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authornfenwick <nfenwick@pglaf.org>2025-01-28 05:18:00 -0800
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-The Project Gutenberg EBook of Komet und Weltuntergang, by Wilhelm Bölsche
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll
-have to check the laws of the country where you are located before using
-this ebook.
-
-
-
-Title: Komet und Weltuntergang
-
-Author: Wilhelm Bölsche
-
-Release Date: April 25, 2020 [EBook #61928]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KOMET UND WELTUNTERGANG ***
-
-
-
-
-Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
-Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This book was
-produced from images made available by the HathiTrust
-Digital Library.)
-
-
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-
- Anmerkungen zur Transkription
-
-
- Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text
- ist _so ausgezeichnet_.
-
- Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
- Buches.
-
-
-
-
- Wilhelm Bölsche
-
- Komet und Weltuntergang
-
- [Illustration]
-
- Erstes bis siebentes Tausend
-
- Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1910
-
-
-
-
-Vorwort
-
-
-Es besteht das Bedürfnis, in diesem Frühjahr den Weltuntergang
-infolge eines Zusammenstoßes der Erde mit dem Halleyschen Kometen zu
-proklamieren. Mehrere Menschen empfinden daraufhin den Wunsch, durchaus
-ethisch zu werden; andere meinen, daß nunmehr aller gute Wein, den
-die Menschheit auf Reserve angesammelt hat, ausgetrunken und alle
-schönen Mädchen abgeküßt werden müßten. Für diese an sich löblichen
-Bestrebungen können streng wissenschaftliche Grundlagen aus Anlaß
-vorliegender Kometentheorien zurzeit noch nicht in ausreichendem Maße
-gegeben werden. Das zu untersuchen und zu klären ist der Zweck des
-vorliegenden Büchleins, das übrigens auch _nach_ dem Weltuntergang noch
-mit Nutzen gelesen werden kann.
-
- _Wilhelm Bölsche_
-
- _Friedrichshagen_
- Ostern 1910
-
-
-
-
-Der Himmel rötet sich von einer nordlichtartigen Glut. In sprachloser
-Erstarrung stehen die Menschen. Es ist kein Nordlicht: es ist der
-Weltbrand. Walhalla brennt, und nun muß alles mit.
-
-Wir alle kennen die Gewalt dieses Schlußbildes in Wagners Dichtung.
-Es ist der höchste Abschluß, den die Tragödie erreichen kann. Das
-Schicksal siegt, und mit dem Vorhang fällt die Welt.
-
-Die Götter haben Schuld begangen, sie haben die heiligen Verträge
-gebrochen. Nun zieht der unerbittliche Urgrund der Dinge den logischen
-Schluß. Die Schuld muß gesühnt werden, also muß Walhalla brennen. Da
-unten aber steht das arme Häuflein Menschen und weiß: die da droben
-fallen, so müssen auch wir kleinen Kerle nach in den Weltenbrand. Die
-Walküre hat ihnen noch von der Seligkeit der Liebe gesungen. Aber
-das galt schon einem späteren, einem vielleicht einmal bleibenden
-Geschlecht. Was heute Mensch heißt, das muß mit in den schauerlichen
-Hochofen, der da oben zu glühen beginnt. Götterdämmerung! Die
-Menschendämmerung ist dann nur noch ein Anhängsel.
-
-Immer, wenn ich das sah, haben mir diese Menschen leid getan, die
-mit als Opfer fallen, weil das Schicksal den Schluß zieht aus der
-Schuld derer da oben. Schon in der Ilias hat das so ergreifenden
-Ausdruck gefunden. Die da oben wirtschaften ins Tolle; sie haben einen
-ungeheuren Krieg inszeniert; die hier unten müssen bluten, und all ihr
-Heldenmut erreicht zuletzt doch nur, daß Patroklus sinkt und Hektor und
-schließlich auch Achilles.
-
-Es ist aber ein eigentümliches Ding in der Welt: die Namen wechseln,
-aber die Mächte und die Nöte bleiben immer wieder die gleichen.
-
-Im alten Babylon sind einst aus den Sternen Götter geworden. Für uns
-heute sind die antiken Götter wieder in Sterne eingegangen. Und doch
-hat sich die Situation wenig geändert.
-
-Auch für uns, naturwissenschaftlich geschulte Menschen, Bewohner des
-fern im Sonnenraum mit dreißig Kilometer Geschwindigkeit in der
-Sekunde dahinsausenden Planeten Erde, moderne Menschen von heute,
-auch für uns bewegen sich auf der Weltenbühne immer wieder die drei
-Mitspielenden.
-
-In der Tiefe das unergründliche Geheimnis der Natur. Diese dunkle Macht
-hinter Leben und Tod, der wir verdanken, daß überhaupt etwas ist; aus
-der wir aufblühen, in der wir versinken, wir, Sterne wie Menschen;
-die nicht lobt und nicht anklagt, die überhaupt nicht redet, die,
-wie Angelus Silesius singt, »ein ew'ge Stille« ist; aber die aus dem
-Unnahbaren dieser ewigen Stille vollzieht, und deren unerbittliche
-Waffe die ewige Logik ist, das ewige Kausalgesetz. Was getan ist, das
-zieht seine Folgen nach, unabänderlich.
-
-Vor diesem absoluten Naturgrunde aber spielen sich zwei engere Szenen
-ab.
-
-Im Raume schweben Gestirne. Sonnen um die Planeten kreisen. Unfaßbar
-lange Zeiten hindurch halten sie sich in geregelten Bahnen ohne
-Zusammenstöße. Auf uralten Verträgen scheint ihr Dasein über Äonen
-fort aufgebaut. Will man es weniger vermenschlicht ausdrücken, so mag
-man es Balancen nennen. Vielleicht sind sie in ganz grauen Tagen erst
-selber mühsam erworben worden, die Balanceverhältnisse etwa unseres
-Planetensystems. Als Ergebnisse unendlicher Kämpfe. Bis alles sich in
-natürlicher Auslese des Passendsten, des Harmonischsten endlich so
-zurechtgesetzt hatte, daß es nun auf lange Zeiträume hin wirklich hielt
-wie in einem ehernen Garantievertrag.
-
-Erst jenseits dieser kosmischen Garantien tauchen dann die
-Menschen auf. Entwickelt in der Ruhe eines solchen Planeten,
-der jahrmilliardenlang ohne Stoß, ohne Katastrophe um seinen
-Sonnenschwerpunkt, seinen Vertragsmittelpunkt, jahraus jahrein
-friedlich kreiste. In gewissem Sinne selbständig, sind diese Menschen
-doch unlösbar gekettet an diesen oberen Zusammenhang. Mit ihrem Stern
-hängen sie in der großen Sternenbalance. Unablässig rollt die Erde
-sich mit ihnen um sich selbst, um die Sonne, mit dieser Sonne auf
-das Sternbild des Herkules los. Von überall her starren die Augen
-der anderen Oberwelten sie leuchtend an, wenn ihr Blick zum Himmel
-geht. Sie mögen für sich treiben, was sie wollen, diese Menschen da
-unten, kleine Götter spielen, gut sein oder schlecht; immer ist all
-ihr Spiel nur garantiert durch die Vertragstreue, die Harmonie, die
-Balancesicherheit derer da oben.
-
-Und nun die alte Angst: wenn die dort einmal ihre Verträge
-brächen. Wenn Sterne gegeneinander liefen. Wenn unserer Erde
-kosmische Katastrophen drohten. Wenn diese heilige Himmelsruhe sich
-lockerte, sich löste. Das unerbittliche Schicksal der Logik, der
-Naturgesetzlichkeit würde auch hier den Schluß ziehen, ohne mit
-der Wimper seines schwarzen Rätselauges zu zucken. Seht ihr, wie
-der Himmel sich rötet. Ein Weltensturz kommt, eine Sternen-, eine
-Planetendämmerung. Ein kosmischer Störenfried bricht den uralten
-Erdvertrag. Weltbrand, und was seid ihr Menschen plötzlich da unten,
-mit müßt ihr in die Hölle, in den planetarischen Hochofen. Der Krieg
-der Götter ist entbrannt, und ihr müßt mit, der Held bei euch wie der
-Feigling, unerbittlich.
-
-Andere Zeiten, andere Worte. Aber das gleiche Spiel, die gleiche Angst,
-das gleiche Mitleid bleibt mit den armen Menschen. Die Himmlischen
-inszenieren Troja und wir müssen brennen.
-
-Eines ist aber doch nicht mehr gleich heute. Seit den Tagen Homers
-oder der Edda sind wir Menschen hier auf unserm irdischen Posten der
-großen Mysterienbühne unvergleichlich viel kühner, viel stolzer, viel
-selbstbewußter geworden.
-
-In der Zwischenzeit liegt unsere eigentliche große Mündigerklärung
-zur technischen Erdherrschaft. Eine ganze Masse Dinge, die hier unten
-damals noch kleine Götter spielten, haben wir selber in die Hand
-genommen als gereifte, diesen Gewalten endgültig gewachsene Titanen.
-Poseidon wird in unserer Kultur ein derber Arbeiter, der Blitz muß
-unsere Apparate treiben. Wenn die Pest wütet, so zittern wir nicht mehr
-vor den Pfeilen Apollons, sondern wir wenden mit Erfolg Bakteriologie
-und Antiseptik an. Es ist auf dem Punkt, daß wir wirklich hier auf
-dieser Erdoberfläche mit dem, was hier noch an »Oberen« spukte,
-endgültig fertig werden. Prometheus siegt hier, wer kann daran nach den
-letzten Jahrhunderten der Technik noch zweifeln. Es ist eine heillose
-Arbeit gewesen und fordert noch eine heillose. Aber die entscheidende
-Wende ist überschritten. Es hat doch etwas wie ein Symbol (wenn es
-auch, das gehört zu den Resignationen des Lebens, im Moment der
-Lächerlichkeit ausgeliefert ist), daß der Fuß des Menschen sich jetzt
-auf den Pol setzt. Wenn das lenkbare Luftschiff darüber weg steuert,
-so wird auch die letzte Lächerlichkeit des »Objektteufels« vor der
-heiligen Stunde kapitulieren, wie immer.
-
-Kleine Schlappen, die wir auf diesen Gebieten noch erleiden, zählen
-nicht. Gewiß: wir machen noch Dummheiten; wir bauen eine Stadt auf die
-Zuglinie sich verschiebender Landmassen und sie stürzt im Erdbeben
-ein; wir regulieren einen Strom nicht ausreichend und Paris steht
-unter Wasser. Das sind aber keine Weltuntergänge, sondern wir wissen
-eigentlich schon selber recht genau, worin wir es dabei versehen
-haben und wie es künftig besser zu machen wäre. Es ist alles eher
-als eine Utopie, daß wir zuletzt alle Ströme, die an Kulturstädten
-vorbeifließen, wirklich ausreichend regulieren werden, daß wir die
-besonders durch Erdbeben bedrohten Erdstellen abschätzen lernen und
-eventuell Häuser konstruieren werden, die auch einen derben Stoß
-aushalten.
-
-Und noch um ein Schwereres ringen wir: das Raubtier Mensch zu zähmen
-in uns selber, Mensch mit Mensch uns zu vertragen (wir sind doch nun
-einmal die Brüder von der gleichen Schicht des großen Mysteriendramas),
-den heillos simpeln Gedanken uns endlich einzuprägen, den uns schon die
-ganze niedere Lebensentwicklung zuschreit, daß man sich besser liebt
-als frißt. Auch das geht noch durch seine Momente der Müdigkeit (die
-ethische Resignation kommt sooft wie die technische), aber durch bricht
-es doch zuletzt.
-
-Was wir in all dieser heißen, inbrünstigen Arbeit brauchen, das ist
-bloß noch Zeit, noch Fortsetzung der Dinge bei uns, noch Folgen von
-Generationen, die weiter schaffen, wo wir die Axt sinken lassen. Der
-Einzelne: ja da muß auch manches resignieren; mindestens müssen wir
-ihn dem Geheimnis zuletzt überlassen. Aber das ist doch das immer
-wieder Befreiende, Erhebende, daß auch dieser Einzelne in seinen
-paar Lebensjahren immerzu in seinen besten Momenten in größeren
-Zusammenhängen der Menschheit wirken und gestalten darf, auf Dinge
-hin, die ihn überleben sollen, die fortleben sollen bei wieder jungen,
-wieder frischen, wieder neu blühenden Menschen. Ein Rächer soll aus
-unsern Knochen auferstehen, lautete das alte Wort; uns ist Rache nicht
-mehr so wichtig; wir erwarten einen Fortsetzer, einen Vollender, einen
-Benutzer unserer Arbeit.
-
-Und doch sind wir Titanen der Erde machtlos gegen die da oben!
-
-Wir haben ja angefangen, auch sie zu studieren, wie der kluge
-Odysseus anfängt, seine Götter etwas mit Schläue zu sondieren,
-zu diplomatisieren. Wir haben begonnen, die Sternverträge selber
-zu prüfen, die Balancen ängstlich durchzurechnen. Wir haben die
-Erde gewogen, ihre Schwungkraft gemessen, Sonnen- und Siriusweiten
-festgestellt, das himmlische Billardspiel der ganzen Planetenbahnen
-durchgeprobt auf seine Garantien. Aber eine unermeßliche Kluft trennt
-uns von jeder Möglichkeit, deshalb nun da oben selber mitzuspielen,
-selber einzugreifen.
-
-Wenn sich da oben etwas verschiebt, das alle planetarischen
-Sicherheitsverträge zu bedrohen beginnt, so können wir's gerade zur
-Not kommen sehen: ändern aber können wir's nicht. Wenn die Erde in ihr
-Verderben rennt: _wir_ haben keine Macht, sie zu hemmen.
-
-Es gibt eine höchst amüsante, wenn auch wissenschaftlich nicht gerade
-sehr tiefe Geschichte von Jules Verne, in der drei Menschen in einer
-Bombe aus Aluminium zum Mond sausen; aus Langeweile gehen sie während
-der Fahrt die Rechnungen vom Observatorium zu Cambridge noch einmal
-durch, die ihnen die Ankunft auf dem Mond garantieren sollen, und dabei
-stellen sie einen Fehler fest, der alles umschmeißt und ihnen Rücksturz
-und Verderben bedeutet; angenehme Entdeckung, während sie schon
-fliegen! Aber ganz genau so fliegen wir alle längst durch den Raum, und
-wenn irgendeine schauerliche Rechnung uns heute beweisen sollte, daß
-ein fremder Weltkörper sich geradlinig auf uns los bewegt mit einer
-Bahnlage, die absolut notwendig zu einer entsetzlichen Katastrophe
-führen muß, so sitzen wir zugleich genau so hilflos eingeschlossen in
-unserem Gehäuse wie die Helden Jules Vernes und müssen wahllos in unser
-Verderben fliegen.
-
-Unsere wissenschaftliche Phantasie kann sich dabei heute schon recht
-reinlich vorstellen, was geschehen müßte, wenn ein einigermaßen großer
-und schwerer Weltkörper auch nur ganz nahe an uns herankommen würde.
-
-Durch die Anziehung müßte eine unglaublich hohe Springflut bei uns
-entstehen, deren doppelter Wasserberg mit der Erddrehung rasch um
-unsern ganzen Planeten wanderte, alles in einer katastrophalen Sintflut
-ersäufend. Gleichzeitig würden alle unsere Vulkane in tobenden
-Eruptionen ausbrechen, da die vom Druck jäh entlasteten Lavaherde und
-Dämpfe der Tiefe alle zugleich hochquellen müßten. Das Einströmen der
-Flutwasser in diese Feueressen aber müßte Explosionen erzeugen, bei
-denen weite Landgebiete wie Trümmer eines platzenden Dampfkessels
-in die Luft flögen; die berühmte Explosion des Krakatau von 1883 an
-der Sundastraße, bei der auch der Ozean in den ausbrechenden Krater
-geflossen zu sein scheint und eine Dampfsäule von fünfzig Kilometer
-Höhe entstand, in deren Gefolge längere Zeit Änderungen der gesamten
-Erdatmosphäre (abnorme Dämmerungsfarben durch Beimischung feiner
-Vulkanasche) eintraten, wäre ein harmloses Kinderspiel dagegen.
-
-Bei noch weiter fortschreitender Entlastung würden aber allmählich
-auch die tieferen Massen des Erdinnern unruhig werden. Man nimmt
-heute ziemlich allgemein an, daß der eigentliche Sitz des Magmas, das
-in unseren Vulkanen aufquillt, noch nicht in sehr großer Tiefe der
-Erdrinde sei. Was noch tiefer liegt, das wird durch den wachsenden
-ungeheuerlichen Druck der auflastenden Massen normalerweise so
-gebändigt, daß es gar nicht mehr bis zu uns aufbegehren kann. Nach
-gangbarer Hypothese liegen der Temperatur nach eigentlich gasförmige
-Stoffe gegen den Erdkern zu infolge des Drucks in einem Stadium,
-das sehr nahe der äußeren Erscheinungsform des Flüssigen oder gar
-Festen kommt. Eine plötzliche Erregung dieser sonst heilsam gedeckten
-Innensubstanzen würde erst das wirklich Grauenhafteste auslösen.
-
-Man kennt ja die Geschichte jener kleinen Fische, die in der Tiefsee
-unter einem beständigen Wasserdruck bis zu tausend Atmosphären
-leben; in ihrer Tiefe sind sie hübsch körperlich auf diesen Druck
-eingestellt; wenn man sie aber plötzlich im Netz an die Oberfläche
-bringt, platzen sie jämmerlich auseinander. Jener Inhalt des Erdkerns
-würde entlastet sich ebenfalls als titanischer Explosivstoff bewähren
-müssen. Mit unhemmbarer Gewalt würde er losbrechen, die Erde würde
-statt einfacher Vulkanausbrüche Protuberanzen entwickeln nach Art
-jener fürchterlichen roten Eruptionen von glühendem Wasserstoff und
-Calcium, die viele Tausende von Kilometern hoch über die Oberfläche der
-Sonne emporzuspritzen pflegen. Eine wirkliche Berührung der Erde mit
-jenem zweiten Weltkörper würde, abgesehen von der dabei entstehenden
-mechanischen Umsatzwärme, durch direktes Zertrümmern der schützenden
-Deckschale der Erde endlich eine Gesamtexplosion dieser Kernsubstanz
-mit ihrer so lange verhaltenen Energie hervorrufen, die für unsere
-irdischen Verhältnisse geradezu als Götterdämmerung bezeichnet werden
-könnte.
-
-Schon ein geringer Teil dieser Ereignisse würde aber genügt haben, das
-dünne schillernde Schleimhäutchen von der Erdrinde fortzusterilisieren,
-das wir (mit Einschluß des Menschendaseins) Leben nennen. Dieses
-Häutchen, in mancherlei Gestalt von Schleimtröpfchen protoplasmatischer
-Art über eine geringe Schicht der Erdoberfläche lose verteilt, ist
-seinem innersten Wesen nach zwar seit alters ein wahrer Ahasver und
-Proteus zugleich an Zähigkeit, wenn man ihm Zeit läßt, sich gegen
-äußere Bedingungen langsam einzustellen und raffinierteste Anpassungen
-fertigzubekommen. Es ist aber ebenso schwach, wehrlos, hinschmelzend
-wie eine Qualle in der grellen Sonne, hinsprühend wie eine Hand voll
-Spreu in der Flamme gegenüber jeder katastrophalen Bedrohung.
-
-Ein paar Stichflammen, wie jene schauerliche von Martinique, die in
-einem Moment über dreißigtausend Menschen vernichtete, durch die
-Kontinente rasend, würden das Land sofort veröden, eine auch nur
-momentane Erhöhung der Meerestemperatur auf Siedehitze die Ozeane.
-Als letzte Überlebende dürften noch Sporen von Milzbrandbakterien,
-die hundert Grad trockener Hitze aushalten, und gewisse Algenpflanzen
-der heißen Quellen des Yellowstoneparks in Nordamerika eine Weile
-ausdauern, binnen kurzem aber natürlich auch ohne Erfolg. Der Mensch
-mit heutiger Technik wäre jedenfalls längst vorausgegangen im Tode.
-
-Unwillkürlich verweilt der Gedanke auf dem Antlitz dieser Menschheit
-bei sich nähernder Gewißheit eines solchen Endes.
-
-Es wäre eine letzte, furchtbar ernste Probe auf unsere geistige Kraft,
-auf den letzten Stärkeschatz, der sich angesammelt im Verlauf dieses
-wunderbaren, unwahrscheinlichen Märchens, das wir als Entwickelung der
-Menschheit und Menschenintelligenz auf dieser Erde haben.
-
-Noch einmal würden sie wohl beide in letzter Kraft erscheinen, die
-beiden Gestalten, die um diesen Menschen immer wieder gerungen haben
-in all den Jahrtausenden seiner Geschichte: das alte Raubtier,
-das mit allen Mitteln die Erdherrschaft an sich riß, das von dem
-alten Kannibalenhügel von Krapina, wo sie noch Neandertalmenschen
-geschlachtet haben, bis auf unsere Zeiten immer auf einer roten
-Spur von Blut durch diese Geschichte gewandelt ist; und das ewige
-Sonnenkind, das aus der anderen Tiefe der Natur, aus der schon der
-Paradiesvogel den Sinn nahm, spielend seine Hochzeitslaube mit
-bunten Federn und Beeren zu schmücken, die Kunst zog, das auf Denken
-und hingebende Forschung, auf Weltanschauung, auf Liebe und Ethik
-loswanderte, als die großen Neuländer, die mehr waren als alle noch so
-hoch gesteigerte Raubtierkraft.
-
-Die Energie brutaler Rücksichtslosigkeit würde sich noch einmal
-ausleben wollen, fast glücklich, daß sie endlich noch einmal alle
-Fesseln brechen kann, mit denen sie wenigstens die Kritik des
-verfeinerten Menschentums heute überall eingeengt hat; wie eine kleine
-Explosion notdürftig gebändigter, unter den Kulturdruck gestellter
-Innengewalten und Urgewalten des Menschen selber würde das schon bei
-dem Gedanken an den Untergang entlastet vorbrechen, ehe noch jene
-zerstörende Entlastung des Planetenkerns der Erde begönne.
-
-Aus einer andern wieder entlasteten Schicht würde über Tausende und
-Tausende von uns die Gedankenwelt sich noch einmal als zäher Lavastrom
-ausbreiten, wie sie in ihrem typischsten noch lebenden Beispiel Sven
-Hedin kürzlich so anschaulich aus den Klosterstädten Tibets geschildert
-hat: jene absolute Einstellung des ganzen wirklichen Lebens auf die
-Welt eines geglaubten anderen, nachkommenden. Der Glaube, der Menschen
-veranlaßt, viele Jahre ihres Lebens in einer bis auf einen schmalen
-Spalt zugemauerten Zelle freiwillig zu verbringen und tagaus tagein, ob
-nun die Sonne draußen scheint oder Wolken die Dinge verfinstern, den
-ganzen Inhalt dieses Lebens auf das ewig gleiche mechanische Drehen
-einer Gebetmühle zu verwenden, im felsenfesten Vertrauen, daß so eine
-bestimmte Suggestion auf dieses Jenseits ausgeübt werde!
-
-Umgekehrt würde für diesen fieberhaften letzten Moment aber zweifellos
-auch noch einmal das wie eine wirkliche Lösung, ein wirklicher Trost
-hervorblühen, was dem armen, ringenden, blutenden Einzelmenschen
-so unzählige Male immer wieder schon in diesem Leben geholfen hat:
-der göttliche Leichtsinn des Menschen mit all seiner Grazie und
-Liebenswürdigkeit; der heilige Leichtsinn, der sich, wenn unten die
-Pest als Schnitter durch die Garben geht und uns alle mähen wird, in
-eine lustige Halle setzt und Boccacciosche Märchen erzählt, dem Tode
-einen goldenen Becher zutrinkt aus dem Wein, den sonst erst die Enkel
-haben sollten, und von der heißen Lippe des schönen Mädchens geküßt
-wird, von dem ihn sonst alle heiligen und profanen Wasser dieser Erde
-auf ewig hätten trennen müssen.
-
-Schließlich glaube ich aber doch auch noch an ein letztes kleines
-Häufchen von Menschen (Fazit des reinsten Entwicklungsgoldes der
-Menschheit heute schon, wenn es auch nur eine kleine Schar ist), die im
-Anblick des rot aufstrahlenden Himmels der Götterdämmerung das Beste
-aus all diesen wechselnden Zügen der Kraft nach bewähren würden ohne
-die Schlacken; die aus der eisernen Stärke des wilden Kämpfers, aus dem
-tiefsten Sehnen und Resignieren des echten religiösen Kerngehalts, wie
-aus dem sprühenden Trotz, der dem Tode zutrinkt, endlich den Heldenmut
-der freien Seele in diesem letzten Scheidefeuer sich schmieden würden,
-von dem des Dichters Wort gilt:
-
- »Wenn etwas ist, gewalt'ger als das Schicksal,
- So ist's der Mut, der's unerschüttert trägt.«
-
-... Auch ein solcher Mensch würde aber doch die ganze Trauer empfinden,
-die uns beim Tode eines Jünglings ergreift. Die Mummelgreise des
-blasierten Denkens lügen ja: die Menschheit ist noch nicht alt. Sie ist
-noch jung bis zur grünsten Dummheit. Sie wollte erst anfangen, wollte
-erst beginnen, etwas zu leisten. Erst eben fing eine endlose dunkle
-Naturarbeit an, in ihr einen Sinn zu bekommen. Nun ein glühender Hauch,
-und das alles soll wieder umsonst gewesen sein.
-
-Vielleicht registrieren sie das Aufflammen der Erde auf einem andern
-Stern. Einmal wieder eine kleine kosmische Veränderung. Wer weiß, nach
-wieviel Zeit erst. Das Licht nimmt ja vierzigtausend Meilen in der
-Sekunde und braucht doch Jahrtausende bis zu den entfernteren Sternen
-unseres Milchstraßensystems. Dort schieben sich die Geschehnisse durch
-die verspätete Lichtpost immer weiter und weiter zurück. Wenn die Welt
-wirklich, wie der Kalender will, erst um 3761 v. Chr. erschaffen worden
-wäre, so müßte dieses merkwürdige Ereignis für unsere Gegend schon auf
-Sternen von mittlerer Entfernung jetzt noch unmittelbar beobachtet
-werden.
-
-Nehmen wir an, es sei nicht zu einer vollkommenen Explosion des
-Erdinnern gekommen, sondern es hätten bloß die Springfluten
-und Basaltergüsse beim nahen Vorbeipassieren eines himmlischen
-Störenfriedes die Menschheit vernichtet, so wäre es denkbar, daß nach
-Äonen andere, mit weit erhöhter Technik wandernde Intelligenzwesen
-diesen toten Ball besuchten. Vielleicht, daß sie bei künstlichem
-Licht durch Schachte in die rätselhafte ungeheure Erstarrungsdecke
-des ehemals glühend ausgeströmten Basalts eindrängen, wie wir heute
-uns mit Fackeln hinableuchten lassen in die gespenstischen Räume des
-Theaters von Herkulaneum, über das einst die heißen Schlammströme des
-neu explodierenden Vesuv geflossen sind. Wie in jenem verschütteten
-Theater würde da und dort eine Stufe, ein Säulenrest, eine geköpfte
-Statue, eine Inschrift von der toten Menschheit zeugen und staunende
-Neugier, gemischt mit einem Gefühl des Grauens, wecken. Ein
-verklungenes Märchen, in der Nacht, der Tiefe versunken. Wie Atlantis,
-wie Vineta der Sage. Nicht einmal seine Glocken klingen mehr. Lava
-hält energischer im Bann als Wasser. Das ausgeträumte Märchen der
-Menschheit ...
-
- * * * * *
-
-Lassen wir die Grauen und nehmen ein ganz aktuelles, überaus anmutiges
-Naturbild.
-
-Die meisten von uns haben es in den letzten Tagen des Januar dieses
-Jahres genossen.
-
-Nicht als Götterdämmerung, sondern in ihren gewohnten roten Abendfeuern
-ging die Sonne zur Rüste. In dem zauberhaften Farbenbogen, der aus
-duftigstem, durchsichtigstem Orangegelb, Mattgrün und ganz oben
-Violettblau sich noch eine Weile leise abklingend im Westen hielt, trat
-plötzlich hineinblitzend und dann rasch im eigenen Weißfeuer wachsend,
-bis sie als neuer Mittelpunkt das Ganze beherrschte, die Venus vor.
-Dieser schöne schneeweiße Planet, der uns so nahe ist und von dem wir
-doch so rein gar nichts wissen, weil ein ewiger dichter Wolkenschleier
-zäh das Geheimnis seiner Oberflächengestalt hütet.
-
-Dann aber, rechts von dem strahlenden Auge des Abendsterns, jetzt
-ein zweites, ganz feines Himmelsgebilde. Wie ein phosphoreszierendes
-Federchen eben hingehaucht vor den blassen Kristall des abdunkelnden
-Himmels. Ein schwaches Sternchen, das aussah, als sei es an der
-freien Wölbung da oben ein Stückchen weit auf die Sonne zugekrochen
-und habe dabei eine feine Silberspur auf dem Untergrunde hinterlassen.
-Im Fernrohr erschien ein goldener Kern in einer weißlich verwaschenen
-Nebelhülle, nicht unähnlich einem ausgeschütteten rohen Ei; von dem
-floß jene Silberspur dann als langer Schweif aus, mit der starren
-Geradlinigkeit nicht eines Körpers, sondern viel eher eines breiten
-weißlichen Lichtstrahls. Nahm man den Kern als ein gelbes Schiffchen,
-das in einer Nebelwolke fuhr, so ergab sich mit großer Anschaulichkeit
-auch das Bild eines Scheinwerfers, mit dessen langem schleppenden
-Lichtbande die Gegend jenseits der Sonne von Bord aus abgesucht wurde.
-
-Dieses höchst eigenartige Gebilde, das ein paar klare Abende lang
-die allgemeinste Aufmerksamkeit auf sich zog, um dann still wieder
-zu verschwinden, wie es gekommen, war der sogenannte Komet von
-Johannesburg. Bahnschaffner im fernen Kapland, wo Johannesburg mit
-Kapstadt durch eine Schienenlinie verknüpft ist, hatten von einem
-andern kommenden Kometen gehört und zuerst die Kunde verbreitet, daß
-jetzt wirklich ein Komet am Westhimmel glänze; es war aber nicht der
-erwartete, sondern ein ganz neuer.
-
-Aus den ungeheuren Raumesfernen zwischen der Sonne und den nächsten
-Fixsternen kam dieser Komet herangewandert, wie ein Zugvogel in
-den Schleiern der Nacht kommt. Wie solchen Vogel wohl die jäh
-auftauchende Flamme eines Leuchtturms auf einer einsamen Klippe über
-den nachtverhangenen Wassern ablenkt, daß er sich wie gebannt vom
-Licht ihr nähern muß, so wirkte bei einer gewissen Nähe mit bestimmtem
-Zuge auch unsere Sonne auf den kosmischen Wanderer. Er stürzte nicht
-mehr geradlinig fort wie ein Stein, der in den unendlichen Brunnen der
-Raumesewigkeit geworfen war. Er bog aus, beschrieb eine Kurve um den
-Sonnenleuchtturm.
-
-Im Ganzen war es nur eine kurze Episode. Eine Verbeugung ohne
-Verweilen. Sehr bald sollte ihn wieder die alte ungestüme Kraft des
-freifallenden Körpers in der offenen Raumesöde packen und davonstürzen
-lassen in den Brunnengrund des Alls. Aber in der kurzen Spanne, da
-der kosmische Zugvogel in einem raschen Bogen an der strahlenden
-Leuchtturmkuppel näher hinglitt, als wolle er sie wirklich einmal
-ganz umkreisen: in diesem flüchtigen Moment geschah es, daß von einer
-kleineren einsamen Klippe in der Nähe der großen der vorbeischwebende
-Vogel _gesehen_ wurde.
-
-Diese Klippe empfing ihr Licht ganz von dem Leuchtturm. Auf ihr aber
-standen Hütten; Menschen wohnten dort. Und diese Menschen beobachteten
-vorübergehend den seltsamen Wanderer. Die Gelehrten erkannten in ihm
-etwas wieder, was man schon öfter beobachtet hatte, eine besondere
-Spezies kosmischer »Vögel«. Komet nannte man solche Gebilde seit
-alters; das Wort heißt Haarstern; also ein Stern, der hinter sich her
-ein langes silbernes Gelocke wallen läßt: den Schweif.
-
-Es ist aber ein recht sonderbares Ding gerade um dieses Sternenhaar.
-
-Wenn der Komet einsam da draußen, sonnenfern durch den unermeßlichen
-Brunnen des Raumes einfach fällt und fällt, besitzt er keinen Schweif.
-Er gleicht dann wirklich einem kleinen Sternchen gewöhnlicher Art, nur
-blasser, verwaschener. Etwas von einem Wölkchen hat er wohl immer,
-nur daß es jetzt noch ein rundes punkthaftes Wölkchen in kompaktester
-Zusammenziehung ist. Aber indem die engere Kurve an der Sonne vorbei
-beginnt, ändert sich da etwas.
-
-Das Kernköpfchen hat sich im Bann dieser Sonne, wie gesagt, bequemt,
-eine kleine Reverenz zu machen. Aber dabei ist es jetzt vielfach
-wirklich, als werde etwas in seiner Frisur unruhig. Wie Haar, das
-sich sträubt, wogt seine Nebelhülle von dem eigentlichen Sternkopf
-empor. Erst ist es, als fasse die Magie der nahen Sonne sie stärker.
-Auf wallt sie gegen die Sonne hin. Aber alsbald auch scheint die
-Sonnenhand wieder abzuwinken. In der gesträubten Masse über dem
-Kometenhaupt entsteht ein Scheitel: rechts, links fließen für unsern
-Anblick die Nebelhaare des wunderlichen kosmischen Gesellen rückwärts
-gegen sein Hinterhaupt, entgegengesetzt zur Sonne, ab. Dort aber
-entfalten sie jetzt, als löse sich nochmals ein engeres Gewebe, erst
-ihre ganze Länge. Wie mit einem unsichtbaren Kamm strähnt die Sonne
-sie weit, immer weiter von dem Kometenkopf fort, bis sie als endloser
-Nebelschweif hinauswallen in den Raum, der die Sonnenklippe von den
-andern Klippen des Systems trennt. Immer aber weht dieser Schweif fort
-von der Sonne, so lange der Komet im ganzen seine Sonnenreverenz macht.
-
-So entsteht jenes famose Bild eines kolossalen Scheinwerfers,
-der nach zähestem Gesetz nie auf die Sonne selber, sondern immer
-entgegengesetzt gerichtet werden muß. Und das eigentlich ist es, was
-für uns auf der fernen Erdenklippe die größeren Kometen zu einem so
-wunderbaren Schauspiel macht: dieser erst sich entwickelnde Schweif
-in der Sonnennähe, dieses plötzlich erst losgebundene und wie in
-einem magischen Sturm von der Sonne weggewehte Lockenhaar gerade in
-der Zeit, da doch im ganzen die anziehende Kraft dieser Sonne diesen
-Gesamtkometen so gepackt hat, daß er in kühnster Schwenkung ganz nahe
-an ihr vorbei muß; so nahe, daß dem Rechner bangt, ob es dem Kopf
-nicht gehen werde wie so manchem Zugvogel auf unserem Helgoland, der
-direkt auf Tod und Verderben bei zu kurzer Kurve wider die Kuppel des
-Leuchtturms selber prallt.
-
-Der Komet von Johannesburg trat erst in unsere Schau, als er bereits
-in voller Pracht seines weithin wallenden Schweifes florierte. Wir
-hatten von unserm Klippenstande aus sein Herankommen zur Sonne und die
-Schweifentwickelung also selbst nicht beobachten können. Erst als die
-ganze Locke längst majestätisch dahinwogte, glänzte er plötzlich vor
-uns auf. Schon aber ging auch sein ganzes Sonnengastspiel damit zu
-Ende. Keinerlei wirkliche engere Gemeinschaft fesselte diesen Wanderer
-dauernd an unsern Leuchtturm. Frei sollte er jetzt wieder hinausfallen
-in den Brunnen der Unendlichkeit. Mit der Sonnennähe muß aber zugleich
-auch sein »Haarsträuben« wieder abnehmen, die erregten Nebellocken
-werden wie ermattet wieder sinken, der geheimnisvolle Zug, der die
-langen Strähnen von der Sonne fortjagte, muß im gleichen Verhältnis
-schwächer werden, wie der ganze Kometenkopf die Sonnenanziehung
-verläßt und selber wieder auf eigene Faust in die dunkle Weite strebt.
-Als wieder beruhigtes, gleichsam wieder ganz eingerolltes, ringsum
-geglättetes Sternköpfchen würden wir das seltsame Gebilde endlich
-verschwinden sehen, wenn wir ihm so lange mit unserm freien Blick
-folgen könnten.
-
-Das Erlebnis dieses Johannesburger Kometen ist, wie gesagt, nur eines
-unter vielen. Wenn noch einmal das Gleichnis des Zugvogels gelten
-soll, so muß aus den Tiefen des Raumes zu unserer Sonne herauf ein
-unablässiger Wanderstrom solcher Vögel erfolgen. In dichtem Zuge
-kommen sie, schweben an, umkreisen die Leuchtklippe unseres Systems
-halb und entschweben wieder, einer nicht endenden Kette himmlischer
-Wildgänse gleich, in deren beständigem Zuge durch die Äonen der Zeit
-das momentane Abbiegen, die kleine Halbkurve vor dem Hemmnis der
-Sonnenklippe durchweg nur ein winzigstes Intermezzo ist.
-
-Durchweg; doch nicht immer. Es gibt Fälle, wo der Wanderer dauernd
-gefesselt wird.
-
-Denken wir uns im Bilde der Wildgans einen Vogel, der bei zu tiefem
-Fluge nicht einer einzelnen Klippe begegnet, der er in einer Kurve
-ausweichen kann. Er soll in ein Gewirre himmelhoher Schären geraten;
-wo er hin will, sperren ihm neue Klippenzacken den geraden Weg; ratlos
-beginnt er um die Hauptklippe zu kreisen. Das ist nach Lebensanalogie
-gedacht. Streng bloß auf Schwereverhältnisse umgesehen, bedeutet
-es für den Kometen, daß er bei seiner Kurve zu eng in die gesamten
-Anziehungslinien eines Systems, wie es unser Sonnensystem darstellt,
-sich hineinverheddert hat. Dieses System ist ja ein unendlich
-verwickelter Zugapparat. Von allen Seiten zerrt und drängelt es da.
-Eine gewisse zu kühne Kurvenwendung zur Sonne: und der Komet rollt
-nicht mehr über sie hinaus, sondern muß auch auf der andern Seite in
-eine Kurvenbiegung hinein. Die Halbkurven schließen sich aneinander zum
-gestreckten Kreis: der Komet ist gefangen von der Sonne.
-
-Nun muß er dauernd gleich den schon vorhandenen Planeten um die große
-Leuchtklippe kreisen. Die alten Planeten selber helfen ihn dabei
-gründlich abfangen. Speziell unser System ist darin bedenklich für
-solche Eindringlinge, daß es eine leise Neigung zu dem hat, was bei
-andern am Fixsternhimmel sichtbaren vielfach offen proklamiert ist,
-nämlich zur Bildung eines Doppelstern-Systems. Der Planet Jupiter vor
-allem ist so groß, daß er neben der Sonne wirklich schon fast eine Art
-Nebensonne spielt, mit der zusammen im Kräftespiel die Zugverhältnisse
-eines Doppelsterns beginnen. Der Jupiter wird, sobald ihm ein Komet
-zu nahe kommt, auch schon zum gefährlichsten Beuger und Ablenker. Im
-Engeren wie als Gesamtaddition wirken aber auch alle andern Planeten
-schon mit. Kurz: in so und so viel Fällen wird es dem Kometen
-unmöglich, wieder loszukommen. Aus der flüchtigen Reverenz wird eine
-Vasallenschaft. Mag er noch so regellos, ohne allen Anschluß an die
-alten Verträge der Glieder gerade dieses Systems hineingeplatzt sein;
-mag er rückwärts laufen in der Richtung, wo alle Planeten vorwärts
-gehen; mag er mit seiner Bahn sozusagen auf dem Kopf der andern stehen;
-mag er in der Not einen Kreis zur Sonne als Bahn bekommen haben, der
-das schier unmöglichste an Kreisstreckung duldet; mag er bei jedem
-Sonnenumlauf alle Planetenbahnen schneiden mit einer Kühnheit, die alle
-Urverträge hier geradezu zum Spott macht: mitlaufen muß er zunächst auf
-gut Glück um die Sonne, wie die Planeten es allgemein vertragsmäßig
-tun. In geschlossener Bahn, die nach gewisser Zeit allemal wieder in
-sich selbst zurückführt.
-
-Ein solcher Komet, den die Sonne zu irgendeiner Zeit einmal aus dem
-großen Brunnenabgrund des freien Raumes eingefangen hat, ist nicht der
-Johannesburger; wohl aber ist es der andere, der seit kurzem in aller
-Welt Munde ist, der berühmteste, denkwürdigste Haarstern unserer ganzen
-menschlichen Kultur überhaupt: _der Halleysche Komet_; benannt nach dem
-großen englischen Mathematiker und Astronomen Edmund Halley, geboren zu
-Haggerston bei London 1656, nach einem Leben voll intensivster Arbeit
-und glänzendstem Erfolge als Beobachter, als Rechner, als Weltreisender
-im Dienste astronomischer und magnetischer Spezialuntersuchungen,
-zuletzt als Direktor der weltberühmten Sternwarte zu Greenwich
-gestorben 1742.
-
-Als jene schlichten Entdecker im Januar den Johannesburger Kometen
-auffanden, meinten sie, er sei selber der Halleysche. Bis dorthin also
-war bereits die große Sensation gedrungen, die gegenwärtig bei uns die
-breitesten Wellen schlägt. Etwas ganz Ungeheuerliches, so hören wir,
-soll sich nämlich in diesem Jahre (1910) mit dem Halleyschen Kometen
-zutragen.
-
-Der Separatvertrag, zu dem dieser Halleysche Komet seit seiner Aufnahme
-in unser System vom Gesetz der Schwere gezwungen wurde, lautete auf
-eine Umkreisung der Sonne in (rund gerechnet) je 76 Jahren. Umkreisung
-ist dabei aber nicht so zu verstehen, daß der Komet in einem echten
-mathematischen Kreise laufen müßte. Er verfolgt nur eine Bahn, die nach
-Art des Kreises wieder in sich selbst zuletzt zurückläuft. Im übrigen
-hat sie die Gestalt eines langgestreckten Eies. Ihre eine Ecke ragt bis
-über die Bahn des äußersten uns bekannten Planeten, des Neptun, vor,
-ihre andere biegt dagegen noch weit innerhalb unserer Erdbahn ganz nahe
-um die Sonne herum. Alle 76 Jahre muß der Komet also einmal bis über
-die Neptunbahn hinaus und einmal zwischen dem Abstande der Erdbahn und
-der Sonne durchschweifen. Da er immer langsamer bummelt, je mehr er
-sich in dieser Zeit von der Sonne entfernt, bleibt er aber den größten
-Teil der 76 Jahre in den entlegeneren Regionen, so fern von uns, daß
-wir ihn von der Erde aus gar nicht wahrnehmen können. Wie ein Rennpferd
-in einer ungeheuer ausgedehnten Arena entzieht er sich selbst dem mit
-Ferngläsern bewaffneten Blick der Insassen unserer Erdenloge, die so
-relativ nahe dem einen Ende des Zirkus, der Sonne, liegt. Und erst
-ganz dicht vor dem Termin, da für die Sonnenecke die 76 Jahre wieder
-einmal abgelaufen sind, sehen wir ihn jedesmal plötzlich auftauchen.
-In rasendem Tempo stürmt er dann daher, um in vollem Galopp die
-Sonnensäule zu nehmen.
-
-Seit man die Ziffer seines Umlaufs im Ganzen kennt, ist es diese
-kurze Spanne je im 76. Sonnenjahre, wo man die Ferngläser nach der
-Gegend, von wo er kommen kann, zu richten beginnt. Und man wußte nun
-längst schon, daß mit der Wende von 1909 zu 1910 dieser Termin wieder
-einmal eingetreten sei. Das wilde Roß mußte auftauchen. Und es ist
-aufgetaucht, programmäßig wie je.
-
-Zuerst nur im stärksten Fernrohr; dann bereits im schwächeren;
-endlich an der Grenze des bloßen Auges; binnen kurzem wird es jeder
-mit freiem Blick genießen können, obwohl innerhalb gewisser Grenzen
-der Pracht; denn gerade der Halleysche Komet ist zwar, wie gesagt,
-der denkwürdigste aller Kometen, aber er hat deshalb nie zu denen
-allerersten Ranges an Schönheit der himmlischen Entfaltung gehört.
-
-Aber eine andere Kunde sichert ihm dafür gerade diesmal das allergrößte
-Interesse in der ganzen Kulturbreite des Menschenvolkes, das die
-Erdenloge füllt.
-
-Bleiben wir einmal einen Moment bei dem Bilde des Zirkus. Hier sitzen
-wir in der Loge. Nahe vor uns steigt in strahlender Pracht die eine
-goldene Meta auf, die ragende Säule des diesseitigen Eckziels, um das
-der Renner oder das Gespann, was es nun sei, herumsausen müssen. Lange
-harren wir. Da endlich dampft eine dicke Staubwolke auf, es kommt,
-es kommt. Aber auf der goldenen Metasäule wird gleichzeitig etwas
-Besonderes inszeniert. Ein großer Ventilator ist dort in Kraft gesetzt,
-dessen schwirrende Drehräder den Staub des Wettrenners beständig von
-der blanken Meta selber wegblasen, daß er jenseits in weitem Zipfel
-in die Arena hinausschatten muß. Jetzt der höchste Moment: der Renner
-umsaust die Metaecke. Im Moment aber, da er unter brausendem Jubel
-genau zwischen der Goldsäule und unserer Loge durchpassiert, geht
-über uns die äußerste Ecke des senkrecht von der Meta fortgetriebenen
-Staubzipfels als flüchtiger Schleier weg.
-
-Der Renner, der sich in rasendem Laufe heranstürzt, ist der Halleysche
-Komet. Die goldene Meta, die er nehmen muß, ist (nach Ablauf wiederum
-von 76 Jahren) die Sonne. Die Loge voll gespannter Beobachter nahe
-dieser Meta ist die Erde. Dicht gedrängt stehen sie in höchster
-Erwartung, viele mit Gläsern vor den Augen. Der Komet ist aufgetaucht,
-in eine geheimnisvolle Nebelwolke gehüllt. Je mehr er sich der
-strahlenden Sonne nähert, desto deutlicher ist es aber, als blase
-von dieser Sonne irgendwie etwas in den Dunst hinein und jage ihn in
-langem staubartigem Schweif beständig senkrecht von der Sonne selber
-fort weit in die Planetenarena hinaus. Und nun ein höchster Moment
-auch hier: der Komet passiert für eine kurze Spanne genau zwischen der
-umbogenen Sonnensäule und unserer Erdenloge hindurch. Jenes Etwas, das
-den Schweif des Kometen senkrecht von der Sonne abpustet, richtet seine
-Kraft für einen flüchtigen Moment genau auf uns. Und der Schweif ist so
-lang, daß er durch die ganze Arenabreite von dem dampfenden Renner aus
-bis zu uns tatsächlich herüberschleift: seine äußerste Spitze erreicht
-uns, streift uns, fegt über uns fort ...
-
-Im Zirkus gibt es etwas Staubschlucken, Knirschen auf den Zähnen,
-Streichen mit dem Taschentuch. Die allgemeine Begeisterung über das
-große Schauspiel reißt rasch darüber fort. Wie aber wird das Bild
-hier weiter passen? Wie wird es werden, wenn der Schweif des Kometen
-wirklich über unsere Erde fegt?
-
-Als Datum, an dem der Halleysche Komet eine Stunde lang zwischen Sonne
-und Erde durchpassiert, ist (falls nicht noch unberechnete Störungen
-der Bahn eintreten) die Nacht vom 18. zum 19. Mai dieses Jahres
-angesetzt.
-
-Kurz vorher, um den 1. Mai, fegt der Kometenschweif aus viel größerer
-Nähe über die Venus. Falls den planetarischen Logen durch den
-kometarischen Staubwirbel ernsthaft ein Schaden geschehen sollte,
-würden wir also schon zu diesem früheren Termin den Effekt an der
-Venus studieren können. Wenn die Loge dort in äußerlich sehr grober
-Weise unter einem Sandsturm einstürzen oder durch sprühende Funken
-in Brand gesetzt werden sollte, so werden wir das auf jeden Fall
-mit ansehen, ehe es uns selber noch entsprechend geht. Feinere
-Wirkungen, die speziell nur das zarte planetarische Häutchen des
-Lebens betreffen würden (ob es ein solches auch auf der Venus gibt,
-wissen wir unmittelbar überhaupt noch nicht), ließen sich allerdings
-auch so nicht ablesen. Zum Beispiel, wenn der Staub so dick wäre,
-daß die Logeninsassen rein an ihm erstickten, ohne daß die Loge im
-Ganzen zusammenstürzte. Oder gar, wenn es sich um eine Art kosmischen
-Auto-Wettrennens handelte, bei dem die Schweifwolke, die über die
-Loge fortginge, aus derartig konzentrierten Giftgasen im Sinne
-hochgesteigerten Benzingestanks bestände, daß sie alle Zuschauer
-vergiftete.
-
-Durch den realen Schweif eines fremden Weltkörpers, eines Kometen, soll
-die Erde gehen! Stoff eines weithin sichtbaren, offenbar riesengroßen
-kosmischen Gebildes soll von außen unsere Erde berühren. Es liegt
-doch eine seltsame Stimmung über diesem Moment. Wer hat das Gefühl
-nicht einmal gehabt: man geht in der vollkommenen Dunkelheit und
-zuckt plötzlich zusammen, aus dem Unsichtbaren scheint einen etwas
-zu berühren, eine Hand. Eine solche dunkle Hand aus dem All rührt an
-uns mit dem Kometenschweif. Wenn in der Nacht der Himmel sich rötete!
-Götterdämmerung ...
-
-Wenn man die Garantien sich vergegenwärtigt, die sonst unsere
-Menschenloge im All schützen, so liegt die stärkste in den gewaltigen
-Entfernungen, die im allgemeinen die großen Weltkörper voneinander
-trennen. In rascher Bewegung, mit explosibeln Substanzen innerlich
-geladen wie Bomben, bildete jeder für den andern eine beständig
-brennende Gefahr, wenn eben nicht diese starken Abstände wären.
-
-Scheiner, der ausgezeichnete Astrophysiker, hat das gelegentlich in
-ein anschauliches Bild gebracht. Denken wir uns die Sonne in den
-Größenverhältnissen der Domkuppel zu Berlin. Dann liefe der nächste
-Planet durch das Berliner Reichstagsgebäude. Die Venus schnitte durch
-Tiergarten und Humboldthain. Die Erde berührte den Bahnhof Tiergarten.
-Die Bahn des Mars läge bei Tempelhof, die des Jupiter über Spandau und
-jenseits Erkner. Saturn kreuzte Liebenwalde und Nauen, Uranus schon
-Wittenberg und Frankfurt a. O. Für den Neptun reichte Preußen nicht
-mehr überall. Er kreiste dicht vor Leipzig und schnitte Stettin und
-Magdeburg.
-
-Nehmen wir in diesen Abständen Eisenbahn- oder Hochbahnlinien, so
-wird keiner an Zusammenstöße denken; es gibt keine Weichen, keine
-bedrohlichen Gleisdreiecke. Nun aber gar in dem gleichen Bilde die
-Entfernung der Sonne und dieses ganzen Systems bis zum nächsten
-Fixstern. Wenn der Blick das Firmament sucht mit seinem Sterngewimmel
-und man hört, daß der einheitliche bleiche Schein der Milchstraße
-bloß für unser Auge entstehe durch die Zusammendrängung unendlicher
-Sternmassen auf diesem Fleck, so kann die Frage kommen, ob in diesem
-rinnenden Silbersande nicht beständig Sternenstäubchen gegeneinander
-prallen müssen. Aber was für Räume liegen in Wahrheit zwischen diesen
-Punkten, die für uns wie wehender Silberstaub durch die Himmelsweite
-regnen! Wenn die Domkuppel die Sonne ist und der Neptun durch Magdeburg
-passiert, so ist der schöne Doppelstern Alpha im Sternbild des
-Centauren, unser nächster Fixstern, nahezu um das Doppelte der wahren
-Entfernung des Mondes von der Erde von dieser Domkuppel entfernt, also
-fast zweimal 51000 Meilen. Es hat etwas Schauriges, sich die lieben
-Lichtpünktchen da oben, die so dicht gereiht glänzen und vereint die
-hübschesten Sternbilder formen, gesondert zu denken durch solche kalten
-Abgründe des Raumes, in denen den Wanderer das entsetzlichste Gefühl
-der absoluten Öde ergreifen müßte. Und doch liegt eben in dieser Öde
-die große Garantie für uns. Sie ist der heilige Grenzrain, der die
-Karambolagen verhütet, sie schützt den Frieden der Gestirne.
-
-Keine der Bahnen unserer großen Planeten kreuzt eine andere. Nur
-bei den kleinsten Körpern des Systems, wie den durchweg winzigen
-Planetoiden, kommen Schnittpunkte der Bahnen vor; der eine oder andere
-solcher Zwerge durchbricht die Jupiterbahn, einer, der Eros, schneidet
-weit in die Marsbahn hinein. Aber gerade dieses unruhige Kleinvolk
-liegt doch wie im Ganzen gebändigt und in eine ungefährliche Ecke
-zusammengestrudelt an einer bestimmten Stelle des Systems aufgehäuft,
-anstatt frei zu schwärmen; speziell unsere Erde wandelt ihm schon
-sehr fern im wieder gereinigten Feld. Eine überaus günstige Stellung
-für die Balance des ganzen Riesenapparats nehmen umgekehrt die beiden
-Kolosse darin ein, Saturn und vor allem der Jupiter, der, wie gesagt,
-dem Ganzen fast den Charakter eines Doppelstern-Systems gibt. Man kann
-das ohne direkte Teleologie so ausdrücken, daß man sagt: die Balance
-des Ganzen war eben nur möglich bei solcher Einstellung, und nur als
-diese Lage sich endlich fand, erhielt das System endlich Dauer; das
-entspricht dem Darwinschen Gedanken von der Erhaltung des Passendsten
-aus vielen durchgeprobten Möglichkeiten; so lange sind die Dinge in
-Urzeiten vielleicht immer wieder zusammengebrochen, bis sich die einzig
-mögliche Dauerform endlich in dieser Anordnung herausgelesen hatte.
-Gegen die geschichtliche Deutung in diesem Sinne ist gar nichts zu
-sagen, aber das Resultat, das uns heute die glücklichste Stabilität der
-ganzen Flugmaschine unseres Systems garantiert, bleibt das gleiche für
-uns.
-
-Alfred Russel Wallace, der alte Mitstreiter Darwins, hat gelegentlich
-ein dickes Buch darüber geschrieben, wie ausgesucht sicher für
-eine lange ungestörte Fortexistenz intelligenter Wesen doch gerade
-unsere Erde inmitten all dieser kosmischen Garantien sei. Mit den
-sinnreichsten astronomischen Einfällen und Aussichten hat er das
-durchgeführt. Herr Wallace ist, obwohl er selber seinerzeit der
-Mitbegründer jener Theorie der natürlichen Zuchtwahl war, heute
-der wunderlichen Ansicht, in uns Menschen steckten nicht nur
-höchstentwickelte Intelligenztiere unseres Planeten selbst, entwickelt
-hier in der jahrmillionenlangen ungestörten Ruhe dieses Planeten. Ihm
-sind die menschlichen Gehirne vielmehr Wohnstätten fernher gewanderter
-kosmischer Geister; aber diese Geister sollen sich eben die Erde
-ausgesucht haben als gesichertste Wohnstätte im All. Eine spaßhafte
-Idee an sich, die aber doch in der Phantasie eines kenntnisreichen und
-geistvollen Forscherkopfes dafür zeugt, _wie_ sehr sich die glückliche
-Raumlage der _Erde_ aufdrängt, von wo immer man an sie herangehe.
-
-Auch wer in die Zukunft spekulieren will, sich denkt, daß dort einmal
-die Planetenbahnen sich änderten, daß die Sonne erkalten könnte, daß
-nach Tausenden vielleicht von Billionen von Jahren die Eigenbewegung
-der Sonne und der nächsten Fixsterne doch einmal zu einer uns
-mitreißenden Fixstern-Karambolage führen könnte (Dinge, die notabene
-alle heute nicht etwa bewiesen werden können, sondern im breitesten
-Spielraum des reinen Spekulationsvergnügens liegen), wird aus dieser
-bestehenden Lage doch mindestens noch eine Zukunftsgarantie für Frieden
-ohne Katastrophe auf viele Jahrmillionen hinaus zugeben müssen.
-
-Auch daß der Raum, durch den wir alljährlich einmal mit der Erde
-wandern, normalerweise niemals absolut leer ist, liegt aller bisherigen
-Erfahrung nach nicht in der Linie ernsthafter Gefahr. Feine, unsere
-Bahn kreuzende Stoffteilchen verpuffen schon an den obersten Schichten
-des großen Deck- und Puffermantels, den unsere Atmosphäre bildet,
-allnächtlich zu völlig harmlosen Sternschnuppen. Mikroskopischer
-kosmischer Staub, der sich da und dort auch aus solcher Quelle bei
-uns anhäuft (z. B. in der Tiefsee), geniert niemand. Einzelne größere
-meteorische Metall- oder Steinbrocken, die gelegentlich doch noch in
-einer gewissen derben Greifbarkeit zu uns herunterkommen, haben eine
-eigentlich verderbliche Rolle auch noch nie gespielt. An sich sind sie
-so selten und meist so unauffällig, daß lange genug wissenschaftlicher
-Streit sein konnte, ob sie überhaupt vorkämen. Das ist nun zwar heute
-erledigt, aber die Wahrscheinlichkeit, daß auch nur ein Einzelmensch
-gerade von einem Meteorstein vernichtet werden solle, liegt weit
-unter der, daß der Betreffende zweimal hintereinander das große Los
-gewinnen solle. Selbst einzelne größere Blöcke, die man nachträglich
-gefunden und mit mehr oder weniger Sicherheit als meteorisch bestimmt
-hat, können nur so minimalen Schaden auf winzigem Fleck getan haben,
-daß die geringste irdische Vulkaneruption als wahre Riesenkatastrophe
-dagegen erscheint.
-
-Alle diese normalen Verträge aber, darüber ist nun wirklich kein
-Zweifel, bricht der Komet. Er rennt unter Umständen nicht nur senkrecht
-in die Planetenkreise hinein, sondern er entwickelt auch aus sich
-heraus körperliche Größenverhältnisse, die jene planetarischen
-Zwischenräume belanglos machen. Es gibt Kometen, die in der Sonnennähe
-Schwänze von zwanzig Millionen Meilen Länge entwickelt haben. Das ist
-nahezu das Dreifache unserer kleinsten Erdentfernung vom Mars und fast
-das Vierfache von der Venus. Wenn ein solcher Komet beinahe viermal
-so weit wie die Venus von uns entfernt stände und seinen Schweif auf
-uns eingestellt hätte, müßte dieser Schweif uns noch energisch über
-den Kopf schlagen, angenommen, daß er die Beschaffenheit einer harten
-Pritsche hätte. Er könnte dabei auf der Sonne sitzen und uns doch über
-den ganzen Zwischenraum hindurch, quer durch Merkurbahn und Venusbahn,
-einen Stüber versetzen. Wenn der Komet wirklich mit einer Pritsche
-hauen kann oder wenn er uns in seinem Schweif mit etwas anpustet, das
-uns versengen oder vergiften muß, so sind wir bei solcher Sachlage
-einfach verloren. Das Damoklesschwert hängt bei der notorischen Menge
-der Kometen immerfort über uns. Das Unheil, das uns jetzt in der Nacht
-vom 18. zum 19. Mai drohen soll, ist nur die Krisis eines chronischen
-Leidens, das auch außerhalb des angesagten Termins jeden Tag ausbrechen
-kann. Der Halleysche Komet ist ja einer der wenigen in ihrem Lauf
-sicher berechneten. Andere kommen beständig unverhofft; so eben der
-Johannesburger. Wenn ihre Pritsche zufällig so liegt, daß sie zu uns
-heranlangt, kann täglich, stündlich die große Katastrophe eintreten.
-Die offene kosmische Garantielosigkeit ist hier proklamiert.
-
-Wenn ... ja, wenn der Komet eine Pritsche oder sonst irgend etwas
-Gefährliches hat. Das ist die entscheidende Frage. Was ist ein Komet?
-
-Von den Planeten wissen wir, daß sie Lokomotiven sind. Ein
-Zusammenprall bedeutete eine entsetzliche Katastrophe. Aber wenn
-von der Lokomotive eine lange Dampfwolke in die grüne Wiese hinein
-verloren wird und dieser Dampfschwaden einen Spaziergänger für einen
-Moment einhüllt, so ist das keine Katastrophe. Wenn auf dieser Wiese
-im Herbstabend Erlkönig seine Nebelschleier spinnt und die Lokomotive
-durch diese Schleier saust, so ist das keine Katastrophe. Ist der
-Komet eine kraftzitternde ungeheure Lokomotive ... oder ist er eine
-harmlose Rauchsäule, ein Nebelstreif aus den Wiesen des Alls? Sein oder
-Nichtsein für uns, das ist hier die Frage.
-
- * * * * *
-
-Still glänzt das silberne Wölkchen da oben, das jetzt nachweisbar seit
-rund zwei Jahrtausenden alle sechsundsiebzig Jahre immer einmal wieder
-in unser Menschenwesen hineingeschaut hat. Immer wieder hat es uns
-dabei in neuen Stadien dieser Frage gefunden. Wenn der Halleysche Komet
-ein Geschöpf wäre wie wir, das Erinnerungen sammeln und wiedererzählen
-könnte, so würde er uns ein merkwürdiges Buch schreiben können von Wahn
-und Hoffnung der Menschen, wie sie in diesen Abständen auch gravitiert
-haben um das dunkle Zentrum jener Frage. Zweimal tausend Jahre hat er
-uns Zeit gelassen, endlich Stellung zu ihm zu nehmen.
-
-Das Jahr 11 vor Christi Geburt ist das älteste Datum, bis zu dem man
-ihn ziemlich sicher verfolgen kann. Wenn man die je 76 Jahre nur als
-runden Wert nimmt, bedeutet das für heute also gerade das Jubiläum
-seiner fünfundzwanzigsten Wiederkehr.
-
-In Bezug auf Störungen wie Zerstörungen (wir haben von diesem Begriff
-bei Kometen gleich noch zu reden) muß er in dieser langen Zeit eine
-relativ recht glückliche Lage gehabt haben, es steht also nichts im
-Wege, sich zu denken, er komme in Wahrheit sogar schon viel länger.
-
-So mag er schon in die Zeiten der alten Babylonier hineingeleuchtet
-haben, in jenen ersten Frühling astronomischer Forschung, aus dem uns
-gerade über Kometen schon eine Meinung und zwar eine gleich zu Anfang
-überraschend treffende überliefert ist. Wie Fische, hieß es, tauchten
-sie ab und zu in die Tiefen ihres Meeres, der fernen Himmelsräume, so
-daß man sie nicht mehr sehen könne; zu ihrer Zeit kehrten sie aber
-wieder aufsteigend in unsere Nähe zurück. Der Begriff des wandernden
-Weltkörpers, der gleich den Planeten in einer Bahn lief, war damit zum
-erstenmal gefaßt. Und diese Ansicht sollte in der ganzen Antike bis zu
-ihrem Schluß nie mehr ganz verloren gehen.
-
-Als der Komet in die Glanztage von Hellas hineinleuchtete, war sie die
-Lehrmeinung der Pythagoreer, die sogar direkt annahmen, im Kometen
-stecke eine Art Planet. Als er aber wiederkam kurz nach dem Tode des
-Aristoteles, hatte sich eine zweite Deutung entgegengestellt, die nun
-auch ein zähes Leben haben sollte, obwohl sie den verhängnisvollsten
-Irrtum enthielt.
-
-Aristoteles lehrte, ein solcher Komet sei alles andere eher als ein
-frei kreisender Weltkörper. Eine flüchtige Erscheinung unseres engeren
-Luftkreises sei er nur; ein vom Erdboden aufgedunstetes leuchtendes
-Wölkchen also, das sich bildete und zerfloß; wir heute würden sagen:
-etwa wie ein Nordlicht, das man damals auch für brennenden Nebel hielt.
-In dieser Zeit war zwar noch nicht abzusehen, was Aristoteles für
-eine Macht werden sollte weit über die ganze Antike hinaus. Aber zwei
-Meinungen gingen fortan durch diese Antike selbst, die sich gegenseitig
-grell ausschlossen.
-
-Die erste historisch bezeugte Wiederkehr des Kometen nach Christi
-Geburt, um das Jahr 65, fiel in das Todesjahr des geistvollen
-Römers Seneca. In einem liebenswürdigen kleinen Plauderbuche über
-naturwissenschaftliche Fragen, das man vielleicht als die früheste
-erhaltene populärwissenschaftliche Feuilletonsammlung bezeichnen kann,
-bekannte sich Seneca durchaus noch zu der pythagoreischen Idee. Die
-Kometen sind ihm Gestirne wie Sonne und Mond, in festen Bahnen laufend;
-eine Zeit werde kommen, da man diese Bahnen sicher berechnen werde;
-eine erste gute Prophezeiung, die von einem feinen Kopf vor Kometen
-gewagt wurde.
-
-Aber eben in diesen Tagen lebte auch der dicke Admiral Plinius, der
-eine Art Konversationslexikon des damaligen Wissens zusammenstoppelte,
-in seiner Art ein grandioses Werk, das uns unendlich viel gerettet hat.
-Herr Plinius, der »große Meyer« also jener Zeit, urteilt selten, meist
-kompiliert er verschiedene Ansichten. Auch von den Kometen weiß er,
-daß die einen sie für echte Gestirne halten, die andern für brennenden
-Qualm, der aus Feuchtigkeit und Feuerstoff entsteht und sich bald
-wieder auflöst.
-
-Aber dazu bringt er nun einen aparten Qualm, aus dem plötzlich deutlich
-wird, was für eine dritte Meinung sich allmählich im Volk und speziell
-bei den Kulturrömern durchgekämpft hatte und zur Stunde unabhängig von
-aller Wissenschaft sozusagen auch offizielle Hof- und Staatsräson des
-römischen Cäsarenhauses war. Die Kometen hatten nicht nur allerhand
-seltsame Gestalten; Plinius unterscheidet Bartsterne, Schießsterne,
-Schwertsterne, Scheibensterne, Tonnensterne, Hornsterne und
-Lampensterne. Sie erschienen auch nicht nur ab und zu ganz plötzlich.
-Sondern sie _bedeuteten_ etwas. Sie selber taten uns nichts, aber sie
-verkündeten, daß etwas geschehen werde. Sie hatten sozusagen einen
-moralischen Sinn außerhalb aller unmittelbaren Naturerklärung.
-
-Diese Vorstellung führte aus allem naturwissenschaftlichen Denken
-heraus, sie war der einfache Bankerott jeglicher Wissenschaft
-überhaupt. Aber in der breiten Volksmasse jener Zeit war sie
-offenbar damals bereits längst die beliebteste, und es war bloß
-charakteristisch, daß sie jetzt auch nach oben zu sich anschickte, das
-Denken zu erobern und die dort gefundene Logik wieder zu entthronen.
-
-Charakteristisch ist aber zugleich, wie der menschliche Pessimismus
-sich mit ihr der Sache bemächtigte. An sich ist eine moralische
-Vorbedeutung doch indifferent, sie könnte auch Gutes bedeuten. Plinius
-selbst erzählt von Augustus, dem schlauen Herrschaftskünstler, der
-sich alles mit Geschick zurechtzulegen wußte, wie er einen herrlichen
-Kometen seiner Zeit, der »in allen Ländern gesehen wurde«, als
-Glückszeichen seines Regimentsantritts nahm und ihm sogar einen
-besonderen Tempelkultus weihte. Aber dieser Optimismus hielt nicht
-stand.
-
-Von allen andern Kometen weiß der große Kompilator nur Schauderhaftes
-an Vorbedeutung zu berichten, Bürgerkrieg und Blut und Gift. Mit
-einem Kometen kommt der böse Nero zur Regierung, und mitten in seinen
-Greueln taucht schon wieder einer auf, der »lange sichtbar und von sehr
-schlimmem Einfluß war«. Über den letzteren kann kaum ein Zweifel sein:
-es ist eben unser Halleyscher von Senecas Todesjahr. Also er selber
-jetzt Unglücksprophet!
-
-Alles an den Kometen dient nun dieser amtlichen Magie, selbst das
-Sternbild, vor dem sie erscheinen; geschieht es im Gestirn der
-Schlange, so bedeutet das nach Plinius Vergiftung; trifft es auf
-gewisse Leibesstellen der imaginären Sternbilderhelden, so kommen
-skandalöse Sittenzustände. Zu diesen Dingen hatte das finsterste
-Mittelalter und Nachmittelalter wenig hinzuzufügen: das ganze Rezept
-ist schon bei Plinius fertig.
-
-Viermal hat der Halleysche Komet darum doch noch in den großen
-Abendglanz der echten freien Antike hineinleuchten dürfen. Als er 373
-n. Chr. wieder in seine Sonnennähe kam, lehrte zu Alexandria noch
-der Mathematiker Theon (ein Zeitgenosse des bekannten Pappus), und
-er lehrte, wohl im letzten verglühenden Rot des Pythagoreertums, daß
-die Kometen reisende Lichtwolken seien. Dieses liebenswürdigen Mannes
-geniale Tochter Hypatia bestieg selber einen Lehrstuhl der Astronomie
-und Mathematik. Sie aber wurde, zum vollgültigen Beweise, daß die große
-Weihezeit des antiken Gedankens nun wirklich zu Ende sei, folgerichtig
-von fanatischen Mönchen auf offener Straße zu Tode mißhandelt;
-der Halleysche Komet befand sich zu dieser Zeit in der Gegend der
-Neptunbahn.
-
-Mehr als ein dutzendmal mochte er aber jetzt wiederkehren, ohne daß die
-endgültig festgefahrene Sache sich rückte und regte.
-
-Für die Wissenschaftler des Abendlandes wurde Aristoteles zur
-naturgeschichtlichen Bibel, im besten Falle blieben die Kometen also
-für mehr als tausend Jahre Kulturdenken jetzt durchaus nur brennende
-atmosphärische Dünste; kein Araber ist zum Beispiel darüber mehr
-hinausgegangen. An Stelle der Kausalerklärung für diese Qualmphänomene,
-wie sie Aristoteles selber noch gefordert hätte, trat aber in ganzer
-Breite, im Volk, bei Hof und amtlich und schließlich auch auf weitaus
-den meisten Professorenstühlen die einfache rohe Moraldeutung: der
-Brandqualm war von Gott als Fackel entzündet, damit wir aufmerksam
-wurden, es kam etwas, und zwar natürlich etwas Unangenehmes. Auf der
-katholischen wie später der reformierten Kanzel sah man im Kometen
-ein Bußzeichen. Fatales hatten die Zeiten ja genug, Pest, Hungersnot,
-Wasserfluten, Hunnen und Türken, böses Regiment und streitenden
-Glauben. In der Menge gingen Verschen um, daß ein Komet am Himmel acht
-Hauptstücke bedeute: »Wind, Teurung, Pest, Krieg, Wassersnot, Erdbeben,
-Ändrung, eines Herren Tod.« Die armen Menschenkinder hatten sozusagen
-zum Schaden den Spott. Nach ließ das Schicksal ihnen nichts, und aus
-eigener Kraft konnten sie's so rasch auch nicht andern; so stand die
-Kometenprophezeiung am Himmel wie ein Tort, bloß damit man sich auch
-schon vorher ängstige. Mit mehr Haß sind die »Lichtwolken« Theons wohl
-nie angeschaut worden als damals, wie denn sogar eine launige Sage
-einen resoluten Papst, Calixtus III., gegen unsern Halleyschen Kometen
-bei seiner Wiederkehr von 1456 den Kirchenbann schleudern läßt wegen
-ungehöriger Beunruhigung der Christenheit.
-
-Der Komet wanderte nach diesem luftigen Intermezzo abermals auf
-seine Neptunsecke zu, als zu Thorn Kopernikus geboren wurde.
-Kopernikus lebte noch, als er 1531 wiederkam. Die größte Tat
-der Astronomie war aber bereits geschehen, die neue Ansicht vom
-Bau unseres Sonnensystems handschriftlich niedergelegt und im
-engsten Freundeskreise bekanntgegeben. Sie bedeutete auch für die
-alte babylonisch-pythagoreische Lehre, nach der die Kometen in
-planetenhaften Bahnen liefen, den großen Fortschritt, daß jetzt Planet
-wie Komet ausschließlich um die Sonne statt um die Erde gingen; eine
-Ahnung dieses Sachverhalts hatte freilich in ihrer besten Zeit auch die
-Antike selber schon einmal gehabt.
-
-Gerade die Kometentheorie war aber inzwischen so verbaut worden, daß
-die Halleysche Lichtwolke noch gut zweimal wandern konnte, ehe man nur
-so weit war, den antiken Obergedanken für sie aus all dem Wust wieder
-zurückzufinden. Verlangte man doch lange nach Kopernikus noch vielfach
-bei der Zulassung eines Professors das ausdrückliche Zeugnis, daß er
-nicht nur überhaupt mit Aristoteles, sondern auch speziell mit seiner
-Kometenerklärung als brennendem Luftqualm einverstanden sei.
-
-Rücken mußten die Dinge indessen endlich doch. Die Hochflut
-astronomischer Ketzerei, die der sanfte Domherr zu Frauenburg angeregt,
-ließ sich dauernd nicht mehr eindämmen. Als der Komet 1607 wiederkam,
-bereitete sich gerade der Hauptschlag bei Galilei vor: das Fernrohr war
-erfunden worden, und wenig später kamen jene heiligen Entdeckernächte,
-da zum erstenmal ein brennendes Menschenauge die Monde des Jupiter, die
-Bergschatten auf dem Monde, die Sichelgestalt der Venus, den Saturnring
-und die Sternmyriaden in der Milchstraße sah. In diesen Nächten tagte
-es für den Geist unaufhaltsam.
-
-Der Halleysche Komet war noch nicht zwanzig Jahre wieder auf der
-Neptunfahrt, da sprach Kepler aus (was schon Tycho de Brahe vermutet
-hatte): die Kometen könnten nicht Gebilde unseres Luftkreises
-sein, denn sie ständen laut simpler Messung von zwei verschiedenen
-Beobachterposten aus mindestens höher am Himmel als der Mond. Damit
-war die Natur als »Gestirne« wenigstens wiederhergestellt, der Komet
-aus Moralqualm und aristotelischem Luftqualm neu für die Astronomie
-gerettet. Kepler selbst glaubte dabei noch an lauter fast geradlinige
-Bahnen neben der Sonne hin, so daß also niemals der gleiche Komet
-wieder zu uns zurückkehren könnte. Die Kugel begann aber zu rollen.
-Das ungeheuer beschleunigte Tempo erneut freien wissenschaftlichen
-Forschens, das sich bis heute hält, hatte eingesetzt, und vor ihm
-bedeuteten 76 Jahre, die man früher hatte verzehnfachen müssen, um
-über das einförmige Denken einer Epoche zu kommen, auf einmal einzeln
-sehr viel.
-
-Nur noch viermal ist der Halleysche Wanderer seitdem wiedergekommen,
-jede Rückkehr gab aber jetzt einen geradezu kolossalen Einschlag.
-
-Als er 1682 seine goldene Sonnenmeta nahm und dabei neu auch in
-Menschenaugen glänzte, schrieben zwar eifrige Theologen noch
-Traktätchen über die Zauberkraft des Gestirns, aus Rom berichtete man
-von einem wunderbaren, mit dem Bilde eines Kometen versehenen Ei, das
-eine Henne in solcher Kometenstunde gelegt haben sollte, und in Glarus
-exemplifizierte jemand eben an Halleys Komet noch einmal mustergültig
-hübsch in einer besonderen Schrift die vorsätzliche Zuchtruten-Natur
-aller Kometen, womit Gott den Menschen zu verstehen geben wolle, »daß
-sie sich des Rutenschlagens öfters sollten erinnern«.
-
-Aber in der ernsten Gelehrtenzelle gingen Dörfel und Bernoulli
-zur gleichen Stunde schon unbeirrt an die Bahnberechnung dieser
-Eierzauberer und Gottesruten.
-
-Dörfel erfaßte das Gesetz der großen Bahnbiegung, die auch ein
-ursprünglich geradlinig wandernder Komet in der Sonnennähe erleiden
-müsse, er faßte also endgültig etwa das, was uns heute der
-Johannesburger Komet, den die Sonne zwar zu sich heranbiegt, aber nicht
-dauernd fangen kann, vormacht.
-
-Bernoulli träumte (im Kern auch mit einem richtigen Ansatz) von der
-engeren Vasallenschaft der Kometen zu unbekannten Planeten jenseits der
-Saturnbahn; wenn aber irgendwo eine solche Vasallenschaft »gefangener«
-Kometen schon existierte, so mußte sich auch für sie eine dauernd
-zurückführende Bahn berechnen lassen: ihre periodische Wiederkehr zur
-Sonne mußte sich vorher verkündigen lassen.
-
-Aus allem Wust und Nebel blödsinniger Prophezeiungen, die der
-Komet selber tun sollte, hob sich endlich wieder die alte Form
-wissenschaftlicher Prophezeiung vom Menschenstandpunkt aus gegenüber
-dem Kometen, wie sie Seneca schon verkündet hatte, indem er
-prophezeite, man werde noch einmal in dieser Form prophezeien können.
-
-Es war das Problem des Halleyschen Kometen jetzt selber, das erste
-Gestalt annahm, obwohl noch niemand direkt an ihn dabei dachte.
-
-1759 war nach seinem kosmischen Vertrage das nächste Jahr seiner
-Wiederkehr. Als diesmal der Termin kam, schauten vollkommen neue Augen
-auf ihn. Das Größte war inzwischen wirklich getan. Menschengeist hatte
-diesen Vertrag begriffen. Und auf Grund dieses Vertrages war die
-Wiederkehr des Kometen zu diesem Jahr auf Grund wissenschaftlicher
-Rechnungen tatsächlich prophezeit worden.
-
-Halley hatte die Tat getan. Noch einmal stand ein überragender Genius,
-einer der ganz Großen, zwischen der letzten und dieser Kometennähe:
-Newton. Seine Methode himmlischer Rechnung war für Halley schon
-maßgebend, als er 1705 eine der scheinbar einfachsten und doch damals
-noch kühnsten Vergleichungsarbeiten der ganzen Astronomie unternahm. Er
-verglich die von ihm errechneten Bahnen von drei Kometen der letzten
-beiden Jahrhunderte, von 1531, 1607 und 1682. Und aus den gleichmäßigen
-Ziffern zog er den Schluß, daß es sich um ein und denselben Kometen
-handeln müsse, der in rund gerechnet 76 Jahren je einmal in
-geschlossener Bahn die Sonne umkreise, also alle 76 Jahre auch einmal
-so in unsere Erdnähe kommen müsse, daß wir ihn sehen könnten.
-
-Damit war der Vertrag dieses Kometen in Halleys Hand. Er konnte nach
-drei sicheren Vergangenheitsziffern wagen, auch eine Zukunftsziffer
-aus ihm herauszulesen. Auf der Wende von 1758 zu 1759 mußte der Komet
-wiederum sichtbar werden.
-
-Menschengeist dringt über Äonen der Zeit, über unermeßliche Weiten
-des Raumes. Aber die enge Schale, aus der diese wunderbare Flamme
-lodert, verzehrt sich rasch selbst. Hier gilt es resignieren. Als
-Halley seine grandiose Prophezeiung wagte, stand er bereits dicht vor
-dem fünfzigsten eigenen Lebensjahr. Mehr als fünfzig Jahre sollten
-noch einmal darüber hingehen, ehe sein Komet wiederkam. Er hat ihn
-selber nicht mehr erlebt. Aber als er wirklich kam, unter höchster
-Spannung aller Wissenden genau zu dem Termin erschien: da erinnerte
-man sich, daß es »sein Komet« für alle Zeiten bleiben müßte. Statt
-einer Jahresziffer erhielt zum erstenmal ein Komet einen Menschennamen:
-Halleys Komet nannte man ihn.
-
-Einer jener glücklichen Autodidakten, wie sie in der Geschichte der
-Wissenschaft immer wiederkehren, ein Bauersmann bei Dresden, der hinter
-seinem Pfluge ging, dabei aber Botanik und Trigonometrie, Physik und
-Philosophie auf eigene Faust bis zu gründlichster Tiefe studierte,
-Johann Georg Palitzsch, hatte um Weihnachten 1758 den großen Fund
-gemacht und als erster im Fernrohr den _erwarteten_ Kometen gesehen.
-
-Das Symbol der unberechenbaren Weltordnung, die mit dem Wunder des
-Kometen das Wunder irdischer Schrecken ansagte, besiegt durch die
-Ziffern wissenschaftlicher Rechnung! Diese Wiederkehr von 1758/59,
-die in das Zeitalter Friedrichs des Großen und Voltaires fiel, zehn
-Jahre nach Goethes Geburt, ist ein Weltanschauungswert für unsere
-ganze Kultur geworden weit über alle engere Kometentheorie hinaus. Mit
-unerwartet andersartigen Zinsen zahlte sich jetzt der kühne Streich
-aus, der aus solchem himmlischen Lichtwölkchen einen _moralischen_ Wert
-gemacht hatte.
-
-Inzwischen ging der Komet selber, der jetzt an einer Stelle seines
-Systems, dem er angehörte, einen Namen besaß, wieder ungestört auf
-seine Neptunswanderung. Er überschlug die ganze Epoche Goethes und
-fand sich erst, übrigens durchaus programmäßig, im August 1835 bei uns
-wieder ein.
-
-Im ganzen war die Luft jetzt gereinigt; wir wollen milde sagen, noch
-nicht auf der ganzen Linie der Weltanschauung, aber doch zweifellos
-in der Kometentheorie. Die Kometen gehörten selbst im weiteren Kreise
-nicht mehr der überweltlichen Pädagogik, sondern dem Gravitationsgesetz
-an.
-
-Im Jahre 1770 hatte Herr Semmler, Mathematikprofessor zu Halle, schon
-als Friedensweg vorgeschlagen, es könne nichts schaden, beim Anblick
-der Kometen jedesmal an die sittliche Besserung zu denken, aber einen
-wirklichen Einfluß »in die sichtbare Körperwelt, in die Reiche,
-Republiken und Regierungen der Menschen, könne man den Kometen nicht
-zuschreiben, weil sie so weit von der Erde entfernt bleiben, daß sie
-nicht das Geringste in derselben wirken können«. Die Welt war aber
-infolge von Spinoza, Voltaire, Goethe und andern inzwischen so verderbt
-geworden, daß sie sogar über Herrn Semmler eine stille Heiterkeit nicht
-ganz unterdrücken konnte.
-
-Indessen, seltsam genug, der Halleysche Komet fand eine neue Stimmung
-vor, die doch in einem Punkte wiederum gegen die offene und helle
-Entdeckerfreude von 1759 bedenklich abstach.
-
-Gerade die damals so wundervoll bestätigte Idee, daß also wirklich
-Kometen wie echte planetarische Vasallen regelmäßig um die Sonne laufen
-könnten, hatte sich in der Zwischenzeit so fest eingebürgert, daß
-sie auch die phantasiefrohen, zu weitesten Spekulationen aufgelegten
-Elemente der Denkerwelt notwendig umfassen und anregen mußte. Nachdem
-in der jäh eingetretenen Sintflut neuer und freier Ideen die alte
-biblische Schöpfungslegende arg verschwemmt worden war, hatten sich
-alle möglichen kühnen Weltbau-Spekulationen vorgewagt. Buffon, Kant,
-Laplace hatten das Sternsystem nach natürlichen Prinzipien entstehen
-lassen. Dabei konnten zumeist doch auch die Kometen jetzt nicht aus
-dem Spiel gelassen werden. Buffon besonders baute eine grandiose
-Spekulation auf, wie ansausende Kometen in Urtagen die Sonne geradezu
-angerempelt, wie sie glühende Brocken von ihr abgerissen und in weiter
-Schwungbahn hinausgeschleudert hätten; aus solchen Sonnenbrocken
-seien die Planeten geworden. Der Komet erschien in solchem Falle
-wenigstens in seinem Kern als ein wahres Ungetüm, das über alle
-Planeten selber ging, ein rasender Stoßwidder, vor dem selbst die Sonne
-Fetzen lassen mußte. Die kosmogonischen Ideen von Kant und Laplace
-haben später diesen kühnen Weltentraum des genialen Mannes in den
-Hintergrund gedrängt; längere Zeit aber galt er als wahre »natürliche
-Schöpfungsgeschichte«, und wer sich heute die Mühe macht, ihn zu
-lesen, staunt noch immer über die Schärfe der Gedanken (mit damaligem
-Wissensmaterial natürlich) und die Herrlichkeit der Schilderung.
-
-Die Kehrseite aber war, daß die Leute den wirklich sehr nahe liegenden
-Schluß zogen, so etwas könne »rein natürlich« doch auch heute noch
-geschehen. Die Kometen passierten nicht nur heute noch höchst
-bedenklich dicht die Sonne, sondern sie durchschnitten, wenn sie
-selber periodische Sonnenvasallen geworden waren, wie der Halleysche,
-fortgesetzt Planetenbahnen. Warum also nicht auch aktuelle Gefahr
-der fürchterlichsten Karambolagen mit den Planeten? Die Erde war nur
-ein Planet ... warum nicht auch mit ihr? Kein besonderer Zorn Gottes
-... aber eine ganz reale astronomische und eben deshalb auch dem
-Nüchternsten äußerst fatal plausible Möglichkeit!
-
-Und ganz still, aber treffsicher kroch von hier das Gespenst einer
-neuen Angst in die breite Masse hinein. Nicht weil man den rechnenden
-Astronomen diesmal ablehnte, sondern gerade weil man ihm glaubte, aus
-diesem Glauben aber dann gewisse Schlüsse zog, die wieder einmal nichts
-weniger als angenehm sein konnten.
-
-Das Jahr 1835 bedeutete in dem Punkte eine wahre erste Krisis. Einmal,
-1773, war die Sache schon in Frankreich etwas akut geworden. Es hieß,
-die Fachastronomie habe bestimmt _ausgerechnet_, daß die Erde am 12.
-Mai durch einen Kometenstoß untergehen werde. Sie halte es nur geheim
-auf Wunsch der hochwohllöblichen Polizei. Ausgerechnet! Das Wort hatte
-auf einmal einen scheußlichen Klang. Kometen ließen sich errechnen.
-Kometen »bedeuteten« nicht mehr das Eintreten anderer Übel. Sie »waren«
-selber etwas. Aber dieses Etwas war nun selbst am Ende gefährlich. Und
-so stand schließlich gerade in der Rechnung diesmal der Weltuntergang!
-Der angesetzte Termin war indessen ohne Krach verlaufen und das
-hatte zunächst genügt; es scheint sogar nicht, daß kometarisch viel
-überflüssiger Wein vorher ausgetrunken und viel überflüssig geküßt
-worden ist; ein sehr realer Krach, nämlich die große französische
-Revolution, lag schon zu sehr in der Luft, und wer reserveküßte, tat
-es auf diesen »Weltuntergang«. Dagegen soll die Geistlichkeit großen
-Zuspruch gehabt haben.
-
-Gerade im Anfang der Dreißiger des neuen Jahrhunderts war aber nun die
-Sensationsbombe bei uns in Deutschland erst recht eigentlich geplatzt.
-
-Einige Jahre vorher hatte ein österreichischer Hauptmann, Wilhelm
-von Biela, festgestellt, daß ein schon mehrfach früher beobachteter
-Komet periodisch sei und zu bestimmten, diesmal sehr kurzen Terminen
-wiederkehre. Als dieser nach ihm benannte Bielasche Komet für 1832
-wieder fällig war, hieß es (ganz korrekt) aus astronomischen Kreisen,
-er habe eine so eigentümliche Bahn, daß er am 29. Oktober des Jahres
-mit seinem Kopf die Erdbahn streifen werde. Wohlverstanden: die
-Erdbahn. Das große Publikum mit Einschluß der Zeitungsredaktionen
-verstand aber nicht wohl, sondern las: die Erde. In Wahrheit war die
-Erde selbst damals gerade 11 Millionen Meilen von der kritischen
-Schnittstelle ihrer Bahn entfernt. Der bekannte Astronom Littrow mußte
-mit einer wahren Proklamation eingreifen, um eine allgemeine Panik zu
-verhüten.
-
-Aber die Angst war nun einmal eingeimpft und wollte nicht mehr zu Ruhe
-kommen. Und im Grunde hatten auch die Fachastronomen kein so ganz
-reines Gewissen beim Beruhigen. Gewiß: es lag zurzeit keine bekannte
-Kometenbahn so, daß ein Zusammenstoß unvermeidlich war. Aber eine
-Garantie gab das noch lange nicht. Entscheiden konnte nur, wenn einer
-nachwies, ein solcher Zusammenstoß sei für die Erde ungefährlich. Würde
-man das aber einmal beweisen können?
-
-Nicht seine Bahn, sondern seine Beschaffenheit war in diesem Sinne das
-eigentliche Wissens- wie Angstproblem, als der Halleysche Komet auch
-1835 pünktlich erschien.
-
-Bessel nahm ihn besonders aufs Korn, ein Mann, gleich stark als
-Theoretiker wie als Beobachter. Zum erstenmal wurde jenes erwähnte
-Phänomen sehr im Detail gesehen: wie der Komet in der Sonnennähe
-seine Hülle erst gegen die Sonne wolkenhaft hebt, dann aber ebenso
-energisch rückwärts als Schweif von der Sonne fortfließen läßt. Daß
-die Entstehung dieses Schweifs den Angelpunkt aller Theorien über die
-innere Natur der Kometenkörper bilden müsse, hatte man früh begriffen.
-Schon Kepler hatte sich daran versucht. So setzte auch Bessel hier ein
-und wagte Vermutungen. Aber noch blieb alles in der Schwebe, als der
-Halleysche Komet schon wieder in seinem entfernteren Bahnabschnitt
-verschwand. Zunächst schien er diesmal nur neue und zum Teil bange
-Rätselfragen hinterlassen zu haben.
-
-Es war sein letztes Verschwinden vor dem heutigen Termin. Noch einmal
-waren 76 Jahre Frist gegeben, um sich durch Nachdenken und Vergleichen
-mit andern inzwischen auftauchenden Kometen in der Beschaffenheitsfrage
-schlüssig zu werden.
-
-Die Rechnung selbst war allerdings nicht mehr rückgängig zu machen. Sie
-lief und läuft, und sie läuft heute auf das wirkliche und wahrhaftige
-Zusammentreffen von Erde und Kometenschweif. Diesmal ist es keine
-Verwechslung und keine Zeitungsente. Es fragt sich also doppelt
-brennend, was die letzten 76 Jahre noch hinzugetan haben, uns zu
-wappnen; denn der Streich wird diesmal (falls die Bahn sich nicht noch
-ändert) vollführt, das bleibt fest.
-
-Und da ist es denn doch noch einmal sehr viel, was wir hinzubekommen
-haben. Ja es ist das wirklich Entscheidende erst.
-
- * * * * *
-
-Zunächst haben wir einen geradezu durchschlagenden Indizienbeweis
-in diesen letzten siebeneinhalb Jahrzehnten bekommen, einen
-Indizienbeweis: daß die Begegnung mit Kometen unmöglich so gefährlich
-sein kann, wie die nächste Phantasie sie sich ausgemalt hatte.
-Folgendes der einfache Gedankengang, dessen Logik auch jeder Laie
-nachprüfen kann.
-
-Man kennt gegenwärtig etwa achthundert ungefähr beglaubigte
-Kometenerscheinungen. Dabei haben wir erst seit dreihundert Jahren
-Fernrohre und kaum viel länger ernsthafte astronomische Aufzeichnungen
-zum Zweck. Wie rasch sich bei systematischem Suchen mit dem Rohr
-die Zahl vermehren läßt, zeigen einzelne fleißige Beobachter, die
-als professionierte »Kometenjäger« allein ein bis drei Dutzend
-aufgefunden haben. Dabei kann es sich aber stets und auch bei emsigster
-Jagd nur um die Kometen des Systems handeln, die uns überhaupt so
-nahe kommen, daß man sie von der Erde sehen kann. Eine sehr mäßige
-Wahrscheinlichkeitsschätzung würde für unser ganzes Planetenbereich
-jederzeit etwa rund 6000 als vorhanden aus jener Sichtbarkeitsziffer
-für unsere zufällige Erdlage ableiten.
-
-Die Wahrscheinlichkeitsziffer der fremden Passanten, die in unser
-System hineinsausen, um es bloß einmal zu schneiden und gleich wieder
-zu verlassen, kommt schon bei noch nicht zehntausend Jahren auf eine
-volle Million.
-
-Bei solcher Sachlage ist es nicht mehr nur eine Möglichkeit, sondern
-es ist einfach eine Forderung, daß im Laufe auch nur kurzer Zeiträume
-Planeten mit Kometen zusammentreffen _müssen_.
-
-Bei den inneren Planeten muß das Durchpassieren durch die ungeheuren
-Schwänze schlechterdings etwas Gewöhnliches sein, sobald wir den Dingen
-auch nur etwas Geschichtsperspektive geben.
-
-Und auch die Erde kann sich dieser schlichten Ziffernotwendigkeit
-nicht entziehen. Wie sie heute eine Schwanzberührung erlebt, so muß
-sie es historisch schon soundso oft erlebt haben. Schon für die
-letzten hundert Jahre ist es bei der Bahnlage einzelner Kometen und
-der Riesigkeit ihrer um die Sonne geschleiften Schwänze fast nicht
-zu glauben, daß die Sache selbst da schon ohne Schwanzkarambolage
-abgegangen sein solle. Was sind aber hundert und tausend, was sind
-selbst zehntausend Jahre in der Erdgeschichte!
-
-Man ist noch nicht einmal aus der zusammenhängenden orientalischen
-Kultur damit. Dahinter aber kommen erst die eigentlichen
-Geschichtsziffern, die imponieren. Ein mehrfaches jener zehn
-führt erst etwa auf die prähistorischen Magdalenier im Vezère-Tal
-in Südfrankreich, die schon eine hohe Kunstblüte hatten.
-Jahrhunderttausende kommen mindestens auf die Eiszeit, die damals
-schon zu Ende ging. Wenn der Mensch, wie gewisse bearbeitete Steine
-(Eolithen) noch zu beweisen scheinen, mit Anfängen der Kultur bis in
-die mittlere Tertiärzeit reicht, so gibt das mehr als eine Million
-Jahre gesamtes Kulturalter. Das wahre Entstehungsalter des Menschen
-wird dann bei zwei Millionen liegen. Die geringste Schätzung für das
-Gesamtalter der geologischen Schichten unserer Erdrinde, aus denen
-wir noch erhaltene Lebensspuren entnehmen können, ergibt aber hundert
-Millionen Jahre. An ihrem Ausgangspunkt, in den algonkisch-kambrischen
-Schichten, tauchen jedoch schon so hohe Lebensformen auf, daß wir noch
-einen vielleicht ebenso langen Zeitraum davor annehmen müssen.
-
-In diesen ganzen ungeheuren Geschichtsräumen fehlt uns nun aber _jede_
-Andeutung einer _Katastrophe_ der früher geschilderten Art, wie sie aus
-dem Zusammenstoß der Erde mit einem umfangreichen anderen Weltkörper
-notwendig hervorgehen müßte.
-
-Niemals ist die Erdoberfläche darin ganz von Wassern überflutet,
-niemals mit kompaktem Basalt übergossen, niemals durch plötzliche
-Gluthitze sterilisiert worden, und niemals ist die Atmosphäre
-vergiftet worden, so daß das zarte Häutchen des Lebens eingehen mußte.
-Kontinuierlich vielmehr ist dieses Leben in all jenen Jahrmillionen!
-
-Unablässig hat es sich durch die Geschlechterfolgen weitergegeben, ohne
-Riß im ganzen.
-
-Ein ununterbrochener Stammbaum der Entwicklung verknüpft die Tier- und
-Pflanzenformen. Gewisse ältere Formen sind gelegentlich ausgestorben,
-aber niemals durch allgemein vernichtende Katastrophen, sondern langsam
-durch besondere irdische Einzelursachen.
-
-Einzelne unserer bekanntesten Tiergattungen, zum Beispiel der Igel,
-leben heute schon mindestens zwei Millionen Jahre lang unverändert auf
-der Erde fort, in ungezählten gleichzeitigen Exemplaren und unfaßbar
-vielen einander folgenden Generationen, auf Riesengebieten dieser Erde.
-Der Mensch selber ist offenbar eine solche zähe Gattung. Auf einigen
-Klippen der neuseeländischen Küste haust aber gegenwärtig sogar noch
-einer der alten Saurier der Triaszeit, die sogenannte Brückeneidechse;
-sein Alter muß nach Dutzenden von Millionen eingeschätzt werden.
-Ebenso alt ist der australische Molchfisch Ceratodus. Das wurmähnliche
-Schaltier Lingula aber lebte in gleicher Gattung schon in jener
-algonkisch-kambrischen Urepoche, die hundert Millionen Jahre hinter uns
-zurückliegt.
-
-In der ungestörten Ruhe dieser geologischen Epochen von schier
-endloser Ausdehnung haben jene Steinkohlenwälder und später jene
-Braunkohlenwälder in unendlicher Generationenfolge gegrünt, deren
-Reste wir heute als Brennmaterial verwerten: sie alle sind nicht
-durch Kometen verbrannt worden, sondern am Fleck selbst vertorft und
-versteint in reinen Friedensprozessen. Korallentiere und Kalkalgen
-haben in absoluter Friedensarbeit Riffe aufgehäuft, die wir jetzt als
-die Dolomitalpen bestaunen.
-
-Hundert und mehr Millionen Jahre! Eine so ungeheure, erdrückende
-Wahrscheinlichkeit von Kometen-Karambolagen in solcher Zeit! Und dann
-doch keine leiseste Spur einer störenden, katastrophenhaften Wirkung im
-feinsten, zartesten Erdleben in all diesen Zeiträumen!!
-
-Dieser Indizienbeweis ist erst unser heutiger Besitz. In jenem letzten
-Halley-Jahre 1835 glaubten noch fast alle Geologen tatsächlich an eine
-ganze Reihe periodisch wiederholter, entsetzlicher Katastrophen in der
-Erdgeschichte.
-
-Immer einmal wieder alle paar tausend Jahre sollte die gesamte
-Erdoberfläche einen entsetzlichen Chok durchgemacht haben. Alle
-Lebewesen waren dabei vertilgt worden. Auf dem durch und durch
-gereinigten, sterilisierten Plan hatte dann eine unbegreifliche
-Neuschöpfung stattgefunden. Nie hatte eine Tier- oder Pflanzenform sich
-lebend über eine solche Katastrophe fort in die nächste geologische
-Epoche gerettet. Das letzte große Reinmachen dieser Art hatte die
-Mammute vernichtet. Menschen konnte es mit denen zugleich also
-noch nicht gegeben haben, denn der Mensch lebte ja noch. Er war
-ein erst einige Jahrtausende altes fix und fertiges Neuprodukt des
-nachdiluvialen Schöpfungstages.
-
-Wie nahe lag es bei solchen Annahmen (die, wie gesagt, um 1835 noch von
-fast allen Fachautoritäten auf allen Lehrstühlen der Geologie vertreten
-wurden) an wirkliche Kometenstöße zu denken. Was konnte billiger die
-lebentötenden Sintfluten, Feuerschrecken, Giftgase hergeben, die der
-Geolog so verschwenderisch brauchte!
-
-Heute klingt uns das alles aber nur noch wie ein amüsantes Märchen.
-Die neuerwachende Geologie der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat
-mit all dem Spuk mehr als gründlich aufgeräumt. Die Entwicklungslehre
-Darwins hat sich mit ihr verbündet, die Gespenster jener Katastrophen
-auszuräuchern bis zum letzten Schatten. Von hier ist kein Material mehr
-zu holen, nie mehr.
-
-Geschweige, daß Kometen dem Leben auf den Kopf gefallen sind und etwa
-die Mammute totgeschlagen haben (die der Mensch selber in Masse gejagt,
-gegessen, abgezeichnet hat, die Bilder besitzen wir noch von seiner
-Hand), läßt sich nicht einmal geologisch in all den Zeiten auch nur ein
-verstärktes Fallen jener kleinen gelegentlichen Meteorsteine irgendwo
-nachweisen. Einmal hat es in junger geologischer Epoche an mehreren
-Orten kleine meteorische Glassplitter geregnet, die wir als sogenannte
-Moldavite dort finden. Vielleicht ist ein größerer Glasmeteorit damals
-an unserer Erdatmosphäre zerplatzt. Aber er ist eben zerplatzt ohne
-irgendeinen Stoßschaden zu tun; mit ein paar Glasscherben schlägt man
-das irdische Leben nicht entzwei, das so viel Vulkanausbrüchen unserer
-Erde selber ruhig getrotzt hat in den Jahrmillionen seiner Existenz.
-
-Für mein Gefühl ist dieser Indizienbeweis gegen die Gefährlichkeit der
-Kometen _allein genügend_, um das ganze Spiel im wesentlichsten für
-_gewonnen_ zu erklären.
-
-Wenn von diesen reisenden Lichtwolken wirklich harte Pritschen uns
-über den Kopf schlagen könnten, wenn glühende oder vergiftende Dämpfe
-uns bei ihrer Berührung einhüllen müßten, so wären wir dem längst alle
-erlegen. Wir wären ihm erlegen schon in Urweltstagen, als der Mensch
-noch im Tier steckte. Es gäbe keine organische Entwicklung auf Erden,
-keinen Menschen, keine Kultur.
-
-Das Schwert des Damokles, das an einem Haar hing, ist eine sehr nette
-Geschichte. Aber wenn wir hören, daß es hundert Millionen Jahre lang
-über etwas geschwebt haben soll, ohne Schaden zu tun: so werden wir
-uns zuletzt doch wohl sagen, daß kein Haar so lange hält, daß aber,
-wenn wirklich kein Schaden geschehen ist, das Schwert wohl nur ein
-Strohwisch war.
-
-Auf jeden Fall steht die himmlische Schachpartie längst nicht mehr
-gleich für Optimismus und Pessimismus. Der Optimismus ist mit der
-Logik dieses Indizienbeweises ein geradezu ungeheueres Stück voraus.
-Von diesem Boden aus lassen sich jetzt aber auch eine ganze Reihe
-wirklicher Beweisstücke, die nicht bloß auf Indizien gehen, aus dem
-_Tatsachen_-Arsenal der besagten letzten 76 Jahre heranholen.
-
- * * * * *
-
-Zunächst hat in der Zwischenzeit jene Geschichte vom Bielaschen
-Kometen, dem Angstkometen von 1832, noch ein bedeutsames Nachspiel
-bekommen.
-
-Dieser Komet lief in einer ganz kurzen Bahn (noch nicht sieben Jahre
-lang hin und zurück), und diese Bahn kreuzte dabei nicht nur die Bahn
-eines anderen Kometen, sondern jedesmal ausgespart auch gerade unsere
-Erdbahn. Damals, 1832, hatte es damit, wie gesagt, nichts Schlimmes
-auf sich gehabt, denn der Komet ging durch den kritischen Punkt einen
-ganzen Monat früher als wir. Aber mit Behagen konnte doch kein Astronom
-die weitere Entwicklung dieser kuriosen Sachlage ansehen. Ein solches
-Ungeheuer alle paar Jahre so dicht vor oder hinter uns und das bei den
-bekannten Schwankungen solcher Bahnen: was für Eventualitäten!
-
-Das Ungeheuer wurde ganz besonders genau aufs Korn genommen, es
-war aber auch, als wenn es sich dafür erkenntlich erweisen wollte.
-Als es 1845 wiederkehrte, bekam es sozusagen vor den Augen der
-Astronomen Junge. Wie jene einzelligen Urtiere, deren Fortpflanzung
-einfach darin besteht, daß sie sich in zwei Stücke teilen, von denen
-jedes selbständig weiterlebt, so sonderte sich auch das rätselhafte
-Kometenwesen in zwei Teile auseinander. Aus dem Kern wurden in ganz
-ruhiger Lösung zwei Kerne, die sich zunehmend voneinander entfernten.
-Jeder Teilkern entsandte sein Schwänzchen. Statt des einen Ungeheuers
-hatte man jetzt in paralleler Bewegung zwei. Da das etwas kleinere Kind
-eine Weile an Helligkeit zunahm, durfte man der Vermutung Raum geben,
-jedes der Stücke werde sich wieder zur ganzen Vatersgröße auswachsen,
-womit dann die Gefahr also gründlich verdoppelt war. Doch zeigte die
-Wiederkehr 1852 davon nichts; nur der Abstand der Zwillinge war immer
-größer geworden; über dreihunderttausend geographische Meilen lagen
-nun schon zwischen ihnen. Das Publikum kümmerte sich jetzt wenig um
-diese interne Sache, und doch wäre, wenn je, vor dieser unberechenbaren
-Entwickelung der Dinge ein leiser Schauder am Platze gewesen.
-
-1859 konnte man den Kometen wegen zu ungünstiger Lage von der Erde aus
-nicht fassen. Dagegen war er 1866 mit Glanz fällig. Man wußte genau, wo
-seine Stücke zu stehen hatten. Verlorene Liebesmühe. Sie kamen nicht
-wieder!
-
-In den sieben Jahren war ihnen irgend etwas so Gründliches weiter
-passiert, daß man aus unserer Entfernung überhaupt nichts mehr sah.
-Waren weitere Teilungen erfolgt, ohne daß die Teilkinder wuchsen? Dann
-mußten die Einzelstücke natürlich bald wirklich so klein werden, daß
-wir sie aus unserer Ferne überhaupt nicht mehr erblicken konnten. Ein
-ganzer Haufen solcher kleinen Wölkchen trieb sich dann in der Nähe der
-unangenehmen alten Bahnstelle herum.
-
-Gelöst war das Fatale so für uns jedenfalls noch lange nicht. Wir
-liefen jetzt aufs ungewisse einer Kreuzungsstelle, wo, allerdings
-zunächst unsichtbar, eventuell ein ganzer Kometenschwarm sich,
-Gott wußte wie verzettelt und die Karambolagengefahr durch breite
-Schlachtlinie vermehrend, herumtrieb. Und nur eins war allerdings
-merkwürdig.
-
-Ein Haufen Wölkchen, sagte ich. Ja, wie eine Art Wolke, wenn
-auch eine kosmische und nicht eine atmosphärische, hatte sich
-dieses Bielaungeheuer wirklich benommen bei dem Ganzen. Nicht im
-Schweif, sondern gerade im Kernteil, im Kopf. Nicht das mindeste
-hatte darauf hingewiesen, daß eine Stoßkatastrophe, irgendein
-Zusammenprall, es auseinander gespalten hätte. Ganz genau so hatte
-die Geschichte ausgesehen, als sei, entweder durch die äußeren
-planetarischen Zugkräfte von fern her oder durch geheimnisvolle
-innere Abstoßungskräfte, ganz, ganz gemächlich eine eigentlich und
-ursprünglich schon wolkenhaft lose Masse bloß auseinandergetrieben
-worden. Wie voneinander schwimmend waren die Kinderstücke
-dahingeflossen.
-
-Es ging wirklich nicht gut an, man mochte die Sache drehen und wenden
-so viel man wollte: daß ein in sich solider, etwa bloß mit einer
-eigenen Dunstatmosphäre umhüllter, aber in Herz und Kern planetenhaft
-steinharter kosmischer Klotz gerade dieses Spiel vollführt haben
-sollte, nicht aufzustoßen, zu platzen, zu explodieren, sondern
-wirklich im Bilde wie eine weiche lebendige Amöbe bei uns, die mit
-ihrem Zell-Leibe in Selbstteilung tritt, ganz sanft, langsam, aber
-unaufhaltsam auseinander zu fließen, also daß zuletzt zwei Kerne, jeder
-nach außen nebelig verschwimmend und hinten geschwänzt, vorhanden waren.
-
-Der Kometenkopf mußte ernstlich eine Art Wolkennatur besitzen. Fragte
-sich nur, was der Begriff »Wolke« bei einem Gebilde, fern einsam
-zwischen die Planetenbahnen hinausgestreut, selber besagen sollte.
-
-Aus was für Stoff sollte diese leuchtende Wolke, die zerfließen, sich
-auflösen konnte, wie eine irdische, und sicherlich doch keine Luftwolke
-in unserm Erdensinne war, bestehen?
-
-Der Bielasche Komet, den man nach 1866 bereits aufgegeben hatte, war so
-freundlich, uns auf diese Frage noch zu antworten.
-
-Nach der alten Rechnung hätte er 1872 wiederkehren sollen, es geschah
-aber für unsere Augen konsequent so wenig mehr wie 1866. Dagegen
-schnitten wir mit der Erde am 27. November auch dieses Jahres seine
-alte Bahn, und zwar an einer Stelle, die er nach dem Brauch vor
-seiner Zerstückelung schon einige Zeit vorher passiert haben müßte.
-Wenn man sich dachte, daß in dieser Bahn am alten Fleck jetzt nicht
-mehr ein einzelner Komet lief, sondern möglicherweise ein ganzer
-Trupp kometarischen Kleinzeugs mit eigenen Köpfen herumbummelte, und
-wenn man sich vergegenwärtigte, daß schon die Zwillinge von 1852
-sich Hunderttausende von Meilen voneinander entfernt hatten, so war
-immerhin eins von neuem bedenklich. Es konnte sich irgendeiner der
-kleinen Bummler auf der Hauptbahn so verspätet und über Monate zurück
-verzettelt haben, daß wir (blind wie wir jetzt auch im Sinne unserer
-Astronomen vor dem Ganzen standen) doch an dem Tage ihm begegneten.
-
-Und nun in der Tat ging in dieser kritischen Novembernacht ein
-ungeheures Ereignis los.
-
-Der Himmel erstrahlte aus einer ganz bestimmten Richtung (vom
-Sternbild der Andromeda her) im Feuerwerk eines märchenhaft schönen
-Sternschnuppenregens. In Göttingen beispielsweise gab es in noch nicht
-drei Stunden 7651 Sternschnuppen, also rund eine pro Sekunde.
-
-Sternschnuppen gehören zu den himmlischen Gebilden, vor denen die große
-Menge von je am wenigsten Angst gehabt hat, und das aller Erfahrung
-nach mit Recht. Ältere Ansicht sah auch in ihnen nur atmosphärische
-Fünkchen, die man mit den Irrlichtern verglich, aber nicht mit so
-bösen Sagen zu umgeben pflegte. Heute ist man sich sicher, daß zu
-jeder Sternschnuppe ein kleines, sehr rasch bewegtes kosmisches
-Staubteilchen gehört, das bei der Reibung an dem dicken Erdenpolster
-unserer Atmosphäre aufglimmt und verpufft. In der Regel ist damit auch
-schon alles zu Ende. Ist die Masse etwas größer, so daß sie nicht bloß
-auf diesem Wege verflüchtigt werden kann, so kommen, durchweg nach
-sichtbarlich heftiger Explosion, auch wohl einzelne Bruchstücke in
-Gestalt sogenannter Meteorsteine herunter. Wie selten dieser letztere
-Fall gerade auf menschliche Beobachter stößt und relativ überhaupt
-sein muß, erhellt am besten aus der Seltenheit und Kostbarkeit solcher
-Himmelsgeschenke in unsern Museen. In der Regel wird man bei der
-echten Sternschnuppe durchaus nur von einem ganz flüchtigen Aufglühen
-meteorischen Staubes reden können.
-
-Von Zeit zu Zeit gibt es nun auch sonst einmal eine Nacht, in der
-Sternschnuppen zahlreicher fallen als gewöhnlich. Gewisse Augustnächte
-sind zum Beispiel dafür berühmt. Die Leuchtfunken pflegen auch dann
-von ein und der gleichen Stelle am Himmel auszustrahlen, die irgendein
-Sternbild für uns markiert. Natürlich kommen sie aber nicht von diesen
-Sternen selbst, sondern es handelt sich nur um ein kleines kosmisches
-Staubwölkchen, das unsere Erdbahn gerade so schneidet, daß die
-Schnittstelle sich auf jene Gegend projiziert.
-
-Ab und zu geht das aber nochmals ins Große. Dann kommt mit dem einen
-oder andern Jahr ein Lichtregen, bei dem die Schnuppen fallen wie
-Hagel. Das heißt: auch dann nur fürs Auge. Echter Hagel wäre schon
-mißlicher. Denn gerade aus solchem Schnuppengewimmel heraus ist noch
-nie etwa ein wirklicher Meteoritenregen herunter gekommen: gerade diese
-dichteren kosmischen Staubwirbel scheinen ganz besonders energisch
-schon in den oberen Atmosphäreschichten zu verpuffen ohne derberen
-Rückstand.
-
-Wiederholt hatte man aber schon beobachtet, daß solcher Schnuppenregen
-in periodischen Abständen sich mehrfach wiederholte. Die Idee lag
-nahe, daß unsere Erde gelegentlich immer wieder da ein größeres
-kosmisches Staubgewölk passiere, das sich selber um die Sonne bewege
-und bei jeder Kreuzung den luftigen Feuerzauber erneue. Lose wie
-solche Wolke sein mußte und selber bei jedem Durchgang um ein gut Teil
-ihrer Staubpartikelchen geschmälert, konnte man natürlich hier keine
-so sichere Gewähr erwarten, wie bei anderen Himmelsgebilden; wie denn
-wirklich eine Wolke der Art, die im 19. Jahrhundert dreimal in ziemlich
-genauen Abständen von je 33 Jahren die Himmelsfreunde ergötzt hat,
-zuletzt, beim vierten Mal, so gut wie ganz wieder ausgeblieben ist.
-Die Wölkchen von fern schon im ganzen zu sehen und so etwas schärfer zu
-kontrollieren, dazu waren sie offenbar auch durchweg zu dünn; es ging
-uns eben wie dem einzelnen mit einem Mückenschwarm, den man zumeist
-auch erst summen hört, wenn man mit dem Kopf durchgeht.
-
-Kein Zweifel jetzt: eine solche ebenso amüsante, wie harmlose
-Staubwolke hatte uns auch in dem Moment eingehüllt, da wir die alte
-Bahn des Bielaschen Ungeheuers schnitten und die Gefahr bestand,
-daß wir eines der »Jungen«, in die sich sein Kern aufgelöst, in der
-Schnittstelle anrempeln könnten. Ein Beobachter glaubte sogar die
-in der Kometenbahn weiterziehende Wolke noch auf einen Moment als
-Ganzes in direkter Kometengestalt gesehen zu haben, doch ist das
-strittig geblieben. Daß aber eine kosmische Wolke, die sich als
-Sternschnuppenregen äußerte, im Moment in der Kometenbahn gestanden
-hatte, konnte nicht strittig sein.
-
-Die Sache war wirklich sehr eindeutig.
-
-Der Kopf des Bielaschen Kometen hatte sich vor uns wolkenhaft
-aufgelöst. Im Moment, da wir hinter ihm durchschnitten, gerieten wir
-in eine kosmische Sternschnuppen-Wolke. Wir hatten einfach einen der
-Fetzen des Biela-Kerns passiert!
-
-Ganz dem Bilde entsprechend, das die Auflösung früher geboten hatte,
-war dieser Fetzen loses Material. Da es sich bei jener Auflösung um
-echte Kerntrennung gehandelt hatte und nicht etwa bloß um Verlieren
-von Hüllnebeln oder Schwanzmaterial, mußte es Kernmaterial sein.
-Kometenschwänze liefen ja auch nicht in der Bahnlinie von Kometen
-selber, sondern nur Kernköpfe; in der Bahnlinie aber hatten wir die
-Wolke getroffen. Wir hatten also Kometen-Kernmasse erlebt, einen
-»Zusammenstoß« mit ihr erlebt, und es war ein absolut harmloser
-Sternschnuppenregen geworden!
-
-Es gibt wenige astronomische Wahrscheinlichkeitsschlüsse, bei denen
-alle Teile so glatt ineinander passen, wie hier.
-
-Die Sache hat aber noch eine Probe auf ihr Exempel erfahren. Am 27.
-November 1885 berührte die Erde abermals die alte Biela-Bahn an einer
-Stelle, die der Komet im alten Sinne diesmal einige Zeit nachher hätte
-durchsausen müssen.
-
-Und wiederum ging eine ungeheure Sternschnuppenwolke gerade über den
-Fleck.
-
-Wieder regnete es stundenlang in pompösestem Schauspiel bei uns
-Sternschnuppen. Aus dem Scheitelpunkt der Andromedagegend flammten
-den Berichten nach ganze »Raketengarben« nieder. An einzelnen Orten
-zählte man über 40000 Schnuppen in einer knappen Stunde, zeitweise fünf
-pro Sekunde und mehr. Feuerkugeln in allen Farben waren dabei, die
-Lichtstreifen blieben vielfach längere Zeit hell stehen, sich wirbelnd
-windende und zerreißende Schnuppen wurden beobachtet. Es war eine
-Pracht über alle Maßen.
-
-Und wieder »passierte« dabei nichts; auch nicht ein Stück Meteorstoff
-ist nachweislich dabei bis zu uns heruntergestürzt, alles flammte auf
-und starb zugleich wieder im Feuerwerk.
-
-Zum zweitenmal hatten wir ein Stück Kometenkern erlebt und wieder
-gefahrlos. Das Ungeheuer, das uns fressen sollte, war ein brillanter
-Feuerwerker, sonst nichts.
-
-Seither scheint es, als habe selbst diese größere Wolkenbildung in
-der Bielabahn ganz aufgehört, das Sternschnuppenmaterial scheint sich
-mehr oder minder regellos verzettelt zu haben. Damit standen wir
-möglicherweise jetzt wirklich auch bei einem realen Kometentod.
-
-Das gibt aber bei diesem wunderbaren »Fall Biela« noch wieder für sich
-zu denken.
-
-Kometenkerne sind also nichts Ewiges. Eben weil sie wolkenhaft lose
-Gebilde sind, können sie nicht nur in ihrem wilden Lauf zwischen den
-Planeten im ganzen bald so, bald so abgelenkt, sondern sie können auch
-bei dieser Gelegenheit (zum Beispiel durch Macht des Riesen Jupiter
-oder auch sonst) in sich selbst angebrochen, zerstückelt, ja endlich
-völlig verpulvert werden. Je verwickelter ihre Bahn besonders in die
-engeren Planetenbahnen hinein verknotet ist, desto wahrscheinlicher
-muß solches Los (Biela ist redendes Exempel) werden. Je größer das
-Stadium der Materieverzettelung, desto harmloser müssen sie aber für
-diese Planeten selbst werden. Es erscheint da etwas wie der Schatten
-einer am Ende seit alters fortgesetzt tätigen Regulierungsmaschine. Die
-Planeten machen immerzu frisch eintretende Kometen ungefährlich, um sie
-endlich ganz aufzureiben, zu töten, und diese Selbstregulierung wächst
-im gleichen Maße rein mechanisch, je enger ein solcher Komet ihnen auf
-den Hals rückt und mit verhedderten, gekreuzten Bahnen droht. Die Sache
-sieht wie eine doppelte Versicherung aus, wobei aber die überhaupt
-und zu Beginn doch schon lose Wolkennatur der Kometenköpfe allgemeine
-Voraussetzung auf beiden Seiten bleibt.
-
-Die Idee, daß alle Kometen sich zuletzt auflösen müßten, hatte
-übrigens schon Kepler zu einer Zeit, da er noch gar nicht an wirkliche
-geschlossene Kometenbahnen zwischen den Planeten dachte. Er ging dabei
-vom Schweif aus, den die Kometenkerne in der Sonnennähe entwickelten.
-Auch hier schon schien ihm durch jene eigenartige Sonnenkraft, die
-abstoßend wirkte, fortgesetzt Materie des Kerns auf Niemehrwiederkommen
-in den offenen Raum hinausgeblasen zu werden, und das mußte doch
-endlich die Quelle erschöpfen. »Ich halte dafür,« sagt der immer
-vorahnend scharfsinnige Mann wörtlich, »daß der Kometenkörper sich
-verwasche, verändere, auseinandergezogen und zuletzt vernichtet werde,
-und daß, wie die Seidenwürmer durch das Herausspinnen ihres Fadens,
-so auch die Kometen durch das Ausströmen ihres Schweifes aufgezehrt
-und endlich dem Tode überliefert werden.« Der Gedanke ist an sich ein
-durchaus folgerichtiger und würde erst recht gut gerade zu dem passen,
-was der »Fall Biela« lehrt. Dabei mag er uns aber überhaupt auf das
-Problem des Schwanzes zurückführen.
-
-Wenn der Kometenkern wirklich nur aus mehr oder minder losem
-Meteoritenstoff in wolkenhafter Anhäufung besteht: was ist dann der
-Kometenschwanz?
-
-Tatsächlich läßt ihn die Nähe der Sonne erst aus dieser Wolke
-herauswirbeln, wie Staub unter einem blasenden Luftzug wirbelt. Der
-nächstliegende Gedanke wäre also gewiß, wenn man von der Bielawolke
-kommt: auch er ist bloß feinstes Sternschnuppenmaterial, das irgend
-eine Sonnenkraft noch einmal besonders aus der Kernwolke fortpafft.
-Natürlich, wenn es so ist, muß diese Wolke sich in Keplers Sinn auch
-davon schon bei jedem Sonnenumlauf etwas mehr verzetteln und verlieren,
-diesmal meist direkt abseits von ihrer Bahn, also wohl gänzlich auf
-Niemehrwiederfinden.
-
-Für uns heute wäre aber aktuell gerade diese Erklärung das
-allerwichtigste. Denn wir hängen für die kritische Nacht vom 18. zum
-19. Mai ja nicht an Biela, sondern an Halley. Und das bedeutet: nicht
-Kopf, sondern Schwanz.
-
-Der Halleysche Komet liegt ganz offenbar seit langer Zeit so, daß er
-mit seinem Kopf gerade _nicht_ allzu eng ins Gedränge der mittleren
-Planetenbahnen kommt. Deshalb würden sie ihn in jenem Sinne auch
-seit mindestens zweitausend Jahren noch nicht in diesem Kopfteil
-auseinandergerissen haben. Was an ihm aber, eben wegen dieser dauernden
-Kopfstärke, nun für uns momentan bedenklich wird, das ist die
-Produktivität dieses Kopfes in der Schwanzbildung. Dieser Schwanz und
-nicht der Kopf soll zum Termin über uns wegfegen. Nach dem Fall Biela
-erscheint es aber so gut wie unmöglich, daß der Kopf eine kompakte
-harte Stoßmasse ist, wie viel weniger also der Schweif. Was wir auch
-hier erwarten müßten, wäre fortgewirbelte Sternschnuppenmaterie,
-die, in unsere Erdbahn übertretend und uns umwirbelnd, tatsächlich
-auch eine Art »Fall Biela« schüfe: einen mehr oder minder starken
-Sternschnuppenregen ohne alle Gefahr.
-
-Unsere Erfahrungen seit 1835 widersprechen aber selbst dem bei dem
-Schweif noch als »zuviel«. Dazu sind allerdings wieder weitere
-Tatsachen auch über den Fall Biela hinaus nötig, Tatsachen, die
-zuallernächst noch einmal mitten in den großen Chok und Schreck vor
-jeglicher Kometenbegegnung gerade hineinführen.
-
-In die letzten sechsundsiebzig Halley-Jahre fällt die Entdeckung der
-Spektralanalyse.
-
-Wir haben mit ihr bekanntlich eine Methode gewonnen, die uns unter
-Umständen aus dem Licht direkt ablesen läßt, was für ein Stoff in
-der Lichtquelle brennt. Das Licht wird mit Hilfe eines mehrseitig
-geschliffenen Glases, eines Prisma, zerlegt und in dem entstehenden
-Farbenbande (Spektrum) zeigen sich gewisse charakteristische
-Unterschiede je nach den verschiedenen leuchtenden Substanzen, die
-ein solches Urteil in sehr vielen Fällen ermöglichen. Auf diesem Wege
-haben wir Aufschluß gewonnen über die Gase, die in der äußeren Hülle
-der Sonne und der anderen Fixsterne glühen, wie über den leuchtenden
-Stoffinhalt ferner Nebelflecke. Wir können aus dem Spektrum entnehmen,
-ob auf solchem entlegenen Weltkörper glühende Gase leuchten oder
-festere Stoffe in Weißglut. Die Gase sind dann infolge ihrer in allen
-Einzelfällen höchst charakteristisch angeordneten bunten Linien im
-Spektrum meist aufs treffsicherste mit irdischen, uns direkt zum
-Vergleich zugänglichen zu identifizieren.
-
-Diese sinnreiche Methode wurde nun auch auf die Kometen angewandt,
-soweit solche in der Zeit disponibel waren.
-
-Das erste feste Resultat war, daß vom Kometen bei seiner
-Sonnenannäherung nicht bloß einfaches Sonnenlicht zu uns herüberglänzt,
-das er zurückwirft wie unsere Erde oder die Venus oder der Mars, ohne
-selber etwas dazu zu tun. Außer solchem reflektierten Licht leuchtet
-der Komet durchweg noch mit etwas Besonderem, etwas Eigenem. Aus diesem
-Eigenlicht würde sich also eventuell etwas über seine stoffliche
-Beschaffenheit ablesen lassen, und in der Tat glückt das.
-
-Im Kometen leuchten Gase, und zwar in immer verstärktem Maße, je
-näher er der Sonne kommt. Und zwar sind es Gase, deren Spektrum eine
-Identifizierung mit bestimmten, uns auf der Erde gut bekannten Stoffen
-ebenfalls möglich macht.
-
-In erster Linie kommt der Stoff in Betracht, der in unserm irdischen
-Petroleum brennt, nämlich Kohlenwasserstoff. Ferner konnten Kohlenoxyd,
-Cyan und reiner Wasserstoff nachgewiesen werden. Endlich zeigten
-einige Kometenköpfe in den Momenten, da sie außerordentlich nah an
-der Glutoberfläche der Sonne vorüberglitten, unverkennbar deutlich
-das gelbe Licht des Natriums, also des verdampfenden Kochsalzes, und
-merkbar zuletzt auch Eisendämpfe.
-
-An sich können diese Befunde nicht überraschen.
-
-Wenn der Kometenkopf eine Wolke aus Meteorsubstanz ist, so muß diese
-Substanz unter der Einwirkung der Sonnenglut notwendig anfangen, Gase
-auszuhauchen, ja in nächster Sonnenbegegnung geradezu bis auf ihren
-schwersten Metallgehalt (Eisen) zu verdampfen.
-
-Die Stoffe, die sich dabei zeigen, vor allem Kohlenwasserstoff und
-Natrium, treten mit ihrem charakteristischen Spektrum genau so hervor,
-wenn man einen zu uns herabgefallenen Meteorstein künstlich erhitzt.
-Auch wenn man den spektroskopischen Apparat auf unsere allnächtlichen
-Sternschnuppen richtet, kann man öfter die unverkennbare gelbe Linie
-des Natriums aufleuchten sehen, die vorblitzt im Moment, da der feine
-Meteorstaub in solcher Schnuppe völlig verdampft.
-
-Die engere Art allerdings, wie in der Sonnennähe des Kometenkopfes das
-Kohlenwasserstofflicht gelegentlich von dem Natriumlicht ausgelöscht
-wird, kann man nur nachmachen, wenn man in geschlossener erhitzter
-Glasröhre durch ein Gemisch von Kohlenwasserstoff und verdampfendem
-Natrium einen elektrischen Strom leitet. Man muß also noch die
-Hilfserklärung machen, daß auch in dem Kometen elektrische Prozesse
-tätig sind.
-
-Und das gibt sogar wieder eine sehr gute Ergänzung ab zur Erklärung des
-sonst seltsamen Umstandes, daß Kometen sich schon bei einer Entfernung
-von der Sonne wenigstens schwach selbstleuchtend zeigen, wo eine
-wirkliche Erhitzung ihrer Substanz bis zum eigentlichen Glühen von
-seiten der Sonne höchst unwahrscheinlich wird; hier wirken in ihnen
-eben rein elektrische Entladungen, die als solche schon Licht erzeugen.
-
-So zwanglos nun alle diese Dinge sich in jenes andere Bild fügen, so
-steckt in ihnen doch plötzlich auch ein neues Angstmotiv.
-
-Wenn aus dem Kometenkern Kohlenwasserstoff, Kohlenoxyd, Wasserstoff,
-Natrium, Cyan, Eisen verdampfen, so würden wohl auch im Schweif ganz
-besonders solche Dämpfe abqualmen müssen. Unter den genannten Stoffen
-sind aber böse Sachen für den Fall, daß dadurch eine derbe Erdberührung
-statthätte.
-
-Kohlenoxyd und Cyan sind hochgradig giftig und würden, in
-größeren Massen plötzlich in unsere Erdatmosphäre hineingedampft,
-schlechterdings alles organische Leben vernichten.
-
-Ein Petroleumregen würde sich augenblicklich an der ersten Flamme
-hier unten zur fürchterlichsten Explosion entzünden und auch die
-Erde veröden; eine Feuerwelle wie im kleinen eine der brennenden
-Erdgasquellen von Baku müßte um unsern ganzen Planeten schlagen.
-
-Eine hochgradige Erdversalzung würde ebenfalls ein schlechter
-Spaß sein. Eine Weile hielten vielleicht noch gewisse salzfestere
-Steppenpflanzen und jene Artemia-Krebschen, die in eingedickter
-Salzsohle leben können, stand; aber zuletzt würden auch sie in der
-allgemeinen Pökelrinde der armen Erde eingehen.
-
-Dazu noch zwei weitere Möglichkeiten.
-
-Entweder kämen im Kometenschweif noch direkt heißglühende Dämpfe zu
-uns, zum Beispiel ein konzentrierter Strahl Eisendampf aus dem in der
-Sonnennähe geschmolzenen und verdampften Meteoritenmaterial.
-
-Oder es schlügen entsetzliche elektrische Entladungen mit
-allverheerenden Blitzen aus dem Schweif zu uns nieder, die der
-Menschheit im ganzen das Los eines jener Opfer auf den bekannten
-elektrischen Hinrichtungsstühlen der Nordamerikaner schüfen.
-
-In allen Formen laufen gerade diese bösen Hypothesen heute wieder
-herum. Der Halleyschweif soll uns in der kritischen Stunde mit Cyan
-vergiften oder versengen oder zerblitzen, auch wenn sonst nur ein
-Sternschnuppenregen durch seine eigentliche Stoßsubstanz entstände.
-
-Wir hätten die Wahl wie die Leute in Pompeji und Martinique. Der
-dicke Plinius selber erstickte bekanntlich bei jenem schrecklichen
-Vesuvausbruch, auch ohne einen Stein dabei an den Kopf zu bekommen; in
-Martinique gab es eine versengende Stichflamme alle Häuser entlang, die
-schnell wie ein Blitz zuckte; auch echte Blitze schlagen aber aus jeder
-Vulkanwolke. Eine angenehme Wahl um den gleichen Preis!
-
-So hübsch auch das aber wieder einmal ausgedacht ist, um uns durchaus
-kometarisch tot zu kriegen: es hapert auch hier.
-
-Jene Funde der Spektralanalyse sind an sich auf jeden Fall wichtig. In
-ihnen selbst steckt aber bereits ein merkwürdiger Fingerzeig nach ganz
-bestimmter Seite.
-
-Der spektroskopische Nachweis gewisser Substanzen, wie Kohlenoxyd oder
-Natrium, in einer solchen fernen Lichtwolke gibt für sich noch keinen
-direkten Anhalt, wie _dicht_ der betreffende Stoff in der gesamten,
-doch offenbar so ungeheuerlich weit ausgedehnten kometarischen Wolke
-enthalten sei; er kann enorm verdünnt sein. Wenn der Stoff, wie zum
-Beispiel das Natrium, sich im Kometenkern bei dessen Sonnennähe erst
-sichtbarlich entwickelt und dann in einem Schweif von da abdampft,
-der mehrere Millionen Meilen lang und entsprechend als breites
-Lichtband ungeheuerlich dick in die Weite geht, so wird die stärkste
-Verdünnung, zumal gegen das Ende des Schweifs (also das, was uns bei
-dem Halleyschen Ungeheuer allein packen kann), die wahrscheinlichere
-werden. Wie weit wir das aber treiben wollen, dafür wird zunächst jene
-elektrische Erwägung schon bedeutsam.
-
-Elektrische Leuchtprozesse der bezeichneten Art werden wir uns im
-allgemeinen nur bei einem Gebilde vorstellen können, dessen Substanz
-sich mindestens in den hierfür in Betracht kommenden Partikelchen in
-einem Stadium höchst beträchtlicher Verdünnung befindet. Gerade solche
-feinsten und allerfeinsten Partikelchen werden wir uns aber bei der
-allgemeinen Sachlage doch am liebsten im Schweif ausströmend denken.
-
-Schon sehr frühen Beobachtern und späteren, kritischeren immer mehr
-ist nämlich aufgefallen, wie dünn doch dem reinen Anblick nach schon
-die Schweifmaterie aussehe. Seneca wußte schon (und es werden es also
-wahrscheinlich schon die Pythagoreer und die alten Babylonier gewußt
-haben), daß man durch diese ungeheuren Leuchtbänder durch und durch
-sehen könne bis auf die dahinter schimmernden Sterne. Bessel und
-Struve haben das mit den feinsten Messungen dahin präzisiert, daß man
-faktisch auch nicht die geringste Ablenkung des Lichts bei solchen
-durchscheinenden Sternen im Kometenschweif nachweisen könne.
-
-Das ist gewiß eine ganz außerordentlich frappante Sache. Bei unserem
-Erdmond vermißt man, wenn ein Stern seinem Rand nahe kommt, ebenfalls
-jede Spur einer solchen Lichtbrechung, und man zieht den Schluß
-daraus, daß der Mond noch keine Atmosphäre haben könne, die auch nur
-ein Tausendstel von der Dichtigkeit unserer irdischen besitze. Die
-allgemein auch in Laienkreisen verbreitete Annahme, daß der Mond
-absolut »luftlos« sei, gründet sich auf diesen Schluß. Ein Mensch würde
-also, in solchen Kometenschweif versetzt, zunächst überhaupt wegen
-kompletten Luftmangels für seine Lunge _ersticken_.
-
-Dabei sieht man aber in den dickeren Kometenschweifen ganz bestimmt
-durch eine Lichtwolke von vielen tausenden (bis zwanzigtausend) Meilen
-Tiefe. Zwanzigtausend Meilen tief ein dauerndes Lichtglimmen, durch
-das für uns der Anblick der Schweifdicke entsteht: und doch auf dieser
-ganzen Strecke kein Stoff, der auch nur dem Tausendstel unserer Erdluft
-entspräche! Man ahnt, um was für homöopathische Verdünnungen der
-Stoffe es sich hier handeln muß, einerlei, ob das nun gefährliche oder
-ungefährliche Stoffe für unsere Lebensprozesse sein sollen.
-
-Schon der französische Akademiker Babinet hat also auch das Wort
-geprägt vom »sichtbaren Nichts«, als das solcher Kometenschweif sich
-allen gröberen chemischen Sondierungen gegenüberstellen müsse.
-
-Olbers dachte sich die einzelnen Schweifteilchen so weit und einzeln
-zerstreut im allgemeinen Äther der Planetenräume herumschwirrend, wie
-auf unserer Erde unendlich feine Wasserteilchen in gewissen von fern
-glänzenden Nebeln weit getrennt schweben, Nebeln, die doch in Hinsicht
-der Strahlenbrechung des Lichts und anderer Wirkungen sich nicht im
-mindesten anders verhalten als pure Luft. Als eine Art Äthernebel ginge
-der Kometenschwanz vor uns dahin, nur von weitem wie ein neckendes
-Phantom dem Auge sichtbar, beim Versuch des Ergreifens aber (und wäre
-die greifende Hand auch nur der Lichtstrahl) völlig unfaßbar gleich den
-Gespenstern des Märchens.
-
-Hier aber muß sich jetzt noch ein Gedanke einmischen, der von einer
-dritten Seite in die gleiche Richtung lenkt.
-
-Was treibt denn überhaupt die Schweifmaterie von der Sonne fort?
-
-Was bewirkt eben das, was uns heute mit dem Halleyschen Kometen in
-Berührung bringen soll, wenn sein Kopf zwischen uns und der Sonne steht?
-
-Der Kometenkopf, mag er selber auch ein noch so leichtes
-Meteoritenwölkchen sein, dessen Stoff auch bereits in sehr weiter
-Zerstreuung schwebt, folgt als Ganzes doch unabänderlich noch dem
-allwaltenden Gesetz der Schwere, der Riesin Gravitation. Jedes
-beliebige meteorische Einzelstäubchen, das als Sternschnuppe bei uns
-verpufft, tut das ja noch, warum nicht er? Wäre es nicht der Fall, so
-hätte die Sonne ja nie über ihn Macht gewinnen, seine Bahn zu sich
-heranbeugen, ja ihn unter Umständen (wie bei dem Halleyschen Gebilde)
-in die Verträge ihrer festen Vasallen mit hinein schmieden können. Als
-absoluter Gravitationssklave stürzt solch ein gefangener Kern wie der
-Halleysche allemal wieder in seinem 76. Jahr an uns vorbei zur Sonne
-hin und in wirbelnder Jagd ganz nahe um sie herum.
-
-Aber gleichzeitig macht sich mit dieser seiner Sonnenannäherung auch
-etwas von hier aus schlechterdings Rätselhaftes geltend, nämlich eben
-das Abströmen des Schweifes vom Kern direkt von der Sonne fort.
-
-Die Schweifmaterie _widersteht_ der Gravitation!
-
-Auf sie wirkt die Sonne nicht ziehend, wie auf den Kern, sondern
-umgekehrt abstoßend.
-
-Treibt den Kern die Gravitation wie ein unhemmbarer Sturm so nah
-wie seine Eigenbewegung nur irgend zuläßt an die Sonne heran, so
-wirkt diese gleiche Sonne auf den Schweif wie ein Gegenwind, der ihn
-senkrecht fortwirbelt!
-
-Schon eine ganze Weile, ehe der Kometenkopf seine größte
-Sonnenannäherung erreicht hat, macht sich dieser Gegenwind, wie bereits
-erzählt ist, geltend, der Schweif beginnt von ihm abzuwehen, wie Korn
-aus einem undichten Sack, der als Ganzes senkrecht nach der Schwere
-fällt, dessen ausfliegende Frucht aber zugleich ein Konträrwind lang
-hinter ihm fortwirbelt.
-
-Dieses Abströmen ist auch mit der Hitze, die in Sonnennähe auf die
-Meteoritenwolke des Kerns wirkt, nicht erklärt. Mag diese Hitze
-Kohlenwasserstoffe aus den einzelnen Meteorteilchen vorlocken, mag
-sie auch allmählich einen Teil ihres Salzinhalts verflüchtigen und
-in gelben Flammen verbrennen, mag sie endlich gar Eisenteile dort so
-verdampfen, daß wir es dicht an der Verdampfungsstelle spektroskopisch
-wahrnehmen können, obwohl der Kern in solchem höchsten Moment selber
-stets weit, weit von uns entfernt ist und Sonnennähen erlebt, die
-wir niemals mitmachen können: das alles kann bei ihm jedenfalls
-nur aufsteigende Wolken auf seiner Sonnenseite erzeugen, wie wir
-sie ja auch tatsächlich dann sehen. Daß aber schon ganz früh eine
-gewisse Kernmaterie sich sonnenabgekehrt einem phosphoreszierenden
-Schatten gleich von diesem Kern hinterwärts über Millionen von Meilen
-auszugießen beginnt; daß selbst jene Hitzewolken immerfort eine
-Tendenz zeigen, fontänenhaft rückwärts mit gewissen ihrer Teile auch
-in diesen Ausguß wieder abzufließen: das erklärt an sich die Hitze so
-wenig wie die Gravitation. Auf diese »gewissen Teile«, diese »gewisse
-Kernmaterie« muß noch ein aparter Bann für sich wirken.
-
-Ein Bann, der der Gravitation entkommt: es liegt wahrlich schon
-für die allgemeinste theoretische Erwägung nahe, auch hier nur an
-_allerfeinste_ Teilchen zu denken, Teilchen, für die das Bild auch
-nur eines meteorischen Staubkorns, das einzeln an unserer Atmosphäre
-bei der Berührung als helle Sternschnuppe aufglänzen könnte,
-_außerordentlich viel zu derb_ wird.
-
-Eine erste Theorie hat auch hier an elektrische Wirkungen gedacht.
-
-Bessel, als er 1835 eben bei dem vorletzten Erscheinen des Halleyschen
-Kometen das Wunder der Wolkenbildung und Schweifablenkung dort zum
-erstenmal genau studierte, war schon darauf gekommen. Er sowohl wie
-sein Freund Olbers und ihr gemeinsamer großer mathematischer Berater
-Gauß sahen klärlich ein, daß es sich um eine Abstoßungskraft zwischen
-gewissen feinsten Kometenteilchen und der Sonne handeln müsse, und man
-hatte für solche Abstoßung zunächst nur eine einzige Naturwirkung zur
-Verfügung, nämlich die bekannten Abstoßungserscheinungen gleichartiger
-Elektrizitäten.
-
-Wenn der Komet der Schauplatz eigener intensiver elektrischer Prozesse
-war; wenn in der Sonnennähe außer der wachsenden Sonnengravitation auch
-die eigenen elektrischen Wirkungen der Sonne sich immer mehr merkbar
-machten; wenn die Kometenelektrizität und die Sonnenelektrizität
-gleichartig waren und somit dem Gesetz unterlagen, daß gleichartige
-Elektrizitäten sich abstoßen: so erhielt man zunächst als Basis
-überhaupt eine abstoßende Macht. Nahm man nun Kometenteilchen von einer
-Feinheit der Stoffzerstreuung an, daß diese elektrische Abstoßung die
-Gravitation in ihnen überbieten mußte, so ließ sich eine abstoßende
-Fortbewegung im Gegensatz zur Schwererichtung konstruieren, die diese
-Teilchen als »Schweif« senkrecht von der Sonne aus dem Kern und seinen
-Wolken in die Planetenräume hinausjagte.
-
-Zöllner hat ähnliche Gedanken später zu einer großen Theorie ausgebaut.
-Heute kann man sie in der veränderten Symbolsprache moderner
-Elektrizitätsanschauungen ausdrücken, ohne daß doch das Grundbild,
-scheint es, dabei ein wesentlich anderes würde. Gewisse leise
-Schwierigkeiten sind stets in der Art geblieben, wie man sich die volle
-Übermacht der elektrischen Abstoßung über die Gravitation denken sollte.
-
-Inzwischen ist in neuester Zeit aber noch eine andere sinnreiche
-Erklärung aufgetaucht, wie man sich bei Annahme ungemein winziger und
-zerstreuter Teilchen eine solche Abstoßung auch in größter Sonnennähe
-vorstellen könnte.
-
-Die Schweifmaterie, sagte ich, erscheint so fein und so weitmaschig
-verpulvert, daß sie durchströmendes Sternenlicht für uns nicht
-ablenken kann. Aber es fragt sich, ob sie selber gerade in solchem
-Zustande nicht durch das Licht, das Sonnenlicht in ihrer Sonnennähe,
-dahingetrieben werden müßte.
-
-Ein ganz alter Kometengedanke kommt hier noch einmal zu Ehren, den fast
-drei Jahrhunderte Physik verschüttet hatten. Der Satz, den Seneca schon
-schreibt: »Die Kometenschweife fliehen vor den Sonnenstrahlen«, hatte
-dem großen Kepler zu denken gegeben. Konnten es nicht die Lichtstrahlen
-der Sonne selber sein, die den Schweif vor sich herjagten?
-
-Nach der Physik jener Zeit war das »Licht« etwas Körperliches in dem
-Sinne, daß von der Lichtquelle aus dabei beständig wirkliche winzige
-Körperchen in den Raum hinausgeschleudert wurden. Jede Kerzenflamme
-bombardierte uns so mit ihren Lichtkörperchen. Die große Sonne aber
-entsandte fortgesetzt einen wahren Hagel dieser Art um sich her. Wo
-diese Körperchen auf einen Widerstand, auf andere, entgegenstehende
-Körper stießen, da mußten sie prallend einen Stoß, einen Druck ausüben.
-
-Nun, sie waren winzig. Bei irgendwie größeren Dingen im Raum konnte
-dieses liliputanische Lichthändchen nicht viel wollen. Wenn ich meine
-Hand einer Kerzenflamme näherte, so fühlte ich den Lichtgegendruck gar
-nicht, geschweige denn, daß er meine Hand beiseite drücken könnte.
-Aber wenn man sich entsprechend winzige Einzelkörperchen, etwa ganz,
-ganz feinen Staub, dachte, auf die einzeln grade so ein Lichtteilchen
-anprallen konnte, so war doch recht gut denkbar, daß diesmal das
-Stäubchen vor dem Stäubchen wirklich etwas rückwärts wich.
-
-Nun hielt Kepler zwar den Kometen schon für ein kosmisches Gebilde,
-aber doch für eine recht lose Wolke. Und wenn nun von dieser Wolke ein
-Teil im Schweif wirklich gerade vor den Sonnenlichtstrahlen zu fliehen
-begann: warum sollte es sich da nicht um allerfeinste Teilchen dieser
-Kometenwolke handeln, die wirklich und wahrhaftig von dem feinen Hagel
-der Lichtkörperchen dieser Sonne in die Flucht geschlagen wurden?
-Klein, sehr klein müßten die Kometenteilchen ja dann wohl sein; aber
-sonst ging die Sache unverkennbar nett, vorausgesetzt, die Lichttheorie
-mit ihren Körperchen war richtig.
-
-Allerdings war die Gravitationslehre damals noch nicht wissenschaftlich
-scharf entwickelt, man übersah die Macht selbst noch nicht genügend,
-der diese Wirkung die Stange halten sollte. Das sollte erst Newton
-nachholen. Newton selbst aber war wieder der Keplerschen Idee nicht
-hold, obwohl er an der Lichttheorie in dieser Form noch festhielt.
-
-Wenig später fiel aber dann auch diese ganze Lichttheorie dahin: man
-faßte das Licht jetzt überhaupt nicht mehr als ein Aussprudeln eigener
-Lichtkörperchen, sondern entschied sich für eine Wellenbewegung im
-Äther. Und damit schien der alte Gedanke völlig antiquiert. Ein solches
-Wellenschaukeln konnte wohl nichts von der Stelle rücken, auch das
-kleinste Stäubchen nicht.
-
-Euler war der einzige, der im 18. Jahrhundert warnte. _Irgend_einen
-Druck, meinte er, müßten doch auch solche Lichtwellen ausüben. Es
-sollte aber noch weit über hundert Jahre dauern, bis einer auch nur
-darauf wieder zurückkam.
-
-Maxwell tat es tief im 19. Jahrhundert, bei Gelegenheit seiner Revision
-der ganzen Wellenlehre. Auch ihm schien die Annahme eines solchen
-»Strahlungsdrucks« wieder unvermeidlich, doch hielt er ihn noch für
-unmeßbar winzig, so daß auch jetzt die alten Fragen noch nicht wieder
-eigentlich akut wurden.
-
-Wider Erwarten ließ sich die Messung indessen nachher bewerkstelligen.
-Für entgegenstehende Stäubchen oder Tröpfchen von gewisser Größe konnte
-der Strahlungsdruck (der des Lichtes, wie der jeder andern Strahlung)
-wirklich nicht belanglos sein.
-
-Der bekannte schwedische Physiker Svante Arrhenius legte sich in diesem
-Punkte dann endlich auf genaues Rechnen.
-
-Er kam zu dem Resultat, daß ein solches Stoffteilchen in der Nähe
-der Sonne bei dem Gewicht etwa von Wasser einen Durchmesser von rund
-dem Sechshundertstel eines Millimeters haben müsse, um vom reinen
-Strahlungsdruck so in seinem Fall nach der Schwere (also auf die Sonne
-los) gehemmt zu werden, daß es frei und einsam schwebend still stand.
-Das kleine Händchen der Strahlung hielt in dem Falle der Riesenfaust
-der Gravitation, die sonst alles zur Sonne riß, mitten im offenen Raum
-die Wage!
-
-Ging man von da ab dann bei solchem Gegenstäubchen noch im Durchmesser
-herunter, so begann der Strahlungsdruck allen Ernstes das Stäubchen der
-Gravitation zum Trotz von der Sonne fortzutreiben.
-
-Bei dem Sechstausendstel eines Millimeters war dieser Gegendruck unter
-Umständen schon zehnmal so stark wie die Gravitation. Unaufhaltsam
-wurde das winzige Stäubchen in die Planetenräume hineingetrieben.
-
-Arrhenius hat sehr hübsch ausgemalt, wie das weitere Schicksal eines
-solchen Schiffleins, das der Lichtdruck dahinbewegt, bei ungestörten
-Verhältnissen verlaufen müßte.
-
-Das Licht fließt und fließt und drängelt sein Schifflein unaufhaltsam
-weiter. Wenn ein solches Stäubchen die Erdbahn passierte, so würde es
-durch den Lichtdruck der Sonne noch immer so bewegt werden, daß es
-schon nach 20 Tagen den Zwischenraum, der die Erdbahn von der Bahn
-des Mars trennt, durchschwommen hätte. Nach 80 Tagen überschritte
-es die Jupiterbahn, nach 14 Monaten die des Neptun. Wenn fremder
-Strahlungsdruck es nicht in Windstillen und Gegenwind seiner Richtkraft
-brächte, müßte es nach 9000 Jahren das nächste Fixsternsystem bei
-jenem Doppelstern Alpha im Sternbilde des Zentauren erreichen.
-
-Der Gedanke hat an sich seine Größe. Er lehrt, wie Materie in
-stäubchenhaft winzigster Zerstreuung beständig von unserer Sonne zu
-allen ihren Planeten, ja in ferne Fixsternsysteme getrieben werden
-könnte.
-
-Wenn ein Planet wie unsere Erde feinsten Staub irgendeiner Art
-gelegentlich selber aus seiner Atmosphäre verlöre, so müßte auch er an
-solchen Weltfahrten teilnehmen, einfach, weil das Sonnenlicht auf ihn
-scheint.
-
-Mancherlei Perspektiven könnten hier auftauchen, die trotz der
-grenzenlosen Raumesöden, die Sonne und Planeten, Sonnen und andere
-Sonnen trennen, ein beständiges geheimes Hin- und Herfluten kleinster
-Stoffteilchen denkbar machen.
-
-Immer freilich gilt die Transportmöglichkeit nur von _sehr_ kleinen
-Stäubchen. Durch Verminderung des Gewichts (z. B. für allerzarteste
-Rußflöckchen) könnte man sie noch beweglicher machen. Aber der minimale
-Durchmesser müßte bleiben. An Körperchen vom Durchmesser eines solchen
-Sechstausendstels eines Millimeters wären 470 Billionen nötig, um auch
-nur ein Kubikzentimeter Wasser zu bilden. Immerhin wäre man noch nicht
-auf der Grenze der Moleküle. So weit dürfte man aber auch gar nicht
-gehen. Denn ein Molekül ist _so_ winzig, daß das Händchen des Lichtes
-(bildlich gesprochen) es gar nicht mehr umfassen kann. Dort versagt
-also der Strahlungsdruck von neuem: reine Moleküle fallen nach der
-Gravitation genau so wie schwerere Staubteilchen.
-
-Von hier ist nun bloß ein einfacher Schritt (und Arrhenius hat ihn
-sofort selbst getan), um auf die alte Grundidee Keplers vor den
-Kometenschweifen zurückzukommen.
-
-Die meteorische Kernwolke des Kometen folgt der Gravitation, stürzt
-also gegen die Sonne. Eine gewisse Auslese ihrer losen Stoffteilchen
-aber, die gerade jener kritischen Größe entspricht, wird, je näher das
-Ganze der Sonne kommt, immer energischer vom Strahlungsdruck dieser
-Sonne erfaßt und als Schweif umgekehrt aus der Hauptmasse fortgetrieben
-werden müssen.
-
-Arrhenius denkt in der größeren Kernnähe und bei den kürzeren Schweifen
-besonders an vereinzelt schwebende Kohlenwasserstofftröpfchen der
-angesetzten Größe. Bei ihrer Kondensierung sollen elektrische
-Prozesse, die als solche wieder die Sonne in der Kometenwolke erzeugt,
-mitwirken, also die gleichen Vorgänge, in deren Gefolge dann auch die
-abwirbelnde Schweifmaterie noch auf weite, weite Strecken hin wie
-phosphoreszierend aufglimmt. Für die ganz langen, schier endlosen
-Schweife dagegen nimmt er nur noch feinste Rußteilchen als eigentliches
-Objekt des Strahlungsdruckes an, die durch Verkohlung solcher
-Kohlenwasserstofftröpfchen entstanden sind und bei einem überaus
-geringen Gewicht mit einer Abstoßungskraft dahinbewegt werden können,
-die die Schwerewirkung der Sonne um das Vierzigfache übertrifft.
-
-Vor Jahren schon und ohne jede Rücksicht auf die Idee des
-Strahlungsdrucks hatte nämlich der Astronom Bredichin aus den
-verschiedenen Schweiflängen der einzelnen Kometen verschiedene Grade
-der dabei wirkenden Abstoßungskraft zu errechnen gesucht und war dabei
-für die längsten, am geradlinigsten von der Sonne abgekehrten Schweife
-auf weit höhere Ziffern als für die kurzen, dicken und sozusagen nur
-widerwillig gekrümmten gekommen. Ganz folgerichtig riet auch er dabei
-schon auf verschiedene Substanzen in diesen Abstoßungsklassen, und
-wenn (wie es wiederholt beobachtet worden ist) ein und derselbe Komet
-(z. B. der herrliche Donatische von 1858) mehrere ungleich lange und
-ungleich gerade Schwänze in der Sonnennähe von sich abwirbeln ließ, so
-schloß er, daß hier verschiedene disponible Kernmaterien sich je nach
-ihrer verschiedenen Schwere bald mehr, bald weniger dem Abstoßungsdruck
-entsprechend angeordnet hätten. Das fügte sich jetzt sehr hübsch in
-Arrhenius' Erklärung ein.
-
-Für unsern praktischen Fall mit dem Halleyschen Kometenschwanz im Mai
-aber würde es gerade das Entscheidende werden; geht doch hier nicht ein
-kurzer Kernschweif, sondern gerade recht das fernste Ende eines langen
-Millionenmeilenschwanzes über uns fort; im Sinne von Arrhenius bekämen
-wir also wohl nur noch solche allerfeinsten Rußpartikelchen wie vom
-Schlotqualm eines endlos fern an uns vorbeifahrenden Dampfschiffs ab.
-
-Wie Arrhenius sich die Sache denkt, kann man sich direkt im Experiment
-vormachen.
-
-In einer nach unsern Kräften luftleer gepumpten Sanduhr (einem alten
-Stundenglase) läßt man etwas Schmirgelpulver, vermischt mit in Rotglut
-vorher verkohlten Sporen eines Bovistpilzes von oben nach unten
-durchlaufen. Gegen den niederrieselnden feinen Staubstrahl richtet
-man jetzt von der Seite her das durch eine Linse konzentrierte Licht
-einer elektrischen Bogenlampe. Das schwerere Schmirgelpulver fällt
-einfach der Gravitation nach abwärts, ohne sich um den Lichtdruck
-zu kümmern. Die absinkenden Kohlestäubchen dagegen werden eben von
-diesem Lichtdruck abgelenkt und in langem Schweif zur Seite getrieben.
-Im engen Bilde erscheint, was der Komet als _ungeheures kosmisches
-Experiment_ in seinem luftleeren Weltraum uns nach Arrhenius auch
-nur vormacht! Dem Schmirgel gleich fällt die meteorische Staubmasse
-des Kernes nach dem Gravitationsgesetz zur Sonne. Die feinen
-Rußpartikelchen fliehen dagegen unter dem Lichtdruck dieser Sonne als
-Millionen Meilen langer Schweif dahin.
-
-Auf jeden Fall führen die verschiedensten Wege, wie man sich die
-Abstoßung denken mag, alle unerläßlich auf eine Schweifmaterie von ganz
-außerordentlicher Winzigkeit und Zerstreuung des Inhalts.
-
-Keine leiseste Theorie existiert, die solche Abstoßung, sei sie nun
-elektrischer Natur oder Strahlungsdruck, auch nur noch auf solchen
-feinen Meteorstaub, wie er in unsern Sternschnuppen verpufft, anwendbar
-dächte. Es muß sich um eine noch viel, viel minutiösere Stoffauslese
-handeln.
-
-Kein Gedanke, daß sich etwa ein einheitlicher dicker Giftqualm
-einschmuggeln könnte, der unsere ungeheure, rasend schnell
-vorbeibewegte und in ihren tieferen, dichteren Schichten, in denen wir
-atmen, wie eine Art hygienischen Watteschutzes um die Erde gewundene
-Atmosphäre völlig durchsetzen könnte.
-
-Keine entfernteste Möglichkeit heißer Dampfstrahlen etwa aus
-glühendem Wasserstoff oder Eisendämpfen, die der Komet nach Art
-der Sonnenprotuberanzen zu uns herüberschleudern könnte. Der
-ungeheure Sonnenball selbst hat wahrlich andere Explosivmittel und
-Stoffmaterialien als solches Kometenwölkchen zur Verfügung, er wirft
-unter Umständen wirklich glühende (wenn auch stofflich sehr dünne)
-Wasserstoffgarben in die Höhe, die siebzigtausend Meilen ansteigen
-können; keine dieser Sonnenprotuberanzen könnte aber auch nur die Bahn
-des innersten Planeten, des Merkur, bedrohen, der immer noch rund
-sieben Millionen Meilen über der höchsten Protuberanz dahinzieht.
-Um aus einem Kometenschweif eine glühende Wasserstoffprotuberanz zu
-machen, müßte man den zur Sonne so schwachen Kometenkern aber Garben
-werfen lassen bis zu zwanzig Millionen Meilen. Das Unsinnige liegt
-schon so zutage, abgesehen von all den andern Gegengründen.
-
-Das elektrische Glühen der unendlich feinen Schweifmaterie wird man
-sich auch nur als einen beständigen schwachen Ausgleich zwischen den
-winzigen Einzelteilchen denken müssen im Sinne des Aufleuchtens der
-außerordentlich verdünnten Materie in unsern Geißlerschen Röhren.
-
-Es ist ja erstaunlich, in was für Stadien der Verdünnung sich kosmische
-Körper offenbar befinden können, ohne doch die Fähigkeit des Leuchtens
-und die Wirksamkeit für unsere Spektralapparate zu verlieren.
-
-Jeder hat von den echten Nebelflecken gehört, ungeheuren Gebilden,
-in denen leuchtende Gasmassen sich über unfaßbar riesige Gebiete
-des Raumes ausdehnen. Diese Nebelflecken geben trotz ihrer enormen
-Entfernung so viel Licht, daß wir sie photographieren können; einzelne,
-wie der Orionnebel, erscheinen schon in kleinen Fernrohren als
-imposantes Objekt. Im Spektroskop erkennt man sehr gut auch noch die
-hellen Linien der Gassubstanzen, die da glühen, und man darf daraus
-mit Sicherheit auf Wasserstoff, Stickstoff und Helium schließen.
-
-Die ältere Annahme hielt nun auch solchen Nebelfleck für ein echtes
-höllenhaftes Glutmeer, in dem unsere Erde augenblicklich verpuffen
-würde wie eine Sternschnuppe. Neuere Astronomen denken dagegen genau
-umgekehrt an Gase, die leuchten, weil sie so außerordentlich _verdünnt_
-sind und bei sehr _niedrigen_ Temperaturen im kalten Raume schweben.
-Auch hier mag man irgendein elektrisches Glühen vermuten, für das Gase
-gerade in diesem Zustande besonders geeignet erscheinen. Über die
-wirklich kolossale Verdünnung kann aber bei den Raumverhältnissen in
-diesem Falle kein Zweifel sein.
-
-Arrhenius berechnet in einem Nebelfleck, dessen Gas den vielfachen Raum
-der Neptunbahn einnähme, die Dichte des Gases nur auf ein Billionstel
-der Dichte unserer Luft. Und doch erscheint der Nebel, in fernen
-Fixsternräumen schwebend, noch als Lichtgebilde für uns und gibt
-Stofflinien im Spektralapparat ganz wie ein Komet, der relativ dicht
-neben uns um unsere Sonne geht!
-
-Dem Laien pflegt durch die allgemein verbreitete Kant-Laplacesche
-Bildungstheorie die Vorstellung ganz besonders geläufig zu sein, daß
-unser eigenes Sonnensystem mit all seinen Planeten und Monden einst
-auch eine einheitliche gashafte Nebelmasse dieser Art gebildet habe,
-wobei die jetzt zur Sonne und ihren Planeten und Monden geballte
-Materie sich bis über die Neptunsbahn einheitlich lose ausgedehnt
-hätte. Scheiner hat gerade das aber gelegentlich auch einmal exakt
-durchgerechnet, und er hat als Resultat bekommen, daß unsere Atemluft
-an der Erdoberfläche 240000 Millionen mal so dicht sei, als diese
-anfängliche Nebelmaterie höchstens gewesen sein könne. Das sogenannte
-Vakuum unter unsern Luftpumpen, das wir gern stolz als »leeren Raum«
-bezeichnen, stellt im guten Falle erst ein Hunderttausendstel unserer
-Luftdichte dar. Man bekommt hier einen Begriff, was wirklich leerer
-Raum hieße.
-
-Bei jenem 240000 Millionstel unserer Luft stehen wir tatsächlich noch
-bei realen Körpern, die selbständig leuchten und ein Lichtspektrum
-geben, das ihre Elemente verrät! Erst weit jenseits dieser Werte würde
-aber die Welt des Lichtäthers selbst beginnen, auf deren Wellendruck
-Arrhenius seine Kometenteilchen in den Schweifen dahinsegeln läßt.
-
-Man muß diese Vergleichsbilder kennen, wenn auf der einen Seite ein
-Forscher sagt, ein Kometenschweif erscheine ihm wie ein »leuchtendes
-Nichts« ... und auf der anderen Weltuntergangsängste umlaufen, die
-unter dem gleichen Gebilde sich ein Ding etwa wie eine weißglühende
-Stange vorstellen, die mit zerschmetternder Vehemenz gegen unsere Erde
-schlagen wird ...
-
- * * * * *
-
-Resümieren wir also noch einmal unser Los in der kritischen Nacht vom
-18. zum 19. Mai.
-
-Nach der vorläufig besten und neuesten Berechnung liegt die eigentlich
-bedeutsame Nachtstunde für uns in Deutschland _genau zwischen morgens
-3 Uhr 22 Minuten und 4 Uhr 22 Minuten_. Sie gehört also nach unserer
-bürgerlichen Datierung bereits dem 19. Mai an, während der Astronom
-sie nach seiner Berechnungsart noch zum 18. Mai zählt. Über eventuelle
-Verschiebungen des engeren Termins werden im letzten Momente ja noch
-alle Zeitungen wie bei einer wichtigen Theaterpremiere berichten.
-
-In dieser Stunde also geht der Komet genau zwischen der Sonne und
-unserer Erde durch. In Australien, in der Südsee und in Ostasien
-wird man direkt beobachten können, wie der Kometenkopf scheinbar in
-die Sonnenscheibe eintritt, um sie erst nach einer ganzen Stunde des
-Vorbeipassierens wieder zu verlassen.
-
-Während dieser Stunde aber wird die Erde selbst durch den
-Kometenschweif gehen, und wenn dieser Schweif angetan wäre, wirklich
-unsere Atmosphäre mit irgend etwas Schrecklichem zu versetzen, so
-würde sich dieses Schreckliche dann alsbald unaufhaltsam durch unsern
-gesamten Luftkreis verbreiten müssen.
-
-Was ist nun in Wahrheit zu erwarten?
-
-Da uns nicht ein Kometenkopf berührt, sondern nur der Ausläufer
-eines Kometenschweifs, ist es nicht wahrscheinlich, daß wir
-direkt noch meteorischen Staub von der Stärke in unseren obersten
-Atmosphäreschichten erhalten, daß ein Sternschnuppenregen auftritt;
-schade, denn dieses Schauspiel wäre ebenso ungefährlich wie schön, und
-es lohnte, daß man eine Nacht darum aufbliebe.
-
-Ausgeschlossen sind nach aller bestehenden Theorie sowohl
-katastrophenhafte Stoßerscheinungen, wie Gefahren durch explosible oder
-giftige Stoffe.
-
-Denkbar wäre dagegen zu dem kritischen Termin eine bestimmte Sorte
-irdischer Feinwirkung, die wir diesmal zum erstenmal genau feststellen
-könnten, weil wir zum erstenmal die nötigen Apparate dafür zur
-Verfügung haben. Auch ihr geht jeder katastrophenhafte, uns und
-unsere Technik gefährdende Charakter ab, dagegen handelt es sich um
-die Möglichkeit von sowohl wissenschaftlich wie technisch wertvollen
-Feststellungen.
-
-Es wäre nämlich immerhin möglich, daß der Kometenschweif gewisse feine
-_elektromagnetische Störungen_ auf unserer Erde hervorriefe.
-
-Bekanntlich gibt es auf unserm Planeten höchst eigentümliche zeitweise
-Störungen und Stürme innerhalb der geheimnisvollen Kraftbetätigungen,
-die wir elektromagnetische nennen und deren Wirksamkeit wir erst in
-neuerer Zeit genauer zu erforschen und zu verwerten begonnen haben.
-Unsere Magnetnadeln geraten dabei in mehr oder minder lebhafte
-Unruhe. In stärkeren Fällen durchsausen gewaltige elektrische
-Erdströme die Oberflächenschicht des Planeten und bringen alle unsere
-Telegraphenleitungen für eine kurze Weile in heillose Unordnung, ja
-außer jeglicher brauchbaren Funktion. Zugleich wird bis in Gegenden,
-wo man an dergleichen nicht gewöhnt ist, eine völlig ungefährliche,
-aber sehr auffällige Lichterscheinung unserer Atmosphäre merkbar,
-die sich sonst auf eine gewisse Nähe der magnetischen Pole unserer
-Erde beschränkt: nämlich das sogenannte Polarlicht oder (für unsere
-Nordhalbkugel) Nordlicht.
-
-Obwohl diese oft plötzlichen und für unsere modernen Verkehrsapparate
-mindestens momentan lästigen elektromagnetischen »Unwetter« zunächst
-durchaus irdische Phänomene sind (auch mit Einschluß des Nordlichts),
-so hat man doch allmählich gelernt, daß bei ihnen irgendein weiterer
-kosmischer Zusammenhang zweifellos auch noch besteht.
-
-Sie fallen nämlich durchweg zeitlich genau zusammen mit bestimmten
-Erscheinungen auf der Sonne.
-
-Die Sonne zeigt an ihrer Oberfläche gelegentlich gewisse Anzeichen,
-die auf eine lebhaftere eruptive Tätigkeit schließen lassen. Als
-sichtbarlichstes Gebilde gehören (in irgendeinem Zusammenhang, der an
-sich noch nicht völlig geklärt ist) hierher die Sonnenflecken. Diese
-Sonnenflecken treten in bestimmten Perioden stärker und dann wieder
-schwächer auf; bald ist die Sonnenscheibe von ihnen fast bedrohlich
-besetzt, bald wieder scheinen sie so gut wie ganz zu verschwinden.
-
-Mit großer Sicherheit hat man nun eine elfjährige Periode dieser Art
-feststellen können, in der einmal eine Steigerung bis zu einem Maximum
-eintritt, dann aber wieder ein ebenso konsequentes Sinken folgt.
-
-Ganz genau die gleiche elfjährige Periode beobachtet man aber auch
-in einem bestimmten Schwanken unserer Magnetnadeln. Hier _muß_ ein
-Zusammenhang bestehen.
-
-Bei bestimmter Häufung und Größe einzelner Sonnenflecken wird dann auch
-eine unmittelbare Wirkung deutlich. Mit dem Auftreten des Fleckenfeldes
-auf der Sonne, ja noch enger genau mit dem Moment, da es sich innerhalb
-der Sonnenrotation gerade unserer Erde senkrecht gegenüberstellt,
-pflegt bei uns ein erhöhtes elektromagnetisches Gewitter (mit wilden
-Magnetnadel-Ausschlägen, abnormen elektrischen Erdströmen und starken
-Nordlichtern) einzutreten.
-
-Die Sonne ist von uns rund 20 Millionen Meilen entfernt. Trotzdem ist
-es, als greife von ihr in solchem Moment etwas Unsichtbares wie ein
-Scheinwerferstrahl bis zu uns herüber und störe unsere Apparate.
-
-Man hat wirklich an solche Wurfstrahlen gedacht. Bei den
-Sonnenfinsternissen sieht man einen sonst unsichtbaren Kranz ungeheurer
-Stoffstrahlen, die leuchtend weithin von der Sonne auszufließen
-scheinen, die sogenannte Korona. Es könnte sein, daß bei großen
-Eruptionen dort solche Strahlen stärker aufschießen und bei bestimmter
-Einstellung bis zu uns kommen. Unendlich feine Materie jedenfalls,
-haben sie nichts zu tun mit jenen erwähnten wirklichen glühenden
-Wasserstoff-Protuberanzen der Sonne, die nie entfernt so weit
-reichen könnten. Ihre einzige Wirkung, die sie bei uns tun können,
-ist offenbar nur eben jene ganz feine elektromagnetische, die sich
-in Magnetnadelschwankungen, Nordlichtern und (nur in unsern feinen
-Apparaten merkbaren) Erdströmen andeutet. Arrhenius denkt auch hier
-an feinste Stoffteilchen jener kritischen Größe, die, durch engere
-Sonneneruptionen zunächst hochgeschleudert und verstreut, dann zum Teil
-vom Strahlungsdruck bis in die Planetenräume hinausgetrieben und so
-auch bis zu uns gebracht würden. Die elektrische Ladung dieser Teilchen
-würde dann die Erdphänomene erklären.
-
-Wie man sich das nun im einzelnen ausmalen mag: jedenfalls gibt diese
-Kette offensichtlicher elektromagnetischer Zusammenhänge zwischen Sonne
-und Erde und ihre Wirkung bei uns einen _vagen_ Anhalt, was auch ein
-Kometenschweif als irgendwie elektrisch tätiger »Scheinwerfer« bei uns
-erzeugen _könnte_.
-
-Nehmen wir an, auch er enthält elektrisch erregte Teilchen, so wäre
-es immerhin denkbar, daß auch sie bei ihrer Mischung mit unserer
-Erdatmosphäre, wenn denn sonst bei ihrer Winzigkeit absolut nichts, so
-doch einen gewissen »elektromagnetischen Sturm« erregten, also unsere
-Magnetnadeln ausschlagen ließen, unsern elektrischen Betrieb momentan
-durch unkontrollierbare Erdströme störten und (als sinnfälligsten
-Effekt) vielleicht bis in unsere dichtesten Kulturbreiten hinein
-brillante bunte Nordlichter aufflammen ließen.
-
-Wenn ein besonders großer Sonnenfleck das kann, indem er uns
-vielleicht über zwanzig Millionen Meilen fort einen besonders langen
-elektromagnetisch geladenen, aber sonst für uns ganz unsichtbaren
-Koronastreifen zuschickt, bei dessen Berührung hier unten alles dieser
-Kraft speziell Untertane zittert, wie toll verkehrt klingelt und
-endlich den Himmel mit zuckenden magnetischen Strahlen rötet: warum
-soll _das_ nicht der Komet auch vielleicht vollbringen? Vielleicht!
-Bewiesen ist es natürlich nicht.
-
-Möglich ist ja, daß solcher Komet in seiner Sonnennähe wie eine Art
-Konzentrierer und Kondensator der ausfließenden Sonnenkraft selber
-wirkt. Nach Arrhenius würde er massenhaft in nächster Sonnennähe
-elektrisch geladenen Koronastaub der Sonne direkt an sich ziehen und
-nachher im Strahlungsdruck konzentriert wieder auspulvern gegen die
-Planeten hin: hier wirkte er also tatsächlich wie eine Art Scheinwerfer
-für Sonnenenergie.
-
-Es ist auch bereits behauptet worden, daß die Kometenschweife sich
-stärker entwickelten in Jahren der Sonnenflecken-Maxima, sei es, daß
-sie dann mehr direkten Eruptionsstaub der Sonne zu ihrem Eigenmaterial
-noch hinzuerhielten, sei es, daß die dann ohnehin stärker ausströmende
-elektrische Wirkung sie bloß auf stärkere Strecken hin zum elektrischen
-Leuchten brächte und so den Schweif größer erscheinen ließe.
-
-Ein Grund aber, sich diese problematische elektromagnetische Wirkung
-abnorm groß vorzustellen, liegt jedenfalls wieder nicht in dem ganzen
-Sachverhalt.
-
-Wenn es im höchsten Grade wahrscheinlich, ja so gut wie gewiß ist, daß
-wir früher schon so und so oft durch Kometenschweife hindurchgegangen
-sind (_jeder_ Komet, der für uns _vor_ der Sonne herging und einen
-_langen_ Schweif hatte, kommt ja historisch dafür in Betracht),
-so haben wir damals eben überhaupt nie etwas gemerkt (es sei denn
-Nordlichter, die man früher aber nirgendwo einzuregistrieren wußte und
-deshalb durchweg überhaupt nicht registrierte), einfach, weil unsere
-Technik noch nicht mit elektromagnetischen Feinapparaten arbeitete.
-Wie jung diese Arbeit ist, lehrt klärlich wohl die kleine Reminiszenz,
-daß bei der vorigen Wiederkehr des Halley-Kometen, 1835, eben zwei
-Jahre verflossen waren, seit zum erstenmal und zunächst rein als
-Privatexperiment zwei Göttinger Gelehrte, Gauß und Weber, zwischen
-der Sternwarte und dem physikalischen Kabinett ihres Göttingen eine
-elektrische Telegraphenverbindung primitivsten Stils hergestellt hatten.
-
-Wichtig ist aber auf _jeden_ Fall, daß auf diese Symptome, und seien
-sie noch so geringfügig, _geachtet_ werde. Nicht als Angstobjekt,
-sondern als willkommenes kosmisches Experiment sollen wir diese
-Kometennacht verstehen und werten.
-
-Von der schönen Treptower Volkssternwarte, die gewiß zu den edelsten
-Errungenschaften kulturell ersprießlicher Wissenschaft gehört, die wir
-in den 76 Jahren seit dem letzten Halley-Termin gewonnen haben, wird
-dabei besonders aufgefordert, es möchten doch in der Nacht vom 18. zum
-19. Mai und tunlichst schon etwas vorher auf der Erde alle Versuche mit
-den Apparaten der elektrischen Wellentelegraphie unterbleiben, damit
-sich eventuelle elektrische Wirkungen des Kometen als solche von den
-fein gestimmten Empfangsapparaten ablesen ließen.
-
-Und so gibt es noch mehrere andere Punkte, auf die auch gerade von dort
-her besonders aufmerksam gemacht worden ist als auf Dinge, die sorgsam
-zu beachten wären.
-
-Ob eine abnorme Aufhellung des Himmels einträte.
-
-Ob sich besondere bunte Dämmerungserscheinungen hinterher geltend
-machten, die auf das Eindringen allerfeinster Staubteilchen in unsere
-oberen Luftschichten deuten könnten.
-
-Ob Änderungen an dem sogenannten Zodiakallicht, einem für gewöhnlich
-schon recht rätselhaften Lichtkegel, der sich gelegentlich am Abend-
-oder Morgenhimmel zeigt, merkbar würden.
-
-Ob »leuchtende Nachtwolken«, d. h. ungewöhnlich silberglänzendes
-Cirrusgewölk, das in außerordentlichen Höhen schwebt und mit dem es
-auch irgend eine ganz aparte Bewandtnis zu haben scheint, sich gerade
-jetzt wieder sehen ließen.
-
-Bei fast allen diesen Dingen kann auch jeder Laie registrieren helfen.
-
-Auch wenn es nicht wahrscheinlich ist, daß der Kometenschweif selber
-diesmal vermehrtes Sternschnuppenmaterial liefert, so sollten doch auch
-Sternschnuppen und größere meteorische Feuerkugeln mit größter Sorgfalt
-nach Zeit und Ort aufgezeichnet werden, und es sollte das Material,
-auch wenn es wirklich noch so geringfügig erscheint, einer Sternwarte
-zugesandt werden.
-
-Arbeit, kleine Arbeit gilt es da mitzutun. Aber aus solcher Arbeit,
-Stein um Stein und seien sie klein wie Meteorstäubchen, baut sich die
-Forschung, -- nicht aus vergänglichen Sensationen.
-
-Ob ein vielleicht zu erwartender elektromagnetischer Kleinsturm auch
-auf unsere Witterung einen bescheidenen Einfluß haben könnte? Ob
-eine bestimmte jähe barometrische Luftdrucksänderung wenigstens ein
-_schwacher_ Hilfsanlaß zu dem einen oder andern etwas intensiveren
-lokalen Vulkanausbruch oder Erdbeben werden könnte?
-
-Anhalt haben wir gerade dafür _nicht_.
-
-Ein Einfluß jener elfjährigen Sonnenfleckenperiode auf unsere irdischen
-Witterungsverhältnisse ist _bisher_ nicht sicher nachgewiesen. Daß
-wir im ganzen heute auf eine Epoche stärkeren Vulkanismus wie (im
-Zusammenhang mit vielleicht wieder einsetzender Gebirgsbildung)
-stärkerer Erdbeben losgehen, ist an sich wahrscheinlich (daher
-Martinique, Messina und so weiter), es fragt sich aber durchaus, ob
-da der Barometerstand des Augenblicks wirklich im größeren Sinne
-mitspielen kann, und abermals fragt sich, ob elektromagnetische
-Erdstörungen nun wieder diesen Barometerstand beeinflussen.
-
-Schließlich: hier überall könnten wir nur lernen, und wir _wollen_
-lernen. Gibt die Kometenkrisis einen besonders heftigen Wettersturz,
-so wäre das eine lehrreiche Tatsache. Wahrscheinlich nach dem bisher
-Vorliegenden ist sie nicht, aber dieses »Vorliegende« ist stets nur ein
-»Vorbericht«. Unfehlbar ist sein Votum nie.
-
-Ja: unfehlbar!
-
-Hier wollen wir natürlich nicht ins Übertriebene fallen.
-
-Alle Forschungsergebnisse bis heute sind nur ein Annäherungswert.
-
-Es kann schlechterdings Unbekanntes geben, das die Erde, das
-Sonnensystem, die ganze Fixsternwelt in diesem Moment, da diese Zeile
-gelesen wird, in unfaßbaren Hitzegraden zu Gas verflüchtigt. Es kann.
-Die Forschung gibt ihre Argumente, zu mehr ist sie nicht verpflichtet.
-Der Arzt kann einen Menschen untersuchen und für kerngesund erklären
-und er kann im nächsten Moment am Herzschlag sterben. Die Erde kann im
-Moment, da wir auf den Kometen warten, durch eine unzusammenhängende
-Katastrophe, die von Alpha Zentauri über acht oder zehn Billionen
-Meilen zu uns herübergreift, vernichtet werden. Jeder von uns kann
-in Monte Carlo die Bank sprengen; damit zu rechnen ist aber nicht
-empfehlenswert, obwohl diese Wahrscheinlichkeit sicherlich sehr
-viel geringer ist, als daß eine Welt, die seit hundert und mehr
-Jahrmillionen ohne kosmische Katastrophe sich glatt weiterentwickelt
-hat, gerade uns Eintagsfliegen dieser lebenden Menschengeneration den
-Gefallen tun sollte, unterzugehen.
-
- * * * * *
-
-Herr Professor Semmler zu Halle um 1770 betonte (es ist erzählt),
-daß Kometen keinen direkten physischen Einfluß auf unsere Reiche,
-Republiken und Regierungen hätten, daß es hingegen dem beschaulichen
-Menschen frei stehe, sich bei ihnen das eine oder andere Erbauliche
-auch ohne besonderen Zusammenhang ins Gedächtnis zu rufen. Der Mann hat
-in einem Punkte recht.
-
-Wenn wir heute beinah etwas betrübt hinzufügen müssen, daß es auch
-mit der neueren Sensation des Versengens, Vergiftens, Versalzens
-und Bombardierens seitens des Kometenschweifs aller menschlichen
-Voraussetzung nach nichts ist, so muß uns doch unbenommen bleiben, in
-der kommenden Kometenstunde das eine oder andere zu denken, das zwar
-keinerlei Zusammenhang mit dem Kometen da oben hat, aber an sich hübsch
-und nützlich zu denken ist in allen ernsten und guten Stunden.
-
-Mögen wir ein Glas weihen in jenem Moment eben der rastlosen Arbeit,
-wie sie auch in diesem Ringen des Forschergeistes um die Kometenfrage
-so denkwürdig zum Ausdruck kommt.
-
-Schließlich ist es doch diese Arbeit selbst, die auch in die dunkelsten
-Träume eines physikalischen Weltuntergangs den letzten Trost bringen
-würde.
-
-Denken wir uns, daß ein solcher Untergang in unendlichen Fernen der
-Zeit, in Billionen oder Trillionen von Jahren, einmal eintreten
-könnte; nicht durch einen Kometen; aber vielleicht weil die Sonne in
-ihrem Lauf endlich den ungeheuren Raum doch durchmessen hätte, der
-sie heute von den nächsten Fixsternen trennt, und einen Zusammenstoß
-dort erlebte. Wenn wir sehen, was menschliche Geistesarbeit heute
-schon geleistet hat, so ließe sich, bei gleicher Weiterarbeit, wohl
-die Frage aufwerfen, was für Intelligenzwesen in jener fernen Zeit
-unsern Planeten oder unser ganzes System bewohnen würden, Wesen, die
-aus uns geworden wären, wie wir einst aus Amöben des Urstrandes uns
-heraufentwickelt haben, aber Wesen, deren Intelligenz und Technik so
-hoch über unserer heutigen ständen, wie ein Mensch heute über der Amöbe
-steht. Und es ließe sich fragen, ob diesen fernen Wesen ein solcher
-Zusammenstoß noch gefährlich werden könnte; ob sie nicht wirklich
-längst in realer Erfüllung jenes Wallaceschen Märchens vorher Mittel
-und Wege gefunden hätten, sich, wie vor der Erkaltung dieser Sonne, so
-auch vor ihrem berechneten Zusammenstoß irgend sonst wohin im All in
-Sicherheit zu bringen.
-
-Der Gedanke läßt sich aber noch steigern. Sollte solche Möglichkeit
-nicht gegeben sein oder sollte lange vorher schon die Schicksalsparze
-den Sonnenfaden oder Erdenfaden abschneiden: auch dann hat die Idee der
-rastlosen Arbeit etwas Befreiendes.
-
-Wohl wäre _unsere_ Arbeit zunächst zu Ende. Aber nicht die Arbeit der
-Entwicklung. Aus dem eingestampften, vielleicht wieder zum Nebelfleck
-verflüchtigten System würde neue rastlos wühlende Naturarbeit sich von
-neuem stufenweise emporringen, wieder bis zu Leben, bis zu Intelligenz.
-Und vielleicht würde dieses neue System auf sichereren Verträgen
-inmitten einer abermals gereinigteren Auslese des Harmonischeren,
-Passenderen, Angepaßteren beruhen und so eine längere Entwicklungsdauer
-haben als unseres.
-
-Auch der wildeste Götterdämmerungstraum der Sage schloß immer wieder
-mit diesem ganz fernen, ganz blassen, aber doch wieder lichteren Bilde.
-Aus der Asche des Weltenbrandes stieg endlich, endlich doch wieder eine
-grüne Wiese, wo neue Götter, neue Menschen, gereinigt von der alten
-Schuld, die goldenen Kugeln wieder fanden und weiterspielten. Auch dem
-Blick des Naturforschers müßten sich die goldenen Kugeln im All immer
-wieder fügen aus jedem Zusammenbruch.
-
-Denn das Naturgesetz und die Logik der Werdearbeit stürben in keinem
-dieser Brände mit.
-
-Und auch ihm bleibt der große Gedanke Darwins, auf alles Kosmische
-erhöht, daß jeder Einsturz nur eine Stufe der Unvollkommenheit
-beseitigt, herausreinigt aus der unablässig wachsenden
-Allgemeinbalance, Allgemeinanpassung, Allgemeinharmonie.
-
-Sie werden aber nichts mehr von uns wissen, diese Kommenden, diese
-Besseren, diese Geklärteren: so raunt der trübe Gedanke. Die jungen
-Götter der Sage, die wieder mit neuen goldenen Kugeln spielen,
-erzählen sich die Geschichte der alten Schuld, die im Weltenbrande
-gesühnt wurde, als ein wunderbares Märchen. Von uns wird nie wieder
-einer erzählen; von den eingestampften Opfern eines kosmischen
-Fortschrittsexperiments.
-
-Vielleicht gibt es aber doch All-Träume, die selbst dem standhalten,
-wenn auch wir zu träumen wagen.
-
-Im All geht in Wahrheit nichts verloren. Auch keine Form. Nichts, was
-einmal war. Unser Bild wandert noch nach Äonen mit Lichtpost zu fernen
-Sternen. Aber es lebt auch verborgen in allem folgenden fort. Wer die
-Formel weiß, kann es ewig aus seinen Wirkungen wieder zusammensetzen.
-Nur darum ist ja schon bei uns eigentlich Geschichte möglich. Darum
-beleben sich die alten Ichthyosaurier wieder vor unserm Blick.
-Geschichte ist der Triumph der geheimen Allgegenwart aller Dinge.
-
-Auch Sehnsucht nach Geschichte, nach Aufdecken, Wiederfinden der
-Vergangenheit liegt aber von gewisser Stufe ab in aller Arbeit der
-Natur. Intelligenz muß immer wieder hierher lenken. Nun denken wir uns
-Intelligenz unendlich über unserer, die aus wenigen Formeln das ganze
-Farbenbild der Vergangenheit wieder ablesen, wieder erwecken könnte.
-Unendliche Zukunftsarbeit würde in diesem Sinne auch eine unendliche
-Rückwärtsarbeit werden. Ein unendliches Wiederfinden aller abgerissenen
-Fäden über noch so viel Weltenbrände hinaus. Was haben aber auch wir
-eigentlich schon mehr als das in unserm individuellen Leben, jeder von
-uns, innerhalb unserer eigenen Kultur: als ein rastloses Arbeiten im
-Augenblick, in dem gerade bei uns die große Naturflamme lodert; und
-ein Hörensagen von andern vor uns, die keiner mehr direkt sieht, eine
-Geschichtstradition von früheren, toten Generationen, denen die Fackel
-aus der müden Hand gesunken ist; das muß uns genügen und genügt uns
-doch zu frohem Tagesschaffen. Ob die Nacht zwischen dir und diesem oder
-jenem alten Forscher und Denker nun nicht bloß durch Menschengräber
-und Kinderlachen, sondern wirklich durch Weltenstürze und neue goldene
-Weltkugeln geht: was würde es ändern?
-
-Hinter allem aber (darauf weihe auch dein Glas, sei es nun wirklicher
-Goldwein oder bloß Geistestrank) muß zuletzt doch das große
-Naturgeheimnis bleiben, mit seinem dunkeln Auge, das immer gleichmäßig
-auf uns weilt, das nie zuckt, was sich auch vollziehe. Es muß jeden
-einzelnen von uns über kurz oder lang aufnehmen. Stellen wir ihm auch
-die Menschheit anheim. _Wenn_ einer es je einmal zur Antwort bringt,
-kann das auch nur in der Linie unendlicher rastloser Arbeit geschehen.
-Dann löst diese Arbeit es aber rückwärts für uns alle mit. In diesem
-dunkeln Auge des Geheimnisses finden wir uns alle wieder ...
-
-Das sind Gedanken, die jetzt mit dem Kometen wirklich nicht mehr zu tun
-haben, als daß auch sie etwas durch Neptunsweiten schweifen.
-
-Bleiben wir näher. Sagen wir uns, daß dieses silberne Wölkchen da oben
-nun abermals seine 76 Jahre von uns fern weilen wird, uns so lange aus
-dem Gesichtskreise verlieren wird.
-
-Nehmen wir ihn als alten Menschenfreund und alten Menschenkenner,
-diesen einsamen Weltenwanderer da droben, der schon so viel mit
-uns durchgemacht hat, so viel Menschenglauben und Menschentand hat
-zerschellen und immer doch (wir hoffen es) etwas saure Menschenarbeit
-hat triumphieren sehen. Was wird er finden, wenn er nach seinen 76
-Jahren wiederkehrt?
-
-Ein Glas dem Problematischen, das doch noch in all unserer Wissenschaft
-steckt. Ein Klang der einen großen Wahrheit, daß noch niemand ganz
-recht hat; daß noch keine unserer Weltanschauungen ganz recht haben
-_kann_; und daß zum _Glück_ noch keine ganz recht hat. Was wird er
-finden?
-
-Wird unsere Naturforschung in 76 Jahren ganz zur äußerlichen Technik
-geworden sein, die sich von allen _tiefsten_ Denkwerten abgelöst hat?
-Oder wird sie den Anschluß gefunden haben, der für ihren höheren
-Menschheitswert der entscheidende sein muß: an eine echte idealistische
-Weltansicht? Oder ist das noch zu früh?
-
-Werden wir einen neuen Humanismus erhalten, in dem auch die
-Naturforschung, die einst vergessen worden war, ihre Stätte findet,
-nicht als verrohende Macht, sondern veredelt, geläutert vom
-humanistischen Gedanken?
-
-Und wird dieser erweiterte, verklärte Humanismus nicht beschränkt
-bleiben auf die Gelehrtenzelle, sondern eine wärmende Sonne werden für
-das ganze Volk?
-
-Wird in 76 Jahren die Sternwarte, zu der wir jetzt wandern, um dieses
-kleine unheimliche Silberfederchen, das da im eisigen Raum treibt,
-anzustarren, eine ethische Erziehungsstätte sein?
-
-Es ist die letzte Strandwelle des alten Glaubens, daß der Komet etwas
-prophezeien könne, was in solchen Fragen lebt. Er prophezeit aber
-nichts. Nur die Kraft und die Tat und die Arbeit prophezeien. Als die
-Menschheit _seine_ Wiederkehr prophezeite, da war sie bei der Arbeit,
-da taten die Dinge einen Ruck, da wurden sie größer.
-
-Weltuntergang! Wir wollten trinken und küssen, alle Reserven auftrinken
-und aufküssen. Es braucht keine Reserven mehr, morgen ist Weltfeiertag.
-
-Und nun soll das alles wieder nichts sein.
-
-Ja wäre es nicht eigentlich doch eine Wohltat gewesen, diese Stimmung
-in der scheußlichen Langeweile unserer Zeit?
-
-Wir arbeiten so heillos viel, wir haben das Recht, das Arbeiten auch
-einmal für einen Greuel zu erklären, zwischendurch.
-
-Nun will uns die grämliche Wissenschaft auch das wieder nicht erlauben.
-
-Im elenden Trott sollen wir wieder weiterschuften, immer mit kleinen
-Sparrationen, wie Südpolfahrer; Vorsicht, morgen ist noch ein Tag und
-die Woche hat noch fünf, hebt Reserven auf, Reserven für die Enkel und
-Urenkel.
-
-Gewiß, auch das läßt sich sagen. Aber zuletzt ist es auch nur der
-uralte Kometen-Pessimismus, der selbst damit nicht zufrieden ist, daß
-die Welt _nicht_ untergeht ...
-
-Und schließlich glauben wir doch alle nicht daran, wir Menschen von
-1910, mit unserer Kraft und unserer Sehnsucht.
-
-Nein. Laßt uns die heilige Kometenstunde (um denn endlich das darin zu
-finden, was von je wirklich das Grundgegenteil aller Kometengedanken
-gewesen ist) mit einem stillen Glas und vielleicht einem stillen Kuß
-auf schöne Lippen dem ewigen Wunder des Gedankens, der Liebe und der
-Schönheit weihen, dem unbesiegbaren Sonnenzauber dieser alten Welt, den
-keine kalten Sterne jemals haben bedrohen können.
-
-Und dann ...?
-
-»Worauf«, spricht ein alter Chronikschreiber, der das letzte Wort haben
-mag, (nachdem sie nämlich wieder einmal vergebens auf den Weltuntergang
-gewartet hatten) »Worauf alle wieder an ihre Arbeit gingen, als wenn
-garnichts geschehen wäre.«
-
-
-
-
-Von _Wilhelm Bölsche_ erschien im gleichen Verlage
-
-
-W. Bölsche, Das Liebesleben in der Natur. Eine Entwickelungsgeschichte
-der Liebe. Stark vermehrte und umgearbeitete Ausgabe. 2 Bde. 30.-35.
-Tausend. br. à M. 6.--, geb. à M. 7.50
-
-_Neue Weltanschauung_: Das bekannteste Werk Bölsches erscheint
-jetzt in einer neuen zweibändigen Ausgabe und zu einem wesentlich
-_ermäßigten_ Preise, so daß es auch Kreisen zugänglich wird, denen
-die dreibändige Ausgabe zu teuer war. Daß der Verfasser bei der
-Neuausgabe alle Fortschritte der Wissenschaft berücksichtigt hat,
-braucht kaum bemerkt zu werden. Im Mittelpunkt der ganzen Darstellung
-steht der Grundgedanke, daß der Mensch mit seinem ganzen Wesen im
-Tierreich wurzelt, daß er ein Teil desselben ist, sich aus ihm im Laufe
-ungezählter Millionen Jahre historisch entwickelt hat. Der eigentliche
-Gegenstand des Buches ist eine allgemeinverständliche Darstellung der
-Zeugungs- und Entwickelungsverhältnisse im Tierreich mit Einschluß
-des Menschen. Bölsche beschränkt sich dabei nicht darauf, aus der
-umfangreichen Fachliteratur die einschlägigen Tatsachen herauszusuchen
-und zusammenzustellen, sondern er betrachtet diese Tatsachen lediglich
-als ein Gerüst, das seine oft weit ausgreifenden naturphilosophischen,
-künstlerischen und ästhetischen Ausführungen stützen soll. Da, wo
-mitunter -- nach Ansicht gewisser Leute -- sogar heikle Dinge berührt
-werden mußten, läßt der Verfasser auch den Humor zur Geltung kommen.
-Es ist gewiß keine leichte Aufgabe, für ein Laienpublikum eine solche
-Entwicklungsgeschichte der Fortpflanzung zu schreiben, und gar ohne
-Abbildungen.
-
-
-W. Bölsche, Die Mittagsgöttin. Roman. 2 Bände. 4. Aufl. br. M. 7.--,
-geb. M. 9.--
-
-_Velhagen & Klasings Monatshefte_: Ein Werk, reich wie das Leben
-selbst, vom frischesten Wirklichkeitshauch durchweht und doch
-zugleich von hoher Idealität erfüllt, eine Weltanschauungsdichtung im
-großen Stil. Humor und Tragik, Pathos und Pikanterie, Realistik und
-Romantik, Zartes und Derbes in buntem Gemenge, in sprießender Fülle.
-Charakterzeichnungen von einer Schärfe und Deutlichkeit in jeder Linie
-und psychologisch so vertieft, daß sie den Vergleich mit keinen anderen
-Gebilden der neueren Literatur zu scheuen haben. Und als Untergrund
-ein Mosaik von Großstadt- und Landschaftsschilderungen, in denen sich
-ebenso glänzend die Akribie des Naturforschers wie die Stimmungsgewalt
-des Lyrikers offenbart. Die Farbenpracht dieser Schilderungen hat
-etwas Berauschendes; nur hier und da wirkt die Überfülle des Details
-ermüdend und verwirrend. Berlin und der Spreewald bilden den Schauplatz
-des Romans; was diese packenden Gegensätze an Reiz und Inhalt bieten,
-das hat der Dichter so gut wie ausgeschöpft. Inhaltlich führt der
-Roman mitten in die Geisteskämpfe der Gegenwart. Seinen Stoff entnimmt
-er dem spiritistischen Treiben unserer Tage, aber Bölsche erfaßt den
-Gegenstand tief genug, um in dem Werke die gesamten Gegensätze des
-heutigen Weltanschauungskampfes widerzuspiegeln. Und dieser Kampf
-vollzieht sich nicht in einem Für und Wider von abstrakten Deduktionen,
-sondern in der Seele einer bedeutenden Persönlichkeit, die ein
-leidenschaftliches Streben nach Wahrheit erfüllt.
-
-
-
-
-Essaybände von Wilhelm Bölsche
-
-
-W. Bölsche, Naturgeheimnis. 8. Tausend. br. M. 5.--, geb. M. 6.50
-
-_Weserzeitung_: Goethe und Haeckel -- wie oft hat Bölsche diese beiden
-großen Pioniere schon in seiner eigenartigen geistreichen Weise
-behandelt und auch im »Naturgeheimnis« bringt er sie wieder zusammen
-und läßt uns den Gleichklang vernehmen, der durch das Leben und
-Streben der beiden Forscher gegangen. Diesen volltönenden harmonischen
-Gleichklang, der aus einer großen Wahrheit hervorschauerte und
-ständig das Streben der beiden in wundervollen Rhythmen durchklang
--- aus der »Grundwahrheit Goethes von der Einheit der Natur«. »Und
-in dieser Einheit liegt alles, auch das Schöne«. Zu neuen Welten
-sucht Bölsche neue Wege. In jenem selten gefundenen Gleichbesitz von
-naturwissenschaftlicher und dichterischer Befähigung erschließen
-sich ihm unendliche Weiten zu jenen fernen Weihnachtsinseln einer
-glücklicheren Zukunft, wie in den »Visionen auf dem Palatin«, oder in
-dem grandiosen »Gespräch mit der Peterskuppel«. Wie die Geheimnisse
-ihn dort umstellen, dort »wo so unsagbar viel Menschensehnsucht
-sich verblutet« und er sich dann durch alle die Weltirrungen und
-Wirrungen hindurchfindet an der Hand der großen Weltlogik und der
-Naturgesetzlichkeit. So weiht er schließlich die schönste Kuppel der
-Erde »einer lichteren Zeit, freieren Menschen mit reinerem Sinn«, einer
-ferneren Zeit, da die Forschung eine religiöse Tat und jeder echte
-Forscher ein Priester sein wird.
-
-
-W. Bölsche, Vom Bazillus zum Affenmenschen. 10. Tausend. br. M. 5.--,
-geb. M. 6.--
-
-_Aus dem Inhalt_: Bazillus-Gedanken -- Wenn der Komet kommt -- Das
-Geheimnis des Südpols -- Die Urgeschichte des Magens -- Ein lebendes
-Tier aus der Urwelt -- Der Affenmensch von Java -- Das Märchen des Mars.
-
-_Deutsche Rundschau_: Gleicht die wissenschaftliche Forschung dem Abbau
-eines Bergwerkes mit edlen Metallen, so entspricht die Arbeit der
-Popularisierung derjenigen der Hüttenwerke, in denen man das Metall
-befreit von den umgebenden Gestein. Da ist es denn sehr erfreulich,
-in Wilhelm Bölsche bei jener vermittelnden Arbeit einen Mann tätig zu
-wissen, der als der Freund solcher Gelehrter wie Haeckel nicht nur
-des Vertrauens, sondern als Publizist von seltenen Fähigkeiten auch
-der Liebe seines Publikums jeder Zeit sicher ist. Der Titel deutet
-an, in welcher Richtung sich die Ausführungen bewegen. Den Gedanken
-einer natürlichen Entwicklung, die in ununterbrochener Arbeit die
-höheren Arten langsam aus den niederen entstehen ließ, jenen großen
-Gedanken, auf dem unsere gesamte moderne Naturwissenschaft basiert,
-möchte auch das vorliegende Buch Wilhelm Bölsches einem weiteren Kreise
-verständlich machen. Hier soll gezeigt werden, daß die ewigen Gesetze
-des Werdens sich an kleinen und kleinsten Fällen ebensogut beobachten
-lassen wie an den gewaltigsten.
-
-
-
-
-Essaybände von Wilhelm Bölsche. Wille. Emerson
-
-
-W. Bölsche, Hinter der Weltstadt. Friedrichshagener Gedanken zur
-ästhetischen Kultur. 4. Taus. br. M. 5.--, geb. M. 6.--
-
-_Deutsche Rundschau_: Dieser Band gesammelter Aufsätze und
-Betrachtungen beschäftigt sich mit bedeutenden Männern und
-Erscheinungen des 19. Jahrhunderts, in dem sichtlichen Bestreben, aus
-der gesamten Natur- und Geisteswissenschaft dasjenige herauszustellen,
-was für das 20. Jahrhundert noch fortwirkende und vielleicht neu
-begründende Kraft haben dürfte. Das, worauf der Autor über ähnliche
-Bestrebungen weg hinaus will, bezeichnet er als ästhetische Kultur.
-Ein Zug von Nichtbefriedigtsein mit der Gegenwart, aber auch von
-Unverzagtsein der Zukunft gegenüber geht durch die aus diesem Buche
-zu uns sprechende Weltanschauung. Der Autor hat sich, wie er im
-Vorwort erzählt, aus dem Lärm der Hauptstadt Berlin in die Ruhe
-des weit draußen gelegenen Vorortes Friedrichshagen geflüchtet und
-überschaut nun von da aus auf seine Weise die Erträge des abgelaufenen
-Jahrhunderts. Er beginnt mit Novalis und endet die Reihe mit Fechner,
-den er gleichsam als naturwissenschaftliche und naturphilosophische
-Ergänzung des Dichters Novalis betrachtet. Dazwischen erscheinen
-Fontane, Heine, die Gebrüder Hart, Gerhart Hauptmann, Herman Grimm und
-die Ebner-Eschenbach. Seine März-Träumerei und der, wie mir scheint,
-sehr bemerkenswerte Aufsatz über die Freien Universitäten zeigen
-Bölsche in Ideen lebend, die weit verschieden von denen waren, welche
-ein Teil der von ihm behandelten Männer vertrat. Reicher Inhalt und
-anregende Kraft wohnen den »Friedrichshagener Gedanken« inne.
-
-
-Bruno Wille, Offenbarungen des Wacholderbaums. Roman eines Allsehers.
-5. Tausend. 2 Bände. br. M. 8.--, geb. M. 10.--
-
-_Friedr. Paulsen_: In Goethe waren Philosophie und Poesie eins, ihn
-verehrt darum auch unser Verfasser als seinen Schutzpatron. Ich
-erblicke in dieser Dichtung ein Anzeichen, daß die neue Fechnersche
-Naturphilosophie, wie sie mit der mathematischen Naturwissenschaft in
-enger Beziehung steht, so auch mehr ein dauerndes Bündnis zwischen
-Philosophie und Poesie bedeutet, als die alte, dem Namen nach
-spekulative, dem Wesen nach logisch-schematische Naturphilosophie.
-
-
-Ralph Waldo Emerson, Natur und Geist. 2. Tausend. br. M. 3.--, geb.
-M. 4.--
-
-_Pädagogisches Jahrbuch_: Emerson will, daß wir »uns die Freuden eines
-ursprünglichen Verkehrs mit dem Universum sichern«, er möchte uns zum
-inneren Schauen verhelfen, und das innere Auge für die Natur öffnen.
-Überall wird hinter der Natur und durch die Natur der Geist, das
-eigentlich Schöpferische, sichtbar. Mit reichem Tatsachenmaterial sucht
-er die Zusammenhänge zwischen realen Dingen und menschlichen Gedanken,
-die unmittelbare Abhängigkeit der urwüchsigen Sprache von der Natur,
-die Umbildung der Lebenserscheinungen draußen zu Typen des inneren
-Erlebens nachzuweisen.
-
-
-
-
-Neue naturwissenschaftlich-philosophische Anschauungen
-
-
-Georg Rothe, Die Wünschelrute. Historisch-theoretische Studie. br.
-M. 2.--, geb. M. 2.80
-
-Georg Rothe zeigt auf Grund historischer und wissenschaftlicher
-Forschungen, daß das Phänomen der Wünschelrute nichts Übernatürliches
-an sich hat, sondern lediglich ein Stück Natur ist, dessen Gebiet
-infolge der ablehnenden Haltung der Schulwissenschaft noch
-nicht genügend erforscht ist. Gleichwie der Hypnotismus heute
-wissenschaftlich anerkannt und zu Heilzwecken verwendet wird, so sollte
-auch die Wünschelrute den Physikern, Physiologen und Psychologen als
-Untersuchungsobjekt geeignet erscheinen, um ihre sehr wesentlichen
-Erfolge zu erklären und weiter ausnutzen zu können. Rothe gibt die
-erste wissenschaftliche Erklärung.
-
-
-Wilhelm Fließ, Vom Leben und vom Tod. Biologische Vorträge. br.
-M. 2.--, geb. M. 3.--
-
-Hans Schlieper, Der Rhythmus des Lebendigen. br. M. 2.50, geb. M. 3.50
-
-Wilhelm Fließ hat auf rein wissenschaftlicher Grundlage zwei neue
-Naturgesetze entdeckt, nämlich das Gesetz der zweifachen Periodizität,
-sowie das der Doppelgeschlechtigkeit aller Menschen. Sie erklären
-überzeugend, woher z. B. das konstante Verhältnis der Überzahl
-männlicher Geburten kommt, sie weisen nach, warum Krankheitsbazillen
-plötzlich erlöschen, z. B. bei Pest und Cholera. Fast klingt es wie
-ein Märchen, die neue Entdeckung führt den Nachweis, daß die Geburten
-innerhalb einer Familie in engem Zusammenhange mit den Todestagen der
-Vorfahren stehen. Schlieper führt die Untersuchungen im Tierreich
-weiter.
-
-
-Maurice Maeterlinck, Die Intelligenz der Blumen. 3. Taus. br. M. 4.50,
-geb. M. 5.50
-
-_Über Land und Meer_: Der tief in die Geheimnisse der Natur eingeweihte
-Dichter legt uns hier mit ebensoviel Liebe und Innigkeit wie Geist und
-scharfer Beobachtungsgabe an einer Reihe der merkwürdigsten, erst in
-unserer Zeit recht gewürdigten Tatsachen dar, welch ungeheures Maß von
-Klugheit, Erfindungsgabe, List, Mut und andern seelischen Eigenschaften
-in der ganzen Pflanzenwelt fortwährend gegen die zahlreichen
-feindlichen Mächte aufgeboten und betätigt wird, um die Erhaltung der
-einzelnen Arten durchzusetzen. Er zeigt uns, daß jede Blume »ihre Idee,
-ihr System, ihre erworbene Erfahrung« hat und daß sie zuweilen irre
-geht in ihren Bestrebungen, genau wie der menschliche Geist.
-
-
-Maurice Maeterlinck, Das Leben der Bienen. 13. Tausend. br. M. 4.50,
-geb. M. 5.50
-
-
-Gedruckt in der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig
-
-
-
-
- Weitere Anmerkungen zur Transkription
-
- Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.
-
- Korrekturen:
-
- S. 21: Menschenlage → Menschenloge
- sonst unsere {Menschenloge} im All schützen
-
-
-
-
-
-End of Project Gutenberg's Komet und Weltuntergang, by Wilhelm Bölsche
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KOMET UND WELTUNTERGANG ***
-
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-produced from images made available by the HathiTrust
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-be renamed.
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-law means that no one owns a United States copyright in these works,
-so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
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-concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
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-specific permission. If you do not charge anything for copies of this
-eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook
-for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
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-things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
-even without complying with the full terms of this agreement. See
-paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
-Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
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-electronic works. See paragraph 1.E below.
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-Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
-of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
-works in the collection are in the public domain in the United
-States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
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-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
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-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
-Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
-www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation
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-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
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-number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
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-The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
-mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
-volunteers and employees are scattered throughout numerous
-locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
-Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
-date contact information can be found at the Foundation's web site and
-official page at www.gutenberg.org/contact
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-The Project Gutenberg EBook of Komet und Weltuntergang, by Wilhelm Bölsche
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-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
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-
-
-
-Title: Komet und Weltuntergang
-
-Author: Wilhelm Bölsche
-
-Release Date: April 25, 2020 [EBook #61928]
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-Language: German
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-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KOMET UND WELTUNTERGANG ***
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-
-
-Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
-Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This book was
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-
-
-
-
-
-</pre>
-
-
-<div class="transnote">
-<p class="h2">Anmerkungen zur Transkription</p>
-
-<p>Das Original ist in Fraktur gesetzt.
-Im Original gesperrter Text ist <em class="gesperrt">so ausgezeichnet</em>.</p>
-
-<p>Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich
-am <a href="#tnextra">Ende des Buches</a>.
-</p></div>
-
-<div class="figcenter">
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-
-<div class="chapter">
-<p class="h2">Wilhelm Bölsche</p>
-
-<h1>Komet und Weltuntergang</h1>
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-<div class="figcenter">
-<img src="images/logo.png" alt="Signet" />
-</div>
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-<p class="center">Erstes bis siebentes Tausend</p>
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-<p class="center">Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1910
-</p>
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-<hr class="chap" />
-</div>
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-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_1">[1]</a></span></p>
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-<h2 id="Vorwort">Vorwort</h2>
-</div>
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-<p>Es besteht das Bedürfnis, in diesem Frühjahr den Weltuntergang
-infolge eines Zusammenstoßes der Erde mit
-dem Halleyschen Kometen zu proklamieren. Mehrere
-Menschen empfinden daraufhin den Wunsch, durchaus
-ethisch zu werden; andere meinen, daß nunmehr aller gute
-Wein, den die Menschheit auf Reserve angesammelt hat,
-ausgetrunken und alle schönen Mädchen abgeküßt werden
-müßten. Für diese an sich löblichen Bestrebungen können
-streng wissenschaftliche Grundlagen aus Anlaß vorliegender
-Kometentheorien zurzeit noch nicht in ausreichendem
-Maße gegeben werden. Das zu untersuchen und zu klären
-ist der Zweck des vorliegenden Büchleins, das übrigens
-auch <em class="gesperrt">nach</em> dem Weltuntergang noch mit Nutzen gelesen
-werden kann.</p>
-
-<p class="right">
-<em class="gesperrt">Wilhelm Bölsche</em>
-</p>
-<p class="noind">
-<em class="gesperrt">Friedrichshagen</em><br />
-Ostern 1910
-</p>
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-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_2">[2]</a></span></p>
-
-<p class="drop">Der Himmel rötet sich von einer nordlichtartigen Glut.
-In sprachloser Erstarrung stehen die Menschen. Es ist
-kein Nordlicht: es ist der Weltbrand. Walhalla brennt,
-und nun muß alles mit.</p>
-</div>
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-<p>Wir alle kennen die Gewalt dieses Schlußbildes in Wagners Dichtung.
-Es ist der höchste Abschluß, den die Tragödie erreichen kann.
-Das Schicksal siegt, und mit dem Vorhang fällt die Welt.</p>
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-<p>Die Götter haben Schuld begangen, sie haben die heiligen Verträge
-gebrochen. Nun zieht der unerbittliche Urgrund der Dinge den
-logischen Schluß. Die Schuld muß gesühnt werden, also muß Walhalla
-brennen. Da unten aber steht das arme Häuflein Menschen
-und weiß: die da droben fallen, so müssen auch wir kleinen Kerle nach
-in den Weltenbrand. Die Walküre hat ihnen noch von der Seligkeit
-der Liebe gesungen. Aber das galt schon einem späteren, einem
-vielleicht einmal bleibenden Geschlecht. Was heute Mensch heißt,
-das muß mit in den schauerlichen Hochofen, der da oben zu glühen
-beginnt. Götterdämmerung! Die Menschendämmerung ist dann
-nur noch ein Anhängsel.</p>
-
-<p>Immer, wenn ich das sah, haben mir diese Menschen leid getan,
-die mit als Opfer fallen, weil das Schicksal den Schluß zieht aus der
-Schuld derer da oben. Schon in der Ilias hat das so ergreifenden
-Ausdruck gefunden. Die da oben wirtschaften ins Tolle; sie haben
-einen ungeheuren Krieg inszeniert; die hier unten müssen bluten,
-und all ihr Heldenmut erreicht zuletzt doch nur, daß Patroklus sinkt
-und Hektor und schließlich auch Achilles.</p>
-
-<p>Es ist aber ein eigentümliches Ding in der Welt: die Namen wechseln,
-aber die Mächte und die Nöte bleiben immer wieder die gleichen.</p>
-
-<p>Im alten Babylon sind einst aus den Sternen Götter geworden.
-Für uns heute sind die antiken Götter wieder in Sterne eingegangen.
-Und doch hat sich die Situation wenig geändert.</p>
-
-<p>Auch für uns, naturwissenschaftlich geschulte Menschen, Bewohner
-des fern im Sonnenraum mit dreißig Kilometer Geschwindigkeit<span class="pagenum"><a id="Page_3">[3]</a></span>
-in der Sekunde dahinsausenden Planeten Erde, moderne Menschen
-von heute, auch für uns bewegen sich auf der Weltenbühne
-immer wieder die drei Mitspielenden.</p>
-
-<p>In der Tiefe das unergründliche Geheimnis der Natur. Diese
-dunkle Macht hinter Leben und Tod, der wir verdanken, daß überhaupt
-etwas ist; aus der wir aufblühen, in der wir versinken, wir,
-Sterne wie Menschen; die nicht lobt und nicht anklagt, die überhaupt
-nicht redet, die, wie Angelus Silesius singt, »ein ew'ge Stille«
-ist; aber die aus dem Unnahbaren dieser ewigen Stille vollzieht, und
-deren unerbittliche Waffe die ewige Logik ist, das ewige Kausalgesetz.
-Was getan ist, das zieht seine Folgen nach, unabänderlich.</p>
-
-<p>Vor diesem absoluten Naturgrunde aber spielen sich zwei engere
-Szenen ab.</p>
-
-<p>Im Raume schweben Gestirne. Sonnen um die Planeten kreisen.
-Unfaßbar lange Zeiten hindurch halten sie sich in geregelten
-Bahnen ohne Zusammenstöße. Auf uralten Verträgen scheint ihr
-Dasein über Äonen fort aufgebaut. Will man es weniger vermenschlicht
-ausdrücken, so mag man es Balancen nennen. Vielleicht sind
-sie in ganz grauen Tagen erst selber mühsam erworben worden, die
-Balanceverhältnisse etwa unseres Planetensystems. Als Ergebnisse
-unendlicher Kämpfe. Bis alles sich in natürlicher Auslese des Passendsten,
-des Harmonischsten endlich so zurechtgesetzt hatte, daß es
-nun auf lange Zeiträume hin wirklich hielt wie in einem ehernen
-Garantievertrag.</p>
-
-<p>Erst jenseits dieser kosmischen Garantien tauchen dann die Menschen
-auf. Entwickelt in der Ruhe eines solchen Planeten, der jahrmilliardenlang
-ohne Stoß, ohne Katastrophe um seinen Sonnenschwerpunkt,
-seinen Vertragsmittelpunkt, jahraus jahrein friedlich
-kreiste. In gewissem Sinne selbständig, sind diese Menschen doch
-unlösbar gekettet an diesen oberen Zusammenhang. Mit ihrem
-Stern hängen sie in der großen Sternenbalance. Unablässig rollt
-die Erde sich mit ihnen um sich selbst, um die Sonne, mit dieser
-Sonne auf das Sternbild des Herkules los. Von überall her starren<span class="pagenum"><a id="Page_4">[4]</a></span>
-die Augen der anderen Oberwelten sie leuchtend an, wenn ihr Blick
-zum Himmel geht. Sie mögen für sich treiben, was sie wollen, diese
-Menschen da unten, kleine Götter spielen, gut sein oder schlecht; immer
-ist all ihr Spiel nur garantiert durch die Vertragstreue, die Harmonie,
-die Balancesicherheit derer da oben.</p>
-
-<p>Und nun die alte Angst: wenn die dort einmal ihre Verträge brächen.
-Wenn Sterne gegeneinander liefen. Wenn unserer Erde kosmische
-Katastrophen drohten. Wenn diese heilige Himmelsruhe sich
-lockerte, sich löste. Das unerbittliche Schicksal der Logik, der Naturgesetzlichkeit
-würde auch hier den Schluß ziehen, ohne mit der Wimper
-seines schwarzen Rätselauges zu zucken. Seht ihr, wie der Himmel
-sich rötet. Ein Weltensturz kommt, eine Sternen-, eine Planetendämmerung.
-Ein kosmischer Störenfried bricht den uralten Erdvertrag.
-Weltbrand, und was seid ihr Menschen plötzlich da unten,
-mit müßt ihr in die Hölle, in den planetarischen Hochofen. Der Krieg
-der Götter ist entbrannt, und ihr müßt mit, der Held bei euch wie der
-Feigling, unerbittlich.</p>
-
-<p>Andere Zeiten, andere Worte. Aber das gleiche Spiel, die gleiche
-Angst, das gleiche Mitleid bleibt mit den armen Menschen. Die
-Himmlischen inszenieren Troja und wir müssen brennen.</p>
-
-<p>Eines ist aber doch nicht mehr gleich heute. Seit den Tagen Homers
-oder der Edda sind wir Menschen hier auf unserm irdischen
-Posten der großen Mysterienbühne unvergleichlich viel kühner, viel
-stolzer, viel selbstbewußter geworden.</p>
-
-<p>In der Zwischenzeit liegt unsere eigentliche große Mündigerklärung
-zur technischen Erdherrschaft. Eine ganze Masse Dinge, die
-hier unten damals noch kleine Götter spielten, haben wir selber in
-die Hand genommen als gereifte, diesen Gewalten endgültig gewachsene
-Titanen. Poseidon wird in unserer Kultur ein derber
-Arbeiter, der Blitz muß unsere Apparate treiben. Wenn die Pest
-wütet, so zittern wir nicht mehr vor den Pfeilen Apollons, sondern
-wir wenden mit Erfolg Bakteriologie und Antiseptik an. Es ist auf
-dem Punkt, daß wir wirklich hier auf dieser Erdoberfläche mit dem,<span class="pagenum"><a id="Page_5">[5]</a></span>
-was hier noch an »Oberen« spukte, endgültig fertig werden. Prometheus
-siegt hier, wer kann daran nach den letzten Jahrhunderten
-der Technik noch zweifeln. Es ist eine heillose Arbeit gewesen und
-fordert noch eine heillose. Aber die entscheidende Wende ist überschritten.
-Es hat doch etwas wie ein Symbol (wenn es auch, das
-gehört zu den Resignationen des Lebens, im Moment der Lächerlichkeit
-ausgeliefert ist), daß der Fuß des Menschen sich jetzt auf den
-Pol setzt. Wenn das lenkbare Luftschiff darüber weg steuert, so wird
-auch die letzte Lächerlichkeit des »Objektteufels« vor der heiligen
-Stunde kapitulieren, wie immer.</p>
-
-<p>Kleine Schlappen, die wir auf diesen Gebieten noch erleiden,
-zählen nicht. Gewiß: wir machen noch Dummheiten; wir bauen
-eine Stadt auf die Zuglinie sich verschiebender Landmassen und sie
-stürzt im Erdbeben ein; wir regulieren einen Strom nicht ausreichend
-und Paris steht unter Wasser. Das sind aber keine Weltuntergänge,
-sondern wir wissen eigentlich schon selber recht genau, worin
-wir es dabei versehen haben und wie es künftig besser zu machen
-wäre. Es ist alles eher als eine Utopie, daß wir zuletzt alle Ströme,
-die an Kulturstädten vorbeifließen, wirklich ausreichend regulieren
-werden, daß wir die besonders durch Erdbeben bedrohten Erdstellen
-abschätzen lernen und eventuell Häuser konstruieren werden, die auch
-einen derben Stoß aushalten.</p>
-
-<p>Und noch um ein Schwereres ringen wir: das Raubtier Mensch zu
-zähmen in uns selber, Mensch mit Mensch uns zu vertragen (wir sind
-doch nun einmal die Brüder von der gleichen Schicht des großen
-Mysteriendramas), den heillos simpeln Gedanken uns endlich einzuprägen,
-den uns schon die ganze niedere Lebensentwicklung zuschreit,
-daß man sich besser liebt als frißt. Auch das geht noch durch seine Momente
-der Müdigkeit (die ethische Resignation kommt sooft wie die
-technische), aber durch bricht es doch zuletzt.</p>
-
-<p>Was wir in all dieser heißen, inbrünstigen Arbeit brauchen, das ist
-bloß noch Zeit, noch Fortsetzung der Dinge bei uns, noch Folgen von
-Generationen, die weiter schaffen, wo wir die Axt sinken lassen. Der<span class="pagenum"><a id="Page_6">[6]</a></span>
-Einzelne: ja da muß auch manches resignieren; mindestens müssen
-wir ihn dem Geheimnis zuletzt überlassen. Aber das ist doch das
-immer wieder Befreiende, Erhebende, daß auch dieser Einzelne in
-seinen paar Lebensjahren immerzu in seinen besten Momenten in
-größeren Zusammenhängen der Menschheit wirken und gestalten
-darf, auf Dinge hin, die ihn überleben sollen, die fortleben sollen
-bei wieder jungen, wieder frischen, wieder neu blühenden Menschen.
-Ein Rächer soll aus unsern Knochen auferstehen, lautete das alte
-Wort; uns ist Rache nicht mehr so wichtig; wir erwarten einen Fortsetzer,
-einen Vollender, einen Benutzer unserer Arbeit.</p>
-
-<p>Und doch sind wir Titanen der Erde machtlos gegen die da oben!</p>
-
-<p>Wir haben ja angefangen, auch sie zu studieren, wie der kluge
-Odysseus anfängt, seine Götter etwas mit Schläue zu sondieren, zu
-diplomatisieren. Wir haben begonnen, die Sternverträge selber zu
-prüfen, die Balancen ängstlich durchzurechnen. Wir haben die Erde
-gewogen, ihre Schwungkraft gemessen, Sonnen- und Siriusweiten
-festgestellt, das himmlische Billardspiel der ganzen Planetenbahnen
-durchgeprobt auf seine Garantien. Aber eine unermeßliche Kluft
-trennt uns von jeder Möglichkeit, deshalb nun da oben selber mitzuspielen,
-selber einzugreifen.</p>
-
-<p>Wenn sich da oben etwas verschiebt, das alle planetarischen Sicherheitsverträge
-zu bedrohen beginnt, so können wir's gerade zur Not
-kommen sehen: ändern aber können wir's nicht. Wenn die Erde in
-ihr Verderben rennt: <em class="gesperrt">wir</em> haben keine Macht, sie zu hemmen.</p>
-
-<p>Es gibt eine höchst amüsante, wenn auch wissenschaftlich nicht gerade
-sehr tiefe Geschichte von Jules Verne, in der drei Menschen in
-einer Bombe aus Aluminium zum Mond sausen; aus Langeweile
-gehen sie während der Fahrt die Rechnungen vom Observatorium
-zu Cambridge noch einmal durch, die ihnen die Ankunft auf dem
-Mond garantieren sollen, und dabei stellen sie einen Fehler fest, der
-alles umschmeißt und ihnen Rücksturz und Verderben bedeutet; angenehme
-Entdeckung, während sie schon fliegen! Aber ganz genau
-so fliegen wir alle längst durch den Raum, und wenn irgendeine<span class="pagenum"><a id="Page_7">[7]</a></span>
-schauerliche Rechnung uns heute beweisen sollte, daß ein fremder
-Weltkörper sich geradlinig auf uns los bewegt mit einer Bahnlage,
-die absolut notwendig zu einer entsetzlichen Katastrophe führen muß,
-so sitzen wir zugleich genau so hilflos eingeschlossen in unserem Gehäuse
-wie die Helden Jules Vernes und müssen wahllos in unser
-Verderben fliegen.</p>
-
-<p>Unsere wissenschaftliche Phantasie kann sich dabei heute schon
-recht reinlich vorstellen, was geschehen müßte, wenn ein einigermaßen
-großer und schwerer Weltkörper auch nur ganz nahe an uns
-herankommen würde.</p>
-
-<p>Durch die Anziehung müßte eine unglaublich hohe Springflut bei
-uns entstehen, deren doppelter Wasserberg mit der Erddrehung
-rasch um unsern ganzen Planeten wanderte, alles in einer katastrophalen
-Sintflut ersäufend. Gleichzeitig würden alle unsere Vulkane
-in tobenden Eruptionen ausbrechen, da die vom Druck jäh entlasteten
-Lavaherde und Dämpfe der Tiefe alle zugleich hochquellen
-müßten. Das Einströmen der Flutwasser in diese Feueressen aber
-müßte Explosionen erzeugen, bei denen weite Landgebiete wie
-Trümmer eines platzenden Dampfkessels in die Luft flögen; die
-berühmte Explosion des Krakatau von 1883 an der Sundastraße,
-bei der auch der Ozean in den ausbrechenden Krater geflossen zu
-sein scheint und eine Dampfsäule von fünfzig Kilometer Höhe entstand,
-in deren Gefolge längere Zeit Änderungen der gesamten
-Erdatmosphäre (abnorme Dämmerungsfarben durch Beimischung
-feiner Vulkanasche) eintraten, wäre ein harmloses Kinderspiel dagegen.</p>
-
-<p>Bei noch weiter fortschreitender Entlastung würden aber allmählich
-auch die tieferen Massen des Erdinnern unruhig werden. Man
-nimmt heute ziemlich allgemein an, daß der eigentliche Sitz des Magmas,
-das in unseren Vulkanen aufquillt, noch nicht in sehr großer
-Tiefe der Erdrinde sei. Was noch tiefer liegt, das wird durch den
-wachsenden ungeheuerlichen Druck der auflastenden Massen normalerweise
-so gebändigt, daß es gar nicht mehr bis zu uns aufbegehren<span class="pagenum"><a id="Page_8">[8]</a></span>
-kann. Nach gangbarer Hypothese liegen der Temperatur
-nach eigentlich gasförmige Stoffe gegen den Erdkern zu infolge des
-Drucks in einem Stadium, das sehr nahe der äußeren Erscheinungsform
-des Flüssigen oder gar Festen kommt. Eine plötzliche Erregung
-dieser sonst heilsam gedeckten Innensubstanzen würde erst das wirklich
-Grauenhafteste auslösen.</p>
-
-<p>Man kennt ja die Geschichte jener kleinen Fische, die in der Tiefsee
-unter einem beständigen Wasserdruck bis zu tausend Atmosphären
-leben; in ihrer Tiefe sind sie hübsch körperlich auf diesen Druck eingestellt;
-wenn man sie aber plötzlich im Netz an die Oberfläche bringt,
-platzen sie jämmerlich auseinander. Jener Inhalt des Erdkerns
-würde entlastet sich ebenfalls als titanischer Explosivstoff bewähren
-müssen. Mit unhemmbarer Gewalt würde er losbrechen, die Erde
-würde statt einfacher Vulkanausbrüche Protuberanzen entwickeln
-nach Art jener fürchterlichen roten Eruptionen von glühendem
-Wasserstoff und Calcium, die viele Tausende von Kilometern hoch
-über die Oberfläche der Sonne emporzuspritzen pflegen. Eine wirkliche
-Berührung der Erde mit jenem zweiten Weltkörper würde, abgesehen
-von der dabei entstehenden mechanischen Umsatzwärme,
-durch direktes Zertrümmern der schützenden Deckschale der Erde endlich
-eine Gesamtexplosion dieser Kernsubstanz mit ihrer so lange verhaltenen
-Energie hervorrufen, die für unsere irdischen Verhältnisse
-geradezu als Götterdämmerung bezeichnet werden könnte.</p>
-
-<p>Schon ein geringer Teil dieser Ereignisse würde aber genügt haben,
-das dünne schillernde Schleimhäutchen von der Erdrinde fortzusterilisieren,
-das wir (mit Einschluß des Menschendaseins) Leben
-nennen. Dieses Häutchen, in mancherlei Gestalt von Schleimtröpfchen
-protoplasmatischer Art über eine geringe Schicht der Erdoberfläche
-lose verteilt, ist seinem innersten Wesen nach zwar seit alters
-ein wahrer Ahasver und Proteus zugleich an Zähigkeit, wenn man
-ihm Zeit läßt, sich gegen äußere Bedingungen langsam einzustellen
-und raffinierteste Anpassungen fertigzubekommen. Es ist aber
-ebenso schwach, wehrlos, hinschmelzend wie eine Qualle in der grellen<span class="pagenum"><a id="Page_9">[9]</a></span>
-Sonne, hinsprühend wie eine Hand voll Spreu in der Flamme
-gegenüber jeder katastrophalen Bedrohung.</p>
-
-<p>Ein paar Stichflammen, wie jene schauerliche von Martinique,
-die in einem Moment über dreißigtausend Menschen vernichtete,
-durch die Kontinente rasend, würden das Land sofort veröden, eine
-auch nur momentane Erhöhung der Meerestemperatur auf Siedehitze
-die Ozeane. Als letzte Überlebende dürften noch Sporen von
-Milzbrandbakterien, die hundert Grad trockener Hitze aushalten, und
-gewisse Algenpflanzen der heißen Quellen des Yellowstoneparks in
-Nordamerika eine Weile ausdauern, binnen kurzem aber natürlich
-auch ohne Erfolg. Der Mensch mit heutiger Technik wäre jedenfalls
-längst vorausgegangen im Tode.</p>
-
-<p>Unwillkürlich verweilt der Gedanke auf dem Antlitz dieser Menschheit
-bei sich nähernder Gewißheit eines solchen Endes.</p>
-
-<p>Es wäre eine letzte, furchtbar ernste Probe auf unsere geistige Kraft,
-auf den letzten Stärkeschatz, der sich angesammelt im Verlauf dieses
-wunderbaren, unwahrscheinlichen Märchens, das wir als Entwickelung
-der Menschheit und Menschenintelligenz auf dieser Erde haben.</p>
-
-<p>Noch einmal würden sie wohl beide in letzter Kraft erscheinen, die
-beiden Gestalten, die um diesen Menschen immer wieder gerungen
-haben in all den Jahrtausenden seiner Geschichte: das alte Raubtier,
-das mit allen Mitteln die Erdherrschaft an sich riß, das von dem alten
-Kannibalenhügel von Krapina, wo sie noch Neandertalmenschen geschlachtet
-haben, bis auf unsere Zeiten immer auf einer roten Spur
-von Blut durch diese Geschichte gewandelt ist; und das ewige Sonnenkind,
-das aus der anderen Tiefe der Natur, aus der schon der
-Paradiesvogel den Sinn nahm, spielend seine Hochzeitslaube mit
-bunten Federn und Beeren zu schmücken, die Kunst zog, das auf
-Denken und hingebende Forschung, auf Weltanschauung, auf Liebe
-und Ethik loswanderte, als die großen Neuländer, die mehr waren
-als alle noch so hoch gesteigerte Raubtierkraft.</p>
-
-<p>Die Energie brutaler Rücksichtslosigkeit würde sich noch einmal
-ausleben wollen, fast glücklich, daß sie endlich noch einmal alle Fesseln<span class="pagenum"><a id="Page_10">[10]</a></span>
-brechen kann, mit denen sie wenigstens die Kritik des verfeinerten
-Menschentums heute überall eingeengt hat; wie eine kleine Explosion
-notdürftig gebändigter, unter den Kulturdruck gestellter Innengewalten
-und Urgewalten des Menschen selber würde das schon
-bei dem Gedanken an den Untergang entlastet vorbrechen, ehe noch
-jene zerstörende Entlastung des Planetenkerns der Erde begönne.</p>
-
-<p>Aus einer andern wieder entlasteten Schicht würde über Tausende
-und Tausende von uns die Gedankenwelt sich noch einmal als
-zäher Lavastrom ausbreiten, wie sie in ihrem typischsten noch lebenden
-Beispiel Sven Hedin kürzlich so anschaulich aus den Klosterstädten
-Tibets geschildert hat: jene absolute Einstellung des ganzen
-wirklichen Lebens auf die Welt eines geglaubten anderen, nachkommenden.
-Der Glaube, der Menschen veranlaßt, viele Jahre ihres
-Lebens in einer bis auf einen schmalen Spalt zugemauerten Zelle
-freiwillig zu verbringen und tagaus tagein, ob nun die Sonne draußen
-scheint oder Wolken die Dinge verfinstern, den ganzen Inhalt
-dieses Lebens auf das ewig gleiche mechanische Drehen einer Gebetmühle
-zu verwenden, im felsenfesten Vertrauen, daß so eine bestimmte
-Suggestion auf dieses Jenseits ausgeübt werde!</p>
-
-<p>Umgekehrt würde für diesen fieberhaften letzten Moment aber
-zweifellos auch noch einmal das wie eine wirkliche Lösung, ein wirklicher
-Trost hervorblühen, was dem armen, ringenden, blutenden
-Einzelmenschen so unzählige Male immer wieder schon in diesem
-Leben geholfen hat: der göttliche Leichtsinn des Menschen mit all
-seiner Grazie und Liebenswürdigkeit; der heilige Leichtsinn, der sich,
-wenn unten die Pest als Schnitter durch die Garben geht und uns
-alle mähen wird, in eine lustige Halle setzt und Boccacciosche Märchen
-erzählt, dem Tode einen goldenen Becher zutrinkt aus dem Wein,
-den sonst erst die Enkel haben sollten, und von der heißen Lippe
-des schönen Mädchens geküßt wird, von dem ihn sonst alle heiligen
-und profanen Wasser dieser Erde auf ewig hätten trennen müssen.</p>
-
-<p>Schließlich glaube ich aber doch auch noch an ein letztes kleines
-Häufchen von Menschen (Fazit des reinsten Entwicklungsgoldes der<span class="pagenum"><a id="Page_11">[11]</a></span>
-Menschheit heute schon, wenn es auch nur eine kleine Schar ist), die
-im Anblick des rot aufstrahlenden Himmels der Götterdämmerung
-das Beste aus all diesen wechselnden Zügen der Kraft nach bewähren
-würden ohne die Schlacken; die aus der eisernen Stärke des
-wilden Kämpfers, aus dem tiefsten Sehnen und Resignieren des
-echten religiösen Kerngehalts, wie aus dem sprühenden Trotz, der
-dem Tode zutrinkt, endlich den Heldenmut der freien Seele in diesem
-letzten Scheidefeuer sich schmieden würden, von dem des Dichters
-Wort gilt:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Wenn etwas ist, gewalt'ger als das Schicksal,<br /></span>
-<span class="i0">So ist's der Mut, der's unerschüttert trägt.«<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>…&nbsp;Auch ein solcher Mensch würde aber doch die ganze Trauer
-empfinden, die uns beim Tode eines Jünglings ergreift. Die Mummelgreise
-des blasierten Denkens lügen ja: die Menschheit ist noch
-nicht alt. Sie ist noch jung bis zur grünsten Dummheit. Sie wollte
-erst anfangen, wollte erst beginnen, etwas zu leisten. Erst eben fing
-eine endlose dunkle Naturarbeit an, in ihr einen Sinn zu bekommen.
-Nun ein glühender Hauch, und das alles soll wieder umsonst gewesen
-sein.</p>
-
-<p>Vielleicht registrieren sie das Aufflammen der Erde auf einem andern
-Stern. Einmal wieder eine kleine kosmische Veränderung.
-Wer weiß, nach wieviel Zeit erst. Das Licht nimmt ja vierzigtausend
-Meilen in der Sekunde und braucht doch Jahrtausende bis zu
-den entfernteren Sternen unseres Milchstraßensystems. Dort schieben
-sich die Geschehnisse durch die verspätete Lichtpost immer weiter
-und weiter zurück. Wenn die Welt wirklich, wie der Kalender will,
-erst um 3761 v. Chr. erschaffen worden wäre, so müßte dieses merkwürdige
-Ereignis für unsere Gegend schon auf Sternen von mittlerer
-Entfernung jetzt noch unmittelbar beobachtet werden.</p>
-
-<p>Nehmen wir an, es sei nicht zu einer vollkommenen Explosion des
-Erdinnern gekommen, sondern es hätten bloß die Springfluten und
-Basaltergüsse beim nahen Vorbeipassieren eines himmlischen Störenfriedes
-die Menschheit vernichtet, so wäre es denkbar, daß nach<span class="pagenum"><a id="Page_12">[12]</a></span>
-Äonen andere, mit weit erhöhter Technik wandernde Intelligenzwesen
-diesen toten Ball besuchten. Vielleicht, daß sie bei künstlichem
-Licht durch Schachte in die rätselhafte ungeheure Erstarrungsdecke
-des ehemals glühend ausgeströmten Basalts eindrängen, wie wir
-heute uns mit Fackeln hinableuchten lassen in die gespenstischen
-Räume des Theaters von Herkulaneum, über das einst die heißen
-Schlammströme des neu explodierenden Vesuv geflossen sind. Wie
-in jenem verschütteten Theater würde da und dort eine Stufe, ein
-Säulenrest, eine geköpfte Statue, eine Inschrift von der toten
-Menschheit zeugen und staunende Neugier, gemischt mit einem Gefühl
-des Grauens, wecken. Ein verklungenes Märchen, in der Nacht,
-der Tiefe versunken. Wie Atlantis, wie Vineta der Sage. Nicht einmal
-seine Glocken klingen mehr. Lava hält energischer im Bann als
-Wasser. Das ausgeträumte Märchen der Menschheit&nbsp;…</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p class="drop p2">Lassen wir die Grauen und nehmen ein ganz aktuelles, überaus
-anmutiges Naturbild.</p>
-</div>
-
-<p>Die meisten von uns haben es in den letzten Tagen des
-Januar dieses Jahres genossen.</p>
-
-<p>Nicht als Götterdämmerung, sondern in ihren gewohnten roten
-Abendfeuern ging die Sonne zur Rüste. In dem zauberhaften Farbenbogen,
-der aus duftigstem, durchsichtigstem Orangegelb, Mattgrün
-und ganz oben Violettblau sich noch eine Weile leise abklingend
-im Westen hielt, trat plötzlich hineinblitzend und dann rasch im eigenen
-Weißfeuer wachsend, bis sie als neuer Mittelpunkt das Ganze
-beherrschte, die Venus vor. Dieser schöne schneeweiße Planet, der
-uns so nahe ist und von dem wir doch so rein gar nichts wissen, weil
-ein ewiger dichter Wolkenschleier zäh das Geheimnis seiner Oberflächengestalt
-hütet.</p>
-
-<p>Dann aber, rechts von dem strahlenden Auge des Abendsterns,
-jetzt ein zweites, ganz feines Himmelsgebilde. Wie ein phosphoreszierendes
-Federchen eben hingehaucht vor den blassen Kristall des
-abdunkelnden Himmels. Ein schwaches Sternchen, das aussah, als<span class="pagenum"><a id="Page_13">[13]</a></span>
-sei es an der freien Wölbung da oben ein Stückchen weit auf die
-Sonne zugekrochen und habe dabei eine feine Silberspur auf dem
-Untergrunde hinterlassen. Im Fernrohr erschien ein goldener Kern
-in einer weißlich verwaschenen Nebelhülle, nicht unähnlich einem
-ausgeschütteten rohen Ei; von dem floß jene Silberspur dann als
-langer Schweif aus, mit der starren Geradlinigkeit nicht eines Körpers,
-sondern viel eher eines breiten weißlichen Lichtstrahls. Nahm
-man den Kern als ein gelbes Schiffchen, das in einer Nebelwolke
-fuhr, so ergab sich mit großer Anschaulichkeit auch das Bild eines
-Scheinwerfers, mit dessen langem schleppenden Lichtbande die Gegend
-jenseits der Sonne von Bord aus abgesucht wurde.</p>
-
-<p>Dieses höchst eigenartige Gebilde, das ein paar klare Abende lang
-die allgemeinste Aufmerksamkeit auf sich zog, um dann still wieder
-zu verschwinden, wie es gekommen, war der sogenannte Komet von
-Johannesburg. Bahnschaffner im fernen Kapland, wo Johannesburg
-mit Kapstadt durch eine Schienenlinie verknüpft ist, hatten von
-einem andern kommenden Kometen gehört und zuerst die Kunde
-verbreitet, daß jetzt wirklich ein Komet am Westhimmel glänze; es
-war aber nicht der erwartete, sondern ein ganz neuer.</p>
-
-<p>Aus den ungeheuren Raumesfernen zwischen der Sonne und den
-nächsten Fixsternen kam dieser Komet herangewandert, wie ein Zugvogel
-in den Schleiern der Nacht kommt. Wie solchen Vogel wohl
-die jäh auftauchende Flamme eines Leuchtturms auf einer einsamen
-Klippe über den nachtverhangenen Wassern ablenkt, daß er
-sich wie gebannt vom Licht ihr nähern muß, so wirkte bei einer gewissen
-Nähe mit bestimmtem Zuge auch unsere Sonne auf den kosmischen
-Wanderer. Er stürzte nicht mehr geradlinig fort wie ein
-Stein, der in den unendlichen Brunnen der Raumesewigkeit geworfen
-war. Er bog aus, beschrieb eine Kurve um den Sonnenleuchtturm.</p>
-
-<p>Im Ganzen war es nur eine kurze Episode. Eine Verbeugung
-ohne Verweilen. Sehr bald sollte ihn wieder die alte ungestüme
-Kraft des freifallenden Körpers in der offenen Raumesöde packen<span class="pagenum"><a id="Page_14">[14]</a></span>
-und davonstürzen lassen in den Brunnengrund des Alls. Aber in
-der kurzen Spanne, da der kosmische Zugvogel in einem raschen
-Bogen an der strahlenden Leuchtturmkuppel näher hinglitt, als
-wolle er sie wirklich einmal ganz umkreisen: in diesem flüchtigen
-Moment geschah es, daß von einer kleineren einsamen Klippe in der
-Nähe der großen der vorbeischwebende Vogel <em class="gesperrt">gesehen</em> wurde.</p>
-
-<p>Diese Klippe empfing ihr Licht ganz von dem Leuchtturm. Auf
-ihr aber standen Hütten; Menschen wohnten dort. Und diese Menschen
-beobachteten vorübergehend den seltsamen Wanderer. Die
-Gelehrten erkannten in ihm etwas wieder, was man schon öfter beobachtet
-hatte, eine besondere Spezies kosmischer »Vögel«. Komet
-nannte man solche Gebilde seit alters; das Wort heißt Haarstern;
-also ein Stern, der hinter sich her ein langes silbernes Gelocke wallen
-läßt: den Schweif.</p>
-
-<p>Es ist aber ein recht sonderbares Ding gerade um dieses Sternenhaar.</p>
-
-<p>Wenn der Komet einsam da draußen, sonnenfern durch den unermeßlichen
-Brunnen des Raumes einfach fällt und fällt, besitzt er
-keinen Schweif. Er gleicht dann wirklich einem kleinen Sternchen
-gewöhnlicher Art, nur blasser, verwaschener. Etwas von einem
-Wölkchen hat er wohl immer, nur daß es jetzt noch ein rundes punkthaftes
-Wölkchen in kompaktester Zusammenziehung ist. Aber indem
-die engere Kurve an der Sonne vorbei beginnt, ändert sich da etwas.</p>
-
-<p>Das Kernköpfchen hat sich im Bann dieser Sonne, wie gesagt,
-bequemt, eine kleine Reverenz zu machen. Aber dabei ist es jetzt
-vielfach wirklich, als werde etwas in seiner Frisur unruhig. Wie
-Haar, das sich sträubt, wogt seine Nebelhülle von dem eigentlichen
-Sternkopf empor. Erst ist es, als fasse die Magie der nahen Sonne
-sie stärker. Auf wallt sie gegen die Sonne hin. Aber alsbald auch
-scheint die Sonnenhand wieder abzuwinken. In der gesträubten
-Masse über dem Kometenhaupt entsteht ein Scheitel: rechts, links
-fließen für unsern Anblick die Nebelhaare des wunderlichen kosmischen
-Gesellen rückwärts gegen sein Hinterhaupt, entgegengesetzt zur<span class="pagenum"><a id="Page_15">[15]</a></span>
-Sonne, ab. Dort aber entfalten sie jetzt, als löse sich nochmals ein
-engeres Gewebe, erst ihre ganze Länge. Wie mit einem unsichtbaren
-Kamm strähnt die Sonne sie weit, immer weiter von dem Kometenkopf
-fort, bis sie als endloser Nebelschweif hinauswallen in den
-Raum, der die Sonnenklippe von den andern Klippen des Systems
-trennt. Immer aber weht dieser Schweif fort von der Sonne, so
-lange der Komet im ganzen seine Sonnenreverenz macht.</p>
-
-<p>So entsteht jenes famose Bild eines kolossalen Scheinwerfers, der
-nach zähestem Gesetz nie auf die Sonne selber, sondern immer entgegengesetzt
-gerichtet werden muß. Und das eigentlich ist es, was
-für uns auf der fernen Erdenklippe die größeren Kometen zu einem
-so wunderbaren Schauspiel macht: dieser erst sich entwickelnde
-Schweif in der Sonnennähe, dieses plötzlich erst losgebundene und
-wie in einem magischen Sturm von der Sonne weggewehte Lockenhaar
-gerade in der Zeit, da doch im ganzen die anziehende Kraft
-dieser Sonne diesen Gesamtkometen so gepackt hat, daß er in kühnster
-Schwenkung ganz nahe an ihr vorbei muß; so nahe, daß dem
-Rechner bangt, ob es dem Kopf nicht gehen werde wie so manchem
-Zugvogel auf unserem Helgoland, der direkt auf Tod und Verderben
-bei zu kurzer Kurve wider die Kuppel des Leuchtturms selber prallt.</p>
-
-<p>Der Komet von Johannesburg trat erst in unsere Schau, als er
-bereits in voller Pracht seines weithin wallenden Schweifes florierte.
-Wir hatten von unserm Klippenstande aus sein Herankommen
-zur Sonne und die Schweifentwickelung also selbst nicht beobachten
-können. Erst als die ganze Locke längst majestätisch dahinwogte,
-glänzte er plötzlich vor uns auf. Schon aber ging auch sein
-ganzes Sonnengastspiel damit zu Ende. Keinerlei wirkliche engere
-Gemeinschaft fesselte diesen Wanderer dauernd an unsern Leuchtturm.
-Frei sollte er jetzt wieder hinausfallen in den Brunnen der
-Unendlichkeit. Mit der Sonnennähe muß aber zugleich auch sein
-»Haarsträuben« wieder abnehmen, die erregten Nebellocken werden
-wie ermattet wieder sinken, der geheimnisvolle Zug, der die langen
-Strähnen von der Sonne fortjagte, muß im gleichen Verhältnis<span class="pagenum"><a id="Page_16">[16]</a></span>
-schwächer werden, wie der ganze Kometenkopf die Sonnenanziehung
-verläßt und selber wieder auf eigene Faust in die dunkle Weite
-strebt. Als wieder beruhigtes, gleichsam wieder ganz eingerolltes,
-ringsum geglättetes Sternköpfchen würden wir das seltsame Gebilde
-endlich verschwinden sehen, wenn wir ihm so lange mit unserm
-freien Blick folgen könnten.</p>
-
-<p>Das Erlebnis dieses Johannesburger Kometen ist, wie gesagt, nur
-eines unter vielen. Wenn noch einmal das Gleichnis des Zugvogels
-gelten soll, so muß aus den Tiefen des Raumes zu unserer Sonne
-herauf ein unablässiger Wanderstrom solcher Vögel erfolgen. In
-dichtem Zuge kommen sie, schweben an, umkreisen die Leuchtklippe
-unseres Systems halb und entschweben wieder, einer nicht endenden
-Kette himmlischer Wildgänse gleich, in deren beständigem Zuge
-durch die Äonen der Zeit das momentane Abbiegen, die kleine Halbkurve
-vor dem Hemmnis der Sonnenklippe durchweg nur ein winzigstes
-Intermezzo ist.</p>
-
-<p>Durchweg; doch nicht immer. Es gibt Fälle, wo der Wanderer
-dauernd gefesselt wird.</p>
-
-<p>Denken wir uns im Bilde der Wildgans einen Vogel, der bei zu
-tiefem Fluge nicht einer einzelnen Klippe begegnet, der er in einer
-Kurve ausweichen kann. Er soll in ein Gewirre himmelhoher Schären
-geraten; wo er hin will, sperren ihm neue Klippenzacken den geraden
-Weg; ratlos beginnt er um die Hauptklippe zu kreisen. Das ist
-nach Lebensanalogie gedacht. Streng bloß auf Schwereverhältnisse
-umgesehen, bedeutet es für den Kometen, daß er bei seiner Kurve zu
-eng in die gesamten Anziehungslinien eines Systems, wie es unser
-Sonnensystem darstellt, sich hineinverheddert hat. Dieses System
-ist ja ein unendlich verwickelter Zugapparat. Von allen Seiten
-zerrt und drängelt es da. Eine gewisse zu kühne Kurvenwendung
-zur Sonne: und der Komet rollt nicht mehr über sie hinaus, sondern
-muß auch auf der andern Seite in eine Kurvenbiegung hinein. Die
-Halbkurven schließen sich aneinander zum gestreckten Kreis: der Komet
-ist gefangen von der Sonne.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_17">[17]</a></span></p>
-
-<p>Nun muß er dauernd gleich den schon vorhandenen Planeten
-um die große Leuchtklippe kreisen. Die alten Planeten selber helfen
-ihn dabei gründlich abfangen. Speziell unser System ist darin bedenklich
-für solche Eindringlinge, daß es eine leise Neigung zu dem
-hat, was bei andern am Fixsternhimmel sichtbaren vielfach offen
-proklamiert ist, nämlich zur Bildung eines Doppelstern-Systems.
-Der Planet Jupiter vor allem ist so groß, daß er neben der Sonne
-wirklich schon fast eine Art Nebensonne spielt, mit der zusammen im
-Kräftespiel die Zugverhältnisse eines Doppelsterns beginnen. Der
-Jupiter wird, sobald ihm ein Komet zu nahe kommt, auch schon
-zum gefährlichsten Beuger und Ablenker. Im Engeren wie als Gesamtaddition
-wirken aber auch alle andern Planeten schon mit.
-Kurz: in so und so viel Fällen wird es dem Kometen unmöglich,
-wieder loszukommen. Aus der flüchtigen Reverenz wird eine Vasallenschaft.
-Mag er noch so regellos, ohne allen Anschluß an die alten
-Verträge der Glieder gerade dieses Systems hineingeplatzt sein;
-mag er rückwärts laufen in der Richtung, wo alle Planeten vorwärts
-gehen; mag er mit seiner Bahn sozusagen auf dem Kopf der
-andern stehen; mag er in der Not einen Kreis zur Sonne als Bahn
-bekommen haben, der das schier unmöglichste an Kreisstreckung duldet;
-mag er bei jedem Sonnenumlauf alle Planetenbahnen schneiden
-mit einer Kühnheit, die alle Urverträge hier geradezu zum Spott
-macht: mitlaufen muß er zunächst auf gut Glück um die Sonne, wie
-die Planeten es allgemein vertragsmäßig tun. In geschlossener
-Bahn, die nach gewisser Zeit allemal wieder in sich selbst zurückführt.</p>
-
-<p>Ein solcher Komet, den die Sonne zu irgendeiner Zeit einmal
-aus dem großen Brunnenabgrund des freien Raumes eingefangen
-hat, ist nicht der Johannesburger; wohl aber ist es der andere, der
-seit kurzem in aller Welt Munde ist, der berühmteste, denkwürdigste
-Haarstern unserer ganzen menschlichen Kultur überhaupt: <em class="gesperrt">der
-Halleysche Komet</em>; benannt nach dem großen englischen Mathematiker
-und Astronomen Edmund Halley, geboren zu Haggerston<span class="pagenum"><a id="Page_18">[18]</a></span>
-bei London 1656, nach einem Leben voll intensivster Arbeit und
-glänzendstem Erfolge als Beobachter, als Rechner, als Weltreisender
-im Dienste astronomischer und magnetischer Spezialuntersuchungen,
-zuletzt als Direktor der weltberühmten Sternwarte zu Greenwich
-gestorben 1742.</p>
-
-<p>Als jene schlichten Entdecker im Januar den Johannesburger Kometen
-auffanden, meinten sie, er sei selber der Halleysche. Bis dorthin
-also war bereits die große Sensation gedrungen, die gegenwärtig
-bei uns die breitesten Wellen schlägt. Etwas ganz Ungeheuerliches,
-so hören wir, soll sich nämlich in diesem Jahre (1910) mit dem
-Halleyschen Kometen zutragen.</p>
-
-<p>Der Separatvertrag, zu dem dieser Halleysche Komet seit seiner
-Aufnahme in unser System vom Gesetz der Schwere gezwungen
-wurde, lautete auf eine Umkreisung der Sonne in (rund gerechnet)
-je 76 Jahren. Umkreisung ist dabei aber nicht so zu verstehen, daß
-der Komet in einem echten mathematischen Kreise laufen müßte.
-Er verfolgt nur eine Bahn, die nach Art des Kreises wieder in sich
-selbst zuletzt zurückläuft. Im übrigen hat sie die Gestalt eines langgestreckten
-Eies. Ihre eine Ecke ragt bis über die Bahn des äußersten
-uns bekannten Planeten, des Neptun, vor, ihre andere biegt dagegen
-noch weit innerhalb unserer Erdbahn ganz nahe um die Sonne
-herum. Alle 76 Jahre muß der Komet also einmal bis über die Neptunbahn
-hinaus und einmal zwischen dem Abstande der Erdbahn
-und der Sonne durchschweifen. Da er immer langsamer bummelt,
-je mehr er sich in dieser Zeit von der Sonne entfernt, bleibt er aber
-den größten Teil der 76 Jahre in den entlegeneren Regionen, so
-fern von uns, daß wir ihn von der Erde aus gar nicht wahrnehmen
-können. Wie ein Rennpferd in einer ungeheuer ausgedehnten
-Arena entzieht er sich selbst dem mit Ferngläsern bewaffneten Blick
-der Insassen unserer Erdenloge, die so relativ nahe dem einen Ende
-des Zirkus, der Sonne, liegt. Und erst ganz dicht vor dem Termin,
-da für die Sonnenecke die 76 Jahre wieder einmal abgelaufen sind,
-sehen wir ihn jedesmal plötzlich auftauchen. In rasendem Tempo<span class="pagenum"><a id="Page_19">[19]</a></span>
-stürmt er dann daher, um in vollem Galopp die Sonnensäule zu
-nehmen.</p>
-
-<p>Seit man die Ziffer seines Umlaufs im Ganzen kennt, ist es diese
-kurze Spanne je im 76. Sonnenjahre, wo man die Ferngläser nach
-der Gegend, von wo er kommen kann, zu richten beginnt. Und man
-wußte nun längst schon, daß mit der Wende von 1909 zu 1910 dieser
-Termin wieder einmal eingetreten sei. Das wilde Roß mußte auftauchen.
-Und es ist aufgetaucht, programmäßig wie je.</p>
-
-<p>Zuerst nur im stärksten Fernrohr; dann bereits im schwächeren;
-endlich an der Grenze des bloßen Auges; binnen kurzem wird es
-jeder mit freiem Blick genießen können, obwohl innerhalb gewisser
-Grenzen der Pracht; denn gerade der Halleysche Komet ist zwar,
-wie gesagt, der denkwürdigste aller Kometen, aber er hat deshalb
-nie zu denen allerersten Ranges an Schönheit der himmlischen Entfaltung
-gehört.</p>
-
-<p>Aber eine andere Kunde sichert ihm dafür gerade diesmal das
-allergrößte Interesse in der ganzen Kulturbreite des Menschenvolkes,
-das die Erdenloge füllt.</p>
-
-<p>Bleiben wir einmal einen Moment bei dem Bilde des Zirkus.
-Hier sitzen wir in der Loge. Nahe vor uns steigt in strahlender Pracht
-die eine goldene Meta auf, die ragende Säule des diesseitigen Eckziels,
-um das der Renner oder das Gespann, was es nun sei, herumsausen
-müssen. Lange harren wir. Da endlich dampft eine dicke
-Staubwolke auf, es kommt, es kommt. Aber auf der goldenen Metasäule
-wird gleichzeitig etwas Besonderes inszeniert. Ein großer
-Ventilator ist dort in Kraft gesetzt, dessen schwirrende Drehräder den
-Staub des Wettrenners beständig von der blanken Meta selber wegblasen,
-daß er jenseits in weitem Zipfel in die Arena hinausschatten
-muß. Jetzt der höchste Moment: der Renner umsaust die Metaecke.
-Im Moment aber, da er unter brausendem Jubel genau zwischen
-der Goldsäule und unserer Loge durchpassiert, geht über uns die
-äußerste Ecke des senkrecht von der Meta fortgetriebenen Staubzipfels
-als flüchtiger Schleier weg.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_20">[20]</a></span></p>
-
-<p>Der Renner, der sich in rasendem Laufe heranstürzt, ist der Halleysche
-Komet. Die goldene Meta, die er nehmen muß, ist (nach
-Ablauf wiederum von 76 Jahren) die Sonne. Die Loge voll gespannter
-Beobachter nahe dieser Meta ist die Erde. Dicht gedrängt
-stehen sie in höchster Erwartung, viele mit Gläsern vor den Augen.
-Der Komet ist aufgetaucht, in eine geheimnisvolle Nebelwolke gehüllt.
-Je mehr er sich der strahlenden Sonne nähert, desto deutlicher
-ist es aber, als blase von dieser Sonne irgendwie etwas in den Dunst
-hinein und jage ihn in langem staubartigem Schweif beständig senkrecht
-von der Sonne selber fort weit in die Planetenarena hinaus.
-Und nun ein höchster Moment auch hier: der Komet passiert für eine
-kurze Spanne genau zwischen der umbogenen Sonnensäule und
-unserer Erdenloge hindurch. Jenes Etwas, das den Schweif des
-Kometen senkrecht von der Sonne abpustet, richtet seine Kraft für
-einen flüchtigen Moment genau auf uns. Und der Schweif ist so
-lang, daß er durch die ganze Arenabreite von dem dampfenden
-Renner aus bis zu uns tatsächlich herüberschleift: seine äußerste
-Spitze erreicht uns, streift uns, fegt über uns fort&nbsp;…</p>
-
-<p>Im Zirkus gibt es etwas Staubschlucken, Knirschen auf den Zähnen,
-Streichen mit dem Taschentuch. Die allgemeine Begeisterung
-über das große Schauspiel reißt rasch darüber fort. Wie aber wird
-das Bild hier weiter passen? Wie wird es werden, wenn der Schweif
-des Kometen wirklich über unsere Erde fegt?</p>
-
-<p>Als Datum, an dem der Halleysche Komet eine Stunde lang zwischen
-Sonne und Erde durchpassiert, ist (falls nicht noch unberechnete
-Störungen der Bahn eintreten) die Nacht vom 18. zum 19. Mai
-dieses Jahres angesetzt.</p>
-
-<p>Kurz vorher, um den 1. Mai, fegt der Kometenschweif aus viel
-größerer Nähe über die Venus. Falls den planetarischen Logen
-durch den kometarischen Staubwirbel ernsthaft ein Schaden geschehen
-sollte, würden wir also schon zu diesem früheren Termin den
-Effekt an der Venus studieren können. Wenn die Loge dort in äußerlich
-sehr grober Weise unter einem Sandsturm einstürzen oder durch<span class="pagenum"><a id="Page_21">[21]</a></span>
-sprühende Funken in Brand gesetzt werden sollte, so werden wir das
-auf jeden Fall mit ansehen, ehe es uns selber noch entsprechend geht.
-Feinere Wirkungen, die speziell nur das zarte planetarische Häutchen
-des Lebens betreffen würden (ob es ein solches auch auf der
-Venus gibt, wissen wir unmittelbar überhaupt noch nicht), ließen
-sich allerdings auch so nicht ablesen. Zum Beispiel, wenn der Staub
-so dick wäre, daß die Logeninsassen rein an ihm erstickten, ohne daß
-die Loge im Ganzen zusammenstürzte. Oder gar, wenn es sich um
-eine Art kosmischen Auto-Wettrennens handelte, bei dem die
-Schweifwolke, die über die Loge fortginge, aus derartig konzentrierten
-Giftgasen im Sinne hochgesteigerten Benzingestanks bestände,
-daß sie alle Zuschauer vergiftete.</p>
-
-<p>Durch den realen Schweif eines fremden Weltkörpers, eines Kometen,
-soll die Erde gehen! Stoff eines weithin sichtbaren, offenbar
-riesengroßen kosmischen Gebildes soll von außen unsere Erde berühren.
-Es liegt doch eine seltsame Stimmung über diesem Moment.
-Wer hat das Gefühl nicht einmal gehabt: man geht in der
-vollkommenen Dunkelheit und zuckt plötzlich zusammen, aus dem
-Unsichtbaren scheint einen etwas zu berühren, eine Hand. Eine solche
-dunkle Hand aus dem All rührt an uns mit dem Kometenschweif.
-Wenn in der Nacht der Himmel sich rötete! Götterdämmerung&nbsp;…</p>
-
-<p>Wenn man die Garantien sich vergegenwärtigt, die sonst unsere
-<span id="corr021">Menschenloge</span> im All schützen, so liegt die stärkste in den gewaltigen
-Entfernungen, die im allgemeinen die großen Weltkörper voneinander
-trennen. In rascher Bewegung, mit explosibeln Substanzen
-innerlich geladen wie Bomben, bildete jeder für den andern eine
-beständig brennende Gefahr, wenn eben nicht diese starken Abstände
-wären.</p>
-
-<p>Scheiner, der ausgezeichnete Astrophysiker, hat das gelegentlich
-in ein anschauliches Bild gebracht. Denken wir uns die Sonne in
-den Größenverhältnissen der Domkuppel zu Berlin. Dann liefe der
-nächste Planet durch das Berliner Reichstagsgebäude. Die Venus
-schnitte durch Tiergarten und Humboldthain. Die Erde berührte<span class="pagenum"><a id="Page_22">[22]</a></span>
-den Bahnhof Tiergarten. Die Bahn des Mars läge bei Tempelhof,
-die des Jupiter über Spandau und jenseits Erkner. Saturn kreuzte
-Liebenwalde und Nauen, Uranus schon Wittenberg und Frankfurt
-a. O. Für den Neptun reichte Preußen nicht mehr überall. Er
-kreiste dicht vor Leipzig und schnitte Stettin und Magdeburg.</p>
-
-<p>Nehmen wir in diesen Abständen Eisenbahn- oder Hochbahnlinien,
-so wird keiner an Zusammenstöße denken; es gibt keine Weichen,
-keine bedrohlichen Gleisdreiecke. Nun aber gar in dem gleichen
-Bilde die Entfernung der Sonne und dieses ganzen Systems bis
-zum nächsten Fixstern. Wenn der Blick das Firmament sucht mit
-seinem Sterngewimmel und man hört, daß der einheitliche bleiche
-Schein der Milchstraße bloß für unser Auge entstehe durch die Zusammendrängung
-unendlicher Sternmassen auf diesem Fleck, so
-kann die Frage kommen, ob in diesem rinnenden Silbersande nicht
-beständig Sternenstäubchen gegeneinander prallen müssen. Aber
-was für Räume liegen in Wahrheit zwischen diesen Punkten, die für
-uns wie wehender Silberstaub durch die Himmelsweite regnen!
-Wenn die Domkuppel die Sonne ist und der Neptun durch Magdeburg
-passiert, so ist der schöne Doppelstern Alpha im Sternbild des
-Centauren, unser nächster Fixstern, nahezu um das Doppelte der
-wahren Entfernung des Mondes von der Erde von dieser Domkuppel
-entfernt, also fast zweimal 51&nbsp;000 Meilen. Es hat etwas
-Schauriges, sich die lieben Lichtpünktchen da oben, die so dicht gereiht
-glänzen und vereint die hübschesten Sternbilder formen, gesondert
-zu denken durch solche kalten Abgründe des Raumes, in denen
-den Wanderer das entsetzlichste Gefühl der absoluten Öde ergreifen
-müßte. Und doch liegt eben in dieser Öde die große Garantie
-für uns. Sie ist der heilige Grenzrain, der die Karambolagen
-verhütet, sie schützt den Frieden der Gestirne.</p>
-
-<p>Keine der Bahnen unserer großen Planeten kreuzt eine andere.
-Nur bei den kleinsten Körpern des Systems, wie den durchweg winzigen
-Planetoiden, kommen Schnittpunkte der Bahnen vor; der
-eine oder andere solcher Zwerge durchbricht die Jupiterbahn, einer,<span class="pagenum"><a id="Page_23">[23]</a></span>
-der Eros, schneidet weit in die Marsbahn hinein. Aber gerade dieses
-unruhige Kleinvolk liegt doch wie im Ganzen gebändigt und in eine
-ungefährliche Ecke zusammengestrudelt an einer bestimmten Stelle
-des Systems aufgehäuft, anstatt frei zu schwärmen; speziell unsere
-Erde wandelt ihm schon sehr fern im wieder gereinigten Feld. Eine
-überaus günstige Stellung für die Balance des ganzen Riesenapparats
-nehmen umgekehrt die beiden Kolosse darin ein, Saturn und
-vor allem der Jupiter, der, wie gesagt, dem Ganzen fast den Charakter
-eines Doppelstern-Systems gibt. Man kann das ohne direkte
-Teleologie so ausdrücken, daß man sagt: die Balance des Ganzen
-war eben nur möglich bei solcher Einstellung, und nur als diese Lage
-sich endlich fand, erhielt das System endlich Dauer; das entspricht
-dem Darwinschen Gedanken von der Erhaltung des Passendsten aus
-vielen durchgeprobten Möglichkeiten; so lange sind die Dinge in Urzeiten
-vielleicht immer wieder zusammengebrochen, bis sich die einzig
-mögliche Dauerform endlich in dieser Anordnung herausgelesen
-hatte. Gegen die geschichtliche Deutung in diesem Sinne ist gar
-nichts zu sagen, aber das Resultat, das uns heute die glücklichste Stabilität
-der ganzen Flugmaschine unseres Systems garantiert, bleibt
-das gleiche für uns.</p>
-
-<p>Alfred Russel Wallace, der alte Mitstreiter Darwins, hat gelegentlich
-ein dickes Buch darüber geschrieben, wie ausgesucht sicher für
-eine lange ungestörte Fortexistenz intelligenter Wesen doch gerade
-unsere Erde inmitten all dieser kosmischen Garantien sei. Mit den
-sinnreichsten astronomischen Einfällen und Aussichten hat er das
-durchgeführt. Herr Wallace ist, obwohl er selber seinerzeit der
-Mitbegründer jener Theorie der natürlichen Zuchtwahl war, heute
-der wunderlichen Ansicht, in uns Menschen steckten nicht nur höchstentwickelte
-Intelligenztiere unseres Planeten selbst, entwickelt hier
-in der jahrmillionenlangen ungestörten Ruhe dieses Planeten. Ihm
-sind die menschlichen Gehirne vielmehr Wohnstätten fernher gewanderter
-kosmischer Geister; aber diese Geister sollen sich eben die
-Erde ausgesucht haben als gesichertste Wohnstätte im All. Eine<span class="pagenum"><a id="Page_24">[24]</a></span>
-spaßhafte Idee an sich, die aber doch in der Phantasie eines kenntnisreichen
-und geistvollen Forscherkopfes dafür zeugt, <em class="gesperrt">wie</em> sehr sich
-die glückliche Raumlage der <em class="gesperrt">Erde</em> aufdrängt, von wo immer man
-an sie herangehe.</p>
-
-<p>Auch wer in die Zukunft spekulieren will, sich denkt, daß dort einmal
-die Planetenbahnen sich änderten, daß die Sonne erkalten
-könnte, daß nach Tausenden vielleicht von Billionen von Jahren die
-Eigenbewegung der Sonne und der nächsten Fixsterne doch einmal
-zu einer uns mitreißenden Fixstern-Karambolage führen könnte
-(Dinge, die notabene alle heute nicht etwa bewiesen werden können,
-sondern im breitesten Spielraum des reinen Spekulationsvergnügens
-liegen), wird aus dieser bestehenden Lage doch mindestens noch
-eine Zukunftsgarantie für Frieden ohne Katastrophe auf viele Jahrmillionen
-hinaus zugeben müssen.</p>
-
-<p>Auch daß der Raum, durch den wir alljährlich einmal mit der Erde
-wandern, normalerweise niemals absolut leer ist, liegt aller bisherigen
-Erfahrung nach nicht in der Linie ernsthafter Gefahr.
-Feine, unsere Bahn kreuzende Stoffteilchen verpuffen schon an den
-obersten Schichten des großen Deck- und Puffermantels, den unsere
-Atmosphäre bildet, allnächtlich zu völlig harmlosen Sternschnuppen.
-Mikroskopischer kosmischer Staub, der sich da und dort auch aus
-solcher Quelle bei uns anhäuft (z. B. in der Tiefsee), geniert niemand.
-Einzelne größere meteorische Metall- oder Steinbrocken, die gelegentlich
-doch noch in einer gewissen derben Greifbarkeit zu uns
-herunterkommen, haben eine eigentlich verderbliche Rolle auch noch
-nie gespielt. An sich sind sie so selten und meist so unauffällig, daß
-lange genug wissenschaftlicher Streit sein konnte, ob sie überhaupt
-vorkämen. Das ist nun zwar heute erledigt, aber die Wahrscheinlichkeit,
-daß auch nur ein Einzelmensch gerade von einem Meteorstein
-vernichtet werden solle, liegt weit unter der, daß der Betreffende
-zweimal hintereinander das große Los gewinnen solle. Selbst
-einzelne größere Blöcke, die man nachträglich gefunden und mit
-mehr oder weniger Sicherheit als meteorisch bestimmt hat, können<span class="pagenum"><a id="Page_25">[25]</a></span>
-nur so minimalen Schaden auf winzigem Fleck getan haben, daß die
-geringste irdische Vulkaneruption als wahre Riesenkatastrophe dagegen
-erscheint.</p>
-
-<p>Alle diese normalen Verträge aber, darüber ist nun wirklich kein
-Zweifel, bricht der Komet. Er rennt unter Umständen nicht nur
-senkrecht in die Planetenkreise hinein, sondern er entwickelt auch aus
-sich heraus körperliche Größenverhältnisse, die jene planetarischen
-Zwischenräume belanglos machen. Es gibt Kometen, die in der
-Sonnennähe Schwänze von zwanzig Millionen Meilen Länge entwickelt
-haben. Das ist nahezu das Dreifache unserer kleinsten Erdentfernung
-vom Mars und fast das Vierfache von der Venus. Wenn
-ein solcher Komet beinahe viermal so weit wie die Venus von uns
-entfernt stände und seinen Schweif auf uns eingestellt hätte, müßte
-dieser Schweif uns noch energisch über den Kopf schlagen, angenommen,
-daß er die Beschaffenheit einer harten Pritsche hätte. Er
-könnte dabei auf der Sonne sitzen und uns doch über den ganzen
-Zwischenraum hindurch, quer durch Merkurbahn und Venusbahn,
-einen Stüber versetzen. Wenn der Komet wirklich mit einer Pritsche
-hauen kann oder wenn er uns in seinem Schweif mit etwas anpustet,
-das uns versengen oder vergiften muß, so sind wir bei solcher Sachlage
-einfach verloren. Das Damoklesschwert hängt bei der notorischen
-Menge der Kometen immerfort über uns. Das Unheil, das uns
-jetzt in der Nacht vom 18. zum 19. Mai drohen soll, ist nur die Krisis
-eines chronischen Leidens, das auch außerhalb des angesagten Termins
-jeden Tag ausbrechen kann. Der Halleysche Komet ist ja einer
-der wenigen in ihrem Lauf sicher berechneten. Andere kommen beständig
-unverhofft; so eben der Johannesburger. Wenn ihre Pritsche
-zufällig so liegt, daß sie zu uns heranlangt, kann täglich, stündlich
-die große Katastrophe eintreten. Die offene kosmische Garantielosigkeit
-ist hier proklamiert.</p>
-
-<p>Wenn … ja, wenn der Komet eine Pritsche oder sonst irgend etwas
-Gefährliches hat. Das ist die entscheidende Frage. Was ist ein
-Komet?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_26">[26]</a></span></p>
-
-<p>Von den Planeten wissen wir, daß sie Lokomotiven sind. Ein
-Zusammenprall bedeutete eine entsetzliche Katastrophe. Aber wenn
-von der Lokomotive eine lange Dampfwolke in die grüne Wiese
-hinein verloren wird und dieser Dampfschwaden einen Spaziergänger
-für einen Moment einhüllt, so ist das keine Katastrophe.
-Wenn auf dieser Wiese im Herbstabend Erlkönig seine Nebelschleier
-spinnt und die Lokomotive durch diese Schleier saust, so ist das keine
-Katastrophe. Ist der Komet eine kraftzitternde ungeheure Lokomotive
-… oder ist er eine harmlose Rauchsäule, ein Nebelstreif aus den
-Wiesen des Alls? Sein oder Nichtsein für uns, das ist hier die Frage.</p>
-
-<hr class="chap" />
-<div class="chapter">
-<p class="drop p2">Still glänzt das silberne Wölkchen da oben, das jetzt nachweisbar
-seit rund zwei Jahrtausenden alle sechsundsiebzig Jahre
-immer einmal wieder in unser Menschenwesen hineingeschaut
-hat. Immer wieder hat es uns dabei in neuen Stadien dieser
-Frage gefunden. Wenn der Halleysche Komet ein Geschöpf wäre wie
-wir, das Erinnerungen sammeln und wiedererzählen könnte, so würde
-er uns ein merkwürdiges Buch schreiben können von Wahn und
-Hoffnung der Menschen, wie sie in diesen Abständen auch gravitiert
-haben um das dunkle Zentrum jener Frage. Zweimal tausend Jahre
-hat er uns Zeit gelassen, endlich Stellung zu ihm zu nehmen.</p>
-</div>
-
-<p>Das Jahr 11 vor Christi Geburt ist das älteste Datum, bis zu dem
-man ihn ziemlich sicher verfolgen kann. Wenn man die je 76 Jahre
-nur als runden Wert nimmt, bedeutet das für heute also gerade das
-Jubiläum seiner fünfundzwanzigsten Wiederkehr.</p>
-
-<p>In Bezug auf Störungen wie Zerstörungen (wir haben von
-diesem Begriff bei Kometen gleich noch zu reden) muß er in dieser
-langen Zeit eine relativ recht glückliche Lage gehabt haben, es steht
-also nichts im Wege, sich zu denken, er komme in Wahrheit sogar
-schon viel länger.</p>
-
-<p>So mag er schon in die Zeiten der alten Babylonier hineingeleuchtet
-haben, in jenen ersten Frühling astronomischer Forschung, aus
-dem uns gerade über Kometen schon eine Meinung und zwar eine<span class="pagenum"><a id="Page_27">[27]</a></span>
-gleich zu Anfang überraschend treffende überliefert ist. Wie Fische,
-hieß es, tauchten sie ab und zu in die Tiefen ihres Meeres, der fernen
-Himmelsräume, so daß man sie nicht mehr sehen könne; zu ihrer
-Zeit kehrten sie aber wieder aufsteigend in unsere Nähe zurück. Der
-Begriff des wandernden Weltkörpers, der gleich den Planeten in
-einer Bahn lief, war damit zum erstenmal gefaßt. Und diese Ansicht
-sollte in der ganzen Antike bis zu ihrem Schluß nie mehr ganz
-verloren gehen.</p>
-
-<p>Als der Komet in die Glanztage von Hellas hineinleuchtete, war
-sie die Lehrmeinung der Pythagoreer, die sogar direkt annahmen, im
-Kometen stecke eine Art Planet. Als er aber wiederkam kurz nach
-dem Tode des Aristoteles, hatte sich eine zweite Deutung entgegengestellt,
-die nun auch ein zähes Leben haben sollte, obwohl sie den
-verhängnisvollsten Irrtum enthielt.</p>
-
-<p>Aristoteles lehrte, ein solcher Komet sei alles andere eher als ein
-frei kreisender Weltkörper. Eine flüchtige Erscheinung unseres engeren
-Luftkreises sei er nur; ein vom Erdboden aufgedunstetes leuchtendes
-Wölkchen also, das sich bildete und zerfloß; wir heute würden
-sagen: etwa wie ein Nordlicht, das man damals auch für brennenden
-Nebel hielt. In dieser Zeit war zwar noch nicht abzusehen, was Aristoteles
-für eine Macht werden sollte weit über die ganze Antike hinaus.
-Aber zwei Meinungen gingen fortan durch diese Antike selbst,
-die sich gegenseitig grell ausschlossen.</p>
-
-<p>Die erste historisch bezeugte Wiederkehr des Kometen nach Christi
-Geburt, um das Jahr 65, fiel in das Todesjahr des geistvollen
-Römers Seneca. In einem liebenswürdigen kleinen Plauderbuche
-über naturwissenschaftliche Fragen, das man vielleicht als die früheste
-erhaltene populärwissenschaftliche Feuilletonsammlung bezeichnen
-kann, bekannte sich Seneca durchaus noch zu der pythagoreischen
-Idee. Die Kometen sind ihm Gestirne wie Sonne und Mond, in
-festen Bahnen laufend; eine Zeit werde kommen, da man diese Bahnen
-sicher berechnen werde; eine erste gute Prophezeiung, die von
-einem feinen Kopf vor Kometen gewagt wurde.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_28">[28]</a></span></p>
-
-<p>Aber eben in diesen Tagen lebte auch der dicke Admiral Plinius,
-der eine Art Konversationslexikon des damaligen Wissens zusammenstoppelte,
-in seiner Art ein grandioses Werk, das uns unendlich viel
-gerettet hat. Herr Plinius, der »große Meyer« also jener Zeit, urteilt
-selten, meist kompiliert er verschiedene Ansichten. Auch von den
-Kometen weiß er, daß die einen sie für echte Gestirne halten, die
-andern für brennenden Qualm, der aus Feuchtigkeit und Feuerstoff
-entsteht und sich bald wieder auflöst.</p>
-
-<p>Aber dazu bringt er nun einen aparten Qualm, aus dem plötzlich
-deutlich wird, was für eine dritte Meinung sich allmählich im Volk
-und speziell bei den Kulturrömern durchgekämpft hatte und zur
-Stunde unabhängig von aller Wissenschaft sozusagen auch offizielle
-Hof- und Staatsräson des römischen Cäsarenhauses war. Die Kometen
-hatten nicht nur allerhand seltsame Gestalten; Plinius unterscheidet
-Bartsterne, Schießsterne, Schwertsterne, Scheibensterne,
-Tonnensterne, Hornsterne und Lampensterne. Sie erschienen auch
-nicht nur ab und zu ganz plötzlich. Sondern sie <em class="gesperrt">bedeuteten</em> etwas.
-Sie selber taten uns nichts, aber sie verkündeten, daß etwas geschehen
-werde. Sie hatten sozusagen einen moralischen Sinn außerhalb
-aller unmittelbaren Naturerklärung.</p>
-
-<p>Diese Vorstellung führte aus allem naturwissenschaftlichen Denken
-heraus, sie war der einfache Bankerott jeglicher Wissenschaft überhaupt.
-Aber in der breiten Volksmasse jener Zeit war sie offenbar
-damals bereits längst die beliebteste, und es war bloß charakteristisch,
-daß sie jetzt auch nach oben zu sich anschickte, das Denken zu erobern
-und die dort gefundene Logik wieder zu entthronen.</p>
-
-<p>Charakteristisch ist aber zugleich, wie der menschliche Pessimismus
-sich mit ihr der Sache bemächtigte. An sich ist eine moralische Vorbedeutung
-doch indifferent, sie könnte auch Gutes bedeuten. Plinius
-selbst erzählt von Augustus, dem schlauen Herrschaftskünstler, der sich
-alles mit Geschick zurechtzulegen wußte, wie er einen herrlichen
-Kometen seiner Zeit, der »in allen Ländern gesehen wurde«, als
-Glückszeichen seines Regimentsantritts nahm und ihm sogar einen<span class="pagenum"><a id="Page_29">[29]</a></span>
-besonderen Tempelkultus weihte. Aber dieser Optimismus hielt
-nicht stand.</p>
-
-<p>Von allen andern Kometen weiß der große Kompilator nur
-Schauderhaftes an Vorbedeutung zu berichten, Bürgerkrieg und
-Blut und Gift. Mit einem Kometen kommt der böse Nero zur
-Regierung, und mitten in seinen Greueln taucht schon wieder
-einer auf, der »lange sichtbar und von sehr schlimmem Einfluß
-war«. Über den letzteren kann kaum ein Zweifel sein: es ist eben
-unser Halleyscher von Senecas Todesjahr. Also er selber jetzt Unglücksprophet!</p>
-
-<p>Alles an den Kometen dient nun dieser amtlichen Magie, selbst das
-Sternbild, vor dem sie erscheinen; geschieht es im Gestirn der
-Schlange, so bedeutet das nach Plinius Vergiftung; trifft es auf gewisse
-Leibesstellen der imaginären Sternbilderhelden, so kommen
-skandalöse Sittenzustände. Zu diesen Dingen hatte das finsterste
-Mittelalter und Nachmittelalter wenig hinzuzufügen: das ganze Rezept
-ist schon bei Plinius fertig.</p>
-
-<p>Viermal hat der Halleysche Komet darum doch noch in den großen
-Abendglanz der echten freien Antike hineinleuchten dürfen. Als er
-373 n. Chr. wieder in seine Sonnennähe kam, lehrte zu Alexandria
-noch der Mathematiker Theon (ein Zeitgenosse des bekannten Pappus),
-und er lehrte, wohl im letzten verglühenden Rot des Pythagoreertums,
-daß die Kometen reisende Lichtwolken seien. Dieses
-liebenswürdigen Mannes geniale Tochter Hypatia bestieg selber
-einen Lehrstuhl der Astronomie und Mathematik. Sie aber wurde,
-zum vollgültigen Beweise, daß die große Weihezeit des antiken Gedankens
-nun wirklich zu Ende sei, folgerichtig von fanatischen Mönchen
-auf offener Straße zu Tode mißhandelt; der Halleysche Komet
-befand sich zu dieser Zeit in der Gegend der Neptunbahn.</p>
-
-<p>Mehr als ein dutzendmal mochte er aber jetzt wiederkehren, ohne
-daß die endgültig festgefahrene Sache sich rückte und regte.</p>
-
-<p>Für die Wissenschaftler des Abendlandes wurde Aristoteles zur
-naturgeschichtlichen Bibel, im besten Falle blieben die Kometen also<span class="pagenum"><a id="Page_30">[30]</a></span>
-für mehr als tausend Jahre Kulturdenken jetzt durchaus nur brennende
-atmosphärische Dünste; kein Araber ist zum Beispiel darüber
-mehr hinausgegangen. An Stelle der Kausalerklärung für diese
-Qualmphänomene, wie sie Aristoteles selber noch gefordert hätte,
-trat aber in ganzer Breite, im Volk, bei Hof und amtlich und schließlich
-auch auf weitaus den meisten Professorenstühlen die einfache
-rohe Moraldeutung: der Brandqualm war von Gott als Fackel entzündet,
-damit wir aufmerksam wurden, es kam etwas, und zwar
-natürlich etwas Unangenehmes. Auf der katholischen wie später der
-reformierten Kanzel sah man im Kometen ein Bußzeichen. Fatales
-hatten die Zeiten ja genug, Pest, Hungersnot, Wasserfluten, Hunnen
-und Türken, böses Regiment und streitenden Glauben. In der
-Menge gingen Verschen um, daß ein Komet am Himmel acht Hauptstücke
-bedeute: »Wind, Teurung, Pest, Krieg, Wassersnot, Erdbeben,
-Ändrung, eines Herren Tod.« Die armen Menschenkinder hatten
-sozusagen zum Schaden den Spott. Nach ließ das Schicksal ihnen
-nichts, und aus eigener Kraft konnten sie's so rasch auch nicht andern;
-so stand die Kometenprophezeiung am Himmel wie ein Tort,
-bloß damit man sich auch schon vorher ängstige. Mit mehr Haß sind
-die »Lichtwolken« Theons wohl nie angeschaut worden als damals,
-wie denn sogar eine launige Sage einen resoluten Papst, Calixtus
-III., gegen unsern Halleyschen Kometen bei seiner Wiederkehr
-von 1456 den Kirchenbann schleudern läßt wegen ungehöriger Beunruhigung
-der Christenheit.</p>
-
-<p>Der Komet wanderte nach diesem luftigen Intermezzo abermals
-auf seine Neptunsecke zu, als zu Thorn Kopernikus geboren wurde.
-Kopernikus lebte noch, als er 1531 wiederkam. Die größte Tat der
-Astronomie war aber bereits geschehen, die neue Ansicht vom Bau
-unseres Sonnensystems handschriftlich niedergelegt und im engsten
-Freundeskreise bekanntgegeben. Sie bedeutete auch für die alte
-babylonisch-pythagoreische Lehre, nach der die Kometen in planetenhaften
-Bahnen liefen, den großen Fortschritt, daß jetzt Planet wie
-Komet ausschließlich um die Sonne statt um die Erde gingen; eine<span class="pagenum"><a id="Page_31">[31]</a></span>
-Ahnung dieses Sachverhalts hatte freilich in ihrer besten Zeit auch
-die Antike selber schon einmal gehabt.</p>
-
-<p>Gerade die Kometentheorie war aber inzwischen so verbaut worden,
-daß die Halleysche Lichtwolke noch gut zweimal wandern konnte,
-ehe man nur so weit war, den antiken Obergedanken für sie aus all
-dem Wust wieder zurückzufinden. Verlangte man doch lange nach
-Kopernikus noch vielfach bei der Zulassung eines Professors das ausdrückliche
-Zeugnis, daß er nicht nur überhaupt mit Aristoteles, sondern
-auch speziell mit seiner Kometenerklärung als brennendem
-Luftqualm einverstanden sei.</p>
-
-<p>Rücken mußten die Dinge indessen endlich doch. Die Hochflut
-astronomischer Ketzerei, die der sanfte Domherr zu Frauenburg angeregt,
-ließ sich dauernd nicht mehr eindämmen. Als der Komet
-1607 wiederkam, bereitete sich gerade der Hauptschlag bei Galilei vor:
-das Fernrohr war erfunden worden, und wenig später kamen jene
-heiligen Entdeckernächte, da zum erstenmal ein brennendes Menschenauge
-die Monde des Jupiter, die Bergschatten auf dem Monde,
-die Sichelgestalt der Venus, den Saturnring und die Sternmyriaden
-in der Milchstraße sah. In diesen Nächten tagte es für den Geist
-unaufhaltsam.</p>
-
-<p>Der Halleysche Komet war noch nicht zwanzig Jahre wieder auf
-der Neptunfahrt, da sprach Kepler aus (was schon Tycho de Brahe
-vermutet hatte): die Kometen könnten nicht Gebilde unseres Luftkreises
-sein, denn sie ständen laut simpler Messung von zwei verschiedenen
-Beobachterposten aus mindestens höher am Himmel als
-der Mond. Damit war die Natur als »Gestirne« wenigstens wiederhergestellt,
-der Komet aus Moralqualm und aristotelischem Luftqualm
-neu für die Astronomie gerettet. Kepler selbst glaubte dabei
-noch an lauter fast geradlinige Bahnen neben der Sonne hin, so daß
-also niemals der gleiche Komet wieder zu uns zurückkehren könnte.
-Die Kugel begann aber zu rollen. Das ungeheuer beschleunigte
-Tempo erneut freien wissenschaftlichen Forschens, das sich bis heute
-hält, hatte eingesetzt, und vor ihm bedeuteten 76 Jahre, die man<span class="pagenum"><a id="Page_32">[32]</a></span>
-früher hatte verzehnfachen müssen, um über das einförmige Denken
-einer Epoche zu kommen, auf einmal einzeln sehr viel.</p>
-
-<p>Nur noch viermal ist der Halleysche Wanderer seitdem wiedergekommen,
-jede Rückkehr gab aber jetzt einen geradezu kolossalen
-Einschlag.</p>
-
-<p>Als er 1682 seine goldene Sonnenmeta nahm und dabei neu auch
-in Menschenaugen glänzte, schrieben zwar eifrige Theologen noch
-Traktätchen über die Zauberkraft des Gestirns, aus Rom berichtete
-man von einem wunderbaren, mit dem Bilde eines Kometen versehenen
-Ei, das eine Henne in solcher Kometenstunde gelegt haben
-sollte, und in Glarus exemplifizierte jemand eben an Halleys Komet
-noch einmal mustergültig hübsch in einer besonderen Schrift die vorsätzliche
-Zuchtruten-Natur aller Kometen, womit Gott den Menschen
-zu verstehen geben wolle, »daß sie sich des Rutenschlagens öfters
-sollten erinnern«.</p>
-
-<p>Aber in der ernsten Gelehrtenzelle gingen Dörfel und Bernoulli
-zur gleichen Stunde schon unbeirrt an die Bahnberechnung dieser
-Eierzauberer und Gottesruten.</p>
-
-<p>Dörfel erfaßte das Gesetz der großen Bahnbiegung, die auch ein
-ursprünglich geradlinig wandernder Komet in der Sonnennähe erleiden
-müsse, er faßte also endgültig etwa das, was uns heute der
-Johannesburger Komet, den die Sonne zwar zu sich heranbiegt, aber
-nicht dauernd fangen kann, vormacht.</p>
-
-<p>Bernoulli träumte (im Kern auch mit einem richtigen Ansatz) von
-der engeren Vasallenschaft der Kometen zu unbekannten Planeten
-jenseits der Saturnbahn; wenn aber irgendwo eine solche Vasallenschaft
-»gefangener« Kometen schon existierte, so mußte sich auch für
-sie eine dauernd zurückführende Bahn berechnen lassen: ihre periodische
-Wiederkehr zur Sonne mußte sich vorher verkündigen lassen.</p>
-
-<p>Aus allem Wust und Nebel blödsinniger Prophezeiungen, die der
-Komet selber tun sollte, hob sich endlich wieder die alte Form wissenschaftlicher
-Prophezeiung vom Menschenstandpunkt aus gegenüber
-dem Kometen, wie sie Seneca schon verkündet hatte, indem er prophezeite,<span class="pagenum"><a id="Page_33">[33]</a></span>
-man werde noch einmal in dieser Form prophezeien
-können.</p>
-
-<p>Es war das Problem des Halleyschen Kometen jetzt selber, das
-erste Gestalt annahm, obwohl noch niemand direkt an ihn dabei
-dachte.</p>
-
-<p>1759 war nach seinem kosmischen Vertrage das nächste Jahr seiner
-Wiederkehr. Als diesmal der Termin kam, schauten vollkommen
-neue Augen auf ihn. Das Größte war inzwischen wirklich getan.
-Menschengeist hatte diesen Vertrag begriffen. Und auf Grund dieses
-Vertrages war die Wiederkehr des Kometen zu diesem Jahr auf
-Grund wissenschaftlicher Rechnungen tatsächlich prophezeit worden.</p>
-
-<p>Halley hatte die Tat getan. Noch einmal stand ein überragender
-Genius, einer der ganz Großen, zwischen der letzten und dieser Kometennähe:
-Newton. Seine Methode himmlischer Rechnung war
-für Halley schon maßgebend, als er 1705 eine der scheinbar einfachsten
-und doch damals noch kühnsten Vergleichungsarbeiten der ganzen
-Astronomie unternahm. Er verglich die von ihm errechneten
-Bahnen von drei Kometen der letzten beiden Jahrhunderte, von
-1531, 1607 und 1682. Und aus den gleichmäßigen Ziffern zog er den
-Schluß, daß es sich um ein und denselben Kometen handeln müsse,
-der in rund gerechnet 76 Jahren je einmal in geschlossener Bahn die
-Sonne umkreise, also alle 76 Jahre auch einmal so in unsere Erdnähe
-kommen müsse, daß wir ihn sehen könnten.</p>
-
-<p>Damit war der Vertrag dieses Kometen in Halleys Hand. Er
-konnte nach drei sicheren Vergangenheitsziffern wagen, auch eine
-Zukunftsziffer aus ihm herauszulesen. Auf der Wende von 1758 zu
-1759 mußte der Komet wiederum sichtbar werden.</p>
-
-<p>Menschengeist dringt über Äonen der Zeit, über unermeßliche
-Weiten des Raumes. Aber die enge Schale, aus der diese wunderbare
-Flamme lodert, verzehrt sich rasch selbst. Hier gilt es resignieren.
-Als Halley seine grandiose Prophezeiung wagte, stand er
-bereits dicht vor dem fünfzigsten eigenen Lebensjahr. Mehr als
-fünfzig Jahre sollten noch einmal darüber hingehen, ehe sein Komet<span class="pagenum"><a id="Page_34">[34]</a></span>
-wiederkam. Er hat ihn selber nicht mehr erlebt. Aber als er wirklich
-kam, unter höchster Spannung aller Wissenden genau zu dem Termin
-erschien: da erinnerte man sich, daß es »sein Komet« für alle
-Zeiten bleiben müßte. Statt einer Jahresziffer erhielt zum erstenmal
-ein Komet einen Menschennamen: Halleys Komet nannte
-man ihn.</p>
-
-<p>Einer jener glücklichen Autodidakten, wie sie in der Geschichte der
-Wissenschaft immer wiederkehren, ein Bauersmann bei Dresden,
-der hinter seinem Pfluge ging, dabei aber Botanik und Trigonometrie,
-Physik und Philosophie auf eigene Faust bis zu gründlichster
-Tiefe studierte, Johann Georg Palitzsch, hatte um Weihnachten 1758
-den großen Fund gemacht und als erster im Fernrohr den <em class="gesperrt">erwarteten</em>
-Kometen gesehen.</p>
-
-<p>Das Symbol der unberechenbaren Weltordnung, die mit dem
-Wunder des Kometen das Wunder irdischer Schrecken ansagte, besiegt
-durch die Ziffern wissenschaftlicher Rechnung! Diese Wiederkehr
-von 1758/59, die in das Zeitalter Friedrichs des Großen und
-Voltaires fiel, zehn Jahre nach Goethes Geburt, ist ein Weltanschauungswert
-für unsere ganze Kultur geworden weit über alle
-engere Kometentheorie hinaus. Mit unerwartet andersartigen Zinsen
-zahlte sich jetzt der kühne Streich aus, der aus solchem himmlischen
-Lichtwölkchen einen <em class="gesperrt">moralischen</em> Wert gemacht hatte.</p>
-
-<p>Inzwischen ging der Komet selber, der jetzt an einer Stelle seines
-Systems, dem er angehörte, einen Namen besaß, wieder ungestört
-auf seine Neptunswanderung. Er überschlug die ganze Epoche
-Goethes und fand sich erst, übrigens durchaus programmäßig, im
-August 1835 bei uns wieder ein.</p>
-
-<p>Im ganzen war die Luft jetzt gereinigt; wir wollen milde sagen,
-noch nicht auf der ganzen Linie der Weltanschauung, aber doch
-zweifellos in der Kometentheorie. Die Kometen gehörten selbst im
-weiteren Kreise nicht mehr der überweltlichen Pädagogik, sondern
-dem Gravitationsgesetz an.</p>
-
-<p>Im Jahre 1770 hatte Herr Semmler, Mathematikprofessor zu<span class="pagenum"><a id="Page_35">[35]</a></span>
-Halle, schon als Friedensweg vorgeschlagen, es könne nichts schaden,
-beim Anblick der Kometen jedesmal an die sittliche Besserung zu
-denken, aber einen wirklichen Einfluß »in die sichtbare Körperwelt,
-in die Reiche, Republiken und Regierungen der Menschen, könne man
-den Kometen nicht zuschreiben, weil sie so weit von der Erde entfernt
-bleiben, daß sie nicht das Geringste in derselben wirken können«.
-Die Welt war aber infolge von Spinoza, Voltaire, Goethe und andern
-inzwischen so verderbt geworden, daß sie sogar über Herrn
-Semmler eine stille Heiterkeit nicht ganz unterdrücken konnte.</p>
-
-<p>Indessen, seltsam genug, der Halleysche Komet fand eine neue
-Stimmung vor, die doch in einem Punkte wiederum gegen die
-offene und helle Entdeckerfreude von 1759 bedenklich abstach.</p>
-
-<p>Gerade die damals so wundervoll bestätigte Idee, daß also wirklich
-Kometen wie echte planetarische Vasallen regelmäßig um die
-Sonne laufen könnten, hatte sich in der Zwischenzeit so fest eingebürgert,
-daß sie auch die phantasiefrohen, zu weitesten Spekulationen
-aufgelegten Elemente der Denkerwelt notwendig umfassen und
-anregen mußte. Nachdem in der jäh eingetretenen Sintflut neuer
-und freier Ideen die alte biblische Schöpfungslegende arg verschwemmt
-worden war, hatten sich alle möglichen kühnen Weltbau-Spekulationen
-vorgewagt. Buffon, Kant, Laplace hatten das Sternsystem
-nach natürlichen Prinzipien entstehen lassen. Dabei konnten
-zumeist doch auch die Kometen jetzt nicht aus dem Spiel gelassen
-werden. Buffon besonders baute eine grandiose Spekulation auf,
-wie ansausende Kometen in Urtagen die Sonne geradezu angerempelt,
-wie sie glühende Brocken von ihr abgerissen und in weiter
-Schwungbahn hinausgeschleudert hätten; aus solchen Sonnenbrocken
-seien die Planeten geworden. Der Komet erschien in solchem
-Falle wenigstens in seinem Kern als ein wahres Ungetüm, das
-über alle Planeten selber ging, ein rasender Stoßwidder, vor dem
-selbst die Sonne Fetzen lassen mußte. Die kosmogonischen Ideen
-von Kant und Laplace haben später diesen kühnen Weltentraum des
-genialen Mannes in den Hintergrund gedrängt; längere Zeit aber<span class="pagenum"><a id="Page_36">[36]</a></span>
-galt er als wahre »natürliche Schöpfungsgeschichte«, und wer sich
-heute die Mühe macht, ihn zu lesen, staunt noch immer über die
-Schärfe der Gedanken (mit damaligem Wissensmaterial natürlich)
-und die Herrlichkeit der Schilderung.</p>
-
-<p>Die Kehrseite aber war, daß die Leute den wirklich sehr nahe
-liegenden Schluß zogen, so etwas könne »rein natürlich« doch auch
-heute noch geschehen. Die Kometen passierten nicht nur heute noch
-höchst bedenklich dicht die Sonne, sondern sie durchschnitten, wenn
-sie selber periodische Sonnenvasallen geworden waren, wie der Halleysche,
-fortgesetzt Planetenbahnen. Warum also nicht auch aktuelle
-Gefahr der fürchterlichsten Karambolagen mit den Planeten? Die
-Erde war nur ein Planet … warum nicht auch mit ihr? Kein besonderer
-Zorn Gottes … aber eine ganz reale astronomische und
-eben deshalb auch dem Nüchternsten äußerst fatal plausible Möglichkeit!</p>
-
-<p>Und ganz still, aber treffsicher kroch von hier das Gespenst einer
-neuen Angst in die breite Masse hinein. Nicht weil man den rechnenden
-Astronomen diesmal ablehnte, sondern gerade weil man
-ihm glaubte, aus diesem Glauben aber dann gewisse Schlüsse zog,
-die wieder einmal nichts weniger als angenehm sein konnten.</p>
-
-<p>Das Jahr 1835 bedeutete in dem Punkte eine wahre erste Krisis.
-Einmal, 1773, war die Sache schon in Frankreich etwas akut geworden.
-Es hieß, die Fachastronomie habe bestimmt <em class="gesperrt">ausgerechnet</em>,
-daß die Erde am 12. Mai durch einen Kometenstoß untergehen
-werde. Sie halte es nur geheim auf Wunsch der hochwohllöblichen
-Polizei. Ausgerechnet! Das Wort hatte auf einmal einen scheußlichen
-Klang. Kometen ließen sich errechnen. Kometen »bedeuteten«
-nicht mehr das Eintreten anderer Übel. Sie »waren« selber etwas.
-Aber dieses Etwas war nun selbst am Ende gefährlich. Und so stand
-schließlich gerade in der Rechnung diesmal der Weltuntergang! Der
-angesetzte Termin war indessen ohne Krach verlaufen und das hatte
-zunächst genügt; es scheint sogar nicht, daß kometarisch viel überflüssiger
-Wein vorher ausgetrunken und viel überflüssig geküßt worden<span class="pagenum"><a id="Page_37">[37]</a></span>
-ist; ein sehr realer Krach, nämlich die große französische Revolution,
-lag schon zu sehr in der Luft, und wer reserveküßte, tat es auf
-diesen »Weltuntergang«. Dagegen soll die Geistlichkeit großen Zuspruch
-gehabt haben.</p>
-
-<p>Gerade im Anfang der Dreißiger des neuen Jahrhunderts war
-aber nun die Sensationsbombe bei uns in Deutschland erst recht eigentlich
-geplatzt.</p>
-
-<p>Einige Jahre vorher hatte ein österreichischer Hauptmann, Wilhelm
-von Biela, festgestellt, daß ein schon mehrfach früher beobachteter
-Komet periodisch sei und zu bestimmten, diesmal sehr kurzen
-Terminen wiederkehre. Als dieser nach ihm benannte Bielasche
-Komet für 1832 wieder fällig war, hieß es (ganz korrekt) aus astronomischen
-Kreisen, er habe eine so eigentümliche Bahn, daß er am
-29. Oktober des Jahres mit seinem Kopf die Erdbahn streifen werde.
-Wohlverstanden: die Erdbahn. Das große Publikum mit Einschluß
-der Zeitungsredaktionen verstand aber nicht wohl, sondern las: die
-Erde. In Wahrheit war die Erde selbst damals gerade 11 Millionen
-Meilen von der kritischen Schnittstelle ihrer Bahn entfernt. Der
-bekannte Astronom Littrow mußte mit einer wahren Proklamation
-eingreifen, um eine allgemeine Panik zu verhüten.</p>
-
-<p>Aber die Angst war nun einmal eingeimpft und wollte nicht mehr
-zu Ruhe kommen. Und im Grunde hatten auch die Fachastronomen
-kein so ganz reines Gewissen beim Beruhigen. Gewiß: es lag zurzeit
-keine bekannte Kometenbahn so, daß ein Zusammenstoß unvermeidlich
-war. Aber eine Garantie gab das noch lange nicht.
-Entscheiden konnte nur, wenn einer nachwies, ein solcher Zusammenstoß
-sei für die Erde ungefährlich. Würde man das aber einmal
-beweisen können?</p>
-
-<p>Nicht seine Bahn, sondern seine Beschaffenheit war in diesem
-Sinne das eigentliche Wissens- wie Angstproblem, als der Halleysche
-Komet auch 1835 pünktlich erschien.</p>
-
-<p>Bessel nahm ihn besonders aufs Korn, ein Mann, gleich stark als
-Theoretiker wie als Beobachter. Zum erstenmal wurde jenes erwähnte<span class="pagenum"><a id="Page_38">[38]</a></span>
-Phänomen sehr im Detail gesehen: wie der Komet in der
-Sonnennähe seine Hülle erst gegen die Sonne wolkenhaft hebt,
-dann aber ebenso energisch rückwärts als Schweif von der Sonne
-fortfließen läßt. Daß die Entstehung dieses Schweifs den Angelpunkt
-aller Theorien über die innere Natur der Kometenkörper bilden
-müsse, hatte man früh begriffen. Schon Kepler hatte sich daran
-versucht. So setzte auch Bessel hier ein und wagte Vermutungen.
-Aber noch blieb alles in der Schwebe, als der Halleysche Komet schon
-wieder in seinem entfernteren Bahnabschnitt verschwand. Zunächst
-schien er diesmal nur neue und zum Teil bange Rätselfragen hinterlassen
-zu haben.</p>
-
-<p>Es war sein letztes Verschwinden vor dem heutigen Termin. Noch
-einmal waren 76 Jahre Frist gegeben, um sich durch Nachdenken
-und Vergleichen mit andern inzwischen auftauchenden Kometen in
-der Beschaffenheitsfrage schlüssig zu werden.</p>
-
-<p>Die Rechnung selbst war allerdings nicht mehr rückgängig zu
-machen. Sie lief und läuft, und sie läuft heute auf das wirkliche und
-wahrhaftige Zusammentreffen von Erde und Kometenschweif. Diesmal
-ist es keine Verwechslung und keine Zeitungsente. Es fragt sich
-also doppelt brennend, was die letzten 76 Jahre noch hinzugetan
-haben, uns zu wappnen; denn der Streich wird diesmal (falls die
-Bahn sich nicht noch ändert) vollführt, das bleibt fest.</p>
-
-<p>Und da ist es denn doch noch einmal sehr viel, was wir hinzubekommen
-haben. Ja es ist das wirklich Entscheidende erst.</p>
-
-<hr class="chap" />
-<div class="chapter">
-<p class="drop p2">Zunächst haben wir einen geradezu durchschlagenden Indizienbeweis
-in diesen letzten siebeneinhalb Jahrzehnten bekommen,
-einen Indizienbeweis: daß die Begegnung mit
-Kometen unmöglich so gefährlich sein kann, wie die nächste
-Phantasie sie sich ausgemalt hatte. Folgendes der einfache Gedankengang,
-dessen Logik auch jeder Laie nachprüfen kann.</p>
-</div>
-
-<p>Man kennt gegenwärtig etwa achthundert ungefähr beglaubigte
-Kometenerscheinungen. Dabei haben wir erst seit dreihundert Jahren<span class="pagenum"><a id="Page_39">[39]</a></span>
-Fernrohre und kaum viel länger ernsthafte astronomische Aufzeichnungen
-zum Zweck. Wie rasch sich bei systematischem Suchen
-mit dem Rohr die Zahl vermehren läßt, zeigen einzelne fleißige Beobachter,
-die als professionierte »Kometenjäger« allein ein bis drei
-Dutzend aufgefunden haben. Dabei kann es sich aber stets und auch
-bei emsigster Jagd nur um die Kometen des Systems handeln, die
-uns überhaupt so nahe kommen, daß man sie von der Erde sehen
-kann. Eine sehr mäßige Wahrscheinlichkeitsschätzung würde für
-unser ganzes Planetenbereich jederzeit etwa rund 6000 als vorhanden
-aus jener Sichtbarkeitsziffer für unsere zufällige Erdlage
-ableiten.</p>
-
-<p>Die Wahrscheinlichkeitsziffer der fremden Passanten, die in unser
-System hineinsausen, um es bloß einmal zu schneiden und gleich
-wieder zu verlassen, kommt schon bei noch nicht zehntausend Jahren
-auf eine volle Million.</p>
-
-<p>Bei solcher Sachlage ist es nicht mehr nur eine Möglichkeit, sondern
-es ist einfach eine Forderung, daß im Laufe auch nur kurzer Zeiträume
-Planeten mit Kometen zusammentreffen <em class="gesperrt">müssen</em>.</p>
-
-<p>Bei den inneren Planeten muß das Durchpassieren durch die ungeheuren
-Schwänze schlechterdings etwas Gewöhnliches sein, sobald
-wir den Dingen auch nur etwas Geschichtsperspektive geben.</p>
-
-<p>Und auch die Erde kann sich dieser schlichten Ziffernotwendigkeit
-nicht entziehen. Wie sie heute eine Schwanzberührung erlebt, so
-muß sie es historisch schon soundso oft erlebt haben. Schon für die
-letzten hundert Jahre ist es bei der Bahnlage einzelner Kometen und
-der Riesigkeit ihrer um die Sonne geschleiften Schwänze fast nicht
-zu glauben, daß die Sache selbst da schon ohne Schwanzkarambolage
-abgegangen sein solle. Was sind aber hundert und tausend, was
-sind selbst zehntausend Jahre in der Erdgeschichte!</p>
-
-<p>Man ist noch nicht einmal aus der zusammenhängenden orientalischen
-Kultur damit. Dahinter aber kommen erst die eigentlichen Geschichtsziffern,
-die imponieren. Ein mehrfaches jener zehn führt
-erst etwa auf die prähistorischen Magdalenier im Vezère-Tal in Südfrankreich,<span class="pagenum"><a id="Page_40">[40]</a></span>
-die schon eine hohe Kunstblüte hatten. Jahrhunderttausende
-kommen mindestens auf die Eiszeit, die damals schon zu
-Ende ging. Wenn der Mensch, wie gewisse bearbeitete Steine (Eolithen)
-noch zu beweisen scheinen, mit Anfängen der Kultur bis in
-die mittlere Tertiärzeit reicht, so gibt das mehr als eine Million Jahre
-gesamtes Kulturalter. Das wahre Entstehungsalter des Menschen
-wird dann bei zwei Millionen liegen. Die geringste Schätzung für
-das Gesamtalter der geologischen Schichten unserer Erdrinde, aus
-denen wir noch erhaltene Lebensspuren entnehmen können, ergibt
-aber hundert Millionen Jahre. An ihrem Ausgangspunkt, in den
-algonkisch-kambrischen Schichten, tauchen jedoch schon so hohe Lebensformen
-auf, daß wir noch einen vielleicht ebenso langen Zeitraum
-davor annehmen müssen.</p>
-
-<p>In diesen ganzen ungeheuren Geschichtsräumen fehlt uns nun
-aber <em class="gesperrt">jede</em> Andeutung einer <em class="gesperrt">Katastrophe</em> der früher geschilderten
-Art, wie sie aus dem Zusammenstoß der Erde mit einem umfangreichen
-anderen Weltkörper notwendig hervorgehen müßte.</p>
-
-<p>Niemals ist die Erdoberfläche darin ganz von Wassern überflutet,
-niemals mit kompaktem Basalt übergossen, niemals durch plötzliche
-Gluthitze sterilisiert worden, und niemals ist die Atmosphäre vergiftet
-worden, so daß das zarte Häutchen des Lebens eingehen mußte.
-Kontinuierlich vielmehr ist dieses Leben in all jenen Jahrmillionen!</p>
-
-<p>Unablässig hat es sich durch die Geschlechterfolgen weitergegeben,
-ohne Riß im ganzen.</p>
-
-<p>Ein ununterbrochener Stammbaum der Entwicklung verknüpft die
-Tier- und Pflanzenformen. Gewisse ältere Formen sind gelegentlich
-ausgestorben, aber niemals durch allgemein vernichtende Katastrophen,
-sondern langsam durch besondere irdische Einzelursachen.</p>
-
-<p>Einzelne unserer bekanntesten Tiergattungen, zum Beispiel der
-Igel, leben heute schon mindestens zwei Millionen Jahre lang unverändert
-auf der Erde fort, in ungezählten gleichzeitigen Exemplaren
-und unfaßbar vielen einander folgenden Generationen, auf
-Riesengebieten dieser Erde. Der Mensch selber ist offenbar eine<span class="pagenum"><a id="Page_41">[41]</a></span>
-solche zähe Gattung. Auf einigen Klippen der neuseeländischen
-Küste haust aber gegenwärtig sogar noch einer der alten Saurier
-der Triaszeit, die sogenannte Brückeneidechse; sein Alter muß nach
-Dutzenden von Millionen eingeschätzt werden. Ebenso alt ist der
-australische Molchfisch Ceratodus. Das wurmähnliche Schaltier Lingula
-aber lebte in gleicher Gattung schon in jener algonkisch-kambrischen
-Urepoche, die hundert Millionen Jahre hinter uns zurückliegt.</p>
-
-<p>In der ungestörten Ruhe dieser geologischen Epochen von schier
-endloser Ausdehnung haben jene Steinkohlenwälder und später jene
-Braunkohlenwälder in unendlicher Generationenfolge gegrünt, deren
-Reste wir heute als Brennmaterial verwerten: sie alle sind nicht
-durch Kometen verbrannt worden, sondern am Fleck selbst vertorft
-und versteint in reinen Friedensprozessen. Korallentiere und Kalkalgen
-haben in absoluter Friedensarbeit Riffe aufgehäuft, die wir
-jetzt als die Dolomitalpen bestaunen.</p>
-
-<p>Hundert und mehr Millionen Jahre! Eine so ungeheure, erdrückende
-Wahrscheinlichkeit von Kometen-Karambolagen in solcher
-Zeit! Und dann doch keine leiseste Spur einer störenden, katastrophenhaften
-Wirkung im feinsten, zartesten Erdleben in all diesen
-Zeiträumen!!</p>
-
-<p>Dieser Indizienbeweis ist erst unser heutiger Besitz. In jenem
-letzten Halley-Jahre 1835 glaubten noch fast alle Geologen tatsächlich
-an eine ganze Reihe periodisch wiederholter, entsetzlicher Katastrophen
-in der Erdgeschichte.</p>
-
-<p>Immer einmal wieder alle paar tausend Jahre sollte die gesamte
-Erdoberfläche einen entsetzlichen Chok durchgemacht haben. Alle
-Lebewesen waren dabei vertilgt worden. Auf dem durch und durch
-gereinigten, sterilisierten Plan hatte dann eine unbegreifliche Neuschöpfung
-stattgefunden. Nie hatte eine Tier- oder Pflanzenform
-sich lebend über eine solche Katastrophe fort in die nächste geologische
-Epoche gerettet. Das letzte große Reinmachen dieser Art hatte die
-Mammute vernichtet. Menschen konnte es mit denen zugleich also
-noch nicht gegeben haben, denn der Mensch lebte ja noch. Er war<span class="pagenum"><a id="Page_42">[42]</a></span>
-ein erst einige Jahrtausende altes fix und fertiges Neuprodukt des
-nachdiluvialen Schöpfungstages.</p>
-
-<p>Wie nahe lag es bei solchen Annahmen (die, wie gesagt, um 1835
-noch von fast allen Fachautoritäten auf allen Lehrstühlen der Geologie
-vertreten wurden) an wirkliche Kometenstöße zu denken. Was
-konnte billiger die lebentötenden Sintfluten, Feuerschrecken, Giftgase
-hergeben, die der Geolog so verschwenderisch brauchte!</p>
-
-<p>Heute klingt uns das alles aber nur noch wie ein amüsantes Märchen.
-Die neuerwachende Geologie der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
-hat mit all dem Spuk mehr als gründlich aufgeräumt. Die
-Entwicklungslehre Darwins hat sich mit ihr verbündet, die Gespenster
-jener Katastrophen auszuräuchern bis zum letzten Schatten.
-Von hier ist kein Material mehr zu holen, nie mehr.</p>
-
-<p>Geschweige, daß Kometen dem Leben auf den Kopf gefallen sind
-und etwa die Mammute totgeschlagen haben (die der Mensch selber
-in Masse gejagt, gegessen, abgezeichnet hat, die Bilder besitzen wir
-noch von seiner Hand), läßt sich nicht einmal geologisch in all den
-Zeiten auch nur ein verstärktes Fallen jener kleinen gelegentlichen
-Meteorsteine irgendwo nachweisen. Einmal hat es in junger geologischer
-Epoche an mehreren Orten kleine meteorische Glassplitter
-geregnet, die wir als sogenannte Moldavite dort finden. Vielleicht
-ist ein größerer Glasmeteorit damals an unserer Erdatmosphäre
-zerplatzt. Aber er ist eben zerplatzt ohne irgendeinen Stoßschaden
-zu tun; mit ein paar Glasscherben schlägt man das irdische Leben
-nicht entzwei, das so viel Vulkanausbrüchen unserer Erde selber ruhig
-getrotzt hat in den Jahrmillionen seiner Existenz.</p>
-
-<p>Für mein Gefühl ist dieser Indizienbeweis gegen die Gefährlichkeit
-der Kometen <em class="gesperrt">allein genügend</em>, um das ganze Spiel im wesentlichsten
-für <em class="gesperrt">gewonnen</em> zu erklären.</p>
-
-<p>Wenn von diesen reisenden Lichtwolken wirklich harte Pritschen
-uns über den Kopf schlagen könnten, wenn glühende oder vergiftende
-Dämpfe uns bei ihrer Berührung einhüllen müßten, so wären
-wir dem längst alle erlegen. Wir wären ihm erlegen schon in Urweltstagen,<span class="pagenum"><a id="Page_43">[43]</a></span>
-als der Mensch noch im Tier steckte. Es gäbe keine organische
-Entwicklung auf Erden, keinen Menschen, keine Kultur.</p>
-
-<p>Das Schwert des Damokles, das an einem Haar hing, ist eine
-sehr nette Geschichte. Aber wenn wir hören, daß es hundert Millionen
-Jahre lang über etwas geschwebt haben soll, ohne Schaden zu
-tun: so werden wir uns zuletzt doch wohl sagen, daß kein Haar so
-lange hält, daß aber, wenn wirklich kein Schaden geschehen ist, das
-Schwert wohl nur ein Strohwisch war.</p>
-
-<p>Auf jeden Fall steht die himmlische Schachpartie längst nicht mehr
-gleich für Optimismus und Pessimismus. Der Optimismus ist mit
-der Logik dieses Indizienbeweises ein geradezu ungeheueres Stück
-voraus. Von diesem Boden aus lassen sich jetzt aber auch eine ganze
-Reihe wirklicher Beweisstücke, die nicht bloß auf Indizien gehen,
-aus dem <em class="gesperrt">Tatsachen</em>-Arsenal der besagten letzten 76 Jahre heranholen.</p>
-
-<hr class="chap" />
-<div class="chapter">
-<p class="drop p2">Zunächst hat in der Zwischenzeit jene Geschichte vom Bielaschen
-Kometen, dem Angstkometen von 1832, noch ein bedeutsames
-Nachspiel bekommen.</p>
-</div>
-
-<p>Dieser Komet lief in einer ganz kurzen Bahn (noch nicht sieben
-Jahre lang hin und zurück), und diese Bahn kreuzte dabei nicht nur
-die Bahn eines anderen Kometen, sondern jedesmal ausgespart auch
-gerade unsere Erdbahn. Damals, 1832, hatte es damit, wie gesagt,
-nichts Schlimmes auf sich gehabt, denn der Komet ging durch den
-kritischen Punkt einen ganzen Monat früher als wir. Aber mit Behagen
-konnte doch kein Astronom die weitere Entwicklung dieser
-kuriosen Sachlage ansehen. Ein solches Ungeheuer alle paar Jahre
-so dicht vor oder hinter uns und das bei den bekannten Schwankungen
-solcher Bahnen: was für Eventualitäten!</p>
-
-<p>Das Ungeheuer wurde ganz besonders genau aufs Korn genommen,
-es war aber auch, als wenn es sich dafür erkenntlich erweisen
-wollte. Als es 1845 wiederkehrte, bekam es sozusagen vor den Augen
-der Astronomen Junge. Wie jene einzelligen Urtiere, deren Fortpflanzung<span class="pagenum"><a id="Page_44">[44]</a></span>
-einfach darin besteht, daß sie sich in zwei Stücke teilen, von
-denen jedes selbständig weiterlebt, so sonderte sich auch das rätselhafte
-Kometenwesen in zwei Teile auseinander. Aus dem Kern
-wurden in ganz ruhiger Lösung zwei Kerne, die sich zunehmend voneinander
-entfernten. Jeder Teilkern entsandte sein Schwänzchen.
-Statt des einen Ungeheuers hatte man jetzt in paralleler Bewegung
-zwei. Da das etwas kleinere Kind eine Weile an Helligkeit zunahm,
-durfte man der Vermutung Raum geben, jedes der Stücke werde
-sich wieder zur ganzen Vatersgröße auswachsen, womit dann die
-Gefahr also gründlich verdoppelt war. Doch zeigte die Wiederkehr
-1852 davon nichts; nur der Abstand der Zwillinge war immer größer
-geworden; über dreihunderttausend geographische Meilen lagen
-nun schon zwischen ihnen. Das Publikum kümmerte sich jetzt wenig
-um diese interne Sache, und doch wäre, wenn je, vor dieser unberechenbaren
-Entwickelung der Dinge ein leiser Schauder am Platze
-gewesen.</p>
-
-<p>1859 konnte man den Kometen wegen zu ungünstiger Lage von
-der Erde aus nicht fassen. Dagegen war er 1866 mit Glanz fällig.
-Man wußte genau, wo seine Stücke zu stehen hatten. Verlorene
-Liebesmühe. Sie kamen nicht wieder!</p>
-
-<p>In den sieben Jahren war ihnen irgend etwas so Gründliches weiter
-passiert, daß man aus unserer Entfernung überhaupt nichts
-mehr sah. Waren weitere Teilungen erfolgt, ohne daß die Teilkinder
-wuchsen? Dann mußten die Einzelstücke natürlich bald wirklich
-so klein werden, daß wir sie aus unserer Ferne überhaupt nicht
-mehr erblicken konnten. Ein ganzer Haufen solcher kleinen Wölkchen
-trieb sich dann in der Nähe der unangenehmen alten Bahnstelle herum.</p>
-
-<p>Gelöst war das Fatale so für uns jedenfalls noch lange nicht. Wir
-liefen jetzt aufs ungewisse einer Kreuzungsstelle, wo, allerdings zunächst
-unsichtbar, eventuell ein ganzer Kometenschwarm sich, Gott
-wußte wie verzettelt und die Karambolagengefahr durch breite
-Schlachtlinie vermehrend, herumtrieb. Und nur eins war allerdings
-merkwürdig.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_45">[45]</a></span></p>
-
-<p>Ein Haufen Wölkchen, sagte ich. Ja, wie eine Art Wolke, wenn
-auch eine kosmische und nicht eine atmosphärische, hatte sich dieses
-Bielaungeheuer wirklich benommen bei dem Ganzen. Nicht im
-Schweif, sondern gerade im Kernteil, im Kopf. Nicht das mindeste
-hatte darauf hingewiesen, daß eine Stoßkatastrophe, irgendein Zusammenprall,
-es auseinander gespalten hätte. Ganz genau so hatte
-die Geschichte ausgesehen, als sei, entweder durch die äußeren planetarischen
-Zugkräfte von fern her oder durch geheimnisvolle innere
-Abstoßungskräfte, ganz, ganz gemächlich eine eigentlich und ursprünglich
-schon wolkenhaft lose Masse bloß auseinandergetrieben
-worden. Wie voneinander schwimmend waren die Kinderstücke dahingeflossen.</p>
-
-<p>Es ging wirklich nicht gut an, man mochte die Sache drehen und
-wenden so viel man wollte: daß ein in sich solider, etwa bloß mit
-einer eigenen Dunstatmosphäre umhüllter, aber in Herz und Kern
-planetenhaft steinharter kosmischer Klotz gerade dieses Spiel vollführt
-haben sollte, nicht aufzustoßen, zu platzen, zu explodieren, sondern
-wirklich im Bilde wie eine weiche lebendige Amöbe bei uns,
-die mit ihrem Zell-Leibe in Selbstteilung tritt, ganz sanft, langsam,
-aber unaufhaltsam auseinander zu fließen, also daß zuletzt zwei
-Kerne, jeder nach außen nebelig verschwimmend und hinten geschwänzt,
-vorhanden waren.</p>
-
-<p>Der Kometenkopf mußte ernstlich eine Art Wolkennatur besitzen.
-Fragte sich nur, was der Begriff »Wolke« bei einem Gebilde, fern
-einsam zwischen die Planetenbahnen hinausgestreut, selber besagen
-sollte.</p>
-
-<p>Aus was für Stoff sollte diese leuchtende Wolke, die zerfließen,
-sich auflösen konnte, wie eine irdische, und sicherlich doch keine Luftwolke
-in unserm Erdensinne war, bestehen?</p>
-
-<p>Der Bielasche Komet, den man nach 1866 bereits aufgegeben
-hatte, war so freundlich, uns auf diese Frage noch zu antworten.</p>
-
-<p>Nach der alten Rechnung hätte er 1872 wiederkehren sollen, es
-geschah aber für unsere Augen konsequent so wenig mehr wie 1866.<span class="pagenum"><a id="Page_46">[46]</a></span>
-Dagegen schnitten wir mit der Erde am 27. November auch dieses
-Jahres seine alte Bahn, und zwar an einer Stelle, die er nach dem
-Brauch vor seiner Zerstückelung schon einige Zeit vorher passiert haben
-müßte. Wenn man sich dachte, daß in dieser Bahn am alten
-Fleck jetzt nicht mehr ein einzelner Komet lief, sondern möglicherweise
-ein ganzer Trupp kometarischen Kleinzeugs mit eigenen Köpfen
-herumbummelte, und wenn man sich vergegenwärtigte, daß schon
-die Zwillinge von 1852 sich Hunderttausende von Meilen voneinander
-entfernt hatten, so war immerhin eins von neuem bedenklich.
-Es konnte sich irgendeiner der kleinen Bummler auf der Hauptbahn
-so verspätet und über Monate zurück verzettelt haben, daß wir (blind
-wie wir jetzt auch im Sinne unserer Astronomen vor dem Ganzen
-standen) doch an dem Tage ihm begegneten.</p>
-
-<p>Und nun in der Tat ging in dieser kritischen Novembernacht ein
-ungeheures Ereignis los.</p>
-
-<p>Der Himmel erstrahlte aus einer ganz bestimmten Richtung (vom
-Sternbild der Andromeda her) im Feuerwerk eines märchenhaft
-schönen Sternschnuppenregens. In Göttingen beispielsweise gab es
-in noch nicht drei Stunden 7651 Sternschnuppen, also rund eine
-pro Sekunde.</p>
-
-<p>Sternschnuppen gehören zu den himmlischen Gebilden, vor denen
-die große Menge von je am wenigsten Angst gehabt hat, und das
-aller Erfahrung nach mit Recht. Ältere Ansicht sah auch in ihnen
-nur atmosphärische Fünkchen, die man mit den Irrlichtern verglich,
-aber nicht mit so bösen Sagen zu umgeben pflegte. Heute ist man
-sich sicher, daß zu jeder Sternschnuppe ein kleines, sehr rasch bewegtes
-kosmisches Staubteilchen gehört, das bei der Reibung an dem
-dicken Erdenpolster unserer Atmosphäre aufglimmt und verpufft.
-In der Regel ist damit auch schon alles zu Ende. Ist die Masse etwas
-größer, so daß sie nicht bloß auf diesem Wege verflüchtigt werden
-kann, so kommen, durchweg nach sichtbarlich heftiger Explosion, auch
-wohl einzelne Bruchstücke in Gestalt sogenannter Meteorsteine herunter.
-Wie selten dieser letztere Fall gerade auf menschliche Beobachter<span class="pagenum"><a id="Page_47">[47]</a></span>
-stößt und relativ überhaupt sein muß, erhellt am besten aus
-der Seltenheit und Kostbarkeit solcher Himmelsgeschenke in unsern
-Museen. In der Regel wird man bei der echten Sternschnuppe
-durchaus nur von einem ganz flüchtigen Aufglühen meteorischen
-Staubes reden können.</p>
-
-<p>Von Zeit zu Zeit gibt es nun auch sonst einmal eine Nacht, in der
-Sternschnuppen zahlreicher fallen als gewöhnlich. Gewisse Augustnächte
-sind zum Beispiel dafür berühmt. Die Leuchtfunken pflegen
-auch dann von ein und der gleichen Stelle am Himmel auszustrahlen,
-die irgendein Sternbild für uns markiert. Natürlich kommen
-sie aber nicht von diesen Sternen selbst, sondern es handelt sich nur
-um ein kleines kosmisches Staubwölkchen, das unsere Erdbahn
-gerade so schneidet, daß die Schnittstelle sich auf jene Gegend projiziert.</p>
-
-<p>Ab und zu geht das aber nochmals ins Große. Dann kommt mit
-dem einen oder andern Jahr ein Lichtregen, bei dem die Schnuppen
-fallen wie Hagel. Das heißt: auch dann nur fürs Auge. Echter Hagel
-wäre schon mißlicher. Denn gerade aus solchem Schnuppengewimmel
-heraus ist noch nie etwa ein wirklicher Meteoritenregen herunter
-gekommen: gerade diese dichteren kosmischen Staubwirbel
-scheinen ganz besonders energisch schon in den oberen Atmosphäreschichten
-zu verpuffen ohne derberen Rückstand.</p>
-
-<p>Wiederholt hatte man aber schon beobachtet, daß solcher Schnuppenregen
-in periodischen Abständen sich mehrfach wiederholte. Die
-Idee lag nahe, daß unsere Erde gelegentlich immer wieder da ein
-größeres kosmisches Staubgewölk passiere, das sich selber um die
-Sonne bewege und bei jeder Kreuzung den luftigen Feuerzauber erneue.
-Lose wie solche Wolke sein mußte und selber bei jedem Durchgang
-um ein gut Teil ihrer Staubpartikelchen geschmälert, konnte
-man natürlich hier keine so sichere Gewähr erwarten, wie bei anderen
-Himmelsgebilden; wie denn wirklich eine Wolke der Art, die im
-19. Jahrhundert dreimal in ziemlich genauen Abständen von je 33
-Jahren die Himmelsfreunde ergötzt hat, zuletzt, beim vierten Mal, so<span class="pagenum"><a id="Page_48">[48]</a></span>
-gut wie ganz wieder ausgeblieben ist. Die Wölkchen von fern schon
-im ganzen zu sehen und so etwas schärfer zu kontrollieren, dazu waren
-sie offenbar auch durchweg zu dünn; es ging uns eben wie dem
-einzelnen mit einem Mückenschwarm, den man zumeist auch erst
-summen hört, wenn man mit dem Kopf durchgeht.</p>
-
-<p>Kein Zweifel jetzt: eine solche ebenso amüsante, wie harmlose
-Staubwolke hatte uns auch in dem Moment eingehüllt, da wir die
-alte Bahn des Bielaschen Ungeheuers schnitten und die Gefahr bestand,
-daß wir eines der »Jungen«, in die sich sein Kern aufgelöst, in
-der Schnittstelle anrempeln könnten. Ein Beobachter glaubte sogar
-die in der Kometenbahn weiterziehende Wolke noch auf einen Moment
-als Ganzes in direkter Kometengestalt gesehen zu haben, doch
-ist das strittig geblieben. Daß aber eine kosmische Wolke, die sich als
-Sternschnuppenregen äußerte, im Moment in der Kometenbahn
-gestanden hatte, konnte nicht strittig sein.</p>
-
-<p>Die Sache war wirklich sehr eindeutig.</p>
-
-<p>Der Kopf des Bielaschen Kometen hatte sich vor uns wolkenhaft
-aufgelöst. Im Moment, da wir hinter ihm durchschnitten, gerieten
-wir in eine kosmische Sternschnuppen-Wolke. Wir hatten einfach
-einen der Fetzen des Biela-Kerns passiert!</p>
-
-<p>Ganz dem Bilde entsprechend, das die Auflösung früher geboten
-hatte, war dieser Fetzen loses Material. Da es sich bei jener Auflösung
-um echte Kerntrennung gehandelt hatte und nicht etwa bloß
-um Verlieren von Hüllnebeln oder Schwanzmaterial, mußte es
-Kernmaterial sein. Kometenschwänze liefen ja auch nicht in der
-Bahnlinie von Kometen selber, sondern nur Kernköpfe; in der Bahnlinie
-aber hatten wir die Wolke getroffen. Wir hatten also Kometen-Kernmasse
-erlebt, einen »Zusammenstoß« mit ihr erlebt, und es war
-ein absolut harmloser Sternschnuppenregen geworden!</p>
-
-<p>Es gibt wenige astronomische Wahrscheinlichkeitsschlüsse, bei denen
-alle Teile so glatt ineinander passen, wie hier.</p>
-
-<p>Die Sache hat aber noch eine Probe auf ihr Exempel erfahren.
-Am 27. November 1885 berührte die Erde abermals die alte Biela-Bahn<span class="pagenum"><a id="Page_49">[49]</a></span>
-an einer Stelle, die der Komet im alten Sinne diesmal einige
-Zeit nachher hätte durchsausen müssen.</p>
-
-<p>Und wiederum ging eine ungeheure Sternschnuppenwolke gerade
-über den Fleck.</p>
-
-<p>Wieder regnete es stundenlang in pompösestem Schauspiel bei
-uns Sternschnuppen. Aus dem Scheitelpunkt der Andromedagegend
-flammten den Berichten nach ganze »Raketengarben« nieder.
-An einzelnen Orten zählte man über 40&nbsp;000 Schnuppen in einer
-knappen Stunde, zeitweise fünf pro Sekunde und mehr. Feuerkugeln
-in allen Farben waren dabei, die Lichtstreifen blieben vielfach
-längere Zeit hell stehen, sich wirbelnd windende und zerreißende
-Schnuppen wurden beobachtet. Es war eine Pracht über alle
-Maßen.</p>
-
-<p>Und wieder »passierte« dabei nichts; auch nicht ein Stück Meteorstoff
-ist nachweislich dabei bis zu uns heruntergestürzt, alles flammte
-auf und starb zugleich wieder im Feuerwerk.</p>
-
-<p>Zum zweitenmal hatten wir ein Stück Kometenkern erlebt und
-wieder gefahrlos. Das Ungeheuer, das uns fressen sollte, war ein
-brillanter Feuerwerker, sonst nichts.</p>
-
-<p>Seither scheint es, als habe selbst diese größere Wolkenbildung in
-der Bielabahn ganz aufgehört, das Sternschnuppenmaterial scheint
-sich mehr oder minder regellos verzettelt zu haben. Damit standen
-wir möglicherweise jetzt wirklich auch bei einem realen Kometentod.</p>
-
-<p>Das gibt aber bei diesem wunderbaren »Fall Biela« noch wieder
-für sich zu denken.</p>
-
-<p>Kometenkerne sind also nichts Ewiges. Eben weil sie wolkenhaft
-lose Gebilde sind, können sie nicht nur in ihrem wilden Lauf zwischen
-den Planeten im ganzen bald so, bald so abgelenkt, sondern sie
-können auch bei dieser Gelegenheit (zum Beispiel durch Macht des
-Riesen Jupiter oder auch sonst) in sich selbst angebrochen, zerstückelt,
-ja endlich völlig verpulvert werden. Je verwickelter ihre Bahn besonders
-in die engeren Planetenbahnen hinein verknotet ist, desto
-wahrscheinlicher muß solches Los (Biela ist redendes Exempel)<span class="pagenum"><a id="Page_50">[50]</a></span>
-werden. Je größer das Stadium der Materieverzettelung, desto
-harmloser müssen sie aber für diese Planeten selbst werden. Es erscheint
-da etwas wie der Schatten einer am Ende seit alters fortgesetzt
-tätigen Regulierungsmaschine. Die Planeten machen immerzu
-frisch eintretende Kometen ungefährlich, um sie endlich ganz aufzureiben,
-zu töten, und diese Selbstregulierung wächst im gleichen
-Maße rein mechanisch, je enger ein solcher Komet ihnen auf den
-Hals rückt und mit verhedderten, gekreuzten Bahnen droht. Die
-Sache sieht wie eine doppelte Versicherung aus, wobei aber die überhaupt
-und zu Beginn doch schon lose Wolkennatur der Kometenköpfe
-allgemeine Voraussetzung auf beiden Seiten bleibt.</p>
-
-<p>Die Idee, daß alle Kometen sich zuletzt auflösen müßten, hatte
-übrigens schon Kepler zu einer Zeit, da er noch gar nicht an wirkliche
-geschlossene Kometenbahnen zwischen den Planeten dachte.
-Er ging dabei vom Schweif aus, den die Kometenkerne in der Sonnennähe
-entwickelten. Auch hier schon schien ihm durch jene eigenartige
-Sonnenkraft, die abstoßend wirkte, fortgesetzt Materie des
-Kerns auf Niemehrwiederkommen in den offenen Raum hinausgeblasen
-zu werden, und das mußte doch endlich die Quelle erschöpfen.
-»Ich halte dafür,« sagt der immer vorahnend scharfsinnige
-Mann wörtlich, »daß der Kometenkörper sich verwasche, verändere,
-auseinandergezogen und zuletzt vernichtet werde, und daß, wie die
-Seidenwürmer durch das Herausspinnen ihres Fadens, so auch die
-Kometen durch das Ausströmen ihres Schweifes aufgezehrt und
-endlich dem Tode überliefert werden.« Der Gedanke ist an sich ein
-durchaus folgerichtiger und würde erst recht gut gerade zu dem passen,
-was der »Fall Biela« lehrt. Dabei mag er uns aber überhaupt
-auf das Problem des Schwanzes zurückführen.</p>
-
-<p>Wenn der Kometenkern wirklich nur aus mehr oder minder losem
-Meteoritenstoff in wolkenhafter Anhäufung besteht: was ist dann
-der Kometenschwanz?</p>
-
-<p>Tatsächlich läßt ihn die Nähe der Sonne erst aus dieser Wolke
-herauswirbeln, wie Staub unter einem blasenden Luftzug wirbelt.<span class="pagenum"><a id="Page_51">[51]</a></span>
-Der nächstliegende Gedanke wäre also gewiß, wenn man von der
-Bielawolke kommt: auch er ist bloß feinstes Sternschnuppenmaterial,
-das irgend eine Sonnenkraft noch einmal besonders aus der Kernwolke
-fortpafft. Natürlich, wenn es so ist, muß diese Wolke sich in
-Keplers Sinn auch davon schon bei jedem Sonnenumlauf etwas
-mehr verzetteln und verlieren, diesmal meist direkt abseits von ihrer
-Bahn, also wohl gänzlich auf Niemehrwiederfinden.</p>
-
-<p>Für uns heute wäre aber aktuell gerade diese Erklärung das allerwichtigste.
-Denn wir hängen für die kritische Nacht vom 18. zum
-19. Mai ja nicht an Biela, sondern an Halley. Und das bedeutet:
-nicht Kopf, sondern Schwanz.</p>
-
-<p>Der Halleysche Komet liegt ganz offenbar seit langer Zeit so, daß
-er mit seinem Kopf gerade <em class="gesperrt">nicht</em> allzu eng ins Gedränge der mittleren
-Planetenbahnen kommt. Deshalb würden sie ihn in jenem
-Sinne auch seit mindestens zweitausend Jahren noch nicht in diesem
-Kopfteil auseinandergerissen haben. Was an ihm aber, eben wegen
-dieser dauernden Kopfstärke, nun für uns momentan bedenklich wird,
-das ist die Produktivität dieses Kopfes in der Schwanzbildung.
-Dieser Schwanz und nicht der Kopf soll zum Termin über uns wegfegen.
-Nach dem Fall Biela erscheint es aber so gut wie unmöglich,
-daß der Kopf eine kompakte harte Stoßmasse ist, wie viel
-weniger also der Schweif. Was wir auch hier erwarten müßten,
-wäre fortgewirbelte Sternschnuppenmaterie, die, in unsere Erdbahn
-übertretend und uns umwirbelnd, tatsächlich auch eine Art »Fall
-Biela« schüfe: einen mehr oder minder starken Sternschnuppenregen
-ohne alle Gefahr.</p>
-
-<p>Unsere Erfahrungen seit 1835 widersprechen aber selbst dem bei
-dem Schweif noch als »zuviel«. Dazu sind allerdings wieder weitere
-Tatsachen auch über den Fall Biela hinaus nötig, Tatsachen, die zuallernächst
-noch einmal mitten in den großen Chok und Schreck vor
-jeglicher Kometenbegegnung gerade hineinführen.</p>
-
-<p>In die letzten sechsundsiebzig Halley-Jahre fällt die Entdeckung
-der Spektralanalyse.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_52">[52]</a></span></p>
-
-<p>Wir haben mit ihr bekanntlich eine Methode gewonnen, die uns
-unter Umständen aus dem Licht direkt ablesen läßt, was für ein
-Stoff in der Lichtquelle brennt. Das Licht wird mit Hilfe eines
-mehrseitig geschliffenen Glases, eines Prisma, zerlegt und in dem
-entstehenden Farbenbande (Spektrum) zeigen sich gewisse charakteristische
-Unterschiede je nach den verschiedenen leuchtenden Substanzen,
-die ein solches Urteil in sehr vielen Fällen ermöglichen. Auf
-diesem Wege haben wir Aufschluß gewonnen über die Gase, die in
-der äußeren Hülle der Sonne und der anderen Fixsterne glühen,
-wie über den leuchtenden Stoffinhalt ferner Nebelflecke. Wir können
-aus dem Spektrum entnehmen, ob auf solchem entlegenen
-Weltkörper glühende Gase leuchten oder festere Stoffe in Weißglut.
-Die Gase sind dann infolge ihrer in allen Einzelfällen höchst charakteristisch
-angeordneten bunten Linien im Spektrum meist aufs treffsicherste
-mit irdischen, uns direkt zum Vergleich zugänglichen zu
-identifizieren.</p>
-
-<p>Diese sinnreiche Methode wurde nun auch auf die Kometen angewandt,
-soweit solche in der Zeit disponibel waren.</p>
-
-<p>Das erste feste Resultat war, daß vom Kometen bei seiner Sonnenannäherung
-nicht bloß einfaches Sonnenlicht zu uns herüberglänzt,
-das er zurückwirft wie unsere Erde oder die Venus oder der
-Mars, ohne selber etwas dazu zu tun. Außer solchem reflektierten
-Licht leuchtet der Komet durchweg noch mit etwas Besonderem,
-etwas Eigenem. Aus diesem Eigenlicht würde sich also eventuell
-etwas über seine stoffliche Beschaffenheit ablesen lassen, und in der
-Tat glückt das.</p>
-
-<p>Im Kometen leuchten Gase, und zwar in immer verstärktem
-Maße, je näher er der Sonne kommt. Und zwar sind es Gase, deren
-Spektrum eine Identifizierung mit bestimmten, uns auf der Erde
-gut bekannten Stoffen ebenfalls möglich macht.</p>
-
-<p>In erster Linie kommt der Stoff in Betracht, der in unserm irdischen
-Petroleum brennt, nämlich Kohlenwasserstoff. Ferner konnten
-Kohlenoxyd, Cyan und reiner Wasserstoff nachgewiesen werden.<span class="pagenum"><a id="Page_53">[53]</a></span>
-Endlich zeigten einige Kometenköpfe in den Momenten, da sie außerordentlich
-nah an der Glutoberfläche der Sonne vorüberglitten,
-unverkennbar deutlich das gelbe Licht des Natriums, also des verdampfenden
-Kochsalzes, und merkbar zuletzt auch Eisendämpfe.</p>
-
-<p>An sich können diese Befunde nicht überraschen.</p>
-
-<p>Wenn der Kometenkopf eine Wolke aus Meteorsubstanz ist, so
-muß diese Substanz unter der Einwirkung der Sonnenglut notwendig
-anfangen, Gase auszuhauchen, ja in nächster Sonnenbegegnung
-geradezu bis auf ihren schwersten Metallgehalt (Eisen) zu verdampfen.</p>
-
-<p>Die Stoffe, die sich dabei zeigen, vor allem Kohlenwasserstoff und
-Natrium, treten mit ihrem charakteristischen Spektrum genau so
-hervor, wenn man einen zu uns herabgefallenen Meteorstein künstlich
-erhitzt. Auch wenn man den spektroskopischen Apparat auf unsere
-allnächtlichen Sternschnuppen richtet, kann man öfter die unverkennbare
-gelbe Linie des Natriums aufleuchten sehen, die vorblitzt
-im Moment, da der feine Meteorstaub in solcher Schnuppe völlig
-verdampft.</p>
-
-<p>Die engere Art allerdings, wie in der Sonnennähe des Kometenkopfes
-das Kohlenwasserstofflicht gelegentlich von dem Natriumlicht
-ausgelöscht wird, kann man nur nachmachen, wenn man in geschlossener
-erhitzter Glasröhre durch ein Gemisch von Kohlenwasserstoff
-und verdampfendem Natrium einen elektrischen Strom leitet.
-Man muß also noch die Hilfserklärung machen, daß auch in dem Kometen
-elektrische Prozesse tätig sind.</p>
-
-<p>Und das gibt sogar wieder eine sehr gute Ergänzung ab zur Erklärung
-des sonst seltsamen Umstandes, daß Kometen sich schon bei
-einer Entfernung von der Sonne wenigstens schwach selbstleuchtend
-zeigen, wo eine wirkliche Erhitzung ihrer Substanz bis zum eigentlichen
-Glühen von seiten der Sonne höchst unwahrscheinlich wird;
-hier wirken in ihnen eben rein elektrische Entladungen, die als solche
-schon Licht erzeugen.</p>
-
-<p>So zwanglos nun alle diese Dinge sich in jenes andere Bild fügen,
-so steckt in ihnen doch plötzlich auch ein neues Angstmotiv.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_54">[54]</a></span></p>
-
-<p>Wenn aus dem Kometenkern Kohlenwasserstoff, Kohlenoxyd,
-Wasserstoff, Natrium, Cyan, Eisen verdampfen, so würden wohl
-auch im Schweif ganz besonders solche Dämpfe abqualmen müssen.
-Unter den genannten Stoffen sind aber böse Sachen für den Fall,
-daß dadurch eine derbe Erdberührung statthätte.</p>
-
-<p>Kohlenoxyd und Cyan sind hochgradig giftig und würden, in größeren
-Massen plötzlich in unsere Erdatmosphäre hineingedampft,
-schlechterdings alles organische Leben vernichten.</p>
-
-<p>Ein Petroleumregen würde sich augenblicklich an der ersten
-Flamme hier unten zur fürchterlichsten Explosion entzünden und
-auch die Erde veröden; eine Feuerwelle wie im kleinen eine der
-brennenden Erdgasquellen von Baku müßte um unsern ganzen
-Planeten schlagen.</p>
-
-<p>Eine hochgradige Erdversalzung würde ebenfalls ein schlechter
-Spaß sein. Eine Weile hielten vielleicht noch gewisse salzfestere
-Steppenpflanzen und jene Artemia-Krebschen, die in eingedickter
-Salzsohle leben können, stand; aber zuletzt würden auch sie in der
-allgemeinen Pökelrinde der armen Erde eingehen.</p>
-
-<p>Dazu noch zwei weitere Möglichkeiten.</p>
-
-<p>Entweder kämen im Kometenschweif noch direkt heißglühende
-Dämpfe zu uns, zum Beispiel ein konzentrierter Strahl Eisendampf
-aus dem in der Sonnennähe geschmolzenen und verdampften Meteoritenmaterial.</p>
-
-<p>Oder es schlügen entsetzliche elektrische Entladungen mit allverheerenden
-Blitzen aus dem Schweif zu uns nieder, die der Menschheit
-im ganzen das Los eines jener Opfer auf den bekannten elektrischen
-Hinrichtungsstühlen der Nordamerikaner schüfen.</p>
-
-<p>In allen Formen laufen gerade diese bösen Hypothesen heute wieder
-herum. Der Halleyschweif soll uns in der kritischen Stunde mit
-Cyan vergiften oder versengen oder zerblitzen, auch wenn sonst nur ein
-Sternschnuppenregen durch seine eigentliche Stoßsubstanz entstände.</p>
-
-<p>Wir hätten die Wahl wie die Leute in Pompeji und Martinique.
-Der dicke Plinius selber erstickte bekanntlich bei jenem schrecklichen<span class="pagenum"><a id="Page_55">[55]</a></span>
-Vesuvausbruch, auch ohne einen Stein dabei an den Kopf zu bekommen;
-in Martinique gab es eine versengende Stichflamme alle
-Häuser entlang, die schnell wie ein Blitz zuckte; auch echte Blitze schlagen
-aber aus jeder Vulkanwolke. Eine angenehme Wahl um den
-gleichen Preis!</p>
-
-<p>So hübsch auch das aber wieder einmal ausgedacht ist, um uns
-durchaus kometarisch tot zu kriegen: es hapert auch hier.</p>
-
-<p>Jene Funde der Spektralanalyse sind an sich auf jeden Fall wichtig.
-In ihnen selbst steckt aber bereits ein merkwürdiger Fingerzeig
-nach ganz bestimmter Seite.</p>
-
-<p>Der spektroskopische Nachweis gewisser Substanzen, wie Kohlenoxyd
-oder Natrium, in einer solchen fernen Lichtwolke gibt für sich
-noch keinen direkten Anhalt, wie <em class="gesperrt">dicht</em> der betreffende Stoff in der
-gesamten, doch offenbar so ungeheuerlich weit ausgedehnten kometarischen
-Wolke enthalten sei; er kann enorm verdünnt sein. Wenn
-der Stoff, wie zum Beispiel das Natrium, sich im Kometenkern bei
-dessen Sonnennähe erst sichtbarlich entwickelt und dann in einem
-Schweif von da abdampft, der mehrere Millionen Meilen lang und
-entsprechend als breites Lichtband ungeheuerlich dick in die Weite
-geht, so wird die stärkste Verdünnung, zumal gegen das Ende des
-Schweifs (also das, was uns bei dem Halleyschen Ungeheuer allein
-packen kann), die wahrscheinlichere werden. Wie weit wir das aber
-treiben wollen, dafür wird zunächst jene elektrische Erwägung schon
-bedeutsam.</p>
-
-<p>Elektrische Leuchtprozesse der bezeichneten Art werden wir uns
-im allgemeinen nur bei einem Gebilde vorstellen können, dessen
-Substanz sich mindestens in den hierfür in Betracht kommenden
-Partikelchen in einem Stadium höchst beträchtlicher Verdünnung
-befindet. Gerade solche feinsten und allerfeinsten Partikelchen werden
-wir uns aber bei der allgemeinen Sachlage doch am liebsten im
-Schweif ausströmend denken.</p>
-
-<p>Schon sehr frühen Beobachtern und späteren, kritischeren immer
-mehr ist nämlich aufgefallen, wie dünn doch dem reinen Anblick nach<span class="pagenum"><a id="Page_56">[56]</a></span>
-schon die Schweifmaterie aussehe. Seneca wußte schon (und es
-werden es also wahrscheinlich schon die Pythagoreer und die alten
-Babylonier gewußt haben), daß man durch diese ungeheuren Leuchtbänder
-durch und durch sehen könne bis auf die dahinter schimmernden
-Sterne. Bessel und Struve haben das mit den feinsten Messungen
-dahin präzisiert, daß man faktisch auch nicht die geringste Ablenkung
-des Lichts bei solchen durchscheinenden Sternen im Kometenschweif
-nachweisen könne.</p>
-
-<p>Das ist gewiß eine ganz außerordentlich frappante Sache. Bei
-unserem Erdmond vermißt man, wenn ein Stern seinem Rand nahe
-kommt, ebenfalls jede Spur einer solchen Lichtbrechung, und man
-zieht den Schluß daraus, daß der Mond noch keine Atmosphäre haben
-könne, die auch nur ein Tausendstel von der Dichtigkeit unserer
-irdischen besitze. Die allgemein auch in Laienkreisen verbreitete
-Annahme, daß der Mond absolut »luftlos« sei, gründet sich auf diesen
-Schluß. Ein Mensch würde also, in solchen Kometenschweif versetzt,
-zunächst überhaupt wegen kompletten Luftmangels für seine
-Lunge <em class="gesperrt">ersticken</em>.</p>
-
-<p>Dabei sieht man aber in den dickeren Kometenschweifen ganz bestimmt
-durch eine Lichtwolke von vielen tausenden (bis zwanzigtausend)
-Meilen Tiefe. Zwanzigtausend Meilen tief ein dauerndes
-Lichtglimmen, durch das für uns der Anblick der Schweifdicke entsteht:
-und doch auf dieser ganzen Strecke kein Stoff, der auch nur
-dem Tausendstel unserer Erdluft entspräche! Man ahnt, um was für
-homöopathische Verdünnungen der Stoffe es sich hier handeln muß,
-einerlei, ob das nun gefährliche oder ungefährliche Stoffe für unsere
-Lebensprozesse sein sollen.</p>
-
-<p>Schon der französische Akademiker Babinet hat also auch das
-Wort geprägt vom »sichtbaren Nichts«, als das solcher Kometenschweif
-sich allen gröberen chemischen Sondierungen gegenüberstellen
-müsse.</p>
-
-<p>Olbers dachte sich die einzelnen Schweifteilchen so weit und einzeln
-zerstreut im allgemeinen Äther der Planetenräume herumschwirrend,<span class="pagenum"><a id="Page_57">[57]</a></span>
-wie auf unserer Erde unendlich feine Wasserteilchen in
-gewissen von fern glänzenden Nebeln weit getrennt schweben, Nebeln,
-die doch in Hinsicht der Strahlenbrechung des Lichts und anderer
-Wirkungen sich nicht im mindesten anders verhalten als pure
-Luft. Als eine Art Äthernebel ginge der Kometenschwanz vor uns
-dahin, nur von weitem wie ein neckendes Phantom dem Auge sichtbar,
-beim Versuch des Ergreifens aber (und wäre die greifende Hand
-auch nur der Lichtstrahl) völlig unfaßbar gleich den Gespenstern des
-Märchens.</p>
-
-<p>Hier aber muß sich jetzt noch ein Gedanke einmischen, der von einer
-dritten Seite in die gleiche Richtung lenkt.</p>
-
-<p>Was treibt denn überhaupt die Schweifmaterie von der Sonne
-fort?</p>
-
-<p>Was bewirkt eben das, was uns heute mit dem Halleyschen Kometen
-in Berührung bringen soll, wenn sein Kopf zwischen uns und
-der Sonne steht?</p>
-
-<p>Der Kometenkopf, mag er selber auch ein noch so leichtes Meteoritenwölkchen
-sein, dessen Stoff auch bereits in sehr weiter Zerstreuung
-schwebt, folgt als Ganzes doch unabänderlich noch dem allwaltenden
-Gesetz der Schwere, der Riesin Gravitation. Jedes beliebige
-meteorische Einzelstäubchen, das als Sternschnuppe bei uns
-verpufft, tut das ja noch, warum nicht er? Wäre es nicht der Fall,
-so hätte die Sonne ja nie über ihn Macht gewinnen, seine Bahn zu
-sich heranbeugen, ja ihn unter Umständen (wie bei dem Halleyschen
-Gebilde) in die Verträge ihrer festen Vasallen mit hinein schmieden
-können. Als absoluter Gravitationssklave stürzt solch ein gefangener
-Kern wie der Halleysche allemal wieder in seinem 76. Jahr an uns
-vorbei zur Sonne hin und in wirbelnder Jagd ganz nahe um sie
-herum.</p>
-
-<p>Aber gleichzeitig macht sich mit dieser seiner Sonnenannäherung
-auch etwas von hier aus schlechterdings Rätselhaftes geltend, nämlich
-eben das Abströmen des Schweifes vom Kern direkt von der
-Sonne fort.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_58">[58]</a></span></p>
-
-<p>Die Schweifmaterie <em class="gesperrt">widersteht</em> der Gravitation!</p>
-
-<p>Auf sie wirkt die Sonne nicht ziehend, wie auf den Kern, sondern
-umgekehrt abstoßend.</p>
-
-<p>Treibt den Kern die Gravitation wie ein unhemmbarer Sturm
-so nah wie seine Eigenbewegung nur irgend zuläßt an die Sonne
-heran, so wirkt diese gleiche Sonne auf den Schweif wie ein Gegenwind,
-der ihn senkrecht fortwirbelt!</p>
-
-<p>Schon eine ganze Weile, ehe der Kometenkopf seine größte Sonnenannäherung
-erreicht hat, macht sich dieser Gegenwind, wie bereits
-erzählt ist, geltend, der Schweif beginnt von ihm abzuwehen,
-wie Korn aus einem undichten Sack, der als Ganzes senkrecht nach
-der Schwere fällt, dessen ausfliegende Frucht aber zugleich ein Konträrwind
-lang hinter ihm fortwirbelt.</p>
-
-<p>Dieses Abströmen ist auch mit der Hitze, die in Sonnennähe auf
-die Meteoritenwolke des Kerns wirkt, nicht erklärt. Mag diese Hitze
-Kohlenwasserstoffe aus den einzelnen Meteorteilchen vorlocken, mag
-sie auch allmählich einen Teil ihres Salzinhalts verflüchtigen und in
-gelben Flammen verbrennen, mag sie endlich gar Eisenteile dort so
-verdampfen, daß wir es dicht an der Verdampfungsstelle spektroskopisch
-wahrnehmen können, obwohl der Kern in solchem höchsten
-Moment selber stets weit, weit von uns entfernt ist und Sonnennähen
-erlebt, die wir niemals mitmachen können: das alles kann
-bei ihm jedenfalls nur aufsteigende Wolken auf seiner Sonnenseite
-erzeugen, wie wir sie ja auch tatsächlich dann sehen. Daß aber
-schon ganz früh eine gewisse Kernmaterie sich sonnenabgekehrt einem
-phosphoreszierenden Schatten gleich von diesem Kern hinterwärts
-über Millionen von Meilen auszugießen beginnt; daß selbst jene
-Hitzewolken immerfort eine Tendenz zeigen, fontänenhaft rückwärts
-mit gewissen ihrer Teile auch in diesen Ausguß wieder abzufließen:
-das erklärt an sich die Hitze so wenig wie die Gravitation. Auf diese
-»gewissen Teile«, diese »gewisse Kernmaterie« muß noch ein aparter
-Bann für sich wirken.</p>
-
-<p>Ein Bann, der der Gravitation entkommt: es liegt wahrlich schon<span class="pagenum"><a id="Page_59">[59]</a></span>
-für die allgemeinste theoretische Erwägung nahe, auch hier nur an
-<em class="gesperrt">allerfeinste</em> Teilchen zu denken, Teilchen, für die das Bild auch nur
-eines meteorischen Staubkorns, das einzeln an unserer Atmosphäre
-bei der Berührung als helle Sternschnuppe aufglänzen könnte,
-<em class="gesperrt">außerordentlich viel zu derb</em> wird.</p>
-
-<p>Eine erste Theorie hat auch hier an elektrische Wirkungen gedacht.</p>
-
-<p>Bessel, als er 1835 eben bei dem vorletzten Erscheinen des Halleyschen
-Kometen das Wunder der Wolkenbildung und Schweifablenkung
-dort zum erstenmal genau studierte, war schon darauf gekommen.
-Er sowohl wie sein Freund Olbers und ihr gemeinsamer großer
-mathematischer Berater Gauß sahen klärlich ein, daß es sich um eine
-Abstoßungskraft zwischen gewissen feinsten Kometenteilchen und der
-Sonne handeln müsse, und man hatte für solche Abstoßung zunächst
-nur eine einzige Naturwirkung zur Verfügung, nämlich die bekannten
-Abstoßungserscheinungen gleichartiger Elektrizitäten.</p>
-
-<p>Wenn der Komet der Schauplatz eigener intensiver elektrischer
-Prozesse war; wenn in der Sonnennähe außer der wachsenden
-Sonnengravitation auch die eigenen elektrischen Wirkungen der
-Sonne sich immer mehr merkbar machten; wenn die Kometenelektrizität
-und die Sonnenelektrizität gleichartig waren und somit dem
-Gesetz unterlagen, daß gleichartige Elektrizitäten sich abstoßen: so
-erhielt man zunächst als Basis überhaupt eine abstoßende Macht.
-Nahm man nun Kometenteilchen von einer Feinheit der Stoffzerstreuung
-an, daß diese elektrische Abstoßung die Gravitation in ihnen
-überbieten mußte, so ließ sich eine abstoßende Fortbewegung im
-Gegensatz zur Schwererichtung konstruieren, die diese Teilchen als
-»Schweif« senkrecht von der Sonne aus dem Kern und seinen
-Wolken in die Planetenräume hinausjagte.</p>
-
-<p>Zöllner hat ähnliche Gedanken später zu einer großen Theorie
-ausgebaut. Heute kann man sie in der veränderten Symbolsprache
-moderner Elektrizitätsanschauungen ausdrücken, ohne daß doch das
-Grundbild, scheint es, dabei ein wesentlich anderes würde. Gewisse<span class="pagenum"><a id="Page_60">[60]</a></span>
-leise Schwierigkeiten sind stets in der Art geblieben, wie man sich
-die volle Übermacht der elektrischen Abstoßung über die Gravitation
-denken sollte.</p>
-
-<p>Inzwischen ist in neuester Zeit aber noch eine andere sinnreiche
-Erklärung aufgetaucht, wie man sich bei Annahme ungemein winziger
-und zerstreuter Teilchen eine solche Abstoßung auch in größter
-Sonnennähe vorstellen könnte.</p>
-
-<p>Die Schweifmaterie, sagte ich, erscheint so fein und so weitmaschig
-verpulvert, daß sie durchströmendes Sternenlicht für uns nicht ablenken
-kann. Aber es fragt sich, ob sie selber gerade in solchem Zustande
-nicht durch das Licht, das Sonnenlicht in ihrer Sonnennähe,
-dahingetrieben werden müßte.</p>
-
-<p>Ein ganz alter Kometengedanke kommt hier noch einmal zu Ehren,
-den fast drei Jahrhunderte Physik verschüttet hatten. Der Satz, den
-Seneca schon schreibt: »Die Kometenschweife fliehen vor den Sonnenstrahlen«,
-hatte dem großen Kepler zu denken gegeben. Konnten
-es nicht die Lichtstrahlen der Sonne selber sein, die den Schweif vor
-sich herjagten?</p>
-
-<p>Nach der Physik jener Zeit war das »Licht« etwas Körperliches
-in dem Sinne, daß von der Lichtquelle aus dabei beständig wirkliche
-winzige Körperchen in den Raum hinausgeschleudert wurden. Jede
-Kerzenflamme bombardierte uns so mit ihren Lichtkörperchen. Die
-große Sonne aber entsandte fortgesetzt einen wahren Hagel dieser
-Art um sich her. Wo diese Körperchen auf einen Widerstand, auf
-andere, entgegenstehende Körper stießen, da mußten sie prallend
-einen Stoß, einen Druck ausüben.</p>
-
-<p>Nun, sie waren winzig. Bei irgendwie größeren Dingen im
-Raum konnte dieses liliputanische Lichthändchen nicht viel wollen.
-Wenn ich meine Hand einer Kerzenflamme näherte, so fühlte ich den
-Lichtgegendruck gar nicht, geschweige denn, daß er meine Hand beiseite
-drücken könnte. Aber wenn man sich entsprechend winzige
-Einzelkörperchen, etwa ganz, ganz feinen Staub, dachte, auf die
-einzeln grade so ein Lichtteilchen anprallen konnte, so war doch recht<span class="pagenum"><a id="Page_61">[61]</a></span>
-gut denkbar, daß diesmal das Stäubchen vor dem Stäubchen wirklich
-etwas rückwärts wich.</p>
-
-<p>Nun hielt Kepler zwar den Kometen schon für ein kosmisches Gebilde,
-aber doch für eine recht lose Wolke. Und wenn nun von dieser
-Wolke ein Teil im Schweif wirklich gerade vor den Sonnenlichtstrahlen
-zu fliehen begann: warum sollte es sich da nicht um allerfeinste
-Teilchen dieser Kometenwolke handeln, die wirklich und wahrhaftig
-von dem feinen Hagel der Lichtkörperchen dieser Sonne in
-die Flucht geschlagen wurden? Klein, sehr klein müßten die Kometenteilchen
-ja dann wohl sein; aber sonst ging die Sache unverkennbar
-nett, vorausgesetzt, die Lichttheorie mit ihren Körperchen
-war richtig.</p>
-
-<p>Allerdings war die Gravitationslehre damals noch nicht wissenschaftlich
-scharf entwickelt, man übersah die Macht selbst noch nicht
-genügend, der diese Wirkung die Stange halten sollte. Das sollte
-erst Newton nachholen. Newton selbst aber war wieder der Keplerschen
-Idee nicht hold, obwohl er an der Lichttheorie in dieser Form
-noch festhielt.</p>
-
-<p>Wenig später fiel aber dann auch diese ganze Lichttheorie dahin:
-man faßte das Licht jetzt überhaupt nicht mehr als ein Aussprudeln
-eigener Lichtkörperchen, sondern entschied sich für eine Wellenbewegung
-im Äther. Und damit schien der alte Gedanke völlig antiquiert.
-Ein solches Wellenschaukeln konnte wohl nichts von der Stelle rücken,
-auch das kleinste Stäubchen nicht.</p>
-
-<p>Euler war der einzige, der im 18. Jahrhundert warnte. <em class="gesperrt">Irgend</em>einen
-Druck, meinte er, müßten doch auch solche Lichtwellen ausüben.
-Es sollte aber noch weit über hundert Jahre dauern, bis einer
-auch nur darauf wieder zurückkam.</p>
-
-<p>Maxwell tat es tief im 19. Jahrhundert, bei Gelegenheit seiner
-Revision der ganzen Wellenlehre. Auch ihm schien die Annahme
-eines solchen »Strahlungsdrucks« wieder unvermeidlich, doch hielt
-er ihn noch für unmeßbar winzig, so daß auch jetzt die alten Fragen
-noch nicht wieder eigentlich akut wurden.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_62">[62]</a></span></p>
-
-<p>Wider Erwarten ließ sich die Messung indessen nachher bewerkstelligen.
-Für entgegenstehende Stäubchen oder Tröpfchen von gewisser
-Größe konnte der Strahlungsdruck (der des Lichtes, wie der
-jeder andern Strahlung) wirklich nicht belanglos sein.</p>
-
-<p>Der bekannte schwedische Physiker Svante Arrhenius legte sich in
-diesem Punkte dann endlich auf genaues Rechnen.</p>
-
-<p>Er kam zu dem Resultat, daß ein solches Stoffteilchen in der Nähe
-der Sonne bei dem Gewicht etwa von Wasser einen Durchmesser
-von rund dem Sechshundertstel eines Millimeters haben müsse, um
-vom reinen Strahlungsdruck so in seinem Fall nach der Schwere
-(also auf die Sonne los) gehemmt zu werden, daß es frei und einsam
-schwebend still stand. Das kleine Händchen der Strahlung hielt in
-dem Falle der Riesenfaust der Gravitation, die sonst alles zur Sonne
-riß, mitten im offenen Raum die Wage!</p>
-
-<p>Ging man von da ab dann bei solchem Gegenstäubchen noch im
-Durchmesser herunter, so begann der Strahlungsdruck allen Ernstes
-das Stäubchen der Gravitation zum Trotz von der Sonne fortzutreiben.</p>
-
-<p>Bei dem Sechstausendstel eines Millimeters war dieser Gegendruck
-unter Umständen schon zehnmal so stark wie die Gravitation.
-Unaufhaltsam wurde das winzige Stäubchen in die Planetenräume
-hineingetrieben.</p>
-
-<p>Arrhenius hat sehr hübsch ausgemalt, wie das weitere Schicksal
-eines solchen Schiffleins, das der Lichtdruck dahinbewegt, bei ungestörten
-Verhältnissen verlaufen müßte.</p>
-
-<p>Das Licht fließt und fließt und drängelt sein Schifflein unaufhaltsam
-weiter. Wenn ein solches Stäubchen die Erdbahn passierte, so
-würde es durch den Lichtdruck der Sonne noch immer so bewegt
-werden, daß es schon nach 20 Tagen den Zwischenraum, der die
-Erdbahn von der Bahn des Mars trennt, durchschwommen hätte.
-Nach 80 Tagen überschritte es die Jupiterbahn, nach 14 Monaten
-die des Neptun. Wenn fremder Strahlungsdruck es nicht in Windstillen
-und Gegenwind seiner Richtkraft brächte, müßte es nach<span class="pagenum"><a id="Page_63">[63]</a></span>
-9000 Jahren das nächste Fixsternsystem bei jenem Doppelstern
-Alpha im Sternbilde des Zentauren erreichen.</p>
-
-<p>Der Gedanke hat an sich seine Größe. Er lehrt, wie Materie in
-stäubchenhaft winzigster Zerstreuung beständig von unserer Sonne
-zu allen ihren Planeten, ja in ferne Fixsternsysteme getrieben werden
-könnte.</p>
-
-<p>Wenn ein Planet wie unsere Erde feinsten Staub irgendeiner
-Art gelegentlich selber aus seiner Atmosphäre verlöre, so müßte auch
-er an solchen Weltfahrten teilnehmen, einfach, weil das Sonnenlicht
-auf ihn scheint.</p>
-
-<p>Mancherlei Perspektiven könnten hier auftauchen, die trotz der
-grenzenlosen Raumesöden, die Sonne und Planeten, Sonnen und
-andere Sonnen trennen, ein beständiges geheimes Hin- und Herfluten
-kleinster Stoffteilchen denkbar machen.</p>
-
-<p>Immer freilich gilt die Transportmöglichkeit nur von <em class="gesperrt">sehr</em> kleinen
-Stäubchen. Durch Verminderung des Gewichts (z. B. für allerzarteste
-Rußflöckchen) könnte man sie noch beweglicher machen. Aber
-der minimale Durchmesser müßte bleiben. An Körperchen vom
-Durchmesser eines solchen Sechstausendstels eines Millimeters wären
-470 Billionen nötig, um auch nur ein Kubikzentimeter Wasser zu
-bilden. Immerhin wäre man noch nicht auf der Grenze der Moleküle.
-So weit dürfte man aber auch gar nicht gehen. Denn ein
-Molekül ist <em class="gesperrt">so</em> winzig, daß das Händchen des Lichtes (bildlich gesprochen)
-es gar nicht mehr umfassen kann. Dort versagt also der
-Strahlungsdruck von neuem: reine Moleküle fallen nach der Gravitation
-genau so wie schwerere Staubteilchen.</p>
-
-<p>Von hier ist nun bloß ein einfacher Schritt (und Arrhenius hat ihn
-sofort selbst getan), um auf die alte Grundidee Keplers vor den Kometenschweifen
-zurückzukommen.</p>
-
-<p>Die meteorische Kernwolke des Kometen folgt der Gravitation,
-stürzt also gegen die Sonne. Eine gewisse Auslese ihrer losen Stoffteilchen
-aber, die gerade jener kritischen Größe entspricht, wird, je
-näher das Ganze der Sonne kommt, immer energischer vom Strahlungsdruck<span class="pagenum"><a id="Page_64">[64]</a></span>
-dieser Sonne erfaßt und als Schweif umgekehrt aus der
-Hauptmasse fortgetrieben werden müssen.</p>
-
-<p>Arrhenius denkt in der größeren Kernnähe und bei den kürzeren
-Schweifen besonders an vereinzelt schwebende Kohlenwasserstofftröpfchen
-der angesetzten Größe. Bei ihrer Kondensierung sollen
-elektrische Prozesse, die als solche wieder die Sonne in der Kometenwolke
-erzeugt, mitwirken, also die gleichen Vorgänge, in deren Gefolge
-dann auch die abwirbelnde Schweifmaterie noch auf weite,
-weite Strecken hin wie phosphoreszierend aufglimmt. Für die ganz
-langen, schier endlosen Schweife dagegen nimmt er nur noch feinste
-Rußteilchen als eigentliches Objekt des Strahlungsdruckes an, die
-durch Verkohlung solcher Kohlenwasserstofftröpfchen entstanden sind
-und bei einem überaus geringen Gewicht mit einer Abstoßungskraft
-dahinbewegt werden können, die die Schwerewirkung der Sonne
-um das Vierzigfache übertrifft.</p>
-
-<p>Vor Jahren schon und ohne jede Rücksicht auf die Idee des Strahlungsdrucks
-hatte nämlich der Astronom Bredichin aus den verschiedenen
-Schweiflängen der einzelnen Kometen verschiedene Grade der
-dabei wirkenden Abstoßungskraft zu errechnen gesucht und war dabei
-für die längsten, am geradlinigsten von der Sonne abgekehrten
-Schweife auf weit höhere Ziffern als für die kurzen, dicken und sozusagen
-nur widerwillig gekrümmten gekommen. Ganz folgerichtig
-riet auch er dabei schon auf verschiedene Substanzen in diesen Abstoßungsklassen,
-und wenn (wie es wiederholt beobachtet worden ist)
-ein und derselbe Komet (z. B. der herrliche Donatische von 1858)
-mehrere ungleich lange und ungleich gerade Schwänze in der Sonnennähe
-von sich abwirbeln ließ, so schloß er, daß hier verschiedene
-disponible Kernmaterien sich je nach ihrer verschiedenen Schwere bald
-mehr, bald weniger dem Abstoßungsdruck entsprechend angeordnet
-hätten. Das fügte sich jetzt sehr hübsch in Arrhenius' Erklärung ein.</p>
-
-<p>Für unsern praktischen Fall mit dem Halleyschen Kometenschwanz
-im Mai aber würde es gerade das Entscheidende werden; geht doch
-hier nicht ein kurzer Kernschweif, sondern gerade recht das fernste<span class="pagenum"><a id="Page_65">[65]</a></span>
-Ende eines langen Millionenmeilenschwanzes über uns fort; im
-Sinne von Arrhenius bekämen wir also wohl nur noch solche allerfeinsten
-Rußpartikelchen wie vom Schlotqualm eines endlos fern
-an uns vorbeifahrenden Dampfschiffs ab.</p>
-
-<p>Wie Arrhenius sich die Sache denkt, kann man sich direkt im
-Experiment vormachen.</p>
-
-<p>In einer nach unsern Kräften luftleer gepumpten Sanduhr (einem
-alten Stundenglase) läßt man etwas Schmirgelpulver, vermischt
-mit in Rotglut vorher verkohlten Sporen eines Bovistpilzes von
-oben nach unten durchlaufen. Gegen den niederrieselnden feinen
-Staubstrahl richtet man jetzt von der Seite her das durch eine Linse
-konzentrierte Licht einer elektrischen Bogenlampe. Das schwerere
-Schmirgelpulver fällt einfach der Gravitation nach abwärts, ohne
-sich um den Lichtdruck zu kümmern. Die absinkenden Kohlestäubchen
-dagegen werden eben von diesem Lichtdruck abgelenkt und in langem
-Schweif zur Seite getrieben. Im engen Bilde erscheint, was der
-Komet als <em class="gesperrt">ungeheures kosmisches Experiment</em> in seinem
-luftleeren Weltraum uns nach Arrhenius auch nur vormacht!
-Dem Schmirgel gleich fällt die meteorische Staubmasse des Kernes
-nach dem Gravitationsgesetz zur Sonne. Die feinen Rußpartikelchen
-fliehen dagegen unter dem Lichtdruck dieser Sonne als Millionen
-Meilen langer Schweif dahin.</p>
-
-<p>Auf jeden Fall führen die verschiedensten Wege, wie man sich die
-Abstoßung denken mag, alle unerläßlich auf eine Schweifmaterie
-von ganz außerordentlicher Winzigkeit und Zerstreuung des Inhalts.</p>
-
-<p>Keine leiseste Theorie existiert, die solche Abstoßung, sei sie nun
-elektrischer Natur oder Strahlungsdruck, auch nur noch auf solchen
-feinen Meteorstaub, wie er in unsern Sternschnuppen verpufft, anwendbar
-dächte. Es muß sich um eine noch viel, viel minutiösere
-Stoffauslese handeln.</p>
-
-<p>Kein Gedanke, daß sich etwa ein einheitlicher dicker Giftqualm
-einschmuggeln könnte, der unsere ungeheure, rasend schnell vorbeibewegte
-und in ihren tieferen, dichteren Schichten, in denen<span class="pagenum"><a id="Page_66">[66]</a></span>
-wir atmen, wie eine Art hygienischen Watteschutzes um die Erde
-gewundene Atmosphäre völlig durchsetzen könnte.</p>
-
-<p>Keine entfernteste Möglichkeit heißer Dampfstrahlen etwa aus
-glühendem Wasserstoff oder Eisendämpfen, die der Komet nach Art
-der Sonnenprotuberanzen zu uns herüberschleudern könnte. Der
-ungeheure Sonnenball selbst hat wahrlich andere Explosivmittel und
-Stoffmaterialien als solches Kometenwölkchen zur Verfügung, er
-wirft unter Umständen wirklich glühende (wenn auch stofflich sehr
-dünne) Wasserstoffgarben in die Höhe, die siebzigtausend Meilen
-ansteigen können; keine dieser Sonnenprotuberanzen könnte aber
-auch nur die Bahn des innersten Planeten, des Merkur, bedrohen,
-der immer noch rund sieben Millionen Meilen über der höchsten
-Protuberanz dahinzieht. Um aus einem Kometenschweif eine glühende
-Wasserstoffprotuberanz zu machen, müßte man den zur Sonne
-so schwachen Kometenkern aber Garben werfen lassen bis zu zwanzig
-Millionen Meilen. Das Unsinnige liegt schon so zutage, abgesehen
-von all den andern Gegengründen.</p>
-
-<p>Das elektrische Glühen der unendlich feinen Schweifmaterie wird
-man sich auch nur als einen beständigen schwachen Ausgleich zwischen
-den winzigen Einzelteilchen denken müssen im Sinne des Aufleuchtens
-der außerordentlich verdünnten Materie in unsern Geißlerschen
-Röhren.</p>
-
-<p>Es ist ja erstaunlich, in was für Stadien der Verdünnung sich
-kosmische Körper offenbar befinden können, ohne doch die Fähigkeit
-des Leuchtens und die Wirksamkeit für unsere Spektralapparate
-zu verlieren.</p>
-
-<p>Jeder hat von den echten Nebelflecken gehört, ungeheuren Gebilden,
-in denen leuchtende Gasmassen sich über unfaßbar riesige
-Gebiete des Raumes ausdehnen. Diese Nebelflecken geben trotz
-ihrer enormen Entfernung so viel Licht, daß wir sie photographieren
-können; einzelne, wie der Orionnebel, erscheinen schon in kleinen
-Fernrohren als imposantes Objekt. Im Spektroskop erkennt man
-sehr gut auch noch die hellen Linien der Gassubstanzen, die da glühen,<span class="pagenum"><a id="Page_67">[67]</a></span>
-und man darf daraus mit Sicherheit auf Wasserstoff, Stickstoff und
-Helium schließen.</p>
-
-<p>Die ältere Annahme hielt nun auch solchen Nebelfleck für ein echtes
-höllenhaftes Glutmeer, in dem unsere Erde augenblicklich verpuffen
-würde wie eine Sternschnuppe. Neuere Astronomen denken dagegen
-genau umgekehrt an Gase, die leuchten, weil sie so außerordentlich
-<em class="gesperrt">verdünnt</em> sind und bei sehr <em class="gesperrt">niedrigen</em> Temperaturen
-im kalten Raume schweben. Auch hier mag man irgendein elektrisches
-Glühen vermuten, für das Gase gerade in diesem Zustande besonders
-geeignet erscheinen. Über die wirklich kolossale Verdünnung kann
-aber bei den Raumverhältnissen in diesem Falle kein Zweifel sein.</p>
-
-<p>Arrhenius berechnet in einem Nebelfleck, dessen Gas den vielfachen
-Raum der Neptunbahn einnähme, die Dichte des Gases nur
-auf ein Billionstel der Dichte unserer Luft. Und doch erscheint der
-Nebel, in fernen Fixsternräumen schwebend, noch als Lichtgebilde
-für uns und gibt Stofflinien im Spektralapparat ganz wie ein
-Komet, der relativ dicht neben uns um unsere Sonne geht!</p>
-
-<p>Dem Laien pflegt durch die allgemein verbreitete Kant-Laplacesche
-Bildungstheorie die Vorstellung ganz besonders geläufig zu sein,
-daß unser eigenes Sonnensystem mit all seinen Planeten und Monden
-einst auch eine einheitliche gashafte Nebelmasse dieser Art gebildet
-habe, wobei die jetzt zur Sonne und ihren Planeten und Monden
-geballte Materie sich bis über die Neptunsbahn einheitlich lose
-ausgedehnt hätte. Scheiner hat gerade das aber gelegentlich auch
-einmal exakt durchgerechnet, und er hat als Resultat bekommen, daß
-unsere Atemluft an der Erdoberfläche 240&nbsp;000 Millionen mal so dicht
-sei, als diese anfängliche Nebelmaterie höchstens gewesen sein könne.
-Das sogenannte Vakuum unter unsern Luftpumpen, das wir gern
-stolz als »leeren Raum« bezeichnen, stellt im guten Falle erst ein
-Hunderttausendstel unserer Luftdichte dar. Man bekommt hier einen
-Begriff, was wirklich leerer Raum hieße.</p>
-
-<p>Bei jenem 240&nbsp;000 Millionstel unserer Luft stehen wir tatsächlich
-noch bei realen Körpern, die selbständig leuchten und ein Lichtspektrum<span class="pagenum"><a id="Page_68">[68]</a></span>
-geben, das ihre Elemente verrät! Erst weit jenseits dieser
-Werte würde aber die Welt des Lichtäthers selbst beginnen, auf
-deren Wellendruck Arrhenius seine Kometenteilchen in den Schweifen
-dahinsegeln läßt.</p>
-
-<p>Man muß diese Vergleichsbilder kennen, wenn auf der einen
-Seite ein Forscher sagt, ein Kometenschweif erscheine ihm wie ein
-»leuchtendes Nichts« … und auf der anderen Weltuntergangsängste
-umlaufen, die unter dem gleichen Gebilde sich ein Ding etwa wie
-eine weißglühende Stange vorstellen, die mit zerschmetternder Vehemenz
-gegen unsere Erde schlagen wird&nbsp;…</p>
-
-<hr class="chap" />
-<div class="chapter">
-<p class="drop p2">Resümieren wir also noch einmal unser Los in der kritischen
-Nacht vom 18. zum 19. Mai.</p>
-</div>
-<p>Nach der vorläufig besten und neuesten Berechnung liegt
-die eigentlich bedeutsame Nachtstunde für uns in Deutschland <em class="gesperrt">genau
-zwischen morgens 3 Uhr 22 Minuten und 4 Uhr 22 Minuten</em>.
-Sie gehört also nach unserer bürgerlichen Datierung bereits dem
-19. Mai an, während der Astronom sie nach seiner Berechnungsart
-noch zum 18. Mai zählt. Über eventuelle Verschiebungen des
-engeren Termins werden im letzten Momente ja noch alle Zeitungen
-wie bei einer wichtigen Theaterpremiere berichten.</p>
-
-<p>In dieser Stunde also geht der Komet genau zwischen der Sonne
-und unserer Erde durch. In Australien, in der Südsee und in Ostasien
-wird man direkt beobachten können, wie der Kometenkopf
-scheinbar in die Sonnenscheibe eintritt, um sie erst nach einer ganzen
-Stunde des Vorbeipassierens wieder zu verlassen.</p>
-
-<p>Während dieser Stunde aber wird die Erde selbst durch den Kometenschweif
-gehen, und wenn dieser Schweif angetan wäre, wirklich
-unsere Atmosphäre mit irgend etwas Schrecklichem zu versetzen, so
-würde sich dieses Schreckliche dann alsbald unaufhaltsam durch
-unsern gesamten Luftkreis verbreiten müssen.</p>
-
-<p>Was ist nun in Wahrheit zu erwarten?</p>
-
-<p>Da uns nicht ein Kometenkopf berührt, sondern nur der Ausläufer<span class="pagenum"><a id="Page_69">[69]</a></span>
-eines Kometenschweifs, ist es nicht wahrscheinlich, daß wir
-direkt noch meteorischen Staub von der Stärke in unseren obersten
-Atmosphäreschichten erhalten, daß ein Sternschnuppenregen auftritt;
-schade, denn dieses Schauspiel wäre ebenso ungefährlich wie
-schön, und es lohnte, daß man eine Nacht darum aufbliebe.</p>
-
-<p>Ausgeschlossen sind nach aller bestehenden Theorie sowohl katastrophenhafte
-Stoßerscheinungen, wie Gefahren durch explosible
-oder giftige Stoffe.</p>
-
-<p>Denkbar wäre dagegen zu dem kritischen Termin eine bestimmte
-Sorte irdischer Feinwirkung, die wir diesmal zum erstenmal genau
-feststellen könnten, weil wir zum erstenmal die nötigen Apparate dafür
-zur Verfügung haben. Auch ihr geht jeder katastrophenhafte,
-uns und unsere Technik gefährdende Charakter ab, dagegen handelt
-es sich um die Möglichkeit von sowohl wissenschaftlich wie technisch
-wertvollen Feststellungen.</p>
-
-<p>Es wäre nämlich immerhin möglich, daß der Kometenschweif gewisse
-feine <em class="gesperrt">elektromagnetische Störungen</em> auf unserer Erde
-hervorriefe.</p>
-
-<p>Bekanntlich gibt es auf unserm Planeten höchst eigentümliche
-zeitweise Störungen und Stürme innerhalb der geheimnisvollen
-Kraftbetätigungen, die wir elektromagnetische nennen und deren
-Wirksamkeit wir erst in neuerer Zeit genauer zu erforschen und zu
-verwerten begonnen haben. Unsere Magnetnadeln geraten dabei in
-mehr oder minder lebhafte Unruhe. In stärkeren Fällen durchsausen
-gewaltige elektrische Erdströme die Oberflächenschicht des
-Planeten und bringen alle unsere Telegraphenleitungen für eine
-kurze Weile in heillose Unordnung, ja außer jeglicher brauchbaren
-Funktion. Zugleich wird bis in Gegenden, wo man an dergleichen
-nicht gewöhnt ist, eine völlig ungefährliche, aber sehr auffällige Lichterscheinung
-unserer Atmosphäre merkbar, die sich sonst auf eine gewisse
-Nähe der magnetischen Pole unserer Erde beschränkt: nämlich
-das sogenannte Polarlicht oder (für unsere Nordhalbkugel) Nordlicht.</p>
-
-<p>Obwohl diese oft plötzlichen und für unsere modernen Verkehrsapparate<span class="pagenum"><a id="Page_70">[70]</a></span>
-mindestens momentan lästigen elektromagnetischen »Unwetter«
-zunächst durchaus irdische Phänomene sind (auch mit Einschluß
-des Nordlichts), so hat man doch allmählich gelernt, daß bei
-ihnen irgendein weiterer kosmischer Zusammenhang zweifellos auch
-noch besteht.</p>
-
-<p>Sie fallen nämlich durchweg zeitlich genau zusammen mit bestimmten
-Erscheinungen auf der Sonne.</p>
-
-<p>Die Sonne zeigt an ihrer Oberfläche gelegentlich gewisse Anzeichen,
-die auf eine lebhaftere eruptive Tätigkeit schließen lassen.
-Als sichtbarlichstes Gebilde gehören (in irgendeinem Zusammenhang,
-der an sich noch nicht völlig geklärt ist) hierher die Sonnenflecken.
-Diese Sonnenflecken treten in bestimmten Perioden stärker und dann
-wieder schwächer auf; bald ist die Sonnenscheibe von ihnen fast bedrohlich
-besetzt, bald wieder scheinen sie so gut wie ganz zu verschwinden.</p>
-
-<p>Mit großer Sicherheit hat man nun eine elfjährige Periode dieser
-Art feststellen können, in der einmal eine Steigerung bis zu einem
-Maximum eintritt, dann aber wieder ein ebenso konsequentes
-Sinken folgt.</p>
-
-<p>Ganz genau die gleiche elfjährige Periode beobachtet man aber
-auch in einem bestimmten Schwanken unserer Magnetnadeln. Hier
-<em class="gesperrt">muß</em> ein Zusammenhang bestehen.</p>
-
-<p>Bei bestimmter Häufung und Größe einzelner Sonnenflecken wird
-dann auch eine unmittelbare Wirkung deutlich. Mit dem Auftreten
-des Fleckenfeldes auf der Sonne, ja noch enger genau mit dem Moment,
-da es sich innerhalb der Sonnenrotation gerade unserer Erde
-senkrecht gegenüberstellt, pflegt bei uns ein erhöhtes elektromagnetisches
-Gewitter (mit wilden Magnetnadel-Ausschlägen, abnormen
-elektrischen Erdströmen und starken Nordlichtern) einzutreten.</p>
-
-<p>Die Sonne ist von uns rund 20 Millionen Meilen entfernt. Trotzdem
-ist es, als greife von ihr in solchem Moment etwas Unsichtbares
-wie ein Scheinwerferstrahl bis zu uns herüber und störe unsere
-Apparate.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_71">[71]</a></span></p>
-
-<p>Man hat wirklich an solche Wurfstrahlen gedacht. Bei den Sonnenfinsternissen
-sieht man einen sonst unsichtbaren Kranz ungeheurer
-Stoffstrahlen, die leuchtend weithin von der Sonne auszufließen
-scheinen, die sogenannte Korona. Es könnte sein, daß bei großen
-Eruptionen dort solche Strahlen stärker aufschießen und bei bestimmter
-Einstellung bis zu uns kommen. Unendlich feine Materie
-jedenfalls, haben sie nichts zu tun mit jenen erwähnten wirklichen
-glühenden Wasserstoff-Protuberanzen der Sonne, die nie entfernt
-so weit reichen könnten. Ihre einzige Wirkung, die sie bei uns tun
-können, ist offenbar nur eben jene ganz feine elektromagnetische,
-die sich in Magnetnadelschwankungen, Nordlichtern und (nur in unsern
-feinen Apparaten merkbaren) Erdströmen andeutet. Arrhenius
-denkt auch hier an feinste Stoffteilchen jener kritischen Größe, die,
-durch engere Sonneneruptionen zunächst hochgeschleudert und verstreut,
-dann zum Teil vom Strahlungsdruck bis in die Planetenräume
-hinausgetrieben und so auch bis zu uns gebracht würden.
-Die elektrische Ladung dieser Teilchen würde dann die Erdphänomene
-erklären.</p>
-
-<p>Wie man sich das nun im einzelnen ausmalen mag: jedenfalls
-gibt diese Kette offensichtlicher elektromagnetischer Zusammenhänge
-zwischen Sonne und Erde und ihre Wirkung bei uns einen <em class="gesperrt">vagen</em>
-Anhalt, was auch ein Kometenschweif als irgendwie elektrisch tätiger
-»Scheinwerfer« bei uns erzeugen <em class="gesperrt">könnte</em>.</p>
-
-<p>Nehmen wir an, auch er enthält elektrisch erregte Teilchen, so wäre
-es immerhin denkbar, daß auch sie bei ihrer Mischung mit unserer
-Erdatmosphäre, wenn denn sonst bei ihrer Winzigkeit absolut nichts,
-so doch einen gewissen »elektromagnetischen Sturm« erregten, also
-unsere Magnetnadeln ausschlagen ließen, unsern elektrischen Betrieb
-momentan durch unkontrollierbare Erdströme störten und (als
-sinnfälligsten Effekt) vielleicht bis in unsere dichtesten Kulturbreiten
-hinein brillante bunte Nordlichter aufflammen ließen.</p>
-
-<p>Wenn ein besonders großer Sonnenfleck das kann, indem er uns
-vielleicht über zwanzig Millionen Meilen fort einen besonders langen<span class="pagenum"><a id="Page_72">[72]</a></span>
-elektromagnetisch geladenen, aber sonst für uns ganz unsichtbaren
-Koronastreifen zuschickt, bei dessen Berührung hier unten alles
-dieser Kraft speziell Untertane zittert, wie toll verkehrt klingelt und
-endlich den Himmel mit zuckenden magnetischen Strahlen rötet:
-warum soll <em class="gesperrt">das</em> nicht der Komet auch vielleicht vollbringen? Vielleicht!
-Bewiesen ist es natürlich nicht.</p>
-
-<p>Möglich ist ja, daß solcher Komet in seiner Sonnennähe wie eine
-Art Konzentrierer und Kondensator der ausfließenden Sonnenkraft
-selber wirkt. Nach Arrhenius würde er massenhaft in nächster
-Sonnennähe elektrisch geladenen Koronastaub der Sonne direkt an
-sich ziehen und nachher im Strahlungsdruck konzentriert wieder auspulvern
-gegen die Planeten hin: hier wirkte er also tatsächlich wie
-eine Art Scheinwerfer für Sonnenenergie.</p>
-
-<p>Es ist auch bereits behauptet worden, daß die Kometenschweife
-sich stärker entwickelten in Jahren der Sonnenflecken-Maxima, sei
-es, daß sie dann mehr direkten Eruptionsstaub der Sonne zu ihrem
-Eigenmaterial noch hinzuerhielten, sei es, daß die dann ohnehin
-stärker ausströmende elektrische Wirkung sie bloß auf stärkere Strecken
-hin zum elektrischen Leuchten brächte und so den Schweif größer erscheinen
-ließe.</p>
-
-<p>Ein Grund aber, sich diese problematische elektromagnetische Wirkung
-abnorm groß vorzustellen, liegt jedenfalls wieder nicht in dem
-ganzen Sachverhalt.</p>
-
-<p>Wenn es im höchsten Grade wahrscheinlich, ja so gut wie gewiß ist,
-daß wir früher schon so und so oft durch Kometenschweife hindurchgegangen
-sind (<em class="gesperrt">jeder</em> Komet, der für uns <em class="gesperrt">vor</em> der Sonne herging
-und einen <em class="gesperrt">langen</em> Schweif hatte, kommt ja historisch dafür in Betracht),
-so haben wir damals eben überhaupt nie etwas gemerkt (es
-sei denn Nordlichter, die man früher aber nirgendwo einzuregistrieren
-wußte und deshalb durchweg überhaupt nicht registrierte), einfach,
-weil unsere Technik noch nicht mit elektromagnetischen Feinapparaten
-arbeitete. Wie jung diese Arbeit ist, lehrt klärlich wohl
-die kleine Reminiszenz, daß bei der vorigen Wiederkehr des Halley-Kometen,<span class="pagenum"><a id="Page_73">[73]</a></span>
-1835, eben zwei Jahre verflossen waren, seit zum erstenmal
-und zunächst rein als Privatexperiment zwei Göttinger Gelehrte,
-Gauß und Weber, zwischen der Sternwarte und dem physikalischen
-Kabinett ihres Göttingen eine elektrische Telegraphenverbindung
-primitivsten Stils hergestellt hatten.</p>
-
-<p>Wichtig ist aber auf <em class="gesperrt">jeden</em> Fall, daß auf diese Symptome, und
-seien sie noch so geringfügig, <em class="gesperrt">geachtet</em> werde. Nicht als Angstobjekt,
-sondern als willkommenes kosmisches Experiment sollen wir diese
-Kometennacht verstehen und werten.</p>
-
-<p>Von der schönen Treptower Volkssternwarte, die gewiß zu den
-edelsten Errungenschaften kulturell ersprießlicher Wissenschaft gehört,
-die wir in den 76 Jahren seit dem letzten Halley-Termin gewonnen
-haben, wird dabei besonders aufgefordert, es möchten doch
-in der Nacht vom 18. zum 19. Mai und tunlichst schon etwas vorher
-auf der Erde alle Versuche mit den Apparaten der elektrischen
-Wellentelegraphie unterbleiben, damit sich eventuelle elektrische
-Wirkungen des Kometen als solche von den fein gestimmten Empfangsapparaten
-ablesen ließen.</p>
-
-<p>Und so gibt es noch mehrere andere Punkte, auf die auch gerade
-von dort her besonders aufmerksam gemacht worden ist als auf
-Dinge, die sorgsam zu beachten wären.</p>
-
-<p>Ob eine abnorme Aufhellung des Himmels einträte.</p>
-
-<p>Ob sich besondere bunte Dämmerungserscheinungen hinterher
-geltend machten, die auf das Eindringen allerfeinster Staubteilchen
-in unsere oberen Luftschichten deuten könnten.</p>
-
-<p>Ob Änderungen an dem sogenannten Zodiakallicht, einem für
-gewöhnlich schon recht rätselhaften Lichtkegel, der sich gelegentlich
-am Abend- oder Morgenhimmel zeigt, merkbar würden.</p>
-
-<p>Ob »leuchtende Nachtwolken«, d. h. ungewöhnlich silberglänzendes
-Cirrusgewölk, das in außerordentlichen Höhen schwebt und mit dem
-es auch irgend eine ganz aparte Bewandtnis zu haben scheint, sich
-gerade jetzt wieder sehen ließen.</p>
-
-<p>Bei fast allen diesen Dingen kann auch jeder Laie registrieren helfen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_74">[74]</a></span></p>
-
-<p>Auch wenn es nicht wahrscheinlich ist, daß der Kometenschweif
-selber diesmal vermehrtes Sternschnuppenmaterial liefert, so sollten
-doch auch Sternschnuppen und größere meteorische Feuerkugeln
-mit größter Sorgfalt nach Zeit und Ort aufgezeichnet werden, und
-es sollte das Material, auch wenn es wirklich noch so geringfügig
-erscheint, einer Sternwarte zugesandt werden.</p>
-
-<p>Arbeit, kleine Arbeit gilt es da mitzutun. Aber aus solcher Arbeit,
-Stein um Stein und seien sie klein wie Meteorstäubchen, baut sich
-die Forschung, &ndash; nicht aus vergänglichen Sensationen.</p>
-
-<p>Ob ein vielleicht zu erwartender elektromagnetischer Kleinsturm
-auch auf unsere Witterung einen bescheidenen Einfluß haben könnte?
-Ob eine bestimmte jähe barometrische Luftdrucksänderung wenigstens
-ein <em class="gesperrt">schwacher</em> Hilfsanlaß zu dem einen oder andern etwas intensiveren
-lokalen Vulkanausbruch oder Erdbeben werden könnte?</p>
-
-<p>Anhalt haben wir gerade dafür <em class="gesperrt">nicht</em>.</p>
-
-<p>Ein Einfluß jener elfjährigen Sonnenfleckenperiode auf unsere
-irdischen Witterungsverhältnisse ist <em class="gesperrt">bisher</em> nicht sicher nachgewiesen.
-Daß wir im ganzen heute auf eine Epoche stärkeren Vulkanismus
-wie (im Zusammenhang mit vielleicht wieder einsetzender Gebirgsbildung)
-stärkerer Erdbeben losgehen, ist an sich wahrscheinlich (daher
-Martinique, Messina und so weiter), es fragt sich aber durchaus,
-ob da der Barometerstand des Augenblicks wirklich im größeren Sinne
-mitspielen kann, und abermals fragt sich, ob elektromagnetische Erdstörungen
-nun wieder diesen Barometerstand beeinflussen.</p>
-
-<p>Schließlich: hier überall könnten wir nur lernen, und wir <em class="gesperrt">wollen</em>
-lernen. Gibt die Kometenkrisis einen besonders heftigen Wettersturz,
-so wäre das eine lehrreiche Tatsache. Wahrscheinlich nach dem
-bisher Vorliegenden ist sie nicht, aber dieses »Vorliegende« ist stets
-nur ein »Vorbericht«. Unfehlbar ist sein Votum nie.</p>
-
-<p>Ja: unfehlbar!</p>
-
-<p>Hier wollen wir natürlich nicht ins Übertriebene fallen.</p>
-
-<p>Alle Forschungsergebnisse bis heute sind nur ein Annäherungswert.</p>
-
-<p>Es kann schlechterdings Unbekanntes geben, das die Erde, das<span class="pagenum"><a id="Page_75">[75]</a></span>
-Sonnensystem, die ganze Fixsternwelt in diesem Moment, da diese
-Zeile gelesen wird, in unfaßbaren Hitzegraden zu Gas verflüchtigt.
-Es kann. Die Forschung gibt ihre Argumente, zu mehr ist sie nicht
-verpflichtet. Der Arzt kann einen Menschen untersuchen und für
-kerngesund erklären und er kann im nächsten Moment am Herzschlag
-sterben. Die Erde kann im Moment, da wir auf den Kometen warten,
-durch eine unzusammenhängende Katastrophe, die von Alpha
-Zentauri über acht oder zehn Billionen Meilen zu uns herübergreift,
-vernichtet werden. Jeder von uns kann in Monte Carlo die Bank
-sprengen; damit zu rechnen ist aber nicht empfehlenswert, obwohl
-diese Wahrscheinlichkeit sicherlich sehr viel geringer ist, als daß eine
-Welt, die seit hundert und mehr Jahrmillionen ohne kosmische Katastrophe
-sich glatt weiterentwickelt hat, gerade uns Eintagsfliegen
-dieser lebenden Menschengeneration den Gefallen tun sollte, unterzugehen.</p>
-
-<hr class="chap" />
-<div class="chapter">
-<p class="drop p2">Herr Professor Semmler zu Halle um 1770 betonte (es ist erzählt),
-daß Kometen keinen direkten physischen Einfluß auf
-unsere Reiche, Republiken und Regierungen hätten, daß es
-hingegen dem beschaulichen Menschen frei stehe, sich bei ihnen
-das eine oder andere Erbauliche auch ohne besonderen Zusammenhang
-ins Gedächtnis zu rufen. Der Mann hat in einem Punkte recht.</p>
-</div>
-
-<p>Wenn wir heute beinah etwas betrübt hinzufügen müssen, daß
-es auch mit der neueren Sensation des Versengens, Vergiftens,
-Versalzens und Bombardierens seitens des Kometenschweifs aller
-menschlichen Voraussetzung nach nichts ist, so muß uns doch unbenommen
-bleiben, in der kommenden Kometenstunde das eine oder
-andere zu denken, das zwar keinerlei Zusammenhang mit dem Kometen
-da oben hat, aber an sich hübsch und nützlich zu denken ist in
-allen ernsten und guten Stunden.</p>
-
-<p>Mögen wir ein Glas weihen in jenem Moment eben der rastlosen
-Arbeit, wie sie auch in diesem Ringen des Forschergeistes um die
-Kometenfrage so denkwürdig zum Ausdruck kommt.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_76">[76]</a></span></p>
-
-<p>Schließlich ist es doch diese Arbeit selbst, die auch in die dunkelsten
-Träume eines physikalischen Weltuntergangs den letzten Trost bringen
-würde.</p>
-
-<p>Denken wir uns, daß ein solcher Untergang in unendlichen Fernen
-der Zeit, in Billionen oder Trillionen von Jahren, einmal eintreten
-könnte; nicht durch einen Kometen; aber vielleicht weil die Sonne
-in ihrem Lauf endlich den ungeheuren Raum doch durchmessen hätte,
-der sie heute von den nächsten Fixsternen trennt, und einen Zusammenstoß
-dort erlebte. Wenn wir sehen, was menschliche Geistesarbeit
-heute schon geleistet hat, so ließe sich, bei gleicher Weiterarbeit,
-wohl die Frage aufwerfen, was für Intelligenzwesen in jener fernen
-Zeit unsern Planeten oder unser ganzes System bewohnen
-würden, Wesen, die aus uns geworden wären, wie wir einst aus
-Amöben des Urstrandes uns heraufentwickelt haben, aber Wesen,
-deren Intelligenz und Technik so hoch über unserer heutigen ständen,
-wie ein Mensch heute über der Amöbe steht. Und es ließe sich fragen,
-ob diesen fernen Wesen ein solcher Zusammenstoß noch gefährlich
-werden könnte; ob sie nicht wirklich längst in realer Erfüllung jenes
-Wallaceschen Märchens vorher Mittel und Wege gefunden hätten, sich,
-wie vor der Erkaltung dieser Sonne, so auch vor ihrem berechneten
-Zusammenstoß irgend sonst wohin im All in Sicherheit zu bringen.</p>
-
-<p>Der Gedanke läßt sich aber noch steigern. Sollte solche Möglichkeit
-nicht gegeben sein oder sollte lange vorher schon die Schicksalsparze
-den Sonnenfaden oder Erdenfaden abschneiden: auch dann
-hat die Idee der rastlosen Arbeit etwas Befreiendes.</p>
-
-<p>Wohl wäre <em class="gesperrt">unsere</em> Arbeit zunächst zu Ende. Aber nicht die Arbeit
-der Entwicklung. Aus dem eingestampften, vielleicht wieder zum
-Nebelfleck verflüchtigten System würde neue rastlos wühlende Naturarbeit
-sich von neuem stufenweise emporringen, wieder bis zu Leben,
-bis zu Intelligenz. Und vielleicht würde dieses neue System auf
-sichereren Verträgen inmitten einer abermals gereinigteren Auslese
-des Harmonischeren, Passenderen, Angepaßteren beruhen und so
-eine längere Entwicklungsdauer haben als unseres.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_77">[77]</a></span></p>
-
-<p>Auch der wildeste Götterdämmerungstraum der Sage schloß immer
-wieder mit diesem ganz fernen, ganz blassen, aber doch wieder
-lichteren Bilde. Aus der Asche des Weltenbrandes stieg endlich, endlich
-doch wieder eine grüne Wiese, wo neue Götter, neue Menschen,
-gereinigt von der alten Schuld, die goldenen Kugeln wieder fanden
-und weiterspielten. Auch dem Blick des Naturforschers müßten sich
-die goldenen Kugeln im All immer wieder fügen aus jedem Zusammenbruch.</p>
-
-<p>Denn das Naturgesetz und die Logik der Werdearbeit stürben in
-keinem dieser Brände mit.</p>
-
-<p>Und auch ihm bleibt der große Gedanke Darwins, auf alles Kosmische
-erhöht, daß jeder Einsturz nur eine Stufe der Unvollkommenheit
-beseitigt, herausreinigt aus der unablässig wachsenden Allgemeinbalance,
-Allgemeinanpassung, Allgemeinharmonie.</p>
-
-<p>Sie werden aber nichts mehr von uns wissen, diese Kommenden,
-diese Besseren, diese Geklärteren: so raunt der trübe Gedanke. Die
-jungen Götter der Sage, die wieder mit neuen goldenen Kugeln
-spielen, erzählen sich die Geschichte der alten Schuld, die im Weltenbrande
-gesühnt wurde, als ein wunderbares Märchen. Von uns
-wird nie wieder einer erzählen; von den eingestampften Opfern
-eines kosmischen Fortschrittsexperiments.</p>
-
-<p>Vielleicht gibt es aber doch All-Träume, die selbst dem standhalten,
-wenn auch wir zu träumen wagen.</p>
-
-<p>Im All geht in Wahrheit nichts verloren. Auch keine Form.
-Nichts, was einmal war. Unser Bild wandert noch nach Äonen mit
-Lichtpost zu fernen Sternen. Aber es lebt auch verborgen in allem
-folgenden fort. Wer die Formel weiß, kann es ewig aus seinen Wirkungen
-wieder zusammensetzen. Nur darum ist ja schon bei uns
-eigentlich Geschichte möglich. Darum beleben sich die alten Ichthyosaurier
-wieder vor unserm Blick. Geschichte ist der Triumph der geheimen
-Allgegenwart aller Dinge.</p>
-
-<p>Auch Sehnsucht nach Geschichte, nach Aufdecken, Wiederfinden
-der Vergangenheit liegt aber von gewisser Stufe ab in aller Arbeit<span class="pagenum"><a id="Page_78">[78]</a></span>
-der Natur. Intelligenz muß immer wieder hierher lenken. Nun
-denken wir uns Intelligenz unendlich über unserer, die aus wenigen
-Formeln das ganze Farbenbild der Vergangenheit wieder ablesen,
-wieder erwecken könnte. Unendliche Zukunftsarbeit würde in diesem
-Sinne auch eine unendliche Rückwärtsarbeit werden. Ein unendliches Wiederfinden
-aller abgerissenen Fäden über noch so viel Weltenbrände
-hinaus. Was haben aber auch wir eigentlich schon mehr als
-das in unserm individuellen Leben, jeder von uns, innerhalb unserer
-eigenen Kultur: als ein rastloses Arbeiten im Augenblick, in
-dem gerade bei uns die große Naturflamme lodert; und ein Hörensagen
-von andern vor uns, die keiner mehr direkt sieht, eine Geschichtstradition
-von früheren, toten Generationen, denen die Fackel
-aus der müden Hand gesunken ist; das muß uns genügen und genügt
-uns doch zu frohem Tagesschaffen. Ob die Nacht zwischen dir und
-diesem oder jenem alten Forscher und Denker nun nicht bloß durch
-Menschengräber und Kinderlachen, sondern wirklich durch Weltenstürze
-und neue goldene Weltkugeln geht: was würde es ändern?</p>
-
-<p>Hinter allem aber (darauf weihe auch dein Glas, sei es nun wirklicher
-Goldwein oder bloß Geistestrank) muß zuletzt doch das große
-Naturgeheimnis bleiben, mit seinem dunkeln Auge, das immer gleichmäßig
-auf uns weilt, das nie zuckt, was sich auch vollziehe. Es muß
-jeden einzelnen von uns über kurz oder lang aufnehmen. Stellen
-wir ihm auch die Menschheit anheim. <em class="gesperrt">Wenn</em> einer es je einmal zur
-Antwort bringt, kann das auch nur in der Linie unendlicher rastloser
-Arbeit geschehen. Dann löst diese Arbeit es aber rückwärts für uns
-alle mit. In diesem dunkeln Auge des Geheimnisses finden wir uns
-alle wieder&nbsp;…</p>
-
-<p>Das sind Gedanken, die jetzt mit dem Kometen wirklich nicht mehr
-zu tun haben, als daß auch sie etwas durch Neptunsweiten schweifen.</p>
-
-<p>Bleiben wir näher. Sagen wir uns, daß dieses silberne Wölkchen
-da oben nun abermals seine 76 Jahre von uns fern weilen wird, uns
-so lange aus dem Gesichtskreise verlieren wird.</p>
-
-<p>Nehmen wir ihn als alten Menschenfreund und alten Menschenkenner,<span class="pagenum"><a id="Page_79">[79]</a></span>
-diesen einsamen Weltenwanderer da droben, der schon so viel
-mit uns durchgemacht hat, so viel Menschenglauben und Menschentand
-hat zerschellen und immer doch (wir hoffen es) etwas saure
-Menschenarbeit hat triumphieren sehen. Was wird er finden, wenn
-er nach seinen 76 Jahren wiederkehrt?</p>
-
-<p>Ein Glas dem Problematischen, das doch noch in all unserer
-Wissenschaft steckt. Ein Klang der einen großen Wahrheit, daß noch
-niemand ganz recht hat; daß noch keine unserer Weltanschauungen
-ganz recht haben <em class="gesperrt">kann</em>; und daß zum <em class="gesperrt">Glück</em> noch keine ganz recht
-hat. Was wird er finden?</p>
-
-<p>Wird unsere Naturforschung in 76 Jahren ganz zur äußerlichen
-Technik geworden sein, die sich von allen <em class="gesperrt">tiefsten</em> Denkwerten abgelöst
-hat? Oder wird sie den Anschluß gefunden haben, der für
-ihren höheren Menschheitswert der entscheidende sein muß: an eine
-echte idealistische Weltansicht? Oder ist das noch zu früh?</p>
-
-<p>Werden wir einen neuen Humanismus erhalten, in dem auch die
-Naturforschung, die einst vergessen worden war, ihre Stätte findet,
-nicht als verrohende Macht, sondern veredelt, geläutert vom humanistischen
-Gedanken?</p>
-
-<p>Und wird dieser erweiterte, verklärte Humanismus nicht beschränkt
-bleiben auf die Gelehrtenzelle, sondern eine wärmende Sonne werden
-für das ganze Volk?</p>
-
-<p>Wird in 76 Jahren die Sternwarte, zu der wir jetzt wandern, um
-dieses kleine unheimliche Silberfederchen, das da im eisigen Raum
-treibt, anzustarren, eine ethische Erziehungsstätte sein?</p>
-
-<p>Es ist die letzte Strandwelle des alten Glaubens, daß der Komet
-etwas prophezeien könne, was in solchen Fragen lebt. Er prophezeit
-aber nichts. Nur die Kraft und die Tat und die Arbeit prophezeien.
-Als die Menschheit <em class="gesperrt">seine</em> Wiederkehr prophezeite, da war sie bei der
-Arbeit, da taten die Dinge einen Ruck, da wurden sie größer.</p>
-
-<p>Weltuntergang! Wir wollten trinken und küssen, alle Reserven
-auftrinken und aufküssen. Es braucht keine Reserven mehr, morgen
-ist Weltfeiertag.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_80">[80]</a></span></p>
-
-<p>Und nun soll das alles wieder nichts sein.</p>
-
-<p>Ja wäre es nicht eigentlich doch eine Wohltat gewesen, diese Stimmung
-in der scheußlichen Langeweile unserer Zeit?</p>
-
-<p>Wir arbeiten so heillos viel, wir haben das Recht, das Arbeiten
-auch einmal für einen Greuel zu erklären, zwischendurch.</p>
-
-<p>Nun will uns die grämliche Wissenschaft auch das wieder nicht erlauben.</p>
-
-<p>Im elenden Trott sollen wir wieder weiterschuften, immer mit
-kleinen Sparrationen, wie Südpolfahrer; Vorsicht, morgen ist noch
-ein Tag und die Woche hat noch fünf, hebt Reserven auf, Reserven
-für die Enkel und Urenkel.</p>
-
-<p>Gewiß, auch das läßt sich sagen. Aber zuletzt ist es auch nur der
-uralte Kometen-Pessimismus, der selbst damit nicht zufrieden ist,
-daß die Welt <em class="gesperrt">nicht</em> untergeht&nbsp;…</p>
-
-<p>Und schließlich glauben wir doch alle nicht daran, wir Menschen
-von 1910, mit unserer Kraft und unserer Sehnsucht.</p>
-
-<p>Nein. Laßt uns die heilige Kometenstunde (um denn endlich das
-darin zu finden, was von je wirklich das Grundgegenteil aller Kometengedanken
-gewesen ist) mit einem stillen Glas und vielleicht
-einem stillen Kuß auf schöne Lippen dem ewigen Wunder des Gedankens,
-der Liebe und der Schönheit weihen, dem unbesiegbaren
-Sonnenzauber dieser alten Welt, den keine kalten Sterne jemals
-haben bedrohen können.</p>
-
-<p>Und dann&nbsp;…?</p>
-
-<p>»Worauf«, spricht ein alter Chronikschreiber, der das letzte Wort
-haben mag, (nachdem sie nämlich wieder einmal vergebens auf den
-Weltuntergang gewartet hatten) »Worauf alle wieder an ihre
-Arbeit gingen, als wenn garnichts geschehen wäre.«</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p class="h2">Von <em class="gesperrt">Wilhelm Bölsche</em> erschien im gleichen Verlage</p>
-</div>
-
-<p class="title"><span class="title">W. Bölsche, Das Liebesleben in der Natur.</span> Eine Entwickelungsgeschichte
-der Liebe. Stark vermehrte und umgearbeitete
-Ausgabe. 2 Bde. 30.-35. Tausend. br. à M.&nbsp;6.&ndash;, geb. à M.&nbsp;7.50</p>
-
-<p class="recension"><em class="gesperrt">Neue Weltanschauung</em>: Das bekannteste Werk Bölsches erscheint jetzt
-in einer neuen zweibändigen Ausgabe und zu einem wesentlich <em class="gesperrt">ermäßigten</em>
-Preise, so daß es auch Kreisen zugänglich wird, denen die dreibändige Ausgabe
-zu teuer war. Daß der Verfasser bei der Neuausgabe alle Fortschritte
-der Wissenschaft berücksichtigt hat, braucht kaum bemerkt zu werden. Im
-Mittelpunkt der ganzen Darstellung steht der Grundgedanke, daß der Mensch
-mit seinem ganzen Wesen im Tierreich wurzelt, daß er ein Teil desselben
-ist, sich aus ihm im Laufe ungezählter Millionen Jahre historisch entwickelt
-hat. Der eigentliche Gegenstand des Buches ist eine allgemeinverständliche
-Darstellung der Zeugungs- und Entwickelungsverhältnisse im Tierreich mit
-Einschluß des Menschen. Bölsche beschränkt sich dabei nicht darauf, aus der
-umfangreichen Fachliteratur die einschlägigen Tatsachen herauszusuchen und
-zusammenzustellen, sondern er betrachtet diese Tatsachen lediglich als ein
-Gerüst, das seine oft weit ausgreifenden naturphilosophischen, künstlerischen
-und ästhetischen Ausführungen stützen soll. Da, wo mitunter &ndash; nach Ansicht
-gewisser Leute &ndash; sogar heikle Dinge berührt werden mußten, läßt der Verfasser
-auch den Humor zur Geltung kommen. Es ist gewiß keine leichte
-Aufgabe, für ein Laienpublikum eine solche Entwicklungsgeschichte der Fortpflanzung
-zu schreiben, und gar ohne Abbildungen.</p>
-
-<p class="title"><span class="title">W. Bölsche, Die Mittagsgöttin.</span> Roman. 2 Bände. 4. Aufl.
-br. M.&nbsp;7.&ndash;, geb. M.&nbsp;9.&ndash;</p>
-
-<p class="recension"><em class="gesperrt">Velhagen &amp; Klasings Monatshefte</em>: Ein Werk, reich wie das
-Leben selbst, vom frischesten Wirklichkeitshauch durchweht und doch zugleich
-von hoher Idealität erfüllt, eine Weltanschauungsdichtung im großen Stil.
-Humor und Tragik, Pathos und Pikanterie, Realistik und Romantik, Zartes
-und Derbes in buntem Gemenge, in sprießender Fülle. Charakterzeichnungen
-von einer Schärfe und Deutlichkeit in jeder Linie und psychologisch so vertieft,
-daß sie den Vergleich mit keinen anderen Gebilden der neueren Literatur
-zu scheuen haben. Und als Untergrund ein Mosaik von Großstadt- und
-Landschaftsschilderungen, in denen sich ebenso glänzend die Akribie des Naturforschers
-wie die Stimmungsgewalt des Lyrikers offenbart. Die Farbenpracht
-dieser Schilderungen hat etwas Berauschendes; nur hier und da wirkt die
-Überfülle des Details ermüdend und verwirrend. Berlin und der Spreewald
-bilden den Schauplatz des Romans; was diese packenden Gegensätze an Reiz
-und Inhalt bieten, das hat der Dichter so gut wie ausgeschöpft. Inhaltlich
-führt der Roman mitten in die Geisteskämpfe der Gegenwart. Seinen Stoff
-entnimmt er dem spiritistischen Treiben unserer Tage, aber Bölsche erfaßt den
-Gegenstand tief genug, um in dem Werke die gesamten Gegensätze des heutigen
-Weltanschauungskampfes widerzuspiegeln. Und dieser Kampf vollzieht sich nicht
-in einem Für und Wider von abstrakten Deduktionen, sondern in der Seele einer
-bedeutenden Persönlichkeit, die ein leidenschaftliches Streben nach Wahrheit erfüllt.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p class="h2">Essaybände von Wilhelm Bölsche</p>
-</div>
-
-<p class="title"><span class="title">W. Bölsche, Naturgeheimnis.</span> 8. Tausend. br. M.&nbsp;5.&ndash;, geb.
-M.&nbsp;6.50</p>
-
-<p class="recension"><em class="gesperrt">Weserzeitung</em>: Goethe und Haeckel &ndash; wie oft hat Bölsche diese beiden
-großen Pioniere schon in seiner eigenartigen geistreichen Weise behandelt
-und auch im »Naturgeheimnis« bringt er sie wieder zusammen und läßt
-uns den Gleichklang vernehmen, der durch das Leben und Streben der
-beiden Forscher gegangen. Diesen volltönenden harmonischen Gleichklang,
-der aus einer großen Wahrheit hervorschauerte und ständig das Streben der
-beiden in wundervollen Rhythmen durchklang &ndash; aus der »Grundwahrheit
-Goethes von der Einheit der Natur«. »Und in dieser Einheit liegt alles,
-auch das Schöne«. Zu neuen Welten sucht Bölsche neue Wege. In jenem
-selten gefundenen Gleichbesitz von naturwissenschaftlicher und dichterischer Befähigung
-erschließen sich ihm unendliche Weiten zu jenen fernen Weihnachtsinseln
-einer glücklicheren Zukunft, wie in den »Visionen auf dem Palatin«,
-oder in dem grandiosen »Gespräch mit der Peterskuppel«. Wie die Geheimnisse
-ihn dort umstellen, dort »wo so unsagbar viel Menschensehnsucht sich
-verblutet« und er sich dann durch alle die Weltirrungen und Wirrungen hindurchfindet
-an der Hand der großen Weltlogik und der Naturgesetzlichkeit.
-So weiht er schließlich die schönste Kuppel der Erde »einer lichteren Zeit,
-freieren Menschen mit reinerem Sinn«, einer ferneren Zeit, da die Forschung
-eine religiöse Tat und jeder echte Forscher ein Priester sein wird.</p>
-
-<p class="title"><span class="title">W. Bölsche, Vom Bazillus zum Affenmenschen.</span> 10. Tausend.
-br. M.&nbsp;5.&ndash;, geb. M.&nbsp;6.&ndash;</p>
-
-<p class="noind"><em class="gesperrt">Aus dem Inhalt</em>: Bazillus-Gedanken &ndash; Wenn der Komet
-kommt &ndash; Das Geheimnis des Südpols &ndash; Die Urgeschichte
-des Magens &ndash; Ein lebendes Tier aus der Urwelt &ndash; Der
-Affenmensch von Java &ndash; Das Märchen des Mars.</p>
-
-<p class="recension"><em class="gesperrt">Deutsche Rundschau</em>: Gleicht die wissenschaftliche Forschung dem Abbau
-eines Bergwerkes mit edlen Metallen, so entspricht die Arbeit der Popularisierung
-derjenigen der Hüttenwerke, in denen man das Metall befreit
-von den umgebenden Gestein. Da ist es denn sehr erfreulich, in Wilhelm
-Bölsche bei jener vermittelnden Arbeit einen Mann tätig zu wissen, der als
-der Freund solcher Gelehrter wie Haeckel nicht nur des Vertrauens, sondern
-als Publizist von seltenen Fähigkeiten auch der Liebe seines Publikums
-jeder Zeit sicher ist. Der Titel deutet an, in welcher Richtung sich die
-Ausführungen bewegen. Den Gedanken einer natürlichen Entwicklung, die
-in ununterbrochener Arbeit die höheren Arten langsam aus den niederen
-entstehen ließ, jenen großen Gedanken, auf dem unsere gesamte moderne
-Naturwissenschaft basiert, möchte auch das vorliegende Buch Wilhelm Bölsches
-einem weiteren Kreise verständlich machen. Hier soll gezeigt werden, daß
-die ewigen Gesetze des Werdens sich an kleinen und kleinsten Fällen ebensogut
-beobachten lassen wie an den gewaltigsten.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p class="h2">Essaybände von Wilhelm Bölsche. Wille. Emerson</p>
-</div>
-
-<p class="title"><span class="title">W. Bölsche, Hinter der Weltstadt.</span> Friedrichshagener Gedanken
-zur ästhetischen Kultur. 4. Taus. br. M.&nbsp;5.&ndash;, geb. M.&nbsp;6.&ndash;</p>
-
-<p class="recension"><em class="gesperrt">Deutsche Rundschau</em>: Dieser Band gesammelter Aufsätze und Betrachtungen
-beschäftigt sich mit bedeutenden Männern und Erscheinungen des
-19. Jahrhunderts, in dem sichtlichen Bestreben, aus der gesamten Natur-
-und Geisteswissenschaft dasjenige herauszustellen, was für das 20. Jahrhundert
-noch fortwirkende und vielleicht neu begründende Kraft haben dürfte. Das,
-worauf der Autor über ähnliche Bestrebungen weg hinaus will, bezeichnet
-er als ästhetische Kultur. Ein Zug von Nichtbefriedigtsein mit der Gegenwart,
-aber auch von Unverzagtsein der Zukunft gegenüber geht durch die aus diesem
-Buche zu uns sprechende Weltanschauung. Der Autor hat sich, wie er im
-Vorwort erzählt, aus dem Lärm der Hauptstadt Berlin in die Ruhe des
-weit draußen gelegenen Vorortes Friedrichshagen geflüchtet und überschaut
-nun von da aus auf seine Weise die Erträge des abgelaufenen Jahrhunderts.
-Er beginnt mit Novalis und endet die Reihe mit Fechner, den er gleichsam
-als naturwissenschaftliche und naturphilosophische Ergänzung des Dichters
-Novalis betrachtet. Dazwischen erscheinen Fontane, Heine, die Gebrüder
-Hart, Gerhart Hauptmann, Herman Grimm und die Ebner-Eschenbach.
-Seine März-Träumerei und der, wie mir scheint, sehr bemerkenswerte
-Aufsatz über die Freien Universitäten zeigen Bölsche in Ideen lebend, die
-weit verschieden von denen waren, welche ein Teil der von ihm behandelten
-Männer vertrat. Reicher Inhalt und anregende Kraft wohnen den »Friedrichshagener
-Gedanken« inne.</p>
-
-<p class="title"><span class="title">Bruno Wille, Offenbarungen des Wacholderbaums.</span>
-Roman eines Allsehers. 5. Tausend. 2 Bände. br. M.&nbsp;8.&ndash;,
-geb. M.&nbsp;10.&ndash;</p>
-
-<p class="recension"><em class="gesperrt">Friedr. Paulsen</em>: In Goethe waren Philosophie und Poesie eins, ihn
-verehrt darum auch unser Verfasser als seinen Schutzpatron. Ich erblicke in
-dieser Dichtung ein Anzeichen, daß die neue Fechnersche Naturphilosophie,
-wie sie mit der mathematischen Naturwissenschaft in enger Beziehung steht,
-so auch mehr ein dauerndes Bündnis zwischen Philosophie und Poesie bedeutet,
-als die alte, dem Namen nach spekulative, dem Wesen nach logisch-schematische
-Naturphilosophie.</p>
-
-<p class="title"><span class="title">Ralph Waldo Emerson, Natur und Geist.</span> 2. Tausend. br.
-M.&nbsp;3.&ndash;, geb. M.&nbsp;4.&ndash;</p>
-
-<p class="recension"><em class="gesperrt">Pädagogisches Jahrbuch</em>: Emerson will, daß wir »uns die Freuden
-eines ursprünglichen Verkehrs mit dem Universum sichern«, er möchte uns
-zum inneren Schauen verhelfen, und das innere Auge für die Natur öffnen.
-Überall wird hinter der Natur und durch die Natur der Geist, das eigentlich
-Schöpferische, sichtbar. Mit reichem Tatsachenmaterial sucht er die Zusammenhänge
-zwischen realen Dingen und menschlichen Gedanken, die unmittelbare
-Abhängigkeit der urwüchsigen Sprache von der Natur, die Umbildung der
-Lebenserscheinungen draußen zu Typen des inneren Erlebens nachzuweisen.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p class="h2">Neue naturwissenschaftlich-philosophische Anschauungen</p>
-</div>
-
-<p class="title"><span class="title">Georg Rothe, Die Wünschelrute.</span> Historisch-theoretische Studie.
-br. M.&nbsp;2.&ndash;, geb. M.&nbsp;2.80</p>
-
-<p class="recension">Georg Rothe zeigt auf Grund historischer und wissenschaftlicher Forschungen,
-daß das Phänomen der Wünschelrute nichts Übernatürliches an sich hat, sondern
-lediglich ein Stück Natur ist, dessen Gebiet infolge der ablehnenden
-Haltung der Schulwissenschaft noch nicht genügend erforscht ist. Gleichwie
-der Hypnotismus heute wissenschaftlich anerkannt und zu Heilzwecken verwendet
-wird, so sollte auch die Wünschelrute den Physikern, Physiologen und Psychologen
-als Untersuchungsobjekt geeignet erscheinen, um ihre sehr wesentlichen
-Erfolge zu erklären und weiter ausnutzen zu können. Rothe gibt die erste
-wissenschaftliche Erklärung.</p>
-
-<p class="title"><span class="title">Wilhelm Fließ, Vom Leben und vom Tod.</span> Biologische
-Vorträge. br. M.&nbsp;2.&ndash;, geb. M.&nbsp;3.&ndash;</p>
-
-<p class="noind"><span class="title">Hans Schlieper, Der Rhythmus des Lebendigen.</span>
-br. M.&nbsp;2.50, geb. M.&nbsp;3.50</p>
-
-<p class="recension">Wilhelm Fließ hat auf rein wissenschaftlicher Grundlage zwei neue Naturgesetze
-entdeckt, nämlich das Gesetz der zweifachen Periodizität, sowie das der
-Doppelgeschlechtigkeit aller Menschen. Sie erklären überzeugend, woher z. B.
-das konstante Verhältnis der Überzahl männlicher Geburten kommt, sie weisen
-nach, warum Krankheitsbazillen plötzlich erlöschen, z. B. bei Pest und Cholera.
-Fast klingt es wie ein Märchen, die neue Entdeckung führt den Nachweis,
-daß die Geburten innerhalb einer Familie in engem Zusammenhange mit
-den Todestagen der Vorfahren stehen. Schlieper führt die Untersuchungen
-im Tierreich weiter.</p>
-
-<p class="title"><span class="title">Maurice Maeterlinck, Die Intelligenz der Blumen.</span> 3. Taus.
-br. M.&nbsp;4.50, geb. M.&nbsp;5.50</p>
-
-<p class="recension"><em class="gesperrt">Über Land und Meer</em>: Der tief in die Geheimnisse der Natur eingeweihte
-Dichter legt uns hier mit ebensoviel Liebe und Innigkeit wie Geist
-und scharfer Beobachtungsgabe an einer Reihe der merkwürdigsten, erst in
-unserer Zeit recht gewürdigten Tatsachen dar, welch ungeheures Maß von
-Klugheit, Erfindungsgabe, List, Mut und andern seelischen Eigenschaften in
-der ganzen Pflanzenwelt fortwährend gegen die zahlreichen feindlichen Mächte
-aufgeboten und betätigt wird, um die Erhaltung der einzelnen Arten durchzusetzen.
-Er zeigt uns, daß jede Blume »ihre Idee, ihr System, ihre erworbene
-Erfahrung« hat und daß sie zuweilen irre geht in ihren Bestrebungen,
-genau wie der menschliche Geist.</p>
-
-<p class="title"><span class="title">Maurice Maeterlinck, Das Leben der Bienen.</span> 13. Tausend.
-br. M.&nbsp;4.50, geb. M.&nbsp;5.50</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<p class="center">Gedruckt in der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter transnote" id="tnextra">
-
-<p class="h2">Weitere Anmerkungen zur Transkription</p>
-
-<p>Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.</p>
-
-<p>Korrekturen:</p>
-<div class="corr">
-<p>
-S. 21: Menschenlage → Menschenloge<br />
-sonst unsere <a href="#corr021">Menschenloge</a> im All schützen</p>
-</div>
-</div>
-
-
-
-
-
-
-
-<pre>
-
-
-
-
-
-End of Project Gutenberg's Komet und Weltuntergang, by Wilhelm Bölsche
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KOMET UND WELTUNTERGANG ***
-
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-lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
-or entity providing it to you may choose to give you a second
-opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
-the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
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-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
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-Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
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-exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
-from people in all walks of life.
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-Volunteers and financial support to provide volunteers with the
-assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
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-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
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-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
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-www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation
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-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
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-
-The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
-mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
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-Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
-date contact information can be found at the Foundation's web site and
-official page at www.gutenberg.org/contact
-
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-
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-
-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation
-
-Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
-spread public support and donations to carry out its mission of
-increasing the number of public domain and licensed works that can be
-freely distributed in machine readable form accessible by the widest
-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
-status with the IRS.
-
-The Foundation is committed to complying with the laws regulating
-charities and charitable donations in all 50 states of the United
-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
-considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
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-
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-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
-against accepting unsolicited donations from donors in such states who
-approach us with offers to donate.
-
-International donations are gratefully accepted, but we cannot make
-any statements concerning tax treatment of donations received from
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-
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-methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
-ways including checks, online payments and credit card donations. To
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-
-Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.
-
-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
-Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
-freely shared with anyone. For forty years, he produced and
-distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
-volunteer support.
-
-Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
-the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
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-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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