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-The Project Gutenberg EBook of Jockele und die Mädchen, by Max Geißler
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
-to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
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-
-Title: Jockele und die Mädchen
- Roman aus dem heutigen Weimar
-
-Author: Max Geißler
-
-Release Date: December 4, 2016 [EBook #53661]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK JOCKELE UND DIE MÄDCHEN ***
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-Produced by The Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net
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- Anmerkungen zur Transkription
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- Das Original ist in Fraktur gesetzt.
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- Im Original gesperrter Text ist +so ausgezeichnet+. Im Original in
- Antiqua gesetzter Text ist ~so markiert~.
-
- Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
- Buches.
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- Ullstein-Bücher
-
- Eine Sammlung
- zeitgenössischer Romane
-
- [Illustration]
-
- Ullstein & Co / Berlin und Wien
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- Jockele und die Mädchen
-
- Roman aus dem heutigen Weimar von
-
- Max Geißler
-
- [Illustration]
-
- Ullstein & Co / Berlin und Wien
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- Alle Rechte, insbesondere das der Uebersetzung, vorbehalten.
- Amerikanisches Copyright 1916 by Ullstein & Co, Berlin.
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-Als wäre diese Geschichte nicht wahr -- so wunderlich angetan mit allem
-Zierate der Romantik schreitet sie heraus aus dem grünen thüringischen
-Waldleben! Mit Zigeunern, die sich die Häuser aus bunten Lappen
-und Fichtenreisern erbauen und durch den Bergwald fliegen wie die
-Distelfinken, denen der Herrgott am letzten Schöpfungstage die Reste
-seiner Farbeschalen aufgetupft hat. Und mit einem alten Mädchen, das in
-besinnlicher Güte und Einsamkeit dem Herzschlag des Thüringer Waldes
-lauschte -- auf einmal fiel der Veronika Sinsheimer ein Kind in die
-Hände, als sie schon daran dachte, wem sie das kleine Haus vermachen
-solle, wenn eines Tages der Mann im weißen Mantel über das Gebirge
-schritt, der die blauen Mohnkörner des ewigen Schlafes auswirft.
-
-Das mit dem Kinde geschah ganz früh am Jakobustage -- zu Sommeranfang,
-wenn die Drosseln das Silber ihrer Lieder über den Wald werfen wie die
-jungen Mütter des Christkindleins Haar um die Weihnachtstanne.
-
-Die Häuslein sind um den Fuß der Vorberge gesäet wie die Weizenkörner;
-ein paar sind emporgeweht an die Hänge, und der Bergwald legt seine
-grünen Arme darum. Zuhöchst steht das des Fräuleins Veronika Sinsheimer
--- von weitem anzuschauen als ein Wildrosenbusch im Mai; denn es hatte
-frühlingsgrüne Mauern und ein hellrotes Ziegeldach, darin zwei blanke
-Augen, just wie das alte Fräulein selber.
-
-An den Fenstern waren weiße Vorhänge, feuerrote Geranien und
-Glockenstöcke; die standen auch während des Bergwinters in lachendem
-Blühen. Kein Wunder, denn das Fräulein in dem Frühlingshause wandelte
-in einem freundlichen Spätlichte des Lebens, so warm und hell, daß die
-grämlichen Nebel der Altjüngferlichkeit sich darin niederschlugen als
-ein Tau in den Sommermorgen.
-
-Die Leute von Ibenheim gingen gern bei ihr ein und aus; denn sie
-sprach eine feine thüringfremde Sprache. Die hatte sie mit aus der
-norddeutschen Heimat gebracht und schoß das »s« von dem feinen Bogen
-ihres Mundes wie einen Pfeil. Die zu ihr kamen, banden sich daheim eine
-saubere Schürze vor und strichen sich die Schuhe vor der Schwelle des
-Hauses ab, oder sie ließen die Pantoffel draußen stehen; denn um das
-Fräulein Veronika war alles blank.
-
-Die lebte das Leben des späten Mädchens in Freude und erzählte keinem
-Menschen, daß sie hundertmal Gelegenheit gehabt hätte, einen Mann
-zu nehmen, oder daß gar einer wegen seiner Liebe zu ihr ins Wasser
-gegangen sei, sondern sie sagte: es wäre halt keiner gekommen, sie lieb
-zu haben, darüber wäre sie stehengeblieben. Und ihre Augen lachten das
-leise Lachen der Freude über diese Rede, weil sie dennoch mit dem Leben
-fertig geworden war.
-
-Dies stille Leben lag vor den Augen all der Leute von Ibenheim, und
-doch war die feine kleine Person des alten Fräuleins für sie voller
-Geheimnisse. Aus jedem Stücke des Hausrats schaute eine ferne liebe
-Zeit, wie sie in den Erkerstuben alter Burgen eingefangen ist, die
-vordem einmal Kemenaten junger Frauen gewesen sind. Ahnungsreich lag
-der Duft von Lavendel um alle Körbchen und Decken, um Kissen und
-Polster, und Fräulein Veronika Sinsheimers reinliches Wesen trippelte
-zwischen diesen Dingen umher, und das Leben hatte kein Stäubchen auf
-sie geworfen.
-
-Die Menschen sahen sich an ihr die Augen voll Sonntag. Und an dem
-Zinzilein, dem kleinen Mädel des Holzhauers, das an jedem Tag in das
-Frühlingshaus kam, war all der Sonntag hängengeblieben: es schoß das
-spitze »s« aus seinem Mündlein wie sie; seine kleine Zunge schwang in
-diesem Mündlein als gegen eine silberne Glocke, und wenn das Zinzilein
-aus der Hütte des Holzhauers über den Weg lief, ward der Waldsaum hell
--- in Kindern leuchtet das Scheinen der anderen Welt, aus der sie
-gekommen sind, rasch wieder auf.
-
-Das Zinzilein blühte seinen fünfjährigen Frühling so in das Leben der
-alten Dame hinein und schüttete seine klingenden Fragen über sie, als
-es anfing, an dem Dasein herumzuraten: »Warum kann ich nicht in Deinem
-Hause schlafen, liebe Tante Veronika? Und warum sage ich zu Dir Tante
-und nicht Mutter? Warum bist Du nicht meine Mutter? Und was ist für ein
-Unterschied zwischen einer Tante und einer Mutter? Wenn ich groß bin --
-kann ich dann immer bei Dir sein, liebe Tante Veronika? Und warum ist
-es bei Dir so schön, so schön?«
-
-Darüber kamen sie dann beide ins Raten; und wie eine Blume wandte
-sich diese junge Menschenblüte der Sonne zu, in der Fräulein Veronika
-stand. Den Namen Zinzilein hatte die Kleine für sich gemacht -- er
-war aus der Zeit, da die Worte in dem jungen Munde noch manchmal
-durcheinanderpurzelten, aus Kreszenzia und Sinsheimer entstanden. Und
-weil es ein so wunderlicher Zusammenklang war, blieb er an dem Kinde
-hängen: als das ›Zinzilein‹ ist die Kreszenzia Laufer durch ihr Leben
-geschritten.
-
-Aus dem unbewußten Blumendasein des ganz kleinen Holzhauermädels wurde
-gemach ein Menschenleben; und in seligem Erschauern ließ Fräulein
-Veronika das Glück dieses sachten Blühens in die Waldstille ihrer Tage
-rieseln und fühlte, wie es an ihrem vereinsamten Herzen zum Wunder ward.
-
-Die Eltern des Zinzilein gingen zu Walde roden und aufforsten,
-und wenn der Schneewind über die Berge brauste, saßen sie bei der
-Heimarbeit, die in dieser Gegend Brauch ist: sie machten Puppen.
-Außer dem Zinzilein hatten sie kein Kind; und dies eine ward ihnen
-fremder mit jedem Tag. Es dachte anders und redete anders als Vater
-und Mutter. Und wenn das Zinzilein des Abends heimkam und aus seinem
-Frühlingsherzen heraus über sie schüttete, was das alte Fräulein am
-Tage hineingelegt hatte, merkten sie, daß das Kleine ein Gast in ihrer
-Waldhütte geworden war. Dann gaben sie sich Mühe, so fein mit ihm zu
-sprechen, wie es selber sprach, und standen vor ihm in feierlicher
-fremder Freude wie vor einer Tulpe, die ihnen auf den Geburtstagstisch
-gestellt worden. Wenn das Zinzilein nebenan in seinem Bette lag, holte
-die Mutter jedes Stück herzu, das es auf seinem Körperlein getragen,
-ließ ihre harte Hand darübergleiten und drückte es gegen die Wangen,
-zu fühlen, wie sanft es sei. Oder sie hielt das Kräuschen aus alten
-Spitzen gegen das Licht der Lampe, den feinen Lauf der Fäden zu sehen;
-denn Fräulein Veronika sorgte für alles -- auch dafür, daß sich das
-Kinderherz den Eltern nicht völlig abwende. Und das war sehr schwer.
-
-Sie badete es an jedem Tage des Sommern in einem klaren Bergquell, der
-aus dem schwarzen Wurzelgrunde heraus sich in ein Sonnenbett legte und
-das Glück des Himmels und Lichts in sich trank, ehe er als fußbreites
-Wasser in die Welt lief. Sie lehrte das Kind, diese Welt durch ihre
-klugen, reinen Augen zu sehen, und schloß ihm auf jedem Gang in den
-Frühling ein Wunder der Erde auf.
-
-Es schien, als wäre die unerforschliche Macht, die die Menschen
-Schicksal nennen, zu der späten Erkenntnis gelangt, daß diesem Fräulein
-Veronika das herrlichste Mutterherz geschenkt worden, das sich denken
-ließe -- da legte es ihr das kleine fremde Mädel in die Arme; denn das
-Kleinod dieses Frauenherzens, das kein Mann gefunden hatte, durfte
-nicht in Vereinsamung verloren gehen. Und dies Schicksal erkannte
-auch, daß dies Frauenherz unerschöpflich sei an hingebender Liebe
-und Klugheit ... am frühen Morgen des Jakobustages, als das Fräulein
-Veronika sein Spitzenhäubchen auf die ergrauenden Haare gesetzt hatte
-und gleich einmal nach dem Zinzilein ausschauen wollte, ob es schon am
-Waldrand herüberschreite ... »Na,« sagte Fräulein Sinsheimer, »wer hat
-mir denn da etwas auf die Haustürschwelle gelegt?«
-
-Sie beugte sich ein wenig nieder und machte die Augen weit. Es war ein
-Bündel aus grauem Wolltuch. Sie rührte ein wenig mit ihrem weichen
-Morgenschuh daran. Da wackelte etwas unter dem Tuche. Und sie tastete
-mit ihren Fingern darüber. Da kneckerte ein Lebendiges in dem Bündel --
-»Na!«
-
-Es war aber weder ein junger Hund noch eine junge Katze darin, sondern
-ein leibhaftiges Menschlein, in Dinge gewickelt, die große Armut als
-Windeln ansehen konnte. Und daneben kniete das gütige alte Mädchen und
-wußte nicht, was es mit sich selber anfangen sollte.
-
-Da kam ein wunderliches verzweifelte Lachen über sie. Sie trippelte
-durch die Stuben und durch die Küche, und ihre besonnenen Hände
-begannen umherzugreifen, als könnten sie einen der vielen flatternden
-Gedanken erhaschen. Sie legte die Hände vor den Mund, als müsse sie
-dies hilflose Lachen ersticken, das gar keinen Platz hatte in diesem
-seltsamsten Augenblick ihres Lebens ...
-
-»Na, na, und gar ein Bübchen!« schrie sie aus ihrem gepreßten Herzen
-heraus. Aber dieser Ruf war schon Glück; denn er brach aus ihr hervor
-wie die Sonne aus dem verstürmten Märzhimmel.
-
-Dann lief sie und nahm das große Bündel auf ihre Arme und trug es in
-die Küche und aus der Küche in das Zimmer und aus dem Zimmer zu ihrem
-Bette und legte es darauf. Und alle Türen standen offen, da lief ein
-goldener Morgenwind ins Haus und lief um sie her, und sie legte in
-ihrer freudigen Not eine Serviette dreieckig zusammen und das braune
-Bübchen darauf und deckte es mit ihrem weichen Deckbett zu bis an die
-Nase.
-
-Zu all dem sagte der Junge gar nichts; als Zeichen seines lebendigen
-Unverständnisse wackelte er einmal mit den Lippen eine saugende
-Bewegung, beschied sich aber, ballte die Fäustlein, legte sie an seine
-Wangen und schlief sich tief in die wohlige Wärme dieses Bettes und
-neuen Lebens hinein wie ein Maulwurf.
-
-Als das kleine braune schlafende Ding mit dem glänzenden Fellchen auf
-dem Kopfe nicht mehr in den Lumpen war, faßte Fräulein Veronika die
-Hülle mit sehr spitzen Fingern an und legte sie auf ein Zeitungspapier
-... da klapperte etwas auf den Fußboden. Es war ein silberner Ohrreif,
-der der Mutter über der Hast und dem Schmerze des Scheidens entfallen
-sein mochte; oder eine der kleinen Hände hatte über dem letzten Kusse
-stürmischer Liebe nach einem Halt gesucht; oder die große Herzensnot
-der Frau hatte dem Kinde das einzige Besitztum mitgegeben, dem sie noch
-einen geringen Geldeswert beimaß.
-
-Das Fräulein verwahrte den Ring in einer Glasschale auf der Etagere;
-aber die Hüllen trug sie in dem Papier hinaus und legte sie rechts
-neben die Schwelle.
-
-Da kam das Zinzilein, wie der Frühling, der über die Berge steigt --
-der Morgenwind nahm es an der Hausecke gleich ein bißchen beim Kopfe;
-aber das Mädel stellte ihn darüber zur Rede: »Was fällt Dir denn ein?
-Du verstruwelst mir ja ganz meine Haare!« und schubste mit seinen
-kleinen Händen vor sich in die wehende Bergluft.
-
-Fräulein Veronika führte das Zinzilein gleich an das Bett, und weil sie
-auf den Zehen ging und die Augen voller Geheimnis hatte, mußte etwas
-ganz Wunderbares in diesem Bette sein.
-
-Da sah das Zinzilein das blauschwarze Fellchen und sah die kleinen
-Läden, die über die Augen herabgelassen waren ... aber das Wundern
-dauerte nur einen Augenblick, dann krümmte sich das Zinzilein in
-leisem, über die Maßen lustigem Lachen, und damit es nicht laut werde,
-klemmte es die Hände zwischen die Knie und lachte in einem fort. Dann
-warf es seine Arme stürmisch um Veronika.
-
-»Das ist aber eine feine Geschichte!« sagte es. »Ich werde jetzt gleich
-laufen und meinen Puppenwagen holen!«
-
-»Nein,« sagte das Fräulein, »der ist viel zu klein.«
-
-Und sie gingen miteinander in die Küche, wo das Wasser zum Morgenkaffee
-noch immer wallend gegen die Stürze des Topfes stieß, und ließen die
-Tür ein wenig offen.
-
-»Weißt Du,« sagte das Zinzilein und redete ganz leise, »ich werde mich
-so lange an das Bett setzen, bis er aufwacht! ... Ob man ihm nicht
-einmal die Augen ein wenig aufklappen könnte?«
-
-»Ach lieber gar,« sagte Tante Veronika. »Zuerst gehst Du einmal zum
-Gemeindevorsteher und sagst zu ihm: Sie möchten, bitte, gleich einmal
-zu Fräulein Sinsheimer kommen -- es ist eine sehr wichtige Sache.«
-
-Das Zinzilein mußte diese Worte dreimal wiederholen, lief damit einen
-Steinwurf weit den Berg hinab zum dritten Hause und sah den Vorsteher
-in seinem Garten. Da hielt es sich an einem Zaunstänglein fest und
-schrie: »Die Tante Veronika hat ein Kind gekriegt -- es hat einen
-schwarzen Kopf, und Du sollst schnell kommen. Es ist eine großartige
-Sache!«
-
-Herr Peter Squenz wußte, daß das Zinzilein ein unterhaltsames kleines
-Mädchen war, aber diese Botschaft schien ihm im höchsten Grade
-sonderbar. Er trat zu dem Kind an den Zaun, und weil er lachte, kam die
-Kleine ein bißchen aus dem Gleichgewicht. Da sah er, daß das Gesicht
-verängstigt war; denn das Zinzilein merkte, daß es die Worte der Tante
-über der Wichtigkeit des Augenblicks ganz vergessen hatte, aber es
-verließ sich auf sich selber und drängte: »Komm nur! Ein wirkliches
-richtiges Kind hat sie, liegt im Bette und hat die Augen ganz fest zu.«
-
-Da dachte Herr Squenz, dem Fräulein Sinsheimer müsse etwas zugestoßen
-sein, warf sich schnell den Rock über und ging mit dem Zinzilein. Das
-redete immerfort von dem Kinde und seinem Sammetfellchen, und brauchte
-altkluge Worte, die wunderlich in dem kleinen Munde standen, aber als
-Herr Peter Squenz das Fräulein in der Haustür stehen sah, geriet seine
-lustige Neugier in abgrundtiefe Verwirrung.
-
-Da mußte Fräulein Sinsheimer einspringen und ihn auf den rechten Weg
-führen. Die Sache war anders, aber sie war nicht weniger wunderlich;
-denn von dem kleinen Trupp Zigeuner, der in der Mondnacht durch den
-Bergwald gezogen war, hatte niemand etwas gesehen. Und weil das
-Fräulein Veronika auch erkläre, sie wolle für das Kind sorgen, wenn
-sich die Mutter nicht fände, und es solle der Gemeinde nicht zur
-Last fallen, so hatte Herr Peter Squenz weiter nichts zu tun, als
-den Vorfall mit dem Protokoll und der Unterschrift der Pflegemutter
-an seine Behörde zu berichten. In den umliegenden Dörfern und
-Städten blieben die Nachforschungen erfolglos. Die blanken Reden,
-die ins Ländchen liefen, versickerten, und es versickerte der Eifer
-der Behörden. So hatte Fräulein Veronika Sinsheimer zu dem blonden
-Zinzilein einen kleinen schwarzen Jakobus bekommen, den ihr recht gerne
-kein Mensch streitig machte. Diesen Namen hatte sie ihm gegeben nach
-dem Tage, an dem er gefunden worden. Etliche meinten zwar, er müsse
-Moses heißen: denn ob er aus dem Wasser oder aus dem Walde gezogen sei,
-wäre nicht so wichtig. Das Fräulein mochte davon nichts wissen.
-
-Es blieb aber auch nicht bei dem Jakobus, denn das Zinzilein machte
-einen Jockele daraus und war mit seinem hellen ahnungsvollen Herzen um
-ihn und lebte sich in seiner Freude an ihm in ein sorgendes leuchtendes
-Glück; und die Tante Veronika lebte sich darüber hinein in die
-leuchtende Ewigkeit.
-
-Natürlich hatte es Tante Veronika damit nicht eilig; denn Festungen,
-die ihm so sicher sind wie das Grab, pflegt ein weltfrohes Menschenherz
-nicht im Sturm zu erobern.
-
-Es war nun doch ein großer Wandel der Dinge im Leben der alten Dame
-eingetreten: mit seinem kleinen Fäustchen warf das am Waldrand
-aufgelesene Büblein das stille Gleichmaß des blumenhaften Daseins
-einfach über den Haufen. Die rote Knospe seines Mundes faltete sich
-erst so leis auseinander, da herrschte er schon als König in seinem
-Reiche. Die blauen Wunder seiner Augen, in denen noch kaum etwas
-anderes war als die rätsellose Unbewußtheit des Himmels, machten das
-Wetter im Frühlingshause. Und weil er gewöhnlich nach Tante Veronika
-rief -- mit Lauten, die ebensogut von einem Maikätzlein hervorgebracht
-werden konnten -- wenn diese gerade in der Küche zu tun hatte, so
-mußte ein Mädchen ins Haus. Es waren da überhaupt hundert Dinge um
-seine kleine Majestät zu verrichten, deren viele recht unköniglich
-aussahen und die am besten einer dienenden Person überlassen wurden;
-denn zur Betätigung der unerschöpflichen Liebe blieb auch ohne jene
-Pflichterfüllung Gelegenheit genug.
-
-So war das Haus am Bergrand vollgeworden zum Ueberlaufen, und die Tage
-begannen darin zu rennen wie die Windrädchen. Aber sie waren auch
-lustig wie diese, und es dauerte gar nicht lange, so hatte das Fräulein
-Sinsheimer wieder alles in seinen feinen weißen Händen, und die kleinen
-Sonnen, die sie sich an den Späthimmel des Lebens gestellt hatte,
-richteten ihren Gang nach dem großen Licht ihres Herzens.
-
-Darüber lernte das Bübchen seine Freude in die Welt jubeln, und das
-Zinzilein fand sich in ahnungsvoller Hingabe in die seltsame Rolle,
-die es diesem Jungen gegenüber zu spielen berufen war. Es ward ihm
-Schwester und Mütterchen; es herrschte und gehorchte; es ward Pol und
-Kompaß, Saat und Sonne für das kleine Herz und schlang von einem zum
-anderen das Kettlein einer Liebe, das köstlicher war als Gold.
-
-Weil es dem eigenwilligen Wunsche Jockeles entsprach, zog das
-Zinzilein in diesem Sommer ganz in das Frühlingshaus. Der Junge, dem
-Tante Veronika nachdrücklich klar gemacht hatte, daß es ein Gesetz
-des Wohlbefinden sei, die Nacht zum Schlafen zu benutzen, fand sich
-darein als in eine unverletzliche Pflicht. Und das Zinzilein war zu
-der Erkenntnis gelangt, daß man einem kleinen Menschen die Augendeckel
-nicht aufklappen dürfe, wenn sie heruntergelassen werden, und daß
-man so feine Härchen nicht stundenlang mit den scharfen Zähnen eines
-Staubkammes bearbeite. Dabei hatte sie Tante Veronika einmal ertappt,
-als es schon ganz rot unter dem Sammetfellchen hervorleuchtete. Man
-durfte einen Jungen auch nicht an einem Beine herumschlenkern wie
-eine Puppe. Es war überhaupt eine viel künstlichere Sache mit einem
-richtigen kleinen Menschen, und weit unterhaltsamer; denn der Jockele,
-als er sitzen konnte, bemühte sich nicht nur, dem »großen« und sehr
-klugen Zinzilein alles nachzutun, sondern er erfand auch eine Sprache,
-die das Zinzilein besser verstand als alle anderen.
-
-Daß es nicht in dieser Sprache mit ihm reden durfte, war verdrießlich.
-Aber die Tante war gewöhnt, daß man Ordre pariere, und so mußte das
-Zinzilein in seiner klaren und reinen Sprache schon mit dem ganz
-kleinen Jockele verkehren. Und merkwürdig -- die Tante war in dieser
-Sache zu keinem Entgegenkommen zu bewegen ... die gütige, allerliebste
-Frau, die es gab! Und sie ließ sich nicht einmal auf Erklärungen ein.
-
-Darüber geriet das Herz Zinzileins beinahe in Not, und das Mädchen Mali
-wurde von ihm zu Rate gezogen. Es fand sich in dem wunderlichen Willen
-der Tante Veronika aber auch nicht zurecht. --
-
-Die Kinder schliefen droben in der Giebelstube, und das Zinzilein hatte
-sich von der Sorge um die Nächte ein für allemal frei gemacht mit der
-Frage: »Wenn der Jockele kneckert, soll ich dann aufwachen?« --
-
-»Nein,« hatte die Tante gesagt und behauptet, sie schliefe so leise,
-daß sie die Träume der Kinder kommen und gehen höre.
-
-Von nun an änderte sich durch eine lange Reihe von Jahren nichts mehr;
-denn das Glück bleibt gern zu Gast in einem Haus, in dem man zufrieden
-mit ihm ist. Nur weil die Menschen immer an ihm herumnörgeln, ist es so
-scheu geworden, und es muß einer in dieser Zeit oft meilenweit wandern,
-um es einmal über den Weg laufen zu sehen.
-
-Seit das Zinzilein im Haus am Walde wohnte, hatten sich auch die
-Holzhauerleute mit dem Dasein des kleinen Jakobus abzufinden versucht,
-denn denen war der Junge wie ein Meteorstein in die Suppe gefallen.
-Armut ist immer eigensüchtig und wird darüber noch ärmer.
-
-Einmal erschien die Mutter des Zinzilein bei dem Fräulein Veronika. Sie
-hatte sich zu dem Gange äußerlich zurecht gemacht wie ein Dorfsonntag
-und gab sich redlich Mühe, frohmütig zu erscheinen. Aber was sie sagte,
-kam aus einem angesäuerten Herzen; denn der Puppenmacherin Barbara
-Laufer wollte just der schönste Pott ihrer Hoffnung in Scherben gehen
-und klirrte vernehmbar in ihre Rede: das Zinzilein würde nun wohl übrig
-werden ... Und von dem kleinen Mädel sprang sie gleich mittenhinein
-in ihre saure Weltanschauung, vor der die Milch auf dem Teetische
-zusammenrinnen konnte.
-
-Aber Tante Veronika wußte derartigen Ausfällen zu begegnen.
-
-Was sie sich an Lebensglück und an Freude zurechtgerichtet hatte, stand
-mit einer etwas spitzen Ueberlegenheit gegen die Menschen, und es
-hätte wie Feindseligkeit ausgesehen, wenn Veronika eine Unterhaltung
-über derlei Dinge jemals eingegangen wäre; denn die Lebensauffassung
-dieser Menschen baut sich auf die Weisheit: Wir können anfangen, was
-wir wollen -- wir haben kein Glück und sind an die Schattenseite des
-Daseins gesetzt. -- Fräulein Sinsheimer aber sagte: Jeder Mensch hat
-vom Glücke genau so viel, als er sich erzwingt. Und in ihrem Munde
-lag das unausgesprochene Wort: »Sie haben alle nicht das Geschick,
-glücklich zu sein!«
-
-Und damit hatte das Fräulein recht. Die leuchtende Weisheit der wenigen
-Stillen im Lande war auch die ihre geworden; denn zuletzt sind es doch
-nur diese Stillen, die in allen Stücken mit dem Leben fertig werden.
-Aber sie wußte auch: es würden alle an ihr herumnagen wegen dieser
-Erkenntnis, sobald sie einmal ihre Zunge davonlaufen ließ, und man
-würde sie als eine verrückte alte Jungfer ausrufen.
-
-Sie hütete sich, die Menschen zu bessern und zu bekehren, damit ihr
-nicht die eigene Sonne über diesem müßigen Beginnen auslösche. Sie
-ließ sich tausendmal sagen: »Ja, ja, das Fräulein Sinsheimer hat das
-Große Los des Lebens gewonnen!« Aber sie verriet keinem, wie töricht
-diese Rede sei, und daß sie selbst auf ein in Tränen ertrunkenes
-Dasein zurückschauen würde, wenn sie ihren vereinsamten Jahren nicht
-eine Fülle von Licht mit aller Weisheit und Zähigkeit ihres Herzens
-abgerungen hätte.
-
-An einem Sonntagnachmittag um die Teestunde brach die Barbara Laufer
-in das Frühlingshaus. Sie ließ aus ihren ungeschickten Worten heraus
-merken, daß der Eindringling Jakobus dem Zinzilein leicht ein Glück
-streitig mache. Dies Glück hatten sie in dem Holzhauerhause schon mit
-heimlicher Freude gehätschelt.
-
-Ueber allem rückte das Fräulein seinen Stuhl mit Entschiedenheit in die
-Sonne, faßte das flache altmeißener Schälchen mit drei spitzen Fingern
-und schlürfte ihren Tee mit jener süßen Behaglichkeit, gegen die keine
-Säuernis verknitterter Herzen ankommen konnte. Sie wäre gewöhnt, ihr
-Haus und ihr Leben selber zu bestellen, sagte sie, und fand dafür
-so feine und blanke Worte, daß die Frau Barbara in ganz demütiger
-Dankbarkeit zuhörte und mit der Erkenntnis davonging, sie wäre nahe
-daran gewesen, eine fürchterliche Dummheit zu machen.
-
-Als ihr Mann sie vom Waldsaume her gegen das Haus kommen sah, schritt
-sie voll unverrichteter Dinge ihres Wegs.
-
-Er fragte an ihr herum, ob sie denn nicht von Leben und Sterben geredet
-habe? Es könne doch einem alten Menschen einmal etwas zustoßen, und
-dergleichen.
-
-Aber die Frau Barbara meinte, so weit wäre sie gar nicht gekommen, und
-er solle nur selber zusehen, wenn er sich einbilde, er mache es besser.
-Danach knurrten sie sich noch ein bißchen an, trösteten sich zuletzt
-aber mit der Weisheit, daß ein gesprungener Topf oft recht haltbar
-wäre. Sie trauten sich dabei nicht, die Sache mit dem rechten Namen zu
-nennen, und hatten doch schon so lange daran herumgedacht.
-
-Das Fräulein Sinsheimer aber hatte sich in ihrem Leben nur ein einziges
-Mal überraschen lassen. Das war an jenem Sommeranfang gewesen, als ihr
-die Vorsehung den kleinen Jakobus in die Arme gelegt hatte. Nun war
-längst alles wieder in schöner Ordnung in ihrem Herzen, und es war
-fertig zum Leben und zum Sterben. Die Puppenmacherin Barbara Laufer
-brauchte gar nicht zu kommen, um einmal nachzuschauen, wie die Sachen
-stünden.
-
-Aber die sehnerigen Augen der Leute von Ibenheim rieten vergeblich
-an der geheimnisvollen Freude des Fräuleins vom Berge und an ihren
-Absichten für die Zukunft herum.
-
-Die Freude an den Kindern bekam ein helleres Herz mit jedem Tage; denn
-es blühte an ihnen alles licht hinein in das Leben. Nur das Mädchen
-Mali war ein Ding im Hause, dem das Glück über dem Zusammensein mit den
-anderen Menschen längst keine Selbstverständlichkeit mehr war. Um Mali
-schauerten um diese Zeit die kühlen Tage des späten Mädchenlebens, in
-denen die Lippen ihre Sehnsucht zu vergessen haben, und es doch nicht
-können. Malis Herz spähete aus vom Turme der höchsten Zeit, ob sich
-eine Stätte finden ließe, von der es sagen könnte: Hier bin ich daheim.
-
-So hatte Fräulein Veronika auch ihr Sorgenkind, das nicht gleich in die
-Sonne des Hauses als in sein fröhliches Besitztum hineinwuchs. Aber es
-fiel ihr nicht ein, dem Mädchen Mali Wohltaten für die kommende Zeit zu
-verheißen, sondern sie schrieb einfach unter den letzten Willen, durch
-den sie die Kinder bedacht hatte, daß die Mali -- wenn sie die Kleinen
-bis zur Mündigkeit erziehe -- in der oberen Giebelstube des Hauses
-für den Rest ihres Lebens Wohnung haben solle, und setzte ihr einen
-Geldbetrag aus.
-
-Das Mädchen erfuhr von alledem nichts, und Fräulein Sinsheimer war zu
-jeder Stunde bereit, diese Bestimmung durch eine andere zu ersetzen,
-wenn Mali der Ansicht wäre, das Glück finde sich im Lande irgendwo für
-sie leichter als an dem hellen Herdfeuer des Frühlingshauses.
-
-Und als sie sich derart auch mit ihrem Sterben auseinandergesetzt hatte
--- damit sie sich Grab und Himmel nicht vergälle -- nahm sie die große
-Kunst mit aller Zähigkeit wieder auf, das Leben in klarster Bewußtheit
-zu leben. Sie empfing jeden Tag aus den Händen ihres heiteren Gottes
-als ein Geschenk, das sie in grenzenloser Hingebung austeilte an alle,
-die in ihrem Hause waren.
-
-Tante Veronika hatte dreißig Jahre tiefster Sommereinsamkeit ihres
-Lebens mit Bergwald, Büchern und sich selber verbracht. Darüber kann
-der Mensch ein wunderlicher Kauz werden und eine so zerknitterte
-Seele bekommen, daß sie der Stahl des blankesten Glücks nicht wieder
-ausplättet. Er kann aber auch zu einer lichten Höhe mit erhabener
-Rundschau über alles Menschentum gelangen, für die besondere Gesetze
-des Lebens geschrieben sind.
-
-Für Tante Veronika galt beides.
-
-Sie war aus der langen Stille nicht ganz ohne Knitter hervorgegangen,
-aber die waren an ihr als feine Besonderheiten; und wenn sie da und
-dort Aehnlichkeit mit jenen Brüchen hatten, in denen sich der Staub
-der Altjüngferlichkeit festsetzt, so verbarg sie das unter dem Takt
-ihres geläuterten Frauentums und blies diesen Staub nicht durchs Haus
-nach der Gewohnheit jener Frauenzimmer, in denen verwelkte Jahre ihre
-Verwüstungen anrichten. Schon das Wort Staub verursachte ihr das
-Unbehagen einer nahenden Krankheit, und wenn sie es ausgesprochen
-hatte, rollte sie die Spitze der Zunge hinter den Zähnen in dem
-Gefühle, es sei von der grauen Wolke, die darübergestrichen, etwas
-hängen geblieben. Aber sie wedelte nicht als ein lebendig gewordenes
-Wischtuch durch das Haus. Und da sie dies Haus vor dreißig Jahren
-erbaute, geschah es in der weisen Erwägung, daß sie an dem sonnenvollen
-Rande des Buchenschlages so hoch über allem stehe, was innerhalb der
-menschlichen Gemeinsamkeit wie Staub auffliegt, als es einem Menschen
-möglich ist, der einsam sein will, ohne sich in die Welt feindseliger
-Einsiedelei zu vermauern.
-
-Sie hatte in diesen dreißig Jahren die hellen Augen frohsinnig in die
-Welt gerichtet und hatte in der Rolle des vergnügten Zuschauers das
-Wundern nicht verlernt. Sie stand der neuen Zeit mit dem Respekte
-gegenüber, den große Wandlungen der Dinge zu beanspruchen haben, und
-redete nicht nach der Art alternder Leute mit wehmütigem Bedauern von
-der guten vergangenen Zeit, weil sie mit der neuen nicht mehr Schritt
-halten können -- hoho, diese Tante Veronika schloß sich ihre Tage auf,
-als hätte sie eine Geschichte der Entwicklung des deutschen Volkes im
-zwanzigsten Jahrhundert vor! Und als der erste Zeppelin über die Wälder
-im Herzen Deutschlands donnerte, wunderte sie sich, daß man darauf so
-lange habe warten müssen, und sie sagte zu Herrn Peter Squenz: »In
-fünfzig Jahren werden die Menschen über die Maßen lustig sein bei dem
-Gedanken, daß ihre Großväter mit solch einer Explosionsmaschine die
-Fahrt in die Welt des gestirnten Himmels begonnen haben; den Mut werden
-sie bewundern, aber die Weisheit, die mit Gas und Funken durch die
-Lüfte reiste, werden sie belächeln.«
-
-Herrn Peter Squenz, dem gerade das Herz in seligem Stolz auf die Zeit
-erschauerte, in der er lebte, sah Fräulein Sinsheimer mitleidig aus den
-Winkeln seiner Augen an und sagte, die Errungenschaft sei eine Sache,
-über die hinaus es einfach nicht mehr ginge.
-
-Fräulein Veronika aber lächelte und antwortete: »Schade, daß wir
-in fünfzig Jahren beide irgendwo im All herumwirbeln oder etwa als
-wilde Rosen an einer Berghalde unsere Sommerseele in heiterem Blühen
-verhauchen und uns über unsern heutigen Zusammenstoß nicht mehr
-unterhalten können!« Dann lachte sie ihm so überlegen ins Gesicht,
-und das erhabene Bild des Luftkreuzers versickerte im Blau über dem
-Gebirge. Herr Peter Squenz aber dachte: »Was richten Bücher, Gedanken
-und Einsamkeit in von Natur ganz vernünftigen Menschen für heillose
-Verwirrungen an!«
-
-Nun hatte Fräulein Sinsheimer aber weder den Ehrgeiz, ein gelehrtes
-Frauenzimmer zu sein, noch war sie vom Dichterwahn oder den
-Emanzipationsgelüsten ihrer städtischen Schwestern befallen; sie
-predigte weder die Erlösung vom Manne -- was in ihrer manneslosen
-Lage nicht unverständlich gewesen wäre -- und forderte auch nicht
-das Frauenstimmrecht ... aber schon daß sie ein ganzes Regal voll
-Bücher besaß und sich sogar mit ihnen belästigte, war für Ibenheim
-bei Waltershausen eine unerhörte Tatsache. Und die hätte genügt, die
-Besitzerin so vieler gedruckter Gelehrsamkeit zum Gegenstand sorgsamer
-Beobachtung ihres Geistes zu machen, wenn das Fräulein das Bedürfnis
-gefühlt hätte, den Leuten häufiger in ihrer Ueberlegenheit zu begegnen.
-So aber hatte sie sich die herrlichste aller Künste in vollkommenem
-Maße zu eigen gemacht: sich vor der Welt ohne Haß zu verschließen. Und
-ihr kleines Reich blieb für alles, was draußen lag, uneinnehmbar.
-
-Als der Jockele seinen Einzug in das Frühlingshaus gehalten hatte,
-rieten die Leute eine Zeitlang wieder lebhafter an den Dingen da oben
-herum und sagten: Wenn ein Mensch keine Sorge hätte, so mache er sich
-welche -- an dem Jungen von dunkler Herkunft werde sie ihr Wunder schon
-noch erleben! Etliche mutmaßten sich darum in eine wilde Zukunft hinein
-und sahen den Jakobus Sinsheimer, der doch wahrscheinlich ein Zigeuner
-wäre, als Räuberhauptmann sein Unwesen in den thüringischen Wäldern
-treiben.
-
-Einmal brachte das Mädchen Mali solchen phantastischen Klatsch mit
-aus dem Dorfe. Das war sehr heilsam für sie, denn sie erkannte an der
-hellen Empörung ihres Herzens, wie sie sich in ihrer Denkart allgemach
-loslöste von den Schichten, aus denen sie gekommen war.
-
-Tante Veronika lachte ihr vergnügtes Lachen darüber und sagte einige
-Worte über die Macht der Erziehung, die nicht nur den Leuten von
-Ibenheim, sondern der Menschheit im allgemeinen noch ein Buch mit
-sieben Siegeln sei ... Doch -- das war wieder einmal eine der gelehrten
-Reden des Fräuleins, die das Mädchen Mali nicht ganz verstand. Aber
-zu denken hatte ihr diese Unterhaltung gegeben, und sie lenkte das
-Gespräch in der Folgezeit immer wieder einmal darauf zurück; denn
-der Unterschied zwischen der Blütenfreude des kleinen Jockele und
-einem angehenden Räuberhauptmann hätte schließlich doch selbst einem
-Holzhauerverstande eingehen müssen.
-
-Weil es nicht in dem Wesen des Fräuleins lag, so schulmeisterte sie
-weder an Mali noch an den Kindern herum. Sie ging zwischen diesen drei
-Menschen einher wie zwischen den vielen, vielen Rosen ihres Gartens,
-und ließ blühen und ranken nach eigenen Gedanken, bis die Natur einmal
-sich selber im Wege war. Wie sie des Morgens mit der kleinen blanken
-Rosenschere durch die Sommerbeete wandelte, so schuf sie mit der
-klaren Feinfühligkeit des Herzens auch Ordnung in der überschießenden
-Seligkeit des jungen Lebens. Und die Regel, in die sich dies Leben
-hineinlief, hieß: der Wille zum Glück.
-
-Nicht weit vom Hause lag eine Sandgrube, die war voll Sonne, und
-um ihre Säume wob der Sommer blühende Borden. Da standen die Kerzen
-des Natterkopfs, und an jeder brannte ein Dutzend blauer Flämmlein
-und leuchteten über die goldene Einsamkeit der Sandhalde. Da war
-ein Wildrosenbusch, da war purpurner Steinklee -- es brachte jeder
-Monat ein paar Hände voll neuer Blumen, es brachte auch jeder dem
-Buchwald eine neue Farbe des Kleides, und zuletzt den scharlachenen
-Königsmantel. Und als das große Rauschen der Wälder gekommen war, fuhr
-der Wind über den Sandbruch hinweg, und es war, als hätte sich aller
-Sommersonnenschein in der Kuhle gesammelt.
-
-Das Zinzilein war über diese Wahrnehmung ganz außer sich vor Freude,
-kletterte hinab in den gelben Trichter und sah zu, wie der Wind droben
-an den Rändern die bunten Blätter als Kreisel trieb. Er jagte ihrer
-gleich hundert auf einmal in wirrem Tanze dahin, immer auf dem schmalen
-Rande -- wenn eins davon an den Hang entwischte, durfte es nicht mehr
-mitspielen; denn in dem Trichter war es still und warm wie an einem
-schönen Sommertage. Da sagte das Zinzilein: der Sandbruch wäre ihr
-goldenes Haus; aber die Mali meinte, das Haus hätte ja kein Dach, also
-wäre es keins. So genau ginge das nicht, sagte wieder das Zinzilein,
-wurde aber auf einmal schweigsam und patschte mit seinen kleinen Händen
-die Mauern der Sandburg fester, die sie während der vorigen Tage gebaut
-hatten. Nach einiger Zeit sagte es: »Mali, es ist ein Loch, und es ist
-voll Gold -- und wenn es kein Haus sein kann, so ist es ein Brunnen;
-denn ein Brunnen hat auch kein Dach.« -- »Aber in einem Brunnen ist
-Wasser,« wußte die Mali. -- »Haha,« lachte das Zinzilein, »in unserem
-ist etwas viel Feineres -- guck nur, es ist ein ganz goldener Brunnen!«
-Da guckte die Mali und fand das nun wirklich.
-
-Von Stund an hieß der Sandbruch der Goldbrunnen. Zwar -- dies Wort
-hatte zuerst die Tante Veronika ausgesprochen, als sie ihr erzählten,
-was sie heute miteinander geredet hätten; aber das Zinzilein hatte doch
-die ganze Sache erfunden. -- Der Wildrosenstrauch hatte nun Hagebutten
-mit schwarzen Mützen, und die Mali lehrte davor das Zinzilein das Lied
-von dem Männlein, das still und stumm im Walde steht und sein Mäntlein
-aus lauter Purpur umhat. Der Gesang der Mali war scheußlich, aber das
-Lied war fein.
-
-Manchmal ging auch Tante Veronika mit in den Goldbrunnen. Zuvor war
-sie über den farblosen Schacht nie erfreut gewesen, der mit in ihrer
-Umzäunung lag, aber nun waren die Kinder darin vor allen Einbrüchen und
-vor der Zerstörungswut junger Dorfgenossen sicher. In den Tagen des
-Herbstes sammelten Veronika und Zinzilein Samen von hundert Blumen, und
-das Zinzilein kroch an den Hängen des Goldbrunnens herum, schaufelte
-da und dort ein Loch und legte Samen und bessere Erde in den Sand und
-wollte auch gleich warten, bis es wüchse.
-
-Als wieder Tage voll Sonne den pfeifenden Bergwinter vertrieben und
-die Kätzchenweide im Goldbrunnen schon Wolken gelben Blütenstaubes
-in den Frühling warf, spazierte der Jockele auf eigenen Füßen in
-den Sandbruch, kam aber nicht weit über den Rand, an dem im Herbste
-die bunten Buchenblätter gelaufen waren; denn dann geriet er ins
-Kugeln und schoß kopfüber kopfunter auf den Grund des Trichters. Das
-war eine peinliche Geschichte, hätte ihn aber keine Träne gekostet,
-wenn die Mali und das Zinzilein nicht mit so schrecklichem Schreien
-hinterdreingelaufen wären, als müßten sie nun alle seine Beinchen
-zusammensuchen.
-
-Darüber merkte der Junge, daß etwas mit ihm passiert sei, aber er hätte
-es mit jungmännlicher Tapferkeit getragen, wenn die beiden Mädchen
-nicht in ein erlösendes Lachen verfallen wären, als er sich den langen
-Weg mit verständnislosen Augen betrachtete, den er in Purzelbäumen
-durchmessen hatte. Da begann er ein gefährliches Heulen, bis man ihm
-den Sand aus Mund und Nase gewischt hatte und ihm aus sorgenden Herzen
-versicherte, daß er noch ganz sei.
-
-Im Jahre darauf hatte er schon ein Holzschwert und lief dem Zinzilein
-damit entgegen, wenn es aus der Schule kam.
-
-Als er diesen Weg in die Welt zum ersten Male schritt, hatte er gleich
-einen Kampf zu bestehen. Auf dem Anger vor dem Hause des Herrn Peter
-Squenz sonnte sich nämlich eine Gänsemutter mit ihren sechs Kücken. Die
-Kinder stiegen so sachte daran vorüber, auf einmal ward der Hals der
-alten Gans zu einer zischenden Schlange und schoß ihnen entgegen. Das
-Zinzilein überkam der Schreck, aber der Jockele riß sein Schwert aus
-dem Gürtel und fuchtelte damit bedrohlich in der Luft herum. Da mußte
-die Frau Peter Squenz kommen und ihn retten.
-
-»Ha!« sagte er mutig, als ihn die Squenzin wieder auf sicheren Grund
-gestellt hatte -- »ha!« Aber in diesen Ruf der Tapferkeit gewitterte es
-sachte aus überstandenen Fernen.
-
-Der Goldbrunnen erhielt in den folgenden Jahren das Aussehen eines
-Bahnhofsneubaus. Man konnte dabei aber auch an die Anlage einer
-Kupfermine denken.
-
-Als Jockele dann in die Schuljahre hineinwuchs, standen ihm die
-Sandburgen, die unter jedem Gewitterregen einstürzten, nur noch in
-lächelnder Erinnerung; denn da hub er ein lebensgefährliches Graben in
-der Sandkuhle an ... Holzhauer hatten beim Stöckeroden am Saum einer
-Waldau ein Hockergrab gefunden, dazu Waffen und Urnen. Deshalb wollte
-auch er in forschendem Eifer ein Stück Weltgeschichte zutage wühlen.
-
-Das betrieb er, bis er einmal die Schule vergaß und Tante Veronika
-selbst sich auf den schwierigen Weg in den Goldbrunnen machte. Da kroch
-er aus den Röhren im Sande wie ein Fuchs aus dem Bau, und die Tante
-hatte Gelegenheit, ein bißchen Wildwuchs zu beschneiden. Das Zinzilein
-war in dem Sandbruch nun schon ein seltener Gast geworden, und die
-Mali war seit Jahren nicht mehr hinabgestiegen. Da nahm der Jockele
-in Jungenweise überhand. Aber in dieser Stunde bewährte sich die
-Erziehungskunst der alten Dame wieder einmal ausgezeichnet --
-
-»Ich hätte Dir sagen sollen, daß solch eine wilde Hantierung für einen
-Jungen gefährlich ist. Hast Du denn gar nicht daran gedacht, daß die
-Sandmassen über Dir zusammenbrechen könnten?«
-
-»O ja,« sagte der Jockele, »wenn jemand darauf herumliefe, könnte das
-wohl sein.«
-
-Da leitete sie ihn zu einer besseren Erkenntnis, und dann mußte er
-sein Ränzlein überhängen und in die Schule gehen, die schon längst
-angefangen hatte.
-
-Das war eine furchtbar peinliche Geschichte; denn als er über die
-Schwelle trat, spießten ihn die Blicke aus hundert Augen auf; und als
-er dem Lehrer berichtete, wie er zu der Verspätung gekommen, brandete
-ein Lachen aus fünfzig Kinderkehlen um ihn, daß es ihm ganz rosenrot
-vor den Augen wurde. Während er dann auf seinem Bänklein saß, sauste
-ihm ein Sturm in den Ohren, als ob er die große Seemuschel von Tante
-Veronikas Wandbrett daranhielte.
-
-Aber ein Gutes hatte diese Sache doch: er bekam an jenem Tage die
-Taschenuhr, deretwillen er sich schon lange um ein paar Jahre älter
-gewünscht hatte -- nun hörte er auf einmal die Zeit laufen in richtigen
-kleinen Schritten, deren jeder eine Wegstrecke vorwärts bedeute. Und
-das war an dem gleichen Tage, an dem er darüber nachdenken lernte: Tod
-und Leben stünden so dicht beieinander, daß oft nur eine Handvoll Sand
-zwischen beiden wäre ... Und er hatte immer gedacht, vom Leben zum Tode
-wäre es weiter als bis an das blaue Gewölbe des Himmels, das kein Adler
-und kein Zeppelin erfliegen könne.
-
-Die Wahrsager im Dorfe waren darüber entweder hinweggestorben, oder sie
-getrauten sich nicht, ihre wilden Prophezeiungen aufrechtzuerhalten;
-denn der Jockele war ein über die Maßen manierlicher Junge geworden,
-er brach ihnen weder in die Hühnerställe, noch schnörrte er den Leuten
-die kleinen Fenster in den Giebeln und Dächern mit der Steinschleuder
-in Stücke; und wenn ein paar Schlingel vom Förster bei dem Stellen von
-Leimruten und Sprenkeln abgefaßt wurden, so war der Jakobus Sinsheimer
-nie dabei. Manchmal gab es zwar auch ein wildes Fahren durch den
-Bergwald, aber nicht zu oft; denn die Kinder in dieser köstlich grünen
-Welt blühen wie die Nägelein in den Scherben auf den Fenstersteinen:
-sie puddeln sich über der Heimarbeit die roten Backen zum Teufel, oder
-es löscht ihnen im halben Licht der Stuben der Glanz aus den Augen,
-und die Wälder und dunkelblauen Berge ihrer Heimat stehen vornehmlich
-in ihrer Sehnsucht. Dem Jockele aber sprudelten die Quellen entgegen
-und -- unerhört: er badete sogar darin. Dies zuzulassen, war auch
-eine solche Lästerlichkeit des Fräuleins Sinsheimer! ... Der Jockele
-durfte mit dem Zinzilein und der Mali durch den jauchzenden Hochwald
-streifen, so oft er wollte. Oder er ging mit einem Forstgehilfen
-zwischen Tag und Dunkel, wenn nur über dem Hörselberge noch eine Flamme
-Licht im Verleuchten war und wenn die Nebel in feinen Gespinnen in den
-Wipfeln hingen, und sah die Hirsche heraustreten und hörte sie ihren
-königlichen Brunftschrei über die Grenzen ihres Reiches schlagen -- ah,
-du dunkelgrüne, du starke, du einzige Thüringer Erde!
-
-Um diese Zeit lief der Jockele den Dorfjungen aus den Händen. Es war
-ein so kümmerliches Blühen des Geistes und Herzens um sie, und sie
-rochen nach Leim und Stube -- was soll einer damit anfangen?
-
-Das alte Fräulein, das nun ganz weiße Scheitel hatte, hielt alles
-Leben im Hause weiter in ihren sicheren Händen. Manchmal gab es eine
-freundschaftliche Unterredung über den Jockele mit dem Zinzilein; denn
-dieses war nun ein ›Fräulein‹ geworden, litt an einer verzärtelnden
-Liebe zu dem Jungen und dachte, es müsse den ›Kleinen‹ aus der tiefen
-Hingabe ihres Herzens heraus noch beraten wie damals, als er im
-Kittelchen in der Sandgrube Kuchen buk. Mit solch mütterlichem Behaben
-drohte sie oft die ganze Pädagogik der Tante über den Haufen zu werfen.
-
-»Du mußt nicht meinen, Du hättest ein Mädchen vor Dir,« sagte dann
-die Tante; »ein Junge, der unter der ängstlichen Fürsorge von lauter
-Frauen aufwächst, läuft Gefahr, unter die Räder des Lebens zu kommen.
-Ich habe es deshalb von frühester Kindheit mit dem Jockele anders
-angefangen als mit Dir. Ein Junge muß einmal in der Welt stehen und muß
-sich ein Stück dieser Welt erobern können.«
-
-Die Dorfschule reichte für den Jungen längst nicht mehr zu. Tante
-Veronika spannte ihn immer eine Stunde des Tages noch zur Fahrt durch
-das Reich ihrer Bücher ein. Sie hatte sich da einen klugen Plan
-zurechtgedacht, und weil sie selbst in allen Werken, die auf dem Regale
-standen, wohl beschlagen war, ging Jockele willig in dem Geschirr und
-nahm gegen die alte Dame nicht überhand. Als er auf einen Physikband
-verfiel, richtete er sich in dem Gartenhause, das aus Stein war und ein
-Fenster hatte, und in dem es sich sehr traulich lebte, eine Werkstätte
-zu allerlei Hantierung ein.
-
-Einmal baute er wochenlang an einer Lokomotive, eine Konservenbüchse
-mußte dabei die Rolle des Dampfkessels übernehmen. Danach galt es,
-ein Flugzeug zu erdenken, natürlich von so kühner Bauart, wie sie den
-Fachleuten noch nie eingefallen war. Und als er aus einem Automaten
-eine apfelgroße Weltkugel erstanden hatte, die mit Schokolade gefüllt
-gewesen war, hing er sie an einem Faden an die Decke des Gartenhauses,
-und die Frauen mußten kommen und sich die Sache ansehen. Das Fenster
-stellte die Sonne vor, und Jockele löste an der im Raume schwebenden
-Erdkugel der Mali das Geheimnis von Tag und Nacht. Zur größeren
-Anschaulichkeit hatte er die Schattenseite ein bißchen mit Ofenruß
-angestrichen.
-
-Er hatte in dem Gartenhaus überhaupt hundert Dinge aufgestapelt:
-wunderlich gewachsene Hölzer, die die Form von Köpfen hatten, der er
-dann immer ein wenig nachhalf, bis die Mali sich vor ihnen entsetzte;
-dazu Versteinerungen, sauber aufgespannte Schmetterlinge, die sich in
-einem Kasten mit einem Glasdeckel befanden, und zu denen er nach den
-Büchern der Tante die Namen geschrieben hatte; Raupenhäuser, in denen
-er den Wandel der Würmer zum Falter beobachtete; ein Fischglas und ein
-Terrarium mit Eidechsen, einer Blindschleiche und einer Ringelnatter.
-
-Damit die Bergwinter seinen Eifer nicht unterbrachen, war der einzige
-Raum des steinernen Gartenhäusleins auch mit einem kleinen Ofen
-versehen worden.
-
-Je mehr er in das betriebsame Jungentum hineinwuchs, desto sicherer
-entglitt er den Einflüssen der sehr sanften Mädchenhaftigkeit, mit
-denen das Zinzilein um ihn war.
-
-Tante Veronika bemerkte das mit Genugtuung; denn das Behaben des
-Zinzilein zu dem Jungen war ganz voll von der Rätselhaftigkeit der
-Liebe, die in ihrer Maßlosigkeit gar nicht anders bezeichnet werden
-kann als hingebungsvolle Eigensucht. Es schien fast, als vereinsame
-das Zinzilein über seiner Liebe zu dem Jungen, weil er nun so von ihr
-fortwuchs.
-
-Sie sagte das Veronika auch. Aber die Tante blieb bei ihrer
-wunderlichen Ansicht: das müsse so sein. Im übrigen ließ sie sich auf
-Erklärungen nicht ein, hütete sich dem Jungen gegenüber ängstlich vor
-aller Schulmeisterei und sorgte dennoch, daß sie ihm an der Hand ihrer
-Bücher von Zeit zu Zeit ein neues Wissensgebiet erschloß. Er ging auf
-alles mit begieriger Freude ein, aber von der Sorge, die Veronika in
-dieser Zeit des flüggen Jungentums am meisten beschäftigte, sagte sie
-dem Zinzilein gar nichts. Und dennoch schlief die Sorge nie ganz ein,
-es möchten sich eines Tages an Jockele vererbte Eigentümlichkeiten
-zeigen, denen gegenüber alle Erziehung und Liebe ohnmächtig wären. Aber
-diese Bangigkeit nagte nicht an ihr und quälte sie nicht; denn sie
-war ihr in Wahrheit gegen ihre Ueberzeugung gekommen in einer Zeit,
-die ganz voll war von der Mechanikerweisheit der Vererbung. Und dafür
-fand sie zu ihrem Erstaunen eines Tages auch bei dem Menschheitslehrer
-Goethe eine Belegstelle -- »Man könnte erzogene Kinder gebären, wenn
-die Eltern erzogen wären ...«
-
-Darüber geriet sie von neuem ins Raten. Aber trotz aller Mühe, die sie
-sich gab, konnte sie diese Verse nicht ganz zu ihrer Ansicht umdeuten,
-daß eine in allen Stücken vollkommene Erziehung die geistige und
-sittliche Verfassung eines Menschen aller Vererbung zum Trotze bestimme.
-
-Tante Veronika hätschelte den Gedanken solchen unerkannten Königtums
-der Erziehung mit eifersüchtiger Liebe als die köstlichste Erkenntnis
-ihres Lebens -- und nun wälzte ihr gar Johann Wolfgang einen Fels in
-den Weg! Zwar: er setzte damit auch der Erziehung eine der vielen
-Kronen auf, die seine königliche Hand zu vergeben hatte, aber ... Und
-dies Aber blieb stehen und rumorte in Winkeln ihrer Seele herum, die
-Jahrzehnte in wundervoller Sonnenruhe gelegen hatten.
-
-Doch -- eine sechzig Jahre alte Dame läßt sich schwerer umstimmen als
-ein sechshundert Jahre altes Klavier. Und das war in diesem Falle ein
-großes Glück.
-
-Wunderlicherweise war es das Zinzilein, das die Frage zuerst aufwarf,
-was einmal aus dem Jockele werden solle. Das kam daher, daß der Gedanke
-in dem Mädchen Wurzel geschlagen hatte: ein Junge müsse geschickt
-werden, sich ein Stück Welt zu erobern. Wie er das in Ibenheim anfangen
-sollte, war nicht leicht zu denken.
-
-Tante Veronika war in diesem Falle von einer unerforschlichen
-Sorglosigkeit und sagte:
-
-»Zuerst und vor allem muß er ein Mensch werden. Es ist falsch, einen
-Jungen für einen Beruf zu bestimmen, weil er im Spiele diese oder jene
-Neigungen zeigt. Solche Neigungen sind wichtig, aber es geht nicht an,
-darin in verliebtem Stolze gleich einen Weg fürs Leben zu erkennen.«
-
-Das Zinzilein meinte, Naturforscher wäre für den Jockele das Richtige,
-und dachte sich etwas ganz Närrisches dabei.
-
-Eines Wintertags, als alle Quellen des Lichts aus dem geschliffenen
-Späthimmel brachen und es aussah, als wäre die Himmelsglocke
-zertrümmert worden, weil der Sonnenball, siebenmal größer als sonst, in
-seiner leuchtenden Majestät anders nicht hätte durch die Tore ziehen
-können, schlug der Jockele seinen Farbekasten auf und pinselte das
-königliche Spiel des Verleuchtens auf ein weißes Papier. Er saß am
-Fenster des Gartenhauses, sein Tisch war eine alte Hobelbank, an der
-in grauen Zeiten Tante Veronika ihre Rosenpfähle selber zugerichtet
-und grün angestrichen hatte -- da fiel das gewaltige Flammenwerk des
-Himmels in seine jauchzenden Augen. Er wußte kaum, was er tat -- es
-war ihm, er stünde davor mit hoch, hoch emporgestreckten Armen und
-wäre ganz nackt; denn alle Armseligkeit des Irdischen fiel darüber von
-ihm ab -- und hätte ein Schauen in eine andere Welt. Aber er saß doch
-an der braunen Hobelbank, inmitten tausend kleiner Dinge, die er dem
-Alltag aus den Händen genommen, und strich in Selbstvergessenheit die
-Farben auf das Papier.
-
-Und dann war es ein recht armseliges Machwerk geworden -- es fehlte
-darin kein Licht, aber es fehlte das Leuchten ... Die Himmelsfreude
-seiner Augen war ausgelöscht auf der Spanne Weges durch den Pinsel!
-Darum sah sein Sonnenuntergang so verbrecherisch aus, als hätt' ein
-Dorfjunge, der dem Puppenmaler zugesehen, einen Haufen farbiger
-Kreidestücke an der schneeweißen Haustür der Tante Veronika probiert.
-Scheußlich!
-
-Er warf den Pinsel hin und verlor sich mit seinen Gedanken wieder in
-das letzte Scheinen, das noch ferne stand.
-
-Es waren nun Wolken in wunderlichen und wilden Bildern über den Saum
-der Erde gekrochen und fraßen den königlichen Glanz. Endlich waren
-nur noch zwei Oeffnungen in der Finsternis. Durch diese konnte man
-hineinsehen in glutrote Weiten ...
-
-In diesem Augenblicke zerriß ein schwarzer Vorhang vor einer Kammer
-seines Herzens, und was ihm kein Mund eines Menschen erklärt hatte,
-ging in seiner Seele auf als eine rote stille Flamme: er erriet
-ein Stück der Götterlehre der Germanen, die von den Gipfeln dieser
-Berge, so wie er jetzt, durch die Türen des Himmels geschaut und ein
-machtvolles Wandern von Gestalten gesehen hatten, die dort in einem
-großen Lichte gingen. Und weil die Vorfahren noch nichts von der Welt
-kannten, als was sie mit ihren Sinnen erfaßten, deuteten sie sich das
-Gesehene und sagten: es ist das ewige Leben in jenem großen Leuchten,
-und sie nannten es Walhall ...
-
-Da fiel der rauhe Ruf des Mädchens Mali in den Sternenflug seiner
-Gedanken. Es war die Zeit des Nachtmahls, das sehr früh genommen wurde.
-
-Auf seinem Gesichte lag noch der Widerschein des heiligen Feuers.
-An anderen Abenden nahm er sich mit wißbegierigen Augen gleich
-beim Eintritt ins Zimmer von den aufgetragenen Speisen einen Teil
-des Wohlbehagens hinweg, in das sich sein gesunder Jungenappetit
-hineinzuessen gedachte -- heute stand er diesen Dingen gleichmütig
-gegenüber wie noch nie.
-
-Das Zinzilein, das gewöhnt war, alle seine Begeisterungen und
-Enttäuschungen mitfühlend zu durchleben, als wär's ein Stück von ihm,
-ein großes Stück, trat gleich ohne anzuklopfen mitten in ihn hinein --
-
-»Na,« fragte es.
-
-»Ich habe ein großes Erlebnis gehabt!« sagte er mit Wichtigkeit.
-
-»Wahrhaftig -- es ist noch ein ganz fremder Klang in Deiner Stimme!«
-
-»Ich wünschte, ich könnt' Euch alles halb so schön sagen, wie ich es
-gedacht habe! Aber es geht nicht. Wenn ich erzählen wollte, würde es
-geradeso herauskommen wie der Sonnenuntergangshimmel, den ich zu malen
-versucht habe. Ich wette, ich habe jedes Licht auf dem Papier, und
-ist dennoch eine abscheulich schlechte Sache ... es sieht aus wie die
-bunte Kaffeedecke, als sie das Mädchen Malchen mal abgekocht hatte, und
-sollte doch der Himmel werden -- der herrlichste Abendhimmel, der je
-über der Erde gestanden hat!«
-
-Er redete da in Worten, wie er sie vordem nie gebraucht -- jedes hatte
-Flügel, und seine Augen hatten den Glanz großer Sterne.
-
-Dann lockte das Zinzilein Walhalls Entdeckung aus ihm heraus.
-
-Er redete sich darüber in fernschauende Vergessenheit, aber es ward
-zuletzt doch nur ein Bild ohne den überirdischen Glanz, in dem seine
-Träume durch die Dämmerung gezogen waren. Das kam auch von der Scheu,
-vor den prüfenden Blicken der Tante und des Zinzilein alle Hüllen von
-der Seele zu werfen.
-
-Darüber ward er schweigsam. Das Essen geschah ohne die
-begeisterungsvolle Hingabe, zu der er sonst imstande war, und er sah
-aus wie einer, der eine Erscheinung gehabt hat. Er war in der Dämmerung
-dieses Wintertags in einen neuen Abschnitt seines Lebens gesprungen.
-
-Vor dem Schlafengehen nahm er sich das Zinzilein noch einmal zur
-Seite und sagte: »Du, das quält mich! Lach' aber nicht! ... Es ist
-heute so etwas in mir aufgegangen -- weißt Du, gerade wie damals, als
-die Schauspieler im Dorfe waren ... Wir saßen in dem ganz finsteren
-Saale, auf einmal rollte der Vorhang empor -- es blühte ein schöner
-Rosengarten dahinter und stand alles in so warmem Lichte ... Jawohl, so
-ist es in mir gewesen! Zinzilein, sag es mir: ist das die Seele?«
-
-Gott, wie purzelten ihm die Worte klug und unbeholfen über die Lippen!
-
-Aber wenn er das alles hätte Veronika sagen sollen, wär' es noch
-reichlich dümmer geworden.
-
-Das Zinzilein geriet an dieser Frage des großen Erwachens in
-Herzensnot. Es merkte: der Junge wollte eine sichere Rede hören über
-Dinge, die ihr selbst bis zu dieser Stunde nur unsichere Gedanken
-gewesen waren. Wie sollte sie denn das anfangen, ohne sich Jockeles
-Achtung und Liebe zu zertrümmern?
-
-»Ja,« sagte sie aus großer Bedrängnis heraus, »das ist die Seele!«
-
-»Das hab ich mir gedacht,« sagte er in aufatmender Befriedigung. »Ist
-Dir das auch so gegangen?«
-
-»Aehnlich wird es wohl gewesen sein,« lächelte das Zinzilein. »Aber
-weißt Du, das sind Dinge, über die man erst klug reden kann, wenn man
-viel älter geworden ist. In der Jugend ist es genug, wenn man weiß, es
-ist etwas da, das einen von innen so warm und hell anscheint wie die
-Sonne von außen.«
-
-Das war das erlösende Wort! Es fiel in den Jungen aus einer großen
-Not ihres Herzens, das an diesem Abend jedem seiner Gedanken und
-Blicke treues Geleit gegeben hatte. Und darum fand sich's nun so auf
-Zinzileins Lippen, just wie es das drängende Begehren des Knaben
-brauchte, das plötzlich an dem Uhrwerke des Lebens herumzuraten begann.
-
-Als der Jockele, der schon seit Jahren allein in der Giebelstube
-schlief, zu Bett gegangen war, geriet das Zinzilein in ihrer Bedrängnis
-an Tante Veronika. Die saß in der warmen Behaglichkeit ihres
-Lehnstuhls, aber als das Mädchen das fremde Geschütz auffuhr, griff
-Tante Veronika mit der einen Hand nach der Krücke des gelben Stockes,
-an dem sie nun aus einer alten Familiengewohnheit heraus zu gehen
-pflegte, und mit der anderen glitt sie so langsam über das Gesicht, als
-müßte sie sich ein bißchen lächelnde Verlegenheit abwischen ...
-
-Es wurde an diesem Abend länger und gefühlvoller gesprochen als sonst,
-ohne daß es zu Entdeckungen von grundlegender Bedeutung über das Wesen
-der Seele gekommen wäre.
-
-Seit dieser Zeit beschied sich Jakobus nicht mehr damit, vorgedruckte
-Bilder auszutauschen, sondern er suchte Farben und griff nach dem
-Himmel.
-
-Darüber wurde das Zinzilein von einem grausamen Lachen befallen und
-sagte: kleine Kinder machten es geradeso -- sie langten zuerst nach
-den schönen goldenen Nägeln des Firmaments, dann aber spielten sie mit
-Steinen und schlechtem Sand! Ob denn auf der +Erde+ nicht etwas wäre,
-und nicht so voll von unmalbarem innerlichen Glanze wie die Wunder des
-Himmels? Sie könnte ihm zwar weiter nichts helfen als sehen ... »Guck,«
-sagte sie, »da steht draußen der Zaun aus lauter braunen Stänglein,
-steht vor dem blauen Tuche des Himmels und hat sich so viele kleine
-Mützen aus frischem Schnee aufgesetzt ... könnte man das nicht malen?«
-
-Himmel, was solch ein großes Mädchen für herrliche Einfälle hat! -- Da
-war das Zinzilein schon aus dem Gartenhause gesprungen, kam aber gleich
-wieder, schwang ein blaues Papier und sagte: die Sache wäre einfach
-genug -- er brauchte den Himmel nicht einmal zu malen; denn da wäre er
-schon!
-
-Die Tante lobte ihn danach mit Maßen und sagte: wenn er hundert
-solche und ähnliche Dinge vor der Natur weggenommen, werde er große
-Geheimnisse entdecken. -- Das war ein Rätselspruch von der Art jener,
-die die verschleiernde Kunst der Pythia geliebt hatte! Einer, der vor
-einem großen Werke steht ohne den heiteren Glauben an seine Kraft, kann
-sich darüber verbluten.
-
-Das Zinzilein verlangte mehr Lob für den Jockele, aber Tante Veronika
-überhörte das gute Wort gänzlich.
-
-Die beiden letzten Schuljahre des Jungen wurden von ihr sehr ernst
-genommen, die Naturgeschichte und Malerei schienen dabei geflissentlich
-übersehen zu werden und blieben für die Sonntage und die Ferien.
-
-Veronika hatte auch eine lateinische Grammatik ungemein ehrwürdigen
-Alters unter ihren Büchern entdeckt, die war voll Genusregeln von
-klappriger Enthaltsamkeit des Geschmacks und Geistes. Dazu ein
-Uebersetzungsbuch von Ostermann für Sexta, das bibliophilen Wert hatte;
-denn es war eines der ersten Exemplare der ersten Auflage und trug eine
-vergilbte Einschrift des Verfassers für den Vater der Tante Veronika.
-
-Jockele, der sich ausrechnete, daß dieser Vater um jene Zeit gut
-hundertzwanzig Jahre hätte zählen können, ahnte beim Anblick der
-greisenhaften Würde des Buches zum andern Male seine Seele -- diesmal
-in einem fröstelnden Erschauern.
-
-Dann kam über die alte Dame eine fast heftige Betriebsamkeit im Latein.
-Gleich zu Anfang aber forderte der Junge Frist zu einem Privatschnaufer
-der Verwunderung, weil die Tante das nun auch noch konnte. Allein, sie
-gestand ohne Umschweife, daß es mit ihrem Latein hapere. Doch -- das
-kannte der Jockele! Nichts als übertriebene Bescheidenheit! Und er war
-geneigt, jede Wette einzugehen, daß der Professor Sinsheimer, der an
-dem gelben Krückstock durch die Straßen Bremerhavens gestabt und dessen
-Werk die Tante Veronika war, an ausbündiger Gelehrsamkeit zugrunde
-gegangen wäre.
-
-Während dieser letzten Schuljahre stand der Jockele der Grammatik und
-dem Uebungsbuche mit frostigem Herzen gegenüber, er lernte, weil er
-sollte, und niemand im Hause wußte eigentlich recht, wozu. Selbst Tante
-Veronika war froh, als sie dem Jungen erklären konnte, nun sei es mit
-ihrem Latein zu Ende. Das war an dem Tage, an dem sie die letzte Seite
-des Ostermanns für Sexta umschlugen.
-
-Danach kam die heitere Ruhe des Frühlingshauses ein wenig ins Wanken,
-es war ein wunderliches Drängen nach außen. Zuerst ging die Schulzeit
-des Jockele zu Ende, und es richteten sich allerlei Fragen steil
-und nüchtern vor dem innigen Beisammensein auf. Sie forderten die
-Antwort nicht von einem Tage zum anderen, aber sie schoben bei jeder
-unpassenden Gelegenheit den Kopf zwischen die drei Menschen und sagten:
-»Na, wie wird das?« Und sie wären noch viel hartnäckiger gewesen,
-wenn das Zinzilein nicht um diese Zeit maienseliger Erdenfreude von
-einem Forstgehilfen schön gefunden worden wäre. Weil der nicht das
-Töchterlein des Holzhauers und Puppenmachers Laufer, den er im Walde
-an die Arbeit zu stellen hatte, sondern das Ziehkind der feinen alten
-Dame ehelichen wollte, war ihm von vornherein klar, er werde einen
-heillosen Sturm im Haus auf dem Hügel losmachen, der ihm die großen
-Klötzer nur so vor die Füße wirbelte.
-
-Die erste Betätigung dieser Liebe war das Interesse des jungen
-Forstgehilfen für den Jockele.
-
-Einmal auf einem Spaziergang, als auf den Waldgrund die braunen
-Knospenhüllen der Buchen herabschneiten und das brünstige Schauern
-der Frühlingserde sich an Quellen und Bachsäumen zu Bändern aus
-Vergißmeinnicht zusammenwob, schlug der Forstmann Matthias Prinz dem
-Jungen eine Tür auf, durch die er einen Blick in die Ferne tat -- so
-weit hatte er nie sehen können, wenn Tante Veronika vor seinen Augen
-hinaus ins Leben deutete! Es waren in Matthias einige Erinnerungen aus
-verlorenen Lateinjahren wachgeworden.
-
-»Siehst Du,« sagte er zu Jockele, »das Latein, das ich nicht gelernt
-habe, hat mir die Hälfte meines Lebens verdonnert!«
-
-»Wie denn das?«
-
-»Nun, ich hätte Oberförster werden können und Forstmeister -- aber an
-dem Latein bin ich hängen geblieben.«
-
-»Und wenn einer nicht Forstmeister werden will?« klügelte Jockele an
-dieser Rede herum.
-
-»Lern's Junge!« schrie ihm Matthias Prinz ins Gesicht und legte ihm
-beide Hände auf die Achseln, »und wenn Du's hundertmal nicht weißt,
-wozu Dir dies oder jenes nützen soll -- raff zusammen in Deinen
-Frühlingsjahren, was Du kannst, denn es könnte die Zeit kommen, da Du
-Gold daraus schlägst!« Nach dieser klingenden Rede fragte er kurz: »Was
-willst Du werden?«
-
-»Ich weiß es nicht. Wenn ich sehr fleißig bin, darf ich mir's noch drei
-Jahre überlegen; bin ich faul, muß ich in irgendeine Lehre.«
-
-»Junge,« sagte Matthias, »das ist ja großartig! ...«
-
-Darüber waren sie an den Saum des Buchwalds gekommen, an dem die
-Umzäunung über dem Goldbrunnen dahinlief.
-
-Sie gingen ganz langsam dem Frühlingshaus entgegen, und Herr Matthias
-Prinz redete sehr laut und väterlich.
-
-Da lugte die Mali aus dem Küchenfenster, was es wäre, und gleich darauf
-trat Tante Veronika an dem gelben Krückstock heraus in die Sonne. Sie
-überschüttete die jungen Leute ganz mit der hellen Freude, die immer
-nicht genug Platz in ihren Augen hatte, und sagte, sie könne dem
-Herrn Matthias nun endlich danken für die Teilnahme, die er an der
-Entwicklung des Jakobus zeige.
-
-Herr Matthias Prinz aber redete sehr verbindlich und ehrfürchtig zu der
-alten Dame, von der alle einsichtigen Leute mit so heillosem Respekte
-sprachen, und fand sich auch geschickt zu der Behauptung, von der er
-dachte, sie werde sie am meisten erfreuen. Er sagte, sie hätte den
-Jockele zu einem sehr klugen und braven Jungen erzogen.
-
-Es lag aber nicht in der Art Veronikas, sich im Sturme nehmen zu
-lassen. Deshalb begegnete sie der prinzlichen Begeisterung mit einer
-maßvollen und sicheren Liebenswürdigkeit; und als Matthias fragte, ob
-er bei Gelegenheit einmal in ihr Haus treten dürfe, entgegnete sie:
-»Ich werde mich darüber freuen; und dann wird Ihnen Jakobus in der
-Gartenhütte zeigen, wie er lernt, und Sie werden ihm sagen, daß ihm
-noch viel zu tun übriggeblieben ist.«
-
-Danach reichte sie ihm die Hand und wußte, daß aus diesen drei Minuten
-die größte Wandlung in ihrem Hause hervorwachsen würde, die seit dem
-Eintritt Jockeles darin gegeben war.
-
-Nichts an ihr verriet diese Erkenntnis, aber das Herz des Herrn
-Matthias Prinz hatte Schwingen bekommen und wirbelte mit ihm hinein in
-den Frühlingswald -- die Finken rührten ihr Schlagzeug, als hätten sie
-Wachtparade, die Mönchsgrasmücke trug den Schellenbaum, und die wilden
-Tauber schlugen die große Trommel. Und der Herr Prinz -- als wär er
-schon König geworden -- bildete sich ein, die ganze Waldmusik hätte der
-Frühling extra für ihn losgelassen. --
-
-Jockele stand auch über diesen Tag hinaus den Ereignissen mit
-Unbefangenheit gegenüber. Das Geheimnis der rosenroten klingenden
-Liebe war für ihn noch nicht erfunden, und er brachte nicht den
-ahnungslosesten Verdacht auf, daß er von dem Herrn Matthias als
-Sprungbrett zu einer himmelblauen Seligkeit benutzt würde.
-
-Gesprochen wurde nach Ansicht des Jockele von dem Forstgehilfen im
-Hause nur dann, wenn er selbst die Rede auf ihn brachte; Tante Veronika
-hatte mit sehr nachdrücklichen Worten namentlich der Mali alles
-verboten, was für die Ohren des Jungen nicht paßte. Daß Mali und das
-Zinzilein in dieser Zeit oft recht geheimnisvoll taten, merkte er
-auch nicht -- ein Junge merkt überhaupt nicht viel; er wühlte sich
-im Gartenhaus mit einer Wichtigkeit in seine Bücher, die er über den
-anderen Pflichten der Schule nicht einmal geahnt hatte.
-
-Darüber war auch der »Ostermann für Quinta« beschafft worden, an dem
-der alte Pastor in Jockeles Gemeinschaft jede Woche drei Stunden sein
-verblichenes Latein auffrischte.
-
-Als Herr Matthias nach einigen Wochen im Frühlingshause Besuch machte,
-beschränkte ihn die Tante wiederum für die Dauer von drei Minuten
-auf das Damenzimmer. Dann begleitete sie ihn vor das Gartenhaus, das
-Zinzilein guckte durch den Vorhang, und der Herr Matthias Prinz suchte
-mit seinen Augen über die Achsel der Tante hinweg, ob etwa aus diesem
-Fenster ein Sonnenschein fiele. Er redete dabei ausgiebig und bezeigte
-ein großes Interesse für die Anlage des Gartens.
-
-Veronika war auch davon nicht im geringsten überrascht -- wer überhaupt
-dächte, sie hätte sich von Stund an in die Rolle des schätzehütenden
-Drachen eingelebt -- ha, der würde Fräulein Sinsheimer sehr schlecht
-kennen!
-
-Sie liebte es, die Augen zu schließen, um besser sehen zu können, und
-war dem Zinzilein selbst in den wichtigsten Angelegenheiten der Liebe
-unbedingt vertrauenswürdig. Wenn der Jockele davon etwas hätte ahnen
-dürfen, so hätte er gesagt: »Nun versteht sie das wahrhaftig auch
-noch!«
-
-Tante Veronika hatte gegen die Dinge, die sich nun im Frühlingshause
-vorbereiteten, nicht das geringste einzuwenden, aber sie wollte alles
-mit der ihr eigenen Delikatesse behandelt wissen.
-
-Sie fand es selbstverständlich, daß das Zinzilein gleich das neue
-Muster abhäkeln mußte -- jetzt, am Sonntag mittag, und eine Stunde
-vor dem Essen! Und sie fand es durchaus natürlich, daß dies auf einem
-Platze hinter dem Vorhang des Fensters nach dem Gartenhaus hin geschah,
-an dem das Zinzilein sonst nie saß. Dabei blühte das Zinzilein wie
-eine Malve und war von weltumarmender Glückseligkeit. Und weil Tante
-Veronika wußte, daß solch ein Glück als Geheimnis tausendmal schöner
-ist, merkte sie von den musizierenden Engeln, die das Zinzilein
-umtanzten, gar nichts.
-
-Nach einiger Zeit ging die Gartentür -- da stürzten sich alle
-anwesenden Engel dem Mädel ans Herz und läuteten damit, daß ihm angst
-und bange wurde.
-
-In der schönen Zeit dieses Jahres schlossen sich Herr Matthias Prinz
-und Jockele innig aneinander, wiewohl der Forstgehilfe beinahe noch
-einmal so alt war als sein junger Freund. Sie waren fast an jedem Tage
-beisammen.
-
-Weil Matthias keine Gelegenheit vorübergehen lassen durfte, die sehr
-umsichtig befestigte alte Dame zu erobern -- und wenn sie mit Ketten an
-den Himmel gebunden wäre! --, so machte er dem Jungen die Waldgänge zu
-fröhlich angeregtem Unterricht vor der Natur. Darüber wurde alles Glanz
-an dem, und er lief in seine ersten Jünglingsjahre, als wäre er der
-Blütenzauberer Frühling selber.
-
-Das Ebenmaß seines Wachstums geriet um diese Zeit, die zwischen den
-Zeiten steht, ein wenig in Unordnung, und die Glieder baumelten
-manchmal in der Welt herum, als wüßten sie nicht, was sie schlagen
-sollten. Das Zinzilein aber sagte in belustigter Uebertreibung, Arme
-und Beine hingen um ihn wie langgereckte Fragezeichen.
-
-Aus dieser Erkenntnis des Zinzilein erklärte er sich die merkwürdig
-fremden Augen, mit denen das Mädchen nun manchmal an ihm herumsuchte,
-als gingen sie Rätsel raten. Und es trat auch sonst eine Veränderung
-in ihrem Wesen ein; früher machten sie oft einen Ringkampf, zu dem sie
-ihn sogar herausforderte -- jetzt wies sie das als eine ganz unmögliche
-Sache von sich, und er hatte doch gerade so große Lust dazu. Früher
-war sie ein Kind gewesen wie er, nun war sie über Nacht ein Fräulein
-geworden und war voller Geheimnisse. Früher sah man ihr an, daß sie das
-Leben des Jungen in allen Stücken zu dem ihren machte, jetzt wußte sie
-nicht einmal mehr in seinem »Laboratorium« in der Gartenhütte recht
-Bescheid. Und die natürlichste Sache von der Welt -- nämlich daß sie
-der Jockele heiraten würde -- schien ihr auf einmal ein kindischer
-Spaß, und sie lachte ihn aus. -- »Davon verstehst Du noch gar nichts!«
-
-Einmal des Abends, als die sammetweiche Sommernacht durch die Fenster
-ins Zimmer stieg, trat auch das Zinzilein herein, und seine Augen
-flogen vor ihm her wie Leuchtkäfer; da nannte sie der Jockele »ein
-merkwürdiges Stück Naturgeschichte«.
-
-Er erzählte Tante Veronika, was er die Tage her von Herrn Matthias
-gelernt hatte, und das Zinzilein wurde darüber ganz Andacht.
-
-Des anderen Tages ging sie selber mit ihm in den Wald, und da mußte
-er ihr jede Seite des leuchtenden Sommerbuches umschlagen und mußte
-vorlesen, was darauf geschrieben war -- nicht nur von den Arten der
-Blumen und Bäume und des vielerlei Getiers, sondern auch von der
-Forstwirtschaft wollte sie hören. Sie war fast fürchterlich in ihrem
-Wissensdrange.
-
-Da sagte Jakobus, sie solle nur einmal mitkommen, wenn er mit dem Herrn
-Matthias ginge. Aber das Zinzilein lachte ihn für diesen wohlmeinenden
-Vorschlag aus, und dies Lachen schlug einen Laden an seiner Seele auf,
-und es brach eine Fülle neuen Lichts in ihn. Ein Gedanke sprang ihm
-klingend ins Herz -- da ward dies Herz voller Ahnungen. Das Zinzilein
-aber bückte sich rasch und strich mit der Hand über das grüne weiche
-Waldmoos ...
-
-»~Polytrichum commune~, Goldhaar,« sagte ihr der Jockele.
-
-»Weißt Du das auch von dem Herrn Prinz?«
-
-»Nein. Alles soll ich von dem Herrn Prinz haben! ... Warum bist Du denn
-so rot geworden?«
-
-»Weil Du so grausam gelehrt bist,« log das Zinzilein.
-
-»Es wäre auch ein Name für Dich, Prinzessin Goldhaar!« scherzte der
-Jockele.
-
-Da wurde aus dem Zinzilein eine ungeheure blutrote Verwirrung; denn
-dieser Junge sprang ihr mit dem goldenen Wortspiele vom Prinzen und der
-Prinzessin mitten hinein in das Allerheiligste ihres Herzens, und es
-fehlte nicht viel, so ertappte er sie über heimlichem Opfer.
-
-Das Herz des Zinzilein schlug sich allgemach in das vorige
-Gleichgewicht; sie war aber kurz angebunden, und ihre Gedanken
-stolperten umher wie die Libellen mit den blauen und glasgrünen Flügeln.
-
-Von diesem Tage ab wurde das Verhalten Jockeles zu dem Herrn Prinz
-ein wenig anders. Aber nicht etwa respektloser, weil er hinter ein
-Geheimnis gekommen, oder gar mißtrauisch, sondern es wurde ein bißchen
-verwandtschaftlich.
-
-Der Himmel mochte wissen, wer dem Forstgehilfen das Märchen von der
-Prinzessin und dem Prinzen erzählt hatte -- genug, er kannte es.
-
-Danach kam er eine ganze Woche nicht ins Frühlingshaus, weil er
-in einem sehr fernen Forste Vermessungen vorzunehmen und Arbeiten
-zu überwachen hatte -- aber am nächsten Sonntag als schon die
-Mittagsglocke über das Dorf läutete und der Jockele ahnungslos von
-irgendwo aus dem September kam, nahm ihn die Mali gleich an der Haustür
-in ihre Hände. Ihre Augen fielen ihn an wie zwei Sonnen, und sie zog
-ihn eilig in die Küche und war gar nicht bei sich.
-
-»Der Herr Prinz ist drinne!« zischte sie ihn an. »Er will das Zinzilein
-heiraten -- alleweil sagt er's der Tante!«
-
-»Hab ich längst gewußt!« sagte Jockele so von oben herab, fiel aber
-gleich aus der Rolle, faßte die Mali unter und wirbelte sie ein paarmal
-durch die Küche. Dann gingen sie auf den Zehen, horchten manchmal
-ein bißchen durch den Türspalt und wisperten miteinander wie die
-Goldhähnchen im Winterwalde -- alles als gäbe ihnen eine dunkele Ahnung
-ein: sie beide müßten nun zusammenhalten, da das Frühlingshaus langsam
-zu vereinsamen begann.
-
-Auf diese losgelassene Freude kam ein Augenblick, der wäre beinahe sehr
-feierlich geworden: die Tante trat in die Küche und sagte, der Herr
-Matthias Prinz speise heute bei ihnen zu Mittag; dann führte Veronika
-den Jockele in das Zimmer, das ganz voll Gold und Glück und weißer
-Vorhänge war -- »Jakobus,« begann sie und gedachte in sehr schönen
-Worten von einer großen Freude zu reden. Aber das dauerte dem Jakobus
-zu lange, da ging er ihr durch und stürzte den beiden ans Herz.
-
-So hatte Herr Matthias Prinz das Wachstum dieses Jahres unter Dach,
-ehe die Welt von Nebeln eingewoben wurde -- wie sich das für einen
-vorsichtigen Liebhaber schickt.
-
-Tante Veronika, obwohl sie niemals in himmelblauer Verlobungsseligkeit
-herumgeflogen und darüber hinaus von dem anderen Geschlechte so
-gründlich stehen gelassen worden war als möglich, kam dennoch nicht auf
-den Einfall, es diesen einen entgelten zu lassen und ihn in Entsagungen
-zu üben -- nur auf Delikatesse hielt sie und bestand darauf, daß
-»solche Sachen« nicht zum Ansehen für andere gemacht seien. Wodurch
-aber nicht verhindert wurde, was sie beabsichtigte -- nämlich, daß
-der lange schöne Knabe Jakobus die Vorstufe zu einer raschen und
-gründlichen Liebesschule durchmachte. Wäre der Lehrstoff weniger
-delikat zum Vortrage gelangt, so hätte Jockele vielleicht nicht die
-nötige Anteilnahme aufgebracht und wäre davongelaufen. Aber dieser Herr
-Prinz war in allen Stücken von einer so vorbildlichen Ritterlichkeit,
-daß der Junge während des Winters feststellte: Matthias der Prinz und
-Prinzessin Zinzilein wären einander durchaus würdig, und das Mädel
-in seiner sonnigen Blondheit wäre nun noch viel schöner geworden ...
-Lauter Dinge, an denen der Jockele so viel herumzudenken hatte, daß
-er denselbigen Winter in der Folgezeit einmal »die Auferweckung des
-Jakobus« genannt hat.
-
-Durch den tiefsten Bergschnee herüber trug Matthias eines Tages
-die Nachricht, daß er vom 1. April ab als Revierförster in der
-Nachbarschaft des Hörselberges bestimmt sei. Natürlich wollte er nicht
-unbeweibt seinen Einzug in das Waldforsthaus halten -- da überkam
-den Jockele zum ersten Male die Schwäche der Eifersucht, und zwar auf
-beide, die sich ihm gegenseitig wegnahmen.
-
-Er wäre darüber am Ende in die Unzufriedenheit des Flegeltums
-hineingewachsen, dem der liebe Gott zur Warnung als äußeres Kennzeichen
-das schlaksige Unebenmaß der Glieder anhängt. Aber die Erziehungskunst
-der Tante Veronika trieb an ihm eine schöne späte Blüte: sein Takt
-gegenüber der waldgesunden Männlichkeit des Schwagers behütete ihn vor
-Entgleisungen.
-
-So focht er den ersten Kampf mit sich und der Welt in der Stelle des
-Gartenhauses aus; er ward einsilbig, er knurrte auch einmal, wenn er
-durch die Stube wippte, aber er setzte sich nicht dem vereinigten
-Gelächter der Engel und Menschen aus, die während der Vorbereitungen
-zur Hochzeit das Haus bevölkerten. Er arbeitete sich um seine
-offensichtliche Zurücksetzung mit großem Eifer herum, entschädigte sich
-durch Erzählungen aus dem Gallischen Kriege des Cäsar, den er um diese
-Zeit mit dem Pastor las, und hörte mit sieghafter Genugtuung zu, wenn
-der ritterliche Herr Matthias das Bekenntnis ablegte, daß sein Schiff
-an dieser Klippe fast wrack geworden wäre.
-
-So war Jockele über allem auf ein Nebengeleise rangiert worden.
-Da fiel er in der beschaulichen Ruhe seiner Gartenhütte auf eine
-Verzweiflungstat: er hatte die Schmetterlinge seiner Sammlung gemalt
-und begann, zu jedem die Naturgeschichte zu schreiben. Es war die
-erste Arbeit, die er planvoll aufnahm und durchführte. Das Zinzilein,
-das ihn am liebsten als »Naturforscher« gesehen, hatte auch Verdienste
-an seinen farbigen Tier- und Pflanzenstudien, die oft recht hilflos
-waren. Deshalb dachte er, er wollte dem Zinzilein dies »Werk« als
-Hochzeitsgeschenk überreichen; denn er wußte, Prinzessin Goldhaar war
-mehr als die anderen dazu geneigt, gute Vorsätze als Taten anzusehen.
-
-Mitte März war er damit fertig, und als es der Buchbinder wieder ins
-Haus schickte, standen sie in diesem Hause gerade vor der Hochzeit.
-
-Die wenigen Tage surrten noch vorüber; dann kam der stürmische 1.
-April, der das Zinzilein dem Frühlingshaus entführte -- Himmel, was war
-von dieser blonden Mädchenjugend eine Fülle von Sonne gekommen!
-
-Nun, da sie nicht mehr da war, schauerte den Zurückgebliebenen die
-Einsamkeit fröstelnd ans Herz. Ueberall lagen Erinnerungen: Blätter
-aus zerfallenen Blüten -- das ganze Haus war voll von abgestandenen
-Festtagen; es war stief und stoppelfeldig in allen Zimmern, und gegen
-die Fenster stieß der Sturm, klirrte der Aprilregen.
-
-Tante Veronika hatte sich fest zugeschlossen, stabte mit dem gelben
-Stocke in ihrer Wehmut herum und suchte nach einem liegengebliebenen
-Sonnenschein. Es war aber keiner da.
-
-Vielleicht lief das alte Fräulein auch dem Gedanken nach, ob sie denn
-zum zweiten Male ganz verwaisen sollte?
-
-Es ist bei den Jahren anders als bei den Menschen -- die Jahre kriegen
-im Alter das Rennen, und man muß sich bei guter Zeit vorsehen, will man
-sie nicht davonlaufen lassen.
-
-Jawohl, ganz heimlich dachte Tante Veronika daran, wie sie den
-Jungen im Hause behalten könnte, ohne daß er an ihrer verzeihlichen
-Selbstsucht nicht zur vollen Entfaltung seiner hellen Gaben gelangte.
-Aber sie faßte diesen Glauben nicht mit der alten Festigkeit an, weil
-ihr das Herz davor bange war. Und diese Bangigkeit verlor sie nicht
-mehr. Doch brauchte sie nicht lange an der Frage herumzuraten; denn
-eines Tages stand ein Sturm auf, der dem alten Mädchen am Bergwalde den
-Jungen aus Haus und Händen wirbelte ...
-
-Zuvor aber kam Maria Reh nach Ibenheim.
-
-Da war der Frühling im vollen Gange und schüttete ein Blühen in die
-Gärten, daß es über die Zäune lief.
-
-Weil Fräulein Reh zuerst mit dem Mai durch den sprossenden Buchwald
-gestrichen war, kam sie mit Maleraugen voll Entdeckungen und einem
-Herzen voll Licht und Himmelblau und trat in das erste Haus, an dem sie
-der Weg aus dem Walde vorbeiführte.
-
-Darin wohnten die Laufers. Frau Barbara fing sie gleich in dem Netz
-ihrer Freude und schüttelte die ganze Hochzeit und das Glück des
-Zinzileins über sie. An diesem Tage nahm Maria Reh die Stube nach dem
-Wald hinaus.
-
-Als sie am nächsten Morgen mit der Staffelei in die Bergsonne stieg,
-um ihre Sinne vom wilden Farbendrängen zu erlösen, ward sie von dem
-Mädchen Mali erspäht. Deshalb schritt bald danach der Jockele von
-ungefähr des Weges, um zu sehen, was es wäre. Er kroch erst ein bißchen
-um das Malfräulein herum, und weil er noch so zwischen den Lebensaltern
-stand, durfte ihn ihre Spätfrühlingsreife ohne Scheu ermutigen. Es
-wurden ein paar falterleichte Fragen gewechselt -- die erste ließ
-Maria auffliegen. Weil sie den Jockele mit »Sie« anredete, bekam er
-einen roten Kopf; denn das passierte ihm zum ersten Male. Aber er fand
-sich alsbald in das erforderliche Auftreten und erwies sich dabei als
-fertiger Schüler seines Schwagers Matthias.
-
-Am ersten Regentage machte Maria Reh der Tante einen Besuch. Sie trat
-auch in das »Laboratorium« und erbat sich den »Herrn Jakobus« als
-fröhlichen Malergesellen, nachdem sie seine frischen, aber ungelenken
-Versuche gesehen hatte.
-
-Einige Tage später, in denen das junge Buchlaub ganz zu Golde
-geschlagen worden, war aus dem komischen »Herrn Jakobus« für das
-Fräulein schon der junge Jockele geworden -- manchmal hieß er noch
-»Sie, Herr Jockele!« -- und er saß neben ihr im Walde und visierte
-mit dem Zielauge über den Bleistift hinweg die Lage der Dinge, die er
-skizzierte.
-
-Wieder nach einiger Zeit wanderten sie zusammen in das Forsthaus am
-Hörselberge. Da nahm auch Maria ihr Skizzenbuch mit und redete von
-lustigen Malerfahrten beider Herzen in ein weltumarmendes Glück.
-
-Die enganliegende Lebensart im Frühlingshause, die das Werk der Tante
-Veronika war, fand sich bei Maria Reh nicht. Sie war ein blondes,
-schlankes Mädchen mit einem Teutoburgerwaldgesicht und einem freien
-Hals, an dem über dem Blusenausschnitt unter dem Nacken der erste
-Rückenwirbel kräftig hervortrat; denn er hatte zu tun, den Kopf mit dem
-klingenden Haar und dem klaren, kühnen Gesicht zu tragen.
-
-Natürlich behauptete Maria, sie wäre viel größer als Jockele. Als sie
-einander aber mit entschuhten Füßen und aufgelegtem Skizzenbuch an
-einem Waldstamme maßen, war zwischen den beiden Strichen gerade nur so
-viel Raum, daß ein Sonnenstrahl hindurchkriechen konnte.
-
-Diese Messung fand auf dem Wege zu dem Berge der Frau Venus statt. Und
-weil es eine so sonnevolle Waldfahrt war, gelangten sie erst im roten
-Lichte des Spätnachmittags in das Forsthaus und standen beide über und
-über in Blüte. Deshalb läutete das prinzliche Paar gleich mit allen
-Glocken, und das Lachen schoß als goldene Raketen in die Waldnacht vor
-dem traulichen alten Jägerhause. Dabei wurde festgestellt, daß der
-Jockele in sechs Wochen um sechs Jahre älter und ritterlicher geworden
-sei, und er, dem das Haar so wellig und schwarz um die Stirne wehte,
-hatte die Augen voll feuchten Glanzes.
-
-Das Zinzilein schaute fast erschrocken in dies heiße Licht, das aus
-einem tiefen Himmel kam. Aber der Jockele sagte: daran wäre die Sonne
-schuld, die über Tag hineingeronnen, und daran wäre schuld, daß diese
-Augen nun Dinge zu suchen und zu sehen hätten, von denen das Zinzilein
-samt seinem jungen Herrn Förster gar nichts ahnte. Er sagte das aus
-einem gläubigen Jungenherzen heraus; aber das Zinzilein mußte doch auf
-der Hut vor sich selber sein, daß sie ihn nicht für ganz erwachsen nahm
-und ein bißchen an ihm herumklopfte ... denn auch das Zinzilein war in
-diesen sechs Wochen gelehrig gewesen und verstand sich auf Männeraugen.
-
-Sie blieben in dieser Nacht im Forsthaus, und am Morgen wußte der
-Jockele, warum ihn das Zinzilein manchmal mit so rätselhafter
-Lustigkeit ansah, hinter der immer ein sehr großes und sehr leuchtendes
-Ausrufezeichen stand. Sie schliefen in den Zimmern im oberen Stockwerk,
-und ihre Betten standen Wand an Wand. Der Hochwald hauchte die Kraft
-durch die weiche Nacht, die die Kerzen zur Frühlingsfeier aus den
-schwarzen Tannen treibt, und irgendwo unter den Fenstern brach ein
-Brunnen aus dem schwarzen Stein und flüsterte der Nacht wunderliche
-heimliche Reden ins Ohr. Als Jakobus an das Fenster trat, hauchte ihn
-die Südwand des Zimmers mit einer süßen Schwüle an, daß er erschrak;
-denn es war, als legte Maria Reh die Arme um ihn.
-
-Er löschte das Licht, das ihm das Zinzilein aufs Zimmer gebracht
-hatte. Die blaue warme Finsternis tat ihm wohl -- und da merkte er,
-das Zinzilein hatte die Rätsel seiner Augen schon erraten, ehe er noch
-wußte, daß sie darin waren. Aber nun, in der Stille dieser Waldnacht,
-nun war das Wunder da: er sah in der Finsternis! Es stand ein hohes
-blondes Frauenbild vor ihm, reif wie ein Aehrenfeld im Sommer, wenn
-der Duft von gebackenem Brote über die wogenden Halme zu schwimmen
-beginnt, und Maria Reh war schön wie eine Königin. Er blieb immer in
-der Nähe der Wand, in die des Tages die Sonne gesickert war, und fühlte
-den warmen fremden Odem ... Mitten darin stand Maria Reh in ihrer
-leuchtenden Ueberlegenheit und zog ihn an sich und küßte ihn mit ihren
-roten Lippen auf den Mund. »Was bist Du für ein lieber stolzer Junge,«
-sagte sie. -- »Stolz?« fragte er. »Wissen Sie denn nicht, daß ich immer
-so vor Ihnen knien möchte wie heute an dem warmen Waldhange, wo der
-Wachtelweizen in tausend blauen Lichtern brannte? Und wissen Sie denn
-nicht, daß ich Ihr Edelknabe bin, Sie liebe, liebe blonde Königin?« Da
-hörte er ihr klingendes Lachen, und sie nahm seinen Kopf zwischen ihre
-Hände und küßte ihn auf die Stirn ...
-
-Ueber dem Kusse schloß er die Augen und fühlte ihn hinabrinnen als ein
-wundersames himmelfremdes Glück bis in sein Herz.
-
-Und er ward durstig nach dem blutroten Leben ihres Mundes -- aber
-er dachte nicht daran, sie zu küssen, sondern +sie+ mußte es sein,
-die sich über ihn beugte und ihm aus der Gnade ihres Königinnentums
-reichte, wonach er so sehnsüchtig war ...
-
-So sahen die Verheerungen aus, die dieser jubilierende Montag in
-Jakobus Sinsheimer angerichtet hatte. Weit über die Mitternacht hin
-schwamm er in einem rosenroten Meere von Seligkeit ... Auf einmal
-wachte er auf -- der Morgenhahn warf seinen Ruf wie eine goldene Lanze
-durch das Fenster! Jockele erwachte sehr nüchtern; er hatte sich in den
-Schlaf gefreut; denn er dachte, der Traum würde die Fäden noch viel
-schöner weiterspinnen, die er ihm in die Hand gegeben. Nun hatte ihn
-die Nacht darum betrogen.
-
-Aber die falterleichte Jugend, als sie die Wipfel so voll klingender
-Sonne sah, brachte sein Herz gleich wieder zum Fliegen.
-
-Er schritt leise die Treppe hinab und fand Zinzilein und Matthias schon
-draußen beim Morgenkaffee unter der großen Buche. Im Zimmer Marias war
-der Vorhang noch vor das Fenster gezogen.
-
-Jockele hatte nichts dagegen, daß Matthias gleich danach das Gewehr
-umhängte und in den Wald ging; denn nun nahm er des Schwagers Platz
-ein, weil er von da aus das Fenster an Marias Zimmer immer im Auge
-haben konnte.
-
-Das Zinzilein belustigte sich in aller Heimlichkeit ganz ungemein.
-
-Es war ein blanker Morgentisch gedeckt, wie es zu den hellen Herzen und
-der Welt voll Licht paßte, und als Maria Reh -- schon fix und fertig --
-endlich den Vorhang zur Seite zog, flogen ihr die sehnsüchtigen Augen
-des Jungen ans Herz. »Na, da ist sie ja!« jubelte das Zinzilein, und
-Jockele wurde ganz stolz, weil sie seine Schwärmerei gemerkt hatte
-und doch in der Ordnung zu finden schien. Man plätscherte noch eine
-Viertelstunde in Lachen und Sonne, dann segelten die beiden auf ihrem
-glückhaften Schiffe davon.
-
-Jakobus war nach dem Erlebnisse vom Abend zuvor wie verwandelt, gestern
-war er ein Malschüler gewesen, heute war er ein glückseliger Page.
-
-Maria Reh ließ sich seine scheue Liebe gefallen und hätte nicht das
-geringste einzuwenden gehabt, wenn sie etwas weniger ungefährlich
-gewesen wäre. Sie war nun auch viel sanfter zu ihm; denn sie sah, der
-Junge war ganz von sich, und diese erste Jugendschwärmerei fiel über
-sie wie der Duft einer Blume, die ohne Gift ist.
-
-Mittags, als sie wieder an dem Hange ruhten, über dem der Wachtelweizen
-mit den himmelblauen Spitzen seiner Stengel als ein sonnenstiller See
-blühte, strich Maria mit ihrer Hand über sein Gesicht; da lehnte er den
-Kopf an die Erde und ließ ihre Stirn so über sich kommen und sah seinem
-Glücke tief in die Augen. Dann sagte er: »Ich bin sehr froh, daß Sie so
-lieb zu mir sind!«
-
-»Sind das Zinzilein und Fräulein Veronika nie so gewesen?« fragte sie
-aus ihrem wissenden Herzen heraus.
-
-»Aber das ist doch etwas ganz anderes, Fräulein Maria!« Und er erfaßte
-ihre Hand und legte sie über seine Augen.
-
-Weiter geschah auf diesem langen, langen Frühlingsgange nichts, aber
-als sie in der Dämmerung nach Hause kamen, waren sie beide ganz still
-geworden, und Maria sagte sehr weich und mitleidvoll zu ihm: »Auf
-morgen -- nicht wahr?«
-
-Da küßte ihr der Junge die Hand und ging mit gefährlich feuchten Augen
-von dannen.
-
-Sie sahen sich nun an jedem Tage. Jockele saß neben ihr im Walde und
-zeichnete, was sie ihm aufgab. Des Morgens suchte er sie stets mit
-scheuer Freude; denn vor Nacht war sie immer in so königlichen Bildern
-um ihn, und dann ließ er sich von ihren sachten Händen in den Schlaf
-streicheln.
-
-Sie fühlte auch, was sie ihm war, und war darum auf der Hut vor sich
-selber, damit der Glanz nicht von ihr abfiel, den seine erwachenden
-Sinne um sie träumten.
-
-Er hätte am liebsten gehört, wenn sie ihn »Du« genannt hätte, aber die
-Scheu, sich lächerlich zu machen, hielt ihn davor zurück, es ihr zu
-sagen; wenn er in den heimlichen Stunden zwischen Schlaf und Wachen mit
-ihr allein war, mußte sie es doch machen wie er wollte!
-
-Ueber allem befiel ihn ein ruheloser Eifer, ihr mit seinen Zeichnungen
-zu gefallen. Sie lobte ihn leicht und oft; das hatte ihm zuerst
-wohlgetan; dann peinigte es ihn; denn er dachte, es wäre eine
-unverdiente Gefälligkeit. Er sagte ihr das auch einmal und verstimmte
-sie damit; das dauerte drei Tage, und am vierten ging sie zu einer
-Stelle im Walde malen, die sie ihm nicht verraten hatte. Da geriet er
-in eine qualvolle Unruhe, lief den ganzen Tag im Walde herum und war
-heilsfroh, als er sie gefunden hatte. Aber die Abende, in denen er sich
-ihr ans Herz träumte, waren seit einiger Zeit nicht mehr so wonnevoll
-wogend und rosenrot, und sie wurden es noch weniger, als sie eines
-Tages an ihrer Bluse auf dem Rücken einen Druckknopf nicht geschlossen
-hatte. Wenn sie vor der Staffel stand und sich ein wenig zurückbeugte,
-sperrte sich diese Stelle des Verschlusses immer auf und ließ ein Stück
-Spitze ihres Hemdes sehen.
-
-Das peinigte ihn; denn es stimmte gar nicht zu den königlichen Bildern
-seiner Frühlingsträume. Er arbeitete mit heißerem Eifer, um Maria
-vor seinen törichten Augen zu schonen. Aber immer wieder blitzte das
-schmerzende Weiß in seine Arbeit -- da nahm er den Feldstuhl und setzte
-ihn so, daß er ihre Rückseite nicht sehen konnte, und begann eine neue
-Zeichnung.
-
-Einige Tage später war der Druckknopf wieder offen. Da sagte er zu
-ihr, er könne diese Bluse nicht leiden. Sie redeten eine Weile in
-scherzendem Ernste, und weil sie so überlegen tat, wehrte er sich --
-
-»Jawohl, nicht leiden, weil immer ein Knopf daran offen ist!«
-
-»O weh,« sagte sie lachend, »und das haben Sie gesehen und haben ihn
-nicht zugedrückt?«
-
-Sie fand also dabei gar nichts. Aber sie ahnte auch nicht, daß ihr
-großes Licht in seinem Herzen darüber zu einer matten Sonnenscheibe
-geworden war. Dann knurrte er ein bißchen vor sich hin, und sie
-redeten danach einmal vom Wetter und daß der Herbst schon so
-unfreundlich durch das Gebirge kroch.
-
-An ihrer Freundschaft änderte dieser Vorfall nichts, aber über die
-Vergänglichkeit des Rausches der Liebe begann Jockele in diesen Tagen
-der ersten Nebel doch nachzudenken ...
-
-Er ging in die Reifkälte des Oktobers aufrechter und fertiger, als er
-durch die fallenden Blüten des jungen Jahres gegangen war.
-
-Da sie sich wieder einmal maßen, war er über Maria Reh hinausgewachsen,
-was ein wildes Siegesgeschrei zur Folge hatte, und seine Arme baumelten
-nicht mehr um ihn herum wie Schlaghölzer am Dreschflegel. Er hatte auch
-Fräulein Sinsheimer mit auffälliger Sicherheit erklärt, er wolle Maler
-werden und -- vom Herbste des nächsten Jahres an -- die Weimarische
-Kunstschule besuchen. Im Herbste des nächsten Jahres war er siebzehn
-vorbei.
-
-Veronika, die mit Maria Reh mehrfach über sein Talent gesprochen hatte,
-gab ihr ruhevolles Einverständnis und war froh, daß die Dinge sich so
-fügten. Seine mancherlei Studien vor und in der Natur waren nun gewiß
-auch für seinen künftigen Beruf nicht zwecklos gewesen, und die alte
-Dame brauchte sich nicht zu sorgen, daß ihr der Junge dereinst den
-Vorwurf machte, sie hätte den Unterricht planlos betrieben -- nein,
-nein, die Sache war ihr so in allen Stücken recht.
-
-Als die Blätter gefallen waren, war Maria Reh fort. Die Freundschaft
-hatte gehalten -- Jockele hatte ihr das Gepäck in das Wagenabteil
-gereicht und hatte ihr noch im Schreiten Lebwohl gesagt, als schon die
-Räder neben seinen Schuhen rollten.
-
-Aber sie stand nun in seinen Gedanken in einer so rotbäckigen
-Menschlichkeit und kernigen deutschen Art, daß er sich wunderte, wie es
-ihm möglich gewesen wäre, das alles mit dem Glanze des Märchenkönigtums
-zu umdichten.
-
-
-Auf einmal faßte das Leben mit hartem Griff in den stillen Lauf der
-Tage des Hauses am Walde, und es ward eine tiefe Finsternis. Es sah
-aus, als wollte sie der Dinge und Herzen Herr werden und alle Freude
-in einer Stunde in die Luft sprengen, an der Veronika viele Jahre mit
-heiterem Fleiße gebaut hatte.
-
-Tief im Thüringer Wald steht ein Gasthaus an der Straße, etwa drei
-Wegstunden von Ibenheim; darin halten Fuhrleute, die über das Gebirge
-fahren, ihre Rast; dahin ziehen sommerfröhliche Menschen, wenn ihre
-Herzen dürsten nach Bergwind und Tannengrün. Im Winter ist es ein
-verlorener Bergwinkel, um den die Stürme Lasten von Schnee mauern.
-
-In jenes Gasthaus trat an einem frostklaren Januartage ein Weib, hatte
-in Männerstiefeln lange verschneite Straßen hinter sich getreten und
-war in allerlei schlechte Tücher gehüllt. In der Hand trug sie den
-Schaft einer jungen Erle, irgendwo am Wege gebrochen und notdürftig
-für eine Bergfahrt zugerichtet.
-
-Die Frau sprach ein fremdes und mühseliges Deutsch, und die Wirtsleute
-sahen sie aus ihrer tiefen Wintereinsamkeit verwundert und fast
-feindselig an.
-
-Sie rückte sich einen Holzstuhl an den Ofen und nestelte Kupferstücke
-aus der Tasche ihres Rockes; das ging langsam, denn ihre Hände waren
-krumm vor Kälte. Für das Geld bekam sie ein Glas Grog und schüttete den
-heißen Trank schluckweis in sich hinein. Darüber kamen ihre erstarrten
-Sinne, kam ihr das Herz allgemach wieder in Gang. Die Wirtsleute
-begannen, sich an sie heranzufragen. Aber sie hatte abwesende Augen,
-leuchtete damit in der großen Gaststube herum und sagte: »Die Fenster
-sind alle dick zu von Eis.«
-
-Da merkte der Wirt, es wäre nicht viel mit ihr zu reden, und bedeutete
-sie durch Zeichen, ob sie noch ein Glas Grog brauche. »Ja,« sagte sie,
-und legte das Geld dafür auf den Tisch. Ihre Augen gingen wieder durch
-die Stube und blieben endlich stehen, und die Wirtin, die das kochende
-Wasser aus dem Kessel über den Rum schüttete, fragte sie, ob sie krank
-wäre.
-
-»Nein,« -- sie überlegte sich nur, wie sie es sagen sollte, was sie
-vorzubringen hätte; denn ihre Sprache wäre das Ungarische und sie fände
-sich im Deutschen nur mühsam zurecht.
-
-Da taten die Leute ihre Arbeit und warteten, was es mit ihr wäre.
-
-Nach einer Weile sagte sie: »Ist hier vor länger als sechzehn Jahren
-ein Kind gefunden worden?«
-
-»Hm, ein Kind gefunden? Das ist eine merkwürdige Frage. Und vor mehr
-als sechzehn Jahren?«
-
-Die Wirtin wußte gleich, wohin die Frage zielte. Aber es wachte in ihr
-auch schon die Furcht auf vor mühsamen Gängen zum Gericht. Und sie warf
-ihrem Mann einen Blick zu, der wollte sagen: gibt acht, aus derlei
-Dingen wächst ein Haufen Unkraut!
-
-Deshalb antwortete sie mit hinterhältiger Sanftmut: »Ein Kind? Es ist
-davon wohl nichts bekannt worden.« Aber die Neugier brannte sie auf die
-Nägel, und der Mann sagte, vor sechzehn Jahren wären sie noch gar nicht
-in dieser Gegend gewesen.
-
-Die Zigeunerin hatte das graue Tuch, das sie um den Kopf getragen,
-überdem zurückgeschoben; da sahen sie, daß sie im Alter der ergrauenden
-Haare stand. Sie hatte ein verkümmertes Gesicht und sehr schöne
-schmerzvolle Augen.
-
-»Nun,« begann sie nach einer Weile, »wenn ein Kind gefunden worden ist,
-so redet man in einem Gasthause wohl auch nach vielen Jahren einmal
-davon; denn Kinder wachsen doch nicht an den Straßenrändern wie die
-Disteln.«
-
-Ob es ein Junge oder ein Mädel gewesen wäre?
-
-»Es war ein Knabe, und in der Nähe des kleinen hellgrünen Hauses am
-Waldrande war eine Sandkuhle. Ist da nicht ein grünes Haus in der Nähe,
-bei dem eine Sandkuhle ist?«
-
-»Es sind etliche Sandkuhlen in dieser Gegend und wohl auch mancherlei
-grüne Häuser,« sagte der Wirt, aber es war, als liefen ihr seine
-Gedanken nun doch entgegen. »Was haben Sie denn mit jenem Kinde zu tun?«
-
-»Ich bin die Mutter. Ich habe es auf die Schwelle jenes Hauses gelegt
--- es war in einer grauen Frühe und war im hohen Sommer. Ich dachte: in
-diesem Hause müßten gute Leute wohnen -- es war alles blank und sauber
-daran.«
-
-Da redeten die Wirtsleute leise miteinander, und weil sie dachten,
-es wäre besser, dies Weib wäre nicht unter ihrem Dache, rückte die
-Wirtin ihren Stuhl herzu und sagte: »Es ist in der Tat einmal von einer
-solchen Sache geredet worden« -- was es denn wäre, das sie nach so
-vielen Jahren herzöge?
-
-Menschen, die von Reu' und Glauben voll sind, schließen leicht alle
-Türen ihres Herzens auf ... und die Zigeunerin erzählte: es lebe in
-ihrem Volke die Gabe, das Künftige zu erschauen, und es hätten ihr drei
-weise Frauen ihres Stammes gesagt: ihr Kind lebe, aber es könne keine
-Rast finden hier und dort ...
-
-So erzählte sie aus der Not ihres abergläubigen Herzens eine
-verworrene Geschichte von silbernen Ohrringen, deren einen sie trüge
-und die wieder zusammenkommen müßten, und sie erzählte eine noch viel
-verworrenere Geschichte von den Seelen, die sich gleich den getrennten
-Ringen suchten über Zeit und Ewigkeit hinaus.
-
-Nicht die irrende Not dieses Weibes, nicht das Elend ihres verkümmerten
-Leibes hatte bei den Wirtsleuten vermocht, was der närrische Glaube
-ihres Herzens vollbrachte ...
-
-Davor wurden ihre Augen weit, und sie liefen mit schauerndem Behagen am
-Wunderlichen in das dämmerige Land dieser Seele.
-
-Aber sie scheuten sich, das letzte zu sagen, und gerieten darüber
-wieder ins Forschen: wenn sie den Sohn nun für sich haben wollte, ob
-sie meinte, daß man ihn ihr gäbe? Er wäre doch nun ein Mensch geworden,
-der ihr ganz ferne gerückt sei mit seinen Gewohnheiten und seinen
-Kenntnissen.
-
-»Oh,« sagte die Zigeunerin, »ich will nicht sein Glück zerstören,
-sondern ich will es erfüllen.«
-
-Da redeten die Wirtsleute in der breiten Mundart ihres Landes
-miteinander.
-
-Die Frau war voll Mitleid und sagte:
-
-»Man muß ihr den Weg zeigen!«
-
-Aber der Mann widersetzte sich:
-
-»Sie wird die Geschichte von den Wahrsagerinnen erfunden haben; sie
-will sich in das fremde Haus stehlen und dort einnisten, und man wird
-uns die Schuld an allem zumessen, was daraus hervorwächst ...«
-
-Dann beschrieben sie ihr den Weg aber doch, der sie über das Gebirge
-führte, und nannten ihr den Namen des Dorfes und sagten, sie müsse zum
-Gemeindevorsteher gehen und den Ohrring zeigen -- es würde sich dann
-schon alles finden.
-
-Danach ging die Zigeunerin fort und wanderte durch den tiefen Schnee
-des Waldes und lief einen weiten Weg in dem Dämmerlichte, das zwischen
-den Stämmen der hohen Fichten lag; denn die Bäume trugen ein Dach aus
-Schnee.
-
-Es war ein Schreiten zu den Toren der Ewigkeit; denn es fiel ein
-fremdes schönes Licht in die bangende Seele, und der vermühte Leib
-vergaß über dem beschwingten Gange die Not der verflossenen Zeit.
-
-Der Weg führte aufwärts zum Kamme des Gebirges. Der Weg? Es war kein
-Weg, es war weißer schlafender Waldgrund, und der klirrende Frost
-zerwehte vor dem beseligten Wanderschritt.
-
-Droben, wo sie schon den Wind hinter dem Kamme des Gebirges singen
-hörte, und wo er hohe Mauern aus glitzerndem Schnee durch den Wald
-gezogen hatte, lehnte sich das Weib an eine der weißen Wände ... es
-war, als wäre aller Frost drüben, wo das ferne und eintönige Singen
-der Luft erklang. Da dachte sie: ich will mich ausrasten, ehe ich
-hineinschreite in den klirrenden Wind. Sie setzte sich nieder und
-sah die tiefe Spur, die ihre Füße in den Schnee getreten hatten, und
-wunderte sich, daß ein Mensch durch solch einen verstürmten Bergwinter
-schreiten könnte ...
-
-»O ja,« sagte sie, »mit einem Herzen voll Himmel wandert man durch alle
-Mühsal der Erde ...«
-
-Das war das letzte. Dann fiel ein blaues heitres Scheinen in sie. Und
-das blaue heitere Scheinen war das Sterben; denn als der Frühling über
-die Berge stieg und die weißen Decken wegnahm, fanden sie die Waldleute
-in ihrem tiefen Schlafe. Der Mann der Barbara Laufer war unter ihnen,
-und als er den silbernen Ohrring sah, den die fremde Tote trug, lief
-er zu Herrn Peter Squenz in Ibenheim und sagte, er sollte gleich mit
-ihm gehen; denn die dort oben schliefe, wäre die Mutter des Jakobus
-Sinsheimer. --
-
-Durch Herrn Peter Squenz war diese Geschichte schon in allen
-Einzelheiten auf die Menschen losgelassen worden, als sie im
-Frühlingshause noch niemand ahnte.
-
-Gegen Abend, da die Leute von der Waldarbeit heimgekommen, sah Mali
-eilige Frauen gegen die Hütte der Laufer streben, verkündete das dem
-Fräulein Veronika und schickte sich gerade an, Licht in die Sache zu
-bringen, da trat Herr Peter Squenz über die Schwelle. Die Glocke an dem
-metallenen Schwippbogen machte einen so ausgiebigen Lärm, daß auch der
-Jockele mit Augen voll Einsamkeit und Bestürzung herzulief; er hatte
-naturforschenderweise in der Gartenhütte gesessen.
-
-Squenz, der als Amtsperson kam, nahm sich entsprechend wichtig
-und ahnte nicht, daß Tante Veronika ihm von dieser Stunde an eine
-Taktlosigkeit und Gemütsroheit nachreden würde, die sie mit sehr
-spitzem Munde als »einfach ganz unverzeihlich« bezeichnete. Er hielt
-die Anwesenheit Jockeles für durchaus wichtig; denn es ginge den
-Jungen vor allem an, meinte Herr Squenz, und dann berichtete er.
-Fräulein Sinsheimer saß dabei in ihrem Lehnstuhl, als hinge sich in
-dieser Stunde ein Bienenschwarm unter ihr an die Polster des Sessels;
-in Jakobus löschte der Tag aus, und das Mädchen Mali stand draußen im
-Vorhaus, hielt die Hand auf der blanken Klinke und überlegte, ob sie
-nicht die Flamme ihres Zornes über diesen Herrn Squenz werfen sollte.
-Der faltete drinnen ein Papier auseinander und legte den Ohrring auf
-den Tisch, und Jockele holte den Bruderreif aus dem geschliffenen
-Väslein und legte ihn daneben ...
-
-Da fand Fräulein Sinsheimer das erlösende Wort --
-
-»Ich bin gar nicht mehr imstande, Ihnen zuzuhören, Herr Squenz, und
-bitte Sie, das Haus zu verlassen ... Sehen Sie denn nicht, welche
-Verwüstungen Sie anrichten?«
-
-Herr Squenz schaute sich sehr verwundert um und sah nichts. Dann
-entschuldigte er sich mit seiner Pflicht, aber Tante Veronika lehnte
-sich im Stuhle zurück und bezeigte ihm so vollkommene Abwesenheit und
-tiefe Entrüstung, daß er sich ohne Säumen empfahl. Die Klingel läutete
-ihn hinaus, und es war zu hören, daß Mali den Riegel hinter ihm mit
-strafender Empörung vor die Tür schlug. Dann kam sie herein; denn sie
-hatte Fräulein Sinsheimer von Verwüstungen reden hören -- sie hielt
-ihre Anwesenheit in dieser wilden Stunde auch ohne Aufforderung für
-durchaus nötig. Tante Veronika stieß ihren gelben Stock in einemfort
-hart vor sich auf die Dielen; denn sie hatte das Bedürfnis, jedes
-ihrer zornwütigen Worte mit einem Schlage zu bekräftigen. Jakobus saß
-am Fenster, hatte den Kopf auf den Arm gestützt und sah in finsterem
-Schmerze in die sinkende Nacht. Was ihm einmal ein Schuljunge in
-raschem Kinderärger nachgerufen und wovor man ihn im Haus eine lange
-lichte Jugend hindurch behütet hatte -- in dieser Stunde hatte
-Peter Squenz mit der brutalen Rücksichtslosigkeit des vereinigten
-Ochsenbauern und Polizeimannes die Decke von dem Geheimnis gerissen
-und hatte dem Jungen das Herz blutig geschlagen. Es war alles
-durcheinandergestürzt, was Tante Veronika in den Jahren aufgebaut
-hatte, und sie fand sich nicht mehr in sich selber zurecht. Da legte
-die alte Mali dem Jockele ihre Hand auf die Achsel; denn sie sah, daß
-ihm die Augen überliefen von stillem und heißem Weinen. Sie fand auch
-warme Worte windigen Trostes -- denn welches Menschen Rede vermöchte
-das wildgewordene Meer eines im Tiefsten erregten Herzens zu glätten?
-
-Danach stand er sehr ruhig auf und sagte: »Ich will in das Gartenhaus
-gehen und sehen, wie wir es machen können.«
-
-Als es schon ganz dunkel geworden war, kam er wieder herein und sagte:
-
-»Es ist nicht das, was Ihr denkt, daß es mich so hart getroffen habe!
-Daß eine Zigeunerin im Bergwinter verkommen ist, die ich nicht kenne,
-ist ein Jammer, und der Gedanke ist furchtbar, daß sie meine Mutter
-gewesen sein könnte. Aber ich habe sie nicht gekannt -- sie hat auch
-gar nicht gewollt, daß ich sie kenne und liebhabe -- aber sie zerreißen
-sich nun die Mäuler in der ganzen Gegend über mich. Vielleicht ist das
-auch nicht so schrecklich, wie es mir jetzt zu sein scheint; denn jetzt
-meine ich, ich könnte mich nicht mehr draußen sehen lassen, weil die
-Kinder hinter mir herschreien, was mir meine Mutter getan hat.«
-
-Tante Veronika hörte ihn in Ruhe an, aber der alten Wirtschafterin
-wendete sich das Herz um, und sie kam mit Gründen einer landläufigen
-und gefühlsseligen Moral, daß es schlimm wäre, wenn ein Kind so von
-seiner Mutter rede.
-
-»Und was hast Du Dir weiter gedacht?« fragte Veronika.
-
-»Ich habe mir gedacht, es wäre am besten, ich ginge fort, schon morgen.
-Ich habe alle meine Zeichnungen zusammengesucht und will damit zu Maria
-Reh nach Weimar und möchte sie fragen, was +sie+ zu der Sache meint.
-Wenn ich unter fremden Menschen bin und neue Pflichten habe, komme ich
-leichter über alles hinweg.«
-
-»So ist es wohl am besten,« sagte Tante Veronika. »Ich kann Dir in
-jedem Monat hundert Mark schicken; wenn Du mit dieser kleinen Summe
-auskommst, so will ich Dich nicht zurückhalten. Und es wird wohl gehen;
-denn Maria Reh hat mir gesagt, daß sie auch mit so wenigem haushalten
-müßte.«
-
-»Hundert Mark?« fragte Jakobus in großer Verwunderung.
-
-»Du darfst darüber nicht erstaunt sein,« sagte Veronika, »es ist nicht
-viel -- Du weißt das noch nicht. Aber ich denke, es läßt sich schon
-machen.«
-
-Sie hütete sich auch in dieser finsteren Stunde vor schulmeisterlichen
-Lehren und dachte: wenn ich ihn falsch erzogen habe, so wird nun auch
-sein Leben falsch werden.
-
-Dann stand sie auf und suchte mit dem Mädchen alles zusammen, was er
-mitnehmen sollte. Er trug aus dem Gartenhause herüber, was er für nötig
-hielt, und sie ließen noch etliches für den anderen Tag; denn es wurde
-bestimmt, daß er erst abends reisen sollte, um den peinlichen Augen der
-Leute von Ibenheim aus dem Wege zu gehen.
-
-Als die Stunde gekommen und sein Gepäck schon vorausgeschickt war,
-begleiteten ihn Veronika und Mali bis auf die Schwelle des Hauses. Sie
-hatten alle aufrechte und stille Herzen, und Fräulein Sinsheimer sagte:
-»Ich habe mir das bis zuletzt aufgehoben: borge Dir von keinem Menschen
-Geld, wenn Du einmal nicht mit dem langen solltest, was ich Dir geben
-kann! Es würde mir sehr weh tun; denn Du würdest damit bezeigen, daß
-Du zu anderen mehr Vertrauen hast als zu der Frau, die mit all ihrer
-Treue und Liebe um Dich gewesen ist. Du hast mir viel Freude geschenkt,
-Jakobus, und ich habe die Pflicht und den Wunsch, Dir für dies Glück zu
-danken. Du wirst mich immer finden, so oft Du mich suchst. Und nun sei
-brav und tapfer -- lebe wohl!«
-
-Jakobus sagte: »Ich weiß seit gestern klarer denn seit je, daß ich Dir
-alles zu danken habe, was ich bin und wohl auch werde, liebe Tante
-Veronika, und ich werde es nie vergessen.«
-
-Dann beugte sich seine hochgewachsene klare Jugend zu der kleinen
-feinen Frau hinab, und sie küßte ihn mit ihren schmalen Lippen auf die
-Stirn.
-
-Die Glocke am Schwibbogen tat drei leise Schläge, als sich die Türe
-geschlossen hatte, und Veronika sagte zu Mali: »Wir sind heute ein
-großes Stück dem Ende zugelaufen. Man legt nicht jeden Tag als Maß an
-den Weg, aber in solch einem stehen gleich sieben Meilensteine.« --
-
-Er kam nachts um elf Uhr nach Weimar. Am anderen Vormittage ging er
-in die stille Straße, die Am Horn heißt; denn Maria Reh wohnte seit
-einiger Zeit mit einer Freundin, die auch Malerin war, in dem sehr
-kleinen Gartenhause, das ganz versteckt in dem schönen Besitze des
-Generalintendanten von Vignau liegt.
-
-Als er den breiten Fahrweg entlang schritt, der von dem eisernen
-Tor unter Kastanienbäumen zu dem Häuschen führt, kam er sich sehr
-tapfer und fast daheim vor; denn er war durch den alten Weimarer Park
-herübergegangen, und die Welt war voll Frühlingsahnungen und heimlich
-springenden Knospen wie der Buchenwald an den Hängen des Gebirges.
-Als seine Augen nun den Schritten voraufliefen und an den kleinen
-Fenstern suchten, ob sie Maria Reh sähen, wußte er: er würde den Damen
-alles erzählen, was ihn zu seinem raschen Entschlusse gebracht hatte.
-Er kannte all diese Menschen nicht, an denen er vorbeigelaufen war,
-und fühlte: denen wäre es ganz gleichgültig, woher er gekommen sei;
-und sein helläugiges Wesen bäumte sich auch dagegen auf, sich von den
-Malerinnen die Wege in das Leben führen zu lassen und ihnen dafür mit
-Unehrlichkeit zu begegnen. Barbara Laufer hatte wahrscheinlich längst
-von allerlei Vermutungen zu Maria Reh gesprochen ...
-
-Er stand vor der grauen Haustür und zog an dem Glockenstrange, der aus
-einer anderen Zeit kam ... Da hatte ihn Maria Reh auch schon in den
-Händen, und ihre weiche tiefe Frauenstimme wollte sich überschlagen --
-
-»Mensch!« rief sie, »Sie sind ja schon wieder eine Elle länger geworden
-und haben die Augen ganz voller Himmel -- was will denn das werden?«
-
-Sie zog ihn die schmale Holztreppe empor -- -- was war das für eine
-starke und frohmütige Art!
-
-In der kleinen Stube nach dem Garten hin stand Doris Rinkhaus in einem
-hellblauen Morgenkleide -- ein Frühlingstag, dachte Jakobus Sinsheimer;
-denn es war alles blau und golden an ihr, ihr Gesicht blühte wie ein
-Sonnenhang im März, und sie trug das lichte Haar wie die Mädchen auf
-den Bildern Defreggers.
-
-Das stürzte alles so über ihn, und eine dunkle und eine helle
-Frauenstimme flatterten um ihn wie ein Trauermantel und ein
-Zitronenvogel, die in seinem jungen Lichte spielten. Maria Reh ergriff
-seine beiden Hände und legte sie in die von Doris Rinkhaus und sagte:
-
-»Das ist der Junge aus dem grünen Lande! Gib acht, aus dem wird etwas
--- es weiß nur noch nicht, wohin es mit ihm will!«
-
-Nun saßen sie sich seit drei Minuten gegenüber und kannten sich schon
-seit Anbeginn.
-
-Auf dem Tische lag ein Wachstuch; das Geschirr vom Morgenkaffee
-stand noch darauf und daneben lagen viele Krumen. Auf einmal fiel es
-Doris Rinkhaus ein, sie müßten den Tisch abräumen, weil sie Besuch
-hätten. Da packten sie beide die vier Zipfel des Wachstuches, ließen
-das Geschirr durcheinanderklirren, schütteten ihr Lachen darüber und
-trippelten damit in die Küche. Dann rückten sie an Jakobus heran, daß
-die drei Paar Knie zusammenstießen, und Maria Reh sagte: »Schießen Sie
-los, junger Mann! Sie wissen, Sie haben sich einmal an mir in sieben
-rosenrote Himmel hineingeschwärmt, aus deren etlichen Sie jählings
-herausgefallen sind. Aber der Freundschaft tut das keinen Eintrag --
-und nun mal los: Hat die Tante Veronika einen Krach geblasen? Leiden
-Sie an einer unglücklichen Liebe, die ganz gewiß Ihre letzte sein wird?
-Haben Sie ein neues Schmetterlingsbuch verfaßt, oder wie ist das?«
-
-»Du reißt ja mit einem Male alle Türen an Herrn Sinsheimer auf!« mahnte
-Doris Rinkhaus. »So laß ihn doch erst zu sich selbst kommen!«
-
-Da tat Jockele einen tiefen Atemzug -- es ging nun doch nicht so
-leicht, wie er nach dem klingenden Begrüßungsfeste gedacht hatte. Er
-begann tastend -- ein Wanderer an einem steilen Hange, der fürchtet,
-die Steine unter ihm könnten ins Gleiten geraten. Er suchte zuerst
-auch in den Augen und Mienen der Mädchen, ob sich in ihnen über
-seine Rede eine heimliche Lustigkeit zeige. Aber sie hörten ihm mit
-Selbstvergessenheit zu. Einmal unterbrach er sich und sah Maria Reh
-an: »Wußten Sie schon, daß allerhand Gerüchte über mich in den Dörfern
-liefen?«
-
-»Ja,« sagte sie, »ich habe es reden hören. Die Leute taten
-sehr geheimnisvoll; ihre Erzählungen hörten sich auch gar zu
-komisch-romantisch an -- das Lachen kam einem ja, wenn man ihre
-stumpfen Gedanken und plumpen Münder an diesem Rätsel herumraten sah!«
-
-»Ich dachte es mir, daß Sie es wüßten. Und Sie haben mir auf unseren
-Waldgängen nichts davon gesagt?«
-
-»Warum sollte ich mich in Dinge drängen, die mich nichts angehen? Und
-wenn Sie selbst gar keine Ahnung gehabt hätten -- warum sollte ich
-Ihnen denn einen so großen Schmerz bereiten?«
-
-»Sie reden von einem großen Schmerz, Maria. Wollen Sie ganz ehrlich
-gegen mich sein?«
-
-»Ja,« sagte sie, »ich gelobe es sogar!«
-
-»So sagen Sie mir: was meinen Sie mit diesem großen Schmerz?«
-
-»Ich habe gedacht, es müßte Ihnen sehr weh tun, daß Ihre Mutter Sie so
-lieblos in die Welt gesetzt hat ...«
-
-Darüber sprang Doris Rinkhaus auf und schritt ein paarmal durch die
-kleine Stube --
-
-»Was meinst Du?« fragte Maria.
-
-»Ich glaube gar nicht an den großen Schmerz,« sagte sie, »nein, ich
-kann es mir nicht denken!« Und es lag über ihrer klugen Stirn und über
-ihrem leuchtenden Munde wie ein Märztag, den der Sturm blank geblasen
-hat. Sie sprach hart und klar: »Wenn ich mir überlege, meine Mutter
-hätte mich hilflos auf eine fremde Schwelle gesetzt und hätte sich
-nicht mehr um mich gekümmert, dann hätte sie ja gar keinen Anspruch auf
-meine Liebe ...«
-
-Danach erzählte Jockele die Geschichte zu Ende. Es kam ein fast
-wilder Mut in ihn, den Kampf mit dem Leben aufzunehmen, in das er nun
-hinausgestoßen war, ehe er daran gedacht hatte. Hinter jedem Worte
-stand sein kampfmutiges und kühnes junges Herz. Der blühende Märzenmund
-hatte zur Flamme geblasen, was Glut gewesen war ...
-
-»Man wird auch hier von dieser Geschichte reden; denn ich mag nicht
-immer um mich selbst herumlaufen wie der Fuchs um das Schlageisen, in
-dem er sich doch endlich fängt -- nur sagen Sie es mir: wird man auch
-hier hinter mir herschreien und mich verachten, weil meine Mutter eine
-Zigeunerin war?«
-
-»Ach Unsinn!« riefen die Mädchen wie aus einem Munde.
-
-»Wenn Sie schon recht viel könnten, wären Sie mit einem Schlage
-berühmt!« Doris Rinkhaus fand alles ›rasend‹ interessant und warf die
-›Donnerwetter‹ hinter ihre Worte als Ausrufezeichen. Manchmal wollten
-ihr Herz und Kopf davonlaufen, dann schlug sie sich übermütig vor den
-Mund und sagte: »Nur für Damen! Darüber will ich mit Maria reden, wenn
-wir allein sind!« Und Maria Reh faßte Jockele vorn an der Jacke und
-sagte: »Wissen Sie noch, wie weich und träumerisch und maigrün Sie um
-die Wachtelweizenblüte waren?«
-
-Es flog ihm blutrot aus dem Herzen herauf -- nun ja, auf dem Weg
-aus dem Sommerwalde durch den Bergwinter hatte auch viel Erkenntnis
-und Einsamkeit gelegen, dazu der Tag, in dem Tante Veronika sieben
-Meilensteine stehen sah! ... Doris Rinkhaus sprang rettend dazwischen --
-
-»Wie ich die Dinge beurteile,« sagte sie, »so müssen wir jetzt eine
-Bude für Sie suchen; denn hier geht das nicht, junger Mann!«
-
-Jakobus Sinsheimer hätte am liebsten gesehen, wenn es hier gegangen
-wäre -- nun jagten sie ihre Gedanken durch viele Straßen, und als
-nichts paßte, verfielen sie auf das Dienerhaus, das neben dem sehr
-kleinen Gartenhause stand und doch fast dreimal kleiner war als dieses.
-Weiß Gott, welcher Philosoph sich das einmal ins Grüne gedichtet
-hatte wie Vögel ihr Nest! Doris Rinkhaus sagte: es müsse ein ganz
-ungeheuer fröhlicher und gescheiter armer Mensch gewesen sein, und er
-sei über dem Gedanken sicher ins Singen geraten oder in ein welt- und
-himmelfröhliches Pfeifen.
-
-Die Sache kam in Ordnung: Jakobus Sinsheimer, der angehende Kunstmaler,
-hatte zwei Stuben zu ebener Erde und über sich ein Dach. In der einen
-hatte mit knapper Not sein Bett Platz. Auf ein Atelier glaubte er aus
-vielerlei Gründen zunächst verzichten zu können. Er ließ sich also sein
-Gepäck herbefördern und fing an zu wohnen.
-
-Auf der Akademie hörte er auch Kunstgeschichte bei einem alten
-Herrn, der einmal Pastor gewesen war. Am ersten Tag erschien ihm
-die Sache prächtig; denn er trat an die neue Welt heran mit dem
-selbstverständlichen Willen, sie in allen Stücken vollkommen zu finden.
-Später saß er in diesen Vorlesungen mit grausamer Selbstentäußerung
-und ließ ihre mitleidlose Langweile über sich zusammenschlagen. Auf
-Akt und Landschaft warf er sich mit der fröhlichen Kunst der Jugend
-zum Glücklichsein. Es war ein frisches Zugreifen und herzhaftes
-Vorwärtskommen, aber nicht ohne Eigenwilligkeiten, wegen derer es zu
-Auseinandersetzungen zwischen ihm und seinen Lehrern kam. Wege suchen
-und Ziele finden, wenn es auch noch so mühsam war, machte ihn warm;
-der Regel und dem Schema stand er gefroren gegenüber. Um Menschen
-solcher Art bilden sich zweierlei Meinungen -- die einen sagten:
-»Dieser Sinsheimer kann nichts und wird nichts!« Die anderen meinten:
-»Sinsheimer ist ein eigenwilliger Kopf, aber er ist aus dem Holze derer
-geschnitten, die durchkommen!«
-
-Er hatte schon wenige Tage nach seiner Uebersiedlung viele Bekannte;
-denn ein Junge, dem Zigeunerblut in den Adern rollte und der berühmt
-war von dem Augenblick an, in dem ihn zum ersten Male die Sonne
-beschienen hatte -- das war etwas! Dazu diese geschmeidigen Glieder,
-und dies Herz, voll bis zum Rande von der Kraft des Bergwalds, und die
-Augen voller Licht -- »Donnerwetter!« schrieb Doris Rinkhaus hinter
-Jakob Sinsheimer. Nach vier Wochen wußte kaum einer mehr, daß er noch
-einen anderem Namen trüge als Jockele -- und das kam ihm von Maria Reh.
-
-In der Zeit zwischen März und Frühling geriet er in das Leben, das
-Doris Rinkhaus in der Klarheit, mit der sie alle Erscheinungen erfaßte,
-die ›Filiale von München-Schwabing‹ genannt hatte. Es ist ein Gemisch
-von Jugend, Sorglosigkeit, Uebermut, einem ganz geringen Zusatz
-ernster Arbeit und einem stärkeren von vermeintlicher Genialität. Zu
-den äußeren Kennzeichen rechnete Jockele, daß jeder, der in diesem
-Leben stand -- sei es Jüngling oder Mädchen -- die unverbrüchliche
-Verpflichtung eingegangen zu sein schien, in je fünf Minuten mindestens
-einmal die Worte genial, Genialität oder Genie zu gebrauchen. Darüber
-gelangte man zu der Annahme, die Genies wüchsen in der Welt wie gelber
-Löwenzahn, und binnen kurzem könnte sich die Erde nicht mehr vor ihnen
-retten.
-
-Das war die Zeit, in der Jockele zu der peinlichen Erkenntnis kam, daß
-ein Monat zwanzig Tage länger sein kann als hundert Mark.
-
-Ehe er dieses Maß nahm, hatte er sogar Geld ausgeliehen. Einmal machte
-er sich auf den Weg, die Schuld einzufordern. Da schloß ihn der
-Kunstschüler gerührt in die Arme und rief den Propheten Daniel zum
-Zeugen an, daß er alles bezahlen würde, wenn er berühmt wäre.
-
-Mit diesem Troste zog Jakobus Sinsheimer seine Straße und war froh,
-daß er über den alten Schießstand unter den mächtigen Kastanienbäumen
-nach Hause gehen konnte, der hinter den Gartenzäunen langlief; denn
-er dachte, die Menschen müßten es ihm ansehen, daß er seit drei Tagen
-nur noch zwei rote Pfennige in der Tasche trüge. Weil der Magen gegen
-solche Behandlung knurrend Einspruch erhob, trat Jockele zuvor in den
-Hausgang einer Bäckerei und erstand für diese zwei Pfennig Weißbrot.
-Auf dem Walle des Schießstandes, um den Maienwind und Grün wirbelten,
-verschlang er die Semmel und sah dabei manchmal über die Gartenzäune,
-ob da wohl einer in sattem Wohlbefinden stand und ihn beobachte. Aber
-es war niemand da als der Frühling, und der hatte alle Hände voll zu
-tun; denn da warteten die tausendarmigen Leuchter der Kastanien und
-wollten angezündet sein.
-
-Als Jakobus gerade den alten Wall hinabspazierte und durch die Schlüpfe
-des Gartenzauns in die grüngoldene Einsamkeit verschwinden wollte,
-setzte sich ein Mann im Gras auf. Ein stattlicher Herr mit einem
-blonden Vollbart und einer goldenen Brille. Unter seinen forschenden
-Blicken schritt Jockele auf die Pforte zu, und als er den Schlüssel
-hervorsuchte, erhob sich der andere und fragte: »Ah, Sie wohnen hier?«
-
-»Zu dienen -- in dem ganz kleinen Hause da.«
-
-»Aha. Da sind Sie also der junge Maler Jakobus Sinsheimer. Ich heiße
-Fridolin Hartwig.«
-
-»Angenehm. Auch Maler?«
-
-»O nein, ich bin Schriftsteller. Darf ich Ihnen für wenige Augenblicke
-in das grüne Idyll folgen? Ich interessiere mich dafür -- man kann Sie
-ja wohl darum beneiden.«
-
-»Das wohl!« sagte Jockele. -- Sie schritten über das Gras, das unter
-den schon schattenden Obstbäumen noch morgenfeucht war.
-
-»Sie haben ja einen romantischen Einzug in die Welt gehalten,« begann
-Hartwig, »und wollen es im Leben zu etwas bringen, hm?«
-
-»Ich hoffe.«
-
-Sie waren eine halbe Stunde beisammen, und als sie wieder vor der
-Pforte im Zaune standen, kam Doris Rinkhaus den Gartenweg daher und ein
-Paar aufdringliche Männeraugen begegneten ihr.
-
-»Was hatten Sie denn für einen Herrn in Ihrer Gesellschaft?« fragte sie
-später. Sie ließ es sich berichten ...
-
-»Er hat unehrliche Augen,« sagte sie -- »solche, die gern um die Ecke
-gucken. Und wissen Sie, derartige Koketterien wie die dünne silberne
-Uhrkette um den Hals, die große Silbermünze mitten auf der Brust, und
-dies Spazierstöckchen neben so mächtigen Gliedern -- so etwas wirkt auf
-mich einfach peinlich.«
-
-»Aber liebes Fräulein Rinkhaus ...«
-
-Sie sprang mitten hinein in seine Rede --
-
-»Ach, sagen Sie, was Sie wollen, so trägt sich ein Mann nicht, und
-wenn er sich noch so ernst gebärdet! Ich würde das nicht einmal einem
-halbwüchsigen Kunstschüler verzeihen.«
-
-»Sie verschießen Ihre Worte ja wie vergiftete Pfeile,« lachte Jockele;
-aber es war nicht das fröhliche Draufgängertum der anderen Tage in ihm.
-
-»Jawohl, Pfeile! Und ich wünsche, Sie würden getroffen! Ich glaube, es
-ist die höchste Zeit, Sie einmal auszuputzen. Sie laufen seit ein paar
-Tagen in der Welt herum und tragen den Kopf unter dem Arm. Kommen Sie
-mal gleich rein, da kann ich lauter reden!«
-
-Sie faßte ihn am Jackenzipfel und zog ihn hinter sich her in das
-kleine Haus. Da hatte die Sonne tausend Goldstücke auf die Dielen
-gelegt -- Jockele sah dies poesievolle Leuchten zum erstenmal aus dem
-nüchternen Gesichtswinkel geprägten Edelmetalls. Das ist ein kläglicher
-Standpunkt; die meisten Menschen sagen: er ist richtig, aber sie
-unterbinden sich damit das Herz, kriegen scheele Augen, puddeln sich
-darüber ins Grab und haben ihr Leben zuletzt doch um das bißchen Himmel
-betrogen.
-
-Doris Rinkhaus schob die Staffelei und den Stuhl in den Winkel -- es
-war weiter nichts da, das sie am Auffahren ihres Geschützes hinderte.
-Jockele suchte einen Stützpunkt und wählte sich dazu den Stuhl. Sie
-wollte gleich ein richtiges Maschinengewehrfeuer auf ihn eröffnen, da
-befiel sie ein letztes Mitleid -- »Mensch, sind Sie krank?« fragte sie.
-
-»Ja,« sagte er, »sehr! Ich habe kein Geld und habe seit drei Tagen
-eigentlich nichts mehr gegessen.«
-
-»Was fällt Ihnen ein, -- sehen Sie denn nicht, daß Sie mich damit
-einfach entwaffnen?«
-
-»Das einzige Gute an diesem verzweifelten Zustande!« sagte
-Jockele. »Sehen Sie, ich habe mein Portemonnaie vor ein paar Tagen
-auseinandergezogen und in die alte Vase gesteckt, als Blume der
-Erinnerung an schöne Zeiten.«
-
-Er trug vom Fensterbrett nebenan die Vase herüber, die er in einem
-Winkel des Schuppens gefunden hatte, und darin steckte die zerknüllte
-Geldtasche und machte eine schmerzensreiche Verbeugung vor Doris
-Rinkhaus. Die hatte über Jockele im besonderen und über die schiefe
-Stellung zum Leben reden wollen, in die er hineintrieb -- nun aber
-sprach sie über die Männer im allgemeinen und teilte sie ein in Helden,
-Dummköpfe und Kinder. Die Helden kämen hier gar nicht in Frage;
-denn sie wüchsen spärlich wie Mohn im Winter. Die Dummköpfe müßten
-ausgeschaltet werden, weil sie in Riesenauflagen erschienen und von der
-fixen Idee befallen seien, sie wären als würdige Vertreter des starken
-Geschlechts in die Weltregierung eingesetzt und wären so etwas wie die
-Staatsminister des lieben Gottes. Und die dritte Sorte: die Kinder
--- aus denen in allen Fällen etwas würde, wenn sie beizeiten einer
-gescheiten Frau in die Hände fielen ...
-
-Jockele bekam eine Anwandlung verzweifelten Humors und sagte: »Darüber
-müssen Sie mal einen öffentlichen Vortrag halten.«
-
-Da merkte sie, daß sie sich nun doch mäßig aneinander erbost hatten,
-und fragte ihn, wie es käme, daß sie nur zwei Jahre älter und dennoch
-um ein Menschenalter gescheiter wäre als er?
-
-»Das ist wohl so etwas wie Notreife, die ich als peinliche Tatsache
-empfinde, bis ich wieder Geld habe,« sagte er.
-
-»So kann ich bis dahin auch nicht mit Ihnen kämpfen! -- Sie müssen also
-heute an Tante Veronika schreiben, ich bringe Ihnen Briefpapier und
-eine Marke.«
-
-»Fällt mir ja gar nicht ein,« sagte Jockele, »denken Sie, ich mache
-mich auch dort lächerlich?«
-
-Hinter diese Rede setzte Doris Rinkhaus ein Ausrufezeichen; sie ließ es
-ihn aber nicht merken.
-
-»Es muß doch irgendetwas geschehen!«
-
-»Natürlich -- ich hungre die zwanzig Tage, und wenn es nicht mehr geht,
-fresse ich Gras.«
-
-Da machte sie wieder ein Ausrufezeichen.
-
-Sie dachte nicht, daß es bei dieser stumpfen Härte einen Zweck hätte,
-aber sie sagte dennoch: »Sie gehen augenblicklich mit zu mir hinüber
-und essen sich satt! Ich lade Sie für jeden Tag dieses Monats zu Mittag
-und Abend -- zwischendurch gibt es nichts!«
-
-»Diese Güte beschämt mich, Fräulein Rinkhaus! Aber es wird sich nicht
-anders machen lassen. Ein Trost ist, daß es zwischendurch nichts gibt,
-sonst würde ich für meine Eselei ja gar nicht gestraft werden.«
-
-Doris Rinkhaus lachte hell auf, und er gab sich der klaren
-Ueberlegenheit ihres leuchtenden Frauentums mit ganzer Seele hin. Maria
-Reh war schon seit drei Tagen in ihre westfälische Heimat gereist und
-blieb über Pfingsten fort.
-
-Als er gegessen hatte, fragte er: »Warum reisen Sie nicht auch?«
-
-»Trotz!« sagte sie. »Wenn wir uns besser kennen, erzähl' ich Ihnen
-diese Geschichte. Ich bleibe dies ganze Jahr hier.«
-
-»Auch ich kann ja nicht nach Hause gehen,« sagte er. »Ich muß erst
-weiter abrücken von den Dingen und Menschen, die dort um mich gewesen
-sind, seit ich vor der Tür aufgelesen wurde. Ich bin zwar fast immer
-allein geblieben, aber ich kenne diese Gesichter von Ibenheim zu gut,
-und ich kann Augen nicht leiden, die so an mir herumnagen.«
-
-»Augen, die an einem herumnagen ...,« wiederholte sie nachdenklich,
--- »jawohl, das ist das richtige Wort dafür; jener Herr Fridolin
-Hartwig hat auch solche Augen. Vielleicht nur Frauen gegenüber ... Es
-gibt viele Männer, die uns auf diese Weise anfallen, und kommen sich
-dabei wohl auch tapfer vor.« Da merkte sie, daß sie damit auf ein Feld
-geraten war, auf dem die Jugend Jockeles noch nicht säete. Sie dachte
-auch, vielleicht wäre sie darin von zu großer Empfindlichkeit; denn
-Maria Reh hatte ihr einmal gesagt: »Du bäumst Dich da vor Dingen auf,
-die gar nicht so widerlich sind.« -- Nun ja, Maria Reh, mit ihrem
-sachte rinnenden Blute und ihrer Hochsommerruhe! Maria Reh stand nicht
-mehr weit von der Schwelle der Dreißig.
-
-»Es ist merkwürdig, daß Maria nirgend rechten Anschluß findet,«
-sagte sie dann, »sie hat hundert Bekannte und keinen Freund oder
-keine Freundin. So ist es auch mit ihrer Kunst -- sie malt tausend
-Landschaften und kein Bild. Und so sind sie fast alle, diese
-›Malerinnen‹; sie hungern nach Betätigung und werden doch nie satt
-an einer Sache, zu der sie von ihrem Geschmack, aber nicht von einem
-gewaltigen Willen und überzeugendem Talente geführt worden sind. Nun
-halten sie zwar erträglich damit Haus, aber sie finden sich darüber
-doch nicht zu einem Glücke des Lebens.«
-
-»Und doch reden sie alle ganz anders,« sagte Jakobus.
-
-»Reden! Natürlich reden sie; sie sind begriffen auf einer fortwährenden
-Selbstentschuldigung, oder nicht einmal das -- sondern sie sind froh,
-daß sie ihr Leben wenigstens ohne die Langweile vertändeln können, die
-sie -- sind sie Frauen -- auch zu physischem Ruin führen.«
-
-Jakobus merkte: es waren in diesem Mädchen ganz andere Kräfte lebendig,
-es war ein Licht in ihr in einer fast wilden, unbändigen Helligkeit,
-das nun in ihn hineinstürmte.
-
-»Es hat noch niemand so mit mir gesprochen,« sagte er.
-
-»Mit mir auch nicht!« lachte sie -- »sonst wär' ich nicht so querköpfig
-geworden. Querköpfig daheim und querköpfig unter den Menschen. Ich ecke
-an, wo ich mich sehen lasse.«
-
-»Mit Ihrer Kunst auch?« fragte Jockele.
-
-»Ach Unsinn -- oder besser: leider nein; denn was ich schaffe, schaff
-ich für mich, zu einem Mehr reicht's nicht aus.«
-
-»Und sind mit solcher Erkenntnis Kunstgewerblerin geworden?«
-
-»Nein, lieber Jakobus Sinsheimer! Ich bin nur dazu gegangen, damit
-ich aus Verhältnissen herauskam, die mich in ein paar Jahren auch um
-das betrogen hätten, was mich heute noch apart -- oder sagen Sie: so
-fröhlich eigenwillig macht. Mein alter Herr ist Fabrikbesitzer in
-Bonn, er ist ein reicher Mann -- na, was soll ich Ihnen sagen: da
-fliegen die heiratslustigen jungen Männer ins Haus, daß es eine Art
-hat! Natürlich -- ich will heiraten -- aber +ich+ will heiraten ... Sie
-verstehen ja davon nichts! Sehen Sie, wenn es nach mir gegangen wäre,
-hätt' ich studiert -- Kunstgeschichte meinetwegen oder Germanistik,
-oder auch Staatswissenschaften, und hätte promoviert -- aus purem
-Eigenwillen, wissen Sie. Aber dazu fehlen mir die Zeugnisse. Und so in
-die Vorlesungen laufen, ohne das Ziel eines Abschlusses mit dem ~Dr.
-phil.~, ist ganz und gar nicht nach meinem Geschmack. Da hab ich mich
-nach Weimar gesetzt. Ich liebe diese Stadt, sie ist voll berauschenden
-Lebens -- die meisten laufen daran vorbei mit ihren müßigen Seelen
-und schwätzen von dem ›Odem einer großen Vergangenheit‹, unter dem ihr
-kärgliche Licht manchmal ein bißchen ins Wackeln kommt. Ich bin hier,
-weil ich mir hier selbst gehöre! Alles andere ist Nebensache, und den
-Titel einer angehenden Künstlerin verbitt' ich mir ein für allemal
-... Das war eine lange Rede. Ich hätte sie Ihnen erst halten sollen,
-wenn Sie mal Weltschmerz haben -- vielleicht hätte ich Sie dann wieder
-aufgebaut. Na, Hunger und Weltschmerz sind ja wohl Geschwister. Heut
-abend um sieben kommen Sie zum Nachtmahl. Und nun fangen Sie wieder an
-zu arbeiten. Adieu.«
-
-Sie nahm eine Kunstgeschichte vom Regal, setzte sich vor den Tisch am
-Fenster, und Jockele ging hinüber in seinen Malraum; er ging wortlos
-und dachte, was das mit ihm wäre? Er hatte dem weichen Frauentum Maria
-Rehs gegenüber vor einem Jahre die gleiche Willfährigkeit gezeigt wie
-jetzt dieser leuchtenden Mädchenjugend. Es waren Schauer wollüstiger
-Ergebenheit, zu beiden Malen, die ihn ganz untergehen ließen in der
-anderen Art -- dort ein weiches frauliches Hinnehmen, das hatte sanfte
-Hände, denen er sich einst mit geschlossenen Augen ergab ... und diese
-schöne klare Doris Rinkhaus kam über ihn als ein jauchzender Sieg.
-
-Es war eine Sache, die ihm wohl eines Gedankens wert schien, aber
-er zerbrach sich nicht den Kopf, weder darüber, ob es so in Ordnung
-sei, noch darüber, ob es daher käme, daß er vom ersten Tage ab nur
-Frauen um sich gehabt hatte. Auch was in seiner Stellung zum Leben
-und zu seinem Schaffen etwa auf Rechnung dieser Erziehung zu setzen
-wäre, fiel ihm nicht ein, zu erwägen -- für jeden Menschen ist der
-Weg siebenmal um die Erde viel kürzer als der in sein eigen Herz. Und
-zwischen diesem Herzen und den Augen, die ihm am nächsten sind, liegt
-neunfältige Nacht. Die Tür zu dem Herzen aber ist so fest zu, daß ein
-großes Glück, welches mit Leichtigkeit den Himmel samt allen Sternen in
-die Arme schließt, kaum mehr an ihr vermag, als durch das Schlüsselloch
-zu gucken, ob es dahinter auch wirklich hell ist. Ein großes Leid aber
-bescheidet sich nicht mit dem Schlüsselloch -- ein großes Leid tritt
-die Tür ein; denn es hat eiserne Füße und Fäuste von Stein.
-
-Auf derlei Gleichnisse verfiel Jockele aber nicht. Und das war gut;
-sonst hätte seine Jugend ausgesehen wie einer, der in Kniehosen
-und hohem Glanzhut durch die Welt läuft. -- Er steckte noch bis
-über die Ohren in der landläufigen Weisheit, daß der Mensch zum
-Arbeiten da sei -- eine Sache, die auch der vor seinen Mitmenschen
-als selbstverständlich anzusehen hat, der da weiß: das ganze
-Menschengeschlecht wird erst dann in die sehnsüchtig erträumte
-Gotteskindschaft hineinwachsen, wenn ihm Arbeit und Leben eine
-fröhliche Gemeinsamkeit geworden sind.
-
-Tante Veronika hatte sich mit dieser Ansicht so viel Himmel erobert,
-als sich denken läßt; aber wie sie ihre Weisheit dem Jungen beibringen
-sollte, ohne die heillosesten Verwirrungen in ihm anzurichten, das war
-ihr dunkel geblieben. Darum hatte sie niemals an diese Dinge gerührt.
-
-Von den jungen Männern, die Jakobus kennen gelernt, erweckte keiner
-den Wunsch nach engerem Zusammenschlusse in ihm -- ein Erbe aus dem
-Frühlingshause; und an die älteren unter den Akademikern, die schon
-nahe daran waren, etwas zu sein, hatte ihm die Gelegenheit gefehlt,
-heranzukommen. Er arbeitete in diesem Sommer mit immer wachsender
-Zähigkeit. Ein über das andere Mal ging ihm das Vertrauen zu sich
-selbst in Scherben; dann mußten ihn die Damen aus dem Gartenhause
-wieder zusammensuchen. Aber raten konnten sie ihm nicht; denn Doris
-Rinkhaus stand diesen Erscheinungen fremd gegenüber, und in Maria Reh
-traten sie zutage als Verstimmungen leichterer Art; sie hatte sich
-schon bescheiden gelernt, als sie mit dem Pinsel an ihre erste Leinwand
-geriet.
-
-In solchen Zeiten war Jakobus Sinsheimer für Gott und die Welt
-verloren, und Doris Rinkhaus allein durfte es unter Beobachtung aller
-Vorsicht wagen, ihm über den Weg zu laufen. »Sie sind selbst da noch
-ein ganz passabler Mensch,« sagte sie und hielt still, wenn ihn einmal
-ein blitzeschleuderndes Gewitter durchtobte. Maria Reh aber wurde
-bei solchen Gelegenheiten stets drei Tage unsichtbar für ihn und
-ließ sich nur langsam wieder finden. Er hielt auch diese Entladungen
-für ganz in der Ordnung und wurde in seiner Annahme bestärkt, als er
-einem Zusammenstoße zwischen Maria und Doris beigewohnt hatte, in dem
-Fräulein Rinkhaus seine Partei ergriff: »In einem jungen Manne, der
-so allein steht und sich seine Stellung in der Welt zu erkämpfen hat,
-sammelt sich allerlei Zündstoff -- wo will er denn hin damit?« sagte
-Doris Rinkhaus. Aber Maria Reh redete von ungezogenen Stunden. Sie
-hatte sich über manche geheiligte Form und Regel des Kleinbürgertum
-hinweggesetzt, aber sie war doch ohne jene königliche Beschwingtheit
-der Seele, die der anderen ihren leuchtenden und freien Flug sicherte.
-So stand Jakobus zwischen den beiden Mädchen, deren gegensätzliche Art
-den friedlichen Verein der Drei niemals ernstlich in Gefahr brachte
--- das Barometer maß Tief und Hoch und zeigte so häufig himmelblaue
-Beständigkeit, als sie von Menschenherzen ohne Schaden ertragen werden
-kann. Der Wetterwechsel war nicht immer willkommen, aber man schlug
-seinetwegen den lieben Gott nicht tot.
-
-Dies ganze Jahr war für Jakobus Sinsheimer Kampf, aber es war nirgend
-Sieg.
-
-Hinter dem kleinen Hause lag ein Gartenwinkel mit Fruchtbäumen, der
-nach zwei Seiten durch die Gebäude, nach den anderen beiden durch
-Hecken und Zäune begrenzt wurde, und hinter der einen Hecke erhob sich
-der Wall mit den herrlichen alten Kastanien. Von dort her durch die
-Schlüpfe betrat Fridolin Hartwig den Apfelgarten während des Sommers
-häufig. Er kam immer mit dem leisen Tritt und der tiefen Ruhe des auf
-ein schönes inneres Gleichmaß gestimmten Menschen und erzählte von
-einigen Verlagshäusern, von denen er reichliche Einnahmen beziehe.
-Er war auch nie aufdringlich, suchte sich einen Platz in dem sachte
-durchsonnten Grase nahe der Staffelei Jockeles, redete dabei von nicht
-allzu tiefen und nicht allzu gleichgültigen Dingen und lebte sich
-durch die grüne Sommerstille als ein Mann, der auf Gedanken zu einem
-tüchtigen Werke wartet. Manchmal sprach er mit Respekt von sich selber,
-oder er brachte seinem jungen Freunde das Heft einer Zeitschrift, in
-der sich ein Artikel oder die Fortsetzung eines Romans aus seiner Feder
-befand, dann sagte er: »Das müssen Sie lesen.« -- Wenn es geschah,
-daß Doris Rinkhaus in dem schlichten blauen Morgenkleide aus dem
-jenseitigen Gartenteil in ihr Haus schlüpfte, befiel sein besinnliches
-Wesen eine Bestürzung, und er raffte sich zusammen wie einer, der eine
-Attacke reiten will. Er war ihr schon vorgestellt worden, aber Doris
-Rinkhaus hatte ihr Urteil über ihn nicht geändert; nun ließ sie sich
-zwar sehen, so oft er da war, aber sie setzte ihn auf einen stummen
-Gruß und wußte: ›die nagenden Augen‹ liefen hinter ihr her, bis der
-blaue Schein ihres Kleides darin verlöschte -- oder auch noch länger.
-
-Jockele begann dieses Verhalten zu belustigen. Einmal sagte Hartwig:
-»Sie, Herr Jockele, ich glaube, Fräulein Rinkhaus ist eifersüchtig auf
-mich, oder sie ist hochmütig.«
-
-»Sie ist keins von beiden,« sagte Jockele, »sie ist nur eigenwillig!«
-
-»Hat sie einmal mit Ihnen von mir gesprochen?«
-
-»Ja. Als Sie das erste Mal hier waren, seitdem nie wieder -- sie fragte
-damals die gleichgültigen Fragen. Aber das ist ja natürlich; denn wir
-drei gehören nun doch zusammen; jetzt sind wir aber nur zwei; Fräulein
-Reh kehrt erst im September zurück.«
-
-Der Anfang des Augustmonats war regnerisch, da besuchte Jakobus
-Fridolin Hartwig mehrmals; denn die Bilder, die im Sonnenschatten des
-Apfelgartens begonnen waren, konnten in dieser Zeit nicht gefördert
-werden. Einmal fiel ihm die Stille der Wohnung auf, und als er nach
-den drei Kindern fragte, sagte Hartwig: »Ich habe sie in ein Kloster
-gegeben. Ich arbeite zuviel, wissen Sie, und sie störten mich häufig.
-Außerdem konnten wir uns der Erziehung nicht in dem Maße widmen, das
-wir für wünschenswert hielten.«
-
-Als sie noch redeten, klopfte es an der Tür, und Hartwig ging hinaus.
-Er sprach da mit einem Manne, der sich nicht abweisen zu lassen
-schien, und kam nach geraumer Zeit herein und sagte: »Pardon, Herr
-Jockele -- haben Sie vielleicht sechzig Mark bei sich? Es ist mir eine
-Zahlung ausgeblieben. Ich erstatte Ihnen das Geld in den allernächsten
-Tagen zurück ... Nicht? Das ist peinlich! Sie ahnen nicht, mit
-welchen Widerwärtigkeiten ein ringender starker Geist zu kämpfen
-hat!« Dann ließ er den Gerichtsvollzieher eintreten, der im Auftrage
-des Buchhändlers die Pfändungsmarke an das eichene Regal mit der
-Prachtausgabe eines Konversationslexikons klebte. ... »Guten Morgen,
-Herr Hartwig.« -- »Guten Morgen, Herr Hucke --« Die beiden kannten
-sich offenbar schon von früher. Und da war die Sache geschehen.
-
-»Brauchten Sie denn zwei Lexika?« fragte Jockele. »Sie haben ja da noch
-den Herder.«
-
-»Ach, wissen Sie, der enthielt mir zu wenig bibliographische Angaben,
-und da hab' ich mir noch den Meyer zugelegt -- auf Raten, na, und die
-hab' ich ein paarmal vergessen ... das ist doch menschlich, nicht? Wer
-soll denn solche Lappalien immer im Kopfe behalten?« Hartwig reichte
-Jockele das Zigarettenetui: »Da,« sagte er, »setzen wir uns einen
-Dämpfer auf!«
-
-Aber Jakobus Sinsheimer war die Sache auf die Sprache gefallen -- --
-drei Kinder im Kloster, Gerichtsvollzieher, und dabei das großmännische
-Behaben ... Es war von diesen Gedanken und dem sachten Gruseln, das sie
-Jockele verursachten, nur ein Schritt bis zu Doris Rinkhaus. Er gab
-sich auch gar keine Mühe, Teilnahme zu heucheln oder sein Befremden zu
-verbergen, sondern verabschiedete sich und fiel wenige Minuten später
-in die Ecke des Sofas von Doris Rinkhaus.
-
-Es war für ihn ein ungeheures Erlebnis und brannte ihn, daß er
-übergekocht wäre. Aber das Rätsel Mensch war in dieser Stunde in einer
-so fremden Erscheinung vor ihn hingetreten, daß er sich nun vorkam wie
-in einem nächtlichen Walde. Vor der Ahnungslosigkeit, mit der er diesem
-Manne gegenübergestanden hatte, bäumten sich alle seine Sinne auf, und
-er begriff nicht, wie Doris Rinkhaus zu ihrer Hellsichtigkeit kam.
-Er berichtete mit einer Stimme aus verstürmtem Herzen, und Fräulein
-Rinkhaus lehnte in ihrem Stuhle wie eine Siegerin und sagte:
-
-»Was wollen Sie, er ist einer von vielen!«
-
-In der Woche danach, als von allen Bäumen wieder die goldenen Flaggen
-des hohen Sommers wehten, malte Jockele im Apfelgarten. Rings lag
-bienendurchsummtes Mittagslicht voll Traum und Stille. Da klangen
-Frauenstimmen auf dem breiten Wege, der von dem eisernen Tore herläuft
--- und der Pinsel, der das Grün der Baumkronen so besinnlich vor den
-Himmel auf die Leinwand tupfte, blieb plötzlich auf halbem Wege stehen
-... »Na!« -- Dann ging Jockele bis an die Hausecke und lugte durch die
-goldgrüne Stille. Wahrhaftig, da wandelte Tante Veronika neben dem
-blauen Morgenkleide den breiten Weg unter den Kastanien daher -- den
-Kapotthut auf dem weißen Haare, die violetten Seidenbänder unter dem
-Kinne leicht verschlungen. Der schwarze Spitzenumhang fiel so zier um
-die kleine feine Person, und die schritt so klar und sauber daher wie
-ihre Sprache; der gelbe Krückstock stabte immer eine Spanne vor ihrem
-rechten Fuße -- das kam alles stracks heraus aus einer anderen Zeit, es
-flog ein sachter Lavendelduft darum, und war doch gar nicht altmodisch.
-
-In der Linken die Palette, in der Rechten den Pinsel, und den ein
-wenig verdrückten Panama weit ins Genick geschoben, so lief er den
-Damen entgegen und wagte bei Tante Veronika eine Umarmung, die er in
-gefälligerer Form zu wiederholen versicherte, wenn er das Malzeug los
-wäre.
-
-»Na!« dachte auch Tante Veronika, als die Sonne dieser freien Augen
-über sie fiel. Aber wenn sie sich nichts merken lassen wollte, war sie
-undurchsichtig wie ein Dachziegel. Und jetzt +wollte+ sie sich nichts
-merken lassen.
-
-Doris Rinkhaus beteuerte: als das große Tor vor Tante Veronika
-aufgegangen wäre, hätte sie sie schon erkannt. Sie hatte im Liegestuhl
-unter den Bäumen eine Geschichte von Fridolin Hartwig gelesen --
-die sie überdies nicht im mindesten berührt hatte --, da war das
-alte Fräulein an der Treppe des Herrenhauses vorübergeschritten, und
-der Gedanke war ihr voraufgelaufen: dort hinten, wo die Bäume das
-flitternde Gold herniederschütteten, dort müßte es sein! Da flatterte
-ihr das blaue Kleid schon entgegen ... »Ich werde Sie doch kennen --
-sind Sie denn nicht jeden Tag einmal mitten unter uns?«
-
-Aber Tante Veronika wartete mit allem ein bißchen, was sie sagte.
-
-Doris Rinkhaus dachte: »So machen es die alten Damen alle.« Und Jockele
-meinte: er müßte wohl einen Schritt zurücktreten und sie einmal
-ordentlich ins Auge fassen; denn Tante Veronika schien ihm nicht mehr
-ganz richtig zu gehen.
-
-Vor dem Hause blieb das blaue Kleid stehen und sagte: »Es ist nicht
-sehr wohnlich in der Werkstatt Jockeles -- bitte, treten Sie bei mir
-ein, wenn Sie sich ausruhen wollen; ich werde indes an eine Erfrischung
-denken.« Und als sie dann durch das Häuschen gingen, lächerte es
-Fräulein Sinsheimer ein wenig -- »Ich wußte schon seit Deinem ersten
-Brief alles auswendig,« sagte sie; »ich wußte auch, daß diese Studien
-unten an den Wänden liegen und daß etliche so herumhängen.« Da gestand
-er ihr, daß ihm die Hobelbank aus der Gartenhütte fehle, und daß er
-manchmal eine heiße Sehnsucht nach dem ›Laboratorium‹ habe. Tante
-Veronika sagte: »Wenn Du nach allem noch länger hier bleiben willst,
-läßt sich das ja wohl auch machen ...«
-
-Es guckte aus diesen Worten schon wieder das Warten; sie sah ihm dabei
-ins Herz, aber sie fand keinen Schatten. Da fing sie in Gedanken gleich
-an einzurichten -- hier könnte ein Tisch stehen, da die Hobelbank doch
-besser im Gartenhause bliebe, und hier ein Schrank und ein Regal; dazu
-nähmen sie vielleicht das aus der oberen Giebelstube. ... Die ganze
-Freude, die in der Sorge um den Jungen das späte Glück ihres Lebens
-geworden war, hatte wieder ihre himmelseligen Schwingen bekommen. Dann
-faßte sie Jockele unter, wählte noch drei Studien aus, die sie sehen
-sollte, und führte sie hinüber zu Fräulein Rinkhaus. Vor der Türe wurde
-ihre Stimme noch einmal vorsichtig: »Kann man denn vor dem Fräulein
-alles reden, was Dich angeht?«
-
-»Alles!« lachte Jockele aus seinem sommerhellen Gewissen heraus. Und
-als Tante Veronika in der sicheren Sofaecke die Lippen mit einem
-Himbeerwasser angefeuchtet hatte, ritt sie geradeaus zur Attacke.
-
-»Es ist gar nichts in Dir in Unordnung geraten?« fragte sie. Da sah sie
-in zwei Paar erstaunte junge Augen. »Und Du hast auch keinen Boten zu
-mir gesandt, der mir etwas ausrichten sollte?«
-
-»Boten? Ich? Nein! Womit denn?«
-
-»Nun, eben mit jener Nachricht, daß man über ein paar Verschiebungen
-leicht wieder ins Gleichgewicht kommen könnte -- mehr als hundert Mark
-seien dazu nicht nötig ...«
-
-»Ja, aber liebe Tante Veronika!! Du redest da immer an etwas herum --
-siehst Du denn nicht, daß Du uns beide peinigst?«
-
-»Verstehen +Sie+ mich, Fräulein Rinkhaus?«
-
-»Auch ich nicht!« sagte Doris, und ihre Augen richteten sich starr und
-weit offen auf die alte Dame.
-
-»Mein guter Junge,« sagte die und geriet ganz nahe ans Lachen, »es
-scheint, die alte Tante Veronika ist wieder einmal sehr klug gewesen!«
-Sie begann, die crèmefarbenen Glacéhandschuhe abzustreifen. -- »Ich
-sehe, Sie haben alle beide keine Ahnung! So lassen Sie mich also
-erzählen -- doch halt: noch eine Frage: Hast Du mich für heute nicht
-erwartet?«
-
-»Nicht einmal im Traum wäre mir das eingefallen!«
-
-Tante Veronika war nun mitten darin in ihrer lachenden Genugtuung:
-»Und ich dachte, das Fräulein Rinkhaus hätte mich da vorn in Empfang
-genommen, weil meinem Jungen am Gerichtstag das Herz ein wenig ins
-Rutschen gekommen wäre! Nun, es wird ja gleich Tag werden! Es ist da
-vorgestern ein Herr in Ibenheim erschienen, mit blondem Vollbart und
-goldener Brille; er schickte seine Karte herein, und ich habe eine
-Stunde mit ihm geplaudert, die noch netter gewesen wäre, wenn er nicht
-zuletzt mit der Nachricht aufgewartet hätte, es wäre Dir mit Deinem
-Geld ein kleines Malheur passiert ... ein paar Schulden ...«
-
-So erzählte sie. Und dann hatte sich der Herr angeboten, den jungen
-Mann zu rangieren, und Tante Veronika solle ihm nur gleich die hundert
-Mark mitgeben ... Das hatte sie ihm aber verweigert und war nun selbst
-gekommen, zu sehen, wie es um ihren Jungen stand.
-
-So hatte sich Fridolin Hartwig einen Weg gesucht, den Zehrpfennig für
-eine letzte Sommerfahrt zu erlangen, die ihn bis an die Pforte des
-Vergessens führen sollte! Er hatte das Vertrauen der alten Dame zu dem
-Jungen als Spieleinsatz darangewagt, und hatte sich nicht gescheut,
-sich diesen sträflichen Abgang aus dem Leben zu sichern, mit dem er
-niemals fertig geworden war; denn am Tage darauf, während Veronika
-schon längst wieder in ihrem Waldhäuslein saß, stürmte Doris Rinkhaus
-auf die Malwiese Jockeles und stieß einen Indianerschrei aus -- Herr
-Fridolin Hartwig wäre verschwunden und hätte seiner Frau einen Brief
-zurückgelassen, darin stand:
-
-»Ich bin des aussichtslosen Kampfes mit der Welt müde -- in der Stille
-eines Klosters hoffe ich Rast und Sühne zu finden.«
-
-Jockele besann sich in seiner Bestürzung auf kein Wort, das er ihr
-sagen sollte. Er legte sein Malzeug ins Gras und ging in das kleine
-Haus, das noch ganz voll war von dem hellen Scheine, den Tante Veronika
-gestern hindurchgeschienen hatte. Er setzte sich auf den Stuhl wie ein
-Reiter in den Sattel, kreuzte die Arme über der Lehne und legte das
-Kinn darauf. Er machte sich schwere Bedenken über die Menschen, mit
-denen er in diesen Monaten zusammengetroffen war. Darüber wurde es ganz
-finster in ihm, und in der Finsternis standen zwei sehr helle Sterne,
-die hießen Veronika und Doris; und es glimmten noch zwei kleinere in
-weiter Ferne herauf: das Zinzilein und Matthias Prinz.
-
-Zum ersten Male kam ihm der Gedanke, der heimliche Friede des
-Frühlingshauses könnte daran schuld sein, und sein Leben wäre zu weit
-abgerückt gewesen von dem der anderen. Er saß eine Stunde und sann sich
-brunnentief in den Gedanken: er wäre wohl ein Mensch, der nicht zu
-anderen paßte; denn in Doris Rinkhaus war über der wilden Geschichte
-mit Hartwig nicht eine einzige Kerze verlöscht von den vielen, die in
-ihr leuchteten. Und in ihm sah es aus, als wäre er in ein Burgverließ
-gestoßen worden.
-
-Da ging er wieder hinaus und nahm sein Malzeug auf und setzte einen
-Farbenfleck neben den andern. Aber es kam nichts zustande; denn seine
-Gedanken flogen umher wie Tauben, die sich nicht mehr zu ihrem Schlage
-finden.
-
-Doris Rinkhaus kam, und er sagte zu ihr: »Es ist eine verrückte Sache,
-und ich bin darüber ganz von mir selber gekommen. Haben Sie Lust? Ich
-möchte mit Ihnen in die Welt laufen -- vielleicht entdecke ich da den
-Jockele Sinsheimer in irgendeinem Waldwinkel; denn der jetzt mit Ihnen
-redet, heißt etwa Emil Meyer.«
-
-Da machten sie sich fertig und gingen durch die Pforte im Zaun über
-die Raine und kamen in den Kastanienwald, der an der Viehleite nach
-Oberweimar liegt.
-
-»Warum sind wir eigentlich noch nie so miteinander gegangen?« fragte
-er. »Es sind doch Ferien, und es ist Sommer in der Welt.«
-
-»Weil Sie immer fleißig gewesen sind und auch gar keine Wünsche hatten.«
-
-»Es ist richtig -- ich habe kaum gemerkt, daß ich bis zum Rande voll
-Glück war. Aber durch die mancherlei Erlebnisse ist darüber vieles in
-den Sand geronnen.«
-
-»Oder Sie waren von unnahbarer Unzufriedenheit; dann haben Sie
-menschenfresserische Gelüste. Aber die soll man Ihnen gern lassen; denn
-auch damit hat es bei Ihnen seine Richtigkeit!« neckte Doris Rinkhaus.
-
-So stiegen sie hinein in späte Aehrenfelder und Sommerlicht, und
-dieser Tag ward ein Meilenstein am Weg ihres Lebens, und sie wußten
-es nicht. Doris Rinkhaus hatte gedacht: »Ich will ihm alle Schatten
-hinweglachen,« aber nun, da sie erkannte, daß er in eifriger Arbeit an
-sich selber war, blieb sie bei ihm, wie er sie haben wollte. Einmal
-schritten sie zwischen hohem Hafer; es war ganz still, nur der
-Sang einer Sommerlerche war noch da und sehr viel Sonne. Da lachte
-Doris Rinkhaus und sagte: »Ich dachte daran, daß junge Männer in der
-Regel neben jungen Mädchen herlaufen wie Hunde, die ihnen die Zeit
-vertreiben; es sieht aus, als wollten sie immer etwas apportieren, was
-ihnen die Laune auf den Weg wirft; dann werden sie müde aneinander und
-langweilen sich heimwärts.« Sie wanderten danach ein Stück durch das
-Wäldchen, das das Webicht heißt -- »Hoffmann von Fallersleben hat in
-den Erinnerungen aus seinem Leben manches hübsche dichterische Bild aus
-diesem Walde aufbewahrt,« sagte sie, »es müssen zu jener Zeit hier noch
-Schneeglöckchen gewachsen sein; denn er sagt einmal: ›Diese sprossenden
-Frühlingskinder strecken im Webicht dem besiegten Winter schon die
-Zünglein heraus.‹ Und Musäus hat auf seinen Gängen hier Märchen blühen
-sehen ...«
-
-»Das wissen Sie alles?«
-
-»Hm,« sagte sie, »ich bin in diesen zwei Jahren ja fast stets allein
-mit mir selber gewesen, da hab' ich mir dann immer einen Dichter zur
-Begleitung gebeten.«
-
-»Und wollen Sie nun alle diese Schätze für mich aufbauen?«
-
-»Wenn es Ihnen Vergnügen macht, so oft und so viel Sie wollen.«
-
-Sie kamen nach Tiefurt und gingen durch das alte Schloß, das einst ein
-Bauernhaus gewesen ist, und gelangten in schauerndem Erleben hinein in
-die Tage, da sich in diesen Räumen der Teekreis mit Goethe, Herder
-und Wieland, mit Anna Amalia, der Göchhausen und Corona Schröter
-bildete, der zu einem Zauberringe geworden ist, in dem Lust, Genie und
-Freundschaft vermoderter Zeiten neu werden jedem sehenden Auge und sich
-hinüberleben aus einem Jahrhundert in das andere.
-
-Es war um diese Mittagszeit niemand auf den Wegen des Parks, auf denen
-sonst die Allzuvielen dahinwandeln in der Ahnungslosigkeit ihres
-Schauens und meinen, was sie mit ihren Augen sehen, das wäre es. Aber
-Weimar -- das Unsichtbare -- ist tiefe, tiefe Ewigkeit, und Ewigkeit
-ist lebendig, und darum ist Weimar die Seele Deutschlands. Vielleicht
-ist es die Seele der Welt.
-
-»Ich bin einmal durchgelaufen, wie die Neugier hier durchläuft,« sagte
-Jakobus, »und ich habe damals einige Scherze Goethes gesehen, wie sie
-die Neugier sich ansieht.«
-
-»Dachten Sie dabei nicht, was es wäre, das selbst diese Scherze auf die
-Schwelle der Unsterblichkeit versetzt hat?« fragte sie.
-
-»Nein,« sagte er, »ich hatte damals noch nicht gelernt, vor dem Ewigen
-zu erschauern; denn ich dachte, es gäbe keine Rede, die nicht mit den
-Ohren zu hören wäre. Aber vorhin, als ich Sie ganz vergessen hatte,
-wie wir so zwischen dem kleinen Gartentempel der Anna Amalia und dem
-Ufer der Ilm dahinschritten -- vorhin hab' ich einer Aufführung der
-›Fischerin‹ beigewohnt -- ich danke Ihnen viele tausend Mal, Fräulein
-Rinkhaus!«
-
-Da machte sie wieder ihre Siegeraugen und sagte: »Kommen Sie, jetzt
-müssen wir zu Tisch.« Sie waren auch da allein und so voll freudiger
-Weihe, daß Doris Rinkhaus den Platz mit ihm wechselte. »Sie müssen in
-den Gutshof gucken,« sagte sie, »sonst kommen Sie mir abhanden. -- So
-haben Sie heute also doch noch den Namen Goethes leuchten sehen, den
-der Genius an jenem Abend in die Wolken schrieb und um den Minerva
-ihre Kränze flocht -- ob man damals ahnte, daß er für Deutschland ein
-Flammenzeichen würde? Es war ein Spiel und hieß ›Minervens Geburt,
-Leben und Taten‹. -- Seckendorff hatte Reime und Musik geschrieben
-und Karl August stellte den Vulkan dar.« Doris Rinkhaus sprach das
-alles von der Pforte der Unsterblichkeit herüber, das Herz leuchtete
-ihr dabei in die Augen. Aber so oft sie merkte, daß sie über ihn
-hinwegwuchs, pflanzte sie ein Wort fröhlichen Mutwillens daneben ...
-»Hätschelhans!« sagte sie jetzt -- »so hat die Herzogin Anna Amalia in
-einem Brief an seine Mutter Goethen genannt, als sie ihr berichtete,
-daß das Tiefurter Journal immer noch in Blüte stehe. Vielleicht ist ihr
-der Gedanke, es zu gründen, an dieser Stelle eingefallen ... Jawohl,
-Hätschelhans -- ich bin Ihnen nicht einmal diesen Schnipp mit Daumen
-und Zeigefinger schuldig, und tue doch gerade, als wär' ich dazu auf
-die Welt gekommen, Sie weise zu machen. Was gehen Sie mich eigentlich
-an? ... Hätschelhans ist eine feine Bezeichnung für Sie ... Erst das
-Fräulein Sinsheimer, dann das Zinzilein, dann die Doris Rinkhaus,
-dann ... und dann ... na, und dann ... Die Gurke ist einfach erhaben
-die müssen Sie probieren!« Dabei schaute sie sich aber schon wieder in
-ihr Herz: »Vielleicht bin ich Ihnen doch etwas schuldig geworden,« und
-legte gleich einen neuen Pfeil auf, den wollte sie verschießen, wenn er
-sich einfallen ließ, zu fragen, was das heißen solle. Aber er fragte
-nicht, sondern sagte: »Wohin gehen wir morgen?« -- »Auf die Entdeckung
-Weimars!« lachte sie. Und weil sie nun lustig waren, sagte er: »Mit
-Ihnen wag' ich mich auch nach Ibenheim.«
-
-Abends saß er allein auf der Wildenbruchbank, die am Ende des Walles
-vom alten Schießstande steht, und sah den Tag über dem Silberblick
-in sein blutrotes Sterben sinken und erkannte, daß er das nun ganz
-anders sah als damals, da er mit seiner neuentdeckten Seele aus dem
-›Laboratorium‹ in die Gefilde Walhalls flog. Da wuchtete, meermäßig,
-aber unverstürmt, eine korpulente Dame den Wall daher, den Panama
-romantisch aufgestülpt ... »Die sieht stets aus, als regnete es,«
-dachte er und lachte so in sich hinein; denn es fiel ihm ein, daß er
-sich bei ihrem Anblick immer auf dem gleichen Gedanken ertappte. Er
-kannte sie nicht. Sie redete mit ihm, und ihre Stimme und ihre Worte
-waren auf einem behaglichen Selbstbewußtsein erbaut ... »Was wissen Sie
-von Wildenbruch?« fragte sie im Laufe der Unterhaltung. Diese Frage
-fiel ihn ein bißchen an, aber er hatte eine Erleuchtung und sagte: »Daß
-er dem deutschen Volke zwanzig Jahre zu früh gestorben ist.«
-
-Diesen langen Sommertag hindurch hatte das Leben an ihm herumgefragt
--- zuerst: Was wissen Sie von den Menschen? Was wissen Sie von Goethe,
-Herder, Wieland, was von Weimar und was von Wildenbruch? Er ging noch
-einmal unter den Fenstern des Gartenhauses vorüber, zu sehen, ob Do
-noch in der Weinlaube säße. Da rief sie von oben: »Was treiben Sie denn
-da, Jo?« -- »Ich ästimiere mein Gehirn für die Wüste Sahara,« sagte
-er. -- »Da suchen Sie gleich mal nach einer Oase!« -- »Die einzige,
-die da ist, hab' ich schon gefunden,« sagte er aus unverhohlener
-Bitternis, »sie ist voll von Versteinerungen, Kräutern, Moosen und
-Schmetterlingen, wie sie in Ibenheim im Thüringer Walde wachsen. Aber
-lassen Sie mir doch eine Kerze und ein Stück Wildenbruch an einem Faden
-herunter -- ich will mich bilden!«
-
-Nicht lange danach pendelte ein Pack durch die sammetweiche Dunkelheit,
-und Do's Augen leuchteten ihr Vergnügen darauf hernieder. »Es sind die
-Gedichte, und es ist die ›Rabensteinerin‹,« sagte sie. »Sie sollen
-nicht gleich in die Königsdramen springen, und die Romane dürfen Sie
-sich ganz schenken.« Weil der Faden nicht lang genug war und der Pack
-vor der Mitte des Fensters in neckische Schwingungen geriet, mußte
-Jockele ein paarmal danach springen. Da scherzte Doris Rinkhaus: »Sehen
-Sie, jetzt malen Sie nicht und haben doch eine Illustration geliefert:
-›Jakobus Sinsheimer und die deutsche Dichtung‹.«
-
-Sie hatten über dem Mittagsmahle von Tiefurt beschlossen, sich der
-Kürze halber Do und Jo zu nennen. Das Fenster ging wieder zu. Fräulein
-Rinkhaus ließ sich nie auf abendliche Gartengespräche mit ihm ein, und
-auf geflüstertes Fensterln nun mal gar nicht. Seit sie allein war,
-rückte sie mit Eintritt der Dämmerung für Jakobus in befremdende Fernen.
-
-Aber nun setzte er sich doch in Dos Weinlaube, träufelte Stearin
-auf die Tischplatte, stellt die Kerze hinein und las sich über der
-›Rabensteinerin‹ ein fliegendes Herz. Manchmal stolperte er und rückte
-mit dem Schnitt des Buches ganz dicht unter das Licht ... »Es liegen
-Feldsteine in dieser Sprache,« dachte er und wunderte sich über diese
-holprige Absichtlichkeit und konnte sie sich nicht erklären. Als er
-das Buch zugeklappt hatte, griff er nach den Gedichten -- es war nur
-noch ein winziger Stumpf Stearin da -- und fand das ›Hexenlied‹ und
-ließ die heißen leuchtenden Verse über sich kommen wie ein Gewitter,
-das auf dürstende Sommerwiesen fällt. Und wie ein Gebet. Er fühlte das
-Blut schäumen in seinen Adern und hielt den Band in den Händen, daß
-er in den Heften knarrte, und seine Sinne gerieten darüber in eine
-heilige Not. Er atmete über die Seiten wie heiße Nacht und las laut
-in die dunkelblaue Einsamkeit und wußte es nicht. Da fiel der Docht
-in den flüssigen Talg, und er ließ sich von der Benzinflamme seiner
-Feuermaschine leuchten.
-
-Doris Rinkhaus, die schon im Bett gewesen war, öffnete droben ganz
-leise das Fenster und hörte, daß er mit sich allein sprach. Dann
-versickerte auch das kleine Licht, da lief er in das Gras unter den
-Bäumen und wunderte sich, daß nun doch gar kein Sturm in den Kronen
-flog. Die Sterne hingen darin, und aus dem Herrenhause zog weich
-und sehnsüchtig das Spiel einer Geige. Er wußte von Do: es war eine
-Frauenhand, die diese Fülle klarer Schönheit aus den Saiten strich,
-und die silberne Exzellenz saß am Flügel und begleitete. Verspätete
-Leuchtkäfer zogen zwischen den klingenden Bändern der Geige ihre
-goldene Bahn.
-
-Als alles in dunkelblaue Finsternis versickert war, dachte er: »Ich
-weiß auch von Klavier und Geige nicht mehr, als daß sie da sind.
-Sahara! Sie sagen: die Zigeuner geigen sich aus dem Mutterleib hinein
-in ihr Leben, und ihr Herz ist ein Saitenspiel, das zu klingen beginnt,
-wenn man es in Wind oder Sonne stellt ... Warum hab ich nicht solch
-ein Herz? ... Oha,« lachte er ingrimmig -- »wenn das Mädchen Mali
-in der Sandkuhle zu singen anhub, da war es, als probiere sie einen
-Kieselstein auf einem Reibeisen, und das nannte sie dann Musik. Darüber
-ist alles, was in mir klingen konnte, zuschanden gesungen worden.«
-
-Auf einmal stand im Fenster des Gartenhauses ein Licht und war, als ob
-es ihn riefe.
-
-Da ging er hin. Aber der blaue Vorhang war fest geschlossen, es war der
-Schein einer Laterne, der sich durch die Hecke und das weite Dunkel des
-Gartens gefunden hatte und sich nun im Fenster brach.
-
-Es war aber ein wilder Wille in ihm, Doris Rinkhaus in dieser Stunde
-bei sich zu haben -- wenn sie jetzt da wäre, würde er ihr alle Türen
-seines Herzens aufreißen, und es müßten brausende Ströme von Gold über
-sie schießen ... Morgen früh? Ach, morgen früh ist das schöne wilde
-Feuer darnieder!
-
-Da lief er an den Schuppen, nahm die Leiter herab, und lehnte sie an
-die Mauer unter Dos Fenster und stieg empor. Das Feuerzeug raffte sich
-noch auf zu einem halbverlorenen Flämmlein -- er schrieb auf ein Stück
-Papier:
-
-»Do -- wenn Sie wüßten, wie ich brenne, Sie könnten nicht schlafen!
-Ich bin voll Licht wie blühende Kastanien im Frühling -- nein: ich bin
-voller Sterne wie die Sommernacht, der der Mond aus den Händen gefallen
-ist.«
-
-Dann steckte er den Zettel mit zwei Nadeln an den Rahmen, damit sie
-ihn lesen mußte, wenn sie morgens den Vorhang aufzog. Er kletterte die
-Leiter wieder hinab und wunderte sich, daß er nicht sprang.
-
-Früh war er aber doch noch voll nachzitternder Erinnerungen und kam
-sich nicht entfernt vor wie eine Brandstätte.
-
-Er hatte vor dem Gange mit Doris Rinkhaus noch ein paar Besorgungen in
-der Stadt machen wollen, und weil es ein Markttag war, war die Luft
-in der Nähe der Sternbrücke auch schon voll von Umgegend, und das
-andere Leben plätscherte bis über die Ilm. Als er die Straße Am Horn
-herabkam, sah er an der Quelle, die in sanftem Wall den Spiegel des
-flachen Beckens zerbricht, den Musikstudierenden Erich Meyer. Er hatte
-ihn gleich in den ersten Wochen seines Weimarer Aufenthaltes kennen
-gelernt; er war der ärmste aller Akademiker, ein vorgeschrittenes
-Semester und von durchschnittlichem Talente. Von diesen dreien sind
-Armut und mäßiges Alter hinwegzusingen oder zu vergeigen, aber das
-Teufelsgeschenk einer Durchschnittsbegabung kann es fertigbringen, den
-Betroffenen um Leben, Ehr' und Seligkeit zu betrügen. Zu allem besaß
-Erich Meyer noch ein Herz von Gold in kaum je dagewesener Echtheit.
-So war seine Begabung auch nach der rein menschlichen Seite hin fast
-lebensgefährlich.
-
-Als Jakobus Sinsheimer ihn da unten in sinnender Betrachtung entdeckt
-hatte, sprang er gleich den Hang hinab und setzte über die Leutra und
-erfuhr, daß Erich Meyer in dieser Zeit aus irgendeinem Weltwinkel ein
-bescheidenes Stipendium erhalten hatte -- dreihundert Mark, die ihm
-von einer mitleidigen Fürsprache unter dreifachem Hinweis auf seine
-Entsagungs- und Gemütskraft ausgewirkt worden waren. Nun stand Erich
-Meyer mit dem goldenen Herzen zwischen Sphinx und Brunnen, und Jockele
-sagte zu ihm: »Sie sehen aus, als setzten Sie flackerndes Sonnenlicht
-im Spiele mit den Wassern in Töne um!«
-
-»Fällt mir ja gar nicht ein,« lachte der blonde Erich, »sondern ich
-freute mich gerade darüber, daß ich über jene dreihundert Mark mit
-einer Genialität verfügt habe, die mir die Frage nahelegt, ob ich
-nicht doch noch umsattele und mich dem Bankfache widme.«
-
-»Es wäre zu erwägen,« sagte Jockele mit komischem Ernst.
-
-Darüber spähten sie nach dem Wege aus, den sie nehmen wollten, und
-kamen ins Wippen. Der lange Meyer wandelte mit vorgeschobenen Knien,
-weil die Rockschöße Platz haben mußten, hinter ihm herzuläuten. Und
-während diese Partie seines Menschen sich für den Pendelschlag von vorn
-nach hinten entschieden hatte, schwangen die langen, stracken, blonden
-Haare über dem Rockkragen von links und rechts. Meyer hatte einmal eine
-unmöblierte Stube bei Hartwig innegehabt und besaß außer einem Bett und
-dem, was er auf dem Leibe trug, kaum etwas. Eine leere Kiste, von der
-er behauptete, er brauche sie zu Umzügen, benutzte er als Tisch, und
-einen Stuhl hatte er nicht. Sie gingen an der Ilm entlang und über die
-Kegelbrücke zur Stadt. In dem Brückenhäuschen, um das immerwährendes
-Rauschen des Wassers und der Bäume ist, hatte er eine Stube ermietet,
-und die fünf hellhaarigen Mädel des Brückenmannes waren seine treuen
-Gesellen durch die Mühsal seiner Tage, von der er aber keine richtige
-Ahnung hatte. Die älteste bereitete er für die Musikschule vor,
-natürlich umsonst, und war nun in eine Gesprächigkeit verfallen,
-die seinem Wesen ganz fremd war. Er sagte, er hätte in diesen Tagen
-alle seine Rechnungen beglichen, auch die des Schneiders, und das
-Mittagessen hatte er sogar auf sechs Wochen im voraus bezahlt. Das war
-die Hauptursache seines hochgehenden Glücks. »Und jetzt hab' ich noch
-zehn Mark und gehe, einen Stuhl zu erstehen! So wird meine Einrichtung
-allmählich komplett, und es wird ganz unbeschreiblich wohnlich werden.
-Kommen Sie, helfen Sie mir beim Einkauf!«
-
-Als sie aus der Vorwerksgasse auf den Herderplatz schritten, kreuzte
-eine Frau mit versorgtem Gesicht ihren Weg. Es war Therese Hartwig.
-Niedergegangenes Weinen hatte Gräben um ihren Mund gewaschen, und was
-in diesem Gesicht vor Jahren in Blüte gestanden, war von den Gewittern
-des Lebens zerschlagen. Es war alles hausmachen an ihr. Sie fing
-gleich an, ihr Klagelied zu singen; denn sie hatte sich Erich Meyer
-schon in besseren Tagen anvertraut, und sein Herz geriet darüber in
-mitleidvolles Schwingen. Als sie durch die Rittergasse auf den stillen
-Zeughof gekommen waren, läutete es so feierlich, daß er in die rechte
-Westentasche griff und darin etwas losmachte. »Es fällt mir eben
-ein,« sagte er -- »Fridolin Hartwig hat mir vor langer Zeit zehn Mark
-geliehen. Ich konnte ihm das Geld nicht zurückgeben. So nehmen Sie
-es als seine Hinterlassenschaft.« Als sie wieder allein waren, sagte
-Meyer: »Alle diese Leute haben kein Geschick zum Glücklichsein. Erst
-ist sie die Frau eines anderen gewesen und hat Kinder gehabt. Dann ist
-sie jenem mit Fridolin Hartwig davongelaufen -- und nun hat ihr der
-Mann auch diese Kinder genommen und hat sie sitzen lassen.«
-
-Jockele aber sagte: »Ich denke, Sie haben weiter gar nichts besessen
-als diese zehn Mark?«
-
-»Natürlich nicht.«
-
-»Und am Ende sind sie jenem Hartwig gar nichts schuldig geworden?«
-
-»Ach Unsinn! Niemals einen Pfennig! Aber die Frau ist damals doch immer
-so freundlich zu mir gewesen, und solch eine tiefe Not kann ich nicht
-mitansehen.«
-
-»Den Plan mit dem Finanzminister geben Sie mal auf,« sagte Jockele,
-»ich glaube, Sie passen nicht recht für einen solchen Posten. Was soll
-denn nun mit Ihnen werden?«
-
-»Ach, der liebe Gott und meine fünf Brückenmädel lassen mich nicht
-verderben.«
-
-Vor dem Theater gingen sie auseinander, und als Jakobus einige Tuben
-Farben erstanden, eilte er nach Hause. Doris Rinkhaus sah ihn den hohen
-Wall des Schießstands daherkommen --
-
-»Sie haben die Augen schon wieder voll Erlebnisse!« sagte sie.
-
-»Mir begegnet auf allen Wegen ein Wunder! Dieser Erich Meyer ist ein
-Genie des Herzens ... Hören Sie!« Und als sie gehört hatte, sagte sie:
-»Genie des Herzens! Er liegt unter den Rädern des Lebens und macht aus
-seinem Dasein ein Fastnachtsspiel! Aber ein Mann muß Stahl im Herzen
-haben.«
-
-Dann gingen sie um die Stadt herum und wanderten nach dem Ettersberg.
-Erich Meyers gigantische Gemütskraft in ihrem Verhältnis zum Dasein
-wurde erörtert und schlug heftige Reden aus ihnen.
-
-Jockele hatte das heilige Feuer der vorigen Nacht darüber fast
-vergessen. Auf einmal waren sie im Walde, und das sachte Rauschen der
-hohen Fichten lag um sie wie schwarzer Samt.
-
-»Was hatte das Hexenlied in der Nacht für eine Verwirrung in Ihnen
-angerichtet?« fragte Do.
-
-Es schoß eine heiße, heiße Welle Blutes in seine Stirn, aber er
-jauchzte sich darüber hinweg und breitete die Arme weit aus:
-
-»Ich bin zu einem neuen Lande gefahren -- warum waren Sie nicht bei
-mir?«
-
-Sie hatte sich vorgenommen, dies neue Land auszukundschaften, und zog
-alle Segel hoch --
-
-»Nun, und wenn ich dagewesen wäre?«
-
-»Dann -- -- ich glaube, es wäre für Sie sehr gefährlich geworden!«
-
-»Donnerwetter!« lachte sie, »das heißt, Sie hätten mir eine Vorlesung
-über Wildenbruch gehalten?«
-
-»Nein, nein -- ich hatte eine Sehnsucht ... Es war alles wild geworden
-in mir, ich dachte, ich müßte die Zähne in blühende Frühlingsgaben
-schlagen!«
-
-»Das klingt allerdings genau wie der Zettel,« sagte sie ein bißchen
-verächtlich und merkte, daß sie den Ton getroffen hatte, nach dem sie
-suchen gegangen war.
-
-»Sagen Sie mir die Worte -- sagen Sie sie mir!« bat er und stand schon
-wieder in hohem Feuer.
-
-»Ich weiß sie nicht mehr, und den Zettel hab' ich in den Ofen gesteckt.
-So kleine Entgleisungen muß eine Freundschaft vergessen können.«
-
-Das klang sehr wohltemperiert.
-
-»Ach,« jubilierte er, »nennen Sie es tausendmal eine Entgleisung -- es
-war doch fein, und ich war voll purpurnem Lichte wie der Abendhimmel!«
-
-»So etwas ist wahrscheinlich immer am feinsten allein,« sagte sie
-unwissend.
-
-Aber er fragte fürwitzig: »Ist es Ihnen auch schon so ergangen?«
-
-Da wäre sie am liebsten davongeflogen wie ein kleiner roter Luftballon.
-Sie strich sich mit beiden Händen über das Gesicht und sagte, die Sonne
-hätte sie verbrannt ... »Sie hören wohl nicht gut?« schalt sie, weil
-sie sich so in Not sah. »Ich sagte, wahrscheinlich!«
-
-Da zwang er sie, in die dunklen Brunnen seiner Augen zu schauen und sie
-merkte: es standen Sterne darin, die vorher nicht dagewesen waren. Und
-sie versuchte ihre Siegeraugen; es war mühevoll und kam nicht weit über
-den Vorsatz hinaus. Aber sie war froh, daß ihm das Leben aufging, und
-daß sie nun auf einer Wacht sein mußte, die sie die Zeit her lächelnd
-für unnötig gehalten hatte. Frauen spielen gern mit Feuer und fangen an
-zu blasen, wenn sie eine Glut vermuten. Und als Doris Rinkhaus fühlte,
-daß ihre Bedrängnis fort war, blies sie ein bißchen.
-
-Sie schritten nun auf dem Ettersberge an dem schönen Waldsaum nach
-dem Bismarck-Denkmale dahin. Rings lag die Erde in breiten, bunten
-Erntefarben, die im Tale zwischen den Häusern mit den funkelnden
-Fenstern versickerten.
-
-Auf einmal stand ein gelbes Kleid im Walde hinter einer Staffelei, und
-obendarauf war ein breiter Sonnenhut mit einem Kranz aus wilden Rosen.
-Wilde Rosen waren auch über das Kleid gestreut.
-
-»Jakobus Sinsheimer,« sagte Do und ging im Hinschauen unter, »das ist
-Gwendolin Vogelgesang, eine Böhmin, und sehr jung! Kennen Sie die?«
-
-»Nein,« sagte er, »aber sie scheint so lang zu sein wie ihr Name.«
-
-»Die Männer finden sie hübsch, und sie kann etwas.«
-
-»Einstweilen sieht man noch gar nicht, was unter dem Wildrosenhute
-steckt!«
-
-»Kommen Sie, die führ' ich Ihnen vor!«
-
-Sie hatte da ein Waldinneres mit breitem Pinsel etwas pastos auf die
-Leinwand gestrichen und ihm eine ganz wundervolle Durchleuchtung
-gegeben. Während sie mit Doris Rinkhaus redete, sah sich Jakobus an
-dem Bild in ein Sonnenglück hinein, das er gleich in lautem Lob über
-sie ausschüttete. Da hörte er, daß sie solches Malen förmlich mit auf
-die Welt gebracht hätte, daß sie aber am liebsten mit der kalten Nadel
-arbeitete und derlei Leinwanden nur zum Verkaufe bemalte. Sie hatte in
-Frankfurt und München Kunsthändler, die ihr diese Sachen bescheiden
-bezahlten, aber sie verkaufte und brachte sich mit dem Ertrage gut
-durchs Leben.
-
-Sie stellten das Malzeug im Dorfe ein, streiften bis Abends im Walde
-herum und fanden nicht, daß der Spruch: ›~Two is company, three is
-none~‹ in allen Fällen wahr wäre. Einmal lagerten sie sich auf einem
-Anger, der ganz voll hoher Spätsommerblumen war, darüber schwammen die
-Schmetterlinge in breiten Flügen, und Jockele dachte, er möchte mit
-diesem langen, leuchtenden Mädchen auch in der Folge zusammensein.
-Darum sagte er:
-
-»Gwendolin, wir wollen den Anger malen -- beide das gleiche Bild.«
-
-»Warum?« fragte sie.
-
-»Ich will sehen, wie viel weniger ich kann als Sie,« sagte er sehr
-ernsthaft, und Doris Rinkhaus saß dabei und bekam weite und kalte Augen.
-
-Am anderen Tag, als Jockele daheim auszog, lief ihm das blaue
-Morgenkleid über den Weg zur Schlüpfe im Zaun -- Do ertappte sich auf
-dem mädchenhaften Gedanken, er hätte sie doch wenigstens auffordern
-können, mitzugehen. Aber es war morgendlich um ihn, und er sagte: »Ich
-werde mir heute eine Niederlage holen.« Da nahm sie ein herbes Wort in
-den Mund, ließ es aber nicht fliegen und sagte ohne Bitterkeit und ohne
-Teilnahme: »Es ist wahrscheinlich. Mag es nun so oder so kommen -- das
-Spiel wird nicht ohne Gewinn für Sie sein.«
-
-Er hatte die Gedichte Wildenbruchs in der Tasche, und über dem weiten
-Wanderwege wurde ihm das Malzeug lästig. Da dachte er: »Ich hätte Do
-sagen können, daß ich heute vielleicht in Ettersburg schlafe ...«
-Mit diesem Gedanken lief er seine Straße, und es blühten um ihn noch
-andere blutrote heiße Blumen: Gwendolin hatte all die Tage her schon
-in Ettersburg gewohnt; er wollte ihr das Hexenlied vorlesen, wenn die
-Schatten auf den Anger traten wie die äugenden Rehe. Das mußte schön
-sein, so im Lichte der Blumen, die ihre schmeichelnden Seelen in den
-müden Tag strömten.
-
-Ob Gwendolin auch wie Do nach Hause drängen würde, wenn die sachten
-Netze der Nacht fielen? Und ob ihre Augen auch Sterne würden, die immer
-als die ersten in der Nacht stünden wie die Augen Dos? Und ob ihre
-Stimme dann weicher würde und so sehnsüchtig, wie Dos Stimme einmal
-gewesen war, nur ein einziges Mal? Und ob sie wieder das Kleid mit
-den winden Rosen trüge? Auf einmal summte er das Heideröslein grausam
-unmusikalisch vor sich hin und kam auf den Anger und war enttäuscht,
-weil sie noch nicht da war.
-
-Natürlich war sie noch nicht da; denn die Hälfte der Blumenwiese
-lag noch im Schatten. Ein paar Samenfahnen der ersten Weidenröschen
-schwebten als weiße, stille Flugzeuge vorüber.
-
-Er stellte seine Staffelei aber nicht auf; denn er wollte Gwendolin
-ihren Platz zuerst wählen lassen. Da setzte er sich an den Waldgrund
-und las in den Gedichten. Er geriet wieder an das Hexenlied, und sein
-Herz blühte daran auf wie in der anderen Nacht.
-
-Gwendolin kam mit den Schmetterlingen; sie hatte das Wildrosenkleid
-an und trug den Sonnenhut von gestern, und sah gerade so brünett und
-heiß aus wie gestern -- so an der Sonnenseite gewachsen. Aber sie
-redete genau so morgenkühl wie Do und fragte, ob er sich etwas zu essen
-mitgebracht hätte.
-
-»Nein. Ich dachte, wir äßen gemeinsam im Dorfe.«
-
-»Wahrscheinlich kommen wir vor drei Uhr nicht dazu -- es ist um Mittag
-so köstlich und leuchtend hier, daß einem das Ultramarin von der
-Palette läuft. Aber jetzt los!« sagte sie. Da ging es ans Malen. Es
-hing eine Waldstille ringsum, daß man die Pinsel streichen hörte, und
-der Himmel war über die Wipfel gestülpt wie eine Glocke aus blauem
-Glas, durch die die Welt von draußen hereinschauen mochte, wenn sie
-Lust hatte.
-
-Da vergaßen sie, daß sie zwei junge Menschen waren, die sich beim
-ersten Sehen gefallen hatten, und schwiegen sich in eine tiefe
-Farbenfreude hinein und sagten sich bei drei Stunden kein Wort und
-hatten kaum einmal einen Blick. Anfangs dachte Jakobus: »Ich spiele
-da ein gefährliches Spiel mit mir selber. Es ist sehr ungeschickt
-gewesen, daß ich mich einem Vergleiche ausgesetzt habe, dem ich doch
-nicht standhalten kann.« Dann vergaß er auch das und vergaß, daß er in
-klingenden Farben alles so breit und voll hinstreichen wollte, wie er
-es gestern bei ihr gesehen hatte. Er malte, wie es ihm die Stunde gab,
-aus der strahlenden Beschwingtheit seiner Seele heraus, die dunkelrot
-vom Scheine des Feuers aus dem Hexenlied überglüht war. Sie hatten
-sich alle Neugier verbeten, hörten die Mittagsglocke aus dem Dorfe
-läuten, sahen, wie die Luft flimmrig wurde, als tropfe flüssiges Silber
-hindurch, und schwiegen.
-
-Einmal legte Gwendolin die Palette in den Kasten und warf den Deckel zu
-und trat mit einem Pack raschelnder Papiere in den Schatten des Waldes.
-Als ihr Jakobus nachging, sagte sie: »Wenn sie nicht essen +müssen+, so
-arbeiten Sie. Ich lasse für Sie genug übrig. Natürlich habe ich gewußt,
-daß Sie auf alles vergessen, was der Mensch außer Pinsel und Farben
-nötig hat!« Dieses ›auf alles vergessen‹ klang österreichisch lustig in
-ihn hinein; es war viel Sonne in ihrer Stimme. Und er sagte: »Ich freue
-mich auf die Stunde, in der wir fertig sind; dann will ich Sie immer
-reden hören.«
-
-»Ich bin fertig,« lachte sie. Da sprang er auf und lief zu ihrer
-Staffelei ... »Es ist ein grausames Bild,« sagte er; »es ist herrisch,
-und es kann dagegen kein anderes aufkommen. Aber es ist doch königlich.«
-
-»Nun ja, es ist königlich. Sie mögen es immer so nennen. Wenn Sie mich
-einmal nicht leiden mögen, sagen Sie: es ist Theater! Dieses Wort hat
-mir die Freude an den Farben verdorben. Aber was kann ich dafür, daß
-sie mir so in die Augen stürzen, wohin ich sehe?«
-
-»Es kommt auf das Herz an,« sagte er. »Sie streichen das in einer
-wilden Lichtlust daraus hervor, und jedes Ding stellt sich dagegen,
-wie sich die Wolken stellen gegen die Feuerfanfaren, die der Himmel
-über das Sterben des Tages bläst. Mir ist bange gewesen vor Ihnen, aber
-ich schäme mich nun nicht -- wenn Sie Wasser sehen, malen Sie Perlen,
-und wenn Sie Licht sehen, malen Sie Jauchzen. Ein Feld voll Blumen wird
-auf dem Wege durch Ihr Herz zu einem taumelnden Märchen oder zu einem
-himmlischen Farbenrausche. Aber ich male die Erde ...« So redete er
-sich in Flammen.
-
-Gwendolin sagte: »Meine Bilder sind Lügen für jeden, der die
-Wirklichkeit nimmt und damit ein zentimetermäßiges Messen an
-ihnen beginnt. Aber für mich ist es Wahrhaftigkeit; denn es ist
-künstlerisches Erleben.«
-
-Dann traten sie zur Staffelei Jockeles. Es stand ein Idyll darauf, das
-versickerte -- letzte Blütenfreude des Sommers -- in dunkelgrüne kühle
-Waldestiefe.
-
-»Ich kann das nicht,« sagte sie -- »Sie suchen die Seele einer Handvoll
-Welt, und ich blase eine hinein, die mir gerade paßt.«
-
-Da nahmen sie ihr Malzeug auf und trugen es ins Dorf, saßen in dem
-Baumgarten des Gasthofs und aßen Pflaumenkuchen.
-
-»Wann gehen Sie?« fragte sie.
-
-»Heute nicht,« sagte er und bestellte ein Zimmer für die Nacht.
-
-»Das ist fein. Da machen wir eine Waldstreife. Also los!«
-
-Den Band Gedichte nahm er mit. Im Ettersburger Schloßgarten fiel das
-Blühen über sie. »Ich kann mir denken, daß Ihre Lichtfreude hier
-wohnen muß, Gwendolin!« sagte er voll Innigkeit. Ueber die blaue
-Weltenwiese jauchzt die Sonne im goldenen Sechsergespann, aber im
-Garten von Ettersburg geht sie spazieren; draußen ist sie das große
-Licht, hier ist sie sanftes Leuchten; draußen ist sie Sieg, hier ist
-sie Liebe; und die Menschen werden leise auf diesen Wegen. Die Tage
-liegen darauf wie Falter mit breiten Schwingen -- der Schloßgarten
-von Ettersburg ist ein ewiges Ostern der Herzen ... Darüber gerieten
-Gwendolin und Jakobus immer tiefer in sich hinein.
-
-Es war, als wären sie allein auf der Welt.
-
-Sie gingen nun unter den hohen Buchen, die sich so sachte mit Himmel
-zudecken lassen. Aber unter den Wurzeln heraus atmete die Erde den
-berauschenden Herbstodem, der voll Traum heißer Auferstehungsfeste ist,
-und sie bekamen Augen wie der Hochwald, voll heimlicher Dämmerungen.
-Augen wie junge Menschen, die herumirren in den Rätseln ihres
-Frühlings. Augen wie junge Menschen, die über und über in Blüte stehen
-und die Seligkeit ihrer Seelen dahinströmen wie die Blumen und ihre
-klingende Helligkeit ineinandergießen wie die Quellen, wenn die Erde
-birst unter dem Jauchzen des Himmels.
-
-An einem Hange, an dem die Sonne gelegen hatte, umarmte sie die heiße
-Dämmerung. Da sanken sie hinein, und das Moos war voll vom Dufte später
-Veilchen.
-
-Gwendolin saß neben ihm.
-
-»So war es schon einmal,« sagte er -- »damals mit Maria Reh! Da war
-ich ein kleiner Junge und hatte Sehnsucht nach ihren Händen.«
-
-Da setzte sie den Hut ab und legte ihn über den Band Gedichte.
-
-»Wie war das mit Maria Reh?« fragte sie und stemmte ihre Ellenbogen auf
-seine Brust.
-
-»Rosenrot!« sagte er. Und ihre Augen waren einander nahe und kamen sich
-immer näher --
-
-»Und jetzt?« fragte sie.
-
-»Dunkelblau mit Sternen!« sagte er. »Aber was ist das für ein
-verrücktes Reden! Komm doch!«
-
-»Komm doch!« lockte sie.
-
-Da faßte er in ihr lose geschlungenes Haar und ergriff ihren roten,
-roten Mund mit den Zähnen -- der Vorhang im Tempel zerriß, und sie
-fanden sich mit geschlossenen Augen in das Allerheiligste des Lebens.
-
-Dann fing sie an, den pressenden Armen zu trotzen, und wand sich über
-ihm und bekam ihre Lippen los aus der schmerzenden heißen Verheißung
-seines Mundes. »Du bist zu wild!« sagte sie.
-
-»Ich habe zu lange gedürstet! Warum bist Du so heiß und schön geworden
--- nun mußt Du das leiden.«
-
-Da litt sie es. Sie küßten sich drei Meilen tief hinein in die
-kobaltblaue Spätsommernacht, und als einmal die Dorfuhr über die
-Sternenstraße rief, war den Glocken anzumerken, daß sie noch ganz
-allein wach wären. Im Walde lag eine schwere Finsternis. Da tasteten
-sie sich hindurch, und als sie vor dem kleinen Hause standen, in dem
-Gwendolin wohnte, wartete die Frau des Arbeiters drinnen bei dem Licht.
-Gwendolin fing an, sich das Haar noch einmal zu stecken, aber weil sie
-in der mitternächtigen Dunkelheit unter Küssen und Zwetschenbäumen doch
-nicht damit zurechtkam, sagte sie: »Es ist mir ganz egal! Doch morgen
-mußt Du warten, bis ich komme und Dich hole.«
-
-Der Hausknecht ließ ihn ein, und er fiel gleich in einen abgrundtiefen
-Schlaf. Aber früh ärgerte er sich, daß er nicht mehr an Gwendolin
-gedacht hatte, und die Nüchternheit des fremden Zimmers verstimmte ihn.
-Gwendolin kam, als er drunten im Garten beim Morgenkaffee saß; ein Fink
-war auf seinen Tisch geflogen und pickte die Krumen auf.
-
-Am vierten Tage malten sie wieder, und am vierten Tage kam Doris
-Rinkhaus. Sie hatte vormittags den Wald nach ihnen durchsucht, sagte
-das aber nicht, sondern spazierte zur Essenszeit wie von ungefähr
-durch den Garten des Gasthofs und setzte sich zu ihnen. Sie merkte den
-großen Wandel an Jakobus, aber sie war unbefangen und klug und klar
-wie der Tag. Deshalb ging er am Spätnachmittag mit ihr heim, aber das
-Malzeug ließ er bei Gwendolin. Sie machten einen weiten Umweg über das
-Rödchen und gelangten auf abgeernteten Feldern zu der großen Eiche,
-die im Webicht, nahe dem Goethe-Schiller-Archiv, steht. Es war schon
-Abend geworden. Doris hatte es auf dem langen Gange vermieden, an sein
-Verhältnis zu Gwendolin zu rühren. Sie hatten von der Sendung der
-Tante Veronika zu reden gehabt, die inzwischen für Jockele eingetroffen
-war -- »Die freundliche alte Dame überschüttet Sie in der Tat mit einer
-ganz unverdienten Güte --« sagte sie ... und da war der Stein durch das
-sorglich gehütete Fenster geflogen!
-
-Er faßte ihre Worte gleich fest an: »Wenn Sie damit auf Gwendolin
-zielen, so finde ich das unbeschreiblich komisch: erst haben Sie mich
-auf sie losgelassen, und jetzt drohen Sie mir gouvernantenhaft mit dem
-Finger und spielen würdig die Mama gegen mich aus! Do, Do, fühlen Sie
-wirklich nicht, daß Sie da nach einer Rolle gegriffen haben, die Ihnen
-ganz und gar nicht auf den Leib geschrieben ist?«
-
-Jawohl, sie fühlte das und pries ihre Klugheit, die sie damit hatte
-warten lassen, bis die Nacht um sie hing. Das Buschwerk zu beiden
-Seiten des Weges von der großen Eiche herauf half bei der gütigen
-Finsternis.
-
-Darüber fand sie den gewohnten Ton wieder -- »So ist das gar nicht
-gemeint gewesen. Ich hätte wohl besser gesagt: Sie sind sehr keck
-geworden in diesen vier Tagen.« Sie suchte nach einer Schlüpfe, durch
-die sie in ihn hinein kommen konnte; der lange Weg, den sie berechnend
-gewählt, hatte ihn zu keinem Verrat an sich selbst geführt. Wollte er
-Gwendolin schonen? War er wieder in eine rosenrote Anbetung versunken
-wie damals vor Maria Reh, die noch heute lustig davon berichtete? ...
-Sie fing also an zu klopfen. -- »Ich meine, Sie gehen so aufgeblüht
-daher! So jungmänniglich, tapfer und weltumarmend!«
-
-Nun schlug er alle Türen weit auf und trat heraus und sagte: »Es war
-fein! Gwendolin ist ein süßes, heißes Mädel.« Er wollte mit vollem
-Atem das Lied vom ersten Liebesrausche blasen, aber die Worte lagen
-neben dem Erleben wie welke Blüten. Da sagte er: »Ich will Gwendolin
-heiraten!« und hatte damit einen Heiterkeitserfolg. Es war schrecklich
--- bei dem dramatischen Höhepunkte, bei der Stelle, die er mit wahrer
-Heldengröße herausgeschleudert hatte, bekam Doris Rinkhaus das
-ungeheure Lachen! Und der Vorhang mußte heruntergehen. Sie lachte
-sich auch durch die Pforte im Zaun und sagte: »Sie sind heute abend
-zu ulkig! Sie dürfen deshalb ausnahmsweise noch eine Stunde zu mir
-herüberkommen. Ich muß Ihnen eine Kerze geben; denn es sieht in Ihrer
-Wohnung aus wie in einem Lagerhause.«
-
-Sie bereitete in der Küche das Nachtmahl; Jockele entzog ihr seine
-Mitarbeit und dachte in der dunklen Stube darüber nach, wie sich das
-Spiel für ihn gewinnen ließe.
-
-Als sie gegessen hatten und der Samowar summte, setzte sie sich wieder
-in den vorigen Gang. »Haben Sie schon Bestimmungen über die Hochzeit
-getroffen?«
-
-Da schwieg er sie gekränkt an; sie aber nahm noch mehr überhand. »Mein
-lieber Junge Jo, wenn Sie nicht so grausam lächerlich aus diesen ersten
-verliebten Stunden hervorgegangen wären, würde ich sagen: Mein werter
-Herr Jakobus Sinsheimer -- es senkt sich zwar schon der sachte Schatten
-eines Bartes auf Ihren verräterischen roten Mund, aber mit dem Gewaffen
-holder siebzehn Sommer läßt sich ein leidlich befestigtes Mädchen
-nicht fürs Leben erobern! Sind Sie denn wirklich so einfältig, zu
-meinen, eine Kette angereihter Küsse hielte über ein paar Meilen Zeit?
-Und glauben Sie, Sie wären der erste, der Gwendolin Vogelgesang hübsch
-findet? Und das ›süße heiße Mädel‹ hätten Sie entdeckt? Meinetwegen
-küssen Sie sie ab, soviel sie es verdient -- aber geraten Sie darüber
-nicht in Unordnung und reden Sie nicht ein tragisches Pathos übers
-Land.«
-
-Er kreuzte die Arme vor der Brust, und auf seiner Stirne stand kalter
-Schweiß. »Was geht Sie denn das alles an, daß Sie so in Harnisch
-geraten?«
-
-»Es täte mir leid, wenn Sie vor sich selbst lächerlich würden,« sagte
-sie. »Sehen Sie, wie Sie neulich aus dem wildgewordenen Herzen mit
-feurigen Buchstaben etwas von ihrem Frühlingssturm auf ein Stück
-Papier schrieben und es mir vors Fenster hingen, das war jung und
-gesund. Und jung und gesund ist es auch, wenn Sie mal über die lange
-Gwendolin kommen -- aber daß Sie jede Seifenblase für eine Weltkugel
-halten und den Eroberer spielen, das ist Ihr hartnäckiges Mißgeschick.«
-Sie steckte eine Kerze an und gab sie ihm in die Hand: »So, und nun
-leuchten Sie sich mal nach Hause.«
-
-Da sagte er: »Wenn ich Sie nicht bis zu dieser Stunde für einen Ausbund
-von Klugheit gehalten und nicht allerlei Ursache zur Dankbarkeit gegen
-Sie hätte, würden wir uns morgen kaum noch kennen, Fräulein Rinkhaus!«
-
-»Sie, das ist ein famoser Einfall,« lachte sie -- »betrachten wir
-diese Stunde als Mobilmachung zu einem achtwöchigen Kriege! Am ersten
-November wird Friede geschlossen.«
-
-»Und wenn ich dann noch Krieg will?«
-
-»Mir auch recht!« lachte Do.
-
-»Ich gebe mein erlösendes Einverständnis. Gute Nacht.«
-
-Sie drehte den Schlüssel schon feindlich im Schloß herum.
-
-»Do hat ihre giftiggelbe Eifersucht vor mir verbergen wollen, und damit
-ich es nicht merkte, hat sie Esel zu mir gesagt,« dachte er. Aber nun,
-da er durch das Stück dunkelblaue Spätsommernacht stieg und die Linke
-vor das kärgliche Fünkchen Licht hielt, kam er sich wirklich sehr
-komisch vor -- diese Rolle mit der Hand vor dem bißchen Flamme hatte
-er den ganzen Abend gespielt. Und gestern -- vorgestern sicherlich! --
-hatte er geglaubt, es wäre so etwas wie der große Brand in ihm, den der
-Sommer des Abends vor den Toren der Welt für Himmel und Erde aufführt.
-
-Er leuchtete sich in einen mäßigen Schmerz hinein, der sich über dem
-Haufen mit Latten verschlagener Möbelstücke zu einer tiefen Verstimmung
-auswuchs. Die Liebe, mit welcher Tante Veronika und Mali diese Dinge
-ausgewählt und verpackt hatten, wollte sich heimlich an sein Herz
-schmeicheln, aber sie war ihm peinlich: die treuen alten Mädchen
-hatten das im Frühlingshause mit der Sonne ihres Vertrauens für ihn
-umschienen -- vielleicht in der gleichen Stunde, in der er sich draußen
-am Waldrande gewälzt hatte wie ein jähriger Hirsch ...
-
-Er fuhr in ein Land tiefen Nebels hinein und verbiesterte sich ...
-
-»Was ist das wieder mal für eine Sache, die Du da aufgemacht hast,
-Jakobus Sinsheimer! Es ist der niederträchtigste Vertrauensbruch, der
-einem Menschen je Scham auf die Stirn getrieben hat. Du kommst Deiner
-Tage zu nichts -- gib's auf, Jakobus Sinsheimer, Du bist ein Zigeuner.
-Wie ein Zigeuner hast Du den Wald zum Nachtquartier gemacht ...«
-
-Er nahm wieder einmal Seifenblasen für Weltkugeln! Da schlug er mit
-der flachen Hand auf das Zünglein Licht und warf sich aufs Bett und
-wühlte sich in eine wilde Selbstverachtung hinein. Auf einmal hüpfte
-Gwendolin aus dem zähen Nebel und war vergnügt wie der Frühling. Das
-Wildrosenkleid war längst ausgeplättet, ihr Mund blühte wie roter Mohn,
-und die ganze Nacht wurde zu tausend feuerroten Blumen. Er lag mitten
-darin und schlief ein.
-
-Am Morgen, als er sich in den Kleidern auf dem Bette fand, fiel ihn der
-Jammer an. Aber er raffte sich zusammen, zog andere Wäsche und Kleider
-an und begann auszupacken.
-
-Tante Veronika und Mali, manchmal auch das Zinzilein, waren dabei immer
-um ihn, und er werkte sich in eine vergessende Freude.
-
-Als er allen Unrat hinausgetragen hatte in den Schuppen, schloß er die
-Schubfächer des Schrankes auf und fand darin Vorhänge für drei Fenster,
-und in dem Kleiderschrank die drei Leisten dazu -- es war auch ein
-Kästchen mit Stecknadeln darangebunden; als er das erkannte, schauerte
-ihm die ferne sorgende Liebe durchs Herz, daß ihm ganz bange wurde.
-
-Er wäre nun am liebsten zu Do geflogen und hätte mit allen Glocken
-Frieden geläutet -- nein, diesmal sollte sie gewiß nicht triumphieren!
-Wenn sie ihm jetzt ihre Siegeraugen gemacht hätte, jetzt hätte er sie
-gerne ertragen; aber am Ende sagte sie: »Lassen Sie sich das nur von
-Gwendolin machen.«
-
-Da überlegte er sich, wie Mali dabei zu Werke gegangen war, damals, als
-er ihr die Stecknadeln gereicht hatte.
-
-Er drehte eine der Leisten ein paarmal in den Händen und gewahrte die
-Bänder, die da angenagelt waren. Dann pfiff er seine Entdeckerfreude
-sachte vor sich hin und kam auch mit den Vorhängen zustande.
-
-So ordnete sich jedes Ding an seinen Platz. Es war alles durch viele
-Jahre in einer schönen Sonne gewesen -- das ganze kleine Haus schien
-sich nun daran heimlich voll Gold bis zum Rande. Tante Veronika hatte
-ihm auch eine Erhöhung des Monatsgehalts von zehn Mark gewährt, dafür
-sollte er eine Frau bezahlen, die ihm die Wohnung säuberte. Ueber
-allem hatte er sich wieder zu sich selber gefunden, und weil er den
-Ueberschuß an Seligkeit merkte, packte er ihn in einen Brief und
-schickte ihn nach Ibenheim.
-
-Da war der erste Tag nach der Mobilmachung herum, und als sein
-Verglimmen durch die neuen Vorhänge sickerte, gab er sich der
-Wohligkeit des Daheimseins hin. Es war, als legte die sorgte alte Tante
-Veronika ihre reinen Hände an seine Wangen und sagte wie einst: »Mein
-braver, lieber Junge.« Er saß zum ersten Mal bei der abendlichen Lampe
-in dem kleinen Haus; die warf die goldenen Fächer ihres Lichts über
-die bunte Tischdecke, und aus dem Bücherschranke blinzelten ihn die
-Aufschriften der Bücherrücken so traulich an wie in der anderen Zeit.
-Veronika hatte ihm alles geschickt, was sie an gedruckter Weisheit
-besaß -- die zweihundert Bände umfaßten die Welt; und es lag in der
-Uebergabe dieses Schatzes eine rührende Erklärung der Liebe ...
-
-Wie ihm Fridolin Hartwig in den Weg gelaufen war, und wie dessen
-großsprecherische Schwächlichkeit strandete an einer Insel der
-Weltflucht, hatte er dies als ein Erlebnis erkannt; die Nacht im
-Jägerhaus am Hörselberg stand in seiner Jugend als eine bunte
-Lichtkugel, nach der er gern einmal zurückschaute, denn sie leuchtete
-noch immer; das Glück von Ettersburg war ein kristallener Becher,
-von dem er meinte, er wäre reich genug, sein ganzes Leben mit Glanz
-zu erfüllen ... So standen viele Tage in der vergangenen Zeit, von
-denen er sagte: ich werde sie immer sehen. Aber dies Heute, in dem ein
-Stück seiner waldherrlichen Knabenzeit sich wieder zu ihm gefunden
-hatte -- dies Heute erkannte er nicht. Es war für ihn eine liebe
-freundliche Begegnung von jener lächelnden Innigkeit, die ihn über dem
-Kommen Tante Veronikas berührte, als der gelbe Krückstock neben dem
-blauen Morgenkleide den breiten Gartenweg daherspaziert war. Und doch
-war dieser Tag eine Weiche, über die das Leben Jakobus Sinsheimers
-auf das Geleise lief, das er sich selbst in Spiel und Ernst seiner
-Frühlingsjahre gelegt hatte. Und er wußte es nicht; denn die Sinne der
-Jugend sind vorwitzig: sie sehen den Schaum als Trank, sie fühlen den
-Rausch als Glück, sie schmecken die Erde als Himmel, sie halten Dasein
-für Ewigkeit.
-
-
-Am nächsten Morgen spazierte er sehr früh nach Ettersburg, äußerlich
-angetan wie ein junger Kavalier. Er wollte an diesem Tage nicht malen,
-aber er wollte sich auch gegen zigeunermäßiges Waldstreifen verwahren.
-Zudem war es am Anfange des Monats, und hundert Mark im Portemonnaie
-geben einem jungen Menschen Haltung.
-
-Am Häuschen Gwendolins erfuhr er, sie habe Besuch, und die Herrschaften
-seien wahrscheinlich im Baumgarten des Gasthofs beim Frühstück.
-
-Da fragte er sich ein wenig an der Frau zurecht, aber er wandelte noch
-auf Wegen aus Himmelblau seinen heißen Wünschen nach.
-
-Als er das Wildrosenkleid und den blühenden Sonnenhut sah, ward er
-beschwingter Sommerwind und flog ihr entgegen. Der Herr, der mit
-Gwendolin an dem übersonnten Tische saß, nestelte ihr aus einem
-schäkernden Besitzrecht heraus an dem goldenen Halskettlein. Und als
-der lustige Sommerwind dazwischenflog, blies ihn eine morgenkühle
-Gleichgültigkeit an. Gwendolin tat sehr überrascht, den Herrn
-Sinsheimer zu sehen, und stellte ihn vor als einen Malschüler, mit
-dem sie gelegentlich eine Stunde da oben am Waldrande zusammen eine
-Farbenskizze gemacht habe.
-
-»Und Sie wollen Ihre Staffelei holen?« fragte sie.
-
-»Eigentlich nicht,« antwortete er und setzte sich steil in eine Art von
-Fassung.
-
-Da kam der Kellner und meldete, der Wagen sei da.
-
-»Wir fahren nach Belvedere,« sagte Gwendolin. »Wenn Sie Ihr Malzeug
-heute mitnehmen wollen -- meine Mietsfrau kennt Sie ja und wird Ihnen
-willig alles einhändigen. Adieu, Herr Sinsheimer.«
-
-Sie legte die Spitzen ihrer Finger in seine Hand, und nach einer
-förmlichen Verbeugung ihres Begleiters hüpften die beiden durch den
-Sonnenschatten der Zwetschenbäume in klingender Unbekümmertheit dahin.
-
-Der Kellner klemmte seine Serviette unter den Arm, und während der
-Kavalier Jockele sich erhob und zu einem entfernten Tische schritt,
-starrten sie einander an -- Jockele als Hypnotiseur, der Kellner
-als zweifelndes Medium zwischen Lächeln und sachtem Verkommen des
-Bewußtseins. Am Gefrierpunkte der Sinne bäumte er sich auf.
-
-»Ich dachte immer, Fräulein Vogelgesang wäre Ihre Braut ...«
-
-»Das dachte ich auch,« sagte Jakobus; »aber nun bringen Sie mir mal
-schnell drei Zigaretten und eine Tasse Kaffee.«
-
-»Sehr wohl, drei Zigaretten und 'ne Selters.«
-
-»Kaffee!« brüllte Jockele. -- »Halt, kommen Sie mal her. Sie sind ein
-unverschämter Mensch! Da -- zwanzig Pfennig für die Beleidigung! Adieu!«
-
-Er zog das Etui aus der Tasche, brannte sich eine Zigarette an und
-wirbelte sich hinter seinem zwischen den Fingern drehenden Spazierstock
-aus dem Gesichtskreise.
-
-Die Sonne roch nach dem Staube, der unter dem enteilenden Wagen
-hervorbrach; der goldene Septemberwind machte sich ein billiges
-Vergnügen daraus, mit dem Geräusche rollender Räder und klapperndem
-Hufschlag die Dorfstraße entlangzuschlendern und Jockele zu fragen,
-ob er das hübsch finde; und der Himmel stand über dieser Erde,
-durchsichtig vor leuchtender Ahnungslosigkeit, und ein paar Engel
-guckten zum Fenster heraus und flatterten mit den Flügeln.
-
-Jockele verfiel in ein stürmisches Dahinschreiten. Er dachte, er
-müsse mit erhobenen Armen und einem ungeheueren fanfarenden Schreien
-das Licht zerreißen. Aber es schoben sich da und dort Frauenköpfe
-mit neugierigen Augen durch niedere Fenster; es standen schwätzende
-Weiber hinter den Zäunen und sahen ihm nach; und wie die Gattertür vor
-der Auffahrt zum Schloßgarten hinter ihm zuschlug und Falterstille,
-mit großen stummen Augen auf den Schwingen, um ihn schwebte, schlug
-sich der Drang zu dem ungeheueren himmelzerreißenden Schrei nieder in
-Bitternis und Schweigen.
-
-Er hatte den Rausch der vier Tage in windigen Kniehosen und in einer
-Gürteljoppe bestanden und hatte ausgesehen wie Samstag. Nun schmiegte
-sich freudiger Sommerstoff um ihn. Er hatte eine blaue Krawatte
-umgetan, die an Daseinslust mit der Seide des Himmels wetteiferte,
-und seine Augen liefen an der gepflegten Bügelfalte hinab, die in den
-Aufschlag der Hose versickerte; dazu hatte er chamoisfarbene Gamaschen
-über die gelben Schule gestreift -- -- die sehr frühe Stunde fiel ihm
-ein, in der er den langen Menschen Jakobus mit beseligter Hingabe für
-Gwendolin Vogelgesang bereitet hatte ...
-
-Er suchte nach dem Winkel in seinem Herzen, in dem eine annähernd
-höllische Teufelei aufgehen könnte, und fand ihn nicht.
-
-Oder war das Benehmen Gwendolins von der Verzweiflung des Augenblicks
-geboren? War es Verwirrung gewesen, die der Ueberfall angerichtet
-hatte? Oder war es die mädchenhafte Scheu, sich zu verraten?
-
-Vielleicht, wenn er ihr morgen entgegenlief, breitete sie die Arme weit
-aus wie ein Sommertag, wenn er die Sonne kommen sieht!
-
-Ueber diesem Gedanken stieß er alle Türen und Fenster seines Herzens
-weit auf -- aber der liebe glockenklare Morgenwind lief nicht hinein.
-
-Da hatte er nun diese Lippen hingenommen wie der Frühling eine
-erwachende Blume! Und als Do ihren wissenden Finger erhob, der da
-fragte: »Sie denken wohl ...?« hatte er seine Empörung gegen diesen
-Finger geblasen.
-
-Nun waren die Küsse der vier Tage, die ihm auf dem morgendlichen
-Waldgange erdbeerfrisch noch auf dem Munde gelegen hatten, am Wegrande
-gewachsen!
-
-Er wischte sie mit dem Taschentuche fort und dachte: ein Mädchenmund
-voll so staubiger Süßigkeiten müßte von Rechts wegen gekennzeichnet
-sein -- und nörgelte eine Stunde lang an der Weltordnung herum.
-
-Es tauchten da und dort morgenlichte Kleider auf, und es blühten da
-und dort auf umschatteten Wegen junge Stimmen. Da setzte er sich auf
-eine Bank und saß bis an den Mittag und warf seine Blicke auf jeden
-Frauenmund -- ob er sich an ihm vorüberlachte in der Freude am Licht,
-ob er voll sehnsüchtigem oder besinnlichem oder dankbarem Traum am
-Glück sei, oder ob er blühe wie ein Mohnfeld, lichterloh und in
-seelenzehrendem Brand ...
-
-Es war ein qualvolles Studium, und der Teufel half ihm die Küsse
-zählen, die verschwenderisch auf diese roten Blumen hingedrückt worden,
-und rieb sich die Hände.
-
-So ließ er an dem Grab, an dem er stand, ›die Schmerzen in Betrachtung
-übergehn‹ ... Er wußte nicht, daß er damit heimlich in die Gärten
-Goethes getreten war, der also dichtend überwand, was Bitternis auf
-seine Sonnenwege schattete. Aber nur ein paar Schritte weiter am Wege
-durch den Schloßgarten wartete ein Erlebnis auf ihn.
-
-Der Traum des Mittags war aufgestanden und wandelte mit erhobenen
-Händen, unter denen es sonnenstill wird. Die goldenen Netze der Luft
-fielen über das Atmen der Blumen; helle Menschensinne begegnen in
-dieser Stunde den Seelen der Bäume ...
-
-Als die Dame, mit der Jakobus an diesem Tag in ein Gespräch kam,
-solche Worte aus einer seherischen Erschütterung ihres Herzens zu ihm
-redete, wunderte er sich; denn es war eine fremde Art. Die Frauen,
-die seither um ihn gewesen waren, begriffen die Welt in heiterer
-Sinnlichkeit -- vor allem Gwendolin die Sonnenseitige. Und Doris
-Rinkhaus war oktoberklar, oder sie war voll Märzenlicht ... Er lächelte
-sich in ein heimliches Vergleichen hinein und merkte, daß Do ihm ihre
-Siegeraugen machte. Aber sie lachte nicht das Lachen, in dem die Engel
-Feste feierten und grüne Gläser mit sachte spritzendem Moselwein
-aneinanderklangen, sondern sie sagte: »Na, Herr Jakobus Sinsheimer?«
-Damit verbriefte sie ihm ihr Recht, wenn er ihr einmal unter die Füße
-gekommen war. Aber er dachte, jener unter die Füße zu kommen wäre
-besser, als der Gwendolin unter die Lippen -- zwar ...
-
-Dies Zwar war eine Schwelle. Seine Gedanken stolperten darüber und
-stolperten zu einem gelben Buch, das auf der Bank unter der Hängebuche
-lag. Es lag auf der Nase und Jockele setzte sich daneben und las so
-von oben herunter: ›Reclams Klassikerausgaben. Gedichte von Wolfgang
-von Goethe.‹
-
-Er ließ die Seiten durch seine Finger laufen -- der ganze zwanzig Bogen
-umfassende Band, von der ›Zueignung‹ bis zu den Noten am Schluß, war
-Zeile für Zeile grüblerisch durchgearbeitet. Unbeirrbare Sehnsucht,
-alles zu wissen, war hier am Werke gewesen. Schon hinter der ersten
-Ueberschrift »Zueignung« stand geschrieben: ›August 1784 auf einer
-Reise nach Braunschweig, ursprüngl. f. d. Geheimnisse‹. Die zweite
-Strophe des Gedichts beginnt: »Und wie ich stieg, zog von dem Fluß der
-Wiesen ein Nebel sich in Streifen sacht hervor,« daneben in Blei und
-emsig schülerhaft: ›Goethe interessierte sich sehr für Wolken.‹ Vor
-allem waren die Beziehungen zu Faust zweiter Teil mit beharrlichem
-Bemühen gesucht und vermerkt -- gleich zu Anfang der dritten Strophe
-der Zueignung: »Auf einmal schien die Sonne durchzudringen, im Nebel
-ließ sich eine Klarheit sehn ...,« war notiert: ›Faust II, 1: Im
-Dämmerschein liegt schon die Welt erschlossen.‹
-
-War das ein Philologe, der so nach Dichterschätzen grub?
-
-Wieder hörte er die graue Frage: »Was wissen Sie von Goethe, Herr Jo?«
-hinter der damals im Tiefurter Park seine Jugend in so beängstigender
-Finsternis gestanden hatte. Es war ihm, als wäre von unsichtbaren
-Händen ein Tor angelweit aufgeschlagen worden -- und nun sollte
-er nicht eintreten dürfen in dies Licht, das über ihn fiel? Ein
-unersetzbarer Schatz!
-
-Er schaute um sich ... rings waren die schirmenden Aeste der Buche ...
-vielleicht hatte einer den Band zum Finden dahingelegt ... ›Zigeuner!‹
-sagte er laut und bitter.
-
-Aber fortgehen konnte er nicht. Er ergriff es abermals, las sich das
-Herz heiß und dachte: »Ich will es dem Kastellan bringen und will mein
-Besitzrecht geltend machen für den Fall, daß sich der Verlierer nicht
-meldet. Oder -- ich will mir die gleiche Ausgabe kaufen und will jeden
-Tag herausgehen und diese Anmerkungen abschreiben ...« Er dachte sich
-ganz wirbelig, und dann schritt er den Gartenweg entlang.
-
-Da begegnete ihm eine Dame --
-
-»Verzeihung,« sagte sie, »Sie haben meinen Band Goethe auf der Bank
-unter jener Buche gefunden ...«
-
-»Jawohl,« sagte er verbindlich und hielt den Hut dabei in der Hand,
-»ich wollte ihn dem Kastellan übergeben; denn ich sah, daß der
-Eigentümer den Verlust sehr schmerzlich empfinden würde.«
-
-»Ich danke Ihnen tausendmal,« sagte das ältliche Fräulein mit jenem
-norddeutschen Ausdrucke, den er selbst von Tante Veronika angenommen
-hatte. Da faßte er Mut --
-
-»Darf ich mir als Finderlohn die Erlaubnis ausbitten, alle Anmerkungen
-in einen eigenen Band zu übertragen?«
-
-»Gerne, wenn wir einen Weg dazu finden,« antwortete sie. »Ich komme
-von weit her -- ich bin eine Sucherin nach herrlichen Schätzen, mein
-Herr -- eine Schatzgräberin in des Wortes ursprünglichster Bedeutung:
-ich werde den Faust finden, von dem Goethe in seinen Tagebüchern redet
-als von dem ›Hauptgeschäft‹. Diese letzte Fassung ist der Welt noch
-vorenthalten; er selbst redet von einem Schelmenstück, das er damit
-beabsichtigte -- bis ins Jahr 1775 zurück läßt sich das Vorhaben
-verfolgen, dies Werk den Augen der Menschen zu entziehen -- und er ist
-hingegangen in den Garten Am Horn zu Weimar und hat während der letzten
-Jahre seines Lebens die Vorbereitungen getroffen. In jenem Garten,
-in den er seinen ewigen Tempel baute, hat er am 16. August 1831 die
-Handschrift vergraben.«
-
-Das alles kam aus einem lodenen Fräulein und unter einem Jägerhütchen
-hervor und stürmte auf ihn ein mit kühn vorgehaltenem Fahnenschafte.
-
-»Ah,« sagte er, »und wenn ich recht verstanden habe, so wollen Sie
-diese endgültige Fassung des ›Faust‹ im Garten des kleinen Hauses
-entdecken?«
-
-»Ich +werde+ sie entdecken!«
-
-»Dann -- dann müßten Sie aber wohl den ganzen Garten umwühlen?«
-
-»Oh, ich werde die Stellen zu bezeichnen wissen!«
-
-»Das ist ja ein Fund, der die Welt erschüttern wird!« stammelte
-Jakobus. »Ich fange an, die Hand einer gütigen Vorsehung zu erkennen,«
-sagte er, schon mit allen Sinnen hineingebettet in den schwärmerischen
-Ton des Fräuleins Erika Flucht -- »mein Weg führt mich täglich an jenem
-Garten Goethes vorüber ... Haben Sie ihn vorhin nicht den ewigen
-Tempel genannt? Auch ich wohne in einem Gartenhäuschen am Horn.«
-
-»So seien Sie mir gegrüßt!« rief sie, reichte ihm die Hand und
-versprach, ihm noch an diesem Abend die Bezeichnung ›der ewige Tempel‹
-zu erläutern. Dann erhob sie ihre Stimme und sprach, mit einer großen
-Geste nach Weimar:
-
- »Gab die liebende Natur,
- Gab der Geist Euch Flügel,
- Folget meiner leichten Spur --
- Auf, zum Rosenhügel!«
-
-Jakobus Sinsheimer ahnte eine Aufforderung zu sofortigem Aufbruche, und
-weil seine Augen dies Ahnen spiegelten, fragte sie: »Sie wissen wohl
-nicht, daß der Hang, an dem Goethes Gartenhaus liegt, der Rosenberg
-heißt?«
-
-»Nein,« gestand er, »mir kommt es überhaupt vor, als wüßte ich gar
-nichts.«
-
-»Sehen Sie -- und die Stelle, die ich Ihnen soeben vorsprach --
-ist sie nicht ein Ruf des Meisters: ›Ihr, denen der Geist Flügel
-schenkte, folgt mir ... unter dem von Geisterstimmen umraunten Rasen
-des Rosenhügels findet Ihr des Rätsels Lösung!‹ Aber seine Dichtungen
-sind +voll+ von solchen Rufen und Lockungen nach dem Geheimnisse, das
-er schelmisch dort der Mutter Erde vertraute. Kommen Sie, sehen Sie
-mit Ihren Augen die Zauberkreise, die Goethes heitere Größe um das
-königliche Vermächtnis schlug!«
-
-Es kam aus dieser seherischen Seele über ihn -- noch zitterte der
-Rausch durch seine aufgewühlten Sinne, den die Frühlingsgaben
-Gwendolins hindurchgejauchzt hatten, nun ruderte er schon wieder mit
-schwunghafter Leichtherzigkeit hinein ins Himmelblau ohne Grenzen und
-fühlte: die fruchtatmende Erde geriet ins Wogen.
-
-Als sie an dem Hause Gwendolins vorübergingen, rief er der Frau hinein,
-er werde das Malzeug in den nächsten Tagen holen lassen.
-
-Dann fanden sie sich im Zwetschengarten des Gasthofs über einem
-verspäteten Mahle zueinander: das Glück, aus gerütteltem Ueberflusse
-Weisheit zu spenden, führte Erika Flucht -- die Frage Dos: Was wissen
-Sie von Goethe? drängte ihn zu ihr ... Aber er selbst war viel zu sehr
-bedrängt vom Erleben. Er hörte mit Atemlosigkeit des Herzens zu und
-kam sich vor wie das Kind, das den himmelblauen Frühlingswind fangen
-wollte; da rettete der sich vor den tappenden Händen in einen blühenden
-Kirschbaum und wirbelte einen Haufen Silberzindel herab -- und der
-lange Mensch Jakobus stand mitten darin und ließ es schneien. Auch der
-gewärmte Kalbsbraten forderte ein Stück liebevolle Teilnahme.
-
-Einmal hob er das Glas zum Trunke, aber es mußte auf halbem Wege
-warten; denn zwischen Lipp' und Kelchesrand warf Erika Fluchts
-stürmende Begeisterung den Peneios, den Olymp, Persephoneien und
-Orpheus und die ganze klassische Walpurgisnacht hindurch.
-
-Das geschah an dem gleichen Tische, um den die Scherben der vor vier
-Stunden jäh zerbrochenen Liebe lagen.
-
-Sollte er ihr gestehen, daß wenigstem Peneios und Persephoneia
-unentdeckte Welten für ihn waren? ...
-
-Nachdem der Kellner abgetragen hatte, legte Jockele die Arme um die
-Kante des Tisches, als wären auf der Platte tausend surrende Firlchen
-losgelassen -- Knöpfe, die auf dem durchgesteckten Holze tanzen --
-und gebärdete sich, als dürfe von dem närrischen Schwarme keines
-hinabschnorren in den Sand. Aber das war ein eitles Beginnen. Darum
-sann er auf Rettung und sagte: »Verehrtes Fräulein, bitte, nehmen Sie
-eine Zigarette.«
-
-Er hatte gerechnet: sie ist von ganz anderer Art als Gwendolin
-Vogelgesang, die oft sogar beim Malen rauchte, und gedachte nun
-Feuer mit Feuer zu dämpfen; auch Maria Reh hatte sich vom Rauchen so
-hinnehmen lassen als von einem mühseligen Geschäft -- und mild lächelnd
-senkte sich die Ruhe über sie.
-
-Als der rote Bronnen der Weisheit gestopft war, lenkte er das Gespräch
-nicht ungeschickt auf ein Nebengeleis -- »Durch die Kronen der Bäume
-wehen Duftwogen aus der blütenbunten Stille des Schloßgartens,« sagte
-er, der Würde der Stunde entsprechend. Aber Erika Flucht warf sich
-gleich in diese Wogen hinein und sprach, als läse sie ihm vor: »In
-Ettersburg vollendete Stiller ›Maria Stuart‹, und hier wurde Goethes
-›Iphigenie‹ zum erstenmal in geschlossenem Raum aufgeführt. Goethe
-spielte den Orest, und -- wenn ich nicht irre -- Karl August den
-Pylades.«
-
-»So, so,« sagte Jockele aus seiner tiefen Zerschmetterung heraus und
-rang mit sich, ob er ihr erklären sollte, daß er für die nächste Stunde
-nicht mehr aufnahmefähig sei -- wegen des Erlebnisses vom Vormittag,
-oder weil das Feld seines Geistes, auf dem sie mit beglücktem Fleiße
-baute, noch zu wenig vorbereitet wäre?
-
-Er entschied sich für das letztere und erzählte ihr den Roman seines
-Lebens. Darüber traten sie die Wanderung nach Weimar an, und der
-Bericht war auf eine Meile verteilt.
-
-Als es dämmerig wurde, traten sie unter dem Gewölbe der Sternbrücke
-heraus in den weimarischen Park. Ein später Nebel spann aus dem
-abendruhigen Spiegel der Ilm, ganz dünn und zauberisch und von leisem
-Glanz: er hatte an den Kahn des Mondes gestreift, der auf dem Wasser
-lag.
-
-Sie gingen an der Sphinx vorüber, und Erika Flucht sprach unter dem
-Silberschleier hervor, der sich auf ihre Seele gelegt hatte, sprach ein
-paar Verse Goethes -- »auch aus diesen Versen von der Sphinx ruft das
-Geheimnis von dem nahe verborgenen Schatze,« erläuterte sie.
-
-Der Abend im Park war voll heimlicher Verheißungen. Und Jockele war
-gefaßt.
-
-Auf dem Weg über den Stern nach Goethes Gartenhause fragte er: »Sie
-redeten von dem ewigen Tempel -- wo ist er?«
-
-»Später, später!« sagte sie. »Jetzt von der klassischen Walpurgisnacht
--- dies ist die Landschaft! Rechts die Ilm, die Goethe den Peneios
-nennt; links der Rosenberg oder das Horn, der ihm zum Olymp geworden.
-Und daß dies Reich in den ›Sand‹ versickert, ist ebenfalls dem
-Ilmtal entnommen; denn der Platz, in den dies Tal vor Oberweimar
-hinübermündet, hieß ›der Sand‹ und war ein Exerzierplatz. Sehen Sie --
-so führt der Dichter selbst alle jene, denen der Geist Flügel gab, zu
-dem Schatze seines letzten, des wahren Faust! Jetzt verstehen Sie die
-Landschaft und Sie verstehen die Mahnung:
-
- In des Olympus hohlem Fuß
- Lauscht sie (Persephoneia) geheim verbotenem Gruß;
- Hier hab' ich einst den Orpheus eingeschwärzt;
- Benutz' es besser, frisch! beherzt!
-
-Kann ein Dichter, der der Nachwelt ein Rätsel aufgeben wollte,
-unverschleierter andeuten, daß er die Handschrift, von der er als von
-dem ›Hauptgeschäfte‹ redet, in den Fuß dieses Hanges vergrub? Kann er
-klarer den Weg dazu weisen?«
-
-Jakobus empfand ihre Worte wie liebevolle Umarmungen. Aber der Gedanke
-an den Reif, den der Herbstmorgen heut über die allzufreudige Hingabe
-seines Herzens gesprüht hatte, ließ seine Sinne steil und sein Herz
-lauschend werden, und er fragte aus leisem Zweifel heraus:
-
-»Hat man diese letzte Niederschrift des Faust von Goethes Hand in der
-Tat nie gesehen?«
-
-»Nie! Und doch ist sie beinahe in jeder Anmerkung seines Tagebuchs aus
-der Zeit kurz vor seinem Tode erwähnt.« Erika Flucht zitierte aus einem
-sicheren Gedächtnis alle Stellen dieses Tagebuchs mit den Daten. Sie
-hatte jede Zeile Goethes geprüft auf das Rätsel, dem sie in ahnender
-Erleuchtung nachzog.
-
-Da waren sie an die untere Pforte des Gartens gelangt.
-
-Erika Flucht öffnete sie und sagte: »Man hat mir den Schlüssel
-übergeben, damit ich des Traumes Deutung nachspüre, so oft mich der
-Geist ergreift. Sieben Stufen führen empor -- eine geheiligte Zahl!«
-Das silberne Dämmerlicht sickerte um die hohen Säulen der Bäume. --
-
- »Blick auf, hier steht bedeutend nah
- Im Mondenschein der ewige Tempel da!
-
-Wir schreiten in diesem Augenblicke hinein! Und niemand erriet, was
-mir die Seele dieses Ortes offenbarte! Zuerst fand ich unter Moos dies
-Mosaik, und eingelegt in das Gestein das Zeichen des Pentagrammas.
-Goethe setzte dies Ausrufezeichen an die Schwelle des Tempels -- aber
-die Menschen bedachten es nicht und schritten darüber ...«
-
-»Und warum nennen Sie diesen Teil des Gartens immer ›Tempel‹, Fräulein
-Flucht?«
-
-»Meine Entdeckung, Herr Sinsheimer! Die Gartenanlage trägt die
-Grundform eines altchristlichen Heiligtums -- dieser Weg nach
-Osten stellt das Hauptschiff dar, jener das Querschiff --, dort in
-der Verlängerung des Mittelschiffs sehen Sie den muschelförmigen
-Abschluß, Chor und Apsis, den Goethe durch die im Bogen gepflanzten
-Linden andeutete, und an der gleichen Stelle wie in der Basilika, der
-Hochaltar: das Allerheiligste mit dem Tisch aus Stein, um den Sie
-den welligen Saum des Altartuchs gemeißelt finden, und darüber das
-Altarbild, die Tafel mit den Versen:
-
- Hier in Stille gedachte der liebende seiner Geliebten;
- Heiter sprach er zu mir: werde mir Zeuge, Du Stein!«
-
-»Und der Faust?« fragte er erschüttert.
-
-»Dieser wunderbare Naturtempel kann nichts anderes sein als die Folie
-zu dem tiefen, ernsten Vermächtnis -- ›blick auf, er steht bedeutend
-nah!‹ ruft der Dichter der Menschheit ins Herz -- aber sie versteht
-seine Mahnung nicht ... Hier, mein Herr, hat Goethe die Urschrift zu
-seinem Faust vergraben.«
-
-Erika hatte alles zusammengetragen an Daten und Veränderungen, die in
-dem unteren Garten während der letzten Lebensjahre Goethes vorgenommen
-worden waren. Sie ließ in den folgenden Tagen an Stellen des
-umrauschten Hanges graben, von denen sie vermutete, daß sie des Rätsels
-Lösung brächten -- vergebens!
-
-In Jakobus klang jedes ihrer Worte nach, als sie abgereist war.
-
-Den Band Goethe ließ sie ihm zur Abschrift der Anmerkungen und sagte,
-wenn sie wiederkäme, würde sie der Enthüllung des Vermächtnisses,
-das ›in den Fuß des Olympus eingeschwärzt‹ sei, ein gut Stück näher
-sein. --
-
-Seine Tage -- die letzten im lichten Scheinen des Jahres, die es
-im Scheiden abbrennt als ein königliches Feuerwerk, zogen dahin
-in tapferer Feindschaft gegen Doris Rinkhaus. Das hatte Gwendolin
-Vogelgesang getan! Do und Jo gingen aneinander grußlos vorüber, wenn es
-einmal kam, daß sie nicht ausweichen konnten.
-
-Da hing oft mitternächtige Finsternis um ihn, und er rief sich den
-Geist Dos wie einer Abgeschiedenen und sagte zu ihm: »Wie denken Sie
-über die vergrabene Handschrift zum Faust?« Es war komisch -- er
-nannte das Bild mit den hellen Augen und der klaren Sichtigkeit des
-Märztages immer ›Sie‹. Und Do lehnte sich mit vor der Brust gekreuzten
-Armen rückwärts gegen das Fensterbrett, wie es ihre Gewohnheit war,
-wenn sie einen Angriff plante oder sich eine Stellung zu erfolgreicher
-Verteidigung eroberte --
-
-»Hm,« sagte sie, »es wäre eine Roheit, diese wunderliche Idee vor der
-Welt ins Lächerliche zu ziehen. Da die Handschrift in der Tat fehlt
-und die Tagebuchaufzeichnungen Goethes den Schluß auf eine zurzeit
-verlorene Fassung des Dramas zulassen, so muß man wohl auch jeden
-Versuch, ihrer habhaft zu werden, achten. Aber ich halte die Kette der
-Schlüsse jenes Fräuleins doch für eine sehr phantastische Anreihung und
-glaube nicht, daß sie im Besitz der Wunderlampe ist, die zu dem Schatze
-leuchtet.«
-
-Aber Jockele, der Dos Geist nun auf dies heimliche Zwiegespräch
-gefordert hatte, beschied sich damit nicht --
-
-»Und warum sind Sie dieser Ansicht?«
-
-»Ich sagte Ihnen ja schon, daß mir die Beweisführung zu phantastisch
-erscheint -- vor allem aber: es gehört doch eine merkwürdige Auffassung
-von der Psyche eines ernsten und bedeutenden Mannes dazu, ihr ein
-derartiges Versteckspiel anzudichten, das ohne Zweifel kindsköpfisch
-aussieht.«
-
-»Sie kennen die Beweisführung nicht in allen Stücken, Do!«
-
-»Aber das Fundament ist für mich Luft! Es gehört der unbegreifliche Mut
-einer Frau dazu, darauf ein Gebäude zu errichten.«
-
-Draußen ging ein langer spinnwebfeiner Septemberregen nieder.
-
-Da wühlte sich Jakobus in dem sanft durchwärmten Gartenhäuschen
-tiefer in Goethe und die Gedankengänge Erika Fluchts hinein -- bis zu
-selbstvergessender Forscherfreude. Der zweite Teil des Faust wurde
-auch für ihn ein mächtiger Bund von Schlüsseln. Er probierte jeden
-an den vielen Türen, die der Dichter vor dem ›großen Schelmenstück‹
-seines Lebens aufgerichtet hatte. Zu dem dunklen Gange, der den Schatz
-bewahrte und zu Persephoneien führte, sah er Wegzeichen --: ›Von der
-Erde muß das Heil uns kommen!‹ stand da geschrieben, und er fand die
-Verse, die Goethe mit Bezug auf den Hügel seines Gartens gedichtet
-haben mußte, wenn in der griechischen Landschaft des Peneios das Ilmtal
-dargestellt war:
-
- Sind Briten hier? Sie reisen sonst so viel,
- Schlachtfeldern nachzuspüren, Wasserfällen,
- Gestürzten Mauern, klassisch dumpfen Stellen --
- Das wäre hier für sie ein würdig Ziel!
-
-Bei der Papiergeldszene, von der ihm Erika Flucht mit geheimnisreicher
-Inbrunst ihre Deutung gegeben, verweilte er lange. Ihre Fragen klangen
-ihm in den Ohren -- Glocken, die am längsten läuten: »Was soll diese
-Szene, wenn sie nicht ein Hinweis auf die vergrabene Handschrift wäre?«
-
-Er las:
-
- Vom Estrich zwar ist es nicht aufzuraffen;
- Doch Weisheit weiß das Tiefste herzuschaffen.
- In Berges Adern, Mauergründen
- Ist Gold gemünzt und ungemünzt zu finden;
- Und fragt Ihr mich, wer es zutage schafft?
- Begabten Manns Natur- und Geisteskraft.
-
-Und daneben stellte Goethe die anderen Worte des Mephistopheles:
-
- Zwar ist es leicht, doch ist das Leichte schwer.
- Es liegt schon da, doch um es zu erlangen,
- Das ist die Kunst; wer weiß es anzufangen?
- Bedenkt doch nur: in jenen Schreckensläuften,
- Wo Menschenfluten Land und Volk ersäuften,
- Wie der und der, so sehr es ihn erschreckte,
- Sein Liebstes da- und dortwohin versteckte ...
-
-Aber durch jedes Fenster, das er aufschlug, um Licht durch die zähe
-Dämmerung fluten zu lassen, steckte Doris Rinkhaus den Kopf mit den
-unbarmherzig hellen Augen und sagte: »Ich höre doppelt, was er spricht
--- und dennoch überzeugt's mich nicht!«
-
-Jockele hieß die Gelegenheit willkommen, mit dem ›Lichte von drüben‹
-sich über den Fall auseinanderzusetzen -- es war kurzweiliger, als
-immerfort Erika Flucht im Geiste reden zu hören, die die ganze
-Papiergeldgeschichte auswendig wußte. --
-
-»Es steht hier ja mit nahezu unheimlicher Deutlichkeit, wie die
-Entdeckung des Schatzes vor sich gehen wird,« sagte er und pochte mit
-den Fingern auf die bedruckten Seiten, als gälte es, den Geist Dos, den
-stets verneinenden, für diesen Himmel zu gewinnen --
-
- Doch kann ich nicht genug verkünden,
- Was überall besitzlos harrend liegt.
- Der Bauer, der die Furche pflügt,
- Hebt einen Goldtopf mit der Scholle,
- Salpeter hofft er von der Leimenwand
- Und findet golden-goldne Rolle,
- Erschreckt, erfreut, in kümmerlicher Hand ...
- Nimm Hack' und Spaten, grabe selber,
- Die Bauernarbeit macht Dich groß,
- Und eine Herde goldner Kälber,
- Sie reißen sich vom Boden los.
-
-Er las in unablässigem Wandelgange so laut, daß Do hätte aufhorchen
-müssen, wenn sie im Garten gewesen wäre. Aber der Nebel kroch draußen
-über das Gras, zog seine Netze von Stamm zu Stamm und fing darin
-schlafmüde Blätter.
-
-So oft Jo sich Doris Rinkhaus in den Lehnstuhl am wärmelnden Ofen
-dachte, hatte sie immer die gleichen mitleidlosen Augen.
-
-Dann kam ein Tag, da schritt er ohne Buch durch die trauliche niedere
-Stube und wußte die Szene auswendig wie Erika Flucht. Aber die
-Freudigkeit der Gefolgschaft hatte er verloren.
-
-An diesem Tage schrieb er an die ferne Erika Flucht: »Manchmal fällt
-himmelfrohes Leuchten in mich und ich grüße Sie in Ihr beseligtes
-Suchen. Aber zuletzt steht doch stets der Zweifel -- ich kann Ihnen
-nicht mehr helfen, verehrte Freundin; denn ich finde keinen Vers,
-der sich nicht viel müheloser anders deuten ließe als im Sinne Ihres
-wertvollen und interessanten Bemühens. Und doch: ich habe meinen
-Schatz gefunden, indem ich hinter dem Lichte wanderte, das Sie vor mir
-hertrugen -- sehen Sie zu, daß auch Ihnen Ihre Sehnsucht Erfüllung
-werde!«
-
-Zwei Jahre später erhielt er ein Buch, das sie über diese Dinge
-geschrieben hatte. Es trug den Titel: »Das Vermächtnis« und er erkannte
-daraus, daß sie ihres Traumes Deutung nicht näher gekommen war.
-
-Ihr Name wurde später noch oft von Do und ihm genannt, aber sie
-lächelten doch zuletzt über ihn hin -- ›im Finstern sind Mysterien zu
-Haus‹.
-
-Leibhaftig gesehen hatte er Do nicht in diesen Tagen, die so schläfrig
-im Nebel herumliefen. Aber nun ging er des Mittags immer den breiten
-Gartenweg, und nicht mehr durch die Schlüpfe, und richtete seine Blicke
-bei jeder Heimkehr aus der Stadt gegen ihre Fenster.
-
-Es lag immer die gleiche undurchdringliche Ruhe dort.
-
-Da befiel ihn die Sorge, es könnte Do etwas zugestoßen sein. Er suchte
-vor der Tür in dem aufgeweichten Wege nach der Spur ihrer Füße und fand
-sie nicht. Er ging an einem Abend viermal hinaus und sah, ob Licht
-hinter den Fenstern ihres Zimmers wäre -- das Haus war gestorben.
-Er riß an dem Klingelstrange, daß die Glocke drinnen jäh aus ihrem
-Schlafe schreckte und Sturm läutete -- »Wenn sie jetzt kommt,« dachte
-er, »so sag' ich: ›ich wollte sie nur noch mehr ärgern, als dies schon
-geschehen ist‹ -- und dann frier' ich zu bis auf den Grund.«
-
-Aber sie kam nicht. Da lief er gegen seine Gewohnheit in die Stadt, um
-eine ihrer Bekannten zu treffen. Vor jedem Menschen hatte er die Frage
-auf den Lippen: »Kennen Sie Doris Rinkhaus? Wo ist sie hingekommen?«
-
-Als er beim Kaisercafé um die Ecke in die Schillerstraße einbog, war
-der Bummel der Weimaraner schon im Einschlafen. Die Rathausuhr schlug
-acht. Die Laternen spannten gelbe Brücken auf die glitschigen Steige,
-und was da in Regenzeug mit hochgeschlagenen Rockkragen dahinstapfte,
-waren »die nach Ladenschluß«. Nur aus dem Fauserschen Blumengeschäft
-bei dem Gänsemännchen brach noch ein verspäteter Strom Licht in den
-Nebel -- Gwendolin stand drinnen in Blüten und steckte sich gerade drei
-rote Nelken in den Gürtel!
-
-Er hatte all die Zeit her nicht das leiseste Verlangen gespürt, sie
-über ihr Verhalten in Ettersburg zur Rede zu stellen. Nun, da nur die
-blanke Scheibe zwischen ihm und ihr war, prallte er zurück -- aber:
-»Träf' ich Dich nicht heute, träf' ich Dich ein andermal,« dachte
-er, sprang die Stufe empor und stieß hart gegen die Glastür; sie war
-geschlossen.
-
-Da öffnete ihm Gwendolin --
-
-»Wissen Sie, wo Doris Rinkhaus hingekommen ist?« fragte er.
-
-»Aber ja,« sagte sie, »sie ist in Ibenheim! Und Sie wissen das nicht?«
-
-»Nein. Was soll denn das heißen? -- Nun ja, wir haben doch noch vier
-Wochen Krieg miteinander.«
-
-»Geschieht Ihnen recht. Halt, halt! Warten Sie, ich gehe mit Ihnen!«
-
-Das war Gwendolin -- sie hatte ihn schon wieder in beiden Händen.
-
-»Ich gehe nach Hause,« sagte er.
-
-»Ich gehe mit,« sagte sie. »Warum haben Sie sich in diesen vier Wochen
-eigentlich nicht sehen lassen?«
-
-»Vor Ihnen?«
-
-»Natürlich vor mir! Aber diese Sache machen wir daheim ab. Los!«
-kommandierte sie.
-
-Sie gingen über den Markt und gingen über die Sternbrücke. Als sie in
-den dunklen Fußweg nach dem Horn einbogen, sprengte ihr ein Lachen
-den Mund -- diesen Mund, der über seine rauchenden Sinne geblüht war
-wie die rote Seide des Feldmohns, wenn sie sich voll Sonne getrunken
-hat! Und Doris Rinkhaus in Ibenheim! Krieg auf Kündigung! Dazu Erika
-Flucht, die den Olympus durchwühlte, in den Goethe sein Vermächtnis
-eingeschwärzt hat ... Und das alles auf einem kleinen Zirkel Zeit
-und Erde! ... Jakobus Sinsheimer stand in der Mitte dieser verrückt
-gewordenen Drehscheibe, wirbelte sich um seine eigene Achse und bekam
-das wüste Sehen.
-
-»Du,« sagte sie, »willst Du den ganzen Abend so zugenagelt sein? Rede!«
-
-»Frage nur weiter,« sagte er -- »vielleicht rat' ich mich dann aus
-meinem Staunen heraus.«
-
-Sie lachte, daß ihm das Herz klang.
-
-»Verrückte Geschichte!« sagte er. »Und nun kommt das auch noch, sagt
-›Du‹ zu mir und stattet mir einen mitternächtigen Besuch ab. Nimm Dich
-in acht vor mir!«
-
-»Fällt mir ja gar nicht ein!«
-
-Teufel, wie das lachen konnte! ... Jakobus Sinsheimer fing an,
-nachsichtig gegen sich selbst zu werden und dachte an vollkommene
-Verzeihung -- »das heißt,« erläuterte er laut, als ob sie seine
-Gedanken gehört hätte -- »ich selbst will mir verzeihen. Du bist
-hoffentlich vernünftig genug und verzichtest für Dich!«
-
-Es knisterte und tropfte im Laubdache der Kastanien, und auf dem
-breiten Gartenwege lag mitternächtige Finsternis.
-
-»Es ist schaurig einsam hier,« sagte Gwendolin und legte ihren Arm um
-den seinen; da fühlte sie, daß der von Holz war und ohne Bedürfnis,
-sich anzuschmiegen.
-
-In der Türe des Hauses ließ er sie stehen und brannte die Lampe an, und
-Licht und Wärme nahmen ihr das Regencape ab --
-
-»Ah,« sagte sie voll Rührung, »wie lieb hier alles ist! Und dahinein
-hast Du mich nicht ein einziges Mal gerufen?«
-
-»Nein,« sagte er -- »der Name Gwendolin Vogelgesang ringelt sich aus
-dem Mund als eine Schlange und zischt, ehe er noch ganz hervorgekrochen
-ist! ... Ich weiß das leider erst seit diesem Augenblick.«
-
-Sie setzte auch den braunen Hut ab, um den ein schmales Band aus
-schwarzem Glanztuch geschnallt war, und rückte sich den Lehnstuhl an
-den Tisch.
-
-»Du, mach' eine Tasse Tee!« lockte sie.
-
-Da holte er den Spirituskocher von dem Fensterbrett in der Kammer. Sie
-hörte, wie er draußen Wasser in einen Blechtopf goß, dann stellte er
-den ganzen Betrieb auf die Diele vor den Ofen und zündete an.
-
-»Pfui, wie männermäßig und stimmungslos! Ich werde Dir morgen einen
-Samowar schicken, der kommt auf den Tisch, und Du läßt Dir des Abends
-etwas von ihm vorsingen, wenn ich nicht da bin.«
-
-»Das klingt ja gerade, als wolltest Du wiederkommen?«
-
-»Du lieber dummer Junge -- selbstverständlich will ich wiederkommen!«
-
-Da legte er das Kinn auf die gelbgemusterte Tischdecke und sagte:
-»Gwendolin Vogelgesang! Gwendolin Vogelgesang! So -- jetzt kriechen
-zwei Schlangen auf dem Tische herum ... Ich wollte, Du entsetztest Dich
-davor -- vor Dir und Deinem Namen und vor Deiner bittersüßen Seele und
-vor Deinen Tollkirschenaugen.«
-
-»Ich habe gar nicht gewußt, welch eine komplizierte Einrichtung ich
-bin,« sagte sie.
-
-»Hm. Ich habe mir die Lippen abgewischt neulich in Ettersburg, weil ich
-auf dem Wege zu Dir Deine Küsse darauf gefühlt hatte.«
-
-»Den Samowar kriegst Du aber doch; denn ... Sie sind einfach süß in
-Ihrer Dummheit, Herr Sinsheimer!«
-
-Aber sie lachte nun nicht mehr, und es wurde ihr schwer, ihn anzusehen;
-sein Mund, der so wild und süßschmerzlich küssen konnte, verzog sich in
-gallebitterem Widerwillen. Sie hatte in ihrer sonnenseitigen Art über
-den Graben hinwegsetzen wollen, den sie gerissen -- nun war er breiter,
-als sie ahnen konnte, und Jockele stand drüben und reichte ihr keine
-helfende Hand.
-
-Die kleine Uhr mit den Alabastersäulchen und dem gewölbten Glas über
-dem Zifferblatt rief mit heller Stimme neun -- es war die gleiche
-Glocke, die schon in Tante Veronikas Jungmädchenträume geklungen
-hatte ... Die mußten aus kleinen Rosen gewoben gewesen sein, aber die
-Gwendolins waren aus violettem Nachtschatten, der in jeder Dämmerung
-ein schwüles Leuchten anhebt und Perlen aus Granatrot und Gift trägt.
-
-Jakobus nahm eine Tasse aus dem Schrank, füllte die kleine Meißener
-Kanne mit Tee und goß für Gwendolin ein. Da ging sie an den Schrank,
-nahm für ihn eine Tasse heraus und bediente ihn in der gleichen Weise.
-
-»Heute gefällst Du mir,« lächelte sie so über ihn hin, »Du bist nicht
-nur dumm, Du bist auch tapfer.« Während sie die Teekanne abstellte,
-streifte sie ihm mit der Hand über das Haar -- »Du,« sagte sie, »warum
-rauchst Du nicht auf -- ich habe Dich nun schon dreimal dumm genannt!«
-
-»Weil Du recht hast. Wär' ich sonst auf Dich hineingefallen?«
-
-Auf dem Tische stand ein Strauß von Herbstgräsern. Den hatte die
-Aufwärterin zusammengetragen, und Gwendolin hatte ihre Nelken
-dazugefügt. Aus diesem Strauße zog er einen Halm Zittergras und tupfte
-ihr damit an die Lippen: »Walderdbeeren, die im Straßengraben wachsen,«
-sagte er.
-
-Da wurde das hohe sonnige Mädchen leise, es gingen vier Lichter aus
-an dem siebenarmigen Leuchter ihrer Zuversicht. »Jockele,« sagte sie,
-»denkst Du, ich hätte Dir diesen Mund gegeben, wenn Du nicht voll
-Sehnsucht nach ihm gewesen wärst?« Sie zog mit dem Löffel das Muster
-der Decke nach und glitt sich sachte aus den Händen.
-
-Er sprang auf und ging mit harten Schritten durch das Zimmer -- »Du
-hättest mich nicht so stumpfherzig verleugnen sollen -- dann wärest Du
-nicht so tief untergegangen für mich, Gwendolin,« sagte er; »denn Du
-bist nicht so arm, daß Du Dich selbst einem Bräutigam gegenüber nicht
-verteidigen könntest.«
-
-Er ließ seine Augen nicht von ihr, denn sie war für ihn Komödie
-geworden. Aber sie schaute nicht auf. Dann sagte sie mit gesprungener
-Stimme: »Ich habe gedacht, es könnte Dir daran gelegen sein ...«
-
-»Daß Du mich vor einem Kellner zu einem Narren machst?«
-
-Da erschrak sie und stand auf und legte ihre Arme um ihn. Er wehrte sie
-ab --
-
-»Jetzt hast Du mir mitten aufs Herz getreten,« knirschte sie und setzte
-sich voll Bitternis in den Stuhl. »Ich habe Dich für jünger gehalten,
-als Du bist.«
-
-Da lachte er gell auf -- »Wär' ich älter, so hätt' ich Dich zur Dirne
-gemacht!« schrie er. »Aus! -- Und nun sage mir: was weißt Du von Doris
-Rinkhaus? Ich werde von ihr das Leben erlernen müssen. Macht es Dich
-nicht nachdenklich, daß ich mich nicht an ihren Mund wagen würde?
-An diese hellen, kühlen, sauberen Lippen! Doris Rinkhaus hat einmal
-gesagt: Wer den Glauben an die Menschen nicht verlieren will, muß den
-Verkehr mit ihnen nach Möglichkeit einschränken. Warum denke ich nun
-daran, da ich Dich vor mir habe? Was weißt Du von ihr?«
-
-»Daß sie nach Ibenheim gereist ist und in dem Hause wohnen wollte, in
-dem einst Maria Reh gewohnt hat. Sie wollte wohl auch wissen, wo Du
-daheim wärst, und wollte mit Tante Veronika zusammensein, die sie sehr
-schätzt.«
-
-Das war so ohne Verhehlungen hingesagt, daß er ganz ruhig daran wurde.
--- Doris Rinkhaus hatte es sonst nicht leicht mit den Menschen, sie war
-hellsichtiger als alle ihres Alters, sie war fertig und selbstbewußt,
-und was ihr noch zu erleben blieb, nahm sie hin in der klaren
-Bewußtheit, mit der sie sich zu leben gewöhnt hatte. Sie machte sich
-ihre Tage selber.
-
-Menschen solcher Art wachsen wenige und stehen fremd inmitten der
-zehntausend Schablonen, die um sie herumlaufen, und sie haben viele
-Feinde.
-
-Gwendolin sagte: »Doris Rinkhaus ist eine kaltherzige Egoistin.«
-
-»Nein,« sagte Jakobus, »sie ist blank und klar wie der volle Mond, der
-in der Hochnacht hängt.«
-
-»Er wärmt nicht.«
-
-»Das Bild war auch nicht klug gewählt,« sagte er -- »manchmal kann
-ich mir denken, daß sie über ein dürres Feld schreitet, und es fängt
-um ihre Schuhe an zu blühen. Aber es ist richtig: sie redet oft mit
-Menschen und ist doch weit weg von ihnen. Alle Mädchen müßten so sein
-wie sie, so königlich und klar. Sie ist ein Quell voll Erfrischung. Ihr
-andern habt nur Kleider und Sinne, aber sie hat eine Krone. Oh, wenn
-Ihr wüßtet, wie Ihr Euch erniedrigt mit Eurer dürftigen Rechnung auf
-das andere Geschlecht!«
-
-Gedanken, die Do auf ernsten Wanderungen in ihn geworfen hatte,
-wollten sich in Helligkeit ringen, aber sie fanden den Weg nicht; denn
-Gwendolins Augen stellten sich vor ihn hin und fragten: »Was verstehst
-Du von diesen Dingen?« Und ihre schwüle Art, ihn anzusehen, machte ihn
-wieder unsicher an sich selbst.
-
-»Du wirst nach Hause gehen müssen,« sagte er -- und sie: »Es ist
-schade, daß Du nicht zehn Jahre älter bist. Ich glaube, ich könnte Dich
-dann richtig lieb haben.«
-
-Sie machte sich fertig, und er führte sie die Kastanienallee entlang
-und ging noch ein paar Schritte mit ihr draußen vor der Hecke.
-
-»Du bist nun doch anders als andere, und ich hätte gegen Dich nicht so
-freigebig sein dürfen,« sagte sie. »Aber Du darfst mich deswegen nicht
-steinigen und meinen, ich allein trüge die Schuld. Vor solch einem
-feuerroten Aufblühen will ich mich aber in Zukunft hüten.«
-
-Vom Tor aus sah er ihr noch einmal nach -- die Nebel schlugen über
-ihrem Schatten zusammen.
-
-Er trat hochaufgerichtet in sein Haus und dachte, sie wäre nach seiner
-Aufforderung ohne Säumen gegangen, weil er von Do zu ihr geredet hatte,
-und wie die so schön und hoheitsvoll sei; gegangen aber auch deshalb,
-weil sie seine ehrliche Bitternis gefühlt hatte.
-
-Dann holte er die Gedichte Goethes mit den Anmerkungen der Erika Flucht
-vom Regale. Da fiel ihm ein, daß es viele Mädchen leicht hätten, neben
-den suchenden Sinnen der jungen Männer dahinzuleben -- die heidegraue
-Norddeutsche mit dem Faustfimmel hatte keiner schön gefunden!
-
-Es waren Gedanken, die er nie zuvor gehabt hatte; darüber ward sein
-Herz noch versöhnlicher gestimmt, und er fragte sich, ob er Gwendolin
-nicht unrecht getan hätte. »Nein -- nur quitt sind wir geworden,«
-sagte er. Und am anderen Tage konnte er sich über den Samowar in helle
-Glückseligkeit freuen.
-
-Sie hatte den Kessel ganz mit Blumen überdeckt, aber sie hatte kein
-Wort dazu geschrieben.
-
-Da suchte er sie während der folgenden Tage in der Stadt zu treffen.
-Wie er sie sah, traten sie sich ernst und freundschaftlich gegenüber,
-und ehe sie auseinandergingen, sagte er:
-
-»Ich glaube, wir sind gar nicht von so unterschiedlicher Art der
-Herzen. Ich weiß jetzt: die meisten jungen Männer und jungen Mädchen
-vertändeln sich aneinander -- aber so zwei wie wir müssen darüber
-hinwegkommen. -- Wann besuchst Du mich?«
-
-»Morgen abend -- wenn Du willst,« sagte sie.
-
-Er hatte sich und sie besiegt.
-
-
-Den Menschen in Weimar ist das Glücklichsein leichter gemacht als
-denen anderswo -- nicht, als ob sich die Steuerlokalkommission weniger
-anmaßend gebärdete -- o nein, sie hat genau so das Bewußtsein, daß sie
-zuletzt immer die Gefoppte sein könnte, und ist deshalb zur Vergeltung
-geneigt; genau so wie anderswo hat sie das Recht zum Pessimismus. Und
-nicht, als ob die Weimarer Bürger und Dichter, die den Hauptteil der
-Bevölkerung bilden, trockenen Fußes über die Straßen gehen dürften,
-wenn es schon seit zwei Wochen aufgehört hat zu regnen -- o nein, o
-siebenmal nein! Für diese Fälle hat sich ein ebenso eigenartiges als
-lustiges Verfahren herausgebildet. Regnet es, und es beabsichtigt
-trotzdem jemand aus einer der grünen stillen Vorstadtstraßen einen
-Ausgang, so wendet er sich zuvor an den Gemeindevorstand mit einer
-Eingabe und fordert die Beschotterung des Weges. Darauf erläßt der
-Stadtbaumeister ein Rundschreiben an alle Anlieger der Straße, ob sie
-für die Kosten der Instandsetzung aufzukommen gedächten. Wenn diese
-zurückgeschrieben haben, daß sie zu wenig Humor besäßen, um ein so
-vergnügtes Ansinnen auch nur zu erwägen, dann ist seit mehreren Wochen
-so trockenes Wetter, daß die Entnahme von Wasser aus der städtischen
-Leitung bei Strafe verboten wird, der beabsichtigte Gang in die Stadt
-kann ohne Lebensgefahr vorgenommen werden, und über die Eingabe, die
-bis auf weiteres inaktuell ist, wird zur Tagesordnung übergegangen.
-
-Trotz alledem -- das Glücklichsein ist den Menschen in Weimar leichter
-als denen draußen; denn jeder treibt sich an dem andern rasch und
-fremd vorüber und fraget nicht nach seinem Schmerz. Es gibt keine
-aufdringlichen Nachbarn, und wer Neigung dazu verspürt, läßt sich
-leicht zu grußloser Begegnung bekehren. Man sieht sich in Weimar,
-aber man kennt sich nicht; und das ist ein Stück des Geheimnisses der
-Glückseligkeit. Man wohnt vergnügt wie in Ibenheim am Walde; denn
-Weimar ist die Stadt mit der unsterblichen Seele, und nicht nur, wenn
-der Mond Busch und Tal still mit Nebelglanz füllt, hält diese Seele
-ihre geheimnisreichen Umgänge und schauert um Herzen und Wege das
-Scheinen der Ewigkeit.
-
-»Das Vermögen, in Einsamkeit glücklich zu sein, steht in geradem
-Verhältnisse zum inneren Reichtum eines Menschen,« hatte Doris Rinkhaus
-einmal zu Jockele gesagt. Das war zu einer Zeit gewesen, in der er
-noch nicht wußte, daß er zu denen gehörte, die Schmerz und Lust in
-Betrachtung übergehen lassen. Aber er hatte gefühlt: es war die
-Wegstelle, an der Tante Veronika und Do einander trafen.
-
-Und nun war er längst zu der Erkenntnis gelangt, daß das Glück von
-Weimar sich ihm um so inniger ans Herz legte, je heimlicher er sich in
-die Stille dieser beseelten Gärten hineinlebte. Er war daheim wie in
-den himmelumdrängten Waldsäumen hinter dem Frühlingshause. Die Namen
-der Großen von Weimar blühten für ihn von allen Fenstersteinen, und er
-sah klingende Ewigkeit ranken um alle Giebel.
-
-Er schaltete die Steinbrüche der Städte nicht einfach in das Dasein als
-Verirrungen verkümmerter Herzen und Geister, die das Bedürfnis haben,
-sich das Firmament der Sterne zu vermauern -- wie er einmal von einem
-Dichter hatte sagen hören -- aber er dachte: wie kann man seine Augen
-so der Sonne entwöhnen und seine Seele so dem jubilierenden Hochgesang
-der Erde! Wie kann man Gott absetzen und den Göttern der Gassen und
-Gossen dienen, solange noch Wälder ihre Arme lichtselig gen Himmel
-dehnen?
-
-Ueber diese Erde ritt der Oktober in silbernem Rüstzeug mit goldenen
-Sporen. Er trug eine blaue Aster am Helm, und die Sonnenrosen lehnten
-sich über die Zäune und mußten seinen Weg bescheinen.
-
-Doris Rinkhaus war wiedergekommen aus den bunten Wäldern der Berge und
-sah aus wie die Braut des silbernen Reiters: kriegsfroh und sieghaft --
-sah aus, als liefe sie unter dem Schellenbaume der Militärmusik. Sie
-machte keine abwesenden Augen mehr, wenn sie aneinander vorübergingen
--- sie wartete auf die rote Fahne, die Jockele aufzog, sobald sie in
-Sicht kam, und freute sich, wenn er als Feuersäule an ihr vorbeiloderte.
-
-Er hatte nicht an Tante Veronika geschrieben, während Do in Ibenheim
-war. Und diese Tante war auch darin eine Ausnahme, daß sie von ihrem
-Jungen nicht einen Wochenbericht mit Speisenkarte und Wetteranzeige
-verlangte.
-
-Am letzten Oktober abends war der Sturm in die spärlich belaubten
-Wipfel gestiegen und blies den Frieden über den Garten. Gwendolin
-war da, und während sie beim Tee saßen, brachte Maria Reh -- noch im
-Reisekleide -- die Einladung zum nächsten Morgenkaffee herüber aus dem
-Gartenhaus. Es war sehr lustig; denn Maria Reh hatte von den Dingen,
-die sich über Sommer zugetragen hatten, keine Ahnung. Und es wäre
-noch lustiger gewesen, wenn sie nicht den jungen Malschüler hätte
-begrüßen wollen, der für sie noch immer mitten in der Erinnerung des
-Waldspazierganges zum Berge der Frau Venus lebte -- nun war aus ihm
-ein junger Mann geworden, der seine Erlebnisse hatte, und der auf dem
-Wege zu einer Weltanschauung war.
-
-Aus dem anderen Morgen wurde ein Vormittag und aus dem Kaffee ein
-Mittagsmahl. Die Aufwärterin Jockeles wurde in die Küche gestellt;
-denn die Damen konnten nicht abkommen. Es hatte sich ein halbes Leben
-während dieses Krieges im Frieden durch ihn hindurch gelebt, und er
-stand schon wieder hoch darüber auf einer heiteren Höhe, von der er
-sich die Welt unter ihm mit Humor betrachtete.
-
-Do hatte, als die Kriegserklärung erfolgte, noch die erste Nacht von
-Ettersburg auf seinen Lippen leuchten sehen -- auf dem gleichen Munde,
-der sich zu dem begeisterungsvollen Ausspruche von der bevorstehenden
-Eheschließung mit Gwendolin hinreißen ließ.
-
-Aber Doris Rinkhaus hatte keinen Verrat an ihm begangen, weder gegen
-die bunten Wälder von Ibenheim noch gegen Maria Reh; und auch er
-spielte nicht den Verräter; denn Gwendolin hatte sich Do an jenem
-Sonntag in Ettersburg nicht verborgen. Deshalb durfte er alle seine
-Erlebnisse berichten und schonte sich nicht.
-
-Dieser erste November leitete Jakobus Sinsheimers wildes Jahr ein.
-
-Zuerst verlor er Gwendolin. Sie kam noch ein paarmal, dann stürzte er
-sich in ein ausgelassenes Malen. An einem verschneiten Tage betraf
-ihn Maria Reh dabei, wie er Stöße bemalter Leinewand in den Schuppen
-hinter dem Hause trug -- um die Holzdieme im Zwetschengarten hatten
-sich Sturm und Winter gejagt, und die Schuppentüre lag hinter einer
-Schneelast. Da wühlte er sich Bahn und warf alle Landschaften der
-anderen Zeit zu Staub und Moder. Dann verfiel er in einen unwirschen
-Fleiß und verlernte darüber zu lachen und zu reden. Er sah die
-Freundinnen aus dem Gartenhause tagelang nicht, wußte nicht, was sie
-trieben, und es kümmerte ihn nicht, ob sie daheim oder verreist waren.
-Er verbrachte Wochen in der Akademie, er verbrachte lange Tage in der
-Büchereinsamkeit seines Hauses. Es gingen alte und junge männliche
-Modelle darin ein und aus, und es kam auch ein ganz junges blondes
-Mädchen der Armut mit einem Madonnengesichte. Die hatte ihm die
-Aufwärterin zugeführt.
-
-Danach entließ er die Frau und hatte die jungen sechzehn Jahre der
-Husch um sich; die behauptete, sie wäre auf diesen Namen getauft.
-
-Er gebot über ihre junge unterwürfige Jugend wie er wollte. An ihrer
-sanften Schönheit sannen sich seine Augen in Träume wie vor dem Bilde
-des Mondes; und die Kümmernis ihrer Jugend erbarmte ihn. Sie lebte sich
-in ihn und das kleine Haus hinein als in ein fremdes schönes Glück und
-litt an der Ahnung, der Märchenglanz werde vergehen, wenn der Schatten
-von Menschen darüberfiele.
-
-Da geriet sie in eine eifersüchtige Wachsamkeit und haßte Doris
-Rinkhaus, daß sie zitterte, wenn ihr Name von ihm genannt wurde, und
-daß sie in Tränen ausbrach, wenn Jakobus drüben im Gartenhause war.
-
-Einmal hatte er mit Do verabredet, Husch sollte für die Damen und
-ihn in der Küche drüben die Mahlzeiten bereiten, aber sie war nicht
-dazu zu bringen -- »Fordere, daß ich in den Winternächten an der Erde
-vor Deinem Bette schlafe oder draußen beim Holz,« flehte sie, »aber
-beschütze Dich und mich vor jener!«
-
-Da machte sie aus dem kleinen Schuppen eine armselige Küche und
-wirtschaftete darin und aß dort, wenn er nicht daheim war. Des Abends
-ging sie über den Wall nach Hause, sie bewohnte mit ihrer Mutter
-eine Mansarde in der Musäusstraße, und war früh vor Tag wieder da
-und wartete, daß er über sie befahl. Sie waltete in dem Häuschen mit
-blumenhafter Stille und Hingabe an die Sonne, die darin für sie schien,
-und dachte: »Wenn diese Sonne untergeht, muß ich sterben.«
-
-Einmal hatte sie ein Märchen von einer Fee gelesen, die in eine
-Blume verzaubert war. Aus dieser Blume durfte sie um die Mitternacht
-herausschreiten. Da schlief der Mann, der die Blume in einen Scherben
-gepflanzt hatte, nebenan in dem Kämmerchen, die Fee aber fegte die
-Stube und wischte den Staub und trug Wasser herzu und war so leise
-wie der Sonnenschein, der über die Diele schreitet. Dann zündete sie
-Feuer unter dem Herde und setzte das Essen daran, daß es sich bis zum
-Morgen koche; denn sie mußte wieder zur Blume werden, ehe der erste
-Sonnenstrahl kam -- sonst war es um sie geschehen.
-
-Dies Märchen erzählte Husch eines Tages dem Jakobus und ward traurig
-und sagte:
-
-»Dieser erste Sonnenstrahl -- ich muß dabei an etwas ganz anderes
-denken ... davor fürchte ich mich!«
-
-Er fragte sie, was es wäre, aber sie schüttelte mit dem Kopfe und
-schwieg. Dann sagte sie:
-
-»Ich werde es Dir nie verraten. Aber wissen wirst Du es doch, wenn
-dieser Sonnenstrahl gekommen ist; denn dann ist es um mich geschehen.«
-
-In der ersten Zeit war ihr sehr bange, sie könnte nicht alle Dinge in
-der Stube wieder an den richtigen Platz und in die Stellung bringen,
-die sie zuvor gehabt hatten, weil ihre Hände und Augen nicht dazu
-geschickt wären. --
-
-Ihre Mutter hatte sie am Rande eines wilden und schönen Mädchentages
-aufgelesen und wohnte noch immer in dem gleichen Dachstübchen, in dem
-ihrem Schoße die weiße Rose entblüht war. Das Fenster lag nach Norden,
-und man konnte die Sonne von dort aus nur sehen, wenn sie in fremden
-Gärten und in den Stuben der anderen Leute lag.
-
-Das Schauen nach fremder Sonne hatte einen Zug tiefer Schmerzen in das
-junge Gesicht getragen. Eines Tages saß sie am Fenster -- es war ein
-frostheller Januartag, und der Ostwind klirrte durch das Geäst. Sie
-dachte an die Zeit, in der das liebe Licht dieses kleinen Hauses nicht
-mehr um sie wäre, und blickte empor zu den kahlen Zweigen, die vom
-Winde geschlagen wurden.
-
-Da wandte sich Jakobus ihr zu und sah ihr schmerzvolles Gesicht. Aber
-sie merkte es nicht. Es schien ihm, als wandele sie in einem tiefen,
-öden Felsentale, das auf allen Seiten verschlossen war, und sie ging
-dahin und sah die Abendsonne ihren Königspurpur um die hohen Zinnen
-legen.
-
-Du hieß er sie ihre Kleider ausziehen und ihr langes, blondes Haar
-lösen, wie sie das schon oft vor ihm getan.
-
-Er hatte sie dann gezeichnet als ein schönes, schlankes Kind, das in
-erdenfernen Gärten schritt -- einmal auch als die Fee in dem Märchen,
-die sich aus der Blume befreite -- da wob sie sich aus sanften Linien,
-die zuvor Blütenodem gewesen waren, zu einer holdseligen Frauengestalt.
-Oder sie wandelte über Stufen des Himmels den Engeln entgegen, die dort
-auf den lieben Gott warteten.
-
-Aber an diesem Tage wurde sie ihm zum ersten Male zu dem
-schmerzensvollen Erdenmädchen.
-
-Er hatte eine Eingebung gehabt, sie so in ein großes Bild zu stellen,
-das er ›Gruppe aus dem Tartarus‹ nennen wollte. Wenn die hohen Bäume
-wieder Frühling über sich warfen und nur verirrtes Licht durch die
-Wogen der Wipfel brach, sollte es draußen vollendet werden.
-
-Zuerst hatten sich seine Sinne an dem scheuen Frühling dieses
-Mädchenleibes in einen blutroten Taumel gesungen, und er hatte ihr die
-Augen verbinden müssen.
-
-Nun gab sie sich ihm längst ohne Scheu, es war, als durchleuchtete die
-Seligkeit ihrer Seele den jungen Leib, so oft er sie rief. An diesem
-Tage sagte er ihr, daß sie mit dem vorigen Gedanken sehnsüchtigen
-Schmerzes dastehen müßte und mit erhobenen Armen, die den beglückenden
-Traum der Sonne nur ein einziges Mal fühlen möchten ...
-
-Sie war ohne Grenzen in ihrer Demut, und sie war ohne Grenzen in ihrer
-Kraft, wenn er ihr gesagt hatte: »Du sollst ...«
-
-Er wußte nicht, woher dieser zarten Schlankheit solche Kraft kam.
-Sie wurzelte in den Stein, der unter ihren Füßen war, wenn er es ihr
-gebot; und sie litt Qualen einer Zeit, vor der sie bangte als vor dem
-namenlosen Jammer, an dem sie sich in das Grab siechen mußte -- sie
-litt es; denn er hatte es gefordert. Und sie dehnte die Arme -- nicht
-nach der Sonne, sie dehnte sie nach dem Saume der Berge, über die sie
-ihn schreiten sah, und mit jedem Schritte zog er weiter von ihr fort ...
-
-Da rief sie seinen Namen aus den Tiefen ihres Schmerzes herauf und
-brach in die Knie und verbarg ihr Gesicht in den Händen.
-
-Und weil sie schluchzte und nicht fühlte, daß er seine Hand auf ihr
-Haar legte, und nicht hörte, daß er da war und mit ihr redete, nahm er
-sie auf die Arme und trug sie auf sein Bett. --
-
-Jakobus Sinsheimer war keine Einsiedlernatur, aber Abstammung und
-Erziehung hatten es ihm zur beglückenden Gewohnheit werden lassen, sich
-nicht in die Märkte und Gassen hineinzudrängen, auf denen die Menschen
-ihre Jahrmarktsherzen und sich selbst als Kleiderstöcke ausstellen. Wer
-der Ansicht ist, daß ausschließlich solche Menschen vorhanden wären,
-der ist gar sehr im Irrtum; denn es ist zu schätzen, daß es an nahezu
-fünf Prozent aller neuzeitlichen Kulturstätten annähernd ein Prozent
-immer noch ganz vernünftige Leute geben mag.
-
-In Weimar sind deren mehr, was schon daraus zu ersehen ist, daß dort
-sehr viele Dichter leben.
-
-Nein, Einsiedlerneigungen hatte Jakobus Sinsheimer keineswegs, aber er
-legte um das Bild jeden Tages einen Rahmen von Sonne und Grün. Und wenn
-beides nicht zu haben war, weil die Sonne in den Gärten der Engel und
-das Grün in den Bettlein der Elfen zu tun hatten, so nahm er mit freiem
-Weltenlicht und mit Himmel vorlieb.
-
-Es setzte ihn auch schon lange nicht mehr allzuviel in Erstaunen. Nur
-darüber -- dachte er -- würde er sich bis in die goldene Ewigkeit
-hinein wundern, daß die Menschen mit dem Himmel fast gar nichts mehr
-anzufangen wüßten.
-
-So gewöhnte er sich, davon immer ein Stück in den Händen zu halten.
-Und das war gut; denn damit findet sich der Mensch durch Nacht und
-Licht und findet sich auf die Sonnenraine, die auch mitten durch die
-lautesten Märkte des Lebens führen, und auf denen immerfort ein bißchen
-Glück blüht.
-
-Uebrigens erfüllte ihn das neue robuste Schaffen dieses Vorstadtwinters
-mit einer ungekannten Freude.
-
-Er wußte, daß der Wandel, der seine Vorliebe für landschaftliche Motive
-verdrängt hatte, ihm aus dem Eifer gediehen war, mit dem er sich
-den Dichtern gewidmet -- auf einmal waren seine Gedanken bei Doris
-Rinkhaus. Von allen Menschen, die ihm nahegetreten waren, hatte er an
-Do den geringsten Anteil gehabt. Aber sie redete doch immer dazwischen.
-Sie erklärte ihm den Krieg und guckte ihm über die Achsel in jedes
-Buch; sie verreiste und blieb doch bei ihm. Sie stand in ihm als eine
-brennende Kerze, und er nannte sie, wenn er sich über sie ärgert, die
-ewige Lampe.
-
-Aber in dieser Zeit begann er sich gegen sie zu wehren -- es war das
-wilde Jahr!
-
-In diesem Jahre halten junge Männer ihre Väter gemeinhin für
-altmodische Tröpfe und ihre Mütter für abgestandene Frauen, die aus
-ihrem späten Leben in das Land der Jugend und neuen Zeit herüberreden
-möchten und sich darin nicht zurechtfinden. In diesem Jahre reckt sich
-eine Kraft, die für den, der sie spürt, aussieht wie der Riese Goliath,
-und für den, der daneben steht, wie ein Embryo, an dem schon alles da
-ist, aber das Maul ist aus seiner Natur heraus am größten. In diesem
-Jahre hält der junge Mann von Begabung die Mädchen und die Ellbogen für
-die vornehmsten Einrichtungen und hat niederreißende Gelüste. Wenn man
-ihn gewähren ließe, würde er auf den Thron Gottes steigen und der Welt
-zeigen, was Allwissenheit ist. Und so weiter.
-
-Das kommt daher, daß sich über der reckenden Kraft alle Gesichtswinkel
-verschieben -- auf einmal sieht die Welt aus wie vor den Toren im
-November: vor den Toren sind die Schrebergärten mit den tausend
-Lauben, die Begeisterung und Ungeschick gezimmert haben; beides wird im
-abgeblühten Jahr offenbarer.
-
-Und über diese Welt stürmt die Kraft des wilden Jahres dahin, gerät
-in Sand und Nebel und wird besinnlich und gibt dem lieben Gott eine
-Gnadenfrist ... Das Sinnbild des wilden Jahres sind die Hörner. --
-
-Daran dachte Jockele aber nicht, als er im Lehnstuhl am Ofen saß. Er
-hatte die Tür zu dem Kämmerchen nur angelehnt und horchte manchmal
-hinaus, was es mit Husch wäre.
-
-»Ich habe ein mächtiges Unheil in ihr angerichtet,« dachte er.
-
-Do und Maria Reh sollten nichts davon erfahren. Er kannte die Reden der
-beiden zur Genüge: Maria Reh sagte, so etwas wäre ›überhaupt‹ nichts,
-und ließ sich auf Erklärungen ihres himmel- und erdenumfassenden
-›Ueberhaupt‹ nicht ein. Und Doris Rinkhaus war in solchen Fällen von
-einer Kälte, die ihm unter die Nägel kam.
-
-Er legte das Ohr an den Türspalt und hörte an ihrem regelmäßiggehenden
-Atem, daß sie eingeschlafen war.
-
-Dann hatte er mancherlei Einfälle; der einer in nahe Zeit gerückten
-Eheschließung war diesmal nicht dabei, aber auch nicht die Absicht
-einer sanften Entwöhnung. Vielleicht würde es besser mit ihr, wenn der
-Frühling in diesem kühlen Baumwinkel über sie kam! Dann sollte sie
-draußen um ihn sein, wenn er die ›Gruppe aus dem Tartarus‹ schuf ...
-
-Natürlich lief er gleich hinaus, zu sehen, wie diese große Sache
-am besten zu machen wäre. Gegen den Zaun kam die Leinwand, der er
-beiläufig zehn Geviertmeter Fläche gab -- und er mußte das von der
-Leiter aus malen. Der Gedanke hatte etwas Berauschendes ... so hoch da
-droben mit dem Pinsel: Prometheus, der der Erde das Feuer bringt!
-
-Da blinkte eine Flocke Weiß aus dem grauen Grase hervor -- wahrhaftig,
-in den vergangenen drei Tagen, in denen ein Weststurm den Schnee
-zusammengekehrt hatte, war schon das Wecken in die Erde geklungen, und
-ein Schneeglöckchen hatte sich aus der Scholle gedrängt, und hing doch
-noch tiefe Winternacht ringsum. So war dies Fünklein Licht aus dem
-Frühling herübergeweht, und Jakobus, der gleich alle Engel im Himmel
-die silbernen Glocken suchen sah, kriegte das Laufen, stülpte den Hut
-auf und eilte in die Stadt. Er brauchte noch drei Modelle: einen Mann
-auf der Höhe des Lebens und einen, der ganz voll war von dem Klange der
-Erlösung, die sich aus dem dumpfen Schalle der Hufe trinken läßt, wenn
-der Tod über die letzte Brücke reitet. Und ein Weib.
-
-Da ging er zu Huschs Mutter und fand sie in dem Vorderstübchen. Sie
-stickte und hatte die Füße auf einem Backstein, den sie so oft gegen
-den anderen auf dem eisernen Oeflein auswechselte, als er kalt wurde.
-Der Ostwind spielte draußen auf den Dachziegeln ein gefrorenes Lied.
-
-Jakobus erzählte ihr, wie es mit Husch gegangen wäre, und daß sie nun
-in seinem Bette läge und schliefe.
-
-Da sagte die Frau: »Oh, schicken Sie sie nicht fort! Sie ist schon viel
-freudiger geworden, seit sie um Sie sein darf. Es ist schlimm mit einem
-so wunderlichen Mädchen in solcher Zeit -- die Husch hat eine grausame
-Lust, leiden zu können. Aber es muß aus dem Glück zu einem anderen
-Menschen geschehen, dann wird sie gesünder und weiß es nicht. Sie ist
-über einer ewigen Selbstopferung, und Leiden ist ihr Freude. Aber wenn
-sie hier unter dem Dache kümmern muß, fällt sie mir aus und stirbt.«
-
-Da dachte Jockele an das Kind der Bauersleute, das dem aussätzigen
-Ritter Heinrich sein Herzblut opfern will. Er hatte in dem Gedichte des
-Hartmann von der Aue am Morgen gelesen, wie der Arzt von Salern zu ihr
-sagt:
-
- Ich muß Dich ausziehn nackt und bloß;
- Ist das nicht Not genug, so groß,
- Daß Du mit Recht vor Scham vergehst,
- Wenn Du so nackend vor mir stehst?
- An Beinen bind' ich Dich und Armen;
- Fühlst Du mit Deinem Leib Erbarmen,
- Bedenke, Mädchen, diese Schmerzen!
- Ich schneide Dich bis tief zum Herzen
- Und brech' es, wenn Du lebst, aus Dir ...
-
-Nun schenkte ihm die Stunde eine Reihe von Bildern, die gleich in
-seinem Geiste standen als leuchtende Erfüllung.
-
-Er gab sich dem Reichtum des Augenblicks in gesegnetem Vergessen hin.
-Das sah die Frau, und weil sie es sich nicht anders deuten konnte,
-sagte sie: »Sie sind nun doch gekommen, um mir zu sagen, daß ich Husch
-nicht mehr schicken soll!«
-
-»Oh, ich brauche sie -- ich brauche sie vielleicht den ganzen Sommer
-über!« rief er und sah, wie froh die bleiche Stickerin an seinen Worten
-wurde.
-
-Dann schickte er sie zu Husch und sagte ihr, wo der Schlüssel wäre, und
-ging in einem wilden Glücke davon.
-
-Auf dem Wege den Kasernenberg hinab über die Sternbrücke in die
-Wagnergasse, wo er das Modell zum Armen Heinrich wußte, dachte er an
-Husch und wie er ihr Leben richten sollte. Man wartete auf ihn, und er
-war in dieser Stunde zu Sein oder Nichtsein für zwei Frauen geworden,
-die auf den Dächern lebten und sich nicht herabfanden auf die Erde. Er
-war ein Mann und eine beglückende Hoffnung! Da brauste Frühlingssturm
-in ihm.
-
-Als er in der Dämmerung nach Hause kam, war Husch aufgestanden.
-
-Er fragte sie, warum sie nicht mit ihrer Mutter nach Hause gegangen
-wäre.
-
-Sie lachte, aber sie sagte ihm nicht, daß sie noch alles hätte um
-ihn bereiten wollen, was ihre Pflicht wäre. Sie ließ sich auch nicht
-heimschicken und wurde ganz ängstlich, weil sie fühlte, daß er sie
-schonen wollte. Da litt er es, aber er sagte: »Du machst mir damit
-große Sorge, daß Du mir mehr geben willst, als in Deiner Kraft ist.
-Wenn ich mich und Dich über dem Malen vergesse wie heute, so mußt Du es
-mir sagen.«
-
-»Ich bin ganz allein daran schuld gewesen,« sprach sie -- »ich habe
-Dich so weit fortgehen sehen ...«
-
-Im Gartenhause nebenan bildete diese Sache den Gegenstand einer
-Auseinandersetzung zwischen Maria Reh und Do. Maria hatte mit Huschs
-Mutter gesprochen und von ihr erfahren, warum sie da war und nun
-forderte Maria, sie müßten diesem Zusammenleben der beiden ein Ende
-machen.
-
-Sie stellte sich dabei auf den Standpunkt einer Fürsorge, der Doris
-Rinkhaus aufs höchste befremdete.
-
-»Es ist eine Modellgeschichte,« sagte Do, »und was geht sie uns an?«
-
-»Es ist eine Herzensgeschichte, die für beide ein Unglück werden kann,«
-sagte Maria -- »und überhaupt, wie läßt sich so etwas billigen?«
-
-»Billigen oder nicht -- darauf kommt es gar nicht an! An irgend einem
-Mädchen muß ein Junge zum Manne werden! Möchtest Du Dich vielleicht
-dazu hergeben? Das läßt sich dann nicht immer über den Spießerleisten
-schlagen, und ich finde es sehr sonderbar, daß gerade Du Dir dabei eine
-Rettungsmedaille verdienen willst.«
-
-»Weißt Du denn, wie sich Tante Veronika dazu stellen würde?« fragte
-Maria Reh.
-
-»Das ist nicht Deine Sache! Aber so viel weiß ich, sie hat Vertrauen
-zu Jo. Und ich habe es auch. Ich denke: sie würde nicht die Dritte im
-Bunde sein wollen; aber wenn ihr das Frühlingshaus als der richtige
-Platz für ihn erschienen wäre, so hätte sie ihn ja wohl daheim
-behalten. Es ist am besten, wir sehen und hören nichts von allem.
-Jedenfalls taugt Dein Schürzenschutz nichts für ihn, und wenn ich
-Jo wäre, so würde ich jeden sehr unsanft hinauskomplimentieren, der
-mir in meine Tage reden wollte. Basta! Du darfst nicht vergessen,
-daß die meisten jungen Männer auf dem gesicherten Geleise einer
-Familientradition hineinfahren ins Leben -- Jo aber ist auf eine
-Schwelle gesetzt und steht noch heute darauf. Ich kann nicht sehen, daß
-er töricht ist oder mit blinden Augen dahintappt.«
-
-Draußen schloß um diese Zeit Husch die Schlüpfe im Gartenzaun hinter
-sich zu.
-
-Jockele saß noch eine Stunde bei der Lampe und blätterte in Goethes
-Gedichten mit den Anmerkungen. Aber die Bilder dieses Tages drängten
-sich zu laut um ihn. Er dachte: er wollte Husch dreißig Mark Monatsgeld
-geben und sechzig Mark für den Haushalt -- darüber verfiel er in ein
-mühsames Rechnen und erkannte, so ging das nicht. Aber Tante Veronika
-wollte er nicht helfen lassen. Er hatte den Plan mit Husch ohne sie
-erwogen, so sollte er auch ohne sie ausgeführt werden! Er mußte in den
-Bildern zum Armen Heinrich etwas Ordentliches schaffen, etwas, das sich
-zu Gelde machen ließ! Zum ersten Male erhellte ihn der Gedanke, und
-Gwendolin tauchte wieder auf, die geschäftskundige.
-
-Da ging er ins Kaisercafé und saß mit einigen Kunstschülern an einem
-Tische, die voller Pläne für einen großen Faschingszug waren, der im
-nächsten Monate abgebrannt werden sollte. »Prinz Karneval vermählt sich
-mit der Muse Weimars« hieß die Idee, auf der sich die Sache aufbaute;
-und Jockele mußte dabei helfen.
-
-Da wurden die Zahlen, die er vor einer halben Stunde im winterlichen
-Baumgarten am Horn aufgeschrieben, riesenwüchsig -- die Dreier und
-Zweier wurden zu Schlangen und die Einser und Vierer zu Keulen und
-rückten gegen ihn an zu einem wüsten Kampfe.
-
-Aber seit jenem langen Frühlingsmonate, in dem er zwanzig Tage
-niederschmetternde Gastfreundschaft bei Do genossen, war er ein
-gut Stück in die Lebenskunst gewachsen. Nun saß er in einem Kreise
-junger Leute, bei denen das Exempel in der Regel +nach+ dem Vergnügen
-ausgerechnet wurde -- da brachte auch er den Armen Heinrich, die Gruppe
-aus dem Tartarus, die männliche Fürsorge für Husch und den Prinzen
-Karneval zusammen, und gelobte, den Faschingszug als Spitzenreiter
-mitzumachen.
-
-Am anderen Tage griff er sich Gwendolin vor der Kunstschule und
-verwickelte die Ueberraschte in ein besinnliches Gespräch.
-
-Wie ihn Gwendolin so reden hörte, sagte sie: »Immer hast Du Dir einen
-neuen Turm aufgesetzt, wenn man Dich mal acht Tage nicht gesehen hat,«
-und sie legte einen Respekt in ihre Worte, den er von ihr nicht gewöhnt
-war.
-
-Als er ihr von Husch erzähle und wie es mit ihr geworden wäre, sagte
-sie: »Du faßt alle kleinen Dinge gleich mit beiden Händen und mit
-dem Herzen an und stellst Dich zu jedem, als müßtest Du Dich mit ihm
-verheiraten. Wenn Du das Dein ganzes Leben hindurch so machen willst,
-kommst Du aus der Grundsuppe gar nicht heraus.«
-
-»Es liegt das wohl so in meiner Art,« sagte Jockele.
-
-»Ja, aber ich halte diese Art für schwerblütig und gefährlich.«
-
-Auf dem Heimwege blieb die Rede Gwendolins um ihn, aber er vergrübelte
-sich daran nicht in Hoffnungsödigkeit, wie ihm das vordem geschehen
-war, sondern dachte: »Wenn ich mit dieser Art nicht mehr weiterkomme,
-muß ich ihr aufkündigen. Gwendolin hat mit ihrer anderen frühzeitig auf
-eigenen Füßen gestanden, aber sie bleibt auch immer dieselbe. Bei einem
-Mann ist das eine ganz andere Sache.«
-
-Er hatte sich das genialische Treiben seiner Bekannten zu genau besehen
-und wußte, daß er nicht mit ihnen gehen konnte. Aber er wußte nicht,
-was er Do in diesem Jahre schuldig geworden war, die ihn mit ihrer
-sichtigen Klugheit auf klare Wege geleitet hatte. Nun hielt ihn das
-eigene und ein gut Teil eigenwillige Wesen fest, und er pendelte nicht
-zwischen Moden und Manieren, die sich als Schimmel oder als wildes
-Rankenwerk über eine jugendliche Kraft legen und sie ersticken. --
-
-Husch hatte das Häufen so mit ihrem heimlichen Glücke durchleuchtet,
-daß er gleich alles bereitete, um an dem Armen Heinrich zu beginnen.
-Er erzählte ihr die Fabel der Dichtung, und sie lebte sich in das
-seelenverwandte Mädchen mit der grenzenlosen Innigkeit hinein, deren
-sie fähig war. Das sentimentalste und rühmlichste Preislied der
-Jungfrauenliebe, das die Erde kennt, gewann da zum anderen Male Gestalt.
-
-Sie sah in dem Kleide der alten Zeit und dem zierlichen Kopfputze sehr
-lieblich aus, und er versank in das süße Weh ihrer Augen. Sie saß auf
-einem Fußschemel und hob das Gesicht voller Hingabe zu dem empor, der
-nicht da war, und verfiel ganz in den Traum ihres seligen Schmerzes.
-
-Jakobus hatte ihr gesagt: »Du mußt jetzt denken, daß er Dir Ringe für
-Deine Hände und goldene Bänder für Dein Haar geschenkt hat, und nun
-sitzt er Dir gegenüber und erzählt, daß er nicht von seinem qualvollen
-Leiden erlöst werden könnte, weil nur das in Liebe geopferte Herzblut
-eines schuldlosen Mädchens dies Wunder vollbrächte ...« Da trat der
-große Schmerz vor sie hin und legte ihr die Hände auf die Lider. Und
-sie schlief einen wachen Schlaf und ward zu atmendem Marmor.
-
-Als er mit der Zeichnung zufrieden war, nahm er Farben und eine Tafel,
-machte mit Kohle eine rasche Skizze und begann zu malen.
-
-Sie erwachte nicht und saß bis in den Nachmittag. Das Licht wurde müde,
-aber Husch ahnte es nicht. Da hob er sie auf und streifte ihr das
-fremde Kleid ab und legte sie zu einem langen Schlafe auf sein Bett.
-
-Diese Erscheinung hatte für ihn nun schon wesentlich an Tragik
-verloren. Wenn es auch ein Rausch des Schmerzes war, so war es doch
-ein Rausch, und der mußte verschlafen werden. Mochte der Trank für
-Husch süß oder bitter sein, ganz rein war er jedenfalls nicht. Aber die
-Sache fing an, ihm peinlich zu werden, und er fühlte wieder die Scheu
-vor der Klatschsucht der Menschen; denn seine Jugend hatte über aller
-Klatschsucht noch nicht Zeit gehabt zu der Erkenntnis, daß der Sieg
-über sich selbst auch den Sieg über jedes unerlaubte Maul bedeutet.
-
-Deshalb ließ er das Modell für den Armen Heinrich zu einer Zeit kommen,
-in der er Husch zu einer Besorgung in die Stadt geschickt hatte, oder
-in der sie in ihrem ekstatischen Schlummer lag.
-
-Das zweite Bild stellte die Szene dar, in der das Mädchen ihren Eltern
-offenbart, sie wolle für Herrn Heinrich sterben; das dritte die
-Unterredung mit dem Arzte von Salerno, der sie nicht wankend machen
-kann in ihrem Entschlusse. Das wurde das beste von allen; denn der
-verzückte Opfermut durchschauerte ihre Seele als ein unirdisches Licht,
-und sie versank in das qualvolle Glück des Martyriums. --
-
-Zuletzt stellte er sie dar, wie sie vor Heinrich kniete, als der die
-Heilung durch die Gnade Gottes empfangen. Aber dazu gebrach ihr die
-Kraft des Einfühlens, es fehlte ihr der Glaube an die hohe Sonne. Was
-sie beseligen konnte, lag in Bitternis und Dämmerung.
-
-An diesem Stück saß er vier Tage, und all sein Wille reichte nicht
-aus, sie zu bekehren, und weder sein Stift noch sein Pinsel fand, was
-blühender Traum in ihm gewesen war.
-
-Husch lag schlafen. Da ergriff er in der Freude am Gelingen die
-Zeichnungen und Tafeln und lief mit Erobererschritten zu Do und Maria.
-Sie waren beide überrascht bis zur Betroffenheit. Maria Reh lobte
-nach Frauenart im Ueberfluß, Do war froh und kritisch und sagte: »Es
-ist alles famos, Jo! Aber nun kommen Sie mal her und lassen Sie sich
-angucken.« Sie rückte ihn ins Licht. -- »Na ja! Warum machen Sie sich
-so gewaltsam krank, Sie waldgesunder Zigeuner?«
-
-Maria Reh trat dazwischen und sagte: »Sie sieht in den Künstler hinein,
-was er seinem Stoff entnahm! Sie gedachte es böse mit Ihnen zu machen
-und lobt Sie!«
-
-Da bliesen sie zu einem lustigen Kriege, und Maria Reh jubelte:
-
-»Verehrungswürdiger Jo, ich möchte wieder Ihren Kopf zwischen diese
-Hände nehmen und in den schwarzen Ringeln Ihrer Haare wühlen -- aber es
-geht nicht mehr. Donnerwetter, wie erwachsen sind Sie!«
-
-Von der andren Seite ritt Do zur Attacke: »Lassen Sie sich nicht von
-ihr in einen gefährlichen Uebermut hineinloben! Ich klatsche Ihnen von
-Herzen Beifall, aber Ihre gesunden Sinne sind nicht frei dabei gewesen
--- haben Sie die Luft Ihres Hauses mit Heliotrop geschwängert, wie Sie
-das malten?«
-
-»Nein.«
-
-»Haben Sie dabei eine Toga aus Zindel getragen und sich Sandalen aus
-Rauschgold unter die Füße gebunden?«
-
-»Unsinn! Meine Kniehosen hab' ich angehabt und die Bergsteigstiefel!«
-
-»Natürlich,« sagte Do, »aber ich schwöre Ihnen: in vier Wochen sind Sie
-hysterisch, wenn Sie diese Husch als Modell behalten.«
-
-»Nein, in vier Wochen reit' ich im Faschingszug,« sagte Jockele. Aber
-er strich sich über Stirn und Augen, als läge da das leise Gewebe einer
-Müdigkeit. Er reckte sich empor, daß seine Gelenke knackten, und er
-hätte in diesem Augenblick den Schleier des fremden Wesens vielleicht
-auch zerstoßen, wenn Maria Reh in Schweigen geblieben wäre. Aber sie
-erfaßte die Gelegenheit und führte neben Dos blankes Reiten drei
-spießig gesattelte ›Ueberhaupt‹. Die sahen aus wie Esel und malten die
-Wirkung des schneidigen Angriffs zuschanden.
-
-Darüber ward Jakobus Sinsheimer rebellisch und forderte Sachlichkeit;
-denn nach der Erlaubnis, sich dieses oder jenes Modell wählen zu
-dürfen, hatte er nicht gefragt.
-
-Do machte der Maria ihr Siegergesicht, und Jockele nahm sein Werk unter
-den Arm und empfahl sich höflich und aufrecht. Abends lernte er reiten.
-
-Gwendolin, die er am nächsten Tage besuchte, fragte nicht nach
-Krankheit oder Gesundheit -- sie fragte: »Kann das einem Menschen
-gefallen und kann man es zu Gelde machen?« Sie lief vor und zurück
-und lief hin und her, verfiel in ein leises Pfeifen und sagte: »Machen
-wir!« Sie lobte mit keinem Worte, aber sie war entschlossen. Da
-schickte sie Jakobus Sinsheimers ›Armen Heinrich‹ nach München zu ihrem
-Kunsthändler. Und er ging nach Hause und stieg in den Tartarus. --
-
-Als im Februar die Sonne schon auf der frischblauen Himmelswiese
-spazierte und die kleinen Engel um sie herum in Scharen Purzelbäume
-schossen, wurde die Leinwand zu der ›Gruppe‹ am Zaun im Baumwinkel
-aufgestellt. Es wurde auch eine Vorrichtung getroffen, daß sie des
-Nachts an der rückwärtigen Hauswand lehnen konnte, ohne den Unbilden
-des ungeschickten Vorjahres ausgesetzt zu sein, das noch nicht mit der
-Sonne umzugehen weiß.
-
-Und das Schicksal nahm seinen Gang.
-
-Alle Studien zu der Gruppe aus dem Tartarus waren gemacht. Es sollten
-fünf Figuren in dem Bilde stehen: Husch und ihre Mutter, ein nackter
-Jüngling, ein Mann und ein Greis. Husch lehnte dem Alten zu Füßen; ein
-schwarzer Schleier fiel vom Scheitel über sie, der ließ ihr nach unten
-gerichtetes Gesicht sehen und den verleuchtenden Frühling ihrer Glieder
-ahnen. Die anderen starrten oder schrien oder hoben ihre sehnenden Arme
-nach dem Lichte des Himmels, das über tote Felsen herniederbrach.
-
-Um diese Zeit redete Jockele zu Do und Maria von der Gruppe nur noch
-als von seinem ›Monumentalgemälde‹ oder von dem ›Galeriestück‹, oder
-in sonstigen Vollwörtern, die sich mit gewaltigen Armen um die
-Vorstellung warfen, welche er damit verband.
-
-Als er zum erstenmal im wehenden Malerkittel auf der Leiter stand und
-die Figuren mit Kohle umriß, verbat er sich von den beiden Freundinnen
-alles kritische Dreinreden -- er sicherte ihnen dazu drei Sommertage.
-
-Da lugte von draußen schon das Leben in Gestalt eines maienhaften
-kleinen Mädchens durch die Zinzeln des Zaunes, stocherte mit einem
-blühenden Mandelzweig hindurch und lachte darüber hinweg, daß es wie
-gemünztes Gold in das lichtahnende Gras fiel ... Aber Jockele hörte es
-nicht.
-
-Dann kam der Fastnachtsdienstag, und er war Spitzenreiter vorm
-Faschingszug.
-
-Es war eine feine Sache. Er trug blanke hohe Stiefel und enganliegende
-weiße Lederhosen, einen feuerroten Reitrock, Perücke und Dreimaster.
-Und die schwarze Stute unter ihm spiegelte den hellen Tag und war voll
-Verständnis für ihre Sendung, aber ohne Humor.
-
-Faschingszüge sehen einander ähnlich, selbst dann, wenn junge Leute
-ihren Witz auf die verblüffte Menge loslassen, die ihren künftigen Ruhm
-verbrieft in der Rocktasche tragen. Aber ein weimarisches Narrenfest
-hat seine geistigen Besonderheiten; denn nicht nur was irdisch und
-schier allzu sterblich ist, sondern auch die ewige Seele der Stadt
-schmunzelte ihr wärmendes Lächeln darüber, wie Froriep in violettem
-Professorentalar mit einer Miene, die der Würde der Sache entsprach,
-das Problem des Schillerschädels aufrollte. Natürlich redete er nicht,
-damit er den Spaß nicht verderbe. Und Goethe, Schiller, Liszt, Cranach
-traten aus den Pforten der historischen Häuser, begrüßten mit Humor
-und Behagen das närrische Treiben ihrer Stadt und reihten sich fahrend
-in den Zug ein. Der Genius fehlte bei keinem; er postierte sich hinter
-jeden auf den Wagen.
-
-Gleich beim ersten Halten, dort, wo die Belvedereallee in die
-Marienstraße mündet und um das Liszthaus der weiche, grüne Traum weht,
-der zu klingen anhebt für den, der mit der Seele hinhorcht -- gleich
-beim ersten Halten guckte das Schicksal für Jockele dort aus dem
-Fenster.
-
-Liszt schritt durch das eiserne Pförtchen seines Gartens -- das lange
-Totsein hatte ihm nicht geschadet, und just so, wie er durch das
-Gedächtnis der Nachwelt wandelt, stand er leibhaftig in ihr und grüßte
-die Menge mit der Feierlichkeit eines frühen Sonntagsmorgens, der voll
-ist von den waldfernen Fanfaren eines Kaisermarsches.
-
-Aber solche Dinge sind vorbereitet, und wer nicht zu der staunenden
-Masse gehört, darf einmal daran vorüberschauen.
-
-In überlegenem Stolze faßt Jugend solcherlei Gelegenheit beim Schopfe;
-denn wer hat eine Ahnung, wie putzig und liebenswert die Welt aussieht,
-wenn sie betrachtet wird in rotem Reitrock und Stulpenstiefeln und
-von einer tänzelnden Rappstute herab, die hin und wieder durch die
-Nüstern bläst und ins Zaumzeug knirscht, als wäre sie eins der blanken
-Sonnenpferde?
-
-Der rote Spitzenreiter hielt just vor dem Fenster, aus dem des Herrn
-Franz Liszt »dreißigjährige« Schaffnerin Pauline herausschaute und ihr
-Glück über das Volk lächelte, das draußen ihrem großen Herrn wieder
-einmal Palmen streute. Da ließ sie sich in dankbarer Rührung gleich
-selbst ein bißchen huldigen, und es schien, als sähe sie in Augen, die
-ihr ein helles Hurra von den Steigen emporriefen; denn dieser Franz
-Liszt von heute war bei aller Aehnlichkeit und Würde, die ihm ein
-trefflicher Darsteller lieh, doch nur ein Spiel -- sie aber war noch
-die echte, die ihm mit ihren Händen die Nadel in die Krawatte gesteckt
-und die Krücken der Spazierstöcke mit dem seidenen Tuche gewischt hatte
-(wiewohl er keinen je in Gebrauch nahm), während er im Vorplatz den
-Glanzhut auf dem Aermel bürstete für den Ausgang ...
-
-Wo hat aus einem Blumentopf voll Erde die Sonne so strahlende
-Menschenblüten hervorgelockt wie in Weimar?
-
-Wo bescheint die Seele des Himmels die Welt, wie in diesen warmen
-Winkeln zwischen den bemoosten Dächern und kleinen Fenstern?
-
-Und wo sonst ist Ewigkeit in so fühlbarem Fluge, daß sie sich um die
-Stirnen schmiegt wie atmender Duft des Hochwalds? -- -- -- -- -- --
-
-Aber des Herrn Franz Liszt treues Schlüsselfräulein war es nicht, für
-das Jockele die Raketen seiner Blicke abbrannte. Das Feuerwerk galt
-dem jungen Mädchen, das der Frühling daneben ins Fenster gestellt
-hatte. Er hatte sich da etwas ausgesucht, das im zeitigen Jahre schon
-über und über in Blüte stand, und wollte zeigen, daß er auch schon um
-die Mitte des Hornung, wenn er gerade die Stare losgelassen, etwas
-Rechtschaffenes zuwege brächte.
-
-Dieses Dokument seiner königlichen Herrlichkeit hatte die Haare voll
-Sonnenschein auf den Ohren zu goldenen Schnecken gedreht. Das ganze
-Röckchen und die rosa Crêpe-de-chine-Bluse steckte voll Frühling. Das
-silberne Glöckchen, das sie an einem Kettlein auf dem Halsausschnitt
-trug, läutete mit inbrünstiger Heftigkeit.
-
-Ohren, Augen und Herzen der tausend Menschen ringsum hatten alle Hände
-voll zu tun, um von dem eben begonnenen Ereignisse kein Korn bunten
-Glücks fallen zu lassen. Da wurde aus den Köpfen und Leibern und
-Schellen und Farben und Fahnen und Trompeten ein brandendes Meer, das
-wogte um den Frühling neben Paulinen und um Jockele auf der Rappstute
-als wohlige Einsamkeit. Und die zwei Paar blauen Augen fingen an,
-sich über das Meer hinweg zu unterhalten und verstanden jedes Wort.
-Die unter dem Dreimaster standen hoch und hell im Tage und taten, als
-müßten sie zwei Löcher in die rosa Bluse brennen. Sie sagten:
-
-»Was bist Du für eine märchensüße, kleine Frühlingsprinzessin! Warum
-hab' ich Dich zuvor nie in Weimar gesehen?«
-
-Da sagten die Augen hinter den blühenden Mandeln: »Oh, ich kenn' Dich!
-Du bist der Maler aus dem Baumwinkel am Horn. Was bist Du für ein
-ranker, feiner Junge! Ich habe Dich schon durch die Zaunzinzeln gesehen
-und habe Dich ausgelacht, wie Du auf der Jakobsleiter standest. Aber Du
-nahmst Dich so wichtig, als müßtest Du den lieben Gott malen, und sahst
-mich nicht.«
-
-Weil sie Miene machte, ihm den Mandelbuschen herüberzuwerfen, ließ er
-die Stute ein wenig seitlich treten, und er fing den Strauß ...
-
-Drüben aus einem Fenster der Kunstschule guckte Gwendolin und sah das
-und sagte zu ihrer Nachbarin: »Jakobus Sinsheimer ist dabei, sich
-wieder zu verheiraten.«
-
-Hinter ihm hatte Liszt indes sein Volk begrüßt, und es begann,
-vorwärtszudrängen. Da legte Jockele die Hand an den Hut -- natürlich
-für den Frühling, und der Frühling wedelte mit Herz und Händen. Und
-Jockele stieß den rechten Zeigefinger gegen die Brust und dann dreimal
-deutend halb nach unten gegen das Fenster, und malte mit den Augen ein
-mächtiges Fragezeichen in die Luft.
-
-Der Frühling mit den goldenen Schnecken verstand das und geriet in
-ein beifälliges Nicken: »Ich warte, bis Du kommst, und wär' es bis
-übermorgen!« Und vorn der Jockele dachte, er wäre Kapellmeister
-geworden, und schlug mit dem Mandelblütenbusche der Narrenmusik einen
-flotteren Takt in das Blaszeug; denn sein Herz wollte mit der Musik
-Schritt halten.
-
-So wurde die Sache, die eben noch feierlich gewesen war, lustig. Von
-oben herab zischten die Papierschlangen, wirbelten die zitternden
-Konfetti, und Weimars Ewigkeit schwang sich ein bißchen darüber hinaus
-aus dem Staube und flog an den hohen stillen Fenstern dahin.
-
-Aber schließlich hat ja auch ein Fastnachtszug sein Ziel. Es war
-kurzweilig, die Welt in so feuerroter äußerer und innerer Aufmachung zu
-durchschreiten, aber manchmal stahl Jockele sich doch eine Minute aus
-den vielen, vielen, die da an bunten Papierstreifen herumhingen, und
-drückte sie in seiner sattelhohen Einsamkeit voll Inbrunst ans Herz,
-damit sie ganz ihm gehöre.
-
-Darüber fiel ihm ein, welchen Namen die Kleine im Liszthause wohl hätte?
-
-Er nannte alle Mädchennamen, aber es wollte keiner passen. Er verfaßte
-in träumendem Reiten durch dies Chaos der Lust eine ganze Spalte
-Familiennachrichten und stellte darin Vermutungen auf: himmelblaue
-über Vater, Mutter und Geschwister; gelbe über die Frage, ob so
-etwas Morgenblütiges und voll von Ostertau noch ohne Bräutigam wäre;
-sehr grüne über ihre allgemeinen Fähigkeiten zu lieben und über ihre
-besonderen, ihm die Treue zu halten ...
-
-Diese peinigten ihn ein wenig, und als er die Läden über die Augen
-schlug, um klarer sehen zu können, stand sie noch immer im Fenster des
-dunkelgelben Eckhauses am Park, aber sie hatte nun auch den anderen
-Buschen Mandelblüten verschenkt und hatte in jeder Hand einen langen
-Stengel Diclytra, die sie in Weimar fliegende Herzen nennen, und die
-vielen, vielen Herzen baumelten über den Köpfen der jungen Männer, die
-unter dem Fenster vorübergingen, und jeder konnte eines haben, wenn er
-gut danach hüpfen konnte.
-
-Seit Gwendolin war er dem Gedanken nicht mehr nachgegangen, daß ein
-Frauenherz eine Einrichtung mit beliebig auswechselbarer Liebe und
-Treue sei, und der Sitz in dem behaglich knirschenden Sattel wurde ihm
-unbequem.
-
-Manchmal war es ihm, das Hurrarufen wäre tief, tief unter ihm, und die
-Leute stünden alle auf dem Kopfe und schrien ihre Begeisterung über
-das Straßenpflaster. Zuletzt aber setzte sich das ganze Ringsum in
-ein wohliges Schaukeln, und er trieb segelsachte darüberhin in eine
-pfirsichrote Crêpe-de-chine-Beleuchtung.
-
-Als ihm eine schöne Hand am Schillerhause einen Becher Sekt in den
-Sattel reichte, und Schiller unter die Menge trat und eine erstaunte
-Rede hielt, die mit den denkwürdig-pathetischen Worten begann: »Was
-rennt das Volk, was wälzt sich hier vom Kaisercafé bis zu mir?« tat
-Jockele, als grüße er mit dem Schaumwein die lächelnde Spenderin. Aber
-er beging damit einen schändlichen Verrat und trank auf den Frühling im
-Liszthause. Und darüber kam ihm die Erlösung: der Name Frühling, der
-sich ihm gar nicht so recht an die Lippen legen wollte, ward auf einmal
-zu Minchen Herzlieb, und »Hurra Minchen Herzlieb« tirilierte sein Herz,
-und er brach in göttlicher Gebelaune einen Zweig aus den rosa Blüten
-Minchen Herzliebs und reichte ihn mit dem silbernen Becher hinab.
-
-Friedrich von Schiller hatte mittlerweile eine Salve knatternder
-Jamben auf das Volk abgefeuert -- Jockele wollte wetten, es wäre ein
-Akrostichon auf Minchen Herzlieb gewesen. Die Sache nahm ihren Lauf:
-seitdem das Mädel einen Namen hatte, kuschte es sich ihm ins Herz wie
-ein Vöglein in sein Nest. Und das Herz war aus Mandelblüten.
-
-Während er so dahinritt und immer dachte, es müßte nun alle sein, sang
-er leis und laut in die Musik. Das Lied setzte sich nur aus den zwei
-Worten Minchen und Herzlieb zusammen, und es war doch alles darin, was
-ein junger Mann zu einem gewissen Wohlbefinden braucht, über das sich
-die himmlischen Englein wundern müßten, wenn sie so etwas schmecken
-könnten.
-
-Wie er den Zug doch endlich vor den Armbrustsaal in der Schützengasse
-geleitet hatte und den Knecht sah, der dort auf die Rappstute wartete,
-glitt er aus dem Sattel, warf dem Jungen die Zügel zu und versickerte
-in die jubelnde Unendlichkeit. Als er drüben wieder herauskam, warf er
-sich in ein Auto, und am Fenster des Liszthauses stand Minchen Herzlieb
-als süße Treuhalterin, hatte die langen Stengel mit den vielen, vielen
-Herzen gar nicht in den Händen, sondern biß sich ein wenig leuchtende
-Verlegenheit in die Lippe und dachte: »Teufel, da hab' ich wieder mal
-was angerichtet!«
-
-Sein Herz schlug wie ein Triangulum, weil er sie noch an der gleichen
-Stelle fand, und er läutete sich gleich mit allen Glocken in sie
-hinein --
-
-»Erstens habe ich Dich auf dem drei Stunden langen Ritte
-siebentausendmal ›Du‹ genannt,« jubilierte er, »und zweitens ist
-Fasching, das ist das große Verbrüderungsfest der Menschheit -- guten
-Tag, Minchen Herzlieb!«
-
-Da schlug sie beide Hände vor das Gesicht, und das Tirilieren kam auch
-über sie --
-
-»Ich heiße ja gar nicht Minchen Herzlieb, ich heiße ja Sibylle Bach!«
-
-»Auch ganz schön,« sagte er -- »Sibylle Bach ... das geht in den Mund
-wie Knickebein, aber Minchen Herzlieb läuft ins Herz wie der blühende
-Frühling! Guten Tag, Minchen Herzlieb! Und nun mach' die Tür auf und
-laß mich hinein!«
-
-Frau Pauline stand zu einem Ausgange gerüstet. Sie hatte es aus ihrem
-ahnungsvollen Frauenherzen heraus so eingerichtet und stattete damit
-einem Manne, der schon längst seine ehrsame Mansarde im Himmel bezogen
-hatte, eine liebe Dankesschuld ab.
-
-Dieser Mann war der Großvater Minchen Herzliebs und hatte sechzig
-Jahre zuvor eine blutjunge Geschichte mit Paulinen erlebt; das wirkte
-nun über Zeit und Leben hinaus und verschaffte Minchen das Recht, zu
-festlichen Gelegenheiten aus dem Fenster des Liszthauses jungen Männern
-die Köpfe zu verdrehen. Aber es muß zu Minchens Ehre gesagt werden,
-daß sie auch zu anderen Zeiten und Gelegenheiten dieser kurzweiligen
-Beschäftigung nachging.
-
-So oft sie in Paulinens blankes Stübchen trat, in dem die weißen
-Fensterbehänge mit den roten Geranien Feste feierten, verfiel die
-alte Dame zuerst in ein hingebungsvolles Schweigen. Minchen Herzlieb
-verhielt sich dann abwartend, bis Tante Pauline mit den Fingern auf
-der Kante des Nähtisches zu trommeln begann. Dieser sanfte Wirbel, auf
-dem ein Dämpfer von sechzig Jahren saß, lief immer den gleichen Worten
-voraus -- »Ja ja, Dein Großvater hat mich einmal heiraten wollen,
-Sibyllchen, aber es ist hernach nichts daraus geworden ...«
-
-Es ist wahr: die guten Taten der Väter werden an den Kindern
-heimgesucht durch viele Glieder. Jockele widmete dem alten Herrn im
-Himmel ein paar rührende Worte des Dankes. Daraus erkannte die greise
-Schließerin, daß der junge Mann, der vorhin so schön zu Roß gesessen,
-auch ein sehr guter Mensch wäre, und sie machte sich voll gütigen
-Verständnisses auf den Weg.
-
-Es war ein so liebes Scheinen in dieser Stube wie in den Räumen des
-Hauses am Buchenwalde zu Ibenheim; aus allen Winkeln atmete die alte
-Zeit, und draußen auf der Straße spielte ein sachter Wind Fasching und
-tanzte mit den bunten Konfetti einen altmodischen Walzer.
-
-Minchen Herzlieb fragte Jockele gleich, ob er Tango könnte.
-
-»Nein,« sagte er. Aber es fiel ihm ein, daß ein junger Mann mit
-vielen Mädchenbekanntschaften universale Kenntnisse besitzen müsse
--- was wissen Sie von Goethe, von Wieland, von Wildenbruch, von dem
-›Hauptgeschäft‹, vom Peneios, von Persephoneia, von Hysterie, von
-Tango? -- Die einzige, die nichts weiter von ihm hatte wissen wollen
-als das Küssen, war Gwendolin. Er hatte ihr längst verziehen, daß sie
-so übel mit ihm verfahren war, und manchmal in diesen Winternächten
-im Baumwinkel waren ihm die Lippen im Feuer der Sehnsucht nach ihren
-verzehrenden Küssen heiß geworden.
-
-Viel, viel später dachte er einmal: Es wäre gescheit, wenn die jungen
-Männer auf die ersten Fragen warteten, die ihnen von einem Mädchen
-vorgelegt würden. Diese ersten Fragen lassen sie ausfliegen, damit sie
-ihnen Botschaft bringen, wie es in der Welt aussieht, an deren Strand
-sie segeln. Und wer hinhorcht, der weiß, wonach diese Tauben vor allem
-Ausschau halten.
-
-Jetzt aber hatte er zu derlei Betrachtungen keine Zeit. Es war ihm
-schon zur belustigenden Gewißheit geworden, daß Minchen Herzlieb gar
-nicht ahnte, daß er sie zur Trägerin eines berühmten Namens gemacht
-hatte. Sie nahm die Herzensgeschichten vergangener Herren nicht
-entfernt so wichtig wie ihre eigenen. Darum sagte er ihr, daß sie
-furchtbar nett aussähe, hütete sich vor dichterischen Vergleichen und
-hielt sich an das Greifbare. Das Sofa mit dem Kirschbaumrahmen, durch
-den sich zierliche Einlagen schlängelten, sagte zwar ein verwundertes
-›Na!‹; denn es war von Tante Pauline her an ruhevollere Behandlung
-gewöhnt, aber es dauerte nicht lange, so war doch wieder nur der
-kleine fixe Schlag der Pendule hörbar, und die Geranien am Fenster
-waren die Fackelträger.
-
-An Gwendolin dachte Jockele nicht, wiewohl sich Minchen Herzlieb viel
-weicher und ergebungsvoller benahm. Die Liebesstunden mit Gwendolin
-waren ein Flammentanz, ein Taumel durch alle Brände der Hölle, ein
-Vergehen in feuerroter Seligkeit, waren ein ungeheueres Verschwenden
-gewesen.
-
-Minchen Herzlieb dagegen blieb bei sich selber und verabscheute die
-Tiefen. Sie fiel in ihre Sinne wie die Lerche in die jungen Halme, voll
-Lütütü und hellgrünem Pfingsten. Aber in Gwendolin Vogelgesang entluden
-sich alle Mächte des Himmels und der Erde. Gwendolin sprang in eine
-Liebesstunde vom Turme -- Minchen Herzlieb dachte daran, ob er hernach
-wohl mit ihr zum Faschingsball gehen werde. Wenn er diesen famosen
-Einfall hatte, durfte sie keine Knitter bekommen; denn sie wollte für
-die ganze Welt immer frisch aufgeblüht erscheinen. Dem Gedanken, nur
-+einem+ zu gefallen, stand sie mit lachendem Unverstande gegenüber,
-aber es war doch eine schauerliche Süßigkeit, mit der er über sie kam.
-Und als er die Perücke ganz nebenher in Sicherheit bringen wollte,
-weil er dachte, Minchen Herzlieb wäre so hoch im Himmel, daß sie
-davon nichts merkte, brachte sie durch ihr Lachen die Stimmung in ein
-gefährliches Schwanken.
-
-Dann fielen ein paar Fäden Dämmerung durch die Fenster, und draußen in
-der blauen Küche bekam Frau Pauline Apel einen diskreten Husten und
-läutete mit zwei Tellern Feierabend.
-
-Da machten sie sich fertig und gingen in die Armbrust zum
-Faschingsball, und seit diesem Balle hieß sie in der ganzen Stadt
-Minchen Herzlieb.
-
-Sie blühte auch da unter aller Buntheit hindurch und schwamm in
-Weltfeiertagsfröhlichkeit, aber wenn Jockele die vorige Stunde in ihren
-Augen suchte, stand sie doch noch darin. Gwendolin dagegen konnte
-zwischen zwei Minuten eine sternenweite Vergessenheit aufrichten --
-die Augen, die in der einen gesagt hatten: »Du trinkst mir mit Deinen
-Küssen die Seele aus,« schwuren in der nächsten: »Ich kenne diesen
-Menschen nicht.«
-
-Wenn er mit Minchen Herzlieb tanzte, fiel alle Erdenschwere von ihm
-ab samt Armem Heinrich und Tartarus und Huschs Anfällen; denn das
-Mädchen lag ihm im Arme wie eine hineingewehte Blüte; und so führte
-er sie in einer Nachmitternachtsstunde nach Hause. Sie gewährte ihm
-noch eine kleine Nachfeier in der Gartenlaube. Der Wind, der durch die
-Windmühlenstraße am Silberblick hinauf in die Felder lief, tat die
-vorjährigen Blätter der Clematis auseinander und wollte ein bißchen
-gucken, konnte aber nichts sehen.
-
-Da vereinbarten sie einen Katerbummel, der so lang und leichtsinnig
-sein sollte wie das schöne Wetter. Er dauerte drei Vormittage. Der
-erste Morgen in den Stadtratstannen und Buchfart war ein wenig
-müde, und Jockele war zu Betrachtungen geneigt; der zweite war
-voll Ueberstrom an Licht und Liebe, und als sie vor der kleinen
-Brunnengruppe des Herkules und Antäos in Belvedere standen -- in jenem
-Gartenteile, in dem der alte Kaiser Wilhelm als Prinz von Preußen die
-Eiche gepflanzt -- nahm er sie auf den Arm und trug sie in klingender
-Siegerfreude den Parkweg entlang bis hinab an den Fichtensaum im Tale.
-
-Dort lag die Sonne in zehntausend Anemonen und Veilchen und hatte sich
-den Frühling hinbestellt. Da spielten sie zu Vieren Küssen.
-
-Nach einiger Zeit erklangen junge Stimmen auf dem Grashange gegenüber,
-und wie die vier himmelfreudigen Spieler die Zweige der Jungfichte
-auseinanderbogen, sahen sie die kleine Prinzessin Sophie und den noch
-kleineren Erbgroßherzog Wilhelm Ernst. Die Kleine kauerte vor einer
-Röhre, die unter dem Parkwege hindurchführte, und hatte das Tirilieren
-wie Minchen Herzlieb; denn Flipp, der stichelhaarige Dackel, war von
-seinem Forschertriebe in die Röhre getrieben worden und suchte da nach
-Wundern. Und das Kleine wollte ihn am Schwanze herausziehen. Wilhelm
-Ernst der Jüngere aber hatte sich von einer Parkfrau den Rechen geben
-lassen, der älter war als er selber, und versuchte sich damit am Ernste
-des Lebens.
-
-Da lief die Sonne hin und faßte das Vorfrühlingsidyll mit den
-Fürstenkindern und Flipp dem Dackel in einen goldenen Rahmen. --
-
-Am dritten Tage waren sie in der Fasanerie im Webicht. Es waren
-da schon viele Lichter ausgelöscht in der Welt, und was sich an
-verfrühten Blumengesichtern aus dem vorjährigen Laube hob, hatte die
-Augen zu, und der Wald trauerte um den leuchtenden Irrtum der letzten
-zwei Tage.
-
-Es war wieder Februar geworden.
-
-In der niederen Stube der Fasanerie waren sie allein, um sie ein
-bißchen verblichene Weidmannsfreude des abseitigen Jägerhauses an den
-Wänden -- auf einmal war Jockele im Forsthaus an der Hörsel, und das
-Zinzilein stand in der Stube und schaukelte ein kleines Mädchen auf dem
-Arme ...
-
-Gott, das Zinzilein! Wo war es gewesen all die Zeit her!
-
-Es hatte genau solche goldenen Haare und solche Maifestaugen wie
-Minchen Herzlieb. Aber es war kaum der Schule entlaufen, da hatte es
-schon ausgesehen wie ein durchsonntes stilles Waldwasser, aus dem die
-weißen Sterne des Hahnenfußes aufgehen und die silbernen Kronen der
-Teichrosen. Es blühte an ihm alles so von innen heraus; wo es seine
-Augen hatte, ward's hell, und wo seine liebe Stimme erklang, ward's
-warm ... Nun war ein schlankes, junges Mütterchen aus ihr geworden!
-
-Die Sehnsucht faßte Jockele an -- heißer, träumerischer
-Hochsommermittag, in dem alle Düfte Farben bekommen und Säulen von Gold
-in den thüringischen Buchenwäldern stehen. Und seine Seele schwamm
-darin mit breiten Schwingen ...
-
-»Du bist heute langweilig,« sagte Minchen Herzlieb und riß ihm einen
-seiner schönen bunten Flügel aus ... »Ich gefalle Dir nicht in Blau,
-gelt?«
-
-»Himmel, es gibt doch auch noch wichtigere Dinge auf der Welt als
-Frauenkleider!«
-
-»Wichtigere Dinge? Wie meinst Du das?« fragte sie und wurde steil.
-
-Da sprang draußen eine Stimme auf die Haustürschwelle, die packte die
-Frage Minchens und schnickte sie unter den Tisch.
-
-Dann ging die Tür auf --
-
-»Da haben wir ihn! Kommen Sie, Husch! ... Sie, Jakobus Sinsheimer,
-ich hab' Ihren ›Armen Heinrich‹ verkauft! Und Sie sitzen mit einer
-Ihrer zahllosen Bräute beim Frühschoppen, den Sie aus einer Ewigkeit
-in die andere verlängern! Reden Sie nicht, ich weiß alles! Diese Dame
-heißt Minchen Herzlieb, und Sie haben sich mit ihr im Sattel vor dem
-Liszthause verheiratet.«
-
-Einen Schwung hatte Gwendolin, einen Schwung voller Erlösung und
-seelenerstürmenden Jubels -- Jockele dachte gar nicht mehr an den
-abgerissenen Flügel, er breitete seine Arme weit aus und riß das lange
-Mädel an sein Herz. In sie wurden weder Knitter, noch ging daran etwas
-in Stücke --
-
-»Gwendolin, Krone der Weiber, Königin des Himmels und der Erde!
-Gwendolin, Du ungeheures Licht, Du Zauberin!« Und dann geriet er
-über ihre Lippen, und die beiden ranken jungen Menschen schossen
-durcheinander wie zwei Waldbäume und verflochten sich mit Wurzeln und
-Aesten.
-
-Seine dröhnenden Worte hatten in der Küche eingeschlagen. Die Wirtin
-sprang hinein und wollte retten, was zu retten wäre. Aber schon in der
-Türe kriegte sie die Verklärung, schrieb unter das Bild in Lebensgröße:
-»Ein Wiedersehen nach langen Jahren« und versank in Rührung.
-
-Minchen Herzlieb saß auf einem weißglühenden Stuhle und dachte:
-»Scheidungsgrund!«
-
-Husch war an einen abseitigen Tisch gesunken -- es glitt ihr nichts aus
-den Händen; denn sie hatte sich gehütet, etwas zu halten; darum setzte
-sie sich nun neben das Leben und wartete, ob für sie etwas am Rande
-liegen bliebe.
-
-»So -- nun laß mich los! Mensch, Du bist ja immer noch -- waldwild wie
-damals -- und tollwüchsig -- und -- -- Hilfe!! Es sind bloß dreihundert
-Mark -- Du küßt ja für fünfhundert!«
-
-Da wurde Jockele barmherzig, aber er schwur, daß es erst hätte angehen
-sollen.
-
-»Geschenkt! Geschenkt!« keuchte sie.
-
-Da ließ er sie los, und Minchen Herzlieb quittierte ihren Aerger und
-sagte zu Gwendolin: »Ich kenne das!«
-
-»Ach nein? Wirklich?« sagte Gwendolin, aber sie tröpfelte ein
-bißchen Gift darauf. Da merkte das Kleine, daß es renommiert hätte,
-und Gwendolin führte Husch an den Tisch, warf ein paar Hände voll
-Frohmut über sie und ließ sich das Hütchen mit der Spielhahnfeder
-zurechtschieben, das ihr obenauf saß wie ein hingeschmettertes
-Juchtrala.
-
-Minchen Herzlieb konnte inzwischen den Gedanken nicht loswerden,
-die Sache mit dem Armen Heinrich wäre nur eine Finte, und die lange
-Gwendolin hätte den Hieb geschlagen, um ihr -- dem Minchen -- eine
-blutige Abfuhr zu bereiten. Darum fragte sie, wo denn das Geld wäre,
-und es entstand eine elektrische Schwüle, die der armen Husch auf die
-Nerven fiel.
-
-Aber Jockele rettete die Situation mit einer Flasche Sekt und einem
-Frühstück. -- Ein Münchener Verleger hatte die Zeichnungen für eine
-neue Uebertragung des Gedichts vom Armen Heinrich erstanden, und der
-Kunsthändler hatte dafür -- natürlich samt den vier Tafeln in Oel --
-den Betrag geboten; die Verhandlungen waren zwischen ihm und Gwendolin
-durch den Draht gepflogen worden.
-
-So war alles sternenwunderbar und märchenhaft, und ein gewöhnlicher
-Mensch konnte darüber den Verstand verlieren. Jockele aber ging nur
-über die Baumwipfel nach Hause, und Gwendolin scherzte: »Ich wußte, daß
-ich einen schweren Gang tat, darum hab' ich mir die Husch mitgenommen.«
-
-Sie spazierten über die Felder und Gleise hinter dem Luftbad und
-setzten Husch an der Schlüpfe im Zaun ab; dann ging Gwendolin, die in
-der Kurthstraße wohnte, und die allen Bitten Jockeles, den Umweg über
-den Silberblick zu machen, kein Gehör gab.
-
-So lieferte sie ihn Minchen Herzliebs Zorn aus, und die knatterte auch
-gleich los, als hätte es kein Verbrüderungsfest auf dem Sofa Paulinens
-und kein Vorfrühlingsglück im Park zu Belvedere gegeben --
-
-Er wäre wohl mit allen Mädchen auf Du und Du in Weimar? Und ob er sich
-einbilde, daß sie gerade auf ihn gewartet hätte? Und was das für ein
-unsauberes Küssen gewesen wäre mit dieser Gwendolin Vogelgesang -- pfui
-tausend! Und warum er ihr verschwiegen hätte, daß die Husch sogar bei
-ihm im Hause wohne -- oh!
-
-Sie ging mit ihm die Windmühlenstraße hin bis in das Wäldchen um Hases
-Ruhe und hatte sich in eine rauchende, allgemein menschliche Entrüstung
-hineingeredet. Darüber konnte er noch lange nicht zu Worte kommen.
-Zuletzt wartete sie mit einem Platzregen von Tränen auf.
-
-Aber Jockele hätte nicht an einer Wegscheide stehen dürfen -- wiewohl
-er sie längst noch nicht klar zu sehen vermochte -- und er hätte nicht
-das schöne fremde Scheinen des blauen Geldes ums Herz tragen müssen!
-Die Rede ging Minchen Herzlieb aus dem Munde wie Gift und Oel und war
-voll weiheloser Empörung, aber sie trat keine Türen ein.
-
-Sie schritten hundertmal den kleinen Weg durch das ausgeholzte
-Wäldchen, grauer Alltag stand ringsherum, und dem Jockele gefror das
-Herz vor dieser Millionenschablone bis auf den Grund.
-
-»Minchen Herzlieb, Du warst eine Faschingsdummheit!« sagte er.
-
-Darüber verlor sie die schöne Sicherheit, mit der sie ihm den Tisch
-voll bittere Mandeln getragen hatte, und die Sache bekam eine neue
-Wendung; denn Minchen befand sich nicht zum ersten Male in solcher
-Lage, aber vordem hatte so etwas wenigstens drei Wochen gedauert, nun
-war es gar auf drei Tage zusammengeschrumpft.
-
-Und sie verfiel in eine grausame Selbstquälerei ... »Warum bist Du erst
-gekommen, wenn Du mich nicht liebgehabt hast?«
-
-»Natürlich hab ich Dich liebgehabt.«
-
-»Gehabt!«
-
-Er zog die Achseln und redete wie aus tausendjähriger Erfahrung: »Es
-steht schlimm um die meisten Mädchen -- entweder können sie das Feuer
-nicht anblasen, oder sie können es nicht unterhalten.«
-
-»Anblasen ...,« sagte sie schokiert.
-
-»Oh, anblasen kannst Du, aber es fehlt das Oel auf der Lampe. Ihr habt
-die pudelnärrische Ansicht, ein Mann sei ein Ding wie ein Spiegel, der
-Ja sagt, so oft ihr hineinguckt. Der Spiegel gehorcht sieben Jahre, der
-Mann ist des Schauspiels am siebenten Tage müde ...«
-
-Sie bekam das Zittern ins Herz und schwur sich, sie wollte zuhören bis
-zum Abend. Das ›Oel auf der Lampe‹ quälte sie -- -- wenn man einen Mund
-hat so voller Blühen und den besten Willen zum Küssen und siebzehn
-Blusen und vier Kostüme und drei Kästen bunte Schleifen ... ist das
-kein Oel? Aber sie sagte das nicht, sondern wartete, was er meinte.
-
-Die Stunden in diesem Wäldchen vor dem Südtore der Stadt gehörten zu
-denen, die in seinem Leben stehenblieben -- nicht, weil er da zwei
-Tage einer Liebe begrub, die vormärzlich und sonnenfieberisch gewesen
-war, und die ihn betrogen hatte, sondern weil er in diesen Stunden in
-die Tiefen des wilden Jahres schritt, in denen ihn das Leben jählings
-zerriß.
-
-Die stille und klare Feierlichkeit des Hauses am Buchenwalde schien aus
-Fernen in sein Herz, die er verloren gab. Aber das Licht von den ersten
-Blumensteigen des Daseins leuchtet bis auf die andere Seite, und kein
-Leben kommt darüber hinweg.
-
-Nun erfüllte das leidsüchtige Wesen der Husch sein Schaffen ...
-
-Doris Rinkhaus hatte den Finger gehoben -- er verstand ihn nicht.
-Und nun hatte er sein Herz an ein junges Gesicht vertrödelt, weil es
-lustig lachen konnte! Dies Herz hatte Sehnsucht nach einer kindhaften
-Fröhlichkeit gehabt, wie sie das Zinzilein ausgestrahlt hatte. Aber
-nach drei Tagen war der perlende Trunk abgestanden, und Huschs
-Veilchenstille, die an dem bißchen Schimmer blühte, der in die Winkel
-fiel -- ach nein, die lockte ihn nicht, aber er war ihr dankbar.
-
-So vergrübelte er sich und lief seiner Sehnsucht nach, und Minchen
-Herzlieb war ihm ganz aus den Gedanken gekommen. Da fing sie ihn sich
-wieder --
-
-»Ach ja,« sagte er, »ich glaube, die meisten von Euch halten die Männer
-für Narren.«
-
-»Vielleicht haben wir ein Recht dazu,« sagte sie schnippisch.
-
-»Ihr macht Euch zu Blumen fürs Knopfloch. Es fehlt das eine, das
-nottut.«
-
-Damit hatte er einen großen Stein vor sich auf den Weg gewälzt und
-mühte sich eine lange Rede hindurch damit herum. Er sprach von breiter,
-schöner Menschlichkeit, in die ein Mädchen schon hineinwachsen müßte,
-während der junge Mann auf dem Bauplatze für seinen künftigen Beruf
-Kärrnerarbeit verrichtet. Er redete von früherwachender Sinnlichkeit,
-die in Putzsucht geriete und zu der jämmerlichen Frauenhalbheit führe,
-die ebenso arrogant wie unfruchtbar wäre. Aber der Stein im Wege
-wollte nicht weichen, und der Herr Jakobus Sinsheimer, der sich so
-männlich-kraftvoll gebärdete, schritt doch immer nur mit einer mehr
-oder weniger höflichen Verbeugung um ihn herum.
-
-Das merkte Minchen Herzlieb natürlich und sagte: »Du hast da eine wirre
-Sache auf mich losgelassen, mit der Du selbst nichts anzufangen weißt!
-Wenn Du mich wieder einmal sehen willst, so wirst Du mich ja wohl
-finden. Jetzt geh ich nach Hause; denn ich habe Hunger.«
-
-Und das war eine ganz vernünftige Lösung. Der Glaube an ihre brauchbare
-Art war ihr nicht erschüttert worden -- warum auch?
-
-Sie ahnte, daß es in einem jungen Künstlerherzen so aussehen könnte. Es
-war das etwas anderes als bei einem Menschen, der mit dem Reisekoffer
-hineinfährt ins Leben, den ihm die Alten daheim gepackt haben.
-Aber die Verwirrung, die Jockele angerichtet hatte, blieb auch für
-sie undurchsichtig. Es kam ihr vor, als hätte sie sich an den Rand
-eines Abgrunds gewagt, an dem nicht spazieren zu gehen war nach der
-Mädchenweise:
-
- Hüpft's Herz hinterm Mieder,
- Wird's inwendig heiß.
- Und Küsse sind Lieder,
- Die man auswendig weiß.
-
-Schon der Wanderweg durch das Webicht und das Wäldchen um Hases Ruhe
-war eine Strapaze gewesen, wie jene Viertelstunde auf dem Pferde, auf
-dem sie einmal im Zuckeltrab über einen Acker geritten war. Aber für
-solche Reisen ins Land der Liebe dankte sie ein- für allemal -- dieser
-Jockele hatte zuletzt Dinge geredet, die genau so aussahen, als mute
-er seinem Mädchen zu, daß es ihm im Kampfe gegen das Leben beistehen
-sollte ... Dabei packte er dies Leben an ganz anderen Zipfeln an und
-tat, als ob es sich nach der zufriedenen und hergebrachten Art nicht
-anständig leben ließe. Er hatte seine Augen immer in Gegenden, in denen
-die netten Kleider und die tausend interessanten Dinge, die in der
-Stadt passieren, gar keiner Rede wert waren.
-
-So dachte sie sich in eine lustig-wehmütige Befreiung hinein und daß
-sie nachmittags zur Anprobe bestellt wäre.
-
-Für Jockele war sie Vergangenheit geworden. In tiefer Dankbarkeit gegen
-diesen Tag ging er hin und kaufte einen silbernen Armring. Den brachte
-er Husch mit.
-
-Es war ein unbändiger Drang zur Klarheit in ihm. Er hatte mit Husch nie
-ein Wort von Liebe gesprochen, nie ein Wort über Gwendolin und Minchen
-Herzlieb. Das Gefühl, daß er ihr wunderlich ergebungsvolles Herz
-schonen müßte, hatte ihn gegen seine Art verschwiegen gemacht. Aber nun
-waren die Mädchen zu dritt um ihn gewesen, und die Freundschaft hatte
-die Liebe in der Narrenkappe aus dem Lande gejagt.
-
-An diesem Tag schloß er Husch alle Türen und Fenster seines Herzens
-auf. Wenn einmal die Unordnung über ihn hereinbrach, daß er aus dem
-Hause floh -- Huschs Hände vermochten Wunder zu tun; und so oft er
-heimkam, umarmte ihn wieder die liebe Stille und sonnige Sauberkeit.
-Sie sollte ihm auch über sein ungeratenes Herz hinweghelfen.
-
-Es war ihm nicht katerjämmerlich zumute, aber er fühlte, daß er sich
-eine moralische Schlappe beigebracht hatte, und litt wieder einmal an
-sich selbst. Doch ging er aufrecht in der Kraft, die im Haus am Walde
-von Tante Veronikas Treue in heiliger Bewußtheit in ihn gepflanzt
-war, und sagte: »Wie kann sich ein so langer und tapferer Mensch so
-verplempern!«
-
-Er ließ Wind und Feldfrische durch sein Herz laufen, atmete über dem
-großen Lüftungsfeste auf und sagte: »Es ist nicht zu glauben, wie einem
-ein so kleines, blankes Mädel das Haus verstauben kann!«
-
-Darüber mußte auch Husch lachen. Sie teilte sich ihr bißchen laute
-Freude ein und lachte in jedem Monat einmal.
-
-Erst hatte sie gedacht, dem Minchen wäre die alleswissende Gwendolin
-im Wege gewesen, und es hätte deshalb ein Zerwürfnis gegeben, das sie
-schon auf dem Heimgang ahnte, und sie war froh, daß sie nicht dabei zu
-sein brauchte. Nun erkannte sie aber: das war es nicht, und wunderte
-sich über die Maßen, daß er des frischen Mädchens mit den trällernden
-Augen so bald überdrüssig geworden war.
-
-Er wunderte sich darüber eigentlich auch und deutete vor Husch immer
-wieder in grausamer Selbstentblößung auf den ›langen und tapferen
-Menschen‹, der so eigenwillig in seinem Schaffen und seinen Tagen
-stand und doch immer so auf das erste beste hinliebte, was ihm den Weg
-kreuzte.
-
-Gleich Maria Reh, die eine kleine Ewigkeit älter war als er, war keine
-glückliche Wahl gewesen. Und so weiter. Aber zuletzt erteilte er seinem
-irrenden Herzen in Husch's Beisein eine lustige Generalabsolution
-und fand für jeden Irrtum eine Entschuldigung: Maria Reh war schon
-damals voll schöner Sommerreife gewesen, die nun in Ausdehnungen und
-Behaglichkeit hineinwuchs; Gwendolin hatte Stunden, in denen sie den
-lieben Gott besiegen konnte, aber sie litt an kurzem Gedächtnis; vor
-Erika Flucht war er nur bis zu einer dankerfüllten Verehrung gelangt --
-sie suchte nach Blumen auf späteren Feldern und liebte bis auf weiteres
-über das Zeitliche dahin. Aber sie hatte ihn doch ein großes Stück
-Weges geführt ...
-
-So stellte er jede, die zu dem Kapitel ›Jockele und die Mädchen‹
-gehörte, an diesem Nachmittag in dem kleinen Haus im Pflaumenwinkel
-auf. -- Doris Rinkhaus kam zuletzt und weitab von den anderen. Er
-sagte außer ihrem Namen kein Wort von ihr; denn er wußte: er hätte
-Husch an das Geranienfenster Paulinens im Liszthaus setzen können,
-während er mit Minchen Herzlieb das Verbrüderungsfest feierte -- Husch
-hätte ihn deshalb nicht scheel angesehen; aber sie geriet an die
-Qualen des höllischen Feuers, wenn das Bild der blonden Doris in die
-Zweieinsamkeit ihres Hauses trat, und sie gönnte ihren Augen nicht,
-daß sie eine Studie Jockeles betrachtete. Darum: als die Reihe an
-Doris Rinkhaus kam, entwischte Husch mit ihm in die ferne, ferne Zeit
-und leitete ihn zu klugen und besinnlichen Reden über die Mädchen des
-Frühlingshauses.
-
-Dabei merkte er, daß Tante Veronika über alle hinwegschien -- heller,
-als er den lieben Glanz empfunden hatte, wie er noch mitten darin
-stand. Und sie wurden lustig an dem Mädchen Mali, die es fertig
-gebracht hatte, mit ihrem Singen alles in ewigkeitstiefe Abgründe
-zu schlagen, was ihm an Klängen in sein jauchzendes Zigeunerherz
-hineingeboren war.
-
-
-Doris Rinkhaus war er seit Tagen ganz aus den Händen gefallen. Er hatte
-sie nicht mehr gesehen seit jener Stunde, in der sie ihn fragte: »Wo
-haben Sie Ihre waldwüchsige Zigeunergesundheit hingebracht?«
-
-Aber das war schon immer so gewesen. Sie drängte sich nicht in seine
-Angelegenheiten und war immer ganz unsichtbar, wenn er sein Herz
-auf Abenteuer schickte. Es war, als hätten sie drüben im Gartenhaus
-ein Barometer, das den Druck der Atmosphäre auf dies Herz mit
-verräterischer Genauigkeit anzeigte. Doris Rinkhaus schloß beide Augen,
-wenn sie merkte, daß er wieder einmal in eine blutjunge Geschichte
-hineinsegelte, aus der er sich doch alsbald rettete.
-
-So behütete sie ihn, daß er vor ihr rot werden mußte. Auch den
-Faschingsritt hatte sie mit einem lachenden und einem trauernden Auge
-betrachtet -- solche Dinge lagen ihr nun einmal nicht.
-
-Im Sommer, wenn sie beide von der gleichen Stille der Baumwinkel
-eingesponnen wurden, hingen sie an den goldgeschmiedeten Lichtketten,
-die im Schattengarten umherlagen. Aber nun plätscherte ein
-langweiliger Februarregen in die Welt, und Maria Reh hatte aus der
-Stadt mitgebracht: Jakobus Sinsheimer wäre von der kleinen Person am
-Silberblick festgenommen worden.
-
-Er selbst saß drüben in schöner Ahnungslosigkeit und dachte: es wäre
-fein, daß von dieser dreitägigen Haft nichts ruchbar geworden.
-
-»Ich begreife Dich nicht,« sagte Maria Reh zu Do -- »wie kannst Du
-darüber so vergnügt sein?«
-
-»Du tust ja, als wärest Du mit ihm verheiratet!« lachte Do. »So hol'
-ihn herüber und laß ihn die Mädchen abschwören für alle Zeiten!
-Warum willst Du nun gerade diesen hübschen, langen Bengel zu einem
-Mönch machen? Na, und daß er nicht mehr in Dich versunken ist wie im
-Ibenheimer Waldmärchen -- das sollte Dich doch nicht zur Beschließerin
-seines Herzens machen!«
-
-Maria Reh kannte diese Reden. Sie waren die Vorläufer langer und
-schweigender Stunden, über die sie sich oft recht mühsam wieder
-zueinander fanden: »Du bist es dem Vertrauen der alten Dame schuldig,
-daß Du mal zu einem kleinen Familienrat reisest.«
-
-Aber damit war sie gründlich abgefallen, und seitdem bekam sie
-verzweifelte Augen von diesem Liberalismus artigen Frauentums und
-knurrte sich in ein rebellisches Kopfschütteln über verrückte Erziehung
-hinein.
-
-Einmal um diese Zeit griff sie sich Gwendolin und hatte eine lange,
-eindringliche Parkwanderung mit ihr. Der Regen war fort, ein kalter
-Nebel reifte durch die Bäume und strickte Netze aus Silber. Die Ilm
-rauchte, und die Baumläufer eilten geschäftig pochend über die alten
-Stämme und hatten ihre liebe Not, daß der Frühling unter dem weißen
-Glanze nicht wieder einschliefe.
-
-Auf der Schunkelbrücke bei der Pappfabrik, als die Mädchen zur
-Belvederer Allee hinübersteuerten, wurde Gwendolin von ausgelassener
-Lustigkeit an Maria Rehs komischer Sorge -- die Geschichte mit
-Minchen Herzlieb wäre ja nur eine kurze Novelle gewesen mit dem Titel
-›Zwei glückliche Tage‹, und die Sache hätte mit dem Lustspiel eine
-verblüffende Aehnlichkeit: der erste Tag glücklich, weil er sie hatte,
-der zweite, weil er sie los wurde! Es wäre ein Lustspiel, das diese
-Sorte Mädchen in jedem Monat einmal als Heldinnen durchlebte!
-
-Da geriet Maria Reh in harte Bedrängnis, rettete sich hinter Tante
-Veronika und tat, als wäre sie von ihr als Agentin der Sittenpolizei
-eingesetzt.
-
-Aber Gwendolin ließ dafür ein verständnisloses und erschütterndes
-Lachen auf sie los.
-
-Auf dem Heimweg ging Maria den Philosophenweg entlang durch die Kiefern
-nach dem Walle des alten Schießstandes und kämpfte dabei einen harten
-Kampf ums Recht. Weil sie erkannte, daß sie in dieser Gefahr für
-Jockele ganz allein sehende Augen behalten hätte und am Ausgange der
-Dinge triumphieren wollte, beschloß sie ein Tagebuch. Darin wollte
-sie sich alle Bitternis über den leichtsinnigen Verkehr Jockeles und
-die noch viel leichtsinnigere Beurteilung durch Doris Rinkhaus vom
-Herzen schreiben. Sie machte sich auch gleich einen Plan. Es sollte
-ausgiebig von Erziehung und Vererbung darin die Rede sein und von den
-Gefahren, die mütterliche Nachsicht über einen Menschen bringen könne.
-Und zuletzt -- zuletzt würden die denkwürdigen Worte stehen: »Das war
-das Ende: es ist gekommen, wie ich vorausgesehen habe! Ein leuchtendes
-Talent ist zerbrochen am Zigeunertume des Herzens.«
-
-So war Maria Reh durch eine närrische Rechthaberei viel zu früh auf
-den Distelrain der Altjüngferlichkeit gedrängt worden. Sie verfiel von
-Stund an in eine selbstquälerische Wachsamkeit. Und weil sie sich vor
-Doris Rinkhaus nicht verbergen konnte und doch vor Fragen verschont
-bleiben wollte, sagte sie ihr, was sie vorhätte. Aber sie stellte es
-so dar, als ob es sich um die Niederschrift von Erinnerungen aus dem
-Baumgarten handelte, die sie zur leidlich nutzbringenden Anwendung der
-langen Abende ersonnen habe.
-
-So oft Doris Rinkhaus die emsige Feder über das Papier knirschen hörte,
-saß sie ohne die leiseste Anwandlung von Neugier über ihrer Büchern.
-Sie dachte sich eine Darstellung der kleinen Ereignisse durch Maria
-Reh nicht sehr interessant; denn es fehlte der Scheinwerfer einer
-rotblütigen Lebensauffassung und rassiger Freude am Dasein.
-
-Sie kamen darüber aber doch nicht selten ins Scherzen --
-
-»Wo stehst Du jetzt?« fragte Do.
-
-»Immer noch beim Sommer in Ibenheim!«
-
-»Du bist ausführlich, Maria! Vergiß die Geschichte mit dem Druckknopf
-nicht -- sie ist lehrreich.«
-
-»Wie meinst Du das?«
-
-»Nun, wenn Du mal Großtante geworden bist, so läßt sich dann durch
-Deinen verblühten Mund eine weise Nutzanwendung machen, etwa mit der
-Ueberschrift ›von der Niedertracht der leblosen Dinge‹.«
-
-Aber sie war noch gar nicht bei dem Sommer in Ibenheim -- die
-Zigeunergeschichte und das romantische Sterben von Jockeles Mutter, die
-Gartenhütte mit der aufgehängten Weltkugel, das Zinzilein, das gemalte
-Schmetterlingsbuch, Tante Veronika -- -- sie schätzte den Umfang
-auf drei dicke Bände. Und es war mühevoll, sich in die Seele eines
-Jungen hineinzudenken. Ueber die erste Schwärmerei, in der sie selbst
-doch mittendrein gestanden hatte, schrieb sie sich ein lästerliches
-Kopfweh. --
-
-Nach dem Fasching, als Jockele dachte, er stünde längst wieder in
-schöner Sicherheit auf sich selbst, war er in erhöhtem Grade der
-Gegenstand des Interesses aller Malmädchen geworden. Es war, als
-hätten sie ihn über dem heimlichen Gelöbnis belauscht, das er sich
-auf einsamer Wanderung durch die märzlichen Felder gegeben: auf
-Dreitagemädchen sein Herz nicht mehr hinfliegen zu lassen.
-
-Das kam daher, daß Jockele die wahre Größe seines Ruhms nicht ahnte
--- -- Spitzenreiter! Es war kein Mädchen in Weimar, das nicht
-mindestens eine Handvoll verliebter Konfetti oder zwei Augen voll
-Wohlgefallen über ihn gewirbelt hatte! Dazu Husch, das hysterische
-Modell. Es ging die Sage, der Arme Heinrich sei dem Jockele auf dem
-Hainturm eingefallen, und zur selbigen Stunde hätte die Husch im
-Gartenhaus am Horn schon einen verzückten Leidrausch bekommen ...
-
-Die Phantasie ist das letzte Wunder, das der liebe Gott den Menschen
-gelassen hat, damit sie nicht voll Mißvergnügen an seiner Schöpfung
-werden. Wo sie ahnen, weil sie nicht wissen können, geben sie sich
-damit eine Zaubervorstellung.
-
-Auch waren auf dem Wege durch die Menschen aus den dreihundert Mark für
-den Armen Heinrich dreitausend geworden. »Dreihundert, dreihundert!«
-riefen die Besonnenen, aber sie erschauerten dennoch bis ins Herz
-hinein vor dem großen Lichte, das an dem Künstlerhimmel im Aufgehen war.
-
-Während sich die anderen noch schülermäßig in der Aktklasse mühten,
-warf er in der Einsamkeit seines Gartenhauses einen unerhörten Glanz
-in sein Modell und tat Wunder. Er hatte Minchen Herzlieb an der
-Straße stehen gelassen wie ein Gänseblümchen -- aber was wollte dies
-alles besagen gegen das siebenfache Mirakel: die schöne, klare Doris
-Rinkhaus liebte ihn! Die Millionenerbin den Zigeunerjungen! Und sein
-wildes, geniales, strahlendes Wesen stürmte über sie hinweg und sah
-sie nicht! -- So redeten die Leute in Weimar von ihm, und was zwischen
-diese leuchtenden Fäden hineingesponnen wurde, war nicht minder bunt
-und unterhaltsam. Und alles fand seine Bestätigung darin, daß just in
-dieser wundertätigen Zeit Jockele weniger denn je unter die Menschen
-ging. Er schwebte im Baumwinkel auf der Leiter und steckte bis über die
-Ohren im Tartarus. Wer neugierig war und auf dem hohen Wall des alten
-Schießstandes dahinwandelte, konnte ihn sehen.
-
-Einmal kam Maria Reh aus der Akademie, warf die Lippen und erzählte Do:
-die Leute wüßten, daß sie an einer himmlischen Liebe zu Jo litte, die
-sich aber gar sehr nach Erde sehne ...
-
-Maria Reh spazierte also emsig vorwärts auf dem Distelraine, nahm zu
-an ofenhafter Ausdehnung und hatte sich schon in eine rechtschaffene
-Verbitterung hineingeschrieben.
-
-»Eigentlich müßtest Du vor Vergnügen über diesen Klatsch wieder das
-springseilhüpfende Jungsein kriegen,« lachte Do, und sie lachte so
-lange, bis sie auch Maria Reh von der angenommenen Entrüstung geholfen
-hatte. --
-
-Weimar hing nun ganz voll Maienseligkeit -- jawohl, auch der Frühling
-ist in Weimar voll inbrünstigerem Glück als anderswo; denn es rauschen
-die hellen Ewigkeiten darin um die klingenden Tore der Stadt.
-
-Jockele wurde von Grün und Blühen in seliger Vergessenheit gefangen.
-Die Blüten fielen, und die große Gruppe aus dem Tartarus ward fertig.
-
-Do, die oft einmal in den Baumwinkel gekommen war, wurde immer
-schweigsamer, und auch Maria Reh war nur mäßig beglückt.
-
-»Er hat sich da an eine Sache gewagt, die noch über seine Kraft geht,«
-sagte sie eines Tages zu Doris Rinkhaus.
-
-»Das wird ihm noch oft passieren,« sagte Do. Es klang hart und
-mitleidlos; und gleich darauf kam Jo selber und setzte sich zu den
-Mädchen an den Gartentisch. Er war versonnen und ließ seine Augen über
-die hohen Kastanienwipfel gehen -- er hatte sich den Tag, an dem er
-die letzten Farbentupfen in das Bild setzte, anders gedacht. Maria Reh
-hatte sich fertig gemacht zu einem Ausgang --
-
-»Kommen Sie mit -- wir wollen Jakobus Sinsheimer suchen!« lachte sie.
-
-Da lehnten sie die ›Gruppe aus dem Tartarus‹ gegen die Hauswand und
-gingen zu dritt in die Felder und redeten immerfort von dem Bilde. Do
-sagte:
-
-»Es ist äußerlich geblieben im Empfinden. Sie sind über das hysterische
-Mädchen dazu gekommen; aber Ihre gesunde Art hat sich zuletzt nicht
-unterkriegen lassen -- das ist es!«
-
-Genau so hatte Do über den Armen Heinrich geurteilt, der ihm seinen
-ersten Ruhm eingetragen. Aber nun stand er doch mit gebrochenen Flügeln
-vor Do, und Marias scheue Zugeknöpftheit quälte ihn. Langsam fing er
-wieder an zu leuchten, und abends brachten sie ihn frohmütiger und mit
-neuen Plänen heim: er wollte die Tiefen und Schründe übermalen, die
-Figuren mit strahlendem Himmel umhängen und sie auf die Spitze eines
-Berges stellen, der im letzten Scheine des Abends lag. Dann sollte das
-Bild ›Schmerz‹ heißen.
-
-Do hatte ihre Einwände; aber er ließ sie nicht an sich kommen, und die
-nächsten Tage fanden ihn wieder im Baumwinkel. Er legte Himmel über
-die Felsen; die Figuren blieben in ihrer Stellung, aber er verlieh den
-Gesichtern die stille Erhabenheit des Leides, das in die Nachbarschaft
-Gottes führt. Aus treibenden Wolken stieg ein umglühter Bergkegel
-hervor, wo zuerst die Abgründe des Tartarus gegähnt hatten.
-
-Aber das selige Leuchten, das er in seinen Träumen gehabt, verlor sich
-dennoch über allem und ward Finsternis.
-
-Als er am vierten Abende mit Do und Maria vor dem Bilde stand, die in
-diesen Tagen nicht gekommen waren, weil er sie darum gebeten hatte,
-legte sich ein schweres Schweigen auf ihn und die Mädchen. Das zerriß
-er mit einem gellen Auflachen; dann rannte er in den Schuppen und
-stürzte mit einem hocherhobenen Grabscheit heraus und schlug blindwütig
-auf die Leinwand ein, bis sie in bunten Fetzen herumlag, und der Rahmen
-krachend zusammensank.
-
-Husch hörte im Hause das wilde Schlagen und Knattern des Holzes.
-
-Sie stürzte heraus und warf sich über die Trümmer und achtete des
-niedersausenden Spatens nicht.
-
-Darüber kam er zu sich, und er sah sie vor dem Haufen Fetzen knien, wie
-sie Doris Rinkhaus anstarrte.
-
-Da schleuderte er das Grabscheit fort und lief in das Haus.
-
-Husch aber schritt auf Do zu, die vor Maria stand, und streckte ihre
-Arme aus und war anzusehen, als käme sie aus dem Grabe.
-
-»Sie sind es gewesen!« schrie sie Do ins Gesicht -- »Sie haben ihn so
-von sich gebracht! Nun ist er wahnsinnig geworden.«
-
-»Nein -- +Sie+ sind es gewesen!« sagte Do, und ihre Stimme zitterte zum
-ersten Male. Sie wandte sich ab und wollte zu Jakobus gehen und mit ihm
-reden. Aber Husch kam ihr zuvor und warf sich mit heiserem Schrei auf
-die Schwelle.
-
-Da trat Jakobus heraus und gebot ihr, stille zu sein, und trug sie auf
-seinen Armen hinein. Er hatte Do und Maria einen Wink gegeben, daß sie
-in ihr Haus gehen sollten, er wollte später hinüberkommen.
-
-Wie er Husch zu Bette gelegt hatte, schlug ein grimmiges Lachen aus
-ihm -- zwanzigmal hatte er sie nun so auf sein Lager geschleppt und
-war voll Erbarmen mit ihr gewesen ... nun dachte er, er hätte sich
-von ihrer krankhaften Art niedertreten lassen und hätte diese Wochen
-jauchzenden Mühens verloren wegen ihr. Und hätte sich selbst verloren.
-
-Da warf er den Malkittel ab und ging hinüber in das Gartenhaus. Er
-hatte sich wieder fest in den Händen. Maria Reh war in das Nebenzimmer
-geflohen, als sie ihn kommen hörte.
-
-»Es ist gut,« sagte er, »ich bin froh, daß ich so rasch gewesen bin!«
-
-»Ich auch!« sagte Do. »Es war eine wilde Geschichte, aber es war ein
-kurzes Leid. Sie müssen nun zusehen, daß Sie die ›Gruppe aus dem
-Tartarus‹ auch in Ihrem Kopfe zerschlagen können! Reisen Sie mit mir
-nach Ibenheim -- mit mir ganz allein?«
-
-»Wann?«
-
-»Morgen?«
-
-»Heut abend wäre es noch besser.«
-
-»So reisen wir heute abend. Wie steht es mit Husch?«
-
-»Sie schläft,« sagte Jo. »Aber diesmal ist es zu Ende zwischen mir und
-ihr! Wo ist Fräulein Reh?«
-
-Da rief Do Maria herein --
-
-»Bitte, gehen Sie zu Husch's Mutter,« sagte er, »und bringen Sie ihr
-diese fünfzig Mark. Ich kann das Mädchen nicht mehr um mich haben --
-ich kann nicht! Sie wissen, was Sie der Frau sagen werden. Und wenn
-Sie mehr Geld braucht, so soll sie später zu mir kommen, ich will ihr
-geben, was mir möglich ist; denn Husch ist leidender geworden durch
-mich, viel leidender. Ich hätte sie mehr schonen sollen.«
-
-»Noch mehr?« fragte Do. »Sie hätten sie nach dem Armen Heinrich
-abschaffen müssen.«
-
-In Maria Reh aber ging eine ungeheure Fülle von Lichtern an -- es waren
-ihrer so viele, daß sie geblendet dazwischen umhertappte.
-
-Zuerst wollte sie erkennen, daß Do nun doch an der himmlischen Liebe
-litte, die sie als einfältige Dichtung der Menschen belacht hatte.
-War Do in gut gespielter Gefrorenheit all die Zeit her nur zur Seite
-gestanden voll Erwartung, daß die Stunde ja kommen müßte, in der
-ihr diese ringende Jugend in die Hände fiel? Hatte man sie mit der
-Sendung zu Husch's Mutter betraut, damit die beiden schon bei den
-Vorbereitungen zur Reise unbeobachtet wären?
-
-Es schoß Licht in rasenden Pfeilen um sie her und wurde doch nur
-langsam Tag.
-
-Aber zuletzt ärgerte sie sich über ihr verwinkeltes Herz und begriff
-die Stunde als einen Sieg ihrer längst gehegten Ueberzeugungen.
-
-Jockele ging hinüber, um sich zu der schnellen Abfahrt zu bereiten. Er
-traf Husch in den Tiefen ihres krankhaften Schlafes. Und als er so alle
-Dinge zusammenwarf, die er mitnehmen wollte, ward ihm doch bange vor
-der Zeit, in der ihre ordnenden Hände und ihre sorgende Stille nicht
-mehr um ihn wären. Einmal hatte sie gesagt, sie würde sich in den Tod
-hinüberschlafen, wenn er sie fortschickte ...
-
-Daran dachte er nun und sah immer einmal zu der Türe nach dem
-Kämmerchen; denn es war ihm, als müßte sie mit entgeisterten Augen und
-halb erstarrten Gliedern hereintreten und ihn fragen: »Was willst Du
-mit mir und Dir beginnen?«
-
-Aber sie kam nicht, und er ging zu Maria Reh und sagte ihr, ob es nicht
-besser wäre, man ließe sie noch ein paar Tage kommen. Dann würde sie
-fragen, wo er hingegangen sei und was überhaupt geschehen wäre, und
-Maria Reh sollte in Ruhe mit ihr reden. Da wehrten die Mädchen beide
-ab und wunderten sich über die Macht, die dies krankhafte Wesen bis
-zuletzt über seine Kraft und Jugend behalten hatte.
-
-Gegen Abend reisten sie ab.
-
-Maria Reh schickte nach einem Arzte und besprach das ganze wunderliche
-Erleben mit ihm.
-
-
-Zweimal hatte der Frühling um Ibenheim am Walde geblüht und hatte
-Jakobus vergeblich gesucht.
-
-Nun stürzte der dem grünen Bergsommer mit ausgebreiteten Armen ans
-Herz.
-
-Was war das für ein überschäumendes Jauchzen! Und was war das für
-ein Finden der alten Steige und durchsonnten Waldwinkel, die alle
-auf ihn gewartet hatten! Die Erde erschauerte, wo sein Fuß über sie
-schritt, und die blaue Seide der Lüfte flatterte, wenn sie an seine
-Stirne streifte. Der Sandbruch, um dessen Säume der Wind und die
-Herbstblätter gelaufen waren, und die gelben Wände, über die Regen und
-Sonne gegangen, aber kein Menschenfuß -- das alles lag da als eine
-schlummernde Welt von Wundern. Und was die jubilierende, sinnende,
-träumende Jungenseele in Jahren hineingedichtet hatte, wurde wach und
-wandelte, wie es den Klang seiner Stimme hörte.
-
-O Menschen, die Ihr in den Steinbrüchen der Städte jung gewesen seid,
-was ahnt Ihr von den atmenden Geheimnissen der Erde! Was wißt Ihr vom
-Glück! Und was wißt Ihr vom Himmel!
-
-Und dann schlug die Gartenhütte ihre Augen auf. Da pendelte noch die
-geschwärzte Weltkugel, die einmal ein Behälter für Schokoladenpfennige
-gewesen war, und geriet in ein stürmische Schwingen. Da hingen die
-Kästen mit den Schmetterlingen, da war ... es war alles da, was ein
-wundertätiges Jungenherz in Verstand und Unverstand als nötig zur
-Seligkeit erkannt hatte. Auch die Trümmer der Flugmaschine. Davor wurde
-Jockele besinnlich und sagte: »Die Trümmer eines Flugzeugs liegen auch
-in dem kleinen Haus am Horn -- aber sie liegen wohl in allen Häusern!«
-
-
-Ob Tante Veronika mit der schönen, blonden Doris Rinkhaus jemals
-oder gar schon an jenem Tag ihres ersten Zusammentreffens im
-Baumgarten am Horn einen Zweibund geschlossen -- aus dem Gefühl einer
-Interessengemeinschaft an Jockele -- ist nicht bekannt geworden. Es
-ist aber nicht anzunehmen; denn das Vertrauen der alten Dame zu ihrem
-Pflegesohne war unbegrenzt von Anbeginn und wollte so bleiben bis
-zu dem Augenblick, in dem es für Jockele ein so gleichgültiges Ding
-geworden wäre, daß er es zerbrach und ihr vor die Füße warf. Sie war
-mit klingendem Spiel in das Herz, in das tapfere, eigenwillige Herz Dos
-eingezogen, als sie in der Kriegszeit zu ihr sagte:
-
-»Ich habe die Erziehung meines Jungen auf dies unbegrenzte Vertrauen
-gestellt, weil ich meine, es ist keine Grundlage sicherer, Eltern und
-Kinder in alles überwindender Zuneigung aneinanderzufesseln; denn die
-Bande des Bluts vermögen das nicht.«
-
-Dies Wort war zu einer Offenbarung für Doris Rinkhaus geworden: man
-hatte in dem reichen Haus am Rhein über sie Beschlüsse gefaßt, für die
-sie mit List oder elterlicher Gewalt gewonnen werden sollte. Und sie
-war aufwieglerisch geworden. Die Bande des Bluts waren nicht zerrissen,
-aber die des Vertrauens wollte sie sich erkämpfen; darüber hatte sie
-das elterliche Haus verlassen, eine längst Mündige. Und sie wollte
-heimkehren, wenn ihr die Mündigkeit auch von Rechts und Gesetzes wegen
-zugesprochen sein würde. --
-
-In ihrem Verhalten zu Jakobus war mancherlei Wandel eingetreten. Zuerst
-hatte sie ihn gesehen mit den Augen Maria Rehs: als den dunklen,
-blauäugigen Jungen, mit dem das Schicksal von der Schwelle des Lebens
-ab ein leuchtendes Spiel getrieben, und der aus seiner umblühten
-Waldjugend rein und schön und schwärmerisch vor das süßeste Geheimnis
-des Lebens geraten war. Er fragte nicht vorwitzig nach Dingen, die ihm
-nicht geziemten, sondern ließ die Sonne geahnter Wunder heimlich in
-sein Herz fallen, wie der Frühling fällt in das Herz des Waldes. Und
-erschauerte in Ahnung harrender Herrlichkeiten.
-
-Danach tat er ihr selbst die Türen auf, und sie erkannte die Fülle und
-Leere der jungen Jahre in ihm. Das Haus am Walde ward offen für sie --
-von Stund an wußte Do, daß Maria Reh die Kunst der feinen Hände, die
-die Uhr seines Lebens geregelt, nicht erkannt hatte.
-
-Tante Veronika meinte dies helle Jungenleben ganz anders als Maria Reh;
-denn Maria Reh war mit fünfundzwanzig Jahren eine Distelbauerin, Tante
-Veronika aber hielt mit fünfundsechzig das Uhrwerk ihrer kleinen Welt
-unter einer Glocke aus Himmel und sorgte, daß kein Staub in das blanke
-Getriebe fiel. Dabei war sie aber immer lächelnd bereit, es auch einmal
-putzen zu müssen.
-
-Wenn Do darüber nachdachte, was sie an Himmel und Erde zumeist
-bewunderte, so stand die freundliche Greisin mit den Scheiteln aus
-Silber ganz vorn. Und wenn sie sie fragte, wen sie unter allen Menschen
-zumeist liebe, so schritt Tante Veronika mit dem sanft wiegenden
-Spitzenumhang und dem Kapotthütchen mit den violetten Bändern, dem
-gelben Krückstock und dem ganzen sauberen Drum und Dran unter den
-Kastanien des durchsonnten Baumgartens daher und sagte: »Ist dies wohl
-das kleine Haus, in dem der Kunstschüler Jakobus Sinsheimer wohnt?«
-
-Do ließ Fräulein Veronika an jenem Sommertage auf diese Frage hin auch
-gleich in ihr Herz spazieren; denn der Jakobus Sinsheimer hatte ja auch
-dort sein Kämmerchen gemietet.
-
-Wie dann Gwendolin mit den dürstenden Sinnen über Jockele kam, ward ihm
-nicht gekündigt ... aber es hockte sich doch eine frauenhafte, wachsame
-Eifersucht vor alle Türen dieses Herzens und hatte den Finger immerfort
-auf dem Schellenknopf.
-
-Darüber ärgerte sich Doris Rinkhaus, sandte Jockele eine
-Kriegserklärung und führte einen Kampf mit sich selber. Und weil sie
-auch in ihren Schlummer läuten hörte, reiste sie vor die bunten Tore
-des Bergwalds und wurde an Tante Veronika zu einer lächelnden Königin
-über sich selbst.
-
-Maria Reh fuhr gleich das schwere Geschütz der Sittlichkeit auf, als
-Jockele in Huschs Nebelnetze fiel. Doris Rinkhaus ließ sich von ihr die
-›leichtsinnige Lebensauffassung‹ vorwerfen und sagte: »Husch ist ein
-Irrtum, aber sie ist nur eine Gefahr für den Maler und nicht für den
-Menschen.« Und dann fand sie das leuchtende Wort, das für Maria Reh
-zu einem Stachel wurde: »Möchtest Du etwa die sein, an der er seine
-Jungmännlichkeit schleift?«
-
-Maria Reh fand sich nicht in die Fernen des anderen Geschlechts, die so
-nahe sind, daß sie sich mit den Händen greifen lassen, aber ihre Rätsel
-doch nicht enthüllen; sie sticken den Himmel der Nächte mit Sternen und
-müssen ihn schön und ahnungsvoll erhalten in Ewigkeit.
-
-
-Am zweiten Tage gingen Do und Jo miteinander auf den Steigen der
-Jugend. Da sagte Do zu ihm: »Sie müssen Tante Veronika verraten, daß
-Sie die ›Gruppe aus dem Tartarus‹ zu einer Art ›Berg der Seligkeiten‹
-gemacht haben, und daß Sie dann einen Glauben bekamen, der auch diesen
-Berg zu versetzen vermochte.«
-
-»Ja. Aber es ist grausam,« sagte er. »Ich habe ihr rauschende Briefe
-geschrieben und habe ihr gesagt, der ›Arme Heinrich‹ wäre nur ein
-sanftes, sentimentale Lied auf zwei Saiten; die ›Gruppe aus dem
-Tartarus‹ dagegen würde eine wilde Sinfonie des Schmerzes auf neuen,
-unerhörten Instrumenten sein.«
-
-»Sie haben da kaum ein Wort zu viel gesagt,« scherzte Do, »denn sogar
-ein Grabscheit hat mitgespielt.«
-
-»Mir ist heute, als würde ich nie wieder einen Pinsel anfassen! Wäre es
-nicht am besten gewesen, wenn ich auch die Farbentruhe mit zertrümmert
-hätte?«
-
-Da horchte Do auf in den Tiefen ihres Herzens; denn in diesen geheimen
-Kammern lagen heiße und freudige Wünsche, vor denen sie selbst
-erschrak, wenn sie merkte, daß sie anfingen, sie zu bedrängen.
-
-Damals, als sie ihn am Ufer der Ilm in Tiefurt fragte: »Was wissen Sie
-von Goethe?« damals hätte sie diese Pläne jubelnd und stürmisch vor ihm
-ausgebreitet.
-
-Nun schritt einer neben ihr, vor dem sich ihr erblühtes Frauentum noch
-immer nicht zu wehren brauchte -- diese ungeschlossene Kraft reichte
-nicht an sie heran -- und vor dem es sich nicht beugen konnte ... aber
-es schritten da ein Wille und eine Art, die das andere Geschlecht
-hatten, und die sie sich nicht zusammenzupacken getraute wie die des
-langen Jungen, der ihr vor Jahr und Tag aus dem Bergwald heraus in die
-Arme gelaufen war.
-
-Wenn Maria Reh die letzten Worte Jockeles gehört hätte, wäre sie
-kampfwütig gegen Do geworden; denn es war ihr Stolz, daß sie dies
-Talent im Walde gefunden hatte, und so oft sie davon sprach, fing sie
-an, mit Rührung Goethe zu zitieren: von jenem Blümlein, das sie mit
-allen Wurzeln ausgegraben und in den Garten beim kleinen Haus gepflanzt
-habe. -- Daß zuletzt doch der weiße Tod seine Hand im Spiele hatte und
-den Jungen jählings hinauswarf in die Welt, konnte sie nicht ganz in
-Abrede stellen, aber sie ließ sich ihren Entdeckerruhm darüber nicht
-schmälern.
-
-Das gelang ihr um so leichter, als Jockele zwar seinen künstlerischen
-Eigensinn und seine technischen Unbeholfenheiten hatte -- wer
-aber wollte die Keckheit besitzen und ihm sagen, daß er einer der
-vielzuvielen wäre, die einem Irrlicht ihres Herzens nachstürmten, das
-sie für die Fackel des Genius hielten? --
-
-Nun, da das erste Wort von Jakobus selbst gesprochen worden, nun ward
-Do auf einmal bange, einem Quell nachzugraben, der am ersten heißen
-Tage wieder versiechen konnte.
-
-Sie erschrak und sagte: »Bilden Sie sich denn ein, die Sterne lassen
-sich so vom Himmel holen, ohne daß Sie sich auf dem Wege über die
-blauem Berge einmal die Knie zerschürften? Oder wie haben Sie sich dies
-Pflücken der fernen Lichter gedacht?«
-
-Er sagte: »Gedacht! Was denkt sich ein Junge unter dem Kampf um Glück
-und Ruhm eines Künstlers? Was denken sich die Menschen dabei? Und was
-selbst der Künstler? Man weiß, daß es ein Kampf war, wenn er Sieg
-wurde, und dann sagt man: dieser Kampf war Glück! Aber wenn er nie
-zum Siege führt, dann heißt er Künstlerelend, und sein Symbol ist der
-Schmachtriemen. -- Ich bin nicht Narr genug gewesen, in diesem ersten
-fröhlichen Anlaufe rechts und links neben die Straße zu schauen; denn
-das sag' ich Ihnen: hätt' ich mich darüber ertappt -- ich hätte mich
-dieser guten, sorglichen Mutter nicht einen Tag lang verborgen! Es
-hätte sich dann wohl auch ein anderer Weg gefunden; denn unter den
-Drängen meiner Thüringerwaldjahre stand der zur Malerei doch erst an
-zweiter Stelle, und vor Maria Reh kannte ich Tante Veronika und ihre
-Bücherei, kannte ich das Zinzilein und den Herrn Matthias Prinz und
-mich selber.«
-
-Do kam ins Wundern -- »Davon haben Sie mir nie ein Wort gesagt.«
-
-»Ich hatte es wohl selbst vergessen,« sagte Jockele. »Was hat man
-überhaupt mit siebzehn Jahren für Augen! Aber nun, da ich mit dem
-Grabscheit auf mich losgehauen habe ...,« er blieb stehen und sah
-ihr lange und tief ins Herz ... »warum haben mir Zorn und Zufall ein
-Ding in die Hände gespielt, mit dem man in die Erde wühlt, was tot
-ist? ... Kommen Sie,« rief er und faßte sie an der Hand, »wir wollen
-jenen glückseligen grünen Waldjahren ein Opfer bringen -- wir wollen
-pflanzenhaft und erdenselig sein, wie ich es damals gewesen bin mit
-Maria Reh!«
-
-Da liefen sie in kindhafter Fröhlichkeit über den Waldgrund, der ganz
-warm war von dem Lichte, das den junglaubigen Bäumen aus den Händen
-fiel, und sie warfen sich an einen Mooshang. Der war mit einem dünnen
-Schattennetze überstrickt; die hohen Stauden des Fingerhutes standen
-umher und hauchten aus den ersten offenen Blüten süßes Gift.
-
-Do hatte diesen roten Zauber im Walde nie zuvor gesehen. Hinter ihnen
-reckte sich ein schlanker Buchenbestand mit glänzenden Stämmen, der
-hatte ein goldenes Dach. Vor ihnen trällerte ein fußbreites Bergwasser
-an einer Kiefernschonung dahin, und der frühe Sommer hatte ihm die
-Ränder zu bunten Wundern gesäumt.
-
-Jockele stapfte in dem blühenden Glück der Heimaterde herum und brach
-einen Armvoll davon. Dann setzte er sich neben Do in das gebrochene
-Licht und suchte aus seinem Herzen hervor, was er dort in der ersten
-heißen Freude an der Welt zusammengetragen hatte. Da merkte er, daß die
-ganze Naturwissenschaft noch in feierlichster Ordnung war -- selbst
-das Linnésche System; aber er warf in seiner Freude tiefe und schöne
-Gedanken über das trockene Rüstzeug der anderen Jahre. Da wurde ein
-lustiger Tempel aus lebendigen Blumen daraus. Er blätterte weiter in
-dem Buche des Glücks, das nun längst ganz oben auf dem Regale seiner
-Erinnerungen gestanden hatte -- »Erde, heilige Erde!« rief er und
-drückte seine Lippen hin ins Moos. Und »Erde, heilige Erde!« rief er
-und schüttete alle Blüten über Do aus ...
-
-»Wann war das doch, wissen Sie -- wie ich mit dem Grabscheit den Berg
-der Seligkeiten zerschlug?«
-
-»Das ist schon sehr lange her,« sagte sie. --
-
-Aber nun ging es doch wunderlich mit Doris Rinkhaus.
-
-Wenn ihr jemand das Wort Schicksal zuwarf, so fing sie es mit hellem
-Lachen und spielte damit als mit einem goldenen Balle; dann ließ sie es
-fallen und sagte: »Ach was! Es gibt kein Schicksal!«
-
-Wer das aus ihrem Munde hörte, stellte sich ihr entgegen und dachte:
-»Wie kann ein so kluges, klares Mädchen solch eine Lächerlichkeit
-reden!«
-
-»Ich habe noch nie ein Schicksal gehabt,« sagte sie dann; »denn ich
-habe mein Leben immer nach meinem Willen gelenkt. Es waren Irrtümer da,
-und es lag Gelingen und Freude daneben -- aber Schicksal? Nein und
-tausendmal nein! Wenn man wach ist, und wenn man stark ist, gibt es
-kein Schicksal. Aber jeder Tag wird dazu, der mit Händen voll Gaben an
-Dich herantritt, und Du fragst ihn nicht: was will das werden?«
-
- * * * * *
-
-Allein -- es kommen Stunden mit geschlossenen Händen und ahnungsreichen
-Augen. Die sehen aus wie Sommerhimmel oder wie eine Nacht voll Sterne.
-Und der Mensch fällt diesen Stunden in die Arme und läßt sich tragen
-in Seligkeit und absetzen an einer Wegstelle -- dünke sie ihn nun
-ein Paradies oder eine Wüste. Die Menschen sagen dann: »Ich bin an
-diese Stelle verschlagen worden -- es ist das Schicksal.« Do sagte:
-»Das ist ein Irrtum; denn Ihr habt nichts getan, was Euch vor diesem
-Verschlagen behütet hätte. Ihr schlieft, oder Ihr ließet Euch tragen
-mit geschlossenen Augen, weil Ihr Euch einer frohen Hoffnung hingabt.
-Wo sind die Tage, die man nicht anders hätte leben können, wenn man
-gewollt hätte?«
-
-Sie hatte einmal im Kampf um ihre Ueberzeugung gegen einen Jenenser
-Universitätsprofessor gestanden, der dem jungen Viktor von Scheffel
-sehr ähnlich war, und den sie gut leiden mochte. Zu ihm sagte sie:
-»Das Schicksal eines Menschen wächst im Quadrate der Abnahme seines
-Willens.« Und weil dieser Herr jung und Jurist war, debattierte er mit
-lachender Losgelassenheit auf sie hin. Er sagte: »Ich sollte Offizier
-werden und trat in die Armee und hatte blöde Augen. Da mußte ich
-aus einer gesicherten Ueberlieferung meines Geschlechts heraus zur
-Wissenschaft. Schicksal! Nicht ich, nicht mein Wille -- meine Augen
-waren daran schuld, daß ich den Krieg gegen Rußland und Frankreich
-nicht als Kommandeur des dreizehnten Armeekorps mitmachte.«
-
-Es war eine Stunde gewaltiger Heiterkeit für Do; denn der gescheiterte
-General bewies ihr ihr Recht -- »Sie haben sich einer bunten Hoffnung
-an die Schürze gehängt«, lachte sie, »und haben Ihre Tauglichkeit zum
-Offizier schlecht erwogen -- das nennen Sie nun Schicksal! Aber ich
-will Ihnen helfen; Sie hätten sich das wirklich leichter machen können:
-ein Granatsplitter, der die Tücke des Feindes zertrümmern sollte,
-zertrümmerte den Himmel Ihres Auges -- das kann Schicksal sein. Es
-muß nicht; denn nicht alles, das nicht in Ihrem Willen liegt, darf in
-diesen Kasten gebracht werden.«
-
-Auch brünstig atmender Waldgrund, berauschend küssende Sonne,
-jubilierende Blumen und trällernde Bäche, und was alles über eine
-himmelgesegnete Hochwaldstunde hinwegblüht als Ahnung, Wunsch und
-Sinnenseligkeit, kann Schicksal werden.
-
-Es lauert an allen Ecken und wird nicht erkannt. Es vermag sich im Raum
-einer Stunde zehntausendmal zu verwandeln.
-
-Jo lief wieder auf eine Entdeckungsreise.
-
-Doris Rinkhaus versank in das warme Moos und flatterte ihren Wünschen
-nach. Sie dachte: »Soll ich mit dem Schicksal ein bißchen Verstecken
-spielen?«
-
-Ihr Herz hatte auf einmal ganz wunderliche Meinungen und Anschläge und
-redete mit ihr: »Die Gwendolin hat er geküßt, und die Husch hat er
-geküßt -- was ist das für ein bleiches nebelhaftes Wesen! Wegen Minchen
-Herzlieb ist er sogar in ein fremdes Haus gedrungen, und mit der
-behäbigen Maria Reh hat er seine rosenrote Himmelfahrt gehabt. Am Rhein
-sind die jungen Studenten in Schwärmen um mich geflogen -- weil sie
-wußten, daß ich reich bin? Die Gwendolin hat einen Mund wie Feldmohn
-und hat lodernde Sinne ... Minchen Herzlieb hat tirilierende Augen
-und hat die Seidenbluse und das Röckchen voll Frühling ... Husch --
-na, Husch hat vielleicht die Seele einer Lilie, die sich als singende
-Sehnsucht über das närrische Herz eines Mannes tastet ... und Maria Reh
-lag als das Rätsel Weib in betörender Sonne und in den lustigen Halmen
-des Wachtelweizens -- vielleicht hat sie auch ein bißchen gelockt:
-›Junge, lieber Junge, komm und rat' mich!‹«
-
-So hatte Do ihre Gedanken in das Blühen und Singen des
-Frühsommermorgens hineingelassen und sah ihnen nach -- »Vor mich aber
-hat er noch nicht einmal seine Augen hingestellt, damit sie sagten: Do,
-Du bist auch hübsch, und Du gefällst mir doch eigentlich sehr.« ... Die
-Mädchen prickelten um seine vollen Sinne wie Sekt in einem neugefüllten
-Glase. »Warum prickelt er nicht um mich? Und wenn er gar einmal
-schäumte wie vor Gwendolin -- man würde sich ja wohl helfen können ...
-Und wenn nicht? -- Na ...«
-
-Sie legte sich lang ins Moos und fühlte die warmen Hände der Sonne
-über ihre schlanken Glieder streichen. Es war süß und wohltätig. Sie
-bedeckte ihr Gesicht mit dem Sommerhute, der einen Kranz von kleinen,
-bunten, sehr lustigen Blumen hatte, aber gar nicht lärmend war, und
-schloß die Augen.
-
-So hörte sie Jakobus zurückkommen und ganz leise gehen.
-
-Er setzte sich neben sie, und sie wußte genau, daß er nicht dachte, sie
-wäre eingeschlafen. Warum ließ er sie so ruhig weiterspinnen an dem
-langen Faden ihrer Erwartung -- warum prickelte er nicht?
-
-Die Augen unter dem Hute taten sich auf, und sie hatte sich über
-eine lange, schöne Strecke Lebens hingedacht -- -- Jakobus war da
-immer neben ihr gewesen und lächelte zurück auf die ferne Zeit seines
-jugendlichen Irrtums, in der er auf der Leiter geschwebt und die
-›Gruppe aus dem Tartarus‹ gemalt hatte; denn danach hatte er in Jena
-die Naturwissenschaften studiert und hatte sich durch ein keckes
-gelehrtes Kunststück den ~Dr. phil.~ erworben.
-
-Nun war ihr, als müßte sie ihm den wachen Traum erzählen. Sollte sie
-ein bißchen Schicksal spielen, das in Gestalt eines Traumes durch ihren
-Schlummer gezogen sei? Konnte sie nicht wirklich eingeschlafen sein
-unter dem trauten Schirme des Hutes und unter den Zärtlichkeiten der
-Sonne?
-
-Aber das war ein plumpes Wagnis; denn lustig und schön war der Traum
-doch nur deswegen, weil er sie so heiß, heiß lieb hatte und weil sie
-geholfen, ihm den Weg zu bahnen zur Hochschule und darüber hinaus.
-
-Doris Rinkhaus war keine von denen, die einem schimmernden Wunsche
-nachlaufen und mitten im Jauchzen den Boden unter den Füßen verlieren
-und um Hilfe rufen. Wenn sie sich jetzt aufrichtete und ihm den Traum
-erzählte -- mochte er nun im Wachen oder im Schlummer zu ihr gekommen
-sein -- dann geschah es ihr wohl, daß sie in ein Paar sehr blaue, sehr
-schöne und sehr wehmütige Augen sah, und daß Jockele die Achseln zog
-und sagte: »Der Gedanke ist hell wie ein Märztag und wie Doris Rinkhaus
-selber. Aber wenn ich den Willen hätte und die Kraft, nachzuholen,
-was ich zu diesem Ziele brauche -- wo wäre das Geld?« Dann könnte sie
-lächeln und sagen: »Na, Sie guter, ahnungsloser Junge, reden Sie doch
-keine Dummheiten! Wenn ich Sie auf den Weg gesetzt habe, werde ich
-natürlich auch für das bißchen Geld sorgen ...«
-
-Es fiel nun wirklich eine tiefe Finsternis um sie, in der auch die
-klaren Sonnenbrünnlein, die durch das Flechtwerk des Hutes sickerten,
-ganz versiegt waren. Alles heimliche Glück war fort. Sie dachte
-den Traum zu Ende -- aber nach dem Worte Geld erschütterte sie ein
-Herzbeben. Sie preßte den Hut fest auf ihr Gesicht und dachte: »Dann
-würde er vielleicht seine jubelnden Arme um mich werfen, oder er würde
-die wilde Art kriegen, in der er mit dem Grabscheit auf sich losschlug,
-und würde sagen: ›Wissen Sie, daß Sie sich damit den Jakobus Sinsheimer
-kaufen?‹« Seine jubelnden Arme oder dies kecke Wort -- beides war in
-diesem Falle gleich gräßlich. Dieser letzte Gedanke schlug wild und
-häßlich durch sie hindurch. Sie richtete sich mit einem wilden Ruck
-empor --
-
-»Was haben Sie da wieder zusammengetragen? Und warum rufen Sie mich
-nicht?«
-
-»Haben Sie denn nicht geschlafen?« fragte er erstaunt.
-
-»Ach, Unsinn,« sagte sie.
-
-»Warum machen Sie solch ein verlorenes Gesicht?«
-
-»Ich hatte mich in einen Gedanken verfitzt. Er war dumm und kindisch.«
-
-
-Es lag nichts gefestigter in dem Wesen Dos als der Wille, sich das
-königliche Recht der Selbstbestimmung in allen Stücken zu wahren,
-zumeist in den Angelegenheiten des Herzens. Der Gedanke, daß sie sich
-verschachern könnte, hetzte ein ganzes Heer von Gespenstern auf sie.
-
-Und es lag nicht minder in ihrer eigenwilligen Art, die nach keiner
-Seite hin eigensinnig oder gar verstockt war, sich den Platz an der
-Seite eines Mannes zu erkämpfen.
-
-Sie wollte nicht ›genommen‹ sein, wie man ein Stück aus dem
-Schaufenster des Krämers ersteht. Sie haßte lärmende Kleider und
-Hüte. Sie haßte die im Schwunge stehende Ausstellung, der die
-Mädchen gemeinhin huldigen, und konnte bitter und verächtlich von
-ihrem Geschlechte reden, wenn sie in den Zeitungen das verzweifelte
-Lockmittel der Mitgift ausgestreut fand.
-
-Ihre Empfindlichkeit in diesen Dingen wurde von niemandem verstanden.
-Am wenigsten von Maria Reh. Man kannte diese Empfindlichkeit auch in
-der Stadt. Es gingen da Gerüchte von ihrem überschwänglichen Reichtume,
-aber man wußte, daß sie sich jedem mädchenhaften Flirt gegenüber
-ablehnend verhielt. Daraus wuchs dann die Sage von der himmlischen
-Liebe zu Jakobus -- Maria Reh war daran nicht schuldlos; denn Do war
-durchsichtig -- wie denn starke Seelen alles Versteckspiel verschmähen
--- und sie hatte der Freundin nicht verborgen, daß sie den Gedanken
-als einen lieben Genossen träumerischer Stunden hätschelte: einen Mann
-durch sie zu einem Sieger des Lebens werden zu sehen.
-
-Als Jakobus die lodernde Stunde hatte und das Feuer seines Zornes
-über sich und sein Werk dahinrasen ließ, weil er nicht hatte einlösen
-können, was ihm der Rausch eines schaffenden Glücks versprochen,
-da stand sie daneben und fiel ihm nicht in die Arme; denn ihr Herz
-bewunderte ihn und jauchzte ihm zu.
-
-Und sie fühlte, daß sie unter den drei Mädchen, die um ihn gewesen
-waren, die einzige sei, die Seite an Seite mit ihm stand. Maria Reh
-lähmte dieser heilige Brand -- sie sah Wut und Enttäuschung. Husch sah
-ein Unglück und ging unter in Mitleid. Aber Doris Rinkhaus erkannte den
-Sieger.
-
-In jenem Augenblicke verschwieg sie sich Maria Reh; da hatten die
-Gedanken der Freundin freies Spiel, und sie erinnerte sich an Huschs
-krankhafte Furcht vor Do und sagte zu sich: »Dieses Mädchen sieht
-mit ihren wunderlichen Ahnungen in Fernen, die unseren hellen Augen
-verschlossen sind.« --
-
-Nun streifte Do mit Jakobus durch die heimatlichen Wälder. Sie fühlte,
-wie ihm das Herz aufging in Frohsinn, aber sie quälte sich mit einem
-Glück, vor dem ihr bange ward. Darüber verlor sie ihre Durchsichtigkeit
-für Jo.
-
-Sie kam in dem Kampfe mit sich selbst nicht zurecht; und vor dem einen
--- vor dem, was die zehntausend anderen für die einsamste Lösung
-gehalten hätten, prallte sie zurück.
-
-»Ueberlaß es der Zeit!« beriet sie sich und ward eine Stunde lang ganz
-frei und sorglos. Dann ärgerte sie sich darüber und sagte: »Er hat
-davongelaufene Jahre einzuholen -- ich werde zu einer Feindin an ihm,
-wenn ich nicht rede!«
-
-Sie war nicht mit ihm gegangen, weil sie in den Wäldern von Ibenheim
-von ihm hören wollte: »Ich werde keinen Pinsel wieder anfassen!« Aber
-nun, da er es gesagt hatte, war sie ihren heimlichen Plänen näher denn
-je.
-
-Sie wußte auch nicht, daß es zuletzt doch nur ihr überlegenes Alter
-und ihr geschlosseneres Menschentum waren, was ihm seine sanfte Scheu
-auferlegte. Er kam nicht zu dem Gefühle, daß er ihre Klugheit und klare
-Art beherrschte, wie es der Mann in ihm forderte -- die anderen Mädchen
-hatten ihm gegeben, was er wollte, er hatte sie gleich in die Hände
-bekommen, wie er sie in den Sinnen hatte. Und Husch war gar in ihm
-untergegangen. Doris Rinkhaus aber hatte für ihn immer den Königsmantel
-um, auch wenn sie im Moose lag und die Zärtlichkeiten des Sommers
-empfand, als kämen sie ihr von seinen Händen und seinen Lippen. --
-
-Sie hatten Sehnsucht nacheinander, wenn weiter nichts zwischen ihnen
-war als ein Streifen Sonne und Waldrauschen.
-
-Diese Sehnsucht war für ihn fremd und schön und sah genau so aus wie
-jene, mit welcher er den Prinzessinnen der Märchen nachgeträumt hatte,
-die sich von vier Schimmeln mit blauen Federstützen auf den Köpfen in
-einem goldenen Wagen durch den Wald kutschieren ließen.
-
-Und diese Sehnsucht war für sie ein ganz mädchenhaftes Wünschen nach
-junger Kraft und einem jubelnden Sieg über sie selbst.
-
-Aber so oft sie dachte, daß ihre Lippen verräterisch rot aufblühen
-könnten, ward sie noch wachsamer; denn sie sagte sich:
-
-»Wenn ich in diesem Kampf unterliege, komm' ich heim und habe seit zwei
-Jahren ein albernes Spiel mit mir und den Meinen getrieben ...«
-
-Die Schablone des Durchschnitts konnte an diese beiden jungen Menschen
-gelegt werden so oder so -- sie paßte nicht.
-
-Sie waren voll von den Drängen der Frühlingserde, aber sie streiften
-mit den Spitzen ihrer Finger die Säume eines Himmels, den sie über
-sich gewölbt hatten in ihrer reichen und glaubensvollen Jugend. -- Und
-zuletzt hatte sich Doris Rinkhaus doch in einen edlen Trotz des Herzens
-hineingelebt, der für Jakobus eine fremde, unnahbare Herrlichkeit war
--- er hatte für ihn um kein Mädchenherz gelegen. --
-
-So führten sie ihre Sehnsüchte spazieren im sommerstillen Bergwalde.
-Eins lief dem Herzen des anderen nach, und sie kamen sich doch nicht
-näher.
-
-Sie wanderten den weiten Weg zum Forsthaus an der Hörsel und fanden
-Matthias Prinz und das Zinzilein und das Kleine, dem der Kopf von
-hellgelben Haarringlein umweht war. Es hieß Maria und konnte sein
-junges Lachen schlagen wie ein Buchfink.
-
-Sie kehrten zurück in das Haus vorm Walde und hatten die Herzen voll
-Frohmut. Das Zinzilein war eine schlanke, junge Jägersfrau, war voll
-Waldfrische wie einst und suchte nach Geheimnissen an diesen beiden,
-wie sie nach Geheimnissen an Jockele gesucht hatte, als seine Augen
-voll erster heißer und seliger Ahnungen waren. Die Herzen im Jagdhause
-jubilierten hinter dem Zaun ihres Glücks, aber das war ein anderes
-Glück, als es die hochgemuten Träume suchen, die ausziehen, zu erobern.
-
-An diesem Abende rettete sich Do zu Tante Veronika.
-
-Jakobus war bei dem Pastor, mit dem er die Leiden und Freuden des
-zweiten lateinischen Uebersetzungsbuches, der Musterstücke aus
-lateinischen Klassikern und des Gallischen Krieges, durchlebt hatte.
-
-Tante Veronika hatte gefaßt den Bericht von der wilden Stunde im
-Baumwinkel angehört, dazu die lange Geschichte, die vom Tartarus bis
-zum Berge der Seligkeiten reichte; und sie wäre noch gefaßter gewesen,
-wenn ihr das Reich der Kunst, in dem Jockele ein Bürger sein wollte,
-nicht nur aus ferner genießender Betrachtung bekannt geworden wäre.
-
-Nun, als sie hinter der blauen Sommernacht und den sachte wehenden
-Vorhängen saßen, brachte Veronika wieder die Rede darauf. Es lag ihr
-daran, den Jungen glücklich zu sehen. Und Doris Rinkhaus ward ganz
-freudig in ihrem Bekenntnisse von dem Eifer, mit dem Jakobus in seinen
-Tagen gestanden hatte --
-
-»Er ist weiter gekommen als alle, die gleichalterig mit ihm sind,«
-sagte sie, »aber ich halte es doch nicht für richtig, ihm nicht
-wenigstens einen anderen Weg zu +zeigen+. Dieser Weg ist nicht leichter
-und nicht schwerer, und doch scheint mir, als würde er durch die
-Wissenschaft, durch die Tore einer Universität hindurch zu reinerer
-Befriedigung gelangen, als sie ihm die Malerei jemals gewähren wird.
-Er hat ja darin gestanden, und er kann sich an jedem Tage zu ihr
-zurückfinden, wenn er zu der Erkenntnis kommt, daß es so am besten für
-ihn wäre.«
-
-Doris Rinkhaus ging da auf einem Pfade, an dessen Seiten sie alles
-Gestrüpp längst fortgeräumt hatte, und schritt ganz in Klarheit und
-Freude.
-
-»Er sollte die Naturwissenschaften studieren,« sagte sie, »und könnte
-damit vielleicht nach einem Jahre der Vorbereitung anfangen. Läßt er
-dies Jahr jetzt verstreichen oder eine noch längere Zeit, so verschlägt
-er sich alle anderen Straßen ins Leben.«
-
-Sie erinnerte Tante Veronika an die äußeren Vorgänge, die ihn in die
-Akademie geführt hatten. Sie kannten auch beide seine Neigungen viel
-zu gut, als daß sie einander nicht mit gesteigerter Hellhörigkeit in
-die Herzen gelauscht hätten. Doris Rinkhaus ward leuchtend und umschien
-Tante Veronika als ein warmer Sommerhimmel.
-
-Auf einmal schob sie den blauen Vorhang der Nacht zurück, kniete der
-alten Dame zu Füßen und legte ihr die Hände in den Schoß --
-
-»Liebste Tante Veronika,« sagte sie, »schwören Sie mir, daß Sie ihm
-nichts von allem verraten, was ich Ihnen nun sage! Sie brauchen mir
-meinen Wunsch ja nicht zu erfüllen, aber schweigen müssen Sie; denn ich
-erbitte nichts für mich von Ihnen und von ihm!«
-
-Da gelobte ihr Fräulein Sinsheimer, daß sie ihre Worte als
-unverbrüchliches Geheimnis bewahren wollte.
-
-Und Do sagte: »Heißen Sie ihn diesen Weg gehen, und lassen Sie mich
-alle Kosten bestreiten! ... Das ist es, wovon er nichts erfahren darf,
-bis ich es ihm selber sage -- -- Himmel, was ist mir dies Wort so
-schwer geworden!« sagte sie und atmete tief, »denn ich weiß, ich dränge
-mich damit in Sie hinein -- Sie könnten auch meinen: ich dränge mich
-zwischen Sie und ihn. Aber nun, da es gesprochen ist, nun kann ich mir
-das Herz freireden! ... Ich glaube, Jockele würde nicht glücklich
-werden als Maler. Ich habe ihn viel froher, ja ich habe ihn ganz
-verwandelt gesehen vor der Natur und in dem Eifer, der in diesen Tagen
-aus der andern Zeit über ihn gekommen ist. Ich denke mir die Sache so:
-schalten wir drei Jahre der Studien in sein junges Leben, so bereichern
-wir ihn, und er wird dieser Jahre gedenken als einer stolzen Zeit, auch
-wenn er zu der Erkenntnis käme, daß er im Reiche der Kunst ein König
-hätte werden können. Dann mag er alles wieder aufnehmen, was einst sein
-war; denn von dem einmal eroberten Felde verliert er keinen Fußbreit
-Erde; aber das neue Land müßte für ihn versinken, wenn Sie ihn nicht
-jetzt auf die Wege in dies Land leiten.«
-
-»Haben Sie schon mit ihm darüber geredet?« fragte Veronika.
-
-»Nein,« sagte sie, »ich habe aber alles mit mir erwogen seit jener
-Stunde, in der ich ihn im Baumwinkel die große Leinwand begeistert
-aufrichten sah.«
-
-»Sie wußten also, daß es damit nichts werden würde?«
-
-»Nein -- ich fürchtete es nur. Es hat nichts zu bedeuten.
-Enttäuschungen, wie sie am Wege wachsen und wie sie auf eine stürmische
-talentvolle Jugend an allen Enden warten! Es hat sicherlich nichts zu
-bedeuten,« beruhigte sie.
-
-»Warum wollen Sie ihm das nicht alles selber so schön und glücklich
-sagen?« forschte Veronika.
-
-Da senkte Do ihre Stirn auf die Knie der alten Frau und sagte: »Ich
-kann es ja nicht! Er würde mich auch an Sie weisen, weil ich ihm nicht
-verraten darf, daß ich ihm die Mittel dazu anbiete. Oder er würde sich
-vorkommen als ein Ding, mit dem ich Versuche machen will, weil ich es
-mir so in mein närrisches, eigenwilliges Herz gesetzt habe; und er
-könnte aufwieglerisch werden und sagen: Probieren Sie das mit einem
-anderen oder mit sich selbst!« Da merkte sie, daß sie um die Sache klug
-und eindringlich herumredete ... »Ach Gott,« sagte sie, »ich müßte
-Ihnen da wohl noch etwas erzählen, aber Sie wollen es nicht wissen;
-denn Sie fühlen, daß ich dafür keine Worte finde!« Dann richtete
-sie sich auf und trat wieder hinter den blauen Vorhang der Nacht:
-»Denken Sie so: was ich selbst bei meinen Eltern niemals durchzusetzen
-vermochte, und was ich auch nicht mehr wollte, als ich älter geworden
-war, das möchte ich nun an Ihrem Sohne zur Tat werden sehen! Ich hoffe,
-es wird ein großes Glück -- hätte ich sonst zu Ihnen davon geredet?«
-
-
-In den nächsten Tagen war sie oft mit Veronika allein. Veronika sagte:
-
-»Ich bin über die Jahre hinaus, in denen man sich in rauchende
-Begeisterung sinnt, und ich liebe ein klares und richtiges Sehen. Ich
-will mit Jakobus sprechen -- nein, wir beide wollen mit ihm sprechen;
-denn Sie sollen sehen, wie er den Gedanken erfaßt. Aber das kann ich
-Ihnen schon sagen: ich gehe in großer Freude mit Ihnen; denn ich
-habe mich oft gefragt, ob ich in allen Stücken richtig mit dieser
-Jungenjugend verfahren bin.«
-
-So wurden sie sich über alles einig. Und am vierten Tage danach, zur
-Teestunde, baute Tante Veronika sicher und umsichtig den Plan vor ihm
-auf. Es konnte natürlich kein Geheimnis daraus gemacht werden, von
-welcher Seite er kam.
-
-Da jubelte Jockele nicht, und er war nicht betrübt, sondern blieb in
-allerschönster Ordnung und fragte besinnlich: wie es denn mit dem Gelde
-wäre?
-
-»Sie würde dafür sorgen,« sagte Tante Veronika.
-
-Da sagte er: »Es ist ein sehr weiter Weg, aber er ist verlockend, und
-Du hast ein großes Vertrauen zu mir.«
-
-Dann ging er hinüber in die Gartenhütte und blieb dort allein bis zur
-Stunde des Nachtmahls.
-
-Was sollte das heißen? Das kleine blühende Waldmädel hatte zuerst zu
-ihm gesagt: »Du mußt ein Naturforscher werden.« Und nun wachte dies
-Wort eines Kindes noch in dem alten, lieben Haus und durchlief als Echo
-alle Winkel und Herzen. Und Doris Rinkhaus, die ihr Leben so fest in
-den Händen hielt, fing den silbernen Ball und warf ihn ihm zu. Wollte
-sie damit sagen: »Jakobus Sinsheimer, haben Sie denn an der ›Gruppe
-aus dem Tartarus‹ nicht erkannt, daß Ihre Kunst bankrott ist?« Wollte
-man ihm die Einsicht Dos verheimlichen und ihn schonen? Oder dachten
-sie, daß er durch sein wurzelgründiges Verfahren im Baumwinkel diesen
-Bankrott selbst angesagt hätte und nun nicht mehr wüßte, wohin er sich
-wenden sollte? ... Wenn er wirklich einmal zu der Erkenntnis käme, daß
-er damals Maria Reh in einen Irrtum hinein gefolgt sei, in den ihn der
-Jammer jenes fremden Sterbens im Winterwalde gedrängt hatte -- was dann?
-
-Nun, dann mußte er doch noch von neuem zu lernen anfangen, um sich eine
-Stellung im Leben zu erkämpfen, vielleicht einen mühseligen, armen
-Posten.
-
-Es war zum zweiten Male, daß er so ans Rechnen geriet. Einst, wenn
-Tante Veronika die Augen schloß, mußte er sie beerben. Er hatte sich
-nie um ihre Vermögensverhältnisse gekümmert, Wenn sie ihren kleinen
-Schatz seinetwegen in diesen letzten Jahren ihres Lebens verringerte,
-wenn sie in jedem Monate davon nahm, um ihm zu geben -- konnte sie ihn
-nicht eines Tages rufen und zu ihm sagen: »Jakobus, Du mußt nun auf Dir
-selbst stehen; denn alle Güte und Liebe einer Greisin kann die kleine
-Truhe nicht mehr mit Gold füllen. Ich habe Dir alles gegeben, was ich
-hatte, bis auf den kargen Rest, an dem ich mich ins Grab leben muß.«
-
-Was dann?
-
-Sie hatte ihm gesagt, für fünf oder sechs Jahre, und -- wenn er mit dem
-auskommen könnte, was sie für ihn bestimmt hatte -- wohl auch noch für
-länger, wollte sie mit dankbarer Freude für ihn sorgen.
-
-Aber was dann?
-
-Mit dieser Frage in den Augen erschien er beim Nachtmahle.
-
-... »Ich habe wohl ein bißchen in den Tag hinein gelebt,« sagte er;
-»ich weiß nicht, ob nach der Art der vielen oder nach meiner eigenen.
-Es schadet nicht, wenn ich besinnlicher werde.«
-
-Er redete das aus einer Versonnenheit des Herzens heraus, in die er in
-der Gartenhütte geraten war, und es klang, als hätte er ganz vergessen,
-daß die Frauen mit ihm zu Tische saßen.
-
-»Es ist aber ein wunderlicher Kram, wenn einer sich schieben läßt aus
-der einen Sache in die andere. Das darf nicht sein, wenn er nahe an
-die Zwanzig gerückt und ein so langer, gesunder Mensch ist, der schon
-einmal ein Galeriestück, ein Monumentalgemälde verpatzt hat ...«
-
-Darüber wachte er auf und lachte.
-
-»Du sollst gar nicht geschoben werden,« sagte Tante Veronika.
-
-»Ich habe das auch nicht so gemeint,« sagte er und hatte seine hellen
-Augen wieder. »Ich reise morgen früh nach Weimar und will zusehen, wie
-man so etwas eigentlich macht. Es ist eine feine Sache, meine Damen,«
-scherzte er, »aber sie ist für den, der sie angreifen möchte, doch
-etwas ganz Ungeheuerliches. Heute früh sagte ich noch: ich habe einen
-solchen Haufen Naturwissenschaft im Kopfe, daß ich mich wundere, wohin
-das alles über dem Armen Heinrich und dem Tartarus und den Stößen von
-Akten und Landschaften gekommen war. Ich habe auch gedacht, es ließen
-sich drei dicke Bände damit füllen -- aber nun, da ich nicht mehr damit
-spielen soll, ist auf einmal nichts Gescheites mehr vorhanden ...« Er
-verfiel wieder in das Alleinsein -- »Jakobus Sinsheimer, Du sollst
-Student werden! Du Waldjunge, Du Schmetterlingsjäger, Du Stein- und
-Pflanzensammler, Du Zigeunerfindling sollst an die Türen der Hochschule
-klopfen und Einlaß fordern! ... Es sitzt da einer an seinem Tische und
-fragt: Auf welchem Gymnasium waren Sie?«
-
-»Auf keinem.«
-
-»Wo haben Sie Ihre Zeugnisse?«
-
-»Es sind keine da.«
-
-»Na, zum Teufel, was haben Sie denn überhaupt für eine Vorbildung?«
-
-»Ich habe meinen Armen Heinrich verkauft. Ich habe eine Gruppe aus dem
-Tartarus zerhauen. Ich kann die Klassen des Linnéschen Systems seit
-vier Jahren vor- und rückwärts aufsagen. Ich weiß etwas von den Wundern
-des Radiolarienschlammes und von den vier Klassen der Grundformen bei
-den Organismen. Ich weiß ...«
-
-Und der Mann an dem Tische sagte: »Damit können Sie sich allenfalls ein
-paar Kollegs -- nicht ohne Nutzen für sich selbst -- schinden, wenn Sie
-sehr viel Zeit haben. Aber keine noch so verliebte Thüringerwaldfreude
-ersetzt Ihnen die mangelnde Matura, junger Mann ...«
-
-Doris Rinkhaus und Tante Veronika aßen in frohem Zuhören darauf los.
-Auch Jockele kam über seinem neunzehnjährigen Appetit nicht dazu,
-dieses Selbstgespräch als prasselndes Feuerwerk steigen zu lassen. Er
-redete mit langen Unterbrechungen.
-
-Seit seinem achtzehnten Auffindungstage nannte er sich mit Stolz
-neunzehnjährig, und er hatte sich seit seinem Hiersein oft von Tante
-Veronikas großem Schrankspiegel bestätigen lassen, daß sein hoher,
-geschlossener Aufbau mit gutem Recht Ansprüche auf Dreiundzwanzig
-geltend machen könnte. Er hatte sich auf dem Gang in den Tartarus
-ein Rasiermesser angeschafft, dem der Schnurrbart zwar noch bis auf
-weiteres zum Opfer fiel. Aber vor den Ohren hatte er sich kecke
-Kotelettchen stehen lassen, die ihm seine Mannhaftigkeit hinreichend
-bezeugten.
-
-Dem jungen Zigeunertume, das immer ein bißchen ungewaschen
-daherschreitet, und das den Robespierrekragen und den in der Hand
-getragenen Hut sowie ein durch mancherlei Aeußerlichkeiten betontes
-Wesen als zur ›richtigen Genialität‹ gehörig betrachtete, war er
-geschmackvoll aus dem Wege gegangen.
-
-Er huldigte von Tante Veronika her dem lästerlich zur Schau getragenen
-Glauben, daß ein zweimaliges Vollbad in der Woche dem Menschen genau so
-nötig wäre wie jedem Tage ein noch so bescheidenes warmes Essen.
-
-Einmal hatte er sich in einem Ringe junger Maler zu der rauchenden
-Auflehnung verstiegen: es wäre eine brüchige Weisheit geworden: ›Sage
-mir, mit wem Du umgehst, so will ich Dir sagen, wer Du bist‹ -- es
-müßte heißen: ›Sage mir, wie oft Du badest, so will ich Dir sagen,
-was Du wirst‹. -- Er hatte wenig Verständnis mit dieser unerhört
-rebellischen Anschauung gefunden.
-
-Als er alle großen Steine mit Sorgfalt auf den Weg gefahren, erklärte
-ihm Do: sie hätte mit Tante Veronika vereinbart, den Sommer über im
-Frühlingshause zu wohnen; denn es liefen so viele und so glänzende
-Fäden aus dem älteren Herzen in das junge, daß sie eine sehr schöne und
-reiche Zeit vor den Toren des Waldes genießen wollte.
-
-»Sie scheinen diesen Tag mit Neuigkeiten angefüllt zu haben bis zum
-Rande,« sagte Jockele und sah sie lange an.
-
-»Den Winter über reise ich vielleicht nach Bonn, oder ich bleibe in
-Weimar -- ich weiß das noch nicht. Ich will aber meine Wohnung im
-Gartenhaus am Horn nicht aufgeben.«
-
-»So!« sagte Jockele und setzte das kleine Wort hin wie ein Siegel. Er
-war horchend geworden -- »Ist das etwa, weil ich gedacht habe, ein so
-langer und so alter Mensch dürfe sich nicht aus einer Sache in die
-andere schieben lassen?«
-
-»Nein,« sagte sie.
-
-»Dann werde ich sehr einsam sein.«
-
-»Wissen Sie, daß wir uns im Baumgarten oft wochenlang kaum gesehen
-haben?«
-
-»Es ist wahr,« sagte er -- »in Zeiten, in denen ich sehr fleißig
-gewesen bin.«
-
-Am andern Morgen reiste er nach Weimar. Als er unter den Kastanien
-durch den Garten schritt, sah ihn Maria Reh kommen und lief ihm
-entgegen.
-
-»Wie steht es mit Husch?« fragte er.
-
-»Der Arzt hat sie in eine Nervenheilanstalt geschickt,« sagte sie; »er
-erklärte für ausgeschlossen, daß sie je wieder in Ihre Dienste träte.
-Sie haben einen ganz wilden Einfluß auf dies Mädchen gehabt und haben
-Sie physisch und seelisch zerbrochen.«
-
-»Ich habe gar nichts dazu getan,« sagte er; »aber vielleicht wäre ich
-ihr Schicksal geworden.«
-
-»Das ist die selbstsüchtige, harte Männerart -- ›ich habe gar nichts
-dazu getan!‹ Hätten Sie sie früher fortgeschickt! Nun müssen Sie doch
-auch ohne das arme Geschöpf auskommen.«
-
-»Nun! Nun ist das ganz etwas anderes.«
-
-Er ging mit ihr durch sein kleines Haus -- »Husch ist wirklich nicht
-mehr darin!« sagte er, »das haben nicht ihre Hände getan!«
-
-»Nein, ich selbst habe ein bißchen Ordnung geschafft.«
-
-Dann ging er mit ihr durch den Garten und setzte sich an den Tisch mit
-der machtvollen Bank, die am Südzaune steht, und erzählte ihr, wie es
-mit Do und mit ihm wäre.
-
-Maria Reh fand das unerhört. Sie faßte den Plan als einen ganz
-persönlichen Kampf Dos gegen sie auf, so, als ob sich Do ärgerte, weil
-Maria Reh Jakobus aus dem Bergwald in die Akademie gebracht hatte ...
-»Nun will sie mich übertrumpfen und will Sie in die Universität führen!«
-
-Sie sagte das, als hätte sie einen Stengel Wolfsmilch zwischen den
-Zähnen.
-
-»Die Sache sieht also genau so aus, als würde ich zum drittenmal in die
-Schule gebracht,« lachte Jockele, »zuerst von Tante Veronika, dann von
-Maria Reh, zuletzt von Doris Rinkhaus ... Aber dies dritte Mal findet
-Jakobus Sinsheimer seinen Weg allein.«
-
-»Sie denken überhaupt daran, ihn zu gehen?«
-
-Er zog die Achseln -- »Es läßt sich doch nicht so ohne weiteres von der
-Hand weisen. Einstweilen: auf gute Nachbarschaft, liebe Maria!«
-
-Sie schlug herzhaft in die dargebotene Rechte; und wie er sich
-abwandte, rief sie ihm nach: »Auf gute Nachbarschaft -- bis Sie sich
-selbst untreu werden!«
-
-
-In die Akademie kam er in den folgenden Tagen nicht. Er war wieder
-einmal innerlich zerrissen. Sein Häuschen war bis unter das Dach
-voll von der anderen Zeit. Im Schuppen lag der zertrümmerte Berg der
-Seligkeiten -- es waren Leinwandfetzen voll blutrotem Leuchten dabei,
-das er damals mit erschauernder Hand aus dem innersten Herzen Gottes
-heraus gemalt hatte.
-
-Er wollte mit Gwendolin reden. Aber er suchte sie dann doch nicht.
-Warum auch? Daheim hatte er so selbstbewußte Worte gehabt, nun fastete
-er seine Seele durch eine verlorene Stille und wußte nicht, was das
-werden sollte.
-
-Aber eines Tages saß er im Zuge nach Jena -- es jährte sich nun, daß
-ihn Gwendolin so hart auf den Rand des Lebens aufgeklopft hatte -- und
-eine Stunde später stand er im Zimmer Ernst Haeckels.
-
-Es war die Stunde, von der er später nicht wußte, woher er den Mut
-genommen hatte, sie zu erleben.
-
-Der greise Professor war nicht mehr im Amte. Er saß in seinem Lehnstuhl
-und schaute ihn aus seinen gütigen, hellen Augen an und ließ sich
-erzählen, wie es um diesen Jockele stand. Dann wurde ein Gespräch
-geführt, welches jenem nicht unähnlich war, das sich über dem Nachtmahl
-am Tische zu Ibenheim ereignet hatte.
-
-Er sagte dem alten Herrn manches kluge und gute Wort -- es muß verraten
-werden, daß er in diesen Tagen Goethes naturwissenschaftliche Schriften
-gelesen hatte und an Haeckels ›Kunstformen der Natur‹ betriebsam
-herangetreten war, damit er die Fahrt in das neue Land wohl ausgerüstet
-anträte.
-
-Eine Stunde mit einem bedeutenden Menschen verbracht, bleibt lebendig
-bis an die Pforten des Todes. Eine Stunde, die das Licht eines großen
-Mannes durchstrahlt, wandelt sich für sehnsüchtige Hände zu einer
-Wunderlampe -- Türen der Finsternis springen vor ihr auf und werden
-Glanz, Schlacken werden Brand und Steine fangen vor ihr an zu blühen ...
-
-Als er wieder auf der Straße stand, fand er den Erobererschritt aus der
-Gegend des Tartarus. Er fühlte Flügel, wo er die Arme trug, und es war
-wieder eine Fackel in seiner Hand -- just wie damals, als er der Welt
-das neue Licht zu bringen hatte.
-
-An diesem Abende saß er nicht über den Naturwissenschaften. Er schrieb
-einen Brief nach Ibenheim, der war stolz und mutig, aber er hütete sich
-doch vor Flügen, die ihm -- so nahe dem Baumwinkel und den Trümmern
-des Berges der Seligkeiten -- ihre Gefahren hatten. Doris Rinkhaus mit
-den sichtigen Augen würde diesen Brief auch lesen, und sie war Zeuge
-seines jammervollen Absturzes gewesen.
-
-Darum wog er jedes Wort und setzte es hin, als verschriebe er dem
-anderen seine Seele: »Ich will nun doch nicht mit beiden Füßen in das
-tiefe Meer springen, das sich vor mir aufgetan hat. Ich sehe unter
-den Rändern des fernen Himmels einen Saum, der vielleicht nur eine
-Spiegelung der Luft ist, aber es kann auch eine neue Welt sein. Ich
-will ruhig meines Weges fahren ... Es muß nicht die Matura sein, es
-geht auch mit dem Einjährigenzeugnis der Kunstschule, es geht zwar nur
-bis zur kleinen Matrikel -- aber wenn dann der Maler den Studierenden
-der Naturwissenschaften nicht aus dem Felde geschlagen hat, wird es ja
-wohl auch weiter gehen. Im Oktober hol' ich mir die Berechtigung zum
-einjährig-freiwilligen Militärdienst ...«
-
-Es war ein langer und klarer Brief, klar bis zur Schwunglosigkeit. Er
-verbarg das Glück an dem gefundenen Wege nicht, aber der Tartarus war
-zu nahe, und die vielen Pinsel in der alten Blumenvase mahnten zu einer
-höchst gemäßigten Begeisterung. --
-
-Ein Mensch von tüchtiger Art gerät in Irrtümer und kann darüber mit
-sich und der Welt zerfallen; einem Windhund passiert das nicht; denn
-sein ganzes Leben ist ein Irrtum.
-
-Es könnte einer sagen: dieser junge, gesunde und kluge Mensch -- warum
-setzt er sich nicht ein Jahr hinter die Bücher und läßt sich testieren,
-was er gelernt hat? Es warten Tausende von jungen Leuten in der Welt
-auf ein Glück, wie es ihm in den Schoß fällt; aber er steht halb
-unentschlossen davor -- es fehlt ihm der Trieb, und er ist zuletzt doch
-nur ein Blender.
-
-Aber Jockele durchlebte in diesem Sommer einen wilden und bitteren
-Kampf mit sich selbst; denn es ward herrschend, was die Erziehung in
-sorgsam gehüteten Jungenjahren an ihm getan hatte. Nun zeigte man
-ihm ein neues Land der Verheißung und sagte: »Dies alles will ich
-Dir geben, wenn ...« Und auf der anderen Seite stand Maria Reh, die
-ihn damals zu sich selbst geführt hatte, und kämpfte um ihn. Sie war
-verärgert und hatte der kunstbeflissenen Jugend erzählt, daß man ihn
-schiffbrüchig machen wollte.
-
-So rissen die Tage an ihm herum, und er war froh, als die langen
-Sommerferien Ruhe brachten.
-
-Er saß da ganz einsam im Baumwinkel am Horn, aber die
-Naturwissenschaften standen hoch oben auf dem Bücherregale; denn danach
-fragte man ihn in der Oktoberprüfung nicht. Es klangen auch die Worte
-Ernst Haeckels in ihm nach: er wisse so viel wie ein Student im dritten
-Semester. Das hatte er im Spiel mit Wald und Quell, mit Stein und Wiese
-gelernt. Er wußte nun auch, daß es im Grunde die Naturwissenschaften
-gewesen waren, die ihn zur Kunst geführt hatten. Seine Freude an
-Farben, Formen und Licht war eine Gegengabe der Natur, die er als
-Künstlerin belauscht hatte, und deren Kunsttrieben er in heimlicher
-Entdeckerlust nachgegangen war.
-
-Doris Rinkhaus hatte ihm nicht geschrieben. Sie bedrängte Tante
-Veronika nicht, aber sie quälte sich doch an dem ruhevollen Zuwarten
-der alten Freundin, und die Frage trat groß und voll Rätsel vor
-sie hin: warum diese Begeisterungslosigkeit bei solch einem jungen
-Menschen, der mit Augen voll Wundern durch seinen Bergwald zog?
-
-Es wurde so karg zwischen ihnen, daß erst um die Mitte des Septembers
-ein Brief kam, der von der Oktoberprüfung redete, und wie er
-wohlgerüstet hineinschritte. Er hätte auch viele Tage gemalt, und die
-Sorge um das Lernen, die zu Anfang groß gewesen, wäre ihm zuletzt ganz
-aus dem Sinne gekommen ...
-
-Gwendolin hatte Weimar im September für immer verlassen. Ehe sie ging,
-hatte sie ihn noch mit Felidora Ritter bekannt gemacht. Das war etwas
-ganz Neues, Schlankes und Schwärmerisches. Sie sah aus wie ein reifes
-Kornfeld mit Mohn und Cyanen und war Kunstgewerblerin. Sie war eine
-von jenen, welche die Männer -- wenn sie brünett und sehr jung sind
--- schon über dem Begegnen in gehobene Stimmung versetzen. Dazu kam
-für Jockele, daß sein Herz einen Sommer lang verwaist gewesen war
-wie nie im Leben. Da zog er alle Wimpel und Segel hoch und fuhr der
-ährenblonden Felidora entgegen.
-
-Es war eine lumpige Zeit. Sein Herz hing wie die Weltkugel aus Blech
-an einem dünnen Faden und pendelte, wohin er es stieß.
-
-Manchmal fiel ihm ein, daß die Prüfung nahe wäre. Er hatte da einen
-Stapel Bücher auf dem Tisch und schlug hin und her eins auf: dürftiger
-Kram, den er kannte, und der neben ihm lag. Und davor hatte ihm auch
-nur eine Stunde gebangt? -- Es sah in ihm aus wie in seinem Häuschen,
-das er den Sommer über selbst in Ordnung gehalten hatte. Das Gartenhaus
-Dos stand nun seit zwei Monaten mit geschlossenen Augen ...
-
-Darüber bekam die tiefe Schattenstille und grüngoldene Einsamkeit
-Stimme und sagte: »Jakobus Sinsheimer, was ist das mit Dir? Da sitzt
-die blonde Felidora in dem Stübchen Gwendolins -- warum nimmst Du sie
-Dir nicht? Es ist ein feines, hohes und sommerliches Mädchen ...«
-
-Er ließ sein Herz reden, bis es durstig wurde. Dann lief er mit
-begehrlichem Munde zu ihr. Und als er sie fand, führte er sie auf dem
-alten Wall unter den hohen Kastanien durch die Schlüpfe im Zaun.
-
-»Eigentlich fürchte ich mich vor Ihnen,« sagte sie. »Auf diesem Weg ist
-Gwendolin und Husch und Minchen Herzlieb gegangen und Maria Reh und
-Doris Rinkhaus. Alle in zwei Sommern. Es ist ja ein ganzes Heer ...«
-
-»Und Felidora, meine große Sehnsucht,« setzte er hinzu. »Die anderen
-sind alle von selber gekommen, aber Felidora hab' ich gesucht -- schon
-seit einer Woche.«
-
-Da ging sie mit in den Baumgarten.
-
-Sie hatte ein buntes und freudiges Kleid an, und in ihrer Stimme war
-ein Klang aus sommerlichen Feldbreiten, voll von zitterndem Glanze.
-
-Jockele dachte: »Man möchte sich an Dich hinschmiegen wie in die
-Aehren, die über den Sommerrainen wehen.«
-
-Dabei sah er sie an, und sie sagte: »Jawohl, ich fürchte mich doch vor
-Ihnen.«
-
-»Das ist fein,« sagte er und faßte sie so sachte unter und schritt mit
-ihr über die blanken Netze, die auf der Baumwiese lagen. Da verfingen
-sich ihre Füße in den Maschen von Gold, und sie sanken in das Gras.
-
-Die Grillen sangen, als ob es Zeit der ersten Mahd wäre. Aus den
-Feldern zog noch der Duft von gebackenem Brot, aber die Felder waren
-längst abgeerntet. Und hin und wieder sprang ein reifer Apfel ins Gras.
-Das war unter dem Regen und der Sonne des Septembers noch einmal so
-wogehoch und blumig geworden, daß die Hasen darin Pfingsten feiern
-konnten.
-
-In diesem Grase küßte er sie, und sie wollte sich mit ihren Händen
-schützen.
-
-»Es tut nicht weh!« sagte er.
-
-»Nein?« fragte sie.
-
-»Guck an, wie fein Du küssen kannst!«
-
-»Es ist mir ja gar nicht eingefallen, Sie zu küssen.«
-
-»Du brauchst auch gar nicht! Aber leiden mußt Du es.«
-
-So schäkerten sie sich ganz hinein in das goldene Netz. Den Hut und
-die Handschuhe und die Tasche Felidoras hatten sie noch rasch daneben
-hingelegt. Und auf dem hohen Walle saß der Sommer und warf einmal eine
-grüne Schale vom Kastanienbaum, da sprangen die braunen, reifen Früchte
-heraus.
-
-Das Gebüsch des Baumwinkels hielt alle Hände über sie, und Jockele
-rauschte wie das Meer, wenn sich die Morgensonne hineinstürzt.
-
-»So -- nun laß Dir mal noch was für morgen,« sagte sie ernsthaft. »Du
-bringst mich ja um mich selber! Jetzt gehen wir hinein, oder wir gehen
-hinaus ins Feld, und Du liest mir das Hexenlied vor.«
-
-Da bekam er weite Augen und suchte nach dem Faden, an dem der Tag mit
-diesem Gedichte aufgereiht war.
-
-Sie merkte das und rettete sich rasch in die Höhe und sagte: »Denkst Du
-denn, man kennt in Weimar nur Deine irdischen Lieben?«
-
-Er besann sich, wie er an dem Hexenliede wild geworden und in
-pathetischem Rausch auf die Leiter vor Dos Fenster gestiegen war. Der
-mädchenhafte Schwatz, den nur Maria Reh betrieben haben konnte, fiel
-ihn jäh an.
-
-In diesem Augenblick schlug er sich auf und riß das Kapitel Maria
-Reh heraus und warf es in den Winkel zu dem Fastnachtsspiele Minchen
-Herzlieb.
-
-»Wie solch eine große und füllige Person ihren Nachbarn das Leben
-verleidet!« sagte er. »Sie ist wie der Papagei, der nebenan auf der
-Mauer steht und alle Sonnenruhe in Fetzen reißt. Sie braucht immer ein
-Tamtam und haut an alle Herzen. Sie ist eine Gehässigkeit oder eine
-Geschmacklosigkeit -- und dies alles, weil sie keiner geheiratet hat!«
-
-»Einst war Maria Reh aber Deine himmlische Liebe.«
-
-»Na ja!« -- Er schütterte sich lachend wieder hinein in die frühere
-Helligkeit; die blühte in roten Küssen wie Mohn im Sommerkorn.
-
-»Wir müssen doch hineingehen,« sagte er; »denn ich berausche mich über
-dem lauten Lesen an meiner Männlichkeit.«
-
-»Da auch?« neckte sie.
-
-»Es ist aber nicht mehr so schön und still bei mir und von so
-sehnsüchtig-schmerzlicher Hingebung umrankt wie einst, als ich ... als
-ich noch Maler war ... Setz Dich so,« sagte er, »mit dem Rücken nach
-mir!«
-
-Er drehte ihr den Lehnstuhl herum, daß sie nun den kleinen Ofen ansehen
-mußte.
-
-Er hatte auf einmal ein ganz feierliches Herz und eine feierliche
-Stimme, und dann las er und schaute manchmal auf, ob sie sich nach ihm
-umwende.
-
-Weil sie andächtig war, als hörte sie mit geschlossenen Augen zu,
-schwelgte er sich in ein blutrotes Martyrium hinein. In ein tiefes
-Erleben wollüstiger Schmerzen. Es rollte Donner aus der Klosterzelle
-des Mönchs Medardus, es jauchzte das wilde, verbotene Lieben, es klagte
-der Jammer, es jubelte der Sieg. Und als er geendigt hatte, wandte sich
-Felidora nicht um. Er lehnte am Fenster und fühlte, wie der Schweiß an
-seinen Schläfen herniedersickerte. Sie blieben noch lange so.
-
-Da krähte Tante Veronikas kleine Standuhr keck über das verebbende
-Meer, das da aufgewühlt war, und Felidora sprang empor und warf ihre
-Arme um ihn und sagte: »Das war schön und groß! Und solch ein Mensch
-setzt sich in solch einen Winkel und rät an sich herum, was er werden
-soll? Werde Schauspieler, Jakobus!«
-
-Sie jubelte das heraus, wie die Pendule ihren silbernen Schlag. Sie
-jubelte das mitten in die Stunde hinein, in der er das Kapitel Maria
-Reh aus seinem Leben gerissen hatte; und Doris Rinkhaus war weit, weit
-von ihm. Husch allein war nahe und fastete sich so durch ihre weißen
-Tage, an denen er selbst sacht und karg geworden war. Das Pathos des
-Berges der Seligkeiten fiel noch mit schönem, purpurnem Leuchten über
-ihn ... Und nun standen Felidoras blaue Schwärmeraugen vor ihm und
-warfen ein fremdes, nie gesehenes Licht in seine Seele.
-
-Aber es zuckte ein Wetterleuchten an dem dämmerigen Himmel seines
-Herzens. -- »Wenn sie das sagt,« dachte er, »so bin ich nichts weiter
-als ein Tag in ihrem Leben! Sie will nichts von mir; sie hält keine
-Rechnung in den Händen wie Minchen Herzlieb und sagt nicht: das und das
-bist Du mir schuldig geworden. Ich bin ihr wieder einmal zu jung, und
-sie wollte nur sehen, wie so etwas gemacht wird.«
-
-Die Gedanken flogen in ihm auf wie verstürmte Vögel.
-
-»Ich hüpfe immerfort auf Schwellen,« sagte er, »seit drei Monaten
-immer so in keuchendem Schwunge ... Naturforscher, Maler, Bräutigam,
-Schauspieler, ~Primo amoroso~, Spitzenreiter, Zerstörer des Berges der
-Seligkeiten, Zigeuner, Hypnotiseur -- hast Du die Stirn, zu sagen, ich
-hätte es mit achtzehn Jahren zu nichts gebracht? Komm!« rief er und
-langte den Hut vom Nagel am Türpfosten herab und drückte sich ihn keck
-aufs Ohr.
-
-»Wohin?«
-
-»Eine Laute will ich mir kaufen und Schellen an den Hut -- so, weißt
-Du, so!«
-
-Er wogte in komischen Sprüngen vor ihr hoch und nieder und hatte die
-Augen voll Hexenlied und Juchhei. Dann warf er den Hut auf den Stuhl
-und tobte in Anderthalbmeterschritten durch die Stube.
-
-Da ließ sie ihn toben und setzte sich mit ihrer lichten
-Sommerhelligkeit auf den Stuhl und sagte: »Du, ich glaube, Du bist ein
-richtiges Genie.«
-
-»Ja, ja, Genie!« sagte er. »Genie, das hab' ich in der langen Reihe der
-Gipfelhöhen meines ruhmreichen Daseins vorhin vergessen!«
-
-»Ach, komm doch zu Dir! Solch ein tragikomisches Gesicht paßt nicht für
-Dich und bringt mich wieder zum Fürchten.«
-
-Da zog er ihr das Kleid zurecht, und sie ließ sich von ihm fertigmachen
-zum Ausgang.
-
-»Heut abend gehen wir ins Theater. Was ist heute?«
-
-»Die Räuber. Und morgen Pygmalion.«
-
-»Wir gehen an beiden Abenden hin. Schade, daß nicht auch solch ein
-halbverblödeter Wedekind dabei ist -- ich meine, man könnte sich da
-gleich ein paar nette Rollen aussuchen,« lachte er bitter. Aber draußen
-unter den Bäumen, durch die eine nachmittägliche Drossel silberne Fäden
-zog, fand er sich und ward wieder ein brauchbarer Mensch.
-
-Sie sagte, an den Tagen, an denen sie ins Theater gingen, wollte sie
-nicht kommen. -- Er war froh, als diese Tage vorbei waren; denn danach
-trieben sie ihre junge Liebe wild und königlich in die Blüte.
-
-Er hatte sich eine Frau verschafft, die das Häuschen festlich machen
-sollte zu Felidoras Geburtstag; er war am fünften Oktober, sie wurde da
-einundzwanzig.
-
-Man sah vom Wall aus in die Gärtnereien hüben und drüben, über die der
-Herbst alle Brunnen seiner Kraft ausgoß an Astern und Dahlien. Es war
-eine ausgelassene Farbenlust, und die Kastanien taten ihre goldenen
-Königsmäntel dazu um. Auf den Feldern loderten die Kartoffelfeuer
--- es waren die Tage, in der sich Frühling, Sommer und Herbst zum
-Ringelreihen finden und noch einmal alle Vogel- und Menschenherzen
-abschießen.
-
-Jockele hatte das kleine Haus für Felidora von allen drei Jahreszeiten
-rüsten lassen; denn seine Seele feierte schon seit einer Woche Hochzeit.
-
-Am fünften Oktober, der wieder voll Sonne war, daß sie über die
-Fensterstöcke hereinquoll und über die Sündflut seiner Sinnenfreude
-klingend dahinströmte, entlockte ihm Felidora das Gelöbnis: er sollte
-zu dem Regisseur gehen und ihm das Hexenlied vorsprechen. Er konnte
-auch sagen »Ich zählte zwanzig Jahre, Königin,« oder den Melchthal
--- er hatte in den Stunden, in denen Felidora nicht bei ihm war, ein
-bißchen in den Klassikern herumgelernt. Aber er ahnte das wartende
-Gelöbnis da noch nicht, sondern nur das Verlöbnis, in das er sich
-in seiner Art wieder einmal mit aller Frische und Vergessenheit
-hineinschwang.
-
-Es war noch ein Hundertmarkschein vom Armen Heinrich her dagewesen,
-den er in der kleinen Standuhr verborgen hatte. Aber die Theaterfreude
-Felidoras war nun auch über den gekommen, und in diesen fünften Oktober
-rollten die letzten beiden Zwanzigmarkstücke, rollte sein Herz in
-purpurrotem Leichtsinn, rollte die Warnung Gwendolins, sich nicht immer
-gleich zu verheiraten, rollten Gott und Teufel in ihm ...
-
-Am anderen Morgen, als die Blüten alle angewelkt waren und ein
-Herbstregen in grauer Unerbittlichkeit an die Fenster klapperte, gellte
-das wachsame Uehrlein in seinen späten Schlaf. Es hatte schon die Sechs
-und die Sieben ärgerlich gerufen, aber die Acht schrie es unheimlich
-und angstvoll.
-
-»Du, ich glaube, die Frau ist draußen und will ins Haus.«
-
-»Sie ist immer auf morgens zehn Uhr bestellt,« sagte er und fand sich
-aus der Nacht und dem anderen Tage herüber.
-
-Auf einmal -- --
-
-»Ja, was trommelt denn die draußen so wild an das Fenster?«
-
-»Herr Sinsheimer! Herr Sins--hei--mer!«
-
-»Unerhört!«
-
-»Herr Sins--hei--mer!«
-
-Herr Sinsheimer stürzte ans Fenster und riß es auf --
-
-»Zum Teufel, Frau, sind Sie denn um den Verstand gekommen?«
-
-»Ach Gott, Herr Sinsheimer, Sie haben mich doch heute so früh bestellt!
-Es ist doch heute der sechste Oktober! Ich warte schon seit einer
-geschlagenen Stunde -- Sie haben doch gesagt, am Sechsten hätten Sie
-die Einjährigenprüfung.«
-
-Jawohl. Um acht Uhr hatte die Sache begonnen. Und fünf Minuten nach
-acht Uhr stand der Herr Sinsheimer im Nachthemd am Fenster des kleinen
-Hauses am Horn Nr. 35 und stemmte den Himmel mit seinen langen Armen
-über sich, der auf ihn herniederbrach -- grauenhaft und mitleidlos, wie
-nur ein Himmel einfallen kann.
-
-
-Der Roman ›Jockele und die Mädchen‹ ist zu Ende; denn was nun kommt,
-ist eine sehr verständige und sehr symmetrische Geschichte, die mit
-einem Examen anfängt, mit einem Examen fortfährt und mit einem Examen
-endigt. Jockele bestand die Prüfungen alle drei -- und was hernach
-kommt, heißt ›Jockele und seine Frau‹, darf aber nicht beschrieben
-werden ...
-
-
-Weil der Himmel einfiel und kein Halten war, stürzte Jakobus Sinsheimer
-im Nachthemd in die Hosen. Was aus dem Nachthemd herausschaute,
-überschüttete er mit kaltem Wasser. Die Aufwartefrau erkannte
-inzwischen den Zweck des Blumenfestes; sie vergaß, den schwarzen
-Schulterkragen abzulegen und drängte dem Jockele das Handtuch und die
-Zahnbürste auf. Felidora war ein wenig kärglicher gekleidet und hob ihn
-in Weste und Joppe. Er ergriff die Mappe mit dem Schreibpapier, stülpte
-sich den Hut auf wie damals, als er die Laute der Verzweiflung erstehen
-wollte, die Krawatte schwang er in der Rechten, daß sie hinter
-ihm zur Tür hinausflatterte -- er knüpfte sie unter den triefenden
-Kastanienbäumen. So stürmte er dahin. Die Stufen vom Horn hinab in den
-Park. Ueber die Naturbrücke. Ins Fürstenhaus. In den Prüfungssaal ...
-
-Da wunderte sich der Herr Professor Redslob ein bißchen; denn das
-Thema zum deutschen Aufsatz hatte er längst gegeben, und viele Federn
-knirschten schon eifrig übers Papier. Aber er lächelte seine duldsame
-Freundlichkeit über Jockele dahin, auch ohne das Erlebnis ganz zu
-durchschauen -- denn das wird ihm erst in diesen Zeilen verraten --
-aber Jockele hatte seinen Lokalruhm. Deshalb kam ihm der Professor
-entgegen und sagte: »Na, Sie werden wohl eine überzeugende Abhaltung
-gehabt haben -- Witterungsverhältnisse oder so,« und er nannte ihm
-das Thema in Geduld noch einmal. Dann rückte sich Jockele in den
-Unbequemlichkeiten des für die obwaltenden Umstände viel zu geräumigen
-Nachthemds zurecht, überzeugte sich, daß er auch wirklich da wäre, und
-fing an, sich die Berechtigung zum einjährig-freiwilligen Militärdienst
-zu erwerben. Nach acht Tagen hatte er auch ›das Mündliche‹ bestanden.
-
-In dieser Woche, die zwischen Anfang und Ende der Prüfung lag,
-ereigneten sich zwei Dinge für ihn.
-
-Zuerst bekam er einen Brief aus Ibenheim. Der verkündigte ihm, daß
-Doris Rinkhaus mit Tante Veronika eine frohe Fahrt über die Alpen
-angetreten hatte -- sie wollten in Sestri-Levante und Nervi den
-Winter verbringen. Do schrieb, daß sie erfahren hätte, wie Tante
-Veronika, seit sie Jockele aus dem Walde gezogen, in Enthaltsamkeit und
-selbstvergessener Sorge für den Jungen, außer der raschen Fahrt nach
-Weimar, Ibenheim nicht verlassen habe; darum hätte sie die alte Dame
-aufgeladen und sei mit ihr in den Frühling an das Südmeer gezogen.
-
-Darüber kam Jockele zum drittenmal ans Rechnen, und er hatte
-feierliche Gedanken und sagte: »Was hat diese Tante Veronika für ein
-opferfreudiges und großes Herz! Und was ist diese Doris Rinkhaus für
-ein tapferes und königliches Mädchen!«
-
-Er hatte überhaupt gute Vorsätze in dieser Woche; denn gute Vorsätze
-haben ihren Platz zwischen den Schwellen und sind einundeinhalb Meter
-lang. Deshalb reichen sie noch einen Schritt weit über jede Schwelle
-hinweg. --
-
-Das andere Erlebnis betraf Felidora.
-
-Sie hatte am sechsten Oktober gegen Abend die delikate Annäherung eines
-jungen Bankbeamten gehabt, den ihre Sommeraugen und ihre ährengelbe
-Feldstille ernsthaft sehnsüchtig nach ihr machten. Da erteilte sie sich
-einen Generalpardon und zog schuldlos und schön dem neuen Glücke nach.
-
-Das gestand sie Jockele, und er stieß ein teilnahmsvolles »Oh!« hervor;
-er sagte ihr auch, daß er nicht verständnislos für ihre Wünsche sei,
-und daß sie gute Freundschaft halten wollten -- er selbst ginge mit
-Semesterbeginn nach Jena studieren.
-
-Da quittierte sie ihm über das seelenvolle »Oh!« mit einem bedauernden
-»Ach?« Und er erfaßte ihre beiden Hände und sagte: »Du schönes, hohes
-Mädel! Und nun mußt Du mir mein Wort zurückgeben; die verrückte Stunde,
-in der Du mich zum Komödianten machen wolltest -- wo ist sie geblieben?«
-
-Es schienen danach noch sonnige Oktobertage um das kleine Haus im
-Baumwinkel.
-
-Da bereitete sich Jockele zum Auszuge. Er kramte viele welke Zeichen
-des Erinnerns unter den mancherlei Dingen hervor, die er mit
-hinübernehmen wollte in das neue Leben.
-
-Als er seine Wohnung aufkündigte, erfuhr er, daß auch Maria Reh nicht
-mehr in das Gartenhaus zurückkehre. Nun hatte Doris Rinkhaus die weiße
-Stille oder grüne Einsamkeit ganz allein, so oft sie darin leben wollte.
-
-In diesen letzten Tagen stand Jockele einmal gegen den Zaun gelehnt, an
-dem er die ›Gruppe aus dem Tartarus‹ gemalt hatte, und ließ die vielen
-Bilder lieben Zusammenlebens der beiden Jahre durch seine Seele gehen.
-Da merkte er: Doris Rinkhaus leuchtete über alle hinweg und stand als
-ein großer, schöner Stern an dem Himmel, an dem nun die Nacht des
-Vergessens heraufziehen sollte.
-
-Da wurde ihm, als wäre alles Licht von ihr gekommen, und als hätte sein
-Herz keiner andern gehören können, weil sie es fest in ihren Händen
-hielt. Warum hatte er ihr dies nie sagen können? Es drängte ihn, ihr
-die Stunde, diese letzte Stunde im Baumwinkel, zu beschreiben und ihr
-zu sagen, wie er seine Arme nach ihr ausgebreitet hätte. Aber ihr
-blondes Königinnentum verbat sich das. Und er -- -- so zwischen den
-Schwellen! --
-
-Es wachsen in dem Winkel, in dem der Zaun des Tartarus gegen den
-Grenzzaun nach dem Wall stößt, drei Kastanienstämme aus einer Wurzel.
-
-Zu dem einen trat er hin und schnitt mit dem Messer ihren Namen in die
-Rinde: Do -- groß und tief. Und durch das D grub er ein J. Wer nicht
-wußte, was diese Zeichen bedeuteten, der mochte lesen »Dio« -- es waren
-ihre Namen, beide in einem.
-
-Wenn Doris Rinkhaus wieder einmal auf der Schwelle zu dem Gartenhause
-stand und ihre Augen wandern ließ über die Stellen frohen Beisammensein
-aus den glücklichen Jahren, dann mußte sie die Zeichen im Stamm
-entdecken. Sie allein unter allen Menschen, die hierher kommen würden,
-verstand sie.
-
-Das war der Brief, den er ihr schrieb -- es war der erste, und sie
-sollte ihn finden, wenn sie je zurückkehrte. --
-
-Danach zog er aus. Er übergab der Dienstfrau den Schlüssel und sagte:
-»Wenn ich wiederkäme, dann käm' ich wohl, um von neuem Maler zu werden.«
-
-In Jena ging er zu Ernst Haeckel und ließ sich von ihm beraten, welche
-Vorlesungen er belegen sollte, und wurde Student. Er dachte nicht
-an die Matura -- erst wollte er ein Stückchen hineinlaufen in die
-Wissenschaft.
-
-Er mietete sich ein in einem nüchternen Hause der Stadt, aber er fand
-sich da nicht zu sich selber. Und um die Novembermitte, als er vier
-Wochen in Unbehagen in der steinernen Straße unter vermauertem Himmel
-gelebt hatte, jubilierte er in Flockentreiben und brüllendem Weststurm
-den Wall des alten Schießstands in Weimar entlang. Er konnte nicht
-durch die verschlossenen Schlüpfe im Zaun -- da stieg er über und
-sprang hinein in den alten, einsamen Winkel, in dem noch die Dieme
-gespaltenen Holzes stand, der so wintertraurig und so voll von Leben
-war.
-
-»Zigeuner!« jauchzte er und schlang seine Arme um den Stamm der
-Kastanie, in die er die Namen geschnitten. Er war Maler gewesen und war
-Student geworden, aber er hatte nicht leben gelernt in den steinernen
-Gassen; nun lief er ins Herrenhaus und jubelte die silberne Exzellenz
-an: »Lassen Sie mir mein Haus im Winkel wieder -- ich kann nicht daheim
-werden unter fremden Menschen, nicht daheim werden in der anderen
-Stadt, nicht daheim werden in mir selber. Ich will an jedem Tage nach
-Jena reisen -- was verficht's, ob ich dort wohne oder hier?«
-
-Dann lebte er wieder an der alten Stätte und arbeitete sich in eine
-tiefe, ungeheure Freudigkeit hinein.
-
-Es trat kein Mensch seine Stapfen in den Schnee und in die Einsamkeit,
-die um ihn waren.
-
-Er wartete auf Doris Rinkhaus, aber sie kam nicht. Es wurde Frühling
-und Sommer.
-
-In Stunden, in denen er die Naturwissenschaften vergessen durfte,
-suchte er Farben und Pinsel hervor und den grauen Malerkittel und malte
-den Garten von allen Ecken aus, er malte die Häuser -- er malte sich
-Schätze der Erinnerung für die Zeit, in der dies sonnendurchschauerte
-Idyll doch endlich ein Märchen für ihn werden müßte. Er dachte an Do,
-für die er dies Bild bestimmte und jenes -- und ob sie wohl einmal
-sagen würde, wenn sie seinen Namen darunter las: »Jakobus Sinsheimer --
-den hab' ich einst gekannt; wir waren damals beide jung!«
-
-Doris Rinkhaus war den Frühling über in Bonn.
-
-In den langen Sommerferien reiste er nach Ibenheim.
-
-Tante Veronika tat freudig geheimnisvoll, und eines Tages ging sie mit
-ihm zur Haltestelle der Bahn -- so ganz von ungefähr, und war stolz auf
-ihren glücklichen, langen Studenten, der voll von grausam gelehrter
-Weltbetrachtung war.
-
-Da lief der Zug ein, und Doris Rinkhaus stieg heraus und stürzte der
-alten gütigen Frau ans Herz.
-
-Und weil Jakobus zur Salzsäule geworden war, da er auf das leuchtende
-Wunder hinschaute, sagte sie: »Na, Jockele?«
-
-Da zersprang er -- »Do! Do!«
-
-Die Welt ging unter, und er hatte gerade noch Zeit, Doris Rinkhaus
-zu retten, und trug sie auf seinen glückseligen Armen über den
-Bahnsteig und in seinem Herzen, in seinen Augen hinauf auf den Berg ins
-Frühlingshaus.
-
-Da hatte er sein zweites Examen bestanden -- ~summa cum laude~. Es
-dauerte viele Tage, aber das Zeugnis bekam er schon am ersten.
-
-Wie Do und Jo ›Du‹ zueinander sagten, und er längst keine Scheu mehr
-vor ihrem Königinnentum hatte, ließ sich auch Tante Veronika das
-Gelöbnis der Verschwiegenheit zurückgeben. Es war eine schöne und helle
-Stunde, in der sie ihm ihr Herz aufschloß -- diese Stunde sah aus
-wie Doris Rinkhaus. Aber Do war hinausgegangen; denn Jockele war in
-allen Stücken gewachsen, seit er mit Gwendolin das lebende Bild in der
-Fasanerie gestellt hatte. Sie ahnte, was käme, und wollte dazu ganz
-allein mit ihm sein.
-
-Danach fing er an, Hochzeit zu feiern, und sagte: das Gartenhaus am
-Horn riefe nach ihr, und er malte es ihr mit Worten von Herrlichkeit
-und Sehnsucht. Aber Doris Rinkhaus sagte: »Ich werde auch wieder einmal
-in dem Gartenhause wohnen -- da nehm' ich Tante Veronika mit, und es
-wird sehr fein.«
-
-Wieder verging ein Jahr, wieder hatten Do und Tante Veronika den
-Winter im Frühling des Südens verbracht, und wieder saßen Do und Jo
-in den Sommerferien vor dem thüringischen Buchenwalde. Da erzählte
-ihr Jockele viel von der ›Entwicklung der Organismen aus eigener
-Kraft durch die physikalische und chemische Energie der lebendigen
-Substanz‹, viel von ›plastischem Distanzgefühl‹ und wie die Natur die
-wundervollsten Kunstgebilde schaffe. Er erzählte ihr, daß er diesen
-Kunstgebilden nachginge, und just wie einst male er, was er sehe; und
-er schreibe dazu, was er erkannt hätte. Und daß dies eine Förderung
-der Wissenschaft bedeutete. Noch ein Jahr wollte er daran arbeiten,
-dann wollte er das Werk einreichen und damit zum Doktor promovieren. Es
-wurde fertig und hieß ›Der Kunsttrieb der Natur‹.
-
-Von dem ›Schmetterlingsbuche mit Illustrationen‹, das der Dorfjunge
-in der Gartenhütte von Ibenheim verfaßt hatte, bis zu diesem war ein
-weiter Weg.
-
-Sein väterlicher Freund Haeckel las es, und er klopfte ihm auf die
-Schulter und sagte: »Ein rechter Kerl geht nicht unter -- auch ohne
-Matura; deutsche Hochschulprofessoren sind keine Philister, und aus
-einem Zigeuner wird durch die kluge Sorge seiner alten Tante ein
-gelehrter Doktor.«
-
-Da bestand er sein drittes Examen -- diesmal ~cum laude~.
-
-Danach reisten sie nach Bonn -- Do und der Doktor und Tante Veronika
-und das Mädchen Mali; denn Veronikas neunundsechzig Jahre mochten die
-Hilfe der alten Dienerin auch auf der Reise nicht mehr entbehren.
-
-Damit ist die symmetrische Geschichte mit den drei Prüfungen zu Ende.
-
-Die Gartenhäuser am Horn in Weimar liegen wieder einsam. Aber unter
-den Sommerbäumen schreiten schöne, lichte Gestalten, gaukeln liebe und
-bunte Träume. Und wer am Kastanienstamm beim Zaun die eingeschnittenen
-Namen betrachtet, für den erwachen die Träume zum Dasein; denn um
-Sieger leben die Vergangenheiten.
-
-
-
-
-Von +Max Geißler+ sind im Verlage von L. Staackmann in Leipzig
-erschienen:
-
-
- Das Tristanlied. Epos
- Die Rose von Schottland. Epos
- Gedichte. Volksausgabe
- Die neuen Gedichte. Volksausgabe
- Die Bernsteinhexe. Schauspiel
- Die Herrgottswiege. Roman
- Das hohe Licht. Roman
- Am Sonnenwirbel. Roman
- Das Heidejahr. Roman
- Das Moordorf. Roman
- Das sechste Gebot. Roman
- Der Erlkönig. Roman
- Die Glocken von Robbensiel. Roman
- Nach Rußland wollen wir reiten! Roman
- Die Musikantenstadt. Roman
- Hütten im Hochland. Roman
- Inseln im Winde. Roman
- Die goldenen Türme. Roman
- Die Wacht in Polen. Roman
- Briefe an meine Frau
-
-
-
-
-Ullstein-Bücher
-
-Neue Bände:
-
-
-Vom Müller-Hannes
-
-von Clara Viebig
-
-Der Hintergrund dieses Romans von Clara Viebig ist das Eifelland mit
-seinen vulkanischen Bergkuppen, seinen Schluchten und Heiden, seinen
-weltabgeschiedenen Dörfern. Bauerntrotz und Bauernhochmut bereiten
-dem Müller-Hannes sein Schicksal. Mit staunenswerter Kraft macht die
-Dichterin diesen Charakter lebendig. Stimmungsschwere Romantik und
-meisterlicher Realismus vermählen sich in ihrem Werk, das unter den
-deutschen Volksromanen unserer Zeit einer der echtesten und stärksten
-ist.
-
-
-Die schwere Not
-
-von Richard Skowronnek
-
-»Die schwere Not« ist der dritte von Richard Skowronneks
-Ostpreußen-Romanen, die mit den »Sturmzeichen«, der Voraussage
-des großen Krieges, begannen und zu dem Roman »Das große Feuer«
-überführten. Mit herber Wucht stellt »Die schwere Not« die ersten
-Begebnisse nach der Kriegserklärung dar, den Aufmarsch der
-ostpreußischen Truppen gegen das in riesenhaften Feldlagern versammelte
-russische Millionenheer und den Einbruch der Kosakenhorden. In starker
-persönlicher Ausgestaltung gibt der Dichter wieder, was nachher kam:
-die opfermütige Abwehr und die Zeit der russischen Herrschaft in
-Masuren.
-
-
-Kriegsgetraut
-
-von Otto von Gottberg
-
-Otto von Gottbergs Erzählung, die in die Stimmungen des deutschen
-Seekriegs einen echt und warm empfundenen Liebesroman stellt,
-schildert hell und farbig die Junitage an der Kieler Regatta. Sie
-malt die Ausfahrt des deutschen Hochseegeschwaders, die Heimkehr der
-lichtweißen, von vier Kreuzern gefolgten »Hohenzollern«, ein schweres
-Seegefecht, den kühnen Flug eines Marinefliegers. Dem Heldentum der
-deutschen Flotte hat Otto von Gottberg dieses kleine Werk geweiht.
-
-
-
-
-Ullstein-Kriegsbücher
-
-Bisher erschienen
-
-
-Paul Oskar Höcker:
-
-An der Spitze meiner Kompagnie
-
-
-Fedor von Zobeltitz:
-
-Kriegsfahrten eines Johanniters
-
-
-Kurt Aram:
-
-Nach Sibirien mit hunderttausend Deutschen
-
-
-Ludwig Ganghofer:
-
-Reise zur deutschen Front 1915 / Die stählerne Mauer / Die Front im
-Osten / Der russische Niederbruch
-
-
-Ernst Freiherr von Wolzogen:
-
-Landsturm im Feuer
-
-
-Otto von Gottberg:
-
-Kreuzerfahrten und U-Bootstaten / Die Helden von Tsingtau
-
-
-Emil Zimmermann:
-
-Meine Kriegsfahrt von Kamerun zur Heimat
-
-
-Heinz Tovote:
-
-Aus einer deutschen Festung im Kriege
-
-
-Rudolf Hans Bartsch:
-
-Das deutsche Volk in schwerer Zeit
-
-
-Paul Grabein:
-
-Im Auto durch Feindesland
-
-
-Kapitänleutnant Freiherr von Forstner:
-
-Als U-Boots-Kommandant gegen England
-
-
-Ernesto Freiherr Gedult von Jungenfeld:
-
-Aus den Urwäldern Paraguays zur Fahne
-
-
-Jeder Band 1 Mark
-
-
-
-
-[Illustration]
-
- Ullstein & Co
- Berlin SW 68
-
-
-
-
- Weitere Anmerkungen zur Transkription
-
-
- Der Schmutztitel wurde entfernt. Offensichtliche Fehler wurden
- stillschweigend korrigiert. Die Darstellung der Ellipsen wurde
- vereinheitlicht.
-
- Korrekturen:
-
- S. 175: Stile → Stille
- dem Häuschen mit blumenhafter {Stille} und Hingabe
-
- S. 186: hinausgeführt → ausgeführt
- so sollte er auch ohne sie {ausgeführt} werden
-
- S. 205: Himmels → des Himmels
- alle Mächte {des Himmels} und der Erde
-
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Jockele und die Mädchen, by Max Geißler
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK JOCKELE UND DIE MÄDCHEN ***
-
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- The Project Gutenberg eBook of Jockele und die Mädchen, by Max Geißler.
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-<pre>
-
-The Project Gutenberg EBook of Jockele und die Mädchen, by Max Geißler
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
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-
-
-
-Title: Jockele und die Mädchen
- Roman aus dem heutigen Weimar
-
-Author: Max Geißler
-
-Release Date: December 4, 2016 [EBook #53661]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK JOCKELE UND DIE MÄDCHEN ***
-
-
-
-
-Produced by The Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net
-
-
-
-
-
-
-</pre>
-
-<div class="transnote">
-<p class="h2">Anmerkungen zur Transkription</p>
-
-<p>Das Original ist in Fraktur gesetzt.</p>
-
-<p>Im Original gesperrter Text ist <em class="gesperrt">so ausgezeichnet</em>.
-Im Original in Antiqua gesetzter Text ist <em class="antiqua">so markiert</em>.</p>
-
-<p>Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am
-<a href="#tnextra">Ende des Buches</a>.</p></div>
-
-<div class="chapter">
-<p class="h2">
-Ullstein-Bücher</p>
-<p class="center">
-Eine Sammlung<br />
-zeitgenössischer Romane</p>
-<div class="figcenter">
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-</div>
-<hr class="tb" />
-<p class="center">
-Ullstein &amp; Co / Berlin und Wien</p>
-<hr class="chap" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-<h1>Jockele und die Mädchen</h1>
-<p class="center">
-Roman aus dem heutigen Weimar von</p>
-<p class="h2">
-Max Geißler</p>
-<div class="figcenter">
-<img src="images/signet.png" alt="Signet" />
-</div>
-<hr class="tb" />
-<p class="center">
-Ullstein &amp; Co / Berlin und Wien</p>
-<hr class="chap" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-<p class="center">
-Alle Rechte, insbesondere das der Uebersetzung, vorbehalten.<br />
-Amerikanisches Copyright 1916 by Ullstein &amp; Co, Berlin.
-</p>
-
-<hr class="chap" />
-</div>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_5">[5]</a></span></p>
-
-<div class="chapter">
-<p class="drop">Als wäre diese Geschichte nicht wahr &ndash; so wunderlich
-angetan mit allem Zierate der Romantik schreitet sie
-heraus aus dem grünen thüringischen Waldleben! Mit
-Zigeunern, die sich die Häuser aus bunten Lappen und
-Fichtenreisern erbauen und durch den Bergwald fliegen
-wie die Distelfinken, denen der Herrgott am letzten
-Schöpfungstage die Reste seiner Farbeschalen aufgetupft
-hat. Und mit einem alten Mädchen, das in besinnlicher
-Güte und Einsamkeit dem Herzschlag des Thüringer
-Waldes lauschte &ndash; auf einmal fiel der Veronika Sinsheimer
-ein Kind in die Hände, als sie schon daran dachte,
-wem sie das kleine Haus vermachen solle, wenn eines
-Tages der Mann im weißen Mantel über das Gebirge
-schritt, der die blauen Mohnkörner des ewigen Schlafes
-auswirft.</p>
-</div>
-
-<p>Das mit dem Kinde geschah ganz früh am Jakobustage
-&ndash; zu Sommeranfang, wenn die Drosseln das Silber
-ihrer Lieder über den Wald werfen wie die jungen
-Mütter des Christkindleins Haar um die Weihnachtstanne.</p>
-
-<p>Die Häuslein sind um den Fuß der Vorberge gesäet
-wie die Weizenkörner; ein paar sind emporgeweht an die<span class="pagenum"><a id="Seite_6">[6]</a></span>
-Hänge, und der Bergwald legt seine grünen Arme darum.
-Zuhöchst steht das des Fräuleins Veronika Sinsheimer &ndash;
-von weitem anzuschauen als ein Wildrosenbusch im Mai;
-denn es hatte frühlingsgrüne Mauern und ein hellrotes
-Ziegeldach, darin zwei blanke Augen, just wie das alte
-Fräulein selber.</p>
-
-<p>An den Fenstern waren weiße Vorhänge, feuerrote
-Geranien und Glockenstöcke; die standen auch während
-des Bergwinters in lachendem Blühen. Kein Wunder,
-denn das Fräulein in dem Frühlingshause wandelte in
-einem freundlichen Spätlichte des Lebens, so warm und
-hell, daß die grämlichen Nebel der Altjüngferlichkeit sich
-darin niederschlugen als ein Tau in den Sommermorgen.</p>
-
-<p>Die Leute von Ibenheim gingen gern bei ihr ein und
-aus; denn sie sprach eine feine thüringfremde Sprache.
-Die hatte sie mit aus der norddeutschen Heimat gebracht
-und schoß das »s« von dem feinen Bogen ihres Mundes wie
-einen Pfeil. Die zu ihr kamen, banden sich daheim eine
-saubere Schürze vor und strichen sich die Schuhe vor der
-Schwelle des Hauses ab, oder sie ließen die Pantoffel
-draußen stehen; denn um das Fräulein Veronika war
-alles blank.</p>
-
-<p>Die lebte das Leben des späten Mädchens in Freude
-und erzählte keinem Menschen, daß sie hundertmal Gelegenheit
-gehabt hätte, einen Mann zu nehmen, oder daß
-gar einer wegen seiner Liebe zu ihr ins Wasser gegangen
-sei, sondern sie sagte: es wäre halt keiner gekommen, sie
-lieb zu haben, darüber wäre sie stehengeblieben. Und ihre<span class="pagenum"><a id="Seite_7">[7]</a></span>
-Augen lachten das leise Lachen der Freude über diese
-Rede, weil sie dennoch mit dem Leben fertig geworden
-war.</p>
-
-<p>Dies stille Leben lag vor den Augen all der Leute von
-Ibenheim, und doch war die feine kleine Person des alten
-Fräuleins für sie voller Geheimnisse. Aus jedem Stücke
-des Hausrats schaute eine ferne liebe Zeit, wie sie in den
-Erkerstuben alter Burgen eingefangen ist, die vordem
-einmal Kemenaten junger Frauen gewesen sind. Ahnungsreich
-lag der Duft von Lavendel um alle Körbchen und
-Decken, um Kissen und Polster, und Fräulein Veronika
-Sinsheimers reinliches Wesen trippelte zwischen diesen
-Dingen umher, und das Leben hatte kein Stäubchen auf
-sie geworfen.</p>
-
-<p>Die Menschen sahen sich an ihr die Augen voll Sonntag.
-Und an dem Zinzilein, dem kleinen Mädel des Holzhauers,
-das an jedem Tag in das Frühlingshaus kam, war
-all der Sonntag hängengeblieben: es schoß das spitze »s«
-aus seinem Mündlein wie sie; seine kleine Zunge schwang
-in diesem Mündlein als gegen eine silberne Glocke, und
-wenn das Zinzilein aus der Hütte des Holzhauers über
-den Weg lief, ward der Waldsaum hell &ndash; in Kindern
-leuchtet das Scheinen der anderen Welt, aus der sie gekommen
-sind, rasch wieder auf.</p>
-
-<p>Das Zinzilein blühte seinen fünfjährigen Frühling so
-in das Leben der alten Dame hinein und schüttete seine
-klingenden Fragen über sie, als es anfing, an dem Dasein
-herumzuraten: »Warum kann ich nicht in Deinem Hause<span class="pagenum"><a id="Seite_8">[8]</a></span>
-schlafen, liebe Tante Veronika? Und warum sage ich zu
-Dir Tante und nicht Mutter? Warum bist Du nicht meine
-Mutter? Und was ist für ein Unterschied zwischen einer
-Tante und einer Mutter? Wenn ich groß bin &ndash; kann
-ich dann immer bei Dir sein, liebe Tante Veronika? Und
-warum ist es bei Dir so schön, so schön?«</p>
-
-<p>Darüber kamen sie dann beide ins Raten; und wie
-eine Blume wandte sich diese junge Menschenblüte der
-Sonne zu, in der Fräulein Veronika stand. Den Namen
-Zinzilein hatte die Kleine für sich gemacht &ndash; er war aus
-der Zeit, da die Worte in dem jungen Munde noch
-manchmal durcheinanderpurzelten, aus Kreszenzia und
-Sinsheimer entstanden. Und weil es ein so wunderlicher
-Zusammenklang war, blieb er an dem Kinde hängen: als
-das ›Zinzilein‹ ist die Kreszenzia Laufer durch ihr Leben
-geschritten.</p>
-
-<p>Aus dem unbewußten Blumendasein des ganz kleinen
-Holzhauermädels wurde gemach ein Menschenleben; und
-in seligem Erschauern ließ Fräulein Veronika das Glück
-dieses sachten Blühens in die Waldstille ihrer Tage rieseln
-und fühlte, wie es an ihrem vereinsamten Herzen zum
-Wunder ward.</p>
-
-<p>Die Eltern des Zinzilein gingen zu Walde roden und
-aufforsten, und wenn der Schneewind über die Berge
-brauste, saßen sie bei der Heimarbeit, die in dieser Gegend
-Brauch ist: sie machten Puppen. Außer dem Zinzilein
-hatten sie kein Kind; und dies eine ward ihnen fremder
-mit jedem Tag. Es dachte anders und redete anders als<span class="pagenum"><a id="Seite_9">[9]</a></span>
-Vater und Mutter. Und wenn das Zinzilein des Abends
-heimkam und aus seinem Frühlingsherzen heraus über
-sie schüttete, was das alte Fräulein am Tage hineingelegt
-hatte, merkten sie, daß das Kleine ein Gast in ihrer Waldhütte
-geworden war. Dann gaben sie sich Mühe, so fein
-mit ihm zu sprechen, wie es selber sprach, und standen vor
-ihm in feierlicher fremder Freude wie vor einer Tulpe,
-die ihnen auf den Geburtstagstisch gestellt worden. Wenn
-das Zinzilein nebenan in seinem Bette lag, holte die
-Mutter jedes Stück herzu, das es auf seinem Körperlein
-getragen, ließ ihre harte Hand darübergleiten und drückte
-es gegen die Wangen, zu fühlen, wie sanft es sei. Oder
-sie hielt das Kräuschen aus alten Spitzen gegen das Licht
-der Lampe, den feinen Lauf der Fäden zu sehen; denn
-Fräulein Veronika sorgte für alles &ndash; auch dafür, daß sich
-das Kinderherz den Eltern nicht völlig abwende. Und das
-war sehr schwer.</p>
-
-<p>Sie badete es an jedem Tage des Sommern in einem
-klaren Bergquell, der aus dem schwarzen Wurzelgrunde
-heraus sich in ein Sonnenbett legte und das Glück des
-Himmels und Lichts in sich trank, ehe er als fußbreites
-Wasser in die Welt lief. Sie lehrte das Kind, diese Welt
-durch ihre klugen, reinen Augen zu sehen, und schloß ihm
-auf jedem Gang in den Frühling ein Wunder der
-Erde auf.</p>
-
-<p>Es schien, als wäre die unerforschliche Macht, die die
-Menschen Schicksal nennen, zu der späten Erkenntnis gelangt,
-daß diesem Fräulein Veronika das herrlichste<span class="pagenum"><a id="Seite_10">[10]</a></span>
-Mutterherz geschenkt worden, das sich denken ließe &ndash; da
-legte es ihr das kleine fremde Mädel in die Arme; denn
-das Kleinod dieses Frauenherzens, das kein Mann gefunden
-hatte, durfte nicht in Vereinsamung verloren
-gehen. Und dies Schicksal erkannte auch, daß dies Frauenherz
-unerschöpflich sei an hingebender Liebe und Klugheit
-… am frühen Morgen des Jakobustages, als das
-Fräulein Veronika sein Spitzenhäubchen auf die ergrauenden
-Haare gesetzt hatte und gleich einmal nach dem
-Zinzilein ausschauen wollte, ob es schon am Waldrand
-herüberschreite … »Na,« sagte Fräulein Sinsheimer,
-»wer hat mir denn da etwas auf die Haustürschwelle
-gelegt?«</p>
-
-<p>Sie beugte sich ein wenig nieder und machte die Augen
-weit. Es war ein Bündel aus grauem Wolltuch. Sie
-rührte ein wenig mit ihrem weichen Morgenschuh daran.
-Da wackelte etwas unter dem Tuche. Und sie tastete mit
-ihren Fingern darüber. Da kneckerte ein Lebendiges in
-dem Bündel &ndash; »Na!«</p>
-
-<p>Es war aber weder ein junger Hund noch eine junge
-Katze darin, sondern ein leibhaftiges Menschlein, in Dinge
-gewickelt, die große Armut als Windeln ansehen konnte.
-Und daneben kniete das gütige alte Mädchen und wußte
-nicht, was es mit sich selber anfangen sollte.</p>
-
-<p>Da kam ein wunderliches verzweifelte Lachen über
-sie. Sie trippelte durch die Stuben und durch die Küche,
-und ihre besonnenen Hände begannen umherzugreifen, als
-könnten sie einen der vielen flatternden Gedanken erhaschen.<span class="pagenum"><a id="Seite_11">[11]</a></span>
-Sie legte die Hände vor den Mund, als müsse
-sie dies hilflose Lachen ersticken, das gar keinen Platz hatte
-in diesem seltsamsten Augenblick ihres Lebens&nbsp;…</p>
-
-<p>»Na, na, und gar ein Bübchen!« schrie sie aus ihrem
-gepreßten Herzen heraus. Aber dieser Ruf war schon
-Glück; denn er brach aus ihr hervor wie die Sonne aus
-dem verstürmten Märzhimmel.</p>
-
-<p>Dann lief sie und nahm das große Bündel auf ihre
-Arme und trug es in die Küche und aus der Küche in das
-Zimmer und aus dem Zimmer zu ihrem Bette und legte
-es darauf. Und alle Türen standen offen, da lief ein
-goldener Morgenwind ins Haus und lief um sie her, und
-sie legte in ihrer freudigen Not eine Serviette dreieckig zusammen
-und das braune Bübchen darauf und deckte es mit
-ihrem weichen Deckbett zu bis an die Nase.</p>
-
-<p>Zu all dem sagte der Junge gar nichts; als Zeichen
-seines lebendigen Unverständnisse wackelte er einmal mit
-den Lippen eine saugende Bewegung, beschied sich aber,
-ballte die Fäustlein, legte sie an seine Wangen und schlief
-sich tief in die wohlige Wärme dieses Bettes und neuen
-Lebens hinein wie ein Maulwurf.</p>
-
-<p>Als das kleine braune schlafende Ding mit dem
-glänzenden Fellchen auf dem Kopfe nicht mehr in den
-Lumpen war, faßte Fräulein Veronika die Hülle mit sehr
-spitzen Fingern an und legte sie auf ein Zeitungspapier …
-da klapperte etwas auf den Fußboden. Es war ein
-silberner Ohrreif, der der Mutter über der Hast und dem
-Schmerze des Scheidens entfallen sein mochte; oder eine<span class="pagenum"><a id="Seite_12">[12]</a></span>
-der kleinen Hände hatte über dem letzten Kusse stürmischer
-Liebe nach einem Halt gesucht; oder die große
-Herzensnot der Frau hatte dem Kinde das einzige Besitztum
-mitgegeben, dem sie noch einen geringen Geldeswert
-beimaß.</p>
-
-<p>Das Fräulein verwahrte den Ring in einer Glasschale
-auf der Etagere; aber die Hüllen trug sie in dem Papier
-hinaus und legte sie rechts neben die Schwelle.</p>
-
-<p>Da kam das Zinzilein, wie der Frühling, der über die
-Berge steigt &ndash; der Morgenwind nahm es an der Hausecke
-gleich ein bißchen beim Kopfe; aber das Mädel stellte ihn
-darüber zur Rede: »Was fällt Dir denn ein? Du verstruwelst
-mir ja ganz meine Haare!« und schubste mit
-seinen kleinen Händen vor sich in die wehende Bergluft.</p>
-
-<p>Fräulein Veronika führte das Zinzilein gleich an das
-Bett, und weil sie auf den Zehen ging und die Augen
-voller Geheimnis hatte, mußte etwas ganz Wunderbares
-in diesem Bette sein.</p>
-
-<p>Da sah das Zinzilein das blauschwarze Fellchen und
-sah die kleinen Läden, die über die Augen herabgelassen
-waren … aber das Wundern dauerte nur einen Augenblick,
-dann krümmte sich das Zinzilein in leisem, über die
-Maßen lustigem Lachen, und damit es nicht laut werde,
-klemmte es die Hände zwischen die Knie und lachte in
-einem fort. Dann warf es seine Arme stürmisch um
-Veronika.</p>
-
-<p>»Das ist aber eine feine Geschichte!« sagte es. »Ich
-werde jetzt gleich laufen und meinen Puppenwagen holen!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_13">[13]</a></span></p>
-
-<p>»Nein,« sagte das Fräulein, »der ist viel zu klein.«</p>
-
-<p>Und sie gingen miteinander in die Küche, wo das
-Wasser zum Morgenkaffee noch immer wallend gegen die
-Stürze des Topfes stieß, und ließen die Tür ein wenig
-offen.</p>
-
-<p>»Weißt Du,« sagte das Zinzilein und redete ganz leise,
-»ich werde mich so lange an das Bett setzen, bis er aufwacht!
-… Ob man ihm nicht einmal die Augen ein wenig
-aufklappen könnte?«</p>
-
-<p>»Ach lieber gar,« sagte Tante Veronika. »Zuerst gehst
-Du einmal zum Gemeindevorsteher und sagst zu ihm:
-Sie möchten, bitte, gleich einmal zu Fräulein Sinsheimer
-kommen &ndash; es ist eine sehr wichtige Sache.«</p>
-
-<p>Das Zinzilein mußte diese Worte dreimal wiederholen,
-lief damit einen Steinwurf weit den Berg hinab zum
-dritten Hause und sah den Vorsteher in seinem Garten.
-Da hielt es sich an einem Zaunstänglein fest und schrie:
-»Die Tante Veronika hat ein Kind gekriegt &ndash; es hat
-einen schwarzen Kopf, und Du sollst schnell kommen. Es
-ist eine großartige Sache!«</p>
-
-<p>Herr Peter Squenz wußte, daß das Zinzilein ein
-unterhaltsames kleines Mädchen war, aber diese Botschaft
-schien ihm im höchsten Grade sonderbar. Er trat zu dem
-Kind an den Zaun, und weil er lachte, kam die Kleine ein
-bißchen aus dem Gleichgewicht. Da sah er, daß das Gesicht
-verängstigt war; denn das Zinzilein merkte, daß es die
-Worte der Tante über der Wichtigkeit des Augenblicks ganz
-vergessen hatte, aber es verließ sich auf sich selber und<span class="pagenum"><a id="Seite_14">[14]</a></span>
-drängte: »Komm nur! Ein wirkliches richtiges Kind hat
-sie, liegt im Bette und hat die Augen ganz fest zu.«</p>
-
-<p>Da dachte Herr Squenz, dem Fräulein Sinsheimer
-müsse etwas zugestoßen sein, warf sich schnell den Rock
-über und ging mit dem Zinzilein. Das redete immerfort
-von dem Kinde und seinem Sammetfellchen, und brauchte
-altkluge Worte, die wunderlich in dem kleinen Munde
-standen, aber als Herr Peter Squenz das Fräulein in der
-Haustür stehen sah, geriet seine lustige Neugier in abgrundtiefe
-Verwirrung.</p>
-
-<p>Da mußte Fräulein Sinsheimer einspringen und ihn
-auf den rechten Weg führen. Die Sache war anders, aber
-sie war nicht weniger wunderlich; denn von dem kleinen
-Trupp Zigeuner, der in der Mondnacht durch den Bergwald
-gezogen war, hatte niemand etwas gesehen. Und
-weil das Fräulein Veronika auch erkläre, sie wolle für
-das Kind sorgen, wenn sich die Mutter nicht fände, und
-es solle der Gemeinde nicht zur Last fallen, so hatte Herr
-Peter Squenz weiter nichts zu tun, als den Vorfall mit
-dem Protokoll und der Unterschrift der Pflegemutter an
-seine Behörde zu berichten. In den umliegenden Dörfern
-und Städten blieben die Nachforschungen erfolglos. Die
-blanken Reden, die ins Ländchen liefen, versickerten, und
-es versickerte der Eifer der Behörden. So hatte Fräulein
-Veronika Sinsheimer zu dem blonden Zinzilein einen
-kleinen schwarzen Jakobus bekommen, den ihr recht gerne
-kein Mensch streitig machte. Diesen Namen hatte sie ihm
-gegeben nach dem Tage, an dem er gefunden worden.<span class="pagenum"><a id="Seite_15">[15]</a></span>
-Etliche meinten zwar, er müsse Moses heißen: denn ob
-er aus dem Wasser oder aus dem Walde gezogen sei,
-wäre nicht so wichtig. Das Fräulein mochte davon nichts
-wissen.</p>
-
-<p>Es blieb aber auch nicht bei dem Jakobus, denn das
-Zinzilein machte einen Jockele daraus und war mit seinem
-hellen ahnungsvollen Herzen um ihn und lebte sich in
-seiner Freude an ihm in ein sorgendes leuchtendes Glück;
-und die Tante Veronika lebte sich darüber hinein in die
-leuchtende Ewigkeit.</p>
-
-<p>Natürlich hatte es Tante Veronika damit nicht eilig;
-denn Festungen, die ihm so sicher sind wie das Grab, pflegt
-ein weltfrohes Menschenherz nicht im Sturm zu erobern.</p>
-
-<p>Es war nun doch ein großer Wandel der Dinge im
-Leben der alten Dame eingetreten: mit seinem kleinen
-Fäustchen warf das am Waldrand aufgelesene Büblein
-das stille Gleichmaß des blumenhaften Daseins einfach
-über den Haufen. Die rote Knospe seines Mundes faltete
-sich erst so leis auseinander, da herrschte er schon als König
-in seinem Reiche. Die blauen Wunder seiner Augen, in
-denen noch kaum etwas anderes war als die rätsellose
-Unbewußtheit des Himmels, machten das Wetter im
-Frühlingshause. Und weil er gewöhnlich nach Tante
-Veronika rief &ndash; mit Lauten, die ebensogut von einem
-Maikätzlein hervorgebracht werden konnten &ndash; wenn diese
-gerade in der Küche zu tun hatte, so mußte ein Mädchen
-ins Haus. Es waren da überhaupt hundert Dinge um
-seine kleine Majestät zu verrichten, deren viele recht<span class="pagenum"><a id="Seite_16">[16]</a></span>
-unköniglich aussahen und die am besten einer dienenden
-Person überlassen wurden; denn zur Betätigung der
-unerschöpflichen Liebe blieb auch ohne jene Pflichterfüllung
-Gelegenheit genug.</p>
-
-<p>So war das Haus am Bergrand vollgeworden zum
-Ueberlaufen, und die Tage begannen darin zu rennen wie
-die Windrädchen. Aber sie waren auch lustig wie diese,
-und es dauerte gar nicht lange, so hatte das Fräulein
-Sinsheimer wieder alles in seinen feinen weißen Händen,
-und die kleinen Sonnen, die sie sich an den Späthimmel
-des Lebens gestellt hatte, richteten ihren Gang nach dem
-großen Licht ihres Herzens.</p>
-
-<p>Darüber lernte das Bübchen seine Freude in die Welt
-jubeln, und das Zinzilein fand sich in ahnungsvoller Hingabe
-in die seltsame Rolle, die es diesem Jungen gegenüber
-zu spielen berufen war. Es ward ihm Schwester und
-Mütterchen; es herrschte und gehorchte; es ward Pol und
-Kompaß, Saat und Sonne für das kleine Herz und schlang
-von einem zum anderen das Kettlein einer Liebe, das
-köstlicher war als Gold.</p>
-
-<p>Weil es dem eigenwilligen Wunsche Jockeles entsprach,
-zog das Zinzilein in diesem Sommer ganz in das Frühlingshaus.
-Der Junge, dem Tante Veronika nachdrücklich
-klar gemacht hatte, daß es ein Gesetz des Wohlbefinden
-sei, die Nacht zum Schlafen zu benutzen, fand sich darein
-als in eine unverletzliche Pflicht. Und das Zinzilein war
-zu der Erkenntnis gelangt, daß man einem kleinen Menschen
-die Augendeckel nicht aufklappen dürfe, wenn sie<span class="pagenum"><a id="Seite_17">[17]</a></span>
-heruntergelassen werden, und daß man so feine Härchen
-nicht stundenlang mit den scharfen Zähnen eines Staubkammes
-bearbeite. Dabei hatte sie Tante Veronika einmal
-ertappt, als es schon ganz rot unter dem Sammetfellchen
-hervorleuchtete. Man durfte einen Jungen auch nicht an
-einem Beine herumschlenkern wie eine Puppe. Es war
-überhaupt eine viel künstlichere Sache mit einem richtigen
-kleinen Menschen, und weit unterhaltsamer; denn der
-Jockele, als er sitzen konnte, bemühte sich nicht nur, dem
-»großen« und sehr klugen Zinzilein alles nachzutun, sondern
-er erfand auch eine Sprache, die das Zinzilein besser
-verstand als alle anderen.</p>
-
-<p>Daß es nicht in dieser Sprache mit ihm reden durfte,
-war verdrießlich. Aber die Tante war gewöhnt, daß man
-Ordre pariere, und so mußte das Zinzilein in seiner klaren
-und reinen Sprache schon mit dem ganz kleinen Jockele
-verkehren. Und merkwürdig &ndash; die Tante war in dieser
-Sache zu keinem Entgegenkommen zu bewegen … die
-gütige, allerliebste Frau, die es gab! Und sie ließ sich nicht
-einmal auf Erklärungen ein.</p>
-
-<p>Darüber geriet das Herz Zinzileins beinahe in Not,
-und das Mädchen Mali wurde von ihm zu Rate gezogen.
-Es fand sich in dem wunderlichen Willen der Tante
-Veronika aber auch nicht zurecht.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Die Kinder schliefen droben in der Giebelstube, und
-das Zinzilein hatte sich von der Sorge um die Nächte ein
-für allemal frei gemacht mit der Frage: »Wenn der Jockele
-kneckert, soll ich dann aufwachen?«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_18">[18]</a></span></p>
-
-<p>»Nein,« hatte die Tante gesagt und behauptet, sie schliefe
-so leise, daß sie die Träume der Kinder kommen und gehen
-höre.</p>
-
-<p>Von nun an änderte sich durch eine lange Reihe von
-Jahren nichts mehr; denn das Glück bleibt gern zu Gast
-in einem Haus, in dem man zufrieden mit ihm ist. Nur
-weil die Menschen immer an ihm herumnörgeln, ist es
-so scheu geworden, und es muß einer in dieser Zeit oft
-meilenweit wandern, um es einmal über den Weg laufen
-zu sehen.</p>
-
-<p>Seit das Zinzilein im Haus am Walde wohnte, hatten
-sich auch die Holzhauerleute mit dem Dasein des kleinen
-Jakobus abzufinden versucht, denn denen war der Junge
-wie ein Meteorstein in die Suppe gefallen. Armut ist
-immer eigensüchtig und wird darüber noch ärmer.</p>
-
-<p>Einmal erschien die Mutter des Zinzilein bei dem
-Fräulein Veronika. Sie hatte sich zu dem Gange äußerlich
-zurecht gemacht wie ein Dorfsonntag und gab sich redlich
-Mühe, frohmütig zu erscheinen. Aber was sie sagte, kam
-aus einem angesäuerten Herzen; denn der Puppenmacherin
-Barbara Laufer wollte just der schönste Pott ihrer Hoffnung
-in Scherben gehen und klirrte vernehmbar in ihre
-Rede: das Zinzilein würde nun wohl übrig werden …
-Und von dem kleinen Mädel sprang sie gleich mittenhinein
-in ihre saure Weltanschauung, vor der die Milch auf dem
-Teetische zusammenrinnen konnte.</p>
-
-<p>Aber Tante Veronika wußte derartigen Ausfällen zu
-begegnen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_19">[19]</a></span></p>
-
-<p>Was sie sich an Lebensglück und an Freude zurechtgerichtet
-hatte, stand mit einer etwas spitzen Ueberlegenheit
-gegen die Menschen, und es hätte wie Feindseligkeit ausgesehen,
-wenn Veronika eine Unterhaltung über derlei
-Dinge jemals eingegangen wäre; denn die Lebensauffassung
-dieser Menschen baut sich auf die Weisheit:
-Wir können anfangen, was wir wollen &ndash; wir haben kein
-Glück und sind an die Schattenseite des Daseins gesetzt. &ndash;
-Fräulein Sinsheimer aber sagte: Jeder Mensch hat vom
-Glücke genau so viel, als er sich erzwingt. Und in ihrem
-Munde lag das unausgesprochene Wort: »Sie haben alle
-nicht das Geschick, glücklich zu sein!«</p>
-
-<p>Und damit hatte das Fräulein recht. Die leuchtende
-Weisheit der wenigen Stillen im Lande war auch die ihre
-geworden; denn zuletzt sind es doch nur diese Stillen, die
-in allen Stücken mit dem Leben fertig werden. Aber sie
-wußte auch: es würden alle an ihr herumnagen wegen
-dieser Erkenntnis, sobald sie einmal ihre Zunge davonlaufen
-ließ, und man würde sie als eine verrückte alte
-Jungfer ausrufen.</p>
-
-<p>Sie hütete sich, die Menschen zu bessern und zu bekehren,
-damit ihr nicht die eigene Sonne über diesem
-müßigen Beginnen auslösche. Sie ließ sich tausendmal
-sagen: »Ja, ja, das Fräulein Sinsheimer hat das Große
-Los des Lebens gewonnen!« Aber sie verriet keinem,
-wie töricht diese Rede sei, und daß sie selbst auf ein
-in Tränen ertrunkenes Dasein zurückschauen würde, wenn
-sie ihren vereinsamten Jahren nicht eine Fülle von Licht<span class="pagenum"><a id="Seite_20">[20]</a></span>
-mit aller Weisheit und Zähigkeit ihres Herzens abgerungen
-hätte.</p>
-
-<p>An einem Sonntagnachmittag um die Teestunde brach
-die Barbara Laufer in das Frühlingshaus. Sie ließ aus
-ihren ungeschickten Worten heraus merken, daß der Eindringling
-Jakobus dem Zinzilein leicht ein Glück streitig
-mache. Dies Glück hatten sie in dem Holzhauerhause schon
-mit heimlicher Freude gehätschelt.</p>
-
-<p>Ueber allem rückte das Fräulein seinen Stuhl mit Entschiedenheit
-in die Sonne, faßte das flache altmeißener
-Schälchen mit drei spitzen Fingern und schlürfte ihren Tee
-mit jener süßen Behaglichkeit, gegen die keine Säuernis
-verknitterter Herzen ankommen konnte. Sie wäre gewöhnt,
-ihr Haus und ihr Leben selber zu bestellen, sagte
-sie, und fand dafür so feine und blanke Worte, daß die
-Frau Barbara in ganz demütiger Dankbarkeit zuhörte und
-mit der Erkenntnis davonging, sie wäre nahe daran gewesen,
-eine fürchterliche Dummheit zu machen.</p>
-
-<p>Als ihr Mann sie vom Waldsaume her gegen das Haus
-kommen sah, schritt sie voll unverrichteter Dinge ihres
-Wegs.</p>
-
-<p>Er fragte an ihr herum, ob sie denn nicht von Leben
-und Sterben geredet habe? Es könne doch einem alten
-Menschen einmal etwas zustoßen, und dergleichen.</p>
-
-<p>Aber die Frau Barbara meinte, so weit wäre sie gar
-nicht gekommen, und er solle nur selber zusehen, wenn
-er sich einbilde, er mache es besser. Danach knurrten sie
-sich noch ein bißchen an, trösteten sich zuletzt aber mit der<span class="pagenum"><a id="Seite_21">[21]</a></span>
-Weisheit, daß ein gesprungener Topf oft recht haltbar
-wäre. Sie trauten sich dabei nicht, die Sache mit dem
-rechten Namen zu nennen, und hatten doch schon so lange
-daran herumgedacht.</p>
-
-<p>Das Fräulein Sinsheimer aber hatte sich in ihrem
-Leben nur ein einziges Mal überraschen lassen. Das war
-an jenem Sommeranfang gewesen, als ihr die Vorsehung
-den kleinen Jakobus in die Arme gelegt hatte. Nun war
-längst alles wieder in schöner Ordnung in ihrem Herzen,
-und es war fertig zum Leben und zum Sterben. Die
-Puppenmacherin Barbara Laufer brauchte gar nicht zu
-kommen, um einmal nachzuschauen, wie die Sachen
-stünden.</p>
-
-<p>Aber die sehnerigen Augen der Leute von Ibenheim
-rieten vergeblich an der geheimnisvollen Freude des Fräuleins
-vom Berge und an ihren Absichten für die Zukunft
-herum.</p>
-
-<p>Die Freude an den Kindern bekam ein helleres Herz
-mit jedem Tage; denn es blühte an ihnen alles licht hinein
-in das Leben. Nur das Mädchen Mali war ein Ding im
-Hause, dem das Glück über dem Zusammensein mit den
-anderen Menschen längst keine Selbstverständlichkeit mehr
-war. Um Mali schauerten um diese Zeit die kühlen Tage
-des späten Mädchenlebens, in denen die Lippen ihre Sehnsucht
-zu vergessen haben, und es doch nicht können. Malis
-Herz spähete aus vom Turme der höchsten Zeit, ob sich
-eine Stätte finden ließe, von der es sagen könnte: Hier
-bin ich daheim.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_22">[22]</a></span></p>
-
-<p>So hatte Fräulein Veronika auch ihr Sorgenkind, das
-nicht gleich in die Sonne des Hauses als in sein fröhliches
-Besitztum hineinwuchs. Aber es fiel ihr nicht ein, dem
-Mädchen Mali Wohltaten für die kommende Zeit zu verheißen,
-sondern sie schrieb einfach unter den letzten Willen,
-durch den sie die Kinder bedacht hatte, daß die Mali &ndash;
-wenn sie die Kleinen bis zur Mündigkeit erziehe &ndash; in der
-oberen Giebelstube des Hauses für den Rest ihres Lebens
-Wohnung haben solle, und setzte ihr einen Geldbetrag aus.</p>
-
-<p>Das Mädchen erfuhr von alledem nichts, und Fräulein
-Sinsheimer war zu jeder Stunde bereit, diese Bestimmung
-durch eine andere zu ersetzen, wenn Mali der Ansicht wäre,
-das Glück finde sich im Lande irgendwo für sie leichter
-als an dem hellen Herdfeuer des Frühlingshauses.</p>
-
-<p>Und als sie sich derart auch mit ihrem Sterben auseinandergesetzt
-hatte &ndash; damit sie sich Grab und Himmel
-nicht vergälle &ndash; nahm sie die große Kunst mit aller Zähigkeit
-wieder auf, das Leben in klarster Bewußtheit zu leben.
-Sie empfing jeden Tag aus den Händen ihres heiteren
-Gottes als ein Geschenk, das sie in grenzenloser Hingebung
-austeilte an alle, die in ihrem Hause waren.</p>
-
-<p>Tante Veronika hatte dreißig Jahre tiefster Sommereinsamkeit
-ihres Lebens mit Bergwald, Büchern und sich
-selber verbracht. Darüber kann der Mensch ein wunderlicher
-Kauz werden und eine so zerknitterte Seele bekommen,
-daß sie der Stahl des blankesten Glücks nicht
-wieder ausplättet. Er kann aber auch zu einer lichten
-Höhe mit erhabener Rundschau über alles Menschentum<span class="pagenum"><a id="Seite_23">[23]</a></span>
-gelangen, für die besondere Gesetze des Lebens geschrieben
-sind.</p>
-
-<p>Für Tante Veronika galt beides.</p>
-
-<p>Sie war aus der langen Stille nicht ganz ohne Knitter
-hervorgegangen, aber die waren an ihr als feine Besonderheiten;
-und wenn sie da und dort Aehnlichkeit mit jenen
-Brüchen hatten, in denen sich der Staub der Altjüngferlichkeit
-festsetzt, so verbarg sie das unter dem Takt ihres geläuterten
-Frauentums und blies diesen Staub nicht durchs
-Haus nach der Gewohnheit jener Frauenzimmer, in denen
-verwelkte Jahre ihre Verwüstungen anrichten. Schon das
-Wort Staub verursachte ihr das Unbehagen einer nahenden
-Krankheit, und wenn sie es ausgesprochen hatte, rollte sie
-die Spitze der Zunge hinter den Zähnen in dem Gefühle,
-es sei von der grauen Wolke, die darübergestrichen, etwas
-hängen geblieben. Aber sie wedelte nicht als ein lebendig
-gewordenes Wischtuch durch das Haus. Und da sie dies
-Haus vor dreißig Jahren erbaute, geschah es in der weisen
-Erwägung, daß sie an dem sonnenvollen Rande des
-Buchenschlages so hoch über allem stehe, was innerhalb
-der menschlichen Gemeinsamkeit wie Staub auffliegt, als
-es einem Menschen möglich ist, der einsam sein will, ohne
-sich in die Welt feindseliger Einsiedelei zu vermauern.</p>
-
-<p>Sie hatte in diesen dreißig Jahren die hellen Augen
-frohsinnig in die Welt gerichtet und hatte in der Rolle
-des vergnügten Zuschauers das Wundern nicht verlernt.
-Sie stand der neuen Zeit mit dem Respekte gegenüber,
-den große Wandlungen der Dinge zu beanspruchen haben,<span class="pagenum"><a id="Seite_24">[24]</a></span>
-und redete nicht nach der Art alternder Leute mit wehmütigem
-Bedauern von der guten vergangenen Zeit, weil
-sie mit der neuen nicht mehr Schritt halten können &ndash; hoho,
-diese Tante Veronika schloß sich ihre Tage auf, als hätte
-sie eine Geschichte der Entwicklung des deutschen Volkes
-im zwanzigsten Jahrhundert vor! Und als der erste
-Zeppelin über die Wälder im Herzen Deutschlands
-donnerte, wunderte sie sich, daß man darauf so lange habe
-warten müssen, und sie sagte zu Herrn Peter Squenz:
-»In fünfzig Jahren werden die Menschen über die Maßen
-lustig sein bei dem Gedanken, daß ihre Großväter mit solch
-einer Explosionsmaschine die Fahrt in die Welt des gestirnten
-Himmels begonnen haben; den Mut werden sie
-bewundern, aber die Weisheit, die mit Gas und Funken
-durch die Lüfte reiste, werden sie belächeln.«</p>
-
-<p>Herrn Peter Squenz, dem gerade das Herz in seligem
-Stolz auf die Zeit erschauerte, in der er lebte, sah Fräulein
-Sinsheimer mitleidig aus den Winkeln seiner Augen an
-und sagte, die Errungenschaft sei eine Sache, über die
-hinaus es einfach nicht mehr ginge.</p>
-
-<p>Fräulein Veronika aber lächelte und antwortete:
-»Schade, daß wir in fünfzig Jahren beide irgendwo im
-All herumwirbeln oder etwa als wilde Rosen an einer
-Berghalde unsere Sommerseele in heiterem Blühen verhauchen
-und uns über unsern heutigen Zusammenstoß
-nicht mehr unterhalten können!« Dann lachte sie ihm
-so überlegen ins Gesicht, und das erhabene Bild des
-Luftkreuzers versickerte im Blau über dem Gebirge. Herr<span class="pagenum"><a id="Seite_25">[25]</a></span>
-Peter Squenz aber dachte: »Was richten Bücher, Gedanken
-und Einsamkeit in von Natur ganz vernünftigen
-Menschen für heillose Verwirrungen an!«</p>
-
-<p>Nun hatte Fräulein Sinsheimer aber weder den Ehrgeiz,
-ein gelehrtes Frauenzimmer zu sein, noch war sie
-vom Dichterwahn oder den Emanzipationsgelüsten ihrer
-städtischen Schwestern befallen; sie predigte weder die
-Erlösung vom Manne &ndash; was in ihrer manneslosen Lage
-nicht unverständlich gewesen wäre &ndash; und forderte auch
-nicht das Frauenstimmrecht … aber schon daß sie ein
-ganzes Regal voll Bücher besaß und sich sogar mit ihnen
-belästigte, war für Ibenheim bei Waltershausen eine
-unerhörte Tatsache. Und die hätte genügt, die Besitzerin
-so vieler gedruckter Gelehrsamkeit zum Gegenstand sorgsamer
-Beobachtung ihres Geistes zu machen, wenn das
-Fräulein das Bedürfnis gefühlt hätte, den Leuten häufiger
-in ihrer Ueberlegenheit zu begegnen. So aber hatte sie
-sich die herrlichste aller Künste in vollkommenem Maße
-zu eigen gemacht: sich vor der Welt ohne Haß zu verschließen.
-Und ihr kleines Reich blieb für alles, was
-draußen lag, uneinnehmbar.</p>
-
-<p>Als der Jockele seinen Einzug in das Frühlingshaus
-gehalten hatte, rieten die Leute eine Zeitlang wieder
-lebhafter an den Dingen da oben herum und sagten:
-Wenn ein Mensch keine Sorge hätte, so mache er sich
-welche &ndash; an dem Jungen von dunkler Herkunft werde
-sie ihr Wunder schon noch erleben! Etliche mutmaßten
-sich darum in eine wilde Zukunft hinein und sahen den<span class="pagenum"><a id="Seite_26">[26]</a></span>
-Jakobus Sinsheimer, der doch wahrscheinlich ein Zigeuner
-wäre, als Räuberhauptmann sein Unwesen in den
-thüringischen Wäldern treiben.</p>
-
-<p>Einmal brachte das Mädchen Mali solchen phantastischen
-Klatsch mit aus dem Dorfe. Das war sehr
-heilsam für sie, denn sie erkannte an der hellen Empörung
-ihres Herzens, wie sie sich in ihrer Denkart allgemach
-loslöste von den Schichten, aus denen sie gekommen war.</p>
-
-<p>Tante Veronika lachte ihr vergnügtes Lachen darüber
-und sagte einige Worte über die Macht der Erziehung,
-die nicht nur den Leuten von Ibenheim, sondern der
-Menschheit im allgemeinen noch ein Buch mit sieben
-Siegeln sei … Doch &ndash; das war wieder einmal eine
-der gelehrten Reden des Fräuleins, die das Mädchen
-Mali nicht ganz verstand. Aber zu denken hatte ihr diese
-Unterhaltung gegeben, und sie lenkte das Gespräch in der
-Folgezeit immer wieder einmal darauf zurück; denn der
-Unterschied zwischen der Blütenfreude des kleinen Jockele
-und einem angehenden Räuberhauptmann hätte schließlich
-doch selbst einem Holzhauerverstande eingehen müssen.</p>
-
-<p>Weil es nicht in dem Wesen des Fräuleins lag, so
-schulmeisterte sie weder an Mali noch an den Kindern
-herum. Sie ging zwischen diesen drei Menschen einher
-wie zwischen den vielen, vielen Rosen ihres Gartens, und
-ließ blühen und ranken nach eigenen Gedanken, bis die
-Natur einmal sich selber im Wege war. Wie sie des
-Morgens mit der kleinen blanken Rosenschere durch die
-Sommerbeete wandelte, so schuf sie mit der klaren Feinfühligkeit<span class="pagenum"><a id="Seite_27">[27]</a></span>
-des Herzens auch Ordnung in der überschießenden
-Seligkeit des jungen Lebens. Und die Regel,
-in die sich dies Leben hineinlief, hieß: der Wille zum
-Glück.</p>
-
-<p>Nicht weit vom Hause lag eine Sandgrube, die war
-voll Sonne, und um ihre Säume wob der Sommer
-blühende Borden. Da standen die Kerzen des Natterkopfs,
-und an jeder brannte ein Dutzend blauer Flämmlein
-und leuchteten über die goldene Einsamkeit der Sandhalde.
-Da war ein Wildrosenbusch, da war purpurner
-Steinklee &ndash; es brachte jeder Monat ein paar Hände voll
-neuer Blumen, es brachte auch jeder dem Buchwald eine
-neue Farbe des Kleides, und zuletzt den scharlachenen
-Königsmantel. Und als das große Rauschen der Wälder
-gekommen war, fuhr der Wind über den Sandbruch
-hinweg, und es war, als hätte sich aller Sommersonnenschein
-in der Kuhle gesammelt.</p>
-
-<p>Das Zinzilein war über diese Wahrnehmung ganz
-außer sich vor Freude, kletterte hinab in den gelben
-Trichter und sah zu, wie der Wind droben an den Rändern
-die bunten Blätter als Kreisel trieb. Er jagte ihrer gleich
-hundert auf einmal in wirrem Tanze dahin, immer auf
-dem schmalen Rande &ndash; wenn eins davon an den Hang
-entwischte, durfte es nicht mehr mitspielen; denn in dem
-Trichter war es still und warm wie an einem schönen
-Sommertage. Da sagte das Zinzilein: der Sandbruch
-wäre ihr goldenes Haus; aber die Mali meinte, das Haus
-hätte ja kein Dach, also wäre es keins. So genau ginge<span class="pagenum"><a id="Seite_28">[28]</a></span>
-das nicht, sagte wieder das Zinzilein, wurde aber auf
-einmal schweigsam und patschte mit seinen kleinen Händen
-die Mauern der Sandburg fester, die sie während der
-vorigen Tage gebaut hatten. Nach einiger Zeit sagte es:
-»Mali, es ist ein Loch, und es ist voll Gold &ndash; und
-wenn es kein Haus sein kann, so ist es ein Brunnen;
-denn ein Brunnen hat auch kein Dach.« &ndash; »Aber in
-einem Brunnen ist Wasser,« wußte die Mali. &ndash; »Haha,«
-lachte das Zinzilein, »in unserem ist etwas viel Feineres
-&ndash; guck nur, es ist ein ganz goldener Brunnen!« Da
-guckte die Mali und fand das nun wirklich.</p>
-
-<p>Von Stund an hieß der Sandbruch der Goldbrunnen.
-Zwar &ndash; dies Wort hatte zuerst die Tante Veronika ausgesprochen,
-als sie ihr erzählten, was sie heute miteinander
-geredet hätten; aber das Zinzilein hatte doch die ganze
-Sache erfunden. &ndash; Der Wildrosenstrauch hatte nun Hagebutten
-mit schwarzen Mützen, und die Mali lehrte davor
-das Zinzilein das Lied von dem Männlein, das still und
-stumm im Walde steht und sein Mäntlein aus lauter
-Purpur umhat. Der Gesang der Mali war scheußlich, aber
-das Lied war fein.</p>
-
-<p>Manchmal ging auch Tante Veronika mit in den Goldbrunnen.
-Zuvor war sie über den farblosen Schacht nie
-erfreut gewesen, der mit in ihrer Umzäunung lag, aber
-nun waren die Kinder darin vor allen Einbrüchen und
-vor der Zerstörungswut junger Dorfgenossen sicher. In
-den Tagen des Herbstes sammelten Veronika und
-Zinzilein Samen von hundert Blumen, und das Zinzilein<span class="pagenum"><a id="Seite_29">[29]</a></span>
-kroch an den Hängen des Goldbrunnens herum, schaufelte
-da und dort ein Loch und legte Samen und bessere Erde
-in den Sand und wollte auch gleich warten, bis es
-wüchse.</p>
-
-<p>Als wieder Tage voll Sonne den pfeifenden Bergwinter
-vertrieben und die Kätzchenweide im Goldbrunnen
-schon Wolken gelben Blütenstaubes in den Frühling warf,
-spazierte der Jockele auf eigenen Füßen in den Sandbruch,
-kam aber nicht weit über den Rand, an dem im
-Herbste die bunten Buchenblätter gelaufen waren; denn
-dann geriet er ins Kugeln und schoß kopfüber kopfunter
-auf den Grund des Trichters. Das war eine peinliche
-Geschichte, hätte ihn aber keine Träne gekostet, wenn
-die Mali und das Zinzilein nicht mit so schrecklichem
-Schreien hinterdreingelaufen wären, als müßten sie nun
-alle seine Beinchen zusammensuchen.</p>
-
-<p>Darüber merkte der Junge, daß etwas mit ihm passiert
-sei, aber er hätte es mit jungmännlicher Tapferkeit getragen,
-wenn die beiden Mädchen nicht in ein erlösendes
-Lachen verfallen wären, als er sich den langen Weg mit
-verständnislosen Augen betrachtete, den er in Purzelbäumen
-durchmessen hatte. Da begann er ein gefährliches
-Heulen, bis man ihm den Sand aus Mund und Nase
-gewischt hatte und ihm aus sorgenden Herzen versicherte,
-daß er noch ganz sei.</p>
-
-<p>Im Jahre darauf hatte er schon ein Holzschwert und
-lief dem Zinzilein damit entgegen, wenn es aus der
-Schule kam.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_30">[30]</a></span></p>
-
-<p>Als er diesen Weg in die Welt zum ersten Male
-schritt, hatte er gleich einen Kampf zu bestehen. Auf dem
-Anger vor dem Hause des Herrn Peter Squenz sonnte
-sich nämlich eine Gänsemutter mit ihren sechs Kücken.
-Die Kinder stiegen so sachte daran vorüber, auf einmal
-ward der Hals der alten Gans zu einer zischenden Schlange
-und schoß ihnen entgegen. Das Zinzilein überkam der
-Schreck, aber der Jockele riß sein Schwert aus dem Gürtel
-und fuchtelte damit bedrohlich in der Luft herum. Da
-mußte die Frau Peter Squenz kommen und ihn retten.</p>
-
-<p>»Ha!« sagte er mutig, als ihn die Squenzin wieder
-auf sicheren Grund gestellt hatte &ndash; »ha!« Aber in diesen
-Ruf der Tapferkeit gewitterte es sachte aus überstandenen
-Fernen.</p>
-
-<p>Der Goldbrunnen erhielt in den folgenden Jahren das
-Aussehen eines Bahnhofsneubaus. Man konnte dabei
-aber auch an die Anlage einer Kupfermine denken.</p>
-
-<p>Als Jockele dann in die Schuljahre hineinwuchs,
-standen ihm die Sandburgen, die unter jedem Gewitterregen
-einstürzten, nur noch in lächelnder Erinnerung;
-denn da hub er ein lebensgefährliches Graben in der
-Sandkuhle an … Holzhauer hatten beim Stöckeroden
-am Saum einer Waldau ein Hockergrab gefunden, dazu
-Waffen und Urnen. Deshalb wollte auch er in forschendem
-Eifer ein Stück Weltgeschichte zutage wühlen.</p>
-
-<p>Das betrieb er, bis er einmal die Schule vergaß und
-Tante Veronika selbst sich auf den schwierigen Weg in den
-Goldbrunnen machte. Da kroch er aus den Röhren im<span class="pagenum"><a id="Seite_31">[31]</a></span>
-Sande wie ein Fuchs aus dem Bau, und die Tante hatte
-Gelegenheit, ein bißchen Wildwuchs zu beschneiden. Das
-Zinzilein war in dem Sandbruch nun schon ein seltener
-Gast geworden, und die Mali war seit Jahren nicht mehr
-hinabgestiegen. Da nahm der Jockele in Jungenweise
-überhand. Aber in dieser Stunde bewährte sich die Erziehungskunst
-der alten Dame wieder einmal ausgezeichnet&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Ich hätte Dir sagen sollen, daß solch eine wilde Hantierung
-für einen Jungen gefährlich ist. Hast Du denn
-gar nicht daran gedacht, daß die Sandmassen über Dir zusammenbrechen
-könnten?«</p>
-
-<p>»O ja,« sagte der Jockele, »wenn jemand darauf
-herumliefe, könnte das wohl sein.«</p>
-
-<p>Da leitete sie ihn zu einer besseren Erkenntnis, und
-dann mußte er sein Ränzlein überhängen und in die
-Schule gehen, die schon längst angefangen hatte.</p>
-
-<p>Das war eine furchtbar peinliche Geschichte; denn als
-er über die Schwelle trat, spießten ihn die Blicke aus hundert
-Augen auf; und als er dem Lehrer berichtete, wie er
-zu der Verspätung gekommen, brandete ein Lachen aus
-fünfzig Kinderkehlen um ihn, daß es ihm ganz rosenrot
-vor den Augen wurde. Während er dann auf seinem
-Bänklein saß, sauste ihm ein Sturm in den Ohren, als ob
-er die große Seemuschel von Tante Veronikas Wandbrett
-daranhielte.</p>
-
-<p>Aber ein Gutes hatte diese Sache doch: er bekam an
-jenem Tage die Taschenuhr, deretwillen er sich schon lange<span class="pagenum"><a id="Seite_32">[32]</a></span>
-um ein paar Jahre älter gewünscht hatte &ndash; nun hörte
-er auf einmal die Zeit laufen in richtigen kleinen Schritten,
-deren jeder eine Wegstrecke vorwärts bedeute. Und das
-war an dem gleichen Tage, an dem er darüber nachdenken
-lernte: Tod und Leben stünden so dicht beieinander, daß
-oft nur eine Handvoll Sand zwischen beiden wäre …
-Und er hatte immer gedacht, vom Leben zum Tode wäre
-es weiter als bis an das blaue Gewölbe des Himmels,
-das kein Adler und kein Zeppelin erfliegen könne.</p>
-
-<p>Die Wahrsager im Dorfe waren darüber entweder hinweggestorben,
-oder sie getrauten sich nicht, ihre wilden
-Prophezeiungen aufrechtzuerhalten; denn der Jockele war
-ein über die Maßen manierlicher Junge geworden,
-er brach ihnen weder in die Hühnerställe, noch schnörrte
-er den Leuten die kleinen Fenster in den Giebeln und
-Dächern mit der Steinschleuder in Stücke; und wenn ein
-paar Schlingel vom Förster bei dem Stellen von Leimruten
-und Sprenkeln abgefaßt wurden, so war der Jakobus
-Sinsheimer nie dabei. Manchmal gab es zwar auch ein
-wildes Fahren durch den Bergwald, aber nicht zu oft;
-denn die Kinder in dieser köstlich grünen Welt blühen wie
-die Nägelein in den Scherben auf den Fenstersteinen: sie
-puddeln sich über der Heimarbeit die roten Backen zum
-Teufel, oder es löscht ihnen im halben Licht der Stuben
-der Glanz aus den Augen, und die Wälder und dunkelblauen
-Berge ihrer Heimat stehen vornehmlich in ihrer
-Sehnsucht. Dem Jockele aber sprudelten die Quellen entgegen
-und &ndash; unerhört: er badete sogar darin. Dies zuzulassen,<span class="pagenum"><a id="Seite_33">[33]</a></span>
-war auch eine solche Lästerlichkeit des Fräuleins
-Sinsheimer! … Der Jockele durfte mit dem Zinzilein
-und der Mali durch den jauchzenden Hochwald streifen,
-so oft er wollte. Oder er ging mit einem Forstgehilfen
-zwischen Tag und Dunkel, wenn nur über dem Hörselberge
-noch eine Flamme Licht im Verleuchten war und
-wenn die Nebel in feinen Gespinnen in den Wipfeln
-hingen, und sah die Hirsche heraustreten und hörte sie
-ihren königlichen Brunftschrei über die Grenzen ihres
-Reiches schlagen &ndash; ah, du dunkelgrüne, du starke, du
-einzige Thüringer Erde!</p>
-
-<p>Um diese Zeit lief der Jockele den Dorfjungen aus den
-Händen. Es war ein so kümmerliches Blühen des Geistes
-und Herzens um sie, und sie rochen nach Leim und Stube
-&ndash; was soll einer damit anfangen?</p>
-
-<p>Das alte Fräulein, das nun ganz weiße Scheitel hatte,
-hielt alles Leben im Hause weiter in ihren sicheren Händen.
-Manchmal gab es eine freundschaftliche Unterredung
-über den Jockele mit dem Zinzilein; denn dieses
-war nun ein ›Fräulein‹ geworden, litt an einer verzärtelnden
-Liebe zu dem Jungen und dachte, es müsse den
-›Kleinen‹ aus der tiefen Hingabe ihres Herzens heraus
-noch beraten wie damals, als er im Kittelchen in der
-Sandgrube Kuchen buk. Mit solch mütterlichem Behaben
-drohte sie oft die ganze Pädagogik der Tante über den
-Haufen zu werfen.</p>
-
-<p>»Du mußt nicht meinen, Du hättest ein Mädchen vor
-Dir,« sagte dann die Tante; »ein Junge, der unter der<span class="pagenum"><a id="Seite_34">[34]</a></span>
-ängstlichen Fürsorge von lauter Frauen aufwächst, läuft
-Gefahr, unter die Räder des Lebens zu kommen. Ich
-habe es deshalb von frühester Kindheit mit dem Jockele
-anders angefangen als mit Dir. Ein Junge muß einmal
-in der Welt stehen und muß sich ein Stück dieser Welt erobern
-können.«</p>
-
-<p>Die Dorfschule reichte für den Jungen längst nicht
-mehr zu. Tante Veronika spannte ihn immer eine Stunde
-des Tages noch zur Fahrt durch das Reich ihrer Bücher
-ein. Sie hatte sich da einen klugen Plan zurechtgedacht,
-und weil sie selbst in allen Werken, die auf dem Regale
-standen, wohl beschlagen war, ging Jockele willig in dem
-Geschirr und nahm gegen die alte Dame nicht überhand.
-Als er auf einen Physikband verfiel, richtete er sich in dem
-Gartenhause, das aus Stein war und ein Fenster hatte,
-und in dem es sich sehr traulich lebte, eine Werkstätte zu
-allerlei Hantierung ein.</p>
-
-<p>Einmal baute er wochenlang an einer Lokomotive,
-eine Konservenbüchse mußte dabei die Rolle des Dampfkessels
-übernehmen. Danach galt es, ein Flugzeug zu
-erdenken, natürlich von so kühner Bauart, wie sie den
-Fachleuten noch nie eingefallen war. Und als er aus
-einem Automaten eine apfelgroße Weltkugel erstanden
-hatte, die mit Schokolade gefüllt gewesen war, hing
-er sie an einem Faden an die Decke des Gartenhauses,
-und die Frauen mußten kommen und sich die Sache ansehen.
-Das Fenster stellte die Sonne vor, und Jockele
-löste an der im Raume schwebenden Erdkugel der Mali<span class="pagenum"><a id="Seite_35">[35]</a></span>
-das Geheimnis von Tag und Nacht. Zur größeren Anschaulichkeit
-hatte er die Schattenseite ein bißchen mit
-Ofenruß angestrichen.</p>
-
-<p>Er hatte in dem Gartenhaus überhaupt hundert Dinge
-aufgestapelt: wunderlich gewachsene Hölzer, die die Form
-von Köpfen hatten, der er dann immer ein wenig nachhalf,
-bis die Mali sich vor ihnen entsetzte; dazu Versteinerungen,
-sauber aufgespannte Schmetterlinge, die sich in
-einem Kasten mit einem Glasdeckel befanden, und zu denen
-er nach den Büchern der Tante die Namen geschrieben
-hatte; Raupenhäuser, in denen er den Wandel der Würmer
-zum Falter beobachtete; ein Fischglas und ein Terrarium
-mit Eidechsen, einer Blindschleiche und einer Ringelnatter.</p>
-
-<p>Damit die Bergwinter seinen Eifer nicht unterbrachen,
-war der einzige Raum des steinernen Gartenhäusleins
-auch mit einem kleinen Ofen versehen worden.</p>
-
-<p>Je mehr er in das betriebsame Jungentum hineinwuchs,
-desto sicherer entglitt er den Einflüssen der sehr
-sanften Mädchenhaftigkeit, mit denen das Zinzilein um
-ihn war.</p>
-
-<p>Tante Veronika bemerkte das mit Genugtuung; denn
-das Behaben des Zinzilein zu dem Jungen war ganz
-voll von der Rätselhaftigkeit der Liebe, die in ihrer Maßlosigkeit
-gar nicht anders bezeichnet werden kann als hingebungsvolle
-Eigensucht. Es schien fast, als vereinsame
-das Zinzilein über seiner Liebe zu dem Jungen, weil er
-nun so von ihr fortwuchs.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_36">[36]</a></span></p>
-
-<p>Sie sagte das Veronika auch. Aber die Tante blieb
-bei ihrer wunderlichen Ansicht: das müsse so sein. Im
-übrigen ließ sie sich auf Erklärungen nicht ein, hütete sich
-dem Jungen gegenüber ängstlich vor aller Schulmeisterei
-und sorgte dennoch, daß sie ihm an der Hand ihrer Bücher
-von Zeit zu Zeit ein neues Wissensgebiet erschloß. Er
-ging auf alles mit begieriger Freude ein, aber von der
-Sorge, die Veronika in dieser Zeit des flüggen Jungentums
-am meisten beschäftigte, sagte sie dem Zinzilein gar
-nichts. Und dennoch schlief die Sorge nie ganz ein, es
-möchten sich eines Tages an Jockele vererbte Eigentümlichkeiten
-zeigen, denen gegenüber alle Erziehung und
-Liebe ohnmächtig wären. Aber diese Bangigkeit nagte
-nicht an ihr und quälte sie nicht; denn sie war ihr in Wahrheit
-gegen ihre Ueberzeugung gekommen in einer Zeit,
-die ganz voll war von der Mechanikerweisheit der Vererbung.
-Und dafür fand sie zu ihrem Erstaunen eines
-Tages auch bei dem Menschheitslehrer Goethe eine Belegstelle
-&ndash; »Man könnte erzogene Kinder gebären, wenn
-die Eltern erzogen wären&nbsp;…«</p>
-
-<p>Darüber geriet sie von neuem ins Raten. Aber trotz
-aller Mühe, die sie sich gab, konnte sie diese Verse nicht
-ganz zu ihrer Ansicht umdeuten, daß eine in allen Stücken
-vollkommene Erziehung die geistige und sittliche Verfassung
-eines Menschen aller Vererbung zum Trotze bestimme.</p>
-
-<p>Tante Veronika hätschelte den Gedanken solchen unerkannten
-Königtums der Erziehung mit eifersüchtiger<span class="pagenum"><a id="Seite_37">[37]</a></span>
-Liebe als die köstlichste Erkenntnis ihres Lebens &ndash; und
-nun wälzte ihr gar Johann Wolfgang einen Fels in
-den Weg! Zwar: er setzte damit auch der Erziehung eine
-der vielen Kronen auf, die seine königliche Hand zu vergeben
-hatte, aber … Und dies Aber blieb stehen und
-rumorte in Winkeln ihrer Seele herum, die Jahrzehnte
-in wundervoller Sonnenruhe gelegen hatten.</p>
-
-<p>Doch &ndash; eine sechzig Jahre alte Dame läßt sich schwerer
-umstimmen als ein sechshundert Jahre altes Klavier. Und
-das war in diesem Falle ein großes Glück.</p>
-
-<p>Wunderlicherweise war es das Zinzilein, das die
-Frage zuerst aufwarf, was einmal aus dem Jockele
-werden solle. Das kam daher, daß der Gedanke in dem
-Mädchen Wurzel geschlagen hatte: ein Junge müsse geschickt
-werden, sich ein Stück Welt zu erobern. Wie er
-das in Ibenheim anfangen sollte, war nicht leicht zu
-denken.</p>
-
-<p>Tante Veronika war in diesem Falle von einer unerforschlichen
-Sorglosigkeit und sagte:</p>
-
-<p>»Zuerst und vor allem muß er ein Mensch werden.
-Es ist falsch, einen Jungen für einen Beruf zu bestimmen,
-weil er im Spiele diese oder jene Neigungen
-zeigt. Solche Neigungen sind wichtig, aber es geht nicht
-an, darin in verliebtem Stolze gleich einen Weg fürs
-Leben zu erkennen.«</p>
-
-<p>Das Zinzilein meinte, Naturforscher wäre für den
-Jockele das Richtige, und dachte sich etwas ganz Närrisches
-dabei.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_38">[38]</a></span></p>
-
-<p>Eines Wintertags, als alle Quellen des Lichts aus dem
-geschliffenen Späthimmel brachen und es aussah, als wäre
-die Himmelsglocke zertrümmert worden, weil der Sonnenball,
-siebenmal größer als sonst, in seiner leuchtenden
-Majestät anders nicht hätte durch die Tore ziehen können,
-schlug der Jockele seinen Farbekasten auf und pinselte das
-königliche Spiel des Verleuchtens auf ein weißes Papier.
-Er saß am Fenster des Gartenhauses, sein Tisch war eine
-alte Hobelbank, an der in grauen Zeiten Tante Veronika
-ihre Rosenpfähle selber zugerichtet und grün angestrichen
-hatte &ndash; da fiel das gewaltige Flammenwerk des Himmels
-in seine jauchzenden Augen. Er wußte kaum, was er tat
-&ndash; es war ihm, er stünde davor mit hoch, hoch emporgestreckten
-Armen und wäre ganz nackt; denn alle Armseligkeit
-des Irdischen fiel darüber von ihm ab &ndash; und
-hätte ein Schauen in eine andere Welt. Aber er saß
-doch an der braunen Hobelbank, inmitten tausend kleiner
-Dinge, die er dem Alltag aus den Händen genommen,
-und strich in Selbstvergessenheit die Farben auf das
-Papier.</p>
-
-<p>Und dann war es ein recht armseliges Machwerk geworden
-&ndash; es fehlte darin kein Licht, aber es fehlte das
-Leuchten … Die Himmelsfreude seiner Augen war ausgelöscht
-auf der Spanne Weges durch den Pinsel! Darum
-sah sein Sonnenuntergang so verbrecherisch aus, als hätt'
-ein Dorfjunge, der dem Puppenmaler zugesehen, einen
-Haufen farbiger Kreidestücke an der schneeweißen Haustür
-der Tante Veronika probiert. Scheußlich!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_39">[39]</a></span></p>
-
-<p>Er warf den Pinsel hin und verlor sich mit seinen
-Gedanken wieder in das letzte Scheinen, das noch
-ferne stand.</p>
-
-<p>Es waren nun Wolken in wunderlichen und wilden
-Bildern über den Saum der Erde gekrochen und fraßen
-den königlichen Glanz. Endlich waren nur noch zwei
-Oeffnungen in der Finsternis. Durch diese konnte man
-hineinsehen in glutrote Weiten&nbsp;…</p>
-
-<p>In diesem Augenblicke zerriß ein schwarzer Vorhang
-vor einer Kammer seines Herzens, und was ihm kein
-Mund eines Menschen erklärt hatte, ging in seiner Seele
-auf als eine rote stille Flamme: er erriet ein Stück der
-Götterlehre der Germanen, die von den Gipfeln dieser
-Berge, so wie er jetzt, durch die Türen des Himmels geschaut
-und ein machtvolles Wandern von Gestalten gesehen
-hatten, die dort in einem großen Lichte gingen. Und weil
-die Vorfahren noch nichts von der Welt kannten, als was
-sie mit ihren Sinnen erfaßten, deuteten sie sich das Gesehene
-und sagten: es ist das ewige Leben in jenem großen
-Leuchten, und sie nannten es Walhall&nbsp;…</p>
-
-<p>Da fiel der rauhe Ruf des Mädchens Mali in den
-Sternenflug seiner Gedanken. Es war die Zeit des Nachtmahls,
-das sehr früh genommen wurde.</p>
-
-<p>Auf seinem Gesichte lag noch der Widerschein des
-heiligen Feuers. An anderen Abenden nahm er sich mit
-wißbegierigen Augen gleich beim Eintritt ins Zimmer
-von den aufgetragenen Speisen einen Teil des Wohlbehagens
-hinweg, in das sich sein gesunder Jungenappetit<span class="pagenum"><a id="Seite_40">[40]</a></span>
-hineinzuessen gedachte &ndash; heute stand er diesen Dingen
-gleichmütig gegenüber wie noch nie.</p>
-
-<p>Das Zinzilein, das gewöhnt war, alle seine Begeisterungen
-und Enttäuschungen mitfühlend zu durchleben, als
-wär's ein Stück von ihm, ein großes Stück, trat gleich ohne
-anzuklopfen mitten in ihn hinein&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Na,« fragte es.</p>
-
-<p>»Ich habe ein großes Erlebnis gehabt!« sagte er mit
-Wichtigkeit.</p>
-
-<p>»Wahrhaftig &ndash; es ist noch ein ganz fremder Klang in
-Deiner Stimme!«</p>
-
-<p>»Ich wünschte, ich könnt' Euch alles halb so schön
-sagen, wie ich es gedacht habe! Aber es geht nicht. Wenn
-ich erzählen wollte, würde es geradeso herauskommen wie
-der Sonnenuntergangshimmel, den ich zu malen versucht
-habe. Ich wette, ich habe jedes Licht auf dem Papier,
-und ist dennoch eine abscheulich schlechte Sache … es sieht
-aus wie die bunte Kaffeedecke, als sie das Mädchen
-Malchen mal abgekocht hatte, und sollte doch der Himmel
-werden &ndash; der herrlichste Abendhimmel, der je über der
-Erde gestanden hat!«</p>
-
-<p>Er redete da in Worten, wie er sie vordem nie gebraucht
-&ndash; jedes hatte Flügel, und seine Augen hatten den
-Glanz großer Sterne.</p>
-
-<p>Dann lockte das Zinzilein Walhalls Entdeckung aus
-ihm heraus.</p>
-
-<p>Er redete sich darüber in fernschauende Vergessenheit,
-aber es ward zuletzt doch nur ein Bild ohne den überirdischen<span class="pagenum"><a id="Seite_41">[41]</a></span>
-Glanz, in dem seine Träume durch die Dämmerung
-gezogen waren. Das kam auch von der Scheu, vor
-den prüfenden Blicken der Tante und des Zinzilein alle
-Hüllen von der Seele zu werfen.</p>
-
-<p>Darüber ward er schweigsam. Das Essen geschah ohne
-die begeisterungsvolle Hingabe, zu der er sonst imstande
-war, und er sah aus wie einer, der eine Erscheinung
-gehabt hat. Er war in der Dämmerung dieses Wintertags
-in einen neuen Abschnitt seines Lebens gesprungen.</p>
-
-<p>Vor dem Schlafengehen nahm er sich das Zinzilein
-noch einmal zur Seite und sagte: »Du, das quält mich!
-Lach' aber nicht! … Es ist heute so etwas in mir aufgegangen
-&ndash; weißt Du, gerade wie damals, als die Schauspieler
-im Dorfe waren … Wir saßen in dem ganz
-finsteren Saale, auf einmal rollte der Vorhang empor &ndash;
-es blühte ein schöner Rosengarten dahinter und stand alles
-in so warmem Lichte … Jawohl, so ist es in mir gewesen!
-Zinzilein, sag es mir: ist das die Seele?«</p>
-
-<p>Gott, wie purzelten ihm die Worte klug und unbeholfen
-über die Lippen!</p>
-
-<p>Aber wenn er das alles hätte Veronika sagen sollen,
-wär' es noch reichlich dümmer geworden.</p>
-
-<p>Das Zinzilein geriet an dieser Frage des großen Erwachens
-in Herzensnot. Es merkte: der Junge wollte
-eine sichere Rede hören über Dinge, die ihr selbst bis zu
-dieser Stunde nur unsichere Gedanken gewesen waren.
-Wie sollte sie denn das anfangen, ohne sich Jockeles
-Achtung und Liebe zu zertrümmern?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_42">[42]</a></span></p>
-
-<p>»Ja,« sagte sie aus großer Bedrängnis heraus, »das
-ist die Seele!«</p>
-
-<p>»Das hab ich mir gedacht,« sagte er in aufatmender
-Befriedigung. »Ist Dir das auch so gegangen?«</p>
-
-<p>»Aehnlich wird es wohl gewesen sein,« lächelte das
-Zinzilein. »Aber weißt Du, das sind Dinge, über die man
-erst klug reden kann, wenn man viel älter geworden ist.
-In der Jugend ist es genug, wenn man weiß, es ist etwas
-da, das einen von innen so warm und hell anscheint wie
-die Sonne von außen.«</p>
-
-<p>Das war das erlösende Wort! Es fiel in den Jungen
-aus einer großen Not ihres Herzens, das an diesem Abend
-jedem seiner Gedanken und Blicke treues Geleit gegeben
-hatte. Und darum fand sich's nun so auf Zinzileins
-Lippen, just wie es das drängende Begehren des Knaben
-brauchte, das plötzlich an dem Uhrwerke des Lebens
-herumzuraten begann.</p>
-
-<p>Als der Jockele, der schon seit Jahren allein in der
-Giebelstube schlief, zu Bett gegangen war, geriet das
-Zinzilein in ihrer Bedrängnis an Tante Veronika. Die
-saß in der warmen Behaglichkeit ihres Lehnstuhls,
-aber als das Mädchen das fremde Geschütz auffuhr,
-griff Tante Veronika mit der einen Hand nach der
-Krücke des gelben Stockes, an dem sie nun aus einer
-alten Familiengewohnheit heraus zu gehen pflegte,
-und mit der anderen glitt sie so langsam über das
-Gesicht, als müßte sie sich ein bißchen lächelnde Verlegenheit
-abwischen&nbsp;…</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_43">[43]</a></span></p>
-
-<p>Es wurde an diesem Abend länger und gefühlvoller
-gesprochen als sonst, ohne daß es zu Entdeckungen von
-grundlegender Bedeutung über das Wesen der Seele gekommen
-wäre.</p>
-
-<p>Seit dieser Zeit beschied sich Jakobus nicht mehr damit,
-vorgedruckte Bilder auszutauschen, sondern er suchte
-Farben und griff nach dem Himmel.</p>
-
-<p>Darüber wurde das Zinzilein von einem grausamen
-Lachen befallen und sagte: kleine Kinder machten es geradeso
-&ndash; sie langten zuerst nach den schönen goldenen Nägeln
-des Firmaments, dann aber spielten sie mit Steinen und
-schlechtem Sand! Ob denn auf der <em class="gesperrt">Erde</em> nicht etwas
-wäre, und nicht so voll von unmalbarem innerlichen
-Glanze wie die Wunder des Himmels? Sie könnte ihm
-zwar weiter nichts helfen als sehen … »Guck,« sagte sie,
-»da steht draußen der Zaun aus lauter braunen Stänglein,
-steht vor dem blauen Tuche des Himmels und hat sich
-so viele kleine Mützen aus frischem Schnee aufgesetzt …
-könnte man das nicht malen?«</p>
-
-<p>Himmel, was solch ein großes Mädchen für herrliche
-Einfälle hat! &ndash; Da war das Zinzilein schon aus dem
-Gartenhause gesprungen, kam aber gleich wieder, schwang
-ein blaues Papier und sagte: die Sache wäre einfach
-genug &ndash; er brauchte den Himmel nicht einmal zu malen;
-denn da wäre er schon!</p>
-
-<p>Die Tante lobte ihn danach mit Maßen und sagte:
-wenn er hundert solche und ähnliche Dinge vor der Natur
-weggenommen, werde er große Geheimnisse entdecken. &ndash;<span class="pagenum"><a id="Seite_44">[44]</a></span>
-Das war ein Rätselspruch von der Art jener, die die verschleiernde
-Kunst der Pythia geliebt hatte! Einer, der
-vor einem großen Werke steht ohne den heiteren Glauben
-an seine Kraft, kann sich darüber verbluten.</p>
-
-<p>Das Zinzilein verlangte mehr Lob für den Jockele,
-aber Tante Veronika überhörte das gute Wort gänzlich.</p>
-
-<p>Die beiden letzten Schuljahre des Jungen wurden von
-ihr sehr ernst genommen, die Naturgeschichte und Malerei
-schienen dabei geflissentlich übersehen zu werden und
-blieben für die Sonntage und die Ferien.</p>
-
-<p>Veronika hatte auch eine lateinische Grammatik ungemein
-ehrwürdigen Alters unter ihren Büchern entdeckt,
-die war voll Genusregeln von klappriger Enthaltsamkeit
-des Geschmacks und Geistes. Dazu ein Uebersetzungsbuch
-von Ostermann für Sexta, das bibliophilen Wert hatte;
-denn es war eines der ersten Exemplare der ersten Auflage
-und trug eine vergilbte Einschrift des Verfassers für
-den Vater der Tante Veronika.</p>
-
-<p>Jockele, der sich ausrechnete, daß dieser Vater um jene
-Zeit gut hundertzwanzig Jahre hätte zählen können, ahnte
-beim Anblick der greisenhaften Würde des Buches zum
-andern Male seine Seele &ndash; diesmal in einem fröstelnden
-Erschauern.</p>
-
-<p>Dann kam über die alte Dame eine fast heftige Betriebsamkeit
-im Latein. Gleich zu Anfang aber forderte
-der Junge Frist zu einem Privatschnaufer der Verwunderung,
-weil die Tante das nun auch noch konnte. Allein,
-sie gestand ohne Umschweife, daß es mit ihrem Latein<span class="pagenum"><a id="Seite_45">[45]</a></span>
-hapere. Doch &ndash; das kannte der Jockele! Nichts als übertriebene
-Bescheidenheit! Und er war geneigt, jede Wette
-einzugehen, daß der Professor Sinsheimer, der an dem
-gelben Krückstock durch die Straßen Bremerhavens gestabt
-und dessen Werk die Tante Veronika war, an ausbündiger
-Gelehrsamkeit zugrunde gegangen wäre.</p>
-
-<p>Während dieser letzten Schuljahre stand der Jockele
-der Grammatik und dem Uebungsbuche mit frostigem
-Herzen gegenüber, er lernte, weil er sollte, und niemand
-im Hause wußte eigentlich recht, wozu. Selbst Tante
-Veronika war froh, als sie dem Jungen erklären konnte,
-nun sei es mit ihrem Latein zu Ende. Das war an dem
-Tage, an dem sie die letzte Seite des Ostermanns für
-Sexta umschlugen.</p>
-
-<p>Danach kam die heitere Ruhe des Frühlingshauses
-ein wenig ins Wanken, es war ein wunderliches Drängen
-nach außen. Zuerst ging die Schulzeit des Jockele zu
-Ende, und es richteten sich allerlei Fragen steil und
-nüchtern vor dem innigen Beisammensein auf. Sie forderten
-die Antwort nicht von einem Tage zum anderen,
-aber sie schoben bei jeder unpassenden Gelegenheit den
-Kopf zwischen die drei Menschen und sagten: »Na, wie
-wird das?« Und sie wären noch viel hartnäckiger gewesen,
-wenn das Zinzilein nicht um diese Zeit maienseliger
-Erdenfreude von einem Forstgehilfen schön gefunden
-worden wäre. Weil der nicht das Töchterlein
-des Holzhauers und Puppenmachers Laufer, den er im
-Walde an die Arbeit zu stellen hatte, sondern das Ziehkind<span class="pagenum"><a id="Seite_46">[46]</a></span>
-der feinen alten Dame ehelichen wollte, war ihm von
-vornherein klar, er werde einen heillosen Sturm im Haus
-auf dem Hügel losmachen, der ihm die großen Klötzer
-nur so vor die Füße wirbelte.</p>
-
-<p>Die erste Betätigung dieser Liebe war das Interesse
-des jungen Forstgehilfen für den Jockele.</p>
-
-<p>Einmal auf einem Spaziergang, als auf den Waldgrund
-die braunen Knospenhüllen der Buchen herabschneiten
-und das brünstige Schauern der Frühlingserde
-sich an Quellen und Bachsäumen zu Bändern aus
-Vergißmeinnicht zusammenwob, schlug der Forstmann
-Matthias Prinz dem Jungen eine Tür auf, durch die er
-einen Blick in die Ferne tat &ndash; so weit hatte er nie sehen
-können, wenn Tante Veronika vor seinen Augen hinaus
-ins Leben deutete! Es waren in Matthias einige Erinnerungen
-aus verlorenen Lateinjahren wachgeworden.</p>
-
-<p>»Siehst Du,« sagte er zu Jockele, »das Latein, das ich
-nicht gelernt habe, hat mir die Hälfte meines Lebens
-verdonnert!«</p>
-
-<p>»Wie denn das?«</p>
-
-<p>»Nun, ich hätte Oberförster werden können und Forstmeister
-&ndash; aber an dem Latein bin ich hängen geblieben.«</p>
-
-<p>»Und wenn einer nicht Forstmeister werden will?«
-klügelte Jockele an dieser Rede herum.</p>
-
-<p>»Lern's Junge!« schrie ihm Matthias Prinz ins
-Gesicht und legte ihm beide Hände auf die Achseln, »und
-wenn Du's hundertmal nicht weißt, wozu Dir dies oder
-jenes nützen soll &ndash; raff zusammen in Deinen Frühlingsjahren,<span class="pagenum"><a id="Seite_47">[47]</a></span>
-was Du kannst, denn es könnte die Zeit kommen,
-da Du Gold daraus schlägst!« Nach dieser klingenden
-Rede fragte er kurz: »Was willst Du werden?«</p>
-
-<p>»Ich weiß es nicht. Wenn ich sehr fleißig bin, darf
-ich mir's noch drei Jahre überlegen; bin ich faul, muß ich
-in irgendeine Lehre.«</p>
-
-<p>»Junge,« sagte Matthias, »das ist ja großartig!&nbsp;…«</p>
-
-<p>Darüber waren sie an den Saum des Buchwalds gekommen,
-an dem die Umzäunung über dem Goldbrunnen
-dahinlief.</p>
-
-<p>Sie gingen ganz langsam dem Frühlingshaus entgegen,
-und Herr Matthias Prinz redete sehr laut und
-väterlich.</p>
-
-<p>Da lugte die Mali aus dem Küchenfenster, was es
-wäre, und gleich darauf trat Tante Veronika an dem
-gelben Krückstock heraus in die Sonne. Sie überschüttete
-die jungen Leute ganz mit der hellen Freude, die immer
-nicht genug Platz in ihren Augen hatte, und sagte, sie
-könne dem Herrn Matthias nun endlich danken für die
-Teilnahme, die er an der Entwicklung des Jakobus zeige.</p>
-
-<p>Herr Matthias Prinz aber redete sehr verbindlich und
-ehrfürchtig zu der alten Dame, von der alle einsichtigen
-Leute mit so heillosem Respekte sprachen, und fand sich
-auch geschickt zu der Behauptung, von der er dachte, sie
-werde sie am meisten erfreuen. Er sagte, sie hätte den
-Jockele zu einem sehr klugen und braven Jungen erzogen.</p>
-
-<p>Es lag aber nicht in der Art Veronikas, sich im Sturme
-nehmen zu lassen. Deshalb begegnete sie der prinzlichen<span class="pagenum"><a id="Seite_48">[48]</a></span>
-Begeisterung mit einer maßvollen und sicheren Liebenswürdigkeit;
-und als Matthias fragte, ob er bei Gelegenheit
-einmal in ihr Haus treten dürfe, entgegnete sie: »Ich
-werde mich darüber freuen; und dann wird Ihnen Jakobus
-in der Gartenhütte zeigen, wie er lernt, und Sie werden
-ihm sagen, daß ihm noch viel zu tun übriggeblieben ist.«</p>
-
-<p>Danach reichte sie ihm die Hand und wußte, daß aus
-diesen drei Minuten die größte Wandlung in ihrem Hause
-hervorwachsen würde, die seit dem Eintritt Jockeles darin
-gegeben war.</p>
-
-<p>Nichts an ihr verriet diese Erkenntnis, aber das Herz
-des Herrn Matthias Prinz hatte Schwingen bekommen
-und wirbelte mit ihm hinein in den Frühlingswald &ndash;
-die Finken rührten ihr Schlagzeug, als hätten sie Wachtparade,
-die Mönchsgrasmücke trug den Schellenbaum,
-und die wilden Tauber schlugen die große Trommel. Und
-der Herr Prinz &ndash; als wär er schon König geworden &ndash;
-bildete sich ein, die ganze Waldmusik hätte der Frühling
-extra für ihn losgelassen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Jockele stand auch über diesen Tag hinaus den Ereignissen
-mit Unbefangenheit gegenüber. Das Geheimnis
-der rosenroten klingenden Liebe war für ihn noch nicht
-erfunden, und er brachte nicht den ahnungslosesten Verdacht
-auf, daß er von dem Herrn Matthias als Sprungbrett
-zu einer himmelblauen Seligkeit benutzt würde.</p>
-
-<p>Gesprochen wurde nach Ansicht des Jockele von dem
-Forstgehilfen im Hause nur dann, wenn er selbst die Rede
-auf ihn brachte; Tante Veronika hatte mit sehr nachdrücklichen<span class="pagenum"><a id="Seite_49">[49]</a></span>
-Worten namentlich der Mali alles verboten,
-was für die Ohren des Jungen nicht paßte. Daß Mali
-und das Zinzilein in dieser Zeit oft recht geheimnisvoll
-taten, merkte er auch nicht &ndash; ein Junge merkt überhaupt
-nicht viel; er wühlte sich im Gartenhaus mit einer Wichtigkeit
-in seine Bücher, die er über den anderen Pflichten
-der Schule nicht einmal geahnt hatte.</p>
-
-<p>Darüber war auch der »Ostermann für Quinta« beschafft
-worden, an dem der alte Pastor in Jockeles Gemeinschaft
-jede Woche drei Stunden sein verblichenes
-Latein auffrischte.</p>
-
-<p>Als Herr Matthias nach einigen Wochen im Frühlingshause
-Besuch machte, beschränkte ihn die Tante wiederum
-für die Dauer von drei Minuten auf das Damenzimmer.
-Dann begleitete sie ihn vor das Gartenhaus, das Zinzilein
-guckte durch den Vorhang, und der Herr Matthias Prinz
-suchte mit seinen Augen über die Achsel der Tante hinweg,
-ob etwa aus diesem Fenster ein Sonnenschein fiele. Er
-redete dabei ausgiebig und bezeigte ein großes Interesse
-für die Anlage des Gartens.</p>
-
-<p>Veronika war auch davon nicht im geringsten überrascht
-&ndash; wer überhaupt dächte, sie hätte sich von Stund
-an in die Rolle des schätzehütenden Drachen eingelebt &ndash;
-ha, der würde Fräulein Sinsheimer sehr schlecht kennen!</p>
-
-<p>Sie liebte es, die Augen zu schließen, um besser sehen
-zu können, und war dem Zinzilein selbst in den wichtigsten
-Angelegenheiten der Liebe unbedingt vertrauenswürdig.
-Wenn der Jockele davon etwas hätte ahnen dürfen, so<span class="pagenum"><a id="Seite_50">[50]</a></span>
-hätte er gesagt: »Nun versteht sie das wahrhaftig auch
-noch!«</p>
-
-<p>Tante Veronika hatte gegen die Dinge, die sich nun
-im Frühlingshause vorbereiteten, nicht das geringste
-einzuwenden, aber sie wollte alles mit der ihr eigenen
-Delikatesse behandelt wissen.</p>
-
-<p>Sie fand es selbstverständlich, daß das Zinzilein gleich
-das neue Muster abhäkeln mußte &ndash; jetzt, am Sonntag
-mittag, und eine Stunde vor dem Essen! Und sie fand
-es durchaus natürlich, daß dies auf einem Platze hinter
-dem Vorhang des Fensters nach dem Gartenhaus hin
-geschah, an dem das Zinzilein sonst nie saß. Dabei blühte
-das Zinzilein wie eine Malve und war von weltumarmender
-Glückseligkeit. Und weil Tante Veronika
-wußte, daß solch ein Glück als Geheimnis tausendmal
-schöner ist, merkte sie von den musizierenden Engeln, die
-das Zinzilein umtanzten, gar nichts.</p>
-
-<p>Nach einiger Zeit ging die Gartentür &ndash; da stürzten
-sich alle anwesenden Engel dem Mädel ans Herz und
-läuteten damit, daß ihm angst und bange wurde.</p>
-
-<p>In der schönen Zeit dieses Jahres schlossen sich Herr
-Matthias Prinz und Jockele innig aneinander, wiewohl
-der Forstgehilfe beinahe noch einmal so alt war als sein
-junger Freund. Sie waren fast an jedem Tage beisammen.</p>
-
-<p>Weil Matthias keine Gelegenheit vorübergehen lassen
-durfte, die sehr umsichtig befestigte alte Dame zu erobern
-&ndash; und wenn sie mit Ketten an den Himmel gebunden<span class="pagenum"><a id="Seite_51">[51]</a></span>
-wäre! &ndash;, so machte er dem Jungen die Waldgänge zu
-fröhlich angeregtem Unterricht vor der Natur. Darüber
-wurde alles Glanz an dem, und er lief in seine ersten
-Jünglingsjahre, als wäre er der Blütenzauberer Frühling
-selber.</p>
-
-<p>Das Ebenmaß seines Wachstums geriet um diese Zeit,
-die zwischen den Zeiten steht, ein wenig in Unordnung,
-und die Glieder baumelten manchmal in der Welt herum,
-als wüßten sie nicht, was sie schlagen sollten. Das Zinzilein
-aber sagte in belustigter Uebertreibung, Arme und Beine
-hingen um ihn wie langgereckte Fragezeichen.</p>
-
-<p>Aus dieser Erkenntnis des Zinzilein erklärte er sich
-die merkwürdig fremden Augen, mit denen das Mädchen
-nun manchmal an ihm herumsuchte, als gingen sie Rätsel
-raten. Und es trat auch sonst eine Veränderung in ihrem
-Wesen ein; früher machten sie oft einen Ringkampf, zu
-dem sie ihn sogar herausforderte &ndash; jetzt wies sie das als
-eine ganz unmögliche Sache von sich, und er hatte doch
-gerade so große Lust dazu. Früher war sie ein Kind
-gewesen wie er, nun war sie über Nacht ein Fräulein geworden
-und war voller Geheimnisse. Früher sah man ihr
-an, daß sie das Leben des Jungen in allen Stücken zu
-dem ihren machte, jetzt wußte sie nicht einmal mehr in
-seinem »Laboratorium« in der Gartenhütte recht Bescheid.
-Und die natürlichste Sache von der Welt &ndash; nämlich daß
-sie der Jockele heiraten würde &ndash; schien ihr auf einmal
-ein kindischer Spaß, und sie lachte ihn aus. &ndash; »Davon
-verstehst Du noch gar nichts!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_52">[52]</a></span></p>
-
-<p>Einmal des Abends, als die sammetweiche Sommernacht
-durch die Fenster ins Zimmer stieg, trat auch das
-Zinzilein herein, und seine Augen flogen vor ihm her
-wie Leuchtkäfer; da nannte sie der Jockele »ein merkwürdiges
-Stück Naturgeschichte«.</p>
-
-<p>Er erzählte Tante Veronika, was er die Tage her von
-Herrn Matthias gelernt hatte, und das Zinzilein wurde
-darüber ganz Andacht.</p>
-
-<p>Des anderen Tages ging sie selber mit ihm in den
-Wald, und da mußte er ihr jede Seite des leuchtenden
-Sommerbuches umschlagen und mußte vorlesen, was
-darauf geschrieben war &ndash; nicht nur von den Arten der
-Blumen und Bäume und des vielerlei Getiers, sondern
-auch von der Forstwirtschaft wollte sie hören. Sie war
-fast fürchterlich in ihrem Wissensdrange.</p>
-
-<p>Da sagte Jakobus, sie solle nur einmal mitkommen,
-wenn er mit dem Herrn Matthias ginge. Aber das
-Zinzilein lachte ihn für diesen wohlmeinenden Vorschlag
-aus, und dies Lachen schlug einen Laden an seiner Seele
-auf, und es brach eine Fülle neuen Lichts in ihn. Ein
-Gedanke sprang ihm klingend ins Herz &ndash; da ward dies
-Herz voller Ahnungen. Das Zinzilein aber bückte sich
-rasch und strich mit der Hand über das grüne weiche
-Waldmoos&nbsp;…</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Polytrichum commune</em>, Goldhaar,« sagte ihr der
-Jockele.</p>
-
-<p>»Weißt Du das auch von dem Herrn Prinz?«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_53">[53]</a></span></p>
-
-<p>»Nein. Alles soll ich von dem Herrn Prinz haben! …
-Warum bist Du denn so rot geworden?«</p>
-
-<p>»Weil Du so grausam gelehrt bist,« log das Zinzilein.</p>
-
-<p>»Es wäre auch ein Name für Dich, Prinzessin Goldhaar!«
-scherzte der Jockele.</p>
-
-<p>Da wurde aus dem Zinzilein eine ungeheure blutrote
-Verwirrung; denn dieser Junge sprang ihr mit
-dem goldenen Wortspiele vom Prinzen und der Prinzessin
-mitten hinein in das Allerheiligste ihres Herzens,
-und es fehlte nicht viel, so ertappte er sie über heimlichem
-Opfer.</p>
-
-<p>Das Herz des Zinzilein schlug sich allgemach in das
-vorige Gleichgewicht; sie war aber kurz angebunden, und
-ihre Gedanken stolperten umher wie die Libellen mit den
-blauen und glasgrünen Flügeln.</p>
-
-<p>Von diesem Tage ab wurde das Verhalten Jockeles
-zu dem Herrn Prinz ein wenig anders. Aber nicht etwa
-respektloser, weil er hinter ein Geheimnis gekommen, oder
-gar mißtrauisch, sondern es wurde ein bißchen verwandtschaftlich.</p>
-
-<p>Der Himmel mochte wissen, wer dem Forstgehilfen
-das Märchen von der Prinzessin und dem Prinzen erzählt
-hatte &ndash; genug, er kannte es.</p>
-
-<p>Danach kam er eine ganze Woche nicht ins Frühlingshaus,
-weil er in einem sehr fernen Forste Vermessungen
-vorzunehmen und Arbeiten zu überwachen hatte &ndash; aber
-am nächsten Sonntag als schon die Mittagsglocke über<span class="pagenum"><a id="Seite_54">[54]</a></span>
-das Dorf läutete und der Jockele ahnungslos von irgendwo
-aus dem September kam, nahm ihn die Mali gleich an
-der Haustür in ihre Hände. Ihre Augen fielen ihn an
-wie zwei Sonnen, und sie zog ihn eilig in die Küche und
-war gar nicht bei sich.</p>
-
-<p>»Der Herr Prinz ist drinne!« zischte sie ihn an. »Er
-will das Zinzilein heiraten &ndash; alleweil sagt er's der
-Tante!«</p>
-
-<p>»Hab ich längst gewußt!« sagte Jockele so von oben
-herab, fiel aber gleich aus der Rolle, faßte die Mali unter
-und wirbelte sie ein paarmal durch die Küche. Dann
-gingen sie auf den Zehen, horchten manchmal ein bißchen
-durch den Türspalt und wisperten miteinander wie die
-Goldhähnchen im Winterwalde &ndash; alles als gäbe ihnen
-eine dunkele Ahnung ein: sie beide müßten nun zusammenhalten,
-da das Frühlingshaus langsam zu vereinsamen
-begann.</p>
-
-<p>Auf diese losgelassene Freude kam ein Augenblick, der
-wäre beinahe sehr feierlich geworden: die Tante trat in
-die Küche und sagte, der Herr Matthias Prinz speise heute
-bei ihnen zu Mittag; dann führte Veronika den Jockele
-in das Zimmer, das ganz voll Gold und Glück und weißer
-Vorhänge war &ndash; »Jakobus,« begann sie und gedachte
-in sehr schönen Worten von einer großen Freude zu reden.
-Aber das dauerte dem Jakobus zu lange, da ging er ihr
-durch und stürzte den beiden ans Herz.</p>
-
-<p>So hatte Herr Matthias Prinz das Wachstum dieses
-Jahres unter Dach, ehe die Welt von Nebeln eingewoben<span class="pagenum"><a id="Seite_55">[55]</a></span>
-wurde &ndash; wie sich das für einen vorsichtigen Liebhaber
-schickt.</p>
-
-<p>Tante Veronika, obwohl sie niemals in himmelblauer
-Verlobungsseligkeit herumgeflogen und darüber hinaus
-von dem anderen Geschlechte so gründlich stehen gelassen
-worden war als möglich, kam dennoch nicht auf den
-Einfall, es diesen einen entgelten zu lassen und ihn in
-Entsagungen zu üben &ndash; nur auf Delikatesse hielt sie und
-bestand darauf, daß »solche Sachen« nicht zum Ansehen
-für andere gemacht seien. Wodurch aber nicht verhindert
-wurde, was sie beabsichtigte &ndash; nämlich, daß der lange
-schöne Knabe Jakobus die Vorstufe zu einer raschen und
-gründlichen Liebesschule durchmachte. Wäre der Lehrstoff
-weniger delikat zum Vortrage gelangt, so hätte Jockele
-vielleicht nicht die nötige Anteilnahme aufgebracht und
-wäre davongelaufen. Aber dieser Herr Prinz war in
-allen Stücken von einer so vorbildlichen Ritterlichkeit, daß
-der Junge während des Winters feststellte: Matthias der
-Prinz und Prinzessin Zinzilein wären einander durchaus
-würdig, und das Mädel in seiner sonnigen Blondheit wäre
-nun noch viel schöner geworden … Lauter Dinge, an
-denen der Jockele so viel herumzudenken hatte, daß er
-denselbigen Winter in der Folgezeit einmal »die Auferweckung
-des Jakobus« genannt hat.</p>
-
-<p>Durch den tiefsten Bergschnee herüber trug Matthias
-eines Tages die Nachricht, daß er vom 1. April ab als
-Revierförster in der Nachbarschaft des Hörselberges bestimmt
-sei. Natürlich wollte er nicht unbeweibt seinen<span class="pagenum"><a id="Seite_56">[56]</a></span>
-Einzug in das Waldforsthaus halten &ndash; da überkam den
-Jockele zum ersten Male die Schwäche der Eifersucht, und
-zwar auf beide, die sich ihm gegenseitig wegnahmen.</p>
-
-<p>Er wäre darüber am Ende in die Unzufriedenheit
-des Flegeltums hineingewachsen, dem der liebe Gott
-zur Warnung als äußeres Kennzeichen das schlaksige
-Unebenmaß der Glieder anhängt. Aber die Erziehungskunst
-der Tante Veronika trieb an ihm eine schöne späte
-Blüte: sein Takt gegenüber der waldgesunden Männlichkeit
-des Schwagers behütete ihn vor Entgleisungen.</p>
-
-<p>So focht er den ersten Kampf mit sich und der Welt
-in der Stelle des Gartenhauses aus; er ward einsilbig,
-er knurrte auch einmal, wenn er durch die Stube wippte,
-aber er setzte sich nicht dem vereinigten Gelächter der
-Engel und Menschen aus, die während der Vorbereitungen
-zur Hochzeit das Haus bevölkerten. Er arbeitete
-sich um seine offensichtliche Zurücksetzung mit großem Eifer
-herum, entschädigte sich durch Erzählungen aus dem
-Gallischen Kriege des Cäsar, den er um diese Zeit mit
-dem Pastor las, und hörte mit sieghafter Genugtuung zu,
-wenn der ritterliche Herr Matthias das Bekenntnis ablegte,
-daß sein Schiff an dieser Klippe fast wrack geworden
-wäre.</p>
-
-<p>So war Jockele über allem auf ein Nebengeleise
-rangiert worden. Da fiel er in der beschaulichen Ruhe
-seiner Gartenhütte auf eine Verzweiflungstat: er hatte
-die Schmetterlinge seiner Sammlung gemalt und begann,
-zu jedem die Naturgeschichte zu schreiben. Es war die<span class="pagenum"><a id="Seite_57">[57]</a></span>
-erste Arbeit, die er planvoll aufnahm und durchführte.
-Das Zinzilein, das ihn am liebsten als »Naturforscher«
-gesehen, hatte auch Verdienste an seinen farbigen Tier-
-und Pflanzenstudien, die oft recht hilflos waren. Deshalb
-dachte er, er wollte dem Zinzilein dies »Werk« als
-Hochzeitsgeschenk überreichen; denn er wußte, Prinzessin
-Goldhaar war mehr als die anderen dazu geneigt, gute
-Vorsätze als Taten anzusehen.</p>
-
-<p>Mitte März war er damit fertig, und als es der
-Buchbinder wieder ins Haus schickte, standen sie in diesem
-Hause gerade vor der Hochzeit.</p>
-
-<p>Die wenigen Tage surrten noch vorüber; dann kam
-der stürmische 1. April, der das Zinzilein dem Frühlingshaus
-entführte &ndash; Himmel, was war von dieser blonden
-Mädchenjugend eine Fülle von Sonne gekommen!</p>
-
-<p>Nun, da sie nicht mehr da war, schauerte den Zurückgebliebenen
-die Einsamkeit fröstelnd ans Herz. Ueberall
-lagen Erinnerungen: Blätter aus zerfallenen Blüten &ndash;
-das ganze Haus war voll von abgestandenen Festtagen;
-es war stief und stoppelfeldig in allen Zimmern, und
-gegen die Fenster stieß der Sturm, klirrte der Aprilregen.</p>
-
-<p>Tante Veronika hatte sich fest zugeschlossen, stabte mit
-dem gelben Stocke in ihrer Wehmut herum und suchte
-nach einem liegengebliebenen Sonnenschein. Es war
-aber keiner da.</p>
-
-<p>Vielleicht lief das alte Fräulein auch dem Gedanken
-nach, ob sie denn zum zweiten Male ganz verwaisen
-sollte?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_58">[58]</a></span></p>
-
-<p>Es ist bei den Jahren anders als bei den Menschen &ndash;
-die Jahre kriegen im Alter das Rennen, und man muß
-sich bei guter Zeit vorsehen, will man sie nicht davonlaufen
-lassen.</p>
-
-<p>Jawohl, ganz heimlich dachte Tante Veronika daran,
-wie sie den Jungen im Hause behalten könnte, ohne daß
-er an ihrer verzeihlichen Selbstsucht nicht zur vollen Entfaltung
-seiner hellen Gaben gelangte. Aber sie faßte
-diesen Glauben nicht mit der alten Festigkeit an, weil
-ihr das Herz davor bange war. Und diese Bangigkeit
-verlor sie nicht mehr. Doch brauchte sie nicht lange an
-der Frage herumzuraten; denn eines Tages stand ein
-Sturm auf, der dem alten Mädchen am Bergwalde den
-Jungen aus Haus und Händen wirbelte&nbsp;…</p>
-
-<p>Zuvor aber kam Maria Reh nach Ibenheim.</p>
-
-<p>Da war der Frühling im vollen Gange und schüttete
-ein Blühen in die Gärten, daß es über die Zäune lief.</p>
-
-<p>Weil Fräulein Reh zuerst mit dem Mai durch den
-sprossenden Buchwald gestrichen war, kam sie mit Maleraugen
-voll Entdeckungen und einem Herzen voll Licht
-und Himmelblau und trat in das erste Haus, an dem sie
-der Weg aus dem Walde vorbeiführte.</p>
-
-<p>Darin wohnten die Laufers. Frau Barbara fing sie
-gleich in dem Netz ihrer Freude und schüttelte die ganze
-Hochzeit und das Glück des Zinzileins über sie. An diesem
-Tage nahm Maria Reh die Stube nach dem Wald hinaus.</p>
-
-<p>Als sie am nächsten Morgen mit der Staffelei in die
-Bergsonne stieg, um ihre Sinne vom wilden Farbendrängen<span class="pagenum"><a id="Seite_59">[59]</a></span>
-zu erlösen, ward sie von dem Mädchen Mali
-erspäht. Deshalb schritt bald danach der Jockele von
-ungefähr des Weges, um zu sehen, was es wäre. Er
-kroch erst ein bißchen um das Malfräulein herum, und
-weil er noch so zwischen den Lebensaltern stand, durfte
-ihn ihre Spätfrühlingsreife ohne Scheu ermutigen. Es
-wurden ein paar falterleichte Fragen gewechselt &ndash; die
-erste ließ Maria auffliegen. Weil sie den Jockele mit
-»Sie« anredete, bekam er einen roten Kopf; denn das
-passierte ihm zum ersten Male. Aber er fand sich alsbald
-in das erforderliche Auftreten und erwies sich dabei als
-fertiger Schüler seines Schwagers Matthias.</p>
-
-<p>Am ersten Regentage machte Maria Reh der Tante
-einen Besuch. Sie trat auch in das »Laboratorium« und
-erbat sich den »Herrn Jakobus« als fröhlichen Malergesellen,
-nachdem sie seine frischen, aber ungelenken Versuche
-gesehen hatte.</p>
-
-<p>Einige Tage später, in denen das junge Buchlaub
-ganz zu Golde geschlagen worden, war aus dem komischen
-»Herrn Jakobus« für das Fräulein schon der junge
-Jockele geworden &ndash; manchmal hieß er noch »Sie, Herr
-Jockele!« &ndash; und er saß neben ihr im Walde und visierte
-mit dem Zielauge über den Bleistift hinweg die Lage der
-Dinge, die er skizzierte.</p>
-
-<p>Wieder nach einiger Zeit wanderten sie zusammen in
-das Forsthaus am Hörselberge. Da nahm auch Maria
-ihr Skizzenbuch mit und redete von lustigen Malerfahrten
-beider Herzen in ein weltumarmendes Glück.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_60">[60]</a></span></p>
-
-<p>Die enganliegende Lebensart im Frühlingshause, die
-das Werk der Tante Veronika war, fand sich bei Maria
-Reh nicht. Sie war ein blondes, schlankes Mädchen mit
-einem Teutoburgerwaldgesicht und einem freien Hals,
-an dem über dem Blusenausschnitt unter dem Nacken
-der erste Rückenwirbel kräftig hervortrat; denn er hatte
-zu tun, den Kopf mit dem klingenden Haar und dem
-klaren, kühnen Gesicht zu tragen.</p>
-
-<p>Natürlich behauptete Maria, sie wäre viel größer als
-Jockele. Als sie einander aber mit entschuhten Füßen
-und aufgelegtem Skizzenbuch an einem Waldstamme
-maßen, war zwischen den beiden Strichen gerade nur
-so viel Raum, daß ein Sonnenstrahl hindurchkriechen
-konnte.</p>
-
-<p>Diese Messung fand auf dem Wege zu dem Berge der
-Frau Venus statt. Und weil es eine so sonnevolle Waldfahrt
-war, gelangten sie erst im roten Lichte des Spätnachmittags
-in das Forsthaus und standen beide über
-und über in Blüte. Deshalb läutete das prinzliche Paar
-gleich mit allen Glocken, und das Lachen schoß als
-goldene Raketen in die Waldnacht vor dem traulichen
-alten Jägerhause. Dabei wurde festgestellt, daß der
-Jockele in sechs Wochen um sechs Jahre älter und ritterlicher
-geworden sei, und er, dem das Haar so wellig
-und schwarz um die Stirne wehte, hatte die Augen voll
-feuchten Glanzes.</p>
-
-<p>Das Zinzilein schaute fast erschrocken in dies heiße
-Licht, das aus einem tiefen Himmel kam. Aber der<span class="pagenum"><a id="Seite_61">[61]</a></span>
-Jockele sagte: daran wäre die Sonne schuld, die über
-Tag hineingeronnen, und daran wäre schuld, daß diese
-Augen nun Dinge zu suchen und zu sehen hätten, von
-denen das Zinzilein samt seinem jungen Herrn Förster
-gar nichts ahnte. Er sagte das aus einem gläubigen
-Jungenherzen heraus; aber das Zinzilein mußte doch auf
-der Hut vor sich selber sein, daß sie ihn nicht für ganz
-erwachsen nahm und ein bißchen an ihm herumklopfte …
-denn auch das Zinzilein war in diesen sechs Wochen gelehrig
-gewesen und verstand sich auf Männeraugen.</p>
-
-<p>Sie blieben in dieser Nacht im Forsthaus, und am
-Morgen wußte der Jockele, warum ihn das Zinzilein
-manchmal mit so rätselhafter Lustigkeit ansah, hinter der
-immer ein sehr großes und sehr leuchtendes Ausrufezeichen
-stand. Sie schliefen in den Zimmern im oberen
-Stockwerk, und ihre Betten standen Wand an Wand. Der
-Hochwald hauchte die Kraft durch die weiche Nacht, die
-die Kerzen zur Frühlingsfeier aus den schwarzen Tannen
-treibt, und irgendwo unter den Fenstern brach ein
-Brunnen aus dem schwarzen Stein und flüsterte der
-Nacht wunderliche heimliche Reden ins Ohr. Als Jakobus
-an das Fenster trat, hauchte ihn die Südwand des Zimmers
-mit einer süßen Schwüle an, daß er erschrak; denn
-es war, als legte Maria Reh die Arme um ihn.</p>
-
-<p>Er löschte das Licht, das ihm das Zinzilein aufs
-Zimmer gebracht hatte. Die blaue warme Finsternis
-tat ihm wohl &ndash; und da merkte er, das Zinzilein hatte
-die Rätsel seiner Augen schon erraten, ehe er noch wußte,<span class="pagenum"><a id="Seite_62">[62]</a></span>
-daß sie darin waren. Aber nun, in der Stille dieser
-Waldnacht, nun war das Wunder da: er sah in der
-Finsternis! Es stand ein hohes blondes Frauenbild vor
-ihm, reif wie ein Aehrenfeld im Sommer, wenn der Duft
-von gebackenem Brote über die wogenden Halme zu
-schwimmen beginnt, und Maria Reh war schön wie eine
-Königin. Er blieb immer in der Nähe der Wand, in die
-des Tages die Sonne gesickert war, und fühlte den
-warmen fremden Odem … Mitten darin stand Maria
-Reh in ihrer leuchtenden Ueberlegenheit und zog ihn an
-sich und küßte ihn mit ihren roten Lippen auf den
-Mund. »Was bist Du für ein lieber stolzer Junge,« sagte
-sie. &ndash; »Stolz?« fragte er. »Wissen Sie denn nicht, daß
-ich immer so vor Ihnen knien möchte wie heute an dem
-warmen Waldhange, wo der Wachtelweizen in tausend
-blauen Lichtern brannte? Und wissen Sie denn nicht,
-daß ich Ihr Edelknabe bin, Sie liebe, liebe blonde
-Königin?« Da hörte er ihr klingendes Lachen, und sie
-nahm seinen Kopf zwischen ihre Hände und küßte ihn auf
-die Stirn&nbsp;…</p>
-
-<p>Ueber dem Kusse schloß er die Augen und fühlte ihn
-hinabrinnen als ein wundersames himmelfremdes Glück
-bis in sein Herz.</p>
-
-<p>Und er ward durstig nach dem blutroten Leben ihres
-Mundes &ndash; aber er dachte nicht daran, sie zu küssen,
-sondern <em class="gesperrt">sie</em> mußte es sein, die sich über ihn beugte und
-ihm aus der Gnade ihres Königinnentums reichte, wonach
-er so sehnsüchtig war&nbsp;…</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_63">[63]</a></span></p>
-
-<p>So sahen die Verheerungen aus, die dieser jubilierende
-Montag in Jakobus Sinsheimer angerichtet hatte. Weit
-über die Mitternacht hin schwamm er in einem rosenroten
-Meere von Seligkeit … Auf einmal wachte er auf &ndash;
-der Morgenhahn warf seinen Ruf wie eine goldene Lanze
-durch das Fenster! Jockele erwachte sehr nüchtern; er
-hatte sich in den Schlaf gefreut; denn er dachte, der Traum
-würde die Fäden noch viel schöner weiterspinnen, die er
-ihm in die Hand gegeben. Nun hatte ihn die Nacht
-darum betrogen.</p>
-
-<p>Aber die falterleichte Jugend, als sie die Wipfel so
-voll klingender Sonne sah, brachte sein Herz gleich wieder
-zum Fliegen.</p>
-
-<p>Er schritt leise die Treppe hinab und fand Zinzilein
-und Matthias schon draußen beim Morgenkaffee unter
-der großen Buche. Im Zimmer Marias war der Vorhang
-noch vor das Fenster gezogen.</p>
-
-<p>Jockele hatte nichts dagegen, daß Matthias gleich
-danach das Gewehr umhängte und in den Wald ging;
-denn nun nahm er des Schwagers Platz ein, weil er von
-da aus das Fenster an Marias Zimmer immer im Auge
-haben konnte.</p>
-
-<p>Das Zinzilein belustigte sich in aller Heimlichkeit ganz
-ungemein.</p>
-
-<p>Es war ein blanker Morgentisch gedeckt, wie es zu
-den hellen Herzen und der Welt voll Licht paßte, und als
-Maria Reh &ndash; schon fix und fertig &ndash; endlich den Vorhang
-zur Seite zog, flogen ihr die sehnsüchtigen Augen des<span class="pagenum"><a id="Seite_64">[64]</a></span>
-Jungen ans Herz. »Na, da ist sie ja!« jubelte das
-Zinzilein, und Jockele wurde ganz stolz, weil sie seine
-Schwärmerei gemerkt hatte und doch in der Ordnung zu
-finden schien. Man plätscherte noch eine Viertelstunde in
-Lachen und Sonne, dann segelten die beiden auf ihrem
-glückhaften Schiffe davon.</p>
-
-<p>Jakobus war nach dem Erlebnisse vom Abend zuvor
-wie verwandelt, gestern war er ein Malschüler gewesen,
-heute war er ein glückseliger Page.</p>
-
-<p>Maria Reh ließ sich seine scheue Liebe gefallen und
-hätte nicht das geringste einzuwenden gehabt, wenn sie
-etwas weniger ungefährlich gewesen wäre. Sie war
-nun auch viel sanfter zu ihm; denn sie sah, der
-Junge war ganz von sich, und diese erste Jugendschwärmerei
-fiel über sie wie der Duft einer Blume,
-die ohne Gift ist.</p>
-
-<p>Mittags, als sie wieder an dem Hange ruhten, über
-dem der Wachtelweizen mit den himmelblauen Spitzen
-seiner Stengel als ein sonnenstiller See blühte, strich
-Maria mit ihrer Hand über sein Gesicht; da lehnte er den
-Kopf an die Erde und ließ ihre Stirn so über sich kommen
-und sah seinem Glücke tief in die Augen. Dann sagte
-er: »Ich bin sehr froh, daß Sie so lieb zu mir sind!«</p>
-
-<p>»Sind das Zinzilein und Fräulein Veronika nie so
-gewesen?« fragte sie aus ihrem wissenden Herzen heraus.</p>
-
-<p>»Aber das ist doch etwas ganz anderes, Fräulein
-Maria!« Und er erfaßte ihre Hand und legte sie über
-seine Augen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_65">[65]</a></span></p>
-
-<p>Weiter geschah auf diesem langen, langen Frühlingsgange
-nichts, aber als sie in der Dämmerung nach Hause
-kamen, waren sie beide ganz still geworden, und Maria
-sagte sehr weich und mitleidvoll zu ihm: »Auf morgen &ndash;
-nicht wahr?«</p>
-
-<p>Da küßte ihr der Junge die Hand und ging mit gefährlich
-feuchten Augen von dannen.</p>
-
-<p>Sie sahen sich nun an jedem Tage. Jockele saß neben
-ihr im Walde und zeichnete, was sie ihm aufgab. Des
-Morgens suchte er sie stets mit scheuer Freude; denn vor
-Nacht war sie immer in so königlichen Bildern um ihn,
-und dann ließ er sich von ihren sachten Händen in den
-Schlaf streicheln.</p>
-
-<p>Sie fühlte auch, was sie ihm war, und war darum
-auf der Hut vor sich selber, damit der Glanz nicht von ihr
-abfiel, den seine erwachenden Sinne um sie träumten.</p>
-
-<p>Er hätte am liebsten gehört, wenn sie ihn »Du« genannt
-hätte, aber die Scheu, sich lächerlich zu machen,
-hielt ihn davor zurück, es ihr zu sagen; wenn er in den
-heimlichen Stunden zwischen Schlaf und Wachen mit ihr
-allein war, mußte sie es doch machen wie er wollte!</p>
-
-<p>Ueber allem befiel ihn ein ruheloser Eifer, ihr mit
-seinen Zeichnungen zu gefallen. Sie lobte ihn leicht und
-oft; das hatte ihm zuerst wohlgetan; dann peinigte es ihn;
-denn er dachte, es wäre eine unverdiente Gefälligkeit.
-Er sagte ihr das auch einmal und verstimmte sie damit;
-das dauerte drei Tage, und am vierten ging sie zu einer
-Stelle im Walde malen, die sie ihm nicht verraten hatte.<span class="pagenum"><a id="Seite_66">[66]</a></span>
-Da geriet er in eine qualvolle Unruhe, lief den ganzen
-Tag im Walde herum und war heilsfroh, als er sie gefunden
-hatte. Aber die Abende, in denen er sich ihr ans
-Herz träumte, waren seit einiger Zeit nicht mehr so
-wonnevoll wogend und rosenrot, und sie wurden es noch
-weniger, als sie eines Tages an ihrer Bluse auf dem
-Rücken einen Druckknopf nicht geschlossen hatte. Wenn
-sie vor der Staffel stand und sich ein wenig zurückbeugte,
-sperrte sich diese Stelle des Verschlusses immer auf und
-ließ ein Stück Spitze ihres Hemdes sehen.</p>
-
-<p>Das peinigte ihn; denn es stimmte gar nicht zu den
-königlichen Bildern seiner Frühlingsträume. Er arbeitete
-mit heißerem Eifer, um Maria vor seinen törichten Augen
-zu schonen. Aber immer wieder blitzte das schmerzende
-Weiß in seine Arbeit &ndash; da nahm er den Feldstuhl und
-setzte ihn so, daß er ihre Rückseite nicht sehen konnte, und
-begann eine neue Zeichnung.</p>
-
-<p>Einige Tage später war der Druckknopf wieder offen.
-Da sagte er zu ihr, er könne diese Bluse nicht leiden. Sie
-redeten eine Weile in scherzendem Ernste, und weil sie
-so überlegen tat, wehrte er sich&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Jawohl, nicht leiden, weil immer ein Knopf daran
-offen ist!«</p>
-
-<p>»O weh,« sagte sie lachend, »und das haben Sie gesehen
-und haben ihn nicht zugedrückt?«</p>
-
-<p>Sie fand also dabei gar nichts. Aber sie ahnte auch
-nicht, daß ihr großes Licht in seinem Herzen darüber zu
-einer matten Sonnenscheibe geworden war. Dann knurrte<span class="pagenum"><a id="Seite_67">[67]</a></span>
-er ein bißchen vor sich hin, und sie redeten danach einmal
-vom Wetter und daß der Herbst schon so unfreundlich
-durch das Gebirge kroch.</p>
-
-<p>An ihrer Freundschaft änderte dieser Vorfall nichts,
-aber über die Vergänglichkeit des Rausches der Liebe begann
-Jockele in diesen Tagen der ersten Nebel doch nachzudenken&nbsp;…</p>
-
-<p>Er ging in die Reifkälte des Oktobers aufrechter und
-fertiger, als er durch die fallenden Blüten des jungen
-Jahres gegangen war.</p>
-
-<p>Da sie sich wieder einmal maßen, war er über
-Maria Reh hinausgewachsen, was ein wildes Siegesgeschrei
-zur Folge hatte, und seine Arme baumelten
-nicht mehr um ihn herum wie Schlaghölzer am Dreschflegel.
-Er hatte auch Fräulein Sinsheimer mit auffälliger
-Sicherheit erklärt, er wolle Maler werden und &ndash; vom
-Herbste des nächsten Jahres an &ndash; die Weimarische Kunstschule
-besuchen. Im Herbste des nächsten Jahres war
-er siebzehn vorbei.</p>
-
-<p>Veronika, die mit Maria Reh mehrfach über sein
-Talent gesprochen hatte, gab ihr ruhevolles Einverständnis
-und war froh, daß die Dinge sich so fügten. Seine
-mancherlei Studien vor und in der Natur waren nun
-gewiß auch für seinen künftigen Beruf nicht zwecklos
-gewesen, und die alte Dame brauchte sich nicht zu sorgen,
-daß ihr der Junge dereinst den Vorwurf machte, sie hätte
-den Unterricht planlos betrieben &ndash; nein, nein, die Sache
-war ihr so in allen Stücken recht.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_68">[68]</a></span></p>
-
-<p>Als die Blätter gefallen waren, war Maria Reh fort.
-Die Freundschaft hatte gehalten &ndash; Jockele hatte ihr das
-Gepäck in das Wagenabteil gereicht und hatte ihr noch
-im Schreiten Lebwohl gesagt, als schon die Räder neben
-seinen Schuhen rollten.</p>
-
-<p>Aber sie stand nun in seinen Gedanken in einer so
-rotbäckigen Menschlichkeit und kernigen deutschen Art,
-daß er sich wunderte, wie es ihm möglich gewesen wäre,
-das alles mit dem Glanze des Märchenkönigtums zu
-umdichten.</p>
-
-<div class="chapter">
-<p class="drop">Auf einmal faßte das Leben mit hartem Griff in den
-stillen Lauf der Tage des Hauses am Walde, und
-es ward eine tiefe Finsternis. Es sah aus, als wollte sie
-der Dinge und Herzen Herr werden und alle Freude in
-einer Stunde in die Luft sprengen, an der Veronika viele
-Jahre mit heiterem Fleiße gebaut hatte.</p>
-</div>
-
-<p>Tief im Thüringer Wald steht ein Gasthaus an der
-Straße, etwa drei Wegstunden von Ibenheim; darin
-halten Fuhrleute, die über das Gebirge fahren, ihre Rast;
-dahin ziehen sommerfröhliche Menschen, wenn ihre Herzen
-dürsten nach Bergwind und Tannengrün. Im Winter
-ist es ein verlorener Bergwinkel, um den die Stürme
-Lasten von Schnee mauern.</p>
-
-<p>In jenes Gasthaus trat an einem frostklaren Januartage
-ein Weib, hatte in Männerstiefeln lange verschneite
-Straßen hinter sich getreten und war in allerlei schlechte
-Tücher gehüllt. In der Hand trug sie den Schaft einer<span class="pagenum"><a id="Seite_69">[69]</a></span>
-jungen Erle, irgendwo am Wege gebrochen und notdürftig
-für eine Bergfahrt zugerichtet.</p>
-
-<p>Die Frau sprach ein fremdes und mühseliges Deutsch,
-und die Wirtsleute sahen sie aus ihrer tiefen Wintereinsamkeit
-verwundert und fast feindselig an.</p>
-
-<p>Sie rückte sich einen Holzstuhl an den Ofen und nestelte
-Kupferstücke aus der Tasche ihres Rockes; das ging
-langsam, denn ihre Hände waren krumm vor Kälte. Für
-das Geld bekam sie ein Glas Grog und schüttete den
-heißen Trank schluckweis in sich hinein. Darüber kamen
-ihre erstarrten Sinne, kam ihr das Herz allgemach wieder
-in Gang. Die Wirtsleute begannen, sich an sie heranzufragen.
-Aber sie hatte abwesende Augen, leuchtete
-damit in der großen Gaststube herum und sagte: »Die
-Fenster sind alle dick zu von Eis.«</p>
-
-<p>Da merkte der Wirt, es wäre nicht viel mit ihr zu
-reden, und bedeutete sie durch Zeichen, ob sie noch ein
-Glas Grog brauche. »Ja,« sagte sie, und legte das Geld
-dafür auf den Tisch. Ihre Augen gingen wieder durch
-die Stube und blieben endlich stehen, und die Wirtin, die
-das kochende Wasser aus dem Kessel über den Rum
-schüttete, fragte sie, ob sie krank wäre.</p>
-
-<p>»Nein,« &ndash; sie überlegte sich nur, wie sie es sagen
-sollte, was sie vorzubringen hätte; denn ihre Sprache wäre
-das Ungarische und sie fände sich im Deutschen nur mühsam
-zurecht.</p>
-
-<p>Da taten die Leute ihre Arbeit und warteten, was es
-mit ihr wäre.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_70">[70]</a></span></p>
-
-<p>Nach einer Weile sagte sie: »Ist hier vor länger als
-sechzehn Jahren ein Kind gefunden worden?«</p>
-
-<p>»Hm, ein Kind gefunden? Das ist eine merkwürdige
-Frage. Und vor mehr als sechzehn Jahren?«</p>
-
-<p>Die Wirtin wußte gleich, wohin die Frage zielte. Aber
-es wachte in ihr auch schon die Furcht auf vor mühsamen
-Gängen zum Gericht. Und sie warf ihrem Mann einen
-Blick zu, der wollte sagen: gibt acht, aus derlei Dingen
-wächst ein Haufen Unkraut!</p>
-
-<p>Deshalb antwortete sie mit hinterhältiger Sanftmut:
-»Ein Kind? Es ist davon wohl nichts bekannt worden.«
-Aber die Neugier brannte sie auf die Nägel, und der
-Mann sagte, vor sechzehn Jahren wären sie noch gar nicht
-in dieser Gegend gewesen.</p>
-
-<p>Die Zigeunerin hatte das graue Tuch, das sie um den
-Kopf getragen, überdem zurückgeschoben; da sahen sie, daß
-sie im Alter der ergrauenden Haare stand. Sie hatte ein
-verkümmertes Gesicht und sehr schöne schmerzvolle Augen.</p>
-
-<p>»Nun,« begann sie nach einer Weile, »wenn ein Kind
-gefunden worden ist, so redet man in einem Gasthause
-wohl auch nach vielen Jahren einmal davon; denn Kinder
-wachsen doch nicht an den Straßenrändern wie die
-Disteln.«</p>
-
-<p>Ob es ein Junge oder ein Mädel gewesen wäre?</p>
-
-<p>»Es war ein Knabe, und in der Nähe des kleinen hellgrünen
-Hauses am Waldrande war eine Sandkuhle. Ist
-da nicht ein grünes Haus in der Nähe, bei dem eine Sandkuhle
-ist?«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_71">[71]</a></span></p>
-
-<p>»Es sind etliche Sandkuhlen in dieser Gegend und wohl
-auch mancherlei grüne Häuser,« sagte der Wirt, aber es
-war, als liefen ihr seine Gedanken nun doch entgegen.
-»Was haben Sie denn mit jenem Kinde zu tun?«</p>
-
-<p>»Ich bin die Mutter. Ich habe es auf die Schwelle
-jenes Hauses gelegt &ndash; es war in einer grauen Frühe und
-war im hohen Sommer. Ich dachte: in diesem Hause
-müßten gute Leute wohnen &ndash; es war alles blank und
-sauber daran.«</p>
-
-<p>Da redeten die Wirtsleute leise miteinander, und weil
-sie dachten, es wäre besser, dies Weib wäre nicht unter
-ihrem Dache, rückte die Wirtin ihren Stuhl herzu und
-sagte: »Es ist in der Tat einmal von einer solchen Sache
-geredet worden« &ndash; was es denn wäre, das sie nach so
-vielen Jahren herzöge?</p>
-
-<p>Menschen, die von Reu' und Glauben voll sind, schließen
-leicht alle Türen ihres Herzens auf … und die Zigeunerin
-erzählte: es lebe in ihrem Volke die Gabe, das Künftige
-zu erschauen, und es hätten ihr drei weise Frauen
-ihres Stammes gesagt: ihr Kind lebe, aber es könne keine
-Rast finden hier und dort&nbsp;…</p>
-
-<p>So erzählte sie aus der Not ihres abergläubigen
-Herzens eine verworrene Geschichte von silbernen Ohrringen,
-deren einen sie trüge und die wieder zusammenkommen
-müßten, und sie erzählte eine noch viel verworrenere
-Geschichte von den Seelen, die sich gleich den
-getrennten Ringen suchten über Zeit und Ewigkeit
-hinaus.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_72">[72]</a></span></p>
-
-<p>Nicht die irrende Not dieses Weibes, nicht das Elend
-ihres verkümmerten Leibes hatte bei den Wirtsleuten vermocht,
-was der närrische Glaube ihres Herzens vollbrachte&nbsp;…</p>
-
-<p>Davor wurden ihre Augen weit, und sie liefen mit
-schauerndem Behagen am Wunderlichen in das dämmerige
-Land dieser Seele.</p>
-
-<p>Aber sie scheuten sich, das letzte zu sagen, und gerieten
-darüber wieder ins Forschen: wenn sie den Sohn nun
-für sich haben wollte, ob sie meinte, daß man ihn ihr
-gäbe? Er wäre doch nun ein Mensch geworden, der ihr
-ganz ferne gerückt sei mit seinen Gewohnheiten und
-seinen Kenntnissen.</p>
-
-<p>»Oh,« sagte die Zigeunerin, »ich will nicht sein Glück
-zerstören, sondern ich will es erfüllen.«</p>
-
-<p>Da redeten die Wirtsleute in der breiten Mundart
-ihres Landes miteinander.</p>
-
-<p>Die Frau war voll Mitleid und sagte:</p>
-
-<p>»Man muß ihr den Weg zeigen!«</p>
-
-<p>Aber der Mann widersetzte sich:</p>
-
-<p>»Sie wird die Geschichte von den Wahrsagerinnen erfunden
-haben; sie will sich in das fremde Haus stehlen und
-dort einnisten, und man wird uns die Schuld an allem zumessen,
-was daraus hervorwächst&nbsp;…«</p>
-
-<p>Dann beschrieben sie ihr den Weg aber doch, der sie
-über das Gebirge führte, und nannten ihr den Namen
-des Dorfes und sagten, sie müsse zum Gemeindevorsteher<span class="pagenum"><a id="Seite_73">[73]</a></span>
-gehen und den Ohrring zeigen &ndash; es würde sich dann
-schon alles finden.</p>
-
-<p>Danach ging die Zigeunerin fort und wanderte durch
-den tiefen Schnee des Waldes und lief einen weiten Weg
-in dem Dämmerlichte, das zwischen den Stämmen der
-hohen Fichten lag; denn die Bäume trugen ein Dach aus
-Schnee.</p>
-
-<p>Es war ein Schreiten zu den Toren der Ewigkeit;
-denn es fiel ein fremdes schönes Licht in die bangende
-Seele, und der vermühte Leib vergaß über dem beschwingten
-Gange die Not der verflossenen Zeit.</p>
-
-<p>Der Weg führte aufwärts zum Kamme des Gebirges.
-Der Weg? Es war kein Weg, es war weißer schlafender
-Waldgrund, und der klirrende Frost zerwehte vor dem
-beseligten Wanderschritt.</p>
-
-<p>Droben, wo sie schon den Wind hinter dem Kamme
-des Gebirges singen hörte, und wo er hohe Mauern aus
-glitzerndem Schnee durch den Wald gezogen hatte, lehnte
-sich das Weib an eine der weißen Wände … es war, als
-wäre aller Frost drüben, wo das ferne und eintönige
-Singen der Luft erklang. Da dachte sie: ich will mich ausrasten,
-ehe ich hineinschreite in den klirrenden Wind. Sie
-setzte sich nieder und sah die tiefe Spur, die ihre Füße in
-den Schnee getreten hatten, und wunderte sich, daß ein
-Mensch durch solch einen verstürmten Bergwinter schreiten
-könnte&nbsp;…</p>
-
-<p>»O ja,« sagte sie, »mit einem Herzen voll Himmel
-wandert man durch alle Mühsal der Erde&nbsp;…«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_74">[74]</a></span></p>
-
-<p>Das war das letzte. Dann fiel ein blaues heitres
-Scheinen in sie. Und das blaue heitere Scheinen war das
-Sterben; denn als der Frühling über die Berge stieg und
-die weißen Decken wegnahm, fanden sie die Waldleute in
-ihrem tiefen Schlafe. Der Mann der Barbara Laufer
-war unter ihnen, und als er den silbernen Ohrring sah,
-den die fremde Tote trug, lief er zu Herrn Peter Squenz
-in Ibenheim und sagte, er sollte gleich mit ihm gehen;
-denn die dort oben schliefe, wäre die Mutter des Jakobus
-Sinsheimer.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Durch Herrn Peter Squenz war diese Geschichte schon
-in allen Einzelheiten auf die Menschen losgelassen worden,
-als sie im Frühlingshause noch niemand ahnte.</p>
-
-<p>Gegen Abend, da die Leute von der Waldarbeit heimgekommen,
-sah Mali eilige Frauen gegen die Hütte der
-Laufer streben, verkündete das dem Fräulein Veronika
-und schickte sich gerade an, Licht in die Sache zu bringen,
-da trat Herr Peter Squenz über die Schwelle. Die Glocke
-an dem metallenen Schwippbogen machte einen so ausgiebigen
-Lärm, daß auch der Jockele mit Augen voll Einsamkeit
-und Bestürzung herzulief; er hatte naturforschenderweise
-in der Gartenhütte gesessen.</p>
-
-<p>Squenz, der als Amtsperson kam, nahm sich entsprechend
-wichtig und ahnte nicht, daß Tante Veronika ihm
-von dieser Stunde an eine Taktlosigkeit und Gemütsroheit
-nachreden würde, die sie mit sehr spitzem Munde als
-»einfach ganz unverzeihlich« bezeichnete. Er hielt die Anwesenheit
-Jockeles für durchaus wichtig; denn es ginge<span class="pagenum"><a id="Seite_75">[75]</a></span>
-den Jungen vor allem an, meinte Herr Squenz, und dann
-berichtete er. Fräulein Sinsheimer saß dabei in ihrem
-Lehnstuhl, als hinge sich in dieser Stunde ein Bienenschwarm
-unter ihr an die Polster des Sessels; in Jakobus
-löschte der Tag aus, und das Mädchen Mali stand draußen
-im Vorhaus, hielt die Hand auf der blanken Klinke und
-überlegte, ob sie nicht die Flamme ihres Zornes über
-diesen Herrn Squenz werfen sollte. Der faltete drinnen
-ein Papier auseinander und legte den Ohrring auf den
-Tisch, und Jockele holte den Bruderreif aus dem geschliffenen
-Väslein und legte ihn daneben&nbsp;…</p>
-
-<p>Da fand Fräulein Sinsheimer das erlösende Wort&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Ich bin gar nicht mehr imstande, Ihnen zuzuhören,
-Herr Squenz, und bitte Sie, das Haus zu verlassen …
-Sehen Sie denn nicht, welche Verwüstungen Sie anrichten?«</p>
-
-<p>Herr Squenz schaute sich sehr verwundert um und sah
-nichts. Dann entschuldigte er sich mit seiner Pflicht, aber
-Tante Veronika lehnte sich im Stuhle zurück und bezeigte
-ihm so vollkommene Abwesenheit und tiefe Entrüstung,
-daß er sich ohne Säumen empfahl. Die Klingel läutete
-ihn hinaus, und es war zu hören, daß Mali den Riegel
-hinter ihm mit strafender Empörung vor die Tür schlug.
-Dann kam sie herein; denn sie hatte Fräulein Sinsheimer
-von Verwüstungen reden hören &ndash; sie hielt ihre Anwesenheit
-in dieser wilden Stunde auch ohne Aufforderung für
-durchaus nötig. Tante Veronika stieß ihren gelben Stock
-in einemfort hart vor sich auf die Dielen; denn sie hatte<span class="pagenum"><a id="Seite_76">[76]</a></span>
-das Bedürfnis, jedes ihrer zornwütigen Worte mit einem
-Schlage zu bekräftigen. Jakobus saß am Fenster, hatte
-den Kopf auf den Arm gestützt und sah in finsterem
-Schmerze in die sinkende Nacht. Was ihm einmal ein
-Schuljunge in raschem Kinderärger nachgerufen und wovor
-man ihn im Haus eine lange lichte Jugend hindurch
-behütet hatte &ndash; in dieser Stunde hatte Peter Squenz mit
-der brutalen Rücksichtslosigkeit des vereinigten Ochsenbauern
-und Polizeimannes die Decke von dem Geheimnis
-gerissen und hatte dem Jungen das Herz blutig geschlagen.
-Es war alles durcheinandergestürzt, was Tante Veronika
-in den Jahren aufgebaut hatte, und sie fand sich nicht mehr
-in sich selber zurecht. Da legte die alte Mali dem Jockele
-ihre Hand auf die Achsel; denn sie sah, daß ihm die Augen
-überliefen von stillem und heißem Weinen. Sie fand
-auch warme Worte windigen Trostes &ndash; denn welches
-Menschen Rede vermöchte das wildgewordene Meer eines
-im Tiefsten erregten Herzens zu glätten?</p>
-
-<p>Danach stand er sehr ruhig auf und sagte: »Ich will in
-das Gartenhaus gehen und sehen, wie wir es machen
-können.«</p>
-
-<p>Als es schon ganz dunkel geworden war, kam er wieder
-herein und sagte:</p>
-
-<p>»Es ist nicht das, was Ihr denkt, daß es mich so hart
-getroffen habe! Daß eine Zigeunerin im Bergwinter
-verkommen ist, die ich nicht kenne, ist ein Jammer, und
-der Gedanke ist furchtbar, daß sie meine Mutter gewesen
-sein könnte. Aber ich habe sie nicht gekannt &ndash; sie hat<span class="pagenum"><a id="Seite_77">[77]</a></span>
-auch gar nicht gewollt, daß ich sie kenne und liebhabe &ndash;
-aber sie zerreißen sich nun die Mäuler in der ganzen
-Gegend über mich. Vielleicht ist das auch nicht so schrecklich,
-wie es mir jetzt zu sein scheint; denn jetzt meine
-ich, ich könnte mich nicht mehr draußen sehen lassen, weil
-die Kinder hinter mir herschreien, was mir meine Mutter
-getan hat.«</p>
-
-<p>Tante Veronika hörte ihn in Ruhe an, aber der alten
-Wirtschafterin wendete sich das Herz um, und sie kam mit
-Gründen einer landläufigen und gefühlsseligen Moral,
-daß es schlimm wäre, wenn ein Kind so von seiner Mutter
-rede.</p>
-
-<p>»Und was hast Du Dir weiter gedacht?« fragte Veronika.</p>
-
-<p>»Ich habe mir gedacht, es wäre am besten, ich ginge
-fort, schon morgen. Ich habe alle meine Zeichnungen zusammengesucht
-und will damit zu Maria Reh nach Weimar
-und möchte sie fragen, was <em class="gesperrt">sie</em> zu der Sache meint.
-Wenn ich unter fremden Menschen bin und neue Pflichten
-habe, komme ich leichter über alles hinweg.«</p>
-
-<p>»So ist es wohl am besten,« sagte Tante Veronika.
-»Ich kann Dir in jedem Monat hundert Mark schicken;
-wenn Du mit dieser kleinen Summe auskommst, so will
-ich Dich nicht zurückhalten. Und es wird wohl gehen;
-denn Maria Reh hat mir gesagt, daß sie auch mit so
-wenigem haushalten müßte.«</p>
-
-<p>»Hundert Mark?« fragte Jakobus in großer Verwunderung.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_78">[78]</a></span></p>
-
-<p>»Du darfst darüber nicht erstaunt sein,« sagte Veronika,
-»es ist nicht viel &ndash; Du weißt das noch nicht. Aber ich
-denke, es läßt sich schon machen.«</p>
-
-<p>Sie hütete sich auch in dieser finsteren Stunde vor
-schulmeisterlichen Lehren und dachte: wenn ich ihn falsch
-erzogen habe, so wird nun auch sein Leben falsch werden.</p>
-
-<p>Dann stand sie auf und suchte mit dem Mädchen alles
-zusammen, was er mitnehmen sollte. Er trug aus dem
-Gartenhause herüber, was er für nötig hielt, und sie ließen
-noch etliches für den anderen Tag; denn es wurde bestimmt,
-daß er erst abends reisen sollte, um den peinlichen
-Augen der Leute von Ibenheim aus dem Wege zu gehen.</p>
-
-<p>Als die Stunde gekommen und sein Gepäck schon vorausgeschickt
-war, begleiteten ihn Veronika und Mali bis
-auf die Schwelle des Hauses. Sie hatten alle aufrechte
-und stille Herzen, und Fräulein Sinsheimer sagte: »Ich
-habe mir das bis zuletzt aufgehoben: borge Dir von keinem
-Menschen Geld, wenn Du einmal nicht mit dem langen
-solltest, was ich Dir geben kann! Es würde mir sehr weh
-tun; denn Du würdest damit bezeigen, daß Du zu anderen
-mehr Vertrauen hast als zu der Frau, die mit all
-ihrer Treue und Liebe um Dich gewesen ist. Du hast mir
-viel Freude geschenkt, Jakobus, und ich habe die Pflicht
-und den Wunsch, Dir für dies Glück zu danken. Du wirst
-mich immer finden, so oft Du mich suchst. Und nun sei
-brav und tapfer &ndash; lebe wohl!«</p>
-
-<p>Jakobus sagte: »Ich weiß seit gestern klarer denn seit
-je, daß ich Dir alles zu danken habe, was ich bin und wohl<span class="pagenum"><a id="Seite_79">[79]</a></span>
-auch werde, liebe Tante Veronika, und ich werde es nie
-vergessen.«</p>
-
-<p>Dann beugte sich seine hochgewachsene klare Jugend
-zu der kleinen feinen Frau hinab, und sie küßte ihn mit
-ihren schmalen Lippen auf die Stirn.</p>
-
-<p>Die Glocke am Schwibbogen tat drei leise Schläge,
-als sich die Türe geschlossen hatte, und Veronika sagte zu
-Mali: »Wir sind heute ein großes Stück dem Ende zugelaufen.
-Man legt nicht jeden Tag als Maß an den
-Weg, aber in solch einem stehen gleich sieben Meilensteine.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Er kam nachts um elf Uhr nach Weimar. Am anderen
-Vormittage ging er in die stille Straße, die Am
-Horn heißt; denn Maria Reh wohnte seit einiger Zeit
-mit einer Freundin, die auch Malerin war, in dem sehr
-kleinen Gartenhause, das ganz versteckt in dem schönen
-Besitze des Generalintendanten von Vignau liegt.</p>
-
-<p>Als er den breiten Fahrweg entlang schritt, der von
-dem eisernen Tor unter Kastanienbäumen zu dem Häuschen
-führt, kam er sich sehr tapfer und fast daheim vor; denn
-er war durch den alten Weimarer Park herübergegangen,
-und die Welt war voll Frühlingsahnungen und heimlich
-springenden Knospen wie der Buchenwald an den Hängen
-des Gebirges. Als seine Augen nun den Schritten voraufliefen
-und an den kleinen Fenstern suchten, ob sie Maria
-Reh sähen, wußte er: er würde den Damen alles erzählen,
-was ihn zu seinem raschen Entschlusse gebracht hatte. Er
-kannte all diese Menschen nicht, an denen er vorbeigelaufen<span class="pagenum"><a id="Seite_80">[80]</a></span>
-war, und fühlte: denen wäre es ganz gleichgültig,
-woher er gekommen sei; und sein helläugiges
-Wesen bäumte sich auch dagegen auf, sich von den Malerinnen
-die Wege in das Leben führen zu lassen und ihnen
-dafür mit Unehrlichkeit zu begegnen. Barbara Laufer
-hatte wahrscheinlich längst von allerlei Vermutungen zu
-Maria Reh gesprochen&nbsp;…</p>
-
-<p>Er stand vor der grauen Haustür und zog an dem
-Glockenstrange, der aus einer anderen Zeit kam … Da
-hatte ihn Maria Reh auch schon in den Händen, und ihre
-weiche tiefe Frauenstimme wollte sich überschlagen&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Mensch!« rief sie, »Sie sind ja schon wieder eine Elle
-länger geworden und haben die Augen ganz voller Himmel
-&ndash; was will denn das werden?«</p>
-
-<p>Sie zog ihn die schmale Holztreppe empor &ndash;&nbsp;&ndash; was
-war das für eine starke und frohmütige Art!</p>
-
-<p>In der kleinen Stube nach dem Garten hin stand
-Doris Rinkhaus in einem hellblauen Morgenkleide &ndash;
-ein Frühlingstag, dachte Jakobus Sinsheimer; denn es
-war alles blau und golden an ihr, ihr Gesicht blühte wie
-ein Sonnenhang im März, und sie trug das lichte Haar
-wie die Mädchen auf den Bildern Defreggers.</p>
-
-<p>Das stürzte alles so über ihn, und eine dunkle und eine
-helle Frauenstimme flatterten um ihn wie ein Trauermantel
-und ein Zitronenvogel, die in seinem jungen Lichte
-spielten. Maria Reh ergriff seine beiden Hände und legte
-sie in die von Doris Rinkhaus und sagte:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_81">[81]</a></span></p>
-
-<p>»Das ist der Junge aus dem grünen Lande! Gib acht,
-aus dem wird etwas &ndash; es weiß nur noch nicht, wohin es
-mit ihm will!«</p>
-
-<p>Nun saßen sie sich seit drei Minuten gegenüber und
-kannten sich schon seit Anbeginn.</p>
-
-<p>Auf dem Tische lag ein Wachstuch; das Geschirr vom
-Morgenkaffee stand noch darauf und daneben lagen viele
-Krumen. Auf einmal fiel es Doris Rinkhaus ein, sie
-müßten den Tisch abräumen, weil sie Besuch hätten. Da
-packten sie beide die vier Zipfel des Wachstuches, ließen
-das Geschirr durcheinanderklirren, schütteten ihr Lachen
-darüber und trippelten damit in die Küche. Dann
-rückten sie an Jakobus heran, daß die drei Paar Knie zusammenstießen,
-und Maria Reh sagte: »Schießen Sie los,
-junger Mann! Sie wissen, Sie haben sich einmal an mir
-in sieben rosenrote Himmel hineingeschwärmt, aus deren
-etlichen Sie jählings herausgefallen sind. Aber der
-Freundschaft tut das keinen Eintrag &ndash; und nun mal los:
-Hat die Tante Veronika einen Krach geblasen? Leiden
-Sie an einer unglücklichen Liebe, die ganz gewiß Ihre
-letzte sein wird? Haben Sie ein neues Schmetterlingsbuch
-verfaßt, oder wie ist das?«</p>
-
-<p>»Du reißt ja mit einem Male alle Türen an Herrn
-Sinsheimer auf!« mahnte Doris Rinkhaus. »So laß ihn
-doch erst zu sich selbst kommen!«</p>
-
-<p>Da tat Jockele einen tiefen Atemzug &ndash; es ging nun
-doch nicht so leicht, wie er nach dem klingenden Begrüßungsfeste
-gedacht hatte. Er begann tastend &ndash; ein<span class="pagenum"><a id="Seite_82">[82]</a></span>
-Wanderer an einem steilen Hange, der fürchtet, die Steine
-unter ihm könnten ins Gleiten geraten. Er suchte zuerst
-auch in den Augen und Mienen der Mädchen, ob sich in
-ihnen über seine Rede eine heimliche Lustigkeit zeige.
-Aber sie hörten ihm mit Selbstvergessenheit zu. Einmal
-unterbrach er sich und sah Maria Reh an: »Wußten Sie
-schon, daß allerhand Gerüchte über mich in den Dörfern
-liefen?«</p>
-
-<p>»Ja,« sagte sie, »ich habe es reden hören. Die Leute
-taten sehr geheimnisvoll; ihre Erzählungen hörten sich auch
-gar zu komisch-romantisch an &ndash; das Lachen kam einem ja,
-wenn man ihre stumpfen Gedanken und plumpen Münder
-an diesem Rätsel herumraten sah!«</p>
-
-<p>»Ich dachte es mir, daß Sie es wüßten. Und Sie
-haben mir auf unseren Waldgängen nichts davon gesagt?«</p>
-
-<p>»Warum sollte ich mich in Dinge drängen, die mich
-nichts angehen? Und wenn Sie selbst gar keine Ahnung
-gehabt hätten &ndash; warum sollte ich Ihnen denn einen so
-großen Schmerz bereiten?«</p>
-
-<p>»Sie reden von einem großen Schmerz, Maria. Wollen
-Sie ganz ehrlich gegen mich sein?«</p>
-
-<p>»Ja,« sagte sie, »ich gelobe es sogar!«</p>
-
-<p>»So sagen Sie mir: was meinen Sie mit diesem
-großen Schmerz?«</p>
-
-<p>»Ich habe gedacht, es müßte Ihnen sehr weh tun, daß
-Ihre Mutter Sie so lieblos in die Welt gesetzt hat&nbsp;…«</p>
-
-<p>Darüber sprang Doris Rinkhaus auf und schritt ein
-paarmal durch die kleine Stube&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_83">[83]</a></span></p>
-
-<p>»Was meinst Du?« fragte Maria.</p>
-
-<p>»Ich glaube gar nicht an den großen Schmerz,« sagte
-sie, »nein, ich kann es mir nicht denken!« Und es lag
-über ihren klugen Stirn und über ihrem leuchtenden
-Munde wie ein Märztag, den der Sturm blank geblasen
-hat. Sie sprach hart und klar: »Wenn ich mir überlege,
-meine Mutter hätte mich hilflos auf eine fremde Schwelle
-gesetzt und hätte sich nicht mehr um mich gekümmert,
-dann hätte sie ja gar keinen Anspruch auf meine Liebe&nbsp;…«</p>
-
-<p>Danach erzählte Jockele die Geschichte zu Ende. Es kam
-ein fast wilder Mut in ihn, den Kampf mit dem Leben
-aufzunehmen, in das er nun hinausgestoßen war, ehe er
-daran gedacht hatte. Hinter jedem Worte stand sein
-kampfmutiges und kühnes junges Herz. Der blühende
-Märzenmund hatte zur Flamme geblasen, was Glut gewesen
-war&nbsp;…</p>
-
-<p>»Man wird auch hier von dieser Geschichte reden; denn
-ich mag nicht immer um mich selbst herumlaufen wie der
-Fuchs um das Schlageisen, in dem er sich doch endlich
-fängt &ndash; nur sagen Sie es mir: wird man auch hier hinter
-mir herschreien und mich verachten, weil meine Mutter
-eine Zigeunerin war?«</p>
-
-<p>»Ach Unsinn!« riefen die Mädchen wie aus einem
-Munde.</p>
-
-<p>»Wenn Sie schon recht viel könnten, wären Sie mit
-einem Schlage berühmt!« Doris Rinkhaus fand alles
-›rasend‹ interessant und warf die ›Donnerwetter‹ hinter
-ihre Worte als Ausrufezeichen. Manchmal wollten ihr<span class="pagenum"><a id="Seite_84">[84]</a></span>
-Herz und Kopf davonlaufen, dann schlug sie sich übermütig
-vor den Mund und sagte: »Nur für Damen! Darüber
-will ich mit Maria reden, wenn wir allein sind!« Und
-Maria Reh faßte Jockele vorn an der Jacke und sagte:
-»Wissen Sie noch, wie weich und träumerisch und maigrün
-Sie um die Wachtelweizenblüte waren?«</p>
-
-<p>Es flog ihm blutrot aus dem Herzen herauf &ndash; nun
-ja, auf dem Weg aus dem Sommerwalde durch den Bergwinter
-hatte auch viel Erkenntnis und Einsamkeit gelegen,
-dazu der Tag, in dem Tante Veronika sieben Meilensteine
-stehen sah! … Doris Rinkhaus sprang rettend dazwischen&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Wie ich die Dinge beurteile,« sagte sie, »so müssen wir
-jetzt eine Bude für Sie suchen; denn hier geht das nicht,
-junger Mann!«</p>
-
-<p>Jakobus Sinsheimer hätte am liebsten gesehen, wenn
-es hier gegangen wäre &ndash; nun jagten sie ihre Gedanken
-durch viele Straßen, und als nichts paßte, verfielen sie
-auf das Dienerhaus, das neben dem sehr kleinen Gartenhause
-stand und doch fast dreimal kleiner war als dieses.
-Weiß Gott, welcher Philosoph sich das einmal ins Grüne
-gedichtet hatte wie Vögel ihr Nest! Doris Rinkhaus
-sagte: es müsse ein ganz ungeheuer fröhlicher und gescheiter
-armer Mensch gewesen sein, und er sei über dem
-Gedanken sicher ins Singen geraten oder in ein welt- und
-himmelfröhliches Pfeifen.</p>
-
-<p>Die Sache kam in Ordnung: Jakobus Sinsheimer, der
-angehende Kunstmaler, hatte zwei Stuben zu ebener Erde<span class="pagenum"><a id="Seite_85">[85]</a></span>
-und über sich ein Dach. In der einen hatte mit knapper
-Not sein Bett Platz. Auf ein Atelier glaubte er aus
-vielerlei Gründen zunächst verzichten zu können. Er ließ
-sich also sein Gepäck herbefördern und fing an zu wohnen.</p>
-
-<p>Auf der Akademie hörte er auch Kunstgeschichte bei
-einem alten Herrn, der einmal Pastor gewesen war. Am
-ersten Tag erschien ihm die Sache prächtig; denn er trat
-an die neue Welt heran mit dem selbstverständlichen
-Willen, sie in allen Stücken vollkommen zu finden. Später
-saß er in diesen Vorlesungen mit grausamer Selbstentäußerung
-und ließ ihre mitleidlose Langweile über sich
-zusammenschlagen. Auf Akt und Landschaft warf er sich
-mit der fröhlichen Kunst der Jugend zum Glücklichsein.
-Es war ein frisches Zugreifen und herzhaftes Vorwärtskommen,
-aber nicht ohne Eigenwilligkeiten, wegen derer
-es zu Auseinandersetzungen zwischen ihm und seinen
-Lehrern kam. Wege suchen und Ziele finden, wenn es
-auch noch so mühsam war, machte ihn warm; der Regel
-und dem Schema stand er gefroren gegenüber. Um
-Menschen solcher Art bilden sich zweierlei Meinungen &ndash;
-die einen sagten: »Dieser Sinsheimer kann nichts und wird
-nichts!« Die anderen meinten: »Sinsheimer ist ein eigenwilliger
-Kopf, aber er ist aus dem Holze derer geschnitten,
-die durchkommen!«</p>
-
-<p>Er hatte schon wenige Tage nach seiner Uebersiedlung
-viele Bekannte; denn ein Junge, dem Zigeunerblut in den
-Adern rollte und der berühmt war von dem Augenblick an,
-in dem ihn zum ersten Male die Sonne beschienen hatte<span class="pagenum"><a id="Seite_86">[86]</a></span>
-&ndash; das war etwas! Dazu diese geschmeidigen Glieder, und
-dies Herz, voll bis zum Rande von der Kraft des Bergwalds,
-und die Augen voller Licht &ndash; »Donnerwetter!«
-schrieb Doris Rinkhaus hinter Jakob Sinsheimer. Nach
-vier Wochen wußte kaum einer mehr, daß er noch einen
-anderem Namen trüge als Jockele &ndash; und das kam ihm
-von Maria Reh.</p>
-
-<p>In der Zeit zwischen März und Frühling geriet er in
-das Leben, das Doris Rinkhaus in der Klarheit, mit der
-sie alle Erscheinungen erfaßte, die ›Filiale von München-Schwabing‹
-genannt hatte. Es ist ein Gemisch von
-Jugend, Sorglosigkeit, Uebermut, einem ganz geringen
-Zusatz ernster Arbeit und einem stärkeren von vermeintlicher
-Genialität. Zu den äußeren Kennzeichen rechnete
-Jockele, daß jeder, der in diesem Leben stand &ndash; sei es
-Jüngling oder Mädchen &ndash; die unverbrüchliche Verpflichtung
-eingegangen zu sein schien, in je fünf Minuten
-mindestens einmal die Worte genial, Genialität oder Genie
-zu gebrauchen. Darüber gelangte man zu der Annahme,
-die Genies wüchsen in der Welt wie gelber Löwenzahn,
-und binnen kurzem könnte sich die Erde nicht mehr vor
-ihnen retten.</p>
-
-<p>Das war die Zeit, in der Jockele zu der peinlichen Erkenntnis
-kam, daß ein Monat zwanzig Tage länger sein
-kann als hundert Mark.</p>
-
-<p>Ehe er dieses Maß nahm, hatte er sogar Geld ausgeliehen.
-Einmal machte er sich auf den Weg, die
-Schuld einzufordern. Da schloß ihn der Kunstschüler<span class="pagenum"><a id="Seite_87">[87]</a></span>
-gerührt in die Arme und rief den Propheten Daniel zum
-Zeugen an, daß er alles bezahlen würde, wenn er
-berühmt wäre.</p>
-
-<p>Mit diesem Troste zog Jakobus Sinsheimer seine
-Straße und war froh, daß er über den alten Schießstand
-unter den mächtigen Kastanienbäumen nach Hause gehen
-konnte, der hinter den Gartenzäunen langlief; denn er
-dachte, die Menschen müßten es ihm ansehen, daß er seit
-drei Tagen nur noch zwei rote Pfennige in der Tasche
-trüge. Weil der Magen gegen solche Behandlung knurrend
-Einspruch erhob, trat Jockele zuvor in den Hausgang
-einer Bäckerei und erstand für diese zwei Pfennig
-Weißbrot. Auf dem Walle des Schießstandes, um den
-Maienwind und Grün wirbelten, verschlang er die Semmel
-und sah dabei manchmal über die Gartenzäune, ob da wohl
-einer in sattem Wohlbefinden stand und ihn beobachte.
-Aber es war niemand da als der Frühling, und der hatte
-alle Hände voll zu tun; denn da warteten die tausendarmigen
-Leuchter der Kastanien und wollten angezündet
-sein.</p>
-
-<p>Als Jakobus gerade den alten Wall hinabspazierte und
-durch die Schlüpfe des Gartenzauns in die grüngoldene
-Einsamkeit verschwinden wollte, setzte sich ein Mann im
-Gras auf. Ein stattlicher Herr mit einem blonden Vollbart
-und einer goldenen Brille. Unter seinen forschenden
-Blicken schritt Jockele auf die Pforte zu, und als er den
-Schlüssel hervorsuchte, erhob sich der andere und fragte:
-»Ah, Sie wohnen hier?«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_88">[88]</a></span></p>
-
-<p>»Zu dienen &ndash; in dem ganz kleinen Hause da.«</p>
-
-<p>»Aha. Da sind Sie also der junge Maler Jakobus
-Sinsheimer. Ich heiße Fridolin Hartwig.«</p>
-
-<p>»Angenehm. Auch Maler?«</p>
-
-<p>»O nein, ich bin Schriftsteller. Darf ich Ihnen für
-wenige Augenblicke in das grüne Idyll folgen? Ich interessiere
-mich dafür &ndash; man kann Sie ja wohl darum beneiden.«</p>
-
-<p>»Das wohl!« sagte Jockele. &ndash; Sie schritten über das
-Gras, das unter den schon schattenden Obstbäumen noch
-morgenfeucht war.</p>
-
-<p>»Sie haben ja einen romantischen Einzug in die Welt
-gehalten,« begann Hartwig, »und wollen es im Leben zu
-etwas bringen, hm?«</p>
-
-<p>»Ich hoffe.«</p>
-
-<p>Sie waren eine halbe Stunde beisammen, und als sie
-wieder vor der Pforte im Zaune standen, kam Doris Rinkhaus
-den Gartenweg daher und ein Paar aufdringliche
-Männeraugen begegneten ihr.</p>
-
-<p>»Was hatten Sie denn für einen Herrn in Ihrer Gesellschaft?«
-fragte sie später. Sie ließ es sich berichten&nbsp;…</p>
-
-<p>»Er hat unehrliche Augen,« sagte sie &ndash; »solche, die gern
-um die Ecke gucken. Und wissen Sie, derartige Koketterien
-wie die dünne silberne Uhrkette um den Hals, die
-große Silbermünze mitten auf der Brust, und dies Spazierstöckchen
-neben so mächtigen Gliedern &ndash; so etwas
-wirkt auf mich einfach peinlich.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_89">[89]</a></span></p>
-
-<p>»Aber liebes Fräulein Rinkhaus&nbsp;…«</p>
-
-<p>Sie sprang mitten hinein in seine Rede&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Ach, sagen Sie, was Sie wollen, so trägt sich ein
-Mann nicht, und wenn er sich noch so ernst gebärdet! Ich
-würde das nicht einmal einem halbwüchsigen Kunstschüler
-verzeihen.«</p>
-
-<p>»Sie verschießen Ihre Worte ja wie vergiftete Pfeile,«
-lachte Jockele; aber es war nicht das fröhliche Draufgängertum
-der anderen Tage in ihm.</p>
-
-<p>»Jawohl, Pfeile! Und ich wünsche, Sie würden getroffen!
-Ich glaube, es ist die höchste Zeit, Sie einmal
-auszuputzen. Sie laufen seit ein paar Tagen in der Welt
-herum und tragen den Kopf unter dem Arm. Kommen
-Sie mal gleich rein, da kann ich lauter reden!«</p>
-
-<p>Sie faßte ihn am Jackenzipfel und zog ihn hinter sich
-her in das kleine Haus. Da hatte die Sonne tausend
-Goldstücke auf die Dielen gelegt &ndash; Jockele sah dies poesievolle
-Leuchten zum erstenmal aus dem nüchternen Gesichtswinkel
-geprägten Edelmetalls. Das ist ein kläglicher
-Standpunkt; die meisten Menschen sagen: er ist richtig,
-aber sie unterbinden sich damit das Herz, kriegen scheele
-Augen, puddeln sich darüber ins Grab und haben ihr
-Leben zuletzt doch um das bißchen Himmel betrogen.</p>
-
-<p>Doris Rinkhaus schob die Staffelei und den Stuhl in
-den Winkel &ndash; es war weiter nichts da, das sie am Auffahren
-ihres Geschützes hinderte. Jockele suchte einen
-Stützpunkt und wählte sich dazu den Stuhl. Sie wollte
-gleich ein richtiges Maschinengewehrfeuer auf ihn eröffnen,<span class="pagenum"><a id="Seite_90">[90]</a></span>
-da befiel sie ein letztes Mitleid &ndash; »Mensch, sind
-Sie krank?« fragte sie.</p>
-
-<p>»Ja,« sagte er, »sehr! Ich habe kein Geld und habe
-seit drei Tagen eigentlich nichts mehr gegessen.«</p>
-
-<p>»Was fällt Ihnen ein, &ndash; sehen Sie denn nicht, daß
-Sie mich damit einfach entwaffnen?«</p>
-
-<p>»Das einzige Gute an diesem verzweifelten Zustande!«
-sagte Jockele. »Sehen Sie, ich habe mein Portemonnaie
-vor ein paar Tagen auseinandergezogen und in die alte
-Vase gesteckt, als Blume der Erinnerung an schöne
-Zeiten.«</p>
-
-<p>Er trug vom Fensterbrett nebenan die Vase herüber,
-die er in einem Winkel des Schuppens gefunden hatte,
-und darin steckte die zerknüllte Geldtasche und machte eine
-schmerzensreiche Verbeugung vor Doris Rinkhaus. Die
-hatte über Jockele im besonderen und über die schiefe
-Stellung zum Leben reden wollen, in die er hineintrieb &ndash;
-nun aber sprach sie über die Männer im allgemeinen und
-teilte sie ein in Helden, Dummköpfe und Kinder. Die
-Helden kämen hier gar nicht in Frage; denn sie wüchsen
-spärlich wie Mohn im Winter. Die Dummköpfe müßten
-ausgeschaltet werden, weil sie in Riesenauflagen erschienen
-und von der fixen Idee befallen seien, sie wären als
-würdige Vertreter des starken Geschlechts in die Weltregierung
-eingesetzt und wären so etwas wie die Staatsminister
-des lieben Gottes. Und die dritte Sorte: die
-Kinder &ndash; aus denen in allen Fällen etwas würde, wenn
-sie beizeiten einer gescheiten Frau in die Hände fielen&nbsp;…</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_91">[91]</a></span></p>
-
-<p>Jockele bekam eine Anwandlung verzweifelten Humors
-und sagte: »Darüber müssen Sie mal einen öffentlichen
-Vortrag halten.«</p>
-
-<p>Da merkte sie, daß sie sich nun doch mäßig aneinander
-erbost hatten, und fragte ihn, wie es käme, daß sie nur
-zwei Jahre älter und dennoch um ein Menschenalter
-gescheiter wäre als er?</p>
-
-<p>»Das ist wohl so etwas wie Notreife, die ich als peinliche
-Tatsache empfinde, bis ich wieder Geld habe,«
-sagte er.</p>
-
-<p>»So kann ich bis dahin auch nicht mit Ihnen kämpfen!
-&ndash; Sie müssen also heute an Tante Veronika schreiben,
-ich bringe Ihnen Briefpapier und eine Marke.«</p>
-
-<p>»Fällt mir ja gar nicht ein,« sagte Jockele, »denken Sie,
-ich mache mich auch dort lächerlich?«</p>
-
-<p>Hinter diese Rede setzte Doris Rinkhaus ein Ausrufezeichen;
-sie ließ es ihn aber nicht merken.</p>
-
-<p>»Es muß doch irgendetwas geschehen!«</p>
-
-<p>»Natürlich &ndash; ich hungre die zwanzig Tage, und wenn
-es nicht mehr geht, fresse ich Gras.«</p>
-
-<p>Da machte sie wieder ein Ausrufezeichen.</p>
-
-<p>Sie dachte nicht, daß es bei dieser stumpfen Härte
-einen Zweck hätte, aber sie sagte dennoch: »Sie gehen
-augenblicklich mit zu mir hinüber und essen sich satt! Ich
-lade Sie für jeden Tag dieses Monats zu Mittag und
-Abend &ndash; zwischendurch gibt es nichts!«</p>
-
-<p>»Diese Güte beschämt mich, Fräulein Rinkhaus! Aber
-es wird sich nicht anders machen lassen. Ein Trost ist,<span class="pagenum"><a id="Seite_92">[92]</a></span>
-daß es zwischendurch nichts gibt, sonst würde ich für meine
-Eselei ja gar nicht gestraft werden.«</p>
-
-<p>Doris Rinkhaus lachte hell auf, und er gab sich der
-klaren Ueberlegenheit ihres leuchtenden Frauentums mit
-ganzer Seele hin. Maria Reh war schon seit drei Tagen
-in ihre westfälische Heimat gereist und blieb über
-Pfingsten fort.</p>
-
-<p>Als er gegessen hatte, fragte er: »Warum reisen Sie
-nicht auch?«</p>
-
-<p>»Trotz!« sagte sie. »Wenn wir uns besser kennen,
-erzähl' ich Ihnen diese Geschichte. Ich bleibe dies ganze
-Jahr hier.«</p>
-
-<p>»Auch ich kann ja nicht nach Hause gehen,« sagte er.
-»Ich muß erst weiter abrücken von den Dingen und Menschen,
-die dort um mich gewesen sind, seit ich vor der Tür
-aufgelesen wurde. Ich bin zwar fast immer allein geblieben,
-aber ich kenne diese Gesichter von Ibenheim zu
-gut, und ich kann Augen nicht leiden, die so an mir
-herumnagen.«</p>
-
-<p>»Augen, die an einem herumnagen …,« wiederholte
-sie nachdenklich, &ndash; »jawohl, das ist das richtige Wort dafür;
-jener Herr Fridolin Hartwig hat auch solche Augen.
-Vielleicht nur Frauen gegenüber … Es gibt viele
-Männer, die uns auf diese Weise anfallen, und kommen
-sich dabei wohl auch tapfer vor.« Da merkte sie, daß sie
-damit auf ein Feld geraten war, auf dem die Jugend
-Jockeles noch nicht säete. Sie dachte auch, vielleicht wäre
-sie darin von zu großer Empfindlichkeit; denn Maria Reh<span class="pagenum"><a id="Seite_93">[93]</a></span>
-hatte ihr einmal gesagt: »Du bäumst Dich da vor Dingen
-auf, die gar nicht so widerlich sind.« &ndash; Nun ja, Maria
-Reh, mit ihrem sachte rinnenden Blute und ihrer Hochsommerruhe!
-Maria Reh stand nicht mehr weit von der
-Schwelle der Dreißig.</p>
-
-<p>»Es ist merkwürdig, daß Maria nirgend rechten Anschluß
-findet,« sagte sie dann, »sie hat hundert Bekannte
-und keinen Freund oder keine Freundin. So ist es auch
-mit ihrer Kunst &ndash; sie malt tausend Landschaften und
-kein Bild. Und so sind sie fast alle, diese ›Malerinnen‹;
-sie hungern nach Betätigung und werden doch nie satt
-an einer Sache, zu der sie von ihrem Geschmack, aber
-nicht von einem gewaltigen Willen und überzeugendem
-Talente geführt worden sind. Nun halten sie zwar erträglich
-damit Haus, aber sie finden sich darüber doch nicht
-zu einem Glücke des Lebens.«</p>
-
-<p>»Und doch reden sie alle ganz anders,« sagte Jakobus.</p>
-
-<p>»Reden! Natürlich reden sie; sie sind begriffen auf
-einer fortwährenden Selbstentschuldigung, oder nicht
-einmal das &ndash; sondern sie sind froh, daß sie ihr
-Leben wenigstens ohne die Langweile vertändeln können,
-die sie &ndash; sind sie Frauen &ndash; auch zu physischem Ruin
-führen.«</p>
-
-<p>Jakobus merkte: es waren in diesem Mädchen ganz
-andere Kräfte lebendig, es war ein Licht in ihr in einer
-fast wilden, unbändigen Helligkeit, das nun in ihn
-hineinstürmte.</p>
-
-<p>»Es hat noch niemand so mit mir gesprochen,« sagte er.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_94">[94]</a></span></p>
-
-<p>»Mit mir auch nicht!« lachte sie &ndash; »sonst wär' ich nicht
-so querköpfig geworden. Querköpfig daheim und querköpfig
-unter den Menschen. Ich ecke an, wo ich mich
-sehen lasse.«</p>
-
-<p>»Mit Ihrer Kunst auch?« fragte Jockele.</p>
-
-<p>»Ach Unsinn &ndash; oder besser: leider nein; denn was
-ich schaffe, schaff ich für mich, zu einem Mehr reicht's
-nicht aus.«</p>
-
-<p>»Und sind mit solcher Erkenntnis Kunstgewerblerin
-geworden?«</p>
-
-<p>»Nein, lieber Jakobus Sinsheimer! Ich bin nur
-dazu gegangen, damit ich aus Verhältnissen herauskam,
-die mich in ein paar Jahren auch um das betrogen hätten,
-was mich heute noch apart &ndash; oder sagen Sie: so fröhlich
-eigenwillig macht. Mein alter Herr ist Fabrikbesitzer in
-Bonn, er ist ein reicher Mann &ndash; na, was soll ich Ihnen
-sagen: da fliegen die heiratslustigen jungen Männer ins
-Haus, daß es eine Art hat! Natürlich &ndash; ich will heiraten
-&ndash; aber <em class="gesperrt">ich</em> will heiraten … Sie verstehen ja davon
-nichts! Sehen Sie, wenn es nach mir gegangen wäre,
-hätt' ich studiert &ndash; Kunstgeschichte meinetwegen oder
-Germanistik, oder auch Staatswissenschaften, und hätte
-promoviert &ndash; aus purem Eigenwillen, wissen Sie. Aber
-dazu fehlen mir die Zeugnisse. Und so in die Vorlesungen
-laufen, ohne das Ziel eines Abschlusses mit dem
-<em class="antiqua">Dr. phil.</em>, ist ganz und gar nicht nach meinem Geschmack.
-Da hab ich mich nach Weimar gesetzt. Ich liebe diese
-Stadt, sie ist voll berauschenden Lebens &ndash; die meisten<span class="pagenum"><a id="Seite_95">[95]</a></span>
-laufen daran vorbei mit ihren müßigen Seelen und
-schwätzen von dem ›Odem einer großen Vergangenheit‹,
-unter dem ihr kärgliche Licht manchmal ein bißchen ins
-Wackeln kommt. Ich bin hier, weil ich mir hier selbst
-gehöre! Alles andere ist Nebensache, und den Titel einer
-angehenden Künstlerin verbitt' ich mir ein für allemal …
-Das war eine lange Rede. Ich hätte sie Ihnen erst halten
-sollen, wenn Sie mal Weltschmerz haben &ndash; vielleicht
-hätte ich Sie dann wieder aufgebaut. Na, Hunger und
-Weltschmerz sind ja wohl Geschwister. Heut abend um
-sieben kommen Sie zum Nachtmahl. Und nun fangen
-Sie wieder an zu arbeiten. Adieu.«</p>
-
-<p>Sie nahm eine Kunstgeschichte vom Regal, setzte sich
-vor den Tisch am Fenster, und Jockele ging hinüber in
-seinen Malraum; er ging wortlos und dachte, was das
-mit ihm wäre? Er hatte dem weichen Frauentum Maria
-Rehs gegenüber vor einem Jahre die gleiche Willfährigkeit
-gezeigt wie jetzt dieser leuchtenden Mädchenjugend.
-Es waren Schauer wollüstiger Ergebenheit, zu beiden
-Malen, die ihn ganz untergehen ließen in der anderen
-Art &ndash; dort ein weiches frauliches Hinnehmen, das hatte
-sanfte Hände, denen er sich einst mit geschlossenen Augen
-ergab … und diese schöne klare Doris Rinkhaus kam
-über ihn als ein jauchzender Sieg.</p>
-
-<p>Es war eine Sache, die ihm wohl eines Gedankens
-wert schien, aber er zerbrach sich nicht den Kopf, weder
-darüber, ob es so in Ordnung sei, noch darüber, ob es
-daher käme, daß er vom ersten Tage ab nur Frauen um<span class="pagenum"><a id="Seite_96">[96]</a></span>
-sich gehabt hatte. Auch was in seiner Stellung zum Leben
-und zu seinem Schaffen etwa auf Rechnung dieser Erziehung
-zu setzen wäre, fiel ihm nicht ein, zu erwägen &ndash;
-für jeden Menschen ist der Weg siebenmal um die Erde
-viel kürzer als der in sein eigen Herz. Und zwischen diesem
-Herzen und den Augen, die ihm am nächsten sind, liegt
-neunfältige Nacht. Die Tür zu dem Herzen aber ist so
-fest zu, daß ein großes Glück, welches mit Leichtigkeit den
-Himmel samt allen Sternen in die Arme schließt, kaum
-mehr an ihr vermag, als durch das Schlüsselloch zu gucken,
-ob es dahinter auch wirklich hell ist. Ein großes Leid
-aber bescheidet sich nicht mit dem Schlüsselloch &ndash; ein
-großes Leid tritt die Tür ein; denn es hat eiserne Füße
-und Fäuste von Stein.</p>
-
-<p>Auf derlei Gleichnisse verfiel Jockele aber nicht. Und
-das war gut; sonst hätte seine Jugend ausgesehen wie
-einer, der in Kniehosen und hohem Glanzhut durch die
-Welt läuft. &ndash; Er steckte noch bis über die Ohren in der
-landläufigen Weisheit, daß der Mensch zum Arbeiten da
-sei &ndash; eine Sache, die auch der vor seinen Mitmenschen
-als selbstverständlich anzusehen hat, der da weiß: das
-ganze Menschengeschlecht wird erst dann in die sehnsüchtig
-erträumte Gotteskindschaft hineinwachsen, wenn ihm
-Arbeit und Leben eine fröhliche Gemeinsamkeit geworden
-sind.</p>
-
-<p>Tante Veronika hatte sich mit dieser Ansicht so viel
-Himmel erobert, als sich denken läßt; aber wie sie ihre
-Weisheit dem Jungen beibringen sollte, ohne die heillosesten<span class="pagenum"><a id="Seite_97">[97]</a></span>
-Verwirrungen in ihm anzurichten, das war ihr
-dunkel geblieben. Darum hatte sie niemals an diese Dinge
-gerührt.</p>
-
-<p>Von den jungen Männern, die Jakobus kennen gelernt,
-erweckte keiner den Wunsch nach engerem Zusammenschlusse
-in ihm &ndash; ein Erbe aus dem Frühlingshause;
-und an die älteren unter den Akademikern, die
-schon nahe daran waren, etwas zu sein, hatte ihm die
-Gelegenheit gefehlt, heranzukommen. Er arbeitete in
-diesem Sommer mit immer wachsender Zähigkeit. Ein
-über das andere Mal ging ihm das Vertrauen zu sich
-selbst in Scherben; dann mußten ihn die Damen aus dem
-Gartenhause wieder zusammensuchen. Aber raten konnten
-sie ihm nicht; denn Doris Rinkhaus stand diesen Erscheinungen
-fremd gegenüber, und in Maria Reh traten
-sie zutage als Verstimmungen leichterer Art; sie hatte
-sich schon bescheiden gelernt, als sie mit dem Pinsel an
-ihre erste Leinwand geriet.</p>
-
-<p>In solchen Zeiten war Jakobus Sinsheimer für Gott
-und die Welt verloren, und Doris Rinkhaus allein durfte
-es unter Beobachtung aller Vorsicht wagen, ihm über
-den Weg zu laufen. »Sie sind selbst da noch ein ganz
-passabler Mensch,« sagte sie und hielt still, wenn ihn
-einmal ein blitzeschleuderndes Gewitter durchtobte. Maria
-Reh aber wurde bei solchen Gelegenheiten stets drei Tage
-unsichtbar für ihn und ließ sich nur langsam wieder finden.
-Er hielt auch diese Entladungen für ganz in der Ordnung
-und wurde in seiner Annahme bestärkt, als er einem Zusammenstoße<span class="pagenum"><a id="Seite_98">[98]</a></span>
-zwischen Maria und Doris beigewohnt hatte,
-in dem Fräulein Rinkhaus seine Partei ergriff: »In einem
-jungen Manne, der so allein steht und sich seine Stellung
-in der Welt zu erkämpfen hat, sammelt sich allerlei Zündstoff
-&ndash; wo will er denn hin damit?« sagte Doris Rinkhaus.
-Aber Maria Reh redete von ungezogenen Stunden.
-Sie hatte sich über manche geheiligte Form und Regel
-des Kleinbürgertum hinweggesetzt, aber sie war doch ohne
-jene königliche Beschwingtheit der Seele, die der anderen
-ihren leuchtenden und freien Flug sicherte. So stand
-Jakobus zwischen den beiden Mädchen, deren gegensätzliche
-Art den friedlichen Verein der Drei niemals ernstlich
-in Gefahr brachte &ndash; das Barometer maß Tief und
-Hoch und zeigte so häufig himmelblaue Beständigkeit, als
-sie von Menschenherzen ohne Schaden ertragen werden
-kann. Der Wetterwechsel war nicht immer willkommen,
-aber man schlug seinetwegen den lieben Gott nicht tot.</p>
-
-<p>Dies ganze Jahr war für Jakobus Sinsheimer Kampf,
-aber es war nirgend Sieg.</p>
-
-<p>Hinter dem kleinen Hause lag ein Gartenwinkel mit
-Fruchtbäumen, der nach zwei Seiten durch die Gebäude,
-nach den anderen beiden durch Hecken und Zäune begrenzt
-wurde, und hinter der einen Hecke erhob sich der
-Wall mit den herrlichen alten Kastanien. Von dort her
-durch die Schlüpfe betrat Fridolin Hartwig den Apfelgarten
-während des Sommers häufig. Er kam immer
-mit dem leisen Tritt und der tiefen Ruhe des auf ein
-schönes inneres Gleichmaß gestimmten Menschen und erzählte<span class="pagenum"><a id="Seite_99">[99]</a></span>
-von einigen Verlagshäusern, von denen er reichliche
-Einnahmen beziehe. Er war auch nie aufdringlich, suchte
-sich einen Platz in dem sachte durchsonnten Grase nahe
-der Staffelei Jockeles, redete dabei von nicht allzu tiefen
-und nicht allzu gleichgültigen Dingen und lebte sich durch
-die grüne Sommerstille als ein Mann, der auf Gedanken
-zu einem tüchtigen Werke wartet. Manchmal sprach er
-mit Respekt von sich selber, oder er brachte seinem jungen
-Freunde das Heft einer Zeitschrift, in der sich ein Artikel
-oder die Fortsetzung eines Romans aus seiner Feder
-befand, dann sagte er: »Das müssen Sie lesen.« &ndash; Wenn
-es geschah, daß Doris Rinkhaus in dem schlichten blauen
-Morgenkleide aus dem jenseitigen Gartenteil in ihr Haus
-schlüpfte, befiel sein besinnliches Wesen eine Bestürzung,
-und er raffte sich zusammen wie einer, der eine Attacke
-reiten will. Er war ihr schon vorgestellt worden, aber
-Doris Rinkhaus hatte ihr Urteil über ihn nicht geändert;
-nun ließ sie sich zwar sehen, so oft er da war, aber sie
-setzte ihn auf einen stummen Gruß und wußte: ›die
-nagenden Augen‹ liefen hinter ihr her, bis der blaue
-Schein ihres Kleides darin verlöschte &ndash; oder auch noch
-länger.</p>
-
-<p>Jockele begann dieses Verhalten zu belustigen. Einmal
-sagte Hartwig: »Sie, Herr Jockele, ich glaube, Fräulein
-Rinkhaus ist eifersüchtig auf mich, oder sie ist hochmütig.«</p>
-
-<p>»Sie ist keins von beiden,« sagte Jockele, »sie ist nur
-eigenwillig!«</p>
-
-<p>»Hat sie einmal mit Ihnen von mir gesprochen?«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_100">[100]</a></span></p>
-
-<p>»Ja. Als Sie das erste Mal hier waren, seitdem nie
-wieder &ndash; sie fragte damals die gleichgültigen Fragen.
-Aber das ist ja natürlich; denn wir drei gehören nun doch
-zusammen; jetzt sind wir aber nur zwei; Fräulein Reh
-kehrt erst im September zurück.«</p>
-
-<p>Der Anfang des Augustmonats war regnerisch, da
-besuchte Jakobus Fridolin Hartwig mehrmals; denn die
-Bilder, die im Sonnenschatten des Apfelgartens begonnen
-waren, konnten in dieser Zeit nicht gefördert werden.
-Einmal fiel ihm die Stille der Wohnung auf, und als er
-nach den drei Kindern fragte, sagte Hartwig: »Ich habe
-sie in ein Kloster gegeben. Ich arbeite zuviel, wissen Sie,
-und sie störten mich häufig. Außerdem konnten wir uns
-der Erziehung nicht in dem Maße widmen, das wir für
-wünschenswert hielten.«</p>
-
-<p>Als sie noch redeten, klopfte es an der Tür, und
-Hartwig ging hinaus. Er sprach da mit einem Manne,
-der sich nicht abweisen zu lassen schien, und kam nach
-geraumer Zeit herein und sagte: »Pardon, Herr Jockele
-&ndash; haben Sie vielleicht sechzig Mark bei sich? Es ist mir
-eine Zahlung ausgeblieben. Ich erstatte Ihnen das Geld
-in den allernächsten Tagen zurück … Nicht? Das ist
-peinlich! Sie ahnen nicht, mit welchen Widerwärtigkeiten
-ein ringender starker Geist zu kämpfen hat!« Dann ließ
-er den Gerichtsvollzieher eintreten, der im Auftrage des
-Buchhändlers die Pfändungsmarke an das eichene Regal
-mit der Prachtausgabe eines Konversationslexikons klebte.
-… »Guten Morgen, Herr Hartwig.« &ndash; »Guten Morgen,<span class="pagenum"><a id="Seite_101">[101]</a></span>
-Herr Hucke &ndash;« Die beiden kannten sich offenbar schon
-von früher. Und da war die Sache geschehen.</p>
-
-<p>»Brauchten Sie denn zwei Lexika?« fragte Jockele.
-»Sie haben ja da noch den Herder.«</p>
-
-<p>»Ach, wissen Sie, der enthielt mir zu wenig bibliographische
-Angaben, und da hab' ich mir noch den Meyer
-zugelegt &ndash; auf Raten, na, und die hab' ich ein paarmal
-vergessen … das ist doch menschlich, nicht? Wer soll
-denn solche Lappalien immer im Kopfe behalten?«
-Hartwig reichte Jockele das Zigarettenetui: »Da,« sagte
-er, »setzen wir uns einen Dämpfer auf!«</p>
-
-<p>Aber Jakobus Sinsheimer war die Sache auf die
-Sprache gefallen &ndash;&nbsp;&ndash; drei Kinder im Kloster, Gerichtsvollzieher,
-und dabei das großmännische Behaben …
-Es war von diesen Gedanken und dem sachten Gruseln,
-das sie Jockele verursachten, nur ein Schritt bis zu Doris
-Rinkhaus. Er gab sich auch gar keine Mühe, Teilnahme
-zu heucheln oder sein Befremden zu verbergen, sondern
-verabschiedete sich und fiel wenige Minuten später in die
-Ecke des Sofas von Doris Rinkhaus.</p>
-
-<p>Es war für ihn ein ungeheures Erlebnis und brannte
-ihn, daß er übergekocht wäre. Aber das Rätsel Mensch
-war in dieser Stunde in einer so fremden Erscheinung
-vor ihn hingetreten, daß er sich nun vorkam wie in einem
-nächtlichen Walde. Vor der Ahnungslosigkeit, mit der
-er diesem Manne gegenübergestanden hatte, bäumten
-sich alle seine Sinne auf, und er begriff nicht, wie Doris
-Rinkhaus zu ihrer Hellsichtigkeit kam. Er berichtete mit<span class="pagenum"><a id="Seite_102">[102]</a></span>
-einer Stimme aus verstürmtem Herzen, und Fräulein
-Rinkhaus lehnte in ihrem Stuhle wie eine Siegerin und
-sagte:</p>
-
-<p>»Was wollen Sie, er ist einer von vielen!«</p>
-
-<p>In der Woche danach, als von allen Bäumen wieder
-die goldenen Flaggen des hohen Sommers wehten, malte
-Jockele im Apfelgarten. Rings lag bienendurchsummtes
-Mittagslicht voll Traum und Stille. Da klangen Frauenstimmen
-auf dem breiten Wege, der von dem eisernen
-Tore herläuft &ndash; und der Pinsel, der das Grün der Baumkronen
-so besinnlich vor den Himmel auf die Leinwand
-tupfte, blieb plötzlich auf halbem Wege stehen … »Na!« &ndash;
-Dann ging Jockele bis an die Hausecke und lugte durch
-die goldgrüne Stille. Wahrhaftig, da wandelte Tante
-Veronika neben dem blauen Morgenkleide den breiten
-Weg unter den Kastanien daher &ndash; den Kapotthut auf dem
-weißen Haare, die violetten Seidenbänder unter dem
-Kinne leicht verschlungen. Der schwarze Spitzenumhang
-fiel so zier um die kleine feine Person, und die schritt so
-klar und sauber daher wie ihre Sprache; der gelbe Krückstock
-stabte immer eine Spanne vor ihrem rechten Fuße
-&ndash; das kam alles stracks heraus aus einer anderen Zeit,
-es flog ein sachter Lavendelduft darum, und war doch
-gar nicht altmodisch.</p>
-
-<p>In der Linken die Palette, in der Rechten den Pinsel,
-und den ein wenig verdrückten Panama weit ins Genick
-geschoben, so lief er den Damen entgegen und wagte bei
-Tante Veronika eine Umarmung, die er in gefälligerer<span class="pagenum"><a id="Seite_103">[103]</a></span>
-Form zu wiederholen versicherte, wenn er das Malzeug
-los wäre.</p>
-
-<p>»Na!« dachte auch Tante Veronika, als die Sonne
-dieser freien Augen über sie fiel. Aber wenn sie sich nichts
-merken lassen wollte, war sie undurchsichtig wie ein Dachziegel.
-Und jetzt <em class="gesperrt">wollte</em> sie sich nichts merken lassen.</p>
-
-<p>Doris Rinkhaus beteuerte: als das große Tor vor
-Tante Veronika aufgegangen wäre, hätte sie sie schon
-erkannt. Sie hatte im Liegestuhl unter den Bäumen eine
-Geschichte von Fridolin Hartwig gelesen &ndash; die sie überdies
-nicht im mindesten berührt hatte &ndash;, da war das alte
-Fräulein an der Treppe des Herrenhauses vorübergeschritten,
-und der Gedanke war ihr voraufgelaufen:
-dort hinten, wo die Bäume das flitternde Gold herniederschütteten,
-dort müßte es sein! Da flatterte ihr das blaue
-Kleid schon entgegen … »Ich werde Sie doch kennen &ndash;
-sind Sie denn nicht jeden Tag einmal mitten unter uns?«</p>
-
-<p>Aber Tante Veronika wartete mit allem ein bißchen,
-was sie sagte.</p>
-
-<p>Doris Rinkhaus dachte: »So machen es die alten
-Damen alle.« Und Jockele meinte: er müßte wohl einen
-Schritt zurücktreten und sie einmal ordentlich ins Auge
-fassen; denn Tante Veronika schien ihm nicht mehr ganz
-richtig zu gehen.</p>
-
-<p>Vor dem Hause blieb das blaue Kleid stehen und sagte:
-»Es ist nicht sehr wohnlich in der Werkstatt Jockeles &ndash;
-bitte, treten Sie bei mir ein, wenn Sie sich ausruhen
-wollen; ich werde indes an eine Erfrischung denken.« Und<span class="pagenum"><a id="Seite_104">[104]</a></span>
-als sie dann durch das Häuschen gingen, lächerte es Fräulein
-Sinsheimer ein wenig &ndash; »Ich wußte schon seit
-Deinem ersten Brief alles auswendig,« sagte sie; »ich
-wußte auch, daß diese Studien unten an den Wänden
-liegen und daß etliche so herumhängen.« Da gestand er
-ihr, daß ihm die Hobelbank aus der Gartenhütte fehle,
-und daß er manchmal eine heiße Sehnsucht nach dem
-›Laboratorium‹ habe. Tante Veronika sagte: »Wenn
-Du nach allem noch länger hier bleiben willst, läßt sich
-das ja wohl auch machen&nbsp;…«</p>
-
-<p>Es guckte aus diesen Worten schon wieder das Warten;
-sie sah ihm dabei ins Herz, aber sie fand keinen Schatten.
-Da fing sie in Gedanken gleich an einzurichten &ndash; hier
-könnte ein Tisch stehen, da die Hobelbank doch besser im
-Gartenhause bliebe, und hier ein Schrank und ein Regal;
-dazu nähmen sie vielleicht das aus der oberen Giebelstube.
-… Die ganze Freude, die in der Sorge um den Jungen
-das späte Glück ihres Lebens geworden war, hatte wieder
-ihre himmelseligen Schwingen bekommen. Dann faßte
-sie Jockele unter, wählte noch drei Studien aus, die sie
-sehen sollte, und führte sie hinüber zu Fräulein Rinkhaus.
-Vor der Türe wurde ihre Stimme noch einmal vorsichtig:
-»Kann man denn vor dem Fräulein alles reden, was Dich
-angeht?«</p>
-
-<p>»Alles!« lachte Jockele aus seinem sommerhellen Gewissen
-heraus. Und als Tante Veronika in der sicheren
-Sofaecke die Lippen mit einem Himbeerwasser angefeuchtet
-hatte, ritt sie geradeaus zur Attacke.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_105">[105]</a></span></p>
-
-<p>»Es ist gar nichts in Dir in Unordnung geraten?«
-fragte sie. Da sah sie in zwei Paar erstaunte junge
-Augen. »Und Du hast auch keinen Boten zu mir gesandt,
-der mir etwas ausrichten sollte?«</p>
-
-<p>»Boten? Ich? Nein! Womit denn?«</p>
-
-<p>»Nun, eben mit jener Nachricht, daß man über ein
-paar Verschiebungen leicht wieder ins Gleichgewicht kommen
-könnte &ndash; mehr als hundert Mark seien dazu nicht
-nötig&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Ja, aber liebe Tante Veronika!! Du redest da immer
-an etwas herum &ndash; siehst Du denn nicht, daß Du uns
-beide peinigst?«</p>
-
-<p>»Verstehen <em class="gesperrt">Sie</em> mich, Fräulein Rinkhaus?«</p>
-
-<p>»Auch ich nicht!« sagte Doris, und ihre Augen richteten
-sich starr und weit offen auf die alte Dame.</p>
-
-<p>»Mein guter Junge,« sagte die und geriet ganz nahe
-ans Lachen, »es scheint, die alte Tante Veronika ist wieder
-einmal sehr klug gewesen!« Sie begann, die crèmefarbenen
-Glacéhandschuhe abzustreifen. &ndash; »Ich sehe, Sie
-haben alle beide keine Ahnung! So lassen Sie mich also
-erzählen &ndash; doch halt: noch eine Frage: Hast Du mich für
-heute nicht erwartet?«</p>
-
-<p>»Nicht einmal im Traum wäre mir das eingefallen!«</p>
-
-<p>Tante Veronika war nun mitten darin in ihrer
-lachenden Genugtuung: »Und ich dachte, das Fräulein
-Rinkhaus hätte mich da vorn in Empfang genommen,
-weil meinem Jungen am Gerichtstag das Herz ein wenig
-ins Rutschen gekommen wäre! Nun, es wird ja gleich<span class="pagenum"><a id="Seite_106">[106]</a></span>
-Tag werden! Es ist da vorgestern ein Herr in Ibenheim
-erschienen, mit blondem Vollbart und goldener Brille;
-er schickte seine Karte herein, und ich habe eine Stunde
-mit ihm geplaudert, die noch netter gewesen wäre, wenn
-er nicht zuletzt mit der Nachricht aufgewartet hätte, es
-wäre Dir mit Deinem Geld ein kleines Malheur passiert
-… ein paar Schulden&nbsp;…«</p>
-
-<p>So erzählte sie. Und dann hatte sich der Herr angeboten,
-den jungen Mann zu rangieren, und Tante
-Veronika solle ihm nur gleich die hundert Mark mitgeben
-… Das hatte sie ihm aber verweigert und war
-nun selbst gekommen, zu sehen, wie es um ihren Jungen
-stand.</p>
-
-<p>So hatte sich Fridolin Hartwig einen Weg gesucht,
-den Zehrpfennig für eine letzte Sommerfahrt zu erlangen,
-die ihn bis an die Pforte des Vergessens führen sollte!
-Er hatte das Vertrauen der alten Dame zu dem Jungen
-als Spieleinsatz darangewagt, und hatte sich nicht gescheut,
-sich diesen sträflichen Abgang aus dem Leben zu sichern,
-mit dem er niemals fertig geworden war; denn am Tage
-darauf, während Veronika schon längst wieder in ihrem
-Waldhäuslein saß, stürmte Doris Rinkhaus auf die Malwiese
-Jockeles und stieß einen Indianerschrei aus &ndash; Herr
-Fridolin Hartwig wäre verschwunden und hätte seiner
-Frau einen Brief zurückgelassen, darin stand:</p>
-
-<p>»Ich bin des aussichtslosen Kampfes mit der Welt
-müde &ndash; in der Stille eines Klosters hoffe ich Rast und
-Sühne zu finden.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_107">[107]</a></span></p>
-
-<p>Jockele besann sich in seiner Bestürzung auf kein Wort,
-das er ihr sagen sollte. Er legte sein Malzeug ins Gras
-und ging in das kleine Haus, das noch ganz voll war von
-dem hellen Scheine, den Tante Veronika gestern hindurchgeschienen
-hatte. Er setzte sich auf den Stuhl wie ein
-Reiter in den Sattel, kreuzte die Arme über der Lehne
-und legte das Kinn darauf. Er machte sich schwere Bedenken
-über die Menschen, mit denen er in diesen Monaten
-zusammengetroffen war. Darüber wurde es ganz
-finster in ihm, und in der Finsternis standen zwei sehr
-helle Sterne, die hießen Veronika und Doris; und es
-glimmten noch zwei kleinere in weiter Ferne herauf: das
-Zinzilein und Matthias Prinz.</p>
-
-<p>Zum ersten Male kam ihm der Gedanke, der heimliche
-Friede des Frühlingshauses könnte daran schuld sein, und
-sein Leben wäre zu weit abgerückt gewesen von dem der
-anderen. Er saß eine Stunde und sann sich brunnentief
-in den Gedanken: er wäre wohl ein Mensch, der nicht zu
-anderen paßte; denn in Doris Rinkhaus war über der
-wilden Geschichte mit Hartwig nicht eine einzige Kerze
-verlöscht von den vielen, die in ihr leuchteten. Und in
-ihm sah es aus, als wäre er in ein Burgverließ gestoßen
-worden.</p>
-
-<p>Da ging er wieder hinaus und nahm sein Malzeug
-auf und setzte einen Farbenfleck neben den andern.
-Aber es kam nichts zustande; denn seine Gedanken
-flogen umher wie Tauben, die sich nicht mehr zu
-ihrem Schlage finden.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_108">[108]</a></span></p>
-
-<p>Doris Rinkhaus kam, und er sagte zu ihr: »Es ist
-eine verrückte Sache, und ich bin darüber ganz von mir
-selber gekommen. Haben Sie Lust? Ich möchte mit
-Ihnen in die Welt laufen &ndash; vielleicht entdecke ich da den
-Jockele Sinsheimer in irgendeinem Waldwinkel; denn
-der jetzt mit Ihnen redet, heißt etwa Emil Meyer.«</p>
-
-<p>Da machten sie sich fertig und gingen durch die Pforte
-im Zaun über die Raine und kamen in den Kastanienwald,
-der an der Viehleite nach Oberweimar liegt.</p>
-
-<p>»Warum sind wir eigentlich noch nie so miteinander
-gegangen?« fragte er. »Es sind doch Ferien, und es ist
-Sommer in der Welt.«</p>
-
-<p>»Weil Sie immer fleißig gewesen sind und auch gar
-keine Wünsche hatten.«</p>
-
-<p>»Es ist richtig &ndash; ich habe kaum gemerkt, daß ich bis
-zum Rande voll Glück war. Aber durch die mancherlei
-Erlebnisse ist darüber vieles in den Sand geronnen.«</p>
-
-<p>»Oder Sie waren von unnahbarer Unzufriedenheit;
-dann haben Sie menschenfresserische Gelüste. Aber die
-soll man Ihnen gern lassen; denn auch damit hat es bei
-Ihnen seine Richtigkeit!« neckte Doris Rinkhaus.</p>
-
-<p>So stiegen sie hinein in späte Aehrenfelder und
-Sommerlicht, und dieser Tag ward ein Meilenstein am
-Weg ihres Lebens, und sie wußten es nicht. Doris Rinkhaus
-hatte gedacht: »Ich will ihm alle Schatten hinweglachen,«
-aber nun, da sie erkannte, daß er in eifriger
-Arbeit an sich selber war, blieb sie bei ihm, wie er sie haben
-wollte. Einmal schritten sie zwischen hohem Hafer; es<span class="pagenum"><a id="Seite_109">[109]</a></span>
-war ganz still, nur der Sang einer Sommerlerche war
-noch da und sehr viel Sonne. Da lachte Doris Rinkhaus
-und sagte: »Ich dachte daran, daß junge Männer in der
-Regel neben jungen Mädchen herlaufen wie Hunde, die
-ihnen die Zeit vertreiben; es sieht aus, als wollten sie
-immer etwas apportieren, was ihnen die Laune auf den
-Weg wirft; dann werden sie müde aneinander und langweilen
-sich heimwärts.« Sie wanderten danach ein Stück
-durch das Wäldchen, das das Webicht heißt &ndash; »Hoffmann
-von Fallersleben hat in den Erinnerungen aus seinem
-Leben manches hübsche dichterische Bild aus diesem Walde
-aufbewahrt,« sagte sie, »es müssen zu jener Zeit hier noch
-Schneeglöckchen gewachsen sein; denn er sagt einmal:
-›Diese sprossenden Frühlingskinder strecken im Webicht
-dem besiegten Winter schon die Zünglein heraus.‹ Und
-Musäus hat auf seinen Gängen hier Märchen blühen
-sehen&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Das wissen Sie alles?«</p>
-
-<p>»Hm,« sagte sie, »ich bin in diesen zwei Jahren ja fast
-stets allein mit mir selber gewesen, da hab' ich mir dann
-immer einen Dichter zur Begleitung gebeten.«</p>
-
-<p>»Und wollen Sie nun alle diese Schätze für mich
-aufbauen?«</p>
-
-<p>»Wenn es Ihnen Vergnügen macht, so oft und so viel
-Sie wollen.«</p>
-
-<p>Sie kamen nach Tiefurt und gingen durch das alte
-Schloß, das einst ein Bauernhaus gewesen ist, und gelangten
-in schauerndem Erleben hinein in die Tage, da<span class="pagenum"><a id="Seite_110">[110]</a></span>
-sich in diesen Räumen der Teekreis mit Goethe, Herder
-und Wieland, mit Anna Amalia, der Göchhausen und
-Corona Schröter bildete, der zu einem Zauberringe
-geworden ist, in dem Lust, Genie und Freundschaft
-vermoderter Zeiten neu werden jedem sehenden Auge
-und sich hinüberleben aus einem Jahrhundert in das
-andere.</p>
-
-<p>Es war um diese Mittagszeit niemand auf den Wegen
-des Parks, auf denen sonst die Allzuvielen dahinwandeln
-in der Ahnungslosigkeit ihres Schauens und meinen, was
-sie mit ihren Augen sehen, das wäre es. Aber Weimar &ndash;
-das Unsichtbare &ndash; ist tiefe, tiefe Ewigkeit, und Ewigkeit
-ist lebendig, und darum ist Weimar die Seele Deutschlands.
-Vielleicht ist es die Seele der Welt.</p>
-
-<p>»Ich bin einmal durchgelaufen, wie die Neugier hier
-durchläuft,« sagte Jakobus, »und ich habe damals einige
-Scherze Goethes gesehen, wie sie die Neugier sich ansieht.«</p>
-
-<p>»Dachten Sie dabei nicht, was es wäre, das selbst
-diese Scherze auf die Schwelle der Unsterblichkeit versetzt
-hat?« fragte sie.</p>
-
-<p>»Nein,« sagte er, »ich hatte damals noch nicht gelernt,
-vor dem Ewigen zu erschauern; denn ich dachte, es gäbe
-keine Rede, die nicht mit den Ohren zu hören wäre. Aber
-vorhin, als ich Sie ganz vergessen hatte, wie wir so
-zwischen dem kleinen Gartentempel der Anna Amalia und
-dem Ufer der Ilm dahinschritten &ndash; vorhin hab' ich einer
-Aufführung der ›Fischerin‹ beigewohnt &ndash; ich danke Ihnen
-viele tausend Mal, Fräulein Rinkhaus!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_111">[111]</a></span></p>
-
-<p>Da machte sie wieder ihre Siegeraugen und sagte:
-»Kommen Sie, jetzt müssen wir zu Tisch.« Sie waren
-auch da allein und so voll freudiger Weihe, daß Doris
-Rinkhaus den Platz mit ihm wechselte. »Sie müssen in
-den Gutshof gucken,« sagte sie, »sonst kommen Sie mir
-abhanden. &ndash; So haben Sie heute also doch noch den
-Namen Goethes leuchten sehen, den der Genius an jenem
-Abend in die Wolken schrieb und um den Minerva ihre
-Kränze flocht &ndash; ob man damals ahnte, daß er für Deutschland
-ein Flammenzeichen würde? Es war ein Spiel und
-hieß ›Minervens Geburt, Leben und Taten‹. &ndash; Seckendorff
-hatte Reime und Musik geschrieben und Karl August
-stellte den Vulkan dar.« Doris Rinkhaus sprach das alles
-von der Pforte der Unsterblichkeit herüber, das Herz
-leuchtete ihr dabei in die Augen. Aber so oft sie merkte,
-daß sie über ihn hinwegwuchs, pflanzte sie ein Wort
-fröhlichen Mutwillens daneben … »Hätschelhans!« sagte
-sie jetzt &ndash; »so hat die Herzogin Anna Amalia in einem
-Brief an seine Mutter Goethen genannt, als sie ihr berichtete,
-daß das Tiefurter Journal immer noch in Blüte
-stehe. Vielleicht ist ihr der Gedanke, es zu gründen, an
-dieser Stelle eingefallen … Jawohl, Hätschelhans &ndash;
-ich bin Ihnen nicht einmal diesen Schnipp mit Daumen
-und Zeigefinger schuldig, und tue doch gerade, als wär'
-ich dazu auf die Welt gekommen, Sie weise zu machen.
-Was gehen Sie mich eigentlich an? … Hätschelhans ist
-eine feine Bezeichnung für Sie … Erst das Fräulein
-Sinsheimer, dann das Zinzilein, dann die Doris Rinkhaus,<span class="pagenum"><a id="Seite_112">[112]</a></span>
-dann … und dann … na, und dann … Die Gurke ist
-einfach erhaben die müssen Sie probieren!« Dabei schaute
-sie sich aber schon wieder in ihr Herz: »Vielleicht bin ich
-Ihnen doch etwas schuldig geworden,« und legte gleich
-einen neuen Pfeil auf, den wollte sie verschießen, wenn
-er sich einfallen ließ, zu fragen, was das heißen solle.
-Aber er fragte nicht, sondern sagte: »Wohin gehen wir
-morgen?« &ndash; »Auf die Entdeckung Weimars!« lachte sie.
-Und weil sie nun lustig waren, sagte er: »Mit Ihnen wag'
-ich mich auch nach Ibenheim.«</p>
-
-<p>Abends saß er allein auf der Wildenbruchbank, die am
-Ende des Walles vom alten Schießstande steht, und sah
-den Tag über dem Silberblick in sein blutrotes Sterben
-sinken und erkannte, daß er das nun ganz anders sah als
-damals, da er mit seiner neuentdeckten Seele aus dem
-›Laboratorium‹ in die Gefilde Walhalls flog. Da wuchtete,
-meermäßig, aber unverstürmt, eine korpulente Dame den
-Wall daher, den Panama romantisch aufgestülpt …
-»Die sieht stets aus, als regnete es,« dachte er und lachte
-so in sich hinein; denn es fiel ihm ein, daß er sich bei ihrem
-Anblick immer auf dem gleichen Gedanken ertappte. Er
-kannte sie nicht. Sie redete mit ihm, und ihre Stimme
-und ihre Worte waren auf einem behaglichen Selbstbewußtsein
-erbaut … »Was wissen Sie von Wildenbruch?«
-fragte sie im Laufe der Unterhaltung. Diese
-Frage fiel ihn ein bißchen an, aber er hatte eine Erleuchtung
-und sagte: »Daß er dem deutschen Volke zwanzig
-Jahre zu früh gestorben ist.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_113">[113]</a></span></p>
-
-<p>Diesen langen Sommertag hindurch hatte das Leben
-an ihm herumgefragt &ndash; zuerst: Was wissen Sie von den
-Menschen? Was wissen Sie von Goethe, Herder, Wieland,
-was von Weimar und was von Wildenbruch? Er ging
-noch einmal unter den Fenstern des Gartenhauses vorüber,
-zu sehen, ob Do noch in der Weinlaube säße. Da rief
-sie von oben: »Was treiben Sie denn da, Jo?« &ndash; »Ich
-ästimiere mein Gehirn für die Wüste Sahara,« sagte er.
-&ndash; »Da suchen Sie gleich mal nach einer Oase!« &ndash; »Die
-einzige, die da ist, hab' ich schon gefunden,« sagte er aus
-unverhohlener Bitternis, »sie ist voll von Versteinerungen,
-Kräutern, Moosen und Schmetterlingen, wie sie in Ibenheim
-im Thüringer Walde wachsen. Aber lassen Sie mir
-doch eine Kerze und ein Stück Wildenbruch an einem
-Faden herunter &ndash; ich will mich bilden!«</p>
-
-<p>Nicht lange danach pendelte ein Pack durch die sammetweiche
-Dunkelheit, und Do's Augen leuchteten ihr Vergnügen
-darauf hernieder. »Es sind die Gedichte, und es
-ist die ›Rabensteinerin‹,« sagte sie. »Sie sollen nicht gleich
-in die Königsdramen springen, und die Romane dürfen
-Sie sich ganz schenken.« Weil der Faden nicht lang genug
-war und der Pack vor der Mitte des Fensters in neckische
-Schwingungen geriet, mußte Jockele ein paarmal danach
-springen. Da scherzte Doris Rinkhaus: »Sehen Sie, jetzt
-malen Sie nicht und haben doch eine Illustration geliefert:
-›Jakobus Sinsheimer und die deutsche Dichtung‹.«</p>
-
-<p>Sie hatten über dem Mittagsmahle von Tiefurt beschlossen,
-sich der Kürze halber Do und Jo zu nennen.<span class="pagenum"><a id="Seite_114">[114]</a></span>
-Das Fenster ging wieder zu. Fräulein Rinkhaus ließ sich
-nie auf abendliche Gartengespräche mit ihm ein, und auf
-geflüstertes Fensterln nun mal gar nicht. Seit sie allein
-war, rückte sie mit Eintritt der Dämmerung für Jakobus
-in befremdende Fernen.</p>
-
-<p>Aber nun setzte er sich doch in Dos Weinlaube, träufelte
-Stearin auf die Tischplatte, stellt die Kerze hinein
-und las sich über der ›Rabensteinerin‹ ein fliegendes Herz.
-Manchmal stolperte er und rückte mit dem Schnitt des
-Buches ganz dicht unter das Licht … »Es liegen Feldsteine
-in dieser Sprache,« dachte er und wunderte sich
-über diese holprige Absichtlichkeit und konnte sie sich nicht
-erklären. Als er das Buch zugeklappt hatte, griff er nach
-den Gedichten &ndash; es war nur noch ein winziger Stumpf
-Stearin da &ndash; und fand das ›Hexenlied‹ und ließ die
-heißen leuchtenden Verse über sich kommen wie ein Gewitter,
-das auf dürstende Sommerwiesen fällt. Und wie
-ein Gebet. Er fühlte das Blut schäumen in seinen Adern
-und hielt den Band in den Händen, daß er in den Heften
-knarrte, und seine Sinne gerieten darüber in eine heilige
-Not. Er atmete über die Seiten wie heiße Nacht und
-las laut in die dunkelblaue Einsamkeit und wußte es nicht.
-Da fiel der Docht in den flüssigen Talg, und er ließ sich
-von der Benzinflamme seiner Feuermaschine leuchten.</p>
-
-<p>Doris Rinkhaus, die schon im Bett gewesen war, öffnete
-droben ganz leise das Fenster und hörte, daß er mit sich
-allein sprach. Dann versickerte auch das kleine Licht, da
-lief er in das Gras unter den Bäumen und wunderte sich,<span class="pagenum"><a id="Seite_115">[115]</a></span>
-daß nun doch gar kein Sturm in den Kronen flog. Die
-Sterne hingen darin, und aus dem Herrenhause zog weich
-und sehnsüchtig das Spiel einer Geige. Er wußte von Do:
-es war eine Frauenhand, die diese Fülle klarer Schönheit
-aus den Saiten strich, und die silberne Exzellenz saß am
-Flügel und begleitete. Verspätete Leuchtkäfer zogen
-zwischen den klingenden Bändern der Geige ihre goldene
-Bahn.</p>
-
-<p>Als alles in dunkelblaue Finsternis versickert war,
-dachte er: »Ich weiß auch von Klavier und Geige nicht
-mehr, als daß sie da sind. Sahara! Sie sagen: die
-Zigeuner geigen sich aus dem Mutterleib hinein in ihr
-Leben, und ihr Herz ist ein Saitenspiel, das zu klingen
-beginnt, wenn man es in Wind oder Sonne stellt …
-Warum hab ich nicht solch ein Herz? … Oha,« lachte er
-ingrimmig &ndash; »wenn das Mädchen Mali in der Sandkuhle
-zu singen anhub, da war es, als probiere sie einen Kieselstein
-auf einem Reibeisen, und das nannte sie dann Musik.
-Darüber ist alles, was in mir klingen konnte, zuschanden
-gesungen worden.«</p>
-
-<p>Auf einmal stand im Fenster des Gartenhauses ein
-Licht und war, als ob es ihn riefe.</p>
-
-<p>Da ging er hin. Aber der blaue Vorhang war fest
-geschlossen, es war der Schein einer Laterne, der sich durch
-die Hecke und das weite Dunkel des Gartens gefunden
-hatte und sich nun im Fenster brach.</p>
-
-<p>Es war aber ein wilder Wille in ihm, Doris Rinkhaus
-in dieser Stunde bei sich zu haben &ndash; wenn sie jetzt da<span class="pagenum"><a id="Seite_116">[116]</a></span>
-wäre, würde er ihr alle Türen seines Herzens aufreißen,
-und es müßten brausende Ströme von Gold über sie
-schießen … Morgen früh? Ach, morgen früh ist das
-schöne wilde Feuer darnieder!</p>
-
-<p>Da lief er an den Schuppen, nahm die Leiter herab,
-und lehnte sie an die Mauer unter Dos Fenster und stieg
-empor. Das Feuerzeug raffte sich noch auf zu einem
-halbverlorenen Flämmlein &ndash; er schrieb auf ein Stück
-Papier:</p>
-
-<p>»Do &ndash; wenn Sie wüßten, wie ich brenne, Sie könnten
-nicht schlafen! Ich bin voll Licht wie blühende Kastanien
-im Frühling &ndash; nein: ich bin voller Sterne wie die
-Sommernacht, der der Mond aus den Händen gefallen
-ist.«</p>
-
-<p>Dann steckte er den Zettel mit zwei Nadeln an den
-Rahmen, damit sie ihn lesen mußte, wenn sie morgens den
-Vorhang aufzog. Er kletterte die Leiter wieder hinab und
-wunderte sich, daß er nicht sprang.</p>
-
-<p>Früh war er aber doch noch voll nachzitternder Erinnerungen
-und kam sich nicht entfernt vor wie eine
-Brandstätte.</p>
-
-<p>Er hatte vor dem Gange mit Doris Rinkhaus noch ein
-paar Besorgungen in der Stadt machen wollen, und weil
-es ein Markttag war, war die Luft in der Nähe der Sternbrücke
-auch schon voll von Umgegend, und das andere
-Leben plätscherte bis über die Ilm. Als er die Straße
-Am Horn herabkam, sah er an der Quelle, die in sanftem<span class="pagenum"><a id="Seite_117">[117]</a></span>
-Wall den Spiegel des flachen Beckens zerbricht, den
-Musikstudierenden Erich Meyer. Er hatte ihn gleich in
-den ersten Wochen seines Weimarer Aufenthaltes kennen
-gelernt; er war der ärmste aller Akademiker, ein vorgeschrittenes
-Semester und von durchschnittlichem Talente.
-Von diesen dreien sind Armut und mäßiges Alter hinwegzusingen
-oder zu vergeigen, aber das Teufelsgeschenk
-einer Durchschnittsbegabung kann es fertigbringen, den
-Betroffenen um Leben, Ehr' und Seligkeit zu betrügen.
-Zu allem besaß Erich Meyer noch ein Herz von Gold in
-kaum je dagewesener Echtheit. So war seine Begabung
-auch nach der rein menschlichen Seite hin fast lebensgefährlich.</p>
-
-<p>Als Jakobus Sinsheimer ihn da unten in sinnender
-Betrachtung entdeckt hatte, sprang er gleich den Hang
-hinab und setzte über die Leutra und erfuhr, daß Erich
-Meyer in dieser Zeit aus irgendeinem Weltwinkel ein
-bescheidenes Stipendium erhalten hatte &ndash; dreihundert
-Mark, die ihm von einer mitleidigen Fürsprache unter
-dreifachem Hinweis auf seine Entsagungs- und Gemütskraft
-ausgewirkt worden waren. Nun stand Erich Meyer
-mit dem goldenen Herzen zwischen Sphinx und Brunnen,
-und Jockele sagte zu ihm: »Sie sehen aus, als setzten Sie
-flackerndes Sonnenlicht im Spiele mit den Wassern in
-Töne um!«</p>
-
-<p>»Fällt mir ja gar nicht ein,« lachte der blonde Erich,
-»sondern ich freute mich gerade darüber, daß ich über jene
-dreihundert Mark mit einer Genialität verfügt habe, die<span class="pagenum"><a id="Seite_118">[118]</a></span>
-mir die Frage nahelegt, ob ich nicht doch noch umsattele
-und mich dem Bankfache widme.«</p>
-
-<p>»Es wäre zu erwägen,« sagte Jockele mit komischem
-Ernst.</p>
-
-<p>Darüber spähten sie nach dem Wege aus, den sie
-nehmen wollten, und kamen ins Wippen. Der lange
-Meyer wandelte mit vorgeschobenen Knien, weil die Rockschöße
-Platz haben mußten, hinter ihm herzuläuten. Und
-während diese Partie seines Menschen sich für den Pendelschlag
-von vorn nach hinten entschieden hatte, schwangen
-die langen, stracken, blonden Haare über dem Rockkragen
-von links und rechts. Meyer hatte einmal eine unmöblierte
-Stube bei Hartwig innegehabt und besaß außer
-einem Bett und dem, was er auf dem Leibe trug, kaum
-etwas. Eine leere Kiste, von der er behauptete, er brauche
-sie zu Umzügen, benutzte er als Tisch, und einen Stuhl
-hatte er nicht. Sie gingen an der Ilm entlang und über
-die Kegelbrücke zur Stadt. In dem Brückenhäuschen, um
-das immerwährendes Rauschen des Wassers und der
-Bäume ist, hatte er eine Stube ermietet, und die fünf hellhaarigen
-Mädel des Brückenmannes waren seine treuen
-Gesellen durch die Mühsal seiner Tage, von der er aber
-keine richtige Ahnung hatte. Die älteste bereitete er für
-die Musikschule vor, natürlich umsonst, und war nun in
-eine Gesprächigkeit verfallen, die seinem Wesen ganz
-fremd war. Er sagte, er hätte in diesen Tagen alle seine
-Rechnungen beglichen, auch die des Schneiders, und das
-Mittagessen hatte er sogar auf sechs Wochen im voraus<span class="pagenum"><a id="Seite_119">[119]</a></span>
-bezahlt. Das war die Hauptursache seines hochgehenden
-Glücks. »Und jetzt hab' ich noch zehn Mark und gehe,
-einen Stuhl zu erstehen! So wird meine Einrichtung
-allmählich komplett, und es wird ganz unbeschreiblich
-wohnlich werden. Kommen Sie, helfen Sie mir beim
-Einkauf!«</p>
-
-<p>Als sie aus der Vorwerksgasse auf den Herderplatz
-schritten, kreuzte eine Frau mit versorgtem Gesicht ihren
-Weg. Es war Therese Hartwig. Niedergegangenes
-Weinen hatte Gräben um ihren Mund gewaschen, und
-was in diesem Gesicht vor Jahren in Blüte gestanden, war
-von den Gewittern des Lebens zerschlagen. Es war alles
-hausmachen an ihr. Sie fing gleich an, ihr Klagelied zu
-singen; denn sie hatte sich Erich Meyer schon in besseren
-Tagen anvertraut, und sein Herz geriet darüber in mitleidvolles
-Schwingen. Als sie durch die Rittergasse auf
-den stillen Zeughof gekommen waren, läutete es so feierlich,
-daß er in die rechte Westentasche griff und darin etwas
-losmachte. »Es fällt mir eben ein,« sagte er &ndash; »Fridolin
-Hartwig hat mir vor langer Zeit zehn Mark geliehen. Ich
-konnte ihm das Geld nicht zurückgeben. So nehmen Sie
-es als seine Hinterlassenschaft.« Als sie wieder allein
-waren, sagte Meyer: »Alle diese Leute haben kein Geschick
-zum Glücklichsein. Erst ist sie die Frau eines anderen gewesen
-und hat Kinder gehabt. Dann ist sie jenem mit
-Fridolin Hartwig davongelaufen &ndash; und nun hat ihr der
-Mann auch diese Kinder genommen und hat sie sitzen
-lassen.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_120">[120]</a></span></p>
-
-<p>Jockele aber sagte: »Ich denke, Sie haben weiter gar
-nichts besessen als diese zehn Mark?«</p>
-
-<p>»Natürlich nicht.«</p>
-
-<p>»Und am Ende sind sie jenem Hartwig gar nichts
-schuldig geworden?«</p>
-
-<p>»Ach Unsinn! Niemals einen Pfennig! Aber die
-Frau ist damals doch immer so freundlich zu mir gewesen,
-und solch eine tiefe Not kann ich nicht mitansehen.«</p>
-
-<p>»Den Plan mit dem Finanzminister geben Sie mal
-auf,« sagte Jockele, »ich glaube, Sie passen nicht recht für
-einen solchen Posten. Was soll denn nun mit Ihnen
-werden?«</p>
-
-<p>»Ach, der liebe Gott und meine fünf Brückenmädel
-lassen mich nicht verderben.«</p>
-
-<p>Vor dem Theater gingen sie auseinander, und als
-Jakobus einige Tuben Farben erstanden, eilte er nach
-Hause. Doris Rinkhaus sah ihn den hohen Wall des
-Schießstands daherkommen&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Sie haben die Augen schon wieder voll Erlebnisse!«
-sagte sie.</p>
-
-<p>»Mir begegnet auf allen Wegen ein Wunder! Dieser
-Erich Meyer ist ein Genie des Herzens … Hören Sie!«
-Und als sie gehört hatte, sagte sie: »Genie des Herzens!
-Er liegt unter den Rädern des Lebens und macht aus
-seinem Dasein ein Fastnachtsspiel! Aber ein Mann muß
-Stahl im Herzen haben.«</p>
-
-<p>Dann gingen sie um die Stadt herum und wanderten
-nach dem Ettersberg. Erich Meyers gigantische Gemütskraft<span class="pagenum"><a id="Seite_121">[121]</a></span>
-in ihrem Verhältnis zum Dasein wurde erörtert und
-schlug heftige Reden aus ihnen.</p>
-
-<p>Jockele hatte das heilige Feuer der vorigen Nacht darüber
-fast vergessen. Auf einmal waren sie im Walde, und
-das sachte Rauschen der hohen Fichten lag um sie wie
-schwarzer Samt.</p>
-
-<p>»Was hatte das Hexenlied in der Nacht für eine Verwirrung
-in Ihnen angerichtet?« fragte Do.</p>
-
-<p>Es schoß eine heiße, heiße Welle Blutes in seine Stirn,
-aber er jauchzte sich darüber hinweg und breitete die Arme
-weit aus:</p>
-
-<p>»Ich bin zu einem neuen Lande gefahren &ndash; warum
-waren Sie nicht bei mir?«</p>
-
-<p>Sie hatte sich vorgenommen, dies neue Land auszukundschaften,
-und zog alle Segel hoch&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Nun, und wenn ich dagewesen wäre?«</p>
-
-<p>»Dann &ndash;&nbsp;&ndash; ich glaube, es wäre für Sie sehr gefährlich
-geworden!«</p>
-
-<p>»Donnerwetter!« lachte sie, »das heißt, Sie hätten mir
-eine Vorlesung über Wildenbruch gehalten?«</p>
-
-<p>»Nein, nein &ndash; ich hatte eine Sehnsucht … Es war
-alles wild geworden in mir, ich dachte, ich müßte die
-Zähne in blühende Frühlingsgaben schlagen!«</p>
-
-<p>»Das klingt allerdings genau wie der Zettel,« sagte
-sie ein bißchen verächtlich und merkte, daß sie den Ton
-getroffen hatte, nach dem sie suchen gegangen war.</p>
-
-<p>»Sagen Sie mir die Worte &ndash; sagen Sie sie mir!« bat
-er und stand schon wieder in hohem Feuer.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_122">[122]</a></span></p>
-
-<p>»Ich weiß sie nicht mehr, und den Zettel hab' ich in
-den Ofen gesteckt. So kleine Entgleisungen muß eine
-Freundschaft vergessen können.«</p>
-
-<p>Das klang sehr wohltemperiert.</p>
-
-<p>»Ach,« jubilierte er, »nennen Sie es tausendmal eine
-Entgleisung &ndash; es war doch fein, und ich war voll purpurnem
-Lichte wie der Abendhimmel!«</p>
-
-<p>»So etwas ist wahrscheinlich immer am feinsten allein,«
-sagte sie unwissend.</p>
-
-<p>Aber er fragte fürwitzig: »Ist es Ihnen auch schon so
-ergangen?«</p>
-
-<p>Da wäre sie am liebsten davongeflogen wie ein kleiner
-roter Luftballon. Sie strich sich mit beiden Händen über
-das Gesicht und sagte, die Sonne hätte sie verbrannt …
-»Sie hören wohl nicht gut?« schalt sie, weil sie sich so in
-Not sah. »Ich sagte, wahrscheinlich!«</p>
-
-<p>Da zwang er sie, in die dunklen Brunnen seiner Augen
-zu schauen und sie merkte: es standen Sterne darin, die
-vorher nicht dagewesen waren. Und sie versuchte ihre
-Siegeraugen; es war mühevoll und kam nicht weit über
-den Vorsatz hinaus. Aber sie war froh, daß ihm das
-Leben aufging, und daß sie nun auf einer Wacht sein
-mußte, die sie die Zeit her lächelnd für unnötig gehalten
-hatte. Frauen spielen gern mit Feuer und fangen an
-zu blasen, wenn sie eine Glut vermuten. Und als Doris
-Rinkhaus fühlte, daß ihre Bedrängnis fort war, blies sie
-ein bißchen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_123">[123]</a></span></p>
-
-<p>Sie schritten nun auf dem Ettersberge an dem schönen
-Waldsaum nach dem Bismarck-Denkmale dahin. Rings
-lag die Erde in breiten, bunten Erntefarben, die im Tale
-zwischen den Häusern mit den funkelnden Fenstern versickerten.</p>
-
-<p>Auf einmal stand ein gelbes Kleid im Walde hinter
-einer Staffelei, und obendarauf war ein breiter Sonnenhut
-mit einem Kranz aus wilden Rosen. Wilde Rosen
-waren auch über das Kleid gestreut.</p>
-
-<p>»Jakobus Sinsheimer,« sagte Do und ging im Hinschauen
-unter, »das ist Gwendolin Vogelgesang, eine
-Böhmin, und sehr jung! Kennen Sie die?«</p>
-
-<p>»Nein,« sagte er, »aber sie scheint so lang zu sein wie
-ihr Name.«</p>
-
-<p>»Die Männer finden sie hübsch, und sie kann etwas.«</p>
-
-<p>»Einstweilen sieht man noch gar nicht, was unter dem
-Wildrosenhute steckt!«</p>
-
-<p>»Kommen Sie, die führ' ich Ihnen vor!«</p>
-
-<p>Sie hatte da ein Waldinneres mit breitem Pinsel etwas
-pastos auf die Leinwand gestrichen und ihm eine ganz
-wundervolle Durchleuchtung gegeben. Während sie mit
-Doris Rinkhaus redete, sah sich Jakobus an dem Bild in
-ein Sonnenglück hinein, das er gleich in lautem Lob über
-sie ausschüttete. Da hörte er, daß sie solches Malen förmlich
-mit auf die Welt gebracht hätte, daß sie aber am liebsten
-mit der kalten Nadel arbeitete und derlei Leinwanden
-nur zum Verkaufe bemalte. Sie hatte in Frankfurt und
-München Kunsthändler, die ihr diese Sachen bescheiden<span class="pagenum"><a id="Seite_124">[124]</a></span>
-bezahlten, aber sie verkaufte und brachte sich mit dem Ertrage
-gut durchs Leben.</p>
-
-<p>Sie stellten das Malzeug im Dorfe ein, streiften bis
-Abends im Walde herum und fanden nicht, daß der
-Spruch: ›<em class="antiqua">Two is company, three is none</em>‹ in allen
-Fällen wahr wäre. Einmal lagerten sie sich auf einem
-Anger, der ganz voll hoher Spätsommerblumen war,
-darüber schwammen die Schmetterlinge in breiten Flügen,
-und Jockele dachte, er möchte mit diesem langen, leuchtenden
-Mädchen auch in der Folge zusammensein. Darum
-sagte er:</p>
-
-<p>»Gwendolin, wir wollen den Anger malen &ndash; beide das
-gleiche Bild.«</p>
-
-<p>»Warum?« fragte sie.</p>
-
-<p>»Ich will sehen, wie viel weniger ich kann als Sie,«
-sagte er sehr ernsthaft, und Doris Rinkhaus saß dabei und
-bekam weite und kalte Augen.</p>
-
-<p>Am anderen Tag, als Jockele daheim auszog, lief ihm
-das blaue Morgenkleid über den Weg zur Schlüpfe im
-Zaun &ndash; Do ertappte sich auf dem mädchenhaften Gedanken,
-er hätte sie doch wenigstens auffordern können,
-mitzugehen. Aber es war morgendlich um ihn, und er
-sagte: »Ich werde mir heute eine Niederlage holen.« Da
-nahm sie ein herbes Wort in den Mund, ließ es aber
-nicht fliegen und sagte ohne Bitterkeit und ohne Teilnahme:
-»Es ist wahrscheinlich. Mag es nun so oder so
-kommen &ndash; das Spiel wird nicht ohne Gewinn für Sie
-sein.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_125">[125]</a></span></p>
-
-<p>Er hatte die Gedichte Wildenbruchs in der Tasche, und
-über dem weiten Wanderwege wurde ihm das Malzeug
-lästig. Da dachte er: »Ich hätte Do sagen können, daß ich
-heute vielleicht in Ettersburg schlafe …« Mit diesem Gedanken
-lief er seine Straße, und es blühten um ihn
-noch andere blutrote heiße Blumen: Gwendolin hatte all
-die Tage her schon in Ettersburg gewohnt; er wollte ihr
-das Hexenlied vorlesen, wenn die Schatten auf den Anger
-traten wie die äugenden Rehe. Das mußte schön sein,
-so im Lichte der Blumen, die ihre schmeichelnden Seelen
-in den müden Tag strömten.</p>
-
-<p>Ob Gwendolin auch wie Do nach Hause drängen würde,
-wenn die sachten Netze der Nacht fielen? Und ob ihre
-Augen auch Sterne würden, die immer als die ersten in
-der Nacht stünden wie die Augen Dos? Und ob ihre
-Stimme dann weicher würde und so sehnsüchtig, wie Dos
-Stimme einmal gewesen war, nur ein einziges Mal? Und
-ob sie wieder das Kleid mit den winden Rosen trüge? Auf
-einmal summte er das Heideröslein grausam unmusikalisch
-vor sich hin und kam auf den Anger und war enttäuscht,
-weil sie noch nicht da war.</p>
-
-<p>Natürlich war sie noch nicht da; denn die Hälfte der
-Blumenwiese lag noch im Schatten. Ein paar Samenfahnen
-der ersten Weidenröschen schwebten als weiße,
-stille Flugzeuge vorüber.</p>
-
-<p>Er stellte seine Staffelei aber nicht auf; denn er wollte
-Gwendolin ihren Platz zuerst wählen lassen. Da setzte
-er sich an den Waldgrund und las in den Gedichten. Er<span class="pagenum"><a id="Seite_126">[126]</a></span>
-geriet wieder an das Hexenlied, und sein Herz blühte daran
-auf wie in der anderen Nacht.</p>
-
-<p>Gwendolin kam mit den Schmetterlingen; sie hatte das
-Wildrosenkleid an und trug den Sonnenhut von gestern,
-und sah gerade so brünett und heiß aus wie gestern &ndash;
-so an der Sonnenseite gewachsen. Aber sie redete genau
-so morgenkühl wie Do und fragte, ob er sich etwas zu
-essen mitgebracht hätte.</p>
-
-<p>»Nein. Ich dachte, wir äßen gemeinsam im Dorfe.«</p>
-
-<p>»Wahrscheinlich kommen wir vor drei Uhr nicht dazu
-&ndash; es ist um Mittag so köstlich und leuchtend hier, daß
-einem das Ultramarin von der Palette läuft. Aber jetzt
-los!« sagte sie. Da ging es ans Malen. Es hing eine
-Waldstille ringsum, daß man die Pinsel streichen hörte,
-und der Himmel war über die Wipfel gestülpt wie eine
-Glocke aus blauem Glas, durch die die Welt von draußen
-hereinschauen mochte, wenn sie Lust hatte.</p>
-
-<p>Da vergaßen sie, daß sie zwei junge Menschen waren,
-die sich beim ersten Sehen gefallen hatten, und schwiegen
-sich in eine tiefe Farbenfreude hinein und sagten sich bei
-drei Stunden kein Wort und hatten kaum einmal einen Blick.
-Anfangs dachte Jakobus: »Ich spiele da ein gefährliches
-Spiel mit mir selber. Es ist sehr ungeschickt gewesen, daß
-ich mich einem Vergleiche ausgesetzt habe, dem ich doch
-nicht standhalten kann.« Dann vergaß er auch das und
-vergaß, daß er in klingenden Farben alles so breit und
-voll hinstreichen wollte, wie er es gestern bei ihr gesehen
-hatte. Er malte, wie es ihm die Stunde gab, aus der<span class="pagenum"><a id="Seite_127">[127]</a></span>
-strahlenden Beschwingtheit seiner Seele heraus, die dunkelrot
-vom Scheine des Feuers aus dem Hexenlied überglüht
-war. Sie hatten sich alle Neugier verbeten, hörten die
-Mittagsglocke aus dem Dorfe läuten, sahen, wie die Luft
-flimmrig wurde, als tropfe flüssiges Silber hindurch, und
-schwiegen.</p>
-
-<p>Einmal legte Gwendolin die Palette in den Kasten
-und warf den Deckel zu und trat mit einem Pack raschelnder
-Papiere in den Schatten des Waldes. Als ihr Jakobus
-nachging, sagte sie: »Wenn sie nicht essen <em class="gesperrt">müssen</em>, so
-arbeiten Sie. Ich lasse für Sie genug übrig. Natürlich
-habe ich gewußt, daß Sie auf alles vergessen, was der
-Mensch außer Pinsel und Farben nötig hat!« Dieses ›auf
-alles vergessen‹ klang österreichisch lustig in ihn hinein;
-es war viel Sonne in ihrer Stimme. Und er sagte: »Ich
-freue mich auf die Stunde, in der wir fertig sind; dann
-will ich Sie immer reden hören.«</p>
-
-<p>»Ich bin fertig,« lachte sie. Da sprang er auf und lief
-zu ihrer Staffelei … »Es ist ein grausames Bild,« sagte
-er; »es ist herrisch, und es kann dagegen kein anderes aufkommen.
-Aber es ist doch königlich.«</p>
-
-<p>»Nun ja, es ist königlich. Sie mögen es immer so
-nennen. Wenn Sie mich einmal nicht leiden mögen,
-sagen Sie: es ist Theater! Dieses Wort hat mir die
-Freude an den Farben verdorben. Aber was kann ich
-dafür, daß sie mir so in die Augen stürzen, wohin ich sehe?«</p>
-
-<p>»Es kommt auf das Herz an,« sagte er. »Sie streichen
-das in einer wilden Lichtlust daraus hervor, und jedes<span class="pagenum"><a id="Seite_128">[128]</a></span>
-Ding stellt sich dagegen, wie sich die Wolken stellen gegen
-die Feuerfanfaren, die der Himmel über das Sterben des
-Tages bläst. Mir ist bange gewesen vor Ihnen, aber ich
-schäme mich nun nicht &ndash; wenn Sie Wasser sehen, malen
-Sie Perlen, und wenn Sie Licht sehen, malen Sie
-Jauchzen. Ein Feld voll Blumen wird auf dem Wege
-durch Ihr Herz zu einem taumelnden Märchen oder zu
-einem himmlischen Farbenrausche. Aber ich male die
-Erde …« So redete er sich in Flammen.</p>
-
-<p>Gwendolin sagte: »Meine Bilder sind Lügen für jeden,
-der die Wirklichkeit nimmt und damit ein zentimetermäßiges
-Messen an ihnen beginnt. Aber für mich ist es
-Wahrhaftigkeit; denn es ist künstlerisches Erleben.«</p>
-
-<p>Dann traten sie zur Staffelei Jockeles. Es stand ein
-Idyll darauf, das versickerte &ndash; letzte Blütenfreude des
-Sommers &ndash; in dunkelgrüne kühle Waldestiefe.</p>
-
-<p>»Ich kann das nicht,« sagte sie &ndash; »Sie suchen die Seele
-einer Handvoll Welt, und ich blase eine hinein, die mir
-gerade paßt.«</p>
-
-<p>Da nahmen sie ihr Malzeug auf und trugen es ins
-Dorf, saßen in dem Baumgarten des Gasthofs und aßen
-Pflaumenkuchen.</p>
-
-<p>»Wann gehen Sie?« fragte sie.</p>
-
-<p>»Heute nicht,« sagte er und bestellte ein Zimmer für
-die Nacht.</p>
-
-<p>»Das ist fein. Da machen wir eine Waldstreife. Also los!«</p>
-
-<p>Den Band Gedichte nahm er mit. Im Ettersburger
-Schloßgarten fiel das Blühen über sie. »Ich kann mir<span class="pagenum"><a id="Seite_129">[129]</a></span>
-denken, daß Ihre Lichtfreude hier wohnen muß, Gwendolin!«
-sagte er voll Innigkeit. Ueber die blaue Weltenwiese
-jauchzt die Sonne im goldenen Sechsergespann, aber
-im Garten von Ettersburg geht sie spazieren; draußen ist
-sie das große Licht, hier ist sie sanftes Leuchten; draußen
-ist sie Sieg, hier ist sie Liebe; und die Menschen werden
-leise auf diesen Wegen. Die Tage liegen darauf wie
-Falter mit breiten Schwingen &ndash; der Schloßgarten von
-Ettersburg ist ein ewiges Ostern der Herzen … Darüber
-gerieten Gwendolin und Jakobus immer tiefer in sich
-hinein.</p>
-
-<p>Es war, als wären sie allein auf der Welt.</p>
-
-<p>Sie gingen nun unter den hohen Buchen, die sich so
-sachte mit Himmel zudecken lassen. Aber unter den
-Wurzeln heraus atmete die Erde den berauschenden
-Herbstodem, der voll Traum heißer Auferstehungsfeste ist,
-und sie bekamen Augen wie der Hochwald, voll heimlicher
-Dämmerungen. Augen wie junge Menschen, die herumirren
-in den Rätseln ihres Frühlings. Augen wie junge
-Menschen, die über und über in Blüte stehen und die
-Seligkeit ihrer Seelen dahinströmen wie die Blumen und
-ihre klingende Helligkeit ineinandergießen wie die Quellen,
-wenn die Erde birst unter dem Jauchzen des Himmels.</p>
-
-<p>An einem Hange, an dem die Sonne gelegen hatte,
-umarmte sie die heiße Dämmerung. Da sanken sie hinein,
-und das Moos war voll vom Dufte später Veilchen.</p>
-
-<p>Gwendolin saß neben ihm.</p>
-
-<p>»So war es schon einmal,« sagte er &ndash; »damals mit<span class="pagenum"><a id="Seite_130">[130]</a></span>
-Maria Reh! Da war ich ein kleiner Junge und hatte
-Sehnsucht nach ihren Händen.«</p>
-
-<p>Da setzte sie den Hut ab und legte ihn über den Band
-Gedichte.</p>
-
-<p>»Wie war das mit Maria Reh?« fragte sie und
-stemmte ihre Ellenbogen auf seine Brust.</p>
-
-<p>»Rosenrot!« sagte er. Und ihre Augen waren einander
-nahe und kamen sich immer näher&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Und jetzt?« fragte sie.</p>
-
-<p>»Dunkelblau mit Sternen!« sagte er. »Aber was ist
-das für ein verrücktes Reden! Komm doch!«</p>
-
-<p>»Komm doch!« lockte sie.</p>
-
-<p>Da faßte er in ihr lose geschlungenes Haar und ergriff
-ihren roten, roten Mund mit den Zähnen &ndash; der Vorhang
-im Tempel zerriß, und sie fanden sich mit geschlossenen
-Augen in das Allerheiligste des Lebens.</p>
-
-<p>Dann fing sie an, den pressenden Armen zu trotzen,
-und wand sich über ihm und bekam ihre Lippen los aus
-der schmerzenden heißen Verheißung seines Mundes. »Du
-bist zu wild!« sagte sie.</p>
-
-<p>»Ich habe zu lange gedürstet! Warum bist Du so
-heiß und schön geworden &ndash; nun mußt Du das leiden.«</p>
-
-<p>Da litt sie es. Sie küßten sich drei Meilen tief hinein
-in die kobaltblaue Spätsommernacht, und als einmal die
-Dorfuhr über die Sternenstraße rief, war den Glocken anzumerken,
-daß sie noch ganz allein wach wären. Im
-Walde lag eine schwere Finsternis. Da tasteten sie sich
-hindurch, und als sie vor dem kleinen Hause standen,<span class="pagenum"><a id="Seite_131">[131]</a></span>
-in dem Gwendolin wohnte, wartete die Frau des Arbeiters
-drinnen bei dem Licht. Gwendolin fing an, sich
-das Haar noch einmal zu stecken, aber weil sie in der
-mitternächtigen Dunkelheit unter Küssen und Zwetschenbäumen
-doch nicht damit zurechtkam, sagte sie: »Es ist
-mir ganz egal! Doch morgen mußt Du warten, bis ich
-komme und Dich hole.«</p>
-
-<p>Der Hausknecht ließ ihn ein, und er fiel gleich in
-einen abgrundtiefen Schlaf. Aber früh ärgerte er sich,
-daß er nicht mehr an Gwendolin gedacht hatte, und die
-Nüchternheit des fremden Zimmers verstimmte ihn.
-Gwendolin kam, als er drunten im Garten beim Morgenkaffee
-saß; ein Fink war auf seinen Tisch geflogen und
-pickte die Krumen auf.</p>
-
-<p>Am vierten Tage malten sie wieder, und am vierten
-Tage kam Doris Rinkhaus. Sie hatte vormittags den
-Wald nach ihnen durchsucht, sagte das aber nicht, sondern
-spazierte zur Essenszeit wie von ungefähr durch den Garten
-des Gasthofs und setzte sich zu ihnen. Sie merkte den
-großen Wandel an Jakobus, aber sie war unbefangen
-und klug und klar wie der Tag. Deshalb ging er am
-Spätnachmittag mit ihr heim, aber das Malzeug ließ er
-bei Gwendolin. Sie machten einen weiten Umweg über
-das Rödchen und gelangten auf abgeernteten Feldern zu
-der großen Eiche, die im Webicht, nahe dem Goethe-Schiller-Archiv,
-steht. Es war schon Abend geworden.
-Doris hatte es auf dem langen Gange vermieden, an
-sein Verhältnis zu Gwendolin zu rühren. Sie hatten von<span class="pagenum"><a id="Seite_132">[132]</a></span>
-der Sendung der Tante Veronika zu reden gehabt, die
-inzwischen für Jockele eingetroffen war &ndash; »Die freundliche
-alte Dame überschüttet Sie in der Tat mit einer
-ganz unverdienten Güte &ndash;« sagte sie … und da war
-der Stein durch das sorglich gehütete Fenster geflogen!</p>
-
-<p>Er faßte ihre Worte gleich fest an: »Wenn Sie damit
-auf Gwendolin zielen, so finde ich das unbeschreiblich
-komisch: erst haben Sie mich auf sie losgelassen, und
-jetzt drohen Sie mir gouvernantenhaft mit dem Finger
-und spielen würdig die Mama gegen mich aus! Do, Do,
-fühlen Sie wirklich nicht, daß Sie da nach einer Rolle
-gegriffen haben, die Ihnen ganz und gar nicht auf den
-Leib geschrieben ist?«</p>
-
-<p>Jawohl, sie fühlte das und pries ihre Klugheit, die sie
-damit hatte warten lassen, bis die Nacht um sie hing.
-Das Buschwerk zu beiden Seiten des Weges von der
-großen Eiche herauf half bei der gütigen Finsternis.</p>
-
-<p>Darüber fand sie den gewohnten Ton wieder &ndash; »So
-ist das gar nicht gemeint gewesen. Ich hätte wohl besser
-gesagt: Sie sind sehr keck geworden in diesen vier Tagen.«
-Sie suchte nach einer Schlüpfe, durch die sie in ihn hinein
-kommen konnte; der lange Weg, den sie berechnend gewählt,
-hatte ihn zu keinem Verrat an sich selbst geführt.
-Wollte er Gwendolin schonen? War er wieder in eine
-rosenrote Anbetung versunken wie damals vor Maria
-Reh, die noch heute lustig davon berichtete? … Sie fing
-also an zu klopfen. &ndash; »Ich meine, Sie gehen so aufgeblüht
-daher! So jungmänniglich, tapfer und weltumarmend!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_133">[133]</a></span></p>
-
-<p>Nun schlug er alle Türen weit auf und trat heraus
-und sagte: »Es war fein! Gwendolin ist ein süßes, heißes
-Mädel.« Er wollte mit vollem Atem das Lied vom ersten
-Liebesrausche blasen, aber die Worte lagen neben dem
-Erleben wie welke Blüten. Da sagte er: »Ich will
-Gwendolin heiraten!« und hatte damit einen Heiterkeitserfolg.
-Es war schrecklich &ndash; bei dem dramatischen Höhepunkte,
-bei der Stelle, die er mit wahrer Heldengröße
-herausgeschleudert hatte, bekam Doris Rinkhaus das ungeheure
-Lachen! Und der Vorhang mußte heruntergehen.
-Sie lachte sich auch durch die Pforte im Zaun und sagte:
-»Sie sind heute abend zu ulkig! Sie dürfen deshalb
-ausnahmsweise noch eine Stunde zu mir herüberkommen.
-Ich muß Ihnen eine Kerze geben; denn es sieht in Ihrer
-Wohnung aus wie in einem Lagerhause.«</p>
-
-<p>Sie bereitete in der Küche das Nachtmahl; Jockele entzog
-ihr seine Mitarbeit und dachte in der dunklen Stube
-darüber nach, wie sich das Spiel für ihn gewinnen ließe.</p>
-
-<p>Als sie gegessen hatten und der Samowar summte,
-setzte sie sich wieder in den vorigen Gang. »Haben Sie
-schon Bestimmungen über die Hochzeit getroffen?«</p>
-
-<p>Da schwieg er sie gekränkt an; sie aber nahm noch
-mehr überhand. »Mein lieber Junge Jo, wenn Sie nicht
-so grausam lächerlich aus diesen ersten verliebten Stunden
-hervorgegangen wären, würde ich sagen: Mein werter
-Herr Jakobus Sinsheimer &ndash; es senkt sich zwar schon
-der sachte Schatten eines Bartes auf Ihren verräterischen
-roten Mund, aber mit dem Gewaffen holder siebzehn<span class="pagenum"><a id="Seite_134">[134]</a></span>
-Sommer läßt sich ein leidlich befestigtes Mädchen nicht
-fürs Leben erobern! Sind Sie denn wirklich so einfältig,
-zu meinen, eine Kette angereihter Küsse hielte über ein
-paar Meilen Zeit? Und glauben Sie, Sie wären der
-erste, der Gwendolin Vogelgesang hübsch findet? Und
-das ›süße heiße Mädel‹ hätten Sie entdeckt? Meinetwegen
-küssen Sie sie ab, soviel sie es verdient &ndash; aber geraten
-Sie darüber nicht in Unordnung und reden Sie nicht ein
-tragisches Pathos übers Land.«</p>
-
-<p>Er kreuzte die Arme vor der Brust, und auf seiner
-Stirne stand kalter Schweiß. »Was geht Sie denn das
-alles an, daß Sie so in Harnisch geraten?«</p>
-
-<p>»Es täte mir leid, wenn Sie vor sich selbst lächerlich
-würden,« sagte sie. »Sehen Sie, wie Sie neulich aus dem
-wildgewordenen Herzen mit feurigen Buchstaben etwas
-von ihrem Frühlingssturm auf ein Stück Papier schrieben
-und es mir vors Fenster hingen, das war jung und gesund.
-Und jung und gesund ist es auch, wenn Sie mal über
-die lange Gwendolin kommen &ndash; aber daß Sie jede
-Seifenblase für eine Weltkugel halten und den Eroberer
-spielen, das ist Ihr hartnäckiges Mißgeschick.« Sie steckte
-eine Kerze an und gab sie ihm in die Hand: »So, und
-nun leuchten Sie sich mal nach Hause.«</p>
-
-<p>Da sagte er: »Wenn ich Sie nicht bis zu dieser Stunde
-für einen Ausbund von Klugheit gehalten und nicht
-allerlei Ursache zur Dankbarkeit gegen Sie hätte, würden
-wir uns morgen kaum noch kennen, Fräulein
-Rinkhaus!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_135">[135]</a></span></p>
-
-<p>»Sie, das ist ein famoser Einfall,« lachte sie &ndash; »betrachten
-wir diese Stunde als Mobilmachung zu einem
-achtwöchigen Kriege! Am ersten November wird Friede
-geschlossen.«</p>
-
-<p>»Und wenn ich dann noch Krieg will?«</p>
-
-<p>»Mir auch recht!« lachte Do.</p>
-
-<p>»Ich gebe mein erlösendes Einverständnis. Gute
-Nacht.«</p>
-
-<p>Sie drehte den Schlüssel schon feindlich im Schloß
-herum.</p>
-
-<p>»Do hat ihre giftiggelbe Eifersucht vor mir verbergen
-wollen, und damit ich es nicht merkte, hat sie Esel zu
-mir gesagt,« dachte er. Aber nun, da er durch das Stück
-dunkelblaue Spätsommernacht stieg und die Linke vor das
-kärgliche Fünkchen Licht hielt, kam er sich wirklich sehr
-komisch vor &ndash; diese Rolle mit der Hand vor dem bißchen
-Flamme hatte er den ganzen Abend gespielt. Und gestern
-&ndash; vorgestern sicherlich! &ndash; hatte er geglaubt, es wäre so
-etwas wie der große Brand in ihm, den der Sommer des
-Abends vor den Toren der Welt für Himmel und Erde
-aufführt.</p>
-
-<p>Er leuchtete sich in einen mäßigen Schmerz hinein,
-der sich über dem Haufen mit Latten verschlagener Möbelstücke
-zu einer tiefen Verstimmung auswuchs. Die Liebe,
-mit welcher Tante Veronika und Mali diese Dinge ausgewählt
-und verpackt hatten, wollte sich heimlich an sein
-Herz schmeicheln, aber sie war ihm peinlich: die treuen
-alten Mädchen hatten das im Frühlingshause mit der<span class="pagenum"><a id="Seite_136">[136]</a></span>
-Sonne ihres Vertrauens für ihn umschienen &ndash; vielleicht
-in der gleichen Stunde, in der er sich draußen am Waldrande
-gewälzt hatte wie ein jähriger Hirsch&nbsp;…</p>
-
-<p>Er fuhr in ein Land tiefen Nebels hinein und verbiesterte
-sich&nbsp;…</p>
-
-<p>»Was ist das wieder mal für eine Sache, die Du
-da aufgemacht hast, Jakobus Sinsheimer! Es ist der
-niederträchtigste Vertrauensbruch, der einem Menschen
-je Scham auf die Stirn getrieben hat. Du kommst
-Deiner Tage zu nichts &ndash; gib's auf, Jakobus Sinsheimer,
-Du bist ein Zigeuner. Wie ein Zigeuner hast Du den
-Wald zum Nachtquartier gemacht&nbsp;…«</p>
-
-<p>Er nahm wieder einmal Seifenblasen für Weltkugeln!
-Da schlug er mit der flachen Hand auf das Zünglein Licht
-und warf sich aufs Bett und wühlte sich in eine wilde
-Selbstverachtung hinein. Auf einmal hüpfte Gwendolin
-aus dem zähen Nebel und war vergnügt wie der Frühling.
-Das Wildrosenkleid war längst ausgeplättet, ihr
-Mund blühte wie roter Mohn, und die ganze Nacht wurde
-zu tausend feuerroten Blumen. Er lag mitten darin und
-schlief ein.</p>
-
-<p>Am Morgen, als er sich in den Kleidern auf dem Bette
-fand, fiel ihn der Jammer an. Aber er raffte sich zusammen,
-zog andere Wäsche und Kleider an und begann
-auszupacken.</p>
-
-<p>Tante Veronika und Mali, manchmal auch das Zinzilein,
-waren dabei immer um ihn, und er werkte sich in
-eine vergessende Freude.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_137">[137]</a></span></p>
-
-<p>Als er allen Unrat hinausgetragen hatte in den
-Schuppen, schloß er die Schubfächer des Schrankes auf
-und fand darin Vorhänge für drei Fenster, und in dem
-Kleiderschrank die drei Leisten dazu &ndash; es war auch ein
-Kästchen mit Stecknadeln darangebunden; als er das
-erkannte, schauerte ihm die ferne sorgende Liebe durchs
-Herz, daß ihm ganz bange wurde.</p>
-
-<p>Er wäre nun am liebsten zu Do geflogen und hätte
-mit allen Glocken Frieden geläutet &ndash; nein, diesmal sollte
-sie gewiß nicht triumphieren! Wenn sie ihm jetzt ihre
-Siegeraugen gemacht hätte, jetzt hätte er sie gerne ertragen;
-aber am Ende sagte sie: »Lassen Sie sich das nur
-von Gwendolin machen.«</p>
-
-<p>Da überlegte er sich, wie Mali dabei zu Werke gegangen
-war, damals, als er ihr die Stecknadeln gereicht
-hatte.</p>
-
-<p>Er drehte eine der Leisten ein paarmal in den Händen
-und gewahrte die Bänder, die da angenagelt waren. Dann
-pfiff er seine Entdeckerfreude sachte vor sich hin und kam
-auch mit den Vorhängen zustande.</p>
-
-<p>So ordnete sich jedes Ding an seinen Platz. Es war
-alles durch viele Jahre in einer schönen Sonne gewesen
-&ndash; das ganze kleine Haus schien sich nun daran heimlich
-voll Gold bis zum Rande. Tante Veronika hatte ihm
-auch eine Erhöhung des Monatsgehalts von zehn Mark
-gewährt, dafür sollte er eine Frau bezahlen, die ihm die
-Wohnung säuberte. Ueber allem hatte er sich wieder zu
-sich selber gefunden, und weil er den Ueberschuß an Seligkeit<span class="pagenum"><a id="Seite_138">[138]</a></span>
-merkte, packte er ihn in einen Brief und schickte ihn
-nach Ibenheim.</p>
-
-<p>Da war der erste Tag nach der Mobilmachung herum,
-und als sein Verglimmen durch die neuen Vorhänge
-sickerte, gab er sich der Wohligkeit des Daheimseins hin.
-Es war, als legte die sorgte alte Tante Veronika ihre
-reinen Hände an seine Wangen und sagte wie einst: »Mein
-braver, lieber Junge.« Er saß zum ersten Mal bei der
-abendlichen Lampe in dem kleinen Haus; die warf die
-goldenen Fächer ihres Lichts über die bunte Tischdecke,
-und aus dem Bücherschranke blinzelten ihn die Aufschriften
-der Bücherrücken so traulich an wie in der anderen Zeit.
-Veronika hatte ihm alles geschickt, was sie an gedruckter
-Weisheit besaß &ndash; die zweihundert Bände umfaßten die
-Welt; und es lag in der Uebergabe dieses Schatzes eine
-rührende Erklärung der Liebe&nbsp;…</p>
-
-<p>Wie ihm Fridolin Hartwig in den Weg gelaufen war,
-und wie dessen großsprecherische Schwächlichkeit strandete
-an einer Insel der Weltflucht, hatte er dies als ein Erlebnis
-erkannt; die Nacht im Jägerhaus am Hörselberg
-stand in seiner Jugend als eine bunte Lichtkugel, nach
-der er gern einmal zurückschaute, denn sie leuchtete noch
-immer; das Glück von Ettersburg war ein kristallener
-Becher, von dem er meinte, er wäre reich genug, sein
-ganzes Leben mit Glanz zu erfüllen … So standen viele
-Tage in der vergangenen Zeit, von denen er sagte: ich
-werde sie immer sehen. Aber dies Heute, in dem ein
-Stück seiner waldherrlichen Knabenzeit sich wieder zu ihm<span class="pagenum"><a id="Seite_139">[139]</a></span>
-gefunden hatte &ndash; dies Heute erkannte er nicht. Es war
-für ihn eine liebe freundliche Begegnung von jener
-lächelnden Innigkeit, die ihn über dem Kommen Tante
-Veronikas berührte, als der gelbe Krückstock neben dem
-blauen Morgenkleide den breiten Gartenweg daherspaziert
-war. Und doch war dieser Tag eine Weiche, über die das
-Leben Jakobus Sinsheimers auf das Geleise lief, das er
-sich selbst in Spiel und Ernst seiner Frühlingsjahre gelegt
-hatte. Und er wußte es nicht; denn die Sinne der Jugend
-sind vorwitzig: sie sehen den Schaum als Trank, sie fühlen
-den Rausch als Glück, sie schmecken die Erde als Himmel,
-sie halten Dasein für Ewigkeit.</p>
-
-<div class="chapter">
-<p class="drop">Am nächsten Morgen spazierte er sehr früh nach
-Ettersburg, äußerlich angetan wie ein junger Kavalier.
-Er wollte an diesem Tage nicht malen, aber er wollte sich
-auch gegen zigeunermäßiges Waldstreifen verwahren.
-Zudem war es am Anfange des Monats, und hundert
-Mark im Portemonnaie geben einem jungen Menschen
-Haltung.</p>
-</div>
-
-<p>Am Häuschen Gwendolins erfuhr er, sie habe Besuch,
-und die Herrschaften seien wahrscheinlich im Baumgarten
-des Gasthofs beim Frühstück.</p>
-
-<p>Da fragte er sich ein wenig an der Frau zurecht, aber
-er wandelte noch auf Wegen aus Himmelblau seinen
-heißen Wünschen nach.</p>
-
-<p>Als er das Wildrosenkleid und den blühenden Sonnenhut
-sah, ward er beschwingter Sommerwind und flog ihr<span class="pagenum"><a id="Seite_140">[140]</a></span>
-entgegen. Der Herr, der mit Gwendolin an dem übersonnten
-Tische saß, nestelte ihr aus einem schäkernden
-Besitzrecht heraus an dem goldenen Halskettlein. Und
-als der lustige Sommerwind dazwischenflog, blies ihn
-eine morgenkühle Gleichgültigkeit an. Gwendolin tat sehr
-überrascht, den Herrn Sinsheimer zu sehen, und stellte
-ihn vor als einen Malschüler, mit dem sie gelegentlich
-eine Stunde da oben am Waldrande zusammen eine
-Farbenskizze gemacht habe.</p>
-
-<p>»Und Sie wollen Ihre Staffelei holen?« fragte sie.</p>
-
-<p>»Eigentlich nicht,« antwortete er und setzte sich steil in
-eine Art von Fassung.</p>
-
-<p>Da kam der Kellner und meldete, der Wagen sei da.</p>
-
-<p>»Wir fahren nach Belvedere,« sagte Gwendolin.
-»Wenn Sie Ihr Malzeug heute mitnehmen wollen &ndash;
-meine Mietsfrau kennt Sie ja und wird Ihnen willig
-alles einhändigen. Adieu, Herr Sinsheimer.«</p>
-
-<p>Sie legte die Spitzen ihrer Finger in seine Hand,
-und nach einer förmlichen Verbeugung ihres Begleiters
-hüpften die beiden durch den Sonnenschatten der
-Zwetschenbäume in klingender Unbekümmertheit dahin.</p>
-
-<p>Der Kellner klemmte seine Serviette unter den Arm,
-und während der Kavalier Jockele sich erhob und zu
-einem entfernten Tische schritt, starrten sie einander an &ndash;
-Jockele als Hypnotiseur, der Kellner als zweifelndes
-Medium zwischen Lächeln und sachtem Verkommen des
-Bewußtseins. Am Gefrierpunkte der Sinne bäumte er
-sich auf.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_141">[141]</a></span></p>
-
-<p>»Ich dachte immer, Fräulein Vogelgesang wäre
-Ihre Braut&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Das dachte ich auch,« sagte Jakobus; »aber nun
-bringen Sie mir mal schnell drei Zigaretten und eine
-Tasse Kaffee.«</p>
-
-<p>»Sehr wohl, drei Zigaretten und 'ne Selters.«</p>
-
-<p>»Kaffee!« brüllte Jockele. &ndash; »Halt, kommen Sie mal
-her. Sie sind ein unverschämter Mensch! Da &ndash; zwanzig
-Pfennig für die Beleidigung! Adieu!«</p>
-
-<p>Er zog das Etui aus der Tasche, brannte sich eine
-Zigarette an und wirbelte sich hinter seinem zwischen den
-Fingern drehenden Spazierstock aus dem Gesichtskreise.</p>
-
-<p>Die Sonne roch nach dem Staube, der unter dem
-enteilenden Wagen hervorbrach; der goldene Septemberwind
-machte sich ein billiges Vergnügen daraus, mit dem
-Geräusche rollender Räder und klapperndem Hufschlag
-die Dorfstraße entlangzuschlendern und Jockele zu fragen,
-ob er das hübsch finde; und der Himmel stand über dieser
-Erde, durchsichtig vor leuchtender Ahnungslosigkeit, und
-ein paar Engel guckten zum Fenster heraus und flatterten
-mit den Flügeln.</p>
-
-<p>Jockele verfiel in ein stürmisches Dahinschreiten. Er
-dachte, er müsse mit erhobenen Armen und einem ungeheueren
-fanfarenden Schreien das Licht zerreißen. Aber
-es schoben sich da und dort Frauenköpfe mit neugierigen
-Augen durch niedere Fenster; es standen
-schwätzende Weiber hinter den Zäunen und sahen ihm
-nach; und wie die Gattertür vor der Auffahrt zum Schloßgarten<span class="pagenum"><a id="Seite_142">[142]</a></span>
-hinter ihm zuschlug und Falterstille, mit großen
-stummen Augen auf den Schwingen, um ihn schwebte,
-schlug sich der Drang zu dem ungeheueren himmelzerreißenden
-Schrei nieder in Bitternis und Schweigen.</p>
-
-<p>Er hatte den Rausch der vier Tage in windigen
-Kniehosen und in einer Gürteljoppe bestanden und hatte
-ausgesehen wie Samstag. Nun schmiegte sich freudiger
-Sommerstoff um ihn. Er hatte eine blaue Krawatte
-umgetan, die an Daseinslust mit der Seide des Himmels
-wetteiferte, und seine Augen liefen an der gepflegten
-Bügelfalte hinab, die in den Aufschlag der Hose versickerte;
-dazu hatte er chamoisfarbene Gamaschen über die gelben
-Schule gestreift &ndash;&nbsp;&ndash; die sehr frühe Stunde fiel ihm ein,
-in der er den langen Menschen Jakobus mit beseligter
-Hingabe für Gwendolin Vogelgesang bereitet hatte&nbsp;…</p>
-
-<p>Er suchte nach dem Winkel in seinem Herzen, in dem
-eine annähernd höllische Teufelei aufgehen könnte, und
-fand ihn nicht.</p>
-
-<p>Oder war das Benehmen Gwendolins von der Verzweiflung
-des Augenblicks geboren? War es Verwirrung
-gewesen, die der Ueberfall angerichtet hatte? Oder war
-es die mädchenhafte Scheu, sich zu verraten?</p>
-
-<p>Vielleicht, wenn er ihr morgen entgegenlief, breitete
-sie die Arme weit aus wie ein Sommertag, wenn er die
-Sonne kommen sieht!</p>
-
-<p>Ueber diesem Gedanken stieß er alle Türen und Fenster
-seines Herzens weit auf &ndash; aber der liebe glockenklare
-Morgenwind lief nicht hinein.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_143">[143]</a></span></p>
-
-<p>Da hatte er nun diese Lippen hingenommen wie der
-Frühling eine erwachende Blume! Und als Do ihren
-wissenden Finger erhob, der da fragte: »Sie denken
-wohl …?« hatte er seine Empörung gegen diesen Finger
-geblasen.</p>
-
-<p>Nun waren die Küsse der vier Tage, die ihm auf dem
-morgendlichen Waldgange erdbeerfrisch noch auf dem
-Munde gelegen hatten, am Wegrande gewachsen!</p>
-
-<p>Er wischte sie mit dem Taschentuche fort und dachte:
-ein Mädchenmund voll so staubiger Süßigkeiten müßte
-von Rechts wegen gekennzeichnet sein &ndash; und nörgelte
-eine Stunde lang an der Weltordnung herum.</p>
-
-<p>Es tauchten da und dort morgenlichte Kleider auf, und
-es blühten da und dort auf umschatteten Wegen junge
-Stimmen. Da setzte er sich auf eine Bank und saß bis
-an den Mittag und warf seine Blicke auf jeden Frauenmund
-&ndash; ob er sich an ihm vorüberlachte in der Freude
-am Licht, ob er voll sehnsüchtigem oder besinnlichem oder
-dankbarem Traum am Glück sei, oder ob er blühe wie
-ein Mohnfeld, lichterloh und in seelenzehrendem Brand&nbsp;…</p>
-
-<p>Es war ein qualvolles Studium, und der Teufel half
-ihm die Küsse zählen, die verschwenderisch auf diese roten
-Blumen hingedrückt worden, und rieb sich die Hände.</p>
-
-<p>So ließ er an dem Grab, an dem er stand, ›die
-Schmerzen in Betrachtung übergehn‹ … Er wußte nicht,
-daß er damit heimlich in die Gärten Goethes getreten
-war, der also dichtend überwand, was Bitternis auf seine
-Sonnenwege schattete. Aber nur ein paar Schritte weiter<span class="pagenum"><a id="Seite_144">[144]</a></span>
-am Wege durch den Schloßgarten wartete ein Erlebnis
-auf ihn.</p>
-
-<p>Der Traum des Mittags war aufgestanden und
-wandelte mit erhobenen Händen, unter denen es sonnenstill
-wird. Die goldenen Netze der Luft fielen über das
-Atmen der Blumen; helle Menschensinne begegnen in
-dieser Stunde den Seelen der Bäume&nbsp;…</p>
-
-<p>Als die Dame, mit der Jakobus an diesem Tag in
-ein Gespräch kam, solche Worte aus einer seherischen Erschütterung
-ihres Herzens zu ihm redete, wunderte er sich;
-denn es war eine fremde Art. Die Frauen, die seither
-um ihn gewesen waren, begriffen die Welt in heiterer
-Sinnlichkeit &ndash; vor allem Gwendolin die Sonnenseitige.
-Und Doris Rinkhaus war oktoberklar, oder sie war voll
-Märzenlicht … Er lächelte sich in ein heimliches Vergleichen
-hinein und merkte, daß Do ihm ihre Siegeraugen
-machte. Aber sie lachte nicht das Lachen, in dem die
-Engel Feste feierten und grüne Gläser mit sachte
-spritzendem Moselwein aneinanderklangen, sondern sie
-sagte: »Na, Herr Jakobus Sinsheimer?« Damit verbriefte
-sie ihm ihr Recht, wenn er ihr einmal unter die
-Füße gekommen war. Aber er dachte, jener unter die
-Füße zu kommen wäre besser, als der Gwendolin unter
-die Lippen &ndash; zwar&nbsp;…</p>
-
-<p>Dies Zwar war eine Schwelle. Seine Gedanken
-stolperten darüber und stolperten zu einem gelben Buch,
-das auf der Bank unter der Hängebuche lag. Es lag auf
-der Nase und Jockele setzte sich daneben und las so von<span class="pagenum"><a id="Seite_145">[145]</a></span>
-oben herunter: ›Reclams Klassikerausgaben. Gedichte von
-Wolfgang von Goethe.‹</p>
-
-<p>Er ließ die Seiten durch seine Finger laufen &ndash; der
-ganze zwanzig Bogen umfassende Band, von der
-›Zueignung‹ bis zu den Noten am Schluß, war Zeile
-für Zeile grüblerisch durchgearbeitet. Unbeirrbare Sehnsucht,
-alles zu wissen, war hier am Werke gewesen. Schon
-hinter der ersten Ueberschrift »Zueignung« stand geschrieben:
-›August 1784 auf einer Reise nach Braunschweig,
-ursprüngl. f. d. Geheimnisse‹. Die zweite Strophe
-des Gedichts beginnt: »Und wie ich stieg, zog von dem
-Fluß der Wiesen ein Nebel sich in Streifen sacht hervor,«
-daneben in Blei und emsig schülerhaft: ›Goethe interessierte
-sich sehr für Wolken.‹ Vor allem waren die Beziehungen
-zu Faust zweiter Teil mit beharrlichem Bemühen
-gesucht und vermerkt &ndash; gleich zu Anfang der
-dritten Strophe der Zueignung: »Auf einmal schien die
-Sonne durchzudringen, im Nebel ließ sich eine Klarheit
-sehn …,« war notiert: ›Faust II, 1: Im Dämmerschein
-liegt schon die Welt erschlossen.‹</p>
-
-<p>War das ein Philologe, der so nach Dichterschätzen grub?</p>
-
-<p>Wieder hörte er die graue Frage: »Was wissen Sie
-von Goethe, Herr Jo?« hinter der damals im Tiefurter
-Park seine Jugend in so beängstigender Finsternis gestanden
-hatte. Es war ihm, als wäre von unsichtbaren
-Händen ein Tor angelweit aufgeschlagen worden &ndash; und
-nun sollte er nicht eintreten dürfen in dies Licht, das
-über ihn fiel? Ein unersetzbarer Schatz!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_146">[146]</a></span></p>
-
-<p>Er schaute um sich … rings waren die schirmenden
-Aeste der Buche … vielleicht hatte einer den Band zum
-Finden dahingelegt … ›Zigeuner!‹ sagte er laut und
-bitter.</p>
-
-<p>Aber fortgehen konnte er nicht. Er ergriff es abermals,
-las sich das Herz heiß und dachte: »Ich will es dem
-Kastellan bringen und will mein Besitzrecht geltend
-machen für den Fall, daß sich der Verlierer nicht meldet.
-Oder &ndash; ich will mir die gleiche Ausgabe kaufen und will
-jeden Tag herausgehen und diese Anmerkungen abschreiben
-…« Er dachte sich ganz wirbelig, und dann
-schritt er den Gartenweg entlang.</p>
-
-<p>Da begegnete ihm eine Dame&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Verzeihung,« sagte sie, »Sie haben meinen Band
-Goethe auf der Bank unter jener Buche gefunden&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Jawohl,« sagte er verbindlich und hielt den Hut
-dabei in der Hand, »ich wollte ihn dem Kastellan übergeben;
-denn ich sah, daß der Eigentümer den Verlust
-sehr schmerzlich empfinden würde.«</p>
-
-<p>»Ich danke Ihnen tausendmal,« sagte das ältliche
-Fräulein mit jenem norddeutschen Ausdrucke, den er selbst
-von Tante Veronika angenommen hatte. Da faßte
-er Mut&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Darf ich mir als Finderlohn die Erlaubnis ausbitten,
-alle Anmerkungen in einen eigenen Band zu übertragen?«</p>
-
-<p>»Gerne, wenn wir einen Weg dazu finden,« antwortete
-sie. »Ich komme von weit her &ndash; ich bin eine
-Sucherin nach herrlichen Schätzen, mein Herr &ndash; eine<span class="pagenum"><a id="Seite_147">[147]</a></span>
-Schatzgräberin in des Wortes ursprünglichster Bedeutung:
-ich werde den Faust finden, von dem Goethe in seinen
-Tagebüchern redet als von dem ›Hauptgeschäft‹. Diese
-letzte Fassung ist der Welt noch vorenthalten; er selbst
-redet von einem Schelmenstück, das er damit beabsichtigte
-&ndash; bis ins Jahr 1775 zurück läßt sich das Vorhaben verfolgen,
-dies Werk den Augen der Menschen zu entziehen &ndash;
-und er ist hingegangen in den Garten Am Horn zu
-Weimar und hat während der letzten Jahre seines Lebens
-die Vorbereitungen getroffen. In jenem Garten, in den
-er seinen ewigen Tempel baute, hat er am 16. August
-1831 die Handschrift vergraben.«</p>
-
-<p>Das alles kam aus einem lodenen Fräulein und unter
-einem Jägerhütchen hervor und stürmte auf ihn ein mit
-kühn vorgehaltenem Fahnenschafte.</p>
-
-<p>»Ah,« sagte er, »und wenn ich recht verstanden habe,
-so wollen Sie diese endgültige Fassung des ›Faust‹ im
-Garten des kleinen Hauses entdecken?«</p>
-
-<p>»Ich <em class="gesperrt">werde</em> sie entdecken!«</p>
-
-<p>»Dann &ndash; dann müßten Sie aber wohl den ganzen
-Garten umwühlen?«</p>
-
-<p>»Oh, ich werde die Stellen zu bezeichnen wissen!«</p>
-
-<p>»Das ist ja ein Fund, der die Welt erschüttern wird!«
-stammelte Jakobus. »Ich fange an, die Hand einer gütigen
-Vorsehung zu erkennen,« sagte er, schon mit allen Sinnen
-hineingebettet in den schwärmerischen Ton des Fräuleins
-Erika Flucht &ndash; »mein Weg führt mich täglich an jenem
-Garten Goethes vorüber … Haben Sie ihn vorhin nicht<span class="pagenum"><a id="Seite_148">[148]</a></span>
-den ewigen Tempel genannt? Auch ich wohne in einem
-Gartenhäuschen am Horn.«</p>
-
-<p>»So seien Sie mir gegrüßt!« rief sie, reichte ihm die
-Hand und versprach, ihm noch an diesem Abend die Bezeichnung
-›der ewige Tempel‹ zu erläutern. Dann erhob
-sie ihre Stimme und sprach, mit einer großen Geste nach
-Weimar:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Gab die liebende Natur,<br /></span>
-<span class="i0">Gab der Geist Euch Flügel,<br /></span>
-<span class="i0">Folget meiner leichten Spur&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Auf, zum Rosenhügel!«<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Jakobus Sinsheimer ahnte eine Aufforderung zu
-sofortigem Aufbruche, und weil seine Augen dies Ahnen
-spiegelten, fragte sie: »Sie wissen wohl nicht, daß der
-Hang, an dem Goethes Gartenhaus liegt, der Rosenberg
-heißt?«</p>
-
-<p>»Nein,« gestand er, »mir kommt es überhaupt vor, als
-wüßte ich gar nichts.«</p>
-
-<p>»Sehen Sie &ndash; und die Stelle, die ich Ihnen soeben
-vorsprach &ndash; ist sie nicht ein Ruf des Meisters: ›Ihr,
-denen der Geist Flügel schenkte, folgt mir … unter dem
-von Geisterstimmen umraunten Rasen des Rosenhügels
-findet Ihr des Rätsels Lösung!‹ Aber seine Dichtungen
-sind <em class="gesperrt">voll</em> von solchen Rufen und Lockungen nach dem
-Geheimnisse, das er schelmisch dort der Mutter Erde vertraute.
-Kommen Sie, sehen Sie mit Ihren Augen die
-Zauberkreise, die Goethes heitere Größe um das königliche
-Vermächtnis schlug!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_149">[149]</a></span></p>
-
-<p>Es kam aus dieser seherischen Seele über ihn &ndash; noch
-zitterte der Rausch durch seine aufgewühlten Sinne, den
-die Frühlingsgaben Gwendolins hindurchgejauchzt hatten,
-nun ruderte er schon wieder mit schwunghafter Leichtherzigkeit
-hinein ins Himmelblau ohne Grenzen und fühlte:
-die fruchtatmende Erde geriet ins Wogen.</p>
-
-<p>Als sie an dem Hause Gwendolins vorübergingen, rief
-er der Frau hinein, er werde das Malzeug in den nächsten
-Tagen holen lassen.</p>
-
-<p>Dann fanden sie sich im Zwetschengarten des Gasthofs
-über einem verspäteten Mahle zueinander: das
-Glück, aus gerütteltem Ueberflusse Weisheit zu spenden,
-führte Erika Flucht &ndash; die Frage Dos: Was
-wissen Sie von Goethe? drängte ihn zu ihr …
-Aber er selbst war viel zu sehr bedrängt vom Erleben.
-Er hörte mit Atemlosigkeit des Herzens zu und kam sich
-vor wie das Kind, das den himmelblauen Frühlingswind
-fangen wollte; da rettete der sich vor den tappenden
-Händen in einen blühenden Kirschbaum und wirbelte
-einen Haufen Silberzindel herab &ndash; und der lange Mensch
-Jakobus stand mitten darin und ließ es schneien. Auch
-der gewärmte Kalbsbraten forderte ein Stück liebevolle
-Teilnahme.</p>
-
-<p>Einmal hob er das Glas zum Trunke, aber es mußte
-auf halbem Wege warten; denn zwischen Lipp' und
-Kelchesrand warf Erika Fluchts stürmende Begeisterung
-den Peneios, den Olymp, Persephoneien und Orpheus
-und die ganze klassische Walpurgisnacht hindurch.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_150">[150]</a></span></p>
-
-<p>Das geschah an dem gleichen Tische, um den die
-Scherben der vor vier Stunden jäh zerbrochenen Liebe
-lagen.</p>
-
-<p>Sollte er ihr gestehen, daß wenigstem Peneios und
-Persephoneia unentdeckte Welten für ihn waren?&nbsp;…</p>
-
-<p>Nachdem der Kellner abgetragen hatte, legte Jockele
-die Arme um die Kante des Tisches, als wären auf der
-Platte tausend surrende Firlchen losgelassen &ndash; Knöpfe,
-die auf dem durchgesteckten Holze tanzen &ndash; und gebärdete
-sich, als dürfe von dem närrischen Schwarme keines
-hinabschnorren in den Sand. Aber das war ein eitles
-Beginnen. Darum sann er auf Rettung und sagte: »Verehrtes
-Fräulein, bitte, nehmen Sie eine Zigarette.«</p>
-
-<p>Er hatte gerechnet: sie ist von ganz anderer Art als
-Gwendolin Vogelgesang, die oft sogar beim Malen
-rauchte, und gedachte nun Feuer mit Feuer zu dämpfen;
-auch Maria Reh hatte sich vom Rauchen so hinnehmen
-lassen als von einem mühseligen Geschäft &ndash; und mild
-lächelnd senkte sich die Ruhe über sie.</p>
-
-<p>Als der rote Bronnen der Weisheit gestopft war,
-lenkte er das Gespräch nicht ungeschickt auf ein Nebengeleis
-&ndash; »Durch die Kronen der Bäume wehen Duftwogen
-aus der blütenbunten Stille des Schloßgartens,«
-sagte er, der Würde der Stunde entsprechend. Aber
-Erika Flucht warf sich gleich in diese Wogen hinein und
-sprach, als läse sie ihm vor: »In Ettersburg vollendete
-Stiller ›Maria Stuart‹, und hier wurde Goethes
-›Iphigenie‹ zum erstenmal in geschlossenem Raum aufgeführt.<span class="pagenum"><a id="Seite_151">[151]</a></span>
-Goethe spielte den Orest, und &ndash; wenn ich nicht
-irre &ndash; Karl August den Pylades.«</p>
-
-<p>»So, so,« sagte Jockele aus seiner tiefen Zerschmetterung
-heraus und rang mit sich, ob er ihr erklären
-sollte, daß er für die nächste Stunde nicht mehr aufnahmefähig
-sei &ndash; wegen des Erlebnisses vom Vormittag, oder
-weil das Feld seines Geistes, auf dem sie mit beglücktem
-Fleiße baute, noch zu wenig vorbereitet wäre?</p>
-
-<p>Er entschied sich für das letztere und erzählte ihr den
-Roman seines Lebens. Darüber traten sie die Wanderung
-nach Weimar an, und der Bericht war auf eine Meile
-verteilt.</p>
-
-<p>Als es dämmerig wurde, traten sie unter dem Gewölbe
-der Sternbrücke heraus in den weimarischen Park. Ein
-später Nebel spann aus dem abendruhigen Spiegel der
-Ilm, ganz dünn und zauberisch und von leisem Glanz:
-er hatte an den Kahn des Mondes gestreift, der auf dem
-Wasser lag.</p>
-
-<p>Sie gingen an der Sphinx vorüber, und Erika Flucht
-sprach unter dem Silberschleier hervor, der sich auf ihre
-Seele gelegt hatte, sprach ein paar Verse Goethes &ndash; »auch
-aus diesen Versen von der Sphinx ruft das Geheimnis
-von dem nahe verborgenen Schatze,« erläuterte sie.</p>
-
-<p>Der Abend im Park war voll heimlicher Verheißungen.
-Und Jockele war gefaßt.</p>
-
-<p>Auf dem Weg über den Stern nach Goethes Gartenhause
-fragte er: »Sie redeten von dem ewigen Tempel &ndash;
-wo ist er?«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_152">[152]</a></span></p>
-
-<p>»Später, später!« sagte sie. »Jetzt von der klassischen
-Walpurgisnacht &ndash; dies ist die Landschaft! Rechts die
-Ilm, die Goethe den Peneios nennt; links der Rosenberg
-oder das Horn, der ihm zum Olymp geworden. Und
-daß dies Reich in den ›Sand‹ versickert, ist ebenfalls dem
-Ilmtal entnommen; denn der Platz, in den dies Tal vor
-Oberweimar hinübermündet, hieß ›der Sand‹ und war
-ein Exerzierplatz. Sehen Sie &ndash; so führt der Dichter selbst
-alle jene, denen der Geist Flügel gab, zu dem Schatze
-seines letzten, des wahren Faust! Jetzt verstehen Sie
-die Landschaft und Sie verstehen die Mahnung:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">In des Olympus hohlem Fuß<br /></span>
-<span class="i0">Lauscht sie (Persephoneia) geheim verbotenem Gruß;<br /></span>
-<span class="i0">Hier hab' ich einst den Orpheus eingeschwärzt;<br /></span>
-<span class="i0">Benutz' es besser, frisch! beherzt!<br /></span>
-</div></div>
-
-<p class="noind">Kann ein Dichter, der der Nachwelt ein Rätsel aufgeben
-wollte, unverschleierter andeuten, daß er die Handschrift,
-von der er als von dem ›Hauptgeschäfte‹ redet, in den
-Fuß dieses Hanges vergrub? Kann er klarer den Weg
-dazu weisen?«</p>
-
-<p>Jakobus empfand ihre Worte wie liebevolle Umarmungen.
-Aber der Gedanke an den Reif, den der
-Herbstmorgen heut über die allzufreudige Hingabe seines
-Herzens gesprüht hatte, ließ seine Sinne steil und sein
-Herz lauschend werden, und er fragte aus leisem Zweifel
-heraus:</p>
-
-<p>»Hat man diese letzte Niederschrift des Faust von
-Goethes Hand in der Tat nie gesehen?«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_153">[153]</a></span></p>
-
-<p>»Nie! Und doch ist sie beinahe in jeder Anmerkung
-seines Tagebuchs aus der Zeit kurz vor seinem Tode erwähnt.«
-Erika Flucht zitierte aus einem sicheren Gedächtnis
-alle Stellen dieses Tagebuchs mit den Daten.
-Sie hatte jede Zeile Goethes geprüft auf das Rätsel, dem
-sie in ahnender Erleuchtung nachzog.</p>
-
-<p>Da waren sie an die untere Pforte des Gartens
-gelangt.</p>
-
-<p>Erika Flucht öffnete sie und sagte: »Man hat mir den
-Schlüssel übergeben, damit ich des Traumes Deutung
-nachspüre, so oft mich der Geist ergreift. Sieben Stufen
-führen empor &ndash; eine geheiligte Zahl!« Das silberne
-Dämmerlicht sickerte um die hohen Säulen der Bäume.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Blick auf, hier steht bedeutend nah<br /></span>
-<span class="i0">Im Mondenschein der ewige Tempel da!<br /></span>
-</div></div>
-
-<p class="noind">Wir schreiten in diesem Augenblicke hinein! Und niemand
-erriet, was mir die Seele dieses Ortes offenbarte! Zuerst
-fand ich unter Moos dies Mosaik, und eingelegt in das
-Gestein das Zeichen des Pentagrammas. Goethe setzte
-dies Ausrufezeichen an die Schwelle des Tempels &ndash; aber
-die Menschen bedachten es nicht und schritten darüber&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Und warum nennen Sie diesen Teil des Gartens
-immer ›Tempel‹, Fräulein Flucht?«</p>
-
-<p>»Meine Entdeckung, Herr Sinsheimer! Die Gartenanlage
-trägt die Grundform eines altchristlichen Heiligtums
-&ndash; dieser Weg nach Osten stellt das Hauptschiff dar,
-jener das Querschiff &ndash;, dort in der Verlängerung des
-Mittelschiffs sehen Sie den muschelförmigen Abschluß,<span class="pagenum"><a id="Seite_154">[154]</a></span>
-Chor und Apsis, den Goethe durch die im Bogen gepflanzten
-Linden andeutete, und an der gleichen Stelle
-wie in der Basilika, der Hochaltar: das Allerheiligste mit
-dem Tisch aus Stein, um den Sie den welligen Saum
-des Altartuchs gemeißelt finden, und darüber das Altarbild,
-die Tafel mit den Versen:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Hier in Stille gedachte der liebende seiner Geliebten;<br /></span>
-<span class="i0">Heiter sprach er zu mir: werde mir Zeuge, Du Stein!«<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>»Und der Faust?« fragte er erschüttert.</p>
-
-<p>»Dieser wunderbare Naturtempel kann nichts anderes
-sein als die Folie zu dem tiefen, ernsten Vermächtnis &ndash;
-›blick auf, er steht bedeutend nah!‹ ruft der Dichter der
-Menschheit ins Herz &ndash; aber sie versteht seine Mahnung
-nicht … Hier, mein Herr, hat Goethe die Urschrift zu
-seinem Faust vergraben.«</p>
-
-<p>Erika hatte alles zusammengetragen an Daten und
-Veränderungen, die in dem unteren Garten während der
-letzten Lebensjahre Goethes vorgenommen worden
-waren. Sie ließ in den folgenden Tagen an Stellen des
-umrauschten Hanges graben, von denen sie vermutete,
-daß sie des Rätsels Lösung brächten &ndash; vergebens!</p>
-
-<p>In Jakobus klang jedes ihrer Worte nach, als sie
-abgereist war.</p>
-
-<p>Den Band Goethe ließ sie ihm zur Abschrift der Anmerkungen
-und sagte, wenn sie wiederkäme, würde sie der
-Enthüllung des Vermächtnisses, das ›in den Fuß des
-Olympus eingeschwärzt‹ sei, ein gut Stück näher sein.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_155">[155]</a></span></p>
-
-<p>Seine Tage &ndash; die letzten im lichten Scheinen des
-Jahres, die es im Scheiden abbrennt als ein königliches
-Feuerwerk, zogen dahin in tapferer Feindschaft gegen
-Doris Rinkhaus. Das hatte Gwendolin Vogelgesang
-getan! Do und Jo gingen aneinander grußlos vorüber,
-wenn es einmal kam, daß sie nicht ausweichen konnten.</p>
-
-<p>Da hing oft mitternächtige Finsternis um ihn, und er
-rief sich den Geist Dos wie einer Abgeschiedenen und sagte
-zu ihm: »Wie denken Sie über die vergrabene Handschrift
-zum Faust?« Es war komisch &ndash; er nannte das Bild mit
-den hellen Augen und der klaren Sichtigkeit des Märztages
-immer ›Sie‹. Und Do lehnte sich mit vor der Brust
-gekreuzten Armen rückwärts gegen das Fensterbrett, wie
-es ihre Gewohnheit war, wenn sie einen Angriff plante
-oder sich eine Stellung zu erfolgreicher Verteidigung
-eroberte&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Hm,« sagte sie, »es wäre eine Roheit, diese wunderliche
-Idee vor der Welt ins Lächerliche zu ziehen. Da
-die Handschrift in der Tat fehlt und die Tagebuchaufzeichnungen
-Goethes den Schluß auf eine zurzeit verlorene
-Fassung des Dramas zulassen, so muß man wohl auch
-jeden Versuch, ihrer habhaft zu werden, achten. Aber
-ich halte die Kette der Schlüsse jenes Fräuleins doch für
-eine sehr phantastische Anreihung und glaube nicht, daß
-sie im Besitz der Wunderlampe ist, die zu dem Schatze
-leuchtet.«</p>
-
-<p>Aber Jockele, der Dos Geist nun auf dies heimliche
-Zwiegespräch gefordert hatte, beschied sich damit nicht&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_156">[156]</a></span></p>
-
-<p>»Und warum sind Sie dieser Ansicht?«</p>
-
-<p>»Ich sagte Ihnen ja schon, daß mir die Beweisführung
-zu phantastisch erscheint &ndash; vor allem aber: es gehört doch
-eine merkwürdige Auffassung von der Psyche eines
-ernsten und bedeutenden Mannes dazu, ihr ein derartiges
-Versteckspiel anzudichten, das ohne Zweifel kindsköpfisch
-aussieht.«</p>
-
-<p>»Sie kennen die Beweisführung nicht in allen
-Stücken, Do!«</p>
-
-<p>»Aber das Fundament ist für mich Luft! Es gehört
-der unbegreifliche Mut einer Frau dazu, darauf ein
-Gebäude zu errichten.«</p>
-
-<p>Draußen ging ein langer spinnwebfeiner Septemberregen
-nieder.</p>
-
-<p>Da wühlte sich Jakobus in dem sanft durchwärmten
-Gartenhäuschen tiefer in Goethe und die Gedankengänge
-Erika Fluchts hinein &ndash; bis zu selbstvergessender
-Forscherfreude. Der zweite Teil des Faust
-wurde auch für ihn ein mächtiger Bund von Schlüsseln.
-Er probierte jeden an den vielen Türen, die der Dichter
-vor dem ›großen Schelmenstück‹ seines Lebens aufgerichtet
-hatte. Zu dem dunklen Gange, der den Schatz bewahrte
-und zu Persephoneien führte, sah er Wegzeichen &ndash;:
-›Von der Erde muß das Heil uns kommen!‹ stand da
-geschrieben, und er fand die Verse, die Goethe mit Bezug
-auf den Hügel seines Gartens gedichtet haben mußte,
-wenn in der griechischen Landschaft des Peneios das
-Ilmtal dargestellt war:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_157">[157]</a></span></p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Sind Briten hier? Sie reisen sonst so viel,<br /></span>
-<span class="i0">Schlachtfeldern nachzuspüren, Wasserfällen,<br /></span>
-<span class="i0">Gestürzten Mauern, klassisch dumpfen Stellen&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Das wäre hier für sie ein würdig Ziel!<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Bei der Papiergeldszene, von der ihm Erika Flucht
-mit geheimnisreicher Inbrunst ihre Deutung gegeben,
-verweilte er lange. Ihre Fragen klangen ihm in den
-Ohren &ndash; Glocken, die am längsten läuten: »Was soll
-diese Szene, wenn sie nicht ein Hinweis auf die vergrabene
-Handschrift wäre?«</p>
-
-<p>Er las:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Vom Estrich zwar ist es nicht aufzuraffen;<br /></span>
-<span class="i0">Doch Weisheit weiß das Tiefste herzuschaffen.<br /></span>
-<span class="i0">In Berges Adern, Mauergründen<br /></span>
-<span class="i0">Ist Gold gemünzt und ungemünzt zu finden;<br /></span>
-<span class="i0">Und fragt Ihr mich, wer es zutage schafft?<br /></span>
-<span class="i0">Begabten Manns Natur- und Geisteskraft.<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Und daneben stellte Goethe die anderen Worte des
-Mephistopheles:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Zwar ist es leicht, doch ist das Leichte schwer.<br /></span>
-<span class="i0">Es liegt schon da, doch um es zu erlangen,<br /></span>
-<span class="i0">Das ist die Kunst; wer weiß es anzufangen?<br /></span>
-<span class="i0">Bedenkt doch nur: in jenen Schreckensläuften,<br /></span>
-<span class="i0">Wo Menschenfluten Land und Volk ersäuften,<br /></span>
-<span class="i0">Wie der und der, so sehr es ihn erschreckte,<br /></span>
-<span class="i0">Sein Liebstes da- und dortwohin versteckte&nbsp;…<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Aber durch jedes Fenster, das er aufschlug, um Licht
-durch die zähe Dämmerung fluten zu lassen, steckte Doris<span class="pagenum"><a id="Seite_158">[158]</a></span>
-Rinkhaus den Kopf mit den unbarmherzig hellen Augen
-und sagte: »Ich höre doppelt, was er spricht &ndash; und dennoch
-überzeugt's mich nicht!«</p>
-
-<p>Jockele hieß die Gelegenheit willkommen, mit dem
-›Lichte von drüben‹ sich über den Fall auseinanderzusetzen
-&ndash; es war kurzweiliger, als immerfort Erika Flucht im
-Geiste reden zu hören, die die ganze Papiergeldgeschichte
-auswendig wußte.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Es steht hier ja mit nahezu unheimlicher Deutlichkeit,
-wie die Entdeckung des Schatzes vor sich gehen wird,« sagte
-er und pochte mit den Fingern auf die bedruckten Seiten,
-als gälte es, den Geist Dos, den stets verneinenden, für
-diesen Himmel zu gewinnen&nbsp;&ndash;</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Doch kann ich nicht genug verkünden,<br /></span>
-<span class="i0">Was überall besitzlos harrend liegt.<br /></span>
-<span class="i0">Der Bauer, der die Furche pflügt,<br /></span>
-<span class="i0">Hebt einen Goldtopf mit der Scholle,<br /></span>
-<span class="i0">Salpeter hofft er von der Leimenwand<br /></span>
-<span class="i0">Und findet golden-goldne Rolle,<br /></span>
-<span class="i0">Erschreckt, erfreut, in kümmerlicher Hand&nbsp;…<br /></span>
-<span class="i0">Nimm Hack' und Spaten, grabe selber,<br /></span>
-<span class="i0">Die Bauernarbeit macht Dich groß,<br /></span>
-<span class="i0">Und eine Herde goldner Kälber,<br /></span>
-<span class="i0">Sie reißen sich vom Boden los.<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Er las in unablässigem Wandelgange so laut, daß Do
-hätte aufhorchen müssen, wenn sie im Garten gewesen
-wäre. Aber der Nebel kroch draußen über das Gras, zog<span class="pagenum"><a id="Seite_159">[159]</a></span>
-seine Netze von Stamm zu Stamm und fing darin schlafmüde
-Blätter.</p>
-
-<p>So oft Jo sich Doris Rinkhaus in den Lehnstuhl am
-wärmelnden Ofen dachte, hatte sie immer die gleichen
-mitleidlosen Augen.</p>
-
-<p>Dann kam ein Tag, da schritt er ohne Buch durch die
-trauliche niedere Stube und wußte die Szene auswendig
-wie Erika Flucht. Aber die Freudigkeit der Gefolgschaft
-hatte er verloren.</p>
-
-<p>An diesem Tage schrieb er an die ferne Erika Flucht:
-»Manchmal fällt himmelfrohes Leuchten in mich und ich
-grüße Sie in Ihr beseligtes Suchen. Aber zuletzt steht
-doch stets der Zweifel &ndash; ich kann Ihnen nicht mehr helfen,
-verehrte Freundin; denn ich finde keinen Vers, der sich
-nicht viel müheloser anders deuten ließe als im Sinne
-Ihres wertvollen und interessanten Bemühens. Und doch:
-ich habe meinen Schatz gefunden, indem ich hinter dem
-Lichte wanderte, das Sie vor mir hertrugen &ndash; sehen Sie
-zu, daß auch Ihnen Ihre Sehnsucht Erfüllung werde!«</p>
-
-<p>Zwei Jahre später erhielt er ein Buch, das sie über
-diese Dinge geschrieben hatte. Es trug den Titel: »Das
-Vermächtnis« und er erkannte daraus, daß sie ihres
-Traumes Deutung nicht näher gekommen war.</p>
-
-<p>Ihr Name wurde später noch oft von Do und ihm
-genannt, aber sie lächelten doch zuletzt über ihn hin &ndash;
-›im Finstern sind Mysterien zu Haus‹.</p>
-
-<p>Leibhaftig gesehen hatte er Do nicht in diesen Tagen,
-die so schläfrig im Nebel herumliefen. Aber nun ging er<span class="pagenum"><a id="Seite_160">[160]</a></span>
-des Mittags immer den breiten Gartenweg, und nicht
-mehr durch die Schlüpfe, und richtete seine Blicke bei jeder
-Heimkehr aus der Stadt gegen ihre Fenster.</p>
-
-<p>Es lag immer die gleiche undurchdringliche Ruhe dort.</p>
-
-<p>Da befiel ihn die Sorge, es könnte Do etwas zugestoßen
-sein. Er suchte vor der Tür in dem aufgeweichten
-Wege nach der Spur ihrer Füße und fand sie nicht. Er
-ging an einem Abend viermal hinaus und sah, ob Licht
-hinter den Fenstern ihres Zimmers wäre &ndash; das Haus
-war gestorben. Er riß an dem Klingelstrange, daß die
-Glocke drinnen jäh aus ihrem Schlafe schreckte und Sturm
-läutete &ndash; »Wenn sie jetzt kommt,« dachte er, »so sag' ich:
-›ich wollte sie nur noch mehr ärgern, als dies schon geschehen
-ist‹ &ndash; und dann frier' ich zu bis auf den Grund.«</p>
-
-<p>Aber sie kam nicht. Da lief er gegen seine Gewohnheit
-in die Stadt, um eine ihrer Bekannten zu treffen.
-Vor jedem Menschen hatte er die Frage auf den Lippen:
-»Kennen Sie Doris Rinkhaus? Wo ist sie hingekommen?«</p>
-
-<p>Als er beim Kaisercafé um die Ecke in die Schillerstraße
-einbog, war der Bummel der Weimaraner schon im
-Einschlafen. Die Rathausuhr schlug acht. Die Laternen
-spannten gelbe Brücken auf die glitschigen Steige, und
-was da in Regenzeug mit hochgeschlagenen Rockkragen
-dahinstapfte, waren »die nach Ladenschluß«. Nur aus dem
-Fauserschen Blumengeschäft bei dem Gänsemännchen
-brach noch ein verspäteter Strom Licht in den Nebel &ndash;
-Gwendolin stand drinnen in Blüten und steckte sich gerade
-drei rote Nelken in den Gürtel!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_161">[161]</a></span></p>
-
-<p>Er hatte all die Zeit her nicht das leiseste Verlangen
-gespürt, sie über ihr Verhalten in Ettersburg zur Rede
-zu stellen. Nun, da nur die blanke Scheibe zwischen ihm
-und ihr war, prallte er zurück &ndash; aber: »Träf' ich Dich nicht
-heute, träf' ich Dich ein andermal,« dachte er, sprang die
-Stufe empor und stieß hart gegen die Glastür; sie war
-geschlossen.</p>
-
-<p>Da öffnete ihm Gwendolin&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Wissen Sie, wo Doris Rinkhaus hingekommen ist?«
-fragte er.</p>
-
-<p>»Aber ja,« sagte sie, »sie ist in Ibenheim! Und Sie
-wissen das nicht?«</p>
-
-<p>»Nein. Was soll denn das heißen? &ndash; Nun ja, wir
-haben doch noch vier Wochen Krieg miteinander.«</p>
-
-<p>»Geschieht Ihnen recht. Halt, halt! Warten Sie, ich
-gehe mit Ihnen!«</p>
-
-<p>Das war Gwendolin &ndash; sie hatte ihn schon wieder in
-beiden Händen.</p>
-
-<p>»Ich gehe nach Hause,« sagte er.</p>
-
-<p>»Ich gehe mit,« sagte sie. »Warum haben Sie sich in
-diesen vier Wochen eigentlich nicht sehen lassen?«</p>
-
-<p>»Vor Ihnen?«</p>
-
-<p>»Natürlich vor mir! Aber diese Sache machen wir
-daheim ab. Los!« kommandierte sie.</p>
-
-<p>Sie gingen über den Markt und gingen über die
-Sternbrücke. Als sie in den dunklen Fußweg nach dem
-Horn einbogen, sprengte ihr ein Lachen den Mund &ndash;<span class="pagenum"><a id="Seite_162">[162]</a></span>
-diesen Mund, der über seine rauchenden Sinne geblüht
-war wie die rote Seide des Feldmohns, wenn sie sich
-voll Sonne getrunken hat! Und Doris Rinkhaus in Ibenheim!
-Krieg auf Kündigung! Dazu Erika Flucht, die
-den Olympus durchwühlte, in den Goethe sein Vermächtnis
-eingeschwärzt hat … Und das alles auf einem
-kleinen Zirkel Zeit und Erde! … Jakobus Sinsheimer
-stand in der Mitte dieser verrückt gewordenen Drehscheibe,
-wirbelte sich um seine eigene Achse und bekam das wüste
-Sehen.</p>
-
-<p>»Du,« sagte sie, »willst Du den ganzen Abend so zugenagelt
-sein? Rede!«</p>
-
-<p>»Frage nur weiter,« sagte er &ndash; »vielleicht rat' ich mich
-dann aus meinem Staunen heraus.«</p>
-
-<p>Sie lachte, daß ihm das Herz klang.</p>
-
-<p>»Verrückte Geschichte!« sagte er. »Und nun kommt
-das auch noch, sagt ›Du‹ zu mir und stattet mir einen
-mitternächtigen Besuch ab. Nimm Dich in acht vor mir!«</p>
-
-<p>»Fällt mir ja gar nicht ein!«</p>
-
-<p>Teufel, wie das lachen konnte! … Jakobus Sinsheimer
-fing an, nachsichtig gegen sich selbst zu werden und
-dachte an vollkommene Verzeihung &ndash; »das heißt,« erläuterte
-er laut, als ob sie seine Gedanken gehört hätte &ndash;
-»ich selbst will mir verzeihen. Du bist hoffentlich vernünftig
-genug und verzichtest für Dich!«</p>
-
-<p>Es knisterte und tropfte im Laubdache der Kastanien,
-und auf dem breiten Gartenwege lag mitternächtige
-Finsternis.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_163">[163]</a></span></p>
-
-<p>»Es ist schaurig einsam hier,« sagte Gwendolin und
-legte ihren Arm um den seinen; da fühlte sie, daß der von
-Holz war und ohne Bedürfnis, sich anzuschmiegen.</p>
-
-<p>In der Türe des Hauses ließ er sie stehen und brannte
-die Lampe an, und Licht und Wärme nahmen ihr das
-Regencape ab&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Ah,« sagte sie voll Rührung, »wie lieb hier alles ist!
-Und dahinein hast Du mich nicht ein einziges Mal gerufen?«</p>
-
-<p>»Nein,« sagte er &ndash; »der Name Gwendolin Vogelgesang
-ringelt sich aus dem Mund als eine Schlange und
-zischt, ehe er noch ganz hervorgekrochen ist! … Ich weiß
-das leider erst seit diesem Augenblick.«</p>
-
-<p>Sie setzte auch den braunen Hut ab, um den ein
-schmales Band aus schwarzem Glanztuch geschnallt war,
-und rückte sich den Lehnstuhl an den Tisch.</p>
-
-<p>»Du, mach' eine Tasse Tee!« lockte sie.</p>
-
-<p>Da holte er den Spirituskocher von dem Fensterbrett
-in der Kammer. Sie hörte, wie er draußen Wasser in
-einen Blechtopf goß, dann stellte er den ganzen Betrieb
-auf die Diele vor den Ofen und zündete an.</p>
-
-<p>»Pfui, wie männermäßig und stimmungslos! Ich
-werde Dir morgen einen Samowar schicken, der kommt
-auf den Tisch, und Du läßt Dir des Abends etwas von
-ihm vorsingen, wenn ich nicht da bin.«</p>
-
-<p>»Das klingt ja gerade, als wolltest Du wiederkommen?«</p>
-
-<p>»Du lieber dummer Junge &ndash; selbstverständlich will
-ich wiederkommen!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_164">[164]</a></span></p>
-
-<p>Da legte er das Kinn auf die gelbgemusterte Tischdecke
-und sagte: »Gwendolin Vogelgesang! Gwendolin
-Vogelgesang! So &ndash; jetzt kriechen zwei Schlangen auf dem
-Tische herum … Ich wollte, Du entsetztest Dich davor &ndash;
-vor Dir und Deinem Namen und vor Deiner bittersüßen
-Seele und vor Deinen Tollkirschenaugen.«</p>
-
-<p>»Ich habe gar nicht gewußt, welch eine komplizierte
-Einrichtung ich bin,« sagte sie.</p>
-
-<p>»Hm. Ich habe mir die Lippen abgewischt neulich in
-Ettersburg, weil ich auf dem Wege zu Dir Deine Küsse
-darauf gefühlt hatte.«</p>
-
-<p>»Den Samowar kriegst Du aber doch; denn … Sie
-sind einfach süß in Ihrer Dummheit, Herr Sinsheimer!«</p>
-
-<p>Aber sie lachte nun nicht mehr, und es wurde ihr
-schwer, ihn anzusehen; sein Mund, der so wild und süßschmerzlich
-küssen konnte, verzog sich in gallebitterem
-Widerwillen. Sie hatte in ihrer sonnenseitigen Art über
-den Graben hinwegsetzen wollen, den sie gerissen &ndash; nun
-war er breiter, als sie ahnen konnte, und Jockele stand
-drüben und reichte ihr keine helfende Hand.</p>
-
-<p>Die kleine Uhr mit den Alabastersäulchen und dem
-gewölbten Glas über dem Zifferblatt rief mit heller
-Stimme neun &ndash; es war die gleiche Glocke, die schon in
-Tante Veronikas Jungmädchenträume geklungen hatte …
-Die mußten aus kleinen Rosen gewoben gewesen sein,
-aber die Gwendolins waren aus violettem Nachtschatten,
-der in jeder Dämmerung ein schwüles Leuchten anhebt
-und Perlen aus Granatrot und Gift trägt.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_165">[165]</a></span></p>
-
-<p>Jakobus nahm eine Tasse aus dem Schrank, füllte die
-kleine Meißener Kanne mit Tee und goß für Gwendolin
-ein. Da ging sie an den Schrank, nahm für ihn eine Tasse
-heraus und bediente ihn in der gleichen Weise.</p>
-
-<p>»Heute gefällst Du mir,« lächelte sie so über ihn hin,
-»Du bist nicht nur dumm, Du bist auch tapfer.« Während
-sie die Teekanne abstellte, streifte sie ihm mit der Hand
-über das Haar &ndash; »Du,« sagte sie, »warum rauchst Du
-nicht auf &ndash; ich habe Dich nun schon dreimal dumm
-genannt!«</p>
-
-<p>»Weil Du recht hast. Wär' ich sonst auf Dich hineingefallen?«</p>
-
-<p>Auf dem Tische stand ein Strauß von Herbstgräsern.
-Den hatte die Aufwärterin zusammengetragen, und Gwendolin
-hatte ihre Nelken dazugefügt. Aus diesem Strauße
-zog er einen Halm Zittergras und tupfte ihr damit an die
-Lippen: »Walderdbeeren, die im Straßengraben wachsen,«
-sagte er.</p>
-
-<p>Da wurde das hohe sonnige Mädchen leise, es gingen
-vier Lichter aus an dem siebenarmigen Leuchter ihrer Zuversicht.
-»Jockele,« sagte sie, »denkst Du, ich hätte Dir
-diesen Mund gegeben, wenn Du nicht voll Sehnsucht nach
-ihm gewesen wärst?« Sie zog mit dem Löffel das Muster
-der Decke nach und glitt sich sachte aus den Händen.</p>
-
-<p>Er sprang auf und ging mit harten Schritten durch
-das Zimmer &ndash; »Du hättest mich nicht so stumpfherzig verleugnen
-sollen &ndash; dann wärest Du nicht so tief untergegangen
-für mich, Gwendolin,« sagte er; »denn Du bist<span class="pagenum"><a id="Seite_166">[166]</a></span>
-nicht so arm, daß Du Dich selbst einem Bräutigam gegenüber
-nicht verteidigen könntest.«</p>
-
-<p>Er ließ seine Augen nicht von ihr, denn sie war für
-ihn Komödie geworden. Aber sie schaute nicht auf. Dann
-sagte sie mit gesprungener Stimme: »Ich habe gedacht, es
-könnte Dir daran gelegen sein&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Daß Du mich vor einem Kellner zu einem Narren
-machst?«</p>
-
-<p>Da erschrak sie und stand auf und legte ihre Arme um
-ihn. Er wehrte sie ab&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Jetzt hast Du mir mitten aufs Herz getreten,«
-knirschte sie und setzte sich voll Bitternis in den Stuhl. »Ich
-habe Dich für jünger gehalten, als Du bist.«</p>
-
-<p>Da lachte er gell auf &ndash; »Wär' ich älter, so hätt' ich Dich
-zur Dirne gemacht!« schrie er. »Aus! &ndash; Und nun sage
-mir: was weißt Du von Doris Rinkhaus? Ich werde von
-ihr das Leben erlernen müssen. Macht es Dich nicht nachdenklich,
-daß ich mich nicht an ihren Mund wagen würde?
-An diese hellen, kühlen, sauberen Lippen! Doris Rinkhaus
-hat einmal gesagt: Wer den Glauben an die Menschen
-nicht verlieren will, muß den Verkehr mit ihnen nach
-Möglichkeit einschränken. Warum denke ich nun daran,
-da ich Dich vor mir habe? Was weißt Du von ihr?«</p>
-
-<p>»Daß sie nach Ibenheim gereist ist und in dem Hause
-wohnen wollte, in dem einst Maria Reh gewohnt hat.
-Sie wollte wohl auch wissen, wo Du daheim wärst, und
-wollte mit Tante Veronika zusammensein, die sie sehr
-schätzt.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_167">[167]</a></span></p>
-
-<p>Das war so ohne Verhehlungen hingesagt, daß er ganz
-ruhig daran wurde. &ndash; Doris Rinkhaus hatte es sonst nicht
-leicht mit den Menschen, sie war hellsichtiger als alle ihres
-Alters, sie war fertig und selbstbewußt, und was ihr noch
-zu erleben blieb, nahm sie hin in der klaren Bewußtheit,
-mit der sie sich zu leben gewöhnt hatte. Sie machte sich
-ihre Tage selber.</p>
-
-<p>Menschen solcher Art wachsen wenige und stehen fremd
-inmitten der zehntausend Schablonen, die um sie herumlaufen,
-und sie haben viele Feinde.</p>
-
-<p>Gwendolin sagte: »Doris Rinkhaus ist eine kaltherzige
-Egoistin.«</p>
-
-<p>»Nein,« sagte Jakobus, »sie ist blank und klar wie der
-volle Mond, der in der Hochnacht hängt.«</p>
-
-<p>»Er wärmt nicht.«</p>
-
-<p>»Das Bild war auch nicht klug gewählt,« sagte er &ndash;
-»manchmal kann ich mir denken, daß sie über ein dürres
-Feld schreitet, und es fängt um ihre Schuhe an zu blühen.
-Aber es ist richtig: sie redet oft mit Menschen und ist doch
-weit weg von ihnen. Alle Mädchen müßten so sein wie sie,
-so königlich und klar. Sie ist ein Quell voll Erfrischung.
-Ihr andern habt nur Kleider und Sinne, aber sie hat eine
-Krone. Oh, wenn Ihr wüßtet, wie Ihr Euch erniedrigt
-mit Eurer dürftigen Rechnung auf das andere Geschlecht!«</p>
-
-<p>Gedanken, die Do auf ernsten Wanderungen in ihn
-geworfen hatte, wollten sich in Helligkeit ringen, aber sie
-fanden den Weg nicht; denn Gwendolins Augen stellten
-sich vor ihn hin und fragten: »Was verstehst Du von diesen<span class="pagenum"><a id="Seite_168">[168]</a></span>
-Dingen?« Und ihre schwüle Art, ihn anzusehen, machte
-ihn wieder unsicher an sich selbst.</p>
-
-<p>»Du wirst nach Hause gehen müssen,« sagte er &ndash; und
-sie: »Es ist schade, daß Du nicht zehn Jahre älter bist. Ich
-glaube, ich könnte Dich dann richtig lieb haben.«</p>
-
-<p>Sie machte sich fertig, und er führte sie die Kastanienallee
-entlang und ging noch ein paar Schritte mit ihr
-draußen vor der Hecke.</p>
-
-<p>»Du bist nun doch anders als andere, und ich hätte
-gegen Dich nicht so freigebig sein dürfen,« sagte sie. »Aber
-Du darfst mich deswegen nicht steinigen und meinen, ich
-allein trüge die Schuld. Vor solch einem feuerroten Aufblühen
-will ich mich aber in Zukunft hüten.«</p>
-
-<p>Vom Tor aus sah er ihr noch einmal nach &ndash; die Nebel
-schlugen über ihrem Schatten zusammen.</p>
-
-<p>Er trat hochaufgerichtet in sein Haus und dachte, sie
-wäre nach seiner Aufforderung ohne Säumen gegangen,
-weil er von Do zu ihr geredet hatte, und wie die so schön
-und hoheitsvoll sei; gegangen aber auch deshalb, weil sie
-seine ehrliche Bitternis gefühlt hatte.</p>
-
-<p>Dann holte er die Gedichte Goethes mit den Anmerkungen
-der Erika Flucht vom Regale. Da fiel ihm ein,
-daß es viele Mädchen leicht hätten, neben den suchenden
-Sinnen der jungen Männer dahinzuleben &ndash; die heidegraue
-Norddeutsche mit dem Faustfimmel hatte keiner
-schön gefunden!</p>
-
-<p>Es waren Gedanken, die er nie zuvor gehabt hatte;
-darüber ward sein Herz noch versöhnlicher gestimmt, und<span class="pagenum"><a id="Seite_169">[169]</a></span>
-er fragte sich, ob er Gwendolin nicht unrecht getan hätte.
-»Nein &ndash; nur quitt sind wir geworden,« sagte er. Und
-am anderen Tage konnte er sich über den Samowar in
-helle Glückseligkeit freuen.</p>
-
-<p>Sie hatte den Kessel ganz mit Blumen überdeckt, aber
-sie hatte kein Wort dazu geschrieben.</p>
-
-<p>Da suchte er sie während der folgenden Tage in der
-Stadt zu treffen. Wie er sie sah, traten sie sich ernst und
-freundschaftlich gegenüber, und ehe sie auseinandergingen,
-sagte er:</p>
-
-<p>»Ich glaube, wir sind gar nicht von so unterschiedlicher
-Art der Herzen. Ich weiß jetzt: die meisten jungen
-Männer und jungen Mädchen vertändeln sich aneinander
-&ndash; aber so zwei wie wir müssen darüber hinwegkommen.
-&ndash; Wann besuchst Du mich?«</p>
-
-<p>»Morgen abend &ndash; wenn Du willst,« sagte sie.</p>
-
-<p>Er hatte sich und sie besiegt.</p>
-
-<div class="chapter">
-<p class="drop">Den Menschen in Weimar ist das Glücklichsein leichter
-gemacht als denen anderswo &ndash; nicht, als ob sich die
-Steuerlokalkommission weniger anmaßend gebärdete &ndash;
-o nein, sie hat genau so das Bewußtsein, daß sie zuletzt
-immer die Gefoppte sein könnte, und ist deshalb zur Vergeltung
-geneigt; genau so wie anderswo hat sie das Recht
-zum Pessimismus. Und nicht, als ob die Weimarer
-Bürger und Dichter, die den Hauptteil der Bevölkerung
-bilden, trockenen Fußes über die Straßen gehen dürften,
-wenn es schon seit zwei Wochen aufgehört hat zu regnen<span class="pagenum"><a id="Seite_170">[170]</a></span>
-&ndash; o nein, o siebenmal nein! Für diese Fälle hat sich ein
-ebenso eigenartiges als lustiges Verfahren herausgebildet.
-Regnet es, und es beabsichtigt trotzdem jemand aus einer
-der grünen stillen Vorstadtstraßen einen Ausgang, so
-wendet er sich zuvor an den Gemeindevorstand mit einer
-Eingabe und fordert die Beschotterung des Weges.
-Darauf erläßt der Stadtbaumeister ein Rundschreiben an
-alle Anlieger der Straße, ob sie für die Kosten der Instandsetzung
-aufzukommen gedächten. Wenn diese zurückgeschrieben
-haben, daß sie zu wenig Humor besäßen, um
-ein so vergnügtes Ansinnen auch nur zu erwägen, dann
-ist seit mehreren Wochen so trockenes Wetter, daß die Entnahme
-von Wasser aus der städtischen Leitung bei Strafe
-verboten wird, der beabsichtigte Gang in die Stadt kann
-ohne Lebensgefahr vorgenommen werden, und über die
-Eingabe, die bis auf weiteres inaktuell ist, wird zur Tagesordnung
-übergegangen.</p>
-</div>
-
-<p>Trotz alledem &ndash; das Glücklichsein ist den Menschen in
-Weimar leichter als denen draußen; denn jeder treibt sich
-an dem andern rasch und fremd vorüber und fraget nicht
-nach seinem Schmerz. Es gibt keine aufdringlichen Nachbarn,
-und wer Neigung dazu verspürt, läßt sich leicht zu
-grußloser Begegnung bekehren. Man sieht sich in Weimar,
-aber man kennt sich nicht; und das ist ein Stück des Geheimnisses
-der Glückseligkeit. Man wohnt vergnügt wie
-in Ibenheim am Walde; denn Weimar ist die Stadt mit
-der unsterblichen Seele, und nicht nur, wenn der Mond
-Busch und Tal still mit Nebelglanz füllt, hält diese Seele<span class="pagenum"><a id="Seite_171">[171]</a></span>
-ihre geheimnisreichen Umgänge und schauert um Herzen
-und Wege das Scheinen der Ewigkeit.</p>
-
-<p>»Das Vermögen, in Einsamkeit glücklich zu sein, steht
-in geradem Verhältnisse zum inneren Reichtum eines
-Menschen,« hatte Doris Rinkhaus einmal zu Jockele gesagt.
-Das war zu einer Zeit gewesen, in der er noch nicht
-wußte, daß er zu denen gehörte, die Schmerz und Lust in
-Betrachtung übergehen lassen. Aber er hatte gefühlt: es
-war die Wegstelle, an der Tante Veronika und Do einander
-trafen.</p>
-
-<p>Und nun war er längst zu der Erkenntnis gelangt, daß
-das Glück von Weimar sich ihm um so inniger ans Herz
-legte, je heimlicher er sich in die Stille dieser beseelten Gärten
-hineinlebte. Er war daheim wie in den himmelumdrängten
-Waldsäumen hinter dem Frühlingshause. Die
-Namen der Großen von Weimar blühten für ihn von allen
-Fenstersteinen, und er sah klingende Ewigkeit ranken um
-alle Giebel.</p>
-
-<p>Er schaltete die Steinbrüche der Städte nicht einfach
-in das Dasein als Verirrungen verkümmerter Herzen und
-Geister, die das Bedürfnis haben, sich das Firmament der
-Sterne zu vermauern &ndash; wie er einmal von einem Dichter
-hatte sagen hören &ndash; aber er dachte: wie kann man seine
-Augen so der Sonne entwöhnen und seine Seele so dem
-jubilierenden Hochgesang der Erde! Wie kann man Gott
-absetzen und den Göttern der Gassen und Gossen dienen,
-solange noch Wälder ihre Arme lichtselig gen Himmel
-dehnen?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_172">[172]</a></span></p>
-
-<p>Ueber diese Erde ritt der Oktober in silbernem Rüstzeug
-mit goldenen Sporen. Er trug eine blaue Aster am
-Helm, und die Sonnenrosen lehnten sich über die Zäune
-und mußten seinen Weg bescheinen.</p>
-
-<p>Doris Rinkhaus war wiedergekommen aus den bunten
-Wäldern der Berge und sah aus wie die Braut des silbernen
-Reiters: kriegsfroh und sieghaft &ndash; sah aus, als
-liefe sie unter dem Schellenbaume der Militärmusik. Sie
-machte keine abwesenden Augen mehr, wenn sie aneinander
-vorübergingen &ndash; sie wartete auf die rote Fahne,
-die Jockele aufzog, sobald sie in Sicht kam, und freute sich,
-wenn er als Feuersäule an ihr vorbeiloderte.</p>
-
-<p>Er hatte nicht an Tante Veronika geschrieben, während
-Do in Ibenheim war. Und diese Tante war auch darin
-eine Ausnahme, daß sie von ihrem Jungen nicht einen
-Wochenbericht mit Speisenkarte und Wetteranzeige verlangte.</p>
-
-<p>Am letzten Oktober abends war der Sturm in die spärlich
-belaubten Wipfel gestiegen und blies den Frieden über
-den Garten. Gwendolin war da, und während sie beim
-Tee saßen, brachte Maria Reh &ndash; noch im Reisekleide &ndash;
-die Einladung zum nächsten Morgenkaffee herüber aus
-dem Gartenhaus. Es war sehr lustig; denn Maria Reh
-hatte von den Dingen, die sich über Sommer zugetragen
-hatten, keine Ahnung. Und es wäre noch lustiger gewesen,
-wenn sie nicht den jungen Malschüler hätte begrüßen
-wollen, der für sie noch immer mitten in der Erinnerung
-des Waldspazierganges zum Berge der Frau Venus lebte<span class="pagenum"><a id="Seite_173">[173]</a></span>
-&ndash; nun war aus ihm ein junger Mann geworden, der seine
-Erlebnisse hatte, und der auf dem Wege zu einer Weltanschauung
-war.</p>
-
-<p>Aus dem anderen Morgen wurde ein Vormittag und
-aus dem Kaffee ein Mittagsmahl. Die Aufwärterin
-Jockeles wurde in die Küche gestellt; denn die Damen
-konnten nicht abkommen. Es hatte sich ein halbes Leben
-während dieses Krieges im Frieden durch ihn hindurch
-gelebt, und er stand schon wieder hoch darüber auf einer
-heiteren Höhe, von der er sich die Welt unter ihm mit
-Humor betrachtete.</p>
-
-<p>Do hatte, als die Kriegserklärung erfolgte, noch die
-erste Nacht von Ettersburg auf seinen Lippen leuchten
-sehen &ndash; auf dem gleichen Munde, der sich zu dem begeisterungsvollen
-Ausspruche von der bevorstehenden Eheschließung
-mit Gwendolin hinreißen ließ.</p>
-
-<p>Aber Doris Rinkhaus hatte keinen Verrat an ihm begangen,
-weder gegen die bunten Wälder von Ibenheim
-noch gegen Maria Reh; und auch er spielte nicht den Verräter;
-denn Gwendolin hatte sich Do an jenem Sonntag
-in Ettersburg nicht verborgen. Deshalb durfte er alle
-seine Erlebnisse berichten und schonte sich nicht.</p>
-
-<p>Dieser erste November leitete Jakobus Sinsheimers
-wildes Jahr ein.</p>
-
-<p>Zuerst verlor er Gwendolin. Sie kam noch ein paarmal,
-dann stürzte er sich in ein ausgelassenes Malen. An
-einem verschneiten Tage betraf ihn Maria Reh dabei, wie
-er Stöße bemalter Leinewand in den Schuppen hinter dem<span class="pagenum"><a id="Seite_174">[174]</a></span>
-Hause trug &ndash; um die Holzdieme im Zwetschengarten
-hatten sich Sturm und Winter gejagt, und die Schuppentüre
-lag hinter einer Schneelast. Da wühlte er sich Bahn
-und warf alle Landschaften der anderen Zeit zu Staub
-und Moder. Dann verfiel er in einen unwirschen Fleiß
-und verlernte darüber zu lachen und zu reden. Er sah
-die Freundinnen aus dem Gartenhause tagelang nicht,
-wußte nicht, was sie trieben, und es kümmerte ihn nicht,
-ob sie daheim oder verreist waren. Er verbrachte Wochen
-in der Akademie, er verbrachte lange Tage in der Büchereinsamkeit
-seines Hauses. Es gingen alte und junge
-männliche Modelle darin ein und aus, und es kam auch
-ein ganz junges blondes Mädchen der Armut mit einem
-Madonnengesichte. Die hatte ihm die Aufwärterin zugeführt.</p>
-
-<p>Danach entließ er die Frau und hatte die jungen sechzehn
-Jahre der Husch um sich; die behauptete, sie wäre auf
-diesen Namen getauft.</p>
-
-<p>Er gebot über ihre junge unterwürfige Jugend wie er
-wollte. An ihrer sanften Schönheit sannen sich seine
-Augen in Träume wie vor dem Bilde des Mondes; und
-die Kümmernis ihrer Jugend erbarmte ihn. Sie lebte
-sich in ihn und das kleine Haus hinein als in ein fremdes
-schönes Glück und litt an der Ahnung, der Märchenglanz
-werde vergehen, wenn der Schatten von Menschen
-darüberfiele.</p>
-
-<p>Da geriet sie in eine eifersüchtige Wachsamkeit und
-haßte Doris Rinkhaus, daß sie zitterte, wenn ihr Name<span class="pagenum"><a id="Seite_175">[175]</a></span>
-von ihm genannt wurde, und daß sie in Tränen ausbrach,
-wenn Jakobus drüben im Gartenhause war.</p>
-
-<p>Einmal hatte er mit Do verabredet, Husch sollte für die
-Damen und ihn in der Küche drüben die Mahlzeiten bereiten,
-aber sie war nicht dazu zu bringen &ndash; »Fordere,
-daß ich in den Winternächten an der Erde vor Deinem
-Bette schlafe oder draußen beim Holz,« flehte sie, »aber
-beschütze Dich und mich vor jener!«</p>
-
-<p>Da machte sie aus dem kleinen Schuppen eine armselige
-Küche und wirtschaftete darin und aß dort, wenn er
-nicht daheim war. Des Abends ging sie über den Wall
-nach Hause, sie bewohnte mit ihrer Mutter eine Mansarde
-in der Musäusstraße, und war früh vor Tag wieder
-da und wartete, daß er über sie befahl. Sie waltete in
-dem Häuschen mit blumenhafter <span id="corr175">Stille</span> und Hingabe an die
-Sonne, die darin für sie schien, und dachte: »Wenn diese
-Sonne untergeht, muß ich sterben.«</p>
-
-<p>Einmal hatte sie ein Märchen von einer Fee gelesen,
-die in eine Blume verzaubert war. Aus dieser Blume
-durfte sie um die Mitternacht herausschreiten. Da schlief
-der Mann, der die Blume in einen Scherben gepflanzt
-hatte, nebenan in dem Kämmerchen, die Fee aber fegte
-die Stube und wischte den Staub und trug Wasser herzu
-und war so leise wie der Sonnenschein, der über die Diele
-schreitet. Dann zündete sie Feuer unter dem Herde und
-setzte das Essen daran, daß es sich bis zum Morgen koche;
-denn sie mußte wieder zur Blume werden, ehe der erste
-Sonnenstrahl kam &ndash; sonst war es um sie geschehen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_176">[176]</a></span></p>
-
-<p>Dies Märchen erzählte Husch eines Tages dem Jakobus
-und ward traurig und sagte:</p>
-
-<p>»Dieser erste Sonnenstrahl &ndash; ich muß dabei an etwas
-ganz anderes denken … davor fürchte ich mich!«</p>
-
-<p>Er fragte sie, was es wäre, aber sie schüttelte mit
-dem Kopfe und schwieg. Dann sagte sie:</p>
-
-<p>»Ich werde es Dir nie verraten. Aber wissen wirst
-Du es doch, wenn dieser Sonnenstrahl gekommen ist;
-denn dann ist es um mich geschehen.«</p>
-
-<p>In der ersten Zeit war ihr sehr bange, sie könnte nicht
-alle Dinge in der Stube wieder an den richtigen Platz und
-in die Stellung bringen, die sie zuvor gehabt hatten, weil
-ihre Hände und Augen nicht dazu geschickt wären.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Ihre Mutter hatte sie am Rande eines wilden und
-schönen Mädchentages aufgelesen und wohnte noch immer
-in dem gleichen Dachstübchen, in dem ihrem Schoße die
-weiße Rose entblüht war. Das Fenster lag nach Norden,
-und man konnte die Sonne von dort aus nur sehen, wenn
-sie in fremden Gärten und in den Stuben der anderen
-Leute lag.</p>
-
-<p>Das Schauen nach fremder Sonne hatte einen Zug
-tiefer Schmerzen in das junge Gesicht getragen. Eines
-Tages saß sie am Fenster &ndash; es war ein frostheller
-Januartag, und der Ostwind klirrte durch das Geäst. Sie
-dachte an die Zeit, in der das liebe Licht dieses kleinen
-Hauses nicht mehr um sie wäre, und blickte empor zu den
-kahlen Zweigen, die vom Winde geschlagen wurden.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_177">[177]</a></span></p>
-
-<p>Da wandte sich Jakobus ihr zu und sah ihr schmerzvolles
-Gesicht. Aber sie merkte es nicht. Es schien ihm,
-als wandele sie in einem tiefen, öden Felsentale, das auf
-allen Seiten verschlossen war, und sie ging dahin und sah
-die Abendsonne ihren Königspurpur um die hohen Zinnen
-legen.</p>
-
-<p>Du hieß er sie ihre Kleider ausziehen und ihr langes,
-blondes Haar lösen, wie sie das schon oft vor ihm getan.</p>
-
-<p>Er hatte sie dann gezeichnet als ein schönes, schlankes
-Kind, das in erdenfernen Gärten schritt &ndash; einmal auch als
-die Fee in dem Märchen, die sich aus der Blume befreite
-&ndash; da wob sie sich aus sanften Linien, die zuvor Blütenodem
-gewesen waren, zu einer holdseligen Frauengestalt.
-Oder sie wandelte über Stufen des Himmels den Engeln
-entgegen, die dort auf den lieben Gott warteten.</p>
-
-<p>Aber an diesem Tage wurde sie ihm zum ersten Male
-zu dem schmerzensvollen Erdenmädchen.</p>
-
-<p>Er hatte eine Eingebung gehabt, sie so in ein großes
-Bild zu stellen, das er ›Gruppe aus dem Tartarus‹ nennen
-wollte. Wenn die hohen Bäume wieder Frühling über
-sich warfen und nur verirrtes Licht durch die Wogen der
-Wipfel brach, sollte es draußen vollendet werden.</p>
-
-<p>Zuerst hatten sich seine Sinne an dem scheuen Frühling
-dieses Mädchenleibes in einen blutroten Taumel gesungen,
-und er hatte ihr die Augen verbinden müssen.</p>
-
-<p>Nun gab sie sich ihm längst ohne Scheu, es war, als
-durchleuchtete die Seligkeit ihrer Seele den jungen Leib,
-so oft er sie rief. An diesem Tage sagte er ihr, daß sie mit<span class="pagenum"><a id="Seite_178">[178]</a></span>
-dem vorigen Gedanken sehnsüchtigen Schmerzes dastehen
-müßte und mit erhobenen Armen, die den beglückenden
-Traum der Sonne nur ein einziges Mal fühlen möchten&nbsp;…</p>
-
-<p>Sie war ohne Grenzen in ihrer Demut, und sie war
-ohne Grenzen in ihrer Kraft, wenn er ihr gesagt hatte:
-»Du sollst&nbsp;…«</p>
-
-<p>Er wußte nicht, woher dieser zarten Schlankheit solche
-Kraft kam. Sie wurzelte in den Stein, der unter ihren
-Füßen war, wenn er es ihr gebot; und sie litt Qualen
-einer Zeit, vor der sie bangte als vor dem namenlosen
-Jammer, an dem sie sich in das Grab siechen mußte &ndash; sie
-litt es; denn er hatte es gefordert. Und sie dehnte die
-Arme &ndash; nicht nach der Sonne, sie dehnte sie nach dem
-Saume der Berge, über die sie ihn schreiten sah, und mit
-jedem Schritte zog er weiter von ihr fort&nbsp;…</p>
-
-<p>Da rief sie seinen Namen aus den Tiefen ihres
-Schmerzes herauf und brach in die Knie und verbarg ihr
-Gesicht in den Händen.</p>
-
-<p>Und weil sie schluchzte und nicht fühlte, daß er seine
-Hand auf ihr Haar legte, und nicht hörte, daß er da war
-und mit ihr redete, nahm er sie auf die Arme und trug
-sie auf sein Bett.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Jakobus Sinsheimer war keine Einsiedlernatur, aber
-Abstammung und Erziehung hatten es ihm zur beglückenden
-Gewohnheit werden lassen, sich nicht in die Märkte
-und Gassen hineinzudrängen, auf denen die Menschen ihre
-Jahrmarktsherzen und sich selbst als Kleiderstöcke ausstellen.
-Wer der Ansicht ist, daß ausschließlich solche Menschen<span class="pagenum"><a id="Seite_179">[179]</a></span>
-vorhanden wären, der ist gar sehr im Irrtum; denn
-es ist zu schätzen, daß es an nahezu fünf Prozent aller neuzeitlichen
-Kulturstätten annähernd ein Prozent immer noch
-ganz vernünftige Leute geben mag.</p>
-
-<p>In Weimar sind deren mehr, was schon daraus zu ersehen
-ist, daß dort sehr viele Dichter leben.</p>
-
-<p>Nein, Einsiedlerneigungen hatte Jakobus Sinsheimer
-keineswegs, aber er legte um das Bild jeden Tages einen
-Rahmen von Sonne und Grün. Und wenn beides nicht
-zu haben war, weil die Sonne in den Gärten der
-Engel und das Grün in den Bettlein der Elfen zu tun
-hatten, so nahm er mit freiem Weltenlicht und mit Himmel
-vorlieb.</p>
-
-<p>Es setzte ihn auch schon lange nicht mehr allzuviel in
-Erstaunen. Nur darüber &ndash; dachte er &ndash; würde er sich
-bis in die goldene Ewigkeit hinein wundern, daß die Menschen
-mit dem Himmel fast gar nichts mehr anzufangen
-wüßten.</p>
-
-<p>So gewöhnte er sich, davon immer ein Stück in den
-Händen zu halten. Und das war gut; denn damit findet
-sich der Mensch durch Nacht und Licht und findet sich auf
-die Sonnenraine, die auch mitten durch die lautesten
-Märkte des Lebens führen, und auf denen immerfort ein
-bißchen Glück blüht.</p>
-
-<p>Uebrigens erfüllte ihn das neue robuste Schaffen dieses
-Vorstadtwinters mit einer ungekannten Freude.</p>
-
-<p>Er wußte, daß der Wandel, der seine Vorliebe für
-landschaftliche Motive verdrängt hatte, ihm aus dem Eifer<span class="pagenum"><a id="Seite_180">[180]</a></span>
-gediehen war, mit dem er sich den Dichtern gewidmet &ndash;
-auf einmal waren seine Gedanken bei Doris Rinkhaus.
-Von allen Menschen, die ihm nahegetreten waren, hatte er
-an Do den geringsten Anteil gehabt. Aber sie redete doch
-immer dazwischen. Sie erklärte ihm den Krieg und
-guckte ihm über die Achsel in jedes Buch; sie verreiste und
-blieb doch bei ihm. Sie stand in ihm als eine brennende
-Kerze, und er nannte sie, wenn er sich über sie ärgert, die
-ewige Lampe.</p>
-
-<p>Aber in dieser Zeit begann er sich gegen sie zu wehren
-&ndash; es war das wilde Jahr!</p>
-
-<p>In diesem Jahre halten junge Männer ihre Väter
-gemeinhin für altmodische Tröpfe und ihre Mütter für
-abgestandene Frauen, die aus ihrem späten Leben in das
-Land der Jugend und neuen Zeit herüberreden möchten
-und sich darin nicht zurechtfinden. In diesem Jahre reckt
-sich eine Kraft, die für den, der sie spürt, aussieht wie der
-Riese Goliath, und für den, der daneben steht, wie ein
-Embryo, an dem schon alles da ist, aber das Maul ist aus
-seiner Natur heraus am größten. In diesem Jahre hält
-der junge Mann von Begabung die Mädchen und die
-Ellbogen für die vornehmsten Einrichtungen und hat
-niederreißende Gelüste. Wenn man ihn gewähren ließe,
-würde er auf den Thron Gottes steigen und der Welt
-zeigen, was Allwissenheit ist. Und so weiter.</p>
-
-<p>Das kommt daher, daß sich über der reckenden Kraft
-alle Gesichtswinkel verschieben &ndash; auf einmal sieht die
-Welt aus wie vor den Toren im November: vor den<span class="pagenum"><a id="Seite_181">[181]</a></span>
-Toren sind die Schrebergärten mit den tausend Lauben,
-die Begeisterung und Ungeschick gezimmert haben; beides
-wird im abgeblühten Jahr offenbarer.</p>
-
-<p>Und über diese Welt stürmt die Kraft des wilden
-Jahres dahin, gerät in Sand und Nebel und wird besinnlich
-und gibt dem lieben Gott eine Gnadenfrist …
-Das Sinnbild des wilden Jahres sind die Hörner.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Daran dachte Jockele aber nicht, als er im Lehnstuhl
-am Ofen saß. Er hatte die Tür zu dem Kämmerchen nur
-angelehnt und horchte manchmal hinaus, was es mit
-Husch wäre.</p>
-
-<p>»Ich habe ein mächtiges Unheil in ihr angerichtet,«
-dachte er.</p>
-
-<p>Do und Maria Reh sollten nichts davon erfahren. Er
-kannte die Reden der beiden zur Genüge: Maria Reh
-sagte, so etwas wäre ›überhaupt‹ nichts, und ließ sich auf
-Erklärungen ihres himmel- und erdenumfassenden ›Ueberhaupt‹
-nicht ein. Und Doris Rinkhaus war in solchen
-Fällen von einer Kälte, die ihm unter die Nägel kam.</p>
-
-<p>Er legte das Ohr an den Türspalt und hörte an ihrem
-regelmäßiggehenden Atem, daß sie eingeschlafen war.</p>
-
-<p>Dann hatte er mancherlei Einfälle; der einer in nahe
-Zeit gerückten Eheschließung war diesmal nicht dabei,
-aber auch nicht die Absicht einer sanften Entwöhnung.
-Vielleicht würde es besser mit ihr, wenn der Frühling in
-diesem kühlen Baumwinkel über sie kam! Dann sollte sie
-draußen um ihn sein, wenn er die ›Gruppe aus dem
-Tartarus‹ schuf&nbsp;…</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_182">[182]</a></span></p>
-
-<p>Natürlich lief er gleich hinaus, zu sehen, wie diese große
-Sache am besten zu machen wäre. Gegen den Zaun kam
-die Leinwand, der er beiläufig zehn Geviertmeter Fläche
-gab &ndash; und er mußte das von der Leiter aus malen.
-Der Gedanke hatte etwas Berauschendes … so hoch da
-droben mit dem Pinsel: Prometheus, der der Erde das
-Feuer bringt!</p>
-
-<p>Da blinkte eine Flocke Weiß aus dem grauen Grase
-hervor &ndash; wahrhaftig, in den vergangenen drei Tagen,
-in denen ein Weststurm den Schnee zusammengekehrt
-hatte, war schon das Wecken in die Erde geklungen, und
-ein Schneeglöckchen hatte sich aus der Scholle gedrängt,
-und hing doch noch tiefe Winternacht ringsum. So war
-dies Fünklein Licht aus dem Frühling herübergeweht,
-und Jakobus, der gleich alle Engel im Himmel die
-silbernen Glocken suchen sah, kriegte das Laufen, stülpte
-den Hut auf und eilte in die Stadt. Er brauchte noch
-drei Modelle: einen Mann auf der Höhe des Lebens
-und einen, der ganz voll war von dem Klange der
-Erlösung, die sich aus dem dumpfen Schalle der Hufe
-trinken läßt, wenn der Tod über die letzte Brücke reitet.
-Und ein Weib.</p>
-
-<p>Da ging er zu Huschs Mutter und fand sie in dem
-Vorderstübchen. Sie stickte und hatte die Füße auf einem
-Backstein, den sie so oft gegen den anderen auf dem
-eisernen Oeflein auswechselte, als er kalt wurde. Der
-Ostwind spielte draußen auf den Dachziegeln ein gefrorenes
-Lied.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_183">[183]</a></span></p>
-
-<p>Jakobus erzählte ihr, wie es mit Husch gegangen wäre,
-und daß sie nun in seinem Bette läge und schliefe.</p>
-
-<p>Da sagte die Frau: »Oh, schicken Sie sie nicht fort! Sie
-ist schon viel freudiger geworden, seit sie um Sie sein
-darf. Es ist schlimm mit einem so wunderlichen Mädchen
-in solcher Zeit &ndash; die Husch hat eine grausame Lust, leiden
-zu können. Aber es muß aus dem Glück zu einem anderen
-Menschen geschehen, dann wird sie gesünder und weiß
-es nicht. Sie ist über einer ewigen Selbstopferung, und
-Leiden ist ihr Freude. Aber wenn sie hier unter dem
-Dache kümmern muß, fällt sie mir aus und stirbt.«</p>
-
-<p>Da dachte Jockele an das Kind der Bauersleute, das
-dem aussätzigen Ritter Heinrich sein Herzblut opfern will.
-Er hatte in dem Gedichte des Hartmann von der Aue am
-Morgen gelesen, wie der Arzt von Salern zu ihr sagt:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Ich muß Dich ausziehn nackt und bloß;<br /></span>
-<span class="i0">Ist das nicht Not genug, so groß,<br /></span>
-<span class="i0">Daß Du mit Recht vor Scham vergehst,<br /></span>
-<span class="i0">Wenn Du so nackend vor mir stehst?<br /></span>
-<span class="i0">An Beinen bind' ich Dich und Armen;<br /></span>
-<span class="i0">Fühlst Du mit Deinem Leib Erbarmen,<br /></span>
-<span class="i0">Bedenke, Mädchen, diese Schmerzen!<br /></span>
-<span class="i0">Ich schneide Dich bis tief zum Herzen<br /></span>
-<span class="i0">Und brech' es, wenn Du lebst, aus Dir&nbsp;…<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Nun schenkte ihm die Stunde eine Reihe von Bildern,
-die gleich in seinem Geiste standen als leuchtende Erfüllung.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_184">[184]</a></span></p>
-
-<p>Er gab sich dem Reichtum des Augenblicks in gesegnetem
-Vergessen hin. Das sah die Frau, und weil sie
-es sich nicht anders deuten konnte, sagte sie: »Sie sind
-nun doch gekommen, um mir zu sagen, daß ich Husch nicht
-mehr schicken soll!«</p>
-
-<p>»Oh, ich brauche sie &ndash; ich brauche sie vielleicht den
-ganzen Sommer über!« rief er und sah, wie froh die
-bleiche Stickerin an seinen Worten wurde.</p>
-
-<p>Dann schickte er sie zu Husch und sagte ihr, wo der
-Schlüssel wäre, und ging in einem wilden Glücke davon.</p>
-
-<p>Auf dem Wege den Kasernenberg hinab über die
-Sternbrücke in die Wagnergasse, wo er das Modell zum
-Armen Heinrich wußte, dachte er an Husch und wie er
-ihr Leben richten sollte. Man wartete auf ihn, und er
-war in dieser Stunde zu Sein oder Nichtsein für zwei
-Frauen geworden, die auf den Dächern lebten und sich
-nicht herabfanden auf die Erde. Er war ein Mann und
-eine beglückende Hoffnung! Da brauste Frühlingssturm
-in ihm.</p>
-
-<p>Als er in der Dämmerung nach Hause kam, war Husch
-aufgestanden.</p>
-
-<p>Er fragte sie, warum sie nicht mit ihrer Mutter nach
-Hause gegangen wäre.</p>
-
-<p>Sie lachte, aber sie sagte ihm nicht, daß sie noch alles
-hätte um ihn bereiten wollen, was ihre Pflicht wäre. Sie
-ließ sich auch nicht heimschicken und wurde ganz ängstlich,
-weil sie fühlte, daß er sie schonen wollte. Da litt er es,
-aber er sagte: »Du machst mir damit große Sorge, daß<span class="pagenum"><a id="Seite_185">[185]</a></span>
-Du mir mehr geben willst, als in Deiner Kraft ist. Wenn
-ich mich und Dich über dem Malen vergesse wie heute,
-so mußt Du es mir sagen.«</p>
-
-<p>»Ich bin ganz allein daran schuld gewesen,« sprach
-sie &ndash; »ich habe Dich so weit fortgehen sehen&nbsp;…«</p>
-
-<p>Im Gartenhause nebenan bildete diese Sache den
-Gegenstand einer Auseinandersetzung zwischen Maria Reh
-und Do. Maria hatte mit Huschs Mutter gesprochen und
-von ihr erfahren, warum sie da war und nun forderte
-Maria, sie müßten diesem Zusammenleben der beiden
-ein Ende machen.</p>
-
-<p>Sie stellte sich dabei auf den Standpunkt einer Fürsorge,
-der Doris Rinkhaus aufs höchste befremdete.</p>
-
-<p>»Es ist eine Modellgeschichte,« sagte Do, »und was
-geht sie uns an?«</p>
-
-<p>»Es ist eine Herzensgeschichte, die für beide ein Unglück
-werden kann,« sagte Maria &ndash; »und überhaupt, wie läßt
-sich so etwas billigen?«</p>
-
-<p>»Billigen oder nicht &ndash; darauf kommt es gar nicht an!
-An irgend einem Mädchen muß ein Junge zum Manne
-werden! Möchtest Du Dich vielleicht dazu hergeben?
-Das läßt sich dann nicht immer über den Spießerleisten
-schlagen, und ich finde es sehr sonderbar, daß gerade Du
-Dir dabei eine Rettungsmedaille verdienen willst.«</p>
-
-<p>»Weißt Du denn, wie sich Tante Veronika dazu stellen
-würde?« fragte Maria Reh.</p>
-
-<p>»Das ist nicht Deine Sache! Aber so viel weiß ich,
-sie hat Vertrauen zu Jo. Und ich habe es auch. Ich<span class="pagenum"><a id="Seite_186">[186]</a></span>
-denke: sie würde nicht die Dritte im Bunde sein wollen;
-aber wenn ihr das Frühlingshaus als der richtige Platz
-für ihn erschienen wäre, so hätte sie ihn ja wohl daheim
-behalten. Es ist am besten, wir sehen und hören nichts
-von allem. Jedenfalls taugt Dein Schürzenschutz nichts
-für ihn, und wenn ich Jo wäre, so würde ich jeden sehr
-unsanft hinauskomplimentieren, der mir in meine Tage
-reden wollte. Basta! Du darfst nicht vergessen, daß die
-meisten jungen Männer auf dem gesicherten Geleise einer
-Familientradition hineinfahren ins Leben &ndash; Jo aber ist
-auf eine Schwelle gesetzt und steht noch heute darauf. Ich
-kann nicht sehen, daß er töricht ist oder mit blinden Augen
-dahintappt.«</p>
-
-<p>Draußen schloß um diese Zeit Husch die Schlüpfe im
-Gartenzaun hinter sich zu.</p>
-
-<p>Jockele saß noch eine Stunde bei der Lampe und
-blätterte in Goethes Gedichten mit den Anmerkungen.
-Aber die Bilder dieses Tages drängten sich zu laut um
-ihn. Er dachte: er wollte Husch dreißig Mark Monatsgeld
-geben und sechzig Mark für den Haushalt &ndash; darüber
-verfiel er in ein mühsames Rechnen und erkannte, so
-ging das nicht. Aber Tante Veronika wollte er nicht
-helfen lassen. Er hatte den Plan mit Husch ohne sie erwogen,
-so sollte er auch ohne sie <span id="corr186">ausgeführt</span> werden!
-Er mußte in den Bildern zum Armen Heinrich etwas
-Ordentliches schaffen, etwas, das sich zu Gelde machen
-ließ! Zum ersten Male erhellte ihn der Gedanke, und
-Gwendolin tauchte wieder auf, die geschäftskundige.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_187">[187]</a></span></p>
-
-<p>Da ging er ins Kaisercafé und saß mit einigen Kunstschülern
-an einem Tische, die voller Pläne für einen großen
-Faschingszug waren, der im nächsten Monate abgebrannt
-werden sollte. »Prinz Karneval vermählt sich mit der
-Muse Weimars« hieß die Idee, auf der sich die Sache
-aufbaute; und Jockele mußte dabei helfen.</p>
-
-<p>Da wurden die Zahlen, die er vor einer halben Stunde
-im winterlichen Baumgarten am Horn aufgeschrieben,
-riesenwüchsig &ndash; die Dreier und Zweier wurden zu
-Schlangen und die Einser und Vierer zu Keulen und
-rückten gegen ihn an zu einem wüsten Kampfe.</p>
-
-<p>Aber seit jenem langen Frühlingsmonate, in dem er
-zwanzig Tage niederschmetternde Gastfreundschaft bei Do
-genossen, war er ein gut Stück in die Lebenskunst gewachsen.
-Nun saß er in einem Kreise junger Leute, bei
-denen das Exempel in der Regel <em class="gesperrt">nach</em> dem Vergnügen
-ausgerechnet wurde &ndash; da brachte auch er den Armen
-Heinrich, die Gruppe aus dem Tartarus, die männliche
-Fürsorge für Husch und den Prinzen Karneval zusammen,
-und gelobte, den Faschingszug als Spitzenreiter mitzumachen.</p>
-
-<p>Am anderen Tage griff er sich Gwendolin vor der
-Kunstschule und verwickelte die Ueberraschte in ein besinnliches
-Gespräch.</p>
-
-<p>Wie ihn Gwendolin so reden hörte, sagte sie: »Immer
-hast Du Dir einen neuen Turm aufgesetzt, wenn man Dich
-mal acht Tage nicht gesehen hat,« und sie legte einen
-Respekt in ihre Worte, den er von ihr nicht gewöhnt war.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_188">[188]</a></span></p>
-
-<p>Als er ihr von Husch erzähle und wie es mit ihr geworden
-wäre, sagte sie: »Du faßt alle kleinen Dinge gleich
-mit beiden Händen und mit dem Herzen an und stellst Dich
-zu jedem, als müßtest Du Dich mit ihm verheiraten. Wenn
-Du das Dein ganzes Leben hindurch so machen willst,
-kommst Du aus der Grundsuppe gar nicht heraus.«</p>
-
-<p>»Es liegt das wohl so in meiner Art,« sagte Jockele.</p>
-
-<p>»Ja, aber ich halte diese Art für schwerblütig und
-gefährlich.«</p>
-
-<p>Auf dem Heimwege blieb die Rede Gwendolins um
-ihn, aber er vergrübelte sich daran nicht in Hoffnungsödigkeit,
-wie ihm das vordem geschehen war, sondern
-dachte: »Wenn ich mit dieser Art nicht mehr weiterkomme,
-muß ich ihr aufkündigen. Gwendolin hat mit ihrer
-anderen frühzeitig auf eigenen Füßen gestanden, aber sie
-bleibt auch immer dieselbe. Bei einem Mann ist das eine
-ganz andere Sache.«</p>
-
-<p>Er hatte sich das genialische Treiben seiner Bekannten
-zu genau besehen und wußte, daß er nicht mit ihnen gehen
-konnte. Aber er wußte nicht, was er Do in diesem Jahre
-schuldig geworden war, die ihn mit ihrer sichtigen Klugheit
-auf klare Wege geleitet hatte. Nun hielt ihn das eigene
-und ein gut Teil eigenwillige Wesen fest, und er pendelte
-nicht zwischen Moden und Manieren, die sich als Schimmel
-oder als wildes Rankenwerk über eine jugendliche Kraft
-legen und sie ersticken.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Husch hatte das Häufen so mit ihrem heimlichen
-Glücke durchleuchtet, daß er gleich alles bereitete, um an<span class="pagenum"><a id="Seite_189">[189]</a></span>
-dem Armen Heinrich zu beginnen. Er erzählte ihr die
-Fabel der Dichtung, und sie lebte sich in das seelenverwandte
-Mädchen mit der grenzenlosen Innigkeit
-hinein, deren sie fähig war. Das sentimentalste und rühmlichste
-Preislied der Jungfrauenliebe, das die Erde kennt,
-gewann da zum anderen Male Gestalt.</p>
-
-<p>Sie sah in dem Kleide der alten Zeit und dem zierlichen
-Kopfputze sehr lieblich aus, und er versank in das
-süße Weh ihrer Augen. Sie saß auf einem Fußschemel
-und hob das Gesicht voller Hingabe zu dem empor, der
-nicht da war, und verfiel ganz in den Traum ihres seligen
-Schmerzes.</p>
-
-<p>Jakobus hatte ihr gesagt: »Du mußt jetzt denken,
-daß er Dir Ringe für Deine Hände und goldene
-Bänder für Dein Haar geschenkt hat, und nun sitzt er Dir
-gegenüber und erzählt, daß er nicht von seinem qualvollen
-Leiden erlöst werden könnte, weil nur das in Liebe
-geopferte Herzblut eines schuldlosen Mädchens dies Wunder
-vollbrächte …« Da trat der große Schmerz vor sie
-hin und legte ihr die Hände auf die Lider. Und sie schlief
-einen wachen Schlaf und ward zu atmendem Marmor.</p>
-
-<p>Als er mit der Zeichnung zufrieden war, nahm er
-Farben und eine Tafel, machte mit Kohle eine rasche
-Skizze und begann zu malen.</p>
-
-<p>Sie erwachte nicht und saß bis in den Nachmittag.
-Das Licht wurde müde, aber Husch ahnte es nicht. Da hob
-er sie auf und streifte ihr das fremde Kleid ab und legte
-sie zu einem langen Schlafe auf sein Bett.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_190">[190]</a></span></p>
-
-<p>Diese Erscheinung hatte für ihn nun schon wesentlich an
-Tragik verloren. Wenn es auch ein Rausch des Schmerzes
-war, so war es doch ein Rausch, und der mußte verschlafen
-werden. Mochte der Trank für Husch süß oder bitter sein,
-ganz rein war er jedenfalls nicht. Aber die Sache fing
-an, ihm peinlich zu werden, und er fühlte wieder die Scheu
-vor der Klatschsucht der Menschen; denn seine Jugend
-hatte über aller Klatschsucht noch nicht Zeit gehabt zu der
-Erkenntnis, daß der Sieg über sich selbst auch den Sieg
-über jedes unerlaubte Maul bedeutet.</p>
-
-<p>Deshalb ließ er das Modell für den Armen Heinrich
-zu einer Zeit kommen, in der er Husch zu einer Besorgung
-in die Stadt geschickt hatte, oder in der sie in ihrem
-ekstatischen Schlummer lag.</p>
-
-<p>Das zweite Bild stellte die Szene dar, in der das
-Mädchen ihren Eltern offenbart, sie wolle für Herrn
-Heinrich sterben; das dritte die Unterredung mit dem Arzte
-von Salerno, der sie nicht wankend machen kann in ihrem
-Entschlusse. Das wurde das beste von allen; denn der
-verzückte Opfermut durchschauerte ihre Seele als ein
-unirdisches Licht, und sie versank in das qualvolle Glück
-des Martyriums.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Zuletzt stellte er sie dar, wie sie vor Heinrich
-kniete, als der die Heilung durch die Gnade Gottes
-empfangen. Aber dazu gebrach ihr die Kraft des Einfühlens,
-es fehlte ihr der Glaube an die hohe Sonne.
-Was sie beseligen konnte, lag in Bitternis und
-Dämmerung.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_191">[191]</a></span></p>
-
-<p>An diesem Stück saß er vier Tage, und all sein Wille
-reichte nicht aus, sie zu bekehren, und weder sein Stift
-noch sein Pinsel fand, was blühender Traum in ihm
-gewesen war.</p>
-
-<p>Husch lag schlafen. Da ergriff er in der Freude am
-Gelingen die Zeichnungen und Tafeln und lief mit
-Erobererschritten zu Do und Maria. Sie waren beide
-überrascht bis zur Betroffenheit. Maria Reh lobte nach
-Frauenart im Ueberfluß, Do war froh und kritisch und
-sagte: »Es ist alles famos, Jo! Aber nun kommen Sie
-mal her und lassen Sie sich angucken.« Sie rückte ihn
-ins Licht. &ndash; »Na ja! Warum machen Sie sich so gewaltsam
-krank, Sie waldgesunder Zigeuner?«</p>
-
-<p>Maria Reh trat dazwischen und sagte: »Sie sieht in
-den Künstler hinein, was er seinem Stoff entnahm! Sie
-gedachte es böse mit Ihnen zu machen und lobt Sie!«</p>
-
-<p>Da bliesen sie zu einem lustigen Kriege, und Maria
-Reh jubelte:</p>
-
-<p>»Verehrungswürdiger Jo, ich möchte wieder Ihren
-Kopf zwischen diese Hände nehmen und in den schwarzen
-Ringeln Ihrer Haare wühlen &ndash; aber es geht nicht mehr.
-Donnerwetter, wie erwachsen sind Sie!«</p>
-
-<p>Von der andren Seite ritt Do zur Attacke: »Lassen
-Sie sich nicht von ihr in einen gefährlichen Uebermut
-hineinloben! Ich klatsche Ihnen von Herzen Beifall, aber
-Ihre gesunden Sinne sind nicht frei dabei gewesen &ndash;
-haben Sie die Luft Ihres Hauses mit Heliotrop geschwängert,
-wie Sie das malten?«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_192">[192]</a></span></p>
-
-<p>»Nein.«</p>
-
-<p>»Haben Sie dabei eine Toga aus Zindel getragen
-und sich Sandalen aus Rauschgold unter die Füße
-gebunden?«</p>
-
-<p>»Unsinn! Meine Kniehosen hab' ich angehabt und
-die Bergsteigstiefel!«</p>
-
-<p>»Natürlich,« sagte Do, »aber ich schwöre Ihnen: in
-vier Wochen sind Sie hysterisch, wenn Sie diese Husch
-als Modell behalten.«</p>
-
-<p>»Nein, in vier Wochen reit' ich im Faschingszug,«
-sagte Jockele. Aber er strich sich über Stirn und Augen,
-als läge da das leise Gewebe einer Müdigkeit. Er reckte
-sich empor, daß seine Gelenke knackten, und er hätte in
-diesem Augenblick den Schleier des fremden Wesens
-vielleicht auch zerstoßen, wenn Maria Reh in Schweigen
-geblieben wäre. Aber sie erfaßte die Gelegenheit und
-führte neben Dos blankes Reiten drei spießig gesattelte
-›Ueberhaupt‹. Die sahen aus wie Esel und malten die
-Wirkung des schneidigen Angriffs zuschanden.</p>
-
-<p>Darüber ward Jakobus Sinsheimer rebellisch und
-forderte Sachlichkeit; denn nach der Erlaubnis, sich dieses
-oder jenes Modell wählen zu dürfen, hatte er nicht gefragt.</p>
-
-<p>Do machte der Maria ihr Siegergesicht, und Jockele
-nahm sein Werk unter den Arm und empfahl sich höflich
-und aufrecht. Abends lernte er reiten.</p>
-
-<p>Gwendolin, die er am nächsten Tage besuchte, fragte
-nicht nach Krankheit oder Gesundheit &ndash; sie fragte: »Kann
-das einem Menschen gefallen und kann man es zu Gelde<span class="pagenum"><a id="Seite_193">[193]</a></span>
-machen?« Sie lief vor und zurück und lief hin und her,
-verfiel in ein leises Pfeifen und sagte: »Machen wir!«
-Sie lobte mit keinem Worte, aber sie war entschlossen.
-Da schickte sie Jakobus Sinsheimers ›Armen Heinrich‹
-nach München zu ihrem Kunsthändler. Und er ging nach
-Hause und stieg in den Tartarus.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Als im Februar die Sonne schon auf der frischblauen
-Himmelswiese spazierte und die kleinen Engel um sie
-herum in Scharen Purzelbäume schossen, wurde die Leinwand
-zu der ›Gruppe‹ am Zaun im Baumwinkel aufgestellt.
-Es wurde auch eine Vorrichtung getroffen, daß
-sie des Nachts an der rückwärtigen Hauswand lehnen
-konnte, ohne den Unbilden des ungeschickten Vorjahres
-ausgesetzt zu sein, das noch nicht mit der Sonne umzugehen
-weiß.</p>
-
-<p>Und das Schicksal nahm seinen Gang.</p>
-
-<p>Alle Studien zu der Gruppe aus dem Tartarus waren
-gemacht. Es sollten fünf Figuren in dem Bilde stehen:
-Husch und ihre Mutter, ein nackter Jüngling, ein Mann
-und ein Greis. Husch lehnte dem Alten zu Füßen; ein
-schwarzer Schleier fiel vom Scheitel über sie, der ließ ihr
-nach unten gerichtetes Gesicht sehen und den verleuchtenden
-Frühling ihrer Glieder ahnen. Die anderen starrten oder
-schrien oder hoben ihre sehnenden Arme nach dem Lichte
-des Himmels, das über tote Felsen herniederbrach.</p>
-
-<p>Um diese Zeit redete Jockele zu Do und Maria von
-der Gruppe nur noch als von seinem ›Monumentalgemälde‹
-oder von dem ›Galeriestück‹, oder in sonstigen<span class="pagenum"><a id="Seite_194">[194]</a></span>
-Vollwörtern, die sich mit gewaltigen Armen um die Vorstellung
-warfen, welche er damit verband.</p>
-
-<p>Als er zum erstenmal im wehenden Malerkittel auf
-der Leiter stand und die Figuren mit Kohle umriß, verbat
-er sich von den beiden Freundinnen alles kritische Dreinreden
-&ndash; er sicherte ihnen dazu drei Sommertage.</p>
-
-<p>Da lugte von draußen schon das Leben in Gestalt
-eines maienhaften kleinen Mädchens durch die Zinzeln
-des Zaunes, stocherte mit einem blühenden Mandelzweig
-hindurch und lachte darüber hinweg, daß es wie gemünztes
-Gold in das lichtahnende Gras fiel … Aber Jockele hörte
-es nicht.</p>
-
-<p>Dann kam der Fastnachtsdienstag, und er war Spitzenreiter
-vorm Faschingszug.</p>
-
-<p>Es war eine feine Sache. Er trug blanke hohe Stiefel
-und enganliegende weiße Lederhosen, einen feuerroten
-Reitrock, Perücke und Dreimaster. Und die schwarze
-Stute unter ihm spiegelte den hellen Tag und war voll
-Verständnis für ihre Sendung, aber ohne Humor.</p>
-
-<p>Faschingszüge sehen einander ähnlich, selbst dann,
-wenn junge Leute ihren Witz auf die verblüffte Menge
-loslassen, die ihren künftigen Ruhm verbrieft in der Rocktasche
-tragen. Aber ein weimarisches Narrenfest hat seine
-geistigen Besonderheiten; denn nicht nur was irdisch und
-schier allzu sterblich ist, sondern auch die ewige Seele der
-Stadt schmunzelte ihr wärmendes Lächeln darüber, wie
-Froriep in violettem Professorentalar mit einer Miene,
-die der Würde der Sache entsprach, das Problem des<span class="pagenum"><a id="Seite_195">[195]</a></span>
-Schillerschädels aufrollte. Natürlich redete er nicht, damit
-er den Spaß nicht verderbe. Und Goethe, Schiller, Liszt,
-Cranach traten aus den Pforten der historischen Häuser,
-begrüßten mit Humor und Behagen das närrische Treiben
-ihrer Stadt und reihten sich fahrend in den Zug ein. Der
-Genius fehlte bei keinem; er postierte sich hinter jeden auf
-den Wagen.</p>
-
-<p>Gleich beim ersten Halten, dort, wo die Belvedereallee
-in die Marienstraße mündet und um das Liszthaus der
-weiche, grüne Traum weht, der zu klingen anhebt für
-den, der mit der Seele hinhorcht &ndash; gleich beim ersten
-Halten guckte das Schicksal für Jockele dort aus dem
-Fenster.</p>
-
-<p>Liszt schritt durch das eiserne Pförtchen seines Gartens
-&ndash; das lange Totsein hatte ihm nicht geschadet,
-und just so, wie er durch das Gedächtnis der Nachwelt
-wandelt, stand er leibhaftig in ihr und grüßte die Menge
-mit der Feierlichkeit eines frühen Sonntagsmorgens, der
-voll ist von den waldfernen Fanfaren eines Kaisermarsches.</p>
-
-<p>Aber solche Dinge sind vorbereitet, und wer nicht zu
-der staunenden Masse gehört, darf einmal daran vorüberschauen.</p>
-
-<p>In überlegenem Stolze faßt Jugend solcherlei Gelegenheit
-beim Schopfe; denn wer hat eine Ahnung, wie
-putzig und liebenswert die Welt aussieht, wenn sie betrachtet
-wird in rotem Reitrock und Stulpenstiefeln und
-von einer tänzelnden Rappstute herab, die hin und wieder<span class="pagenum"><a id="Seite_196">[196]</a></span>
-durch die Nüstern bläst und ins Zaumzeug knirscht, als
-wäre sie eins der blanken Sonnenpferde?</p>
-
-<p>Der rote Spitzenreiter hielt just vor dem Fenster, aus
-dem des Herrn Franz Liszt »dreißigjährige« Schaffnerin
-Pauline herausschaute und ihr Glück über das Volk
-lächelte, das draußen ihrem großen Herrn wieder einmal
-Palmen streute. Da ließ sie sich in dankbarer Rührung
-gleich selbst ein bißchen huldigen, und es schien, als sähe
-sie in Augen, die ihr ein helles Hurra von den Steigen
-emporriefen; denn dieser Franz Liszt von heute war bei
-aller Aehnlichkeit und Würde, die ihm ein trefflicher Darsteller
-lieh, doch nur ein Spiel &ndash; sie aber war noch die
-echte, die ihm mit ihren Händen die Nadel in die Krawatte
-gesteckt und die Krücken der Spazierstöcke mit dem seidenen
-Tuche gewischt hatte (wiewohl er keinen je in Gebrauch
-nahm), während er im Vorplatz den Glanzhut auf
-dem Aermel bürstete für den Ausgang&nbsp;…</p>
-
-<p>Wo hat aus einem Blumentopf voll Erde die Sonne
-so strahlende Menschenblüten hervorgelockt wie in
-Weimar?</p>
-
-<p>Wo bescheint die Seele des Himmels die Welt, wie
-in diesen warmen Winkeln zwischen den bemoosten
-Dächern und kleinen Fenstern?</p>
-
-<p>Und wo sonst ist Ewigkeit in so fühlbarem Fluge, daß
-sie sich um die Stirnen schmiegt wie atmender Duft des
-Hochwalds?&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Aber des Herrn Franz Liszt treues Schlüsselfräulein
-war es nicht, für das Jockele die Raketen seiner Blicke<span class="pagenum"><a id="Seite_197">[197]</a></span>
-abbrannte. Das Feuerwerk galt dem jungen Mädchen,
-das der Frühling daneben ins Fenster gestellt hatte. Er
-hatte sich da etwas ausgesucht, das im zeitigen Jahre
-schon über und über in Blüte stand, und wollte zeigen,
-daß er auch schon um die Mitte des Hornung, wenn er
-gerade die Stare losgelassen, etwas Rechtschaffenes zuwege
-brächte.</p>
-
-<p>Dieses Dokument seiner königlichen Herrlichkeit hatte
-die Haare voll Sonnenschein auf den Ohren zu goldenen
-Schnecken gedreht. Das ganze Röckchen und die rosa
-Crêpe-de-chine-Bluse steckte voll Frühling. Das silberne
-Glöckchen, das sie an einem Kettlein auf dem Halsausschnitt
-trug, läutete mit inbrünstiger Heftigkeit.</p>
-
-<p>Ohren, Augen und Herzen der tausend Menschen
-ringsum hatten alle Hände voll zu tun, um von dem eben
-begonnenen Ereignisse kein Korn bunten Glücks fallen zu
-lassen. Da wurde aus den Köpfen und Leibern und
-Schellen und Farben und Fahnen und Trompeten ein
-brandendes Meer, das wogte um den Frühling neben
-Paulinen und um Jockele auf der Rappstute als wohlige
-Einsamkeit. Und die zwei Paar blauen Augen fingen
-an, sich über das Meer hinweg zu unterhalten und verstanden
-jedes Wort. Die unter dem Dreimaster standen
-hoch und hell im Tage und taten, als müßten sie zwei
-Löcher in die rosa Bluse brennen. Sie sagten:</p>
-
-<p>»Was bist Du für eine märchensüße, kleine Frühlingsprinzessin!
-Warum hab' ich Dich zuvor nie in Weimar
-gesehen?«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_198">[198]</a></span></p>
-
-<p>Da sagten die Augen hinter den blühenden Mandeln:
-»Oh, ich kenn' Dich! Du bist der Maler aus dem Baumwinkel
-am Horn. Was bist Du für ein ranker, feiner
-Junge! Ich habe Dich schon durch die Zaunzinzeln gesehen
-und habe Dich ausgelacht, wie Du auf der Jakobsleiter
-standest. Aber Du nahmst Dich so wichtig, als müßtest Du
-den lieben Gott malen, und sahst mich nicht.«</p>
-
-<p>Weil sie Miene machte, ihm den Mandelbuschen herüberzuwerfen,
-ließ er die Stute ein wenig seitlich treten,
-und er fing den Strauß&nbsp;…</p>
-
-<p>Drüben aus einem Fenster der Kunstschule guckte
-Gwendolin und sah das und sagte zu ihrer Nachbarin:
-»Jakobus Sinsheimer ist dabei, sich wieder zu verheiraten.«</p>
-
-<p>Hinter ihm hatte Liszt indes sein Volk begrüßt, und es
-begann, vorwärtszudrängen. Da legte Jockele die Hand
-an den Hut &ndash; natürlich für den Frühling, und der Frühling
-wedelte mit Herz und Händen. Und Jockele stieß den
-rechten Zeigefinger gegen die Brust und dann dreimal
-deutend halb nach unten gegen das Fenster, und malte mit
-den Augen ein mächtiges Fragezeichen in die Luft.</p>
-
-<p>Der Frühling mit den goldenen Schnecken verstand das
-und geriet in ein beifälliges Nicken: »Ich warte, bis Du
-kommst, und wär' es bis übermorgen!« Und vorn der
-Jockele dachte, er wäre Kapellmeister geworden, und schlug
-mit dem Mandelblütenbusche der Narrenmusik einen flotteren
-Takt in das Blaszeug; denn sein Herz wollte mit
-der Musik Schritt halten.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_199">[199]</a></span></p>
-
-<p>So wurde die Sache, die eben noch feierlich gewesen
-war, lustig. Von oben herab zischten die Papierschlangen,
-wirbelten die zitternden Konfetti, und Weimars Ewigkeit
-schwang sich ein bißchen darüber hinaus aus dem Staube
-und flog an den hohen stillen Fenstern dahin.</p>
-
-<p>Aber schließlich hat ja auch ein Fastnachtszug sein Ziel.
-Es war kurzweilig, die Welt in so feuerroter äußerer und
-innerer Aufmachung zu durchschreiten, aber manchmal
-stahl Jockele sich doch eine Minute aus den vielen, vielen,
-die da an bunten Papierstreifen herumhingen, und drückte
-sie in seiner sattelhohen Einsamkeit voll Inbrunst ans
-Herz, damit sie ganz ihm gehöre.</p>
-
-<p>Darüber fiel ihm ein, welchen Namen die Kleine im
-Liszthause wohl hätte?</p>
-
-<p>Er nannte alle Mädchennamen, aber es wollte keiner
-passen. Er verfaßte in träumendem Reiten durch dies
-Chaos der Lust eine ganze Spalte Familiennachrichten
-und stellte darin Vermutungen auf: himmelblaue über
-Vater, Mutter und Geschwister; gelbe über die Frage, ob
-so etwas Morgenblütiges und voll von Ostertau noch ohne
-Bräutigam wäre; sehr grüne über ihre allgemeinen
-Fähigkeiten zu lieben und über ihre besonderen, ihm die
-Treue zu halten&nbsp;…</p>
-
-<p>Diese peinigten ihn ein wenig, und als er die Läden
-über die Augen schlug, um klarer sehen zu können, stand
-sie noch immer im Fenster des dunkelgelben Eckhauses am
-Park, aber sie hatte nun auch den anderen Buschen Mandelblüten
-verschenkt und hatte in jeder Hand einen langen<span class="pagenum"><a id="Seite_200">[200]</a></span>
-Stengel Diclytra, die sie in Weimar fliegende Herzen
-nennen, und die vielen, vielen Herzen baumelten über den
-Köpfen der jungen Männer, die unter dem Fenster vorübergingen,
-und jeder konnte eines haben, wenn er gut
-danach hüpfen konnte.</p>
-
-<p>Seit Gwendolin war er dem Gedanken nicht mehr
-nachgegangen, daß ein Frauenherz eine Einrichtung mit
-beliebig auswechselbarer Liebe und Treue sei, und der Sitz
-in dem behaglich knirschenden Sattel wurde ihm unbequem.</p>
-
-<p>Manchmal war es ihm, das Hurrarufen wäre tief, tief
-unter ihm, und die Leute stünden alle auf dem Kopfe und
-schrien ihre Begeisterung über das Straßenpflaster. Zuletzt
-aber setzte sich das ganze Ringsum in ein wohliges
-Schaukeln, und er trieb segelsachte darüberhin in eine pfirsichrote
-Crêpe-de-chine-Beleuchtung.</p>
-
-<p>Als ihm eine schöne Hand am Schillerhause einen
-Becher Sekt in den Sattel reichte, und Schiller unter die
-Menge trat und eine erstaunte Rede hielt, die mit den
-denkwürdig-pathetischen Worten begann: »Was rennt das
-Volk, was wälzt sich hier vom Kaisercafé bis zu mir?«
-tat Jockele, als grüße er mit dem Schaumwein die
-lächelnde Spenderin. Aber er beging damit einen schändlichen
-Verrat und trank auf den Frühling im Liszthause.
-Und darüber kam ihm die Erlösung: der Name Frühling,
-der sich ihm gar nicht so recht an die Lippen legen
-wollte, ward auf einmal zu Minchen Herzlieb, und
-»Hurra Minchen Herzlieb« tirilierte sein Herz, und er<span class="pagenum"><a id="Seite_201">[201]</a></span>
-brach in göttlicher Gebelaune einen Zweig aus den
-rosa Blüten Minchen Herzliebs und reichte ihn mit dem
-silbernen Becher hinab.</p>
-
-<p>Friedrich von Schiller hatte mittlerweile eine Salve
-knatternder Jamben auf das Volk abgefeuert &ndash; Jockele
-wollte wetten, es wäre ein Akrostichon auf Minchen Herzlieb
-gewesen. Die Sache nahm ihren Lauf: seitdem das
-Mädel einen Namen hatte, kuschte es sich ihm ins Herz
-wie ein Vöglein in sein Nest. Und das Herz war aus
-Mandelblüten.</p>
-
-<p>Während er so dahinritt und immer dachte, es müßte
-nun alle sein, sang er leis und laut in die Musik. Das
-Lied setzte sich nur aus den zwei Worten Minchen und
-Herzlieb zusammen, und es war doch alles darin, was ein
-junger Mann zu einem gewissen Wohlbefinden braucht,
-über das sich die himmlischen Englein wundern müßten,
-wenn sie so etwas schmecken könnten.</p>
-
-<p>Wie er den Zug doch endlich vor den Armbrustsaal in
-der Schützengasse geleitet hatte und den Knecht sah, der dort
-auf die Rappstute wartete, glitt er aus dem Sattel, warf
-dem Jungen die Zügel zu und versickerte in die jubelnde
-Unendlichkeit. Als er drüben wieder herauskam, warf
-er sich in ein Auto, und am Fenster des Liszthauses stand
-Minchen Herzlieb als süße Treuhalterin, hatte die langen
-Stengel mit den vielen, vielen Herzen gar nicht in den
-Händen, sondern biß sich ein wenig leuchtende Verlegenheit
-in die Lippe und dachte: »Teufel, da hab' ich wieder
-mal was angerichtet!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_202">[202]</a></span></p>
-
-<p>Sein Herz schlug wie ein Triangulum, weil er sie noch
-an der gleichen Stelle fand, und er läutete sich gleich mit
-allen Glocken in sie hinein&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Erstens habe ich Dich auf dem drei Stunden langen
-Ritte siebentausendmal ›Du‹ genannt,« jubilierte er, »und
-zweitens ist Fasching, das ist das große Verbrüderungsfest
-der Menschheit &ndash; guten Tag, Minchen Herzlieb!«</p>
-
-<p>Da schlug sie beide Hände vor das Gesicht, und das
-Tirilieren kam auch über sie&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Ich heiße ja gar nicht Minchen Herzlieb, ich heiße ja
-Sibylle Bach!«</p>
-
-<p>»Auch ganz schön,« sagte er &ndash; »Sibylle Bach …
-das geht in den Mund wie Knickebein, aber Minchen Herzlieb
-läuft ins Herz wie der blühende Frühling! Guten
-Tag, Minchen Herzlieb! Und nun mach' die Tür auf und
-laß mich hinein!«</p>
-
-<p>Frau Pauline stand zu einem Ausgange gerüstet. Sie
-hatte es aus ihrem ahnungsvollen Frauenherzen heraus
-so eingerichtet und stattete damit einem Manne, der schon
-längst seine ehrsame Mansarde im Himmel bezogen hatte,
-eine liebe Dankesschuld ab.</p>
-
-<p>Dieser Mann war der Großvater Minchen Herzliebs
-und hatte sechzig Jahre zuvor eine blutjunge Geschichte
-mit Paulinen erlebt; das wirkte nun über Zeit und
-Leben hinaus und verschaffte Minchen das Recht, zu festlichen
-Gelegenheiten aus dem Fenster des Liszthauses
-jungen Männern die Köpfe zu verdrehen. Aber es muß
-zu Minchens Ehre gesagt werden, daß sie auch zu anderen<span class="pagenum"><a id="Seite_203">[203]</a></span>
-Zeiten und Gelegenheiten dieser kurzweiligen Beschäftigung
-nachging.</p>
-
-<p>So oft sie in Paulinens blankes Stübchen trat, in dem
-die weißen Fensterbehänge mit den roten Geranien Feste
-feierten, verfiel die alte Dame zuerst in ein hingebungsvolles
-Schweigen. Minchen Herzlieb verhielt sich dann
-abwartend, bis Tante Pauline mit den Fingern auf der
-Kante des Nähtisches zu trommeln begann. Dieser sanfte
-Wirbel, auf dem ein Dämpfer von sechzig Jahren saß, lief
-immer den gleichen Worten voraus &ndash; »Ja ja, Dein Großvater
-hat mich einmal heiraten wollen, Sibyllchen, aber
-es ist hernach nichts daraus geworden&nbsp;…«</p>
-
-<p>Es ist wahr: die guten Taten der Väter werden an
-den Kindern heimgesucht durch viele Glieder. Jockele
-widmete dem alten Herrn im Himmel ein paar rührende
-Worte des Dankes. Daraus erkannte die greise Schließerin,
-daß der junge Mann, der vorhin so schön zu Roß gesessen,
-auch ein sehr guter Mensch wäre, und sie machte
-sich voll gütigen Verständnisses auf den Weg.</p>
-
-<p>Es war ein so liebes Scheinen in dieser Stube wie in
-den Räumen des Hauses am Buchenwalde zu Ibenheim;
-aus allen Winkeln atmete die alte Zeit, und draußen auf
-der Straße spielte ein sachter Wind Fasching und tanzte
-mit den bunten Konfetti einen altmodischen Walzer.</p>
-
-<p>Minchen Herzlieb fragte Jockele gleich, ob er Tango
-könnte.</p>
-
-<p>»Nein,« sagte er. Aber es fiel ihm ein, daß ein junger
-Mann mit vielen Mädchenbekanntschaften universale<span class="pagenum"><a id="Seite_204">[204]</a></span>
-Kenntnisse besitzen müsse &ndash; was wissen Sie von Goethe,
-von Wieland, von Wildenbruch, von dem ›Hauptgeschäft‹,
-vom Peneios, von Persephoneia, von Hysterie, von Tango?
-&ndash; Die einzige, die nichts weiter von ihm hatte wissen
-wollen als das Küssen, war Gwendolin. Er hatte ihr längst
-verziehen, daß sie so übel mit ihm verfahren war, und
-manchmal in diesen Winternächten im Baumwinkel waren
-ihm die Lippen im Feuer der Sehnsucht nach ihren verzehrenden
-Küssen heiß geworden.</p>
-
-<p>Viel, viel später dachte er einmal: Es wäre gescheit,
-wenn die jungen Männer auf die ersten Fragen warteten,
-die ihnen von einem Mädchen vorgelegt würden. Diese
-ersten Fragen lassen sie ausfliegen, damit sie ihnen Botschaft
-bringen, wie es in der Welt aussieht, an deren
-Strand sie segeln. Und wer hinhorcht, der weiß, wonach
-diese Tauben vor allem Ausschau halten.</p>
-
-<p>Jetzt aber hatte er zu derlei Betrachtungen keine Zeit.
-Es war ihm schon zur belustigenden Gewißheit geworden,
-daß Minchen Herzlieb gar nicht ahnte, daß er sie
-zur Trägerin eines berühmten Namens gemacht hatte.
-Sie nahm die Herzensgeschichten vergangener Herren nicht
-entfernt so wichtig wie ihre eigenen. Darum sagte er ihr,
-daß sie furchtbar nett aussähe, hütete sich vor dichterischen
-Vergleichen und hielt sich an das Greifbare. Das Sofa
-mit dem Kirschbaumrahmen, durch den sich zierliche Einlagen
-schlängelten, sagte zwar ein verwundertes ›Na!‹;
-denn es war von Tante Pauline her an ruhevollere Behandlung
-gewöhnt, aber es dauerte nicht lange, so war<span class="pagenum"><a id="Seite_205">[205]</a></span>
-doch wieder nur der kleine fixe Schlag der Pendule
-hörbar, und die Geranien am Fenster waren die
-Fackelträger.</p>
-
-<p>An Gwendolin dachte Jockele nicht, wiewohl sich Minchen
-Herzlieb viel weicher und ergebungsvoller benahm. Die
-Liebesstunden mit Gwendolin waren ein Flammentanz,
-ein Taumel durch alle Brände der Hölle, ein Vergehen in
-feuerroter Seligkeit, waren ein ungeheueres Verschwenden
-gewesen.</p>
-
-<p>Minchen Herzlieb dagegen blieb bei sich selber und verabscheute
-die Tiefen. Sie fiel in ihre Sinne wie die Lerche
-in die jungen Halme, voll Lütütü und hellgrünem
-Pfingsten. Aber in Gwendolin Vogelgesang entluden sich
-alle Mächte <span id="corr205">des Himmels</span> und der Erde. Gwendolin sprang
-in eine Liebesstunde vom Turme &ndash; Minchen Herzlieb
-dachte daran, ob er hernach wohl mit ihr zum Faschingsball
-gehen werde. Wenn er diesen famosen Einfall hatte,
-durfte sie keine Knitter bekommen; denn sie wollte für die
-ganze Welt immer frisch aufgeblüht erscheinen. Dem Gedanken,
-nur <em class="gesperrt">einem</em> zu gefallen, stand sie mit lachendem
-Unverstande gegenüber, aber es war doch eine schauerliche
-Süßigkeit, mit der er über sie kam. Und als er die Perücke
-ganz nebenher in Sicherheit bringen wollte, weil er dachte,
-Minchen Herzlieb wäre so hoch im Himmel, daß sie davon
-nichts merkte, brachte sie durch ihr Lachen die Stimmung
-in ein gefährliches Schwanken.</p>
-
-<p>Dann fielen ein paar Fäden Dämmerung durch die
-Fenster, und draußen in der blauen Küche bekam Frau<span class="pagenum"><a id="Seite_206">[206]</a></span>
-Pauline Apel einen diskreten Husten und läutete mit zwei
-Tellern Feierabend.</p>
-
-<p>Da machten sie sich fertig und gingen in die Armbrust
-zum Faschingsball, und seit diesem Balle hieß sie in der
-ganzen Stadt Minchen Herzlieb.</p>
-
-<p>Sie blühte auch da unter aller Buntheit hindurch und
-schwamm in Weltfeiertagsfröhlichkeit, aber wenn Jockele
-die vorige Stunde in ihren Augen suchte, stand sie doch
-noch darin. Gwendolin dagegen konnte zwischen zwei
-Minuten eine sternenweite Vergessenheit aufrichten &ndash; die
-Augen, die in der einen gesagt hatten: »Du trinkst mir
-mit Deinen Küssen die Seele aus,« schwuren in der
-nächsten: »Ich kenne diesen Menschen nicht.«</p>
-
-<p>Wenn er mit Minchen Herzlieb tanzte, fiel alle Erdenschwere
-von ihm ab samt Armem Heinrich und Tartarus
-und Huschs Anfällen; denn das Mädchen lag ihm im
-Arme wie eine hineingewehte Blüte; und so führte er sie
-in einer Nachmitternachtsstunde nach Hause. Sie gewährte
-ihm noch eine kleine Nachfeier in der Gartenlaube.
-Der Wind, der durch die Windmühlenstraße am Silberblick
-hinauf in die Felder lief, tat die vorjährigen Blätter der
-Clematis auseinander und wollte ein bißchen gucken,
-konnte aber nichts sehen.</p>
-
-<p>Da vereinbarten sie einen Katerbummel, der so lang
-und leichtsinnig sein sollte wie das schöne Wetter. Er
-dauerte drei Vormittage. Der erste Morgen in den Stadtratstannen
-und Buchfart war ein wenig müde, und Jockele
-war zu Betrachtungen geneigt; der zweite war voll Ueberstrom<span class="pagenum"><a id="Seite_207">[207]</a></span>
-an Licht und Liebe, und als sie vor der kleinen
-Brunnengruppe des Herkules und Antäos in Belvedere
-standen &ndash; in jenem Gartenteile, in dem der alte Kaiser
-Wilhelm als Prinz von Preußen die Eiche gepflanzt &ndash;
-nahm er sie auf den Arm und trug sie in klingender Siegerfreude
-den Parkweg entlang bis hinab an den Fichtensaum
-im Tale.</p>
-
-<p>Dort lag die Sonne in zehntausend Anemonen und
-Veilchen und hatte sich den Frühling hinbestellt. Da
-spielten sie zu Vieren Küssen.</p>
-
-<p>Nach einiger Zeit erklangen junge Stimmen auf dem
-Grashange gegenüber, und wie die vier himmelfreudigen
-Spieler die Zweige der Jungfichte auseinanderbogen, sahen
-sie die kleine Prinzessin Sophie und den noch kleineren
-Erbgroßherzog Wilhelm Ernst. Die Kleine kauerte vor
-einer Röhre, die unter dem Parkwege hindurchführte, und
-hatte das Tirilieren wie Minchen Herzlieb; denn Flipp, der
-stichelhaarige Dackel, war von seinem Forschertriebe in die
-Röhre getrieben worden und suchte da nach Wundern.
-Und das Kleine wollte ihn am Schwanze herausziehen.
-Wilhelm Ernst der Jüngere aber hatte sich von einer Parkfrau
-den Rechen geben lassen, der älter war als er selber,
-und versuchte sich damit am Ernste des Lebens.</p>
-
-<p>Da lief die Sonne hin und faßte das Vorfrühlingsidyll
-mit den Fürstenkindern und Flipp dem Dackel in einen
-goldenen Rahmen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Am dritten Tage waren sie in der Fasanerie im
-Webicht. Es waren da schon viele Lichter ausgelöscht in<span class="pagenum"><a id="Seite_208">[208]</a></span>
-der Welt, und was sich an verfrühten Blumengesichtern
-aus dem vorjährigen Laube hob, hatte die Augen zu, und
-der Wald trauerte um den leuchtenden Irrtum der letzten
-zwei Tage.</p>
-
-<p>Es war wieder Februar geworden.</p>
-
-<p>In der niederen Stube der Fasanerie waren sie allein,
-um sie ein bißchen verblichene Weidmannsfreude des abseitigen
-Jägerhauses an den Wänden &ndash; auf einmal war
-Jockele im Forsthaus an der Hörsel, und das Zinzilein
-stand in der Stube und schaukelte ein kleines Mädchen auf
-dem Arme&nbsp;…</p>
-
-<p>Gott, das Zinzilein! Wo war es gewesen all die
-Zeit her!</p>
-
-<p>Es hatte genau solche goldenen Haare und solche Maifestaugen
-wie Minchen Herzlieb. Aber es war kaum der
-Schule entlaufen, da hatte es schon ausgesehen wie ein
-durchsonntes stilles Waldwasser, aus dem die weißen
-Sterne des Hahnenfußes aufgehen und die silbernen
-Kronen der Teichrosen. Es blühte an ihm alles so von
-innen heraus; wo es seine Augen hatte, ward's hell,
-und wo seine liebe Stimme erklang, ward's warm …
-Nun war ein schlankes, junges Mütterchen aus ihr
-geworden!</p>
-
-<p>Die Sehnsucht faßte Jockele an &ndash; heißer, träumerischer
-Hochsommermittag, in dem alle Düfte Farben bekommen
-und Säulen von Gold in den thüringischen Buchenwäldern
-stehen. Und seine Seele schwamm darin mit
-breiten Schwingen&nbsp;…</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_209">[209]</a></span></p>
-
-<p>»Du bist heute langweilig,« sagte Minchen Herzlieb
-und riß ihm einen seiner schönen bunten Flügel aus …
-»Ich gefalle Dir nicht in Blau, gelt?«</p>
-
-<p>»Himmel, es gibt doch auch noch wichtigere Dinge auf
-der Welt als Frauenkleider!«</p>
-
-<p>»Wichtigere Dinge? Wie meinst Du das?« fragte sie
-und wurde steil.</p>
-
-<p>Da sprang draußen eine Stimme auf die Haustürschwelle,
-die packte die Frage Minchens und schnickte sie
-unter den Tisch.</p>
-
-<p>Dann ging die Tür auf&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Da haben wir ihn! Kommen Sie, Husch! … Sie,
-Jakobus Sinsheimer, ich hab' Ihren ›Armen Heinrich‹
-verkauft! Und Sie sitzen mit einer Ihrer zahllosen Bräute
-beim Frühschoppen, den Sie aus einer Ewigkeit in die
-andere verlängern! Reden Sie nicht, ich weiß alles! Diese
-Dame heißt Minchen Herzlieb, und Sie haben sich mit ihr
-im Sattel vor dem Liszthause verheiratet.«</p>
-
-<p>Einen Schwung hatte Gwendolin, einen Schwung
-voller Erlösung und seelenerstürmenden Jubels &ndash; Jockele
-dachte gar nicht mehr an den abgerissenen Flügel, er
-breitete seine Arme weit aus und riß das lange Mädel
-an sein Herz. In sie wurden weder Knitter, noch ging
-daran etwas in Stücke&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Gwendolin, Krone der Weiber, Königin des Himmels
-und der Erde! Gwendolin, Du ungeheures Licht, Du
-Zauberin!« Und dann geriet er über ihre Lippen, und
-die beiden ranken jungen Menschen schossen durcheinander<span class="pagenum"><a id="Seite_210">[210]</a></span>
-wie zwei Waldbäume und verflochten sich mit Wurzeln
-und Aesten.</p>
-
-<p>Seine dröhnenden Worte hatten in der Küche eingeschlagen.
-Die Wirtin sprang hinein und wollte retten,
-was zu retten wäre. Aber schon in der Türe kriegte sie
-die Verklärung, schrieb unter das Bild in Lebensgröße:
-»Ein Wiedersehen nach langen Jahren« und versank in
-Rührung.</p>
-
-<p>Minchen Herzlieb saß auf einem weißglühenden Stuhle
-und dachte: »Scheidungsgrund!«</p>
-
-<p>Husch war an einen abseitigen Tisch gesunken &ndash; es
-glitt ihr nichts aus den Händen; denn sie hatte sich gehütet,
-etwas zu halten; darum setzte sie sich nun neben das Leben
-und wartete, ob für sie etwas am Rande liegen bliebe.</p>
-
-<p>»So &ndash; nun laß mich los! Mensch, Du bist ja immer
-noch &ndash; waldwild wie damals &ndash; und tollwüchsig &ndash; und
-&ndash;&nbsp;&ndash; Hilfe!! Es sind bloß dreihundert Mark &ndash; Du küßt
-ja für fünfhundert!«</p>
-
-<p>Da wurde Jockele barmherzig, aber er schwur, daß es
-erst hätte angehen sollen.</p>
-
-<p>»Geschenkt! Geschenkt!« keuchte sie.</p>
-
-<p>Da ließ er sie los, und Minchen Herzlieb quittierte ihren
-Aerger und sagte zu Gwendolin: »Ich kenne das!«</p>
-
-<p>»Ach nein? Wirklich?« sagte Gwendolin, aber sie
-tröpfelte ein bißchen Gift darauf. Da merkte das Kleine,
-daß es renommiert hätte, und Gwendolin führte Husch an
-den Tisch, warf ein paar Hände voll Frohmut über sie
-und ließ sich das Hütchen mit der Spielhahnfeder zurechtschieben,<span class="pagenum"><a id="Seite_211">[211]</a></span>
-das ihr obenauf saß wie ein hingeschmettertes
-Juchtrala.</p>
-
-<p>Minchen Herzlieb konnte inzwischen den Gedanken
-nicht loswerden, die Sache mit dem Armen Heinrich wäre
-nur eine Finte, und die lange Gwendolin hätte den Hieb
-geschlagen, um ihr &ndash; dem Minchen &ndash; eine blutige Abfuhr
-zu bereiten. Darum fragte sie, wo denn das Geld
-wäre, und es entstand eine elektrische Schwüle, die der
-armen Husch auf die Nerven fiel.</p>
-
-<p>Aber Jockele rettete die Situation mit einer Flasche
-Sekt und einem Frühstück. &ndash; Ein Münchener Verleger
-hatte die Zeichnungen für eine neue Uebertragung des
-Gedichts vom Armen Heinrich erstanden, und der Kunsthändler
-hatte dafür &ndash; natürlich samt den vier Tafeln in
-Oel &ndash; den Betrag geboten; die Verhandlungen waren
-zwischen ihm und Gwendolin durch den Draht gepflogen
-worden.</p>
-
-<p>So war alles sternenwunderbar und märchenhaft, und
-ein gewöhnlicher Mensch konnte darüber den Verstand
-verlieren. Jockele aber ging nur über die Baumwipfel
-nach Hause, und Gwendolin scherzte: »Ich wußte, daß ich
-einen schweren Gang tat, darum hab' ich mir die Husch
-mitgenommen.«</p>
-
-<p>Sie spazierten über die Felder und Gleise hinter dem
-Luftbad und setzten Husch an der Schlüpfe im Zaun ab;
-dann ging Gwendolin, die in der Kurthstraße wohnte,
-und die allen Bitten Jockeles, den Umweg über den
-Silberblick zu machen, kein Gehör gab.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_212">[212]</a></span></p>
-
-<p>So lieferte sie ihn Minchen Herzliebs Zorn aus, und
-die knatterte auch gleich los, als hätte es kein Verbrüderungsfest
-auf dem Sofa Paulinens und kein Vorfrühlingsglück
-im Park zu Belvedere gegeben&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Er wäre wohl mit allen Mädchen auf Du und Du in
-Weimar? Und ob er sich einbilde, daß sie gerade auf ihn
-gewartet hätte? Und was das für ein unsauberes Küssen
-gewesen wäre mit dieser Gwendolin Vogelgesang &ndash; pfui
-tausend! Und warum er ihr verschwiegen hätte, daß die
-Husch sogar bei ihm im Hause wohne &ndash; oh!</p>
-
-<p>Sie ging mit ihm die Windmühlenstraße hin bis in das
-Wäldchen um Hases Ruhe und hatte sich in eine rauchende,
-allgemein menschliche Entrüstung hineingeredet. Darüber
-konnte er noch lange nicht zu Worte kommen. Zuletzt
-wartete sie mit einem Platzregen von Tränen auf.</p>
-
-<p>Aber Jockele hätte nicht an einer Wegscheide stehen
-dürfen &ndash; wiewohl er sie längst noch nicht klar zu sehen
-vermochte &ndash; und er hätte nicht das schöne fremde Scheinen
-des blauen Geldes ums Herz tragen müssen! Die Rede
-ging Minchen Herzlieb aus dem Munde wie Gift und Oel
-und war voll weiheloser Empörung, aber sie trat keine
-Türen ein.</p>
-
-<p>Sie schritten hundertmal den kleinen Weg durch das
-ausgeholzte Wäldchen, grauer Alltag stand ringsherum,
-und dem Jockele gefror das Herz vor dieser Millionenschablone
-bis auf den Grund.</p>
-
-<p>»Minchen Herzlieb, Du warst eine Faschingsdummheit!«
-sagte er.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_213">[213]</a></span></p>
-
-<p>Darüber verlor sie die schöne Sicherheit, mit der sie
-ihm den Tisch voll bittere Mandeln getragen hatte, und
-die Sache bekam eine neue Wendung; denn Minchen befand
-sich nicht zum ersten Male in solcher Lage, aber vordem
-hatte so etwas wenigstens drei Wochen gedauert, nun
-war es gar auf drei Tage zusammengeschrumpft.</p>
-
-<p>Und sie verfiel in eine grausame Selbstquälerei …
-»Warum bist Du erst gekommen, wenn Du mich nicht liebgehabt
-hast?«</p>
-
-<p>»Natürlich hab ich Dich liebgehabt.«</p>
-
-<p>»Gehabt!«</p>
-
-<p>Er zog die Achseln und redete wie aus tausendjähriger
-Erfahrung: »Es steht schlimm um die meisten Mädchen &ndash;
-entweder können sie das Feuer nicht anblasen, oder sie
-können es nicht unterhalten.«</p>
-
-<p>»Anblasen …,« sagte sie schokiert.</p>
-
-<p>»Oh, anblasen kannst Du, aber es fehlt das Oel auf der
-Lampe. Ihr habt die pudelnärrische Ansicht, ein Mann sei
-ein Ding wie ein Spiegel, der Ja sagt, so oft ihr hineinguckt.
-Der Spiegel gehorcht sieben Jahre, der Mann ist
-des Schauspiels am siebenten Tage müde&nbsp;…«</p>
-
-<p>Sie bekam das Zittern ins Herz und schwur sich, sie
-wollte zuhören bis zum Abend. Das ›Oel auf der Lampe‹
-quälte sie &ndash;&nbsp;&ndash; wenn man einen Mund hat so voller
-Blühen und den besten Willen zum Küssen und siebzehn
-Blusen und vier Kostüme und drei Kästen bunte
-Schleifen … ist das kein Oel? Aber sie sagte das nicht,
-sondern wartete, was er meinte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_214">[214]</a></span></p>
-
-<p>Die Stunden in diesem Wäldchen vor dem Südtore
-der Stadt gehörten zu denen, die in seinem Leben stehenblieben
-&ndash; nicht, weil er da zwei Tage einer Liebe begrub,
-die vormärzlich und sonnenfieberisch gewesen war, und die
-ihn betrogen hatte, sondern weil er in diesen Stunden in
-die Tiefen des wilden Jahres schritt, in denen ihn das
-Leben jählings zerriß.</p>
-
-<p>Die stille und klare Feierlichkeit des Hauses am Buchenwalde
-schien aus Fernen in sein Herz, die er verloren gab.
-Aber das Licht von den ersten Blumensteigen des Daseins
-leuchtet bis auf die andere Seite, und kein Leben kommt
-darüber hinweg.</p>
-
-<p>Nun erfüllte das leidsüchtige Wesen der Husch sein
-Schaffen&nbsp;…</p>
-
-<p>Doris Rinkhaus hatte den Finger gehoben &ndash; er verstand
-ihn nicht. Und nun hatte er sein Herz an ein
-junges Gesicht vertrödelt, weil es lustig lachen konnte!
-Dies Herz hatte Sehnsucht nach einer kindhaften Fröhlichkeit
-gehabt, wie sie das Zinzilein ausgestrahlt hatte. Aber
-nach drei Tagen war der perlende Trunk abgestanden, und
-Huschs Veilchenstille, die an dem bißchen Schimmer blühte,
-der in die Winkel fiel &ndash; ach nein, die lockte ihn nicht, aber
-er war ihr dankbar.</p>
-
-<p>So vergrübelte er sich und lief seiner Sehnsucht nach,
-und Minchen Herzlieb war ihm ganz aus den Gedanken
-gekommen. Da fing sie ihn sich wieder&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Ach ja,« sagte er, »ich glaube, die meisten von Euch
-halten die Männer für Narren.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_215">[215]</a></span></p>
-
-<p>»Vielleicht haben wir ein Recht dazu,« sagte sie
-schnippisch.</p>
-
-<p>»Ihr macht Euch zu Blumen fürs Knopfloch. Es fehlt
-das eine, das nottut.«</p>
-
-<p>Damit hatte er einen großen Stein vor sich auf den
-Weg gewälzt und mühte sich eine lange Rede hindurch
-damit herum. Er sprach von breiter, schöner Menschlichkeit,
-in die ein Mädchen schon hineinwachsen müßte, während
-der junge Mann auf dem Bauplatze für seinen künftigen
-Beruf Kärrnerarbeit verrichtet. Er redete von früherwachender
-Sinnlichkeit, die in Putzsucht geriete und zu
-der jämmerlichen Frauenhalbheit führe, die ebenso arrogant
-wie unfruchtbar wäre. Aber der Stein im Wege
-wollte nicht weichen, und der Herr Jakobus Sinsheimer,
-der sich so männlich-kraftvoll gebärdete, schritt doch immer
-nur mit einer mehr oder weniger höflichen Verbeugung
-um ihn herum.</p>
-
-<p>Das merkte Minchen Herzlieb natürlich und sagte: »Du
-hast da eine wirre Sache auf mich losgelassen, mit der Du
-selbst nichts anzufangen weißt! Wenn Du mich wieder
-einmal sehen willst, so wirst Du mich ja wohl finden. Jetzt
-geh ich nach Hause; denn ich habe Hunger.«</p>
-
-<p>Und das war eine ganz vernünftige Lösung. Der
-Glaube an ihre brauchbare Art war ihr nicht erschüttert
-worden &ndash; warum auch?</p>
-
-<p>Sie ahnte, daß es in einem jungen Künstlerherzen so
-aussehen könnte. Es war das etwas anderes als bei
-einem Menschen, der mit dem Reisekoffer hineinfährt ins<span class="pagenum"><a id="Seite_216">[216]</a></span>
-Leben, den ihm die Alten daheim gepackt haben. Aber
-die Verwirrung, die Jockele angerichtet hatte, blieb auch
-für sie undurchsichtig. Es kam ihr vor, als hätte sie sich an
-den Rand eines Abgrunds gewagt, an dem nicht spazieren
-zu gehen war nach der Mädchenweise:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Hüpft's Herz hinterm Mieder,<br /></span>
-<span class="i0">Wird's inwendig heiß.<br /></span>
-<span class="i0">Und Küsse sind Lieder,<br /></span>
-<span class="i0">Die man auswendig weiß.<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Schon der Wanderweg durch das Webicht und das
-Wäldchen um Hases Ruhe war eine Strapaze gewesen,
-wie jene Viertelstunde auf dem Pferde, auf dem sie einmal
-im Zuckeltrab über einen Acker geritten war. Aber
-für solche Reisen ins Land der Liebe dankte sie ein- für
-allemal &ndash; dieser Jockele hatte zuletzt Dinge geredet, die
-genau so aussahen, als mute er seinem Mädchen zu, daß
-es ihm im Kampfe gegen das Leben beistehen sollte …
-Dabei packte er dies Leben an ganz anderen Zipfeln an
-und tat, als ob es sich nach der zufriedenen und hergebrachten
-Art nicht anständig leben ließe. Er hatte seine
-Augen immer in Gegenden, in denen die netten Kleider
-und die tausend interessanten Dinge, die in der Stadt
-passieren, gar keiner Rede wert waren.</p>
-
-<p>So dachte sie sich in eine lustig-wehmütige Befreiung
-hinein und daß sie nachmittags zur Anprobe bestellt wäre.</p>
-
-<p>Für Jockele war sie Vergangenheit geworden. In
-tiefer Dankbarkeit gegen diesen Tag ging er hin und kaufte
-einen silbernen Armring. Den brachte er Husch mit.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_217">[217]</a></span></p>
-
-<p>Es war ein unbändiger Drang zur Klarheit in ihm.
-Er hatte mit Husch nie ein Wort von Liebe gesprochen,
-nie ein Wort über Gwendolin und Minchen Herzlieb. Das
-Gefühl, daß er ihr wunderlich ergebungsvolles Herz
-schonen müßte, hatte ihn gegen seine Art verschwiegen gemacht.
-Aber nun waren die Mädchen zu dritt um ihn
-gewesen, und die Freundschaft hatte die Liebe in der
-Narrenkappe aus dem Lande gejagt.</p>
-
-<p>An diesem Tag schloß er Husch alle Türen und Fenster
-seines Herzens auf. Wenn einmal die Unordnung über
-ihn hereinbrach, daß er aus dem Hause floh &ndash; Huschs
-Hände vermochten Wunder zu tun; und so oft er heimkam,
-umarmte ihn wieder die liebe Stille und sonnige
-Sauberkeit. Sie sollte ihm auch über sein ungeratenes
-Herz hinweghelfen.</p>
-
-<p>Es war ihm nicht katerjämmerlich zumute, aber er
-fühlte, daß er sich eine moralische Schlappe beigebracht
-hatte, und litt wieder einmal an sich selbst. Doch ging er
-aufrecht in der Kraft, die im Haus am Walde von Tante
-Veronikas Treue in heiliger Bewußtheit in ihn gepflanzt
-war, und sagte: »Wie kann sich ein so langer und tapferer
-Mensch so verplempern!«</p>
-
-<p>Er ließ Wind und Feldfrische durch sein Herz laufen,
-atmete über dem großen Lüftungsfeste auf und sagte: »Es
-ist nicht zu glauben, wie einem ein so kleines, blankes
-Mädel das Haus verstauben kann!«</p>
-
-<p>Darüber mußte auch Husch lachen. Sie teilte sich ihr bißchen
-laute Freude ein und lachte in jedem Monat einmal.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_218">[218]</a></span></p>
-
-<p>Erst hatte sie gedacht, dem Minchen wäre die alleswissende
-Gwendolin im Wege gewesen, und es hätte deshalb
-ein Zerwürfnis gegeben, das sie schon auf dem Heimgang
-ahnte, und sie war froh, daß sie nicht dabei zu sein
-brauchte. Nun erkannte sie aber: das war es nicht, und
-wunderte sich über die Maßen, daß er des frischen
-Mädchens mit den trällernden Augen so bald überdrüssig
-geworden war.</p>
-
-<p>Er wunderte sich darüber eigentlich auch und deutete
-vor Husch immer wieder in grausamer Selbstentblößung
-auf den ›langen und tapferen Menschen‹, der so eigenwillig
-in seinem Schaffen und seinen Tagen stand und
-doch immer so auf das erste beste hinliebte, was ihm den
-Weg kreuzte.</p>
-
-<p>Gleich Maria Reh, die eine kleine Ewigkeit älter war
-als er, war keine glückliche Wahl gewesen. Und so
-weiter. Aber zuletzt erteilte er seinem irrenden Herzen
-in Husch's Beisein eine lustige Generalabsolution und fand
-für jeden Irrtum eine Entschuldigung: Maria Reh war
-schon damals voll schöner Sommerreife gewesen, die
-nun in Ausdehnungen und Behaglichkeit hineinwuchs;
-Gwendolin hatte Stunden, in denen sie den lieben Gott
-besiegen konnte, aber sie litt an kurzem Gedächtnis; vor
-Erika Flucht war er nur bis zu einer dankerfüllten Verehrung
-gelangt &ndash; sie suchte nach Blumen auf späteren
-Feldern und liebte bis auf weiteres über das Zeitliche
-dahin. Aber sie hatte ihn doch ein großes Stück Weges
-geführt&nbsp;…</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_219">[219]</a></span></p>
-
-<p>So stellte er jede, die zu dem Kapitel ›Jockele und die
-Mädchen‹ gehörte, an diesem Nachmittag in dem kleinen
-Haus im Pflaumenwinkel auf. &ndash; Doris Rinkhaus kam
-zuletzt und weitab von den anderen. Er sagte außer
-ihrem Namen kein Wort von ihr; denn er wußte: er hätte
-Husch an das Geranienfenster Paulinens im Liszthaus
-setzen können, während er mit Minchen Herzlieb das
-Verbrüderungsfest feierte &ndash; Husch hätte ihn deshalb nicht
-scheel angesehen; aber sie geriet an die Qualen des
-höllischen Feuers, wenn das Bild der blonden Doris in
-die Zweieinsamkeit ihres Hauses trat, und sie gönnte ihren
-Augen nicht, daß sie eine Studie Jockeles betrachtete.
-Darum: als die Reihe an Doris Rinkhaus kam, entwischte
-Husch mit ihm in die ferne, ferne Zeit und leitete ihn zu
-klugen und besinnlichen Reden über die Mädchen des
-Frühlingshauses.</p>
-
-<p>Dabei merkte er, daß Tante Veronika über alle hinwegschien
-&ndash; heller, als er den lieben Glanz empfunden
-hatte, wie er noch mitten darin stand. Und sie wurden
-lustig an dem Mädchen Mali, die es fertig gebracht
-hatte, mit ihrem Singen alles in ewigkeitstiefe Abgründe
-zu schlagen, was ihm an Klängen in sein jauchzendes
-Zigeunerherz hineingeboren war.</p>
-
-<div class="chapter">
-<p class="drop">Doris Rinkhaus war er seit Tagen ganz aus den Händen
-gefallen. Er hatte sie nicht mehr gesehen seit jener
-Stunde, in der sie ihn fragte: »Wo haben Sie Ihre waldwüchsige
-Zigeunergesundheit hingebracht?«</p>
-</div>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_220">[220]</a></span></p>
-
-<p>Aber das war schon immer so gewesen. Sie drängte
-sich nicht in seine Angelegenheiten und war immer ganz
-unsichtbar, wenn er sein Herz auf Abenteuer schickte. Es
-war, als hätten sie drüben im Gartenhaus ein Barometer,
-das den Druck der Atmosphäre auf dies Herz mit verräterischer
-Genauigkeit anzeigte. Doris Rinkhaus schloß
-beide Augen, wenn sie merkte, daß er wieder einmal in
-eine blutjunge Geschichte hineinsegelte, aus der er sich doch
-alsbald rettete.</p>
-
-<p>So behütete sie ihn, daß er vor ihr rot werden mußte.
-Auch den Faschingsritt hatte sie mit einem lachenden und
-einem trauernden Auge betrachtet &ndash; solche Dinge lagen
-ihr nun einmal nicht.</p>
-
-<p>Im Sommer, wenn sie beide von der gleichen Stille
-der Baumwinkel eingesponnen wurden, hingen sie an den
-goldgeschmiedeten Lichtketten, die im Schattengarten
-umherlagen. Aber nun plätscherte ein langweiliger
-Februarregen in die Welt, und Maria Reh hatte aus
-der Stadt mitgebracht: Jakobus Sinsheimer wäre von
-der kleinen Person am Silberblick festgenommen worden.</p>
-
-<p>Er selbst saß drüben in schöner Ahnungslosigkeit und
-dachte: es wäre fein, daß von dieser dreitägigen Haft
-nichts ruchbar geworden.</p>
-
-<p>»Ich begreife Dich nicht,« sagte Maria Reh zu Do &ndash;
-»wie kannst Du darüber so vergnügt sein?«</p>
-
-<p>»Du tust ja, als wärest Du mit ihm verheiratet!«
-lachte Do. »So hol' ihn herüber und laß ihn die Mädchen
-abschwören für alle Zeiten! Warum willst Du nun gerade<span class="pagenum"><a id="Seite_221">[221]</a></span>
-diesen hübschen, langen Bengel zu einem Mönch machen?
-Na, und daß er nicht mehr in Dich versunken ist wie im
-Ibenheimer Waldmärchen &ndash; das sollte Dich doch nicht zur
-Beschließerin seines Herzens machen!«</p>
-
-<p>Maria Reh kannte diese Reden. Sie waren die Vorläufer
-langer und schweigender Stunden, über die sie sich
-oft recht mühsam wieder zueinander fanden: »Du bist
-es dem Vertrauen der alten Dame schuldig, daß Du mal
-zu einem kleinen Familienrat reisest.«</p>
-
-<p>Aber damit war sie gründlich abgefallen, und seitdem
-bekam sie verzweifelte Augen von diesem Liberalismus
-artigen Frauentums und knurrte sich in ein rebellisches
-Kopfschütteln über verrückte Erziehung hinein.</p>
-
-<p>Einmal um diese Zeit griff sie sich Gwendolin und
-hatte eine lange, eindringliche Parkwanderung mit ihr.
-Der Regen war fort, ein kalter Nebel reifte durch die
-Bäume und strickte Netze aus Silber. Die Ilm rauchte,
-und die Baumläufer eilten geschäftig pochend über die
-alten Stämme und hatten ihre liebe Not, daß der Frühling
-unter dem weißen Glanze nicht wieder einschliefe.</p>
-
-<p>Auf der Schunkelbrücke bei der Pappfabrik, als die
-Mädchen zur Belvederer Allee hinübersteuerten, wurde
-Gwendolin von ausgelassener Lustigkeit an Maria Rehs
-komischer Sorge &ndash; die Geschichte mit Minchen Herzlieb
-wäre ja nur eine kurze Novelle gewesen mit dem Titel
-›Zwei glückliche Tage‹, und die Sache hätte mit dem Lustspiel
-eine verblüffende Aehnlichkeit: der erste Tag glücklich,
-weil er sie hatte, der zweite, weil er sie los wurde! Es<span class="pagenum"><a id="Seite_222">[222]</a></span>
-wäre ein Lustspiel, das diese Sorte Mädchen in jedem
-Monat einmal als Heldinnen durchlebte!</p>
-
-<p>Da geriet Maria Reh in harte Bedrängnis, rettete
-sich hinter Tante Veronika und tat, als wäre sie von ihr
-als Agentin der Sittenpolizei eingesetzt.</p>
-
-<p>Aber Gwendolin ließ dafür ein verständnisloses und
-erschütterndes Lachen auf sie los.</p>
-
-<p>Auf dem Heimweg ging Maria den Philosophenweg
-entlang durch die Kiefern nach dem Walle des alten
-Schießstandes und kämpfte dabei einen harten Kampf
-ums Recht. Weil sie erkannte, daß sie in dieser Gefahr
-für Jockele ganz allein sehende Augen behalten hätte und
-am Ausgange der Dinge triumphieren wollte, beschloß
-sie ein Tagebuch. Darin wollte sie sich alle Bitternis über
-den leichtsinnigen Verkehr Jockeles und die noch viel
-leichtsinnigere Beurteilung durch Doris Rinkhaus vom
-Herzen schreiben. Sie machte sich auch gleich einen Plan.
-Es sollte ausgiebig von Erziehung und Vererbung darin
-die Rede sein und von den Gefahren, die mütterliche
-Nachsicht über einen Menschen bringen könne. Und zuletzt
-&ndash; zuletzt würden die denkwürdigen Worte stehen: »Das
-war das Ende: es ist gekommen, wie ich vorausgesehen
-habe! Ein leuchtendes Talent ist zerbrochen am Zigeunertume
-des Herzens.«</p>
-
-<p>So war Maria Reh durch eine närrische Rechthaberei
-viel zu früh auf den Distelrain der Altjüngferlichkeit gedrängt
-worden. Sie verfiel von Stund an in eine selbstquälerische
-Wachsamkeit. Und weil sie sich vor Doris<span class="pagenum"><a id="Seite_223">[223]</a></span>
-Rinkhaus nicht verbergen konnte und doch vor Fragen
-verschont bleiben wollte, sagte sie ihr, was sie vorhätte.
-Aber sie stellte es so dar, als ob es sich um die Niederschrift
-von Erinnerungen aus dem Baumgarten handelte,
-die sie zur leidlich nutzbringenden Anwendung der langen
-Abende ersonnen habe.</p>
-
-<p>So oft Doris Rinkhaus die emsige Feder über das
-Papier knirschen hörte, saß sie ohne die leiseste Anwandlung
-von Neugier über ihren Büchern. Sie dachte
-sich eine Darstellung der kleinen Ereignisse durch Maria
-Reh nicht sehr interessant; denn es fehlte der Scheinwerfer
-einer rotblütigen Lebensauffassung und rassiger Freude
-am Dasein.</p>
-
-<p>Sie kamen darüber aber doch nicht selten ins
-Scherzen&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Wo stehst Du jetzt?« fragte Do.</p>
-
-<p>»Immer noch beim Sommer in Ibenheim!«</p>
-
-<p>»Du bist ausführlich, Maria! Vergiß die Geschichte
-mit dem Druckknopf nicht &ndash; sie ist lehrreich.«</p>
-
-<p>»Wie meinst Du das?«</p>
-
-<p>»Nun, wenn Du mal Großtante geworden bist, so läßt
-sich dann durch Deinen verblühten Mund eine weise Nutzanwendung
-machen, etwa mit der Ueberschrift ›von der
-Niedertracht der leblosen Dinge‹.«</p>
-
-<p>Aber sie war noch gar nicht bei dem Sommer in Ibenheim
-&ndash; die Zigeunergeschichte und das romantische
-Sterben von Jockeles Mutter, die Gartenhütte mit der
-aufgehängten Weltkugel, das Zinzilein, das gemalte<span class="pagenum"><a id="Seite_224">[224]</a></span>
-Schmetterlingsbuch, Tante Veronika &ndash;&nbsp;&ndash; sie schätzte den
-Umfang auf drei dicke Bände. Und es war mühevoll, sich
-in die Seele eines Jungen hineinzudenken. Ueber die
-erste Schwärmerei, in der sie selbst doch mittendrein gestanden
-hatte, schrieb sie sich ein lästerliches Kopfweh.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Nach dem Fasching, als Jockele dachte, er stünde längst
-wieder in schöner Sicherheit auf sich selbst, war er in
-erhöhtem Grade der Gegenstand des Interesses aller Malmädchen
-geworden. Es war, als hätten sie ihn über dem
-heimlichen Gelöbnis belauscht, das er sich auf einsamer
-Wanderung durch die märzlichen Felder gegeben: auf
-Dreitagemädchen sein Herz nicht mehr hinfliegen zu lassen.</p>
-
-<p>Das kam daher, daß Jockele die wahre Größe seines
-Ruhms nicht ahnte &ndash;&nbsp;&ndash; Spitzenreiter! Es war kein
-Mädchen in Weimar, das nicht mindestens eine Handvoll
-verliebter Konfetti oder zwei Augen voll Wohlgefallen
-über ihn gewirbelt hatte! Dazu Husch, das hysterische
-Modell. Es ging die Sage, der Arme Heinrich sei dem
-Jockele auf dem Hainturm eingefallen, und zur selbigen
-Stunde hätte die Husch im Gartenhaus am Horn schon
-einen verzückten Leidrausch bekommen&nbsp;…</p>
-
-<p>Die Phantasie ist das letzte Wunder, das der liebe
-Gott den Menschen gelassen hat, damit sie nicht voll Mißvergnügen
-an seiner Schöpfung werden. Wo sie ahnen,
-weil sie nicht wissen können, geben sie sich damit eine
-Zaubervorstellung.</p>
-
-<p>Auch waren auf dem Wege durch die Menschen aus
-den dreihundert Mark für den Armen Heinrich dreitausend<span class="pagenum"><a id="Seite_225">[225]</a></span>
-geworden. »Dreihundert, dreihundert!« riefen die Besonnenen,
-aber sie erschauerten dennoch bis ins Herz
-hinein vor dem großen Lichte, das an dem Künstlerhimmel
-im Aufgehen war.</p>
-
-<p>Während sich die anderen noch schülermäßig in der
-Aktklasse mühten, warf er in der Einsamkeit seines
-Gartenhauses einen unerhörten Glanz in sein Modell
-und tat Wunder. Er hatte Minchen Herzlieb an
-der Straße stehen gelassen wie ein Gänseblümchen &ndash;
-aber was wollte dies alles besagen gegen das siebenfache
-Mirakel: die schöne, klare Doris Rinkhaus liebte ihn! Die
-Millionenerbin den Zigeunerjungen! Und sein wildes,
-geniales, strahlendes Wesen stürmte über sie hinweg und
-sah sie nicht! &ndash; So redeten die Leute in Weimar von
-ihm, und was zwischen diese leuchtenden Fäden hineingesponnen
-wurde, war nicht minder bunt und unterhaltsam.
-Und alles fand seine Bestätigung darin, daß just in
-dieser wundertätigen Zeit Jockele weniger denn je unter
-die Menschen ging. Er schwebte im Baumwinkel auf der
-Leiter und steckte bis über die Ohren im Tartarus. Wer
-neugierig war und auf dem hohen Wall des alten Schießstandes
-dahinwandelte, konnte ihn sehen.</p>
-
-<p>Einmal kam Maria Reh aus der Akademie, warf die
-Lippen und erzählte Do: die Leute wüßten, daß sie an
-einer himmlischen Liebe zu Jo litte, die sich aber gar sehr
-nach Erde sehne&nbsp;…</p>
-
-<p>Maria Reh spazierte also emsig vorwärts auf dem
-Distelraine, nahm zu an ofenhafter Ausdehnung und<span class="pagenum"><a id="Seite_226">[226]</a></span>
-hatte sich schon in eine rechtschaffene Verbitterung hineingeschrieben.</p>
-
-<p>»Eigentlich müßtest Du vor Vergnügen über diesen
-Klatsch wieder das springseilhüpfende Jungsein kriegen,«
-lachte Do, und sie lachte so lange, bis sie auch Maria Reh
-von der angenommenen Entrüstung geholfen hatte.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Weimar hing nun ganz von Maienseligkeit &ndash; jawohl,
-auch der Frühling ist in Weimar voll inbrünstigerem
-Glück als anderswo; denn es rauschen die hellen Ewigkeiten
-darin um die klingenden Tore der Stadt.</p>
-
-<p>Jockele wurde von Grün und Blühen in seliger Vergessenheit
-gefangen. Die Blüten fielen, und die große
-Gruppe aus dem Tartarus ward fertig.</p>
-
-<p>Do, die oft einmal in den Baumwinkel gekommen war,
-wurde immer schweigsamer, und auch Maria Reh war
-nur mäßig beglückt.</p>
-
-<p>»Er hat sich da an eine Sache gewagt, die noch über
-seine Kraft geht,« sagte sie eines Tages zu Doris Rinkhaus.</p>
-
-<p>»Das wird ihm noch oft passieren,« sagte Do. Es klang
-hart und mitleidlos; und gleich darauf kam Jo selber und
-setzte sich zu den Mädchen an den Gartentisch. Er war
-versonnen und ließ seine Augen über die hohen Kastanienwipfel
-gehen &ndash; er hatte sich den Tag, an dem er die letzten
-Farbentupfen in das Bild setzte, anders gedacht. Maria
-Reh hatte sich fertig gemacht zu einem Ausgang&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Kommen Sie mit &ndash; wir wollen Jakobus Sinsheimer
-suchen!« lachte sie.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_227">[227]</a></span></p>
-
-<p>Da lehnten sie die ›Gruppe aus dem Tartarus‹ gegen
-die Hauswand und gingen zu dritt in die Felder und
-redeten immerfort von dem Bilde. Do sagte:</p>
-
-<p>»Es ist äußerlich geblieben im Empfinden. Sie sind
-über das hysterische Mädchen dazu gekommen; aber Ihre
-gesunde Art hat sich zuletzt nicht unterkriegen lassen &ndash;
-das ist es!«</p>
-
-<p>Genau so hatte Do über den Armen Heinrich geurteilt,
-der ihm seinen ersten Ruhm eingetragen. Aber nun stand
-er doch mit gebrochenen Flügeln vor Do, und Marias
-scheue Zugeknöpftheit quälte ihn. Langsam fing er wieder
-an zu leuchten, und abends brachten sie ihn frohmütiger
-und mit neuen Plänen heim: er wollte die Tiefen und
-Schründe übermalen, die Figuren mit strahlendem Himmel
-umhängen und sie auf die Spitze eines Berges stellen,
-der im letzten Scheine des Abends lag. Dann sollte das
-Bild ›Schmerz‹ heißen.</p>
-
-<p>Do hatte ihre Einwände; aber er ließ sie nicht an sich
-kommen, und die nächsten Tage fanden ihn wieder im
-Baumwinkel. Er legte Himmel über die Felsen; die
-Figuren blieben in ihrer Stellung, aber er verlieh den
-Gesichtern die stille Erhabenheit des Leides, das in die
-Nachbarschaft Gottes führt. Aus treibenden Wolken stieg
-ein umglühter Bergkegel hervor, wo zuerst die Abgründe
-des Tartarus gegähnt hatten.</p>
-
-<p>Aber das selige Leuchten, das er in seinen Träumen
-gehabt, verlor sich dennoch über allem und ward
-Finsternis.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_228">[228]</a></span></p>
-
-<p>Als er am vierten Abende mit Do und Maria vor
-dem Bilde stand, die in diesen Tagen nicht gekommen
-waren, weil er sie darum gebeten hatte, legte sich ein
-schweres Schweigen auf ihn und die Mädchen. Das zerriß
-er mit einem gellen Auflachen; dann rannte er in den
-Schuppen und stürzte mit einem hocherhobenen Grabscheit
-heraus und schlug blindwütig auf die Leinwand ein, bis
-sie in bunten Fetzen herumlag, und der Rahmen krachend
-zusammensank.</p>
-
-<p>Husch hörte im Hause das wilde Schlagen und Knattern
-des Holzes.</p>
-
-<p>Sie stürzte heraus und warf sich über die Trümmer
-und achtete des niedersausenden Spatens nicht.</p>
-
-<p>Darüber kam er zu sich, und er sah sie vor dem Haufen
-Fetzen knien, wie sie Doris Rinkhaus anstarrte.</p>
-
-<p>Da schleuderte er das Grabscheit fort und lief in
-das Haus.</p>
-
-<p>Husch aber schritt auf Do zu, die vor Maria stand, und
-streckte ihre Arme aus und war anzusehen, als käme sie
-aus dem Grabe.</p>
-
-<p>»Sie sind es gewesen!« schrie sie Do ins Gesicht &ndash;
-»Sie haben ihn so von sich gebracht! Nun ist er wahnsinnig
-geworden.«</p>
-
-<p>»Nein &ndash; <em class="gesperrt">Sie</em> sind es gewesen!« sagte Do, und ihre
-Stimme zitterte zum ersten Male. Sie wandte sich ab
-und wollte zu Jakobus gehen und mit ihm reden. Aber
-Husch kam ihr zuvor und warf sich mit heiserem Schrei auf
-die Schwelle.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_229">[229]</a></span></p>
-
-<p>Da trat Jakobus heraus und gebot ihr, stille zu sein,
-und trug sie auf seinen Armen hinein. Er hatte Do und
-Maria einen Wink gegeben, daß sie in ihr Haus gehen
-sollten, er wollte später hinüberkommen.</p>
-
-<p>Wie er Husch zu Bette gelegt hatte, schlug ein grimmiges
-Lachen aus ihm &ndash; zwanzigmal hatte er sie nun
-so auf sein Lager geschleppt und war voll Erbarmen mit
-ihr gewesen … nun dachte er, er hätte sich von ihrer
-krankhaften Art niedertreten lassen und hätte diese Wochen
-jauchzenden Mühens verloren wegen ihr. Und hätte sich
-selbst verloren.</p>
-
-<p>Da warf er den Malkittel ab und ging hinüber in das
-Gartenhaus. Er hatte sich wieder fest in den Händen.
-Maria Reh war in das Nebenzimmer geflohen, als sie
-ihn kommen hörte.</p>
-
-<p>»Es ist gut,« sagte er, »ich bin froh, daß ich so rasch
-gewesen bin!«</p>
-
-<p>»Ich auch!« sagte Do. »Es war eine wilde Geschichte,
-aber es war ein kurzes Leid. Sie müssen nun zusehen,
-daß Sie die ›Gruppe aus dem Tartarus‹ auch in Ihrem
-Kopfe zerschlagen können! Reisen Sie mit mir nach
-Ibenheim &ndash; mit mir ganz allein?«</p>
-
-<p>»Wann?«</p>
-
-<p>»Morgen?«</p>
-
-<p>»Heut abend wäre es noch besser.«</p>
-
-<p>»So reisen wir heute abend. Wie steht es mit Husch?«</p>
-
-<p>»Sie schläft,« sagte Jo. »Aber diesmal ist es zu Ende
-zwischen mir und ihr! Wo ist Fräulein Reh?«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_230">[230]</a></span></p>
-
-<p>Da rief Do Maria herein&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Bitte, gehen Sie zu Husch's Mutter,« sagte er, »und
-bringen Sie ihr diese fünfzig Mark. Ich kann das Mädchen
-nicht mehr um mich haben &ndash; ich kann nicht! Sie wissen,
-was Sie der Frau sagen werden. Und wenn Sie mehr
-Geld braucht, so soll sie später zu mir kommen, ich will
-ihr geben, was mir möglich ist; denn Husch ist leidender
-geworden durch mich, viel leidender. Ich hätte sie mehr
-schonen sollen.«</p>
-
-<p>»Noch mehr?« fragte Do. »Sie hätten sie nach dem
-Armen Heinrich abschaffen müssen.«</p>
-
-<p>In Maria Reh aber ging eine ungeheure Fülle von
-Lichtern an &ndash; es waren ihrer so viele, daß sie geblendet
-dazwischen umhertappte.</p>
-
-<p>Zuerst wollte sie erkennen, daß Do nun doch an der
-himmlischen Liebe litte, die sie als einfältige Dichtung
-der Menschen belacht hatte. War Do in gut gespielter
-Gefrorenheit all die Zeit her nur zur Seite gestanden voll
-Erwartung, daß die Stunde ja kommen müßte, in der
-ihr diese ringende Jugend in die Hände fiel? Hatte man
-sie mit der Sendung zu Husch's Mutter betraut, damit
-die beiden schon bei den Vorbereitungen zur Reise unbeobachtet
-wären?</p>
-
-<p>Es schoß Licht in rasenden Pfeilen um sie her und
-wurde doch nur langsam Tag.</p>
-
-<p>Aber zuletzt ärgerte sie sich über ihr verwinkeltes Herz
-und begriff die Stunde als einen Sieg ihrer längst gehegten
-Ueberzeugungen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_231">[231]</a></span></p>
-
-<p>Jockele ging hinüber, um sich zu der schnellen Abfahrt
-zu bereiten. Er traf Husch in den Tiefen ihres krankhaften
-Schlafes. Und als er so alle Dinge zusammenwarf, die
-er mitnehmen wollte, ward ihm doch bange vor der Zeit, in
-der ihre ordnenden Hände und ihre sorgende Stille nicht
-mehr um ihn wären. Einmal hatte sie gesagt, sie würde
-sich in den Tod hinüberschlafen, wenn er sie fortschickte&nbsp;…</p>
-
-<p>Daran dachte er nun und sah immer einmal zu der
-Türe nach dem Kämmerchen; denn es war ihm, als müßte
-sie mit entgeisterten Augen und halb erstarrten Gliedern
-hereintreten und ihn fragen: »Was willst Du mit mir
-und Dir beginnen?«</p>
-
-<p>Aber sie kam nicht, und er ging zu Maria Reh und
-sagte ihr, ob es nicht besser wäre, man ließe sie noch ein
-paar Tage kommen. Dann würde sie fragen, wo er hingegangen
-sei und was überhaupt geschehen wäre, und
-Maria Reh sollte in Ruhe mit ihr reden. Da wehrten
-die Mädchen beide ab und wunderten sich über die Macht,
-die dies krankhafte Wesen bis zuletzt über seine Kraft und
-Jugend behalten hatte.</p>
-
-<p>Gegen Abend reisten sie ab.</p>
-
-<p>Maria Reh schickte nach einem Arzte und besprach das
-ganze wunderliche Erleben mit ihm.</p>
-
-<div class="chapter">
-<p class="drop">Zweimal hatte der Frühling um Ibenheim am Walde
-geblüht und hatte Jakobus vergeblich gesucht.</p>
-</div>
-
-<p>Nun stürzte der dem grünen Bergsommer mit ausgebreiteten
-Armen ans Herz.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_232">[232]</a></span></p>
-
-<p>Was war das für ein überschäumendes Jauchzen! Und
-was war das für ein Finden der alten Steige und durchsonnten
-Waldwinkel, die alle auf ihn gewartet hatten!
-Die Erde erschauerte, wo sein Fuß über sie schritt, und
-die blaue Seide der Lüfte flatterte, wenn sie an seine
-Stirne streifte. Der Sandbruch, um dessen Säume der
-Wind und die Herbstblätter gelaufen waren, und die
-gelben Wände, über die Regen und Sonne gegangen, aber
-kein Menschenfuß &ndash; das alles lag da als eine schlummernde
-Welt von Wundern. Und was die jubilierende,
-sinnende, träumende Jungenseele in Jahren hineingedichtet
-hatte, wurde wach und wandelte, wie es den
-Klang seiner Stimme hörte.</p>
-
-<p>O Menschen, die Ihr in den Steinbrüchen der Städte
-jung gewesen seid, was ahnt Ihr von den atmenden Geheimnissen
-der Erde! Was wißt Ihr vom Glück! Und
-was wißt Ihr vom Himmel!</p>
-
-<p>Und dann schlug die Gartenhütte ihre Augen auf. Da
-pendelte noch die geschwärzte Weltkugel, die einmal ein
-Behälter für Schokoladenpfennige gewesen war, und geriet
-in ein stürmische Schwingen. Da hingen die Kästen
-mit den Schmetterlingen, da war … es war alles da,
-was ein wundertätiges Jungenherz in Verstand und
-Unverstand als nötig zur Seligkeit erkannt hatte. Auch
-die Trümmer der Flugmaschine. Davor wurde Jockele
-besinnlich und sagte: »Die Trümmer eines Flugzeugs
-liegen auch in dem kleinen Haus am Horn &ndash; aber sie
-liegen wohl in allen Häusern!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_233">[233]</a></span></p>
-
-<div class="chapter">
-<p class="drop">Ob Tante Veronika mit der schönen, blonden Doris
-Rinkhaus jemals oder gar schon an jenem Tag ihres
-ersten Zusammentreffens im Baumgarten am Horn einen
-Zweibund geschlossen &ndash; aus dem Gefühl einer Interessengemeinschaft
-an Jockele &ndash; ist nicht bekannt geworden.
-Es ist aber nicht anzunehmen; denn das Vertrauen der
-alten Dame zu ihrem Pflegesohne war unbegrenzt von
-Anbeginn und wollte so bleiben bis zu dem Augenblick,
-in dem es für Jockele ein so gleichgültiges Ding geworden
-wäre, daß er es zerbrach und ihr vor die Füße warf. Sie
-war mit klingendem Spiel in das Herz, in das tapfere,
-eigenwillige Herz Dos eingezogen, als sie in der Kriegszeit
-zu ihr sagte:</p>
-</div>
-
-<p>»Ich habe die Erziehung meines Jungen auf dies
-unbegrenzte Vertrauen gestellt, weil ich meine, es ist keine
-Grundlage sicherer, Eltern und Kinder in alles überwindender
-Zuneigung aneinanderzufesseln; denn die Bande
-des Bluts vermögen das nicht.«</p>
-
-<p>Dies Wort war zu einer Offenbarung für Doris Rinkhaus
-geworden: man hatte in dem reichen Haus am
-Rhein über sie Beschlüsse gefaßt, für die sie mit List oder
-elterlicher Gewalt gewonnen werden sollte. Und sie war
-aufwieglerisch geworden. Die Bande des Bluts waren
-nicht zerrissen, aber die des Vertrauens wollte sie sich
-erkämpfen; darüber hatte sie das elterliche Haus verlassen,
-eine längst Mündige. Und sie wollte heimkehren, wenn
-ihr die Mündigkeit auch von Rechts und Gesetzes wegen
-zugesprochen sein würde.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_234">[234]</a></span></p>
-
-<p>In ihrem Verhalten zu Jakobus war mancherlei
-Wandel eingetreten. Zuerst hatte sie ihn gesehen mit den
-Augen Maria Rehs: als den dunklen, blauäugigen
-Jungen, mit dem das Schicksal von der Schwelle des
-Lebens ab ein leuchtendes Spiel getrieben, und der aus
-seiner umblühten Waldjugend rein und schön und
-schwärmerisch vor das süßeste Geheimnis des Lebens
-geraten war. Er fragte nicht vorwitzig nach Dingen, die
-ihm nicht geziemten, sondern ließ die Sonne geahnter
-Wunder heimlich in sein Herz fallen, wie der Frühling
-fällt in das Herz des Waldes. Und erschauerte in Ahnung
-harrender Herrlichkeiten.</p>
-
-<p>Danach tat er ihr selbst die Türen auf, und sie erkannte
-die Fülle und Leere der jungen Jahre in ihm. Das Haus
-am Walde ward offen für sie &ndash; von Stund an wußte Do,
-daß Maria Reh die Kunst der feinen Hände, die die Uhr
-seines Lebens geregelt, nicht erkannt hatte.</p>
-
-<p>Tante Veronika meinte dies helle Jungenleben ganz
-anders als Maria Reh; denn Maria Reh war mit fünfundzwanzig
-Jahren eine Distelbauerin, Tante Veronika
-aber hielt mit fünfundsechzig das Uhrwerk ihrer kleinen
-Welt unter einer Glocke aus Himmel und sorgte, daß kein
-Staub in das blanke Getriebe fiel. Dabei war sie aber
-immer lächelnd bereit, es auch einmal putzen zu müssen.</p>
-
-<p>Wenn Do darüber nachdachte, was sie an Himmel
-und Erde zumeist bewunderte, so stand die freundliche
-Greisin mit den Scheiteln aus Silber ganz vorn. Und
-wenn sie sie fragte, wen sie unter allen Menschen zumeist<span class="pagenum"><a id="Seite_235">[235]</a></span>
-liebe, so schritt Tante Veronika mit dem sanft wiegenden
-Spitzenumhang und dem Kapotthütchen mit den violetten
-Bändern, dem gelben Krückstock und dem ganzen sauberen
-Drum und Dran unter den Kastanien des durchsonnten
-Baumgartens daher und sagte: »Ist dies wohl das kleine
-Haus, in dem der Kunstschüler Jakobus Sinsheimer
-wohnt?«</p>
-
-<p>Do ließ Fräulein Veronika an jenem Sommertage
-auf diese Frage hin auch gleich in ihr Herz spazieren;
-denn der Jakobus Sinsheimer hatte ja auch dort sein
-Kämmerchen gemietet.</p>
-
-<p>Wie dann Gwendolin mit den dürstenden Sinnen
-über Jockele kam, ward ihm nicht gekündigt … aber es
-hockte sich doch eine frauenhafte, wachsame Eifersucht vor
-alle Türen dieses Herzens und hatte den Finger immerfort
-auf dem Schellenknopf.</p>
-
-<p>Darüber ärgerte sich Doris Rinkhaus, sandte Jockele
-eine Kriegserklärung und führte einen Kampf mit sich
-selber. Und weil sie auch in ihren Schlummer läuten
-hörte, reiste sie vor die bunten Tore des Bergwalds und
-wurde an Tante Veronika zu einer lächelnden Königin
-über sich selbst.</p>
-
-<p>Maria Reh fuhr gleich das schwere Geschütz der
-Sittlichkeit auf, als Jockele in Huschs Nebelnetze fiel.
-Doris Rinkhaus ließ sich von ihr die ›leichtsinnige Lebensauffassung‹
-vorwerfen und sagte: »Husch ist ein Irrtum,
-aber sie ist nur eine Gefahr für den Maler und nicht für
-den Menschen.« Und dann fand sie das leuchtende Wort,<span class="pagenum"><a id="Seite_236">[236]</a></span>
-das für Maria Reh zu einem Stachel wurde: »Möchtest
-Du etwa die sein, an der er seine Jungmännlichkeit
-schleift?«</p>
-
-<p>Maria Reh fand sich nicht in die Fernen des anderen
-Geschlechts, die so nahe sind, daß sie sich mit den Händen
-greifen lassen, aber ihre Rätsel doch nicht enthüllen; sie
-sticken den Himmel der Nächte mit Sternen und müssen
-ihn schön und ahnungsvoll erhalten in Ewigkeit.</p>
-
-<div class="chapter">
-<p class="drop">Am zweiten Tage gingen Do und Jo miteinander auf
-den Steigen der Jugend. Da sagte Do zu ihm: »Sie
-müssen Tante Veronika verraten, daß Sie die ›Gruppe
-aus dem Tartarus‹ zu einer Art ›Berg der Seligkeiten‹
-gemacht haben, und daß Sie dann einen Glauben bekamen,
-der auch diesen Berg zu versetzen vermochte.«</p>
-</div>
-
-<p>»Ja. Aber es ist grausam,« sagte er. »Ich habe ihr
-rauschende Briefe geschrieben und habe ihr gesagt, der
-›Arme Heinrich‹ wäre nur ein sanftes, sentimentale Lied
-auf zwei Saiten; die ›Gruppe aus dem Tartarus‹ dagegen
-würde eine wilde Sinfonie des Schmerzes auf neuen,
-unerhörten Instrumenten sein.«</p>
-
-<p>»Sie haben da kaum ein Wort zu viel gesagt,« scherzte
-Do, »denn sogar ein Grabscheit hat mitgespielt.«</p>
-
-<p>»Mir ist heute, als würde ich nie wieder einen Pinsel
-anfassen! Wäre es nicht am besten gewesen, wenn ich
-auch die Farbentruhe mit zertrümmert hätte?«</p>
-
-<p>Da horchte Do auf in den Tiefen ihres Herzens; denn
-in diesen geheimen Kammern lagen heiße und freudige<span class="pagenum"><a id="Seite_237">[237]</a></span>
-Wünsche, vor denen sie selbst erschrak, wenn sie merkte,
-daß sie anfingen, sie zu bedrängen.</p>
-
-<p>Damals, als sie ihn am Ufer der Ilm in Tiefurt fragte:
-»Was wissen Sie von Goethe?« damals hätte sie diese
-Pläne jubelnd und stürmisch vor ihm ausgebreitet.</p>
-
-<p>Nun schritt einer neben ihr, vor dem sich ihr erblühtes
-Frauentum noch immer nicht zu wehren brauchte &ndash; diese
-ungeschlossene Kraft reichte nicht an sie heran &ndash; und vor
-dem es sich nicht beugen konnte … aber es schritten da
-ein Wille und eine Art, die das andere Geschlecht hatten,
-und die sie sich nicht zusammenzupacken getraute wie die
-des langen Jungen, der ihr vor Jahr und Tag aus dem
-Bergwald heraus in die Arme gelaufen war.</p>
-
-<p>Wenn Maria Reh die letzten Worte Jockeles gehört
-hätte, wäre sie kampfwütig gegen Do geworden; denn
-es war ihr Stolz, daß sie dies Talent im Walde gefunden
-hatte, und so oft sie davon sprach, fing sie an, mit Rührung
-Goethe zu zitieren: von jenem Blümlein, das sie mit
-allen Wurzeln ausgegraben und in den Garten beim
-kleinen Haus gepflanzt habe. &ndash; Daß zuletzt doch der
-weiße Tod seine Hand im Spiele hatte und den Jungen
-jählings hinauswarf in die Welt, konnte sie nicht ganz
-in Abrede stellen, aber sie ließ sich ihren Entdeckerruhm
-darüber nicht schmälern.</p>
-
-<p>Das gelang ihr um so leichter, als Jockele zwar seinen
-künstlerischen Eigensinn und seine technischen Unbeholfenheiten
-hatte &ndash; wer aber wollte die Keckheit besitzen und
-ihm sagen, daß er einer der vielzuvielen wäre, die einem<span class="pagenum"><a id="Seite_238">[238]</a></span>
-Irrlicht ihres Herzens nachstürmten, das sie für die Fackel
-des Genius hielten?&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Nun, da das erste Wort von Jakobus selbst gesprochen
-worden, nun ward Do auf einmal bange, einem Quell
-nachzugraben, der am ersten heißen Tage wieder versiechen
-konnte.</p>
-
-<p>Sie erschrak und sagte: »Bilden Sie sich denn ein, die
-Sterne lassen sich so vom Himmel holen, ohne daß Sie
-sich auf dem Wege über die blauem Berge einmal die Knie
-zerschürften? Oder wie haben Sie sich dies Pflücken der
-fernen Lichter gedacht?«</p>
-
-<p>Er sagte: »Gedacht! Was denkt sich ein Junge unter
-dem Kampf um Glück und Ruhm eines Künstlers? Was
-denken sich die Menschen dabei? Und was selbst der
-Künstler? Man weiß, daß es ein Kampf war, wenn er
-Sieg wurde, und dann sagt man: dieser Kampf war
-Glück! Aber wenn er nie zum Siege führt, dann heißt
-er Künstlerelend, und sein Symbol ist der Schmachtriemen.
-&ndash; Ich bin nicht Narr genug gewesen, in diesem ersten
-fröhlichen Anlaufe rechts und links neben die Straße zu
-schauen; denn das sag' ich Ihnen: hätt' ich mich darüber
-ertappt &ndash; ich hätte mich dieser guten, sorglichen Mutter
-nicht einen Tag lang verborgen! Es hätte sich dann wohl
-auch ein anderer Weg gefunden; denn unter den Drängen
-meiner Thüringerwaldjahre stand der zur Malerei doch
-erst an zweiter Stelle, und vor Maria Reh kannte ich
-Tante Veronika und ihre Bücherei, kannte ich das
-Zinzilein und den Herrn Matthias Prinz und mich selber.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_239">[239]</a></span></p>
-
-<p>Do kam ins Wundern &ndash; »Davon haben Sie mir nie
-ein Wort gesagt.«</p>
-
-<p>»Ich hatte es wohl selbst vergessen,« sagte Jockele.
-»Was hat man überhaupt mit siebzehn Jahren für Augen!
-Aber nun, da ich mit dem Grabscheit auf mich losgehauen
-habe …,« er blieb stehen und sah ihr lange und tief ins
-Herz … »warum haben mir Zorn und Zufall ein Ding
-in die Hände gespielt, mit dem man in die Erde wühlt,
-was tot ist? … Kommen Sie,« rief er und faßte sie an
-der Hand, »wir wollen jenen glückseligen grünen Waldjahren
-ein Opfer bringen &ndash; wir wollen pflanzenhaft und
-erdenselig sein, wie ich es damals gewesen bin mit
-Maria Reh!«</p>
-
-<p>Da liefen sie in kindhafter Fröhlichkeit über den Waldgrund,
-der ganz warm war von dem Lichte, das den junglaubigen
-Bäumen aus den Händen fiel, und sie warfen
-sich an einen Mooshang. Der war mit einem dünnen
-Schattennetze überstrickt; die hohen Stauden des Fingerhutes
-standen umher und hauchten aus den ersten offenen
-Blüten süßes Gift.</p>
-
-<p>Do hatte diesen roten Zauber im Walde nie zuvor
-gesehen. Hinter ihnen reckte sich ein schlanker Buchenbestand
-mit glänzenden Stämmen, der hatte ein goldenes
-Dach. Vor ihnen trällerte ein fußbreites Bergwasser an
-einer Kiefernschonung dahin, und der frühe Sommer hatte
-ihm die Ränder zu bunten Wundern gesäumt.</p>
-
-<p>Jockele stapfte in dem blühenden Glück der Heimaterde
-herum und brach einen Armvoll davon. Dann setzte er<span class="pagenum"><a id="Seite_240">[240]</a></span>
-sich neben Do in das gebrochene Licht und suchte aus
-seinem Herzen hervor, was er dort in der ersten heißen
-Freude an der Welt zusammengetragen hatte. Da merkte
-er, daß die ganze Naturwissenschaft noch in feierlichster
-Ordnung war &ndash; selbst das Linnésche System; aber er
-warf in seiner Freude tiefe und schöne Gedanken über das
-trockene Rüstzeug der anderen Jahre. Da wurde ein
-lustiger Tempel aus lebendigen Blumen daraus. Er
-blätterte weiter in dem Buche des Glücks, das nun längst
-ganz oben auf dem Regale seiner Erinnerungen gestanden
-hatte &ndash; »Erde, heilige Erde!« rief er und drückte seine
-Lippen hin ins Moos. Und »Erde, heilige Erde!« rief
-er und schüttete alle Blüten über Do aus&nbsp;…</p>
-
-<p>»Wann war das doch, wissen Sie &ndash; wie ich mit dem
-Grabscheit den Berg der Seligkeiten zerschlug?«</p>
-
-<p>»Das ist schon sehr lange her,« sagte sie.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Aber nun ging es doch wunderlich mit Doris
-Rinkhaus.</p>
-
-<p>Wenn ihr jemand das Wort Schicksal zuwarf, so fing
-sie es mit hellem Lachen und spielte damit als mit einem
-goldenen Balle; dann ließ sie es fallen und sagte: »Ach
-was! Es gibt kein Schicksal!«</p>
-
-<p>Wer das aus ihrem Munde hörte, stellte sich ihr entgegen
-und dachte: »Wie kann ein so kluges, klares
-Mädchen solch eine Lächerlichkeit reden!«</p>
-
-<p>»Ich habe noch nie ein Schicksal gehabt,« sagte sie
-dann; »denn ich habe mein Leben immer nach meinem
-Willen gelenkt. Es waren Irrtümer da, und es lag<span class="pagenum"><a id="Seite_241">[241]</a></span>
-Gelingen und Freude daneben &ndash; aber Schicksal? Nein
-und tausendmal nein! Wenn man wach ist, und wenn
-man stark ist, gibt es kein Schicksal. Aber jeder Tag wird
-dazu, der mit Händen voll Gaben an Dich herantritt, und
-Du fragst ihn nicht: was will das werden?«</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Allein &ndash; es kommen Stunden mit geschlossenen Händen
-und ahnungsreichen Augen. Die sehen aus wie
-Sommerhimmel oder wie eine Nacht voll Sterne. Und
-der Mensch fällt diesen Stunden in die Arme und läßt sich
-tragen in Seligkeit und absetzen an einer Wegstelle &ndash;
-dünke sie ihn nun ein Paradies oder eine Wüste. Die
-Menschen sagen dann: »Ich bin an diese Stelle verschlagen
-worden &ndash; es ist das Schicksal.« Do sagte: »Das ist ein
-Irrtum; denn Ihr habt nichts getan, was Euch vor diesem
-Verschlagen behütet hätte. Ihr schlieft, oder Ihr ließet
-Euch tragen mit geschlossenen Augen, weil Ihr Euch einer
-frohen Hoffnung hingabt. Wo sind die Tage, die man
-nicht anders hätte leben können, wenn man gewollt hätte?«</p>
-
-<p>Sie hatte einmal im Kampf um ihre Ueberzeugung
-gegen einen Jenenser Universitätsprofessor gestanden, der
-dem jungen Viktor von Scheffel sehr ähnlich war, und den
-sie gut leiden mochte. Zu ihm sagte sie: »Das Schicksal
-eines Menschen wächst im Quadrate der Abnahme seines
-Willens.« Und weil dieser Herr jung und Jurist war,
-debattierte er mit lachender Losgelassenheit auf sie hin.
-Er sagte: »Ich sollte Offizier werden und trat in die
-Armee und hatte blöde Augen. Da mußte ich aus einer<span class="pagenum"><a id="Seite_242">[242]</a></span>
-gesicherten Ueberlieferung meines Geschlechts heraus zur
-Wissenschaft. Schicksal! Nicht ich, nicht mein Wille &ndash;
-meine Augen waren daran schuld, daß ich den Krieg gegen
-Rußland und Frankreich nicht als Kommandeur des dreizehnten
-Armeekorps mitmachte.«</p>
-
-<p>Es war eine Stunde gewaltiger Heiterkeit für Do;
-denn der gescheiterte General bewies ihr ihr Recht &ndash; »Sie
-haben sich einer bunten Hoffnung an die Schürze gehängt«,
-lachte sie, »und haben Ihre Tauglichkeit zum Offizier
-schlecht erwogen &ndash; das nennen Sie nun Schicksal! Aber
-ich will Ihnen helfen; Sie hätten sich das wirklich leichter
-machen können: ein Granatsplitter, der die Tücke des
-Feindes zertrümmern sollte, zertrümmerte den Himmel
-Ihres Auges &ndash; das kann Schicksal sein. Es muß nicht;
-denn nicht alles, das nicht in Ihrem Willen liegt, darf in
-diesen Kasten gebracht werden.«</p>
-
-<p>Auch brünstig atmender Waldgrund, berauschend
-küssende Sonne, jubilierende Blumen und trällernde Bäche,
-und was alles über eine himmelgesegnete Hochwaldstunde
-hinwegblüht als Ahnung, Wunsch und Sinnenseligkeit,
-kann Schicksal werden.</p>
-
-<p>Es lauert an allen Ecken und wird nicht erkannt. Es
-vermag sich im Raum einer Stunde zehntausendmal zu
-verwandeln.</p>
-
-<p>Jo lief wieder auf eine Entdeckungsreise.</p>
-
-<p>Doris Rinkhaus versank in das warme Moos und
-flatterte ihren Wünschen nach. Sie dachte: »Soll ich mit
-dem Schicksal ein bißchen Verstecken spielen?«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_243">[243]</a></span></p>
-
-<p>Ihr Herz hatte auf einmal ganz wunderliche Meinungen
-und Anschläge und redete mit ihr: »Die Gwendolin
-hat er geküßt, und die Husch hat er geküßt &ndash; was ist das
-für ein bleiches nebelhaftes Wesen! Wegen Minchen Herzlieb
-ist er sogar in ein fremdes Haus gedrungen, und mit
-der behäbigen Maria Reh hat er seine rosenrote Himmelfahrt
-gehabt. Am Rhein sind die jungen Studenten in
-Schwärmen um mich geflogen &ndash; weil sie wußten, daß ich
-reich bin? Die Gwendolin hat einen Mund wie Feldmohn
-und hat lodernde Sinne … Minchen Herzlieb hat tirilierende
-Augen und hat die Seidenbluse und das Röckchen
-voll Frühling … Husch &ndash; na, Husch hat vielleicht die
-Seele einer Lilie, die sich als singende Sehnsucht über das
-närrische Herz eines Mannes tastet … und Maria Reh
-lag als das Rätsel Weib in betörender Sonne und in den
-lustigen Halmen des Wachtelweizens &ndash; vielleicht hat sie
-auch ein bißchen gelockt: ›Junge, lieber Junge, komm und
-rat' mich!‹«</p>
-
-<p>So hatte Do ihre Gedanken in das Blühen und Singen
-des Frühsommermorgens hineingelassen und sah ihnen
-nach &ndash; »Vor mich aber hat er noch nicht einmal seine
-Augen hingestellt, damit sie sagten: Do, Du bist auch
-hübsch, und Du gefällst mir doch eigentlich sehr.« … Die
-Mädchen prickelten um seine vollen Sinne wie Sekt in
-einem neugefüllten Glase. »Warum prickelt er nicht um
-mich? Und wenn er gar einmal schäumte wie vor Gwendolin
-&ndash; man würde sich ja wohl helfen können … Und
-wenn nicht? &ndash; Na&nbsp;…«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_244">[244]</a></span></p>
-
-<p>Sie legte sich lang ins Moos und fühlte die warmen
-Hände der Sonne über ihre schlanken Glieder streichen.
-Es war süß und wohltätig. Sie bedeckte ihr Gesicht mit
-dem Sommerhute, der einen Kranz von kleinen, bunten,
-sehr lustigen Blumen hatte, aber gar nicht lärmend war,
-und schloß die Augen.</p>
-
-<p>So hörte sie Jakobus zurückkommen und ganz leise
-gehen.</p>
-
-<p>Er setzte sich neben sie, und sie wußte genau, daß er
-nicht dachte, sie wäre eingeschlafen. Warum ließ er sie so
-ruhig weiterspinnen an dem langen Faden ihrer Erwartung
-&ndash; warum prickelte er nicht?</p>
-
-<p>Die Augen unter dem Hute taten sich auf, und sie hatte
-sich über eine lange, schöne Strecke Lebens hingedacht &ndash;&nbsp;&ndash;
-Jakobus war da immer neben ihr gewesen und lächelte
-zurück auf die ferne Zeit seines jugendlichen Irrtums, in
-der er auf der Leiter geschwebt und die ›Gruppe aus dem
-Tartarus‹ gemalt hatte; denn danach hatte er in Jena die
-Naturwissenschaften studiert und hatte sich durch ein keckes
-gelehrtes Kunststück den <em class="antiqua">Dr. phil.</em> erworben.</p>
-
-<p>Nun war ihr, als müßte sie ihm den wachen Traum
-erzählen. Sollte sie ein bißchen Schicksal spielen, das in
-Gestalt eines Traumes durch ihren Schlummer gezogen
-sei? Konnte sie nicht wirklich eingeschlafen sein unter dem
-trauten Schirme des Hutes und unter den Zärtlichkeiten
-der Sonne?</p>
-
-<p>Aber das war ein plumpes Wagnis; denn lustig und
-schön war der Traum doch nur deswegen, weil er sie so<span class="pagenum"><a id="Seite_245">[245]</a></span>
-heiß, heiß lieb hatte und weil sie geholfen, ihm den Weg zu
-bahnen zur Hochschule und darüber hinaus.</p>
-
-<p>Doris Rinkhaus war keine von denen, die einem schimmernden
-Wunsche nachlaufen und mitten im Jauchzen
-den Boden unter den Füßen verlieren und um Hilfe rufen.
-Wenn sie sich jetzt aufrichtete und ihm den Traum erzählte
-&ndash; mochte er nun im Wachen oder im Schlummer
-zu ihr gekommen sein &ndash; dann geschah es ihr wohl, daß
-sie in ein Paar sehr blaue, sehr schöne und sehr wehmütige
-Augen sah, und daß Jockele die Achseln zog und sagte:
-»Der Gedanke ist hell wie ein Märztag und wie Doris
-Rinkhaus selber. Aber wenn ich den Willen hätte und
-die Kraft, nachzuholen, was ich zu diesem Ziele brauche &ndash;
-wo wäre das Geld?« Dann könnte sie lächeln und sagen:
-»Na, Sie guter, ahnungsloser Junge, reden Sie doch keine
-Dummheiten! Wenn ich Sie auf den Weg gesetzt habe,
-werde ich natürlich auch für das bißchen Geld sorgen&nbsp;…«</p>
-
-<p>Es fiel nun wirklich eine tiefe Finsternis um sie, in
-der auch die klaren Sonnenbrünnlein, die durch das Flechtwerk
-des Hutes sickerten, ganz versiegt waren. Alles
-heimliche Glück war fort. Sie dachte den Traum zu Ende
-&ndash; aber nach dem Worte Geld erschütterte sie ein Herzbeben.
-Sie preßte den Hut fest auf ihr Gesicht und dachte:
-»Dann würde er vielleicht seine jubelnden Arme um mich
-werfen, oder er würde die wilde Art kriegen, in der er mit
-dem Grabscheit auf sich losschlug, und würde sagen: ›Wissen
-Sie, daß Sie sich damit den Jakobus Sinsheimer kaufen?‹«
-Seine jubelnden Arme oder dies kecke Wort &ndash; beides war<span class="pagenum"><a id="Seite_246">[246]</a></span>
-in diesem Falle gleich gräßlich. Dieser letzte Gedanke
-schlug wild und häßlich durch sie hindurch. Sie richtete sich
-mit einem wilden Ruck empor&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Was haben Sie da wieder zusammengetragen? Und
-warum rufen Sie mich nicht?«</p>
-
-<p>»Haben Sie denn nicht geschlafen?« fragte er erstaunt.</p>
-
-<p>»Ach, Unsinn,« sagte sie.</p>
-
-<p>»Warum machen Sie solch ein verlorenes Gesicht?«</p>
-
-<p>»Ich hatte mich in einen Gedanken verfitzt. Er war
-dumm und kindisch.«</p>
-
-<div class="chapter">
-<p class="drop">Es lag nichts gefestigter in dem Wesen Dos als der
-Wille, sich das königliche Recht der Selbstbestimmung
-in allen Stücken zu wahren, zumeist in den Angelegenheiten
-des Herzens. Der Gedanke, daß sie sich verschachern
-könnte, hetzte ein ganzes Heer von Gespenstern
-auf sie.</p>
-</div>
-
-<p>Und es lag nicht minder in ihrer eigenwilligen Art,
-die nach keiner Seite hin eigensinnig oder gar verstockt
-war, sich den Platz an der Seite eines Mannes zu erkämpfen.</p>
-
-<p>Sie wollte nicht ›genommen‹ sein, wie man ein Stück
-aus dem Schaufenster des Krämers ersteht. Sie haßte
-lärmende Kleider und Hüte. Sie haßte die im Schwunge
-stehende Ausstellung, der die Mädchen gemeinhin huldigen,
-und konnte bitter und verächtlich von ihrem Geschlechte
-reden, wenn sie in den Zeitungen das verzweifelte
-Lockmittel der Mitgift ausgestreut fand.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_247">[247]</a></span></p>
-
-<p>Ihre Empfindlichkeit in diesen Dingen wurde von
-niemandem verstanden. Am wenigsten von Maria Reh.
-Man kannte diese Empfindlichkeit auch in der Stadt. Es
-gingen da Gerüchte von ihrem überschwänglichen Reichtume,
-aber man wußte, daß sie sich jedem mädchenhaften
-Flirt gegenüber ablehnend verhielt. Daraus wuchs dann
-die Sage von der himmlischen Liebe zu Jakobus &ndash; Maria
-Reh war daran nicht schuldlos; denn Do war durchsichtig &ndash;
-wie denn starke Seelen alles Versteckspiel verschmähen &ndash;
-und sie hatte der Freundin nicht verborgen, daß sie den
-Gedanken als einen lieben Genossen träumerischer Stunden
-hätschelte: einen Mann durch sie zu einem Sieger des
-Lebens werden zu sehen.</p>
-
-<p>Als Jakobus die lodernde Stunde hatte und das Feuer
-seines Zornes über sich und sein Werk dahinrasen ließ,
-weil er nicht hatte einlösen können, was ihm der Rausch
-eines schaffenden Glücks versprochen, da stand sie daneben
-und fiel ihm nicht in die Arme; denn ihr Herz bewunderte
-ihn und jauchzte ihm zu.</p>
-
-<p>Und sie fühlte, daß sie unter den drei Mädchen, die um
-ihn gewesen waren, die einzige sei, die Seite an Seite mit
-ihm stand. Maria Reh lähmte dieser heilige Brand &ndash;
-sie sah Wut und Enttäuschung. Husch sah ein Unglück und
-ging unter in Mitleid. Aber Doris Rinkhaus erkannte
-den Sieger.</p>
-
-<p>In jenem Augenblicke verschwieg sie sich Maria Reh;
-da hatten die Gedanken der Freundin freies Spiel, und
-sie erinnerte sich an Huschs krankhafte Furcht vor Do und<span class="pagenum"><a id="Seite_248">[248]</a></span>
-sagte zu sich: »Dieses Mädchen sieht mit ihren wunderlichen
-Ahnungen in Fernen, die unseren hellen Augen verschlossen
-sind.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Nun streifte Do mit Jakobus durch die heimatlichen
-Wälder. Sie fühlte, wie ihm das Herz aufging in Frohsinn,
-aber sie quälte sich mit einem Glück, vor dem ihr
-bange ward. Darüber verlor sie ihre Durchsichtigkeit
-für Jo.</p>
-
-<p>Sie kam in dem Kampfe mit sich selbst nicht zurecht;
-und vor dem einen &ndash; vor dem, was die zehntausend
-anderen für die einsamste Lösung gehalten hätten, prallte
-sie zurück.</p>
-
-<p>»Ueberlaß es der Zeit!« beriet sie sich und ward eine
-Stunde lang ganz frei und sorglos. Dann ärgerte sie sich
-darüber und sagte: »Er hat davongelaufene Jahre einzuholen
-&ndash; ich werde zu einer Feindin an ihm, wenn ich
-nicht rede!«</p>
-
-<p>Sie war nicht mit ihm gegangen, weil sie in den
-Wäldern von Ibenheim von ihm hören wollte: »Ich werde
-keinen Pinsel wieder anfassen!« Aber nun, da er es
-gesagt hatte, war sie ihren heimlichen Plänen näher
-denn je.</p>
-
-<p>Sie wußte auch nicht, daß es zuletzt doch nur ihr überlegenes
-Alter und ihr geschlosseneres Menschentum waren,
-was ihm seine sanfte Scheu auferlegte. Er kam nicht zu
-dem Gefühle, daß er ihre Klugheit und klare Art beherrschte,
-wie es der Mann in ihm forderte &ndash; die anderen
-Mädchen hatten ihm gegeben, was er wollte, er hatte sie<span class="pagenum"><a id="Seite_249">[249]</a></span>
-gleich in die Hände bekommen, wie er sie in den Sinnen
-hatte. Und Husch war gar in ihm untergegangen. Doris
-Rinkhaus aber hatte für ihn immer den Königsmantel
-um, auch wenn sie im Moose lag und die Zärtlichkeiten
-des Sommers empfand, als kämen sie ihr von seinen
-Händen und seinen Lippen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Sie hatten Sehnsucht nacheinander, wenn weiter nichts
-zwischen ihnen war als ein Streifen Sonne und Waldrauschen.</p>
-
-<p>Diese Sehnsucht war für ihn fremd und schön und sah
-genau so aus wie jene, mit welcher er den Prinzessinnen
-der Märchen nachgeträumt hatte, die sich von vier Schimmeln
-mit blauen Federstützen auf den Köpfen in einem
-goldenen Wagen durch den Wald kutschieren ließen.</p>
-
-<p>Und diese Sehnsucht war für sie ein ganz mädchenhaftes
-Wünschen nach junger Kraft und einem jubelnden
-Sieg über sie selbst.</p>
-
-<p>Aber so oft sie dachte, daß ihre Lippen verräterisch rot
-aufblühen könnten, ward sie noch wachsamer; denn sie
-sagte sich:</p>
-
-<p>»Wenn ich in diesem Kampf unterliege, komm' ich
-heim und habe seit zwei Jahren ein albernes Spiel mit
-mir und den Meinen getrieben&nbsp;…«</p>
-
-<p>Die Schablone des Durchschnitts konnte an diese beiden
-jungen Menschen gelegt werden so oder so &ndash; sie paßte
-nicht.</p>
-
-<p>Sie waren voll von den Drängen der Frühlingserde,
-aber sie streiften mit den Spitzen ihrer Finger die Säume<span class="pagenum"><a id="Seite_250">[250]</a></span>
-eines Himmels, den sie über sich gewölbt hatten in ihrer
-reichen und glaubensvollen Jugend. &ndash; Und zuletzt hatte
-sich Doris Rinkhaus doch in einen edlen Trotz des Herzens
-hineingelebt, der für Jakobus eine fremde, unnahbare
-Herrlichkeit war &ndash; er hatte für ihn um kein Mädchenherz
-gelegen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>So führten sie ihre Sehnsüchte spazieren im sommerstillen
-Bergwalde. Eins lief dem Herzen des anderen
-nach, und sie kamen sich doch nicht näher.</p>
-
-<p>Sie wanderten den weiten Weg zum Forsthaus an der
-Hörsel und fanden Matthias Prinz und das Zinzilein und
-das Kleine, dem der Kopf von hellgelben Haarringlein
-umweht war. Es hieß Maria und konnte sein junges
-Lachen schlagen wie ein Buchfink.</p>
-
-<p>Sie kehrten zurück in das Haus vorm Walde und hatten
-die Herzen voll Frohmut. Das Zinzilein war eine schlanke,
-junge Jägersfrau, war voll Waldfrische wie einst und suchte
-nach Geheimnissen an diesen beiden, wie sie nach Geheimnissen
-an Jockele gesucht hatte, als seine Augen voll
-erster heißer und seliger Ahnungen waren. Die Herzen im
-Jagdhause jubilierten hinter dem Zaun ihres Glücks, aber
-das war ein anderes Glück, als es die hochgemuten Träume
-suchen, die ausziehen, zu erobern.</p>
-
-<p>An diesem Abende rettete sich Do zu Tante Veronika.</p>
-
-<p>Jakobus war bei dem Pastor, mit dem er die Leiden
-und Freuden des zweiten lateinischen Uebersetzungsbuches,
-der Musterstücke aus lateinischen Klassikern und des Gallischen
-Krieges, durchlebt hatte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_251">[251]</a></span></p>
-
-<p>Tante Veronika hatte gefaßt den Bericht von der
-wilden Stunde im Baumwinkel angehört, dazu die lange
-Geschichte, die vom Tartarus bis zum Berge der Seligkeiten
-reichte; und sie wäre noch gefaßter gewesen, wenn
-ihr das Reich der Kunst, in dem Jockele ein Bürger sein
-wollte, nicht nur aus ferner genießender Betrachtung
-bekannt geworden wäre.</p>
-
-<p>Nun, als sie hinter der blauen Sommernacht und den
-sachte wehenden Vorhängen saßen, brachte Veronika
-wieder die Rede darauf. Es lag ihr daran, den Jungen
-glücklich zu sehen. Und Doris Rinkhaus ward ganz freudig
-in ihrem Bekenntnisse von dem Eifer, mit dem Jakobus
-in seinen Tagen gestanden hatte&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Er ist weiter gekommen als alle, die gleichalterig mit
-ihm sind,« sagte sie, »aber ich halte es doch nicht für richtig,
-ihm nicht wenigstens einen anderen Weg zu <em class="gesperrt">zeigen</em>.
-Dieser Weg ist nicht leichter und nicht schwerer, und doch
-scheint mir, als würde er durch die Wissenschaft, durch die
-Tore einer Universität hindurch zu reinerer Befriedigung
-gelangen, als sie ihm die Malerei jemals gewähren wird.
-Er hat ja darin gestanden, und er kann sich an jedem Tage
-zu ihr zurückfinden, wenn er zu der Erkenntnis kommt,
-daß es so am besten für ihn wäre.«</p>
-
-<p>Doris Rinkhaus ging da auf einem Pfade, an dessen
-Seiten sie alles Gestrüpp längst fortgeräumt hatte, und
-schritt ganz in Klarheit und Freude.</p>
-
-<p>»Er sollte die Naturwissenschaften studieren,« sagte sie,
-»und könnte damit vielleicht nach einem Jahre der Vorbereitung<span class="pagenum"><a id="Seite_252">[252]</a></span>
-anfangen. Läßt er dies Jahr jetzt verstreichen
-oder eine noch längere Zeit, so verschlägt er sich alle
-anderen Straßen ins Leben.«</p>
-
-<p>Sie erinnerte Tante Veronika an die äußeren Vorgänge,
-die ihn in die Akademie geführt hatten. Sie
-kannten auch beide seine Neigungen viel zu gut, als daß
-sie einander nicht mit gesteigerter Hellhörigkeit in die
-Herzen gelauscht hätten. Doris Rinkhaus ward leuchtend
-und umschien Tante Veronika als ein warmer Sommerhimmel.</p>
-
-<p>Auf einmal schob sie den blauen Vorhang der Nacht
-zurück, kniete der alten Dame zu Füßen und legte ihr die
-Hände in den Schoß&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Liebste Tante Veronika,« sagte sie, »schwören Sie
-mir, daß Sie ihm nichts von allem verraten, was ich
-Ihnen nun sage! Sie brauchen mir meinen Wunsch ja
-nicht zu erfüllen, aber schweigen müssen Sie; denn ich
-erbitte nichts für mich von Ihnen und von ihm!«</p>
-
-<p>Da gelobte ihr Fräulein Sinsheimer, daß sie ihre
-Worte als unverbrüchliches Geheimnis bewahren wollte.</p>
-
-<p>Und Do sagte: »Heißen Sie ihn diesen Weg gehen,
-und lassen Sie mich alle Kosten bestreiten! … Das ist
-es, wovon er nichts erfahren darf, bis ich es ihm selber
-sage &ndash;&nbsp;&ndash; Himmel, was ist mir dies Wort so schwer geworden!«
-sagte sie und atmete tief, »denn ich weiß, ich
-dränge mich damit in Sie hinein &ndash; Sie könnten auch
-meinen: ich dränge mich zwischen Sie und ihn. Aber nun,
-da es gesprochen ist, nun kann ich mir das Herz freireden!<span class="pagenum"><a id="Seite_253">[253]</a></span>
-… Ich glaube, Jockele würde nicht glücklich werden
-als Maler. Ich habe ihn viel froher, ja ich habe ihn ganz
-verwandelt gesehen vor der Natur und in dem Eifer, der
-in diesen Tagen aus der andern Zeit über ihn gekommen
-ist. Ich denke mir die Sache so: schalten wir drei Jahre
-der Studien in sein junges Leben, so bereichern wir ihn,
-und er wird dieser Jahre gedenken als einer stolzen Zeit,
-auch wenn er zu der Erkenntnis käme, daß er im Reiche
-der Kunst ein König hätte werden können. Dann mag er
-alles wieder aufnehmen, was einst sein war; denn von
-dem einmal eroberten Felde verliert er keinen Fußbreit
-Erde; aber das neue Land müßte für ihn versinken, wenn
-Sie ihn nicht jetzt auf die Wege in dies Land leiten.«</p>
-
-<p>»Haben Sie schon mit ihm darüber geredet?« fragte
-Veronika.</p>
-
-<p>»Nein,« sagte sie, »ich habe aber alles mit mir erwogen
-seit jener Stunde, in der ich ihn im Baumwinkel die große
-Leinwand begeistert aufrichten sah.«</p>
-
-<p>»Sie wußten also, daß es damit nichts werden würde?«</p>
-
-<p>»Nein &ndash; ich fürchtete es nur. Es hat nichts zu bedeuten.
-Enttäuschungen, wie sie am Wege wachsen und
-wie sie auf eine stürmische talentvolle Jugend an allen
-Enden warten! Es hat sicherlich nichts zu bedeuten,« beruhigte
-sie.</p>
-
-<p>»Warum wollen Sie ihm das nicht alles selber so schön
-und glücklich sagen?« forschte Veronika.</p>
-
-<p>Da senkte Do ihre Stirn auf die Knie der alten Frau
-und sagte: »Ich kann es ja nicht! Er würde mich auch an<span class="pagenum"><a id="Seite_254">[254]</a></span>
-Sie weisen, weil ich ihm nicht verraten darf, daß ich ihm
-die Mittel dazu anbiete. Oder er würde sich vorkommen
-als ein Ding, mit dem ich Versuche machen will, weil ich
-es mir so in mein närrisches, eigenwilliges Herz gesetzt
-habe; und er könnte aufwieglerisch werden und sagen:
-Probieren Sie das mit einem anderen oder mit sich selbst!«
-Da merkte sie, daß sie um die Sache klug und eindringlich
-herumredete … »Ach Gott,« sagte sie, »ich müßte Ihnen
-da wohl noch etwas erzählen, aber Sie wollen es nicht
-wissen; denn Sie fühlen, daß ich dafür keine Worte finde!«
-Dann richtete sie sich auf und trat wieder hinter den blauen
-Vorhang der Nacht: »Denken Sie so: was ich selbst bei
-meinen Eltern niemals durchzusetzen vermochte, und was
-ich auch nicht mehr wollte, als ich älter geworden war, das
-möchte ich nun an Ihrem Sohne zur Tat werden sehen!
-Ich hoffe, es wird ein großes Glück &ndash; hätte ich sonst zu
-Ihnen davon geredet?«</p>
-
-<div class="chapter">
-<p class="drop">In den nächsten Tagen war sie oft mit Veronika allein.
-Veronika sagte:</p>
-</div>
-
-<p>»Ich bin über die Jahre hinaus, in denen man sich in
-rauchende Begeisterung sinnt, und ich liebe ein klares
-und richtiges Sehen. Ich will mit Jakobus sprechen &ndash;
-nein, wir beide wollen mit ihm sprechen; denn Sie sollen
-sehen, wie er den Gedanken erfaßt. Aber das kann ich
-Ihnen schon sagen: ich gehe in großer Freude mit Ihnen;
-denn ich habe mich oft gefragt, ob ich in allen Stücken
-richtig mit dieser Jungenjugend verfahren bin.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_255">[255]</a></span></p>
-
-<p>So wurden sie sich über alles einig. Und am vierten
-Tage danach, zur Teestunde, baute Tante Veronika sicher
-und umsichtig den Plan vor ihm auf. Es konnte natürlich
-kein Geheimnis daraus gemacht werden, von welcher
-Seite er kam.</p>
-
-<p>Da jubelte Jockele nicht, und er war nicht betrübt, sondern
-blieb in allerschönster Ordnung und fragte besinnlich:
-wie es denn mit dem Gelde wäre?</p>
-
-<p>»Sie würde dafür sorgen,« sagte Tante Veronika.</p>
-
-<p>Da sagte er: »Es ist ein sehr weiter Weg, aber er ist
-verlockend, und Du hast ein großes Vertrauen zu mir.«</p>
-
-<p>Dann ging er hinüber in die Gartenhütte und blieb
-dort allein bis zur Stunde des Nachtmahls.</p>
-
-<p>Was sollte das heißen? Das kleine blühende Waldmädel
-hatte zuerst zu ihm gesagt: »Du mußt ein Naturforscher
-werden.« Und nun wachte dies Wort eines Kindes
-noch in dem alten, lieben Haus und durchlief als Echo
-alle Winkel und Herzen. Und Doris Rinkhaus, die ihr
-Leben so fest in den Händen hielt, fing den silbernen Ball
-und warf ihn ihm zu. Wollte sie damit sagen: »Jakobus
-Sinsheimer, haben Sie denn an der ›Gruppe aus dem
-Tartarus‹ nicht erkannt, daß Ihre Kunst bankrott ist?«
-Wollte man ihm die Einsicht Dos verheimlichen und ihn
-schonen? Oder dachten sie, daß er durch sein wurzelgründiges
-Verfahren im Baumwinkel diesen Bankrott selbst
-angesagt hätte und nun nicht mehr wüßte, wohin er sich
-wenden sollte? … Wenn er wirklich einmal zu der Erkenntnis
-käme, daß er damals Maria Reh in einen Irrtum<span class="pagenum"><a id="Seite_256">[256]</a></span>
-hinein gefolgt sei, in den ihn der Jammer jenes
-fremden Sterbens im Winterwalde gedrängt hatte &ndash;
-was dann?</p>
-
-<p>Nun, dann mußte er doch noch von neuem zu lernen
-anfangen, um sich eine Stellung im Leben zu erkämpfen,
-vielleicht einen mühseligen, armen Posten.</p>
-
-<p>Es war zum zweiten Male, daß er so ans Rechnen
-geriet. Einst, wenn Tante Veronika die Augen schloß,
-mußte er sie beerben. Er hatte sich nie um ihre Vermögensverhältnisse
-gekümmert, Wenn sie ihren kleinen
-Schatz seinetwegen in diesen letzten Jahren ihres Lebens
-verringerte, wenn sie in jedem Monate davon nahm, um
-ihm zu geben &ndash; konnte sie ihn nicht eines Tages rufen
-und zu ihm sagen: »Jakobus, Du mußt nun auf Dir selbst
-stehen; denn alle Güte und Liebe einer Greisin kann die
-kleine Truhe nicht mehr mit Gold füllen. Ich habe Dir
-alles gegeben, was ich hatte, bis auf den kargen Rest, an
-dem ich mich ins Grab leben muß.«</p>
-
-<p>Was dann?</p>
-
-<p>Sie hatte ihm gesagt, für fünf oder sechs Jahre, und &ndash;
-wenn er mit dem auskommen könnte, was sie für ihn bestimmt
-hatte &ndash; wohl auch noch für länger, wollte sie mit
-dankbarer Freude für ihn sorgen.</p>
-
-<p>Aber was dann?</p>
-
-<p>Mit dieser Frage in den Augen erschien er beim Nachtmahle.</p>
-
-<p>… »Ich habe wohl ein bißchen in den Tag hinein
-gelebt,« sagte er; »ich weiß nicht, ob nach der Art der vielen<span class="pagenum"><a id="Seite_257">[257]</a></span>
-oder nach meiner eigenen. Es schadet nicht, wenn ich besinnlicher
-werde.«</p>
-
-<p>Er redete das aus einer Versonnenheit des Herzens
-heraus, in die er in der Gartenhütte geraten war, und es
-klang, als hätte er ganz vergessen, daß die Frauen mit ihm
-zu Tische saßen.</p>
-
-<p>»Es ist aber ein wunderlicher Kram, wenn einer sich
-schieben läßt aus der einen Sache in die andere. Das
-darf nicht sein, wenn er nahe an die Zwanzig gerückt und
-ein so langer, gesunder Mensch ist, der schon einmal ein
-Galeriestück, ein Monumentalgemälde verpatzt hat&nbsp;…«</p>
-
-<p>Darüber wachte er auf und lachte.</p>
-
-<p>»Du sollst gar nicht geschoben werden,« sagte Tante
-Veronika.</p>
-
-<p>»Ich habe das auch nicht so gemeint,« sagte er und hatte
-seine hellen Augen wieder. »Ich reise morgen früh nach
-Weimar und will zusehen, wie man so etwas eigentlich
-macht. Es ist eine feine Sache, meine Damen,« scherzte
-er, »aber sie ist für den, der sie angreifen möchte, doch
-etwas ganz Ungeheuerliches. Heute früh sagte ich noch:
-ich habe einen solchen Haufen Naturwissenschaft im Kopfe,
-daß ich mich wundere, wohin das alles über dem Armen
-Heinrich und dem Tartarus und den Stößen von Akten
-und Landschaften gekommen war. Ich habe auch gedacht,
-es ließen sich drei dicke Bände damit füllen &ndash; aber nun,
-da ich nicht mehr damit spielen soll, ist auf einmal nichts
-Gescheites mehr vorhanden …« Er verfiel wieder in das
-Alleinsein &ndash; »Jakobus Sinsheimer, Du sollst Student<span class="pagenum"><a id="Seite_258">[258]</a></span>
-werden! Du Waldjunge, Du Schmetterlingsjäger, Du
-Stein- und Pflanzensammler, Du Zigeunerfindling sollst
-an die Türen der Hochschule klopfen und Einlaß fordern! …
-Es sitzt da einer an seinem Tische und fragt:
-Auf welchem Gymnasium waren Sie?«</p>
-
-<p>»Auf keinem.«</p>
-
-<p>»Wo haben Sie Ihre Zeugnisse?«</p>
-
-<p>»Es sind keine da.«</p>
-
-<p>»Na, zum Teufel, was haben Sie denn überhaupt für
-eine Vorbildung?«</p>
-
-<p>»Ich habe meinen Armen Heinrich verkauft. Ich habe
-eine Gruppe aus dem Tartarus zerhauen. Ich kann die
-Klassen des Linnéschen Systems seit vier Jahren vor- und
-rückwärts aufsagen. Ich weiß etwas von den Wundern
-des Radiolarienschlammes und von den vier Klassen der
-Grundformen bei den Organismen. Ich weiß&nbsp;…«</p>
-
-<p>Und der Mann an dem Tische sagte: »Damit können
-Sie sich allenfalls ein paar Kollegs &ndash; nicht ohne Nutzen
-für sich selbst &ndash; schinden, wenn Sie sehr viel Zeit haben.
-Aber keine noch so verliebte Thüringerwaldfreude ersetzt
-Ihnen die mangelnde Matura, junger Mann&nbsp;…«</p>
-
-<p>Doris Rinkhaus und Tante Veronika aßen in frohem
-Zuhören darauf los. Auch Jockele kam über seinem neunzehnjährigen
-Appetit nicht dazu, dieses Selbstgespräch als
-prasselndes Feuerwerk steigen zu lassen. Er redete mit
-langen Unterbrechungen.</p>
-
-<p>Seit seinem achtzehnten Auffindungstage nannte er
-sich mit Stolz neunzehnjährig, und er hatte sich seit seinem<span class="pagenum"><a id="Seite_259">[259]</a></span>
-Hiersein oft von Tante Veronikas großem Schrankspiegel
-bestätigen lassen, daß sein hoher, geschlossener Aufbau mit
-gutem Recht Ansprüche auf Dreiundzwanzig geltend
-machen könnte. Er hatte sich auf dem Gang in den Tartarus
-ein Rasiermesser angeschafft, dem der Schnurrbart
-zwar noch bis auf weiteres zum Opfer fiel. Aber vor
-den Ohren hatte er sich kecke Kotelettchen stehen lassen, die
-ihm seine Mannhaftigkeit hinreichend bezeugten.</p>
-
-<p>Dem jungen Zigeunertume, das immer ein bißchen
-ungewaschen daherschreitet, und das den Robespierrekragen
-und den in der Hand getragenen Hut sowie ein
-durch mancherlei Aeußerlichkeiten betontes Wesen als zur
-›richtigen Genialität‹ gehörig betrachtete, war er geschmackvoll
-aus dem Wege gegangen.</p>
-
-<p>Er huldigte von Tante Veronika her dem lästerlich zur
-Schau getragenen Glauben, daß ein zweimaliges Vollbad
-in der Woche dem Menschen genau so nötig wäre wie
-jedem Tage ein noch so bescheidenes warmes Essen.</p>
-
-<p>Einmal hatte er sich in einem Ringe junger Maler zu
-der rauchenden Auflehnung verstiegen: es wäre eine
-brüchige Weisheit geworden: ›Sage mir, mit wem Du umgehst,
-so will ich Dir sagen, wer Du bist‹ &ndash; es müßte
-heißen: ›Sage mir, wie oft Du badest, so will ich Dir sagen,
-was Du wirst‹. &ndash; Er hatte wenig Verständnis mit dieser
-unerhört rebellischen Anschauung gefunden.</p>
-
-<p>Als er alle großen Steine mit Sorgfalt auf den Weg
-gefahren, erklärte ihm Do: sie hätte mit Tante Veronika
-vereinbart, den Sommer über im Frühlingshause zu<span class="pagenum"><a id="Seite_260">[260]</a></span>
-wohnen; denn es liefen so viele und so glänzende Fäden
-aus dem älteren Herzen in das junge, daß sie eine sehr
-schöne und reiche Zeit vor den Toren des Waldes genießen
-wollte.</p>
-
-<p>»Sie scheinen diesen Tag mit Neuigkeiten angefüllt zu
-haben bis zum Rande,« sagte Jockele und sah sie lange an.</p>
-
-<p>»Den Winter über reise ich vielleicht nach Bonn, oder
-ich bleibe in Weimar &ndash; ich weiß das noch nicht. Ich will
-aber meine Wohnung im Gartenhaus am Horn nicht aufgeben.«</p>
-
-<p>»So!« sagte Jockele und setzte das kleine Wort hin wie
-ein Siegel. Er war horchend geworden &ndash; »Ist das etwa,
-weil ich gedacht habe, ein so langer und so alter Mensch
-dürfe sich nicht aus einer Sache in die andere schieben
-lassen?«</p>
-
-<p>»Nein,« sagte sie.</p>
-
-<p>»Dann werde ich sehr einsam sein.«</p>
-
-<p>»Wissen Sie, daß wir uns im Baumgarten oft wochenlang
-kaum gesehen haben?«</p>
-
-<p>»Es ist wahr,« sagte er &ndash; »in Zeiten, in denen ich
-sehr fleißig gewesen bin.«</p>
-
-<p>Am andern Morgen reiste er nach Weimar. Als er
-unter den Kastanien durch den Garten schritt, sah ihn
-Maria Reh kommen und lief ihm entgegen.</p>
-
-<p>»Wie steht es mit Husch?« fragte er.</p>
-
-<p>»Der Arzt hat sie in eine Nervenheilanstalt geschickt,«
-sagte sie; »er erklärte für ausgeschlossen, daß sie je wieder
-in Ihre Dienste träte. Sie haben einen ganz wilden Einfluß<span class="pagenum"><a id="Seite_261">[261]</a></span>
-auf dies Mädchen gehabt und haben Sie physisch und
-seelisch zerbrochen.«</p>
-
-<p>»Ich habe gar nichts dazu getan,« sagte er; »aber vielleicht
-wäre ich ihr Schicksal geworden.«</p>
-
-<p>»Das ist die selbstsüchtige, harte Männerart &ndash; ›ich habe
-gar nichts dazu getan!‹ Hätten Sie sie früher fortgeschickt!
-Nun müssen Sie doch auch ohne das arme Geschöpf auskommen.«</p>
-
-<p>»Nun! Nun ist das ganz etwas anderes.«</p>
-
-<p>Er ging mit ihr durch sein kleines Haus &ndash; »Husch
-ist wirklich nicht mehr darin!« sagte er, »das haben nicht
-ihre Hände getan!«</p>
-
-<p>»Nein, ich selbst habe ein bißchen Ordnung geschafft.«</p>
-
-<p>Dann ging er mit ihr durch den Garten und setzte
-sich an den Tisch mit der machtvollen Bank, die am Südzaune
-steht, und erzählte ihr, wie es mit Do und mit
-ihm wäre.</p>
-
-<p>Maria Reh fand das unerhört. Sie faßte den Plan
-als einen ganz persönlichen Kampf Dos gegen sie auf, so,
-als ob sich Do ärgerte, weil Maria Reh Jakobus aus dem
-Bergwald in die Akademie gebracht hatte … »Nun will
-sie mich übertrumpfen und will Sie in die Universität
-führen!«</p>
-
-<p>Sie sagte das, als hätte sie einen Stengel Wolfsmilch
-zwischen den Zähnen.</p>
-
-<p>»Die Sache sieht also genau so aus, als würde ich zum
-drittenmal in die Schule gebracht,« lachte Jockele, »zuerst
-von Tante Veronika, dann von Maria Reh, zuletzt von<span class="pagenum"><a id="Seite_262">[262]</a></span>
-Doris Rinkhaus … Aber dies dritte Mal findet Jakobus
-Sinsheimer seinen Weg allein.«</p>
-
-<p>»Sie denken überhaupt daran, ihn zu gehen?«</p>
-
-<p>Er zog die Achseln &ndash; »Es läßt sich doch nicht so ohne
-weiteres von der Hand weisen. Einstweilen: auf gute
-Nachbarschaft, liebe Maria!«</p>
-
-<p>Sie schlug herzhaft in die dargebotene Rechte; und wie
-er sich abwandte, rief sie ihm nach: »Auf gute Nachbarschaft
-&ndash; bis Sie sich selbst untreu werden!«</p>
-
-<div class="chapter">
-<p class="drop">In die Akademie kam er in den folgenden Tagen nicht.
-Er war wieder einmal innerlich zerrissen. Sein Häuschen
-war bis unter das Dach voll von der anderen Zeit.
-Im Schuppen lag der zertrümmerte Berg der Seligkeiten
-&ndash; es waren Leinwandfetzen voll blutrotem Leuchten
-dabei, das er damals mit erschauernder Hand aus dem
-innersten Herzen Gottes heraus gemalt hatte.</p>
-</div>
-
-<p>Er wollte mit Gwendolin reden. Aber er suchte sie
-dann doch nicht. Warum auch? Daheim hatte er so selbstbewußte
-Worte gehabt, nun fastete er seine Seele durch
-eine verlorene Stille und wußte nicht, was das werden
-sollte.</p>
-
-<p>Aber eines Tages saß er im Zuge nach Jena &ndash; es
-jährte sich nun, daß ihn Gwendolin so hart auf den Rand
-des Lebens aufgeklopft hatte &ndash; und eine Stunde später
-stand er im Zimmer Ernst Haeckels.</p>
-
-<p>Es war die Stunde, von der er später nicht wußte, woher
-er den Mut genommen hatte, sie zu erleben.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_263">[263]</a></span></p>
-
-<p>Der greise Professor war nicht mehr im Amte. Er
-saß in seinem Lehnstuhl und schaute ihn aus seinen gütigen,
-hellen Augen an und ließ sich erzählen, wie es um diesen
-Jockele stand. Dann wurde ein Gespräch geführt, welches
-jenem nicht unähnlich war, das sich über dem Nachtmahl
-am Tische zu Ibenheim ereignet hatte.</p>
-
-<p>Er sagte dem alten Herrn manches kluge und gute
-Wort &ndash; es muß verraten werden, daß er in diesen Tagen
-Goethes naturwissenschaftliche Schriften gelesen hatte und
-an Haeckels ›Kunstformen der Natur‹ betriebsam herangetreten
-war, damit er die Fahrt in das neue Land wohl
-ausgerüstet anträte.</p>
-
-<p>Eine Stunde mit einem bedeutenden Menschen verbracht,
-bleibt lebendig bis an die Pforten des Todes. Eine
-Stunde, die das Licht eines großen Mannes durchstrahlt,
-wandelt sich für sehnsüchtige Hände zu einer Wunderlampe
-&ndash; Türen der Finsternis springen vor ihr auf und
-werden Glanz, Schlacken werden Brand und Steine
-fangen vor ihr an zu blühen&nbsp;…</p>
-
-<p>Als er wieder auf der Straße stand, fand er den Erobererschritt
-aus der Gegend des Tartarus. Er fühlte
-Flügel, wo er die Arme trug, und es war wieder eine
-Fackel in seiner Hand &ndash; just wie damals, als er der Welt
-das neue Licht zu bringen hatte.</p>
-
-<p>An diesem Abende saß er nicht über den Naturwissenschaften.
-Er schrieb einen Brief nach Ibenheim, der war
-stolz und mutig, aber er hütete sich doch vor Flügen, die
-ihm &ndash; so nahe dem Baumwinkel und den Trümmern des<span class="pagenum"><a id="Seite_264">[264]</a></span>
-Berges der Seligkeiten &ndash; ihre Gefahren hatten. Doris
-Rinkhaus mit den sichtigen Augen würde diesen Brief
-auch lesen, und sie war Zeuge seines jammervollen Absturzes
-gewesen.</p>
-
-<p>Darum wog er jedes Wort und setzte es hin, als verschriebe
-er dem anderen seine Seele: »Ich will nun doch
-nicht mit beiden Füßen in das tiefe Meer springen, das
-sich vor mir aufgetan hat. Ich sehe unter den Rändern
-des fernen Himmels einen Saum, der vielleicht nur eine
-Spiegelung der Luft ist, aber es kann auch eine neue Welt
-sein. Ich will ruhig meines Weges fahren … Es muß
-nicht die Matura sein, es geht auch mit dem Einjährigenzeugnis
-der Kunstschule, es geht zwar nur bis zur kleinen
-Matrikel &ndash; aber wenn dann der Maler den Studierenden
-der Naturwissenschaften nicht aus dem Felde geschlagen
-hat, wird es ja wohl auch weiter gehen. Im
-Oktober hol' ich mir die Berechtigung zum einjährig-freiwilligen
-Militärdienst&nbsp;…«</p>
-
-<p>Es war ein langer und klarer Brief, klar bis zur
-Schwunglosigkeit. Er verbarg das Glück an dem gefundenen
-Wege nicht, aber der Tartarus war zu nahe, und
-die vielen Pinsel in der alten Blumenvase mahnten zu
-einer höchst gemäßigten Begeisterung.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Ein Mensch von tüchtiger Art gerät in Irrtümer und
-kann darüber mit sich und der Welt zerfallen; einem
-Windhund passiert das nicht; denn sein ganzes Leben ist
-ein Irrtum.</p>
-
-<p>Es könnte einer sagen: dieser junge, gesunde und kluge<span class="pagenum"><a id="Seite_265">[265]</a></span>
-Mensch &ndash; warum setzt er sich nicht ein Jahr hinter die
-Bücher und läßt sich testieren, was er gelernt hat? Es
-warten Tausende von jungen Leuten in der Welt auf ein
-Glück, wie es ihm in den Schoß fällt; aber er steht halb unentschlossen
-davor &ndash; es fehlt ihm der Trieb, und er ist
-zuletzt doch nur ein Blender.</p>
-
-<p>Aber Jockele durchlebte in diesem Sommer einen
-wilden und bitteren Kampf mit sich selbst; denn es ward
-herrschend, was die Erziehung in sorgsam gehüteten
-Jungenjahren an ihm getan hatte. Nun zeigte man ihm
-ein neues Land der Verheißung und sagte: »Dies alles
-will ich Dir geben, wenn …« Und auf der anderen Seite
-stand Maria Reh, die ihn damals zu sich selbst geführt
-hatte, und kämpfte um ihn. Sie war verärgert und hatte
-der kunstbeflissenen Jugend erzählt, daß man ihn schiffbrüchig
-machen wollte.</p>
-
-<p>So rissen die Tage an ihm herum, und er war froh,
-als die langen Sommerferien Ruhe brachten.</p>
-
-<p>Er saß da ganz einsam im Baumwinkel am Horn, aber
-die Naturwissenschaften standen hoch oben auf dem Bücherregale;
-denn danach fragte man ihn in der Oktoberprüfung
-nicht. Es klangen auch die Worte Ernst Haeckels in ihm
-nach: er wisse so viel wie ein Student im dritten Semester.
-Das hatte er im Spiel mit Wald und Quell, mit Stein und
-Wiese gelernt. Er wußte nun auch, daß es im Grunde die
-Naturwissenschaften gewesen waren, die ihn zur Kunst
-geführt hatten. Seine Freude an Farben, Formen und
-Licht war eine Gegengabe der Natur, die er als Künstlerin<span class="pagenum"><a id="Seite_266">[266]</a></span>
-belauscht hatte, und deren Kunsttrieben er in heimlicher
-Entdeckerlust nachgegangen war.</p>
-
-<p>Doris Rinkhaus hatte ihm nicht geschrieben. Sie
-bedrängte Tante Veronika nicht, aber sie quälte sich doch
-an dem ruhevollen Zuwarten der alten Freundin, und
-die Frage trat groß und voll Rätsel vor sie hin: warum
-diese Begeisterungslosigkeit bei solch einem jungen Menschen,
-der mit Augen voll Wundern durch seinen Bergwald
-zog?</p>
-
-<p>Es wurde so karg zwischen ihnen, daß erst um die
-Mitte des Septembers ein Brief kam, der von der
-Oktoberprüfung redete, und wie er wohlgerüstet hineinschritte.
-Er hätte auch viele Tage gemalt, und die Sorge
-um das Lernen, die zu Anfang groß gewesen, wäre ihm
-zuletzt ganz aus dem Sinne gekommen&nbsp;…</p>
-
-<p>Gwendolin hatte Weimar im September für immer
-verlassen. Ehe sie ging, hatte sie ihn noch mit Felidora
-Ritter bekannt gemacht. Das war etwas ganz Neues,
-Schlankes und Schwärmerisches. Sie sah aus wie ein
-reifes Kornfeld mit Mohn und Cyanen und war Kunstgewerblerin.
-Sie war eine von jenen, welche die Männer
-&ndash; wenn sie brünett und sehr jung sind &ndash; schon über dem
-Begegnen in gehobene Stimmung versetzen. Dazu kam
-für Jockele, daß sein Herz einen Sommer lang verwaist
-gewesen war wie nie im Leben. Da zog er alle Wimpel
-und Segel hoch und fuhr der ährenblonden Felidora
-entgegen.</p>
-
-<p>Es war eine lumpige Zeit. Sein Herz hing wie die<span class="pagenum"><a id="Seite_267">[267]</a></span>
-Weltkugel aus Blech an einem dünnen Faden und pendelte,
-wohin er es stieß.</p>
-
-<p>Manchmal fiel ihm ein, daß die Prüfung nahe wäre.
-Er hatte da einen Stapel Bücher auf dem Tisch und schlug
-hin und her eins auf: dürftiger Kram, den er kannte, und
-der neben ihm lag. Und davor hatte ihm auch nur eine
-Stunde gebangt? &ndash; Es sah in ihm aus wie in seinem
-Häuschen, das er den Sommer über selbst in Ordnung
-gehalten hatte. Das Gartenhaus Dos stand nun seit zwei
-Monaten mit geschlossenen Augen&nbsp;…</p>
-
-<p>Darüber bekam die tiefe Schattenstille und grüngoldene
-Einsamkeit Stimme und sagte: »Jakobus Sinsheimer, was
-ist das mit Dir? Da sitzt die blonde Felidora in dem
-Stübchen Gwendolins &ndash; warum nimmst Du sie Dir nicht?
-Es ist ein feines, hohes und sommerliches Mädchen&nbsp;…«</p>
-
-<p>Er ließ sein Herz reden, bis es durstig wurde. Dann
-lief er mit begehrlichem Munde zu ihr. Und als er sie
-fand, führte er sie auf dem alten Wall unter den hohen
-Kastanien durch die Schlüpfe im Zaun.</p>
-
-<p>»Eigentlich fürchte ich mich vor Ihnen,« sagte sie. »Auf
-diesem Weg ist Gwendolin und Husch und Minchen Herzlieb
-gegangen und Maria Reh und Doris Rinkhaus. Alle
-in zwei Sommern. Es ist ja ein ganzes Heer&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Und Felidora, meine große Sehnsucht,« setzte er
-hinzu. »Die anderen sind alle von selber gekommen, aber
-Felidora hab' ich gesucht &ndash; schon seit einer Woche.«</p>
-
-<p>Da ging sie mit in den Baumgarten.</p>
-
-<p>Sie hatte ein buntes und freudiges Kleid an, und in<span class="pagenum"><a id="Seite_268">[268]</a></span>
-ihrer Stimme war ein Klang aus sommerlichen Feldbreiten,
-voll von zitterndem Glanze.</p>
-
-<p>Jockele dachte: »Man möchte sich an Dich hinschmiegen
-wie in die Aehren, die über den Sommerrainen wehen.«</p>
-
-<p>Dabei sah er sie an, und sie sagte: »Jawohl, ich fürchte
-mich doch vor Ihnen.«</p>
-
-<p>»Das ist fein,« sagte er und faßte sie so sachte unter
-und schritt mit ihr über die blanken Netze, die auf der
-Baumwiese lagen. Da verfingen sich ihre Füße in den
-Maschen von Gold, und sie sanken in das Gras.</p>
-
-<p>Die Grillen sangen, als ob es Zeit der ersten Mahd
-wäre. Aus den Feldern zog noch der Duft von gebackenem
-Brot, aber die Felder waren längst abgeerntet. Und hin
-und wieder sprang ein reifer Apfel ins Gras. Das war
-unter dem Regen und der Sonne des Septembers noch
-einmal so wogehoch und blumig geworden, daß die Hasen
-darin Pfingsten feiern konnten.</p>
-
-<p>In diesem Grase küßte er sie, und sie wollte sich mit
-ihren Händen schützen.</p>
-
-<p>»Es tut nicht weh!« sagte er.</p>
-
-<p>»Nein?« fragte sie.</p>
-
-<p>»Guck an, wie fein Du küssen kannst!«</p>
-
-<p>»Es ist mir ja gar nicht eingefallen, Sie zu küssen.«</p>
-
-<p>»Du brauchst auch gar nicht! Aber leiden mußt Du es.«</p>
-
-<p>So schäkerten sie sich ganz hinein in das goldene Netz.
-Den Hut und die Handschuhe und die Tasche Felidoras
-hatten sie noch rasch daneben hingelegt. Und auf dem
-hohen Walle saß der Sommer und warf einmal eine<span class="pagenum"><a id="Seite_269">[269]</a></span>
-grüne Schale vom Kastanienbaum, da sprangen die braunen,
-reifen Früchte heraus.</p>
-
-<p>Das Gebüsch des Baumwinkels hielt alle Hände über
-sie, und Jockele rauschte wie das Meer, wenn sich die
-Morgensonne hineinstürzt.</p>
-
-<p>»So &ndash; nun laß Dir mal noch was für morgen,« sagte
-sie ernsthaft. »Du bringst mich ja um mich selber! Jetzt
-gehen wir hinein, oder wir gehen hinaus ins Feld, und
-Du liest mir das Hexenlied vor.«</p>
-
-<p>Da bekam er weite Augen und suchte nach dem Faden,
-an dem der Tag mit diesem Gedichte aufgereiht war.</p>
-
-<p>Sie merkte das und rettete sich rasch in die Höhe und
-sagte: »Denkst Du denn, man kennt in Weimar nur Deine
-irdischen Lieben?«</p>
-
-<p>Er besann sich, wie er an dem Hexenliede wild geworden
-und in pathetischem Rausch auf die Leiter vor Dos
-Fenster gestiegen war. Der mädchenhafte Schwatz, den
-nur Maria Reh betrieben haben konnte, fiel ihn jäh an.</p>
-
-<p>In diesem Augenblick schlug er sich auf und riß das
-Kapitel Maria Reh heraus und warf es in den Winkel
-zu dem Fastnachtsspiele Minchen Herzlieb.</p>
-
-<p>»Wie solch eine große und füllige Person ihren Nachbarn
-das Leben verleidet!« sagte er. »Sie ist wie der
-Papagei, der nebenan auf der Mauer steht und alle
-Sonnenruhe in Fetzen reißt. Sie braucht immer ein
-Tamtam und haut an alle Herzen. Sie ist eine Gehässigkeit
-oder eine Geschmacklosigkeit &ndash; und dies alles, weil
-sie keiner geheiratet hat!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_270">[270]</a></span></p>
-
-<p>»Einst war Maria Reh aber Deine himmlische Liebe.«</p>
-
-<p>»Na ja!« &ndash; Er schütterte sich lachend wieder hinein in
-die frühere Helligkeit; die blühte in roten Küssen wie Mohn
-im Sommerkorn.</p>
-
-<p>»Wir müssen doch hineingehen,« sagte er; »denn ich
-berausche mich über dem lauten Lesen an meiner Männlichkeit.«</p>
-
-<p>»Da auch?« neckte sie.</p>
-
-<p>»Es ist aber nicht mehr so schön und still bei mir und
-von so sehnsüchtig-schmerzlicher Hingebung umrankt wie
-einst, als ich … als ich noch Maler war … Setz Dich
-so,« sagte er, »mit dem Rücken nach mir!«</p>
-
-<p>Er drehte ihr den Lehnstuhl herum, daß sie nun den
-kleinen Ofen ansehen mußte.</p>
-
-<p>Er hatte auf einmal ein ganz feierliches Herz und eine
-feierliche Stimme, und dann las er und schaute manchmal
-auf, ob sie sich nach ihm umwende.</p>
-
-<p>Weil sie andächtig war, als hörte sie mit geschlossenen
-Augen zu, schwelgte er sich in ein blutrotes Martyrium
-hinein. In ein tiefes Erleben wollüstiger Schmerzen. Es
-rollte Donner aus der Klosterzelle des Mönchs Medardus,
-es jauchzte das wilde, verbotene Lieben, es klagte der
-Jammer, es jubelte der Sieg. Und als er geendigt hatte,
-wandte sich Felidora nicht um. Er lehnte am Fenster
-und fühlte, wie der Schweiß an seinen Schläfen herniedersickerte.
-Sie blieben noch lange so.</p>
-
-<p>Da krähte Tante Veronikas kleine Standuhr keck über
-das verebbende Meer, das da aufgewühlt war, und Felidora<span class="pagenum"><a id="Seite_271">[271]</a></span>
-sprang empor und warf ihre Arme um ihn und
-sagte: »Das war schön und groß! Und solch ein Mensch
-setzt sich in solch einen Winkel und rät an sich herum, was
-er werden soll? Werde Schauspieler, Jakobus!«</p>
-
-<p>Sie jubelte das heraus, wie die Pendule ihren silbernen
-Schlag. Sie jubelte das mitten in die Stunde hinein, in
-der er das Kapitel Maria Reh aus seinem Leben gerissen
-hatte; und Doris Rinkhaus war weit, weit von ihm. Husch
-allein war nahe und fastete sich so durch ihre weißen
-Tage, an denen er selbst sacht und karg geworden war.
-Das Pathos des Berges der Seligkeiten fiel noch mit
-schönem, purpurnem Leuchten über ihn … Und nun
-standen Felidoras blaue Schwärmeraugen vor ihm und
-warfen ein fremdes, nie gesehenes Licht in seine Seele.</p>
-
-<p>Aber es zuckte ein Wetterleuchten an dem dämmerigen
-Himmel seines Herzens. &ndash; »Wenn sie das sagt,« dachte er,
-»so bin ich nichts weiter als ein Tag in ihrem Leben! Sie will
-nichts von mir; sie hält keine Rechnung in den Händen wie
-Minchen Herzlieb und sagt nicht: das und das bist Du mir
-schuldig geworden. Ich bin ihr wieder einmal zu jung,
-und sie wollte nur sehen, wie so etwas gemacht wird.«</p>
-
-<p>Die Gedanken flogen in ihm auf wie verstürmte Vögel.</p>
-
-<p>»Ich hüpfe immerfort auf Schwellen,« sagte er, »seit
-drei Monaten immer so in keuchendem Schwunge …
-Naturforscher, Maler, Bräutigam, Schauspieler, <em class="antiqua">Primo
-amoroso</em>, Spitzenreiter, Zerstörer des Berges der Seligkeiten,
-Zigeuner, Hypnotiseur &ndash; hast Du die Stirn, zu
-sagen, ich hätte es mit achtzehn Jahren zu nichts gebracht?<span class="pagenum"><a id="Seite_272">[272]</a></span>
-Komm!« rief er und langte den Hut vom Nagel am Türpfosten
-herab und drückte sich ihn keck aufs Ohr.</p>
-
-<p>»Wohin?«</p>
-
-<p>»Eine Laute will ich mir kaufen und Schellen an den
-Hut &ndash; so, weißt Du, so!«</p>
-
-<p>Er wogte in komischen Sprüngen vor ihr hoch und
-nieder und hatte die Augen voll Hexenlied und Juchhei.
-Dann warf er den Hut auf den Stuhl und tobte in Anderthalbmeterschritten
-durch die Stube.</p>
-
-<p>Da ließ sie ihn toben und setzte sich mit ihrer lichten
-Sommerhelligkeit auf den Stuhl und sagte: »Du, ich
-glaube, Du bist ein richtiges Genie.«</p>
-
-<p>»Ja, ja, Genie!« sagte er. »Genie, das hab' ich in der
-langen Reihe der Gipfelhöhen meines ruhmreichen Daseins
-vorhin vergessen!«</p>
-
-<p>»Ach, komm doch zu Dir! Solch ein tragikomisches Gesicht
-paßt nicht für Dich und bringt mich wieder zum Fürchten.«</p>
-
-<p>Da zog er ihr das Kleid zurecht, und sie ließ sich von
-ihm fertigmachen zum Ausgang.</p>
-
-<p>»Heut abend gehen wir ins Theater. Was ist heute?«</p>
-
-<p>»Die Räuber. Und morgen Pygmalion.«</p>
-
-<p>»Wir gehen an beiden Abenden hin. Schade, daß nicht
-auch solch ein halbverblödeter Wedekind dabei ist &ndash; ich
-meine, man könnte sich da gleich ein paar nette Rollen aussuchen,«
-lachte er bitter. Aber draußen unter den Bäumen,
-durch die eine nachmittägliche Drossel silberne Fäden zog,
-fand er sich und ward wieder ein brauchbarer Mensch.</p>
-
-<p>Sie sagte, an den Tagen, an denen sie ins Theater<span class="pagenum"><a id="Seite_273">[273]</a></span>
-gingen, wollte sie nicht kommen. &ndash; Er war froh, als diese
-Tage vorbei waren; denn danach trieben sie ihre junge
-Liebe wild und königlich in die Blüte.</p>
-
-<p>Er hatte sich eine Frau verschafft, die das Häuschen
-festlich machen sollte zu Felidoras Geburtstag; er war am
-fünften Oktober, sie wurde da einundzwanzig.</p>
-
-<p>Man sah vom Wall aus in die Gärtnereien hüben und
-drüben, über die der Herbst alle Brunnen seiner Kraft
-ausgoß an Astern und Dahlien. Es war eine ausgelassene
-Farbenlust, und die Kastanien taten ihre goldenen Königsmäntel
-dazu um. Auf den Feldern loderten die Kartoffelfeuer
-&ndash; es waren die Tage, in der sich Frühling, Sommer
-und Herbst zum Ringelreihen finden und noch einmal
-alle Vogel- und Menschenherzen abschießen.</p>
-
-<p>Jockele hatte das kleine Haus für Felidora von allen
-drei Jahreszeiten rüsten lassen; denn seine Seele feierte
-schon seit einer Woche Hochzeit.</p>
-
-<p>Am fünften Oktober, der wieder voll Sonne war, daß sie
-über die Fensterstöcke hereinquoll und über die Sündflut
-seiner Sinnenfreude klingend dahinströmte, entlockte ihm
-Felidora das Gelöbnis: er sollte zu dem Regisseur gehen
-und ihm das Hexenlied vorsprechen. Er konnte auch sagen
-»Ich zählte zwanzig Jahre, Königin,« oder den Melchthal &ndash;
-er hatte in den Stunden, in denen Felidora nicht bei ihm
-war, ein bißchen in den Klassikern herumgelernt. Aber er
-ahnte das wartende Gelöbnis da noch nicht, sondern nur
-das Verlöbnis, in das er sich in seiner Art wieder einmal
-mit aller Frische und Vergessenheit hineinschwang.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_274">[274]</a></span></p>
-
-<p>Es war noch ein Hundertmarkschein vom Armen Heinrich
-her dagewesen, den er in der kleinen Standuhr verborgen
-hatte. Aber die Theaterfreude Felidoras war nun
-auch über den gekommen, und in diesen fünften Oktober
-rollten die letzten beiden Zwanzigmarkstücke, rollte sein
-Herz in purpurrotem Leichtsinn, rollte die Warnung
-Gwendolins, sich nicht immer gleich zu verheiraten, rollten
-Gott und Teufel in ihm&nbsp;…</p>
-
-<p>Am anderen Morgen, als die Blüten alle angewelkt
-waren und ein Herbstregen in grauer Unerbittlichkeit an
-die Fenster klapperte, gellte das wachsame Uehrlein in
-seinen späten Schlaf. Es hatte schon die Sechs und die
-Sieben ärgerlich gerufen, aber die Acht schrie es unheimlich
-und angstvoll.</p>
-
-<p>»Du, ich glaube, die Frau ist draußen und will ins Haus.«</p>
-
-<p>»Sie ist immer auf morgens zehn Uhr bestellt,« sagte er
-und fand sich aus der Nacht und dem anderen Tage herüber.</p>
-
-<p>Auf einmal&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Ja, was trommelt denn die draußen so wild an das
-Fenster?«</p>
-
-<p>»Herr Sinsheimer! Herr Sins&ndash;hei&ndash;mer!«</p>
-
-<p>»Unerhört!«</p>
-
-<p>»Herr Sins&ndash;hei&ndash;mer!«</p>
-
-<p>Herr Sinsheimer stürzte ans Fenster und riß es auf&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Zum Teufel, Frau, sind Sie denn um den Verstand
-gekommen?«</p>
-
-<p>»Ach Gott, Herr Sinsheimer, Sie haben mich doch heute
-so früh bestellt! Es ist doch heute der sechste Oktober! Ich<span class="pagenum"><a id="Seite_275">[275]</a></span>
-warte schon seit einer geschlagenen Stunde &ndash; Sie haben doch
-gesagt, am Sechsten hätten Sie die Einjährigenprüfung.«</p>
-
-<p>Jawohl. Um acht Uhr hatte die Sache begonnen.
-Und fünf Minuten nach acht Uhr stand der Herr Sinsheimer
-im Nachthemd am Fenster des kleinen Hauses am
-Horn Nr. 35 und stemmte den Himmel mit seinen langen
-Armen über sich, der auf ihn herniederbrach &ndash; grauenhaft
-und mitleidlos, wie nur ein Himmel einfallen kann.</p>
-
-<div class="chapter">
-<p class="drop">Der Roman ›Jockele und die Mädchen‹ ist zu Ende;
-denn was nun kommt, ist eine sehr verständige und
-sehr symmetrische Geschichte, die mit einem Examen anfängt,
-mit einem Examen fortfährt und mit einem Examen
-endigt. Jockele bestand die Prüfungen alle drei &ndash; und
-was hernach kommt, heißt ›Jockele und seine Frau‹, darf
-aber nicht beschrieben werden&nbsp;…</p>
-</div>
-
-<div class="chapter">
-<p class="drop">Weil der Himmel einfiel und kein Halten war, stürzte
-Jakobus Sinsheimer im Nachthemd in die Hosen.
-Was aus dem Nachthemd herausschaute, überschüttete er
-mit kaltem Wasser. Die Aufwartefrau erkannte inzwischen
-den Zweck des Blumenfestes; sie vergaß, den schwarzen
-Schulterkragen abzulegen und drängte dem Jockele das
-Handtuch und die Zahnbürste auf. Felidora war ein
-wenig kärglicher gekleidet und hob ihn in Weste und
-Joppe. Er ergriff die Mappe mit dem Schreibpapier,
-stülpte sich den Hut auf wie damals, als er die Laute der
-Verzweiflung erstehen wollte, die Krawatte schwang er<span class="pagenum"><a id="Seite_276">[276]</a></span>
-in der Rechten, daß sie hinter ihm zur Tür hinausflatterte
-&ndash; er knüpfte sie unter den triefenden Kastanienbäumen.
-So stürmte er dahin. Die Stufen vom Horn hinab in
-den Park. Ueber die Naturbrücke. Ins Fürstenhaus.
-In den Prüfungssaal&nbsp;…</p>
-</div>
-
-<p>Da wunderte sich der Herr Professor Redslob ein bißchen;
-denn das Thema zum deutschen Aufsatz hatte er
-längst gegeben, und viele Federn knirschten schon eifrig
-übers Papier. Aber er lächelte seine duldsame Freundlichkeit
-über Jockele dahin, auch ohne das Erlebnis ganz
-zu durchschauen &ndash; denn das wird ihm erst in diesen Zeilen
-verraten &ndash; aber Jockele hatte seinen Lokalruhm. Deshalb
-kam ihm der Professor entgegen und sagte: »Na, Sie
-werden wohl eine überzeugende Abhaltung gehabt haben
-&ndash; Witterungsverhältnisse oder so,« und er nannte ihm
-das Thema in Geduld noch einmal. Dann rückte sich
-Jockele in den Unbequemlichkeiten des für die obwaltenden
-Umstände viel zu geräumigen Nachthemds zurecht,
-überzeugte sich, daß er auch wirklich da wäre, und fing an,
-sich die Berechtigung zum einjährig-freiwilligen Militärdienst
-zu erwerben. Nach acht Tagen hatte er auch ›das
-Mündliche‹ bestanden.</p>
-
-<p>In dieser Woche, die zwischen Anfang und Ende der
-Prüfung lag, ereigneten sich zwei Dinge für ihn.</p>
-
-<p>Zuerst bekam er einen Brief aus Ibenheim. Der verkündigte
-ihm, daß Doris Rinkhaus mit Tante Veronika
-eine frohe Fahrt über die Alpen angetreten hatte &ndash; sie
-wollten in Sestri-Levante und Nervi den Winter verbringen.<span class="pagenum"><a id="Seite_277">[277]</a></span>
-Do schrieb, daß sie erfahren hätte, wie Tante
-Veronika, seit sie Jockele aus dem Walde gezogen, in Enthaltsamkeit
-und selbstvergessener Sorge für den Jungen,
-außer der raschen Fahrt nach Weimar, Ibenheim nicht
-verlassen habe; darum hätte sie die alte Dame aufgeladen
-und sei mit ihr in den Frühling an das Südmeer gezogen.</p>
-
-<p>Darüber kam Jockele zum drittenmal ans Rechnen,
-und er hatte feierliche Gedanken und sagte: »Was hat
-diese Tante Veronika für ein opferfreudiges und großes
-Herz! Und was ist diese Doris Rinkhaus für ein tapferes
-und königliches Mädchen!«</p>
-
-<p>Er hatte überhaupt gute Vorsätze in dieser Woche; denn
-gute Vorsätze haben ihren Platz zwischen den Schwellen
-und sind einundeinhalb Meter lang. Deshalb reichen sie
-noch einen Schritt weit über jede Schwelle hinweg.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Das andere Erlebnis betraf Felidora.</p>
-
-<p>Sie hatte am sechsten Oktober gegen Abend die delikate
-Annäherung eines jungen Bankbeamten gehabt, den ihre
-Sommeraugen und ihre ährengelbe Feldstille ernsthaft sehnsüchtig
-nach ihr machten. Da erteilte sie sich einen Generalpardon
-und zog schuldlos und schön dem neuen Glücke nach.</p>
-
-<p>Das gestand sie Jockele, und er stieß ein teilnahmsvolles
-»Oh!« hervor; er sagte ihr auch, daß er nicht verständnislos
-für ihre Wünsche sei, und daß sie gute Freundschaft
-halten wollten &ndash; er selbst ginge mit Semesterbeginn
-nach Jena studieren.</p>
-
-<p>Da quittierte sie ihm über das seelenvolle »Oh!« mit
-einem bedauernden »Ach?« Und er erfaßte ihre beiden<span class="pagenum"><a id="Seite_278">[278]</a></span>
-Hände und sagte: »Du schönes, hohes Mädel! Und nun
-mußt Du mir mein Wort zurückgeben; die verrückte
-Stunde, in der Du mich zum Komödianten machen wolltest
-&ndash; wo ist sie geblieben?«</p>
-
-<p>Es schienen danach noch sonnige Oktobertage um das
-kleine Haus im Baumwinkel.</p>
-
-<p>Da bereitete sich Jockele zum Auszuge. Er kramte viele
-welke Zeichen des Erinnerns unter den mancherlei Dingen
-hervor, die er mit hinübernehmen wollte in das neue Leben.</p>
-
-<p>Als er seine Wohnung aufkündigte, erfuhr er, daß
-auch Maria Reh nicht mehr in das Gartenhaus zurückkehre.
-Nun hatte Doris Rinkhaus die weiße Stille oder
-grüne Einsamkeit ganz allein, so oft sie darin leben wollte.</p>
-
-<p>In diesen letzten Tagen stand Jockele einmal gegen
-den Zaun gelehnt, an dem er die ›Gruppe aus dem Tartarus‹
-gemalt hatte, und ließ die vielen Bilder lieben Zusammenlebens
-der beiden Jahre durch seine Seele gehen.
-Da merkte er: Doris Rinkhaus leuchtete über alle hinweg
-und stand als ein großer, schöner Stern an dem Himmel,
-an dem nun die Nacht des Vergessens heraufziehen sollte.</p>
-
-<p>Da wurde ihm, als wäre alles Licht von ihr gekommen,
-und als hätte sein Herz keiner andern gehören können,
-weil sie es fest in ihren Händen hielt. Warum hatte er
-ihr dies nie sagen können? Es drängte ihn, ihr die
-Stunde, diese letzte Stunde im Baumwinkel, zu beschreiben
-und ihr zu sagen, wie er seine Arme nach ihr ausgebreitet
-hätte. Aber ihr blondes Königinnentum verbat
-sich das. Und er &ndash;&nbsp;&ndash; so zwischen den Schwellen!&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_279">[279]</a></span></p>
-
-<p>Es wachsen in dem Winkel, in dem der Zaun des Tartarus
-gegen den Grenzzaun nach dem Wall stößt, drei
-Kastanienstämme aus einer Wurzel.</p>
-
-<p>Zu dem einen trat er hin und schnitt mit dem Messer
-ihren Namen in die Rinde: Do &ndash; groß und tief. Und
-durch das D grub er ein J. Wer nicht wußte, was diese
-Zeichen bedeuteten, der mochte lesen »Dio« &ndash; es waren
-ihre Namen, beide in einem.</p>
-
-<p>Wenn Doris Rinkhaus wieder einmal auf der Schwelle
-zu dem Gartenhause stand und ihre Augen wandern ließ
-über die Stellen frohen Beisammensein aus den glücklichen
-Jahren, dann mußte sie die Zeichen im Stamm
-entdecken. Sie allein unter allen Menschen, die hierher
-kommen würden, verstand sie.</p>
-
-<p>Das war der Brief, den er ihr schrieb &ndash; es war der
-erste, und sie sollte ihn finden, wenn sie je zurückkehrte.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Danach zog er aus. Er übergab der Dienstfrau den
-Schlüssel und sagte: »Wenn ich wiederkäme, dann käm'
-ich wohl, um von neuem Maler zu werden.«</p>
-
-<p>In Jena ging er zu Ernst Haeckel und ließ sich von ihm
-beraten, welche Vorlesungen er belegen sollte, und wurde
-Student. Er dachte nicht an die Matura &ndash; erst wollte
-er ein Stückchen hineinlaufen in die Wissenschaft.</p>
-
-<p>Er mietete sich ein in einem nüchternen Hause der
-Stadt, aber er fand sich da nicht zu sich selber. Und um
-die Novembermitte, als er vier Wochen in Unbehagen in
-der steinernen Straße unter vermauertem Himmel gelebt
-hatte, jubilierte er in Flockentreiben und brüllendem Weststurm<span class="pagenum"><a id="Seite_280">[280]</a></span>
-den Wall des alten Schießstands in Weimar entlang.
-Er konnte nicht durch die verschlossenen Schlüpfe im
-Zaun &ndash; da stieg er über und sprang hinein in den alten,
-einsamen Winkel, in dem noch die Dieme gespaltenen Holzes
-stand, der so wintertraurig und so voll von Leben war.</p>
-
-<p>»Zigeuner!« jauchzte er und schlang seine Arme um
-den Stamm der Kastanie, in die er die Namen geschnitten.
-Er war Maler gewesen und war Student geworden, aber
-er hatte nicht leben gelernt in den steinernen Gassen; nun
-lief er ins Herrenhaus und jubelte die silberne Exzellenz
-an: »Lassen Sie mir mein Haus im Winkel wieder &ndash; ich
-kann nicht daheim werden unter fremden Menschen, nicht
-daheim werden in der anderen Stadt, nicht daheim werden
-in mir selber. Ich will an jedem Tage nach Jena
-reisen &ndash; was verficht's, ob ich dort wohne oder hier?«</p>
-
-<p>Dann lebte er wieder an der alten Stätte und arbeitete
-sich in eine tiefe, ungeheure Freudigkeit hinein.</p>
-
-<p>Es trat kein Mensch seine Stapfen in den Schnee und
-in die Einsamkeit, die um ihn waren.</p>
-
-<p>Er wartete auf Doris Rinkhaus, aber sie kam nicht.
-Es wurde Frühling und Sommer.</p>
-
-<p>In Stunden, in denen er die Naturwissenschaften vergessen
-durfte, suchte er Farben und Pinsel hervor und
-den grauen Malerkittel und malte den Garten von allen
-Ecken aus, er malte die Häuser &ndash; er malte sich Schätze
-der Erinnerung für die Zeit, in der dies sonnendurchschauerte
-Idyll doch endlich ein Märchen für ihn werden
-müßte. Er dachte an Do, für die er dies Bild bestimmte<span class="pagenum"><a id="Seite_281">[281]</a></span>
-und jenes &ndash; und ob sie wohl einmal sagen würde, wenn
-sie seinen Namen darunter las: »Jakobus Sinsheimer &ndash;
-den hab' ich einst gekannt; wir waren damals beide jung!«</p>
-
-<p>Doris Rinkhaus war den Frühling über in Bonn.</p>
-
-<p>In den langen Sommerferien reiste er nach Ibenheim.</p>
-
-<p>Tante Veronika tat freudig geheimnisvoll, und eines
-Tages ging sie mit ihm zur Haltestelle der Bahn &ndash; so
-ganz von ungefähr, und war stolz auf ihren glücklichen,
-langen Studenten, der voll von grausam gelehrter Weltbetrachtung
-war.</p>
-
-<p>Da lief der Zug ein, und Doris Rinkhaus stieg heraus
-und stürzte der alten gütigen Frau ans Herz.</p>
-
-<p>Und weil Jakobus zur Salzsäule geworden war, da
-er auf das leuchtende Wunder hinschaute, sagte sie: »Na,
-Jockele?«</p>
-
-<p>Da zersprang er &ndash; »Do! Do!«</p>
-
-<p>Die Welt ging unter, und er hatte gerade noch Zeit,
-Doris Rinkhaus zu retten, und trug sie auf seinen glückseligen
-Armen über den Bahnsteig und in seinem Herzen,
-in seinen Augen hinauf auf den Berg ins Frühlingshaus.</p>
-
-<p>Da hatte er sein zweites Examen bestanden &ndash;
-<em class="antiqua">summa cum laude</em>. Es dauerte viele Tage, aber das
-Zeugnis bekam er schon am ersten.</p>
-
-<p>Wie Do und Jo ›Du‹ zueinander sagten, und er längst
-keine Scheu mehr vor ihrem Königinnentum hatte, ließ
-sich auch Tante Veronika das Gelöbnis der Verschwiegenheit
-zurückgeben. Es war eine schöne und helle Stunde,
-in der sie ihm ihr Herz aufschloß &ndash; diese Stunde sah aus<span class="pagenum"><a id="Seite_282">[282]</a></span>
-wie Doris Rinkhaus. Aber Do war hinausgegangen; denn
-Jockele war in allen Stücken gewachsen, seit er mit Gwendolin
-das lebende Bild in der Fasanerie gestellt hatte. Sie
-ahnte, was käme, und wollte dazu ganz allein mit ihm sein.</p>
-
-<p>Danach fing er an, Hochzeit zu feiern, und sagte: das
-Gartenhaus am Horn riefe nach ihr, und er malte es
-ihr mit Worten von Herrlichkeit und Sehnsucht. Aber
-Doris Rinkhaus sagte: »Ich werde auch wieder einmal
-in dem Gartenhause wohnen &ndash; da nehm' ich Tante
-Veronika mit, und es wird sehr fein.«</p>
-
-<p>Wieder verging ein Jahr, wieder hatten Do und Tante
-Veronika den Winter im Frühling des Südens verbracht,
-und wieder saßen Do und Jo in den Sommerferien vor
-dem thüringischen Buchenwalde. Da erzählte ihr Jockele
-viel von der ›Entwicklung der Organismen aus eigener
-Kraft durch die physikalische und chemische Energie der
-lebendigen Substanz‹, viel von ›plastischem Distanzgefühl‹
-und wie die Natur die wundervollsten Kunstgebilde schaffe.
-Er erzählte ihr, daß er diesen Kunstgebilden nachginge,
-und just wie einst male er, was er sehe; und er schreibe
-dazu, was er erkannt hätte. Und daß dies eine Förderung
-der Wissenschaft bedeutete. Noch ein Jahr wollte er
-daran arbeiten, dann wollte er das Werk einreichen und
-damit zum Doktor promovieren. Es wurde fertig und
-hieß ›Der Kunsttrieb der Natur‹.</p>
-
-<p>Von dem ›Schmetterlingsbuche mit Illustrationen‹, das
-der Dorfjunge in der Gartenhütte von Ibenheim verfaßt
-hatte, bis zu diesem war ein weiter Weg.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_283">[283]</a></span></p>
-
-<p>Sein väterlicher Freund Haeckel las es, und er klopfte
-ihm auf die Schulter und sagte: »Ein rechter Kerl geht
-nicht unter &ndash; auch ohne Matura; deutsche Hochschulprofessoren
-sind keine Philister, und aus einem Zigeuner
-wird durch die kluge Sorge seiner alten Tante ein gelehrter
-Doktor.«</p>
-
-<p>Da bestand er sein drittes Examen &ndash; diesmal <em class="antiqua">cum
-laude</em>.</p>
-
-<p>Danach reisten sie nach Bonn &ndash; Do und der Doktor
-und Tante Veronika und das Mädchen Mali; denn Veronikas
-neunundsechzig Jahre mochten die Hilfe der alten
-Dienerin auch auf der Reise nicht mehr entbehren.</p>
-
-<p>Damit ist die symmetrische Geschichte mit den drei
-Prüfungen zu Ende.</p>
-
-<p>Die Gartenhäuser am Horn in Weimar liegen wieder
-einsam. Aber unter den Sommerbäumen schreiten schöne,
-lichte Gestalten, gaukeln liebe und bunte Träume. Und
-wer am Kastanienstamm beim Zaun die eingeschnittenen
-Namen betrachtet, für den erwachen die Träume zum
-Dasein; denn um Sieger leben die Vergangenheiten.</p>
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p class="h2">Von <em class="gesperrt">Max Geißler</em> sind im Verlage von
-L. Staackmann in Leipzig erschienen:</p>
-</div>
-
-<p class="center">
-<span class="larger">Das Tristanlied.</span> Epos<br />
-<span class="larger">Die Rose von Schottland.</span> Epos<br />
-<span class="larger">Gedichte.</span> Volksausgabe<br />
-<span class="larger">Die neuen Gedichte.</span> Volksausgabe<br />
-<span class="larger">Die Bernsteinhexe.</span> Schauspiel<br />
-<span class="larger">Die Herrgottswiege.</span> Roman<br />
-<span class="larger">Das hohe Licht.</span> Roman<br />
-<span class="larger">Am Sonnenwirbel.</span> Roman<br />
-<span class="larger">Das Heidejahr.</span> Roman<br />
-<span class="larger">Das Moordorf.</span> Roman<br />
-<span class="larger">Das sechste Gebot.</span> Roman<br />
-<span class="larger">Der Erlkönig.</span> Roman<br />
-<span class="larger">Die Glocken von Robbensiel.</span> Roman<br />
-<span class="larger">Nach Rußland wollen wir reiten!</span> Roman<br />
-<span class="larger">Die Musikantenstadt.</span> Roman<br />
-<span class="larger">Hütten im Hochland.</span> Roman<br />
-<span class="larger">Inseln im Winde.</span> Roman<br />
-<span class="larger">Die goldenen Türme.</span> Roman<br />
-<span class="larger">Die Wacht in Polen.</span> Roman<br />
-<span class="larger">Briefe an meine Frau</span>
-</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<p class="h2">Ullstein-Bücher</p>
-
-<p class="center">Neue Bände:</p>
-
-<p class="h2">Vom Müller-Hannes</p>
-
-<p class="center">von Clara Viebig</p>
-
-<p class="noind smaller">Der Hintergrund dieses Romans von Clara Viebig ist das Eifelland
-mit seinen vulkanischen Bergkuppen, seinen Schluchten und
-Heiden, seinen weltabgeschiedenen Dörfern. Bauerntrotz und
-Bauernhochmut bereiten dem Müller-Hannes sein Schicksal. Mit
-staunenswerter Kraft macht die Dichterin diesen Charakter lebendig.
-Stimmungsschwere Romantik und meisterlicher Realismus
-vermählen sich in ihrem Werk, das unter den deutschen
-Volksromanen unserer Zeit einer der echtesten und stärksten ist.</p>
-
-<p class="h2">Die schwere Not</p>
-
-<p class="center">von Richard Skowronnek</p>
-
-<p class="noind smaller">»Die schwere Not« ist der dritte von Richard Skowronneks Ostpreußen-Romanen,
-die mit den »Sturmzeichen«, der Voraussage
-des großen Krieges, begannen und zu dem Roman »Das große
-Feuer« überführten. Mit herber Wucht stellt »Die schwere Not«
-die ersten Begebnisse nach der Kriegserklärung dar, den Aufmarsch
-der ostpreußischen Truppen gegen das in riesenhaften
-Feldlagern versammelte russische Millionenheer und den Einbruch
-der Kosakenhorden. In starker persönlicher Ausgestaltung
-gibt der Dichter wieder, was nachher kam: die opfermütige
-Abwehr und die Zeit der russischen Herrschaft in Masuren.</p>
-
-<p class="h2">Kriegsgetraut</p>
-
-<p class="center">von Otto von Gottberg</p>
-
-<p class="noind smaller">Otto von Gottbergs Erzählung, die in die Stimmungen des
-deutschen Seekriegs einen echt und warm empfundenen Liebesroman
-stellt, schildert hell und farbig die Junitage an der
-Kieler Regatta. Sie malt die Ausfahrt des deutschen Hochseegeschwaders,
-die Heimkehr der lichtweißen, von vier Kreuzern
-gefolgten »Hohenzollern«, ein schweres Seegefecht, den kühnen
-Flug eines Marinefliegers. Dem Heldentum der deutschen
-Flotte hat Otto von Gottberg dieses kleine Werk geweiht.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<p class="h2">Ullstein-Kriegsbücher</p>
-
-<p class="center">Bisher erschienen</p>
-
-<p class="center p2">Paul Oskar Höcker:</p>
-
-<p class="center gesperrt">An der Spitze meiner Kompagnie</p>
-
-<p class="center p2">Fedor von Zobeltitz:</p>
-
-<p class="center gesperrt">Kriegsfahrten eines Johanniters</p>
-
-<p class="center p2">Kurt Aram:</p>
-
-<p class="center gesperrt">Nach Sibirien mit hunderttausend Deutschen</p>
-
-<p class="center p2">Ludwig Ganghofer:</p>
-
-<p class="center gesperrt">Reise zur deutschen Front 1915&nbsp;/ Die
-stählerne Mauer&nbsp;/ Die Front im Osten&nbsp;/
-Der russische Niederbruch</p>
-
-<p class="center p2">Ernst Freiherr von Wolzogen:</p>
-
-<p class="center gesperrt">Landsturm im Feuer</p>
-
-<p class="center p2">Otto von Gottberg:</p>
-
-<p class="center gesperrt">Kreuzerfahrten und U-Bootstaten&nbsp;/
-Die Helden von Tsingtau</p>
-
-<p class="center p2">Emil Zimmermann:</p>
-
-<p class="center gesperrt">Meine Kriegsfahrt von Kamerun zur Heimat</p>
-
-<p class="center p2">Heinz Tovote:</p>
-
-<p class="center gesperrt">Aus einer deutschen Festung im Kriege</p>
-
-<p class="center p2">Rudolf Hans Bartsch:</p>
-
-<p class="center gesperrt">Das deutsche Volk in schwerer Zeit</p>
-
-<p class="center p2">Paul Grabein:</p>
-
-<p class="center gesperrt">Im Auto durch Feindesland</p>
-
-<p class="center p2">Kapitänleutnant Freiherr von Forstner:</p>
-
-<p class="center gesperrt">Als U-Boots-Kommandant gegen England</p>
-
-<p class="center p2">Ernesto Freiherr Gedult von Jungenfeld:</p>
-
-<p class="center gesperrt">Aus den Urwäldern Paraguays zur Fahne</p>
-
-<p class="center p2 larger">Jeder Band 1 Mark</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_288">[288]</a></span></p>
-
-<div class="figcenter">
-<img src="images/signet.png" alt="Signet" />
-</div>
-
-<p class="center">
-Ullstein &amp; Co<br />
-Berlin SW 68
-</p>
-<hr class="chap" />
-</div>
-
-<div class="transnote chapter" id="tnextra">
-
-<p class="h2">Weitere Anmerkungen zur Transkription</p>
-
-<p>Der Schmutztitel wurde entfernt.
-Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Darstellung der
-Ellipsen wurde vereinheitlicht.</p>
-
-<p>Korrekturen:</p>
-<div class="corr">
-<p>
-S. 175: Stile → Stille<br />
-dem Häuschen mit blumenhafter <a href="#corr175">Stille</a> und Hingabe</p>
-<p>
-S. 186: hinausgeführt → ausgeführt<br />
-so sollte er auch ohne sie <a href="#corr186">ausgeführt</a> werden</p>
-<p>
-S. 205: Himmels → des Himmels<br />
-alle Mächte <a href="#corr205">des Himmels</a> und der Erde</p>
-</div></div>
-
-
-
-
-
-
-
-<pre>
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Jockele und die Mädchen, by Max Geißler
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK JOCKELE UND DIE MÄDCHEN ***
-
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