das von den -Domestiken in der Regel vernachlässigte Geschäft des Putzens, -Reinigens und Versorgens der Lampen zu übernehmen -und bestmöglichst auszuführen. Dieselbe besitzt in dieser -Branche eine seltene Fertigkeit und Übung und wird ihre -Kunden sicherlich zufriedenstellen. Auf Wunsch Referenzen. -Briefe erbeten: <i>Head-Postoffice restante Nr. 600</i>.«</p> - -<p>»In -<a class="pagenum" id="page_016" title="16"> </a> -der That höchst sonderbar,« äußerte der mit Anthony Angeredete -kopfschüttelnd, mehr ernst als scherzend, »entweder -ist das nur ein schlechter Spaß oder – was mir wahrscheinlicher -dünkt – ein Notschrei aus der Brust einer -armen Frau.« Er nahm die Zeitung in die Hand und ließ die -Blicke über die vielen kleinen Annoncen gleiten, ehe er fort -fuhr: »Ich bin überzeugt, daß fast jede dieser Zeilen einen -Roman zu verzeichnen hat. Dafür lebt man eben in der -Riesenstadt New York. Wohl demjenigen, dem es einmal -vergönnt ist, einen Blick in solch' verborgenes Leid zu thun, -der in die Lage versetzt wird, heimlich geweinte Thränen -trocknen zu können!«</p> - -<p>»Du bist ein Schwärmer, Anthony. Diesen weichen, -menschenfreundlichen Sinn und das poetische Gemüt muß -Dir Deine deutsche Mutter vererbt haben. Dein Vater -besaß hiervon nichts,« versetzte die stattliche Dame mit einem -leichten Seufzer, indem sie das edel geformte Antlitz des -Stiefsohnes wohlgefällig betrachtete. »Was meinst Du, -Anthony, ob ich diese Annonce beantworte? Man könnte -ja dann sofort erfahren, inwieweit Deine Vermutungen zutreffend -sind oder nicht.«</p> - -<p>»Thue das, Mutter; es würde mich herzlich freuen, -wenn Du ein gutes Werk damit zu stiften im stande wärest,« -sagte der junge Mann lebhaft, und die Dame fuhr angeregt -fort:</p> - -<p>»Übrigens könnte wirklich eine kunstgeübte Hand unseren -Lampen samt und sonders nicht schaden, da der alte, -schwachköpfige Jim sein Geschäft zuweilen arg vernachlässigt. -Fast täglich habe ich Klage über ihn zu führen – wohlan, -ich schreibe, Anthony.«</p> - -<p>Als der junge Handelsherr Mr. Anthony E. Clark -gegen die elfte Vormittagsstunde nach seiner in der unteren -<a class="pagenum" id="page_017" title="17"> </a> -Stadt gelegenen Office fuhr, hatte er selbst den Brief der -Stiefmutter zur Beförderung in der Tasche. Als dies geschehen, -war aber bei ihm auch die Annonce und das -darauf bezügliche Gespräch vergessen. –</p> - -<p>Der nächste Morgen führte den jungen Mann indessen -nach der in einem Seitenflügel seines großen Hauses gelegenen -Bibliothek, um ein für sein Geschäft wichtiges Werk -daraus zu entnehmen. Beim Durchschreiten eines in den -Garten mündenden Zimmers, welches von seiner Stiefmutter -zur Aufbewahrung des häuslichen Wäscheschatzes benutzt -wurde und mächtige Schränke und Truhen aufwies, -stutzte Mr. Anthony überrascht. Dort an einem großen -Tische am Fenster, auf welchem eine förmliche Batterie von -Lampen aufgestellt war, stand ein hochgewachsenes Mädchen -und schien in ihre prosaische Beschäftigung so vertieft zu -sein, daß sie den Eintritt des jungen Mannes gar nicht -wahrgenommen hatte.</p> - -<p>Wohl drei Minuten betrachtete dieser das trotz seiner -Originalität höchst anmutige Bild. Durch die halb zugezogene -Gardine fiel ein Strahl der goldenen Morgensonne -gerade über den dunkeln Scheitel des feinen, etwas vorgebeugten -Kopfes und ließ ein wahrhaft holdseliges Profil -erblicken, das gegen den hellen Hintergrund wie gemeißelt -erschien. Die ebenmäßige Figur zeigte auffallend schöne -Formen, wie auch der Schnitt des Kleides unleugbare Eleganz -bewies. Anthony Clark zögerte noch immer, weiterzuschreiten, -weil er darauf wartete, daß die junge Unbekannte -vielleicht einmal die tief auf die Arbeit gesenkten -Augen heben würde, aber vergebens. Nun trafen seine -prüfenden Blicke die rührigen Finger – wie sonderbar! -Ein Paar waschlederne Handschuh bedeckten die Hände bis -zum Gelenk, hieran schlossen sich eine Art Schutzärmel aus -<a class="pagenum" id="page_018" title="18"> </a> -grauem Futterstoff, die bis über den Ellenbogen hinaufreichten; -ein kleines, weißes Schürzchen vervollkommnete -diese seltsame Toilette.</p> - -<p>Das also war die junge Dame aus guter Familie, -welche ihr Brot zu erwerben genötigt war? Er hatte mit -seinen Vermutungen demnach doch recht gehabt. »Eine -<em class="ge">Dame</em>, hm!« Im Augenblick dachte er gar nicht mehr an -seine Absicht, jenes Buch zu holen, sondern beschäftigte sich -mit dem Gedanken, daß diese Bezeichnung hier in der -That höchst gerechtfertigt erschien, wobei ein merkwürdiges -Gefühl, halb Befriedigung, halb Freude sein Inneres bewegte: -»Wie glücklich mochte das arme Mädchen sein, etwas -Beschäftigung – und hoffentlich auch recht lohnende – gefunden -zu haben!« –</p> - -<p>Gleichsam instinktiv, als ob es die Nähe eines Fremden -ahne, schlug das schöne Mädchen jetzt die Augen empor -und trat, merklich erschrocken, zurück, während ein heißes, -verräterisches Rot sich über Antlitz und Hals ergoß. Mr. -Anthony Clark wußte nichts anderes zu thun, als leicht zu -grüßen und rasch nach der Bibliothek hinüberzuschreiten, -von wo aus er dann seinen Rückweg durch einen anderen -Teil des Hauses nahm.</p> - -<p>Etwa vier Wochen mochten vergangen sein, während -welcher die junge Fremde alltäglich um die zehnte Morgenstunde -bei Mrs. Clark erschien, um sämtliche im Haushalt -gebrauchten Lampen in Ordnung und Stand zu setzen. -Nach Vereinbarung wurde ihr regelmäßig durch die Lady -selbst ein Dollar für ihre Arbeit verabreicht, den sie auch -mit ruhiger Würde, man hätte fast sagen können, mit vornehmer -Herablassung entgegennahm, als ob sie selbst dem -Hause einen großen Dienst geleistet hätte und nicht die -Empfängerin eines unverhältnismäßig hohen Arbeitslohnes -<a class="pagenum" id="page_019" title="19"> </a> -sei. Mrs. Clark, eine obwohl stolze, doch zugleich äußerst -gutherzige Frau, hatte das junge Mädchen, dessen schönes -Antlitz sie oft nachdenklich musterte, gelegentlich auch einmal -gefragt, ob es auf die im »Herald« erlassene Annonce noch -mehr Arbeit und Verdienst erhalten habe, worauf ihr die -in kühlem Tone gegebene Antwort wurde, daß sie bereits -fünfzehn der feinsten Familien New Yorks zu ihren Kunden -zähle und mit der Zeit noch bekannter zu werden hoffe.</p> - -<p>Mr. Anthony Clark, ein Mann von durchaus ehrenhaften, -edlen Gesinnungen, hatte es nicht mehr gewagt, die -Unbekannte bei ihrer mehr oder weniger demütigenden -Beschäftigung durch seine Gegenwart zu belästigen, und -mied das Zimmer, in welchem sie ihre Arbeit stets pflichttreu -verrichtete. Allein der Zufall wollte es, daß er ihr -öfters in der großen Halle oder auf der Treppe begegnete. -Alsdann lüftete er jedesmal in ausgesuchtester Höflichkeit -den Hut, wobei er es jedoch nicht unterlassen konnte, einen -raschen Blick in das reizende, stets so ernste Mädchengesicht -zu thun.</p> - -<p>»Nun, freust Du Dich nicht über meine Acquisition, -Anthony?« fragte Mrs. Clark eines Abends, als man einige -Freunde zum Diner erwartete und nun bei den prächtig -und tadellos brennenden Lampen saß.</p> - -<p>»Die Freude ist eine problematische, Mutter,« lautete -die freundliche, aber bestimmte Antwort des Stiefsohnes, -»die blendende Helligkeit all' dieser Lampen bildet einen -grellen Kontrast zu dem dunklen Lebenswege des armen -Mädchens, dem wir zu Dank verpflichtet sind.«</p> - -<p>Die Hausfrau zuckte halb bedauernd die Schultern -und meinte gutmütig, daß man der Fremden zu Neujahr -ein recht anständiges Geschenk zu machen verpflichtet wäre. –</p> - -<p>Eines Morgens, bevor Mr. Anthony wie gewöhnlich -<a class="pagenum" id="page_020" title="20"> </a> -nach seiner Office fuhr, trat Mrs. Clark, zum Ausgange -gerüstet, noch einmal in des Stiefsohnes Privatzimmer und -sagte in mütterlich herzlicher Weise: »Bitte, thue mir den -großen Gefallen, Anthony und trage die Bücher, welche ich -mir gestern Abend aus der Bibliothek holte, wieder an den -alten Platz. Du weißt, ich liebe die Ordnung – sie -liegen auf meinem Schreibtisch.«</p> - -<p>Da das Verhältnis zwischen dem Sohne und der -zweiten Frau des verstorbenen Mr. Clark ein selten inniges -war, so entgegnete er ebenso freundlich und zuvorkommend:</p> - -<p>»O gewiß gern, liebe Mutter, aber ...«</p> - -<p>Den Schluß seiner Rede hörte die Dame nicht mehr, -weil sie Eile zu haben schien und das Zimmer bereits verlassen -hatte.</p> - -<p>Zögernd und mit einer ihm selbst unerklärlichen Befangenheit -stand Anthony Clark noch einige Minuten vor -der Thür des Zimmers, das von der Fremden zu ihrem -prosaischen Geschäft benutzt wurde. Er wußte es selbst -nicht, warum er gerade diesen Weg nach der Bibliothek -eingeschlagen hatte. Einerseits scheute er eine Begegnung -mit dem jungen Mädchen, andererseits trieb eine innere -Gewalt ihn vorwärts. War er denn nicht der Hausherr -hier, der überallhin kommen und gehen konnte, wie es ihm -beliebte? Mit dieser Schlußfolgerung trat er endlich ein.</p> - -<p>Ja, da stand sie wieder, die so eigentümlich imponierende -und doch so mädchenhaft schüchterne Gestalt. Ein -leichtes Rot war ihm nun in die Stirn gestiegen, weil -er sich bewußt war, oft – vielleicht sehr oft sich dieses -seltsame Bild vor die Seele gezaubert zu haben.</p> - -<p>Recht auffällig sichtbar nahm er nun den mitgebrachten -Bücherstoß in seinen linken Arm und grüßte höflich mit -den Worten: »Verzeihung, mein Fräulein, daß ich Sie -<a class="pagenum" id="page_021" title="21"> </a> -störe, allein – ich muß hinüber nach der Bibliothek!« -Dabei war aber Anthony keineswegs weitergeschritten, sondern -etwa sechs Schritte von dem jungen Mädchen stehen -geblieben. Verwundert und, wie es ihm vorkam, mit leisem -Lächeln, begegnete sie seinem leuchtenden Blicke.</p> - -<p>»Es steht mir kein Recht zu, dieses Zimmer für mich -allein beanspruchen zu wollen, Mr. Clark,« entgegnete sie -mit volltönender überaus sympathischer Stimme. – Also -wußte die Fremde darum, daß er der Hausherr war. Rasch -erwiderte er:</p> - -<p>»O doch, Miß, Miß –« (augenscheinlich verlangte es -ihn, ihren Namen zu erfahren) – »Northland!« klang es -sehr leise zurück.</p> - -<p>»O doch, Sie haben ein Recht, hier ganz ungestört zu -sein, Miß Northland. Sie sind ja die Wohlthäterin für -das ganze Haus, ich meine: seit Sie zuerst hier eingetreten, -ist es – Licht geworden.«</p> - -<p>Der schöne Mädchenkopf senkte sich tiefer auf die -Brust herab. »Man ist gütig gegen mich,« flüsterte sie -bescheiden.</p> - -<p>»Vielleicht ist es sehr anmaßend von mir, Ihnen ein -plumpes Lob zu spenden, aber ich kann es doch nicht unterlassen, -Ihnen zu gestehen, daß ich Ihren Mut, Ihre Willensstärke -und Selbstverleugnung – bewundere,« sagte Anthony -nun eigentümlich erregt.</p> - -<p>»Das Wörtlein ›muß‹ ist ein strenger Lehrmeister, -Mr. Clark, welcher mit eiserner Hand alle rebellischen -Oppositionsgelüste herabzudrücken versteht. Aber dennoch -giebt es noch etwas Mächtigeres als diesen moralischen -Zwang, und diesem Mächtigeren bringt man gerne Hochmut, -Eitelkeit und thörichte Eigenliebe zum Opfer,« versetzte das -<a class="pagenum" id="page_022" title="22"> </a> -schöne Mädchen, indem ihre großen Augen freudig aufleuchteten.</p> - -<p>»Sie haben Eltern, Miß Northland, eine Mutter, für -die Sie sorgen?« forschte er, näher tretend.</p> - -<p>»Jawohl, um meiner Mutter willen stehe ich hier an -diesem Platze, und das Bewußtsein, für sie, die mir auf -Erden das teuerste ist, meine Kindespflicht zu erfüllen, hat -den Gedanken an Demütigung und Erniedrigung noch niemals -in mir aufkommen lassen.«</p> - -<p>Mr. Anthony erwiderte kein Wort und so war es -mehrere Minuten ganz still im Zimmer; Miß Northland -hatte unterdessen ihre Beschäftigung wieder aufgenommen.</p> - -<p>»Haben Sie keine Verwandten oder Freunde hier in -New York?« fragte er nun eindringlich und leise. Es kam -ihm so vor, als ob seine Stimme plötzlich einen veränderten -Klang bekommen hätte.</p> - -<p>»Nein, keine; wir sind erst vor einigen Monaten aus -dem Westen – aus St. Louis gekommen und daher noch -ganz fremd hier,« lautete der einfache Bescheid.</p> - -<p>Die Sprecherin gewahrte nicht die sichtliche Überraschung -in des jungen Mannes Zügen; unverwandt und -forschend waren seine Augen auf das feine Profil gerichtet. -Nur als er sich jetzt fast ehrfurchtsvoll vor ihr verbeugte -und leise sagte: »Auf Wiedersehen, Miß Northland,« schaute -sie eigentümlich befremdet auf und entgegnete schüchtern:</p> - -<p>»Ich hoffe, daß Ihre Frau Mutter meine kleinen -Dienste noch einige Zeit wird gebrauchen können.«</p> - -<p>Nicht lange verweilte Mr. Anthony in der nahen Bibliothek, -schon nach fünf Minuten kehrte er daraus zurück; -allein dieses Mal durchmaß er beinahe hastig das Gemach, -indem er in Anknüpfung an das vorige Gespräch nur die -halb prophetische, halb aufmunternde Bemerkung hinwarf:</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_023" title="23"> </a> -»Miß Northland, gewiß wird sich auch an Ihnen das -Dichterwort erfüllen: Was man Schwerstes je empfunden, -Liebe hat es überwunden!« –</p> - -<p>An demselben Abend nach dem Diner war es das -erste Mal, daß Anthony seiner Stiefmutter gegenüber die -Rede auf die Fremde brachte. Er blätterte dabei in einem -Buche und seine gleichgültige Miene zeigte nichts von der -Erregung und Unruhe, die in ihm arbeiteten. Ernst und -wie beiläufig fragte er:</p> - -<p>»Hast Du niemals nach den Familienverhältnissen -des Mädchens geforscht, das seit einigen Wochen hier ein- -und ausgeht, Mutter?«</p> - -<p>»Nein, wieso? Ich denke, sie ist sehr bescheiden und -zurückhaltend. Auf mich macht sie einen ausnehmend günstigen -Eindruck. Vielleicht bin ich aber bei dieser Meinung -beeinflußt durch eine Ähnlichkeit, welche – mich an frühere -glückliche Zeiten erinnert. Hast Du, mein Sohn, etwas -gegen das Mädchen einzuwenden?«</p> - -<p>»Ich – einzuwenden? Allerdings!« Der junge Handelsherr -war aufgesprungen und ließ sein schönes, kluges -Auge mehrere Sekunden prüfend auf den wohlgebildeten -Zügen der älteren Dame haften, dann fuhr er, tief und -schwer aufatmend, fort:</p> - -<p>»Als ich heute, auf dem Wege zur Bibliothek, zufällig -einige Worte mit der jungen Dame (er betonte letzteres -Wort ziemlich scharf) wechselte, erfuhr ich, daß sie den -Namen »Northland« führt und mit ihrer Mutter aus St. Louis -herübergekommen ist. Du hast mir nun früher das -große Vertrauen geschenkt, mich in eine mir ziemlich nahe -gehende Angelegenheit einzuweihen, und soviel ich mich aus -Deinen damaligen Mitteilungen erinnere, ist dieser Name -Dir durchaus nicht unbekannt, vorausgesetzt, daß irgendwelche -<a class="pagenum" id="page_024" title="24"> </a> -Beziehungen bestehen sollten, zwischen – zwischen ...« -Er stockte.</p> - -<p>»Northland! O mein Gott, also doch! Ja, diese Ähnlichkeit -mit diesem Manne, den ich einst liebte, frappierte -mich sofort.« Tief erblaßt hatte Mrs. Clark jenen Ausspruch -hervorgestoßen und die Hände dabei aufs Herz -gepreßt: »O Anthony, sie, diese arme Kleine, wäre Marys -und Northlands Kind? Nein, das kann, das darf ja nicht -möglich sein!«</p> - -<p>»Dieses Rätsel bald – recht bald zu lösen, soll Dir -und mir eine Pflicht sein!« gab der Sohn mit Nachdruck -zurück, indem er seinen Arm zärtlich um die Schulter der -tief erschütterten Stiefmutter legte. Mit dem Taschentuche -vor den Augen weinte diese jetzt leise vor sich hin:</p> - -<p>»O, Anthony, das wäre eine grausame Strafe für -mich. Wie oft, als ich mich damals voll Empörung mit -harten Worten von Mary losgesagt und Northlands Reichtum -und Ansehen höher und höher stieg, wie oft habe ich -da das Glück dieses Paares beneidet und berufen! Und -tief im Herzen grollte ich der einstigen Freundin, weil von -rechtswegen der Platz an ihres schönen Gatten Seite mir -gebührte, mir, die ihn ebenso, vielleicht noch inniger geliebt. -Und auf diese Weise soll ich endlich, endlich wieder von -Mary hören! Anthony, ich kann's nicht fassen!«</p> - -<p>»Gottes Wege sind unerforschlich,« versetzte der Angeredete -sanft.</p> - -<p>»Aber, mein Himmel, was sitze ich hier so müßig -und lasse die kostbare Zeit verrinnen,« rief Mrs. Clark nun -heftig aufspringend. »Mary, meine arme Mary in Not -und Elend, während ich in Wohlleben und Überfluß schwelge. -Fort, mein Sohn, bringe mich zu ihr! An mein reuiges -Herz ziehen will ich die Teure und ihr Kind. O, welch' -<a class="pagenum" id="page_025" title="25"> </a> -eine Schmach ist es für mich, daß gerade hier in unserem -Hause das arme Mädchen sich so erniedrigen mußte, -Anthony!«</p> - -<p>»Erniedrigen? O nein, Mutter! Das, was Miß Northland -gethan hat, webt einen Glorienschein um ihr edles -Haupt,« klang es auffallend feurig aus des jungen Mannes -Munde, so daß Mrs. Clark in stummer Überraschung zu -dem Stiefsohne aufblickte.</p> - -<p>»Willst Du meine Ratschläge befolgen, Mutter?« fragte -er nach einer Pause.</p> - -<p>»Thue ich das nicht stets, Anthony?«</p> - -<p>»Wohlan, so lasse die junge Dame, welche zweifellos -die Tochter Deiner Freundin ist, morgen noch einmal – -zum letztenmale – hier ihres schweren Amtes walten, nur -damit ich ihr dann unbemerkt folgen und Mrs. Northlands -Wohnung erforschen kann. Ist das erreicht, so magst -Du hingehen und thun, was Dir Pflicht und Herz gebieten. -Bist Du damit einverstanden, Mutter?«</p> - -<p>Unter Thränen nickte diese ihm zu. –</p> - -<p>Anthony Clark vermochte in der darauffolgenden Nacht -gar keine Ruhe zu finden. Immer und immer stand das -hochherzige Mädchen mit den ernsten, charaktervollen Zügen -und den wunderbar schönen Augen vor seinem fieberhaft -erregten Geist. Und als gegen Morgen der Schlaf sich -endlich auf seine Lider herabsenkte, war es ihm, wie wenn -ihr holdes Angesicht, von einer leuchtenden Strahlenkrone -umgeben, sich über ihn niederbeugte und die melodische -Stimme in sein Ohr flüsterte: »Was man Schwerstes je -empfunden, Liebe hat es überwunden!« – – –</p> - -<p>Ganz seltsam unsicher und befangen hatte Miß Northland -am andern Morgen das Clarksche Haus betreten und -war viel eiliger als sonst durch die weite Halle der unteren -<a class="pagenum" id="page_026" title="26"> </a> -Etage die Treppe hinauf nach dem für ihre Obliegenheiten -bestimmten Zimmer geschlüpft. Dort angekommen atmete -sie förmlich erleichtert auf, daß ihr niemand begegnet -war, weil sie sich nach ihrer Idee in einer krankhaft erregten -Gemütsstimmung befand. Zu ihrer Schande mußte -sie auch selbst die Wahrnehmung machen, daß ihr die -zu verrichtende Arbeit zum erstenmale drückend und -peinlich erschien. Wenn Mr. Clark nur nicht etwa wieder -bei ihr eintreten und ein Gespräch mit ihr anknüpfen wollte, -dachte das junge Mädchen hochklopfenden Herzens – heute -würde sie ihm nicht mehr so unbefangen in die klugen -Augen blicken und nicht mehr so präcise antworten können! -Warum aber fürchtete sie sich davor? Über dieses Warum -indessen vermochte sich Grace nicht klar zu werden und -schob es auf »ihre krankhaft erregte Gemütsstimmung!« –</p> - -<p>Bei ihrem Eintritt in den gewohnten Arbeitsraum -stand alles wie sonst am bekannten Platze. Sie zog flink -Schürze, Schutzärmel und Handschuhe aus der mitgebrachten -Tasche hervor und war eben im Begriff, an die Arbeit zu -gehen – da gewahrte sie, dicht neben den Lampen liegend, -eine prachtvolle Marschall-Niel-Rose. Was bedeutet das? -Beim Anblick der Blüte war Grace dunkle Glut ins -Gesicht geschossen und eine tiefe Zornesfalte legte sich über -die weiße Stirn. Empörend! Das mußte der unverschämte -Nigger, der Butler des Hauses gethan haben, welcher ihr -beim Kommen und Gehen stets den Mantel an- und ausziehen -half und sie dabei immer so keck anstierte oder seine -wulstigen Lippen zu süßlichem Grinsen verzog. Empörend -war das! Mit dem Zeigefinger der linken Hand schob sie -die zartgelbe Blüte an das entgegengesetzte Ende des großen -Tisches; allein eben so schnell ergriff sie dieselbe wieder, -sie mit fast wildem Ungestüm an die Brust pressend. Allmächtiger -<a class="pagenum" id="page_027" title="27"> </a> -Gott, wäre es denkbar, konnte es möglich sein, -daß er – Anthony Clark, dessen Bild sich in ihrer jungen -Brust gar fest eingelebt hatte, dessen milde, zum Herzen -dringende Stimme ihr noch jetzt durch das Gemüt klang, -daß er jene Blume hier auf diesen Tisch gelegt? Ein -Zittern überfiel die hohe Mädchengestalt – und wenn er -es wirklich gethan, mußte sie es dann nicht eher als Demütigung -und Beleidigung ansehen, die er, der reiche, hochgestellte -Mann dem armen, schutzlosen Mädchen damit angethan? -Durfte sie die Blüte, ohne erröten zu müssen, -auch wirklich annehmen? Was würde die Mutter dazu -sagen? O gewiß, Anthony Clark war eines unedlen Gedankens -nie fähig, das war ja sonnenklar! Mit fliegenden -Händen, gewiß das erste Mal weniger gewissenhaft als -sonst, verrichtete Grace Northland an diesem verhängnisvollen -Morgen ihre Arbeit. Mrs. Clark sei ausgegangen, -bedeutete sie der aufwartende Butler, als sie sich zur Dame -des Hauses, wie alltäglich, begeben wollte. Wie Grace -bei dieser Auskunft voll Beruhigung wahrnahm, verrieten -die Züge des Schwarzen heute nur steife Würde und -stumme Ehrerbietung. Gott sei Dank, endlich konnte sie -dem sie heute so eigentümlich beengenden Hause den -Rücken wenden, flink eilte das junge Mädchen in die anderen -Häuser, in welchen sie die nämliche Beschäftigung zu -verrichten hatte, und wenige Stunden später lief Grace -Northland bereits leichtfüßig die Treppenstufen zu dem -traulichen Häuschen Nr. 9 auf Dolly Ward hinan.</p> - -<p>Hätte sie während des Weges nur ein einziges Mal -nach rückwärts geschaut, dann würde sie wohl sicher nicht -mehr im Zweifel über den Geber jener Rose gewesen sein.</p> - -<hr /> - -<p><a class="pagenum" id="page_028" title="28"> </a> -Es war ein zauberisch schöner Juliabend. Gleich -Diamanten strahlten die Sterne am Himmel und wer nie -eine amerikanische Sommernacht durchlebte, der hätte denken -können, ein Teil der Gestirne wäre zur Erde herabgefallen, -so glitzerten und funkelten die zahlreichen <i>glow worms</i> -(Leuchtkäfer) allenthalben im tauigen Grase und duftigen -Gesträuch. In traulicher Eintracht saßen Mutter und -Tochter auf der kleinen Veranda, während Polly, eine -junge Negerin, welche Grace, seitdem sie so guten Verdienst -erzielte, zum Beistand der Mutter ins Hauswesen genommen, -geräuschlos hin und her glitt und den Theetisch abräumte.</p> - -<p>»Du bist heute so still, mein Kind, was ist Dir? -Zuweilen scheint es mir, als ob Deine Gedanken ganz wo -anders weilten, als zu Hause!« fragte Mrs. Northland, -nachdem sie schon einigemal nach der prächtigen Rose geschaut, -die an des jungen Mädchens Busen prangte.</p> - -<p>»Ich denke darüber nach, daß wir doch jetzt sehr -glücklich sein können, Ma,« entgegnete die Angeredete mit -halb abgewandtem Gesicht.</p> - -<p>»Du, mein Engelskind! Wie sorgst und plagst Du -Dich für mich – das zu vergelten, vermag nur Gott,« -flüsterte die ältere Dame in tiefer Bewegung.</p> - -<p>»Ich ernte ja auch reiche Früchte. Die Mühe ist so -gering, in anbetracht, daß ich Deine Stirn wieder ohne -Sorgenfalten erblicke,« lautete die heitere Erwiderung.</p> - -<p>»Du wolltest mir ja längst einmal etwas über die -verschiedenen Häuser erzählen, in denen Du ein- und ausgehst, -Grace. Ich hoffe, man begegnet Dir mit Achtung?«</p> - -<p>»Sei außer Sorge, Mama. Noch niemals habe ich -die geringste Zurücksetzung erfahren. Vor allen ist es –« -<a class="pagenum" id="page_029" title="29"> </a> -(Grace zögerte ein wenig) »ist es Mrs. Clark, die stets -in sehr liebreicher Weise zu mir spricht.«</p> - -<p>»Mrs. Clark, eine noch junge Frau?«</p> - -<p>»Etwa in Deinem Alter. Sie ist eine große volle -Blondine, mit selten schönen, blauen Augen und – –«</p> - -<p>»Und einem kleinen, roten Male an der Oberlippe?« -fiel Mrs. Northland der Tochter hastig ins Wort.</p> - -<p>»Ja, gewiß. Woher kennst Du denn diese Dame?«</p> - -<p>Die Mutter war jetzt in ihren Stuhl zurückgesunken -und atmete tief und schwer.</p> - -<p>»O Grace, welche Entdeckung! Warum auch mußtest -Du gerade in dieses Haus geraten? Gerade sie ist die -Frau, um deretwillen Dein armer Vater einen Treubruch -beging, indem er mich ihr, dem reichen Mädchen, mit -welchem er bereits verlobt war, vorzog. Einst waren -wir uns beide in beinahe mehr als schwesterlicher Liebe -zugethan, lange Jahre hindurch; dann aber hat sie mir -die Thür gewiesen, sich gänzlich von mir losgesagt -– mich verflucht! Ein Unsegen ruhte seitdem auf dem -Bunde zwischen Deinem Vater und mir. Dein Vater -verlor sein ganzes Hab und Gut und ist im kräftigsten -Mannesalter dahingerafft worden. Annie, meine frühere -Freundin, wurde die zweite Frau des reichen Handelsherrn -Mr. Albert Clark, wie ihr Vater es wünschte, und nun -lebt sie im Überfluß in New York. So viel ich weiß, besaß -Clark auch einen Sohn aus erster Ehe; Annie hatte keine -Kinder!«</p> - -<p>Längst war das junge Mädchen von ihrem Sitze -aufgesprungen, war niedergekniet und lauschte, die verschlungenen -Hände im Schoße der Mutter, atemlos deren -Worten. »Grace,« fuhr dieselbe nach kurzer Pause fort, -<a class="pagenum" id="page_030" title="30"> </a> -»in diesem Hause darfst Du Deinen Namen niemals -nennen, hörst Du, Grace?«</p> - -<p>Es erfolgte keine Antwort. Dafür aber gewahrte -Mrs. Northland, ungeachtet der zunehmenden Dunkelheit, -wie ein Herr und eine Dame sich langsam dem Hause -Nr. 9 genähert hatten und nun leise zögernd die Stufen -der hölzernen Treppe emporstiegen.</p> - -<p>Durch die Glasthür der Veranda fiel ein heller Lichtstrahl -direkt auf das blasse Gesicht einer stattlichen, noch -immer schönen Frau.</p> - -<p>»Annie! Barmherziger Gott!«</p> - -<p>»Mary!«</p> - -<p>Wie durch einen Federdruck in die Höhe geschnellt, -fuhr nun auch des jungen Mädchens Kopf aus dem Schoß -der Mutter empor. Allein, Grace sah nicht, daß diese der -eleganten Dame in die Arme sank, nicht, daß jene das -vergrämte Gesicht der Wiedergefundenen mit heißen Küssen -bedeckte – sie sah nur ihn – Anthony Clark und seine -herzlich und liebevoll auf sie blickenden Augen.</p> - -<p>»Annie, Du kommst zu mir? Bringst Du mir Vergebung -– bringst Du Deine so schmerzlich vermißte Liebe -mir zurück?« klang es schluchzend aus Mrs. Northlands -Munde.</p> - -<p>»Alles, alles, Mary. Aber ich bringe Dir noch mehr: -Siehe hier, das ist Anthony Clark, der mir zu jeder Zeit -ein lieber Sohn gewesen. Er hat eine Bitte an Dich zu -richten, die so groß und bedeutungsschwer ist, daß es meiner -Fürsprache bei Dir bedarf!«</p> - -<p>Der Genannte war rasch näher getreten und verneigte -sich tief vor der überraschten Frau.</p> - -<p>»Eine Bitte an mich?« stammelte Mrs. Northland, -<a class="pagenum" id="page_031" title="31"> </a> -während sie in fast scheuer Verwunderung von dem eleganten, -hübschen Manne zu ihrer Tochter hinübersah. Was -war denn hier geschehen? – Das purpurglühende Gesichtchen -mit den Händen bedeckend, lehnte das junge Mädchen -an einem Sessel.</p> - -<p>Obwohl in leidenschaftlicher Erregung, aber doch in -festem Tone, sagte nun Mr. Anthony: »Ich habe einmal -die Äußerung gethan, daß es, seit Sie, Grace Northland, -die Schwelle unseres Hauses überschritten, Licht darin geworden -ist. Allein damals wagte ich nicht, hinzuzusetzen, -daß dieses Licht mit einer Kraft und Macht, die höheren -Ursprung zeigten, auch mir ins Herz hineingedrungen ist! -Wie ein Geblendeter bin ich seit Wochen umhergegangen -– geblendet und beschämt über die eigentliche Erbärmlichkeit -des sonst so hochgeschätzten eigenen Wertes. Erst -Sie, nur Sie, Miß Northland, haben mich gelehrt, daß -es noch Höheres giebt als das, was mir bis dahin als -allein edel und erhaben vorgeschwebt. Wenn ich mir bisher -einbildete, ein guter Mensch zu sein, so erkannte ich mich -jetzt als einen egoistischen, jämmerlichen Wicht, dessen ganzes -Verdienst darin bestanden hatte, die Annehmlichkeiten des -Lebens mit Behagen zu genießen. – Heute, als die verhängnisvolle -Rose auf Ihrem Platze lag, war ich so anmaßend, -durch eine Thürspalte zu Ihnen hinüber zu sehen. -Ich gewahrte Ihren Kampf, gewahrte aber auch, wie mein -stummes Liebeszeichen mit Ungestüm ans Herz gepreßt -wurde. Grace Northland! Diese Brust erfüllt nunmehr -ein einziger, seliger, heißer Wunsch – eine Bitte – –«</p> - -<p>»Anthony!« Ein fassungsloser Jubelruf unterbrach -den Sprecher; Graces Arme waren jetzt schlaff herabgesunken -und wie in einer Verklärung starrte sie ihn an.</p> - -<p>»Grace, mein hochherziges, mutiges Mädchen, ich will -<a class="pagenum" id="page_032" title="32"> </a> -noch nichts anderes wissen, als ob Sie meine tiefe innige -Liebe einst werden erwidern können. Das weitere überlassen -wir der Zeit und diesen da ...«</p> - -<p>Damit deutete er auf die beiden älteren Damen, -welche Hand in Hand nebeneinander standen und mit seligen -Blicken an der reizenden Befangenheit des holden jungen -Mädchens sich weideten.</p> - -<p>Jedenfalls mußte die Antwort auf jene inhaltsschwere -Frage wohl zur allseitigen Zufriedenheit ausgefallen sein, -denn bald darauf saßen vier glückliche Menschen in dem -kleinen, gemütlichen Salon, wo Erinnerungen ausgetauscht -und neue Zukunftspläne geschmiedet wurden. Als Anthony -Clark, über das Geländer der Veranda gebeugt, indessen die -Stiefmutter lächelnd vorausgegangen war, noch ein letztes -Lebewohl, einen warmen Kuß austauschte mit seiner schönen -Braut, war es bereits dunkle Nacht geworden.</p> - -<hr /> - -<p>Selbstverständlich brachte nun die nächste Zeit den -guten Leuten von Dolly Ward wieder viel Stoff zum Reden. -Mr. O'Reilly jedoch ging womöglich noch etwas einsilbiger -als sonst umher. So lange schon hatte er sich, nach -einem schweren Kampf mit seiner ursprünglichen Absicht -einer Geldheirat, bereit gemacht, der schönen Tochter seiner -Nachbarin von Nr. 9 einen ernsten Antrag zu machen, -aber es hatte ihm stets an dem nötigen Mut gefehlt, und -nun mußte ihn das glückstrahlende Gesicht des jungen -Mädchens, als es wenige Tage später an Anthony Clarks -Arme an der Behausung des Advokaten vorüberging, hinlänglich -darüber aufklären, daß seine erträumten Aussichten -auf Erfüllung seiner stillen Herzenswünsche nur sehr kümmerlich -beschaffen gewesen seien, und das schien ihm ziemlich nahe -<a class="pagenum" id="page_033" title="33"> </a> -zu gehen, denn bei einem gelegentlichen Besuche in der -Nr. 9 ließ der junge Irländer die Bemerkung fallen, daß -er demnächst »aus Geschäftsrücksichten« nach Brooklyn übersiedeln -werde.</p> - -<p>Noch vor seiner Vermählung mit Grace hat Anthony -Clark ganz heimlich das Häuschen Nr. 9 auf Dolly Ward -käuflich erworben, um es seiner holden Braut als Morgengabe -zu schenken. Mrs. Northland ist fortan die Gebieterin -desselben, und für die schwergeprüfte Frau ist es stets -ein Festtag, wenn das glückliche junge Paar dem Geräusch -und Getriebe der Riesenstadt einmal entflieht, um ein paar -ruhige, selige Stunden zu verleben in der poetischen Einsamkeit -von Dolly Ward.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_035" title="35"> </a> -<span class="ge">Fächer-Bilder.</span></h2> - - -<p class="da"><a class="pagenum" id="page_037" title="37"> </a> -Berlin, 14. Januar 18<span class="ge">..</span></p> - -<p class ="ml5">»<i>Caro amico!</i></p> - -<p><b>W</b>arum ich so lange nicht geschrieben, willst Du -wissen? Nun, das ist eigentlich keine so leichte Sache, -Dir zu erklären. Fürs erste begnüge Dich damit, daß -ich mich langweile – zum Sterben langweile und Dein -heiteres Künstlergemüt – Dich, Du Glücklicher, der Du -unter Italiens Sonne der abgeschmackten Wintergenüsse -unserer Reichshauptstadt kaum mehr gedenkst, nicht mit -Stoßseufzern und Lamentationen inkommodieren wollte, die -Dir doch vielleicht nur ein mitleidiges Lächeln entlockt -haben würden!</p> - -<p>»Aber Mensch, bist Du verrückt geworden!« höre ich -in Gedanken Deine Stimme rufen: »Bist verheiratet seit -sechs Monaten, hast eine charmante Frau, ein Heim, eine -Stellung unter den Künstlern, um die Dich die Götter -beneiden könnten, und sprichst von Langweile?!« Zugegeben -– alles zugegeben, alter Freund! Aber ich kann -Dir einmal nicht helfen. Gerade das Geregelte meines -jetzigen Daseins widert mich an. Es erscheint mir zu -philisterhaft, zu sittsam, zu hausbacken, keine Spur von -<a class="pagenum" id="page_038" title="38"> </a> -Abwechslung – von prickelnden Reizen liegt darin. Wo -bist Du hin, Du goldige Junggesellenzeit! Nimm den -freien Waldvogel, stecke ihn unbarmherzig in einen Paradekäfig -und schau zu, was er für eine Miene macht! -So ungefähr kannst Du Dir denken, wie mir, den Du -früher zur Genüge gekannt, nun zu Mute ist. O heiliger -Brahma! Es war eine große Dummheit, mir jetzt schon -die Flügel zu stutzen und mich ins Joch zu spannen. Die -Galle läuft mir zuweilen über, wenn ich an die verschiedenen -Tanten, Onkels – und Schwiegermütter denke, welche -mir diese Heirat so plausibel dargestellt und es fertig gebracht -haben, aus einem von Übermut und Lebensgenuß -beseelten Taugenichts einen soliden Ehemann zu machen! -– Solide?? Das doppelte Fragezeichen steht nicht ohne -Bedeutung da. Arme kleine Frau! Ich glaube, sie hat -von uns beiden wohl doch noch die schlechtere Nummer -gezogen, obgleich ich bisweilen moralischen Katzenjammer -bekomme und in bitterer Reue diesem noch so kindlichen -Geschöpfe, was sich mein Weib nennt, alle begangenen -Sünden abbitten möchte. Wer aber verlangt auch, daß ein -Maler, ein Künstler von Ruf, wie ich ohne Überhebung -es mir zu sein schmeichle, der überdies in Berlin lebt, -Grundsätze und Selbstverleugnung des heiligen Antonius -besitzen soll! Wer das verlangt, der ist ein Narr! Ich -habe Agnes geheiratet, erstens: weil meine und ihre Familie -es wünschten; zweitens: weil sie ein leidlich hübsches, -sanftes Geschöpf ist, die sogar einer Ameise aus dem Wege -geht, um sie nicht zu zertreten, wie viel weniger dem -eigenen Gatten unfreundlich begegnen oder ihm gar widersprechen -würde. Darum habe ich sie zu meiner Gemahlin -gemacht, nicht aber, weil –, wie Du es zu glauben -scheinst – sie es verstanden hätte, mein launisches Herz in -<a class="pagenum" id="page_039" title="39"> </a> -Fesseln zu schlagen, noch weil sie überhaupt qualifiziert -wäre, einen Mann – noch dazu einen verwöhnten Mann -– zu begeistern und hinzureißen. In unserer Art führen -wir ja auch eine ganz glückliche Ehe. Sie ist eine wohlhabende -Frau, ich derjenige, der um sein Brot schaffen -muß. Daher habe ich es mir selbstverständlich auch zur -Pflicht gemacht, jeden ihrer Wünsche zu erfüllen und ihr -stets aufs Rücksichtsvollste zu begegnen. Nebenbei glaube -ich wirklich, daß sie einiges Vertrauen zu mir hat und mir -aufrichtig zugethan ist. Dankbar zeigt sie sich wenigstens -für jedes freundliche Wort aus meinem Munde, wenn auch -mein übriges Thun und Lassen – außer unsern vier -Pfählen – sie wenig oder gar nicht zu interessieren scheint. -Von Eifersucht habe ich vorläufig noch nicht das Mindeste -bemerkt. Manchmal sogar könnte mich der sonst sehr anerkennenswerte -Mangel dieser Untugend an meiner jungen -Frau beinahe ungeduldig machen. Wir führen somit ein -ganz modernes, großstädtisch angehauchtes Eheleben.</p> - -<p>Agnes lebt ziemlich häuslich, verkehrt nur im kleinen -Verwandten- und Bekanntenkreise. Ich hingegen tummle -mich in der großen Welt umher, wozu ein Künstler von -Beruf verpflichtet ist, wenn er seinen Geist anfeuern will. -Trotzdem aber entgehe ich bei solchem Dasein der Langweile -nicht. Das ewige Haschen nach pikanten Abenteuern -und reizvoller Abwechslung wird schließlich fade; oft fehlt -dabei der wahre Humor, oft aber auch jedwede Poesie! -Pah! So ist einmal der Mensch. Er erwartet immer, daß -Fortuna ihm einmal etwas ganz Apartes in den Schoß -werfen soll! Das einzige, was mich wahrhaft befriedigt, -ist und bleibt immer die Kunst. Diese edle Dame ist es -auch, die mich zuweilen recht energisch bei den Ohren zieht -mit der Mahnung: »Nun ist's genug, Freund Gilbert, mit -<a class="pagenum" id="page_040" title="40"> </a> -dem Vergnügen! An die Arbeit mit Dir!« Und dieser -Mahnung habe ich mich bisher noch immer willig gefügt. -Halte mir aber in Deinem Antwortschreiben um Himmelswillen -nicht etwa eine Moralpredigt, <i>amico Carolo</i>, um -mich mit diplomatischen Redensarten auf den schmalen -Pfad der Tugend hinüberzulocken! An mir ist nun einmal -Hopfen und Malz verloren, und muß ich fürs Leben -verbraucht werden, wie ich eben bin. Wenn Dir übrigens -etwas daran liegt, so will ich Dir von Zeit zu Zeit eine -gedrängte Übersicht meiner hiesigen Lebensweise, oder richtiger -gesagt: ein Sündenregister zukommen lassen. Vor -Dir kennt mein Herz keine Geheimnisse. Und nun Addio -bis zum nächsten Male.</p> - -<p class="si">Gilbert.«</p> - -<hr /> - -<p class="da">Berlin, 8. Februar 18<span class="ge">..</span></p> - -<p class="ml5">»Teurer Freund!</p> - -<p>Es ist zum Totlachen! Ich habe ein reizendes Abenteuer -erlebt, welches ganz nach meinem Geschmack ist und -die mich befallene schlappe Gemütsstimmung total aufgefrischt -hat. Übrigens danke ich Dir für Deinen Brief -und die freundlichen Grüße an Agnes, der Du allem Anscheine -nach ein liebenswürdiges Interesse zu teil werden -läßt. Das gute Kind hatte vor einigen Tagen zum erstenmale -eine Anwandlung von Eifersucht. Wie komisch! Doch -davon später.</p> - -<p>Also: unser Künstlerbund gab vorige Woche einen -brillanten Maskenball, den ich selbstverständlich besucht -habe, während meine Frau dergleichen rauschende Vergnügungen -grundsätzlich meidet. Natürlich bin ich weit -<a class="pagenum" id="page_041" title="41"> </a> -davon entfernt, sie in ihren etwas streng puritanischen -Ideen beeinflussen zu wollen. Ich hingegen warf mich mit -blasierter Gleichgültigkeit in den wildesten Strudel dieses -Zauberfestes. Ein schlichter Domino aus moosgrüner -Seide, der noch aus meiner Junggesellenzeit stammt und -mir vor Jahren zur Karnevalszeit in Rom gute Dienste -geleistet, wurde wieder hervorgesucht und für tauglich befunden. -Vom Scheitel bis zur Zehe verhüllte er meine -Gestalt, so daß ich darauf hätte Gift nehmen wollen, unerkannt -zu bleiben. Allein es kam anders. Denn bereits -vom Beginn des Balles an intriguierten mich zwei Damen -ganz impertinent, indem sie mich auf Schritt und Tritt -verfolgten.</p> - -<p>Die eine, ebenfalls im Domino, schien der Figur und -Haltung nach schon etwas bei Jahren zu sein, wogegen die -andere, im entzückendsten Susannenkostüm, Formen und -Bewegungen auswies, wie ich solche an einer Sterblichen -überhaupt noch nicht gesehen. Im Nu war meine blasierte -Stimmung verschwunden; ich fühlte einen Feuerstrom durch -meine Glieder ziehen. Große Samtmasken mit lang -herabfallenden Spitzenbärten machten jedes neugierige Erspähen -der Gesichtszüge rein unmöglich.</p> - -<p>Wer war dieses Götterweib? Sicherlich wohl eine -Fremde. Denn solcher Anmut und vornehmer Grazie war -ich in Berlin noch nicht begegnet. Aufs höchste interessiert -und sympathisch angezogen, daß die Aufmerksamkeit dieser -distinguierten Erscheinung sich gerade auf meine unbedeutende -Person gelenkt, mache ich unserer bisherigen stummen -Wanderung durch die Säle ein Ende mit den an die -Jüngere gerichteten bedeutungsvollen Worten:</p> - -<p>»Was veranlaßt wohl nur das Licht, der armseligen -›Motte‹ zu folgen?«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_042" title="42"> </a> -Sie zuckte zum Zeichen, daß sie mich nicht verstanden, -die wohlgerundeten Schultern. Ich wiederholte dieselbe -Frage auf Französisch. Da lachte sie hell auf. Es war -ein köstliches melodisches Lachen; dann klang eine glockentiefe -Altstimme an mein in Verzückung lauschendes Ohr:</p> - -<p>»Monsieur Gilbert besitzt viele Freunde, ohne daß er -davon eine Ahnung zu haben scheint.«</p> - -<p>Beinahe erschreckt stutze ich. Also faktisch erkannt!</p> - -<p>»Ist er doch nicht umsonst zwei Karnevalsaisons in -Rom gewesen. Jener grüne Domino hier –« (ihre mit -schwarzen Halbhandschuhen bekleidete Rechte strich sanft -über meinen Ärmel hinweg) – »machte den Verräter.«</p> - -<p>Etwas verblüfft starre ich durch die Augenschlitze der -Maske nach der Sprecherin hin.</p> - -<p>»Eine Freundin, Madame? So sind wir alte Bekannte?« -sagte ich ziemlich indiskret.</p> - -<p>»Das weiß ich nicht, Monsieur! Wer zählt die -Völker, kennt die Namen! Künstler Gilbertos Herz ist -weit, aber sein Gedächtnis scheint kurz. Armer Gilberto!« -fuhr sie, bedauernd den Kopf wiegend, fort: »Jetzt ist er -ein Philister geworden; er mußte es <i>nolens volens</i> werden, -– hat eine reiche, unelegante, häßliche Frau heiraten -müssen, die nebenbei noch grimmig eifersüchtig sein mag. -Seine Freunde bedauern und bemitleiden ihn aber aus -tiefstem Herzensgrunde und hoffen wenigstens, daß die -geniale Künstlernatur unter solchem Mißgeschick nicht zu -Grunde gehen wird!«</p> - -<p>»Eine häßliche Frau!« Das verschnupfte mich, und -ein wenig ärgerte ich mich über solchen meinem sonst stets -als kompetent geltenden Geschmack gemachten Vorwurf, -insbesondere, weil er ganz ungerecht war. Allein der Moment -schien nicht geeignet darüber zu streiten, und deshalb -<a class="pagenum" id="page_043" title="43"> </a> -nahm ich es ruhig hin; ja ich war sogar entzückt davon, -daß die reizende Susanne nun <i>sans gêne</i> ihren Arm -unter den meinen schob und dicht neben mir weiter schritt. -Der weibliche Domino folgte uns.</p> - -<p>Witz, Geist und Übermut sprudelten aus jedem Worte -meiner Begleiterin. Ich schwelgte in einem Meer von -Wonne. Hier war doch einmal wieder richtiges Amüsement, -nach welchem ich mich förmlich gesehnt hatte. Berlin, -meine Ehemannspflichten, ja sogar die sanfte, braunhaarige -Agnes, – alles war vergessen; ich verträumte mich wieder -nach Italien, in die selige Periode meiner unbeschränkten -Freiheit!</p> - -<p><i>Mio amico!</i> Ich kann Dir versichern, daß es wirklich -ein außerordentlich amüsanter Abend war. In einem -ziemlich entlegenen Winkelchen nahmen wir ungestört Erfrischungen -ein, nach deren Genusse diejenige, welche von -meiner reizenden Maske mit Tante angeredet wurde, in -einen wohligen Halbschlaf zu fallen schien. Wir ignorierten -das selbstverständlich und unterhielten uns um so lebhafter. -Aus verschiedenen Äußerungen der jetzt Schlummernden -war mir klar geworden, daß die Damen Russinnen sein -mußten, ihr Domizil in Wiesbaden hatten und bloß für -kurze Zeit auf Besuch zu einer Malerfamilie nach Berlin -gekommen waren, indessen die Hauptstadt schon am nächsten -Tage zu verlassen gedachten. Halb mechanisch spielte ich -mit dem mir angeeigneten Fächer meiner Begleiterin und -that dabei die vielleicht etwas dreiste Äußerung, daß ich -denselben als Pfand für ein eventuelles Wiedersehen, oder -auch zur Erinnerung an diesen Abend als mein Eigentum -behalten wollte.</p> - -<p>»O nein! Dieses unscheinbare Ding hier ist ein -teueres Andenken an einen Freund,« entgegnete sie wieder -<a class="pagenum" id="page_044" title="44"> </a> -mit dem so bezaubernden Lachen. »Aber, ich will Ihnen -einen Vorschlag machen, Monsieur Gilberto! Sie behalten -den Fächer einstweilen und malen mir mit Künstlerhand -ein Bildchen darauf, dann wird er mir erst doppelt -wert sein.«</p> - -<p>»Gern. Doch wie soll ich Ihnen denselben wieder zustellen, -<i>bella</i> Susanna?« fragte ich gespannt, indem ich -ihre reizende, brillantenfunkelnde Hand einen Moment fest -zwischen die meine nahm.</p> - -<p>»<i>Eh bien!</i> Sie schicken ihn mir <i>par poste</i>, oder was -noch besser wäre, Sie bringen ihn selbst, Gilberto! Meine -Adresse ist: Madame de Baranow, Wiesbaden ... Straße. -Im Mai komme ich übrigens wieder nach Berlin.«</p> - -<p>Darauf erhob sie sich, weckte mit sanften Schütteln -die schlummernde Tante, und bald waren die Damen im -Maskengewühl meinen Blicken entrückt.</p> - -<p>Ich glaube, daß ich noch eine ziemliche Weile, in -selige Träumereien versunken, mit dem gedachten Fächer in -der Hand auf diesem Platze gesessen habe. Obgleich kein -Kunstwerk, was die schöne Unbekannte mir zurückgelassen, -entströmte demselben doch ein eigentümlich süßes Parfüm. -Von goldverziertem Schildpatt war der zierliche Griff, -alles übrige von feiner schwarzer Seidengaze. Und doch -fühlte ich mich in dem Besitze gleich einem Krösus, so daß -auch in meinem erregten Geiste allerlei mögliche Ideen -auftauchten – liebliche Phantasiegebilde, denen ich auf -dem duftigen Gewebe mit dem Pinsel Ausdruck, ja Form -und Gestalt verleihen wollte. Sicherlich sollte Dir, <i>bella</i> -Susanna, der Beweis geliefert werden, daß Gilbertos -leidenschaftliches Temperament, sein zündender Geistesfunke -noch nicht untergegangen im hausbackenen Eheleben.</p> - -<p>Das Fest hatte jetzt keinen Reiz mehr für mich. Ich -<a class="pagenum" id="page_045" title="45"> </a> -ließ mir von dem ersten besten dienstbaren Geiste ein Stück -Papier bringen, wickelte den mir so kostbaren Fächer sorgfältig -ein und schob das kleine Päckchen in die Tasche. -Nach zwanzig Minuten stieg ich die Treppe zu meiner -Wohnung hinan.</p> - -<p>Schon von der Straße aus hatte ich wahrgenommen, -daß in dem an mein Atelier stoßenden Wohnzimmer, wiewohl -die Mitternachtsstunde längst geschlagen, noch eine -Lampe brannte. War denn Agnes noch wach? Wollte die -kleine Frau mich, an dessen späte Rückkehr sie doch hinlänglich -gewöhnt sein mußte, heute auf einmal erwarten? -Das dünkte mir höchst wunderbar. Der Entreedrücker befand -sich in meiner Tasche, weshalb ich, ohne zu klingeln -und von den Dienstleuten unbemerkt, mein Heim zu betreten -vermochte. Ein wenig neugierig öffnete ich die -Stubenthür; doch machte der sich mir darbietende Anblick -unwillkürlich lächeln. Dort – an dem mit umfangreichen -Weißnähereien bedeckten Tische, über welchen die Hängelampe -ihr mildes Licht ausstrahlte, lag, auf die gekreuzten -Arme herabgesunken, das Haupt meines jungen Weibes, -während die Brust der sanft Schlummernden unter regelmäßigen -Atemzügen sich hob und senkte.</p> - -<p>»Die häßliche Frau!« So schoß es mir plötzlich durch -den Sinn. Leise trat ich näher, um mich mit Kritikerblicken -einmal zu überzeugen, in wie weit jener Ausspruch -gerechtfertigt schien. Freilich wies dieses zierliche Köpfchen -dort keine regelrechten Schönheitslinien auf. Dafür aber -lag der Schmelz holder Frauenhaftigkeit, die Taufrische -eines weiß-rosigen Teints über dem beinahe noch kindlich -runden Gesichte. Häßlich? Nein, das war entschieden ganz -ungerecht. Der Chic der großen Welt, und das so gewisse, -auch weniger schöne Frauen anziehend machende Etwas -<a class="pagenum" id="page_046" title="46"> </a> -fehlte hier natürlich durchaus. Allein mein Malerauge -fand heute zum erstenmale, daß das, was ich an Modellen -so oft vergeblich gesucht und wofür ich, um es auf -die Leinwand zu bannen, eine wahre Leidenschaft hegte, -nämlich: einen rötlich goldigen Glanz im hellbraunen Haar, -was die Engländer so bezeichnend <i>auburn</i> nennen, – daß -gerade diese große Seltenheit mein eigenes Weib besaß. In -einem langen Prachtzopfe hing dieses jetzt vom Lampenlicht -beleuchtete, wunderbar schimmernde Haar der schlanken -Gestalt über den Nacken herab. Merkwürdig, nicht wahr, -<i>mio amico</i>? Und noch merkwürdiger, daß ich das vorher -gar niemals beachtete.</p> - -<p>Nachdem ich Cylinder, Handschuhe und das kleine -Paket mit dem Fächer auf den Tisch gelegt, war ich eben -im Begriff, mich auch des Paletots zu entledigen, da erwachte -Agnes.</p> - -<p>Halb verstört schaute sie mich an. Doch nur mit verlegenem -Gruße raffte sie eilig die Arbeit zusammen und -barg dieselbe auf dem Schoße.</p> - -<p>»Aber, Kind! Was fällt Dir ein, so lange wach zu -bleiben! Das ist thöricht!« sagte ich mehr unwillig, als -freundlich, indem ich es nicht einmal der Mühe wert hielt, -ein lautes Gähnen zu unterdrücken. »Meinetwegen brauchst -Du das nicht mehr zu thun!«</p> - -<p>Nur ein ängstlich scheuer Blick aus ihren stahlblauen -Augen streifte mich. Was sie dabei wohl gedacht, vermochte -ich nicht zu ergründen. Vielleicht hatte sie gerade -um meinetwillen den Schlaf der halben Nacht geopfert, -vielleicht auch auf ein herzlich dankbares Wort aus meinem -Munde gerechnet. Arme kleine Frau! Sie packte, wie das -so ihre Gewohnheit war, meine nachlässig hingeworfenen -Sachen sorgsam zusammen. Dabei aber entschlüpfte der -<a class="pagenum" id="page_047" title="47"> </a> -Fächer seiner papiernen Hülle und fiel zurück auf den Tisch. -Sie stutzte, da sie das verräterische Rot sofort bemerkte, -was meine Stirn bezog.</p> - -<p>»Hast Du Dich neuerdings auf Fächermalen verlegt, -Gilbert?« kam es eigentümlich spöttisch von den rosigen -Lippen. Der Ton reizte mich.</p> - -<p>»Ja wohl, wenn Du nichts dagegen hast, kleine -Moralistin! Ich werde diesen schlichten, schwarzen Fächer -zu einem wahren Kunstwerk umgestalten, weil die Besitzerin -ein ...« (ich stockte, denn der Ausdruck des mir zugewandten -Gesichtes glich dem eines entsetzten Kindes) – -»weil eine Dame mich freundlich darum gebeten hat, dieses -unscheinbare Ding zu verschönern,« fügte ich gleichgültig -hinzu.</p> - -<p>»So? Nun, mir hast Du noch niemals einen Fächer -gemalt, Gilbert!« sagte sie halb schmollend, während sie -den verfänglichen Gegenstand zur Hand nahm und denselben, -das ihm entströmende Parfüm einsaugend, an ihr -Stumpfnäschen hielt.</p> - -<p>»Dir?« fragte ich höchlichst verwundert. »Trägst Du -denn überhaupt einen Fächer? Ich dachte, solch' Spielzeug -für große Kinder erscheine Dir viel zu frivol?«</p> - -<p>Zu meiner noch größeren Verwunderung sah ich, wie -das zierliche Köpfchen mit einem energischen Ruck ganz -plötzlich in den Nacken fuhr, worauf es mit eigentümlich -bebender, allein halb trotziger Stimme an mein Ohr schlug:</p> - -<p>»O, natürlich ahne und verstehe ich nichts vom Fächerspiele -all' jener Frauen, deren Lebenszweck nur eitles -Haschen nach Vergnügen ist und für welche das heilige -Wort Pflichten überhaupt keine Bedeutung hat. Einen -Fächer zum Gebrauche in Deinem Sinne brauche ich gottlob -nicht! Gute Nacht, Gilbert!«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_048" title="48"> </a> -Damit ließ sie mich allein.</p> - -<p>Dergleichen Heftigkeit war mir neu an meiner Gattin. -Gut, dachte ich, fangen wir doch zur Abwechslung einmal -an, uns gegenseitig auf den Kriegsfuß zu stellen! Das -würde jedenfalls mehr Anregung bieten im häuslichen -Einerlei, als diese lauwarme Spülwasser-Stimmung. Oho! -Ich war sicher nicht der Mann, um mich über die kindischen -Launen der einfältigen kleinen Frau zu grämen. War doch -mein Geist ohnehin so vollständig gefangen genommen durch -das reizvolle Abenteuer des Maskenballes, daß alles andere -gänzlich in den Hintergrund trat.</p> - -<p>Für heute aber mag's genug sein, <i>mio Carolo</i>! Das -Fächerbild ist bereits begonnen worden und scheint mir -vortrefflich zu gelingen. <i>Vive l'amour!</i></p> - -<p class="si">Dein Gilbert!«</p> - -<hr /> - -<p class="da"> Berlin, den 26. März 18<span class="ge">..</span></p> - -<p class="ml5">»Lieber Karl!</p> - -<p>Ich bin allein in meiner stillen Bude. Agnes sah in -letzter Zeit miserabel aus und ist recht erholungsbedürftig, -so daß ihre besorgte Mama, meine verehrte Frau Schwiegermutter, -für einige Wochen das Töchterlein zu sich genommen -hat, um ihr alle erdenkliche Pflege und Schonung -angedeihen zu lassen, deren sie im eigenen Heim entbehrt. -Liegt doch das Haus ihres Vaters im schönsten, gesundesten -Teile Berlins, wo die herrliche laue Frühlingsluft, die -dort vom Tiergarten herüberweht, die Wangen des -blassen Kindes hoffentlich bald wieder runden und rosig -färben wird.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_049" title="49"> </a> -Über die letzte Zeit habe ich wenig Interessantes, -noch Erfreuliches zu berichten. Ich meine, daß ich seit -Wochen schauerlich schlechter Laune und höchst ungemütlich -gewesen bin. Manchmal befielen mich wahrhafte Wutparoxismen, -so daß ich am liebsten jede lästige Fessel gesprengt -hätte und hingeeilt wäre zu derjenigen, die unausgesetzt -all' mein Denken gefangen hielt – hin zu -Madame de Baranow nach Wiesbaden. Dann aber versank -ich auch wieder in eine stumpfsinnige Apathie, welche -mir das Dasein fast ekelhaft fade erscheinen ließ. Glücklicherweise -ist der bedeutungsvolle Fächer noch vor dieser -Trübsinnsperiode vollendet worden und befindet sich jetzt -schon in den Händen von <i>bella</i> Susanna. Was ich darauf -gezaubert?</p> - -<p>Ich glaube wirklich, der Genius der Malerei hat mir -dabei die Hand geführt und Amor die Palette gehalten. -Seit jenem Abende fragte Agnes allerdings nicht mehr -nach dem Fächer; doch weil ich so unvorsichtig gewesen, -ihn einmal unverschlossen liegen zu lassen, hatten ihre -Kinderaugen ihn dennoch erblickt.</p> - -<p>Mehreremale in jeder Woche besuche ich das Haus -der Schwiegereltern, um mich pflichtschuldigst nach dem -Befinden meiner Gemahlin zu erkundigen, welche wieder -sanft und freundlich zu mir ist, aber auffallend traurig. -Der Herr Papa dagegen betrachtet mich öfters mit seltsam -herausfordernden Blicken, während die Frau Mama mir -stets so offen ihre Ungnade zeigt, daß sie mit mir überhaupt -nicht mehr spricht. <i>Amico Carolo!</i> Es will mich -bedünken, es steigen düstere Wolken über meinem unseligen -Haupte auf. Zuweilen sogar regen sich im Busen leise -Anwandlungen von Reue, und ich sage mir dann ganz -ehrlich, daß ich doch ein recht ungemütliches, trübseliges -<a class="pagenum" id="page_050" title="50"> </a> -Leben führe, welches anders – besser sein könnte, wenn -ich – ja, was denn eigentlich? Ich glaube, der Fächer -hat mich verhext – ich bin ein Narr! Adieu!</p> - -<p class="si">Gilbert.«</p> - -<hr /> - -<p class="da">Berlin, 3. Mai 188<span class="ge">.</span></p> - -<p class="ml5">»Bester Freund!</p> - -<p>Hast Du zufällig jemals die Physiognomie eines -Menschen beobachtet, der in heiterster Stimmung und anregendster -Unterhaltung begriffen, sich niedersetzen will, den -aber irgend eine Schicksalstücke des vermeintlich hinter ihm -stehenden Stuhles beraubt hat. Todesschreck, innere Wut, -lächerliche Hilflosigkeit, ja jammervolle Stupidität – das -alles prägt sich stets in den Zügen solch' eines Beklagenswerten -aus.</p> - -<p>Mir ist gestern Abend Ähnliches passiert, das heißt: -etwas passiert, was mich veranlaßte, den Gesichtsausdruck -eines dummen Jungen anzunehmen. Nicht etwa, daß ich -mit meinem ganzen physischen Körpergewicht auf die Erde -geplumpst wäre, nein, <i>amico</i>, moralisch habe ich einen -Purzelbaum gemacht, der wirksam genug sein könnte, selbst -den überspanntesten Phantasten und Idealisten in die rauhe -Wirklichkeit zurückzuführen. Ich knirsche – ich tobe in -machtlosem Grimme, dabei aber befällt mich auch wieder -ein wahrer Lachkrampf, wenn eine Stimme – ich glaube, -es ist das bessere Ich in meiner Brust – mir zuraunt: -»Reingefallen, Gilbert, gründlich reingefallen!«</p> - -<p>Zurückgekehrt von einem Besuche bei Agnes, wo sie -mir beim Abschiede, als wir zufällig allein im Zimmer -<a class="pagenum" id="page_051" title="51"> </a> -waren, mit holdem Erröten versicherte, demnächst bald -heimzukommen, finde ich endlich die langersehnte Antwort -aus Wiesbaden vor. Welch' ein Dank, welch' ein Brief! -Doch zu meiner Überraschung zeigt die Marke den Poststempel: -Berlin. Frau v. Baranow teilte mir als Postskriptum -mit, sie sei im Kaiserhofe abgestiegen und erwarte -am nächsten Tage meinen Besuch. Wie damals auf dem -Maskenballe fühlte ich jenes aus Entzücken und Leidenschaft -gemischte Gefühl meine Adern durchrieseln. Bombenfest -stand es in mir, die verführerische Frau morgen aufzusuchen. -Allein auf welche Weise sollte ich mir die langen -Stunden bis dahin verkürzen? Mit Eifer studierte ich den -Vergnügungsanzeiger Berlins und verfiel schließlich auf -das »Deutsche Theater«.</p> - -<p>Gesagt – gethan. Zwar war der Andrang an der -Kasse desselben groß. Doch bald hielt ich ein glücklich erobertes -Parkett-Billet in den Händen: Dritte Sitzreihe, -Platz Nr. 35. Herrlich fürwahr! Ich bin ganz befriedigt -und befinde mich in äußerst animierter Stimmung. Da -es übrigens noch ziemlich früh war, so mache ich noch eine -kleine Wanderung durch die Straßen, weil ich es hasse, -vor Beginn der Komödie meine ohnedies nicht sehr guten -Nerven durch das entsetzliche Bänkeklappen und Thürenwerfen -in unnötigen Aufruhr versetzen zu lassen. Als ich -das Theater betrat, war der Vorhang bereits aufgezogen -und das Stück hatte begonnen. Meine Nr. 35 war glücklicherweise -ein Eckplatz.</p> - -<p>Nachdem ich in größter Gemütsruhe das Opernglas -blank geputzt, schaue ich nach der Bühne. Da schlagen die -Laute einer mich wie mit elektrischem Schlage berührenden -Stimme aus nächster Nähe an mein Ohr. Herr des -Himmels! Das konnte niemand anders – das mußte -<a class="pagenum" id="page_052" title="52"> </a> -Susanna – Madame de Baranow sein, die hier in dem -so reinen, so fließend und melodisch klingenden Französisch -eben gesprochen! Gleich einem Achtzehnjährigen – beinahe -zum Zerspringen klopfte nun mein Herz, und ich lausche -atemlos. Wo – wo war – wo saß das entzückende -Geschöpf, das allein schon durch Organ und Grazie mich -bestrickte? Sollte es mir jetzt – von diesem still verborgenen -Platze aus – vergönnt sein, das im Traume schon tausendmal -mir vor die Sinne gezauberte, holde Angesicht zu -schauen? Welche Seligkeit, die schöne Frau, ohne daß sie -meine Gegenwart ahnte, beobachten zu können! Soviel ich -indes mein Gehör auch anstrenge, diese wohllautende -Stimme ließ sich nicht mehr vernehmen.</p> - -<p>Prüfend, aber möglichst vorsichtig, überschaute ich die -nächste Umgebung, die größtenteils aus Herren und einigen -schlichten Matronen bestand. Nur links von mir – in der -ersten Reihe, sah ich die wohlfrisierten Köpfe zweier eleganten -Damen auftauchen. Sollte das ...? Meine Brust -wogte so heftig auf und nieder, daß ich, um mich nicht -bemerklich zu machen, oder aufzufallen, den Atem dämpfen -mußte. O Gott! Sollte sie es wirklich sein? Schien das -nicht das nämliche goldige Lockengeringel im Nacken zu sein, -wie es mir viele Stunden lang auf jenem Maskenballe -vor Augen geschwebt? Damals freilich wurde das herrliche -Blond des Vorderhaares von der scheußlichen Maske neidisch -verhüllt. Ja gewiß! Diese und keine andere mußte <i>bella</i> -Susanna sein!</p> - -<p>Allein so viel ich mich auch drehte und wendete, von -ihren Augen vermochte ich nichts zu erspähen; immer -blieben nur die nach aufwärts gekämmten blonden Haarsträhne -des Hinterhauptes sichtbar. – Da – noch während -ich dies niederschreibe – lähmt ein krampfartiges Gefühl -<a class="pagenum" id="page_053" title="53"> </a> -die Muskeln meiner Rechten – da taucht plötzlich in der -Hand der blonden Dame ein Fächer – ein ausgebreiteter -Fächer auf. Mein Herzschlag stockt; denn mit glühenden -Blicken erspähe ich darauf – das eigenhändig gemalte -Bild! Sie ist's! So juble ich vor stummem Entzücken -und verkrieche mich förmlich hinter den breiten Rücken -eines behäbigen Berliner Rentiers, um recht ungestört nach -der Angebeteten hinüberschauen zu können. Einmal – -hoffte ich – würde sie doch wohl den Kopf nach mir -herumwenden. Ein unglücklicher oder vielmehr glücklicher -Zufall kam mir zur Hilfe. Noch war der erste Akt nicht -zu Ende gespielt, da ließ eine Dame in der zweiten Sitzreihe -ihr Opernglas mit ziemlichem Geräusch zur Erde -fallen. Natürlich wendeten sich sofort eine Anzahl höchst -indignierter Gesichter nach der Ruhestörerin um, <i>la bella</i> -Susanna ebenfalls. Allmächtiger Gott! Sind denn meine -Augen getrübt, – bin ich verrückt oder treibt der Satan -sein Spiel mit mir? Keuchend stößt mein Atem aus der -Brust, so daß der gemütliche Rentier neben mir wohl gedacht -haben mochte, ein Mensch im letzten Stadium der -Lungenschwindsucht befinde sich in seiner Nähe. Einerlei -– ja, was geht mich die ganze Welt an! Wie gelähmt -starre ich in das als engelhaft schön erträumte Antlitz von -Madame de Baranow. Wut und Abscheu krampfen mir -das Herz zusammen. Das also ist die vermeintliche Beauté, -um deren Figur und Grazie selbst Juno vor Neid geborsten -wäre? O pfui! Welch' ein tückisches Spiel, welche -Grausamkeit der Natur! Ein pockennarbig gelbes Gesicht -mit wulstigen Negerlippen, in welchem eine niedrige Stirn -und kleine geschlitzte Tartarenaugen den fatalen Gesamteindruck -noch erhöhen, zeigt sich meinen getrübten Blicken. -Doch wie ist mir denn! Plötzlich taucht in meinem wilderregten -<a class="pagenum" id="page_054" title="54"> </a> -Geiste auch eine Erinnerung auf. Diese widrigen -Züge kenne ich ja; der cynisch-frivole Ausdruck derselben -war mir durchaus nicht fremd?</p> - -<p>Heiliger Brahma! Gleich einem zündenden Funken -fiel es in das Gedächtnis Deines armen Freundes. Lieber -Karl! Entsetze Dich nicht! Denn – die häßliche, uns -allen von Rom her nur zu wohlbekannte Paula Uschakow -war es, welche schon damals gerade mich mit ihrer Affenliebe -immer verfolgt und gepeinigt hat. Und ich Narr, – -ich Esel, – bin hier so einfältig auf den Leim gegangen! -Meine Empörung kannte keine Grenzen; alles wurde mir -mit einem Schlage klar. Du, mein Freund, mußt es ja -noch wissen, daß Paula, nachdem sie vergeblich darnach -getrachtet, durch ihr nicht unbedeutendes Talent unter den -deutschen Künstlern sich einen Mann zu erobern, schließlich -einen alten, sehr reichen Russen geheiratet haben soll. Und -jetzt muß das abscheuliche Weib mir solch' einen Streich -aufspielen! Wirklich schändlich – empörend! Ist es -nicht wahrhaft jammervoll, daß mein reizendes, poetisches, -alle zarten Empfindungen der Menschenbrust versinnbildlichendes -Fächerbild in solche Hände geraten! Dabei aber -tönen, als ob ein guter Geist sie gesprochen, Agnes' Worte -sogleich in mein Ohr: »O, mir hast Du noch niemals -einen Fächer gemalt, Gilbert!« Nein, ihr, diesem reinen, -unschuldsvollen Kinde habe ich wirklich noch nie eine derartige -Freude gemacht, habe sie ja kaum beachtet, während -ich drei Monate meiner kostbaren Zeit nur an diese Kokette -gedacht. Vor Wut zitternd ballte ich heimlich die Faust -nach den Damen in der ersten Sitzreihe hin, drückte dann -den Hut so tief wie möglich in die Stirn und verließ -eilends das Theater. Erst auf der Straße atmete ich ein -wenig freier auf. Da es kaum halb neun Uhr war, so -<a class="pagenum" id="page_055" title="55"> </a> -fand ich unter den Linden noch einige elegante Läden geöffnet. -In dem ersten besten Galanterie-Bazar, wo ich -hineinstürme, verlange ich einen kostbaren, aber unbemalten -Fächer.</p> - -<p>»Schwarz?« fragt schüchtern die Verkäuferin mit ängstlichem -Blicke in mein erhitztes Angesicht. Sie mochte wohl -gedacht haben, ich sei angetrunken.</p> - -<p>»Nein, rot – feuerrot!« entgegnete ich diktatorisch -und hielt schon nach zwei Momenten ein wahrhaft entzückendes -Exemplar in den Händen. Die geforderten vierzig -Mark erschienen mir eine Lappalie. Ich hätte fünfhundert -Mark gezahlt, wenn sie verlangt worden wären, ohne eine -Miene zu verziehen. Darauf warf ich mich in eine Droschke -und ließ mich schnurstracks nach Hause fahren. Totenstill -– öde und einsam dünkte mir in diesem Momente mein -sonst so behagliches Heim.</p> - -<p>Der verwundert mich anstarrenden Dienerin befahl -ich, im Atelier sofort einige Lampen anzuzünden, während -ich nur ganz beiläufig fragte, ob irgend eine Nachricht -von meiner Frau gekommen wäre. Die bejahende Erwiderung -bewies mir, daß man im Hause eben besser orientiert -sei, als ich, der Ehemann. Denn bald erfuhr ich aus dem -Munde des Dienstmädchens, Agnes gedächte schon in den -nächsten Tagen zurückzukehren.</p> - -<p>Deswegen mußte ich also fleißig sein, um das, was -mir vorschwebte, rechtzeitig zu vollenden.</p> - -<p>Nun gute Nacht, Bruderherz! Vielleicht schreibe ich -morgen oder übermorgen weiter. Ich spüre nämlich in -mir das Bedürfnis, einer fühlenden Seele mich mitzuteilen. -Gehab Dich wohl und gieb bald Nachricht</p> - -<p class="si mr10">Deinem</p> - -<p class="si">Gilbert.«</p> - -<hr /> - -<p class="da"><a class="pagenum" id="page_056" title="56"> </a> -Berlin, den 8. Mai 188<span class="ge">.</span></p> - -<p class="ml5">»Alter lieber Freund!</p> - -<p>Wie neugeboren fühle ich mich, wenigstens, wie ein -Mensch, der eine lange Krankheit überstanden und nun mit -hoffnungsseligen Empfindungen in der Brust jetzt ein sonniges -Dasein vor sich sieht. – Übrigens – Du bist ein -Diplomat, Freundchen! Vielleicht haben auch Deine Briefe, -der warme, herzliche, durchaus nicht mentorhafte Ton, der -daraus spricht, sowie Dein stets vermehrtes Interesse für -Agnes ein wenig zu meiner Heilung beigetragen.</p> - -<p>Aber ich will dem Gange meines »kleinen Romans« -nicht vorgreifen, sondern da weiter erzählen, wo ich im -letzten Briefe stehen geblieben bin.</p> - -<p>So höre denn! Nachdem ich schon an dem nämlichen, -für mich so verhängnisvollen Abende eine Skizze entworfen, -warf ich mich mit wahrem Feuereifer auf das Malen des -roten Fächers, indem ich täglich einige Stunden darüber -festsaß. Kein Kunstwerk – kein Bravourstück sollte diese -Arbeit werden, – Gott behüte! Ich malte ja für Agnes, -für mein junges, sanftes Weib. Etwas aber wollte ich -darauf zaubern, was die Augen des holden Wesens in -seliger Freude strahlen machen, – ein Etwas, was ihr -sagen sollte, daß ihr Gatte .... Doch halt! Die Feder -geht schon wieder im Galopp davon!</p> - -<p>Endlich – endlich ist das Bildchen vollendet, und -meine Mühe zeigt sich vom schönsten Erfolge gekrönt. Da -die Farben noch eine Weile trocknen mußten, spannte ich -den Fächer ausgebreitet auf ein Stück Karton, und trug -ihn, im Gefühl seliger Befriedigung hinüber ins Zimmer -meiner Frau. Dort plazierte ich ihn auf Agnes Schreibtische -hinter einem wahren Walde von Maiglöckchen, ihren -Lieblingsblumen.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_057" title="57"> </a> -Es war der nämliche Nachmittag, an dem meine Frau -eintreffen sollte. Nachdem ich in mein Atelier zurückgekehrt, -versuchte ich alle rebellischen, mir selbst ganz neu und -fremdartig erscheinenden Gedanken durch anstrengende Arbeit -zu ersticken, rührte mich auch nicht von der Stelle, -als ich eine Droschke am Hause vorfahren hörte. Direkte -Mitteilung, daß Agnes heimkommen würde, war mir, dem -Hausherrn, ja gar nicht gemacht worden, und hatte ich -es nur <i>en passant</i> erfahren. Darum sah ich keine Veranlassung, -der Zurückkehrenden entgegenzueilen. Zwar drang -öfteres Thürenzuwerfen und Stimmengemurmel dumpf zu -mir herüber, doch blieb es für die nächste halbe Stunde -in meiner Klause ganz still. Ich male – male eifrig -weiter, obgleich ein sonderbares Flimmern in den Augen -mich die Farben kaum unterscheiden läßt. Da – auf -einmal macht ein schüchternes Klopfen jeden Nerv in mir -erzittern. »Herein!« konnte ich nur mit Kraftanstrengung -über die Lippen bringen, und als bald darauf ein goldbraunschimmerndes -Haupt in der Thür erscheint, erkenne -ich mit raschem Blicke, wie Agnes den Fächer hinter sich -verborgen hält.</p> - -<p>»Schon da?!« rief ich mit einer Unbefangenheit, die -mich selbst in Erstaunen setzte. Während ich, Pinsel und -Palette beiseite geworfen, der Eintretenden entgegeneilte, -brachte ich keine Silbe heraus und zog nur schüchtern und -ungelenk die kleine Hand an die Lippen.</p> - -<p>»Ich wollte Dich überraschen, Gilbert, und nun bist -Du mir zuvorgekommen, hast mir solch' eine reizende, süße -Überraschung bereitet,« kam es stockend aus Agnes' merklich -zitterndem Munde.</p> - -<p>»Ich? Wie so?« fragte ich mit gut gespielter Harmlosigkeit.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_058" title="58"> </a> -»Aber, Gilbert! Nennst Du das nichts?«</p> - -<p>Mit diesen Worten, die von holdseligem Erröten und -glücklichem Lächeln begleitet waren, hielt sie mir den wohlbekannten -Fächer vor die Augen.</p> - -<p>»So? Also das kleine Ding da macht Dir etwas -Spaß, Agnes?« Ich glaube, daß ich zu dieser eigentlich -nichtssagenden Bemerkung wirklich ein recht einfältiges Gesicht -gemacht habe.</p> - -<p>»Etwas Spaß?« wiederholte sie leise. »Weiß ich doch -gar nicht, wie Du dazu kommst, mir solch' eine unendliche -Freude zu bereiten, Gilbert? Das Bild ist – ist entzückend!«</p> - -<p>»Es sind Deine Züge. Wenigstens habe ich mir Mühe -gegeben, dieselben aus – dem Gedächtnis auf den Fächer -zu zaubern. Das – andere, was noch darauf ist, sind -– natürlich nur Gebilde meiner Phantasie.« Ich sah -ihr jedoch, während ich das sagte, zum erstenmale voll in -die Augen. Allein, wie mit Purpur übergossen, hatte sie -den Blick rasch zur Erde gesenkt.</p> - -<p>Teuerster Carolo! Es fehlte wahrhaftig nicht viel -daran, so hätte ich meine Agnes, das liebliche Geschöpf, -mit einem Jubelschrei an die Brust gezogen, um ihr frei -vom Herzen herunter alles das zu enthüllen, was seit jenem -heilsamen Theaterabende meine Pulse fliegen ließ. Doch -Gott bewahre! Ich überwand mich. Nicht jetzt – nicht um -des Fächers willen sollte die Scheidewand zwischen uns in -nichts versinken. Stand doch gerade ein anderes Fächerbild -gleich einem mahnenden Gespenste vor meinem Geiste – -ein anderes Bild, was die Weihe eines so seligen Moments -sicherlich gestört haben würde. In sanfter, liebender Fürsorge -führte ich mein junges Weib nur hinüber in ihr -Zimmer, küßte sie schüchtern auf die Stirn und – ging. –</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_059" title="59"> </a> -Aber Du willst natürlich gern wissen, warum mein -Geschenk Agnes so ganz besonders wertvoll dünkte, warum -sie vor seliger Freude darüber errötet war? Gut, auch -das sollst Du jetzt erfahren! Das Fächerbild zeigt nichts -anderes, als eine jugendschöne Mutter, die, strahlendes Glück -in ihren Zügen, über ihr neugeborenes Kindlein sich -niederbeugt!</p> - -<p>Bist Du jetzt mit mir zufrieden, <i>amico</i>?</p> - -<p class="si">Dein Gilbert.«</p> - -<hr /> - -<p class="ce">(24 Stunden später.)</p> - -<p class="ml5">»Herzensfreund!</p> - -<p>Was ich diesem »meinem kleinen Romane« noch hinzuzufügen -habe, ist wenig, doch ist es das Bedeutungsvollste, -was ich während meiner Künstlerlaufbahn jemals erlebte.</p> - -<p>Nur eine kurze Spanne Zeit verfloß, nachdem Agnes -zu mir zurückkehrte; aber eine Wandlung ist seitdem vor -sich gegangen – mit ihr – mit mir – mit und in -unserem Heim, daß ich vor staunender Bewunderung und -stummer Verzückung oft die Hände falte und flüstere: »O -Gott, bin ich denn solchen Glückes auch wert?«</p> - -<p>Aber Du wirst ungeduldig und neugierig über das -Mysteriöse meiner Worte oder errätst Du vielleicht jenes -Geheimnis, das Deinen wilden, zügellosen Freund plötzlich -zu einem völlig Anderen umgeschaffen? – –</p> - -<p>Bald nach ihrer Ankunft und unserem Wiedersehen -im Atelier hatte Agnes, weil sie ruhebedürftig war, sich zu -Bett gelegt. Ich aber langte nach meinem Hut und -stürmte hinaus; hinaus in den wonnig warmen Maienabend -zog es mich. Die erste mir entgegenkommende -<a class="pagenum" id="page_060" title="60"> </a> -Droschke rufe ich an und fahre in den Tiergarten. In -Gottes freier Natur wollte ich allein sein mit meinen Gedanken -und Empfindungen. Ich wußte – fühlte, daß -ein veredelnder Läuterungsprozeß in mir vor sich ging, -und diese heilsame Krisis mußte sich ganz still, fern von -allem Menschengewühl vollziehen. Nicht mehr als der -Gilbert, den Du, mein Freund, gekannt und welchen Du -aus all' diesen Briefen noch zur Genüge studieren konntest, -– nein, nein, und tausendmal nein! – nur als ein Mann -wollte ich Agnes wieder vor die Augen treten, der das -von ihr einst mit so scharfer Betonung gesprochene, heilige -Wort »Pflichten« zu würdigen und im ganzen Maße zu -erfüllen verstand. Verachtungswert erschien mir plötzlich -mein verflossenes Leben gegen das wahre, süße Glück, -welches ich heute, als mein junges Weib so holdselig -schüchtern neben mir im Atelier stand, vor mir auftauchen -gesehen. Und dennoch bin ich lange Monate wie ein -Blinder an diesem Schatze vorübergeschritten, ohne ihn zu -heben und mein eigen zu nennen. –</p> - -<p>Viele Stunden mochte ich wohl im Tiergarten umhergeirrt -sein; denn längst war die Sonne zu Rüste gegangen -und die ersten Schatten der Maiennacht zogen bereits über -Wege und Rasenplätze. Als ich nach der Uhr sah, zeigte -sie schon ein Viertel vor Zehn. Da durchzuckte plötzlich -ein heftiger Schrecken meine Glieder. In meinem Freuden- -und Glückestaumel war ich von Hause fortgestürmt, hatte -nicht bedacht, daß Agnes meiner vielleicht bedürfen könnte. -Sie war allein! Wenn ihr irgend etwas zugestoßen! Jähe -Angst befiel mein Herz. O, ich war doch immer noch der -alte Egoist, welcher zuerst nur an sich selbst dachte!</p> - -<p>Im Sturmschritt ging's nun nach dem Droschkenhalteplatz. -Gott Lob! Dort steht richtig noch das schlichte -<a class="pagenum" id="page_061" title="61"> </a> -Gefährt, dessen ich mich zur Herfahrt bedient. Ich drücke -dem Kutscher fünf Mark in die Hand und befehle ihm, im -Galopp nach der angegebenen Adresse zu fahren. Zu Hause -angelangt, renne ich, von düsteren Ahnungen gepeinigt, die -zwei Stiegen zu meiner Wohnung hinan und trete atemlos -in den Vorsaal. Nichts regt sich – alles mäuschenstill! -Dem Himmel sei Dank! Meine allzubange Sorge -war demnach unbegründet, und mit diesem Gefühl der Erleichterung -öffne ich die Thür nach dem Wohnzimmer meiner -Frau, an welches ihr Schlafzimmer stößt. – Da – da, -Allmächtiger, was ist das? Welch' seltsam fremde Laute -tönen von dort heraus an mein Ohr! Ich halte mir den -Kopf mit beiden Händen – ich taumle. Das klägliche -Schreien eines kleinen – meines Kindes ist's, was ich -vernehme.</p> - -<p>Gleich einem Rasenden laufe ich vorwärts, – keine -Macht der Erde hätte mich in diesem Momente zurückzuhalten -vermocht – und befinde mich alsbald in dem matt -erhellten Heiligtum. Hatte Agnes mein Kommen gehört -oder hatte das teure Wesen meine Gegenwart nur geahnt? -Zwar gedämpft, aber dennoch deutlich klingt hinter einer -hohen spanischen Wand mir mein Name entgegen: »Gilbert!«</p> - -<p>Nun war es mit Fassung und Selbstbeherrschung an -mir vorbei. Ungeachtet der Anwesenheit einer mir unbekannten -Wärterin, ungeachtet des aus dem Hintergrunde -plötzlich auftauchenden, strengverweisenden Gesichts meiner -Frau Schwiegermutter – machte ich auf den Zehenspitzen -zwei Sätze gegen den Bettschirm hin und lag, ehe ich selbst -noch recht zur Besinnung kam, am Lager derjenigen, die -mich zu neuem, besseren Leben zurückgeführt, den Kopf auf -deren kleine Rechte gestützt, knieend und unter Schluchzen -flüsternd: »Agnes, meine Agnes! Ich bin namenlos glücklich!«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_062" title="62"> </a> -Da schob sie mit der einen freien Hand einen bisher -an ihrer Brust liegenden, meinen unerfahrenen Blicken -paketähnlich dünkenden Gegenstand, woraus nur ein dunkles -Köpfchen sich bemerklich machte, sanft nach mir hin und -schlang mit zärtlichem Drucke ihren Arm um meinen Hals.</p> - -<p>»Das ist mein Dank für das süße Fächerbild! Hier -ist Dein Sohn! Freust Du Dich über dieses Geschenk, -Gilbert?« –</p> - -<p>Für heute aber sei es genug, mein lieber Karl! Als -ich blind, thöricht, leichtsinnig und von bösen Leidenschaften -verfolgt war, fand ich der Worte genug, Dir zu schreiben. -Jetzt bin ich am Ende. Das Glück ist stumm. Sei darum -nachsichtig mit mir! Das beste wäre übrigens, Du kämest -bald selbst nach Berlin und beglücktest damit Deinen</p> - -<p class="si">stets getreuen Freund Gilbert.«</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_063" title="63"> </a> -<span class="ge">Aus Großtantchens Hofdamenleben.</span></h2> - - -<p><a class="pagenum" id="page_065" title="65"> </a> -<b>D</b>eutlich steht die greisenhafte, schlanke Gestalt der -Cousine des seligen Großvaters noch vor meinem Geiste.</p> - -<p>Damals – lange Jahre sind nun auch seitdem vergangen -– imponierte mir Achtzehnjährigen, die ich erst -seit wenigen Monaten mit stolzem Selbstgefühl das Prädikat -»Frau« trug und somit in Tante Babettens Familie -hineingeheiratet hatte, diese kleine wahrhaft originelle Dame -von vierundneunzig Jahren gewaltig.</p> - -<p>Noch niemals im Leben hatte ich einem so alten -menschlichen Wesen gegenüber gestanden, und als ich zum -erstenmal in dem mit steifer Empirepracht möblierten -Paradezimmer mich tief zur Erde niederbückte, um meiner -alten Verwandten, die kerzengerade und unleugbar hoheitsvoll -von ihrem Sitze sich erhob, in Ehrfurcht die runzelige -Hand zu küssen, da überkam mich eine Empfindung, als -wäre ich um acht Jahrzehnte zurückversetzt, und eine jener -mythenhaften Ahnmütter, deren Existenz mir nur dunkel -vorschwebte, sei plötzlich zum Leben erwacht. Wie konnte -dieses mumienartige, zusammengeschrumpfte Gesichtchen, mit -den kaum einem Menschen ähnlichen wimperlosen trüben -Augen noch Spuren von Leben, Geist und Intelligenz verraten? -Was wohl würde dieses seltsame Wesen aus einer -<a class="pagenum" id="page_066" title="66"> </a> -längst begrabenen Zeit mit mir, dem heiteren Kinde des -neunzehnten Jahrhunderts, sprechen? War es denn möglich, -daß dasselbe überhaupt noch Interesse zu finden vermochte -an Leuten und Verhältnissen, die – nach meiner -Idee – den Anschauungen jener Tage so weit entrückt -lagen? Das alles dachte ich im ersten Moment meiner -Bekanntschaft mit Tante Babette.</p> - -<p>Wie sehr sollte ich mich jedoch geirrt haben! Heute -noch, nachdem der Greisin kleiner Körper längst von allen -irdischen Mühsalen ausruht, – heute noch gehören alle -die Stunden, welche ich in ihrer Gesellschaft verbringen -durfte, mit zu den liebsten, heitersten Erinnerungen meines -Lebens. Tante Babette war zwar ein Original, allein ein -geistreiches, witziges, zuweilen etwas elegisch angehauchtes, -zuweilen aber auch ein wenig scharf boshaftes Original. -Von Gedächtnisschwäche und dem bei solch' hohem Alter -vielleicht sehr natürlichen Verwechseln von Personen, Namen -und Daten war an Großtantchen keine Spur zu bemerken. -Staunen erregte es in mir wirklich, wie sie für alles, was -in der eigenen Familie, unter ihren Bekannten, ja sozusagen -in der Welt vorging, nicht bloß das lebhafteste -Interesse bezeigte, sondern wie sie sogar in den reichen -Schatz ihrer Erlebnisse mit einer Sicherheit und Genauigkeit -zurückzugreifen vermochte, um dieses oder jenes interessante -Stücklein oder lustige Episode eines langen, erfahrungsreichen -Lebens ans Tageslicht zu fördern.</p> - -<p>Dreißig Jahre war Tante Babette als Hofdame bei -einer thüringischen Herzogin gewesen, und schien es besonders -diese Zeit zu sein, bei der ihr reger Geist am -liebsten verweilte. Kam es mir, der in Andacht Lauschenden, -dabei doch zuweilen vor, als rolle sich ein Stück Geschichte -oftmals vor meinen Augen auf.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_067" title="67"> </a> -In bunten Farben schilderte mir die alte Dame -unter vielem anderen das amüsante Leben am zeitweiligen -Hofe der Kaiserin Josephine zu Kassel, dessen wechselvollen -Reiz Tante Babette in Begleitung ihrer Herzogin kennen -zu lernen das seltene Glück gehabt. Mit eigenen Augen -hatte sie den überaus glänzenden Kreis geschaut, in welchem -Josephine durch Schönheit wie durch Geist, die Königin -Hortense dagegen durch liebenswürdige Anmut den Mittelpunkt -gebildet. Sobald sie aus jener Zeit erzählte, dann -reckte sich die kleine, dürftige Gestalt in die Höhe, und -dünkte es mir zuweilen, als husche dabei ein Schimmer -einstiger Jugend über die welken, verwitterten Züge von -Tante Babette, die übrigens niemals schön gewesen sein -soll. Ganz besonders aber war es <em class="ge">ein</em> Name, der ihre -matten Augen stets in merkbarem Feuer aufflammen machte.</p> - -<p>Zwar bezeigte Großtantchen sich immer als gute -Patriotin, hing auch mit Leib und Seele treu an ihrem -Königshause und hatte in Preußens Sturm- und Drangperiode -gewiß im tiefsten Innern unter des Usurpators -Joch geseufzt und getrauert. Allein trotzdem schlug ihr -Herz, wie sie mir oftmals versichert hatte, in einer ihr -unerklärlichen, halb bangen, halb berauschenden Freude, -wenn sie in jener aufregenden, so verhängnisvollen Zeit -des Weltbezwingers Antlitz mit den durchdringenden, stahlgrauen -Adleraugen einmal begegnete. Lächelnd und ungeachtet -ihrer vierundneunzig Jahre mit fast jungfräulichem -Senken der Lider gestand Tante Babette mir eines Tages -ein, daß sie nie für einen anderen Mann geschwärmt habe, -als für den großen Kaiser Napoleon.</p> - -<p>»Und er?« hatte ich mit schüchternem Einwurf zu -fragen gewagt; worauf Großtantchen – noch in der Erinnerung -an die dahingegangene Jugend und deren mannigfache -<a class="pagenum" id="page_068" title="68"> </a> -Enttäuschungen – seufzend erwiderte, daß der Stolze, -Gewaltige der kleinen, so wenig schönen Hofdame wohl -eigentlich niemals Beachtung, ja kaum einen eingehenden -Blick geschenkt. Und dennoch hatte eine Schicksalstücke an -dem für eine still im Busen getragene Neigung so blinden, -undankbaren Mann sich zu rächen ersonnen. Tante Babette -sollte eine, wenn auch nur zweifelhaft ehrenvolle Revanche -haben.</p> - -<p>Ihre eigenen, genau in der ihr charakteristischen, sentimentalen, -dabei jedoch scharf witzigen Redeweise wiedergegebenen -Worte sind es daher auch, welche ich hier bringe, -und die in nachstehender kleinen Episode aus Großtantchens -Hofdamenleben mir damals eben so scherzhaft als originell -erschienen, daß ich heute, nach fast fünfundzwanzig Jahren, -weder irgend Bedenken hegen, noch eine Indiskretion zu -begehen fürchte, wenn ich sie wahrheitsgetreu nacherzähle:</p> - -<p>»Der Kaiser – der Kaiser sollte auf Besuch zu meinen -Herrschaften kommen! Gleich einem Lauffeuer durchflog -diese überraschende Kunde unser herzogliches Schloß. Wann -er eintreffen, wie lange der hohe, mächtige Gast in unseren -bescheidenen Mauern weilen würde, davon verlautete fürs -erste noch nichts. Mir genügte, daß er <em class="ge">kam</em>, daß ich ihn -sehen, daß meine Füße denselben Boden berühren sollten, -den er <em class="ge">gestreift</em>! Eines Abends war ich länger als gewöhnlich -bei der Frau Herzogin in deren Gemächern -zurückgehalten worden. Der französische Roman, welchen -vorzulesen mir befohlen worden, hielt uns dermaßen in -Aufregung und Spannung, daß wir der späten Stunde -gar nicht gedachten. Endlich – ich glaube, es schlug -bereits halb zwölf Uhr – nahm meine Gebieterin mir -das Buch aus der Hand und hieß mich zur Ruhe gehen.</p> - -<p>»Mit tiefem Kompliment nach rückwärts hatte ich mich -<a class="pagenum" id="page_069" title="69"> </a> -verneigt und war die Thürklinke bereits in meinen Fingern, -als die hohe Frau einen seidenen Shawl ergriff und eigenhändig -ihn mir um Kopf und Schultern schlang.</p> - -<p>»›Die Gänge des Schlosses sind kalt, und der Weg -nach Ihren Zimmern ist weit, mein liebes Kind!‹ sagte sie -dabei freundlich wie immer. ›So, nun aber laufen Sie -recht schnell, ich wünsche, daß Ihnen niemand begegnen -möge! Denn – denn ...‹</p> - -<p>»Der Herzogin weitere Worte verstand ich nicht mehr, -da sie mich rasch auf die Stirn küßte und zur Thür -hinausschob.</p> - -<p>»Hu! Ich fror wirklich; wenigstens rieselte ein eigenartiger -Schauer durch meine Glieder, einerseits verursacht -durch die aufregende Lektüre, andererseits aus Bangigkeit, -in schon so weit vorgerückter Nachtstunde den endlos langen -Korridor des Schlosses und sogar noch eine Stiege aufwärts -bis zu meiner ziemlich entfernten Wohnung <em class="ge">allein</em> -zurücklegen zu müssen. Spukgeschichten hat wohl ziemlich -jedes größere, ältere Schloß aufzuweisen, und so kam es -denn auch, daß in diesem Moment allerlei gruselige Dinge -und Gestalten vor meinem Geiste auftauchten, um so mehr -noch, weil man hinsichtlich der Beleuchtung in jener Zeit -noch äußerst haushälterisch zu Werke ging und nur hier -und da in den weitläufigen Fluren und Gängen ein bescheidenes -Lämpchen anbrannte.</p> - -<p>»Thorheit! dachte ich, ärgerlich über mich selbst, und -schüttelte das kindische Grauen von mir ab. Schnell rannte -ich eine Strecke in das gespenstige, ab und zu von einem -magischen Lichtschein unterbrochene Dunkel hinein. Wie -unheimlich laut hallten doch meine Schritte von den hohen -gewölbten Wänden wieder! – Doch vorwärts mußte ich. -Noch einmal holte ich tief Atem und lief, das Tuch fester -<a class="pagenum" id="page_070" title="70"> </a> -über den Kopf ziehend, weiter. Beinahe war die Biegung, -in welcher der lange Korridor des zweiten Schloßflügels -und auch die Treppe zum oberen Stockwerk mündete, glücklich -erreicht, – da höre ich eine Thür leise öffnen und -wieder schließen, und ein fester, energischer Tritt kommt -den Gang entlang, mir gerade entgegen.</p> - -<p>»Entsetzt fahre ich zusammen. Das mußte ein Mann -sein. Schrecklich! mich, der Frau Herzogin Hoffräulein, -um die Mitternachtsstunde in den Gängen des Schlosses -anzutreffen! Gerade an unserem Hofe hielt man auf strengste -Etikette. War es aber nicht sofort erklärlich, daß ich aus -den Gemächern meiner Gebieterin kam? Bekannt war es -ja, daß diese gern sehr lange aufzubleiben beliebte.</p> - -<p>»Immer näher ertönen die verhängnisvollen, eigentümlich -kurzen, energischen Schritte. Keiner der Lakaien -wagte so sicher aufzutreten. So mußte es also wohl -jemand von den Hofkavalieren sein. Wie ärgerlich, wie -fatal! Jetzt – neugierig spähe ich – trotz meines fieberhaften -Herzklopfens – mit einem Auge aus dem mich -verhüllenden Shawl. Eine kaum an die Mittelgröße -hinanreichende, von einem weiten Radmantel bedeckte -Mannesfigur steht vielleicht nur noch zehn Fuß von mir -entfernt und stutzt. Gleich einem vom Geier eingeschüchterten -und verfolgten Hühnchen ducke ich mich und krieche -förmlich in mich zusammen, um mit geschickter Wendung -an der drohenden Gestalt rasch vorbeizuhuschen.</p> - -<p>»Da – ich glaube, jeder Blutstropfen zog sich während -dieses entsetzlichen Augenblicks in mein armes Herz zurück -und machte es fast springen vor Angst und Scham – da -vertritt der Unverschämte mir schnell und gewandt den -Weg. Empört weiche ich etwas nach rückwärts, doch noch -<a class="pagenum" id="page_071" title="71"> </a> -nicht genug; er breitet die Arme aus und drückt mein -schmächtiges Figürchen stürmisch an die Brust.</p> - -<p>»Schreien hätte ich mögen vor Wut und Zorn. Allein -was hilft das; es würde die böse Situation eher noch -verschlimmert haben. Mein energisches Zerren und Winden, -um die Umschlingung zu lösen, blieb wenigstens umsonst. -Denn ein bartloses Männergesicht bog sich mit Blitzesschnelle -zu meinem Kopfe nieder, und – ehe ich noch so -recht zum klaren Bewußtsein kam, brannte ein herzhafter -Kuß auf meinen Lippen!</p> - -<p>»Entsetzlich! Mich, der Frau Herzogin sittsames, anerkannt -prüdes Hoffräulein, so <i>sans façon</i> zu küssen! Wer -war der Beleidiger? Das konnte – das durfte ich nicht -so ruhig hinnehmen.</p> - -<p>»Zum Glück vermochte der arglistige Attentäter, dem -die dunkle Nachtstunde gerade willkommen schien, ein -ahnungsloses Fräulein arglistig zu überfallen, mich nicht -zu erkennen, indem ich das Tuch mit heftigem Ruck noch -tiefer herabgezogen hatte. Doch zwischen den langen -seidenen Franzen hindurch, die schützend ihm meine Züge -verhüllten, sah ich nun direkt in ein lachendes Gesicht mit -einem Paar flammensprühender Augen.</p> - -<p>»Allgütiger Gott! Der Kaiser Napoleon – mein angebeteter -Held – mein Ideal war es!!</p> - -<p>»Die Füße versagten mir fast den Dienst, und es war -nicht weit davon, so hätte ich laut aufgeschrien. In diesem -Moment wußte ich wahrlich nicht, ob es Todesschreck – -ob es Freude war, was mir jede Spur von Fassung -raubte. Die kraftvollen Arme gaben mich nun endlich frei, -und halb betäubt, nur die Geistesgegenwart bewahrend, -daß ich fortan mein Angesicht vor ihm verbarg, taumelte -ich nach rückwärts.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_072" title="72"> </a> -»›<i>Adieu, ma belle! Au revoir!</i>‹ tönte ein heiterer, -merklich spöttischer Ruf mir nach. Aber wie von Furien -gejagt, nicht rechts noch links schauend, stürmte ich meines -Wegs – die Treppe hinan und erreichte atemlos, dabei -an allen Gliedern bebend, glücklich mein Zimmer. – –</p> - -<p>»Den anderen Vormittag war ein großer, offizieller -Empfang des Kaisers Napoleon bei der Frau Herzogin. -Schon in der Frühe hatte die freudige, überraschende Kunde -sich im Schlosse verbreitet, daß der Allgewaltige, nur von -seinem Adjutanten begleitet, augenscheinlich um jeder -lästigen Feierlichkeit auszuweichen, ganz plötzlich eingetroffen -sei. Die glänzende Suite war dem Kaiser erst am -Morgen nach jenem kleinen Abenteuer gefolgt. Wir drei -Hofdamen, Gräfin N. N., Fräulein v. Z. und ich, standen -zu Ehren des hohen Gastes, aufs schönste geschmückt, im -Vorzimmer, welches direkt zu Ihrer Hoheit Privatgemächer -führte, und harrten in Aufregung und banger Ungeduld -des verhängnisvollen, so wichtigen Moments. Beugte sich -damals doch alles vor dem siegesstolzen, durch Glück und -Ruhm verwöhnten Mannes Haupt. –</p> - -<p>»Endlich – Napoleon in seiner rücksichtslosen Art -liebte es, auf sich warten zu lassen – endlich öffneten sich -die Thüren, und ein glänzender Zug, eingeführt durch den -Hofmarschall unseres Herzogshauses, der Kaiser in großer -Uniform an der Spitze, überschreitet die Schwelle ...</p> - -<p>»Erst nach unserer tiefen Verneigung vermochte ich -in schüchternem Blick die Augen zu erheben zu dem angebeteten -und doch wieder gefürchteten Manne. Stolz, gleich -einem Siegesgotte, den charaktervollen Kopf in den Nacken -zurückgelegt, einen Zug von blasiertem Hochmut und unbeugsamen -Trotz um den festgeschlossenen Mund, – so kam -er dahergeschritten. Nun erst mußte er unserer ansichtig -<a class="pagenum" id="page_073" title="73"> </a> -werden. Denn plötzlich stutzte er, und das große, stahlfarbige -Auge richtete sich eine Weile mit neugierigem, -indes scharfprüfendem Ausdruck auf uns drei Damen.</p> - -<p>»Gräfin N. N. war eine große, schlanke Blondine, -Fräulein v. Z.s Figur zeigte auffallend üppige Formen. -Beide waren um ein beträchtliches Teil hübscher als ich. -Allein gerade an <em class="ge">meiner</em> unbedeutenden, kleinen, zierlichen -Gestalt blieb das Kaiserauge am längsten und eingehendsten -haften. Fest und voll schaute er mir darauf ins Gesicht -hinein. Ein Moment war das, wo ich am liebsten in die -Erde hätte sinken mögen. Denn ich gewahrte, wie die -scharf markierten Brauen dieses seltsamen Antlitzes sich -finster zusammenzogen und sichtlich Zeichen von Ärger und -Verdruß um die stolz geschwungenen Lippen sich ausprägten.</p> - -<p>»Was war das? – Hatte er mich wiedererkannt? – -War diejenige, welcher sein heiterer Zuruf: ›<i>Au revoir, -ma belle!</i>‹ gegolten, vielleicht nicht ganz nach seinem Geschmack, -nicht seinen Erwartungen entsprechend? O, daß -ich in dieser bitteren Stunde meinen so wenig anziehenden -Zügen den Stempel der Schönheit hätte zu leihen vermögen!</p> - -<p>»Noch stolzer und steifer richtete der Kaiser sich empor, -grüßte nur mit kurzer, vornehmer Handbewegung nach uns -hinüber und verschwand in den Gemächern der Frau Herzogin. –</p> - -<p>»Während seines zweitägigen Aufenthalts an unserem -Hofe hat der Allgewaltige auch nicht ein einziges Mal mit -mir gesprochen. –</p> - -<p>»Eingeschüchtert und mit Thränen in den Augen habe -ich jedoch später meiner Gebieterin diese kleine ›Aventure‹ -gebeichtet. Sie lachte nur dazu und meinte, daß sie von -<a class="pagenum" id="page_074" title="74"> </a> -der Ankunft des Kaisers an jenem Abende schon gewußt, -es aber für besser gehalten, zu mir darüber zu schweigen. -Im übrigen tröstete sie mich mit den heiteren Worten: -›Einen Kuß in Ehren, kann niemand wehren!‹ Mir aber -ist es zeitlebens nicht recht klar geworden, worin die große -Ehre dieses Kusses eigentlich bestanden. Wenigstens wußte -ich nie, ob ich mich darüber freuen oder grämen sollte!« –</p> - -<p>Als Großtantchen mir jene niedliche Episode erzählte, -mußte sie indes wohl die Enttäuschungen, welche der damalige -Besuch Napoleons mit sich gebracht, längst verschmerzt -haben. Denn auch sie lachte dabei: nur hatte sie -die Augen geschlossen und leise flüsternd hinzugefügt: -»Mein Ideal – mein kaiserlicher Held blieb er aber -dennoch!« – – –</p> - -<p>Großtantchen hat das seltene Alter von 97 Jahren -erreicht und erfreute sich bis zu ihrem eigentlich unerwartet -schnellen Ende einer unerschütterlich guten Gesundheit. Die -Kammerfrau fand die dürftige, kleine Gestalt derselben eines -Morgens kalt und steif in ihrer, auf goldenen Löwenklauen -ruhenden, prächtigen Empire-Bettstatt.</p> - -<p>Mir selbst, die ich am entgegengesetzten Ende Deutschlands -lebte, war es leider nur selten beschieden, nach Thüringen -reisen und die alte Verwandte besuchen zu können, -allein wurde diese Freude mir einmal zu teil, so unterließ -ich es sicher nicht, Tante Babette zu bestimmen, mir gelegentlich -irgend ein interessantes Episödchen aus dem -reichen Schatzkästlein ihrer Erlebnisse während einer dreißigjährigen -Hofdamenzeit mitzuteilen.</p> - -<p>»Ich bitte mir aber aus, Kind, daß Du nicht etwa -alle diese Dinge schon zu Papier bringst und drucken läßt, -so lange ich noch unter den Lebenden weile. Wenn ich -nicht mehr bin, dann magst Du nach Gutdünken damit -<a class="pagenum" id="page_075" title="75"> </a> -verfahren,« hatte die alte Dame einmal lächelnd und mir -dabei mit dem Finger drohend, gesagt. Ich glaube daher -jetzt, nachdem Tante Babette schon mehr als fünfundzwanzig -Jahre unter dem grünen Rasen schlummert, keine allzu -große Indiskretion zu begehen, wenn ich das einstige Hoffräulein -der Herzogin von X... abermals selbst reden -lasse und eine ihrer Erzählungen hiermit aus der Erinnerung -niederschreibe:</p> - -<p>»Die Geißel des Krieges und das eiserne Joch des -Usurpators lastete schwer auf unserem armen Vaterlande. -Nach den unglückseligen Schlachten von Jena und Auerstädt -am 14. Oktober 1806 war nunmehr auch das gottgesegnete -Thüringen der Schauplatz schrecklicher Verheerungen -geworden. Die Felder lagen unbebaut oder waren durch -endlose Truppendurchmärsche verwüstet, die Städte geplündert, -die Dörfer zum teil niedergebrannt, überall Not, -Krankheit und Jammer!</p> - -<p>»Um so überraschender mochte es erscheinen, daß, -gleich einer Oase in der Wüste, unser Ländchen von allem -Greuel und Ungemach des Krieges verschont geblieben war. -Was hielt den Weltbezwinger wohl davon ab, das unbedeutende -Herzogtum X... nicht mit gleicher Tyrannei -und Willkür zu behandeln. Uneingeweihte mochten sich über -diese sonderbare Huld vielleicht den Kopf zerbrechen. Allein -bei uns am Hofe war es durchaus kein Geheimnis mehr, -daß Napoleon diese Rücksicht einzig und allein dem Herzoge -und Gemahl meiner hohen Gebieterin angedeihen ließ, der, -wie allgemein bekannt war, eine schwärmerische Verehrung, -ja, ich möchte sagen, glühende Anbetung für des Kaisers -Person hegte und mit seinen Gefühlen keineswegs hinter -dem Berge hielt.</p> - -<p>»Man sprach davon, daß Napoleon, der für jede -<a class="pagenum" id="page_076" title="76"> </a> -Schmeichelei sehr empfänglich war, sich über diese in einem -Männerherzen für ihn entflammte Leidenschaft königlich -amüsierte und in einem Anfalle seiner unberechenbaren -Launen den Befehl gegeben habe, das Herzogtum X... -nicht allein in jeder nur erdenklichen Weise zu schonen, -sondern auch von allen Kriegslasten zu entbinden.</p> - -<p>»Wie von seiten anderer Höfe dieser seltsame Umstand -aufgefaßt und beurteilt, ob es dem deutschen Fürsten verdacht -wurde oder ob man gar über ihn spöttelte, das -ficht den Gemahl meiner Gebieterin durchaus nicht an. -War es doch ein Mensch, dessen krankhaft überspannter -Geist sich selten mit der Wirklichkeit beschäftigte, sondern -sich meist in einer eingebildeten Welt voll eitler Hirngespinste -und traumhafter Ideale bewegte. Der Herzog -lebte nämlich in dem thörichten Wahne, das Fühlen und -Denken, ja die Seele eines <em class="ge">Weibes</em> zu besitzen und bemühte -sich daher, jedwede Männlichkeit zu verleugnen und -abzuschwören. Aus diesem Grunde drehten sich auch alle -seine Gedanken und Interessen nur um Dinge, die im Gesichtskreise -der Frau liegen.</p> - -<p>»Wer diesen eigentümlichen Mann nicht mit eigenen -Augen gesehen, konnte sich von seiner wunderbaren Erscheinung -gar keinen klaren Begriff machen.</p> - -<p>»So war des hohen Herrn Kleidung ganz ausgesprochen -frauenhaft, was zu seinem bartlosen Gesicht mit -dem weichlich elegischen Ausdruck und den schmachtenden -großen blauen Augen allerdings nicht übel paßte. Lang -wallende, meist weiße Gewandungen umhüllten seine etwas -schlaffen Glieder, während das üppige, gelockte Blondhaar -sich unter einer turbanartigen Kopfumhüllung bis tief in -die Stirn hineinsenkte.</p> - -<p>»Waren wir, das heißt, die Frau Herzogin mit ihren -<a class="pagenum" id="page_077" title="77"> </a> -drei Hoffräuleins, zu Seiner Durchlaucht zum Thee geladen, -so lag Serenissimus in halb griechischem Kostüm -mit breitem Goldgurt um die Hüften, den für einen Mann -wirklich blendend weißen Hals und Nacken teilweise entblößt, -die vollen, ebenfalls bloßen Arme über und unter -den Ellbogen mit kostbaren Spangen geschmückt, auf einem -Ruhebett und empfing uns, indem er sich graziös erhob -und nach Art der Damen sich verneigte.</p> - -<p>»Niemals drehte sich die Unterhaltung um die damals -alle Gemüter beschäftigende Politik und die aufregenden -Ereignisse einer schweren Zeit, sondern nur um seichte -französische Romane – Hofklatsch und – Toilettenangelegenheiten!</p> - -<p>»Selbstverständlich waren wir Hofdamen viel zu gut -geschult und nebenbei von einer zu innigen Teilnahme und -Verehrung für unsere Gebieterin erfüllt, als daß wir gewagt -hätten, auch nur den kleinsten Schimmer eines Lächelns -um unsere Lippen zucken zu lassen. Die Etikette jener -Zeit erheischte die allergrößte Rücksicht.</p> - -<p>»Daß unter den obwaltenden Verhältnissen sich unsere -Frau Herzogin sehr unglücklich in ihrer Ehe fühlte und -wohl nur die äußere Form und Konvenienz dieses gewiß -niemals innig gewesene Band der beiden Gatten noch zusammenhielt, -sind Dinge, auf die ich jetzt nicht weiter eingehen -möchte. Nur einer kleinen Episode will ich noch -Erwähnung thun, die wirklich höchst spaßig war und dem -in seinen Gewohnheiten und Geschmacksrichtungen oftmals -zur Überspanntheit hinneigenden Fürsten eine gründliche -Lehre geben sollte.</p> - -<p>»Napoleon, der sich auf seinem Siegeszuge auf dem -Wege nach Berlin befand, glaubte unserem Herzoge keine -größere Freude bereiten zu können, als wenn er ihm die -<a class="pagenum" id="page_078" title="78"> </a> -Ehre eines Besuches schenkte. Vielleicht waren es auch -leise und sehr natürliche Regungen der Neugierde, den als -Original bekannten Fürsten einmal von Angesicht zu Angesicht -zu sehen, die den Weltbezwinger zu diesem Schritte -– persönlich nach X. zu kommen – veranlaßten.</p> - -<p>»Kurz, Serenissimus schwamm in einem Meer von -Entzücken und ersann die denkbarsten und undenkbarsten -Sachen, um dem vergötterten Kaiser einen ihm gebührenden -Empfang zu bereiten.</p> - -<p>»Natürlich spielte die Toilettenfrage dabei wieder eine -nicht unbedeutende Rolle, und mochte die gefallsüchtigste, -kokettste Frau wohl kaum so lange über die Mittel, ihre -Reize in das beste Licht zu stellen, – nachgegrübelt haben, -als es der Herzog vor dem zu erwartenden Besuche des -Kaisers gethan.</p> - -<p>»Vielleicht sollten wir, die am Hofe befindlichen weiblichen -Elemente, alle in Schatten gestellt werden.</p> - -<p>»Unsere Herzogin, die durchaus keine schöne Frau war, -ließ in ihrer edlen Herzensgüte und rührenden Bescheidenheit -alles über sich ergehen. Daher hatte auch Seine -Durchlaucht, zweifellos um seine eigene Person noch mehr -zur Geltung zu bringen, den Empfang des hohen Gastes -nach seinen Privatgemächern verlegt, so daß wir übrigen -eigentlich nur Staffage bilden sollten.</p> - -<p>»Vorausschicken muß ich noch, daß Napoleon dem -Herzoge bereits schriftlich die Stunde seines Besuches angekündigt -hatte, und in diesem äußerst huldvollen Briefe -mit einfließen ließ, derselbe möge sich irgend eine <em class="ge">Gnade</em> -vom Kaiser erbitten.</p> - -<p>»Und der große mit Sehnsucht und Spannung erwartete -Moment kam endlich! War doch die Macht und -das Ansehen des Mannes, der auf dem Wege war, sich -<a class="pagenum" id="page_079" title="79"> </a> -ganz Europa zu unterjochen, eine so große, daß hoch und -niedrig, alt und jung vor seinem bloßen Angesicht zitterte.</p> - -<p>»Von seinen Generälen, Adjutanten und einem Kreise -besonders bevorzugter Männer umgeben, betrat Napoleon -das mit verschwenderischem Luxus eingerichtete, jedoch an -ein mit verweichlichtem, üppigen Geschmack ausgestattetes -Frauengemach erinnernde Zimmer des Herzogs, in dessen -Mitte ein schwellendes Ruhebett stand, von dem sich eine -dem Auge eines Fremden ganz seltsam erscheinende Gestalt -emporrichtete.</p> - -<p>»Hinter meiner Gebieterin versteckt, vermochte ich des -Kaisers Züge genau und völlig unbemerkt zu beobachten, -daher sah ich deutlich, wie plötzlich ein heiteres, allein -merkbar spöttisches Lächeln über das ehern finstere Antlitz -glitt und das durchdringende Adlerauge halb ungläubig, -halb staunend an dem sich seinen Blicken Darbietenden -haften blieb.</p> - -<p>»War das eine Komödie, eine ganz besondere Überraschung -etwa, die man ihm hier vorgeführt? Was bedeutet -das? – so mochte der hohe Gast wohl bei sich -denken, indem er sich jetzt mit fragendem Gesichtsausdrucke -seitwärts wandte, wo mit gesenkten Lidern und sich schüchtern -verneigend, meine Gebieterin stand! Dieser aus dem Kaiserauge -sie treffende Blick war ebenso demütigend als niederschmetternd, -das fühlte selbst ich – die Hofdame.</p> - -<p>»Entsetzlich! In dieser merkwürdigen, von blaßrosa -Seidenstoffen umwallten Figur, deren entblößter Hals und -Arme von kostbarem Geschmeide strotzte, konnte Napoleon -doch unmöglich den Herrn und Gebieter eines deutschen -Fürstenstaats, den regierenden Herzog von X. vermuten! -So weibisch verputzt, in fast lächerlichem Aufzuge, so jeder -Männlichkeit Hohn sprechend, hatte der Weltbezwinger sich -<a class="pagenum" id="page_080" title="80"> </a> -denjenigen, dessen glühende Anbetung er sich bisher stillschweigend -gefallen ließ, doch nicht vorgestellt. Deutlich -sah ich die tiefe Falte des Unwillens über der eisernen -Stirn, welche nur zu wohl besagte, daß Napoleon sein Erscheinen -in unserem Schlosse bereits bereuen mochte.</p> - -<p>»Den Herzog vielleicht ausgenommen, fühlten wir alle, -daß dies ein furchtbar peinlicher Moment war, und schien -es den Herren aus des Kaisers Suite wirklich Mühe zu -kosten, Fassung und Contenance zu bewahren. Einige, -wenigstens die Jüngsten davon, hatten nicht übel Lust, -aller Hofetikette zum Trotz laut aufzulachen und ihrem -Übermut und Witz die Zügel schießen zu lassen. Andere -bissen sich krampfhaft in die Lippen und sahen unverwandt -zu Boden.</p> - -<p>»Obwohl es auch Napoleon noch immer sehr verräterisch -um die Mundwinkel zuckte, trat er jetzt mit hastigen -Schritten der in ihrem zweifelhaften Liebreize vor ihm -stehenden rosaumhüllten Gestalt entgegen, maß dieselbe mitleidigen, -spöttischen Blickes und sagte in seiner bekannten -schroffen Art:</p> - -<p>»›Fürwahr, ein sonderbarer Empfang! Aber Wir -nehmen ein gegebenes Wort niemals zurück. Durchlaucht -dürfen Sich von Uns eine Gnade erbitten. Sie soll gewährt -sein. <i>Eh bien?</i>‹</p> - -<p>»Die vollen weißen Arme verlangend nach dem Kaiser -ausgestreckt, die blauen Augen in einem Ausdruck schwärmerischer -Sinnlichkeit zu des Weltbezwingers Antlitz emporgeschlagen, -flüsterte der Herzog mit frauenhaft sanfter -Stimme, aber laut genug, um von den Anwesenden verstanden -zu werden: ›<i>Un baiser, Sir!</i>‹</p> - -<p>»Für Sekunden war es, als ob der lähmende Druck -einer Erstarrung auf uns allen lastete. Wahre Totenstille -<a class="pagenum" id="page_081" title="81"> </a> -herrschte ringsum, weil wohl jeder befürchten mochte, daß -jetzt sicherlich ein brüskes, spottgefärbtes Lachen oder gar -der Ausbruch jenes zügellosen Zornes – vor dem Europa -zitterte – von den Lippen des Allgewaltigen hervorbrechen -würde.</p> - -<p>»Nichts davon. Trotzdem mir unter dem knappen -Atlasleibchen das Herz in wilden Schlägen hämmerte, verwandte -ich von Napoleon keinen einzigen Blick.</p> - -<p>»Jetzt richtete sich die kleine Gestalt in der ihr eigenen -hochmütigen Weise stolz empor – das stahlgraue Auge -verfinsterte sich merklich, doch ohne daß in den charaktervoll -wie gemeißelt erscheinenden Zügen der geringste Schimmer -von Bewegung sichtbar wurde, stieß er schroff und verächtlich -hervor: ›<i>Vous êtes un fou! Adieu!</i>‹</p> - -<p>»Sprach's und verließ, von seiner glänzenden Suite -gefolgt, unverzüglich das Gemach.</p> - -<p>»So kläglich endete des Kaisers Besuch an unserem -Herzogshofe.«</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_083" title="83"> </a> -<span class="ge">Unter dem Niagara-Falle.</span></h2> - - -<p class="da"><a class="pagenum" id="page_085" title="85"> </a> -Niagara-Falls, den 18. Oktober.</p> - -<p class="ml5">Teure Carrie!</p> - -<p><b>D</b>er glühendste Wunsch meines Lebens ist wirklich in -Erfüllung gegangen. Ich bin unter dem Niagara-Falle -gewesen! Nicht allein, daß es mir vergönnt war, das -kolossalste Naturschauspiel unserer Erde zu bewundern, in -stummer, staunender Erstarrung versunken, die gigantischen -Fälle in die Tiefe stürzen zu sehen, während mir dabei -ein eisiges Gruseln über jenes Wunder durch die Glieder -bebte, – nein, Carrie, Herzensschwester, in die berühmte -<i>cave of the winds</i> (Windhöhle) bin ich mit Papa hinabgestiegen! –</p> - -<p>Von Goat-Island aus ist es möglich, unter die Fälle -zu gelangen, oder richtiger gesagt: unter den Raum zwischen -der Felsenwand und den über dieselbe hinabstürzenden -Fluten des amerikanischen Falles. Kaum glaublich ist das, -und doch ist es nur der kleinste Teil der mächtigen Katarakte, -unter welche ein menschliches Wesen sich wagen kann.</p> - -<p>Indes ist es durchaus nicht meine Absicht, Dir, Du -Hasenfuß, der aus purem Mangel an Courage sich an -unserer schönen Partie nicht beteiligen wollte, eine eingehende -<a class="pagenum" id="page_086" title="86"> </a> -Naturbeschreibung zum besten zu geben. Wenn -es Dich interessiert, so nimm Dir ein Reisehandbuch vor, -und Du bist schneller orientiert, als ich es zu thun vermöchte. -Nur von einem allerliebsten Abenteuer muß ich -Dir noch berichten. Denke Dir: ein Abenteuer unter dem -Niagara-Falle! So etwas erlebt ein einfacher Sterblicher, -ein Mädchen von neunzehn Jahren, und noch dazu eine -Deutsche, nicht oft im Leben!</p> - -<p>Höre also!</p> - -<p>Der Fremden-Andrang an den Fällen war, wohl der -vorgerückten Jahreszeit wegen, nicht mehr sehr groß. Nur -fünf Personen, darunter Papa und ich, machten sich auf -den Weg nach der Windhöhle; ich als die einzige Dame, -was meinen Stolz nicht wenig hob, besonders, da man -mir von verschiedenen Seiten das wirklich Gefährliche und -Anstrengende unseres Unternehmens klar zu legen sich bemühte. -Vor allem war es ein junger Deutscher, – die -Visitenkarte, welche er uns reichte, lautete: »Arnulf Clemens, -Privatdocent. Berlin«, – der fast außer sich darüber geriet, -als er erfuhr, daß ich die Herren begleiten, mein -blutjunges Leben, wie er feurig sich ausdrückte, diesen -elementaren Mächten der Tiefe preisgeben wolle. Er selbst -habe den Weg durch die Windhöhle in wissenschaftlichem -Interesse schon einmal gemacht, kenne daher die gefährliche -Passage ziemlich genau, worauf er dann noch eine schauerliche -Schilderung derselben folgen ließ. Doch ich blieb -unerschütterlich und lachte. Nichts in der Welt hätte mich -auch von meinem Vorhaben abzubringen vermocht. Hatte -mein Widerstand den Deutschen verletzt oder gekränkt? – -ich weiß es nicht. Wenigstens verlor ich ihn bald darauf -aus dem Gesicht, das heißt, sein Gesicht verlor sich unter -der riesigen Kapuze des sogenannten »wasserdichten« Anzuges -<a class="pagenum" id="page_087" title="87"> </a> -aus safrangelbem Wachstuch, womit man uns vom -Kopfe bis zu den Füßen bekleidete. Nebenbei vervollständigten -monströse Filzpantoffeln, die einem jeden von -uns unter die Füße gebunden wurden, die originelle Toilette. -Das Betreten des nassen, schlüpfrigen Gesteins wäre -ohne letztere auch eine Unmöglichkeit. Und so traten wir, -derartig ausgerüstet, die Reise nach der Unterwelt an.</p> - -<p>Aber, o Carrie! Deine waghalsige kleine Schwester -hatte doch ihren Mut und ihre Kräfte überschätzt.</p> - -<p>Gar schnell verschwand das übermütige Lachen von -meinem Gesicht, und fast bereuete ich, Mr. Clemens' wohlmeinender -Warnung kein Gehör geschenkt zu haben. Ein -unheimliches Brausen und wahrhaftes Donnergetöse umfing -uns bald, und der ungeheure Luftdruck, durch die -Gewalt und Geschwindigkeit des herabstürzenden Wassers -verursacht, übte einen so beklemmenden Einfluß auf unsere -Lungen aus, daß man kaum zu atmen vermochte. Über -unsere Häupter hinweg raste und rauschte die Wasserflut -mit betäubendem Gebrüll in den Abgrund, dicke, graue -Nebeldämmerung und fortwährender feiner Regen erfüllte -die Atmosphäre ringsum, während von Zeit zu Zeit brausende -Schaumwolken weißen Gischtes bis zu uns heranschlugen.</p> - -<p>So ging man langsam aus dem nur durch ein höchst -primitives Geländer geschützten Wege vorwärts. Drei vermummte -Gestalten bewegten sich vor mir; ich selbst wankte -hinterdrein, und zuletzt schritt noch ein Mensch, es konnte -nur Papa sein, der bisher dicht an meiner Seite geblieben -war.</p> - -<p>Überwältigend und kaum mehr erträglich wirkte auf -mich das furchtbare Tosen. O spotte meiner deshalb nicht! -Denn was sind Menschennerven gegenüber jenen entfesselten -<a class="pagenum" id="page_088" title="88"> </a> -Naturgewalten. Du wirst es daher natürlich finden, daß -wir nicht lange in diesem schauerlich schönen Raume -blieben. Die Großartigkeit der Windhöhle spottet überhaupt -jeder Beschreibung.</p> - -<p>Dann kehrte ein jedes auf dem Absatz um und, -äußerst vorsichtig, Schritt um Schritt genau beachtend, -tappte man den lebensgefährlichen Weg wieder rückwärts. -Da überkam mich plötzlich ein derartiger Schwindel, daß -ich die Füße nicht mehr zu heben vermochte und die -Augen schließen mußte. Das Geländer umklammerte ich -krampfhaft und taumelte hin und her. Im Moment aber -umfaßten auch schon zwei starke Arme meine bebende -Gestalt vorsorglich. Nur denken konnte ich noch: »welches -Glück, daß Papa neben mir ist!« Dann schmiegte ich mich -halb besinnungslos, allein glücklich und beruhigt, an die -treue Brust.</p> - -<p>Indes währte diese vorübergehende Schwäche wohl -kaum zwei Minuten. Da schlug ich die Augen auf und -drängte wieder vorwärts. Dort, ein ziemliches Stück von -uns entfernt, schritten bereits die übrigen, die während -dem vorgekommen waren. Mutig raffte ich mich daher -empor. Und, dem Himmel sei gedankt, endlich wurde es -auch heller, das fürchterliche Sausen und Brausen verminderte -sich. Freier vermochten die Lungen wieder zu -atmen, und schon drang Tagesschein bis zu uns. Nur -ein kurzer Pfad noch aufwärts, und, – Gott Lob, wir -waren gerettet! Freudetrunken schaue ich zurück, um für -meine Heldenthat von Papa mich beglückwünschen zu lassen, -– da, – o Schrecken! – der Deutsche, Mr. Arnulf Clemens, -war es, der mir folgte. Die Kapuze hatte er abgeworfen, -und übermütig lachten seine blauen Augen mich an.</p> - -<p>Gräßlich, Carrie! Nicht wahr? Von seinen Armen -<a class="pagenum" id="page_089" title="89"> </a> -umschlungen, habe ich an seiner Brust geruht! Verwünscht -habe ich in diesem Momente alle meine Niagarasehnsucht. -Ich hätte mich selber ohrfeigen mögen.</p> - -<p>Was aber half es? Mußte ich nicht noch gute -Miene zum bösen Spiele machen? Das heißt, ich glaube, -daß ich mit wütendem Gesichte gestammelt habe: ich hätte -Papa hinter mir vermutet. Innerlich schäumte ich und -nahm mir fest vor, dem zudringlichen Patron meinen Zorn -fühlen zu lassen.</p> - -<p>Auf dem Rückwege nach dem Hotel wich er noch dazu -nicht von meiner Seite, als ob der mir geleistete Dienst -ihm etwa gar das Recht einräume, fernerhin meinen Beschützer -zu spielen. Nebenbei entwickelte er eine echt deutsche -Redseligkeit, um mich zu unterhalten.</p> - -<p>Vorausschicken muß ich übrigens, daß er kein übler -Mann ist, – gewiß nicht, Carrie! Elegante Figur; zwar -nicht besonders hübsch, aber hervorragend intelligent ist -sein Gesicht, die Augen könnte man sogar als schön bezeichnen. -Sie sprudeln von Geist und lachen von Herzensgüte. -Eine tiefe Narbe, wahrscheinlich eine Reminiscenz -aus der Studentenzeit, zieht sich über die linke Backe hin. -Allein der Mensch hatte sich meine vollste Ungnade zugezogen, -und dafür sollte er büßen.</p> - -<p>Eine günstige Gelegenheit fand sich rasch genug, indem -er, da wir deutsch sprachen, seine Freude ausdrückte, -in mir eine Landsmännin zu begrüßen. Die Männer -besitzen alle eine gründliche Portion Neugierde, und so -schlich er denn, wie man in unserem alten lieben Deutschland -zu sagen pflegt, gleich der Katze um den heißen Brei. -Er tippte hier, – er tippte dort an; kurz, er brannte darauf -zu erforschen, wer wir seien.</p> - -<p>Aha, dachte ich, das ist die Falle!</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_090" title="90"> </a> -Endlich erkühnte er sich, zu fragen, ob wir stetig oder -nur vorübergehend in den Vereinigten Staaten wohnten!</p> - -<p>»Stetig. Der Beruf und die so überaus einträgliche -Stellung meines Vaters hält ihn in Amerika fest,« log ich -in größter Gemütsruhe.</p> - -<p>»Advokat? Politiker offenbar?« forschte er weiter.</p> - -<p>»O nein!« entgegnete ich mit der ernsthaftesten Miene -der Welt. »Papa ist der – Totengräber von New York!«</p> - -<p>Bin ich nicht ein gräßliches Mädchen, solch' haarsträubenden -Unsinn zu sprechen, Carrie? <i>Dear old Pa?</i> -Ich könnte mich tot lachen über meinen Witz. Und doch, -– im Moment, da die Lüge heraus war, that er mir -leid. Denn das bisher überaus fröhliche Gesicht meines -Begleiters nahm einen so erschreckten, traurigen Ausdruck -an, als ständen wir plötzlich inmitten des großen Gräberfeldes -von Greenwood-Cemetry in der Zeit, wo die Uhr -die Geisterstunde schlägt, – huh!</p> - -<p>Armer Arnulf Clemens!</p> - -<p>Er verbeugte sich höflich, indes merklich steif gegen -mich, und wir legten schweigend den Weg nach dem Hotel -zurück. Die Medicin that demnach bereits ihre Wirkung. -Auffallende Abkühlung! Die erhöhte Temperatur seines -Blutes sank auf den Normalstand zurück!</p> - -<p>Während des Lunch saß Mr. Clemens Papa und -mir schräg gegenüber und unterhielt sich lebhaft mit unseren -Reisebegleitern. Nur ab und zu streifte mich ein scheuer -– unsäglich trauriger Seitenblick. Aus den Gesprächen -vermochte ich jedoch so viel zu entnehmen, daß Arnulf -Clemens Geologe sei und eine sechs- bis achtmonatliche -Studienreise nach den Vereinigten Staaten unternommen -habe. Darauf sprachen die Herren schrecklich gelehrte Dinge, -über Schliemann, über die alten Ruinen des Forts Ticonderoga -<a class="pagenum" id="page_091" title="91"> </a> -am Champlain-See, über die wunderbare Bodenbeschaffenheit -im Yellowstone-Park, und mehr dergleichen. -Ich merkte es Papa an, wie gern er an dieser wissenschaftlichen -Unterhaltung sich beteiligt hätte. Allein, da ich ihn -bereits vor dem Frühstücke von meinem Scherze in Kenntnis -gesetzt, so that er mir wirklich den Gefallen, mich nicht zu -blamieren, und vertiefte sich statt dessen lediglich in die -Wissenschaft der »Gastronomie«. Dabei legte er auch einen -so indifferenten, fast möchte ich sagen stumpfsinnigen Ausdruck -in sein liebes Gesicht, der dem Totengräber von -New York wahrhaftig alle Ehre machte. Im übrigen -zürnte er mir durchaus nicht und äußerte, mit dem Finger -drohend, bloß, daß ich ein loser Schelm sei! – Eine -Stunde später dampften wir zurück nach New York. –</p> - -<p>Vollkommen befriedigt war meine wißbegierige Seele -von unserem Ausfluge. Auch Papa zeigte sich in bester -Laune, schwatzte heiter und machte schon Pläne für die -nächste Sommerferienreise. Und dennoch – mir, Carrie, -– nun bitte ich wiederum, mich nicht auszulachen –, -mir war das Herz ein wenig schwer! Warum? Ja, das -wußte ich selbst nicht. Du Vernünftige, Vortreffliche, Du, -mein besseres Ich, – Du würdest sagen: das ist die Reue -über eine böse That! Vielleicht hättest Du recht. Der -tieftraurige, erschreckte Blick aus Mr. Arnulf Clemens' -blauen Augen peinigt mich zuweilen fürchterlich. Die -Strafe dafür, daß sein schützender Arm eine schwankende -Mädchengestalt im Momente der Gefahr gehalten und an -sich gedrückt, war wohl doch zu grausam? –</p> - -<p>So endete mein Abenteuer unter dem Niagara-Fall. -Gehab' Dich wohl, amüsiere Dich gut bei unseren Freunden -in Washington und schreibe gelegentlich einmal an</p> - -<p class="si">Deine kleine Schwester Terrie.</p> - -<hr /> - -<p class="da"><a class="pagenum" id="page_092" title="92"> </a> -Washington, den 10. November.</p> - -<p class="ml5">Meine liebe Terrie!</p> - -<p>Dein frommer Wunsch: amüsiere Dich gut bei unseren -Freunden in Washington hat sich glänzend erfüllt. Die -letzten Wochen brachten eine solche Fülle von Abwechselungen -und interessanten Bekanntschaften, daß ich Dich um -Dein spaßiges Niagara-Abenteuer wahrlich nicht beneide.</p> - -<p>Unsere guten Newtons sind Menschen, welche sehr -hohe Achtung und große Liebe hier genießen, so daß jeder, -der zum Besuche in ihrem Hause weilt, täglich mehr von -dem Werte dieses vortrefflichen Ehepaars überzeugt wird. -Mich verhätscheln sie fast wie ein Baby und sinnen nur -immer darauf, mir neue Amüsements zu verschaffen. Daher -werde ich so bald nicht heimkehren, und Du wirst für -unseren guten Papa noch einige Zeit allein Sorge tragen -müssen. Ach, Terrie, es ist so wundervoll, sich einmal -von einem Mütterchen ein bißchen verwöhnen zu lassen und -zu fühlen, daß ...!</p> - -<p>Doch davon später! –</p> - -<p>Dein allerliebstes Abenteuer unter dem Niagara, -welches mich höchlichst amüsiert und meine prüde, schnell -aufbrausende Terrie wieder einmal recht charakterisiert hat, -sollte ein Nachspiel finden –; staune nur! Und das habe -ich erlebt! Mich hatte das Schicksal auserkoren, die Sünden -meiner herzlosen Schwester zu sühnen!</p> - -<p>Trotz der ziemlichen Entfernung zwischen Washington -und New York, höre ich bei diesen Worten Dein Herz -klopfen, – sehe auch deutlich, wie unruhig und ängstlich -Deine Augen flackern. Allein Du mußt noch einige Minuten -Geduld haben, mein teures Schwesterchen, und mich erst -<a class="pagenum" id="page_093" title="93"> </a> -in Ruhe über diese komischste aller irdischen Zufälligkeiten -Bericht erstatten lassen.</p> - -<p>Es war bei einer reizenden <i>Tea-party</i> bei dem Präsidenten -der Vereinigten Staaten. Schon hieraus magst Du -ersehen, welch bevorzugtes Menschenkind ich bin, daß sogar -die exklusiven, geheiligten Räume des weißen Hauses sich -für mich geöffnet haben.</p> - -<p>Also: das glänzende Fest war bereits in vollem Gange, -– übrigens wurde auch getanzt, – als aus den dichten -Reihen der jüngeren Herren die Gestalt eines Mannes -sich löste, welche sofort meine ganze Aufmerksamkeit in -Anspruch nahm. Elegante Figur, – intelligentes Gesicht -mit einer tiefen Narbe über der linken Backe, – schöne, -geistvolle blaue Augen!</p> - -<p>Die schäumenden Wasser des Niagara-Falles, die -safrangelbe Kapuze, meine halbohnmächtige, kleine Schwester -und, – der Totengräber von New York, – das alles -tauchte plötzlich zündend vor meinem Geiste auf.</p> - -<p>Eine Pause nach dem Tanze war eben eingetreten, -und ich lehnte mich, ein wenig ermüdet, an einen der -riesigen Gas-Kandelaber des Saales, das bunte, reizvolle -Bild gedankenvoll überschauend. Wahrhaftig! Der bewußte -Herr schreitet schnurstracks auf mich zu. Was sollte -das wohl bedeuten? – Das Herz pochte mir zwar eben -nicht; aber etwas Unruhe, oder vielmehr Unbehagen beschlich -mich dennoch. Denn daß ich dem Mr. Arnulf -Clemens, Privat-Docenten aus Berlin, gegenübertreten -sollte, war zweifellos. Ebenso zweifellos aber erblickte er -in mir die liebliche Nymphe des Niagara.</p> - -<p>Offen gestehe ich Dir ein, daß die frappante Ähnlichkeit -mit Dir, welche bisher meinen Stolz und das Glück -meines Lebens bedeutete, mir in diesem Momente zum -<a class="pagenum" id="page_094" title="94"> </a> -erstenmale peinlich wurde. Hatte der junge Mann den -schändlichen Betrug entdeckt? Wohl sicher nicht, folgerte -ich ziemlich richtig. Denn dann würde er in der Empörung -seines Herzens Dich gewiß mit Verachtung gestraft und -die frühere Begegnung völlig ignoriert haben.</p> - -<p>Nein! Ersichtlich war es ja, daß er jene flüchtige -Bekanntschaft mit Dir zu erneuern wünschte, daß das -lebhafte Interesse für meine boshafte kleine Schwester ihm -rasch über alle etwaigen Bedenken hinweggeholfen. Warum -soll die Tochter eines »Totengräbers« nicht eine reizende, -feingebildete junge Dame sein, für welche ein feuriges -Mannesherz sich begeistern kann, zumal, wenn man dieselbe -auf dem Balle bei dem Präsidenten der Vereinigten -Staaten antrifft? – Amerikanische Verhältnisse sind eben -andere, als deutsche. So viel hatte Mr. Clemens sicher -schon ausfindig gemacht während des hiesigen Aufenthaltes. -Ich hätte sogar darauf schwören wollen, daß er, als er -den heroischen Anlauf nahm, zu mir heranzutreten, hinter -seiner klugen Stirn kombinierte und meinte, ein Totengräber -in Amerika nähme mindestens die hohe Stellung -eines deutschen Geheimrates ein. Und das besiegte entschieden -die letzten Skrupel.</p> - -<p>Den vollendeten Kavalier verratend, indes nicht etwa -mit einem tieftraurigen Blicke, verbeugte sich Mr. Arnulf -Clemens vor mir und fragte artig: ob die Partie nach -der Windhöhle mit all den großen Anstrengungen und -Fatiguen auch keine üblen Folgen für mich gehabt? Und -lächelnd setzte er hinzu:</p> - -<p>»Sie waren an jenem Morgen so schnell abgereist, -daß ich gar nicht mehr Zeit gefunden, mich bei Ihnen zu -verabschieden.«</p> - -<p>Was sollte ich thun? Irgend ein witziger, oder -<a class="pagenum" id="page_095" title="95"> </a> -wenigstens witzig sein wollender Mensch hat einmal geäußert, -daß junge Mädchen im Alter von fünfzehn bis -neunzehn Jahren in für sie kritischer Situation, selbst wenn -ihnen das Weinen nahe sei, nichts klügeres thun könnten, -als – immer nur lachen!</p> - -<p>Gut! Da ich eben erst neunzehn Jahre geworden -bin, so lachte ich.</p> - -<p>Mein Lachen schien ihn jedoch noch mehr zu ermutigen. -Denn mit einem schwärmerischen Aufschlage seiner schönen -Augen fragte er weiter, ob der gemeinsame interessante -Ausflug nicht doch sehr reizvoll und poetisch gewesen sei? -Er selbst wäre seitdem wie von einem wunderbaren Zauberbanne -umfangen. Sicherlich müßten Nixen und Geister -der Tiefe in der Windhöhle ihr Wesen treiben.</p> - -<p>Nun war aber der Moment gekommen, ihn über die -Täuschung, in der er schwebte, aufzuklären.</p> - -<p>»Sie irren, mein Herr!« entgegnete ich ebenfalls sehr -höflich, doch glaube ich, daß mir dabei der Schalk um die -Mundwinkel zuckte. »Meine Augen haben das große -Schöpfungswunder, den Niagara-Fall, niemals geschaut. -Meine Schwester war es, mit der Sie dort zusammengetroffen -sind.«</p> - -<p>Fast ungläubig stutzte er und schien forschend meine -Züge zu mustern, während Ärger und Verlegenheit deutlich -über sein Gesicht huschten.</p> - -<p>»O, verzeihen Sie! Diese fabelhafte Ähnlichkeit, mein -Fräulein! Ich konnte unmöglich ahnen ...!« stieß er -lebhaft hervor.</p> - -<p>»Wir sind auch Zwillings-Schwestern!« kam ich ihm -mitleidig zu Hilfe.</p> - -<p>Darauf wollte er sich mir noch einmal in aller Form -vorstellen; doch war ich so unbedacht, zu verraten, daß Du -<a class="pagenum" id="page_096" title="96"> </a> -mir von ihm bereits geschrieben, und er daher mir kein -völlig Fremder sei. Merkwürdig strahlten bei dieser Nachricht -seine blauen Augen auf. Ich glaube, Terrie, die -Nixen der Tiefe haben es ihm gewaltig angethan.</p> - -<p>Die Musik rief jetzt zur Quadrille, zu der mich Mr. -Clemens pflichtschuldigst aufforderte. Da indes genügend -Paare vorhanden waren, und wir beide eben keine große -Lust zum Tanzen verspürten, so behielten wir unseren Platz -inne und plauderten weiter.</p> - -<p>Deine Beschreibung seines Äußeren paßt übrigens -vollkommen; ich habe ihn auch sofort erkannt. Allein, -wenn Du Dich gleich mir eine Viertelstunde mit ihm unterhalten -hättest, würdest Du jene häßlichen Worte: »zudringlicher -Patron« ihm im stillen abbitten. Ich finde Arnulf -Clemens nicht nur liebenswürdig und charmant, sondern ich -bin sogar überzeugt, daß er ein ganz vortrefflicher Mensch -ist. Doch brauchst Du, wenn dieser Mann sich nicht von -vornherein Deine vollste Ungnade zugezogen, Dir somit -also höchst gleichgültig ist, nicht im geringsten auf mich -eifersüchtig zu sein, aus Gründen, die ich Dir am Schlusse -meines Briefes mitteilen werde.</p> - -<p>Rührend sprach er von seinem lieben, alten Mütterchen -in der Heimat und von zwei jungen, unmündigen Brüdern, -für die er arbeitet, und welchen eine Stütze zu sein, bisher -seine Lebensaufgabe gewesen. Nach der Rückkehr von dieser -Reise hoffe er eine Professur an einer hervorragenden -Universität zu erlangen. Jedes Wort, das er sprach, ja -sein ganzes Sein und Denken erschien so treuherzig, edel -und wahr, daß es mich wirklich fast schmerzte, wie Du an -diesem Manne frevelhaft Dein Mütchen hast kühlen können. -O schäme Dich, böse Terrie!</p> - -<p>Gleich alten Bekannten plauderten wir zusammen, sodaß -<a class="pagenum" id="page_097" title="97"> </a> -er ganz vergessen zu haben schien, eine fremde junge -Dame vor sich zu haben, und gewiß kaum mehr daran -dachte, daß wir des »Totengräbers« Töchter seien. Um -ein Haar wäre ich auch selbst bald aus der Rolle gefallen, -indem ich unvorsichtigerweise äußerte: Du seiest seit drei -Wochen mit Papa wieder in New York, da die Herbstferien -zu Ende gegangen, und ersterer betreffs des Winter-Semesters -sehr in Anspruch genommen würde.</p> - -<p>Der starre, fragende Blick des jungen Mannes brachte -mich indes schnell zur Besinnung. Seine Stirne zog sich -in Falten, und schweigend schaute er zu Boden. Offenbar -mußte er darüber nachsinnen, wie komisch es klinge, daß -auch Totengräber Ferienreisen unternähmen, oder ob die -Sterblichkeit in Amerika wohl in Semester eingeteilt wäre.</p> - -<p>Herzlich gern hätte ich ihm jetzt gesagt, daß Du einen -Scherz mit ihm getrieben, so leid that er mir in diesem -Momente. Aber ich durfte Dich ja nicht gar zu sehr -kompromittieren und wartete mithin eine günstige Gelegenheit -ab, ihm die Wahrheit zu gestehen.</p> - -<p>»Nach den Mitteilungen Ihrer Fräulein Schwester ist -der Beruf Ihres Herrn Vater ein ernster und schwerer?« -warf er schüchtern und etwas unsicher ein.</p> - -<p>»Ernst wohl, aber nicht schwer, da Papa sich ihm mit -Leib und Seele hingiebt, und die Passion alle Mühseligkeiten -desselben überwindet,« entgegnete ich mit schlecht -unterdrücktem Lächeln.</p> - -<p>Wieder sah er mich von oben bis unten fragend an. -»Passion zum Totengräber!« mochte er wohl denken.</p> - -<p>»Sie, Mr. Clemens, müssen das doch am besten begreifen -und verstehen,« – sprach ich inzwischen lebhaft -weiter, – »daß ein Mann im Feuereifer des Studiums -und Forschens, wie es Papa zuweilen thut, die lichte, -<a class="pagenum" id="page_098" title="98"> </a> -sonnige Gegenwart, – die Welt mit ihren Freuden und -Genüssen völlig vergessen kann, um des – Verblichenen, -– ja um des Staubes der Vergangenheit willen!«</p> - -<p>Das kluge Auge richtete sich einige Sekunden prüfend -und beinahe streng auf mein lachendes Gesicht. Ohne Zweifel -konnte er die innere Verbindung meines Ideenganges nicht -finden.</p> - -<p>»Ich?« fragte er daher halb unwillig.</p> - -<p>»Nun ja! Sagten Sie mir nicht soeben, daß Sie -Geologe seien? So ein klein wenig geistige Verwandtschaft -besteht dann wohl zwischen Ihnen und Papa,« war -meine heitere Antwort, indem ich fortwährend sein immer -finsterer werdendes Gesicht beobachtete.</p> - -<p>»Ich weiß nicht, mein Fräulein, ob Sie Scherz mit -mir treiben, oder ob ich selbst in einem argen Irrtume -befangen bin?« sagte er in einem steifen, völlig veränderten -Tone. »Denn alles, was Sie in den letzten fünf Minuten -gesprochen haben, erscheint mir dermaßen unverständlich und -rätselhaft, daß ich wirklich bitten muß, sich ein wenig deutlicher -zu erklären!«</p> - -<p>»Aber, mein Gott, wie so denn? Was ist Ihnen -nicht klar? Ich scherze wahrhaftig nicht!« rief ich in ungeduldiger -Hast und Erregung.</p> - -<p>»Nicht?!« fragte er immer noch ungläubig. »Dann -verzeihen Sie meine Indiskretion und sagen Sie mir, -welche Stellung Ihr Herr Vater eigentlich bekleidet?«</p> - -<p>Jetzt pochte mein Herz wirklich. Allein in möglichster -Unbefangenheit erwiderte ich:</p> - -<p>»Papa ist Professor der toten Sprachen an der -Universität von New York.«</p> - -<p>»Ah!« Mr. Clemens war einige Schritte zurück -<a class="pagenum" id="page_099" title="99"> </a> -getreten und starrte, wie ein Mensch, der aus festem, -gesunden Schlafe jäh aufgerüttelt wird, mich an.</p> - -<p>»Gewiß, mein Herr!« bestätigte ich mit stolzem Selbstgefühle. -»Und einen Ruf besitzt Papa, der weit über die -Grenzen von United-States hinausgeht!«</p> - -<p>»Ja –, aber mein Himmel! Dann muß ich Ihr -Fräulein Schwester ganz und gar mißverstanden haben,« -stotterte Mr. Clemens in höchster Verwirrung.</p> - -<p>Ein wunderbar glückseliger Ausdruck breitete sich mit -einem Male über seine treuherzigen Züge, als er fortfuhr:</p> - -<p>»Sie sagte mir doch, daß ...«</p> - -<p>»Wohl möglich,« unterbrach ich ihn herzlich lachend. -»Doch wie kann man auch in nächster Nähe des Niagara-Falles, -der, wie Terrie mir schrieb, solch ein Höllengetöse -verursacht, daß der abgefeuerte Schuß einer Kanone ungehört -verhallen würde, – wie kann man also dort jemanden -recht verstehen?«</p> - -<p>In selige Träume und Erinnerungen versunken, nickte -er nur mit dem Kopfe.</p> - -<p>»Terrie, Deine Ehre war gerettet!« –</p> - -<p>Das also ist <em class="ge">meine</em> Begegnung mit Mr. Arnulf Clemens -im Weißen Hause. Übrigens sagte er mir, ehe wir -uns trennten, daß er in den allernächsten Tagen nach -New York zu reisen und Euch aufzusuchen gedächte. Hüte -Dich daher, kleine Schwester! Die Nixen der Windhöhle -sind arge Neckteufelchen, die sich an allzu wißbegierigen -Menschenkindern gar zu gerne rächen.</p> - -<p>Wie Du, Mr. Clemens gegenüber, Dich dann aus der -Schlinge ziehen wirst: ob Du es bei dem »Mißverständnisse« -bewenden lassen, oder ob Du lieber beichten willst, -das werden die eigenen Gefühle Dir wahrscheinlich am -besten sagen, meine Terrie!</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_100" title="100"> </a> -Giebt es doch in der ganzen Welt nichts Unberechenbareres, -Widerspruchsvolleres, als ein Mädchenherz. Man -könnte wirklich Bücher darüber schreiben. Weißt Du noch, -wie ich selbst immer über die Liebe gespöttelt und stets so -übermütig – prahlerisch geäußert habe, daß dieser süße -Dämon niemals Gewalt über mich bekommen würde? Wer -solchen Ausspruch thut, ist – eine Närrin; denn ...!</p> - -<p>Doch ich muß schließen; Mütterchen ruft nach mir, -weil Gilbert Newton, der einzige Sohn des Hauses, ein -junger Schiffs-Kapitän, der ein auffallend schöner Mann -ist, soeben ankam, und ich ihn unterhalten soll. Wahrhaftig, -Terrie, er ist der interessanteste Mensch, welcher -mir jemals begegnete, – voller Geist und Feuer! Es -leben die Amerikaner!</p> - -<p>Schreibe bald von Mr. Arnulf Clemens' Besuch und -sei umarmt von</p> - -<p class="si">Deiner glücklichen Schwester Carrie.</p> - -<p class="mt2 ce">Nachschrift.</p> - -<p>Vielleicht kehre ich doch noch früher heim, als ich -anfänglich gedacht, da Newtons beabsichtigen, selbst mich -nach New York zurück zu bringen. Das wird ja ein herrliches -Wiedersehen werden! Gut wäre es aber jedenfalls, -wenn Du Papa langsam auf diesen unverhofften Besuch -vorbereiten wolltest. –</p> - -<hr /> - -<p class="da">New York, den 20. November.</p> - -<p class="ml5">Du böse, liebe Carrie!</p> - -<p>Was hast Du da angerichtet? Zur Strafe für Deine -Schwatzhaftigkeit sollst Du jedoch die Antwort auf Deinen -<a class="pagenum" id="page_101" title="101"> </a> -Brief heute nur in Form einer Depesche erhalten, welche -wohl genügen dürfte, Dich über die Begebenheiten der -letzten Tage aufzuklären. – Also:</p> - -<p>»Verratenes Inkognito! Mr. Clemens' Reise nach -New York. Schüchterner Empfang und fieberhaftes Beben -aller Glieder meinerseits. Wiederholte Besuche seinerseits. -Niagara-Nixen begannen ihr Spiel. Unumwundene Beichte -aller losen Streiche. Seliges Finden, – Verlobung! Es -leben die Deutschen!</p> - -<p class="si">Deine Terrie.«</p> - -<p class="mt2 ce">Nachschrift.</p> - -<p>Arnulf schaut mir über die Schulter und findet diese -lakonische Kürze meines Briefes fast beleidigend. Er läßt -Dir daher sagen, daß er dem Feste im Weißen Hause und -der witzigen Unterhaltung mit einer gewissen liebreizenden -Blondine, die ein gütiges Geschick ihm als Schwägerin -auserkoren, zwar viel, – sehr viel verdanke; aber jene -unvergessene Stunde unter dem Niagara-Falle hätte es -ihm nun einmal angethan, und würde er sich das Mädchen, -welches damals so kindliche Hilfe suchend sich an seine -Brust geschmiegt, zur Lebensgefährtin zu erringen getrachtet -haben, auch wenn es – des Totengräbers Töchterlein -geblieben! –</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_103" title="103"> </a> -<span class="ge">Zahnschmerzen.</span></h2> - - -<p><a class="pagenum" id="page_105" title="105"> </a> -»<b>S</b>chneller Entschluß – guter Entschluß!« heißt es -im alten Sprichwort. Ich möchte aber lieber sagen: »eine -Laune« hatte mich im Jahre 1876 zur Weltausstellung -nach Philadelphia geführt.</p> - -<p>Ein ziemliches Stück von Europa war ich bereits -durchwandert; nur Amerika kannte ich noch nicht. Allerdings -waren es keine besonderen Sympathien, die mich -hinüber ins Land des allmächtigen Dollars zogen; aber es -reizte mich, den Urtypus des Yankee gerade in dem Momente -kennen zu lernen, wo die sonst kühl-materielle und -egoistische Nation in vollster, ungeheuchelter Begeisterung -über die Centennialfeier, das Bestehen ihrer hundertjährigen -Freiheit, sich befand, wo ungeteilte Freude und Einigkeit -herrschte und geherrscht hat – während der Julitage des -Jahres 1876 in der Stadt der Bruderliebe.</p> - -<p>Eine weitschweifige Schilderung der wahrhaft überraschend -großartigen Ausstellung im Fairmount-Park mit -ihren tausend und abertausend Menschen aller Nationen -abzugeben, liegt nicht in meiner Absicht. Genugsam ist -darüber bereits geschrieben und gesprochen worden, obgleich -bei uns in Deutschland dadurch nur ein geringeres Interesse -<a class="pagenum" id="page_106" title="106"> </a> -hervorgerufen wurde. Ausstellungen sind ja seitdem an -der Tagesordnung.</p> - -<p>Nachdem ich die mir unglücklichem Neulinge tropenhaft -erscheinende Gluthitze, die damals über Philadelphia -lag, bis zur Erschlaffung durchkostet und alle die Qualen -eines bei lebendigem Leibe Gebratenen erduldet hatte, -langte ich nachmittags mit dem 4 Uhr-Train, völlig abgespannt, -in dem – wenigstens im Vergleich zu Philadelphia -während der Exhibition – stilleren New York an.</p> - -<p>Wie die Gefilde des Elysiums erschienen meinen -Blicken die schönen breiten Straßen und Avenues der -Empire City, wo alles Ruhe und Ordnung atmete. Gott -sei gelobt! Nun gab es kein Drängen, Stoßen, Schreien -und Schimpfen, keine zerbrochenen Wagen und Gliedmaßen, -keine vom Sonnenstich befallenen, armen Opfer mehr, wie -ich das zur Zeit meines Aufenthalts in der Stadt der -Bruderliebe genügend geschaut und wovon mein unerfahrenes -deutsches Auge sich oft zornig oder auch hilfesuchend -abgewandt hatte.</p> - -<p>Ein kühles, stilles Zimmer zu ungestörter Siesta in -einem der prächtigen Hotels New Yorks, dann ein behagliches -kleines Diner, in irgend einem lauschigen Winkel -des Diningrooms – ein Fläschchen – – o nein, wir -sind ja im Lande der Temperenzmen – eine Flasche erfrischenden -Sodawassers – wie verlockend wirkte das -alles nach stundenlanger Fahrt im durchgluteten Eisenbahn-Coupé!</p> - -<p>Allein solche Bilder hüpften und tanzten gleich boshaften -Neckteufelchen vor meinem niedergedrückten und bekümmerten -Geiste. Denn – ich litt an Zahnschmerzen! -Bei 30 Grad Reaumur im Schatten an schauderhaften, -kaum erträglichen Zahnschmerzen!</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_107" title="107"> </a> -Die körperlichen und geistigen Anstrengungen der -letzten Tage, die von Stunde zu Stunde noch im Steigen -begriffene, mir vollständig ungewohnte Hitze – das alles -mußte meine Nerven und mein Blut in solche Aufregung -und Wallung versetzt haben, daß dieses leidige Übel, wovon -ich seit meinen Jugendjahren kaum mehr geplagt worden -war, mich mit so unbarmherziger Gewalt gepackt hatte. -Wer kennt sie nicht – all' die Folterqualen und Torturen -endloser, durch nichts zu besänftigende Zahnschmerzen?!</p> - -<p>In New York angekommen, raste ich, unter Zurücklassung -des Gepäcks, wie ein Besessener vom Bahnhof nach -einer in der Nähe gelegenen Apotheke. Mit meinem etwas -unverständlichen Englisch, jedoch mit für jedermann desto -verständlicheren Gesten nach der linken Backe vermochte ich -mein Elend zu offenbaren, und lächelnd wurde mir für -25 Cents eine winzige Phiole eingehändigt, welche die -verheißungsvolle Aufschrift: »<i>immediatly</i>« (augenblicklich) -trug.</p> - -<p>O trostreiches, süßes Wort! Am liebsten wäre ich -dem unbekannten Retter, dessen Hand mir diesen Schatz -entgegenreichte, um den Hals gefallen. Doch halt! Mein -kühles deutsches Blut bewahrte mich vor einer Übereilung. -Erst probieren!</p> - -<p>Gewiß – das Wundermittel half – aber nur für -einen »Augenblick«, ganz der Überschrift entsprechend. -Dann kehrten die wütenden Schmerzen mit doppelter Gewalt -zurück. Zornig das Fläschchen beiseite schleudernd, -verlangte ich nun rasch ein anderes Medikament und wankte -schließlich, die Tasche voll Opiumpillen, spanischer Fliege -und Kampfer, rat- und mutlos auf die Straße, um von -der Apotheke bis zum ersten besten Hotel die unerquickliche -philosophische Betrachtung anzustellen, warum eigentlich der -<a class="pagenum" id="page_108" title="108"> </a> -weise Schöpfer uns ohnedies geplagten Erdenkindern zum -Überfluß auch noch Zähne gegeben hat? Alle Dichter und -Schriftsteller verwünschte ich, die jemals über: »zwei -Reihen Perlen zwischen rosigen Lippen«, oder: »blendende -Elfenbeinzähnchen« gereimt und gefabelt hatten. Alles das -ist bittere Ironie.</p> - -<p>An Speise und Trank war unter solch' kümmerlichen -Verhältnissen natürlich nicht zu denken. Nachdem ich nur -notdürftig Gesicht und Hände vom Eisenbahnstaube gesäubert -hatte, bestieg ich den nächsten Tramwaywagen, bezahlte -meine fünf Cents und fuhr hinaus nach dem -Centralparke, weil ich zunächst und vor allem das Bedürfnis -hatte nach reiner, frischer Luft, nach absoluter -Ruhe. Fern vom Geräusche der Großstadt, ungestört von -jedem mich belästigenden Blicke aus teilnehmenden oder -neugierigen Augen – wollte ich dort oben in der Einsamkeit -mein Elend zu vergessen suchen. Zumal lockte der -prächtigste Sommerabend hinaus ins Freie. Endlich – -endlich mußte ja doch dieser böse Plagegeist ein menschliches -– Unsinn! ein Geist empfindet nie ein menschlich -– sagen wir also: ein himmlisches Rühren fühlen oder -seiner boshaften Mucken überdrüssig werden.</p> - -<p>Erfrischender Waldgeruch und würziger Blumenduft -schlugen mir entgegen. In langen Atemzügen sog ich den -klaren Äther in mich ein. Wohlweislich die wenig frequentierten -Wege suchend, gelangte ich nach etwa halbstündiger -Wanderung in den oberen, romantischeren Teil des Parkes, -wo Mutter Natur mehr gethan, als künstlerisches Schaffen -und Geldaufwand zu thun im stande gewesen. Erschöpft -und schon halb verzweifelt ließ ich mich dort auf eine -Bank nieder und stöhnte laut.</p> - -<p>Lachen Sie nicht, meine schönen Leserinnen! Warum -<a class="pagenum" id="page_109" title="109"> </a> -soll ein alter Junggeselle nicht einmal laut stöhnen, selbst -wenn er nicht vom Zahnweh geplagt wäre? Hat doch -gerade er am meisten Ursache dazu. Keine weiche Hand -streichelt ihm zärtlich die Wange, kein rosiger Mund spricht -liebevolle Worte oder flüstert ihm tröstend zu, nur nicht -ungeduldig zu werden und hübsch auszuharren! Zwar habe -ich nie ein sehr liebebedürftiges Herz besessen; aber in -diesem Momente fühlte ich wieder so recht allen Jammer -und alle Hilflosigkeit meines Junggesellentums! Eine resolute -Ehefrau würde auch vielleicht ausgerufen haben: -»Genug jetzt des grausamen Spieles; geschwind in eine -Droschke mit Dir und zum Zahnarzt! Der Missethäter -muß ausgezogen werden!«</p> - -<p>Ja, gewiß lobe und erkenne ich jeden gütigen Rat -an, bin überhaupt windelweich geworden seit gestern, besonders -gegen das schöne Geschlecht, opponiere nie mehr! -Doch wenn man zwischen Fünfzig und Sechzig steht, außerdem -mit Kauwerkzeugen nur mehr dürftig versorgt ist und -diese wenigen sich des Gebrauchs halber noch einige Zeit -erhalten möchte, da ist so eine Parforcekur wohl zu erwägen.</p> - -<p>Also laut stöhnend, stützte ich den Kopf in die linke -Hand und starrte in stummer Resignation auf den Kiesweg -vor mir. Oder hatte die so natürliche physische Erschöpfung -doch vielleicht für ein Weilchen mir die Augen -geschlossen – ich weiß es nicht zu sagen. Besserung -wenigstens verspürte ich nicht; denn plötzlich fuhr ich jäh -empor. Ein dunkler Schatten war auf den Weg gefallen, -und ich hatte das unbestimmte Gefühl, daß jemand vor -mir stand.</p> - -<p>Ja, vor mir standen wirklich zwei Personen. Aber -um alles in der Welt, wer war das nur? – Mehrere -<a class="pagenum" id="page_110" title="110"> </a> -Sekunden stierte ich mit fast blödem Ausdrucke in ein -hageres braunes Antlitz, aus dem mir ein Paar merkwürdig -sprechende Augen entgegenblitzten. Eine Frauengestalt -mit einem Kinde war es; allein deren Erscheinung -schien so durchaus originell, so frappierend, daß die angeborene -deutsche Höflichkeit mir völlig abhanden kam und -ich nicht einmal aufstand, den Hut zu lüften. Demungeachtet -merkte ich, wie diese Gestalt sich etwas zu mir herabbeugte -und halb teilnehmend fragend, halb bedauernd -äußerte:</p> - -<p>»Zahnschmerzen, Sir?«</p> - -<p>Welch' guter Geist leitete mich nur in diesem Momente, -daß ich, anstatt die Ruhestörerin schroff abzuweisen, ihr -vielmehr offenherzig erwiderte:</p> - -<p>»Ganz fürchterliche, Madame!«</p> - -<p>»O, da wollen wir sofort Linderung oder Hilfe -schaffen,« sagte die volle, merkwürdig tiefe Frauenstimme -in fließendem, dabei jedoch eigenartig accentuiertem Englisch. -Auch wurde das mit solcher Bestimmtheit gesprochen, -als ob die Abhilfe so schnell und leicht zu bewerkstelligen -wäre, wie man jemandem ein Stäubchen vom Rockkragen -entfernt.</p> - -<p>In sprachlosem Erstaunen, wahrscheinlich mit einem -recht einfältigen Gesichte, blickte ich noch immer zu der -seltsamen, wunderbaren Figur empor. Aber da saß sie -auch schon dicht neben mir und suchte eifrig in den Falten -ihres Kleides.</p> - -<p>Trotz der mich noch immer peinigenden Schmerzen -folgte ich in steigendem Interesse jeder ihrer behenden Bewegungen. -Jetzt träufelte sie eine helle Flüssigkeit aus -einem Fläschchen auf etwas Baumwolle und reichte mir -diese zu.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_111" title="111"> </a> -»Hier, Sir! Nun schnell ans Werk! Bezeichnen Sie -mir den Übelthäter und Sie werden wie neugeboren sich -fühlen,« meinte sie scherzend, indes im Tone unverkennbarer -Überlegenheit und hohen Selbstbewußtseins.</p> - -<p>Einen Moment zögerte ich. Der scharfe, fast stechende -Blick des dunklen Auges machte mich unsicher.</p> - -<p>»Nun, glauben Sie vielleicht, ich wolle mir nur -einen Spaß mit Ihnen erlauben?« fragte sie jetzt herb. -»Haben Sie denn in New York noch nichts von Mary -Powl gehört?«</p> - -<p>»Mary Powl? – Nein!« stotterte ich zaghaft. Aber -halb getröstet und rasch entschlossen, machte ich den Mund -auf und ließ sie gewähren.</p> - -<p>Mehrere Minuten vergingen unter tiefstem Schweigen. -Dann sprang ich wie elektrisiert mit jugendlicher Lebhaftigkeit -von der Bank empor.</p> - -<p>»Donnerwetter, Blitz Element! Wo sind denn –?«</p> - -<p>»Pst, pst, noch einige Sekunden Ruhe!« unterbrach -sie mich besänftigend, dabei lächelnd, so daß ihre gesunden -Zähne zwischen den Lippen sichtbar wurden. »Wo sind -Ihre Zahnschmerzen – wollten Sie fragen – nicht wahr? -Die sind abgethan und hoffentlich für eine lange Weile. -So, jetzt gestatte ich Ihnen, auch wieder zu sprechen, mein -Herr! Das heißt, wenn es Ihnen Vergnügen macht, sich -einige Minuten mit mir zu unterhalten.«</p> - -<p>In wirklich tief empfundenen Dankesgefühlen hatte -ich ihre braune, unbehandschuhte, jedoch zarte Hand ergriffen -und drückte sie kräftig.</p> - -<p>»Sind Sie Zauberin, Fee oder ein leibhaftiges Menschenkind?« -fragte ich mit vor Erregung zitternder Stimme. -Ein wohliges Gefühl rieselte durch meine Adern. Wahrhaftig -– sie hatte recht, wie neugeboren erschien ich mir.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_112" title="112"> </a> -»Mary Powl,« erwiderte sie einfach.</p> - -<p>»Aber, mein Gott, wie kommen Sie dazu, einem -Ihnen gänzlich Fremden solchen Liebesdienst zu erweisen? -Erlauben Sie, Madame, daß ich mich Ihnen vorstelle, mein -Name ist ...«</p> - -<p>»O, lassen Sie Ihren Namen, den ich jedenfalls doch -nicht aussprechen kann! Sie sind ein Deutscher und das -genügt mir.«</p> - -<p>Ein stolzes Emporwerfen des Kopfes begleitete ihre -Worte.</p> - -<p>Schnell hatte ich mich an ihre Seite wieder niedergelassen -und war jetzt im stande, die sonderbare Erscheinung -mit Ruhe und Muße zu betrachten.</p> - -<p>Das Kind, anscheinend ein Knabe von elf bis zwölf -Jahren, lehnte gleichgültig dreinschauend und mit einem -melancholischen Ausdruck in dem fast kupferfarbigen mageren -Gesichtchen neben der Bank, auf welcher wir saßen. Ihre -auffallende, höchst bunte Tracht mußte jedenfalls eine Art -Nationalkostüm repräsentieren. Denn um am helllichten -Tage in New York in einem Maskenanzuge umherzuziehen, -dem widersprach das ganze Wesen und Auftreten der sonderbaren -Frau.</p> - -<p>Ein kornblumenblauer faltiger Rock mit breiter roter -Borde bildete das Untergewand, worüber ein langer, -weißer, grobgewebter Mantel fiel, ähnlich dem Stoffe, den -in Mähren die Hannaken über den Schultern tragen. In -malerischen Falten, den schlanken doch kräftig gebauten -Oberkörper nur zum Teil verhüllend, drapierte sich derselbe -über ihrer Figur. Das glatte, pechschwarze, in der Mitte -gescheitelte Haar war zur Hälfte von einem grünlich -schillernden Seidentuche bedeckt. Um den Hals und über -die Brust wanden sich mehrere Schnüre bohnengroßer, -<a class="pagenum" id="page_113" title="113"> </a> -dicht aneinander gereihter Goldkörner, während an einem -breiten, ziemlich primitiven Ledergurte ein kurzes, in roher -Scheide ruhendes Dolchmesser herabfiel.</p> - -<p>Ihre Gesichtszüge waren hager, hart und eckig, verrieten -indes noch Spuren einstiger Reize. Ganz besonders -aber waren es die Augen in stets wechselndem Ausdrucke, -welche, bald wild flammend, bald herzgewinnend freundlich, -mein Interesse an der merkwürdigen Frau noch besonders -erhöhten.</p> - -<p>In gleich phantastischer Weise war auch das Kostüm -des Knaben, dessen Anzug viel Ähnlichkeit mit dem eines -jungen Hochländers verriet. Nur bildeten Mokassins die -Fußbekleidung, und eine Art Toque mit wehender Adlerfeder -zierte das dunkle, nicht uninteressante Köpfchen.</p> - -<p>Stillschweigend, aber keineswegs gekränkt, hatte sie -meine scharfe Musterung über sich wie das Kind ergehen -lassen, ja sie schien durch dieselbe beinahe belustigt. Denn -sie brach das Schweigen plötzlich mit den heiteren Worten:</p> - -<p>»Sie sind ein völlig Fremder hier in New York, wie -ich sehe, Sir?«</p> - -<p>»Ja, Madame! Nur um die Weltausstellung zu besichtigen, -bin ich herübergekommen. Meine staunenswerte -Unkenntnis über den Namen Mary Powl ließ Sie das natürlich -sogleich vermuten. Jedenfalls hat dieser Name hier -einen hohen und berühmten Klang. Daher segne ich den -Zufall – oder vielmehr meine Zahnschmerzen, die mir -Ihre interessante Bekanntschaft verschafften,« entgegnete ich -mit feiner Galanterie, indem ich mich leicht verneigte.</p> - -<p>Wieder warf sie so eigenartig stolz und herausfordernd -den Kopf in den Nacken und flüsterte, träumerisch in die -Leere starrend:</p> - -<p>»O nein, weder berühmt noch hoch! Einst wohl war -<a class="pagenum" id="page_114" title="114"> </a> -er das beides. Aber dieses einst ist begraben. Hier betrachtet -man mich als Original – als letztes Überbleibsel -eines ehemals mächtigen Irokesenbundes von draußen am -herrlichen Genesee-Thale im westlichen Staate New York. -Den Kultus, den ich noch immer mit dem Andenken -früheren Glanzes, mit den teuren Erinnerungen des so bald -dahingeschiedenen Gatten – eines stolzen Häuptlings – -treibe, nennen die poesielosen Amerikaner überspannte Phantastereien. -Allein man läßt mich gewähren. Ist doch Mary -Powl, die Indianer-Squaw, völlig harmloser Natur. Die -Leute in den Straßen und die Fremden schauen ihr wohl -neugierig oder herausfordernd nach, ja, die Schulbuben -lachen über sie und ihren Sohn – was thut das! Mary -Powl hat anderen, tieferen Schmerz erfahren und geduldig -hinnehmen müssen – den nie sterbenden Gram über das -Herabsinken, das Niedergehen einer großen, herrlichen -Nation!«</p> - -<p>Aufs höchste interessiert, lauschte ich diesen mit monotoner -Stimme vorgetragenen Worten und entgegnete nur -wie schüchtern tröstend:</p> - -<p>»Aber es giebt doch noch viele Indianer Ihres -Stammes. Wenngleich, so viel ich hörte, die einstigen -Irokesenbunde teilweise aufgelöst und deren Glieder in -verschiedene Gegenden zerstreut worden sind, so leben doch gerade -hier, im Staate New York, von denselben noch genug und -führen als angesehene Männer unter den Amerikanern ein -einträgliches, friedliches Dasein.«</p> - -<p>Abwehrend und verächtlich schüttelte sie das Haupt.</p> - -<p>»Seit sie ihren Tomahawk vergraben und den Glauben -der Weißen angenommen, hat Omäneo, der große Geist, -von ihnen sich abgewendet. Die Amerikaner haben den -Fuß auf den Nacken der roten Männer gesetzt. Nicht -<a class="pagenum" id="page_115" title="115"> </a> -Herren sind sie mehr in diesem Lande, nur erbärmliche -Knechte!«</p> - -<p>Tiefe Bitterkeit klang bei dieser Rede durch der Indianerin -Stimme, während sie wie schützend den einen Arm -um des Knaben Schulter legte und fort fuhr:</p> - -<p>»Kinder eines Vaters – so lehrt das Christentum! -Allein, sind wir das wirklich? Diese Frage drängt sich -immer von neuem vor meine Seele. Ihr Deutschen befolget -Gottes Gebot: ›Liebet euren Nächsten!‹ im schönsten, -reinsten Sinne des Wortes, Ihr sehet in uns – den Farbigen -– den Bruder. Nicht so der Amerikaner, dessen -Brust der unbegründete, bittere Erbhaß erfüllt, ja der ungerecht -und hart ist – oft bis zur Grausamkeit.«</p> - -<p>»Und dennoch wählten Sie Ihren Wohnsitz mitten -unter ihnen?« fragte ich, die Witwe des Irokesenhäuptlings -betrachtend.</p> - -<p>Sie deutete auf den Knaben.</p> - -<p>»Es ist nur um seinetwillen! Iron Hand (die eiserne -Hand) soll einst das reiche Wissen und die Gelehrsamkeit -der weißen Männer mit dem Verstande und dem Mutterwitz -seines Stammes verbinden. Meine Lebensaufgabe besteht -einzig noch darin, seine Studien zu überwachen, für -ihn zu arbeiten und das Vermögen, welches sein teurer, -tapferer Vater ihm hinterlassen, zu verdoppeln – zu verdreifachen! -Mein Sohn soll Medizin studieren,« setzte sie -mit einem Blick voll Stolz und Zärtlichkeit hinzu.</p> - -<p>Ich vermochte ein Lächeln nicht zu unterdrücken, und -ihr scharfer Geist mußte meinen Ideengang erraten haben, -denn sie sagte schnell:</p> - -<p>»Nun ja! Ich selbst pfusche den Ärzten so ein klein -wenig ins Handwerk. Mein großes Interesse an der Heilkunde -hat mir schon manche trübe, einsame Stunde erhellt -<a class="pagenum" id="page_116" title="116"> </a> -Ich schöpfe nur aus der Natur, kenne deren geheimnisvolle -Kräfte, und meine Mittel helfen zuweilen besser, als -die der hochgelehrten Herren dort drüben in der City.«</p> - -<p>Freudig zustimmend nickte ich mit dem Kopfe. Einen -Moment schaute sie mich scharf und prüfend an; dann rief -sie lebhaft:</p> - -<p>»Besuchen Sie mich, Sir! Ich sehe, Sie sind ein -welterfahrener, edeldenkender Mann, der die Vorurteile des -Kastengeistes von sich abgestreift hat, dessen Gesichtskreis -unbegrenzt ist. Mit solchen Menschen verkehre ich gern; -ihnen zeige ich mich auch von einer anderen Seite, als -wie der übrigen Welt, die in Mary Powl nur ein halb -verrücktes weibliches Original sieht. <i>All right!</i> Sie -kommen?«</p> - -<p>Mit wirklich anmutigen Bewegungen, jedoch ohne jede -Spur von Koketterie, und mit herzgewinnendem Lächeln -reichte sie mir die Hand entgegen.</p> - -<p>»Gewiß, Madame! Mit dem allergrößten Vergnügen,« -erwiderte ich, ihre Rechte herzlich drückend.</p> - -<p>Diese Frau gefiel mir. Es lag so viel Urwüchsigkeit, -so viel angeborene Vornehmheit in ihrem Wesen, nebenbei -sprach aus jedem ihrer Worte Geist und tiefes Denken, -so daß für mich in dem freundlichen Anerbieten ein eigener -Reiz lag und ich mir interessante Stunden und Erinnerungen -von diesem Besuche versprach. Mary Powl nannte mir -ihre Adresse. Darauf schaute sie nach der im Sinken begriffenen -Sonne und erhob sich.</p> - -<p>»Und wie soll ich meiner gütigen Helferin aus jenem -unerträglichen Zustande danken?« fragte ich, indem ich fast -ehrfurchtsvoll den Hut vor ihr zog.</p> - -<p>»Damit, daß Sie dieser Stunde ein Andenken bewahren, -mein Herr!« war die ernste Antwort.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_117" title="117"> </a> -Sie nahm den Knaben wieder an die Hand, neigte -leicht den Kopf und ging.</p> - -<p>Tief gedankenvoll blickte ich der fremdartigen Erscheinung -nach, bis der leuchtende weiße Mantel hinter -dem Gebüsch verschwunden war. Der endlose Park breitete -sich wieder totenstill vor mir aus. Die Spatzen – andere -Vögel vermag dieser nicht aufzuweisen – hüpften zutraulich -über den Weg, als ob, seitdem ich auf der einsamen -Bank mich niedergelassen, nichts die feierliche Ruhe ringsum -gestört hätte. Sollte ich die letzte halbe Stunde wirklich -nur geträumt haben, oder war die reizvolle Scene -einzig nur meinem erregten Geiste entsprungen? Auch die -nüchterne Phantasie eines alten Junggesellen erlaubt sich -zuweilen eine Verirrung. Plötzlich jedoch lachte ich herzlich -auf. Die Zahnschmerzen – fort waren sie zweifellos; -o Glück! Dieses wonnige Bewußtsein war kein Traum!</p> - -<p>Ein eigentümliches, höchst prosaisches Gefühl in der -Magengegend verscheuchte indes bald alle poesiereichen Gedanken. -Jetzt verursachte mir die Aussicht auf ein gutes -Diner ein angenehmes Behagen. Wer auch wollte mir das -verdenken! War doch seit meiner Abreise aus Philadelphia -kein Bissen über meine Lippen gekommen. – Eine halbe -Stunde später saß ich bei Delmonico, und trotz aller Ehrfurcht -und Hochachtung vor der weisen Einrichtung des -Temperenzgesetzes stand eine Flasche »<i>veuve Cliqot</i>« vor -mir im Eiskühler. Gern nahm ich am heutigen Tage -solche Sünde auf mein Gewissen. Das erste Glas galt -ihr. Es lebe Mary Powl, die Indianer-Squaw! –</p> - -<p>Die Vormittagsstunden des nächsten Tages verbrachte -ich mit planlosem Umherstreifen in der großen Hauptstadt -der Union. Was mir darin am charakteristischsten dünkte, -das war jenes Hinauf- und Hinunterhetzen – anders läßt -<a class="pagenum" id="page_118" title="118"> </a> -es sich kaum bezeichnen – am Broadway. Weder in Paris -noch in London ist mir derartiges Jagen je wieder vorgekommen. -Millionen gewonnen – Millionen verloren -– alles geschieht dort drüben in fast ängstlicher Hast! -Wer das ganze bunte Bild vom objektiven Standpunkte -aus betrachtet, dem erscheint es wirklich ergötzlich.</p> - -<p>Endlich zeigte die Uhr die vierte Nachmittagsstunde -– die Zeit, welche Mary Powl mir zum Besuche bestimmt -hatte.</p> - -<p>In einer ziemlich entlegenen Gegend – weit über die -8. Avenue hinaus – lag ihre Wohnung, und ich muß -offen gestehen, daß eine gewisse Unruhe oder auch Neugierde -mir die Pulse rascher schlagen ließ. Denn obwohl -ich schon manches im Leben gesehen und kennen gelernt -hatte – in die inneren Verhältnisse einer Indianer-Häuslichkeit -war mein Blick noch nicht gedrungen. Einen Wigwam -erwartete ich im Mittelpunkt der City of New York -selbstverständlich nicht; allein ich konnte – mit Rücksicht -auf Mary Powls Äußeres und deren romantisches Vorleben -– auf außergewöhnliche interessante Entdeckungen -schließen. Da sie ja von dem ererbten Vermögen ihres -tapferen Gemahls gesprochen, so durfte ich annehmen, daß -sie pekuniär in guten Verhältnissen lebe.</p> - -<p>Die Hitze war aufs neue drückend, so daß ich mir -ein Cab nahm, um rascher mein Ziel zu erreichen. Das -Haus, wohin dasselbe mich führte, kam mir auf den ersten -Blick allerdings nicht sehr elegant vor. Eines jener <i>Tenement -houses</i> – oder wie wir es bezeichnen würden: -eine Mietkaserne war es, wie dergleichen in New York -Leute bewohnen, welche nicht in der Lage sind, für sich ein -Haus allein zu mieten, es aber vorziehen, eigene Menage -zu führen, anstatt sich bei anderen in <i>board</i> (Kost) zu -<a class="pagenum" id="page_119" title="119"> </a> -geben. Immerhin deutete das Innere des Gebäudes auf -große Sauberkeit und Accuratesse. Die Stiegen waren mit -Wachstuch bekleidet und die Scheiben der hohen Flurfenster -blitzten förmlich in der Sonne. Rasch entschlossen klopfte -ich an die mir genau bezeichnete Thür, weil die Wohnung -keinen verschlossenen Vorsaal nebst Klingelzug aufwies.</p> - -<p>Im selben Augenblicke steckte auch schon ein wollhaariges -Negermädchen den Kopf heraus und fragte -mürrisch nach meinem Begehr. Ihr meine Karte überreichend, -erwiderte ich, daß Mrs. Powl mich erwarte.</p> - -<p>Schon nach wenigen Sekunden kehrte die Dienerin -zurück und öffnete mir schweigend die Pforten des geheimnisvollen -Tuskulums. Moderne Möbel – moderne -Teppiche und Fenstervorhänge – boten sich meinen überraschten -Blicken dar.</p> - -<p>Den ersten Augenblick überkam es mich gleich einem -Gefühl der Enttäuschung. Nichts, auch nicht der kleinste -Gegenstand entsprach hier dem Bilde, das ich mir von dem -<i>home</i> Mary Powls gemacht hatte. Fast ärgerlich ließ ich -fast alles in dem Gemache Revue passieren. Also nur mit -leeren Worten, und vielleicht mit den paar bunten Lappen, -die ihre Toilette ausmachten, blieb sie dem Andenken an -die einstige Berühmtheit ihres Stammes treu? Von einem -Kultus hatte sie gesprochen, den sie mit den Erinnerungen -an die ihr teure Vergangenheit trieb – und das geschah -hier in dieser, der Erscheinung der Indianerin so gänzlich -widersprechenden Umgebung? Alles Anziehende, jeder Reiz -dieses Besuches ging für mich völlig verloren.</p> - -<p>Sicher mußte ich demnach auch darauf gefaßt sein, sie -selbst in moderner Toilette, mit einer unmöglichen Haarfrisur, -das dunkle Bronzegesicht von einem Lockengekräusel -umrahmt, erscheinen zu sehen! Lächerlich! Wie konnte ich -<a class="pagenum" id="page_120" title="120"> </a> -doch nur so unüberlegt und einfältig sein, mich hier anlocken -zu lassen? Möglicherweise lief die ganze Geschichte -auf einen echt amerikanischen Humbug, eine fein angelegte -Schwindelei hinaus! Die schlaue Person witterte sicher in -mir einen grünen Deutschen. Wie oft hört und liest man -doch von solch' gründlich gerupften Vögeln – von Mord -– von unheimlichem Verschwinden in New York! Unwillkürlich -drückte ich die Hand auf die auf meiner Brust -ruhende Barschaft und schaute mich halb forschend, halb -ängstlich um.</p> - -<p>Das Negermädchen hatte das Zimmer wieder verlassen. -Da erhob sich plötzlich ein schwerer, dunkler Thürvorhang -und – Mary Powl stand genau im nämlichen -Anzuge, wie sie mir im Parke begegnet, nur ohne den -weißen Mantel, mir gegenüber. Ernst und ruhige Würde, -dabei wieder jene kühl herablassende Vornehmheit, sprachen -aus der ganzen Erscheinung. Ein Seufzer der Erleichterung -entschlüpfte meiner Brust, und fast beglückt schritt ich -ihr entgegen.</p> - -<p>»Ich freue mich, daß Sie Wort gehalten haben, Sir!« -sagte sie, mir näher tretend, mit dem monotonen, etwas -schwermütigem Tonfall in der Stimme, indem sie mir, -gleich einem alten Bekannten, die Hand reichte. »Ich habe -mich viel mit Ihnen beschäftigt seit gestern und darüber -nachgedacht, daß ihr Deutschen doch ein beneidenswert -glückliches Volk seid!«</p> - -<p>»Woraus schließen Sie das, Madame?« fragte ich -lächelnd, voll Interesse das dunkle Gesicht anschauend, -welches mir heute weniger eckig und in dem Momente, wo -die brennenden Augen in Begeisterung flammten, eher anziehend -erschien.</p> - -<p>»O, ich lese ja Zeitungen!« rief sie, den Kopf selbstbewußt -<a class="pagenum" id="page_121" title="121"> </a> -emporwerfend. »Sie sind Preuße? Ich kenne sie -alle, eure großen tapferen Männer,« – fuhr sie lebhaft -fort – »den greisen Kaiser William, Bismarck, Moltke! -Das heißt, ich kenne ihre Namen auf dem Papier. In -Wirklichkeit wird mein Auge sie wohl niemals schauen.«</p> - -<p>»Das zu erreichen, liegt ja nur an Ihnen,« erwiderte -ich verbindlich, den mit vornehmer Handbewegung mir angebotenen -Platz einnehmend. Sie hatte sich gegenüber gesetzt -und die schlanken braunen Finger im Schoß gefaltet. -»Entschließen Sie sich zu einer Reise nach Berlin, Madame! -Das würde Ihnen eine reizvolle Zerstreuung und -Abwechslung gewähren.«</p> - -<p>»Damit ich dann – nach meiner Rückkehr – mich -um so unglücklicher in Verhältnissen fühlen würde, in -denen zu leben ich doch angewiesen bin. O nein, Sir! -So lange mein Sohn sein Ziel noch nicht erreicht hat, -wanke ich nicht von diesem Platze.«</p> - -<p>Ich mußte ihr beipflichten.</p> - -<p>Darauf fragte sie mich nach meiner Lebensstellung -und meinem Berufe, und als ich ihr gesagt, ich sei Schriftsteller, -sah sie mich fast scheu und ehrfurchtsvoll von der -Seite an und meinte befangen, sie hätte sich einen Mann -der Feder ganz anders vorgestellt. Da mußte ich nun viel -erzählen über deutsche Zustände und Sitten; über Litteratur -und Geschichte sprachen wir, und ich gestehe offen, daß -ihr, wenn auch nicht gerade reiches Wissen, so doch ihr -richtiges Urteil, ihre Kenntnis von Dingen, die man ihr -kaum zugetraut, mich wahrhaft überraschten. Freilich wohl -zwangen mir die oft kindlich naiven Fragen hin und -wieder auch ein Lächeln ab. Aber ich erinnerte mich -dann schnell, mit wem ich die Unterredung führte. Jedenfalls -stand dieselbe, was Originalität und Unterhaltung -<a class="pagenum" id="page_122" title="122"> </a> -anlangte, keiner von jenen mit irgend einer deutschen Dame -eingegangenen nach.</p> - -<p>Auch Mary Powl erzählte mir von ihrer Kindheit -und Jugend, von dem kurzen Glück ihrer Ehe, – daß ihr -Gatte bei einem räuberischen Überfall eines feindlichen -Stammes grausam erschlagen worden, und daß sie darauf -mit ihren Landsleuten, mit der Menschheit, ja mit sich -selbst zerfallen, der Heimat den Rücken gekehrt und nach -New York übergesiedelt sei.</p> - -<p>»Und hier führe ich nun seit fast zehn Jahren ein -stilles, zurückgezogenes, mir zusagendes Dasein,« schloß sie -den schlichten Bericht. »Mein <i>home</i> ist meine Welt, in -der ich mich glücklich fühle.«</p> - -<p>Wie das so natürlich war, flog mein Auge über die -moderne Einrichtung des Gemaches, während ich die -schüchterne Frage aufwarf, weshalb sie alles, was an das -einstige romantische, abenteuerliche Leben der Vergangenheit -gemahnte, daraus verbannt habe?</p> - -<p>Sie lachte. Es war das erste und letzte Mal, daß -ich diese Frau wirklich lachen hörte.</p> - -<p>»So glauben Sie im Ernst, daß das durch Abhärtung -und Entbehrungen aller Art gestählte Weib an -die verweichlichte Lebensweise der Weißen sich gewöhnt -habe, daß solcher Ballast« – sie deutete auf ein von -schwellenden Kissen strotzendes Ruhebett – »ihr unentbehrlich -geworden ist? Eine von der Kultur beleckte Indianer-Squaw -– wäre das nicht eigentlich spaßhaft? Nein, mein -Herr! Mit Leib und Seele, mit jeder Fiber meines Herzens -hänge ich noch an alten Erinnerungen. Allein ich verschließe -mein Teuerstes vor der Welt. Kein profaner Blick -soll je mein Heiligtum erreichen! Dieses Zimmer hier bedarf -ich zum Empfange von Leuten, mit denen ich ab und -<a class="pagenum" id="page_123" title="123"> </a> -zu geschäftlich verkehre und in Verbindung komme, für die -ich auch nur Mrs. Mary Powl bin, welchen Namen ich -mir seit dem Fortgange aus meinem Heimatsthal gegeben -habe. Doch hier« – in graziös behenden Bewegungen -sprang sie empor und schlug den dunkeln Vorhang, durch -den sie gekommen, zurück – »hier, Sir, ist mein wahres -<i>home</i>! Ihnen zeige ich es; Sie sollen sehen, daß ich das -warme Interesse, das Vertrauen, welches Sie mir bewiesen, -zu schätzen weiß!«</p> - -<p>Zögernden Schrittes war ich gefolgt und blickte nun -in stummer Überraschung durch die offene Thür. Mit -heiterem Gesichte weidete sie sich an meinem Staunen.</p> - -<p>»Nun, ich bitte, treten Sie ein, Sir! In diesen -Räumen begrüßt Sie die Witwe des Irokesenhäuptlings -Onundega.«</p> - -<p>Wir schritten beide über die Schwelle.</p> - -<p>Jetzt wußte ich, daß jedes Wort, was Mary Powl -von ihrer Vergangenheit mir erzählt, lautere Wahrheit -war, daß jeder noch so kleine Verdacht wider sie, der eben -noch in meiner Seele Platz gefunden, eine bittere Ungerechtigkeit, -ja, eine Kränkung für sie gewesen.</p> - -<p>Der Raum, in welchem wir jetzt standen, glich in der -That der Vorstellung, die ich in meinen Knabenjahren von -dem Wigwam eines Indianerhäuptlings mir vielleicht gemacht. -Eine von grobem, eigenartig gewebten, blaubemalten -Stoffe, in der Mitte der Decke angebrachte und an den -Wänden niederhängende Draperie war geschickt und kunstgerecht -zu einer Art Zelt verarbeitet, so daß die Seite, wo -die Fenster sich befanden, ebenfalls verhangen blieb, weshalb -sich nur ein mattes, angenehmes Dämmerlicht über -den nicht großen Mittelraum verbreitete. Jeder Gegenstand -dieses wunderbaren Gemaches trat klar und scharf -<a class="pagenum" id="page_124" title="124"> </a> -ins Auge, und jeder Blick sagte mir, daß hier Mary Powl -in ihrem Elemente, in ihrem eigentlichen <i>home</i> sei.</p> - -<p>Ihr kurz befehlender Wink nach der einen Ecke bedeutete -den dort am Boden kauernden, anscheinend lesenden -Knaben aufzustehen und mich zu begrüßen. Mit dem Buche -in der Hand kam er leise herangeschlichen und schaute -schüchtern zu mir auf.</p> - -<p>Liebkosend strich ich ihm über das schlichte, lange -tiefschwarze Haar und fragte, was er denn so fleißig -studiere? Mit stolzem Augenaufschlag erwiderte er:</p> - -<p>»<i>Latin</i>, Sir!«</p> - -<p>Dann hüpfte er wieder behende in seinen Winkel, -schlug aufs neue das Lexikon auseinander und nahm anscheinend -keine Notiz mehr von uns.</p> - -<p>Währenddessen stand, den einen Arm an die schlanke, -doch kräftige Hüfte gestemmt, die Indianerin neben mir -und verfolgte mit einem Ausdruck von Befriedigung im -Gesichte meine sich immer steigernde Verwunderung.</p> - -<p>An der einen Längenwand des Zeltes, dicht über dem -Haupte des Knaben, hingen die einstigen Waffen, Schild, -Speer und Bogen, wie der phantastische Kopfschmuck mit -der wehenden Adlerfeder (dem Abzeichen des Häuptlings) -ihres heimgegangenen Gemahls. Verschiedene indianische -Gerätschaften oder Handwerkszeuge, deren Zweck und Nutzen -mir im ersten Augenblicke nicht recht klar war, bildeten -eine originelle, malerische Verzierung um die mit sichtlicher -Pietät gehüteten und bewahrten Überbleibsel einer kurzen, -jedenfalls ruhmvollen Kriegerlaufbahn. Und weiter – -mein Auge irrte neugierig über hundert mir völlig unbekannte -Dinge hinweg. Hier lagen Jagd- und Kriegstrophäen -des stolzen Onundega, ausgestopfte Tiere und -Vögel, Köcher und Pfeile, wie auch seltsamer Federschmuck, -<a class="pagenum" id="page_125" title="125"> </a> -dort Sattel- und Zaumzeug seines Lieblings- oder Streitrosses -neben den primitiven Toilettenartikeln eines besiegten -Feindes. Aber – was war das? Mein Blick war plötzlich -auf etwa sieben bis acht ganz unheimliche Gegenstände gefallen, -die in Manneshöhe, an einem starken Hanfseile -aufgereiht, gleich gefangenen Krammetsvögeln im Dohnenstrich, -herabhingen.</p> - -<p>Ein leises Gruseln lief mir über den Rücken und ich -fühlte die einstigen Haare meines jetzt kahlen Schädels sich -sträuben. Skalpe – wahrhaftige, Original-Skalpe, je -nach der Nationalität derselben mit langen oder kurzen -Haaren bedeckt und an ihnen zusammengebunden, baumelten -da als Siegestrophäen über meinem Haupte und mußten -einem deutschen Herzen wohl begreifliches Unbehagen einflößen.</p> - -<p>Unwillkürlich wandte ich das Gesicht rasch nach einer -anderen. Mary Powl gewahrte es und führte mich mit -feinem Takt schnell zur entgegengesetzten Seite des Gemachs, -wo eine in der That auserlesene Waffen- und Gewehrsammlung -mein Interesse bald völlig in Anspruch nahm.</p> - -<p>Es gab in Mary Powls <i>home</i> überhaupt so viel -Merkwürdiges zu schauen, daß wohl Tage dazu gehörten, -alle die sehenswerten Dinge mit Ruhe und Verständnis -betrachten zu können. Etwas indes nahm meine Aufmerksamkeit -besonders gefangen. Dieses war ein höchst eigentümliches, -primitives Lager. Auf einer Art Erhöhung -nämlich, von Matten und Bärenfellen zusammengestellt, -halb verdeckt von einem blauweißen Vorhange (blau ist die -Lieblingsfarbe der Indianer), befand sich die Schlafstätte -dieser sonderbaren Frau, und ich dachte dabei unwillkürlich -ihrer Worte: daß das an Abhärtung und Entbehrungen -<a class="pagenum" id="page_126" title="126"> </a> -gewöhnte Weib sich mit der verweichlichten Lebensweise der -Weißen nicht befreunden könne.</p> - -<p>Also hier schlummerte Mary Powl, hier träumte sie -vom einstigen Glück und Ruhm – von der hoffnungsvollen -Zukunft ihres Knaben! Hier, umgeben von Waffen, -die noch das Blut der Feinde rötete, umgeben von menschlichen -Skalpen, – hier fand sie Ruhe nach des Tages -Lasten! Ländlich – sittlich! Ich hätte mein bequemes -Bett im lieben Deutschland mit dieser Lagerstätte sicher -nicht vertauschen mögen.</p> - -<p>Viel gesprochen oder gar bewundert und gelobt habe -ich nicht, während wir miteinander einen Rundgang durch -den hochinteressanten Raum machten. Das dünkte mir in -dieser Stunde abgeschmackt und einer Mary Powl unwert. -War doch ihr Gesichtsausdruck tiefernst, als riefen all' die -Gegenstände tausend schmerzliche Erinnerungen wach. Jedes -leere Wort erschien mir daher gleich einer Verletzung ihrer -innersten Gefühle.</p> - -<p>Doch plötzlich lächelte sie wieder, indem sie mich aufforderte, -sie in das viel kleinere Nebengemach zu begleiten. -Dieses war, ähnlich dem ersteren, geschmückt und aufgeputzt -und diente augenscheinlich ihrem Sohne als Schlafzimmer, -ihr selbst jedoch als eine Art Laboratorium. -Wunderliche Gefäße, Retorten und Phiolen standen dort -auf rohgezimmerten Bänken und Borden umher. Auf dem -kleinen Herde dampfte und brodelte es auch, und große -Bündel Kräuter und Pflanzen hingen, sorgsam zusammengebunden, -von der Decke herab.</p> - -<p>Was aber in diesem Zimmer mir noch bemerkenswert -vorkam, das war eine ganz prachtvolle amerikanische Safe -(eiserner Geldschrank) neuester Konstruktion, an welche -Mary Powl nun herantrat. Sie entnahm daraus mehrere -<a class="pagenum" id="page_127" title="127"> </a> -kleinere Fläschchen, welche sie mir heiter entgegenreichte mit -dem Bemerken, daß das eine vorzüglich gegen Migräne, -jenes unfehlbar zur schleunigen Beförderung des Haarwuchses -diene.</p> - -<p>Mechanisch glitt meine Hand über meine recht bedenkliche -Glatze. Allein ich dankte ihr herzlich für diesen -feinen Wink, indem ich erwiderte, daß ich zugleich mit -dem Schmucke des Hauptes auch meine Eitelkeit abgelegt -hätte, ja, daß ich mir lächerlich vorkommen würde, wollte -ich plötzlich wieder mit wallenden Locken im Kreise der -heimatlichen Freunde erscheinen; im übrigen glaube ich an -die Unfehlbarkeit ihrer Mixturen. Zögernd indes setzte ich -hinzu, daß, wenn sie mir einige Tropfen jenes wunderthätigen -Mittels gegen die Zahnschmerzen geben wolle, so -würde ich das mit größtem Danke annehmen. Gutmütig -nickte sie und holte geschäftig das Wundermittel, welches -mich von peinigender Qual befreit, mir zugleich aber diese -interessante Bekanntschaft vermittelt hatte, aus der <i>Safe</i>. -Wie eine kostbare Reliquie bewahrte ich dieses Geschenk -auf meinem Busen.</p> - -<p>»Hier, Sir!« sagte sie darauf, die Thür des Schrankes -weit öffnend und mich näher heranwinkend. »Schauen Sie -einmal da hinein und sagen Sie mir, ob Mary Powl -nicht gut und haushälterisch für ihren Sohn gewirtschaftet -hat? Das eine habe ich von den Amerikanern profitiert -und gelernt – das Rechnen und Spekulieren.«</p> - -<p>Überrascht glitten meine Blicke über den Inhalt des -Geldschrankes, und in diesem Momente schämte ich mich -wirklich im stillen meiner unedlen, garstigen Gedanken, die -ich, bevor die Indianerin eintrat, über dieselbe in dem -tiefsten Winkel meines sonst vertrauenden Herzens gehegt -hatte.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_128" title="128"> </a> -Dort lagen Wertpapiere, Staats- und Eisenbahn-Obligationen -neben aufgetürmten Rollen Zwanzig-Dollar-Goldstücken. -Auch Häufchen Goldkörner und unregelmäßige -Klümpchen dieses edeln Rohmetalls gewahrte ich -und wurde immer mehr durchdrungen von der Überzeugung, -Mary Powl sei nicht allein eine interessante, anziehende -sondern auch sehr vermögende Frau, welche – nach europäischen -Begriffen – sich ihr Leben hätte ganz anders -gestalten können.</p> - -<p>»Ich staune über Sie, Madame!« konnte ich nicht -unterlassen, in vollster Bewunderung auszurufen. »Gute -Mutter, tüchtige Geschäftsfrau und ein mutiges, unerschrockenes, -stets hilfsbereites Weib, – das vereint sich -selten in einer Person und verdient die höchste Anerkennung, -welche jeder Ihnen zollen muß!«</p> - -<p>Wieder huschte jener Ausdruck von innerer Befriedigung -über ihr dunkles Gesicht und sie entgegnete dann fast -traurig:</p> - -<p>»Hier ernte ich nur Undank, wie unüberwindliches -Mißtrauen, welches sich an meine Fersen zu heften scheint, -und es mir gar oft erschwert, die menschenfeindlichen Gefühle -und Regungen des Busens zu bekämpfen. Doch -lassen wir das!« setzte sie abwehrend hinzu. »Wir beide -ändern das nicht. – Jetzt kommen Sie wieder hinüber in -mein <i>Parlour</i> und nehmen einen kleinen Imbiß, Sir!«</p> - -<p>Mir rasch voranschreitend, öffnete sie die Thür des -vordersten Gemaches. Noch einen letzten Blick sandte ich -über Mary Powls <i>home</i>, dann folgte ich ihr hinaus.</p> - -<p>Das uns entgegenstrahlende grelle Sonnenlicht, verbunden -mit dem Anblick der modischen Zimmereinrichtung -wirkte auf mich beinahe, als wäre ich von einer Wanderung -durch ein Märchenland in die Wirklichkeit zurückgekehrt. -<a class="pagenum" id="page_129" title="129"> </a> -Noch halb wie traumbefangen starrte ich auf das -Negermädchen, welches sich eben damit beschäftigte, Wein, -Früchte und feines Backwerk auf einem Tische zu ordnen -und für uns bereit zu stellen.</p> - -<p>Aufs neue betrachtete ich gedankenvoll und kopfschüttelnd -das elegante Porzellan-Service und Glasgeschirr, -welches im entschiedensten Widerspruche stand zu allem, -was ich soeben geschaut hatte.</p> - -<p>»Wir führen einen echt amerikanischen Haushalt,« -sagte Mary Powl, meinen Ideengang erratend, mit feinem -Lächeln, indem sie mir eine Platte köstlicher Bananen darbot. -Ich nahm eine dieser aromatischen Früchte.</p> - -<p>»Meine kleine Sally« – sie deutete nach der Thür, -durch welche die Negerin uns verlassen – »ist die Lehrmeisterin, -ich bin die Schülerin in der höhern Kochkunst; -und so geht das wundervoll von statten. Was mir anfänglich -schwer und ungewöhnt ist, das überwinde ich -schnell bei dem Gedanken, daß ich Iron Hand ein Opfer -bringe. Die Verhältnisse, in denen sein späteres Leben -dahinfließen wird, bedingen sorgfältige Erziehung. Einst -wird er seiner Mutter das danken. O, Sie sollten nur -sehen, – er speist mit Messer und Gabel wie ein junger -Gentleman!«</p> - -<p>Ungefähr noch eine halbe Stunde verweilte ich in -anregendem Gespräch mit der originellen Frau; dann erhob -ich mich. Zwei volle Stunden hatte ich bereits in ihrer -Gesellschaft zugebracht und ich mußte nun gestehen, daß -der Abschied von Mary Powl mir nicht leicht wurde. Der -weite Ozean mußte uns ja gar bald für immer trennen. -Ob ich – in ihrer Sprache zu reden – das große -Wasser noch einmal durchschifft hätte, um <em class="ge">sie</em> wieder zu -sehen, wenn ich zwanzig Jahre weniger zählte? Wer weiß -<a class="pagenum" id="page_130" title="130"> </a> -es! Jedenfalls wußte ich heute genau, daß dies ein Abschied -fürs Leben war.</p> - -<p>Die Worte, die ich dabei gesprochen, mögen wahrscheinlich -recht nichtssagend und abgeschmackt geklungen -haben, indem es nämlich eine Eigentümlichkeit von mir ist, -daß ich, je tiefer innerlich eine Sache mich berührt, äußerlich -desto linkischer und trockener werde. Vom Tragischen -zum Lächerlichen ist bekanntlich nur <em class="ge">ein</em> Schritt! Das -sollte jeder bedenken, der einmal in reiferen Jahren von -einer kleinen Gefühlsanwandlung übermannt wird – -umsomehr, da sie selbst, die Witwe des Irokesenhäuptlings, -die freie Tochter der Natur, die Frau ohne höhere Erziehung -und Bildung, mir gegenüber keinen Finger breit -aus den Formen edler, züchtiger Weiblichkeit herausgetreten -war. Taktlos und indiskret wäre es daher gewesen, hätte -ich mit Blicken oder banalen Redensarten verraten wollen, -daß sie mich aufs Lebhafteste interessiere, daß ich wirkliches -Gefallen an ihr fand.</p> - -<p>Einen Moment hielt sie meine Hand fest in der ihren -und schaute mich mit den brennenden Augen an. Der -Knabe war gleichfalls herangetreten und lehnte sich, zärtlich -angeschmiegt, an die Mutter.</p> - -<p>»Ich danke Ihnen für reizvolle, genußreiche Stunden, -Sir!« sagte sie in ihrer schlichten, ruhigen Weise. »Nur -selten wird mir das Glück zu teil, mich frei von der Seele -herunter aussprechen zu können. Liegt doch der Trieb, -ja das Bedürfnis hierzu in jeder Menschenbrust. Lange -werde ich über alles, was Sie mir erzählt, nachdenken und -weise Lehren daraus schöpfen für Iron Hand.«</p> - -<p>Einige Sekunden legte ich meine Rechte auf des -Knaben Haupt und fragte:</p> - -<p>»Du willst ein kluger Mann – ein berühmter Arzt -<a class="pagenum" id="page_131" title="131"> </a> -werden und Deiner Mutter treue Liebe und Fürsorge für -Dich einst hundertfach vergelten – nicht wahr, mein -Junge? Sie verdient es im reichsten Maße!«</p> - -<p>Ein strahlendes Aufblitzen der dunklen Kinderaugen -gab mir Antwort.</p> - -<p>So schieden wir. – – –</p> - -<p>Jahre sind seitdem dahingezogen. Aber noch oft und -gern verweilen meine Gedanken drüben in der großen -Empire City Amerikas bei Mary Powl.</p> - -<p>Die kleine Flasche, welche sie mir damals mitgegeben, -hat noch manchmal ihre wunderthätige Kraft bewährt, -sowohl an mir selbst, als auch an anderen. Stets hat es -mir Freude gemacht, im edlen Sinne der gütigen Spenderin -zu wirken und zu helfen. Jetzt ist sie längst geleert.</p> - -<p>Wenn indes einer meiner verehrten Leser oder Leserinnen -sich zu einer interessanten Reise über das Meer -und nach New York entschlösse und drüben von Zahnschmerzen -geplagt werden sollte, so rate ich dringend, nicht -zu versäumen, sich auf eine einsame Bank im entlegendsten -Teile des Zentralparks niederzulassen. Vielleicht – ich -sage nur vielleicht – begegnet ihm dort meine Freundin -Mary Powl, die Indianer-Squaw. Ihre Adresse darf ich -diskretionshalber nicht verraten.</p> - -<p>Ob sie noch lebt? Ob Iron Hand ihren stolzen, gerechten -Hoffnungen entsprochen haben wird? –</p> - -<p>Ich habe von beiden niemals wieder etwas vernommen.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_133" title="133"> </a> -<span class="ge">Amerikanische Existenzen.</span></h2> - - -<p><a class="pagenum" id="page_135" title="135"> </a> -<b>D</b>ie Mittagsglut eines Julitages brütete über dem -Madison-Square von New York, dessen weite Räumlichkeit -mir heute beinahe noch endloser erschien als sonst. Fast -senkrecht schleuderte die Sonne ihre glühenden Strahlenbündel -auf den weich gewordenen Asphaltboden nieder, so -daß dieses von stattlichen Häusern eingefaßte große Flächenquadrat -völlig schattenlos vor meinen Blicken lag.</p> - -<p>Ich zog den wahrhaft monströsen Sonnenschutzschirm -noch tiefer über mein gefährdetes Hirn, that mehrere schwere -Stoßseufzer und strebte, einen heroischen Anlauf nehmend, -vorwärts über den Platz – meinem Ziele zu.</p> - -<p>Wer jemals einen amerikanischen Sommertag in New -York erlebt hat und der Gefahr ausgesetzt gewesen ist, vom -Sonnenstich betroffen zu werden, der kennt solche Situation -genau. Allein sich sträuben oder gar klagen half hier nichts, -indem ich vorwärts mußte, das heißt, mich von der Eisenbahnstation -aus auf der Wohnungssuche befand und noch -vor Abend mit Sack und Pack in einem guten und bequemen -Boardinghouse untergebracht zu werden wünschte.</p> - -<p>O New York! Du Eldorado aller nach Fortunens -Schürzenzipfel haschenden Deutschen! Wie erfreute mich -trotz Hitze und Staub der Anblick der langentbehrten Metropole -<a class="pagenum" id="page_136" title="136"> </a> -der Union, wie hatte ich in Tagen der Trübsal und -des Kampfes ums Dasein mit sehnsüchtigem Verlangen -deiner gedacht und das grausame Schicksal verwünscht, -welches mich Jahr um Jahr an den fernen Westen gebunden. -Endlich jedoch schien die launische Göttin ein -Einsehen und Erbarmen mit mir gehabt zu haben. Ein -Glücksfall ließ meine wirklichen oder vielleicht auch nur -eingebildeten Talente und Geistesgaben doch schließlich zur -vollen Geltung kommen. Durch die vorsorglich zurückgelegten -Ersparnisse saurer Arbeit und eine, wie durch -höhere Inspiration plötzlich in mir erwachte, fast amerikanische -Unternehmungslust und Dreistigkeit bemühte ich -mich um die Partnership einer der renommiertesten Advokaturen -New Yorks und – erhielt sie. Jetzt war ich ein -gemachter Mann. Denn ich kannte die Verhältnisse Amerikas -zu gut, um nicht überzeugt zu sein, daß ich den mühsam -errungenen Platz auch würde behaupten können. Wie ganz -anders waren daher die Empfindungen meiner Brust gegen -diejenigen vor fünf Jahren, wo ich mit wenigen hundert -Mark in der Tasche vom Steamer des Bremer Lloyd ans -Land stieg. Mit stolzem Selbstgefühl betrat ich nun zum -zweiten Male den Boden der Empire-City. Die alten -Freunde aus jener Sturm- und Drangperiode meines -Debuts im Heim des allmächtigen Dollars hatte ich indes -darob nicht vergessen und erinnerte mich freudig einer -alten Amerikanerin Miß Kathleen Emmerson, in deren -gastlichem Hause ich bereits damals – dank ihrer Rücksicht -auf meine knappe Barschaft – unter angenehmen -Bedingungen einige Wochen verbringen durfte. Mit Miß -Kathe, wie das liebenswürdige und menschenfreundliche alte -Fräulein von all ihren Bekannten zu jener Zeit kurzweg -benannt wurde, hatte ich später auch ab und zu in -<a class="pagenum" id="page_137" title="137"> </a> -Korrespondenz gestanden und wußte demnach, daß ihre -pekuniäre Lage sich gleichfalls bedeutend verbessert und sie -anstatt des kleinen Kosthauses in St. Marks-Place jetzt -ein elegantes Boardinghouse in der 24. Straße zwischen -der 5. und 6. Avenue inne hatte.</p> - -<p>Dorthin also lenkte ich meine Schritte. Das Äußere -desselben entsprach vollkommen meinen Erwartungen. -Wenigstens zählte es zu den sogenannten guten Brownstone-Houses -der City, welche die Straßen der oberen -Stadtteile New Yorks zieren und alle ohne Ausnahme wie -nach einer Schablone gearbeitet zu sein scheinen.</p> - -<p>Beim Eintreten gewahrte ich, daß an der mit massivem -Gußeisengeländer versehenen steinernen Vortreppe ein Wagen -der New York-Expreß-Compagnie hielt und verschiedene -Gepäckstücke, darunter auch ein wahrer Monstre-Koffer, abgeladen -und ins Haus hineingetragen wurden. »Aha!« -dachte ich mit Befriedigung. »Auch die heiße Jahreszeit -thut allem Anschein nach dem Geschäfte meiner alten -Freundin keinen Abbruch. Gratuliere, Miß Kathe! Solch -enorme Bagage-Zahl deutet auf noble und ständige Gäste.«</p> - -<p>Lebhaft sprang ich nun die sechs bis acht Stufen -hinan und trat durch die bereits offenstehende Eingangsthür. -Mehrere Personen, dabei natürlich auch Miß Emmerson, -befanden sich auf dem etwas düsteren Vorflur, als -auch schon der freudige Ruf – in eigentümlich accentuiert -gesprochenen deutschen Worten mir entgegenklang:</p> - -<p>»Kann ich denn meinen Augen trauen? Sie sind es -wirklich, Herr Baron von ...?«</p> - -<p>»Pst, pst! Lassen wir doch die einstigen Titel und -Würden beiseite!« entgegnete ich lachend und ebenfalls auf -deutsch: »Mr. Richard Berken, Teilhaber der Firma Haberton -& Comp. am Broadway, steht heute vor Ihnen, meine -<a class="pagenum" id="page_138" title="138"> </a> -Liebe, und möchte höflich bitten, ihm ein bescheidenes -Stübchen in Ihrem gastlichem Hause anzuweisen, Miß -Kathe!« Damit schüttelten wir uns beide wahrhaft herzlich -die Hände.</p> - -<p>Neugierig und mit höflicher Verbeugung schielte ich -dabei nach der aus drei Damen und zwei Herren bestehenden -Gesellschaft, welche, in Anbetracht ihres mit der -Hauswirtin unterbrochenen Geschäftes, dem Anschein nach -ziemlich ungeduldig drein schaute. Daher sagte ich zuvorkommend -und entschuldigend, daß ich nicht länger stören -wolle.</p> - -<p>Diese verbindliche Äußerung entschlüpfte mir einzig -nur wegen des reizenden Gesichtchens der jüngsten dieser -drei eleganten Ladys, deren blaue Kinderaugen in ernstlich -forschendem Ausdruck auf mir hafteten. Dann folgte ich -mit kurzem: »Auf Wiedersehen, Miß Emmerson!« dem -durch die Hausfrau avertierten Neger die Treppe zur -oberen Etage hinan. –</p> - -<p>Um sieben Uhr abends war das gemeinschaftliche -Diner, welches alle Logiergäste des Hauses im Speisesaale -versammelte. Ich selbst, bereits vollständig häuslich eingerichtet, -war einer der ersten Ankömmlinge gewesen und -hatte mir die recht hübsch arrangierte Tafel mit Muße -betrachten, wie auch jeden neu Eintretenden eingehend -mustern können.</p> - -<p>Halt! Jetzt stutzte ich. Da kam ja meine fashionable -Gesellschaft von heute vormittag, deren voluminöse Koffer -schon meine ganze Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, soeben -aus der Halle. Voran eine große, brünette Dame mittleren -Alters mit auffallend harten, fast fatalen Gesichtszügen, -deren elegante Seidenrobe mir zu der starkknochigen -Gestalt wenig im Einklang zu stehen schien. Neben ihr -<a class="pagenum" id="page_139" title="139"> </a> -schritt eine sehr schlanke, beinahe ätherische, junge Frau, – -nach meinen unerfahrenen Toilettebegriffen ganz reizend -und distinguiert in einen hellen, undefinierbaren Sommerstoff -gekleidet, dessen roter Seidengürtel und Bandgarnitur -den zarten Teint des schmalen Ovals gar vorteilhaft hob. -Trotz der Verschiedenheit der Gesichter zeigte ein merkwürdig -ähnlicher, halb bitterer, halb verdrossener Zug um -den Mund, daß das Mutter und Tochter sein mußten. -Ihnen folgten ein mittelgroßer, hagerer Mann mit militärisch -verschnittenem Haar und braunem, intelligentem -Gesichte und meine allerliebste Unbekannte aus dem Vorsaal -– mit den mir bereits bekannten, mich so sehr anheimelnden -blauen Augen.</p> - -<p>Welch poetische Erscheinung! dachte ich lebhaft angeregt. -Dieses hellblonde, gewellte Haar, dieses mädchenhaft -zurückhaltende, dabei doch so edle Auftreten, dieser -fast schüchterne Blick – dies alles entrückte mich für Sekunden -der Gegenwart, ja dem Lande, in dem ich mich -befand, und ließ schmerzliche Erinnerungen an traute -deutsche Frauengestalten in meiner Seele auftauchen.</p> - -<p>Im größten Gegensatze zu den anderen Damen entbehrte -der Anzug meiner »Beauty« fast jedweder Eleganz. -Ein schlichtes, aber um so reizenderes Kleid von feinem -grauem Wollstoff bildete die Toilette – <i>voilà tout</i>!</p> - -<p>Völlig in meinen Reflektionen versunken, vergaß ich, -mich daran zu erinnern, daß noch ein zweiter Herr, ein -auffallend gut aussehender junger Mann, diesen Morgen -beim Eintreffen der Gesellschaft zugegen gewesen.</p> - -<p>Alsbald führte Miß Emmerson mich mit dem simplen -Namen: Mr. Richard Berken bei allen Anwesenden ein -und wies uns die Plätze an. Doch wer beschreibt meine -<a class="pagenum" id="page_140" title="140"> </a> -freudige Überraschung: als ich aufschaute, sitzt die liebreizende -Blondine dicht an meiner Seite.</p> - -<p>Sonderbar! Dieser kurze Aufblick aus ihren Augen -glich fast einem stummen Verhör. Instinktiv fühlte ich, -daß sie mit echt amerikanischer Scharfsichtigkeit sich einen -sowohl das Individuum, als auch dessen Charakter und -Nationalität betreffenden Eindruck festzuhalten und sich -einzuprägen suchte.</p> - -<p>»Sie verstehen englisch, Sir?« fragte mich die liebliche -Tischnachbarin mit den aus ihrem Munde reizend -klingenden Tönen ihrer Muttersprache.</p> - -<p>Freudig bejahte ich es, und bald kam unsere Unterhaltung -in guten Fluß. Nur sah ich mit Verwunderung -auf ihre allerliebsten Hände, wie sie von allen ihr servierten -Gerichten, außer daß sie sich selbst versorgte, noch reichliche -Quantitäten auf bereits vor ihrem Platze stehende Teller -legte und diese dann sorglich mit einem kleinen Schüsselchen -bedeckte. Sie selbst aß hastig und zerstreut.</p> - -<p>Was bedeutete nur das? Als Mann von guter Erziehung -wagte ich natürlich nicht, danach zu fragen. Doch -mochten meine Gesichtszüge wohl einige Neugierde verraten -haben; denn lachend – es war dies genau ein verlegenes -Kinderlachen – sagte sie:</p> - -<p>»Dies ist für Frank, meinen Gatten, Sir! Er leidet -schon seit längerer Zeit an einer sehr fatalen, unbequemen -Magenverstimmung, kann infolgedessen nicht jedes Gericht -vertragen und somit auch nicht mit uns an der Tafel -speisen. Aber es freut ihn immer so sehr, wenn ich selbst -ihm sein bescheidenes Diner hinaufbringe, – der arme -Franky!«</p> - -<p>»O, wie betrübend!« entschlüpfte es unwillkürlich -meinen Lippen. Doch wäre es gewiß schwer festzustellen -<a class="pagenum" id="page_141" title="141"> </a> -gewesen, ob der Ausruf des Bedauerns der üblen Magenverstimmung -des armen Franky oder dem Umstande gegolten, -daß mein holder Blondkopf bereits einen Ehemann -besaß. Das also war der gut aussehende Gentleman, -welcher an der Gesellschaft fehlte und den ich diesen Vormittag -schon von Angesicht gesehen!</p> - -<p>Wirklich erhob sich nun nach einer Weile die junge -Frau, ließ von dem aufwartenden Neger sich ein Präsentierbrett -reichen, arrangierte darauf die verschiedenen Teller -und verließ damit geräuschlos den Speisesaal. Die übrigen -Tischgäste mochten den kleinen Vorfall wohl kaum bemerkt -haben. An meiner Nachbarin rechter Seite saß ein alter -Herr mit blauer Brille, welcher überhaupt miserabel zu -sehen schien. Nur Miß Emmerson warf mir vom anderen -Ende des Tisches einen seltsam bedeutungsvollen Blick herüber, -welcher mir nun auch sofort klar machte, warum sie -gerade mich an die Seite der reizenden Amerikanerin placiert -hatte.</p> - -<p>Nach beendeter Mahlzeit, als ich schon den Hut in -der Hand hielt, um dem schwülen Speisezimmer zu entfliehen, -und hastig hinausstrebte in den herrlichen Sommerabend, -faßte unsere freundliche Wirtin mich plötzlich am -Rockärmel und drängte mich etwas nach einer Fensternische.</p> - -<p>»Ich glaube aus unbedeutenden Reden und Anzeichen -leider bemerkt zu haben, daß hinter dem ganzen Auftreten -der Newlands irgend etwas Mystisches steckt,« flüsterte sie -auf deutsch mir ins Ohr – eine Sprache, welche die alte -Dame in der Praxis, das heißt, in jahrelangem Verkehr -mit meinen Landsleuten, wohl erlernt haben mochte. »Meine -große Menschenkenntnis hat mich noch selten getäuscht, und -man könnte, wenn man sich die Zeit dazu nehmen wollte, -zu spionieren, gerade hier vielleicht interessante Entdeckungen -<a class="pagenum" id="page_142" title="142"> </a> -machen. Wir leben aber im glücklichen Lande der Freiheit, -Mr. Berken, und so denke ich, wir lassen jeden ruhig -seinen Weg gehen, – nicht wahr? Die Newlands zahlen -brillant, und mein Haus will bestehen. Alles übrige geht -mich nichts an, wenigstens soweit meine Logiergäste nicht -mit dem Gesetze in Konflikt kommen. Denn darin verstehe -ich keinen Spaß. <i>Well</i>, mein Freund! Wir kümmern -uns also nicht weiter um dieser Familie Privatangelegenheiten, -noch darum, ob und weshalb Mr. Newland nicht -zum Diner kommt?«</p> - -<p>»Ganz gewiß nicht, Miß Kathe!« entgegnete ich bereitwilligst -und heiter lachend. »Mich interessierten anfänglich -nur die auffallend schönen Augen meiner jungen Tischnachbarin. -Doch seit ich erfuhr, daß diese Dame bereits -einen Gatten hat, ist der sie vorher umgebende Nimbus -schon ganz gewaltig geschwunden.«</p> - -<p>»O, immer noch der alte Schelm!« drohte mir Miß -Emmerson mit dem Finger. »Nun, <i>good evening</i>, Mr. -Berken!« Damit winkte sie mir freundlichst zu und ich -ging meines Weges.</p> - -<p>Man spricht zuweilen in vollster Überzeugung, die -Wahrheit gesagt zu haben, doch trotz alledem eine recht -handfeste Lüge aus und gelangt oft erst durch Zufall hinter -solchen Betrug heimtückischer Schicksalsmächte.</p> - -<p>»Seit ich weiß, daß die schöne Mrs. Newland einen -Gatten hat, ist ihr Nimbus gewichen,« hatte ich spöttisch -geäußert, und war natürlich gänzlich davon durchdrungen, -daß jene Leute mir total gleichgültig bleiben würden. Es -sollte indes anders kommen. –</p> - -<p>Etwa 14 Tage mochten wir nun in Miß Emmersons -stillem, komfortablem Boardinghouse wohnen, als etwas sich -ereignete, was mein anfänglich lebhaftes, dann standhaft -<a class="pagenum" id="page_143" title="143"> </a> -zurückgedrängtes Interesse für die liebliche Mrs. Newland -plötzlich wieder neu anfachte. Meine anstrengenden Berufspflichten -hielten mich zwar von früh acht Uhr bis nachmittags -vier Uhr in der Office am Broadway fest. Allein -ich fand immer noch Zeit genug, einige gemütliche Stunden -im Parlour oder auch auf Miß Kathes luftigem Balkon -zu verbringen. Nach wie vor konversierte ich über allerlei -harmlose Tagesereignisse mit meiner hübschen Nachbarin -bei Tische; auch trug nach wie vor die vorsorgliche Gattin -ihrem armen Frank die Speisen hinauf in sein Zimmer. -Aus der Unterhaltung mit ihr erfuhr ich nach und nach, -daß die alte Dame, welche meine Sympathien durchaus -nicht erwecken konnte, die Mutter von Frank Newland, -sowie der schlanken jungen Frau sei, deren Mann mir -als Major irgend eines Miliz-Regiments, als Mr. Fowler, -vorgestellt worden war. Meine blonde Freundin erzählte -ferner <i>en passant</i>, daß sie schon drei Jahre verheiratet -wäre und mit der Familie ihres Gatten früher in Chicago -gelebt, wo ihre Schwiegermutter eine Agentur für den -Export von Nähmaschinen besessen, das Geschäft jedoch aufgegeben -habe, um wegen Franks Kränklichkeit die besten -New Yorker Ärzte zu konsultieren.</p> - -<p>Nach dieser Richtung hin war ich also völlig orientiert, -und doch mußte ich mir im Gespräche mit der hübschen -Frau oft den größten Zwang anthun, um sie mit indiskreten -Fragen über Dinge nicht zu belästigen, die mich von -rechtswegen und auch rücksichtlich Miß Emmersons Gebot -ganz und gar nichts angingen. Warum kam die Familie -Newland gerade in der heißesten Zeit nach New York, -welches dann außer den Geschäftsleuten alle anderen -Menschen fliehen? Was that eigentlich dieser intelligent -und schlau aussehende Mr. Fowler, und womit beschäftigte -<a class="pagenum" id="page_144" title="144"> </a> -sich den lieben langen Tag der von seiner besseren Hälfte, -wie ich wahrgenommen, so vergötterte Franky, indem er -stets erst nach Sonnenuntergang das Haus verließ und -das immer nur allein?</p> - -<p>Wer konnte es mir verdenken, daß ich als thätiger -Mann solch seltsame Verhältnisse mir nicht recht zu erklären -vermochte! Während dieser 14 Tage war es mir -auch nur ein einziges Mal vergönnt gewesen, den Gatten -meiner Tischnachbarin zu sprechen; das heißt, wir trafen -uns eines Abends, als ich von einem Spaziergange nach -Hause zurückkehrte, auf der Treppe. Da ich ihn sofort -erkannte, redete ich ihn freimütig an.</p> - -<p>Das helle Licht der im Hausflur brennenden Gasflamme -beleuchtete dabei grell sein schmales, auffallend edel -geformtes Gesicht und ließ mich in ein Paar sehr ernste, -fast finstere Augen schauen. Deutlich merkte ich, daß er -mir auszuweichen suchte; doch hartnäckig vertrat ich ihm -den Weg und sagte ihm rasch einige bedauernde Worte -über sein Leiden. Nur lässig zuckte er die Achsel mit der -kurzen Bemerkung: »Sehr gütig, Sir!«</p> - -<p>Darauf erging ich mich in Lobeserhebungen über -seine schöne, geistreiche Frau, hoffend, eine eifersüchtige -Regung würde ihn vielleicht aus seiner stoischen Ruhe -aufrütteln. Doch vergebens! Er freue sich sehr, daß Mrs. -Newland angenehme Unterhaltung bei Tische gefunden, -lautete die abweisende Antwort. Dann lüftete er den Hut -und ließ mich stehen.</p> - -<p>»Welch ein seltsamer Mann!« dachte ich, zwar halb -ärgerlich, trotzdem aber von dieser Erscheinung angesprochen. -Immer deutlicher trat daher die Überzeugung an mich -heran, daß ich hier vor einem Rätsel mich befand.</p> - -<p>Eines Morgens nach dieser Begegnung empfing mich -<a class="pagenum" id="page_145" title="145"> </a> -mein Partner, Mr. Haberton, ein sonst kühler und stiller -Geschäftsmann, in der Office mit sichtlich aufgeregter Miene, -indem er mir sofort sechs Stück Zwanzig-Dollars-Scheine -vor die Augen hielt und zornig heraussprudelte: daß dies -jämmerliche Falsifikate seien, daß wir auf eine nichtswürdige -Weise um 120 Dollars betrogen worden, und daß -einer seiner Clerks ihm soeben erzählt habe, während der -letzten Tage seien mehrere ähnliche Fälle in New York -vorgekommen und die City müsse einmal wieder mit falschen -Greenbacks (Kassenscheinen) überflutet sein.</p> - -<p>Angenehm erschien mir dieses betrübende Faktum -keineswegs, da ich bei diesem kleinen Verluste natürlich -selbst beteiligt war. Allein wenn ich von Natur nicht -ein realistisch angelegter, dabei höchst aufgeklärter Mensch -wäre, so hätte ich mich in diesem Momente beinahe auf -spiritistischem Gebiete ertappt. Denn – plötzlich sah ich -in meiner Einbildung – dort über dem kahlen Schädel -Mr. Habertons – das schöne, todestraurige Gesicht von -Frank Newland auftauchen, nur mit dem Unterschiede, daß -die ernsten Augen sich jetzt in einem flehenden Ausdruck -auf mich richteten. Dieses sonderbare Vermengen des Wirklichen -und Phantastischen meinerseits ließ mich – vielleicht -nach meines Partners Ansicht – wohl höchst stupid -und gleichgültig dreinschauen. Denn er faßte mich nun -ein wenig unsanft bei der Schulter und rief:</p> - -<p>»Sie müssen ein Krösus sein oder Sie kennen den -Wert des Geldes bei uns noch nicht genau, mein lieber -Mr. Berken! Denn 120 Dollars wirft wohl keiner gern -umsonst zum Fenster hinaus!«</p> - -<p>Erschreckt fuhr ich auf. Unsinn! Nicht die Spur -eines fremden Gesichts war mehr zu schauen. Ich war -ein Narr.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_146" title="146"> </a> -»Mein lieber Mr. Haberton!« erwiderte ich daher -rasch mit der verzweifelt traurigsten Miene, die ich nur -anzunehmen vermochte. »Der Schreck über unseren Verlust -machte mich ganz sprachlos. Der Kukuk soll alle Falschmünzer -Amerikas holen, und wenn ich mich von einem -solchen Halunken je wieder über den Löffel barbieren lasse, -so will ich nicht mehr wert sein, ein Partner der Firma -Haberton & Comp. zu heißen!«</p> - -<p>Er schien zufrieden, und im Laufe des Gespräches erfuhr -ich dann noch, daß schon vor mehreren Wochen die -Polizei einer großen Falschmünzer-Gesellschaft, welche aus -einer völlig organisierten Bande bestehen sollte, in St. Louis -auf der Spur gewesen. Doch die Schlauköpfe der Spitzbuben -sind oft pfiffiger als die Schlauköpfe des Gesetzes, -und so wäre denn das vorsichtig umstellte Nest der sauberen -Vögel doch leer und von ihnen verlassen gefunden worden. -Man spräche indes viel darüber, daß das Haupt dieser -Koterie ein Frauenzimmer sei, welches mit wahrhaft genialer -Geschicklichkeit die feinsten Fäden ihres Einflusses bis in -alle Staaten zu spinnen verstände und ihre Verbindungen -in Kreisen haben solle, wo kein Mensch einen Falschmünzer -zu suchen wage.</p> - -<p>Ich glaube, daß ich an diesem Vormittage recht zerstreut -bei der Arbeit war und wirklich Gott dankte, als -ich die steinernen Stufen zu Miß Emmersons Boardinghouse -emporsteigen durfte.</p> - -<p>Bei Tische überschaute ich mir sinnend die Gesichter -der Familie Newland. Kerzengerade saß die Alte auf -ihrem Platze. Wieder umrauschte eine schwere Robe ihre -Gestalt, während ein feines Spitzengewebe auf ihrem noch -dunklen Scheitel lag und mehrere prächtige Solitäre die -Finger schmückten. Doch als ich mir gerade diese starkknochigen, -<a class="pagenum" id="page_147" title="147"> </a> -unschönen Hände näher betrachtete, mit denen -sie eben die Speisen zum Munde führte, konnte ich mich -des Gedankens nicht erwehren, daß dieses Mannweib, bevor -der Bruderkrieg der Union entflammte, sehr wohl eine -jener gefürchteten Sklavenaufseherinnen der Südstaaten hätte -sein können, die, mit der eisenbeschlagenen Hetzpeitsche in -der Hand, ihre unseligen Opfer in Zucht und Ordnung -gehalten.</p> - -<p>Unangenehm berührt durch solchen Ideengang, wandte -ich mich den liebreizenden Zügen meiner jungen Nachbarin -zu. Sie lächelte mich heute ein wenig traurig an und -meinte, daß Franky sich gar nicht recht frisch und heiter -befände. Die Langeweile, zu der ihn die Ärzte verdammt, -sei doch gar zu geisttötend.</p> - -<p>»So lesen Sie ihm doch vor, Madame!« warf ich -freundlich beschwichtigend ein.</p> - -<p>»O, er haßt ja alle Lektüre, außer Zeitungen, und -darin stehen doch immer die meisten Lügen!« entgegnete -die schöne Frau halb trotzig.</p> - -<p>»Nicht immer, Mrs. Newland!« sagte ich dabei sehr -ruhig, aber ernst, und hob mein Auge langsam zu dem -ihren. »Der ›New York Herald‹ wird zum Beispiel in -den allernächsten Tagen recht interessante Entdeckungen -offenbaren, die keinesfalls der Phantasie eines eifrigen -Zeitungs-Reporters entsprungen, sondern der Wirklichkeit -entnommen sind.«</p> - -<p>Und völlig unbefangen erzählte ich ihr darauf von -unserem kleinen Geldverluste und den Mitteilungen Mr. -Habertons.</p> - -<p>Im nächsten Augenblicke jedoch bereute ich das eben -Gesagte schon aufs tiefste. Denn die Veränderung, welche -nach meinen Worten in Mrs. Newlands Zügen sich ausprägte, -<a class="pagenum" id="page_148" title="148"> </a> -war eine so entsetzliche, ja beängstigende, daß ich -selbst ganz verwirrt davon wurde und beinahe hilflos verlegen -stotterte: ob sie sich nicht wohl fühle? Das sonst -so weiße und rosige Antlitz war für mehrere Minuten von -einer fast bleigrauen Blässe überzogen. Die Augen starr -und ausdruckslos auf einen Punkt gerichtet, die Lippen -krampfhaft zusammengepreßt – so lehnte das schöne Geschöpf -im Sessel.</p> - -<p>»Nein – nein – ja – die Hitze bringt mich um!« -stöhnte sie, mit vieler Mühe sich ermannend, indem sie -halb mechanisch nach dem vor ihrem Platze stehenden Eiswasser -langte.</p> - -<p>Zuvorkommend und selbst äußerst erschreckt, reichte ich -ihr das Glas, woraus sie hastig einige Schlucke des kühlenden -Getränkes hinunterstürzte. Dann – es war bereits -gegen Ende der Mahlzeit – schob Mrs. Newland -mit sichtlicher Kraftanstrengung den Stuhl zurück und erhob -sich.</p> - -<p>»Ich muß mich leider hinaufbegeben; etwas Migräne, -die mich zuweilen in schwülen Zimmern befällt –, weiter -ist es nichts. Gute Nacht, Mr. Berken! Bitte, thun Sie -aber dieses Vorfalls gegen niemanden Erwähnung!«</p> - -<p>Jetzt traf mich ein wahrhaft flehender Blick der blauen -Augen. Darauf schlüpfte die graziöse Gestalt flüchtig und -noch geräuschloser als sonst aus dem Zimmer. –</p> - -<p>Die nächsten acht Tage ging ich einher, wie jemand, -der sich vielleicht mit einem großartigen Wagstück herumträgt -und nicht recht zu einem festen Entschlusse gelangen -kann, auf welche Weise dasselbe auszuführen sei. »Thun -Sie aber dieses Vorfalles gegen niemand Erwähnung!« -hatte Mr. Frank Newlands Gattin mir bittend zugeflüstert. -Die Zunge hätte ich mir lieber abbeißen mögen, ehe ich -<a class="pagenum" id="page_149" title="149"> </a> -nur eine Silbe von dem verraten, was seit jenem Abend – -ja seit dem Morgen, als Mr. Haberton mir in der Office -die falschen Banknoten gezeigt, in meinem Innern vorging. -Jeder andere, selbst meine alte Freundin Miß Kathe, wenn -ich ihr das zu jenem waghalsigen Unternehmen bereits eingesammelte -und notwendige Material mitgeteilt, würde mich -auch sicher gründlich ausgelacht und abwehrend etwa geäußert -haben: »Mein Bester, das sind deutsche Thorheiten! -Wer Schmutz anfaßt, der darf sich nicht wundern, wenn -etwas davon an den Händen kleben bleibt!« – Doch -einerlei! Was ging mich die amerikanische Herz- und -Gefühllosigkeit hinsichtlich unserer Mitbrüder an, wo eine -innere Stimme mich unwiderstehlich antrieb, in das dunkle -Geschick zweier Menschen, die mich sympathisch anzogen, -einzugreifen – zu helfen – zu retten, solange es noch -Zeit war. – –</p> - -<p>Die Familie Newland schien seit den allerletzten Tagen -sich in sonderbarer Erregung oder Erwartung zu befinden. -Mr. Fowler war höchst wenig zu sehen und schien dringende -auswärtige Geschäfte zu besorgen. Dafür aber -saßen seine Gattin und Schwiegermutter, mit Sorge und -Ungeduld der Rückkehr des Abwesenden harrend, oft bis -gegen elf Uhr abends auf dem Balkon.</p> - -<p>»Wir lieben es, die erfrischende Nachtluft zu genießen,« -hatte die zarte junge Frau einmal mit süßem Lächeln zu -Miß Emmerson geäußert, und niemand störte sie darin.</p> - -<p>Mittlerweile brachten die New Yorker Zeitungen, wie -ich bereits vorausgesagt, wirklich eine Menge haarsträubender -und mitunter auch lächerlicher Artikel über den -mutmaßlichen Aufenthalt der gefährlichen Falschmünzergesellschaft, -welche an Falsifikaten schon ein Kapital in Umlauf -gesetzt haben sollte, das bereits mehr denn eine Million -<a class="pagenum" id="page_150" title="150"> </a> -repräsentiere. Einerseits hieß es: das Haupt der Sippe -befände sich völlig ungeniert und seelenvergnügt in unserer -City; andererseits lauteten die Berichte, daß die so schlaue, -vielleicht auch nur mythenhafte »Dame« sich in Chicago -aufhielte. Auf jeden Fall aber hoffe die Polizei, dieses -Mal einen brillanten Fang zu thun und ihrer wirklich -habhaft zu werden.</p> - -<p>Meine junge Tischnachbarin hatte seit jenem Migräneanfall -jetzt oft so sonderbar rote und geschwollene Augen, -und das reizende Kinderantlitz dünkte mir auch schmäler -geworden, als ob irgend ein Gram oder heimliches Weh -an dem Herzen des lieblichen Geschöpfes nage. Sie sprach -wenig und aß fast nichts.</p> - -<p>Dagegen machte ich die Entdeckung, daß sie mit ihrer -Schwiegermutter auf höchst gespanntem Fuße zu leben oder -– richtiger gesagt: unter dem Despotismus dieser Frau -zu leiden schien. Bestärkt wurde ich noch in meiner Idee, -als ich beim Vorüberschreiten an Mr. Franks Zimmer, -welches, wie diejenigen seiner Mutter und Schwester, in -der ersten Etage des Hauses lag und dessen Thür ein wenig -offen stand, – einmal, ohne im mindesten lauschen zu -wollen, die harte Stimme des mir so widerlichen Weibes -zu ihrem Sohne deutlich sagen hörte:</p> - -<p>»Und wenn Du Dich hier am Boden zu meinen -Füßen winden würdest, ich gebe Dir dennoch die Freiheit -nicht zurück, weil das Wohl und Wehe eines einzigen -gegen die Existenz und Sicherheit von uns allen nicht in -Betracht kommt. Wir brauchen Dich und das genügt!«</p> - -<p>»Und darüber wird Frank zugrunde gerichtet! Siehst -und fühlst Du denn das nicht, Mama?« vernahm ich jetzt -auch die fast schluchzende Stimme meines kleinen, blonden -Lieblings. Wie erstarrt zögerte ich einen Moment.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_151" title="151"> </a> -»Gut; dann geht er eben zugrunde, wenn er eine -Memme – ein Feigling ist!« klang es nochmals aus dem -Munde dieser Mutter zurück.</p> - -<p>Dann stürmte ich, Abscheu und Wut im Herzen, die -Treppe hinan nach meiner Wohnung. – –</p> - -<p>Am selben Nachmittage kam ein feingekleideter, gut -aussehender älterer Herr ins Haus und wünschte Miß -Emmerson zu sprechen. Zufällig war ich selbst mit unserer -Hauswirtin im Parlour anwesend, welche mich lächelnd -bat, dazubleiben.</p> - -<p>Nicht umsonst hatte ich die Carriere eines Advokaten -in diesem Lande absolviert, um in dem Eintretenden nicht -sofort den Detektiv der Geheimpolizei zu vermuten. Ein -scharf prüfender Blick seines dunklen Auges glitt im Nu -auch über meine unbedeutende Person herab. Doch als -Miß Kathe ihm meine Beziehungen zu der Firma Haberton -& Comp. genannt, wurde mir augenblicklich ein sehr -verbindliches: »<i>How do you do, Sir?</i>« zu teil, und nun -erst rückte der Besucher, wenngleich noch immer vorsichtig, -mit seinem Anliegen an den Tag. Miß Emmerson solle -sein zudringliches Erscheinen nicht etwa übel deuten, meinte -er, Platz nehmend, wobei er den großen Diamanten an -seinem kleinen Finger im Lichte der durchs Fenster dringenden -Sonnenstrahlen spielen ließ. Allein, wie manche -Erfahrungen bereits bewiesen, befänden sich Persönlichkeiten, -deren Antecendenzien mit dem Wortlaute der Gesetzbücher -oft nicht recht übereinstimmten, zuweilen vorzugsweise in -den allerfeinsten und fashionabelsten Boardinghäusern, um -soviel als möglich den äußeren Schein zu wahren und jeden -Verdacht von sich abzulenken. Er müsse so unbescheiden -sein und um die Namen und Berufsarten ihrer Hausbewohner -bitten.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_152" title="152"> </a> -Miß Kathe machte trotz dieser glatten Worte ein höchst -empörtes und wütendes Gesicht und rief in der ihr charakteristischen, -etwas derben Trockenheit: ihr Haus berge glücklicherweise -nur äußerst respektable Leute, und wenn dem -Herrn ihre Aussage nicht genüge, so fordere sie ihn auf, -heute abend das Diner mit sämtlichen Gästen einzunehmen, -was sicher den Beweis führen würde, daß er dieses Mal -auf gänzlich falscher Fährte sei.</p> - -<p>Herr des Himmels, welche Unvorsichtigkeit von Miß -Kathe! Dieselbe entsprang einzig ihrem völlig unbefangenen -Gemüte, dachte ich entsetzt, und stand wie auf Kohlen in -meiner Fensternische, in die ich mich zurückgezogen hatte. -Wenn dieser Spürhund etwas davon erfuhr, daß Frank -Newland die Gesellschaft so auffallend mied und allein auf -seinem Zimmer speiste, wenn ...</p> - -<p>Jetzt erschrak ich fast über meine seltsame Bangigkeit. -War es denn möglich, daß ich selbst, ein Mann des Gesetzes, -noch dazu ein Mensch, welcher jede lichtscheue That -aus tiefster Seele verachtete, ja dessen Lebensaufgabe darin -bestand, das gefährdete Recht, wo immer es galt, zu vertreten, -daß ich also selbst für diesen unseligen jungen Verirrten -und dessen Frau Partei nahm, – daß ich gegenüber -der Sicherheitsbehörde New Yorks mich zu ihrem Schutze -bereits aufzustellen gedachte, anstatt daß ich vor diesen Mann -dort hintrat und ihm frank und frei alle Entdeckungen der -letzten Tage offenbarte. Denn was ging mich schließlich -dieser Frank Newland nebst seiner blonden Gattin an? -Oder war diese mir selbst unerklärliche Sympathie für jene -Menschen vielleicht doch etwa ein Wink von oben?</p> - -<p>»Danke bestens, sehr verbunden, Miß Emmerson!« -lautete indes zu meiner größten Beruhigung des Detektivs -Antwort. »Ihre Versicherung genügt mir fürs erste, umsomehr, -<a class="pagenum" id="page_153" title="153"> </a> -weil ich in meiner Stellung alles Auffällige vermeiden -muß.«</p> - -<p>Dann machte er sich einige Notizen in sein Taschenbuch -und verließ mit aalglatten Bewegungen und sehr verbindlichen -Verbeugungen gegen die Dame und mich das -Parlour.</p> - -<p>»Meinen Sie, Mr. Berken, daß es in der eben angedeuteten -Beziehung mit den Newlands nicht recht geheuer -ist?« fragte mich Miß Kathe, als wir jetzt allein waren, -wobei ein etwas ängstliches Zucken ihre Mundwinkel umspielte. -»Ich hielt sie bisher, das heißt die Männer, für -Gambler (Spieler) von Profession, vielleicht auch für Leute, -die auf irgend eine Patent-Medizin reisen oder dergleichen, -jedoch hinsichtlich des guten Rufes meines Hauses für völlig -harmlose Kreaturen. Ihnen aber traue ich wohl eine -Portion Menschenkenntnis zu. Nun, was meinen Sie, Mr. -Berken? Es thäte mir wirklich leid, wenn ich den Newlands -aufkündigen müßte und meine Zimmer, voraussichtlich -bis in den September hinein, leer ständen.«</p> - -<p>Ich hatte das Gesicht ein klein wenig nach rechts -gewandt, so daß Miß Kathes Blicke nur mein Profil zu -treffen vermochte, und entgegnete so ruhig, als ich trotz der -Aufregung, die in mir arbeitete, es fertig zu bringen imstande -war:</p> - -<p>»Liebe Miß Kathe! Da ich von dem Grundsatze ausgehe, -besser ist besser und sicher ist sicherer, so würde ich -doch die paar hundert Dollars nicht ansehen und gelegentlich, -das heißt, auf irgend einer triftigen Entschuldigung -fußend, der alten Newland zu verstehen geben, daß Sie -über ihre Zimmer zu disponieren wünschten. Ich verehre -Sie zu hoch und aufrichtig, Miß Kathe, um Sie auf irgend -welche Weise in Unannehmlichkeiten verwickelt zu sehen! -<a class="pagenum" id="page_154" title="154"> </a> -Daher rate ich Ihnen offen hierzu, weil mir die Sache -mit dem Detektiv gar nicht gefällt.«</p> - -<p>Erschreckt prallte die alte Dame zurück und starrte -mich mehrere Sekunden durchbohrend an. Dann faßte sie -sich rasch und versetzte mit schmerzlichem Tonfall der -Stimme:</p> - -<p>»Sie würden mir das nicht sagen, Mr. Berken, -wenn es nicht Ihre innerste Überzeugung wäre!«</p> - -<p>»Sicherlich nicht, Miß Kathe!«</p> - -<p>»Gut denn; ich folge Ihnen!«</p> - -<p>Ohne zu zucken und ohne vielleicht weiter des vermeintlichen -Verlustes einer für sie ziemlich bedeutenden -Summe zu gedenken, reichte die resolute alte Dame mir die -Rechte hin und sagte:</p> - -<p>»Morgen wird ein Ende gemacht. Punktum!«</p> - -<p>Dann verließ auch sie das Sprechzimmer. –</p> - -<p>»Morgen!« Mechanisch öffnete ich die nach dem -Balkon führende Glasthür und riß in tiefen Gedanken -an den an dem Geländer sich emporrankenden Klematisblüten. -»Morgen!« kam es nochmals sorgenvoll über -meine Lippen. Jetzt stand die Sonne bereits tief am -Horizonte, und wenn sie dort im Osten wieder emporstieg, -dann mußte etwas geschehen sein, wovon die dabei beteiligten -Personen bis jetzt noch keine Ahnung hatten.</p> - -<p>»Deutsche Sentimentalität und Thorheit!« neckte das -böse Prinzip in meiner Brust. »Laß ab von Sachen, die -Dich nichts angehen, und hemme die Gerechtigkeit nicht in -ihrem Lauf!«</p> - -<p>Standhaft wehrte ich mich dagegen und flüsterte dafür -kaum hörbar:</p> - -<p>»Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit -erlangen!«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_155" title="155"> </a> -Doch horch! Klang das drinnen im Parlour nicht -gleich einem unterdrückten Schluchzen? Peinlich berührt -und um nicht etwa hier draußen auf dem Balkon der unfreiwillige -Zeuge irgend einer Scene zu werden, trat ich -rasch ins Zimmer zurück. Allein noch einmal stutzte ich. -Dort in einem Sessel, das Antlitz auf die Armlehne desselben -niedergebeugt, lag meine schöne Tischnachbarin, wie -es schien, im Stadium von Agonie oder höchstem Schmerz. -Nur ab und zu drang ein sich qualvoll herausringender -Laut aus ihrer Brust, während die krampfhaft verschlungenen -Finger das blonde Haupt umfaßten. Ungeachtet dieses -betrübenden Anblicks durchströmte mich beinahe wilde -Freude. Der Zufall spielte mir hier die beste Gelegenheit -zum Beginn meines Samariterwerks in die Hand. Daher -trat ich entschlossen an die Ahnungslose heran und rief:</p> - -<p>»Mrs. Maud Newland!« Seit heute morgen wußte -ich auch den Vornamen des jungen Geschöpfs.</p> - -<p>Wie durch einen elektrischen Strom berührt, fuhr die -Angerufene empor und stand alsbald kerzengerade mir -gegenüber, während die glühenden, noch bebenden Lippen -sich zu einem mühseligen Lächeln verzerrten.</p> - -<p>»O, ich habe geschlafen und – sehr – sehr garstig -geträumt!« stotterte sie, sich die wirren Locken aus der -Stirn streichend. Ein anderer, als ich, hätte sich von der -Wirklichkeit dieses Arguments überzeugen lassen.</p> - -<p>Welche moralische Kraft und Geistesgegenwart steckte -doch in diesem lieblichen Wesen!</p> - -<p>»Nein, Madame, Sie haben <em class="ge">nicht geschlafen</em>, sondern -in tiefem, leidenschaftlichem Seelenschmerz – in fassungslosem -Jammer über das Unheil, welches Schritt um Schritt -Ihnen näher rückt, haben Sie <em class="ge">geweint</em>!« entgegnete ich -ruhig, aber fest.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_156" title="156"> </a> -Jetzt stierten die blauen Augen in wahrhaft entsetztem -Ausdruck mir ins Gesicht.</p> - -<p>»Mein Herr! Mit welchem Rechte wagen Sie, eine -solche Sprache gegen mich zu führen?« kam es leise, jedoch -zornig aus dem zuckenden Munde.</p> - -<p>»Mit dem Rechte aufrichtiger, warmer Freundschaftsgefühle, -Mrs. Newland!« gab ich völlig unbeirrt zurück -und faßte nun auch rückhaltlos nach ihrer Rechten.</p> - -<p>»Freund–schaft?« wiederholten ihre Lippen zögernd -in halb ungläubigem Trotze. Dünkte es mir doch, als -ob es dabei gleich nie geahntem – nie gekanntem Glücke -in den schönen Augen aufflammte. Aber sie entzog mir -die kleinen Finger dennoch und setzte rasch und herb hinzu:</p> - -<p>»Ich danke, Sir, wir – ich brauche die so edelmütig -gebotene Freundschaft eines – Fremden nicht, da -ja auch gar kein Grund vorliegt, sich mitleidig unserer anzunehmen, -nein, wirklich absolut nicht!«</p> - -<p>»So?« Fest und durchdringend heftete ich meine -Blicke auf das bleiche Gesichtchen. »Wissen Sie, Mrs. -Maud Newland, daß Sie in diesem Moment eine <em class="ge">Lüge</em> -aussprechen? Wohlan! Mir kann das ja einerlei sein. -Aber ich erinnere Sie nur daran, daß dort oben über uns -<em class="ge">Einer</em> lebt, dem wir Rechenschaft zu geben haben von -unseren Worten und Werken, und daß auch für Sie eine -Zeit kommen kann, wo Sie dieser Hilfe benötigt wären!« -Schwer und keuchend kamen die Atemzüge aus der jungen -Brust. »Wenn man in demütigem Sinne diesem <em class="ge">Einen</em> -seine Sorgen und Lasten anempfiehlt, dann erscheint das -Schwerste wirklich nicht so schwer!« fuhr ich eindringlicher -fort.</p> - -<p>Jetzt schluchzte sie auf und bedeckte das Antlitz mit -den Händen.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_157" title="157"> </a> -»O, warum sprechen Sie <em class="ge">so</em> zu mir! O, wie lange -– lange, – fast seit meinen Mädchentagen ist es her, -daß jemand gegen mich den Namen Gottes genannt hat! -Und doch habe auch ich einst, ehe ich Franks Gattin wurde, -oftmals so innig und warm zu ihm gebetet! Stehen denn -plötzlich alle süßen Erinnerungen an die Kindheit auf – -an meine heimgegangenen Eltern – an jene Zeit, wo noch -alles anders war?« fügte sie, die Wangen von Thränen -überströmt, nun träumerisch ins Leere starrend, hinzu. -»Wer sind Sie, Sir, daß Sie es verstehen, solche Saiten -in meinem Innern zu berühren? Gehen Sie – o gehen -Sie! Ich bin Ihrer Teilnahme und Güte nicht wert, – -habe ja kein Anrecht an die Barmherzigkeit und Milde -Gottes! Denn ...«</p> - -<p>Sie stockte plötzlich und wollte an mir vorüber zur -Thür hinaus. Doch energisch vertrat ich ihr den Ausweg.</p> - -<p>»Nicht <em class="ge">allein</em> dürfen Sie hinaus, Mrs. Newland! -Gerade um der schmerzlichen Erinnerungen willen an -das glückliche Einst bitte ich Sie, mich jetzt sofort zu Ihrem -Gatten zu führen und mir eine kurze Unterredung mit -ihm zu gestatten. Widersetzen Sie sich dem nicht! Denn -es ist zu Ihrem Wohl – Ihrer Rettung – <em class="ge">ich weiß -alles</em>!«</p> - -<p>Tödlich erschreckt fuhr die Fassungslose zurück.</p> - -<p>»Was – was wissen Sie?«</p> - -<p>»Daß Frank ein armer Bethörter – ein Unglücklicher -ist und schwer unter dem Drucke eines tyrannischen -Weibes, das sich leider seine Mutter nennt, duldet und -darüber zugrunde geht!« flüsterte ich ihr entschlossen ins -Ohr. »Aber, beim Allmächtigen, der mein Vorhaben begünstigt, -schwöre ich, daß wir über diese Megäre, die auch -Sie im tiefsten Innern verachten, siegen werden, und ich -<a class="pagenum" id="page_158" title="158"> </a> -Ihnen Freiheit, Glück und Sicherheit zurückzugeben vermag! -Nur folgen Sie mir und fügen Sie sich bedingungslos -meiner Weisung!«</p> - -<p>»Mein Himmel! Träume ich denn? Giebt es in -dieser jämmerlichen Welt wirklich noch etwas, was Hoffnung -und Glaube an der Menschheit heißt?« rang es sich -zitternd über die bebenden Lippen der jungen Frau. »Darf -ich Ihnen – dem Fremden – wahrhaft trauen? Sind -Sie nicht auch etwa ein Mensch, wie jener, der unlängst -hier war, – ein solcher, der kein Erbarmen und keine -Rücksicht kennt?«</p> - -<p>»Mrs. Maud Newland! Ich dächte doch, daß Sie -von der Aufrichtigkeit meiner Freundschaft überzeugt sein -sollten!« entgegnete ich fast vorwurfsvoll und weich.</p> - -<p>»Freundschaft!« schrie sie darauf in wilder Erregung, -so daß ich über den grellen Ton ihrer Stimme beinahe -erschrak. »O, welch ein Zauber liegt in diesem einen -Wort! Kommen Sie, ja kommen Sie rasch hinauf zu -meinem armen, geliebten, unseligen Gatten! Er wird – -er muß Ihnen folgen!« Und ungestüm zog das liebliche -Geschöpf mich mit sich fort.</p> - -<p>Kaum konnte die Stunde zu einem ungestörten Gespräch -mit dem jungen Einsiedler dort oben in seinem stillen -Zimmer günstiger gewählt sein. Denn erst vor einer Weile -hatte ich die alte Newland nebst Tochter und Schwiegersohn -das Haus verlassen sehen. Überdies gestand meine -Begleiterin mir jetzt in merkwürdig rührender Vertraulichkeit, -daß ihre Verwandten einen kleinen Ausflug nach Coney -Island unternommen und vor spätem Abend kaum zurückerwartet -werden dürften. Man habe zwar ausdrücklich -gewünscht, daß sie selbst an der Partie teilnehmen sollte; -<a class="pagenum" id="page_159" title="159"> </a> -doch hätte sie das, um Frank nicht allein zu lassen, auf -das entschiedenste abgelehnt.</p> - -<p>Unter dergleichen leise geführten Reden erreichten wir -das erste Stockwerk, doch machte die junge Frau vor dem -verhängnisvollen Gemache noch einmal Halt und holte, -gleichsam um Mut zu schöpfen, tief Atem. Ach, hätte ich -der Ärmsten die Viertelstunde doch ersparen können! Nach -kurzem Zögern öffnete Mrs. Newland mit raschem Entschluß -die Thür und schritt mir ins Zimmer voran.</p> - -<p>Das Erste, was mir beim Eintreten sofort ins Auge -fiel, war wieder jener eisenbeschlagene Monstre-Koffer, dessen -Begegnung mir schon einmal zu denken gegeben und dessen -Anblick nun aufs neue die ganze gefährliche Tragweite, -ebenso aber auch die Notwendigkeit dieses Schrittes klarlegte. -Die Fenster des Gemaches gingen gegen Westen, so daß die -noch hellen Strahlen der Abendsonne es bis in seine tiefsten -Winkel beleuchteten.</p> - -<p>Mr. Frank Newland schien jedoch unseren Besuch gar -nicht zu merken. Denn mit aufgehobenem rechten Arme, -ein Pistol in der Hand haltend, zielte er soeben nach einer -an der Wand der Langseite befestigten Scheibe, deren durchlöchertes -Feld mir zur Genüge zeigte, wie und durch welches -Vergnügen der junge Mann seine Mußestunden sich verkürzte. -Wieder gewahrte ich in seinem schönen Gesichte -den finsteren Schmerzensausdruck und konnte in diesem -Momente mich wirklich des Gedankens nicht erwehren, ob -der, wie ich ja wußte, so verzweifelt und vergeblich an -seinen Fesseln Rüttelnde nicht vielleicht dort, wo sich die -weiße Papierscheibe befand, die Häupter seiner Peiniger -oder mutmaßlichen Verfolger im Geiste zu schauen wähnte.</p> - -<p>»Frank! Ich wollte – ich möchte so gern, daß Du -– diesem Herrn hier, Mr. Berken, für einige Minuten -<a class="pagenum" id="page_160" title="160"> </a> -Gehör schenktest!« rief jetzt, das lange Schweigen unterbrechend, -meine Begleiterin ihrem Gatten bittend und zärtlich -zu, während sie nach ihm hinüberflog und die Arme -um seine Schultern schlang.</p> - -<p>Sofort sank die Hand mit dem Pistol herab, und, -mehr erschreckt als unwillig, fuhr sein Kopf nach mir -herum.</p> - -<p>»Was soll's? Du weißt ja, Maud, daß ich nicht -gern gestört bin!« kam es leise, doch grollend über seine -Lippen.</p> - -<p>Allein trotz dieses wenig ermutigenden Empfanges -hatte ich mich ihm rasch genähert und begann ohne Zögern:</p> - -<p>»Die große Wichtigkeit dieses Besuches hier, ja meines -Anliegens an Sie, Mr. Newland, überwiegt das Peinliche, -was zweifellos für mich in diesem etwas dreisten Vordringen -eines Ihnen fast Fremden liegt!«</p> - -<p>Franks geistvolles, dunkelumrahmtes Auge richtete sich -bei diesen Worten ganz seltsam scheu und fragend nach -dem meinen, indem er herb und zögernd erwiderte:</p> - -<p>»Wegen meines Leidens empfange ich niemals – -grundsätzlich niemals Besuche. Doch, wenn <em class="ge">sie</em>« – (ein -vibrierender, auffallend zärtlicher Ton lag in diesem: <em class="ge">sie</em>, -womit er der Gattin Hand sanft drückte) – »ausnahmsweise -jemanden bei mir einführt, dann muß ich mich allerdings -schon von der Notwendigkeit durch dies Abweichen -von der Regel überzeugen lassen.« Er verbeugte sich gegen -mich und fügte etwas weniger schroff, indes mit immer -noch tief ernster Stimme hinzu:</p> - -<p>»Meine Frau hat mir bereits von Ihrer Liebenswürdigkeit -und Ihren menschenfreundlichen Gesinnungen -erzählt, Mr. Berken! Es ist ein edler Grundzug im -Charakter der Deutschen, daß Teilnahme und Freundschaft -<a class="pagenum" id="page_161" title="161"> </a> -bei ihnen nicht leere Worte sind, sondern dem Herzen -entspringen.«</p> - -<p>Dabei legte er die kleine Schußwaffe beiseite und -reichte mir die Finger hin. Eine müde Apathie machte -sich im Wesen dieses Mannes bemerkbar und verlieh ihm, -verbunden mit dem schmerzlich krankhaften Zuge seines -schmalen Gesichts, den Anstrich eines wirklich Leidenden.</p> - -<p>So ruhig und fest, daß ich mich in diesem Momente -selbst über meine Fassung wunderte, erwiderte ich:</p> - -<p>»Der Hauptgrund unseres Charakters ist eine unüberwindliche, -ja, so zu sagen, schon mit der Muttermilch eingesogene -Abneigung gegen jeden falschen Schein.«</p> - -<p>Ganz sonderbar stutzte er, während ein halb wirrer -Blick über meine Gestalt hinwegglitt, und gleichsam fragend -wandte er sich nun nach seiner jungen Frau, welche mit -im Schmerz gefalteten Händen in einen Sessel gesunken war.</p> - -<p>»Ich muß wohl annehmen, daß Sie einen besonderen -Zweck mit diesem – Besuche verbinden?« entfuhr es in -harten, schroffen Tönen seinem Munde, indem er nun, -wie zu einer kampfbereiten Stellung, sich vor mir aufrichtete -und bald noch heftiger hinzufügte: »Sie hassen -den Schein! Sehr gut, mein Herr! Aber unter welchem -Vorwande erklären Sie mir dann Ihr sonderbar geheimnisvolles -Benehmen, welches zweifellos irgend eine Absicht -– einen Hintergedanken verrät? Denn nur allein deshalb -hierher in mein Zimmer zu kommen, um einen Ihnen fast -Unbekannten, der Ihnen niemals störend in den Weg getreten, -mit zweideutigen Reden zu intriguieren, dafür halte -ich Sie, Mr. Berken, doch für zu <i>gentlemanlike</i> und edel.«</p> - -<p>»Sie scheinen viel Menschenkenntnis zu besitzen, -Mr. Newland!« gab ich ihm, ohne mit der Wimper zu -zucken, zurück. »Wohlan denn! Den Grund dafür kennt -<a class="pagenum" id="page_162" title="162"> </a> -bereits Ihre verehrte Gemahlin; es ist der, daß ich Ihnen -mit Rat und That behilflich sein möchte, Ihre unwürdigen -Fesseln zu sprengen! Ist diese Antwort nicht klar und -verständlich genug?«</p> - -<p>Durchdringend heftete ich dabei meine Augen auf das -abgehärmte Männergesicht. Doch nur ein leise gurgelnder -Ton drang über seine Lippen, während er haltlos mehrere -Schritte nach rückwärts taumelte.</p> - -<p>»Ich dulde keine Einmischung in meine Angelegenheiten!« -stieß er endlich nach wenigen Sekunden wild heraus. -Sein Auge funkelte und jede Fiber des schlanken, -aber sehnigen Körpers schien in Erregung und Leidenschaft -zu zucken. Dann aber lachte er gellend auf. »Und wissen -Sie, mein Herr, was wir Amerikaner aus tiefster Seele -verachten? Das sind glattzüngige Schleicher, die hier und -dort mit dem löblichen Grundsatze: ›der Zweck heiligt die -Mittel‹ herumspionieren und schließlich doch nur Unheil -stiften! Solche Leute sind mir in den Tod verhaßt. Und -nun, mein Herr, bitte ich, daß Sie in Zukunft mich unbelästigt -lassen!«</p> - -<p>Damit kehrte er mir den Rücken und schritt dem -Fenster zu. Hier schien demnach der Sieg nicht ganz so -leicht, als unten im Parlour über die junge Frau, dachte -ich unentschlossen. Doch kam schon die kleine Verbündete -mir rasch zu Hilfe, indem sie, emporspringend und zu dem -Gatten hinübereilend, rief:</p> - -<p>»O Frank! Sei barmherzig! Um Deiner Liebe zu -mir – um unseres Elends willen, weise diesem Herrn -nicht so schroff die Thür! Denn gerade er, Mr. Berken, -will uns ja dazu verhelfen, daß der waghalsige Plan, der -schon längst in Deinem Kopfe reifte, aber stets wieder vereitelt -wurde, wirklich einmal zur Ausführung gelangt. Ich -<a class="pagenum" id="page_163" title="163"> </a> -flehe Dich an, Frank, lasse diese gute Gelegenheit nicht -unbenutzt vorübergehen! Denn ohne energischen Beistand -käme es nie – nie dazu!« sprudelte das schöne Weib in -flammender Begeisterung für die Sache wild hervor. »Du -bist so gut und treu, voller Liebe und Rücksicht für mich, -aber dennoch bloß ein schwankendes Rohr gegenüber der -Macht und dem Willen Deiner Mutter!«</p> - -<p>Ich war ebenfalls näher getreten und sah deutlich, wie -eine heiße Blutwelle Mr. Franks Stirn verdunkelte.</p> - -<p>»Schweig, Maud! Du vergißt Dich. Dein noch unerfahrener -Sinn setzt Vorsicht und Pflichten außer acht!« -raunte der Gatte unter keuchenden Atemzügen ihr leise zu.</p> - -<p>Allein sie beachtete diese Warnung nicht. In zwei -Sätzen sprang die graziöse Gestalt zu mir herüber, faßte -stürmisch meine Hand und rief:</p> - -<p>»So sagen Sie ihm doch, daß Sie alles wissen – -in alles eingeweiht sind und den ganzen großen Jammer -unserer Existenz entdeckt haben, Mr. Berken!«</p> - -<p>Da drang es wie ein schlecht unterdrückter Wutschrei -über des Mannes Lippen, der drohend die Faust nach dem -lieblichen Haupte emporhob.</p> - -<p>»Maud, – Unselige! Du hast uns verraten!«</p> - -<p>»Nein, Mr. Newland, Sie irren!« sagte ich, jetzt dicht -an ihn herantretend und mit festem Druck sein Handgelenk -umspannend. »Der bloße Verdacht allein ist schon eine -Kränkung für Ihr treues, opfermutiges Weib. Nicht sie -hat den verhüllenden Schleier von dem düsteren Bilde Ihres -Daseins hinweggezogen, nicht Ihre Gemahlin hat mir die -traurige Wahrheit entdeckt, sondern mein eigenes warmes -Interesse für ein Paar bedauernswerte junge Menschen ließ -mich Schritt für Schritt dem ersten leisen Verdachte, den -schon jener ominöse Koffer dort anregte, weiter nachforschen. -<a class="pagenum" id="page_164" title="164"> </a> -Auch nicht um Unheil zu stiften, Mr. Frank Newland, wie -Sie soeben voraussetzten, – nein, einzig nur aus dem -Grunde, um im Augenblicke höchster Gefahr – und solche -ist jetzt vorhanden – zu retten und zu helfen!«</p> - -<p>Er riß sich von mir los und rannte, mit beiden -Händen den Kopf umfassend, einigemal wie rasend durch -das Zimmer.</p> - -<p>»Wo – wo ist Gefahr? Wer sagt das? Wer bürgt -mir dafür?« rief er heiser.</p> - -<p>»Frank! Du selbst weißt es ja – kennst das drohende -Gespenst der Verfolgung, welches Tag und Nacht über uns -schwebt; weißt auch, was für ein Mensch vor kaum einer -Stunde bei Mrs. Emmerson Nachfrage hielt, weißt ferner, -daß der Boden unter unseren Füßen bereits wankend geworden!« -mahnte die junge Frau mit todesbleichem Gesicht. -»Nur Mut und rasche Entschlossenheit, Geliebter, -und wir entfliehen dieser schauerlichen Existenz, die ich verabscheue, -die entwürdigend für uns ist! Zeige, daß Du -ein Mann bist, Frank – ein Mann, der, dieser empörenden -Tyrannei anderer müde, sein besseres Ich herauswindet -aus einer Bergeslast von Lug und Trug. O! arbeiten -und Dir beistehen will ich ohne Murren und Klagen Tag -für Tag, um uns ein neues Heim zu schaffen!« fuhr die -junge Frau mit überzeugender Wahrheit und bewundernswerter -Beredsamkeit fort, – »ein stilles, friedliches Heim, -welches allein uns gehört und worüber der dort oben -wachen soll, den wir so lange Zeit vernachlässigt haben! -Frank, wenn Du mich wahrhaft liebst, so folge diesem da, -der es gut und ehrlich mit uns meint!«</p> - -<p>Überwältigt durch den Schmerz der hervorbrechenden -Gefühle sank die schöne Frau zur Erde nieder und umfaßte -leidenschaftlich des Gatten Knie. Ein Moment war -<a class="pagenum" id="page_165" title="165"> </a> -das, der mich aller Zweifel und aller in mir sich regenden -Ungewißheit überhob. Jetzt wußte ich, daß der wunderbar -stürmische Drang in mir, diesem jungen Paare meine Hilfe -zu bieten, höheren Ursprungs war. Alle Bedenken, gerade -durch diese Hilfe mich einer ungesetzlichen, ja vielleicht gar -strafbaren Handlung schuldig zu machen, zerflossen bei dem -Anblicke in ein Nichts.</p> - -<p>»Mr. Frank Newland! Ich sehe, daß die Liebe zu -Ihrer Frau bei Ihnen größer ist, als zu sonst irgend etwas -auf Erden, und daß diese Liebe Ihnen dazu verhelfen wird, -selbst das Schwerste zu überwinden!« sagte ich mit einer -Stimme, die die eigene tiefe Bewegung deutlich verriet. -»Wollen Sie fortan bedingungslos sich meiner Führung -anvertrauen? Die Zeit ist kurz. Jetzt gilt nur ein schnelles -Entweder – Oder!« Wie Wetterleuchten zuckte es über -sein bleiches Gesicht. »Zerreißen Sie mit fester Hand -jenes unwürdige Band, welches Sie noch an die Vergangenheit -knüpft, – schauen Sie dafür mutig und mit Gottvertrauen -in eine lichtere, hoffnungsreiche Zukunft!«</p> - -<p>Ungestüm hatte er, während ich sprach, die liebliche -Gestalt zu sich emporgezogen. Eine Weile hielten die -Gatten sich umschlungen.</p> - -<p>»Der Fluch der Mutter, – grimmiger Haß von allen, -die mir bisher vertraut haben, – ja, ein Leben der Not -und Entbehrung, – das ist es, was uns sicher erwartet, -wenn ich diese Fesseln sprenge! Würdest Du Dich auch -klagelos und willig einem vielleicht noch härteren Geschicke -beugen, meine Maud?« fragte der junge Ehemann so zärtlich -und weich, wie man nur zu einem Kinde redet.</p> - -<p>Ein kaum unterdrückter Jubelschrei stieg aus der Gefragten -Brust.</p> - -<p>»Und wenn dieser Schritt meinen Tod bedeutete, ich -<a class="pagenum" id="page_166" title="166"> </a> -könnte nicht ruhiger und beglückter darüber sein, daß Dein -Widerstand endlich gebrochen ist und Du heimlich mit mir -von dem Schauplatze unserer Leiden verschwinden willst, -Frank!« rief sie neu belebt und zitternd vor Erregung, indem -sie aus den sie umschlingenden Armen sich befreite und -wieder zu mir herüber eilte.</p> - -<p>»Jetzt aber rasch zum Entschluß, Mr. Berken! Was -soll geschehen? Bestimmen Sie über uns!« flüsterte sie -mir hastig zu.</p> - -<p>Allein auch der vor kurzem noch so verschlossene und -so schroff und starr abweisende junge Mann reichte mir -jetzt, wenngleich mit einem Ausdruck bitterer Trauer, seine -Hände entgegen, in die ich freudig einschlug.</p> - -<p>»In spätestens einer Stunde werden Sie New York -im Rücken haben und sich auf dem Wege nach Kanada -befinden,« erwiderte ich ernst und sehr bestimmt, während -beide mir mit ängstlicher Spannung lauschten. »Spurlos -noch ehe die Untersuchungen in jener traurigen Angelegenheit -weiter fortschreiten, müssen Sie und Mrs. Newland -von der hiesigen Bildfläche verschwinden, als ob der Sturm -Ihre Namen hinweggeweht. Fort – vergessen! Miß -Emmerson sagen Sie indessen, daß Sie anläßlich einer -wichtigen Depesche mit Ihrer Frau auf acht Tage zu verreisen -gezwungen wären! Das genügt. Packen Sie also -die nötigste Garderobe und Wäsche in einen nicht zu großen -Koffer. Alle Ihre Sachen mitzunehmen, darauf müssen -Sie leider verzichten, weil das vielleicht Verdacht erregen -könnte. Dann benutzen Sie den nächsten Zug nach Montreal! -Fürs erste jedoch, Mr. Newland,« – fügte ich, -indem ich jenem ominösen Koffer ganz nahe trat, ein wenig -zögernd und sehr leise hinzu – »schaffen Sie den gefährlichen -Inhalt dieses Riesen schleunigst aus der Welt!«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_167" title="167"> </a> -Er zuckte jäh zusammen und stotterte in höchster Verwirrung, -während eine fahle Blässe sein Gesicht überzog.</p> - -<p>»So wissen Sie? – nein, nein, das darf ich nicht -thun, – die Mutter ...!«</p> - -<p>»Sie dürfen auf niemanden Rücksicht nehmen! Denn -ich ahne wohl, daß hierin die schlagendsten Beweise zur -Überführung einer gar schlimmen Schuld für Sie enthalten -sind, mein armer, bethörter Freund!« versetzte ich -freundlich. »Und diese Beweisstücke müssen unter allen -Umständen vertilgt sein. Dort drüben ist der Kaminofen. -Was irgend brennbar ist, – hinein in ein flackerndes -Feuer. Das übrige packen Sie in eine schlichte Reisetasche, -die Sie mit sich nehmen und wie aus Versehen im Gedränge -auf dem Bahnhofe stehen lassen! Dann erst werden -Sie frei sein gleich dem Vogel in der Luft. Das leere -Ungetüm hier wird nichts mehr verraten und grabesstumm -bleiben. Sie sehen, mein Plan ist gut und könnte wahrlich -der Intelligenz eines Amerikaners alle Ehre machen,« -fügte ich ermutigend hinzu. Denn es entging mir nicht, -wie hastige, schwere Atemzüge über seine Lippen stießen -und er sichtlich zu kämpfen schien, mir mit neuen Einwendungen -entgegenzutreten.</p> - -<p>»Und wohin sollen wir Ausgestoßenen, denen das -eigene Vaterland nicht mehr Raum und Schutz zu bieten -vermag, uns wenden?« fragte er herb. »Welche Aussichten, -welcher Erwerb bietet sich uns auf englischem Boden? -Ich bin völlig fremd in Kanada, – habe nicht die geringsten -Verbindungen ...«</p> - -<p>»Eben deshalb ist es nötig, daß Sie dorthin Ihre -Schritte lenken, Mr. Newland!« gab ich ihm tröstend zurück. -»Gerade dort, wo Sie fortan leben werden, sollen -<a class="pagenum" id="page_168" title="168"> </a> -Sie ein Fremder sein; auch sogar den Namen, den Sie -jetzt führen, müssen Sie hier zurücklassen!«</p> - -<p>Bei diesen Worten stieg abermals eine dunkle Röte -dem Unglücklichen über die Stirn und finster, aber leidenschaftlich -rief er:</p> - -<p>»Der Name Newland gehört mir von Rechts wegen -gar nicht. So hieß nämlich der zweite Gatte meiner -Mutter, der vor einem Jahre starb und dessen verhängnisvolles, -grausiges Vermächtnis eben jener Koffer dort ist -mit allem, was darin sich befindet und daran sich knüpft -– ein Vermächtnis, das gleich einem Fluche auf uns -lastet. Man soll den Toten nichts Schlimmes nachsagen. -Allein noch im Grabe verabscheue ich jenen Mann, der -sich erkühnte, mein Stiefvater zu heißen. ›Welch eine Erscheinung!‹ -hätten auch Sie bei seinem Anblick sicher ausgerufen. -Im Äußeren glich er einem Heroen an Größe, -Körperkraft, wie auch an Geist. Bestechend und verführerisch -klang jedes Wort, mit dem er in die ahnungslose -Menschenseele sich einzuschmeicheln verstand. Doch wer ihm -unterlag, der saß fest in den Fangarmen des Teufels. Ein -dämonischer Tyrann war er und hat meine unselige Mutter -zu dem gestempelt, was sie jetzt ist, – zu einer geldgierigen -Megäre, die heute noch einzig nur in den Fußstapfen -des ihr teuer gebliebenen Verblichenen wandelt. -Aus mir aber ...« – tief schöpfte er Atem – »aus -mir hat er einen der routiniertesten, gefährlichsten Falschmünzer -Amerikas gemacht, – ha, ha, ha! Das war ein -Meister, wie es keinen zweiten giebt!«</p> - -<p>»O Franky! So lasse doch die alten Erinnerungen!« -bat meine kleine blonde Freundin zärtlich, indem ihr die -hellen Tropfen über das süße Gesicht herabrieselten.</p> - -<p>»Nein, nein! Jetzt muß ich reden!« erwiderte der -<a class="pagenum" id="page_169" title="169"> </a> -junge Mann heftig. »Sie, Mr. Berken, sollen wenigstens -erfahren, daß ich zu solch schmachvollem Berufe verführt – -gezwungen wurde, daß nicht die Gier und die Lockungen -nach mühelos erworbenen Schätzen mich dazu verleiteten! -Beim Allmächtigen, der sich gnädig meiner erbarmen möge, -– ich habe den schnöden Mammon stets gehaßt! Denn -er allein ist der Satan, der die Menschheit verdirbt und -erniedrigt! Was spreche ich doch von mühelos erworbenem -Gelde? Wer hat gearbeitet Nacht um Nacht über Wagstücken, -die oftmals doch mißlangen? Wer hat die Schweißtropfen -saurer Mühe hergeben müssen für solches Teufelswerk? -Ich war's – ich that's, Mr. Berken, weil ich zu -schwach – zu feige war, mich loszureißen! Geknirscht und -geflucht habe ich oft in ohnmächtigem Zorne. Doch der -böse Blick der Mutter, in welchem ich noch fortdauernd -den Dämon meines verfehlten Lebens – den Meister – -den Stiefvater zu schauen wähnte, – er hielt mich gleich -einem Knechte in Zucht und Banden! Aber das Maß ist -voll, – länger ertrage ich es nicht!« rief er fast schluchzend. -»Um ihretwillen, die mein Licht und Trost ist,« – das -sterbensmüde Auge traf der Gattin aufstrahlendes Gesicht, -»um ihretwillen reiße ich das Band, was mich an diejenige -bindet, die mich geboren, in Stücke!« Ich schaute -nach der Uhr und fragte, in der Absicht, ihn von dem -schmerzlichen Thema abzulenken:</p> - -<p>»Darf ich den Wagen für Sie bestellen, Mr. Newland?«</p> - -<p>Wie aus tiefem Sinnen fuhr er auf und nickte halb -gedankenvoll:</p> - -<p>»Ja, ja – den Wagen – fort!«</p> - -<p>»Auch möchte ich Ihnen hier noch eine Adresse für -Montreal überreichen, Mr. Frank? ... Ja, wie ist denn -Ihr wirklicher Name?«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_170" title="170"> </a> -»Wilson!« entgegnete er kurz.</p> - -<p>»Also, Mr. Wilson! Ein sehr intimer Freund von -mir, ebenfalls ein Deutscher, hat dort eine renommierte und -gesuchte Law-Office (Rechts-Bureau). An diesen ganz vortrefflichen -Mann habe ich Sie als tüchtigen, intelligenten -Arbeiter empfohlen, da ich durch Ihre Gemahlin weiß, -welch gründliche Bildung Sie genossen, und daß ein Wissen -in Ihnen steckt, wie junge lebenslustige Amerikaner es sich -sonst selten anzueignen pflegen. Ein Wort von mir genügt, -Ihnen den Anfang zu einer vielleicht sehr lukrativen -Laufbahn zu eröffnen, und gingen Sie somit im Auslande -keiner allzu trüben Zukunft entgegen. Die Hauptsache ist -natürlich, daß Sie mit Lust und Energie einen Ihren -Kenntnissen angemessenen Beruf ergreifen.«</p> - -<p>»Mein Gott, das ist zu viel, – das bin ich nicht -wert!« stöhnte der Überraschte kopfschüttelnd. Es zuckte -dabei aber doch ganz seltsam freudig um seinen Mund.</p> - -<p>Meine kleine blonde Freundin schlug indes die Hände -vor das Gesicht und schluchzte laut.</p> - -<p>»Haben Sie das nötige Reisegeld?« forschte ich, durch -nichts beirrt, mit der ernsten, trockenen Stimme eines Inquirenten -weiter, obgleich mir selbst vor innerer Bewegung -der Ton im Halse stecken zu bleiben drohte.</p> - -<p>Eine lange Pause erfolgte. Dann zog Mr. Frank -Wilson mehrere 50 Dollar-Billets aus seinem Taschenbuche, -zündete am Tische eine Kerze an und hielt, ohne -zu sprechen, noch zu zucken die Banknoten darüber, daß -alsbald die hellen Flammen um seine Finger spielten.</p> - -<p>»Ist denn der Mensch toll geworden!« hätte bei diesem -seltsamen Gebahren ein anderer vielleicht gedacht und solchen -Frevel zu vereiteln gesucht. Ich aber rührte mich nicht -von der Stelle. Denn gerade jenes anscheinend kopflose -<a class="pagenum" id="page_171" title="171"> </a> -Experiment redete für mich eine stumme Sprache. Das, -was dort eben in Rauch aufging, waren ja auch nur -elende Falsifikate; Lug und Trug war es –, die schauerlichen -Früchte seines arbeitsschweren Daseins, an denen, -wie er selbst gesagt, die Schweißtropfen saurer Arbeit -hingen! Armer Frank! So kurz und straff hielt diese -entsetzliche Mutter ihren einzigen Sohn im Zügel, daß sie -ihm nicht das nötigste Geld zur Verfügung stellte – aus -Angst, er könne doch endlich einmal ihrer Tyrannei heimlich -entfliehen! In diesem Augenblicke überkam es mich -wie eine wahre Wollust, jenem entmenschten Weibe einen -Streich spielen zu können.</p> - -<p>Mit zu Boden gesenkten Wimpern stand der Bedauernswerte -vor mir. Welch beschämende Gefühle mochten -in ihm sich regen! Daher schritt ich rasch an ihn heran -und legte meine Rechte sanft auf seine Schulter.</p> - -<p>»Lassen wir Vergangenes ruhen, mein Freund! Ich -begreife und verstehe alles und beklage Sie tief. Und -doch ist es am Ende besser so, damit Sie mit Ihrer Flucht -aus New York niemandem – verstehen Sie wohl: niemandem -mehr verpflichtet sind. Hier, Mr. Frank Wilson, -lege ich 500 Dollars auf den Tisch, als ein Darlehen, -was hoffentlich zum Beginn einer neuen Existenz ausreichen -wird! Sie werden arbeiten und später guten Verdienst -haben, davon bin ich überzeugt.«</p> - -<p>Abwehrend erhob er seine Hände.</p> - -<p>»Nun, was wollen Sie?« setzte ich schnell und -lächelnd hinzu. »Ohne Geld kann man nicht reisen, und -bleibt Ihnen somit gar nichts anderes übrig, als meine -Hilfe anzunehmen. Im übrigen bin ich auch weit davon -entfernt, diese Summe als verloren zu betrachten. Denn -fürs erste bin ich selbst durchaus kein reicher Mann, und -<a class="pagenum" id="page_172" title="172"> </a> -zweitens weiß ich ziemlich sicher, daß Sie die kleine Schuld -mir nach und nach zurückzahlen werden. Sind Sie demnach -mit diesem Geschäfte zufrieden?«</p> - -<p>Einem Traumbefangenen gleich stand er vor mir und -stotterte nur ein paarmal hintereinander:</p> - -<p>»Ich danke – danke Ihnen, mein Herr!«</p> - -<p>Seit ich mein deutsches Vaterland verlassen, war, -glaube ich, eine ähnliche Anwandlung von Rührung und -seelischer Befriedigung nicht über mich gekommen, als zu -jener Stunde, die mit allen ihren Einzelheiten klar und -fest sich bis zum heutigen Tage meinem Gedächtnis eingeprägt -hat.</p> - -<p>Stillschweigend hatte ich meinen Hut ergriffen und -gedachte mich unbemerkt zur Thür hinauszuschleichen. Allein -der blonden Frau war meine Absicht nicht entgangen. In -stürmischer Hast rannte sie mir nach und faßte beinahe -leidenschaftlich meine Rechte.</p> - -<p>»Nein, so dürfen Sie nicht fort, Mr. Berken! O, -es sieht Ihnen ganz ähnlich, daß Sie unseren Dankesworten -sich entziehen wollen! Die wahre Großmut ist ja immer -still und bescheiden, und ihr Deutschen seid alle von Natur -so edel! Wirklich grausam wäre es gegen uns, nicht noch -einen letzten, warmen Händedruck, einen letzten Abschiedsblick -des einzig wahren, teilnehmenden Freundes für unser -armseliges Geschick zu erhalten!«</p> - -<p>So klang es in schmelzenden Tönen an mein Ohr. -Wehmütig lächelnd blieb ich stehen, indem nun auch Mr. -Wilson sich mir näherte und mit stummem Schmerze mir -ins Auge schaute.</p> - -<p>»Leben Sie wohl, Mr. Berken!« sagte er, nachdem -er seiner sichtlichen Bewegung endlich Herr geworden. »Was -<em class="ge">Sie</em> vollbracht haben, ist eine That, welche mit der Dankbarkeit -<a class="pagenum" id="page_173" title="173"> </a> -eines ganzen Lebens kaum gelohnt wäre, und die -nur Gott zu vergelten im stande ist! Sie werden von -uns hören. Leben Sie wohl!«</p> - -<p>Noch einmal schüttelten mir die beiden Verwaisten -– diesen Eindruck machten sie auf mich, als sie, Arm in -Arm, tiefste Wehmut im Angesicht, mir gegenüberstanden – -die Hände. Dann schloß sich die Pforte hinter mir und -ich stand auf dem Vorsaal.</p> - -<p>Indes schien jetzt durchaus keine Zeit mehr, sich -schmerzlichen Gefühlen und Reflexionen hinzugeben. Die -Uhr zeigte 6½ und der Zug, welchen das junge Paar -benutzen sollte, verließ New York in einer Stunde. Rasch -sprang ich die Treppe hinab. Unglücklicherweise begegnete -mir im Vorsaal, wo die Parlours mündeten, Miß Emmerson.</p> - -<p>»Nun, wohin so eilig, Mr. Berken? Sie sehen ja -ganz erhitzt aus,« warf die Dame lächelnd hin.</p> - -<p>»Es ist oben in meinem Zimmer eine Bärenhitze -und möchte ich mit der offenen Car (Pferdebahnwagen) -etwas hinaus in den Central-Park fahren,« log ich mit -abgewandtem Gesichte.</p> - -<p>»So? Dann werden Sie zum Essen schwerlich zurück -sein – hm!« Eine Weile sah sie mir kopfschüttelnd und -durchdringend in die Augen. »Nun, ich bin weit davon -entfernt, Sie mit indiskreten Fragen zu belästigen. Aber -– an der Nase sehe ich es ja Ihnen an, daß irgend etwas -faul ist im Staate Dänemark. Dazu kenne ich Sie zu -genau. <i>Well</i>, über das <i>dinner</i> machen Sie sich nur keine -Sorgen! Für Sie wird es aufbewahrt. Viel Vergnügen, -Mr. Berken!« Damit schritt meine alte Freundin majestätisch -ihres Weges.</p> - -<p>Jedenfalls muß ich ein sehr dummes oder verblüfftes -<a class="pagenum" id="page_174" title="174"> </a> -Gesicht gemacht haben, und war wirklich froh, als ich -draußen in frischer Luft mich befand. – –</p> - -<p>Erst gegen 8 Uhr abends kehrte ich nach planlosem -Herumstreifen in der City zurück, weil ich es aus verschiedenen -Gründen für zweckmäßig erachtete, daß die Abreise -der Wilsons sich ohne meine Anwesenheit vollzog.</p> - -<p>Unbefangen betrat ich das Speisezimmer, wo in der -That noch ein gedecktes Couvert für mich auflag. »Gute -Miß Kathe!« dachte ich befriedigt; denn ich war hungrig -und freute mich auf eine kräftige Mahlzeit. Allein nichts -verriet mir in der nächsten Viertelstunde, daß irgend etwas -Besonderes im Hause vorgefallen. Der aufwartende Neger -machte ein völlig indifferent stumpfsinniges Gesicht und die -das Diningroom zufällig passierenden Logiergäste begrüßten -mich nur mit einem kurzen »<i>Good evening</i>, Mr. Berken!« -Trotzdem aber lag es mir wie eine Gewitterschwüle auf -dem Gemüte. Waren meine Schützlinge unbehindert und -glücklich fortgekommen? Zu fragen wagte ich nicht, hoffte -daher auf einen günstigen Zufall, der es mir verraten -würde.</p> - -<p>Wirklich, als ich nach beendetem Speisen die Treppe -nach meinem Zimmer emporstieg, trat Miß Emmerson aus -den von dem jungen Paare bewohnten Gemächern heraus -auf den Flur. Wir stutzten beide, und alsbald drang ein -sonderbarer Geruch nach verbranntem Papier durch die -geöffnete Thür mir entgegen.</p> - -<p>»Ah – zurück?« fragte sie leichthin, doch merkte ich -bald, daß in dem sonst freundlichen Gesichte ein merklich -ernster Ausdruck lag.</p> - -<p>»Ja, Miß Emmerson! Und ich habe mir soeben -Ihre vortrefflichen Gerichte schmecken lassen!« erwiderte ich -mit möglichster Heiterkeit.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_175" title="175"> </a> -»Nun, <em class="ge">mein</em> <i>dinner</i> ist mir heute recht gestört worden -durch die sonderbare, fluchtartige Abreise zweier meiner -Gäste!« war ihre etwas scharfe Antwort.</p> - -<p>»Fluchtartige Abreise?« fragte ich mit einer äußerst -wohlgelungenen Miene des Staunens, wodurch die alte -Dame sofort veranlaßt wurde, halb befriedigt und freundlicher -den Kopf zu wiegen.</p> - -<p>»Nun, ich dachte mir eigentlich, daß Sie vielleicht -etwas mehr von diesen Leuten wüßten, weil die kleine -Blondine mit den Taubenaugen bei Tische immer so zutraulich -zu Ihnen redete, und Sie, Mr. Berken, heute so -sonderbar! ... Na, einerlei – die Newlands sind fort!«</p> - -<p>»Alle?« entfuhr es etwas unbedacht von meinen -Lippen.</p> - -<p>»I bewahre! Nur das junge Paar – scheinbar -nur auf eine Woche, wie das Frauchen schüchtern mir versicherte! -Doch ich möchte, obgleich hier drinnen in den -Schränken noch alles voll Sachen hängt, die höchste Wette -eingehen, daß es auf Nimmerwiedersehen ist. Das kommt -aber bei solch leichtsinniger Sippschaft gar nicht darauf an. -Nebenbei haben sie in den Zimmern einen Gestank zurückgelassen, -als ob mindestens zwei Zentner Makulatur verbrannt -worden wären. Als ich hineintrat, mußte ich wohl -zwanzigmal hintereinander niesen und konnte vor Rauch -die Augen kaum aufthun, so daß ich schon fürchtete, man -habe mir die Bude über dem Kopfe angesteckt. Aber -schließlich kann es mir ja gleichgültig sein!« argumentierte -Miß Kathe lebhaft weiter; »denn bezahlt ist alles bis zum -Ersten, – und mit den übrigen mache ich morgen früh -auch ein Ende. Die rasche Abreise der beiden ist mir -einzig nur des Geredes im Hause wegen fatal, zumal ich, -<a class="pagenum" id="page_176" title="176"> </a> -wie Sie wissen, ohnedem schon heute Nachmittag einen -heiklen Besuch erhalten.«</p> - -<p>»Auf keinen Fall würde ich es beklagen, daß die -jungen Newlands fort sind!« versetzte ich, höchst gleichgültig -das Gähnen unterdrückend. Doch spähte ich trotzdem -neugierig durch die halbgeöffnete Thür ins Zimmer hinein. -»Die Alte wird schöne Augen machen, wenn sie bei ihrer -Rückkehr die lieben Kinder nicht mehr findet, Miß Emmerson!«</p> - -<p>»O, die hat längst von der Flucht gewußt! Das -war alles geplant und abgekartet.«</p> - -<p>»<em class="ge">So</em> – glauben Sie?«</p> - -<p>»Sicherlich! Ich wundere mich nur, daß <em class="ge">Sie</em>, Mr. -Berken, bei Ihrem scharfen Beobachtungstalente nicht auch -Wind davon gekriegt haben!«</p> - -<p>Ich lachte sie heiter an.</p> - -<p>»Wer wird so mißtrauisch sein, Miß Kathe. Was -gehen <em class="ge">mich</em> denn diese Menschen an? Wahrlich, ich habe -ja gar keine Zeit dazu, mich so viel um den lieben Nächsten -zu bekümmern.«</p> - -<p>Die alte Dame schien völlig beruhigt, und freundschaftlich -wünschten wir uns gegenseitig <i>Good night!</i> –</p> - -<p>Ich erinnere mich, daß ich in jener Nacht nicht viel -geschlafen habe und erst wieder frei und beruhigt aufzuatmen -begann, als mir am nächsten Morgen ein Telegramm -überreicht wurde mit dem kurzen, aber für mich -bedeutungsvollen Inhalt: »Glücklich Montreal angelangt, -Wilson.« Mit seelischem Behagen kleidete ich mich an und -mußte wirklich lachen, welch ein von Bosheit und Schadenfreude -blitzendes Gesicht mir heute aus dem Spiegel entgegensah. -Jetzt gab es ja noch einen Hauptspaß, nämlich -das stille Beobachten der alten Newland, wie deren elegisch -<a class="pagenum" id="page_177" title="177"> </a> -angehauchten Tochter und des ehrenwerten Mr. Fowler -beim Frühstück. Denn daran, daß die Gesellschaft überhaupt -kommen würde, zweifelte ich keinen Augenblick. Schon, -um jeden Verdacht von sich abzulenken, mußten sie sich -diesen Morgen zeigen.</p> - -<p>Daher begab ich mich ein wenig früher als gewöhnlich -hinab, um die Personen, in deren Dasein ich ohne -ihr Wissen eine so bedeutende Rolle gespielt, sofort beim -Eintreten ins Speisezimmer aufs Korn zu nehmen. Wer -aber beschreibt meine Überraschung! In der Halle, an der -weit geöffneten Hausthür, durch die ich eine elegante Equipage -vor dem Hause halten sah, standen Mrs. Newland -und ihre Tochter, völlig reisefertig, im Begriff, sich von -Miß Emmerson zu verabschieden, und deutlich vernahm ich -noch die seltsamen Worte:</p> - -<p>»Der arme Frank! Er leidet zuweilen an schlimmen -Anfällen von Geistesstörung, was seine kindische junge Frau -durchaus nicht zugiebt. Ich fürchte, daß seine unmotivierte -plötzliche Abreise abermals ein trauriger Beweis ist für -diese nicht mehr abzustreitende Thatsache. Ellen und ich -müssen uns daher schleunigst auf die Suche der beklagenswerten -Kinder begeben und können daher leider die Annehmlichkeiten -Ihres Hauses nicht länger genießen, meine -teure Miß Emmerson! Major Fowler wird indes noch -bis morgen hier bleiben und dann mit unserm Gepäck -nachfolgen.«</p> - -<p>Jetzt schritt ich unbefangen und unerschrocken die -letzten Stufen der Treppe, auf der ich stand, hinab, so daß -ich nur noch wenige Fuß breit von den Damen entfernt -war. Mit einem höflichen: »<i>Good morning!</i>« lüftete ich -den Hut. In demselben Augenblick aber fuhr Mrs. Newlands -<a class="pagenum" id="page_178" title="178"> </a> -Kopf nach mir herum, und ich vermochte voll in -ihr Angesicht zu schauen.</p> - -<p>Ich habe wohl davon gehört, daß blühende, gesunde -Menschen durch Kummer, seelischen Schmerz oder körperliche -Leiden binnen weniger Monate ein vollständig verändertes -Aussehen erhalten können. Diese bisher noch so -rüstige Frau hatte aber eine einzige Nacht zur Greisin -umgewandelt. Doch nicht der Ausdruck milder, friedlicher -Ruhe lag über dem gefurchten Gesicht, – nein, eine grauenhafte, -grinsende Verzerrung, welche zu verbergen ihr nicht -gelang, zuckte zuweilen darüber hin. Vor diesem Anblick -schauderte ich innerlich und gedachte des Hauptes der -Medusa.</p> - -<p>Zwar traf mich nur ein einziger Blick der in stiller -Angst, in Grimm und Wut flackernden dunklen Augen, doch -er genügte, mir zu verraten, daß die fürchterliche Kreatur -mir auf dem Grunde der Seele zu lesen beabsichtigte, und -daß ihr scharfer Verstand sie doch vielleicht auf die richtige -Spur geleitet. Wie aus Erz gegossen, mit keiner Wimper -zuckend, stand ich vor ihr. Mir erschien dies jetzt schon -als Anfang der Vergeltung, die früher oder später über -diese geldgierige Megäre, wie der eigene Sohn sie benannte, -unfehlbar hereinbrechen mußte. Nochmals verbeugte ich -mich kühl und schritt an ihr vorüber dem Speisezimmer zu.</p> - -<p>Das war auch das letzte, was ich von Frank Wilsons -Mutter jemals wieder geschaut. – –</p> - -<p>Zwei Tage später brachten die New Yorker Zeitungen -von neuem allerlei Gerüchte über die vermeintlichen Falschmünzer, -unter anderem die Nachricht, daß die Polizei sich -die gefährlichen Vögel jedenfalls wieder habe aus dem Garn -fliegen lassen. Wenigstens sei auf einem der City-Bahnhöfe -eine ominöse Reisetasche, vollgepfropft mit allerlei -<a class="pagenum" id="page_179" title="179"> </a> -äußerst verdächtigem Werkzeuge nebst Zubehör, aufgefunden -und mit Beschlag belegt worden, und könne das wohl zu -dem Schlusse berechtigen, daß die verbrecherischen Eigentümer -derselben längst über alle Berge wären. –</p> - -<p>Nach etwa sechs Monaten erhielt ich die ersten ausführlicheren -Nachrichten von meinen Schützlingen in einem -Briefe, dem ein Check über 150 Dollars, zahlbar an der -Bank von Montreal, beigeschlossen war. Es war Mrs. -Maud Wilson, die mir schrieb; doch mußte ich bei dem -Lesen öfters eine Pause machen, weil eine eigentümliche -Rührung mich überkam. Fast Seite um Seite füllten nur -rührende Dankesworte das Papier. Dieses Geld – so -meldete sie – sei die erste Rate ihrer Schuld; indes -dürften sie nicht im mindesten deshalb darben. Frank -habe einen brillanten Verdienst! – Und was stand da -noch in diesem Briefe? Von nie gekanntem Glück, von -seligem Frieden und einem süßen, trauten Heim erzählten -die Zeilen –; ferner wie Frank arbeite von früh bis -spät, wie einfach und anspruchslos er sei in seinen Bedürfnissen, -aber auch, wie geachtet und geliebt er sei von seinem -Chef und von allen, mit denen er verkehre! »Ist dieses -gottgesegnete Leben jetzt nur eine himmlische Illusion oder -haben wir früher einen bösen Traum geträumt? O, möchte -doch die Vergangenheit gänzlich ausgelöscht sein!« So -schloß die junge Frau ihr langes Schreiben.</p> - -<p>Und sie blieb es wirklich. Denn Frank Wilson ist -bis zum heutigen Tage nie mehr an jene Schreckensperiode -seines Daseins erinnert worden. Als ich ihn nach langer -Zeit, völlig zum Manne herangereift, wiedersah, und er -mir stumm, doch mit strahlender Seligkeit im Auge, sein -einziges Söhnlein, einen prächtigen, blonden Jungen von -etwa einem Jahre, entgegenreichte, da wußte ich genau, -<a class="pagenum" id="page_180" title="180"> </a> -daß sein einst so verhärtetes, umdüstertes Gemüt nun endlich -Frieden gefunden im Schönsten, was eine weise Hand -zu unserem Segen und Frommen geschaffen – im eigenen -Heim. – –</p> - -<p>Und Mrs. Newland?</p> - -<p>Weder mündlich noch schriftlich habe ich jemals den -Sohn nach seiner Mutter zu fragen gewagt. Doch <em class="ge">sie</em>, -die für und für des geprüften Mannes »Licht und Trost« -blieb, die ihm vertraut und an ihm gehangen in den schrecklichen -Tagen des Elends, – sie flüsterte mir, in dem ihr -auch später noch anhaftenden, fast jungfräulichen Liebreiz -einmal ins Ohr, daß Franks Mutter mit Ellen auf großem -Fuße in Paris lebe. Woher sie diese Kunde erhalten hatte, -war mir zu wissen gleichgültig, und ich fragte nicht danach. -Allein irgend welche Gefahr fürchtete ich für meine Schützlinge -nicht mehr. – –</p> - - -<p class="mt2 ce fss">Druck von Greßner & Schramm in Leipzig.</p> - -<hr /> - - - - -<h2>Hinweise zur Transkription</h2> - - -<div class="mw36 nopb"> -<p class="in0">Im Originalbuch tragen die Titelseite, die Kapitelüberschriften -und die Kapitelenden einfachen floralen, die Kapitelanfänge -ornamentalen Schmuck, auf den in dieser Transkription verzichtet -wurde.</p> - -<p class="in0">Das Originalbuch ist in Fraktur gesetzt.</p> - -<p class="in0">Darstellung abweichender Schriftarten: <span class="ge">gesperrt</span>, <i>Antiqua</i> -(Römische Zahlen wurden nicht gesondert markiert).</p> - -<p class="in0">Der Text des Originalbuchs wurde grundsätzlich beibehalten, -mit folgenden Ausnahmen,</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_008">8</a>:<br /> -im Original "hatten die Fremden es verstanden sich bald"<br /> -geändert in "hatten die Fremden es verstanden, sich bald"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_009">9</a>:<br /> -im Original "Rückseite des Häuschens gelegenen, kleinen Salons"<br /> -geändert in "Rückseite des Häuschens gelegenen, kleinen Salon"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_009">9</a>:<br /> -im Original "»M'a«!"<br /> -geändert in "»M'a!«"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_011">11</a>:<br /> -im Original "das bißchen Silber dazu geommen"<br /> -geändert in "das bißchen Silber dazu genommen"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_015">15</a>:<br /> -im Original "»Das ist wirklich originell, hahaha!"<br /> -geändert in "»Das ist wirklich originell, hahaha!«"<br /> -Die Zeitungsannonce wurde durch Einrückung markiert.</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_016">16</a>:<br /> -im Original "Ich bin überzeugt, daß fast jede"<br /> -geändert in "»Ich bin überzeugt, daß fast jede"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_017">17</a>:<br /> -im Original "Bibliothek um ein für sein Geschäft wichtiges Werk"<br /> -geändert in "Bibliothek, um ein für sein Geschäft wichtiges Werk"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_020">20</a>:<br /> -im Original "trat Mrs. Clark zum Ausgange gerüstet, noch einmal"<br /> -geändert in "trat Mrs. Clark, zum Ausgange gerüstet, noch einmal"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_037">37</a>:<br /> -im Original "<em class="ge">Berlin</em>, 14. Januar 18.."<br /> -geändert in "Berlin, 14. Januar 18.."<br /> -Zur Angleichung wurde die Sperrung der Ortsangabe aufgehoben.</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_041">41</a>:<br /> -im Original "das Licht, der armseligen »Motte« zu folgen?«<br /> -geändert in "das Licht, der armseligen ›Motte‹ zu folgen?«</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_046">46</a>:<br /> -im Original "Meinetwegen brauchst Du das nicht mehr zu thun!«"<br /> -geändert in "»Meinetwegen brauchst Du das nicht mehr zu thun!«"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_059">59</a>:<br /> -im Original "Geheimnis, daß Deinen wilden, zügellosen Freund"<br /> -geändert in "Geheimnis, das Deinen wilden, zügellosen Freund"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_061">61</a>:<br /> -im Original "»Agnes, meine Agnes! Ich bin namenlos glücklich«"<br /> -geändert in "»Agnes, meine Agnes! Ich bin namenlos glücklich!«"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_078">78</a>:<br /> -im Original "Unsere Herzogin, die durchaus keine schöne Frau war"<br /> -geändert in "»Unsere Herzogin, die durchaus keine schöne Frau war"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_092">92</a>:<br /> -im Original "Unsere guten Newtows sind Menschen, welche"<br /> -geändert in "Unsere guten Newtons sind Menschen, welche"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_095">95</a>:<br /> -im Original "»Sie irren, mein Herr! entgegnete ich"<br /> -geändert in "»Sie irren, mein Herr!« entgegnete ich"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_113">113</a>:<br /> -im Original "Nur bildeten Mokassins die Fußbegleidung"<br /> -geändert in "Nur bildeten Mokassins die Fußbekleidung"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_118">118</a>:<br /> -im Original "es sich kaum bezeichnen – am Brodway"<br /> -geändert in "es sich kaum bezeichnen – am Broadway"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_125">125</a>:<br /> -im Original "Mein Blick war plötz- auf etwa"<br /> -geändert in "Mein Blick war plötzlich auf etwa"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_128">128</a>:<br /> -im Original "»Ich staune über sie, Madame!«"<br /> -geändert in "»Ich staune über Sie, Madame!«"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_129">129</a>:<br /> -im Original "Was mir an-anfänglich schwer und ungewöhnt ist"<br /> -geändert in "Was mir anfänglich schwer und ungewöhnt ist"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_135">135</a>:<br /> -im Original "Sonne ihre glühenden Strahlenbündel anf den"<br /> -geändert in "Sonne ihre glühenden Strahlenbündel auf den"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_143">143</a>:<br /> -im Original "die Mutter von Frank Newland. sowie"<br /> -geändert in "die Mutter von Frank Newland, sowie"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_147">147</a>:<br /> -im Original "»Der »New York Herald« wird zum Beispiel"<br /> -geändert in "»Der ›New York Herald‹ wird zum Beispiel"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_163">163</a>:<br /> -im Original "»der Zweck heiligt die Mittel«"<br /> -geändert in "›der Zweck heiligt die Mittel‹"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_168">168</a>:<br /> -im Original "»Welch eine Erscheinung!«"<br /> -geändert in "›Welch eine Erscheinung!‹"</p> -</div> - -<hr /> - -<div lang='en' xml:lang='en'> -<div style='display:block; margin-top:4em'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK <span lang='de' xml:lang='de'>LOSE BLÄTTER</span> ***</div> -<div style='text-align:left'> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Updated editions will replace the previous one—the old editions will -be renamed. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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Redistribution is subject to the trademark -license, especially commercial redistribution. -</div> - -<div style='margin-top:1em; font-size:1.1em; text-align:center'>START: FULL LICENSE</div> -<div style='text-align:center;font-size:0.9em'>THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE</div> -<div style='text-align:center;font-size:0.9em'>PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free -distribution of electronic works, by using or distributing this work -(or any other work associated in any way with the phrase “Project -Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full -Project Gutenberg™ License available with this file or online at -www.gutenberg.org/license. -</div> - -<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'> -Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™ -electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to -and accept all the terms of this license and intellectual property -(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all -the terms of this agreement, you must cease using and return or -destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your -possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a -Project Gutenberg™ electronic work and you do not agree to be bound -by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person -or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.B. “Project Gutenberg” is a registered trademark. 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