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-The Project Gutenberg EBook of Die alte Krone, by Paul Keller
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
-almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
-re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
-with this eBook or online at www.gutenberg.org/license
-
-
-Title: Die alte Krone
- Ein Roman aus dem Spreewald
-
-Author: Paul Keller
-
-Release Date: April 10, 2016 [EBook #51722]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE ALTE KRONE ***
-
-
-
-
-Produced by Peter Becker and the Online Distributed
-Proofreading Team at http://www.pgdp.net
-
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- Anmerkungen zur Transkription
-
-
- Das Original ist in Fraktur gesetzt.
-
- Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so ausgezeichnet~.
-
- Im Original gesperrter Text ist +so ausgezeichnet+.
-
- Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
- Buches.
-
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-
-Die gelben Ullstein-Bücher
-
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-
- Die alte Krone
-
- Ein Roman aus dem Spreewald
-
- von
-
- Paul Keller
-
- [Illustration]
-
- Im Verlag Ullstein / Berlin
-
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- Umschlagbild: Die Filmschauspielerin Carmen Boni / Phot. Ufa
- Copyright 1909 by Bergstadtverlag Wilh. Gottl. Korn, Breslau
- ~Printed in Germany~
-
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-
-Die Spree ist ein Heidekind. Ihre Jugend ist arm und ohne Wagemut,
-ihre Kraft gering und ihre Lustigkeit schüchtern. Frühzeitig -- als
-halberwachsen Ding -- muß sie in Dienst nach der anspruchsvollsten
-Stadt der Welt, nach Berlin, wo man ihr, einer jungen, billigen,
-schmucklosen Dienerin, auf die schwachen Schultern viel Last und Qual
-ladet.
-
-Aber auch sie hat eine grüne Heimat und eine grüne Jugend. Gar nicht
-fern von dem schreienden, lachenden, gellenden Berlin wohnt die große
-Stille in hohen Föhrenwäldern, ist eine andere Welt, wohnt ein anderes
-Volk, ist eine andere Zeit. Gar nicht fern von dem prangenden Reichtum
-der glänzenden Weltstadt ziehen arme Sandwege durchs Land, stehen
-hohe Farnkräuter an alten Ziehbrunnen; nur wenige Stunden von dem
-Mittelpunkt kaltherziger Weisheit, heißblütiger Genußsucht sieht das
-Volk auf den Blättern der Pflanze ~cerweny drest~ die Blutstropfen
-Christi glänzen, saugen die Kinder süßen Saft aus weißen Birkenstämmen,
-legen die Leute das Freundschaftskraut »~kokoski~« unters verwitterte
-Strohdach, um am grünenden oder welkenden Kräutlein zu erkennen, ob
-das ferne liebe Leben eines Freundes noch frisch und grün oder im Tode
-verblichen sei.
-
-Das ist das Land, wo ein kecker Hase, der ins Dorf kommt, den Leuten
-ein Feuer verkündet, wo man neun Sünden verziehen bekommt, wenn man
-eine Maulwurfsgrille tötet, wo der Mann sich eine krabbelnde Fledermaus
-unter die Mütze steckt, um im Spiele Glück zu haben, wo das Mädchen dem
-jungen Burschen, dessen Liebe sie gewinnen will, einen Apfel zu essen
-gibt, den sie eine ganze Nacht lang in der Schulterhöhle getragen hat.
-
-Das ist das Land Wendei. Keine rote oder blaue Grenzlinie kennzeichnet
-das Wendenland auf einem Kartenbild; jahrhundertelang war es ein
-Spielball der Brandenburger, Sachsen und Böhmen, und auch heut noch
-muß man von der sächsischen Stadt Bautzen die böhmische Grenze entlang
-durch die schmale schlesische Lausitz bis hin in den brandenburgischen
-Spreewald wandern, wenn man die Wendei kennenlernen will.
-
-Ein anderes Volk als in Berlin, der deutschesten aller deutschen
-Städte, die nur wenig Bahnstunden entfernt ist -- ureingesessene
-Slawen, die in grauer Vorzeit den ganzen Osten unseres Vaterlandes bis
-an die Ostsee beherrschten, dann zurückwichen Schritt um Schritt und
-die trotz jahrtausendelanger Abhängigkeit, in die sie alsbald gerieten,
-sich ihre trotzige Eigenart in Sprache und Sitte, in Kleidertracht,
-Häuserbau und Gemeindeanlage bewahrt haben. Jetzt aber ist Wendenland
-eine kleine, zerbröckelnde Slaweninsel im brausenden deutschen Meere,
-das an seiner Küste zehrt, seine geistigen Springfluten über das Land
-gießt und es bald bis zum letzten Brocken aufgezehrt haben wird.
-
-Sorben, oder -- wie sie die Deutschen nennen -- Wenden. Eines von
-den Völkern, die jahrtausendelang bestehen, ohne eine Geschichte zu
-haben, die alt werden, ohne je jung gewesen zu sein, Blutsverwandte der
-Tschechen und Schicksalsverwandte der südslawischen Stämme der Slowenen
-und Kroaten, die auf den mageren Ziegenweiden des felsigen Karstlandes
-ihre Jahrhunderte verträumten.
-
-Kein Hoheslied, kein Heldenbuch, keine steinerne Tafel mit
-unvergänglichen Gesetzen, keine Ruhmeshalle mit Ewigkeitsphysiognomien
-großer Menschen und großer Geschehnisse kennzeichnete den Weg, den
-diese Nationen durch die Geschichte schritten. Ihre Spur verlief im
-Sand. Die Weltgeschichte vermerkt ihre Namen nur in nebensächlichen
-Fußnoten. Einige Grenzplänkeleien mit dem großen Karl, dem schlauen
-Heinrich, dem Markgrafen Gero, den Meißener Bischöfen, den dänischen
-Herrschern, nicht viel mehr von eigener Geschichte.
-
-Eine recht dürftige Historie. Geschickte, fleißige Forscher und
-Sammler haben dagegen Mythen, Sagen, Märchen, Volkslieder, Schnurren,
-Eigentümlichkeiten in Sitte und Brauch getreulich niedergeschrieben,
-Dinge, die Zeugnis geben von dem Leben, das einst im wendischen
-Völkerwald war. Schmaler, Andree, Schulenburg, Veckenstedt, Tetzner
-und andere tüchtige Männer wurden unsere Lehrer über das Wendentum.
-Aber es sind nur Einzelheiten, Forschungsergebnisse, abgerissene
-Töne und Klänge, die sie einfangen. Ein ganzes Bild haben sie nicht
-zusammengestimmt; selbst die Sage vom König der Wenden liegt bei ihnen
-in Schutt und Trümmern.
-
-Die deutschen Dichter sind an diesem einsamen Heide- und Flußwald, an
-dieser geschichtlichen Trümmerburg vorbeigegangen. Die Wenden selbst
-waren immer stille Leute. Kein politischer Alarmruf ging von ihnen aus,
-kein kraftvoller Dichter erstand aus ihrer Mitte. Ein tausendjähriges
-Volk sind die Wenden, ohne Geschichte, ohne Literatur, ohne bildende
-Kunst, kleine Ansätze abgerechnet.
-
-Wenn mich, den Schlesier, das Heidegeheimnis meiner Heimat reizte,
-so lag das nahe. Ich bin mit ganzer Liebe an das Werk gegangen, habe
-nach den Trümmerbildern, die ich fand, die Sage vom Wendenkönig
-rekonstruiert und hoffe, daß mich das deutsche Herz nirgends, wo
-zwischen Nationalitäten abzuwägen war, zu einer Sünde ungerechter
-Parteilichkeit verführt hat.
-
-Kraft, geistige und körperliche Fruchtbarkeit, Entwicklungsfähigkeit,
-Wollen zur Höhe, Schätze und Kräfte sonder Zahl waren auch im Volke
-der Lausitzer Sorben. Die Kinder Gottes sind alle zur Herrschaft
-berufen. Aber den Wenden fehlten die Führer. Die Könige, die Führer,
-die Befreier kommen von selbst ihre lichte Straße daher oder sie kommen
-nicht, mag das Volk auch tausend Jahre am Boden knien und rufen: »Tauet
-Himmel den Gerechten!«
-
-Gegen versagte Gnade, die im Weltplan begründet ist, hilft kein Wollen,
-kein Beten, kein Toben. Der Führer kommt nicht, das Volk verträumt
-seine Zeit, es altert und vergeht, ohne daß es jung war. -- --
-
-Heutigen Tags hat der Donner der Lokomotiven, das Sausen der
-Automobile, die durch die Wendei rasen, die Lutchen und andere
-Zwerggeisterlein, die Mittagsfrau und die Kobolde vertrieben; der
-scharfe Wind geistiger Aufklärung, der schneidend über alles Land fegt,
-hat die blauen Traumlichter romantischen Glaubens in den Herzkammern
-der Wenden ausgelöscht; die Sucht nach Gold und Lust hat das
-Heidevölklein aus seinen stillen Wald- und Wiesenwinkeln herausgelockt
-ins breite allgemeine Gefild, in die große Stadt, wo die jungen
-Burschen ihre Kraft, die jungen Mütter die Milch ihrer Brust verkaufen;
-der moderne Fabrikbetrieb verlangt viele Kräfte; die malerischen
-Volkstrachten mit ihrer soliden Pracht haben vielfach schäbigem
-modischen Zeug aus billigen Bazaren Platz gemacht; die wendische
-Sprache hört mehr und mehr auf: bald wird die ganze Wendei nichts mehr
-sein als eine historische Reminiszenz.
-
-Aber in der Zeit, von der dies Buch erzählen will, in den Jahren 1860
-bis 66, da war es doch noch ganz anders. Damals begann die Zersetzung
-des Wendentums erst, die jetzt beinahe vollendet ist.
-
-
-
-
-Rot glüht der Wald über die Heide. In den Wellen der stillen Spree
-schwimmen die ersten gelben Weidenblätter wie lange, gelbe Schifflein.
-Eine kleine Flotte, mit der der junge Herbst spielt. Weiden den ganzen
-Fluß hinab, auch auf den Moorwiesen, die sich lang im Abendsonnenschein
-dehnen. Torf schläft in der schlammigen, quabbeligen Erde, saures
-Gras wächst darüber, und zahllose Wollblumen wiegen leicht die
-Perückenköpfe. Hoch und ragend aber steht der Föhrenwald. Das Auge
-blickt tief hinein; denn die Stämme sind schlank, die Föhre duldet kein
-Unterholz. Wie ein Heer von Kriegern stehen die Stämme und sind alle
-rot wie in blankes Kupfer gepanzert.
-
-Und erst die Kronen! Wie Burgen türmen sie sich in der Luft; das
-Abendsonnengold vermischt sich dem dunklen Grün, und die Burgen haben
-alle Wände und Dächer von grünroter Patina bedeckt.
-
-Alt, ehrwürdig, kostbar ist das alles.
-
-Kein Laut. Nur irgendein schwarzgefiederter Burgwart gibt manchmal den
-Brüdern ein Signal, die draußen auf der Wiese noch nach Beute suchen.
-
-Der erste Stern taucht auf.
-
-Da treibt der Gänsehirt seine schnatternde Herde heim.
-
-Das zweite Sternlein erglimmt.
-
-Ein alter Wende blinzelt hinauf, erkennt sein Zeichen und treibt zehn
-Schweinchen, die er aufs Feld geführt hatte, in den Stall.
-
-Das dritte Sternlein schimmert im Osten.
-
-Da singt der Schafhirt zur Heimkehr.
-
-Ein vierter Stern ersteht leuchtend am Himmel.
-
-»Geht ein, Rote, Schwarze, geht ein!« ruft der Kuhhüter und strebt nach
-dem Dorfe.
-
-Das fünfte Sternlein strahlt friedlich hernieder. Da hören die Kinder
-auf zu spielen, schließen sich den Herden an und helfen sie heimführen.
-
-Draußen, wo die stille Spree schläfrig zwischen den Weiden rinnt und
-wo die alte Landstraße weit hinausführt -- Gott weiß, wohin! --,
-wird es nun ganz still, und wie der Mond aufsteigt, findet er nichts
-Lebendes auf den weiten Wiesenplänen als ein paar Birken, die die
-weißen schlanken Leiber biegen und die herrlichen Lockenköpfe zu leisen
-Liedern zierlich bewegen. --
-
-Eine Wolke verhüllt das strahlende Himmelslicht, und dunkle Schatten
-legen sich auf das Gelände und auf die alte Landstraße, die weit
-hinausführt, Gott weiß, wohin.
-
-Da schleicht durch die Schatten der Waldbäume ein Gespenst. Es hat
-einen brennenden Leib, greift mit zuckenden Armen irr in der Luft
-herum, dehnt sich zur Höhe, kauert sich zu Boden, huscht zu den Birken,
-verbirgt sich hinter den Weiden, schaut ins Wasser, springt wieder
-über die Wiese und zittert plötzlich entsetzt empor, als ein zweites
-brennendes Gespenst ihm nahe kommt.
-
-Da gibt es eine wilde Jagd weit über den Moorgrund. Das erste Gespenst
-duckt sich zusammen, versteckt sich, wird aufgescheucht, jagt davon,
-schlägt Zacken wie ein gehetztes Wild, springt zwischen die Bäume, und
-das zweite setzt ihm nach, langt nach ihm mit gierigen, flackernden
-Händen. -- Horch! Ein Knarren kommt die Landstraße daher. Ein Wagen
-wird sichtbar. Darin sitzen Menschen. Ganz langsam geht das Pferd, fast
-unhörbar auf dem grasbewachsenen Wege. Der Kutscher hebt seine Peitsche
-und weist nach den brennenden Gespenstern.
-
-»~Ty newetko pormorski!~«
-
-»Fluche nicht, Lobo!« sagt die eine Frau, die im Wagen sitzt, leise und
-ängstlich. »Gott schütze uns! Es sind Jakub und Merten. Gott sei ihnen
-gnädig!«
-
-»Gott sei ihnen gnädig!« brummt auch der eingeschüchterte Knecht.
-
-Da recken sich die Gespenster, langen noch einmal mit brennenden Armen
-hinauf gen Himmel und verschwinden. Langsam schleicht das Fuhrwerk
-weiter. Nun, da es eine Wegbiegung erreicht, atmet die Frau auf und
-sagt zu der jüngeren Begleiterin, die neben ihr sitzt, im Flüsterton:
-»Es waren Jakub und Merten. Jakub hat seinen Vater Merten, der bei ihm
-im Auszug war, mit einem Strick erdrosselt, weil er ihm zu lange lebte,
-und dann hat ihn der Gewissensteufel geplagt, und da hat er sich mit
-demselben Strick erhängt. Jetzt irren die armen Seelen über dem Moor.
-Hast du gesehen, wie der Vater den Strick in der Hand hält und den Sohn
-damit treibt?«
-
-Das Mädchen schmiegt sich fröstelnd an die Alte.
-
-»Ich fürchte mich«, sagt es leise.
-
-»Es ist unsere böse Gegend hier, Hanka«, fährt die Ältere fort. »Um
-alles will ich hier nicht sein zur Abendzeit. Und wir wären längst
-daheim, wenn sich Lobo, der Liederlich, nicht betrunken hätte.«
-
-Der Kutscher hört die Anklage und brummt für sich. Langsam schleicht
-das Gefährt dahin. Wer will in verrufener Gegend den bösen Jäger wecken
-oder in rascher Fahrt dem Nachtfuhrmann begegnen? Ist nicht selbst der
-himmlische Fuhrmann, dessen Wagen am Firmament steht, auf zu rascher
-Fahrt an eine Mauer der Hölle angefahren, so daß die hintere Achse aus
-dem Quadrat wich und sich die Deichsel für alle Ewigkeit verbog?
-
-Langsam schleicht das Gefährt. Neue Wiesenflächen tauchen auf. Die
-alte Bäuerin sagt furchtsam, beklommen: »Hanka, erschrick nicht; aber
-ich muß es dir sagen: Hier ist noch eine böse Gegend; hier wohnt die
-Todesgöttin Smjertniza. Gott schütze uns!« ...
-
-In einem Nebelschloß wohnt die Todesgöttin Smjertniza. Sie ist immer
-in weißen Kleidern. Die Tür ihres Hauses ist zweifach verriegelt, mit
-einer Menschenhand und mit einem Menschenfuß. Aber ob sich auch die
-Menschen mit Hand und Fuß gegen die Tür ihres Schlosses stemmen -- wenn
-sie ihre Lichter entzündet, schiebt sie die Riegel zur Seite und geht
-über die Felder bis zu den Dörfern. Die Menschen sehen sie nicht. Die
-Tiere sehen sie. Aber der Mensch, dem sie begegnet und den sie meint,
-stirbt nach drei Tagen ...
-
-Drüben liegt die Wiese mit dem dunklen Waldrand.
-
-»Schau geradeaus, Hanka! Geradeaus! Schau nicht hinüber!«
-
-Lobo, der Kutscher, hält durch Zurufe die Pferde zu noch langsamerem
-Gange an. Wie unter angstvollem Zauberbann schleicht der Wagen dahin.
-
-Da schallt Hundegebell übers Feld. Die Frauen horchen erschreckt auf.
-
-»Es ist Tyra, unser Hund!« sagt Lobo. »Ich kenne ihn an der Stimme. Er
-hat sich losgerissen von der Kette.«
-
-Zwei Tiere jagen aus dem Busch am Wegrand, ein Reh, ein Hund dahinter.
-Sie springen dicht vor dem Gefährt auf die Straße. Die Pferde bäumen
-auf. Das Reh bleibt zitternd stehen. Der Hund steht, keucht. Die Pferde
-stehen. Die alte Frau schreit gellend auf:
-
-»Die Smjertniza, die Todesgöttin!«
-
-Drüben über der Wiese, weit drüben steht das Nebelschloß -- Lichter
-blitzen drin --, eine weiße Gestalt löst sich von dem Schlosse los --
-
-»Die Smjertniza! Die Tiere -- sehen -- sie --«
-
-»~Ty newetko pormorski!~« flucht da der Knecht, schlägt auf die Pferde
-wie rasend, die Pferde gehen durch, jagen die Straße entlang, springen
-über einen Graben querfeldein auf ein Dorf zu --
-
-Beim Eingang des Dorfes schlägt der Wagen um -- zerbirst an einem
-Prellstein -- die Insassen fliegen heraus -- Pferde reißen sich los,
-jagen davon --
-
-Schreiende Leute kommen gelaufen. Sie richten Lobo, den Knecht, und
-Hanka, das Mädchen, die wenig verletzt sind, auf und tragen die
-Bäuerin, die am Sterben ist, nach ihrem Gehöfte.
-
- * * * * *
-
-Wie ein Herrensitz ist das Gehöft des Scholta[1] Hanzo. Hoch ragt das
-schindelgedeckte Wohnhaus, das nach wendischer Art mit der schmalen
-Giebelseite der Dorfstraße zugekehrt ist. Die Dorfstraße ist ziemlich
-weit vom Hause entfernt. Eigener Zufuhrweg, Teich und Anger liegen
-zwischen ihr und dem Gehöft; das wendische Angerdorf ist breit und
-geräumig angelegt. Muster von Lindenblättern, mit Sternen durchwirkt,
-schmücken den Giebel des Hauses, ein Kreuz schaut ernst aus dem
-Blattgerank, und ein Spruch, der darunter steht:
-
- »Durch Gott und eigene Kraft
- Haben wir's geschafft«
-
-zeigt an: hier wohnen starke, selbstbewußte Menschen. Es ist eines
-der wenigen Bauernhäuser der Wenden, die groß, geräumig und von einem
-gewissen Luxus sind. Ein Mann hat es gebaut, der ein Withas[2] werden
-wollte, der aber doch ein Bauer blieb. Eine hohe Mauer, ein festes
-Tor schließen den Hof und den Vorgarten ab, der steinerne Stall, die
-hölzerne Scheune ragen darüber empor. Der Großgarten trennt das Gebäude
-vollends von jeder unmittelbaren Nachbarschaft.
-
-Es ist spät. Um diese Stunde wacht sonst im Gehöft kein Mensch mehr,
-es sei denn ein Wächter in unsicheren Zeiten, wenn Brandleger in der
-Gegend auftauchen.
-
-Heute aber sitzen unter dem zweiten Hauptgebäude, das dem Wohnhaus
-gegenüber liegt, in einem Laubengang zischelnde Leute, Knechte und
-Mägde des Großbauern. Sie hocken auf niederen Schemelchen oder kauern
-am Boden und schauen hinüber nach den erleuchteten Fenstern.
-
-»Ich hab' schwarze Holzklötzer in der Spree schwimmen sehen«, sagt ein
-Knecht.
-
-»Und ich hab' weiße Männer fahren sehen in einem Kahn«, sagt eine Magd.
-
-»Es meldet sich immer an«, sagt ein drittes.
-
-Dann Stille.
-
-»Erzähl' es noch einmal, wie es war, Lobo!«
-
-»Es war ganz einfach«, sagt einer. »Lobo war besoffen!«
-
-»~Hognity kjandros~« -- fährt Lobo auf den Sprecher los. Aber der wehrt
-ihn gemütlich ab.
-
-»Ich bin kee abgefaulter Baier, ich bin höchstens a abgefaulter
-Schläsinger.«
-
-»~Cerwiško!~ Aas!« fährt der Wende abermals auf und geht auf den
-Deutschen zu.
-
-»Ruhe! ~Tormy gótuju.~ Die Wolken türmen sich!« mahnt ein alter Wende.
-»Drüben liegt die sterbende Frau. Ruhe!«
-
-Ein Weilchen Stille.
-
-Dann: »Erzähl' es noch einmal, wie es war, Lobo!«
-
-Und Lobo erzählt von den Feuermännern, von dem Hund und dem Reh, von
-der Todesgöttin Smjertniza.
-
-»Ich dachte, es wär' Tyra, unser Hund. Es hat mich aber genarrt, es
-war nicht Tyra. Es war auch kein richtiges Reh. Es waren Tiere von der
-bösen Meute.«
-
-»Gott schütze uns!«
-
-Tiefe Stille. In den niederen Wendenstirnen arbeiten die Gedanken. Der
-Riesenarm des Ziehbrunnens streckt sich drohend zum Himmel.
-
-Da flattert eine Gestalt über den Hof. Eine Magd ist es, die aus dem
-Herrenhause kommt.
-
-»Wie geht es, Anna, wie geht es der Frau?«
-
-Die Magd macht eine klagende Gebärde. Dann sagt sie flüsternd:
-
-»Wir wollen die Probe machen.«
-
-Sie zeigt ein Stück Speck.
-
-»Du hast ihr die Fußsohle damit gerieben?«
-
-Die Magd nickt.
-
-Da stehen alle wie auf ein heimliches Kommando auf, gehen auf den
-Zehenspitzen und schleichen den Stall entlang bis zur Hundehütte.
-Tyra fährt knurrend aus dem Schlafe, beruhigt sich aber, als er die
-bekannten Gesichter sieht.
-
-Die Magd wirft ihm das Speckstück hin.
-
-»Zeig' es an, Tyra, zeig' es an! Friß!«
-
-Der Hund beschnuppert den Speck und läßt ihn liegen.
-
-Da geht ein leiser Schreckensruf durch die kleine Schar.
-
-»Er frißt ihn nicht! Die Frau muß sterben.«
-
-»Tyra ist krank!« wendet der deutsche Knecht ein. »Er frißt schon zwei
-Tage lang nichts.«
-
-Sie sehen ihn zornig an und schleichen nach dem Laubengang zurück.
-
-»Die Frau muß sterben!«
-
-»Sie ist erst fünfzig Jahre. Sie könnte noch viel arbeiten. Sie muß
-noch lange nicht in den Auszug. Was stirbt sie schon?«
-
-»Man sollte es ihren Söhnen nach Breslau schreiben.«
-
-»Sie haben vielleicht jetzt keine Ferien.«
-
-»~Ty bamlak!~ Braucht man Ferien, wenn die Mutter stirbt? Und
-überhaupt, richtige Studenten haben immer Ferien.«
-
-»Der Großbauer will morgen früh einen Brief an die Söhne schreiben.«
-
-»Ja, und indes vergehen die drei Tage, die ihr die Smjertniza noch
-läßt, und die Söhne kommen zu spät.«
-
-»Wie Gott will!«
-
-Der eine Knecht entkorkt eine Branntweinflasche, nimmt einen tiefen
-Schluck und reicht die Flasche weiter.
-
-»Wie Gott will!« sagt der letzte, als er getrunken hat.
-
-»Und nun müssen wir alle neue weiße Trauerkleider haben.«
-
-»Die kauft der Großbauer.«
-
-Als die Mägde von den neuen Kleidern hörten, mischte sich in ihren
-jungen Herzen mit der Trauer um die Frau ein heimliches Entzücken.
-
-»Grinst nicht so vergnügt, ihr eitlen Frauenzimmer«, fuhr der alte
-Knecht Kito sie an. Er war sonst der lustigste Patron trotz seines
-Alters; aber heute war er völlig gebrochen.
-
-»Erzähl' es noch einmal, Lobo, wie es war.«
-
-»Wir wissen es schon!«
-
-»Nein, wie es dort war, in dem Dorfe, von wo ihr kamet.«
-
-»Es war gut. Es gab viel zu essen. Drei Tage sind wir dort gewesen. Es
-gab reichlich zu essen; nur der Schnaps war etwas zu wässerig. Es war
-kein Rum darin.«
-
-»Und dann fuhr das fremde Mädchen mit?«
-
-»Sie ist eine Verwandte vom Großbauern, freilich, das Wasser von der
-siebenten Windel. Und sie heißt Hanka.«
-
-»Warum hat die Frau die Reise gemacht, zwei Tage mit dem Wagen hin,
-drei Tage dort, zwei Tage mit dem Wagen zurück? Mit der Eisenbahn fährt
-sie nicht. Eine ganze Woche war sie fort, jetzt in der Arbeitszeit.«
-
-»Sie kann tun, was sie will, sie ist die Frau. Und es sind Verwandte.
-Das fremde Mädchen bleibt jetzt hier.«
-
-»Ja, sie wird den Juro heiraten, den Erbsohn«, sagte eine junge Magd,
-»denn sie ist aus dem könig --«
-
-Eine Hand preßte sich dem Mädchen auf den Mund, und alle Wenden sahen
-auf den deutschen Knecht.
-
-Der stand auf und machte eine abweisende Handbewegung.
-
-»Tut nicht so albern! Ich weiß soviel wie ihr!«
-
-Er entfernte sich langsam und ging über den Hof.
-
-Die anderen fielen über die junge Magd her.
-
-»Wie kannst du, Worsla, du Plappermaul? -- Vom König spricht man nicht!
-Noch dazu, wenn ein Fremder dabei ist. Das ist das heilige Geheimnis!«
-
-Das hübsche junge Mädchen brach in Tränen aus.
-
-»Ich wußte es nicht. Ich glaubte, er gehört zu uns.«
-
-»Er ist ein guter Kerl,« sagte einer, »aber er ist ein Deutscher.«
-
-»Ein ~hognity kjandros~ ist er«, lallte Lobo, der bereits wieder
-betrunken war.
-
-»Sie ist verliebt in Wilhelm,« sagte giftig eine Magd; »sie hat ihm
-drei Haare vom Nacken und ein Stück Haut vom Knie in den Osterkuchen
-gebacken. Nun ist er in sie vernarrt.«
-
-»Es ist nicht wahr«, schluchzte Worsla, »es ist nicht wahr!«
-
-»Ruhe!« kommandierte der alte Kito. »Heute ist keine Zeit für
-Liebessachen!«
-
-Es entstand eine Pause. Man hörte nichts als gelegentlich den
-glucksenden Ton, wenn einer Branntwein trank.
-
-Da sprach der Alte:
-
-»Ich will nicht, daß die Frau stirbt. Sie ist noch jung und sie ist
-gut. Vor dreißig Jahren bin ich mit ihr auf den Hof gekommen. Ich will
-nicht, daß sie stirbt. Ich werde sie anräuchern. Noch ehe die Sonne
-aufgeht, werde ich auf den Kirchhof gehen und Gras abschneiden von
-einem Kindergrabe. Und ich werde dabei zählen: neun, acht, sieben,
-sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins. So werde ich zählen. Und am Morgen
-werde ich das Gras anzünden und die Frau beräuchern. Das wird ihr
-helfen. Das wird ihr helfen, oder -- oder ...«
-
-Er machte eine Handbewegung. Starr blickte er vor sich hin und fuhr
-dann fort:
-
-»Ich bin alt. Ich weiß nicht, ob ich zurückkomme, oder ob mich die
-Toten dort behalten. Zeit ist es längst. Es gibt auch Leute, die mir
-das Leben nicht mehr vergönnen. Wenn eines mit mir auf den Kirchhof
-gehen will, so soll er es sagen. Er darf aber auf dem Wege kein Wort
-sprechen.«
-
-Sie duckten sich alle zusammen, als ob plötzlich ein eisiger Wind sie
-gefaßt hätte.
-
-Nur die junge Magd Worsla sagte:
-
-»Vater Kito, ich gehe mit dir. Du bist sonst so lustig und immer gut.«
-
-Der Alte nickte und sah sie an.
-
-»Wenn sie -- wenn sie mich dort behalten, dann lege mir gleich zwei
-Steine auf die Augen.«
-
-Schritte klangen über den Hof. Wilhelm, der deutsche Knecht, kehrte
-zurück.
-
-»Will keiner einspannen und nach dem Doktor fahren?« fragte er.
-
-Sie wehrten alle ab. Der Arzt bringe den Tod. Der Bader sei bei der
-Frau, die Smjertniza sei auf dem Felde, der Doktor solle fortbleiben.
-
-Der Deutsche wurde wütend.
-
-»Gebt mir den Schlüssel zum Pferdestall!« rief er zornig.
-
-»~Hognity kjandros!~« fuhr Lobo auf.
-
-Da erhielt er eine Ohrfeige, daß er taumelte.
-
-Mit Mühe wurden die beiden auseinandergebracht. Aber vergebens
-versuchte der deutsche Knecht, den Schlüssel zum Pferdestall zu
-erlangen.
-
-»So werde ich nach der Stadt laufen.«
-
-»Das Hoftor ist zu. Den Schlüssel bekommt er nicht!«
-
-Wilhelm lächelte verächtlich. Aber er fuhr zusammen, als er leises
-Weinen hörte. Worsla, die junge Magd, hob die Hände zu ihm.
-
-»Geh nicht! Die Smjertniza geht um! Geh nicht! Es ist nicht nötig!
-Ich gehe mit Kito zum Friedhof. Wir holen heiliges Gras von einem
-Kindergrab. Da räuchern wir die Frau an, und sie wird gesund werden.«
-
-Sie streckte ihm, alle Scheu vergessend, beide Hände hin, er aber
-wehrte sie unwirsch ab und sagte:
-
-»Du bist auch so eine Gans!«
-
-Ging über den Hof und schwang sich über die Mauer.
-
-
-
-
-Die weiten Matten des Riesengebirges sind dort am breitesten und
-schönsten, wo der große Elbstrom seine Quellen hat. Runde dichte
-Knieholzgebüsche sind über den kurzen Rasen verstreut wie dunkelgrüne
-Kränze.
-
-Ein leichter milder Abendwind ging über die sich weit hindehnende
-Elbwiese und erquickte einige Wandersleute, die, vom Gipfel des Hohen
-Rades herkommend, sich am Boden lagerten.
-
-»Kolossale Fläche«, sagte ein stattlicher Fünfziger und ließ die
-fröhlichen, stahlgrauen Augen rundum schweifen.
-
-»Grandiose Fläche! Und das liegt nun alles hier oben viertausend Fuß
-hoch und hat keinen Zweck.«
-
-»Aber, Papa, das ist doch so schön!« entgegnete ihm seine schlanke
-Tochter; »sieh mal, wie sich diese weiten Wiesen hindehnen und eine so
-friedlich schöne Brücke sind zwischen den zwei großen Gebirgskämmen ...«
-
-»Jawohl«, unterbrach sie der Alte sarkastisch und mit imitiert
-flötender Stimme. »Diese epische, ruhige Breite, nur hin und wieder
-unterbrochen durch die Lyrismen winziger märchenhafter Knieholzwälder,
-deren Baumstämmchen nur so groß sind wie die Kinder und so verträumt
-sind wie die Kinder.«
-
-»Papa!«
-
-»Tja! Herrschaften, denken Sie nu ja nicht etwa, die Stelle von der
-epischen Wiese und von den lyrischen Kniehölzern is von mir. Keine
-Spur! Hier steht sie, die diese Stelle gedichtet hat -- meine Tochter
-Elisabeth von Withold. Es hört sich großartig an sowas. Man kann sich
-zwar nischt dabei denken, aber es klingt nach was!«
-
-»Papa, du hast ...«
-
-»Ich habe jar nischt. Dein Papa ›hat‹ nie! Nämlich spioniert! Er
-hat sich lediglich erlaubt, direkt auf dem Wege ein Notizblatt zu
-finden, das seine poetische Tochter verloren hatte und das er hiermit
-submissest zurückerstattet, weil er keine Verwendung dafür hat.«
-
-»Gnädiges Fräulein, die Stelle von der epischen Ruhe dieser großen
-hohen Wiesenflächen und ihrer lyrischen Unterbrechung durch die kleinen
-Büsche mit ihren bizarren Zwergstämmchen und den wunderlichen Kronen
-ist herrlich. Bitte, schenken Sie mir das Blatt!«
-
-Der das sprach, war ein junger, schlanker Mann. Der Alte lachte
-fröhlich.
-
-»Bravo, Herr Juro, bravo! Man hört Ihnen gleich an, daß Sie Ackerbau
-studieren und künftiger Scholta und Großbauer im Wendenland sind.
-Jawohl, das ist unsere moderne Landwirtschaft! Der Landwirt stellt
-sich an die Wiese und phantasiert von epischer Ruhe und lyrischer
-Unterbrechung, und die Ochsen zu Hause verhungern und die Wirtschaft
-geht sachte zum Deibel.«
-
-»Lieber Vater ...«
-
-»Lieber Sohn?! Sei du man stille! Denn du bist erst der rechte!«
-
-Heinrich von Withold, ein zweiter junger Mann, nickte seinem Vater
-gemütlich zu und pfiff eine kurze musikalische Sentenz.
-
-»Pfeif nur, Bürschel, pfeif nur! War wohl wieder von dem verrückten
-Kerl, von dem Wagner? Ich sage -- einmal und nicht wieder!«
-
-Niemand fragte, was er meine. Alle wußten, er meine, einmal habe er
-eine der neuen Wagnerschen Opern angehört und tue das nie wieder.
-
-»Auf keinen Fall!« fuhr Herr Withold zornig beteuernd fort. »Jetzt
--- was soll ich machen, daß der Junge, der Heinrich da, sich viel
-mehr mit musikalischen Faxen abgibt, als daß er Volkswirtschaft und
-Agrikultur studiert, wofür ich ihn, Himmeldonnerwetter, nach Breslau
-zur Universität geschickt habe?! Was soll ich machen?«
-
-»Ach, wir können die Kinder nach unserm Sinn nicht formen. So wie Gott
-sie uns gab, muß man sie halten und lieben,« entgegnete Heinrich, der
-Jüngling. »Siehst du, Papa, diese Verse sind auch dichterisch, zwar
-nicht von meiner Schwester Elisabeth, aber von Goethe, von Johann
-Wolfgang von Goethe.«
-
-»Affe!« sagte der Alte. (Er meinte seinen Sohn Heinrich, nicht
-Goethe.) »Affe!« wiederholte er, »ihr habt Glück, daß ihr so einen
-schafsgutmütigen Vater habt, sonst -- Donnerschlag ja ...! Ich amüsier'
-mich schon immer, wenn ich so 'ne Visitenkarte von einem Studenten
-sehe: ›~stud. med.~‹, ›~stud. jur.~‹, ›~stud. phil.~‹, ›~stud.
-agric.~‹ und was da alles draufsteht. -- Da sag ich mir immer, das
-erste ›~stud.~‹, das is das, was der Kerl im allgemeinen nicht macht,
-und das, was dahinter kommt, das is das, wovon er sich ganz besonders
-drückt. Herr Gott, dahier stehen zwei Studenten, ~cives academiae~, wie
-es so stolz heißt -- Herr Juro und Herr Heinrich, mein vielbegabter
-Herr Sohn; beide sollen in Breslau Agrikultur studieren, beide sollen
-ja einmal große Güter übernehmen. Gut! Kommen wir also hier an diese
-kolossalen Bergwiesen. Müßte man denken -- halt -- Studenten des
-Ackerbaues -- halt! -- was werden die machen? Werden sich gewiß
-hinstellen und sagen: Bis zu dem Gebüsch da soundsoviel Huben, bis zur
-Baude soundsoviel Huben und so weiter. Und dann: Verflixt ja, wenn ich
-diese Prachtwiesen unten im Gelände hätte -- das Kroppzeug von Knieholz
-rodete ich aus -- Klee? -- Ruchgras? -- Luzerne? -- Zum mindesten
-Buchweizen? -- Wollen mal sehen! -- Aber die Wiesen liegen nu mal hier
-oben. Viertausend Fuß hoch. Nichts zu machen mit Talbepflanzung. Aber
-mit Almenwirtschaft, zum Donnerwetter, mit rationeller Almenwirtschaft!
-Schande und schade um so herrliche Flur! Jawohl, so müßte man denken,
-würden zwei Studenten sagen, die Ackerbau studieren. Ach, du oller
-Döskopp! Einer spricht von epischer Breite und lyrischer Unterbrechung
-und einer pfeift 'ne Melodie, nach der nicht mal sein letzter
-Pferdeknecht tanzen mag.«
-
-»Herr von Withold, Sie haben ganz recht. Was mich angeht, so befinde
-ich mich sicher an ganz falschem Platze. Ich habe eben für die
-Landwirtschaft nicht das mindeste Talent.«
-
-»Na, Juro, so schlimm wird ja das nicht sein. Hauptsache, Sie geben
-sich Mühe. Seh'n Sie mal, das schöne Gut wartet doch auf Sie! Ein
-Rittergut können Sie aus der alten wendischen Scholtisei machen, wenn
-Sie's vernünftig anstellen. Ihr Großvater und Ihr Vater haben ja
-kolossal zugekauft. Wie groß ist denn Ihr Väterliches jetzt?«
-
-»Ich weiß es nicht«, sagte Juro achselzuckend.
-
-»Sie -- Sie wissen das nicht? Ja, erlauben Sie mal, das -- das ist arg!
-Studiert Ackerbau und weiß nicht mal, wie groß das väterliche Gut ist.
--- Das ist ja unglaublich! Als ich so alt war wie Sie, kannte ich auf
-unserem Gute sozusagen jedes Rind, jedes Schaf, jeden Hahn persönlich
-mit seiner ganzen Lebens- und Familiengeschichte. Und Sie wissen nicht
-mal -- ja, dann ist's allerdings am besten, Sie hängen die Geschichte
-an den Nagel.«
-
-»Ich möchte wohl, wenn ich es könnte.«
-
-»Aber Mensch, Christ, Bürger, Sie haben doch Traditionen zu erfüllen!
-Sie können doch nicht mir nichts dir nichts eine so wunderbare Sache
-fahren lassen. Donnerwetter, bei Ihnen ist ja von Bauernwirtschaft gar
-keine Rede mehr, das ist doch ein großes Gut! Ja, Mensch, wollten Sie
-denn lieber ein ärmlicher Stubenhocker sein, als über eigenen Grund und
-Boden schreiten als freier Mann, dem niemand auch nur ein Wörtlein zu
-sagen hat, der lebt wie ein König?«
-
-»Wie ein König der Wenden!«
-
-»Red' mir nicht hinein, Heinrich! König der Wenden, das gibt's nich!
-Das is eine von den vielen alten Sagen, die die Wenden haben. Unsere
-Wenden sind gute Preußen, haben ihren König in Berlin, wie andere
-Preußen, ihren Bramborski Kral. Aber ein König in seiner Art ist jeder
-freie Landwirt, und nur er, alle anderen bis zum Minister und General
-hinauf sind abhängige Diener.«
-
-Er nahm einen Schluck aus der Reiseflasche und fuhr fort: »Und Heimat
--- ist Heimat gar nichts mehr? Irgendein Tand, den man leichten Herzens
-aufgibt? Sehen Sie, Juro, Ihre Wendenheimat ist schön! Nicht lauter
-Kernboden -- nein, viel Sand und auch Moor dazwischen. Aber doch gutes,
-treues Land, auf das man sich immer noch verlassen kann. Ja, und ich --
-ich bin ja eigentlich ein Fremder dort zu Lande. Na, schütteln Sie nich
-den Kopp! Ich bin ein deutscher Rittermäßiger, der sich im Wendenland
-sein Gut gekauft hat. Ja, ich kann mich nicht beschweren, die Wenden
-sind gute Leute. Saufen ja 'n bissel -- das tun wir auch -- sind auch
-sonst nicht gerade große Säulenheilige -- das sind wir auch nicht --,
-aber sind fleißige Arbeiter und ehrliche Leute. Juro, ich bin ein
-Deutscher, aber ich möcht aus dem Wendenland nicht raus; es is mir zur
-Heimat geworden, wenn ich mir auch jetzt noch mit jedem wendischen Wort
-die Zunge verrenke. Und Sie -- Sie sind doch ein geborener Wende!«
-
-Juro ließ den Kopf sinken und zupfte mit den Fingern an dem kurzen
-Grase. Der Wind spielte leicht mit seinen schlichten blonden Haaren,
-und eine tiefe Röte bedeckte seine Wangen. So sprach er:
-
-»Ach, Herr von Withold, Sie wissen nicht, woran Sie da rühren. Das sind
-ja die Kämpfe, die ich seit vielen Jahren führe mit meiner Mutter, mit
-meinem Vater, mit mir selbst, auch mit meinem Bruder Samo. Daß ich für
-die Landwirtschaft kein Talent und kein Interesse habe, ist ja von
-meiner Nationalität ganz unabhängig und hat damit gar nichts zu tun.
-Ich studiere ja auch in der Hauptsache Medizin und höre nur nebenbei
-einige landwirtschaftliche Vorlesungen. Was mich grämt, ist aber, daß
-sie mich zu Hause alle als einen Abtrünnigen ansehen, als einen, der
-sein Wendentum verrät und ein Deutscher wurde.«
-
-Der junge Mann stand auf. Eine große Erregung überkam ihn.
-
-»Ich will's ja nicht leugnen, ich bin ein Deutscher in meinem Herzen.
-Aber ich wehre mich dagegen, daß ich das Wendentum verraten haben
-soll. Was sind die Wenden noch? Ein winziges Häuflein, eingesprengt
-ins große deutsche Volk. Und wie ist ihnen zu helfen? Dadurch, daß
-sie sich feindselig und eigensinnig absperren? Dann müssen sie
-verhungern, vor allen Dingen auch geistig verhungern. Wir haben keine
-große Nationalliteratur, keine nationale Kunst, keine nationale
-Wissenschaft, keine großen nationalen Schulen, nicht einmal nationale
-Geschäftsbetriebe. Auf unseren Walddörfern sitzen wir in Armut, und
-wenn einer hinauskommt und nichts kann als seine wendische Sprache,
-die niemand versteht, dann wird er ein Helot, und das ganze Volk wird
-ein Helotenvolk werden. Das will ich nicht, dagegen wehr' ich mich,
-eben weil ich die Meinigen liebe, und darum müssen wir, die selbst zu
-schwach sind, uns an ein stärkeres und reicheres Volk anschließen,
-müssen wir eine Sprache haben, die ins weite Land klingt und auf vielen
-Märkten und in vielen Hörsälen verstanden wird.«
-
-Er hielt inne und blickte hinunter ins tiefe Elbtal, das den
-preußischen und den böhmischen Kamm des Riesengebirges trennt. Steil
-fallen die Felsenwände des böhmischen Krokonosch hinab zum Fluß. Juros
-Blicke schweiften hinüber zum böhmischen Land. Und er sprach das, was
-in seinem jungen Grüblerherzen sich in vielen einsamen Stunden gebildet
-und immer wiederholt hatte, was er wie sein eigenes Evangelium konnte:
-
-»Anschluß an ein glücklicheres Volk, als wir sind, denen das Schicksal
-durch alle Jahrhunderte die Größe und Selbstherrlichkeit versagt hat!
-Kapitulation in Ehren! Aussöhnung mit gegebenen Notwendigkeiten,
-Aussöhnung, die uns nicht schändet, die uns vorwärts führt.
-Heimatsuchen in weitem Gefild, Heimatsuchen, das meinen stillen,
-gutmütigen Brüdern und Schwestern nicht schwerfallen wird ... Aber
-nicht dort drüben, nicht bei den Tschechen, die unsere Vettern heißen,
-die viel glücklicher waren als wir, in viel reicherem Lande wohnen und
-die doch trotz aller Großmannssucht den Weg zu einer hohen Staffel
-der Menschheit nicht fanden. Wir wollen Deutsche sein, im Deutschtum
-vorwärtskommen und ehrlich mithelfen, das, was uns am Deutschtum nicht
-gefallen kann, zu ändern und zu bessern.«
-
-Der alte Withold reichte Juro gerührt die Hand, und der Mund des
-jungen, leidenschaftlich erregten Wenden zuckte.
-
- * * * * *
-
-Im Silberlicht des Mondes spielte die junge Elbe auf der Bergwiese. Und
-sie plauderte harmlos wie alle Bächlein, die mit Gräsern spielen und
-mit lachendem Glick-Glack und Hopp-Schlock über wichtigtuende Hölzchen
-wegsetzen, die sich ihnen neckend in den Weg legen. Das spielende
-Königskind, das zu Großem berufen ist, zur Beherrscherin weiter Lande
-und mächtiger Städte, tändelt hier in seiner Jugendheimat, lacht, tanzt
-und plaudert wie ein armes Wiesenwässerchen, das im nächsten Dorfteich
-mündet.
-
-Aber eine ungestörte Jugend haben Königskinder nicht. Alte Leute,
-die von ihrer großen Mission wissen, nehmen sie von Zeit zu Zeit vom
-Spielplatz weg, bekleiden sie mit Größe und Würde, mit Brokatgewändern
-und goldenen Kronen, trichtern ihnen ein trutzig und altklug Sprüchlein
-ein und stellen sie so dem Volk zur Schau.
-
-»Seht da, das Königskind! Seht die Würde und Größe, die in ihm ruht!«
-
-Also geschieht es auch mit der jungen Elbe. Ihre Wässerchen werden in
-einem großen Wasserbehälter aufgefangen, der dicht an einem felsigen
-Abgrund liegt, und wenn der ganze Behälter voll ist und wenn genug Volk
-da ist, das geneigt ist, seinen Tribut zu entrichten, dann zieht der
-Wärter, der Gouverneur des jungen Königskindes, eine Schleuse, und das
-Kind, das eben noch silbern lachte, spricht plötzlich mit donnernden
-Herrscherworten, entrollt seinen tausendfaltigen Demantmantel, steigt
-mit Riesenschritten hinab ins Tal.
-
-Freilich, es ist nur ein höfisches Theater, es ist nur, um dem Volk
-ein Schaustück zu stellen. Kaum ist das Königskind im Tal angelangt,
-so zieht es den wallenden Demantmantel wieder aus, hört auf, seinen
-eingelernten Donnerspruch zu sagen, und spielt tändelnd wieder wie
-andere Kinder. -- --
-
-Einsam lag die Gebirgsbaude an der Felsschlucht, wo der alte Wärter am
-Wasserbassin lehnte und wartete, ob er um ein Stücklein Trinkgeld den
-»Elbfall« noch einmal »ziehen« können würde. In der Baude saßen Gäste,
-lachten beim böhmischen Wein. Ein Fiedler spielte, sein Weib schlug die
-Gitarre. Sie sangen »Gott erhalte Franz den Kaiser« und »Heil dir im
-Siegerkranz«.
-
-Die drei Künstlermenschen, das Geschwisterpaar Withold und der junge
-Wende Juro, wanderten draußen durch den lichten Abend, sahen den
-Himmelskuß des Sternenlichtes auf den Stirnen der Berge, sahen das
-tiefe dunkle Elbtal hinab einen weißen Nebelschwaden fahren, der
-war wie ein silberner Kahn auf dunklem Strom. Als die drei zu einem
-schmalen, steinigen Fußsteig kamen, der in die Elbschlucht führt, sagte
-Heinrich zu Juro und Elisabeth:
-
-»Steigt ein Stücklein da hinab. Ich gehe hinüber zum Wärter, er muß
-den Fall noch einmal ablassen. Das wird schön aussehen jetzt im
-Mondenschein.«
-
-Da standen Juro und Elisabeth erst zögernd still, dann gingen sie
-beklommen den dunklen, schmalen Felsenweg hinab. Sie waren jung. Sie
-waren Träumer. Sie liebten sich, und ihre Seelen waren unverdorben. Da
-war die herzschlagende Scheu in ihnen, die bange Furcht und doch auch
-die schmerzliche Sehnsucht: jetzt in dieser lichten Abendstunde möge
-die Zeit gekommen sein, wo das goldene Tor zum Allerheiligsten ihrer
-Seele aufspringen und sich das Wunder offenbaren würde, das wohlgehütet
-da wohnte -- ihre Liebe.
-
-Langsam stiegen sie den holprigen Pfad hinab, und wenn der Mann dem
-Mädchen die Hand reichte, dann glühten die Hände ineinander wie im
-Fieberfeuer, oder sie trafen sich kalt wie in Schreck und Angst.
-
-Als sie endlich stehenblieben, war ein Baumstamm zwischen ihnen, aber
-sie fühlten ihre Nähe, und es war, als ob tausend weiche Wunderfäden
-sich um sie und den Stamm rankten und sie in weltferne Wonnen
-einspännen. Ein Nachtvogel huschte vor ihnen auf; sonst war alles in
-tiefer, feierlicher Ruhe.
-
-Da kam ein Plätschern, ein Rauschen, dann ein Brausen, und donnernd
-fiel eine Silberflut vor ihren Augen durch die Nacht, und eine
-Siegeshymne dröhnte an ihr Ohr. Eine Fülle von Schönheit, Größe, Kraft
-ward vor ihnen aufgetan, ein Siegesjubel, ein jauchzender Glaube an
-Glück und Freude durchschütterte sie ...
-
-Der Strom überdröhnte den Schlag ihrer Herzen, und sie lagen sich in
-den Armen zum ersten langen heißen Kuß.
-
-Sie sprachen kein Wort. Den ganzen großen jubelnden Inhalt ihrer Herzen
-sang der silberne Fluß in gewaltiger Melodie.
-
-Erst als der Strom versiegte, als ein dünnes Rinnlein einen leisen
-Epilog zu dem großen Schauspiel sprach, da erwachten sie zur
-Menschensprache und gaben sich in stammelnden Fragen und wirren
-Antworten, mit leisem Seufzen und glückseligem Lachen Kunde von ihrer
-Liebe.
-
-»Ich gehöre dir für immer und ewig!«
-
-Diese Worte sprach Juro fest und mit feierlichem Ernst. Es war ein
-Gelöbnis, das aus der Gegenwart herauswuchs und an keine Kämpfe der
-Zukunft dachte.
-
-Der Wendensohn und das deutsche Mädchen hatten sich verlobt. -- -- --
-
-Heinrich kam, merkte sogleich, was geschehen sei, drückte dem Freund
-und seiner Schwester die Hand und übernahm es, oben auf dem Wiesenplan
-die Verwirrung der beiden jungen Leute durch seine Munterkeit zu
-verbergen.
-
-Die Eltern und alle anderen Gäste waren aus der Baude gekommen, und nun
-wurde im Freien eine große Polonaise geschritten, zu der der Böhme und
-sein gitarreschlagendes Weib gar lieblich musizierten.
-
- * * * * *
-
-Ein später Wanderer kam vom Hohen Rad herüber. Er war schon weit
-gegangen, hatte in vielen Bauden Einkehr gehalten und überall
-dieselbe Frage getan. Nun wies ihn die Spur, der er folgte, nach der
-Elbfallbaude, die da endlich vor ihm lag. Er hörte Musik, sah tanzende
-Gestalten, hörte ein deutsches Lied singen und blieb stehen. Den Hut
-hielt er in der Hand, der Mond bestrahlte seinen Kopf.
-
-Schlichtes, schwarzes Haar, in die Stirn gekämmt, etwa wie es die
-Russen tragen, breite Wangen, zwei kleine dunkle, bewegliche Augen. Die
-Figur klein, aber kräftig, ein wenig krummrückig, so daß der Hals kurz,
-gedrückt erschien. Er war jung, ohne recht jung auszusehen, über dem
-scharf und energisch geschnittenen Mund war kein Barthaar zu sehen.
-
-Wieder tönte das Lied herüber. Da kniffen sich die kleinen Augen
-zusammen, und der Fremde sprach in fremder Sprache:
-
-»Tolle Deutsche auf slawischem Boden!«
-
-Im Weitergehen summte auch er ein Lied:
-
-»~Kde domov muj?~«
-
-Es war das tschechische Heimatlied: »Wo steht mein Vaterhaus?«
-
-So kam er an die Baude heran. Mit finsterem Blick schaute er dem
-fröhlichen Tanze zu, blickte er besonders auf Juro, der mit Elisabeth
-tanzte und die Ankunft des Fremden gar nicht bemerkte.
-
-Da faßte ihn dieser am Arm, hielt das Paar an.
-
-»Hör auf zu tanzen!«
-
-Er sagte es in der fremden Sprache.
-
-Juro wandte sich ihm bestürzt zu.
-
-»Was -- was ist? -- Samo -- du? -- Du -- Samo? -- Ja -- was -- was
-willst du denn?«
-
-»Daß du aufhörst zu tanzen!«
-
-»Was fällt dir ein? -- Wo kommst du her? -- Kennst du denn Fräulein
-von Withold nicht, die Tochter von Herrn von Withold aus unserem
-Nachbardorf?«
-
-Der Fremde machte Elisabeth eine leichte, mürrische Verneigung.
-
-»Ich habe mit meinem Bruder zu reden«, sagte er kurz.
-
-»Samo, ich verbitte mir diesen Ton! Ich verbitte mir, daß du mich
-hier mitten im harmlosen Tanz überfällst.«
-
-»So tanze weiter! Indes liegt unsere Mutter daheim im Sterben!«
-
-»Du bist -- du bist wohl wahnsinnig?«
-
-Der andere reichte ihm ein Depeschenblatt hin.
-
-»Mutter tödlich verunglückt --«
-
-»Samo -- was -- was -- das ist ja nicht möglich -- o Gott, Samo, das
-ist doch nicht wahr? Sag doch, was das ist -- sag doch, was du weißt --«
-
-»Ich weiß, daß ich das Blatt in Breslau bekam, daß ich hierhergefahren
-bin und daß ich dich den ganzen Tag gesucht habe.«
-
-Juro brach in ein mühsam unterdrücktes Schluchzen aus und wollte sich
-dem Bruder an die Brust werfen. Der wehrte ihn ab.
-
-»Hol deine Sachen und komm!«
-
-Eine Weile stand Juro fassungslos da, indes seine Hände das böse Blatt
-zerknitterten, dann wandte er sich zu Elisabeth.
-
-Die stand mit todblassem Gesicht neben ihm. Die anderen drängten heran,
-die Musikanten brachen das Spiel ab, eine kurze Auskunft wurde gegeben,
-eine Flut bedauernder Worte wogte durcheinander.
-
-Da ging Juro nach der Baude, holte sein geringes Reisegepäck. Als er
-vor Elisabeth zum Abschiednehmen stand, sagte er leise zu ihr:
-
-»Nun bleib mir treu! Jetzt brauche ich dich mehr als früher!«
-
-Sie wollte etwas sagen, aber ihre Lippen zuckten nur. Doch sie drückte
-ihm die Hand.
-
-Bald darauf wanderten die beiden Brüder der preußischen Grenze zu.
-
-
-
-
-Drüben im Wendenland kämpft die verunglückte Frau mit dem Tode.
-
-»Es geht zu Ende! -- Nehmt mich aus dem Bett! Holt frisches Stroh. --
--- -- Weine nicht so sehr, Hanka! -- Wenn ich tot bin, weine nicht auf
-meinen Sarg -- -- sonst müßte ich kommen und dich zu mir holen -- --«
-
-Eine lange, bange Pause. Dann fährt die Kranke fort: »Kommt Juro? --
-Habt ihr ihm geschrieben? -- -- Ich muß noch mit ihm reden -- -- und
-ich will ihn sehen --«
-
-Der alte Scholta tritt ans Bett seiner Frau.
-
-»Juro kommt und auch Samo kommt.«
-
-Die Kranke lächelt und reicht ihrem Gatten die Hand.
-
-»Hanzo! Ich danke dir, daß du mich zu deiner Frau genommen hast! Das
-war eine Gnade von Gott!«
-
-Über das scharfgeschnittene, bartlose Gesicht des alten Wenden geht ein
-tiefer Schmerz; aber er sagt nichts als: »Gott helfe dir!«
-
-Die Frau richtet den Blick nach der Wand, wo der Glasschrank steht.
-Er ist aus gelbgestrichenem Kirschbaumholz und hat eine Tür mit drei
-Glasscheiben, durch die man ein Gewirr bunter Dinge steht. Da sind
-Porzellan- und Glasgefäße vom Ahn und Urahn her. An alle knüpfen sich
-Familienerinnerungen, auf manchem steht ein alter Name, eine alte
-Jahreszahl, ein alter Segensspruch, der noch immer wirkt, wenn man
-ihn liest. Da sind noch die Tabaksdose und die Korallenkette, die
-der Alte Fritz den Urgroßeltern geschenkt hat, als er einmal in der
-Scholtisei gerastet hat; da ist Großvaters eiserner Ehering vom Jahre
-1813. Wie die Kaffeetassen glitzern mit ihren goldenen oder hellroten
-Aufschriften! Dazwischen liegt ein altes Stück Holz. Es stammt von
-der uralten Hejka, der Hammerkeule, die der erste Scholta der Familie
-als Zeichen seiner Macht führte, mit der er sich verteidigte, als er
-in bösen Zeitläuften des langen Krieges von Kroaten überfallen wurde.
-Die Kroaten erschlugen ihn, zerschlugen seine Hejka. Aber das Holz der
-Hejka liegt immer noch als Heiligtum im Glasschrank unter den schönen
-feierlichen Kaffeetassen, das Andenken des Urahnen ist immer noch im
-Segen, und die Kroaten werden wohl gestorben und verdorben und verloren
-sein, wie alle bösen Menschen verlorengehen.
-
-Die schlimmen Schmerzen kommen wieder, die Kranke verliert das
-Bewußtsein.
-
-Hanka, das junge Wendenmädchen, schreit laut auf, Hanzo tritt ruhig ans
-Bett und schiebt das jammernde Mädchen beiseite. Der alte Knecht Kito
-schleicht durch die Tür herein. Er hat ein Büschel Kirchhofgras in der
-Hand.
-
-Die Kranke erwacht wieder zum Leben. Und nachdem ihre Augen lange in
-Fieber und Schmerz an der Stubendecke herumgeirrt sind, richtet sie
-wieder den Blick nach dem Glasschrank und reicht ihrem Manne die Hand.
-
-»Hanzo, es war eine Gnade --!«
-
-Dort im Glasschrank ist noch der kleine Rautenkranz, den Hanzo bei der
-Hochzeit auf dem Kopfe trug. Weil er »~cysty~« war -- ehrbar. Und der
-Kranz ist ihm nicht abgefallen den ganzen Tag, nicht einmal beim Tanze.
-Nun ist der Kranz freilich braun und dürr, aber die grünen und weißen
-Seidenfäden, die von ihm herunterhängen, sind noch immer weiß und grün.
-Da steht noch ihre eigene farbengeschmückte Brauthaube, da ist noch
-ihr eigener Kranz, da ist noch der Taler, den ihr die Mutter in den
-Brautstrumpf steckte, damit sie immer im Leben Geld habe. Da sind noch
-zwei Kerzenstümpfe, die gebrannt haben von dem Augenblick der Geburt
-ihrer beiden Söhne Juro und Samo an bis zu deren Taufe. Nun kann der
-Teufel keine Macht über sie haben ihr Leben lang.
-
-Grüne, schöne Zeit! Die scheidende Seele geht am letzten Herbsttag
-immer zu ihrem Frühling zurück.
-
-»Sie stirbt! Sie stirbt!« schreit Hanka, das Mädchen, wieder
-leidenschaftlich auf und neigt sich über die bleiche Kranke. Die fährt
-mit irren Fingern nach dem Verband an ihrem Kopf, und ein rotes Rinnsel
-fließt über Auge und Wange.
-
-»Sie stirbt! Sie stirbt!«
-
-»Geh weg, Mädel!«
-
-Der alte Knecht Kito steht am Bett. Er hat Gras geholt vom Kirchhof
-und es trocknen lassen. Nun zündet er die dürren Gräser und Blumen an,
-läßt den Rauch hingehen über die Kranke und spricht:
-
- »Ich sehe einen heiligen Baum.
- Er hat kostbare Frucht getragen.
- Er trägt nicht mehr.
- Blut stehe still und tue nicht weh:
-
-Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes!«
-
-»~To pomogaj si bóg wósc, bóg syn a bóg swety duch~«, wiederholt der
-alte Scholta. -- --
-
-Da fährt ein Wagen in den Hof. Ein Herr springt heraus, stellt draußen
-einige Fragen und tritt in die Stube.
-
-»Tag! Also, was ist los?« So fragt er barsch.
-
-Die beiden alten Wenden und das junge Mädchen starren den Fremdling an.
-Der geht auf das Krankenbett los ...
-
-»Also, wollen mal sehen!«
-
-Und streckt die Hand nach der Kranken aus.
-
-»Herr, wer sind Sie? Was wollen Sie hier?« fragt der alte Scholta.
-
-»Ja, Mann, ich bin doch der Arzt -- ~Dr.~ Brehler. Sie haben mich doch
-rufen lassen.«
-
-»Ich habe Sie nicht rufen lassen.«
-
-»Na, hört sich alles auf! Kommt so'n Kerl, Wilhelm Tielscher oder so
-ähnlich -- also Ihr Knecht -- kommt der mitten in der Nacht, klingelt
-mich raus und sagt, ich müsse sofort zu seiner verunglückten Frau
-kommen. Na, ich hab' den Morgen abgewartet und bin nun hier. Die Fahrt
-durch Ihre Sandgruben und Schlammgräben ist doch kein Vergnügen. Ist
-das nu Ihre Frau?«
-
-»Ja! Und verunglückt, schwer verunglückt ist sie auch -- ja! Aber Sie
-rufen lassen habe ich nicht -- nein!«
-
-»Das ist stark! Mich hierher in dieses weltverlorene Nest -- Ja, Mann,
-sehen Sie nicht, daß die Frau stirbt?«
-
-»Ja, das sehe ich!« sagt der Scholta ganz leise.
-
-»Und Sie lassen die Frau so liegen? Was ist denn das für ein
-schauderhafter Qualm hier?«
-
-Der alte Kito tritt vor.
-
-»Ich habe die Frau angeräuchert und das Blut besprochen«, sagt er mit
-großem Ernst.
-
-»Beräuchert? Besprochen? Ja, Menschenkinder, gibt's denn im neunzehnten
-Jahrhundert wirklich noch solch schafsdämliche Gesellschaft? Seid ihr
-denn verrückt?«
-
-»Herr Doktor! -- Herr Doktor! -- Herr Doktor!«
-
-Mehr bringt der weißhaarige Alte nicht heraus. Aber mit seinem
-angebrannten Grasbüschel fährt er dem Arzt vor dem Gesicht herum.
-
-»Herr Doktor -- ich habe -- im Namen Gottes --«
-
-»Im Namen Gottes wird der hellste Blödsinn vollführt seit ewigen
-Zeiten!« schrie der Doktor. »Macht das Fenster auf! -- Und Sie -- Sie
-sind doch der Mann von der Frau? Soll ich sie nun untersuchen oder
-nicht?«
-
-Der Scholta senkte den Kopf und schwieg.
-
-»Also -- da -- da macht doch, was ihr wollt!«
-
-Zornschnaubend wandte sich der Arzt nach der Tür. Da eilte ihm Hanzo
-nach.
-
-»Herr Doktor -- können Sie -- können Sie meiner Frau wirklich das Leben
-retten?«
-
-»Natürlich kann ich. Dafür bin ich Doktor! Aber ihr mit eurem
-blödsinnigen Quatsch macht ja alles zuschanden. Adieu!«
-
-»Herr Doktor! Herr Doktor! Ich bitte so sehr! Ich gebe alles, was Sie
-wollen, wenn Sie es wirklich können!«
-
-»So! Auf einmal! Erst wird man behandelt wie'n Schuhputzer, und dann --«
-
-Er kehrte um, tat einige barsche Fragen und enthüllte dann die
-bewußtlose Frau, um sie zu untersuchen.
-
-Der alte Hanzo wandte sich ab. Er schluchzte, und seine Brust krampfte
-sich zusammen. Der Sohn der Heide litt darunter, daß ein fremder Mann
-seine Frau sah. Der alte Kito schlich mit seinem Grasbüschel hinaus.
-
-Eine lange schmerzliche Pause. Die Sonne sah zum Fenster herein
-und vergoldete den Rautenkranz, den der Scholta bei seiner Trauung
-getragen, und in dem alten Glasschrank war Licht und Glanz, und in der
-keuschen Seele des Bauern war Nacht und Qual.
-
-»Hm! Da ist nichts mehr zu machen! Da ist es vorbei!«
-
-»Herr! -- Und da -- da -- da -- haben Sie erst --«
-
-»Was habe ich?«
-
-»Sie -- Sie -- Mariana --«
-
-Der alte Scholta sinkt am Bett nieder und deckt alles, was er mit
-seinen zitternden Händen erlangt, hastig über seine Frau.
-
-»Ja, Mann, was wollen Sie eigentlich?«
-
-Der Scholta springt auf.
-
-»Können Sie -- können Sie ihr nicht helfen?«
-
-»Nein! -- Es ist vorbei --!«
-
-»Und Sie haben --«
-
-»Was habe ich?«
-
-»Sie erst -- erst -- erst --«
-
-»Also, Mann, brüllen Sie mich nicht an! Ich hab' die Sache endlich
-satt. Adieu!«
-
-Mit kraftlos herabhängenden Armen, an denen sich die Fäuste ballten,
-sah der alte Wende dem Arzte nach. -- --
-
-Oh, es war schade!
-
-Es war schade, daß kein besserer Arzt, kein besserer Deutscher, kein
-besserer Mensch in diese wendische Krankenstube trat. Und es war
-schade, daß der deutsche Knecht Wilhelm Tielscher sechs Wochen lang ins
-Gefängnis gesteckt wurde, weil er den Arzt, den er auf der Heimfahrt
-begleitete, unterwegs aus dem Wagen gezogen, durchgeprügelt und zu Fuß
-hatte heimgehen lassen.
-
-
-
-
-Als der Abend kam, sagte die kranke Frau: »Nehmt mich aus dem Bett.
-Holt das Sterbestroh und legt mich darauf!«
-
-Alle wehrten ab.
-
-»Ich muß sterben,« sagte die Frau, »und es möchte niemand mehr in den
-Betten schlafen, in denen ich gestorben bin. Legt mich auf das Stroh!«
-
-Sie verlangte den alten wendischen Brauch, der das Bettzeug nicht
-unbrauchbar werden lassen will, weshalb der Kranke vor seinem
-Verscheiden neben das Bett auf Stroh gelegt wird.
-
-»Es ist schade um die Betten!« sagte die sparsame Frau. »Ihr müßtet sie
-verbrennen!«
-
-Hanzo neigte sich über sie und sagte:
-
-»Weißt du nicht, wer du bist?«
-
-Da flog ein stolzes Lächeln über das Antlitz der Kranken, und sie sagte
-wieder:
-
-»Hanzo, es war eine Gnade!«
-
-Dann sprach sie stolz zum alten Kito und zu Hanka:
-
-»Ich sterbe im Bett, weil mein Mann der Kral[3] ist.«
-
-Sie nahm ihn an der Hand und flüsterte:
-
-»Ich werde noch so lange leben, bis Juro kommt. Ich muß noch mit ihm
-reden wegen Hanka und vom Kral.«
-
-Er nickte und saß am Bette und hielt ihre Hand.
-
-Und so warteten die beiden auf ihre Söhne und auf den Tod.
-
-Aber zwischen alles schwere Leid und alle Erwartung mischte sich immer
-der Königsgedanke. Der Königsgedanke war im ganzen Haus -- bei der Frau
-als die stolzeste Erinnerung ihres entfliehenden Lebens, bei dem Manne
-und bei allen Wenden in Haus und Hof.
-
-Es war die Gewißheit, hier geschehe etwas anderes, Größeres, als wenn
-sonst eine wendische Frau starb.
-
-Die Frau des Kral starb, die heimliche Königin der Wenden schied aus
-dem Leben.
-
-Dieser Gedanke ging durchs Dorf: der alte Briefträger trug ihn über
-die Heide; ein Händler fing die Kunde auf und trug sie weiter; am
-Ackerpflug, am Webstuhl wurde er besprochen, und bald sagten sich
-die Schiffer und Fischer drunten im Niederland an der Spree wie auch
-die Schafhirten im Oberlande heimlich und scheu: »Die Frau des Kral
-stirbt!«
-
-Als dieser Abend weiter vorschritt und der Nachtwind ans Fenster
-klopfte, schrie die Frau auf:
-
-»Oh -- der Nachtjäger!«
-
-Die Mägde stürzten mit neuem Tee herbei, mit Wohlverleih und
-Schwarzwurzel, die da gut sind für die Wunden, und sie brachten
-Bitterklee gegen das Fieber.
-
-Im Wundfieber sprach die Frau vom König der Wenden. Wirr waren ihre
-Worte: vom verblühten Flieder sprach sie, von der ledernen Brücke, von
-toten Kindern und vom Spinnen und Weben -- abgerissene, harte Worte vom
-Untergang, und dann lachte sie dazwischen, rief nach Juro und Samo, gab
-Befehle für die Milchwirtschaft und kam wieder auf den Kral und sprach
-von einer silbernen Schaufel, von einer weißen Wolke und einem weißen
-Fisch ...
-
- * * * * *
-
-Es ist aber dieses die
-
-
-+Sage vom Wendenkönig.+
-
-Es war vor tausend und vielen Jahren. Der Winter war mit seinem Eis bis
-auf den Grund der Spree gedrungen und sprach mit knirschenden Worten
-zu den Waldbäumen, die, in silberne Panzer gezwängt, seine Fronsleute
-waren.
-
-Da ritt vom verrufenen Kreuzweg her der Nachtjäger Sturm gegen die
-gepanzerten Bäume. Er hatte das Gesicht im Nacken und pfiff mit gellem
-Ton seinen sieben Wolfshunden. Die hatten Schweinsköpfe und kamen mit
-fliegenden Flanken und triefenden, behaarten Zungen dahergejagt. Das
-pechschwarze Roß des Nachtjägers sprang zur Höhe, daß Funken von den
-Hufen auf das Eis des Weges sprühten, und gelbes Feuer brach aus den
-Nüstern des Rosses.
-
-So ritt der Nachtjäger Sturm. Ein Beben ging durch den Wald, und alle
-Panzer klirrten, und alle Bäume duckten sich angstvoll und gramvoll
-nieder.
-
-»Hallojoho! Hallojoho! Hallojoho!«
-
-Eine Peitsche knallte, die Rüden bellten heiser und hohl. Der
-Nachtjäger lachte. Wo er vorüberritt, verhüllten sich alle Sterne. Wo
-er vorüberritt, kam das Sterben über das Vieh, erblindeten alte Leute,
-ging Jungfrauenehre verloren, ringelten sich graue Stricke gleich
-lockenden Schlangen in die Hände verzweifelnder Menschen.
-
-»Hallojoho! Hallojoho!«
-
-Die Luft dröhnt und brüllt, Raben flattern zuckend am Boden, die ersten
-Bäume brechen zusammen.
-
-Hallojoho! Der Nachtjäger ist da! -- --
-
-Da tritt ein Mann aus dem Wald. Er trägt einen Pilgermantel und einen
-Stecken als Stab.
-
-»Hallojoho! Ich reite dich zu Blut und Knochenbrei, und meine Hunde
-fressen dir Auge und Herz!«
-
-Der Fremdling aber hebt seinen Stab und steht plötzlich in großer
-Stille, steht in silbernem Mondenlicht und lächelt. Da bäumt das Roß
-des Nachtjägers hoch auf, da dreht sich der Kopf des wilden Reiters in
-wüstem Wirbel, da heulen die Hunde wie unter grausamer Peitsche, da
-wendet sich der böse Troß zu jäher Flucht.
-
-Die Wolken zerreißen, Mondenschein und Sonnenlicht fällt auf die Wiese,
-der Wald richtet sich auf, und der Wanderer geht auf ein kleines Haus
-zu, in dem ein Licht brennt.
-
- * * * * *
-
-Am knorrigen Ast des Apfelbaumes vor dem Hause hing ein alter Mann. Die
-Glieder zuckten noch im Todeskampf. Der Fremdling knüpfte den Gehenkten
-los, stellte ihn auf die Füße, stützte ihn mit jugendstarkem Arm und
-fragte nach einer Weile:
-
-»Warum wolltest du sterben?«
-
-Der Greis keuchte etwas von Not und Elend, von Krankheit unter dem
-Vieh, vom harten Winter und harten Hunger.
-
-»Der Nachtjäger hat dich betört! Komm ins Haus!«
-
-In der Hütte saß die Frau des alten Mannes. Sie war blind.
-
-»Warum bist du blind?« fragte der Fremdling.
-
-»Weil ich so viel geweint habe!«
-
-»Und warum hast du geweint?«
-
-Sie machte eine müde Gebärde.
-
-Da zog der Fremdling eine goldene Schale aus der Tasche, darin war eine
-kristallklare Flüssigkeit, und er strich mit der Flüssigkeit über die
-Augen des alten Weibleins, und sie jauchzte und lachte mit ihren wieder
-geöffneten Augen.
-
-Der alte Mann aber kniete am Tische nieder und sagte: »Du bist der
-König der Wenden!«
-
-Und das alte Weiblein kniete am Tische nieder und sagte: »Du bist unser
-Kral.«
-
-»Ja, ich bin der Kral der Wenden«, sagte der Fremde mit Feierlichkeit.
-
-Dann zog er eine Spindel aus der Tasche und ein Säckchen mit Leinsamen
-und belehrte die alten Leute, wie sie Flachs bauen und spinnen sollten.
-Und wenn erst alle Leute Flachs bauten und spännen, dann würde die Not
-fort sein aus dem Wendenlande.
-
-Diese Leute hatten aber eine schöne Tochter. Sie war groß gewachsen
-und üppig gebildet, hatte helle Haare und ein rotes Gesicht; ihre Arme
-waren stark und ihre Füße flink.
-
-Sie trat nun in die Stube und sah den Fremdling, und er sah sie. Und
-sie sahen beide ihre junge Gesundheit und ihre schöne Kraft und liebten
-sich alsobald.
-
-»Ich höre, daß die Krankheit unter dein Vieh gekommen ist«, begann der
-Fremde.
-
-»Ja, es ist so«, antwortete das Mädchen.
-
-»So komm mit mir in den Stall!«
-
-Sie gingen in die Winternacht hinaus nach dem Stalle, in dem die Kühe
-krank die Köpfe hängen ließen.
-
-Der Fremde ließ die Tiere an einem Salz lecken, hob dann die Hand und
-sagte:
-
- »Neun Brunnen sind im Mittagsland,
- Neun Würmer nagen am Ufersand.
- Die Brunnen versiegten beim Morgenrot,
- Die Würmer waren am Mittag tot,
- Zu Abend und Nacht ich spreche dies Wort:
- All' Krankheit weiche von diesem Ort!«
-
-Da wurden die Tiere gesund.
-
-Am nächsten Tage, als es Mittag war und die Sonne klar über das weiße
-Feld strahlte, nahm der Fremde das Mädchen an der Hand, führte es in
-den kleinen Garten vor der Hütte und sagte:
-
-»Ich schenke dir diesen Stab, den ich hier in die Erde stoße. Er wird
-zu einem Baume werden, an dem tausend Blumen blühen werden. Und der
-böse Jäger wird nimmermehr Macht haben über euch.«
-
-Das Mädchen dankte ihm, und als sie der Fremde so sah in ihrer
-Schönheit und Stärke, sagte er:
-
-»Du bist schön und gefällst mir wohl, und ich möchte dich zum Weibe
-nehmen, wenn du mir in Wahrheit sagen kannst, daß du eine reine Jungfer
-bist.«
-
-Da erglühte das Mädchen, und dann wurde es blaß, und es sah auf den
-herrlichen Jüngling und zögerte noch drei Herzschläge lang und sagte
-dann:
-
-»Wohl, ich bin eine reine Jungfrau!«
-
-Er fragte weiter:
-
-»Sage mir noch, wer der Mann war, den ich gestern abend von deinem
-Hause schleichen sah, ehe ich bei euch eintrat.«
-
-Sie antwortete:
-
-»War es keiner vom wilden Heer, so war es wohl ein Dieb.«
-
-Darauf nahm er sie in seine Arme, küßte sie und sagte: »Am Tage des
-nächsten Vollmondes soll unsere Hochzeit sein.« --
-
-Nach drei Tagen war aber im Kretscham des Dorfes Spiel und Tanz. Da war
-auch der Fremde dabei, und er tanzte mit seiner Braut bald zierlich,
-bald keck und feurig, bis die Sterne hoch standen.
-
-Dann aber fielen die Burschen des Dorfes, die von einem eifersüchtigen
-jungen Manne aufgehetzt waren, über den Fremden her, um ihn zu töten.
-
-Er aber warf sie -- hundert an der Zahl -- mit Riesenkräften der Reihe
-nach auf die Straße, und den einen, der das Messer nach ihm zückte,
-schlug er mit einem Fausthieb nieder.
-
-Da riefen die draußen auf der Straße: »Weh', er hat ihren Buhlen
-erschlagen!«
-
-Der Fremde sagte zu den Spielleuten, der Tanz sei aus, und ging in den
-Wald.
-
-Am anderen Tage, als wieder die Mittagssonne klar übers Feld schien,
-kam er zurück in die Hütte seiner Braut, nahm das Mädchen bei der
-Hand und führte sie nach dem Garten, wo der Wanderstecken in der Erde
-steckte.
-
-Und er fragte sie mit strenger Stimme:
-
-»Hatten jene recht, die sagten, ich habe deinen Buhlen erschlagen?«
-
-Weil aber das Mädchen nicht »nein« sagen konnte, riß er den Stecken aus
-der Erde und schlug sie nieder.
-
-Noch ehe sie starb, fragte er:
-
-»Warum hast du mich belogen?«
-
-Da sagte sie, daß sie ihn ja früher nicht gekannt hätte, daß sie ihn
-aber mit Treue geliebt hätte, als sie ihn sah. Und sie starb.
-
-Der Fremdling stand drei Stunden neben ihr in tiefem Nachdenken. Dann
-holte er eine Schaufel, begrub das Mädchen und steckte den Stecken auf
-ihr Grab. Am selben Abend noch zog er fort in die Welt.
-
-Als der Frühling kam, wuchs aus dem Stecken ein Fliederbaum. Und der
-Flieder war fortan im Wendenland. Die Blüten waren hold und lieb in
-jedem Jahr, und ihr Duft war süß und zart; aber wer sie pflückte, dem
-welkten sie an der Brust, noch ehe die Frühlingssonne unterging.
-
- * * * * *
-
-Nach vielen Jahren kam der König wieder ins Wendenland. Als er die
-Heimat betrat, wurde sein Antlitz rot und jung; er war wieder ein
-Jüngling.
-
-Auf dem Sandwege im Föhrenwald begegnete ihm ein wendisches Mädchen.
-Sie war zierlich und schlank und trug ein Bündel unter dem Arm.
-
-»Wie heißest du? Woher bist du? Wohin gehst du? Und was trägst du unter
-dem Arm?«
-
-»Das sind viele Fragen. Ich heiße Trudetzka, ich bin aus Burg und reise
-nach der reichen Stadt, um mein Garn zu verkaufen.«
-
-»Zeige mir dein Garn.«
-
-Er prüfte es und fand es fein und regelmäßig gesponnen.
-
-»Wer hat euch diese Kunst gelehrt?«
-
-Sie erzählte ihm vom Kral.
-
-Er hörte versonnen zu und fragte am Schlusse nur: »Blüht der Flieder?«
-
-»Ja, der Flieder blüht im ganzen Lande.«
-
-Darauf besann sich der König eine Weile lang und sagte dann:
-
-»Verkaufe dein Garn nicht an die Deutschen. Behalte es und gehe heim.
-Ich werde mit dir gehen und dir das Geld geben, das du verdienen
-wolltest.«
-
-Das Mädchen ging mit ihm, und sie kamen nach langer Wanderung nach
-Burg, das an der Spree liegt. Dort kaufte sich der Wendenkönig ein
-Haus. Und er baute alsbald mit kundiger Hand einen Webstuhl und wurde
-ein Leinweber.
-
-Da kamen die Wenden aus allen Häusern und Wäldern. Sie kamen auf Kähnen
-und auf Rossen, besahen sich den Webstuhl und kehrten heim. Viele aber
-erkannten den starken, klugen Mann, und sie flüsterten unter sich: »Er
-ist unser Kral.«
-
-Es geschah aber, daß Boten des Markgrafen Johannes, der an der Grenze
-herrschte, in das Haus des Kral traten und ihn fragten, ob er nicht
-Dienste nehmen wolle bei den deutschen Kriegern. Ein Obrist solle er
-sein mit goldenem Stern und funkelndem Degen.
-
-Der Kral wies das Angebot stolz von sich. Er wollte kein Diener sein
-und sich auch nicht trennen von Trudetzka, um deren Lieblichkeit willen
-er nach Burg gekommen war.
-
-Sein Ansehen wuchs von Tag zu Tag, und bald sagten die Leute in den
-Spinnstuben:
-
-»Der Leinweber in Burg ist der König der Wenden. Er ist uns
-nachgekommen aus dem fernen Asia. Er wird uns reich und groß machen.«
-
-Trudetzka aber, die goldene Münzen am Mieder trug, die ihr der Kral
-geschenkt hatte, sie führte den Kral an einem rotseidenen Faden wie
-einen Narren, und einmal lockte sie ihn in eine einsame Waldgegend und
-verriet ihn an Häscher des Markgrafen Johannes.
-
-Der Kral schlug die Häscher tot. Das Mädchen aber trug er sieben
-Stunden weit bis an den tiefsten Sumpf. Dort senkte er Trudetzka hinein.
-
-Und er tat einen Fluch gegen Wendenland und ging in die Welt.
-
- * * * * *
-
-Nach drei Menschenaltern saß der Kral in einer Herberge des
-Morgenlandes. Er war zum Greise geworden. Ihm gegenüber saß ein Mann
-mit dunklem Haar und stechend schwarzen Augen.
-
-Der Kral hob den Kopf und sagte zu dem Fremden:
-
-»Bist du aus Armenia?«
-
-Da lachte der Dunkle und wies gen Norden:
-
-»Droben im Nordland ist meine Heimat. Ich bin ein Sorb, ein Slaw; denn
-ich habe ›~slovo~‹, das Wort, und die Deutschen sind ›~njemski~‹, das
-ist stumme Hunde, denn sie können meine Worte nicht sprechen.«
-
-Da erschrak der Kral und sagte:
-
-»Erzähle mir von deiner Heimat!«
-
-Und der Fremde begann:
-
-»Es ist ein Fluß, der heißt Sprewja, und es ist ein Ort daran, der
-heißt Burg. Weithin bis nach der berühmten Stadt Budissin dehnen
-sich Felder, Wälder und Wiesen. Dort wohnen die Sorben, die von den
-~njemski~ Wenden genannt werden. Das Volk war arm, aber nun ist es
-reich und stark, denn ein Kral ist erstanden, ein Retter und Erlöser,
-der hat das Volk nützliche Künste gelehrt, die es groß und reich
-gemacht haben.«
-
-»Ein Kral sagst du?« fragte der Alte. »Ist er noch unter euch? Ist er
-jung und stark?«
-
-Die Stirn des Fremden umwölkte sich.
-
-»Der Kral ist lange nicht mehr bei uns. Er ist aufgegangen an unserem
-Himmel wie eine Sonne und ist untergegangen hinter zwei schwarzen
-Wolken!«
-
-»Hinter zwei schwarzen Wolken?«
-
-»Ja! Siehe, der Mann ist ein Stern, der auf die Erde scheint, und das
-Weib ist die Wolke, die von ihm vergoldet wird, die ihn weiß umrahmen,
-die ihn aber auch nächtlich verdecken kann. Es standen zwei schwarze
-Wolken an unserem Himmel, das waren zwei unwürdige Töchter unseres
-Volkes. Dahinter verschwand der Kral.«
-
-Der Alte seufzte und fragte:
-
-»Ist nun das Land ohne Fürsten?«
-
-Da schwieg der Fremde lange, als kämpfe er mit tiefem Gram. Dann
-berichtete er:
-
-»Das Land war so groß und reich, daß es einunddreißig Fürsten hatte.
-Aber an der Grenze lauerte der stumme Hund. Der ~njemz~! Der Deutsche.
-Es war ein Markgraf, Gero mit Namen --, der tat freundlich den Wenden.
-Der lud die einunddreißig Fürsten auf sein Schloß zu üppigem Mahl und
-flößte ihnen einen Teufelswein ein, der sie trunken und ihre Hände
-schlaff machte, und er ließ dreißig erschlagen. Ein einziger entkam.«
-
-Aufsprang der Kral in weher Wut.
-
-»Und der eine -- der letzte -- er hat das Volk gesammelt, er hat an dem
-~njemz~ Rache genommen, sein Blut vergossen, seine Burg zerstört, sein
-Land verwüstet -- gesiegt --«
-
-»Schweig, ehrwürdiger Greis -- schweige, denn ich ertrage deine Worte
-nicht -- die Schamröte verbrennt meine Wangen, wenn du so redest -- --
-der letzte, der einunddreißigste, floh vor hundertfacher Übermacht und
-sitzt, ein beschämter Pilger, an deinem Tisch.«
-
-»Du bist es?«
-
-»Ja, ich!«
-
-Still und traurig ging die Stunde weiter. Der Dunkle legte den Kopf auf
-den Tisch, der Alte deckte die Hände über die Augen, und seine Tränen
-tropften.
-
-»So ist das Volk ohne Führer?« fragte er endlich mit tiefer
-Traurigkeit.
-
-»Es ist allein. Wer bin ich, ihm zu helfen? Ein einziger könnte ihm
-helfen -- -- der Kral. Aber die Sonne ist untergegangen, und die Flur
-der Wenden liegt in Nacht.«
-
-Da stand der Alte auf und sprach mit Feierlichkeit:
-
-»Ich bin der König der Wenden.«
-
-Und der Fremde sah ihn erschrocken an und sank am Tisch in die Knie und
-fragte erschüttert:
-
-»Du bist der König der Wenden?«
-
-»Ich bin es! Und wenn mich mein Alter trägt durch die fremden Länder
-bis zur Heimat, dann will ich für mein Volk kämpfen und dann sterben!«
-
- * * * * *
-
-Sie saßen lange beisammen in der Herberge des Morgenlandes. Und der
-Fremde sagte:
-
-»Großer Kral! Das Volk wartet auf dich. Ich bin nichts als Morkusky,
-dein Diener. Aber Morkusky ist ein nützlicher Diener. Er ist jahrelang
-bei einem großen Meister gewesen und nun selbst geheimer Kräfte
-Meister.«
-
-Am folgenden Morgen reiste der Kral mit Morkusky gen Norden.
-
-Als er in seine Heimat kam, wurde er mit jedem Tage um ein Jahr jünger.
-Dieses Heimatwunder dauerte so lange, bis der Kral wieder ein starker,
-schöner Jüngling war. -- --
-
-Auf seiner Reise kam er gen Schorbus. Dort ist ein Berg, auf dem zwei
-Felsblöcke liegen. Auf dem einen Stein saß Bely Bog, der weiße Gott,
-der den Menschen, die über den Berg wanderten, die Hände mit guten
-Gaben und das Herz mit guten Gedanken füllte; auf dem andern Stein saß
-Zarny Bog, der den Menschen die guten Gaben nahm und in den Schmutz
-warf, die guten Gedanken in alle Winde stieß.
-
-Und der Kral wußte nicht, zu wem er sich wenden sollte. Denn ob er
-gleich wieder ein Jüngling war von Gestalt und Aussehen, so war doch
-sein Herz alt und kalt geblieben, hatte böser Jahre und bösen Verrats
-nicht vergessen und war hart und ohne Liebe.
-
-Und der Kral stand mitten zwischen den beiden Göttern, nicht um
-Haaresbreite dem einen näher oder entfernter.
-
-Da kam von der anderen Seite her den Berg herauf ein junger Mann, fast
-noch ein Knabe. Er war blond und schön, und seine Augen blühten wie
-blaue Blumen. Er ging nach der Seite des guten Gottes hin und grüßte
-nach Art der Deutschen.
-
-»Wohin willst du, deutscher Jüngling?« fragte finster der Kral.
-
-»Ich suche den König der Wenden.«
-
-»Was willst du vom Kral?«
-
-»Ich komme für Gero, den Markgrafen. Er lud dreißig wendische Fürsten
-zu sich auf sein Schloß. Er sprach gütlich mit ihnen. Sie aber tranken
-und prahlten mit der Deutschen Tod. Da wurden sie getötet.«
-
-»Er hat sie gemeuchelt«, schrie der Kral und trat einen Schritt nach
-der linken Seite.
-
-»Er hat sie alle dreißig im Kampf selbst erschlagen.«
-
-Da trat der Kral drei Schritt weiter auf den schwarzen Gott zu.
-
-»Was faselt der Knirps? Ein Deutscher hätte dreißig Wenden erschlagen?
-Drückt ihn der ~Plon~?[4] Was willst du hier, Knabe?«
-
-»Ich bin kein Knabe; ich bin fünfzehn Jahre alt. Aber Gero ist alt
-geworden. Alle Nächte kämpfen die dreißig Wenden mit ihm. Er ist in
-sieben frommen Klöstern gewesen, er ist nach Rom gewallfahrtet und
-findet doch keine Ruhe. Darum suche ich den Kral.«
-
-»Was willst du vom Kral?«
-
-»Ich will, daß er meinem Vater das gibt, wonach er alle Nächte seufzet:
-die Versöhnung mit den Wenden.«
-
-Als die Menschen so redeten, schwiegen die Götter. Nun aber erhob sich
-Bely Bog, der gute Gott, und er streckte seine weißen Hände aus, die
-eine über Wendenland, die andere dem Lande der Deutschen zu, und hob
-dann die Hände über sein Haupt und wob aus Sonnenschein zwei goldene
-Ringe der Eintracht. Die hielt er wortlos den beiden hin.
-
-Zwei zögernde Schritte ging der Kral auf den guten Gott zu. Aber auch
-der deutsche Jüngling nahm nur zögernd den Ring.
-
-Und er sagte dabei:
-
-»Es ist um Geros Ruhe willen!«
-
-»Um Geros Ruhe willen, sagst du? Verabscheust du selbst die Tat nicht?«
-fragte der Kral.
-
-»Nein, Gero ist krank geworden am Gemüt. Wäre ich wie er gewesen, ich
-hätte in Mannentreue die Wenden erschlagen und es nie bereut.«
-
-Da schrie der Kral auf, da stürzte er zum schwarzen Gott; da griff
-Zarny Bog unter seinen Steinsitz und zog eine Schlange hervor, die sich
-in ein Schwert verwandelte, und gab das Schlangenschwert dem Kral.
-
-Der stieß es dem Jüngling ins Herz.
-
-»Hier steht der Kral der Wenden!« --
-
-Das junge Herzblut rann, die blauen Augen verblühten, und eine
-Knabenstimme sprach:
-
-»Ich bin Geros einziger Sohn.« --
-
-Der gute Gott schlug seine weißen Hände vors Angesicht, der Zarny Bog
-aber wuchs wie eine schwarze Wolke zum Himmel, und der Kral lachte ein
-schmerzliches wildes Gelächter.
-
-Die goldenen Ringe rollten die zwei Bergseiten hinab und sanken ins
-tiefste Wasser.
-
-Gero, der Stadt und Kloster Gernrode gebaut hatte und mit müdem,
-krankem Sinn daselbst alter Blutschuld nachhing, erfuhr von dem
-grausamen Tod seines Sohnes.
-
-Oft zertritt die Göttin des Leids mit schwerem Tritt das Gewürm
-nagender Zweifel.
-
-So auch hier. Gero erwachte aus langem Angsttraum, der alte Mut, der
-alte Haß lohte auf in seiner Brust, und sieben Tage, nachdem die
-Todeskunde nach Gernrode gedrungen war, rauchten im Wendenlande die
-ersten Trümmerhaufen.
-
-Gero verwüstete das Land, und seine Mannen verfolgten den Kral durch
-die Heide, durch alle Wälder und verborgensten Winkel, über Seen und
-Moräste.
-
-Und der Kral hatte weder ein Roß noch einen Kahn. Wie ein Hirsch floh
-er durch die Wälder, wie ein Fisch schwamm er durch den Fluß. Kam er
-aber an ein Wendenhaus und bat um Schutz und Einlaß, dann schlossen
-die Leute die Tür vor ihm und jagten ihn fort, denn sie fürchteten die
-Rache des Markgrafen und fluchten dem Kral, um dessentwillen alles
-Unheil über das Land gekommen sei.
-
-Gehetzt von den Deutschen, verraten von seinem Volk, mit zerrissenen
-Füßen, mit durchnäßten, zerfetzten Kleidern, die Augen fieberglänzend
-von Anstrengung und Hunger, so brach einmal bei herandämmernder Nacht
-der Kral zusammen, als dreißig deutsche Reiter hinter ihm her waren.
-Aber noch ehe der erste vollends herankam, brach in donnerndem Ritt ein
-schwarzer Reiter aus dem Gebüsch, erfaßte den Kral, hob ihn auf sein
-Roß und ritt durch die Luft mit ihm davon.
-
-Und der schwarze Reiter drehte das Gesicht in den Nacken und bleckte
-den Deutschen eine lange behaarte Zunge heraus, und als er das
-Gesicht dem Kral wieder zuwandte, war es Morkusky, sein Begleiter aus
-Morgenland.
-
-»Morkusky, du bist der Nachtjäger?« rief der Kral entsetzt.
-
-»Ich bin wer ich will«, zischte der Schwarze. »Willst du keine
-Gemeinschaft mit mir? Willst du es mit den Wenden oder mit den
-Deutschen halten?«
-
-»Ich fluche den Wenden wie den Deutschen!« schrie der Kral. Da lachte
-der Nachtjäger.
-
- * * * * *
-
-An der Spree türmte der Nachtjäger einen Berg, grub einen tiefen See
-rundum, ließ gelbe giftige Lichter um den Uferrand erbrennen und baute
-in einer Nacht für den Kral auf dem Berge mitten im See ein festes
-Schloß.
-
-Zum jenseitigen Ufer führten nur eine lederne Brücke und ein blutroter
-Kahn. Die Deutschen wollten das Schloß erstürmen, aber die meisten von
-ihnen gingen in einem Sumpf elend zugrunde.
-
- * * * * *
-
-Der Wendenkönig wurde nun ein Räuber. Er sammelte eine Horde
-verkommener Leute um sich, raubte, brannte und mordete und feierte
-mit seinen Spießgesellen, mit Hexen und schlechten Weibern auf seiner
-Burg teuflische Feste. Weit breitete er seine Macht aus. Die Wenden
-plünderte und unterdrückte er, den Deutschen aber stahl er Kinder. Die
-Mädchen schlachtete er und fraß sie auf, die Knaben steckte er in sein
-Räuberheer und machte sie zu Unholden. Zuletzt wurde er so schlimm wie
-Morkusky, sein Meister.
-
-Und als dieser ganz zufrieden mit ihm war, verließ er ihn, um nach
-anderen Ländern zu reiten und dort Zwietracht zwischen die Völker zu
-säen -- zwischen Wenden und Deutschen war Morkuskys Werk getan.
-
-Der Kral wurde oft verfolgt von Wenden wie von Deutschen. Aber er
-schlug seinem Rosse die Hufeisen verkehrt auf, so daß er seine
-Verfolger täuschte. In höchster Not flüchtete er in sein Schloß, indem
-er über die lederne Brücke ritt, die sich hinter ihm aufrollte.
-
- * * * * *
-
-Da geschah es, daß der König einmal ein wunderholdes Mädchen raubte.
-Das hieß Rinetta und war zehn Jahre alt. Und es saß unter einem
-Fliederbaum, als er es stahl. Während nun der Kral heimritt mit seiner
-jungen Beute, war eine blühende Nacht. Alle Wege grün und bunt, die
-Sterne so träumerisch am Himmel, der sanfte Wind wie ein heiliger,
-heilender Strom.
-
-Das Kindlein weinte in des Räubers Arm, aber allgemach schlief es ein,
-ruhte an der Brust seines Mörders und sagte im Traum zu ihm: »Du guter
-Vater!«
-
-Da sah der König erschrocken auf das Kind. Er sah es mit finsterem Auge
-an. Aber er sah es zweimal und dreimal, und durch die Mainacht kamen in
-Sternenglanz und Mondschein alte Freunde, Jugendfreunde seiner Seele:
-reine, wundersame Gedanken. Nur weil er so versonnen war, nur weil er
-wie in müdem Traum durch den Wald ritt, wies er sie nicht ab.
-
-Und er sah das Kindlein noch einmal an, wie es im Glanz des
-Himmelslichtes in seinem Arm lag, und wandte in Sinnen versunken
-langsam sein Roß und trug das Kind in das Haus seiner Eltern zurück.
-
-Die schrien, als sie den Kral erkannten. Das erwachte Kind aber, als es
-sich wieder bei seinen Eltern sah, lächelte und sagte:
-
-»Oh, er hat mir nichts getan; er hat mich nur ein wenig auf seinem
-Pferde reiten lassen.«
-
-Da ging der Kral rasch von dannen.
-
- * * * * *
-
-Und die gute Tat ging dem Kral nach in sein böses Leben. Wohl blieb
-er ein wilder Räuber, aber er stahl keine Kinder mehr. Und wenn das
-bittere Heimweh kam, das alle bösen Herzen von Zeit zu Zeit überkommt,
-wenn es nicht wich bei Raubzug und Zechgelag, dann lenkte der Kral sein
-Roß zu dem Hause der Rinetta, die lieblicher aufblühte von Jahr zu Jahr.
-
-Zuletzt faßte den Kral eine so verzehrende Liebe zu dem Mädchen, daß er
-einsam wurde und wochenlang aus seiner Burg nicht herauskam.
-
-Seine Spießgesellen murrten. Viele jagte der Kral davon, andere zogen
-auf eigene Faust in die Fremde. Am Ende war der Kral allein, und am
-nächsten Tage kam Rinetta zu ihm als seine Frau. Von da an tat er
-keinen Raubzug mehr.
-
- * * * * *
-
-Und es geschah ein großes Wunder im Wendenland, als Rinetta dem Kral
-einen Sohn schenkte. Da ward der Kral dem Lande ein gütiger Vater. Er
-verteilte von den ungeheuren Geldschätzen, die er gesammelt hatte,
-er baute Weiler und Dörfer, er wurde ein Feind und Vernichter aller
-Räuber, die noch im Lande waren.
-
-Einmal, als der Kral auf einer Wiese ein Fest feierte, fiel vor ihm
-eine silberne Kugel vom Himmel. Alles Volk sah das Wunder. Und es kam
-ein Mann aus dem Walde, der hob die Kugel auf und fing an, sie zu
-kneten und zu drücken, als sei sie aus Wachs, und er formte aus dem
-Silber eine Krone.
-
-Die Krone übergab er kniend dem Kral. Der setzte sie aufs Haupt, und
-alle Wenden jauchzten ihm zu.
-
-Der Mann, der die Krone geformt hatte, verschwand und ist nicht mehr
-gesehen worden.
-
- * * * * *
-
-Einzelne von den ehemaligen Spießgesellen des Kral aber hatten in der
-Welt Morkusky, den Nachtjäger, getroffen und hatten ihm gesagt: »Freue
-dich, es ist Friede zwischen den Deutschen und den Wenden, und der Kral
-sitzt bei seiner Frau und singt ihrem Sohne Wiegenlieder.«
-
-Da brach der Nachtjäger zornschnaubend auf und sammelte in allen
-verrufenen Spelunken der Welt, in den Felsgründen wilder Gebirge und
-auf unwirtlichen Straßen ein großes Räuberheer. Damit fiel er im
-Wendenlande ein. Als er an die Spree kam, verwandelte er sich in einen
-Adler, der so groß war wie ein Pferd, flog zwölfmal um die Burg und
-tat beim dreizehnten Mal einen Zauberspruch, durch den das Schloß mit
-allem, was darin war, in die Erde sank und der See austrocknete, so daß
-nur einige kleine Wässerchen übrigblieben.
-
-Der Kral aber, der durch einen guten Geist gewarnt worden war, war mit
-seiner Frau und seinem Sohne ausgezogen.
-
-Er wanderte mit ihnen in einen tiefen Wald. Dort vergrub er die Krone
-in einen Hügel und sprach:
-
-»Hier soll die Krone liegen, bis eine Jungfrau sie mit einer silbernen
-Schaufel ausgraben wird.«
-
- * * * * *
-
-Es kam zu der großen Schlacht der Wenden gegen die Räuber. Das Blut
-floß derart in Strömen, daß es eine Wassermühle in Bewegung setzte, die
-die Blutmühle heißt bis auf den heutigen Tag. Und die Heide färbte sich
-rot und bleibt rot für alle Ewigkeit. Die Verwundeten selbst kämpften,
-auf ihre Schilde gestützt. Die Wenden siegten; alle Räuber wurden
-getötet. Der Kral selbst erschlug ihrer hundertundeinen.
-
- * * * * *
-
-Zuletzt aber sprengte der Nachtjäger gegen den Kral an, wie er es
-schon einmal vor vielen Jahren getan, als der junge König nur den
-Fliederstecken trug.
-
-Auch jetzt hob der Kral den Arm gegen den wilden Jäger. Aber das
-Schwert, das er aufhob, triefte von Blut, und der Nachtjäger floh nicht
-wie damals, sondern schrie höhnisch:
-
-»Wiegenliedsänger! Kinderfresser! Sieh, was ich habe!« Er hatte das
-Schlangenschwert, mit dem der Kral ehemals seine Untaten vollführt und
-das er nach seiner Bekehrung in einen Sumpf geworfen hatte.
-
-Dieses Schlangenschwert stieß der Nachtjäger dem Kral ins Herz. -- --
-
-Eine weiße Wolke stieg von dem Leichnam des Kral zum Himmel. Diese
-weiße Wolke wandert immerzu über das Wendenland. Auch an ganz
-sonnenhellen Tagen ist sie tief im Blauen am Himmel zu sehen.
-
- * * * * *
-
-Die Königin Rinetta aber hatte am Tage der Wendenschlacht ein weißes
-Roß bestiegen und war über die Heide gejagt, um dem geliebten Gemahl
-beizustehen, wenn er in Not sei. Als sie an die Spree kam, traten ihr
-drei wendische Männer entgegen, klagten und riefen: »Unser Kral ist
-tot!« Da sprang das Roß der Königin in die Spree und versank mit ihr.
-Nichts war mehr von beiden zu sehen. Nur ein weißer Fisch schwamm im
-Wasser.
-
- * * * * *
-
-Und der weiße Fisch sah aus dem Wasser, und die weiße Wolke hielt still
-am Himmel, wenn der junge Königssohn am Uferrande spielte.
-
- * * * * *
-
-Es geschah aber, daß die Deutschen, als sie hörten, der Kral sei
-gefallen und sein Schloß sei versunken, in das Land kamen und es unter
-ihre Herrschaft brachten. Die Wenden waren zu schwach, um ihnen zu
-widerstehen. Die Deutschen forschten nach dem Königskinde, aber niemand
-hat es verraten, obwohl alle Leute im Wendenlande es kannten.
-
- * * * * *
-
-Und der Sohn des Kral wurde ein Bauer. Er hatte sechs Söhne, und dem
-ältesten von ihnen zeigte er den Ort, wo die silberne Krone begraben
-lag, und sprach:
-
-»Bewahre das Geheimnis, und vererbe es auf den ältesten Sohn! Wenn die
-Zeit erfüllt ist, wird die weiße Wolke in den Himmel verschwinden,
-wird der weiße Fisch ins Meer schwimmen bis dorthin, wo das Meer in
-den Himmel fließt, und eine reine Jungfrau wird kommen und mit einer
-silbernen Schaufel die Krone ausgraben. Der, der dann Kral sein wird,
-wird die Krone tragen und unser Volk zum ersten der Erde machen. Wenn
-ich tot bin, bist du der Kral. Und wenn du tot bist, wird dein ältester
-Sohn der Kral. So soll es sein und bleiben durch alle Zeit.«
-
- * * * * *
-
-Der Nachtjäger aber wagt sich nur noch in den sieben bösen Nächten, die
-zwischen Weihnachten und Neujahr sind, ins Wendenland. Dann ist die
-weiße Wolke hinter undurchdringlichen Nebeln verborgen, der weiße Fisch
-wohnt in einem festen Haus von Eis, und die silberne Krone liegt tief
-unter dem Schnee im Walde.
-
-
-
-
-Das ist die Sage vom Kral, die durch tausend und viele Jahre im
-Wendenvolk lebt und die an dem Abend, da Hanzos Frau am Sterben war,
-wieder lebendig wurde, von den Heidewiesen des Oberlandes an bis tief
-hinunter in die Strohhütten an der Spree, so daß sich die Fischer im
-Niederland wie die Hirten im Oberland es zuraunten: »Die Frau des Kral
-stirbt.«
-
-Wieder einmal stand das Volk an einer Wende. Nur wenig änderte der
-schmale Weg, den seine Geschicke durch das Land der Geschichte nahmen,
-seine Richtung.
-
-Nur die Frau des Kral starb. Ein derbes, tüchtiges Bauernweib ging
-dahin. Der Kral selbst lebte.
-
-Er ging durch den Hof und durch die Zimmer so steiffeierlich wie immer.
-Nichts war anders an seiner hohen Gestalt. Und die schmalen Lippen des
-bartlosen Gesichtes waren so fest, so ohne sichtbare Linie des Grams
-zum Schweigen aufeinandergepreßt wie in den Tagen der Freude, wo auch
-kaum ein leises Lächeln um seinen Mund, ein heimliches Leuchten in
-seine Augen kam.
-
-Nur die Frau des Kral starb!
-
-Aber sie war für den Königsgedanken wichtiger als alle. Ihre
-Frauenseele hatte das große Geheimnis am besten betreut. Weil ihre
-Kindlichkeit an alle jene nationalen Wunder am festesten glaubte.
-Nicht, daß sie die Hoheit des Gedankens erfaßt hätte. Sie war keine
-Heldin, sie war eine Hausfrau. Sie hütete den Königsgedanken wie ein
-kostbares Erb- und Prunkstück.
-
-Es war ein Unglück für wendisches Volkstum, daß diese Frau starb. Die
-alte Art fing an zu vergehen. Die jungen Burschen lachten über den
-Nachtjäger; und wer bei der Garde gedient hatte, erwartete vielleicht,
-daß ihn sein Kral grüße. Die Mädchen, kaum fürchteten sie noch. Und die
-alten Sagen standen nur lebendig wieder auf, wenn etwas Schreckliches
-kam: ein wildes Wetter, der bleiche Tod oder die bleiche, unglückliche
-Liebe.
-
-Dann wurden auch für die jungen Herzen die alten Wunder wieder wach. --
-
-In lichten Augenblicken, wenn das Fieber etwas nachließ, betete die
-Frau mit lauter Stimme zu ihrem Herrn und Heiland Jesus Christus. Sie
-hatte jenes Christentum, das den Alten eigen war, die im Walde immer
-noch ihre heidnischen Geister huschen hörten, wenn sie gläubig zur
-christlichen Kirche schritten, oder wie jene Heilandsleute, die in
-Christus den größten Helden und in seinen Aposteln Ritter und Reisige
-voll Kraft und Mut verehrten.
-
-Und zwischen ihrem Beten lenkte die Kranke das Ohr lauschend nach dem
-Hoftor, ob die Söhne nicht kämen.
-
-»Ich muß mit Juro reden wegen Hanka und vom Kral.«
-
-Dann kam das Fieber wieder, und sie sprach von ihrer Brauthaube, von
-der Heyka des Urvaters und von Morkusky, dem bösen Zauberer.
-
-Es war schon tief in der Nacht, als ein Wagen in den Hof fuhr. Das
-Hoftor war seit dem Morgen weit geöffnet geblieben.
-
-Die Dienstboten huschten aus dem Gesindehaus; der alte Scholta erschien
-in der Haustür.
-
-Juro und Samo, mit Staub bedeckt, entstiegen dem Wagen. Sie waren die
-ganze Nacht gewandert, den ganzen Tag gefahren.
-
-Der Scholta ging seinen Söhnen entgegen.
-
-»Ihr kommt noch zur rechten Zeit. Morgen früh wäre es zu spät gewesen.«
-
-Da schmiegten sich die Söhne an den Vater, und er schlang die Arme um
-sie, und es war ein Bild einträchtiger Liebe zu der einen.
-
-Leise gingen sie dann nach der Krankenstube, und die jungen Männer
-knieten nieder am Bett der kranken Frau, die bewußtlos war. Sie
-weinten, wie heimkehrende Söhne weinen, wenn sie die Mutter im Sterben
-finden.
-
-Bis an die zartesten Wurzeln unseres Seins rührt der Tod, wenn er uns
-die nimmt, die uns das Leben gaben oder denen wir das Leben gaben. Aber
-wenn beim Tode einer Frau der Gatte mehr leidet als ihre Kinder, ist
-das Entartung?
-
-Wer litt hier am tiefsten? Samo, der sich leidenschaftlich schluchzend
-an den Bettpfosten klammerte -- Juro, dessen Brust zuckte und dessen
-Hände irr über das blasse Gesicht fuhren -- oder der alte Scholta, der
-am Tische lehnte, seine Frau betrachtete und sich nicht rührte?
-
-Diese drei dort, die beiden Jünglinge und die Frau, sind ein Fleisch
-und ein Blut, sind sich innig verbunden von der ersten Sekunde ihres
-Seins an.
-
-Er, Hanzo, ist nicht ihr Fleisch und Blut, er hat sie vor kaum dreißig
-Jahren nicht einmal gekannt.
-
-Und wenn sie jetzt geht? Wenn ihr Leben ausgelöscht wird wie eine
-Kerze? Wird nicht dennoch auf dem Wege jener beiden bald ein neues
-Licht leuchten, und wird nicht der alternde Mann seine dunkle Straße
-allein ziehen?
-
-Feine, stille Grenzen sind im Menschenland. Und die volle
-Lebenskameradschaft hat doch ein weiteres Gelände, als die Erbgebiete
-des Blutes sind. --
-
-Die Söhne erhoben sich, setzten sich auf zwei Stühle. Sie waren müde.
-Müde von der langen Reise und von Angst und Groll, die sie gequält
-hatten.
-
-Hanka trat ins Zimmer. Die Jünglinge reichten ihr die Hand. Sie kannten
-sie kaum. Vor vielen Jahren hatten sie das Mädchen einmal gesehen, als
-sie noch heranwachsende Burschen waren und die Hanka noch ein Kind
-war. Aber sie wußten, daß sie eine entfernte Verwandte war, drüben aus
-dem Sächsischen. Eine aus der Familie, die nach der Tradition als die
-königliche galt. Auch die Mutter war von dort her. Wie kam das Mädchen
-hierher?
-
-Der Vater gab flüsternd eine kurze Aufklärung. Nun erst erfuhren die
-Söhne, auf welchem Wege die Mutter verunglückt war.
-
-Beklommen standen sie dem Mädchen gegenüber.
-
-Die Kranke begann wieder zu sprechen.
-
-»Eine reine Jungfer muß es sein -- die mit der silbernen Schaufel nach
-der Krone gräbt ...«
-
-»Nicht die, die unter dem Flieder liegt ...«
-
-»Ja, der Lobo ist ein Süffling -- ja ...«
-
-»Aber Juro -- Juro und Hanka ...«
-
-»Ich will mit ihm reden -- wegen Hanka und vom Kral.«
-
- »Ach, bleib mit deiner Gnade
- Bei uns, Herr Jesu Christ!«
-
-Da erwachte sie.
-
-»Juro! -- Samo! -- Seid ihr da? Seid ihr gekommen? -- Seid ihr gesund?
--- Geht es euch gut? Habt ihr schon zu essen bekommen?«
-
-Sie herzte die Söhne, sie hörte ihre Liebesworte. Sie herzte sie
-wieder. Sie sah Juro forschend an.
-
-»Ich wollte -- wollte -- etwas mit dir reden -- ich weiß es nicht mehr
--- was wollte ich doch mit dir reden ...?«
-
-Dann plötzlich schrie sie:
-
-»Macht das Fenster auf!«
-
-Und sie versank in den Todeskampf.
-
-Der Scholta wurde blaß bis auf die Lippen. Aber er ging ohne Schwanken
-zum Fenster und öffnete es.
-
-Noch als er sich an dem einen Flügel festhielt, starb die Frau.
-
-Und der Mann glaubte zu fühlen, wie die erlöste Seele vom Bette
-herschwebte, ihm noch einmal die Stirn berührte und sich dann durch das
-geöffnete Fenster aufschwang zum Firmament, das mit Millionen winkender
-ferner Heimatlichter herniedergrüßte.
-
-Hanka und die Söhne knieten weinend am Bette.
-
-Der alte Hanzo trat heran und drückte der Toten die Augen zu. Er nahm
-ihre rechte Hand zwischen seine beiden Hände zum Abschied und zum
-Gebet. Dann wandte er sich ab, nahm ein großes Tuch, verhängte den
-Spiegel, der an der Wand hing, und hielt die Uhr an. Das alles tat er
-mit ruhiger Gewissenhaftigkeit.
-
-Zuletzt ging er in den Hof und rief das Gesinde zusammen.
-
-»Die Frau ist gestorben!« sagte er schlicht und stand hochaufgerichtet
-im mondbeschienenen Hofe. Nach den wenigen Worten ging er nach dem
-Hause zurück. Der alte Knecht Kito aber trennte sich von dem jammernden
-Weibsvolk, ging nach den Viehställen, trieb die schlummernden Tiere auf
-und rief mit seiner alten Stimme durch den Stall:
-
-»Die Frau ist gestorben!«
-
-Da brüllten ein paar Kühe auf, und die Pferde klirrten mit den
-Halfterketten.
-
-Kito ging weiter bis in den Großgarten, wo die Bienenstöcke standen,
-klopfte dreimal an jedes Bienenhaus und sagte dann laut und deutlich:
-
-»Die Frau ist gestorben!«
-
-Da kam es wie ein leise summendes Geflüster aus den Bienenstöcken.
-
-Kito ging an die Hundehütte.
-
-»Tyra, die Frau ist gestorben!«
-
-Das Tier rührte sich nicht. Es war tot.
-
-Zitternd ging der alte Knecht in seine kleine Stube, wo in einem
-kleinen Bauer ein schlafender Kanarienvogel saß. Er weckte das
-Tierchen, das ihn müde anblinzelte, und sagte ihm:
-
-»Die Frau ist gestorben!«
-
-Da sang der Vogel eine wehmütige kurze Melodie und schlief wieder ein.
-
-
-
-
-Am Tage vor dem Begräbnis ritt Heinrich von Withold, Elisabeths Bruder,
-in den Hof des Scholta. Er sprang vom Pferde und reichte die Zügel
-einem Mädchen hin, das eben in die Haustür trat. Es war Hanka.
-
-»Bind mal den Gaul an einer passenden Stelle fest, schönes Kind!« sagte
-Heinrich leutselig.
-
-Das Mädchen errötete, und ihre hohe Gestalt straffte sich.
-
-»Ich werde einen Knecht oder eine Magd rufen«, sagte sie.
-
-Da sah Heinrich von Withold ein, daß er wohl eine Unhöflichkeit
-begangen habe. Er stammelte eine Entschuldigung und band sein Roß
-selbst fest.
-
-»Ich bitte um Verzeihung, verehrtes Fräulein«, sagte er dann; »ich
-bin ja hierzulande nicht fremd, aber ich kann mir die Abzeichen
-der Wendentracht partout nicht merken. Wollen Sie mir sagen, meine
-Gnädigste, ob ich den Herrn Scholta sprechen kann?«
-
-»Da kommt er schon.«
-
-Der wendische Großbauer und der deutsche junge Edelmann traten sich
-gegenüber. Heinrich geriet in Verlegenheit, aber dann nahm er all
-seinen Schliff zusammen und sagte:
-
-»Herr Scholta, ich erlaube mir, Ihnen namens meiner Familie einen
-Kondolenzbesuch abzustatten und Ihnen anläßlich des Hinscheidens Ihrer
-Frau Gemahlin unser herzlichstes Beileid auszudrücken. Mein alter
-Herr würde dieser traurigen Pflicht selbst nachgekommen sein, aber
-er ist noch verreist. Wollen also mit dieser Stellvertretung gütigst
-vorliebnehmen.«
-
-Auf diese geschniegelte Rede hin wußte der alte Wende nichts zu sagen.
-Er nahm verlegen seine Kappe ab und sagte:
-
-»Ja -- ja, die Frau ist gestorben!«
-
-Darauf wußte wieder Heinrich von Withold nichts zu sagen. Und so
-entstand eine peinliche Pause. Zum Glück kam Juro aus dem Hause.
-Heinrich eilte auf ihn zu, umarmte ihn, küßte ihn und drückte ihm dann
-warm die Hände.
-
-»Alter Junge, das hat mir aber scheußlich leid getan!« sagte er bewegt.
-
-Nach diesem studentischen Freundschaftsausbruch besann er sich aber
-gleich wieder auf seinen höflichen Ton und erklärte Juro:
-
-»Ich habe mir erlaubt, dem Scholta, deinem alten Herrn, anläßlich des
-Hinscheidens deiner Frau Mutter die Kondolation unserer Familie zu
-überbringen.«
-
-Es entstand wieder eine Pause, und Heinrich erklärte also, er habe bloß
-seine Mission ausrichten wollen, werde jetzt nicht weiter stören und
-gestatte sich also, sich zu empfehlen. Darauf begann endlich Hanzo,
-der Scholta, zu reden. Er sagte wohl an die zehnmal: »Nein, nein!«
-Der gnädige junge Herr müsse ins Haus treten und dürfe eine kurze
-Gastfreundschaft nicht verschmähen. Der Scholta selbst band Heinrichs
-Pferd los, um es nach einem Stall zu führen. Der höfliche junge Mann
-suchte diesen Dienst auf alle Weise zu hindern, was ihm aber mißlang,
-und ging schließlich selbst mit nach dem Stall, wo er über die dort
-befindlichen Pferde enthusiastische Urteile abgab, die in der Mehrzahl
-Unsinn waren und von gar keiner Sachkenntnis zeugten und die der
-Scholta schweigend anhörte.
-
-»Und der Blauschimmel, Herr Scholta, der Blauschimmel! Ein Götterroß!«
-
-Der alte Hanzo rückte verlegen an seiner Kappe.
-
-»Ich habe das Pferd für eine Forderung eingetauscht«, sagte er. »Es
-wird wenig benutzt. Ich brauche es nur fürs Osterreiten. Und sonst ist
-es für die Jungen, wenn die mal zu den Ferien sind.«
-
-»Ein Götterroß, Herr Scholta! Ich kann mir's denken; es ist vom alten
-Hinzberg, von dem deutschen Rittermäßigen, der überall Schulden hatte,
-natürlich auch bei Ihnen.«
-
-Hanzo antwortete nicht. Sie verließen den Stall.
-
-»Ich möchte riesig gern noch etwas mehr von Ihrer Musterwirtschaft
-sehen, Herr Scholta«, sagte Heinrich darauf. »Wissen Sie, wenn man nun
-mal Landwirtschaft studiert, interessiert einen das mächtig. Aber die
-Veranlassung meines Besuches ist zu trauriger Art.«
-
-Hanzo machte eine Handbewegung und führte dann Heinrich durch sämtliche
-Wirtschaftsräume, zeigte ihm alle Wirtschaftsgeräte, führte ihn bis
-hinter das Gehöft, von wo man einen großen Teil der Felder übersah, und
-erklärte alles mit einer ihm sonst ganz ungewöhnlichen Gesprächigkeit.
-Hanzo wäre kein wendischer Bauer gewesen, wenn er das nicht getan hätte.
-
-Und als er seinen Gast endlich in ein kleines Stübchen geführt hatte,
-wo seine Söhne und Hanka mit einem Frühstück warteten, ging er selbst
-nach »der guten Stube«, wo seine Frau aufgebahrt war. Und es war, als
-ob die tote Bäuerin lächelte.
-
-»Hast du ihm auch alles gezeigt? Nicht wahr, es hat ihm gefallen? Es
-muß ihm ja gefallen!«
-
-Juro begleitete seinen Freund nach Hause. Sie legten die gute Wegstunde
-zu Fuß zurück. Das Reitpferd führte Heinrich am Zügel. Sie gingen lange
-schon über die Felder, da fragte Heinrich:
-
-»Ist das hier noch euer Besitz, Georg?«[5]
-
-»Ich glaube wohl; aber es ist erst dazugekauft worden von meinem Vater
-und Großvater. Das waren tüchtige Landwirte. Und deshalb muß ich ja
-durchaus landwirtschaftliche Studien machen, obwohl ich doch Mediziner
-bin.«
-
-»Ja, ich weiß es. Sie wollen einen gelehrten Herrn auf großem Besitz
-aus dir machen. So 'ne Art kleinen ›König der Wenden‹.«
-
-Juro errötete und schwieg.
-
-»Und was wird jetzt werden?«
-
-»Ich möchte -- wenn das möglich wäre -- Jura studieren und Theologie
-und Medizin und möchte alles tun für die braven Leute, die hier
-wohnen, und möchte sie so recht heimisch machen und vorwärtsbringen im
-deutschen Vaterland.«
-
-Heinrich lachte.
-
-»Ein guter Prediger würdest du sein. Wenn du willst, sprichst du mit
-Schwung. Und ernst bist du. Eigentlich doch ein Grübler. Es ist ein
-reines Wunder, daß du mit einem so leichten Huhn, wie ich bin, dich
-befreundet hast.«
-
-Er wartete keine Antwort ab.
-
-Ȇbrigens, dein Bruder Samo -- du, der hat mir heut wieder Augen
-gemacht! Höflich war er ja -- na ja, weil ich der Gast war, aber Augen
--- -- du, wenn der mich fressen könnte, mich und alle Deutschen!«
-
-»Es ist seine unglückliche Art«, sagte Juro.
-
-»Und dem willst du dieses ganze Königreich abtreten?«
-
-»Ich weiß es nicht. Ich bin so unentschlossen. Ich passe sicher besser
-in die Stadt. Und dann -- dann ist es wegen Elisabeth.«
-
-»Stimmt! Die paßt allerdings besser in die Stadt als in eure
-Scholtisei. Obwohl sich das Mädel für alles interessiert. Sie spricht
-sogar ziemlich gut wendisch, was z. B. mein Vater und ich nie kapieren.
-Übrigens, das Fräulein aus eurer Verwandtschaft, die Hanka, ist ein
-süperbes Mädel. Ein Urbild von Gesundheit. Leider habe ich es mit ihr
-gleich von vornherein verdorben. Erstens halte ich Esel sie für eine
-hübsche Magd und sage ihr, sie solle mein Pferd anbinden, zweitens
-faselte ich von Irrlichtern und Nebelgebilden, als sie so gläubig von
-den brennenden Gespenstern und dieser weißen Todesgöttin sprach. Sie
-glaubt daran.«
-
-»Ja, sie glaubt daran, wie meine Mutter daran geglaubt hat.«
-
-»Und dein Vater?«
-
-»Er hat noch keinen in sein Herz sehen lassen. Wie Samo! Vor dessen
-Verstand und Bildung hielt natürlich der ganze alte Aberglaube nicht
-stand, aber im innersten Herzen hängt er daran wie der einfachste
-Wende. Aus Nationalität -- jawohl! So etwa, wie die Schweizer am Tell
-hängen oder alle Völker an mancherlei Geschehnissen, Heldentugenden,
-Herrschertaten, die nie gewesen sind.«
-
-»Alle diese Selbsttäuschungen machen doch aber sehr glücklich.«
-
-Juro wehrte heftig ab.
-
-»Nein, sie halten auf, sie hemmen! Sie sind toter Ballast, der die
-Schiffe der Völker unnütz beschwert. Es sind vorgespiegelte Reichtümer,
-erträumte Erbschaften, die den Nationen einen falschen Begriff von
-ihrer Größe geben und in denen der Chauvinismus, der größte Feind aller
-Völkerverbrüderung und des menschlichen Fortschritts, am tiefsten
-wurzelt.«
-
-»Sprechen wir von etwas anderem«, sagte Heinrich, der des schweren
-Themas schon müde war.
-
- * * * * *
-
-Im Park der Witholdschen Besitzung traf Juro mit Elisabeth zusammen und
-blieb mit ihr allein. Heinrich hatte sein Pferd davongeführt.
-
-»Du bist sehr blaß, Elisabeth? Du trauerst um meine Mutter.«
-
-Sie saßen auf einer Holzbank unter einem alten Baume.
-
-»Erzähle mir von deiner Mutter«, bat das Mädchen. »Ich habe sie nur
-zweimal in meinem Leben gesehen. Sie hatte sehr gute Augen.«
-
-Er erzählte. Er sprach wie ein guter Sohn. Und das deutsche Mädchen
-sah mit feuchten Augen der Seele der wendischen Frau nach in das blaue
-Dämmern, das über ihnen war.
-
-Sie küßten sich nicht. Aber sie hielt seine Hand. Und der Schmerz, der
-in ihm war, wurde milder und stiller in der Gegenwart dieses lieben
-Mädchens.
-
-Er sagte es ihr. Da antwortete sie:
-
-»Wenn es anders wäre, würde ich wohl nicht für dich taugen.«
-
-»Du bist viel klüger, viel erfahrener, als sonst Mädchen in deinem
-Alter sind«, meinte er.
-
-»Das ist, weil ich keine Mutter gehabt habe! Weil sie so früh starb! Da
-muß ein Mädchen vieles, was ihm sonst die Mutter abnähme, selbst tragen
-und selbst erleben.«
-
-Er schwieg eine Weile und sagte dann:
-
-»Elisabeth, ich werde dich in ein Geheimnis einweihen, das du wissen
-mußt. Du könntest mich sonst nicht ganz verstehen und auch nicht die
-schwere Aufgabe ermessen, die dir werden wird, wenn du meine Frau sein
-wirst.«
-
-Und Juro erzählte Elisabeth die Sage vom Wendenkönig. Er entrollte
-ihr das alte, ehrwürdige Gemälde, das, im Allerheiligsten des Tempels
-wendischen Volkstums gehütet und gehegt, sonst kein »~Njemz~« zu
-ersehen bekam. Das Mädchen hörte zu mit verwunderter Seele, und
-allmählich kam eine Angst und plötzlich kam ein Schreck über sie ...
-
-Und sie erkannte, daß Juro der zukünftige Kral der Wenden war. --
-
-Da tat sie das, was die Frauen großen Erkenntnissen gegenüber tun --
-sie weinte.
-
-Er sah es nicht, er beachtete das Leid der Geliebten nicht. Die
-große Idee des Königtums war über ihn gekommen, ein Sonnenmeer von
-Erleuchtung war plötzlich über ihn geflutet.
-
-Als er der Erwählten die heimische Sage erschloß, hatte er sie selbst
-das erstemal ganz erfaßt, wie wir Menschen ja alle erst dann recht und
-wahr und tief lernen, wenn wir uns ehrlich bemühen, zu lehren, wie wir
-immer dann den rechten Weg am ehesten finden, wenn wir ihn getreu einem
-andern zeigen wollen.
-
-Die Schönheit des Königsgedankens brannte nun im Herzen Juros, und er
-sprang auf und ging weit den Waldweg entlang, kam ganz langsam zurück.
-Die tote Mutter, die Braut, sein ganzes bisheriges Leben mit allem
-Großen und Kleinlichen waren in diesen Augenblicken vergessen, da Juro
-den Waldweg auf und ab wandelte.
-
-Endlich blieb er vor Elisabeth stehen.
-
-»Ich will dir einiges sagen,« sprach er mit einer Stimme, die hart
-klang; »ich war nahe daran, ein Schwächling und Feigling zu sein.
-Drüben bei uns im Wendenland, da ist vieles nicht so, wie es ein
-feiner, zarter Träumer sich wünscht. Da ist leibliche und körperliche
-Not. Da ist Dummheit und Aberglaube und neben der Knechtseligkeit die
-heimliche Großmannssucht. Da sind alte Weiber die Ärzte, unter deren
-Plunderformeln die Kranken elend verscheiden. Betrunkene Bauern machen
-die Politik. Der alte Webstuhl ist unsere glänzendste Maschine, und die
-Leute, die mit langen Ruderstangen im Schlamm der seichten Gewässer
-wühlen, daß die Blasen aufsteigen, die halten sich für Schiffer. Mit
-ihrer Sprache finden sich die Leute knapp zum nächsten Wochenmarkt,
-wo sie der dämlichste deutsche Händler übers Ohr haut. Bücher haben
-sie nicht, es seien denn jämmerliche Übersetzungen. Und die sind
-noch in fünffacher Orthographie. Da gibt es eine oberwendische, eine
-niederwendische, eine tschechische, eine evangelische, eine katholische
-Rechtschreibung. Falsch sind sie alle. Es gab eine Zeit, wo es als
-ein ehrendes Zeugnis galt, wenn einem jungen Handwerker bescheinigt
-werden konnte: er ist kein Wende. Es gab eine Zeit, wo jeder Wende
-geschlagen werden durfte. Es ist heute noch nicht viel besser. Immer
-in die Heide gedrückt bleibt der Wende, immer auf der mageren Scholle
-sitzt er. Und wenn er einen Schweinestall bewohnt, nennt er ihn schon
-stolz sein Haus. Die Armut ist der scheußlichste Bundesgenosse dieses
-Volkes. Unsere jungen Mütter nähren die Kinder der Reichen in Berlin
-oder Breslau, und derweil stirbt das eigene Kind zu Haus aus Hunger
-oder unter dem Beistand abergläubischer Quacksalberinnen. Wäre ein
-guter Arzt sofort zur Stelle gewesen, meine Mutter lebte noch! So
-ist sie gemordet worden durch die gutmütige Unvernunft, die bei uns
-Volksreligion ist. Nicht wahr, und einem solchen Volk den Rücken zu
-kehren, das ist leicht? Da putzt man sich die Kleider ab, räuspert
-sich, bürstet sich den Bart und geht achselzuckend davon. Und ist ein
-feiner Mann!«
-
-Juro lachte höhnisch über sich selbst.
-
-»Oh, siehst du, so ein Held war ich! Ich ließ den Widerwillen über mich
-kommen. Und weißt du, was Widerwille ist? Widerwille ist Feigheit der
-Schwäche gegenüber. Also die elendeste Feigheit. Das weiß ich jetzt.
-Aber ich war ein Feigling. Ich wollte Reißaus nehmen; ich wollte mir
-ein nettes deutsches Mädel nehmen und in ein recht elegantes Quartier
-in der Hauptstadt ziehen und als Arzt unter tausend anderen Ärzten von
-reichen Leuten Geld verdienen. Mich mein Leben lang nicht mehr um die
-Wenden kümmern! Das wollte ich! Das war eine Schurkerei! Und die ist
-mir erst aufgedämmert, als meine Mutter starb, und ist mir jetzt völlig
-klar geworden, da ich dir diese Kralssage erzählte.«
-
-Er hielt inne und setzte sich auf die Bank. Aber er sprang bald wieder
-auf.
-
-»An meinen Bruder wollte ich das väterliche Gut preisgeben. An Samo!
-An ihn, der wie ein polnischer Schlachziz auf dem Gute hausen würde,
-ein gnädiger Herr, der sich von ungewaschenen Mäulern die Hand lecken
-ließe, der das Volk sorgsam in seinem Aberglauben lassen und sich das
-obendrein als eine nationale Tat anrechnen würde. Oh, das ist der
-verfluchte Standpunkt, der die slawischen Völker so tief gehalten hat,
-daß alle die, die ihm die Fenster der niederen Hütten vernagelten --
-die Intelligenten im Lande: Adel, Geistliche, Advokaten, Juden --,
-daß die sich als die Führer des Volkes mästeten und sich -- das will
-ich ja zugeben -- auch dazu berufen fühlten. Keiner kam, der das Volk
-ans Licht führte, keiner, der den Leuten die frohe Kunde brachte:
-Ihr, ihr das Volk, seid die Hauptsache, ihr sollt reich, stark,
-gesund, klug sein, ihr sollt euch wohlfühlen, und die Regierenden
-sollen sich abrackern, wie sie das zustande bringen! Es ziemt sich
-nicht, daß der eine Mensch wohne wie ein Gott und der andere wie ein
-Tier, und überall, wo das der Fall ist, herrscht ein verbrecherischer
-Götzendienst, auch wenn er tausendmal sanktioniert ist. Und wehe am
-Ende, wehe vor Gott und allen guten Menschen den gemästeten Götzen!
-Arme Slawen!«
-
-Elisabeth weinte nicht mehr, sie hörte Juro zu, wie er so erregt
-sprach, sah mit Bewunderung, wie plötzlich eine Mission über ihn
-gekommen schien, wie wieder einmal aus dem Brunnen der Tradition ein
-Wundertrank geschöpft worden war, der den Blinden sehend, den Träumer
-zum Helden machte.
-
-Aber eine tiefe Trauer war in dem Mädchen.
-
-»Alle deine Vorwürfe richten sich gegen die Deutschen?« fragte sie
-langsam.
-
-Da besann er sich auf sie, wachte auf wie aus einem Traum.
-
-»Mein deutsches Mädel!« sagte er, »wie kannst du so sprechen? Weißt du
-nicht, daß ich die Deutschen lieb habe? Nicht deinethalben! Ich hatte
-sie von Jugend auf gern. Ich liebte ihre Stärke, ihre Gründlichkeit
-und verlässige Pflichttreue, ihren starken, wunderbaren Fleiß.
-Ich vergöttere ihre Kunst und finde auch einiges Hübsche in ihrer
-Geschichte. Ich wohne in Preußen, ich habe alles, was ich körperlich
-und geistig besitze, von Preußen. Also bin ich ein Preuße! Nicht,
-daß ich die Fehler dieses Volkes nicht sähe, daß mich sein plumpes
-Spartanertum nicht oft ärgerte; aber es ist besser, menschlich besser
-bei ihnen als bei den Slawen, aus deren Blut ich bin. Besser als bei
-den Russen, die in jahrtausendelanger Totenstarre liegen, besser als
-bei den Polen, die mit all ihren herrlichen Gaben zu lange vor den
-selbstgeschaffenen Götzenbildern lagen; besser als bei den Slowaken,
-Slowenen, Kroaten und Serben, die trüb und müd in ihrer Armut
-dahinleben und nur manchmal kraftlos mit der Bettlerhand drohen; besser
-endlich als bei den Tschechen, die es trotz ihres reichen Landes,
-trotz der günstigsten Entwicklungsmöglichkeiten auf keinem Gebiet über
-die Mittelmäßigkeit hinausgebracht haben. An alle diese soll mein
-Wendenvolk keinen Anschluß suchen und sucht auch keinen trotz der
-Anstrengungen, die von Moskau, Warschau und Prag her gemacht werden,
-trotz der Bemühungen einiger faselnder Panslawisten unter uns.«
-
-Juro hatte hastig, erregt, die Worte oft überstürzend, gesprochen. Er
-war einer, der viel dachte, aber auch viel redete, der gern Ideen,
-Absichten, Probleme entwickelte: er war bereits ein Deutscher. Das
-Mädchen war klug und ernst. Es war wohl fähig, solchen Worten zu
-folgen, aber ihr Herz war jetzt weit von den Schicksalen slawischer
-Stämme, es war nur bei dem einen, der sprach, und bei ihrem eigenen
-Schicksal.
-
-»Juro, du wirst der Kral der Wenden werden«, sprach sie.
-
-Es klang wie ein Schluchzen, das aus gequälter Seele kam.
-
-Juro war zu versonnen, als daß er den Jammer der Geliebten bemerkt
-hätte.
-
-»Ja, der Kral!« rief er. »Es ist nur eine imaginäre Würde; ich glaube
-nicht an sie; aber die Wenden sprechen sie mir in aller Heimlichkeit
-zu. Tausende hängen mit stumpfem Gewohnheitssinn daran, einige
-mit kühnen Hoffnungen; alle wünschen die Erhaltung dieser uralten
-Tradition. Alle, bis auf mich! Ich halte solche Traditionen viel
-eher für ein Hemmnis als für eine gesunde Wurzel. Und deshalb wollte
-ich meiner Wege gehen. Wollte Samo neidlos und kampflos den Platz
-überlassen. Bis die Mutter starb, bis ich dir, Elisabeth, die alte
-Volkssage erzählte und es mich plötzlich überkam, ich müsse wirklich
-der Kral werden, der Einfluß hat auf das Volk und der seine Aufgabe
-darin erblickt, dem Volk aus Armut und Aberglauben aufzuhelfen, das
-Wendenvolk vollends zu Deutschen zu machen.«
-
-Das Mädchen faßte ihn am Arm.
-
-»Erschrick nicht, Elisabeth! Es ist kein Verrat! Es ist die einzig
-vernünftige Tat, die geschehen kann. Was ist klüger: eine alte Kaluppe,
-die jeden Augenblick vom Wind über den Haufen geworfen werden kann,
-immer neu zu stützen, die klaffenden Löcher mit Lehm zu verschmieren,
-die zerschlagenen Fensterscheiben mit Papierfetzen zu verkleben --
-oder die ganze Bude kurzweg niederzureißen und ein festes, gesundes
-Haus an seine Stelle zu setzen? Die Antwort kann nicht zweifelhaft
-sein, nicht wahr? Die Wenden üben alle Staatsbürgerpflichten auf das
-gewissenhafteste, haben aber nicht vollen Genuß staatsbürgerlicher
-Vorteile. Das ist, weil ihnen ihre Tradition anhängt. Ihre schmucke
-Volkstracht ist in den Augen der Welt doch weiter nichts als das
-Proletenkleid zurückgebliebener Leute; ihre isolierte Sprache macht sie
-unfähig zu vielem, macht sie befangen, furchtsam; der alte Aberglaube
-hält ihre Stirnen umwölkt. Fort mit all diesem Plunder! Heraus aus dem
-Sandwald ins grüne Land! Heran an den großen deutschen Tisch! Gleiche
-Rechte! Gleiches Gepräge!«
-
-Mit den flammenden Prophetenaugen begeisterter Jugend stand er vor ihr.
-Und sie war auch jung, und ihr Herz erglühte im Glauben an ihn und an
-seine Sache.
-
-»Du bist edel, Juro! Du bist klug! Du hast recht!«
-
-Da faßte er sie fest an den Händen.
-
-»Elisabeth, wirst du es mit mir wagen, was ich vorhabe? Wirst du die
-Frau des letzten Wendenkrals sein, der sein Volk zur wahren Freiheit
-führen will?«
-
-»Ja, Juro! Als ich erkannte, wer du eigentlich bist, erschrak ich und
-glaubte, ich könne nicht deine Frau werden. Ich glaubte, wenn du der
-König der Wenden bist, müßtest du auch eine Wendin heiraten. Aber so,
-wie du es vorhast, ist es doch anders. Wenn du die Wenden zu Deutschen
-machen willst, sollst du selbst eine deutsche Frau haben! Und die will
-ich von Herzen gern sein!«
-
-Sie küßten sich auch jetzt nicht.
-
-Aber sie ging weit mit ihm über die Felder, als er heimkehrte, und
-hielt ihn fest an der Hand.
-
- * * * * *
-
-Als Juro allein war, brannten ihm die Wangen. Und in seiner
-Lebhaftigkeit sprach er mit sich selbst von seinen Aufgaben, seinen
-Zielen, die ihm klar vor der Seele standen. Er blieb oft stehen, und
-seine Arme fuhren durch die Luft, als er so mit sich selbst sprach.
-
-»~Pomogaj Bog wam!~«
-
-Er erschrak und sah eine alte Frau vor sich stehen.
-
-»~Bog žekujscho~«, antwortete er.
-
-»Gott helfe Euch!« hatte sie gegrüßt. »Gott vergelte es!« hatte er
-wendisch geantwortet. Er besann sich kurz und redete die Alte in
-deutscher Sprache an.
-
-»Nun, Mütterchen, habt Ihr Pilze gesucht? Es gibt heuer recht viele,
-weil das Wetter naß ist.«
-
-Sie machte eine Gebärde mit der Hand, die bedeuten sollte, daß sie
-nicht Deutsch verstehe. Dann kicherte sie und sagte wendisch:
-
-»Der Sohn des Kral spricht deutsch mit mir!«
-
-Es erschien ihr wie ein Scherz, den Juro mit ihr trieb. Er sah, daß sie
-eine alte Frau sei und also wohl wirklich kein deutsches Wort verstehe.
-Sie verfiel augenblicklich in einen weinerlichen Ton, klagte, daß nun
-die gute Frau gestorben sei, bei der sie hätte sich alle Tage ein
-Töpflein Milch holen können. Juro sagte ihr, er wolle anordnen, daß sie
-die Milch auch fernerhin bekäme.
-
-Da haschte sie nach seiner Hand, um sie zu küssen. Er aber entzog ihr
-die Hand heftig und sagte in wendischer Sprache:
-
-»Mütterchen, habt Ihr ein Kreuz zu Haus, woran dem Herrn Jesus die
-Hände genagelt sind?«
-
-Sie nickte.
-
-»Die Hände dürft Ihr küssen, wenn Ihr an die wirklichen Hände des Herrn
-Jesus denkt. Aber nicht meine. Ich bin kein Gott!«
-
-»Auch nicht dem Herrn Pastor? Oder dem gnädigen Herrn?«
-
-»Auch diesen nicht! Ihr sollt es durchaus nicht tun!«
-
-»Aber Eurem Herrn Bruder Samo habe ich vor einer Stunde beide Hände
-geküßt, weil er mir zwei Dreier geschenkt hat.«
-
-»Ihr sollt es nie wieder tun, weder ihm noch einem andern Menschen.«
-
-Er schenkte ihr eine Silbermünze. Da schnappte sie doch wieder nach
-seiner Hand.
-
-»Ihr sollt es nicht!« rief er erzürnt. »Hunde lecken die Hände, nicht
-Menschen!«
-
-Da erschrak sie, steckte die Silbermünze ein und sagte wieder:
-»~Pomogaj Bog wam!~« Dann huschte sie über eine schmale Wasserrinne in
-den Wald. Aber Juro hörte noch, daß sie bei sich brummte:
-
-»Er tut, als ob ich ein giftiges Maul hätte!« -- --
-
-Nach drei Tagen ging in den Dörfern das Gerücht, Juro habe die alte
-Domasch einen Hund genannt und halte sich arme Leute stolz vom Leibe.
-
- * * * * *
-
-Langsam ging Juro nach seiner Begegnung mit der alten Frau seines
-Weges. Es war, als ob er sich fürchte, heimzukommen zur Mutter. Was
-war sie für eine eifrige, gläubige Wendin gewesen! -- Aber seine Seele
-straffte sich wieder und schüttelte den Kleinmut von sich.
-
-Da sah er auf einem schmalen Raine, der zwischen den Feldern seines
-Vaters hinlief, Hanka, das fremde Mädchen. Die schritt rüstig aus,
-hatte die Schürze hochgebunden, hielt in der linken Hand einen Topf
-und machte mit der rechten die Bewegung des Säens. Juro wußte, was sie
-tat. In dem Topf war das Wasser gewesen, mit dem sie die tote Mutter
-gewaschen hatten. Nun hatten sie dem Topf den Boden ausgeschlagen, und
-das Mädchen säte durch den Topf Hirsesamen auf die Felder. Da würde im
-nächsten Jahr kein Vogel ein Körnlein von diesen Feldern picken. Ein
-Widerwille erfaßte den jungen Mann. Er wartete, bis Hanka näherkam, und
-rief sie an. Sie erschrak, als sie Juro sah, kam aber zu ihm.
-
-»Was tust du da?« fragte er in deutscher Sprache.
-
-»Ich säe den Totensamen! Es ist besser, wenn es ein Mädchen tut, als
-wenn es ein Mann tut!«
-
-Sie hatte wendisch geantwortet.
-
-»Sprichst du nicht Deutsch, Hanka?«
-
-Sie sah ihn verwundert an.
-
-»Warum sollte ich das wohl tun? Ich bin doch eine Wendin!«
-
-»Ja, Hanka! Wir werden noch später darüber sprechen. Ich hoffe, wir
-werden uns verständigen, denn du bist ja ein kluges Mädchen. Sag mir,
-warum säst du den Totensamen? Glaubst du daran?«
-
-»Glaubst du denn +nicht+ daran?« gab sie verwundert zurück.
-
-»Ich bitte dich, gib mir den Topf!«
-
-Sie reichte ihm den Topf, und Juro warf ihn auf einen nahen
-Steinhaufen, daß er zerbrach.
-
-»Was tust du? Ich bin noch lange nicht fertig mit allen Feldern!« rief
-sie erschrocken.
-
-»Laß die Felder und laß die Vögel! Siehst du den Schwarm Sperlinge? Sie
-werden die Hirse fressen, die du gesät hast.«
-
-»Ja, sie kosten davon und kommen dann nie wieder!«
-
-»Sie kommen wieder, Hanka, davon wirst du dich selbst bald überzeugen
-können. Und warum sollten wir sie vertreiben? Der Mensch soll nicht
-geizig sein gegen die kleinen Kostgänger des Herrgotts!«
-
-»Ich bin nicht geizig!« sagte sie trotzig, »es sind nicht meine Felder!«
-
-»Ich will dich auch nicht kränken, Hanka!« sagte er milder. »Aber --
-nicht wahr, der Nutzen könnte doch nur klein sein, und wir wollen
-keinen Nutzen ziehen aus dem Tode eines Menschen!«
-
-»Der Nutzen ist nicht für mich; er ist für euch!«
-
-Sie bückte sich über den Steinhaufen und nahm einen größeren Scherben
-auf.
-
-»Was willst du damit, Hanka?«
-
-»Aus dem Scherben weitersäen!«
-
-»Das wirst du nicht tun! Ich will es nicht! Es ist schmählich! Ich
-verbiete es dir!«
-
-Er stampfte mit dem Fuß auf. Sie sah ihn mit ihren stahlblauen Augen
-hart an.
-
-»Du bist grob!« sagte sie und wandte sich ab.
-
-»Hanka!« rief er zornig, »du wirst das Säen sein lassen! Begreifst du
-denn nicht, was du damit ausdrückst? Daß das Wasser, mit dem meine
-Mutter gewaschen wurde, kleinen unschuldigen Tieren -- einen -- einen
-Ekel einflößen soll? Ich verbiete es dir!«
-
-»Du hast mir nichts zu verbieten! Jemand anders hat mir befohlen, den
-Samen zu säen!«
-
-»Wer? -- Wer ist so töricht? -- Ich will ihn zur Rechenschaft
-ziehen ...«
-
-Bei dieser Frage erbleichte sie und rannte, so schnell sie konnte, den
-Feldrain entlang.
-
-Zornig schritt Juro weiter, dem väterlichen Gehöft zu. Er begegnete
-seinem Bruder Samo. Der wartete ab, bis ihn der Bruder grüßte, und gab
-eine mürrische Antwort.
-
-»Samo, siehst du das Mädchen dort drüben -- die Hanka? Sie sät aus dem
-Topf, aus dem die Mutter gewaschen worden ist, ›Totensamen‹ auf die
-Felder! Wer hat ihr diesen greulichen Unsinn befohlen? Ich will ihn zur
-Rechenschaft ziehen! Wer hat es angeordnet?«
-
-»Die Mutter selbst!« antwortete Samo kurz und hart.
-
-Juro wich einen Schritt zurück. Samo betrachtete ihn mit einem
-schadenfrohen Zucken im Blick.
-
-»Juro, du würdest besser tun, dich nicht in diese Dinge zu mischen, die
-Leute bei ihren alten Gebräuchen zu lassen. Sie ehren unsere Toten weit
-besser als zum Beispiel dein deutscher Freund heute mit seinem albernen
-studentischen Geschwätz!«
-
-Er ließ den Bruder stehen. Wie ein Geschlagener ging Juro den Weg
-entlang. Ein Schwarm Schwalben flog hoch in der Luft immer im Kreis
-herum. Die Vögel dachten ans Abschiednehmen.
-
-Im Großgarten lehnte der Vater regungslos an einem Apfelbaum und
-starrte in die sinkende Abendsonne.
-
-Das Glöcklein vom Kirchturm begann zu läuten.
-
-Dort in der Stube mit dem verhangenen Fenster schlief die Mutter den
-letzten Abend auf dieser Erde.
-
-»~Pusty wjecor~«, sagen die Wenden.
-
-»Der öde Abend!«
-
-
-
-
-Der letzte Trauergast war an den schwarzen, weißgeränderten Sarg
-getreten, in dem die tote Frau in ihrer Brauttracht lag, hatte sein
-stilles Vaterunser gebetet, den Anverwandten sein Beileid ausgesprochen
-und war dann nach der großen Gesindestube gegangen, wo Kaffee und
-Kuchen, Käse und Branntwein zu haben waren.
-
-Endlich war es Zeit zum Aufbruch. Vater und Söhne nahmen bewegten
-Abschied, und die Tote wurde im offenen Sarg aus der Stube getragen,
-mit den Füßen voran, damit sie nicht »zurückschauen könne«. Der Spiegel
-wurde enthüllt, das Fenster geöffnet, die Stühle, auf denen der Sarg
-gestanden hatte, wurden umgestürzt.
-
-An der Haustür wurde der offene Sarg hingestellt. Die tote Bäuerin,
-deren Augen halboffen waren, blinzelte noch einmal in ihren Hof hinein.
-Es war alles sauber und ordentlich. Die zwei Mägde, die das Vieh im
-Augenblick des Abschieds füttern mußten, rannten so eilig mit ihrem
-Heu, als fürchteten sie immer noch einen Tadel der Frau. Ein paar junge
-Mädchen rückten an ihrer Plachta[6], ob sie auch ordentlich säße;
-einige alte Leute nickten der Toten zu: »Du kannst stolz sein, daß du
-ein so großes Grabgeleite hast!«
-
-Unter der weißgekleideten Trauergesellschaft standen zwei in schwarzen
-Gewändern: Elisabeth und ihr Bruder Heinrich. Samo, der einmal die
-Augen aufhob und die beiden Deutschen sah, dachte bei sich: Sie sind
-wie schwarze Flecken auf weißen Kleidern.
-
-Die Herbstsonne schien auf den bevölkerten und doch so stillen Hof. Da
-trat der alte Scholta an den Sarg heran, nahm den Hut ab und sprach
-laut:
-
-»Vater, in deine Hände befehle ich meine Frau!«
-
-Dann wurde der Sarg geschlossen und nach dem hochgelegenen Friedhof
-getragen, wo ein Glöcklein mit blechernem Klang läutete. -- -- --
-
-Alle einfachen Menschen haben das Bedürfnis, zu lärmen, wenn sie
-einmal eine Zeitlang haben still sein müssen. Nach dem Begräbnis wurde
-die Dorfstraße überaus lebhaft.
-
-Die Mägde sprachen von dem »prachtvollen Leichenputz«, den die Tote
-getragen, von den blütenweißen Brusttüchern und der breiten gestickten
-Seidenschärpe, vor allem aber davon, daß sie in der linken Hand statt
-des üblichen Sträußchens eine Zitrone gehabt habe.
-
-»Nun, sie war eine Reiche!«
-
-»Und was für eine! Sie ist sogar im Bette gestorben!«
-
-»Arme Leute könnten das nicht!«
-
-»Dürften es auch nicht. Es wäre gegen die Schicklichkeit.« --
-
-Die Burschen waren noch lebhafter. Sie behandelten insbesondere eine
-Standesfrage.
-
-Zu den Leichenträgern gehörten auch ein Halbbauer und ein Häusler;
-sogar der Schäfer. Der Großbauer Klin hat nicht mit »Träger« sein mögen
-deshalb. Sie haben müssen herumschicken. Da ist der Gregorek für den
-Klin eingesprungen.
-
-»Der Klin hat ganz recht. Bauersleute sollen nur von Bauern getragen
-werden. Anderen Leuten kommt das nicht zu«, sagte ein junger Bauernsohn
-stolz.
-
-»Du schmutziger Bengel, du bist der richtige!« fuhr ein anderer
-dazwischen. »Der Tod macht alles gleich. Und dem Toten ist es ganz
-gleich, wer ihn trägt.«
-
-Der Bauernsohn geriet in Hitze.
-
-»Wenn ich nicht meinen guten Anzug anhätte,« sagte er, »würde ich
-dir eine ›Pflaume‹[7] geben, an der du zu kauen hättest -- du -- du
-Demokrat du!«
-
-»Warte nur den Abend ab«, entgegnete der andere. »Die Pflaume kommt
-zurecht. Sie wird desto blauer und saftiger werden -- für dich.«
-
-»Pst!« machte ein dritter. »Sie war die Frau des Kral. Da ist es etwas
-anderes. Da haben alle Anteil am Begräbnis. Der Branntwein war gut. Es
-wird ein Leichenschmaus, wie ihr noch keinen erlebt habt.«
-
-Darauf sprachen sie von Mädeln und von Manövern. --
-
-Zwei alte Weiber humpelten zusammen.
-
-»Mein Gott«, sagte die alte Wičaz, die Mutter des Knechtes Lobo, »man
-kommt im Leben zu nichts. Ich hab' doch so viel Wanzen in meinem Bett,
-und da hab' ich ein paar gefangen und in eine Federspule gesperrt und
-die Spule an beiden Enden mit Wachs verklebt. Ich wollte sie in den
-Sarg stecken, daß ich alle Plagegeister los würde. Aber ich habe ja
-nicht allein an den Sarg kommen können. Es waren ja immer Leute da. Nun
-ist gar das Wachs von der Spule in meiner Tasche abgegangen, und die
-Viecher sitzen mir im Kirchenkleide. Ein armer Mensch hat kein Glück.«
-
-»Wart, bis der alte Kito stirbt«, tröstete die andere. »Der macht's
-nicht mehr lange. Und bei dem sind nicht viel Leute. Der nimmt die
-Wanzen mit.«
-
-»Hast du nicht deine Wanzen dem Merten mitgegeben?«
-
-»Ja, aber sie haben nicht mit ihm gehen mögen, weil der sich doch
-gehangen hat und in die Hölle gekommen ist. Sie sind wiedergekommen.«
-
-»Also warten wir, bis der alte Kito stirbt. Auf den hat man sich immer
-verlassen können!« -- -- --
-
-Juro ging mit den beiden Deutschen vom Kirchhof zurück. Sie redeten
-nicht viel. Es war nur, daß die Gäste nicht allein blieben. Am
-Kretscham stand Heinrichs Fuhre. Dort nahmen sie bald Abschied.
-Elisabeth sagte leise zu Juro:
-
-»Es tat mir weh, daß ich am Grabe deiner Mutter allein so fremd war.
-Die Leute sahen mich an, als ob ich nicht dahin gehöre, und ich gehörte
-doch gewiß dahin.«
-
-»Ich danke dir, daß du gekommen bist, Elisabeth. Es wird eine schwere
-Sache, die wir übernehmen wollen, weil wir nicht zu den Leuten
-hingehen, weil wir sie zu uns herüberziehen müssen. Aber wir wollen
-mutige Kameraden sein.«
-
-Sie reichten sich die Hände und schieden. -- --
-
-Samo ging mit Hanka. Sie sprachen eine Weile nicht, dann hob Samo den
-Kopf, wies nach vorn und sagte:
-
-»Da gehen die Deutschen. Sie sind aufdringlich. Wie alle Deutschen!
-Gestern das studentische Gefasele dem Vater gegenüber war direkt
-ekelhaft. Sie sind hinter Juro her.«
-
-»Wie meinst du das?« fragte das Mädchen arglos wie ein Kind.
-
-»Es ist nicht schwer zu raten. Sie wollen ihn für das deutsche Mädchen.«
-
-»Für diese da? -- Als Mann? Als Ehemann?«
-
-»Ja natürlich!«
-
-Hanka schüttelte den Kopf und sagte ruhig:
-
-»Das darf er nicht. Eure Mutter hat es mit meinen Eltern ausgemacht,
-daß Juro mich heiratet. Das muß er nun doch tun!«
-
-»Nimmst du ihn gern?«
-
-»Ich weiß es nicht. Er spricht nicht mit mir. Gestern hat er mich
-ausgeschimpft und mir den Leichentopf zerschlagen. Eigentlich fürchte
-ich mich vor ihm. Aber er ist ein hübscher Mann.«
-
-»Ja! Und er ist ein Glückspilz!« knirschte Samo zwischen den Zähnen.
-
-Hanka senkte traurig den Kopf.
-
-»Ich möchte am liebsten wieder heim. Es ist so schön zu Hause. In
-der Spinnstube war ich schon die Kantorka[8], und ich bin doch erst
-achtzehn Jahr.«
-
-Samo blieb vor ihr stehen und sah sie an. Und die Trauer wich auf
-ein paar Sekunden aus seiner Seele, und er sah, daß Hanka schön und
-lieblich sei.
-
-»Man sollte dich auf Händen tragen, Hanka!«
-
-»Sie sind alle gut zu mir. Nur Juro ist streng. Er schalt mich gestern,
-daß ich wendisch sprach.«
-
-Da kollerte ein leises, grimmes Lachen über Samos Lippen.
-
-»Der zukünftige Kral!« sagte er verächtlich. »Nun, ich bin da und will
-aufpassen. Gehen wir durch die Seitengasse, Hanka. Ich will nicht am
-Kretscham vorbei. Ich mag diese Deutschen nicht grüßen.«
-
-»Aber ich will das Mädchen sehen«, sagte Hanka. »Sie ist ein Fräulein,
-man sieht es gleich.«
-
-Samo ging allein durch die Seitengasse. -- -- --
-
-Der Kral schritt hochaufgerichtet seines Weges. Sein Gesicht war
-ebenmäßig feierlich. An diesem schweren Tage seines Lebens brach
-eine rote Sonne durch graue Nebel des Schmerzes, zeigte sich seine
-Königswürde.
-
-Bis von Muskau her im Nordosten waren Trauergäste gekommen, viele
-aus dem Spreewald von Burg, Leipe und Lehde, auch von den Städten
-Lübbenau und Kottbus. Dann welche aus Wittichenau und den Dörfern um
-Hoyerswerda, endlich viele aus dem Sächsischen, und sogar der berühmte
-und gelehrte Herr Buchdrucker Schmaler aus Bautzen hatte den weiten
-Weg nicht gescheut. Er ging jetzt neben dem Kral, und seine Brille
-funkelte, und sein Slawenherz freute sich dieser einmütigen Kundgebung
-des Wendenvolkes. Er sprach vom reinen Slawentum, und daß es wohl
-vereinbar sei mit der preußischen Königstreue.
-
-Alle aber, die von weither gekommen waren, drängten sich an den Kral
-heran, wollten genau sehen, wie er ausschaue, und daheim Kunde geben
-vom König, dessen Bild auf keiner Münze und in keinem Buche stand.
-Eine Röte stieg dem Kral in die Wangen und verdrängte die bleiche
-Trauer. Und Dankbarkeit war in seinem Herzen für die Frau, die jetzt
-eingescharrt wurde. Zweimal in seinem Leben hatte er durch sie sein
-Königtum deutlich gefühlt, am Hochzeitstag, da er sie bekam, und heute
-am Begräbnistag, da er sie verlor. Beide Male hatte das Wendenvolk
-seine Vertreter zum Kral geschickt aus allen Dörfern und Städten.
-
-
-
-
-»Gebt uns die Ehre!« hatte der Kral zu allen gesagt, die ihn begrüßten.
-Der König lud sein Volk zum Mahle. Im Großgarten waren lange Tafeln
-aufgeschlagen; in allen Stuben, selbst in der Scheune waren Tische und
-Stühle. Das war kein gewöhnlicher ~zakopowane~[9] mit gelber Suppe und
-etwas Branntwein und Butterbrot, das war ein großes Mahl mit gekochtem
-und gebratenem Fleisch. Es gab Bier, Branntwein und Tabak für die
-Männer und Kaffee mit Kuchen und Schokolade für die Frauen. Selbst
-Zuckererbsen für die Kinder gab es wie bei einer Hochzeit. Der Kral
-ging ein paarmal durch die Reihen der Schmausenden, hörte viel Gerede
-an und sprach selbst selten ein Wort.
-
-Samo setzte sich der Reihe nach zu allen Leuten aus fremden
-Ortschaften, war freundlich und vertraulich mit ihnen.
-
-Hanka herrschte über die Küche und die Speisenträger. Die Burschen
-sahen sie mit Entzücken, die Mädchen mit Neid. »Ob sie heut abend im
-Kretscham mittanzen wird? Denn getanzt muß werden bei einem so großen
-Begräbnis.«
-
-»Jawohl! Aber das Mädchen ist zu nahe verwandt, sie wird nicht tanzen.
-Sie wird Juros Frau werden. Deswegen ist sie hier.«
-
-»Wo ist Juro?«
-
-»Der ist nicht zu sehen. Sein Bruder macht sich viel
-gemeiner«[10]. -- -- --
-
-Juro ging einsam durch die Felder. Der Totenschmaus war ihm zuwider.
-Kaum, daß das Totengeläut verhallt ist, geht das Klingen der Gläser an.
-Barbarisch ist das, abscheulich! Es ekelte ihn.
-
-Er ging weiter den Feldrain entlang und hing in Gedanken der Mutter
-nach, dachte an lichte Kindertage, da ihre Liebe sein junges Leben
-vergoldet hatte.
-
-Schließlich mußte er doch umkehren.
-
-Da sah er ein bewegliches Männlein den Weg entlangkommen. Juro kannte
-den Mann sehr gut. Schmaler, der Buchdrucker aus Bautzen, war er.
-Juro wußte seine ganze Geschichte. Wie er mit einem Stipendium des
-preußischen Königs studiert, wie er dann seine ganze Lebensarbeit
-der Erhaltung des wendischen Slawentums gewidmet hatte. Ein Mann,
-der seine kleine Buchhandlung hatte, der ein wendisches Blättchen
-herausgab, selbst redigierte, die meisten Artikel selbst schrieb,
-das Blatt selbst druckte und versandte. Ein seltsamer Mann. Wenige
-seiner großen buchhändlerischen Kollegen waren so weit bekannt wie
-dieser Zeitungs- und Bücherkrämer. In Moskau kannte man ihn, aus Prag
-wallfahrteten tschechische Politiker, Schriftsteller, Studenten zu
-ihm. Er trug auch heut am Begräbnistag an seinem schwarzen Rock den
-russischen St. Annenorden zweiter Klasse. Er war der Mann, auf den die
-Panslawisten aller Völker für das »Slawentum an der Sprewja«[11] ihre
-Hoffnungen setzten.
-
-Inzwischen trafen sich die beiden Männer, Schmaler, der wirkliche,
-geistige Kral der Wenden, und Juro, der nominelle Erbe des wendischen
-Königtums.
-
-»Sie werden sehr vermißt!« sagte Schmaler in wendischer Sprache.
-
-»Ich kann diese Totenschmausereien nicht ertragen«, antwortete Juro
-deutsch.
-
-Schmaler sah überrascht auf ihn.
-
-»Sie sprechen deutsch mit mir?«
-
-»Ja, Sie sind aus Bautzen, und Bautzen ist, denke ich, eine deutsche
-Stadt.«
-
-»Sie wissen sehr wohl, wer ich bin, werter Herr, und Sie wissen auch,
-daß Budissin[12] eine uralte wendische Stadt ist. Was verdrießt Sie an
-den Wenden? Man hat mir schon gesagt, daß Sie kein Freund der Wenden
-sind.«
-
-Schmaler hatte ruhig und mild gesprochen; Juro entgegnete heftig:
-
-»Ich bin kein Freund der Wenden? Wer Ihnen das gesagt hat, Herr
-Schmaler, ist ein Lügner! Wer Ihnen das gesagt hat, ist ein Schuft!«
-
-»Nun, nun, es kommt viel auf die Auffassung an. Wir können ja ganz
-ruhig miteinander sprechen. Und wenn Ihnen heute eine Aussprache nicht
-paßt, so verstehe ich das wohl und will Sie gewiß nicht quälen.«
-
-»Wir können miteinander sprechen, Herr Schmaler, aber ich fürchte,
-wir werden uns nicht verstehen. Ich kenne Sie und Ihr Werk, und ich
-habe Hochachtung vor Ihren Talenten, Ihrer Ausdauer, Ihrem Opfermut.
-Sie sind ein Freund der Wenden in Ihrem Sinne, ich bin ein Freund der
-Wenden im gerade entgegengesetzten Sinne. Ich glaube nicht, daß so
-scharfe Gegensätze, wie sie zwischen uns sind, sich oft wiederholen.«
-
-»Das soll heißen,« sagte Schmaler düster, »daß Sie alle meine
-Bestrebungen um die Erhaltung sorbischen Slawentums in der Lausitz
-verwerfen, wenn nicht gar bekämpfen wollen.«
-
-»So ist es!« sagte Juro aufrichtig.
-
-Schmaler schwieg eine Weile, dann sagte er:
-
-»Ich könnte Sie um die Begründung Ihres Urteils fragen, aber ich kenne
-alle Einwände, die gegen mein Werk erhoben werden. Sie halten es für
-vergeblich.«
-
-»Ja! Für so vergeblich, wie wenn Sie in heißen Frühjahrstagen mit einem
-eisernen Haken eine Eisscholle in der Spree festhalten wollten. Die
-Wenden schwimmen im deutschen Fluß, und unter der deutschen Kultursonne
-wird Ihnen die Scholle, die Sie festzuhalten sich bemühen, trotz aller
-Haken und Anstrengungen zerrinnen.«
-
-Wieder entgegnete Schmaler nicht gleich. Dann sagte er:
-
-»Sie wissen, daß alle Gleichnisse hinken. Ich könnte Ihnen hundert
-andere entgegenstellen, z. B. daß es mir lieber ist, als armer Häusler
-in eigener Hütte zu wohnen, als daß ich als Dominialknecht zu einem
-großen Herrn zöge.«
-
-»Knechte sind die Wenden nur so lange, als sie Wenden bleiben. Werden
-sie Deutsche, so sind sie freie Kinder des freien Hauses.«
-
-»Mein Gott, so spricht der zukünftige Kral!«
-
-»Herr Schmaler, Sie wissen, daß unser Königtum eine Illusion ist.«
-
-»Nehmen Sie die Illusion aus der Welt, und die Staaten und die
-Gemeinschaften und die Familien und alles individuelle Leben geht in
-Trümmer. Fällt Ihnen nie ein, was für Kulturwerte versinken, wenn
-dieses Volk untergeht? Glauben Sie nicht, daß nur im Individualismus
-die Welt schön und liebenswürdig sein kann? Glauben Sie nicht, daß es
-zum Sterben langweilig wäre, wenn auf der Welt überall dieselbe Art
-Menschen wohnte?«
-
-»In der Welt ja; aber ein Reich ist nur in einer Einheit
-bewundernswert. Das weiß sonst niemand besser als die Panslawisten.«
-
-Juro sagte es mit einem Seitenblick auf Schmaler. Der entgegnete ruhig:
-
-»Ich bin ein Panslawist. Es sind mir oft in slawischen Ländern gute,
-wohlbesoldete Stellen angeboten worden; ich bin im sächsischen
-Budissin geblieben, habe dort meine Kraft, meine Gesundheit, mein
-Vermögen zugesetzt im Dienst der wendischen Sache. Aus Eitelkeit,
-werden meine Feinde sagen, aus der Sucht heraus, ein Eigenbrötler zu
-sein, der Beachtung findet. Das mögen sie sagen; ich verachte es.«
-
-»Ich meine, daß Ihre ehrlichen Gegner an Ihren Idealismus glauben, Herr
-Schmaler; ich jedenfalls gehöre zu diesen.«
-
-»Danke! Das eine kann man mir auch jedenfalls nicht bestreiten, daß ich
-ein loyaler sächsischer Untertan bin.«
-
-»Sehen Sie, Herr Schmaler, das würde ich bestreiten. Ich glaube, daß
-Sie Ihre staatsbürgerlichen Pflichten erfüllen, aber Ihre Seele gehört
-hinüber zu den Tschechen, mit denen Sie eine Spracheinheit anstreben,
-mit denen Sie ständig sympathisieren.«
-
-»Was soll ich tun? Sie selbst sagen, daß meine Scholle zerbröckelt.
-Festigkeit, geistigen Inhalt für meine Sache kann ich nur bei unseren
-slawischen Brüdern suchen. Ich suche Stärkung bei den Slawen für unser
-wendisches Volkstum, aber ich suche keinen politischen Anschluß an
-sie. Ich will die Erhaltung des sorbischen Slawentums innerhalb der
-bestehenden Staatsverbände. Ist das Landesverrat?«
-
-»Landesverrat nicht! Nein! Sicherlich aber auch nicht Patriotismus,
-der die Wurzeln seiner Kraft nicht im Auslande hat.«
-
-»Vaterland? -- Welches Blut haben uns unsere Väter vererbt? Wo zieht es
-uns hin?« --
-
-Sie waren inzwischen nahe an das Gehöft gekommen, wo festliches Treiben
-war. Mitten aus dem Lärm hob sich das widerliche Geschrei eines
-Betrunkenen ab:
-
-»~Njet hordujo ta kóža přepita!~«[13]
-
-»Hören Sie! Hören Sie!« keuchte Juro. »Ist das nicht eine Roheit
-sondergleichen? Ist das nicht gemeiner Kannibalismus! Wenn ich den Kerl
-erwische, schlage ich ihn nieder!«
-
-Er wollte voran. Schmaler faßte ihn am Arm und hielt ihn fest.
-
-»Es ist roh! Ja, es ist widerlich roh! Aber der Mann ist betrunken!«
-
-»Oh, es wird nicht lange dauern, da brüllen sie alle dieselbe
-Gemeinheit!«
-
-»Nicht doch! Denken Sie daran, daß solch arme Leute jeden öffentlichen
-Anlaß zu einer Festlichkeit benutzen, weil ihr Leben so wenig Feste
-hat.«
-
-»Da sind sie voll von diesem eklen Kannibalenfraß, da dürfen sie von
-einer edlen Toten sprechen wie von einem geschlachteten Tier! Ich halte
-es nicht aus! Ich werfe sie hinaus; ich werfe sie alle hinaus!«
-
-»Es sind die Gäste Ihres Vaters! Roheiten kommen überall vor. Beruhigen
-Sie sich! Es ist ein ungebildetes Volk! Sie denken sich nichts so
-Schlimmes dabei!«
-
-»Prosit! Prosit!« scholl es vom Großgarten her, und wieder kam der rohe
-Satz:
-
-»~Njet hordujo ta kóža přepita!~«
-
-Da überfiel Juro ein starker physischer Ekel; ein Brechreiz würgte ihn,
-dann riß er sich los und eilte nach dem Großgarten. Er sah eine Gruppe
-zechender Männer.
-
-»Prosit, Juro, prosit!« schrien sie. »~Njet hordujo~ ...«
-
-»Wollt ihr schweigen, ihr -- ihr -- Schweine!«
-
-Juro brüllte es.
-
-»Ist das ein Sauffest? Dürft ihr so von meiner Mutter sprechen? Hinaus,
-sage ich, hinaus mit euch besoffenem Pack!«
-
-Die Gesellschaft erschrak. Blöde, ernüchtert sahen sie den tobenden
-jungen Mann an.
-
-»Was -- Was sagt er?« grunzte einer.
-
-»Was ich sage? Daß ihr eine besoffene Horde seid, die sich benimmt wie
-die Wilden!«
-
-Nun ging ein Skandal los.
-
-»Wir haben doch den Branntwein nicht gestohlen!«
-
-»Wir sind doch nicht zum Spaß so weit hergelaufen!«
-
-»Er ist ein aufgeblasener Bengel!« -- »Er hat uns beim Totenschmaus der
-eigenen Mutter verjagt!« -- »Pfui, er ist geizig!«
-
-»Da -- da hast du dein Fett!«
-
-Und es warf einer das Schnapsglas nach Juro, das haarscharf an seinem
-Kopf vorbeisauste. Mit einer unflätigen Beleidigung stampfte der Kerl
-davon. Eine Anzahl anderer warf die Gläser ebenfalls ins Gras und ging
-davon.
-
-Der Kral kam schnell heran und sagte laut:
-
-»Ich bin hier der Herr! Wer mein Gast ist und wem es hier gefällt, der
-bleibt!«
-
-Aber wenige blieben. Juro ging zitternd vor Aufregung ins Haus.
-
-Schmaler trat an den Scholta heran und sprach einige aufklärende Worte.
-
-»Es hat mir auch wehgetan, wenn sie so brüllten«, sagte der alte Hanzo;
-»aber es ist eine Redensart seit alters her. Und Gäste soll man nicht
-vertreiben.«
-
-»Juro ist kein Wende mehr«, sagte Samo, der auch herangetreten war. »Er
-hat sich so mit Haut und Haaren den Deutschen verschrieben, hat sich so
-an geschniegelte Kreise angeschlossen, daß ihm alles in der Heimat zu
-roh ist, daß er sich zimperlich benimmt wie ein Frauenzimmer. Mit den
-Deutschen ist er gegangen; mit einem Wenden hat der feine Herr nicht
-gesprochen.«
-
-»Nur mit mir!« sagte Schmaler. »Freilich haben wir gestritten.
-Ich kehre bedrückten Herzens heim, weil ich gesehen habe, wie der
-zukünftige Kral über das Wendentum denkt.«
-
-Ein Seufzer kam aus der Brust des alten Hanzo, und er wandte sich, ohne
-weiter ein Wort zu sagen, wieder zu seinen Gästen. Eine Anzahl kam
-zurück. Es wurde weiter geschmaust und getrunken, aber es ging stiller
-her. -- Schmaler und Samo gingen nun ein Stück den Feldweg entlang. Sie
-verstanden sich besser.
-
-Schmaler erzählte mit Begeisterung von Prag.
-
-»Ich kann es nicht begreifen«, sagte Samo, »daß mein Vater darauf
-bestand, ich müsse in Breslau studieren. Mir ist das deutschgewordene
-Nest, das Slawen gegründet haben, zuwider. Wir wendischen Studenten
-gehören nach Prag. Denn die Lausitz gehört ebenso wie Schlesien
-geschichtlich und rechtlich zur ›~Koruna ceska~‹«[14].
-
-Schmaler schüttelte den Kopf.
-
-»Ich gehe nicht so weit, ich fasse unsere Stellung zu den verwandten
-Tschechen anders auf!«
-
-»Was man will, muß man ganz wollen, Meister Schmaler. Los von den
-Deutschen! Die deutsche Länderkrume, die uns von den tschechischen
-Brüdern trennt, ist dünn genug, daß man sie durchbrechen kann. Wir
-müssen nur ausharren, festhalten, hier treu bleiben auf dem slawischen
-Vorposten. Jahrhundertelang hat unser armes Volk den deutschen Druck
-ertragen und ist slawisch geblieben im fremden Joch, im fremden Land.
-Sehen Sie dagegen auf die Deutschen! Alle fremden Sprachfetzen lesen
-sie auf, die vom Schneidertisch anderer Nationen fallen, behängen sich
-damit und glauben sich geschmückt. Ihre Nationalität hält im fremden
-Land nicht vom Vater auf den Sohn. Weil sie nichts taugt! Und deshalb
-werden unsere tschechischen Brüder Tag um Tag weiter vordringen gen
-Norden, und eines Tages werden wir mit ihnen vereinigt sein. Dann
-wird man sowohl vor den Mauern Berlins wie vor den Mauern Wiens die
-slawische Sprache hören.«
-
-»Sie gehen zu weit, Sie gehen viel zu weit in Ihren Plänen und
-Hoffnungen«, sagte der vorsichtige Schmaler besorgt.
-
-»Ich setze mir ein Ziel: Erhaltung des Sorbentums als Vorposten der
-siegreich vordringenden Slawen.«
-
-Schmaler schwieg. Er mochte sich zu solch kühnen Worten nicht äußern.
-
-»Liegt es nicht an der Feigheit unserer Intelligenz, wenn das Sorbentum
-leider Gottes zurückgeht?« fuhr Samo fort. »Wenn wir solche Führer
-haben wie meinen Bruder Juro, dann Gnade uns Gott!«
-
-»Auch ich fürchte von ihm viel«, sagte Schmaler.
-
-»Er darf kein Führer werden; er darf es nicht! Ich werde es verhindern.
-Gott sei Dank, ich glaube, er will es auch nicht. Er ist zu feig
-und oberflächlich dazu. Ich sah mit scheelen Augen darauf, daß er
-hinter einer Deutschen herlief. Ich war ein Esel. Ein Glück ist diese
-Liebschaft! Er soll sich nur sein bleichsüchtiges Ding nehmen, nach
-Berlin ziehen und alle zehn Jahre einmal nach Hause zur Kirmeß kommen.
-Öfter gehört er auf unsern Hof nicht! Da ist er unmöglich! Vollends mit
-seiner deutschen Zierpuppe. Auf unsern Hof gehöre ich!«
-
-»Er ist der Erbsohn«, warf Schmaler ein. »Er ist auch nach der
-Tradition der zukünftige Kral.«
-
-»Haben nicht andere abgedankt als er, wenn sie unfähig waren für ihre
-Sache? Er wird abdanken!«
-
-»Ich will mich in einen Familienstreit nicht mischen«, sagte Schmaler
-wieder vorsichtig.
-
-»Das ist kein Familienstreit, das ist eine Sache, die alle angeht und
-die Sie unterstützen sollten, wenn eine Unterstützung nötig wird.«
-
-»Ihr Vater ist noch jung. Wir müssen die Entwicklung der Dinge
-abwarten.«
-
-»Die Dinge werden sich rasch entwickeln. Denken Sie an Hanka! Sie ist
-das letzte Mädchen aus dem Geschlechte, das uns als das königliche
-gilt. Meine Eltern und ihre Eltern haben sie für Juro bestimmt. Und
-wenn er sich um seiner deutschen Liebsten willen weigert, das Mädchen
-zu nehmen? Wenn er mit seiner deutschen Frau als Arzt nach irgendeiner
-Stadt zieht? Nach allen seinen Äußerungen glaube ich bestimmt, daß er
-das tun wird. Nun, irgend jemand wird wohl die Sache hier übernehmen
-müssen.«
-
-Schmaler drückte Samo die Hand.
-
-»Sie wissen, daß ich Sie hundertmal lieber als Herr auf dem Hofe sehen
-würde als Ihren Bruder.«
-
-»Das genügt mir!« sagte Samo, und seine dunklen Augen funkelten.
-
-Dann sprach er von der Zeitung, die Schmaler herausgab, von der
-»~Sorbske Nowiny~«. Er lobte Schmalers Bestreben, die deutschen
-Fremdwörter und Lehnformen aus der wendischen Sprache auszurotten
-und überall da, wo ein rein wendisches Wort nicht vorhanden war,
-tschechische Formen einzuführen. Er versprach auch, selbst an der
-»~Sorbske Nowiny~« mitzuarbeiten, zog ein Zeitungsblatt aus der Tasche
-und wies auf einen Artikel.
-
-»Den müssen Sie abdrucken. Der trifft das Richtige!«
-
-»Sie lesen Russisch?« fragte Schmaler.
-
-»Ja, ich habe mich von Kindheit an mit dieser Sprache befaßt.«
-
-Schmaler, der ebenfalls des Russischen mächtig war, las:[15] »Wir
-Slawen bewundern den Genius der Semiten auf dem Gebiete religiöser
-Schöpfungen, den der Griechen auf dem Gebiete der Wissenschaften
-und Künste, den Genius der Römer auf dem Gebiete des Rechts und
-der Politik; wir bewundern den begeisterten Schwung des Spaniers
-und Italieners, das gesellschaftliche Talent und den Geschmack
-des Franzosen, die schöpferische Kraft und die Erfindungsgabe des
-Engländers. Was kann dagegen der Deutsche für sich beanspruchen? Was
-ist an ihm genial, was ideal, was vollendet? Ist sein Glaube nicht
-abstrakt und sein Unglaube kühl, seine Philosophie phantastisch und
-seine Poesie philosophisch? Seine soziale Existenz, sein Feudalismus,
-sein Junkertum, sind sie nicht die Negation der Menschenrechte, die
-organisierte Gewalttat? Können seine gute militärische Disziplin, seine
-Mäßigkeit und Akkuratesse, sein kaltes, herzloses, maschinenartiges
-Ausführen dessen, was ihm befohlen wird, selbst auf Kosten der
-geheiligten Gefühle der Großmut und des Mitleids -- können sie
-dieses Volk erheben und Liebe erregen? Können seine Arbeitsamkeit
-und Pünktlichkeit den Mangel an Humanität und schöpferischer Kraft
-ersetzen? Möge die geschichtliche Vorsehung die Slawen vor dem Wege der
-Entwicklung bewahren, auf dem sie den Deutschen ähnlich werden könnten!«
-
-»Haben Sie das selbst geschrieben?« fragte Schmaler.
-
-Samo zuckte die Achseln.
-
-»Geschrieben oder nicht, es ist meine Meinung. Und Sie sollen den
-Artikel abdrucken.«
-
-»Nein«, sagte Schmaler, »er ist zwar geistreich, aber er schießt über
-das Ziel hinaus. Die Russen können unmöglich den Deutschen den Vorwurf
-kalter Herzlosigkeit, Unfreiheit und schöpferischer Unproduktivität
-machen. Solche Angriffe verfehlen ihren Zweck.«
-
-Samo zuckte die Achseln.
-
-»Wer dieses Volk angreift, hat immer recht. Die ›~Nàrodni listi~‹ in
-Prag sollten Sie sich zum Muster nehmen. Das Blatt nennt das Ziel,
-stellt die Aufgabe klar, wenn es schreibt: ›Wir werden immer auf seiten
-jenes Volkes stehen, das gegen die Deutschen den Krieg unternimmt,
-weil der Feind unseres Feindes stets unser Freund ist.‹ Sehen Sie, Pàn
-Schmaler, das ist stark und zielbewußt! Für Ihre ›~Sorbske Nowiny~‹
-aber werde ich nichts schreiben können, weil ich fürchte, dies Blatt
-ist zu deutschfreundlich.«
-
-Das mußte sich der alte Wendenführer von dem jungen Manne sagen lassen.
-Als er gen Bautzen nach Hause fuhr, mußte er sich eingestehen, daß
-er sich mit keinem der beiden Söhne des Kral verstanden hatte, mußte
-er sich sagen, es sei doch eine mißliche Sache, in Prag und Moskau
-als Vertrauensmann zu gelten und daheim dem König von Preußen ein
-Wendenbuch zu widmen.
-
-
-
-
-An dem Begräbnis hatten auch Hankas Eltern, wohlhabende Bauersleute
-aus dem Sächsischen, teilgenommen. Am Abend noch sprach der Scholta
-zu ihnen: »Herr Vetter und Frau Muhme, ich hätte euch eine herzliche
-Bitte auszusprechen. Meine Frau hat sich eure Tochter Hanka auf ein
-paar Wochen zum Besuch ausgebeten. Es war unser beiderseitiger Wille,
-daß die Jungfer und mein Sohn Juro sich wiedersehen sollten, damit,
-wenn Gott es will, ein Paar aus ihnen werde. Nun ist mir die Frau
-gestorben ...!«
-
-Er hielt nach dieser langen Rede müde inne und machte eine
-Handbewegung, die bedeuten sollte: alles andere könnt ihr euch wohl
-selbst denken. Die Mutter Hankas verstand ihn auch.
-
-»Der Herr Vetter meint, weil das Hauswesen jetzt ohne Frau ist, so
-sollten wir in Gottes Namen die Hanka auf längere Zeit hierlassen, daß
-er nicht ganz allein ist, wenn die Herren Söhne wieder fortziehen, und
-daß eine weibliche Aufsicht wäre.«
-
-Hanzo nickte der Frau dankbar zu. Er freute sich, daß sie ihm das
-weitere Sprechen und Bitten ersparte.
-
-Die Frau aber schwieg jetzt, und auch ihr Mann schwieg. Sie brauchten
-sich ihre Gedanken nicht mitzuteilen. Sie dachten alle drei dasselbe:
-daß Hanka an einem Unglückstage in dies Dorf eingezogen, daß ihr
-unterwegs die Smjertniza begegnet war. Der alte Scholta suchte endlich
-die Bedenken zu zerstreuen, indem er sprach:
-
-»~Bog te swoje žiwńe gromadu zwežo!~«[16]
-
-Diesem Spruche dachte die Frau nach, und ihr Mann wartete, wie sie sich
-entscheiden werde.
-
-Endlich sprach die Mutter Hankas:
-
-»So wollen wir das Mädchen in Gottes Namen hierlassen, bis der Herr
-Vetter seine Wirtschaft gerichtet hat.«
-
-Der Mann sah seine Frau an, als wollte er sagen: Ich hätte erwartet,
-daß wir uns anders entscheiden würden. Aber die Frau sagte: »Gott hat
-das Kind behütet und auch mit tollen Pferden gesund hierher geführt, es
-mag hierbleiben.«
-
-Hanka wurde nun herbeigerufen, und der Familienbeschluß wurde ihr
-mitgeteilt. Da rannen ein paar helle Tränlein über die roten Wangen des
-Mädchens.
-
-»Es war so schön zu Haus. In der Spinnstube war ich schon die Kantorka!«
-
-»Du wirst hier auch die Kantorka werden!« tröstete die Mutter. Das
-Mädchen aber hielt die Hände vors Gesicht. Da stand die Mutter auf und
-sagte recht barsch:
-
-»Höre, Hanka, ich will nicht hoffen, daß dir ein Kerl von zu Haus im
-Kopfe steckt.«
-
-Das Mädchen sah sie groß an.
-
-»Nein! Wie wäre das möglich? Ich denke, ich soll den Juro heiraten!«
-
-Da nickten sich die drei Alten befriedigt zu: »Sie ist ein folgsames
-Kind!«
-
-Ein Weilchen war's still, dann seufzte die Frau und sagte:
-
-»Der Herr Juro hat ein gar hitziges Blut!«
-
-Ihr Mann wollte nun auch was sagen und sprach:
-
-»Das muß so sein bei den Herren Studenten.«
-
-Die Frau sah ihn an und sagte nichts. Aber der Mann wußte, daß sie
-bei sich dachte: Was faselst du? Du hast in deinem Leben keine fünf
-Studenten gesehen. Das war wahr, und der Mann nahm sich vor, ein
-andermal mit Reden nicht so voreilig zu sein.
-
-»Er wird ein schweres Leben haben, wenn er erst auf dem Gut ist und so
-hitziges Blut hat«, nahm die Frau das Thema wieder auf.
-
-»Er wird älter werden!« sagte der Kral.
-
-»Und er hatte ganz recht«, rief Hanka, halb noch in Tränen. »Ich habe
-auch einem von den Kerlen, die so lärmten, eine Flinka[17] gegeben.«
-
-»Du?!«
-
-»Ja, es kam einer an die Küchentür und sagte den gemeinen Spruch:
-›~Jana stawa baba~‹.«[18]
-
-»Der Kerl! Da hattest du recht, daß du ihm eine Flinka gabst. Was sagte
-er?« fragte die Mutter.
-
-»Ach, er lachte und meinte: Ei sieh, das Kätzchen gibt die Pfote!«
-
-»Und du?«
-
-»Ich gab ihm noch einmal die Pfote!« sagte Hanka und lachte auch.
-
-Die Eltern sahen stolz auf den Scholta: »Sieh, was für eine
-Schwiegertochter du bekommst!«
-
-»Juro ist streng!« sagte Hanka nachdenklich, »er hat auch auf mich
-schon sehr geschimpft. Aber er ist schöner als alle!«
-
-Da sahen die Eltern wieder auf den Scholta: »Nehmt euch diese Perle
-wahr!« Hanzo nickte.
-
-Als die Eltern Hankas an die Heimreise gingen, schieden sie in
-Zufriedenheit, obwohl sie sich von ihrem zukünftigen Schwiegersohn Juro
-nicht einmal verabschieden konnten, weil er nirgends zu finden war.
-So hatte Juro mit ihnen außer einer kurzen Begrüßung bei der Ankunft
-überhaupt kein Wort gesprochen.
-
- * * * * *
-
-Der Scholta brauchte drei Tage und drei Nächte, ehe er sich zu dem
-Entschluß aufraffte, mit seinen Söhnen Rücksprache über die Zukunft zu
-nehmen. Endlich saß er mit ihnen in dem kleinen Stübchen, in dem sein
-uralter Schreibtisch stand, der so hoch war wie ein Schrank.
-
-Der alte Hanzo schloß das Fenster und verriegelte die Tür. »Meine
-Söhne,« sagte er dann mit der ihm eigenen Feierlichkeit, »es hat sich
-in unserer Familie ein so großes Unglück ereignet, daß wir jetzt daran
-denken müssen, wie in Zukunft alles werden soll. Ich habe hier auf
-dem Papier alles aufgeschrieben, was die Mutter eingebracht hat, und
-es kommen jetzt nach ihrem Tode auf jeden von euch sechstausend Taler
-Mutterteil.«
-
-Die Söhne sagten übereinstimmend, daß sie das Geld vorläufig aus dem
-Gute nicht herausziehen wollten.
-
-»So werde ich euch jedem eine Hypothek auf das Geld eintragen lassen;
-denn es muß Ordnung sein«, sagte der Vater.
-
-Damit -- meinte er -- sei alles erledigt, und er wollte die Tür wieder
-aufriegeln. Aber beide Söhne sagten, sie hätten noch mit dem Vater zu
-reden und wollten bald alles abmachen.
-
-»Nun, so kommt zuerst Juro an die Reihe«, sagte der Scholta. Er sah
-gespannt auf den Sohn. Der redegewandte Juro stockte erst und brachte
-auch dann seine Sätze nicht ganz glatt heraus.
-
-»Vater, du weißt, daß ich in meinem Berufsstudium hinter Samo zurück
-bin, obgleich ich ein Jahr eher auf die Universität kam als er. Er hat
-gleich von Anfang an Medizin studiert, und ich habe erst zwei Jahre
-mit der Jurisprudenz verloren, ehe ich auch zur Medizin umsattelte.
-Ich konnte aber nicht Advokat oder Richter werden; ich hatte mich in
-mir getäuscht. Nun wird Samo schon vor nächsten Ostern fertig, und ich
-werde noch ein und ein halbes Jahr brauchen, ehe ich approbiert bin.
-Es kommt dazu, daß ich auf deinen und der Mutter Wunsch nebenbei auch
-landwirtschaftliche Vorlesungen höre.«
-
-»Wozu erzählst du das?« sprach Samo dazwischen, »das wissen wir doch.«
-
-»Es gehört zum Ganzen«, sagte Juro. »Du weißt, Vater, daß ich mich
-für die Landwirtschaft bisher wenig interessiert habe; ich habe euch
-zuliebe diese Vorlesungen gehört, obwohl ich es für ganz unnütz hielt,
-und ich will dir gestehen, daß ich im Ernst gar nicht daran dachte,
-einmal Landwirt zu werden.«
-
-Der Vater entgegnete nichts; er kannte die Interesselosigkeit des
-Sohnes an der Landwirtschaft.
-
-»Aber, Juro, weshalb erzählst du das?« fragte Samo wieder. »Wir alle
-wissen, daß du kein Landwirt bist und also auch später einmal das Gut
-nicht übernehmen kannst.«
-
-Juro wandte sich seinem Bruder zu, und der Haß blitzte auf in seinen
-Augen, und ein Lächeln der Schadenfreude spielte um seine Lippen.
-
-»Und wer wird es übernehmen?« fragte er kalt. »Fremde Leute?«
-
-»Ich bin auch noch da -- ich --«
-
-Juro brach in ein Gelächter aus.
-
-»Du?! -- Ja, du! -- Ich verstehe! -- Ich konnte es mir denken!«
-
-Dann stand er auf und schrie den Bruder an:
-
-»Nein, du wirst es nicht übernehmen! Ich bin der Erbsohn! Ich!! Ich bin
-der zukünftige Kral der Wenden!«
-
-»Das bist du!« sagte der Vater und stand auf und sah mit leuchtenden
-Augen auf seinen Sohn, der ihm wie ein Wunder erschien in seiner
-plötzlichen Verwandlung.
-
-Samo aber sah seinen Bruder ganz erschrocken an.
-
-»Du -- du -- was fällt dir auf einmal ein?«
-
-»Jetzt rede ich erst!« sprach der Vater mild, aber fest, und wandte
-sich an seinen ältesten Sohn.
-
-»Dir hat Gott geholfen, Juro, er hat dir gezeigt, was du tun sollst,
-weil du der Kral der Wenden sein wirst. Die Mutter hat sich großen
-Kummer gemacht. Sie wollte noch mit dir reden, aber sie starb zu rasch.
-So werde ich dir sagen, was nötig ist. Wir wollen, daß du ein guter
-Hausvater und ein treuer Kral wirst, und wir haben bestimmt, daß du
-unsere Jungfer Hanka zur Frau nimmst.«
-
-»Ich -- was? -- Ich -- Hanka? -- --«
-
-Der Jüngling brachte keinen Satz zustande. Er stand blaß vor dem Vater,
-und es war, als ob sein Hirn lahm und seine Glieder starr geworden
-wären.
-
-Samo schlug ein lautes Gelächter an.
-
-Der Vater verwies Samo dieses Lachen mit strenger Gebärde.
-
-Juro gewann endlich die Herrschaft über sich zurück. Er sprach
-nicht gleich, aber man sah an seinem Gesicht, wie rasch die Gedanken
-arbeiteten.
-
-Schließlich sagte er mit ruhiger Stimme, durch die kaum ein merkliches
-Beben lief:
-
-»Vater, der Eltern Wille ist in Ehren! Und das Mädchen, die Hanka, ist
-in Ehren! Aber ich werde Hanka nicht heiraten, denn ich habe bereits
-eine Braut.«
-
-Der Vater sah ihm steif ins Gesicht und sprach:
-
-»Du kannst keine Braut haben, Juro, denn ich weiß nichts davon. Es ist
-Sitte von alters her in unserer Familie, daß der Sohn mit seinem Vater
-spricht, ehe er mit einem Mädchen von der Ehe redet, und es ist Sitte,
-daß kein braves Mädchen mit sich von der Ehe sprechen läßt, ehe sie
-weiß, daß der Bursch mit seinem Vater einig ist.«
-
-Juros Gesicht wurde dunkelrot. Aber er sprach mit ruhiger Stimme:
-
-»Die Zeiten ändern sich, Vater! Unsere Zeit macht die Menschen schnell
-selbständig. Unselbständige Leute vernichtet sie. Ich bin schon lange
-mündig, ich habe so viel gelernt, um zu wissen, was ich tue, und ich
-werde nur das Mädchen heiraten, das ich mir selbst gewählt habe. Es ist
-Elisabeth von Withold.«
-
-»Wer?«
-
-»Elisabeth, die Tochter unseres Nachbarn!«
-
-»Des Rittermäßigen?«
-
-»Ja!«
-
-Da ging der Vater auf den Sohn zu, tippte ihm mit dem Zeigefinger auf
-die Brust und sagte:
-
-»Weißt du, daß du ein Bauernjunge bist?«
-
-»Ich weiß, daß ich ein gebildeter Mensch bin!«
-
-»Das vergiß nicht, Vater!« rief Samo höhnisch dazwischen.
-
-Der Bauer setzte sich an den Tisch. Er sah starr auf Juro und fragte
-dann:
-
-»Und du hast es wirklich gewagt, das dem deutschen Edelmann zu sagen?«
-
-»Ich habe es ihm noch nicht gesagt, weil es noch nicht möglich war,
-aber ich werde es alsbald tun!«
-
-Da sprang der alte Wende auf, und eine Energie kam über ihn, die
-seltsam von seiner Art abstach. Seine sonst so ruhige Stimme wurde
-scharf:
-
-»Du wirst es nicht tun! Du wirst uns die Schande nicht machen, daß
-der deutsche Edelmann den wendischen Bauernjungen mit den Hunden
-hinaushetzt!«
-
-»Das wird er nicht! Das kann er nicht!« lächelte Juro.
-
-»Er wird es tun! Er gehört zu den Deutschen, die die Wenden verachten!
-Er ist ein Ritter, und wir sind Bauern!«
-
-»Laß das meine Sorge sein, Vater!«
-
-»Nein, es ist +meine+ Sorge. Ich bin der Vater! Die Schande kommt über
-uns alle!«
-
-Da hielt Juro eine lange Rede. Er sprach von der Emanzipation des
-Wendenvolks, von seiner Gleichberechtigung mit den Deutschen, von dem
-Ausgleich zwischen den Ständen. Er sprach mit herzlicher Liebe und mit
-großer Begeisterung von Elisabeth und von ihrer Liebe zu ihm. Und er
-schloß:
-
-»Wendin oder Deutsche -- es ist gleich; adelig oder nicht adelig,
-es ist kein Hindernis für die Liebe! Wir lieben uns, weil wir uns
-lieben müssen, unsere Herzen haben zusammengeschlagen, ohne daß alte
-Vorurteile es hindern konnten. Die Zeiten, wo Menschen ihr Glück mit
-selbstgeschaffenen Ketten erwürgten, sind gottlob vorbei!«
-
-Der alte Wende hörte ihm starr zu. Zuletzt schlug er die Hände vor's
-Gesicht und sagte:
-
-»Ich wollte, ich wäre bei der Mutter!«
-
-Juro sah ihn erschüttert an.
-
-»Willst du mich nicht verstehen, Vater?«
-
-»Nein, ich verstehe eure Welt nicht, in der alles ohne Sitte und
-Ordnung ist, alles von unten nach oben gedreht wird!«
-
-»Vater, du warst immer gerecht. Du kannst kein hartes Urteil fällen
-über ein Mädchen, das du nicht kennst. Oder hast du je etwas Schlimmes
-von ihr oder ihrer Familie gehört?«
-
-»Nein! Aber es sind Edelleute. Und ein Fräulein paßt nicht zu einem
-Bauernsohn!«
-
-»Warum hast du uns studieren lassen, Vater? Doch darum, daß wir
-vorwärts kommen sollen in der Welt!«
-
-»Ja, aber nicht so! Die Wenden haben keinen Arzt, keinen Advokaten, der
-ihre Sprache spricht, nicht einmal genug Geistliche und Lehrer, die
-Wendisch können. Da war es doch meine Pflicht als Kral, daß ich euch
-auf die Schule gab. Einer sollte Advokat werden, einer Arzt!«
-
-»Nun werde ich auch Arzt. Aus innerer Neigung. Und ich werde mich ganz
-den Wenden widmen, die der ärztlichen Hilfe so nötig bedürfen!«
-
-Samo, der mit feuerrotem Gesicht der Unterredung zuhörte, sagte nun
-dazwischen:
-
-»Er wird die Kranken kurieren oder auch nicht kurieren -- je nachdem
---, und das gnädige Fräulein von Withold, die dann eine Bauernfrau
-geworden ist, wird indes zu Hause die Schweine füttern!«
-
-Juro sah den Bruder kalt an.
-
-»Wir haben uns nicht vertragen, als du noch glaubtest, ich würde dir
-Platz machen; wir werden uns natürlich erst recht nicht vertragen,
-nachdem du weißt, daß ich nicht dir zu Lieb' auf mein Erbe verzichte!«
-
-Samo sprang auf.
-
-»Bin ich ein Erbschleicher?«
-
-Juro sah ihn mit strengen Augen an und zuckte die Achseln. Da holte
-Samo zum Schlage gegen ihn aus. Der alte Scholta aber hieb mit der
-Faust auf den Tisch.
-
-»Wie benehmt ihr euch? Was erdreistet ihr euch in meiner Gegenwart?
-Geht hinaus! Beide!«
-
-Die Söhne mußten das Zimmer verlassen, und der Vater blieb allein und
-sprach drei Tage lang mit keinem Menschen ein Wort.
-
-Dann aber ließ er die Söhne wieder zu sich rufen.
-
-»Ich will dich fragen, Juro, ob du es dir überlegt hast, daß ein
-adliges Fräulein nicht in unseren Hof als Bäuerin ziehen kann!«
-
-»Elisabeth wohnt jetzt auch auf dem Hofe ihres Vaters. Sie
-interessiert sich für die Landwirtschaft und verträgt sich aufs beste
-mit allen Leuten!« entgegnete Juro kleinlaut.
-
-»Sie haben ein herrschaftliches Schloß, einen Park!«
-
-»Das brauchen wir nicht! Aber ich wollte dich allerdings bitten, Vater,
-daß ich mir hinter unserem Großgarten ein neues Wohnhaus bauen darf:
-nicht groß und prunkvoll, aber gesund und bequem!«
-
-»Das soll heißen, Vater,« fiel Samo ein, »er baut nebenan ein deutsches
-Herrenhaus, und du darfst hier in der wendischen Kaluppe weiterwohnen
-und seinen Großknecht spielen!«
-
-Es drohte wieder ein Streit auszubrechen, aber die Gegenwart des
-strengen Vaters hielt die Brüder im Zaum.
-
-»Ich beabsichtige,« sagte Juro, »von hier aus meine ärztliche Praxis
-auszuüben und mich -- soweit mir Zeit bleibt -- unter deiner Leitung in
-die Verwaltung des Gutes einzurichten.«
-
-»Und das Fräulein?«
-
-»Sie wird zufrieden sein und dir eine gute Tochter sein.«
-
-Der Alte schüttelte den Kopf.
-
-»Sie ist eine Deutsche!«
-
-»Gott sei Dank!« sagte Samo.
-
-»Was meinst du damit?« fragte ihn der Vater.
-
-»Ich meine, es ist gut, daß sie eine Deutsche ist. Sie paßt zu Juro,
-denn er ist auch ein Deutscher, ein Stockdeutscher.«
-
-Der Vater sah mit forschenden Augen dem Sohne ins Gesicht.
-
-»Er hat die Wenden oft unfreundlicher behandelt, als ich wünschte, aber
-deshalb kann noch kein Mensch behaupten, daß er ein Deutscher geworden
-ist«, sagte der Alte.
-
-Juro, der erkannte, auf welches Geleise ihn der Bruder geführt,
-verschmähte es, sich zu verstecken.
-
-»Ja, ich bin ein Deutscher«, rief er. »Ich will es, ich mag es, ich
-kann es nicht verheimlichen.«
-
-»Und -- und dein Wendentum?«
-
-»Ich liebe die Wenden; aber ich sehe kein anderes Heil für sie, als daß
-sie Deutsche werden.«
-
-»Ihre Sitte, ihre Sprache, ihre Gebräuche, ihr Volksglaube?«
-
-Juro wartete einige Sekunden. Dann sagte er fest:
-
-»Sie sind dem wahren Fortschritt der Wenden hinderlich. Darum müssen
-sie ausgetilgt werden.«
-
-»Juro -- Juro, bist du das -- ist das mein Sohn, der so redet?«
-
-»Ich kann nicht anders. Bei Gott, Vater, es ist meine Überzeugung!«
-
-Er wollte auf ihn zugehen; aber der Vater wehrte mit beiden Händen ab.
-
-Bleich und gesenkten Hauptes ging der alte Mann zur Tür. Dort blieb er
-stehen und sagte noch:
-
-»Das ist das Schwerste, was ich im Leben hören mußte! Da gehört viel
-Zeit dazu, ehe ich das fassen kann.«
-
-Juro streckte die Hände nach ihm aus, aber der Vater schloß die Tür von
-draußen. -- --
-
-
-
-
- Birnbaum steht im weiten Felde[19].
- Weiße Steine liegen drunter,
- Unter all den weißen Steinen
- Liegt ein rotes, gold'nes Ringlein.
- Durch das Ringlein wachsen Halme,
- Und die Halme tragen Blüten.
- Kommt ein Pfau dahergeschritten,
- Läßt die schönsten Federn fliegen,
- Kommt ein Mädchen hergegangen,
- Nimmt die Federn, flicht ein Kränzlein ...
- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
- Birnbaum steht im weiten Felde,
- Gold'nes Ringlein schläft darunter,
- Von dem Turme schallt die Glocke,
- Mädchen macht ein Rautenkränzlein.
-
-»Das ist ein schönes Lied, Töchterchen«, sagte die alte Wičaz zu Hanka.
-Sie saß mit ihr im Hofe.
-
-»Ein schönes Lied, und du hast eine schöne Stimme.«
-
-»Zu Hause war ich schon die Kantorka«, erwiderte Hanka und seufzte.
-»Hier singt man wenig.«
-
-»Wer soll singen?« sagte die Wičaz. »Ich weiß einen, der singt schöner
-als alle Burschen; das ist mein Sohn Lobo.«
-
-»Dein Lobo trinkt zu viel Branntwein. Wäre er nicht betrunken gewesen,
-hätte vielleicht der Wagen mit der Tante nicht umgeworfen. ~Palenc je
-walenc!~«[20]
-
-Die alte Wičaz schüttelte den grausträhnigen Kopf. Sie war als die
-Sprichwörter-Wičaz bekannt, da sie beständig Sprichwörter in lehrhaftem
-Ton gebrauchte, ärgerte sich aber, daß ihr jetzt das Mädchen mit dem
-verdrießlichen Vers: »~Palenc je walenc~« kam, denn sie hielt auf ihren
-Sohn Lobo.
-
-»Töchterchen, das redest du so«, meinte sie ärgerlich. »Du kennst gewiß
-nicht den richtigen Spruch:
-
-»~Woda wšitko zhloda!~«[21]
-
-»Hättet ihr mit einem verhungerten Kutscher fahren wollen? Mein Lobo
-ist gut und stark und hat eine schöne Stimme. Gegen die Smjertniza
-konnte er euch freilich nicht helfen, obwohl er stark war. Sonst -- ist
-er so fromm wie der Kater beim Quarge.«
-
- * * * * *
-
- »Sie hacken, sie pflügen --
- Da bleib ich hübsch liegen;
- Sie fressen und saufen --
- Da komm ich gelaufen.«
-
-»Da -- da habt Ihr Euren Sohn! Er singt schöne Lieder!«
-
-»Töchterchen, der Gesang muß lustig sein; sonst ist er kein guter
-Gesang. Es muß Schmalz darin sein! Siehst du, dort kommt er, mein Lobo.
-Er ist doch ein schöner, starker Bursch!«
-
-»Betrunken ist er schon wieder am Vormittag. Pfui! Ich gehe ins Haus!«
-
-Sie verschwand.
-
-»Ich sehe dich, Mutter!«[22] rief Lobo von weitem, trank aus einer
-Flasche und kam dann heran. Er blieb vor der alten Frau stehen, sah sie
-beinahe schadenfroh an und sagte unvermittelt:
-
-»Mutter, wir müssen fort!«
-
-»Wir? Fort? Was? Was faselst du? Wohin?«
-
-»Das weiß ich nicht. Der Neue, der Juro, will uns rausschmeißen.«
-
-»Rausschmeißen? Uns? Mich?«
-
-Das alte Weib grunzte vor Überraschung.
-
-»Ich bin mein Lebtag auf diesem Hofe gewesen. Ich gehöre hierher! Bist
-du verrückt, du Süffling?«
-
-Lobo zuckte die Achseln. »Wenn Ihr schimpft, erzähl' ich nichts mehr.«
-
-»Erzähl es, sag es, Lobo!« besänftigte sie ihn.
-
-»Nein!«
-
-»Erzähl es, Lobo, mein Söhnchen! Ich habe noch sechs Dreier in der
-Ulmer, die geb' ich dir«, bat sie.
-
-»Sechs Dreier? Und Ihr sagtet, Ihr hättet kein Geld? Sechs Dreier sind
-zu wenig.«
-
-»Ich habe noch zwei Silbergroschen, die geb' ich dir.«
-
-Der Trunkenbold blinzelte die Mutter an.
-
-»Es ist wegen der Frau. Weil die Smjertniza den Wagen umgeworfen hat.
-Der Juro hat keine Religion, er sagt, die Smjertniza ist dummes Zeug.«
-
-Das Weib schlug die Hände zusammen.
-
-»Daß ihn der Teufel hol!«
-
-»Er wird ihn schon holen!« sagte Lobo grimmig, »ihn und den alten Kito,
-diesen abgefaulten, alten Lumpen. Kito weiß, daß Ihr ihm unsere Wanzen
-mit in den Sarg geben wollt, wenn er stirbt. Die Wanzen will der Kito
-nicht annehmen. Er vermacht dem abgefaulten Baier, dem Wilhelm, zehn
-Taler, und der wird Wache beim Sarge halten, wenn Kito stirbt.«
-
-»Ah, der schlechte Kerl! Der Wanzenwächter! Aber, mein Söhnchen,
-deshalb ziehen wir nicht aus. Da werde ich eben die Wanzen behalten.«
-
-»Behalten oder nicht, fort müssen wir doch! Denn sie haben dem Juro
-die Wanzengeschichte erzählt und auch erzählt, daß Ihr immer mit einer
-Federspule um den Sarg der toten Frau geschlichen seid, und da heißt es
-jetzt: fort!«
-
-»Wer sagt das?«
-
-»Juro sagte es zu mir. Wir müßten raus. Er wird nicht ruhen, bis wir
-raus sind. Er hat uns Schweine genannt.«
-
-Das Weib schlug die Hände zusammen.
-
-»Der Grobian! Ach, er ist dazu imstande; er tut's! Hat er doch sogar
-die reichen Leichengäste hinausgeworfen.«
-
-»Ich sehe dich, Mutter«, lallte Lobo und trank ihr zu. »Ich werde den
-Juro totschlagen.«
-
-Da faßte ihn seine Mutter an der Hand.
-
-»Rede nicht so laut, mein Söhnchen; ich werde dir auch drei
-Silbergroschen schenken.«
-
-»Der Wilhelm, der abgefaulte Baier, wird auch rausgeschmissen«, grinste
-Lobo. »Den schmeißt der andere raus -- der Samo.«
-
-»Was sagst du, Samo hat den Wilhelm fortgejagt, den Deutschen?«
-
-»Ja, Juro hat gesagt, ich und du werden rausgeschmissen, und Samo hat
-gesagt, Wilhelm wird rausgeschmissen.«
-
-Die Alte grinste.
-
-»Die zwei werden den ganzen Hof ausräumen.«
-
-»Ja, es fehlte nicht viel, daß sie sich prügelten, die feinen Herren.
-Es wär' mir recht gewesen. Den Juro wollt' ich schon besorgen. So habe
-ich bloß meine Hacke weggeschmissen und bin abgezogen. Alle fünf streck
-ich gerade und mach' keinen mehr krumm. Ich sehe dich, Mutter!«
-
-»Lobo, mein Söhnchen, geh' arbeiten, daß dich der Scholta nicht sieht.
-Auf ihn kommt es an. Laß mich nur machen.«
-
-Der Bursche torkelte erst nach vielen Bitten und Versprechungen nach
-dem Felde zurück. Die Alte blieb allein auf der Bank sitzen. Sie hatte
-heut keine »Tour«. Sonst ging sie als Botenfrau nach der Stadt, kehrte
-in vielen Häusern unterwegs ein, besorgte für die Leute allerhand
-Aufträge. Hier im Schulzenhofe hatte sie ein kleines Stübchen, in dem
-sie mit ihrem Sohn Lobo schlief.
-
-Die Alte war klug und schlau auf ihre Weise. Sie kam viel bei Leuten
-herum, hörte mancherlei und wußte es für sich zu benutzen. Sie stand
-im Rufe der Wahrsagekunst und bekam viel Geld für das Besprechen von
-Krankheiten an Menschen und Tieren.
-
-Jetzt blinzelte sie ins Sonnenlicht und dachte nach. -- --
-
- »Birnbaum steht im weiten Felde,
- Weiße Steine liegen drunter ...«
-
-Hanka sang im Hause. Die Alte hörte aufmerksam zu und sprach bei sich:
-
-»Mit dem Mädel wird vielleicht etwas zu machen sein.«
-
-Nun hörte sie drinnen ein Gespräch. Samo unterhielt sich mit Hanka.
-
-»Das ist ein hübsches Lied. Wir singen es etwas anders. Du hast es von
-den Böhmischen«, sagte Samo.
-
-»Ich weiß es nicht, ich habe es so gelernt«, erwiderte Hanka.
-
-»Weißt du, was es bedeutet?«
-
-Sie lachte.
-
-»Meinst du, ich bin so dumm, daß ich nicht weiß, was ich singe?«
-
-»Oh, das Lied ist gar nicht so leicht zu verstehen. Oder was denkst du
-dir unter dem Pfau, der seine Federn verliert, und unter dem Mädchen,
-das den Rautenkranz flicht?«
-
-»Nichts! Es ist eben ein Pfau. Ich weiß, daß es eigentlich etwas
-Trauriges ist, weil der Rautenkranz sowohl der Brautkranz wie der
-Totenkranz ist; aber ich will nicht daran denken.«
-
-»So -- ja so! Ich finde, Hanka, du bist blässer, als du sonst warst.
-Schläfst du nicht gut oder fehlt dir sonst etwas?«
-
-Sie seufzte.
-
-»Ich weiß nicht, was mir fehlt. Ich kann nicht mehr so lustig sein.
-Vielleicht habe ich die Heimkrankheit.«
-
-»Hanka, ich möchte so gern, daß es dir bei uns gefällt. Ich möchte dir
-alles verschaffen, was du willst, dir alles von den Augen absehen.«
-
-»Ja, Samo, du bist ein guter Mensch!«
-
-Er lachte bitter.
-
-»Guter Mensch! Ich habe kein Glück. Ich bin nicht so schön und fein und
-geschniegelt wie -- wie zum Beispiel mein Bruder Juro. Nicht wahr, der
-gefällt dir gut?«
-
-»Er muß mir wohl gefallen. Es ist ja meine Pflicht, da ich ihn doch
-heiraten soll!«
-
-Das Mädchen sagte es mit stockender, beklommener Stimme.
-
-»Kein Mensch kann dich dazu zwingen, kein Mensch«, sagte Samo erregt.
-»Es ist dein freier Wille. Du kannst ebensogut einen -- einen andern
-nehmen.«
-
-Das Mädchen stieß einen langen Seufzer aus. Da trat jemand in die
-Stube, und das Gespräch brach ab.
-
- * * * * *
-
-Am Nachmittag desselben Tages traf die alte Wičaz wie von ungefähr Samo
-auf einem Feldweg.
-
-»Laß die Geschichte mit den Wanzen,« sagte er zu ihr; »mein Bruder
-Juro will euch rauswerfen; aber ich werde schon sehen, daß ihr eure
-Kamorka[23] behaltet.«
-
- »~Druga ruka
- Druga gluka!~«[24]
-
-sagte die Sprichwörter-Wičaz. »Der Herr Samo ist ein freundlicher Herr.
-Vielleicht kann ich ihm dankbar sein. Ich habe die Karten aufgeschlagen
-und weiß wohl manches, was für den Herrn Samo gut wäre, auch zu wissen.«
-
-Er machte eine abwehrende Handbewegung.
-
-»Laß nur das mit den Karten! Ich will das nicht!«
-
-Das Weib ging ein Weilchen schweigend neben Samo her. Plötzlich sagte
-sie halblaut:
-
-»Zwei Adler fliegen aus dem Wendenland. Einer kommt zurück und baut
-sein Nest. Einer stürzt in den Lóbjofluß«[25].
-
-»Was meinst du damit?« fragte Samo überrascht.
-
-Die Alte antwortete mit einem Spruch:
-
- »Wem Gott wohl will,
- Dem kommt's im Schlafe;
- Wem Gott nicht wohl will,
- Dem fällt's vom Löffel.«
-
-Samo blieb stehen und sah der Alten scharf ins Gesicht.
-
-»Ich glaube, daß ich dich verstehe. Aber ich weiß nicht, ob ich dir
-trauen darf.«
-
-»So erlaube mir der junge Herr, daß ich ihm die Karten lege. Ich werde
-dann in seine Seele sehen und er in meine.«
-
-Samo sah sich um. Es war niemand in der Nähe. Er setzte sich also auf
-einen Rand des tiefen Feldweges und wies mit stummer Gebärde der Alten
-ihren Platz gegenüber an. Sie zog ein Päckchen schmutziger Karten, auf
-die allerhand mystische und allegorische Bilder gezeichnet waren, aus
-der Tasche, mischte sie und ließ Samo abheben. Er tat es und wischte
-sich gleich darauf die Hand am Grase ab.
-
-Die Alte breitete die Karten vor sich auf den Wegrand, kniete davor,
-fuhr mit dem Finger über die Karten, brummte allerlei vor sich hin und
-sagte dann:
-
-»Der junge Herr wird bald sein Examen sehr gut bestehen.«
-
-Samo lachte.
-
-»Das denkst du dir. Da hast du was davon läuten hören.«
-
-»Es steht in den Karten«, sagte die Wičaz ernst.
-
-Dann suchte sie wieder lange mit ihrem dürren gelben Finger und fuhr
-fort:
-
-»Der junge Herr liebt ein wendisches Mädchen!«
-
-Sie sah dabei Samo an, der sehr rot wurde. Da war die Alte schon wieder
-bei den Karten.
-
-»Das Mädchen ist für einen andern bestimmt; der junge Herr wird viel
-Kämpfe bestehen müssen, aber er wird das Mädchen erringen, weil es das
-Volk will.«
-
-»Was heißt das: weil es das Volk will?«
-
-Samo fragte es schnell und erregt.
-
-»Der junge Herr wird der Kral werden!« sagte die Alte sehr ernst.
-
-Da sprang Samo auf, und seine flackernden Blicke suchten die Umgebung
-ab.
-
-»Bist du toll, Wičaz,« sagte er im Zischton, »du weißt, daß ich einen
-älteren Bruder habe.«
-
-»Mit dem Kopfe werfen wie ein Herrenpferd, das frommt nicht zum Glück.
-Das Volk wird ihn nicht mögen, es wird den Herrn Samo wollen. Zwei
-Adler fliegen aus vom Wendenland. Einer kommt zurück und baut sein
-Nest, der andere ertrinkt im deutschen Fluß.«
-
-»Du redest ja wie eine Weise, Weib!« rief Samo in höchster
-Überraschung. »Woher hast du diese Gedanken?«
-
-Die Alte lächelte.
-
-»Ich lese in den Karten und ich lese auch in den Herzen. Ich komme weit
-herum. Ich kenne viele Leute und sage ihnen ihre Zukunft. Soll ich Euch
-noch mehr prophezeien?«
-
-Er wehrte ab. In angestrengtem Nachdenken saß er da. Ein tiefes, grünes
-Feuer glimmte in seinen Augen, die einen neuen Weg sahen.
-
-Eine ganze Weile sagte er nichts.
-
-»Ihr legt vielen Leuten die Karten?« fragte er dann.
-
-»Es sind wenig Bauern auf dem Wege von hier nach der Stadt, und es
-ist keine Bäuerin, der ich nicht die Karten gelegt hätte. Alle jungen
-Männer kommen zu mir, auch viele Burschen, und in der Stadt habe ich
-eine Stube, wo ich alle Freitage und an jedem 7., 13. und 17. des
-Monats die Karten aufschlage; da sind oft an die dreißig, ja fünfzig
-Leute bei mir.«
-
-»Wenden?«
-
-»Ich spreche nicht Deutsch.«
-
-Samo nickte.
-
-»Ihr verdient viel Geld?« fragte er leichthin.
-
-Sie lächelte.
-
-»Vom Botengehen wollte ich nicht leben. Die Bäuerin gibt mir für
-einen schweren Korb, den ich ihr aus der Stadt mitbringe, einen
-Silbergroschen, und wenn ich ihr auf ein paar Minuten die Karten
-aufschlage, gibt sie fünf Silbergroschen. Nur mein Lobo darf nicht
-wissen, was ich verdiene. Ich will ihm einmal eine kleine Wirtschaft
-kaufen, wenn er erst ein ordentliches Weib hat.«
-
-»Wenn Ihr Geld habt, warum wohnt Ihr in der kleinen Kamorka bei uns?«
-
-Die Wičaz lächelte überlegen.
-
-»Die Kartenlegerin muß arm sein,« sagte sie, »muß in einer Kamorka
-wohnen. Und sie muß Wanzen haben. Das gehört dazu. Und in Eurer Kamorka
-wohne ich, weil ich eben beim Kral wohne.«
-
-»Ah -- ich verstehe Euch!«
-
-Samo betrachtete das Weib mit steigender Verwunderung und mit großem
-Interesse. Aber er beherrschte sich und sagte wieder leichthin, ja
-spöttisch:
-
-»Nun, ich kann mir wohl denken, was die Leute auf dem Herzen haben und
-was Ihr ihnen weissagen müßt: ob man das ~čelatko~[26] großziehen oder
-besser dem Fleischer verkaufen soll, wieviel Junge die ~ranca~[27]
-bekommen wird, und vor allem, ob der Jakub der Maruška treu ist und ob
-der Pilip die Marja kriegen wird.«
-
-Die Alte war nicht gekränkt.
-
-»Ja, das fragen sie wohl. Die Burschen fragen mich, ob sie beim Militär
-Gefreiter werden können, und die Mädel, ob sie im grünen Rautenkranz
-zum Traualtar gehen werden; die Männer, ob ihre Wirtschaft in die
-Höhe gehen wird, und die Weiber, was sie tun sollen, daß sie der Mann
-nicht prügelt. Und ich sag' ihnen immer das Richtige. Sie fragen mich
-auch, wo der billigste und beste Kaffee zu haben ist und von welchem
-Kaufmann die Schürzenbänder am besten halten. Sie zahlen immer fünf
-Silbergroschen dafür. Und die Kaufleute wissen mich zu schätzen. Ich
-habe stets besseren Kaffee getrunken als die Frau Mutter.«
-
-Samo staunte über die menschenkundige Alte.
-
-»Ihr seid ein siebenmal schlaues Beest«, sagte er. »Aber warum wollt
-Ihr nur durchaus beim Kral wohnen?«
-
-»Alles, was vom König kommt, hat Ansehen.«
-
-»Habt Ihr auch manchmal Botschaften zu bringen -- ich meine wendische
-Nachrichten?«
-
-»O ja -- der Herr Vater hat mir immer vertraut. Ich habe manches
-auszurichten gehabt, und einmal hat ein Deutscher in der Stadt auf
-mich gesagt: Sieh da -- das ist der wendische Staatskurier, das ist
-die Geheimrätin Wičaz! Ich habe ihn ausgelacht und gesagt, der Scholta
-vertraue mir nicht einmal an, ein paar Hühner zu verkaufen.«
-
-»So seid Ihr verschwiegen. Nun sagt mir, von wem habt Ihr das Gleichnis
-von den zwei Adlern?«
-
-»Ich habe es aus den Karten gelesen.«
-
-Samo machte eine wegwerfende Handbewegung.
-
-»Nun, so nehmen wir an, es ist mir eingefallen, wenn ich auf den weiten
-Wegen allein war, und es fiel mir immer ein, wenn ich in den Hof des
-Kral kam. Da sah ich es mit offenen Augen.«
-
-»Erzählt Ihr dieses Gleichnis auch anderen Leuten?«
-
-»Ich habe es noch nicht erzählt. Ich wollte es nicht sagen, daß der
-eine in dem Lóbjofluß ertrinken wird; sie würden sich sonst zu sehr
-freuen.«
-
-»Freuen? Über diesen Untergang?«
-
-»Ja; denn der eine Adler hat scharfe Krallen und läßt sie die Wenden
-fühlen, wo er nur kann. Er kratzt, bis es blutet.«
-
-Samo nickte und sah die Alte versonnen an.
-
-»Und der andere?« fragte er leise.
-
-»Der andere wird im Wendenland wohnen und herrschen.«
-
-Sie schwieg. Und er schwieg.
-
-»Ihr könnt Euch auf mich verlassen, alte Wičaz«, sagte er endlich und
-gab ihr einen Taler.
-
-Da sah sie ihn durchdringend an und sprach:
-
-»Ich werde die Geschichte von den zwei Adlern jetzt überall erzählen,
-in allen Bauernstuben, allen Kleinbauern und Häuslern -- auch den
-Wenden in der Stadt.«
-
-Er gab ihr noch einen Taler.
-
-
-Eine Woche später trat Juro durch das Feldtürchen in den Großgarten.
-Es war Abendzeit. Die stille Melancholie des Herbstes war über allen
-Feldern und Wegen und war auch in dem Herzen des jungen Mannes, der
-drüben bei der Geliebten gewesen war und von ihr Abschied genommen
-hatte.
-
-Morgen reiste er nach Breslau zurück. Die Ferien neigten sich dem Ende
-zu.
-
-Er hatte wieder mit Elisabeth gesprochen: von seinen Plänen, von der
-Zukunft. Er hatte ihr nicht gesagt, wie sehr der Vater gegen die Heirat
-sei; denn er hoffte, den stillen Mann schon noch für sich zu gewinnen,
-aber er hatte ihr doch wieder schwere Kämpfe in Aussicht gestellt.
-
-Und da hatte sie ihn das erstemal gefragt: ob er denn sein Werk nicht
-zu heftig angreife, ob er nicht mit mehr Geduld und Nachsicht die
-Herzen der Wenden eher gewinnen und besser an sein Ziel kommen werde.
-
-Herzlich hatte er gelacht, als sie sagte, sie ängstige sich oft um
-ihn; denn es gebe doch rohes, rachsüchtiges Volk. Nein, hatte er
-gesagt, er wolle nicht mit Geduld ans Ziel kommen. Geduld sei etwas
-für müde, rückständige Leute. Die Geduld, mit der die Regierung diesen
-Verhältnissen seit Jahrhunderten zuschaue, die Geduld, mit der der
-Wende seit tausend Jahren schläfrig und denkfaul in seinem Waldwinkel
-hocke, sie sei schuld an diesen Zuständen. Er kämpfe wie ein Deutscher,
-er erkläre laut und rücksichtslos den Krieg und greife dann den Gegner
-von vorn an ohne Maske und Schliche, nachdrücklich und kaltblütig.
-
-So hatte er wieder einmal in Worten und Ideen geschwelgt.
-
-Dann aber war die fernere Zukunft ganz in die Ferne entwichen und in
-ihrem jungen Herzen nur das lebendig gewesen, was ihnen unmittelbar
-bevorstand.
-
-Seufzer und Küsse, Zärtlichkeiten und Treueschwüre, die Vereinbarung
-einer Stunde, in der sie täglich aneinander denken würden, wo und in
-welcher Lage sie sich auch befänden, eine Blume, ein blaues Band, eine
-Locke -- alle diese Dinge, die in den Abschiedsstunden junger deutscher
-Liebesleute ihre süßschmerzliche Rolle spielten, sie hatten auch hier
-nicht gefehlt.
-
-Und nun, als Juro in den heimischen Garten trat, war er wie in
-der Fremde, das Herz war ihm so voll von Liebe und Leid und
-Zukunftsträumen, und die Gedanken gingen die abendlichen Wege zurück zu
-der Geliebten, die ihm nun mit ihrer süßen Mädchenliebe gewiß traurig
-nachschaute. -- -- --
-
- »Birnbaum steht im weiten Felde,
- Gold'nes Ringlein schläft darunter,
- Von dem Turme schallt die Glocke,
- Mädchen macht ein Federkränzlein.«
-
-Der leise Gesang schreckte Juro auf. Er sah Hanka drüben in der Nähe
-der Haustür unter einem Baume sitzen. Sie bürstete Schuhe ab. Und
-als er näher kam, sah er, daß es seine eigenen Schuhe waren, die er
-tags zuvor getragen hatte, als er bei Elisabeth war, und die auf
-regendurchweichtem Wege recht schmutzig geworden waren.
-
-Es war ihm arg unangenehm, das zu sehen, und ob er sonst wenig, fast
-nie mit dem Mädchen sprach, blieb er jetzt bei ihr stehen und sagte
-halb freundlich und halb ärgerlich:
-
-»Das sind ja meine Schuhe! Warum bürstest du sie ab? Das kann doch ein
-anderer machen. Wozu sind denn die Dienstleute da?«
-
-Sie war bei seiner Ankunft erschrocken. Nun wurde sie so knallrot, daß
-er bei sich dachte, sie habe doch eigentlich ein recht gewöhnliches
-Gesicht. Sie gab keine Antwort.
-
-»Warum machst du das?« fragte er wieder und nahm ihr den Schuh aus der
-Hand. Er wußte gar nicht, daß er wendisch mit ihr sprach.
-
-»Mache ich es nicht gut?« fragte sie.
-
-»Darauf kommt's nicht an! Es ist keine Arbeit für dich. Du bist meine
-Verwandte!«
-
-Da sah sie ihn groß an, und ihr Gesicht wurde blässer und schöner, und
-sie sagte:
-
-»Laß mich's nur tun! Ich tue es gern.«
-
-Und dann schluckte sie ein paarmal und brachte heraus:
-
-»Denn ich bin doch deine Braut!«
-
-Da trat er langsam einen Schritt zurück und lehnte sich an den Baum.
-
-»Was sagst du? Wer -- wer hat dir das gesagt? Hat dir das wirklich
-jemand gesagt?« fragte er mit erstaunter, schmerzlicher Stimme.
-
-Nun kam die Scham über sie, und sie wollte ins Haus laufen. Er hielt
-sie aber zurück.
-
-»Bleib, Hanka, es ist gut, wenn wir miteinander reden. Morgen muß ich
-fort.«
-
-Sie nickte traurig.
-
-»Du hast fast nie mit mir gesprochen. Du bist so fein und so stolz!«
-
-»Ich bin nicht fein und stolz. Ich will mit dir alles ordentlich und
-vernünftig besprechen. Komm mit, dort unter den Nußbaum!«
-
-Sie gingen tiefer miteinander in den Großgarten hinein. Unter dem
-Nußbaum war eine Bank. Er setzte sich und lud sie ein, neben ihm Platz
-zu nehmen. Aber sie weigerte sich und blieb mit gesenktem Haupte vor
-ihm stehen. Durch das Gezweig des Baumes fielen rote Lichtfunken
-auf ihren schlichten, blonden Scheitel, und Juro sah, daß Hanka ein
-kraftvolles, gesundes, hübsches Mädchen war. Da faßte ihn ein Unbehagen
-und eine Trauer, und er sagte:
-
-»Ich finde es unerhört, dir solche Dinge vorzureden. Nicht wahr, Hanka,
-du selbst hast nie daran gedacht?«
-
-»Wie sollte ich wohl? Ich habe dich gar nicht gekannt!«
-
-»Und wer hat dir das vorgeredet?«
-
-»Deine Mutter hat es mit meinen Eltern besprochen, als sie mich
-abholte, und dein Vater hat es auch gesagt.«
-
-Er nahm den Hut ab und fuhr sich nervös durch die Haare.
-
-»Wie alt bist du, Hanka?«
-
-»Achtzehn Jahre.«
-
-»Das ist sehr jung! Aber das weißt du doch, daß zwei Menschen nicht von
-Vater und Mutter miteinander verheiratet werden können, daß es auf sie
-selber ankommt?«
-
-»Ich habe meinen Eltern immer gehorcht.«
-
-Er haschte nach ihrer Hand. Hart und schwer lag sie in seiner feinen
-Rechten.
-
-»Du bist ein gutes Kind, Hanka! Aber sieh mal, wenn man sich heiraten
-soll, muß man sich doch liebhaben, nicht wahr? Du hast gewiß einen
-schönen Burschen in deiner Heimat lieb.«
-
-Sie erglühte.
-
-»Siehst du, Hanka, und du brauchst mir das gar nicht zu sagen. Aber ich
-verspreche dir, daß ich dafür sorgen werde, daß dich niemand mehr mit
-solchen Dingen belästigt; ich verspreche dir, dafür einzutreten, daß du
-deinen Liebsten heiraten kannst.«
-
-Da sagte sie:
-
-»Ich habe keinen Liebsten!«
-
-»Du hast keinen?«
-
-»Nein, ich habe immer gehört, daß ich -- daß ich ...«
-
-»Daß du mich heiraten mußt!« vollendete er. »Aber, Hanka, das ist nicht
-so, dazu kann dich kein Mensch zwingen, auch dein Vater und deine
-Mutter nicht. Dazu bist du nicht verpflichtet, weder vor Gott noch vor
-den Menschen! Am wenigsten bist du es mir schuldig! Damit du aus allen
-Zweifeln herauskommst, will ich dir sagen, Hanka: ich habe schon eine
-Braut!«
-
-Da hob sie jäh den Kopf und starrte ihn erschrocken an.
-
-Sie brachte kein Wort heraus.
-
-»Ja, Hanka, ich muß es dir sagen, daß du im klaren bist. Freust du dich
-denn nicht, daß du jetzt frei bist, daß du mich los bist?«
-
-Er versuchte in scherzhaftem Tone zu fragen.
-
-»Ja, liebes Mädel, jetzt bist du frei, jetzt kannst du alles auf mich
-schieben. Auf meinem Rücken hat viel Platz!«
-
-Sie zupfte an ihrem Brusttuch und sagte kein Wort. Er fragte betroffen:
-
-»Ja, bist du denn nicht einverstanden? Freust du dich nicht?«
-
-Da stammelte sie:
-
-»Ja, -- ja -- ich freue mich -- ich wäre ja auch viel -- viel zu
-gewöhnlich ...«
-
-»Hanka, davon ist nicht die Rede! Ich hatte doch meine Braut schon, ehe
-ich dich sah!«
-
-Ihre Augen flogen noch mit ein paar flackernden Blicken zu ihm hin,
-dann sagte sie:
-
-»Ich muß hinein!«
-
-Und sie ging trotz seines Zurufes.
-
- * * * * *
-
-Am späten Abend lehnte Juro am offenen Fenster seiner Giebelstube.
-Die Herbstnacht war dunkel, ein müder Wind ging durch welkes Laub und
-dürres Gras.
-
-Dort vom Berge her grüßte der Hochwald.
-
-Dahinter lag das Haus der Geliebten.
-
-Morgen war er weit.
-
-Wie still es war! Einmal nur klagte ein Vogel, dann war tiefe Ruhe.
-
-Da drang leises Weinen an Juros Ohr.
-
-Unten aus dem Garten.
-
-Lehnte nicht dort ein Mädchen?
-
-War das nicht Hanka?
-
-»Hanka!« rief Juro leise hinab. »Hanka!«
-
-Eine Gestalt huschte in tiefes Dunkel, und nichts regte sich mehr. Juro
-lehnte noch eine Weile am Fenster, ehe er es fröstelnd schloß.
-
-»~Budže bohu skoržene! Zrudna wutoba!~« sagte er in seiner wendischen
-Muttersprache zu sich.
-
-»Gott sei es geklagt: Ein trauriges Herz!«
-
-
-
-
-Ehe der Kral in die große Wendenschlacht zog, vergrub er die Krone,
-die er zu Burg vor allem Volk getragen hatte, an einem sicheren Orte.
-Im tiefsten Wald hat der Kral die Krone vergraben, an einer Stelle,
-wohin kein Weg noch Fußpfad führt. Einen kleinen Hügel hat er über dem
-Grabe des Königsschmuckes errichtet. Den haben die Kiefern mit langen,
-braunen Nadeln zugedeckt.
-
-Der Kronenhügel ist ein heiliger Ort.
-
-Der Holzschläger achtet seinen geweihten Bannkreis auf hundert Schritt.
-Was am Kronenhügel wächst und steht, welkt oder fällt, entsteht und
-vergeht nach den Gesetzen des Urwalds.
-
-Kein Jäger schießt am Kronenhügel ein Wild. Dort ist Gottesfriede für
-Mensch und Tier.
-
-Die alten Weiblein, die Pilze suchen, die Kinder, die im Walde spielen,
-fürchten sich, allein zum Kronenhügel hinzugehen.
-
-Selten steht ein ernster Wende sinnend an dem Hügel; die meisten wissen
-gar nicht den Weg zu ihm. Sie wissen nur, in welchem Walde er liegt,
-und mancher, dem sonst die Kappe fest auf den Ohren sitzt, lüftet sie
-in heimlicher Stunde, wenn er einsam an dem Walde vorbeikommt. Auf
-dem Hügel ist ein einzelner Stein. Er sieht aus wie ein altersgrauer
-Grenzstein. Ein Hufeisen ist darauf eingedrückt.
-
-Der Nachtjäger hat einmal Sturm geritten gegen den Hügel; aber als das
-Roß den Huf auf den Stein setzte, ist ihm das Eisen glühend geworden,
-und es ist mit dem Nachtjäger davongerast, und der wilde Jäger hat sich
-nimmer getraut an selbigen Ort.
-
-Seit tausend Jahren liegt die Krone des Kral in jenem kleinen Hügel.
-
-Wann wird die Jungfrau mit der silbernen Schaufel kommen, nach ihr zu
-graben?
-
-Gott weiß es! Aber dann wird Wendenland groß und mächtig werden.
-
-Indessen schlafe in Gottes Hut, alte Krone! Das Volk denkt an dich!
-Der Schiffer tief drunten an der Spree träumt manchmal von dir, wenn
-er in langsamer Fahrt durch das stille Wasser zieht; der Pflugtreiber,
-der sich auf sandigem Hügelfeld im Oberland um geringen Lohn quält und
-müht, ermißt in seinen einsamen Gedanken deinen Wert; im heimlichen
-Kreis der winterlichen Spinnstuben wird von dir geraunt und geflüstert,
-und keines dieser treuen armen Menschenkinder wird dich je verraten.
-
-Schlaf in Gottes Hut, alte Krone, bis der junge Morgen tagt, da du
-auferstehst aus deinem ehrwürdigen tausendjährigen Grabe!
-
-Inzwischen wird die weiße Wolke, die über Wendenland segelt, oft über
-dir halten und im Abendrot auf dich herniederglühen, wird der weiße
-Fisch in der Sprewja im stillen Wasser stehen und nach dem grünen Walde
-hinüberlugen, wo du schläfst.
-
- * * * * *
-
-Samo und die alte Wičaz, die sich wieder einmal von ungefähr auf dem
-Felde getroffen hatten, sahen von ferne den grünen Kronenwald.
-
-Da wies die Alte nach dem Walde hin und sagte:
-
-»Daran will er sich auch vergreifen!«
-
-»Woran? Doch nicht an dem Kronenhügel?«
-
-»Ja, an dem Kronenhügel.«
-
-»Wer? Juro?«
-
-»Ja!«
-
-»Pah! Das ist Unsinn! Daran wagt sich keiner!«
-
-Die Wičaz zuckte die Achseln.
-
-»Ich weiß es!«
-
-»Das ist nicht möglich. Aber erzähle, was du weißt!«
-
-Er gab ihr wieder ein Geldstück.
-
-Die Alte duckte sich ein bißchen zusammen, wandte den grauen Kopf zu
-Samo hin und sagte:
-
-»Drin in der Stadt hat ein Kaufmann hinter seinem Laden eine Weinstube.
-Da hat der Herr Juro mit seinem Freunde Heinrich von Withold gesessen.
-Und sie haben fünf Flaschen Wein zusammen getrunken. Ihi! Die Wenden
-saufen. ~Palenc je walenc~! Die Deutschen saufen nicht. Wein ist
-wohl kein Umwerfer -- wie? Wein ist teuer, die Deutschen sind reich;
-Branntwein ist billig, der Wende ist arm.«
-
-»Alle Völker saufen!« sagte Samo verächtlich. »Halte mich nicht auf,
-erzähl, was ich hören will!«
-
-»Wie sie schon etwas betrunken waren, hat der Herr Juro wieder davon
-gesprochen, daß er die Wenden deutsch machen will, hat über das
-Wendische geschimpft und hat auch vom Kronenhügel angefangen. Das sei
-ein blöder Ameisenhaufen, hat er gesagt.«
-
-»Das hat er nicht gesagt«, fiel Samo ein, »dafür ist er zu klug.«
-
-»Er hat es gesagt. Und dann hat er von einem deutschen Bischof
-angefangen, einem ganz alten, der hat einmal eine Eiche umgehackt.«
-
-»Bonifacius?«
-
-»Jawohl -- so hieß er. Ich konnte den deutschen Namen nicht behalten.
-Die Eiche ist den Leuten dort heilig gewesen. Und der Bischof hat sie
-umgehauen, daß die Leute sehen sollten, die Geschichte mit der Eiche
-sei Lüge und Plunder.«
-
-Samo tat drei rasche Atemzüge.
-
-»Und so -- so will sich Juro an dem Kronenhügel vergreifen? Etwa
-nachgraben? Den Leuten beweisen, daß keine Krone in dem Hügel liegt,
-dadurch ihren Volksglauben, ihre ganze Hoffnung, ihre Nationalität
-zerstören?« Er sprach mehr zu sich selbst. Aber die alte Wičaz
-antwortete:
-
-»Ja, er wird den Hügel aufreißen. Er hat es gesagt.«
-
-»Wer hat es gehört?«
-
-»Der Kaufmann. Sonst niemand! Denn der Lehrling, den er hat, versteht
-nicht Deutsch.«
-
-»Und der Kaufmann -- wird er es nicht weitererzählen?«
-
-»Nein. Er hat gewartet, bis ich in seinen Laden kam, und es erst mir
-erzählt; denn ich verschaffe ihm viel Kundschaft. Und er weiß, daß Juro
-der Sohn vom Kral ist, bei dem ich wohne. Ich habe ihm gesagt, er dürfe
-es niemand weitererzählen, was er gehört hat.«
-
-»Warum?«
-
-Die alte Wičaz zuckte die Achseln.
-
-»Ich wollte Euch erst fragen, Pan Samo!«
-
-Er antwortete nicht. Er blieb stehen, und seine Augen hafteten am Boden.
-
-»Wenn Ihr wollt, Pan Samo, so wissen es in acht Tagen alle Wenden«,
-sagte sie in lauerndem und vertraulich klingendem Tone.
-
-Er wehrte heftig ab.
-
-»Nein! Es darf niemand wissen, -- niemand -- hörst du? -- Oder du
-fliegst aus dem Hof, -- hörst du? -- Ich will es nicht! -- Er ist mein
-Bruder! -- Und ich -- ich glaube überhaupt nicht, daß er das gesagt
-hat. Geh jetzt!«
-
-Er machte wieder seine wegwerfende Handbewegung. Die alte Wičaz starrte
-ihn an und wußte nicht, was sie zu dieser Veränderung sagen sollte.
-
-»~Tý plundrawa!~[28] Scher' dich zum Teufel!«
-
-Sie wandte sich erschreckt ab.
-
-Da rief er sie noch einmal an.
-
-»Ich will keine Vertraulichkeiten mit dir, verstehst du? Das ist
-selbstverständlich! Das gibt es nicht! Ich habe mit dir nichts zu
-schaffen. Gar nichts! Natürlich nicht! Und was du mir gesagt hast, ist
-alles Unsinn! Altweiberquatsch! Wičaz, ich sage dir, halte dich fern
-von Juro und mir! Sage nicht so -- sage nicht anders. Sage gar nichts!
-Dann kannst du auf dem Hof wohnen bleiben, und es bleibt alles, wie es
-war. Sonst -- du weißt, ich bin der einzige, der dich halten kann.«
-
-Er wandte sich ab und schlug rasch einen Seitenpfad ein. »Herrendienst
-ist rund«, sagte bestürzt die »Sprichwörter-Wičaz«. Aber nach einer
-Weile, als sie nachgedacht hatte, sprach sie schlau blinzelnd bei sich
-selbst: »~Stóž je z kóčdu wločil, najljepe wje kak čelńe.~«[29]
-
-
-
-
-Über die ehrwürdige Karlsbrücke im »goldenen Prag« gingen zwei junge
-Männer. Es war bereits Nacht. Die »argandischen Lampen« der damaligen
-Straßenbeleuchtung erhellten den Weg nur schwach und unvollkommen; hin
-und wieder nur blitzte die Laterne eines Kahns vom dunklen Moldauwasser
-herauf; der Hradschin aber, die heilige Akropolis von Prag, lag in
-Sternenlicht und hob sich zauberisch schön von dem dunkelblauen
-Nachthimmel ab.
-
-»Wie fühlst du dich in der Tschamarka?« fragte der eine der jungen
-Männer.
-
-»Ich bin glücklich!« sagte darauf der andere.
-
-Es war Samo. Er war, ehe er nach Breslau zurückkehrte, nach Prag
-gefahren, um einige Tage bei guten Freunden zu sein, die er
-früher in Breslau kennengelernt und mit denen er einer slawischen
-Geheimverbindung angehörte.
-
-Der andere betrachtete ihn von der Seite.
-
-»Sie kleidet dich trefflich. Ha, sie haben uns auch diese
-Nationaltracht nehmen wollen; jahrelang durften wir uns in der
-Tschamarka nicht sehen lassen, -- jetzt wird es wieder anders!«
-
-Samo betrachtete sich. An dem bunten, mit vielen Schnüren, Bändern und
-Litzen verzierten Rock schaute er hinab bis auf die Stiefel, die ihm
-bis an die halbe Wade reichten. Und er rückte an dem runden slawischen
-Hut, den er trug.
-
-»Ich fühle mich wohl in diesem slawischen Ehrenkleide, und ich
-wünschte, daß alle Böhmen es trügen«, sagte er.
-
-»Hab nur Geduld; bald wird es so sein.«
-
-Bei der Nepomuk-Statue blieben sie stehen.
-
-»Es ist eigentlich schade, daß ihr Protestanten seid«, sagte der Prager.
-
-Samo zuckte die Achseln.
-
-»Religion läßt sich ändern, Nationalität nicht«, sagte er gleichgültig.
-
-»Das heißt, -- verstehe mich nicht falsch«, rief der zweite darauf,
-»ich meine nur, es ist schade für die Einheitsbestrebungen! Sonst weißt
-du wohl, daß ich kein Freund der Pfaffen bin. Ach du, -- wenn wir noch
-Hussiten wären! Da wäre alles anders!«
-
-Sie lehnten sich an die Brückenbrüstung und schauten hinunter zur
-dunklen Moldau.
-
-»Ich sage dir, Samo, ich kann keine Hussitenfahne sehen, ohne daß ich
-toll werde. Und wenn die ~pamatka mistra Jana Husi~[30] kommt, da weiß
-ich, da wissen Tausende und aber Tausende hier im Lande, zu welcher
-Religion wir eigentlich gehören sollten. Dann wallt sie wieder auf,
-die schwarze Fahne mit dem roten Kelch, und ich sag' dir, Tausende
-von treuen Papisten kommen in inneren Zwiespalt, weil sie den als
-religiösen Ketzer verdammen sollen, den sie als nationalen Helden
-vergöttern müssen. Denn so wie Jan Hus hat selten einer die Deutschen
-gehaßt.«
-
-»Keiner, es sei denn Ziška«, sagte Samo. »Wie Hus mit Hilfe Wenzels
-alle deutschen Studenten aus Böhmen verjagte, wie er am Tage ihrer
-Vertreibung einen Jubelhymnus von der Kanzel sprach, das war herrlich!«
-Der andere seufzte.
-
-»Die Jesuiten haben die vertriebenen deutschen Hunde wieder
-zurückgebracht, und heute bellen sie frecher als je.« Eine Weile
-schwiegen die Jünglinge. Da schlang der Prager den Arm um Samos Nacken
-und sprach: »Oh, Samo, wenn ich den Brüdern sagen könnte, wer du bist!
-Wenn ich jetzt auf unserer großen Beseda den Brüdern zurufen könnte:
-Sehet da einen slawischen Königssohn, sehet da den zukünftigen Kral der
-Lausitzer Sorben, sehet da den König unserer unerlösten Brüder an der
-Sprewja!«
-
-»Ich bin es nicht«, entgegnete Samo finster; »mein Bruder ist es, der
-Renegat.«
-
-»Du bist es, und dein Bruder wird es nie sein!« sagte der andere
-feierlich.
-
-Darauf gingen sie weiter und traten zuletzt in den hell erleuchteten
-Hausflur eines Gasthauses der Altstadt. An der Treppe bereits kamen
-ihnen einige Leute entgegen, die auch die tschechische Tschamarka
-trugen, und begrüßten sie mit Herzlichkeit. Die Tür eines großen Saales
-war mit Lindenzweigen und vielen kleinen rot-weiß-blauen Fähnchen
-geziert. Die Wände des Saales waren festlich geschmückt. Überall rot
-und weiß, die tschechischen Nationalfarben, überall Zweige von der
-Linde, dem heiligen Baum der Slawen. Das rote und gelbe Herbstlaub nahm
-sich bunt und schön aus auf dem grünen Untergrund von Tannenzweigen. An
-einer Wand war ein Podium mit einer Rednertribüne aufgeschlagen. Über
-der Podiumswand prangte die goldene Wenzelskrone; darunter waren die
-Wappen der »slawischen« Länder: der böhmische weiße Löwe, der Adler
-Mährens, der schwarze schlesische Aar, der gekrönte weiße Adler Polens,
-auch das Schachbrettwappen der Kroaten und der doppelköpfige Aar der
-südslawischen Serben. Was aber Samo mit tiefer Rührung erfüllte, war,
-daß auch die Wappen seiner wendischen Heimat nicht vergessen waren,
-die Oberlausitzer goldene Mauer im blauen Feld und der Niederlausitzer
-rote Stier auf weißem Grund. Auf einer Seite des Podiums die rot-weiße
-böhmische Flagge, auf der anderen die rot-weiß-blaue »slawische
-Trikolore«.
-
-Ein buntes Menschengewühl im Saal. Viele Männer in der böhmischen
-Tschamarka, viele in der komödiantenhaft bunten Tracht der nationalen
-Sokolvereine, hier ein Pole in der Konfederatka, dort ein Hanak
-in grellrotem Gewand mit blauem Mantel, da ein Bulgare mit der
-Tschubaramütze aus Pelzwerk; sogar ein Montenegriner ist da, dem Dolch
-und Pistole im Gürtel stecken. Die Mädchen tragen slawische Mieder, mit
-rot-weiß-blauen Bändern und Schleifen geschmückt, viele haben Kränze
-von Lindenlaub im Haar.
-
-Man spricht nur das Tschechische, das auch die anderen slawischen
-Stämme notdürftig verstehen. Samo, der die tschechische Sprache völlig
-beherrscht, wird von seinem Freunde Bohuslaw vielen Leuten vorgestellt,
-von allen mit großer Freundlichkeit und vielem Interesse behandelt.
-
-Wie es mit der deutschen Bedrückung bei den sorbischen Brüdern an
-der Spree stehe, ob es wahr sei, daß Budissin in Sachsen noch eine
-ganz slawische Stadt sei, und ob die Lausitzer auch nie vergessen
-würden, daß sie zu Böhmen gehören, slawisches Blut zu slawischem Blut,
-slawisches Land zu slawischem Land? Hier im »goldenen Prag« seien die
-nördlichen Brüder unvergessen, wie ja auch ihre Wappen an der Wand
-andeuteten. Samo redete wenig, aber er drückte allen mit leuchtenden
-Augen die Hand.
-
-Dann begann die Feier. Sie wurde mit dem alten Wenzelsliede
-eingeleitet, das alle Anwesenden stehend sangen: »~Svaty Václave~«.
-
- »Heiliger Wenzeslaus,
- Herzog des Böhmerlands,
- Du unser Fürst,
- Bitt für uns bei Gott!«
-
-Stolz stehen sie da und singen das alte Kirchenlied. Aber sie denken
-wohl nicht an den frommen, milden Heiligen, der so demütig war, daß er
-den Weizen selbst säte, erntete, mahlte, aus dem er die Hostien buk,
-daß er den Wein selbst kelterte, den er zum heiligen Opfer brauchte.
-Vergessen das Bild frommen Friedens; Wenzeslaus ist diesen Leuten
-der geistige, politische Führer geworden, weil er der Träger der
-Wenzelskrone war.
-
-Und die glühenden Augen hängen an dem Abbild der alten Krone, die dort
-zwischen Heimatsfahnen und Lindenlaub zu sehen ist; der milde Heilige
-ist zum Bannerträger geworden, zum Schutzpatron im Kampfe gegen die
-Deutschen; und in dem Liede, das vom Heiligen Geist spricht und von
-der Schönheit des Himmels, bitten diese Leute um irdisches Heil, um
-politischen und sozialen Sieg.
-
-Das Lied verhallt. Die Menge setzt sich nieder. Ein ziemlich junger
-Mann besteigt die Rednertribüne.
-
-»Heil dem slawischen Volke!« beginnt er und begrüßt »die slawischen
-Brüder«, die zum Teil weither gekommen seien vom fernen Südland, wo
-der rohe Türke die Brüder knechte seit Jahrhunderten, und vom Norden,
-wo es am Fluß der Sprewja den Slawen nicht viel besser ergehe.
-
-Die Menge klatscht Beifall; viele Leute sehen auf Samo. Der sitzt
-regungslos da. Er möchte mit dem Kopf nicken; aber er bringt es nicht
-fertig, weil ihm im gleichen Augenblick sein Vater einfällt, der ein
-zufriedener Preuße ist.
-
-Bedrückung überall, fährt der Redner fort, Ungerechtigkeit,
-Vergewaltigung durch die rohe Übermacht! Nicht die geistige Übermacht!
-Denn geistig waren die Slawen den Germanen immer überlegen!
-
-Ein starker Beifallssturm der anwesenden Slawen bestätigt diese
-bescheidene Behauptung.
-
-Als die Deutschen noch lebten wie die Tiere, als sie Eicheln fraßen,
-sich in Felle hüllten und Ochsenhörner auf dem Kopfe trugen, waren die
-Slawen längst in viel höherer Kultur. Und wir Slawen sollen unseren
-geistigen Besitz den Deutschen verdanken?
-
-Stürmischer Widerspruch.
-
-Eingenistet haben sie sich in dieses Land, das Gastrecht haben sie
-gemißbraucht! Denn den Slawen ist der Gast heilig. »Hast du einen Gast
-im Haus, so hast du Gott im Haus«, das ist immer und ewig der slawische
-Grundsatz gewesen. Aber der Gast betrog uns, er machte sich zum Herrn!
-
-Er betrog uns um die Herrschaft, um unser leibliches Gut. Wie haben
-aber die Deutschen erst geistig gestohlen und gefälscht! Wer ist der
-Feldherr Wallenstein, der ihr Land vor den Ausländern rettete? Ist er
-nicht der Tscheche ~Valdstyn~? Wer ist ihr gefeierter Feldmarschall
-Radetzky, dem sie so ungeheuer viel verdanken? Ist er nicht unser
-slawischer Bruder Hradecky? Hat nicht ein Tscheche die Buchdruckerkunst
-erfunden? War nicht der große Jan, der diese unsterblichste aller
-Künste erfand, ein Ausgewanderter aus unserer böhmischen Stadt
-Kuttenberg? War es nicht eine Frechheit sondergleichen von den
-Deutschen, ~anno~ vierzig die Buchdruckerkunst als +ihre+ Erfindung zu
-bezeichnen, aus einem Jan Kuttenberg einen Johann Gutenberg zu machen?
-Aber laßt sie nur ihr ›Gott erhalte Franz den Kaiser‹ brüllen; Joseph
-Haydn hat die Melodie den Tschechen gestohlen, und das wird noch an
-den Tag kommen! Was haben die Deutschen nicht alles von uns! Stammt
-nicht ihr Dichter Lessing aus dem wendischen Dorfe Kamenz; ist er also
-nicht ein Slaw? Hat nicht Karl Maria von Weber seinen »Jungfernkranz«
-den Tschechen gestohlen? Und da wollen die Deutschen sagen, wir hätten
-keinen großen Dichter, keinen großen Musiker?« Es gab wieder starken
-Beifall. Nur Samo und sein Freund Bohuslaw saßen mit niedergeschlagenen
-Augen da. Bohuslaw wußte, daß die kuriose Beweisführung des Redners
-seinem klugen Freunde peinlich war.
-
-Der Redner fuhr fort: »Wofür sollen wir uns bei den Deutschen bedanken?
-Dafür, daß sie uns zu knebeln versuchten, daß sie unsere Sprache,
-unsere Sitte, unsere Freiheit verfolgten, unsere Söhne auf ihre
-Schlachtfelder schleppten, dafür, daß der preußische Barbar Friedrich
-~II.~ unseren heiligen Hradschin beschoß, allein an einem Tage
-eintausendfünfhundert Kugeln gegen unseren Dom richten ließ, dafür,
-daß wir selbst die Gebeine des heiligen Jan von Nepomuk vor ihm in
-Sicherheit bringen mußten?«
-
-Tosende Zwischenrufe. Der Redner erhob die Stimme zu größter
-Kraftentfaltung. Er brüllte:
-
-»Sollen wir uns bei den Deutschen dafür bedanken, daß sie uns unseren
-großen Magister Jan Hus heimtückisch ermordeten?«
-
-Brausende Bewegung.
-
-»Warum haben sie ihn ermordet? Wegen seiner kirchlichen Lehre etwa?
-Manch einer hat freiere Dinge gelehrt und blieb am Leben und blieb in
-Ehren. Warum haben sie Luther geschont und Jan Hus verbrannt? Weil
-Luther ein Deutscher war und Jan Hus ein Böhme!«
-
-Jetzt sprangen viele auf. Auch Samo und Bohuslaw. Und sie standen
-da mit wogender Brust und leuchtenden Augen. Spazierstöcke mit dem
-Ziška-Knopf wurden hochgehoben, und das Symbol der Hussitenkeule
-schwebte in der Luft.
-
-»Darum haben sie ihn ermordet«, rief der Redner, »weil er die Deutschen
-haßte, wie sie es verdienten, weil er eines Sinnes, einer Seele war mit
-dem slawischen Volk, weil seine Donnerstimme die deutschen Studenten
-aus dem Lande scheuchte, weil er den deutschen Ratsherren in Prag das
-Handwerk legte, weil er für unsere Muttersprache eintrat, weil er
-gesagt hat: ›So wie Nehemias, als er hörte, jüdische Kinder sprächen
-halb Azotisch und könnten nicht mehr rein Jüdisch sprechen, diese
-geißelte, so verdienen die Prager gegeißelt zu werden, die halb Deutsch
-reden!‹ Hatte er nicht recht, meine Brüder?«
-
-Stürmische Zustimmung.
-
-»Slawische Brüder! Jan Hus ist verbrannt worden, weil er der Feind der
-Feinde seines Vaterlandes war!«
-
-Der Redner griff blitzschnell in die Rocktasche und zog eine kleine
-schwarze Fahne heraus, die Hussitenfahne mit dem roten Kelch.
-
-Ein Teil der Versammelten heulte laut auf vor Jubel, ein anderer
-schwieg. Ein katholischer Priester sprang auf das Podium, verschaffte
-sich durch eine Handbewegung Schweigen und rief:
-
-»Im Namen der heiligen Kirche muß ich protestieren gegen die Entfaltung
-dieser Fahne!«
-
-Der Redner sah ihn an.
-
-»Nun gut«, sagte er, »ich will nicht Zwietracht säen unter die Brüder.
-Ich stecke die Fahne ein. Aber ich sage, es ist notwendig, an ein
-Konzil zu appellieren, daß die Akten des Jan Hus noch einmal revidiert
-werden. Wir können uns in nationaler Beziehung von diesem großen Mann
-nicht trennen.«
-
-Niemand widersprach.
-
-Noch einmal kam der Redner zu sprechen auf die großen welt- und
-kulturgeschichtlichen Leistungen der Slawen. Belisar, der dem Kaiser
-Justinian die Schlachten gewann, war ein Slawe, eine Unmenge deutscher
-Städte sind slawische Gründungen, ja die erste Kultur Oberitaliens war
-slawisch. Venedig ist weiter nichts als eine ursprünglich slawische
-Stadt.
-
-Samo rückte wieder ungeduldig auf dem Stuhle hin und her. Weiter
-prahlte der Redner. Es sei heute eine Binsenweisheit, daß vor Christoph
-Kolumbus längst ein polnischer Seefahrer von Island aus Amerika
-entdeckt habe; in der Geschichte Christians ~II.~ von Dänemark sei
-das nachzulesen. Neuerdings würde auch geprüft, ob das berühmte Buch
-»Von der Nachfolge Christi« nicht einem Slawen statt Thomas a Kempis
-zuzuschreiben sei. Schließlich kam der Redner auf Rußland zu sprechen,
-von dessen Stärke allein die Auferstehung slawischer Macht zu hoffen
-sei. Hoffen wir auf den Zaren!
-
-»~At' žije!~«[31] rief die Menge begeistert dazwischen.
-
-»Ja,« schrie der Redner, »ich halte es mit unserem großen
-Havlitschek-Borowsky: ›Lieber die russische Knute als die deutsche
-Freiheit!‹«
-
-Es gab Beifall, in den allerdings die anwesenden Russisch-Polen nicht
-einstimmten.
-
-Eine Schlußapotheose des Slawentums, die dem sprachgewandten Redner
-gut gelang, und in der sich die Schönheit und der Reichtum der
-tschechischen Sprache offenbarte.
-
-Und der Redner schloß, indem er zu singen anhub:
-
-»~Kde domov muj?~«
-
-»Wo steht mein Vaterhaus?«
-
-Die Versammlung sang das sehr schöne tschechische Heimatlied mit. -- --
-
-Ein älterer Mann stieg auf die Rednertribüne. Er sprach gemäßigter,
-sprach von den strengen tschechenfeindlichen Erlassen Josephs ~II.~,
-erörterte allerhand schikanöse Anordnungen der Wiener Regierung,
-unter anderem, daß die Tschechen in ihrem eigenen Lande nicht in
-tschechischer Sprache telegraphieren dürften, während dies in allen
-möglichen fremden Sprachen erlaubt sei. --
-
-Da erscheinen zwei männliche Gestalten auf dem Podium, die das
-Erstaunen aller aufs höchste erregen. Der eine ist bunter als ein
-Pfau. Er trägt einen stechend grünen Rock, knallrote Weste, hellgelbe
-Hose, braune Stiefel, eine riesig lange weißrote Krawatte und einen
-scheckigen, rot-weiß-blauen Hut. Sein Begleiter hat einen Zottelpelz
-an, Holzschuhe und trägt auf dem Kopf eine riesige Pudelmütze.
-»Slawische Brüder,« schreit der Bunte mit krähender Stimme, »nehmt es
-nicht übel, wenn wir hier reden und wenn uns eure schöne Sprache nicht
-so gut vom Munde fließt, wie es bei euch Göttlichen der Fall ist!
-Wundert euch nicht über uns! Ich bin ein Masur, und dieser mein Bruder
-in der Pudelmütze ist ein Lette. Und das, was wir hier anhaben, sind
-unsere neuen Nationaltrachten, die erst in diesem Jahre ein berühmter
-und sinnreicher Schneider in Warschau für uns erfunden hat. Ich hoffe,
-wir Slawen aus dem gottvergessenen Ostpreußen dürfen uns in eurem edlen
-Kreise einfinden.«
-
-Der Bunte und die Pudelmütze wurden akklamiert.
-
-»Slawische Brüder, mit Staunen haben wir in diesem gelehrten Kreise von
-unseren berühmten slawischen Männern gehört, von dem slawischen Dichter
-Lessing und von dem herrlichen Nasensammler Sobeslaw. Unser Herz hat
-höher geschlagen. Heil den Polen, die Amerika entdeckt haben! Heil
-den Tschechen, die die Buchdruckerkunst erfanden! Ich komme aber, um
-euch Kunde zu sagen von ganz neuen Entdeckungen, die ein berühmter und
-eifriger Forscher und Gelehrter unseres masurischen Volkes, das gleich
-eurem stets der Wissenschaft diente, gefunden hat ...
-
-... Nero, das römische Kaiserscheusal, war ein Deutscher!«
-
-Bewegung.
-
-»Wohl war Agrippina seine Mutter, aber das verbuhlte Weib hat ihn
-gezeugt mit einem deutschen Söldling aus der Umgegend von Köln. Weiter:
-Pontius Pilatus, der den größten und schändlichsten Mord der Welt auf
-dem Gewissen hat, war ein Deutscher!«
-
-Einige Stirnen im Saal runzeln sich, einige Augen werden scharf.
-
-Der Bunte fährt unbeirrt fort:
-
-»Das heißt eigentlich auch nur ein Halbdeutscher. Aber was für einer!
-Er war der heimliche Sohn des Kaisers Augustus und Thusneldas, der
-gefangenen Gattin Hermanns des Cheruskers!«
-
-Einige tschechische Studenten treten dicht vor das Podium und sehen den
-Redner scharf an. Harmlos spricht der weiter:
-
-»Ich berichte hier nur das, was unser Forscher entdeckt hat. Die
-Beweisführung muß ich seiner Weisheit und Gewissenhaftigkeit
-überlassen. Aber wenn auch seine Resultate verblüffend sind, wenn sie
-auch unsere Feinde, die bluthündischen Deutschen, schwer ärgern müssen
--- sollen sie deshalb unausgesprochen bleiben? Nein, nein, nein!«
-
-Zustimmung. Die Studenten treten vom Podium zurück.
-
-»Und so sage ich euch: auch Judas Ischariot war ein Deutscher! Es ist
-klar erwiesen, daß sein Großvater als Kriegsgefangener von Julius
-Cäsar nach Rom gebracht wurde und durch Abschiebung nach Kairot ins
-Morgenland kam; denn Judas Ischariot ist eben Judas aus Kairot. Ich
-will die Ehrenliste deutscher Helden hier nicht verlängern; die
-Forschungen unseres Meisters, ob nicht auch der bethlehemitische
-Herodes deutsches Blut in den Adern hatte, sind noch nicht
-abgeschlossen!«
-
-Wieder treten einige Studenten erregt vor.
-
-»Laßt mich ein Wort sagen, slawische Brüder, über die Knechtung
-unseres Volkstums in Ostpreußen. Über neunzig Prozent unserer Kinder
-unterliegen dem Schulzwang; im slawischen Dalmatien brauchen bloß zwei
-Prozent der eingestellten Rekruten lesen zu können!«
-
-»Was soll das heißen?« rief ein Student dazwischen.
-
-»Das soll heißen, daß wir Slawen uns nicht in die deutsche
-Bildungszwangsjacke pressen lassen wollen. Haben wir das nötig?
-Neuerdings hat ja sogar ein Wiener Gelehrter zugegeben, daß das
-tschechische Gehirn das relativ schwerste ist, fünfzig Gramm schwerer
-als das deutsche!«
-
-»Stimmt! ~Dr.~ Weisbach in Wien!« schrie einer.
-
-Einige Studenten fixieren den Redner scharf.
-
-»Ich bin fertig!« sagte dieser; »ich danke, daß Sie mich meine
-bescheidenen Ausführungen haben machen lassen. Vergönnen Sie nun auch
-meinem lettischen Bruder und Nachbar einige wenige Minuten!«
-
-Der Lette wiegt die riesige Pudelmütze hin und her und sagt stockend:
-Als Lette sei er, wie man wohl wisse, ein Germanoslawe. Aber jetzt
-habe er den Germanen abgestreift und stehe als Slawe hier. (Lebhafter
-Beifall.) Leider beherrsche er sehr wenig die tschechische Sprache,
-wolle aber nicht zurückhalten mit einer Entdeckung, die ein berühmter
-und eifriger Forscher seines Stammes gemacht habe. Das Grundgesetz, auf
-dem alle moderne Kultur beruhe, in dem das Judentum, das Christentum
-und der Islam eine gemeinsame Grundsäule hätten, seien offenbar die
-zehn Gebote Mosis. »Sie alle wissen, daß der Finger Gottes die Gebote
-auf zwei steinerne Tafeln geschrieben hatte, daß aber Moses die Tafeln
-zerschlug, als er die Israeliten beim goldenen Kalbe erwischte. Nun,
-unser Forscher hat jahrelang am Sinai nachgegraben, hat die Scherben
-der Tafeln gefunden, hat sie zusammengesetzt und entdeckt: Die zehn
-Gebote waren von Gott in urslawischer Sprache geschrieben!«
-
-»Was soll das heißen? Was sagt er?«
-
-Stühle rücken. Eine große Bewegung greift Platz. Samo spricht erregt
-auf seinen Freund ein.
-
-»Ja, wenn ich nicht sagen darf, was mein Volk glaubt!« fährt der Lette
-fort, »so will ich schweigen. Sie wissen, daß viele Polen glauben, der
-Papst spreche Polnisch. Und haben Sie die Argumente unseres Forschers
-schon nachgeprüft? Haben wir Ihnen nicht auch die Erfindung der
-Buchdruckerkunst geglaubt? Man hatte uns gesagt, auf der tschechischen
-Beseda könne man reden, was man wolle. Ich danke Ihnen, daß Sie mich
-bis hierher angehört haben!«
-
-Er verließ verärgert mit seinem masurischen Freunde das Podium, und
-beide gingen der Tür zu. Alle sahen den beiden nach. An der Tür stieg
-der Lette auf einen Stuhl und rief:
-
-»Eines bitte ich noch sagen zu dürfen: Die zehn Gebote, wie Sie sie
-kennen, haben eine Lücke: Es muß heißen: Siebentes Gebot: du sollst
-nicht stehlen; achtes Gebot: du sollst kein falsches Zeugnis geben
-wider deinen Nächsten, das heißt also: du sollst kein Tscheche sein!«
-
-Ein Schrei! Der Masur reißt die Pudelmütze ab. Eine deutsche
-Studentenkappe kommt zum Vorschein.
-
-»Leben Sie wohl!« schreien die beiden in deutscher Sprache und sind zur
-Tür hinaus. Ein wahnwitziges Geschrei geht los. Hunderte von Menschen
-drängen zur Tür. Sie verlegen einander den Weg. Unten auf der Straße
-fährt ein Wagen rasch davon. Im Saale herrscht die grimmigste Empörung.
-Mehr als eine halbe Stunde vergeht in ohnmächtigem Toben und Fluchen.
-Viele Frauen weinen. Da steigt einer aufs Podium.
-
-»Slawische Brüder! Laßt eure Feier nicht stören durch diese deutschen
-Lausbuben!«
-
-Großer Beifall!
-
-»Sind sie nicht ausgerissen wie Feiglinge?«
-
-Stürmischer Beifall.
-
-»Wir werden sie und ihresgleichen zu treffen wissen!«
-
-Geschrei.
-
-»Wieder einmal ist es erwiesen, daß die Deutschen die Friedensstörer,
-die Provokateure sind, die sich selbst zu so friedlichen Slawenfesten
-wie dieses heimtückisch einschmuggeln. Lasten wir uns nicht stören; der
-Tag der Vergeltung kommt.«
-
-»~Šusnelka nám piše.~«
-
-Er stimmte den beliebten Gassenhauer an, der davon redet, die Deutschen
-hätten alle gefährliche Bauchschmerzen, und die Versammlung sang mit.
-
-Die Erregung legte sich allgemach etwas; nur einzelne Studentengruppen
-führten unter sich aufgeregte Debatten. Man beschloß eine große
-Demonstration vor der Karlsuniversität.
-
-Und nun trat »~Plzenske piwo~« in seine gewaltigen Rechte. Pilsener
-Bier. Je erregter der Mann, desto tiefer der Trunk. Nur, daß der
-köstliche Trank das innere Feuer nicht löschte, sondern immer mehr
-anfachte.
-
-»Diese elenden Frankfurter!«[32]
-
-»Jauche haben sie gegossen in unseren slawischen Verbrüderungswein!«
-
-»Der eine sah aus wie ein bunter Hanswurst, der andere wie ein Urmensch
-aus der Eiszeit. Und das nannten sie slawische Nationaltracht! Und
-der Kerl, der Lette, sagte ausdrücklich, eigentlich bin ich ein
-Germanoslawe, aber ich habe den Germanen abgestreift und stehe jetzt
-als Slawe hier. Und wir klatschen Beifall dazu. Eine Schmach! Eine
-Schmach!«
-
-Der junge Student, der das sagte, vergoß Tränen.
-
-Da stimmte jemand das Lied von der Aussiger Schlacht an: »~Bitwa před
-Ustim.~«
-
- »Gedankt sei Gott! O preiset ihn,
- Er hat uns hilfereich verlieh'n,
- Die Deutschen ruhmvoll zu schlagen
- Und aus dem Lande zu jagen!«
-
-Die Studenten hörten mit finsteren Gesichtern zu. Heut war der Ruhm,
-wie sie die Deutschen aus dem Felde geschlagen hatten, klein.
-
-Selbst als ein paar hübsche Mädchen etliche der wunderherrlichen
-Volkslieder der Tschechen vortrugen, die für Trauer und Sehnsucht
-des Menschenherzens in stillen Worten und tiefen reichen Melodien so
-ergreifenden Ausdruck finden, kam keine rechte Stimmung mehr zustande.
-
-Die Beseda war verunglückt.
-
-
-
-
-Es war kaum zehn Uhr, als Samo aufbrach. Sein Freund Bohuslaw folgte
-ihm. »Ich ersticke in diesem Saal!« sagte Samo draußen. »So ist es
-selten einmal durchtriebenen Hallunken geglückt, die Gegner zu äffen.«
-
-»Mein Herz leidet, daß es geschah, Samo«, antwortete der sanfte
-Bohuslaw. »Wenn es nun einmal geschehen sollte, dann doch nie in
-deiner Gegenwart. In dir ist der slawische Königsgedanke beleidigt
-worden.«
-
-Der junge Mann hing an Samo mit einer Art ehrfürchtiger Liebe. Er ehrte
-in ihm mit tiefer Überzeugung den heimlichen Königssohn.
-
-Schweigend gingen die beiden jungen Männer weiter. Als sie in eine
-schmale, winklige Straße kamen, zeigte Bohuslaw auf das Erkerfenster
-eines Eckhauses. Mattes Licht schimmerte durch die kleinen bleigefaßten
-Scheiben des Fensters.
-
-»Dort wohnt mein Onkel Krok, von dem ich dir erzählte. Wenn es dir
-gefällt, so gehen wir zu ihm hinauf. Wohin sollen wir jetzt in dieser
-Stimmung?«
-
-»Es ist zu spät für einen Besuch.«
-
-»Mein Onkel Krok würde um Mitternacht aufstehen und dir sieben Meilen
-entgegengehen, wenn er wüßte, du wolltest ihn besuchen. Erlaubst du,
-daß ich klopfe?«
-
-Samo zuckte die Achseln.
-
-»Tu, was du willst.«
-
-Bohuslaw klopfte mit dem eisernen Schläger an die Tür, und bald
-erschien an dem Erkerfenster der Kopf eines alten Mannes.
-
-»Wer klopft? Bist du es, Bohuslaw? Und wer ist der andere?«
-
-»Das ist Samo. Unser Samo!«
-
-»Unser -- unser ...«
-
-Dem Alten stockte die Stimme. Er warf den Fensterflügel zu und erschien
-bald in der Tür mit einem Licht. Eine in einen weiten Schlafrock
-gehüllte schmächtige Gestalt eilte auf Samo zu und beugte sich tief vor
-ihm.
-
-»~Fjersta! Fjersta!~«[33] rief der Alte zitternd, und ehe es sich
-Samo versah, küßte er ihm ehrfurchtsvoll die Hände. »In Gottes Namen,
-willkommen! Gesegnet der Tag, da meinem Hause diese goldene Ehre
-widerfährt!«
-
-Samo war bestürzt, daß er kaum etwas zu antworten wußte. Wie im Traum
-trat er durch die schmale Tür, stieg er eine schmale Stiege hinauf.
-Der Alte, der ihm leuchtete, stammelte unausgesetzt Worte freudigen,
-ehrfurchtsvollen Willkommens.
-
-Sie traten in das sehr geräumige Erkerzimmer. Es war erhellt durch
-eine große Hängelampe von auffällig schöner Schmiedearbeit. Der große
-Tisch unter der Lampe war mit Büchern und Manuskripten bedeckt. Sonst
-machte das Zimmer den Eindruck des Lagerraums eines Altwarenhändlers
-oder des ungeordneten Saales eines Museums. Alte Möbel, Waffen, Bilder
-standen und lagen umher, von der Decke hingen seidene Tücher mit bunten
-Malereien, an den Wänden waren kostbare Stickereien, in Glaskästen
-allerhand kleine historische Pretiosen, geschichtliche Reliquien und
-Sonderbarkeiten.
-
-»Heilige Madonna, ich danke dir, daß ich diesen Tag erlebte! ~O
-Fjersta! Fjersta!~«
-
-Und wieder wollte der Alte Samo die Hand küssen.
-
-Dieser wehrte ihn freundlich ab.
-
-»Ich freue mich, daß ich bei Euch bin; aber ich bin nichts als ein
-wendischer Student.«
-
-»Ich weiß, wer Ihr seid! Der ~sorbski kral~, der kommen wird. O seht,
-wenn ich auf unserer heiligen slawischen Erde reise und sehe, wie schön
-und reich sie ist, ich finde alles: ich finde große Berge und weite
-Ebenen, Städte mit alten Domen und heiligen Gräbern, Wiesenflächen
-mit singenden Dörfern, ich finde alte Nationalschätze und habe davon
-manches gesammelt, ich finde eine stolze Jugend, die an ihr Slawentum
-glaubt, ich finde Dichterwerke und Weisheitswerke und Silber und Gold
-und Edelstein -- aber ich finde das nicht, wonach ich mit meinen alten
-Augen immer noch suche: ich finde keinen slawischen König. Und nun ist
-er hier! Und nun ist er hier!«
-
-Der Alte fing so heftig an zu zittern, daß ihn sein Neffe nach einem
-der großen Lehnstühle führen mußte. Auch Samo faßte es an wie ein
-Taumel, und er setzte sich langsam und schwer auf einen Stuhl an dem
-großen Tisch.
-
-Eine tiefe, tiefe Stille kam. Der Alte blickte auf den jungen
-Königssohn wie ein Vater, dem in frühen Jahren ein Sohn, das Kleinod
-seiner Ehre und seiner Hoffnung, geraubt worden ist, dem die goldene
-Wahrheit und Gewißheit seines Lebens in graue, neblige Ferne entwich,
-der mit heißen Augen und nimmermüdem Fleiß suchte durch die besten
-Jahre seines Lebens und endlich müde heimkehren mußte mit winzigen
-Andenken und ungewissen Anhalten, ein Träumer sitzt am einsamen Tisch
--- und dem mitten in der Nacht im Sternenschein der Sohn als ein
-kommender Sieger wiederkehrt.
-
-»~Fjersta!~«
-
-Samo eilte auf den Alten zu -- sie liegen sich in den Armen. -- -- --
-
-Endlich sagte Samo:
-
-»Ihr überschätzt mich! Ich bin nur der zweitgeborene Sohn des ~sorbski
-kral~.«
-
-Der Alte schüttelte den Kopf.
-
-»Die, die sich um die Slawen kümmern, wissen, wer Ihr seid. Euer
-Bruder, der den slawisierten Germanennamen Juro trägt, ist nicht der
-Kral. Ihr heißet Samo, Ihr tragt den Namen, der als einziger aus dem
-ersten Schöpfungstag tschechischer Geschichte zu uns herüberleuchtet.
-Samo, der Slaw, der die Avaren schlug, an die sich Kaiser Karl
-vergeblich gewagt hatte, Samo, der die Tschechen heimisch machte in
-diesem Lande Gottes -- Ihr könntet keinen schöneren Namen haben als
-diesen!«
-
-»Der Name macht es nicht; obwohl ich zugebe, daß Ihr, der Ihr Krok
-heißt, gewiß mit dem alten Tschechenherzog Krok, dem Klugen und
-Gerechten, vieles gemeinsam habt.«
-
-»Ich bin ein alter Mann, der nicht viel mehr für seine slawischen
-Brüder tun konnte, als daß er sein Leben lang um sie litt. Und der ein
-wenig sammelte. Freilich, es sind nicht die Schätze vom Karlstein.«
-
-Der Alte wies auf seine Raritäten.
-
-»Waret Ihr im Karlstein, Pán Samo?«
-
-»Nein, ich komme erst zum zweitenmal in meinem Leben nach Böhmen.«
-
-»Zürnet nicht, Herr, wenn ich sage, daß das nicht gut ist.«
-
-»Ich weiß es. Ich hätte in Prag studieren sollen, nicht in dem
-deutschen Nest Breslau. Hier in Prag ist der Nährboden für starkes,
-echtes Volkstum. Aber ich war nicht unabhängig. So habe ich auch den
-Karlstein noch nicht gesehen.«
-
-Das Auge des Alten strahlte.
-
-»Der Karlstein! Vieles ist zerfallen, viele Edelsteine, die die Mauern
-bedeckten, sind ausgebrochen, die Fenster sind jetzt aus Glas, aber
-doch ist der Karlstein noch immer unsere Gralsburg, wie sie Meister
-Mathias von Arras schuf. Ich denke jetzt nicht an die Rittersäle, die
-großen Höfe; an eine der Kapellen denke ich, an die Kreuzkapelle. Und
-ich sehe, wie Karl ~IV.~ barfüßig in das Heiligtum tritt, nachdem vier
-eiserne Türen, neunzehn Schlösser geöffnet worden sind. Und die Kapelle
-erstrahlt im Glanz von eintausenddreihundertunddreißig Lichtern, indes
-der Probst die Messe zelebriert. Die vergoldeten Wände funkeln, die
-Jaspise und Karneole blitzen, durch die Halbedelsteinfenster fällt das
-Licht hinaus ins Land, bis an den Fluß hinunter. Rund herum, als wenn
-sie lebten, die großen Bildnisse von einhundertfünfundzwanzig Heiligen,
-die aus ihren reinen Augen nach dem Altar schauen; und im Hochaltar,
-hinter goldenen Gittern, die alte, heilige Wenzelskrone, die Insignien
-des Reichs. Karl, der Böhmenkönig, der als Kaiser das ganze deutsche
-Reich beherrscht, liegt hier auf den Knien, betet zu Gott um Schutz für
-die Krone, und draußen ruft der Wächter am Tor alle Stunden ins Tal:
-›Bleibet der heiligen Burg fern, ihr Wanderer, sonst ereilt euch Unheil
-und Tod!‹«
-
-Über der Kapelle prangt die Schrift:
-
-»Herr Christus, mächtiger Herr, behüte du selbst diese Kleinodien bis
-zum letzten Tage[34]!«
-
-»War das nicht eine große, schöne Zeit?«
-
-Samo blickte den Alten, der so begeistert redete, versonnen an. Sein
-Gesicht war finster. Der alte Krok erzählte nun von vielen anderen
-Schätzen der Burg Karlstein, von kirchlichen und weltlichen Reliquien
-kostbarer Art.
-
-»Haltet Ihr diese Dinge für echt?« fragte Samo.
-
-»Ja! Und wenn mir ein Zweifel kommt, jage ich ihn eilends davon.
-Zweifel macht arm und verödet das Herz; er ist der Bilderstürmer im Dom
-unserer Seele, dessen Altäre er entkleidet und von dessen Wänden er
-Glanz und Schönheit nimmt. Was dann übrigbleibt, ist kahle Armut, sind
-harte, nüchterne Trümmer. Und der rauhe Wind, den sie Wahrheit nennen,
-der dann schneidend durch die zerschlagenen Fenster fährt, kann uns
-nicht trösten, wenn der Tabernakel des Heiligsten beraubt ist und die
-ewigen Lampen verlöscht sind. Oh, Pán Samo, an alten Symbolen hängt
-der Gedanke, und der Gedanke stirbt mit dem Symbol; denn wir Menschen
-schauen aus leiblichen Augen.« Samo stand auf und ging ein paar
-Schritte hin und her. »Es mag schön sein, so zu glauben und zu träumen
-wie Ihr, Pán Krok. Ich kann es nicht. Ich habe ohne Neid von dem Glanz
-der Wenzelskrone gehört, ich habe mit Freude davon gehört; aber es ist
-doch bitter, wenn ich daran denke, wie bettelarm dagegen mein eigenes
-Volk war. Kennt Ihr die Sage vom Wendenkönig?«
-
-»Ich kenne sie.«
-
-»Seht, Pán Krok, der Wendenkönig konnte sich keine bleibende Burg
-bauen, keine goldene Kapelle errichten, wo er seine Schätze verwahrte,
-für ihn gab es noch keinen Pán Krystus, dessen Schützernamen er über
-seine Tür schreiben konnte. Als er in die entscheidende Schlacht zog,
-hatte er niemand, der seine Krone verwahrte; in den armen Sand der
-Heide mußte er sie vergraben, unter die Bäume des Waldes. Eine Grube
-zwischen Erde und Steinen war unsere Kronenstätte.«
-
-Der Alte stand auf, und seine milden Augen ruhten liebevoll auf Samo.
-
-»Gott selbst hat einen blauen Dom über Eure Krone gewölbt, Pán Samo,
-und seine Sterne werden nicht weniger hell gefunkelt haben als unsere
-Karneole. Und hat Euch nicht Gott wunderbar erhalten? Unser Königtum
-ging verloren, das Eure blieb!«
-
-»Es wird verloren sein für immer und ewig«, sagte Samo düster.
-
-»Das darf nicht sein, Pán Samo, das darf nimmer geschehen! Ihr werdet
-es aufrechterhalten; denn Ihr müßt der Kral werden, geschehe auch, was
-wolle!«
-
-Die milde Hoheit war von dem Alten gewichen, ein fanatischer Eifer
-sprühte aus seinen grauen Augen. --
-
-»Die Deutschen verseuchen unser Volkstum«, fuhr Samo fort; »sorbisch
-geht der Bursch zum Militär, verdorben, deutsch kommt er zurück; der
-deutsche Gutsherr, der deutsche Krämer, der deutsche Gastwirt bohren
-sich wie die Maden in die slawische Frucht; unsere Gebildeten liegen
-in einem Halbschlummer; sie träumen noch ein wenig vom Slawentum,
-aber vor der Welt sind sie gehorsame Diener des deutschen Herrn. Die
-wendischen Geistlichen und Lehrer sterben aus; sie waren die besten
-und letzten Hüter unseres Volkstums, ihre Nachfolger sind Pioniere des
-Deutschtums. Das Volk kehrt sich vom heimischen Ackerbau ab, strebt in
-den Frondienst deutscher Fabriken. Es ist -- es ist aus mit uns droben
-in der Lausitz!«
-
-»Das ist ein düsteres Bild, das ist ein zu düsteres Bild!«
-
-»Schreien möchte ich, Pán Krok, daß es so ist! Tausend Jahre lang hat
-unser sorbisches Volk der Lausitz seine slawische Art bewahrt mitten
-in Kampf und Not. Die Herren haben gewechselt, die Bedrücker sind
-geblieben, aber auch das Slawentum ist geblieben. Keine Gewalt, keine
-List, keine leibliche und geistige Aushungerung hat es vernichtet.
-Der arme, starke Sandwald hat es geschützt. Und welche Hoffnung blieb
-uns? Unsere Zahl schmolz zusammen. Wir konnten nicht mehr hoffen, ein
-eigenes Reich zu errichten, wie es die alte Sage verheißt.«
-
-»Ihr müßt das hoffen, Pán Samo,« rief der Alte; »Ihr dürft diese
-Hoffnung im Herzen des Volkes nicht untergehen lassen. Man darf einen
-Stern nicht ableugnen, weil man nicht nach ihm greifen kann. Genug,
-wenn er leuchtet. Der felsenfeste Glaube an die große Zukunft muß
-dem Volk erhalten bleiben. Ohne großes Ziel keine Religion, kein
-aufstrebendes Volkstum, nicht einmal irgendein gutes Einzelwerk!«
-
-Samo zuckte die Achseln.
-
-»Wir müssen uns an die realen Verhältnisse halten. Was zu tun ist
-und immer zu tun war, ist das eine: das Slawentum in der Lausitz zu
-erhalten, bis die deutsche Kluft, die zwischen uns und den Tschechen
-liegt, überbrückt ist, mit einem Wort, das Wendentum zu konservieren,
-bis das deutsche Nordböhmen slawisiert ist und wir Lausitzer Sorben
-unmittelbaren territorialen Anschluß an die böhmischen Tschechen haben.«
-
-»Und das kommt doch! Das kommt doch!« rief der alte Krok begeistert.
-»Tausend Jahre habt ihr ausgehalten, wollt ihr in letzter Stunde
-unterliegen, da der Sieg so nahe ist? Ja, ihr seid auf einem
-gefährlichen, auf dem bedrohtesten Vorposten; aber, ihr Brüder,
-ihr seht doch, daß euch die siegreiche Hauptarmee Stunde um Stunde
-näherkommt!«
-
-Samo entgegnete finster:
-
-»Die Pflicht erkenne ich so wie Ihr, Pán Krok. Aber die Verhältnisse
-liegen so, wie ich Euch sagte. Und es fehlen uns die stolzen
-Erinnerungen, die großen Symbole. Was wir davon haben, wird
-angezweifelt, soll vernichtet werden.«
-
-»Laßt nur das nicht geschehen, nur das nicht, Pán Samo! Nur nicht an
-die Tradition tasten! Ich muß noch einmal von ihrem unermeßlichen Wert
-reden. Gestattet, daß ich in einem Gleichnis spreche. Seht, da war
-eine Edelfamilie, die hegte als großen Schatz einen alten, goldenen
-Ring. Den Ring, so erzählte die Familiengeschichte, habe ein Ahn von
-einem edlen Moslem erhalten, in dessen Gefangenschaft er zur Zeit der
-Kreuzzüge geraten war. Der Ahn war von so herrlicher, edler Art, er war
-in allen Dingen von so bezwingender Menschlichkeit, daß er das Herz
-seines Kerkermeisters gewann und dieser ihm eines Tages die Freiheit
-schenkte und ihm den Ring mitgab mit den Worten: »Denke meiner in
-deiner Heimat, du bewunderungswürdiger Mann, gönne mir ferner deine
-Freundschaft, die ich ehren werde bis zu meinem letzten Tage.« Und in
-der Familie wurde der Ring geachtet und geliebt. Der Vater hielt ihn
-dem Kinde aufs Haupt, wenn es getauft wurde; der Jüngling gelobte bei
-dem Ringe, brav und edel zu sein, ehe er in die Welt ging; die Jungfrau
-bekam ihn bei der Trauung an den Finger gesteckt; der Sterbende trug
-ihn an der Hand, wenn er sie zum letztenmal um Erbarmen zu Gott
-aufhob. -- -- Da erschien eines Tages ein Mann, der sagte, er sei ein
-Gelehrter, prüfte das Kleinod und wies nach, der Ring stamme gar nicht
-aus der Zeit der Kreuzzüge, er sei aus einem späteren Jahrhundert und
-offenbar fränkische Arbeit. Und er ging davon mit stolzgeblähter Brust
-und dem eitlen Gedanken, er habe diesen Leuten die historische Wahrheit
-gebracht. -- Wißt Ihr, Pán Samo, daß dieser Mann ein Verbrecher war?
-Was war der Unbekannte, der das Symbol erfand und ihm durch einen
-tiefen Gedanken eine Wundermacht verlieh, die durch viele Generationen
-wirkte, doch für ein besserer Mensch als dieser Aufklärer!«
-
-Samo sagte dazu nicht »Ja« und nicht »Nein«. Er schwieg eine Weile,
-dann aber sagte er mit gepreßter Stimme:
-
-»Und mein Bruder Juro wird den Sorben ihren goldenen Ring entwerten.«
-
-»Das darf er nicht!« rief der Alte vor Zorn bebend. »Eher sei er
-geächtet! Eher werde er getötet! Ihr müßt ihm, Pán Samo, mit allen
-Mitteln entgegenstehen!«
-
-»Das werde ich!« sagte Samo und reichte dem alten Krok die Hand.
-
- * * * * *
-
-Die ganze Nacht saß Samo mit seinem Freunde Bohuslaw beim alten Krok.
-Die betagte Wirtschafterin hatte so köstlichen Wein gebracht, wie Samo
-noch nie zuvor getrunken hatte. So war auch er mitteilsamer geworden
-und hatte von seinen letzten Erlebnissen im wendischen Vaterhause
-erzählt. Der kluge Alte hörte ihm mit glühendem Interesse zu, und
-so wie seine Zuneigung für den alten Hanzo, für Hanka, vor allem
-aber für Samo selbst wuchs, so loderte sein Haß auf gegen Juro, den
-»Renegaten«. Bis in die Einzelheiten mußte Samo erzählen, selbst seine
-Unterredungen mit der alten Wičaz verschwieg er nicht.
-
-Später zeigte und erläuterte Krok einen großen Teil seiner Sammlungen.
-Er tat es mit dem Feuereifer des überzeugten Slawen, aber auch mit der
-strahlenden Freude des erfolgreichen Sammlers, dem die Eitelkeit nicht
-fremd ist.
-
-Oh, es war ein hoher Genuß für die beiden jungen Männer, den Worten
-des begeisterten Alten zu lauschen, der an oft unscheinbaren Dingen
-in leuchtenden Einzelbildern böhmische Geschichte entwickelte.
-Andenken aus der Zeit der Kämpfe des Christentums und Heidentums;
-ein Pilgerstecken, den der heilige Cyrillus trug, der große Heilige,
-große Held, große Gelehrte, der Moses der Slawen; das Hufeisen, das
-das Roß Swatopluks von Mähren verlor, als er vor den Böhmen flüchten
-mußte; ein Gürtel der gottlosen Königin Drahomira, die von der Erde
-verschlungen wurde; Kriegstrophäen aus den Kämpfen mit den Polen und
-Ungarn; eine Pergamentschrift des ersten böhmischen Chronisten Cosmas;
-ein Stein aus dem Schwertgriff des unglücklichen Ottokar, der im
-Kampfe gegen den ersten Habsburger Krone und Leben verlor; ein Schild
-aus der ruhmreichen Zeit, da Heinrich von Kärnten verjagt wurde; ein
-Evangelienbuch der ketzerischen Beguinen; viel Andenken an den Vater
-Böhmens, Karl ~IV.~, darunter ein Teil der Biographie, die dieser
-Herrscher über sich selbst schrieb. Endlich vielerlei historische
-Andenken aus der Zeit der Hussitenkriege und des Dreißigjährigen
-Krieges: Waffen, Trommeln, Panzerhemden, Keulen, Pistolen, ein
-silberner Hussitenkelch, eine eigenhändige Handschrift Wallensteins;
-dazu viele Dinge von kulturhistorischem Wert: alte Stickereien, alte
-Gewebe, Glasmalereien, Goldschmiedearbeiten, bunt gemalte Abschriften
-aus Benediktinerklöstern, Möbel-, Haus- und Feldgeräte, Wappen, Münzen,
-Petschafte.
-
-Alle diese Dinge waren in dem geräumigen Erkerzimmer und einem
-anstoßenden großen Raum untergebracht.
-
-Samo staunte über den Reichtum.
-
-»Mein Familiengut«, lächelte Krok. »Das andere ist in alle Winde; aber
-dieses, das Wertvollste, hat sich erhalten!«
-
-Er brachte eine große Familienchronik heran. Die Eintragungen reichten
-in sehr alte Zeit zurück. Insonderheit war über Erwerb und Herkunft der
-historischen Reliquien genau und treulich berichtet.
-
-»Meine Ahnen«, sagte Krok, »hatten Sinn für das Alte, Kostbare,
-Wesentliche. Mein Vater war ein lustiger Herr; er lebte mehr in Wien
-und Paris, als unserem Familiengut günstig war. So ging es verloren.
-Burg, Dorf, Wald, Feld mußten verkauft werden; mir, dem Sohn, blieb
-gerade genug, nach dem Tode meines Vaters das Leben zu fristen. Aber
-mir blieb auch diese Sammlung. Alles hat mein Vater preisgegeben,
-nur dieses da nicht. Er hat nicht so gehandelt wie der leichtsinnige
-Sigismund, der den Karlstein entweihte, dessen kostbare Steine er
-ausbrach und an Händler verkaufte, um Geld für sein Schlemmerleben zu
-haben, oder gar wie jener deutsche Braunschweiger, der die silbernen
-Apostelfiguren zu Talern einschmelzen ließ und dabei die lästerlichen
-Worte sprach: ›Gehet hin in alle Welt und predigt den Heiden!‹ Mein
-Vater hat mir keine andere Herrschaft hinterlassen als diese; aber ich
-bin ein glücklicher, zufriedener Mensch.«
-
-Als die Zeiger der alten Uhr schon in die Morgenstunden hineinrückten,
-wurde Krok plötzlich schweigsam. Die Jünglinge wollten fortgehen, aber
-der Alte hinderte sie und wurde heftig, als sie abermals davon sprachen.
-
-Lange und unverwandt blickte er oft von seinem Lehnstuhl aus auf Samo.
-Als draußen der Tag schon graute, sprach er:
-
-»Jeder Mensch hütet ein Geheimnis in seinem Herzen. Ist es nur für
-ihn, so mag es sterben, wenn er stirbt; ist es aber für andere, dann
-muß der Mensch Erben seines Geheimnisses suchen. Ich bin alt, und
-eines Morgens, wenn der Tag graut, wird er mich tot finden bei diesen
-Reliquien, ich selbst eine Reliquie, das geringwertige Überbleibsel
-einer alten Zeit. Was Wissenswertes ist von diesen Dingen, die hier
-verwahrt sind, ist aufgeschrieben. Eines aber möchte ich in eure
-Herzen schreiben, ihr edlen Jünglinge, und da soll es verwahrt sein
-für den Fall meines Todes.«
-
-Der Alte stand auf und stellte sich ans Fenster. Das Licht des
-aufdämmernden Tages spielte blaß um seinen grauen Kopf. Und Krok sprach
-langsam und feierlich:
-
-»Ehe ich euch mein Geheimnis überliefere, müssen eure Seelen mit meiner
-Seele rückwärts wandern den ganzen heißen, arbeitsreichen Tag der
-böhmischen Geschichte entlang bis zu der Stunde, da das herandämmernde
-Licht der beginnenden Tschechenherrschaft seine ersten Strahlen über
-das Land schickte, wie jetzt da draußen die Sonne über unser heiliges
-Prag. Samo, der Gewaltige, schlug die Avaren, Krok, der Gerechte, gab
-das erste Gesetz. Krok hatte drei weisheitsvolle Töchter. Als er zum
-Sterben kam, wußte er nicht, welcher der drei Töchter er das Reich
-vererben sollte. Und er warf das Los, und das Los fiel auf Libussa,
-die weiseste und machtvollste der Königstöchter. Libussa gründete die
-Stadt Prag und regierte klug und streng. Die Böhmen waren glücklich
-unter ihr, aber eines Tages verlangten sie, die Königin solle einen
-Gatten nehmen, der mit ihr regiere. Da sandte Libussa eine Reiterschar
-ab und befahl dieser: ›Wo ihr einen Mann findet, der von einem eisernen
-Tische ißt, so bringet ihn; er soll mein Gatte und soll König sein!‹
-Der Reiterschar gab sie ihr eigenes Roß mit, und dieses Roß setzte sich
-an die Spitze der Schar und schlug den Weg ein gen Staditz.
-
-Es war aber an die fünfzigtausend Schritt von Prag, da saß ein Bauer
-auf dem Felde. Es war just ein schöner Frühlingsmorgen; die Lerchen
-sangen, das Gras und die junge Erde dufteten. Der Bauer saß lachend
-auf dem Felde und aß sein Frühstück von der blanken Pflugschar. Da
-wieherte das Königsroß und fiel auf die Knie, und alle Rosse knieten
-nieder, und die Reiter stiegen ab und knieten nieder und riefen dem
-Bauern zu: ›Du bist unser König!‹ Der Bauer, welcher Przemisl hieß,
-stand auf, ließ Acker und Pflug im Stich, zog nach Prag und wurde der
-Gatte der Königin. Libussa ließ ihm eine silberne Krone machen; sie
-selbst aber trug eine goldene Krone, denn sie war an Macht über ihm.
-Jahrhundertelang haben die Nachkommen von Przemisl und Libussa die
-Schicksale Böhmens gelenkt.
-
-Libussa aber hatte eine Schar von Dienerinnen sorgsam erzogen, und die
-Schönste und Klügste von ihnen, Wlasta, empörte sich gegen die Herrin,
-gewann ein Heer von Frauen und führte den Mägdekrieg. Libussa flüchtete
-bis ins Riesengebirge, und weil sie verfolgt wurde, warf sie ihre
-goldene Krone in den Zackenfluß, der in donnerndem Fall von den Bergen
-springt, und unter diesem Wasserfall liegt die Krone noch jetzt. --
-
-Przemisl kehrte in seine Heimat zurück. Die Mägde suchten nach seiner
-silbernen Krone, aber sie fanden sie nimmer.« --
-
-Krok schwieg. Er senkte das Haupt und stand in tiefem Nachdenken da.
-Dann sagte er:
-
-»Wartet ein Weilchen, bis ich wiederkomme!«
-
-Er verschwand durch die Tür und kam nach nicht langer Zeit zurück.
-
-»Kommt.«
-
-Sie gingen durch den Nebenraum, der auch mit Altertümern angefüllt war,
-und kamen an eine eiserne Tür, die jetzt sichtbar war, weil Krok eine
-große, alte Stickerei an dieser Stelle fortgenommen hatte. Krok öffnete
-die Tür, und die Jünglinge blickten in eine Kapelle.
-
-Eine große Anzahl von Kerzen brannte, in drei silbernen Lampen
-glimmte rotes Licht, ein Altar stand in einer Nische, darauf war ein
-Tabernakel. Rundum die Wände waren mit Stickereien und seidenen Tüchern
-behangen, ein großer Teppich bedeckte den Fußboden. Viele Bilder
-schmückten die Wände. Gestalten aus der Heiligen- und der profanen
-Geschichte Böhmens: Wenzeslaus mit der Fahne, Cyrillus und Methodius,
-die heilige Ludmilla, Johann von Nepomuk, dann das große Bild Karls
-~IV.~, ein Bild von Libussa und von Przemisl am Pflug. Diese Gemälde
-hingen über dem Altar; in der Mitte war ein altes, eisernes Kreuz.
-An den Seitenwänden die Taufe Borzivois, die Gründung des Bistums
-Prag durch Boleslaw den Frommen, Herzog Udalrich bei der Kaiserwahl
-Konrads ~II.~; die deutschen Kaiser Heinrich ~IV.~ und Barbarossa, die
-Böhmen die Königswürde verliehen; einzelne hervorragende Äbte berühmter
-Orden, die sich um das Land verdient machten; mehrere Bilder des
-großen Ottokar: als Herr in Kärnten, als Gründer der Stadt Königsberg,
-sein Tod auf dem Marchfeld; dann die Ermordung Wenzels ~III.~, des
-letzten Przemisliden. Aus der späteren Geschichte hauptsächlich wieder
-Erinnerungen an Karl ~IV.~: die Moldaubrücke, der Karlstein, die
-Unterwerfung von Brandenburg und Schlesien, die slawische Universität.
-Wallensteins Bildnis fehlt nicht, auch einige Dichter und Redner sind
-vertreten: der Psalmensänger Streyc, Kotwa, der »böhmische Cicero«, der
-Hofpoet Simon Lomnicky.
-
-Ganz nahe der Tür, halb im Dunkel hängen einige Bilder aus der
-Hussitenzeit: Jan Hus, Ziska, Prokop, Wecleff, Amos Comenius, der
-Brüderbischof. --
-
-Manche der Bilder haben einen beträchtlichen Wert, manche sind billige
-Reproduktionen, nur ihres Inhalts, nicht ihres Kunstwertes wegen da. --
-
-Hoch an der Altarwand, dicht unter der Decke, sind die Worte
-geschrieben: »~Pán Krystus, neymnocnegssj pán, racz techto klenotuw,
-ostrzjhati sam, až do neypos ednegssho dne!~«
-
-Der alte Krok blieb mit seinen Begleitern dicht an der Tür stehen.
-Die jungen Männer waren so überrascht, daß sie kein Wort zu sprechen
-vermochten. Auch Krok stand stumm neben ihnen. Erst nach langer Zeit
-sagte er in tiefer Ergriffenheit, leise flüsternd:
-
-»Mein Karlstein! Meine Kreuzkapelle!«
-
-Und er wies auf die Schrift über dem Altar: »Pán Krystus!«
-
-»Herr Krystus, mächtigster Herr, behüte du selbst diese Kleinodien bis
-zum letzten Tage!«
-
-»Das ist das Wort vom Karlstein,« sagte Krok, »das Wort, das über
-meiner Wohnung und über meinem ganzen Leben schwebt.«
-
-Und Tränen rannen in seinen grauen Bart.
-
-Scheu gingen die Jünglinge die Wände entlang, betrachteten die Bilder.
-Der Alte schritt zum Altar, kniete nieder und preßte die Hände vors
-Gesicht, wie zu inbrünstigem Gebet. Auch Bohuslaw kniete nieder. Samo
-stand mit gefalteten Händen und gesenktem Kopf.
-
-Da stieg der alte Krok die Stufen des Altars hinauf und öffnete den
-Tabernakel. -- --
-
-In dem Tabernakel lag auf einem seidenen Kissen eine alte silberne
-Krone ...
-
-Und Krok wandte sich mit der Krone um. Mit bewegter, tränenerstickter
-Stimme sagte er:
-
-»Seht da, das Kleinod! Das ist die silberne Krone Przemisls ~I.~, des
-Königs vom Pflug. Das ist die Urväterkrone unseres böhmischen Volkes!«
-
-Die Hände des Alten zitterten so, daß er die Krone auf den Altar
-niederlegen mußte. Langsam beruhigte er sich:
-
-»Zweifelt nicht an der Krone! Sie ist die echte, heilige Krone
-Przemisls! Ehrwürdige Urkunden ehrwürdiger Männer bestätigen sie bis in
-die älteste Zeit.«
-
-Bohuslaw trat einige Schritte näher. Samo stand regungslos wie eine
-Statue.
-
-Da rief ihm der alte Krok zu:
-
-»Pán Samo, kommt an den Altar.«
-
-Mit schweren Schritten gehorchte ihm Samo.
-
-»Pán Samo, zukünftiger Kral der Lausitzer Sorben, ich begrüße Euch an
-dieser heiligen Stätte. Bin ich auch kein geweihter Diener Gottes, so
-habe ich doch die Weihe einer Familie, die von der Vorsehung ausersehen
-war, durch Jahrhunderte dieses Heiligtum zu hüten und zu hegen. Samo,
-ich setze Euch diese Krone aufs Haupt, nicht daß ich Euch zum König
-von Böhmen kröne, sondern als ein Unterpfand Eurer eigenen zukünftigen
-Würde.«
-
-Und Krok setzte Samo die Krone aufs Haupt. Das alte Silber berührte
-kühl die heiße Stirn des Mannes. Ein paar Herzschläge lang stand Samo
-so im königlichen Schmuck; dann ergriff er die Krone, küßte sie, legte
-sie auf den Altar und ging eilends aus der Kapelle.
-
-Krok und Bohuslaw fanden ihn bald darauf im vordersten Zimmer
-fassungslos in einem Lehnstuhl sitzen.
-
-»Pán Samo,« sagte Krok, »nicht umsonst weihte ich Euch in das größte
-Geheimnis meines Lebens ein. Alles hat einen Sinn, und alles geht
-darauf hin, unserem Slawentum zu dienen. Pán Samo, vergeßt dieses
-nicht: Symbole sind nötig; Gedanken, vom Symbol losgelöst, verfliegen
-im Wind. Kommt noch einmal allein zu mir, ehe Ihr abreiset; ich habe
-Euch etwas zu sagen, das mir in dieser Nacht eingefallen ist.«
-
-
-
-
-Spätherbst droben im Wendenlande.
-
-Die letzten Sommerfäden nahm der Wind; der letzte Singvogel zog fort.
-
-Irgendwo in der Welt gibt es sonnige, glänzende Fluren, irgendwo gibt
-es laute, große Städte.
-
-Das muß weit von hier sein. Denn hier wohnt die graue Einsamkeit. Spät
-dämmert der müde Tag, früh geht er zur Rüste. Oft liegt der Waldweg die
-ganze Woche einsam. Kein Wanderer kommt daher.
-
-Und doch wäre es ein Weg, wo einer den Frieden suchen könnte, wo müde
-Augen ruhen und wilde Herzen stille werden könnten.
-
-Hier wandeln in den tiefen Wäldern, wie im Traum hinhören auf die
-knisternden Sagen der Föhren, am alten Heidenhügel früherer Zeit
-nachdenken, an die Lutchen denken, die Zwergmännlein, die jetzt selbst
-zur Mittagszeit die Zipfelkappe fest über die dicken Köpfe ziehen und
-bei sinkender Sonne fröstelnd in ihr warmes Haus flüchten tief unter
-der Erde! O ja, das täte den klugen, unglücklichen Menschen draußen gut!
-
-Nur wer eine wehe Reue im Herzen trägt, dürfte hierher nicht kommen;
-die Smjertniza könnte ihm begegnen. --
-
-Drunten im Spreewald führte ein junger Bursch zur Abendzeit seinen Kahn
-heim. Ihm gegenüber saß seine einzige Schwester. Sie war von großer
-Schönheit; aber nun war sie traurig und blaß und sah immer ins Wasser
-hinein, in dem die letzten bunten Blätter des Waldes schwammen.
-
-Da fing der Bursche an zu singen:
-
-»~Sla je holčka po wodu ...~«
-
-Das Mädchen sah den Bruder bittend an, er möge schweigen; aber er sang
-das Lied:
-
- »Gingen nach Wasser drei Mägdelein
- In den weißen See hinein ...
-
- Die erste schöpfte die Kanne ein
- Und verlor ihr Ringelein.
- Mädchen an zu weinen fing --
- Ihr Liebster kauft einen neuen Ring.
-
- Die zweite schöpfte die Kanne ein,
- Verlor ihr seiden Tüchelein.
- Das Mädchen weinte und klagte genug --
- Doch ihr Liebster kauft ein neues Tuch.
-
- Die dritte schöpfte die Kanne ein,
- Verlor ihr Rautenkränzelein;
- Das Mädchen wollte vor Jammer vergehn --
- Ihr Liebster ließ sie am Wasser stehn.«
-
-Der Bursche schaute finster auf den Boden des Kahnes, das Mädchen saß
-gebrochen vor ihm und hatte die Hände vor dem Gesicht.
-
-Die Abendglocke läutet. Oh, der Küster weiß nicht, daß der Bursch auf
-den Kirchturm geschlichen ist und in die Glocke den Namen des Mannes,
-der seiner Schwester Glück und Ehre nahm, geschrieben hat, dort, wo
-der Klöpfel anschlägt. Nun geht mit jedem Glockenschlag der Name des
-Schelmen über alles Land und hinauf zum Himmel, und wenn Liza stirbt
-und die Glocke läutet, dann wird durch ihr Wimmern der Name des
-Verführers an Gottes Ohr klingen.
-
- * * * * *
-
-Nicht überall ist es zur Herbstzeit so trüb im Wendenlande.
-
-Droben im Oberland der alte Weber Domasch ist ein friedlicher Mann.
-Vor seinem Häuschen steht ein wilder Apfelbaum, der einzige Baum, den
-er besitzt. Domasch läßt die Holzäpfel immer bis tief in den November
-hängen. Dann verlieren sie zwar etwas an Saft, sagt er, aber sie werden
-mürber und lassen sich besser beißen. Nun ist er mit seinem Weibe auf
-den Apfelbaum gekrochen. Die beiden Alten hocken sich auf zwei Ästen
-gegenüber.
-
-»Eine schöne Ernte!« lächelt der Weber.
-
-»Eine Gottesernte!« sagt das Weiblein.
-
-»Wenn's nur der Küster nicht zu kurz macht, daß wir sie gut
-herunterkriegen. Siehst du, Mutter, weil wir unsere Äpfel nur immer
-beim Abendläuten geschüttelt haben, deshalb hat uns auch Gott alle
-Jahre so reichlich beschert.«
-
-»Ja, so ist es!« sagt die Frau.
-
-Nun beginnt die Glocke zu läuten, und nun fangen die beiden an zu
-schütteln. Die verrunzelten kleinen Äpflein prasseln zur Erde; die
-beiden verrunzelten Alten schütteln, so viel sie können. Denn der
-Küster läutet gewöhnlich nicht lange, und wenn der letzte Ton verhallt,
-muß die Arbeit beendet sein. Deshalb herrscht eine ganz bestimmte
-Strategie, eine genaue Einteilung; jedes von den zweien weiß, welche
-Äste es zu schütteln hat.
-
-Oh, wie das prasselt! Hastig steigen Mann und Frau von einem Ast zum
-andern und schütteln mit ihren dünnen Armen. Endlich sagt der Alte:
-
-»Hör auf, Mutter, für die Eichhörnchen muß auch noch was drauf bleiben;
-der Mensch soll nicht genußsüchtig sein und nicht alles für sich haben
-wollen.«
-
-Und sie klettern die Äste und die kurze Leiter hinab. Noch immer tönt
-die Glocke.
-
-»Der Küster macht's aber heute lang«, sagt die Frau.
-
-»Ja,« lächelt der Mann schlau, »das weißt du gar nicht: Ich hab' ihm
-heut früh gesagt, daß ich Äpfel schütteln will, und hab' ihn einmal
-schnupfen lassen.«
-
-Darauf lesen die beiden glücklich ihren sauren, armen Herbstsegen
-zusammen, aber in ihrer goldenen Zufriedenheit finden sie ihn süß und
-reich.
-
-
-
-
-»Es hat schon zu Abend geläutet«, sagte der alte Knecht Kito, als er zu
-Hanka in die Stube trat.
-
-Das Mädchen, das ganz allein war, saß am Tisch bei der Lampe und war
-mit einer Näharbeit beschäftigt.
-
-»Ja, Kito, ich habe es gehört, wenn wir auch schon die Doppelfenster
-haben.«
-
-»Es ist erst fünf, es wird jetzt zeitig Abend.«
-
-»Ja, bis zur ~pšaza~[35] sind noch zwei Stunden Zeit. Füttern die Mägde
-schon?«
-
-»Sie haben angefangen. Deine Spinnstube ist gut, Hanka. Du bist die
-einzige Kantorka hier, die keine schlechten Lieder duldet.«
-
-Das Mädchen errötete.
-
-»Ich mag solche Lieder nicht leiden; ich habe sie auch zu Hause nicht
-zugegeben.«
-
-Der Alte nickte.
-
-»Ja, es geschieht an den Spinnabenden mancherlei. Voriges Jahr sind
-drei Mädchen aus unserem Dorf unglücklich geworden. Eine hat noch
-geheiratet, die anderen ...«
-
-Er machte eine bedauernde Handbewegung.
-
-»Wie ich noch jung war,« fuhr er fort, »da hab' ich auch solche
-Schelmenlieder gesungen. O ja -- was für welche! Wenn man dann alt ist,
-gefällt einem das nicht mehr. Aber du bist noch jung, Hanka, jung und
-hübsch!«
-
-»Was soll das bedeuten?« sagte Hanka und sah verwundert auf. Der
-Alte stand auf, redete hin und her, dies und das, von der Wirtschaft
-allerlei.
-
-»Du hast etwas auf dem Herzen, du willst etwas«, sagte Hanka.
-
-Kito wandte sich ab und stopfte seine Tabakspfeife. Endlich setzte er
-sich wieder. Aber er richtete die Augen starr auf die Tischplatte.
-
-»Hanka, du kennst die Bibel. Du weißt, daß Abraham seinen Knecht
-Elieser ausgesandt hat, um für seinen Sohn Isaak eine Frau zu suchen.
-Elieser war nur ein Knecht, aber er bekam doch dieses wichtige Amt.«
-
-»Wo soll das hinaus?«
-
-Kito zündete sich aufs neue seine Pfeife an, stand wieder auf und
-spuckte dreimal hinter den Ofen, ehe er weitere Worte fand.
-
-»Ich sagte dir, Hanka, daß ich auch einmal jung war. Ich habe bei der
-~kremuša~[36] drei Tage lang gegessen und getrunken und drei Nächte
-lang mit den Mädeln getanzt. Ja, das habe ich! Ich hab' bei der
-›verheirateten Männerkirmes‹ als lediger Bursch auf einem fremden Dorf
-getanzt, und es ist nicht herausgekommen. Jawohl, das war ich! Ich war
-der Anführer der ›Wurstbrüder‹, und wehe dem Bauern oder der Schenke,
-wo wir nicht unseren Speck bekommen hätten, wenn wir ankamen! Jawohl,
-das war ich! Und weißt du, wer ich noch war? Der Jan beim Johannisfest
-war ich! Der tollste Reiter! Bei den Husaren habe ich gedient, und
-wenn ich der Jan war, da hatte ich aus Birkenrinde eine Larve[37]
-vorm Gesicht und den ganzen Buckel voll Blumengirlanden -- ei ja,
-schön war ich! Über und über Blumen, bis zum Hute! Und dann aufs beste
-Pferd! Ohne Sattel und ohne Zaum! Wie der wilde Reiter durchs Dorf!
-Beim letzten Hause hat sich das ganze Dorf aufgestellt. Sie machen
-eine Kette. Sie woll'n mich aufhalten. Ich aber wie der Blitz durch
-die Kette! Sie schreien, sie laufen. Ich kehre blitzschnell um. Vom
-Pferd runter. Alle Weiber fall'n über mich her. Jede will 'ne Blume.
-Die verheirateten, daß sie starke Kinder kriegen, die ledigen, daß
-sie 'n Mann kriegen. Und ich immer rechts und links mit beiden Armen
-und Händen das ganze Weibsvolk abgestreift. Und hinauf auf die Linde
-geklettert bis zum obersten Aste. Und von oben eine Predigt gehalten.
-Dunderwetter, eine Predigt gehalten! Ich bin ein Prediger, hab' ich
-gesagt! Denkt ihr, ein Prediger wie der invalide Unteroffizier, den
-der alte Fritz den Wenden schickte? Drei Jahre lang predigte dieser
-Mann alle Sonntage dieselbe Predigt, die er sich auswendig gelernt
-hatte. Und als drei Jahre um waren, gingen die Wenden zum alten Fritz
-und sagten, sie wollten einen anderen Prediger, weil der Alte bloß
-immerfort dasselbe predigte. Nun, was predigt er denn? fragte der alte
-Fritz. Ja, da kratzten sie sich auf dem Kopfe und wußten nichts. Nun,
-sagte da der alte Fritz, so soll nur der Mann noch ruhig seine zehn
-Jahre weiterpredigen! Dunderlitzen, so ein Prediger war ich nicht! Ich
-hab' von meiner Linde gepredigt, daß sie unten rot und blau wurden,
-daß sie manchmal schrien: ›Pfui Deibel!‹ Die Frauvölker, die Kerle,
-der Schulze, die Schöffen, ja sogar die Frau Pastorin, alle kriegten
-was ans Bein. Rot und blau wurden sie. ›Hurra!‹ schrien die einen,
-›Haut ihn!‹ die andern. Ja, so ein Prediger war ich! Bis ich mich
-selbst von der Linde herunterpredigte. Dunderlitzen, wie ich gerade
-eine Kraftstelle sage, daß die eine Hälfte lacht und die andere Hälfte
-flucht, fall' ich runter von meinem blätterigen Predigtstuhl und breche
-mir die Hüfte. Und wenn man die Hüfte gebrochen hat, sage ich dir, ist
-es mit dem Reiten und kräftigen Predigen vorbei.«
-
-Kito seufzte schwer und trommelte mit seinen stumpfen, dicken Fingern
-auf dem Tisch. Hanka sah ihn lächelnd an. »Hanka, denke nicht an den
-~palenc~[38]. Drei Gläschen habe ich getrunken; aber drei Gläschen sind
-nötig zu dem, was ich vorhab'.«
-
-»Ja, was hast du denn eigentlich vor, alter Kito?«
-
-Kito stand auf, stieß mit dem Mittelfinger dreimal in die abermals
-erloschene Pfeife, ging zum Feuer, um einen neuen Span zu entzünden,
-spuckte dreimal hinter den Ofen und sagte dann passend:
-
-»He, was ich vorhab'? Wenn das so glatt rauszukriegen wäre, da säß ich
-doch nicht so lange hier und versäumte bei einem Mädel dummerweise
-meine Zeit!«
-
-Er setzte sich wieder an den Tisch.
-
-»Ja, Hanka, das Lied ist auf mich gemacht:
-
- »~Moja mač jo wúdowa,
- Ja som liderlich škrodawa.~«[39]
-
-Herr, meine Zeit, was habe ich als Junge alles angerichtet! Es ist
-schwer zu glauben. Da muß ich dir einen Witz erzählen, Hanka! Es waren
-einmal drei Jungen, die hatten einen Käse gefunden. Und weil sie nicht
-einig wurden, wem der Käse gehören sollte, so wollten sie wetten. Und
-sie machten es also aus: Wer von uns dreien die größte Lüge sagt, der
-kriegt den Käse! Sie logen nun die Sterne vom Himmel herunter, aber sie
-konnten nicht einig werden, wer den Käse bekommen sollte. Da kam der
-Herr Pastor gerade vorbei und fragte die Jungen aus, um was sie sich
-so händelten. Und da er alles angehört hatte, machte er die Stirn
-runzelig und sagte: ›Pfui, ihr Lügner! Als ich ein Junge war, wie ihr,
-hab' ich +nie+ gelogen!‹ Und richtig -- so ein frecher Schlingel gibt
-ihm den Käse und sagt: ›Sie haben gewonnen, Herr Pastor.‹ Ja, und diese
-Range war ich!«
-
-Hanka sah überrascht auf.
-
-»Ih, du bist ja ein kurioser Kauz gewesen, Kito!«
-
-Kito schüttelte melancholisch den Kopf.
-
-»Kauz hin -- Kauz her -- es ist doch aus! Jetzt -- jetzt lauert bloß
-die alte Wičaz, daß sie mir ihre Wanzen in den Sarg stecken kann.
-Aber ich werd' ihr was ... Hanka, ich schlag' mit allen vieren aus,
-daß der ganze Sarg umkippt, wenn die alte Schraube mit ihrer wanzigen
-Federspule angerückt kommt.«
-
-Hanka suchte ihn zu beruhigen.
-
-»Ach, Kito, du bist noch rüstig. Du machst es noch länger als die
-Wičaz.«
-
-Kito wehrte ab.
-
-»Nein, nein! Was nutzt alles! Die Frau habe ich mit heiligem Gras
-angeräuchert, weil ich das so gehört habe, aber genutzt hat es nichts.
-Siebzig Jahre laufe ich hier im Wendenland herum. Eigentliche Wunder
-habe ich wenig bemerkt. Den Vampyr habe ich manchmal gesehen -- jawohl,
-aber nur, wenn ich lange in der Schenke gesessen hatte. Da hatte ich am
-nächsten Morgen blasse Lippen. Da hatte er mir das Blut ausgesaugt. Und
-oft bin ich geprellt worden. Wenn man nachts um zwölf Uhr auf der Wiese
-kleine Flämmchen brennen sieht, da brennt Geld. So hat es mir meine
-Großmutter erzählt. Da braucht man dann bloß sein Erspartes zwischen
-die Flämmchen zu werfen und fortzugehen. Am anderen Morgen hebt man
-einen Schatz. Ja, ich hab' mein Vierteljahreslohn unter die Flämmchen
-geworfen, und am anderen Morgen war alles futsch -- der Schatz und der
-Lohn.«
-
-»So hast du den Ort vergessen«, warf Hanka ein.
-
-»Ort hin -- Ort her! Ich bin auf meine alten Tage ungläubig geworden.
-Seit das Gras bei unserer guten Frau nichts geholfen hat, denk ich mir
-das meine. Und siehst du, der ~domjacy~[40], der Juro, der glaubt auch
-nicht an solche Dinge und ist doch bald ein ~Pán doctor~.«
-
-»Schlimm genug, daß er nichts glaubt«, sagte Hanka.
-
-»Mädchen, der Juro ist der allergrößte Prachtkerl. Das war er schon als
-Kind. Da war ich doch sozusagen sein Erzieher. Offen und ehrlich ist
-er, ein bißchen Hitzkopf und Eigensinn, aber auch gutherzig. Und ein
-richtiger Kerl. Der könnte den Jan beim Johannisfest machen!«
-
-Hanka seufzte tief und schwer. Kito lachte plötzlich über sich selbst.
-
-»Das heißt, ich bin schon wirklich der allerdümmste Kerl auf Gottes
-weiter Welt. Red' ich nicht dahier gegen mein eigenes Maul?«
-
-Er schwieg. Dann brachte er stoßweise heraus:
-
-»Hanka, schenke mir einen Branntwein ein!«
-
-Das Mädchen war ganz verwundert über den Alten.
-
-»War es das, was du auf dem Herzen hattest?«
-
-»Nein, Hanka, nein! Der Branntwein ist bloß dazu, daß ich es leichter
-herauskriege, was ich zu sagen habe. Ich versitz' dahier sonst bloß
-unnütz meine Zeit.«
-
-Hanka schloß einen Wandschrank auf, goß ein Glas Branntwein ein, nippte
-der Sitte gemäß erst selbst davon und stellte es dann vor den Alten.
-
-»Ich sehe dich, Hanka«, sagte der und trank ihr zu.
-
-»Nun komm aber auf das, was du vorhast«, sagte das Mädchen.
-
-»Jawohl, jawohl! Es ist gar nicht so einfach, wie du wohl bemerkt hast.«
-
-Er zündete sich erst seine Pfeife wieder an und spuckte hinter den Ofen.
-
-»Also, Hanka, du kennst die Geschichte vom Elieser. Er war nur ein
-Knecht und hatte doch ein wichtiges Amt: er sollte für den Sohn
-seines Herrn die Braut werben. Als ich noch jung war, bin ich auch
-oft Brautwerber gewesen. Du kennst das ja. Im Oberlande heißt man's
-~družba~, im Niederlande ~pobratz~ (Brautwerber). Na, du kannst
-glauben, Hanka, es ist nicht so einfach, wenn man für einen anderen
-auf die Brautschau geht. Man kann nicht mit der Tür ins Haus fallen.
-Man muß erst über alles mögliche andere schwatzen, und dann muß man
-politisch und fein und sachte hintenrum mit seiner Absicht rausrücken.
-Und man geht immer so um die Abenddämmerung. Da fällt's nicht so auf,
-wenn man rausgeschmissen wird.«
-
-Hanka stand auf. Ganz erregt sagte sie:
-
-»Ich frag' dich jetzt, Kito, was soll das ganze Gerede bedeuten?«
-
-»Immer sachte, Jungfer, immer sachte, man kann doch nichts überstürzen.
-Neunmal bin ich Freiwerber und Zurater gewesen in meinem Leben;
-siebenmal haben sie mich rausgeschmissen, aber zweimal ist was aus der
-Sache geworden. Nun, man hat seine Erfahrungen!«
-
-»Kito, jetzt sprichst du endlich oder ich gehe hinaus!«
-
-Da stand Kito erschrocken auf, und sein Gesicht wurde plötzlich sehr
-ernst, und er faltete die Hände auf dem Tische. Er stockte noch eine
-Minute lang, dann sagte er mit bewegter Stimme:
-
-»Wie der Elieser um die Rebekka geworben hat, so werbe ich in Gottes
-Namen um dich, Jungfrau Hanka, für unseren Gutssohn Samo.«
-
-Hanka saß regungslos hinter dem Tisch. Sie schluckte ein paarmal, und
-ihr Gesicht war bleich.
-
-»Bist du -- bist du toll?« fragte sie stockend.
-
-»Es ist heiliger Gottesernst, Hanka«, entgegnete der Knecht.
-
-Er setzte sich die Brille auf, zog einen Brief aus der Tasche und las
-mit feierlicher Stimme:
-
- Breslau, am 20. November 1860.
-
- Mein lieber alter Freund Kito!
-
- Nach dem alten, schönen Brauche unseres lieben sorbischen
- Volkes bitte ich dich, daß du der Freiwerber für mich bist
- bei unserer ehrbaren Jungfrau Hanka. Wir sind von derselben
- Abstammung und gehören zueinander, nachdem mein Bruder Juro ein
- Deutscher geworden ist und auch ein deutsches Mädchen heiraten
- wird. Aber ich wähle auch die Hanka, weil ich sie von Herzen
- lieb habe, weil sie ein braves sorbisches Mädchen ist. Du
- sollst erst mit meinem Vater sprechen und dann für mich werben.
- Ich werde dir stets dankbar sein. Gott möge dir helfen!
-
- Samo.
-
-Dem Alten rannen die Tränen übers Gesicht, wie er so las. Ohne auf das
-fassungslose Mädchen zu achten, sprach er dann:
-
-»Ein braver Bursch! Ich bin bloß ein Knecht, aber er nennt mich ›mein
-alter Freund‹. Er hält sich an die alte Sitte. Das werden ihm alle
-Leute hoch anrechnen, wenn sie es hören werden.«
-
-Hanka stand auf.
-
-»Wo willst du hin, Hanka?«
-
-»Hinaus!«
-
-»Und gibst du mir keine Antwort?«
-
-Sie war schon draußen. Der alte Kito steckte seinen Brief ein. Betrübt
-senkte er den weißen Kopf.
-
-»Und ich glaubte, ich hätte es so lustig, so ausführlich und so gut
-gemacht!«
-
-
-
-
-Die Spinngesellschaft war abgesagt worden. Die Gutstochter Hanka war
-krank.
-
-Fünf Tage schon war das Mädchen allein in ihrer Stube. Eine Magd
-brachte ihr Essen, das fast immer unberührt zurückkam. Tee wollte die
-Kranke nicht trinken; alle Hilfsmittel verschmähte sie.
-
-Am sechsten Tage schlich sich die alte Wičaz bei Hanka ein. Das
-Mädchen wollte anfangs nichts von ihr wissen; aber schon nach einer
-Viertelstunde lagen die Wahrsagekarten ausgebreitet auf dem Tisch.
-Hanka sah mit großen Augen vom Bett her auf die Alte. Ihr Gesicht war
-in der kurzen Zeit blaß und schmal geworden.
-
-»~Wuše stupaš, dale widžiš~«, begann die Alte; »je höher du steigst, je
-weiter du siehst.«
-
-Dann machte sie eine lange Pause, bohrte die grauen Augen in die
-Kartenbilder, fuhr mit den gelben, knochigen Fingern darüber, zuckte
-mit den Lippen.
-
-Dann sprach sie:
-
-»Ich sehe zwei junge Adler und ein junges Adlerweibchen. Der eine
-Adler kommt an das Nest des Weibchens, kreischt es an und hackt es
-mit seinem scharfen Schnabel, daß es blutet. Dann fliegt er fort und
-paart sich mit einer Krähe. Und sie fliegen bis an den Lóbjofluß. Da
-werden sie erschossen und sinken ins Wasser. Der andere Adler gewinnt
-das Adlerweibchen, und sie bauen sich ein gutes Nest auf dem höchsten
-Baume und verjagen alle Krähen. ~Wuše stupaš, dale widžiš.~ Je höher du
-steigst, je weiter du siehst.«
-
-Hanka hörte der Alten staunend zu.
-
-»Woher weißt du das?«
-
-»Ich lese es in den Karten, und mehr kann ich nicht sagen.«
-
-Die Wičaz stand auf und ließ Hanka allein. -- --
-
-Am Nachmittag desselben Tages kam der alte Scholta zu Hanka.
-
-»Kannst du es nicht über dich bringen?« fragte er.
-
-Hanka schlug die Hände vors Gesicht.
-
-»Juro ist für uns verloren,« sagte der Alte traurig; »nicht bloß für
-dich, auch für mich, auch für uns alle. Was er will, kann ich nie
-zugeben.«
-
-Der Scholta stand am Fenster und schaute in den herbstlichen Großgarten.
-
-»Ich brauch' dich so notwendig hier wie das tägliche Brot«, sagte er
-nach einer Weile. »Das weißt du wohl, Hanka. Wo keine Frau im Hof, da
-ist der Böse im Hof. Ich müßte aber doch jetzt sagen: ›Fahr wieder
-heim, Hanka!‹ Doch ich schäme mich, ich schäme mich!«
-
-Er legte den Kopf an die Fensterscheiben. Das Mädchen begann bitterlich
-zu schluchzen. Der alte Hanzo fuhr fort:
-
-»Meine selige Frau hat es mit deinen Eltern ausgemacht, die Leute hier
-auf dem Hofe wissen es; ich mag dich nun so nicht heimgehen lassen.«
-
-Da richtete sich das Mädchen halb auf.
-
-»Ja, es wär' -- es wäre eine Schande für mich! Sagt mir, sagt mir das
-eine in Gottes Wahrheit: will mich Samo bloß aus Barmherzigkeit nehmen,
-weil mich Juro nicht mag?«
-
-Da leuchteten die Augen des Alten auf.
-
-»Nein, weil er dich gern hat, weil er dich lieb hat! Wer sollte dich
-auch nicht gern haben? Er hat es mir geschrieben, und er hat es mir
-schon gesagt, als er noch hier war.«
-
-Drei Minuten wohl lag das Mädchen mit geschlossenen Augen, dann sagte
-es leise:
-
-»Ich werde dankbar sein und den Samo nehmen.«
-
-Hanzo ergriff freudig ihre beiden Hände und küßte Hanka dreimal auf die
-Stirn.
-
-Dann stand er aufrecht und feierlich da, und er, der sonst scheu und
-schweigsam war, sprach:
-
-»Hanka, wenn du einen Sohn bekommst, wird er der Herr auf diesem
-Hofe und der Kral der Wenden sein! Wenn auch Juro darauf vergißt,
-wir anderen wollen es nicht vergessen, daß du in Wahrheit eine
-Königstochter bist, aus älterem Geschlecht als manche Prinzessin. Darum
-sollst du den Kopf hochtragen und nicht mehr weinen.«
-
-»~Nan!~«[41]
-
-Das eine Wort sagte das Mädchen und schlang die Arme um den Hals des
-Alten ...
-
-Hanzo stieg glücklich in den Hof hinab. Unten traf er seinen Altknecht
-Kito.
-
-Er drückte ihm die Hand und sagte:
-
-»Kito, sag den Leuten, nächsten Sonntag ist noch eine kleine Kirmes.
-Tanzen dürfen sie hier im Hof nicht, weil Trauerjahr ist, aber im
-Kretscham werde ich alles bezahlen.«
-
-Kito erschrak aufs heftigste und versuchte dann einen kleinen
-Freudensprung, der infolge seiner lahmen Hüfte mißriet.
-
-»Hat sie -- hat sie?«
-
-»Ja, sie wird ihn nehmen! Du kannst es Samo schreiben, denn er hat dich
-zum Brautwerber gemacht.«
-
-Kito ging freudetrunken über den Hof, wackelnd wie ein lahmer Enterich.
-Am Ziehbrunnen blieb er stehen.
-
-»Zehnmal bin ich jetzt ~družba~ gewesen; siebenmal haben sie mich
-rausgeschmissen, dreimal ist es geglückt. Schade, daß ich schon so alt
-bin; ich könnte noch viel Gutes stiften.«
-
-Zum Unglück kam die alte Wičaz daher. Kito, der sonst ihr erklärter
-Widersacher war, ging auf sie zu, erfaßte unversehens ihre rechte
-Hand, hob die Hand über ihren Kopf und drehte die Frau etliche Male
-blitzschnell um ihre Achse.
-
-»Was fällt dir denn ein, du verrückter Kerl?« fragte die Alte
-schnaufend.
-
-»Ach, ich wollte wieder mal mit einem jungen Mädchen ~serska reja~[42]
-tanzen und sehe eben, daß ich mich vergriffen habe.«
-
-Die Alte sah ihn neugierig forschend an und ging dann schimpfend davon.
-Kito aber begab sich nach dem Kretscham, der gleichzeitig das Kaufhaus
-des Dorfes war, trank erst drei Gläser Schnaps, kaufte dann Tinte,
-Feder und Papier und schrieb am selben Abend noch an Samo folgenden
-Bericht:
-
- Lieber Freund Samo!
-
- Ich habe es mir ehrenvoll entledigt. Drei Gläser ~palenc~ hatte
- ich getrunken, und eines hat die Hanka gegeben und selbst
- zugetrunken. Sie ist nicht übel. Über den alten Fritz und den
- Pastor mit dem Käse hat sie sehr gelacht. Die alte Wičaz hat
- mit mir ~serska reja~ tanzen müssen. Oh, die hat geflucht! Aber
- sie soll nur mit ihren Wanzen kommen! Ich fühle mich wieder
- ganz jung. Ich sterbe noch sehr lange nicht. Und sie wird schon
- wieder gesund werden. Denn solche Mädel haben solche Mucken,
- das war immer so. Die Spinnstube ist abbestellt. Aber auf den
- Sonntag ist eine kleine Kirmes. Wenn ich noch auf die Linde
- könnte, würde ich schon eine starke Predigt halten. Womit ich
- schließe als dein treuer Freund und Brautwerber
-
- Kito.
-
-
-
-
-Die Spinnstube Hankas war wieder eröffnet. Zwei Mädchen, denen die
-ehrbare ~pšaza~ Hankas zu »langweilig« war, hatten die Unterbrechung
-benutzt, sich einer lustigeren Spinngesellschaft anzuschließen. Für die
-eine kam die Reue gar bald und gar schmerzlich. Hanka war verändert.
-Ihre große Kindlichkeit war ausgelöscht, der wissende Ernst lag auf
-ihrer Stirn, eine leise Trauer, aber auch eine feste Entschlossenheit
-leuchtete aus ihren Augen. Sie war stiller geworden. Eine Herbheit war
-in ihrem Wesen, die oft in Stolz überging. Sie weinte nie mehr, auch
-nicht, wenn sie allein war. Mit Samo wechselte sie alle Wochen einen
-Brief. Er schrieb zärtlich, sie antwortete freundlich-kühl.
-
-Um sieben Uhr des Abends kamen die zehn Mädchen, die noch zu ihrer
-~pšaza~ gehörten, mit ihren Spinnrädern und Flachsrocken. Bald saßen
-alle Mädchen in einer Reihe im Halbkreis, und die Rädlein schnurrten
-und die Mäulchen schnurrten noch mehr. Erzählen, lachen, singen und
-dabei spinnen, spinnen!
-
-Ein schönes Bild. Rote, jugendfrische Gesichter, gesunde, kernige
-Gestalten, schmucke Gewandung. Bunt gestreifte, weite Röcke haben sie
-alle, pralle Sammetmieder, zierliche Brusttüchlein, manche hat einen
-besonders feinen Brustlatz aus Brokat. Große Tücher sind um die Köpfe
-gewunden mit weitausgreifenden Flügeln nach beiden Seiten. Wenn eine
-schöne Strümpfe ihr eigen nennt, so steckt sie bald den linken, bald
-den rechten Fuß unauffällig unter dem Kleid hervor.
-
-Ein lustiges Kienspanfeuer im Kamin liefert die Beleuchtung; außerdem
-brennen noch zwei Öllämpchen. Heimlich und traulich ist es in der
-Spinnstube, indes draußen der Sturm über die Heide pfeift oder der
-Regen an die kleinen Fenster klopft, leise wie mit Geisterfingerlein.
-
-Die Mädchen schwatzen von der Dorfchronik. Die Gromada[43] des
-Thomastages steht bevor. Da läuft das Amtsjahr des Gemeindedieners, des
-Dorfschmiedes und des Nachtwächters ab. Entblößten Hauptes müssen sie
-am 21. Dezember im Kretscham vor der Gromada erscheinen und um ihre
-Wiederanstellung bitten, sich auch fein höflich bedanken, wenn sie
-solche erhalten haben.
-
-Nun hat sich der Nachtwächter als ein Rebell erwiesen. Er hat zwar im
-Vorjahre bei der Gromada die Mütze abgenommen und etwas gebrummt, was
-man bei viel gutem Willen für eine Bitte um Wiederanstellung hätte
-halten können, aber er ist, nachdem ihn das Wohlwollen der Dorfväter
-auf ein neues Jahr bestätigt hatte, ohne Dank und Gruß davongestampft,
-ja er soll eine Äußerung getan haben, die mit Respekterzeigung in einem
-greulichen Gegensatz steht. Er ist ein roher Kerl, dieser Nachtwächter!
-
-»Diesmal wird er abgesetzt«, sagt ein Mädchen, die Tochter eines der
-~starsi~[44].
-
-»Hurra!« schreit da der alte Kito, der in der ›Ofenhölle‹ sitzt, »da
-werd' ich ein Spitzbube. Denn einen neuen Nachtwächter kriegen sie
-nicht, wo er bloß sechs Dreier auf die lange Nacht bekommt. Dafür
-möchte ja nicht mal mein Napolium wachen.«
-
-Er wies auf einen großen Hund, der neben ihm lag. »Napolium« gähnte und
-schüttelte sich, so daß alle Mädchen laut auflachten.
-
-»Sechs Dreier sind auch Geld«, sagte die Schöffentochter verärgert.
-»Überhaupt, mein Vater sagt, es ist eine ganz schlechte aufsässige
-Zeit. Unser Knecht hat sich Strümpfe gekauft! Strümpfe! Ein Knecht! Wo
-mein Vater in Fußlappen geht oder auf Stroh in den Stiefeln, kauft sich
-der Knecht auf dem Jahrmarkt ein Paar Strümpfe!«
-
-Kito nickte nach dem Feuer hin.
-
-»Ja, ja,« seufzte er, »der Untergang der Welt kann nicht mehr weit
-sein. Napolium, scharr dich nicht!«
-
-Die Mädchen waren des politischen Gesprächs schon wieder müde. Eine
-Liebesgeschichte machte tuschelnd die Runde, und es wurde viel heimlich
-gelacht und viel Spott getrieben. Ein Mädchen wurde durchgehechelt.
-
-»So eine Schlafliese hat Glück. Die stieß die ~Dřemotka~[45] schon
-immer um halb neun in den Nacken. Und kriegt einen solchen Burschen!«
-
-»Sie hat sich sogar abkonterfeien lassen.«
-
-Kaum war das Wort gefallen, so stimmte Kito ein Lied an. Mit meckriger
-Stimme sang er:
-
- »Wer hoch und angesehn will sein[46],
- Der muß sich lassen konterfein,
- Schön weiß und rot fürs liebe Geld,
- Wie's Mode ist,
- Wie's Mode, Mode ist,
- Wie's Mod' ist in der Welt!
- Kaum hatt' sie mir ihr Bild geschickt,
- Da wurd' ich ganz und gar verrückt,
- Um mein Genie ist's schlecht bestellt,
- Wie's Mode, Mode ist,
- Mode ist auf der Welt!«
-
-»O du Hund! Kaum fang' ich an zu singen, so beißt mich dieser Lump von
-Napolium in die Waden.«
-
-»Ach, Kito, du hast doch gar keine Waden mehr«, lachte ein Mädchen.
-
-»Soll ich sie zeigen?«
-
-Kito machte Miene, einen Stiefel auszuziehen.
-
-»Pst, keinen Unfug!« wehrte Hanka ab. Kito seufzte.
-
-»Napolium, Napolium, heutzutage sind die Jungen frumber als die Alten.
-O jerum!«
-
-Auch die Mädchen seufzten verstohlen. Eine wendische Spinnstube nach
-ihrem Geschmack war das nicht. Da mußte es schon anders hergehen. Nun
-ja, zweimal waren die Burschen zu Besuch dagewesen und hatten auch
-Branntwein mitgebracht, aber tanzen durfte man hier nicht, und sonst
-war auch nicht viel Spaß erlaubt. Am ersten Spinnabend hatte es einen
-feinen Gänsebraten gegeben, das ist wahr! Und alle Abend um dreiviertel
-neun Uhr gab es Kaffee. Das konnten sich nur so reiche Leute leisten.
-Und die schönsten Lieder gab es hier. Ganz neue Lieder hatte das fremde
-Mädchen mitgebracht. Auch heute versprach Hanka, zwei neue Lieder zu
-singen. Es waren aber diese:
-
-
- +Die entlaufene Mutter.+[47]
-
- Kathinka aus Gurich lief davon
- Dem Ehemann, dem Saufpatron.
- Sie lief bis Malschwitz in toller Hast,
- Dort macht sie müde am Hügel Rast.
- Mit trübe geweinten Äugelein
- Sah sie in Gottes Sonne hinein.
- »O Hanzo, Hanzo, mein lieber Sohn,
- Hast du wohl jetzt dein Frühstück schon?«
- »O Maja, Maja, du Blümlein rot,
- Wer kocht dir heute dein Mittagbrot?«
- »Und du, mein Merten, du Kleinster, mein,
- Wer singt dich heut in den Schlummer ein?«
- Da weinte sie laut, da stand sie auf
- Und nahm gen Gurich den raschen Lauf:
- »Und schlüg er mir auch das Leben heraus,
- Ich kehre um und gehe nach Haus!«
-
-Und das andere Lied war dieses:
-
-
- +Die Leichtsinnige.+[48]
-
- Und als der junge Bursche erfuhr,
- Daß andere liebet sein Schätzelein,
- Zog aus der Scheide er sein Schwert
- Und bohrt sich's tief ins Herz hinein.
- Zur Kirche ging das Mägdelein
- Und sprang dann in das Feld hinaus,
- Da lag ihr Liebster hinterm Busch
- Und ruht' von Leid und Untreu aus.
- Das Mädchen weinte, und ihm war bang
- -- Fast eine ganze Woche lang.
-
-Die Lieder wurden gelobt, der Text wurde gelernt, die Weise eingeübt;
-noch am selben Abend wurden die beiden Lieder gemeinsam gesungen.
-
-Dann wurde Kito aufgefordert, Scherze zu erzählen.
-
-Er wollte vom Alten Fritz und dem Prediger anfangen, aber alle wehrten
-ab. Das sei eine ganz alte Geschichte. Auch der Pastor mit dem Käse
-wurde abgelehnt sowie die Erzählung, wie Kito von der Linde predigte.
-
-Schließlich sagte er: »Ein Deutscher sagte einmal zu einem Wenden im
-Kretscham: ›Aus vier Wenden[49] baut man einen Schweinestall‹.«
-
-»Ja, und er sperrt ein deutsches Schwein hinein!« riefen die Mädchen
-alle zusammen.
-
-»Oh, Kito, bei deinen Geschichten hat Adam zu Paten gestanden!«
-
-Kito schüttelte den grauen Kopf.
-
-»Die Welt ist neuerungssüchtig und verderbt. Der Knecht kauft sich
-Strümpfe, und wendische Mädel woll'n neue Geschichten!«
-
-Er fing nun an zu singen:
-
- »Nach Jenkwiz gehn wir nicht zum Biere,
- Dort kriegten die Burschen von den Mädeln Schmiere«;
-
-aber auch dieses schöne Lied fand keinen Beifall, weil es alt und
-abgeleiert sei.
-
-Selbst einer seiner schönsten Späße wurde mäßig gelobt, daß er nämlich
-einer Herde von Weibern, die neugierig durch ein Gasthausfenster dem
-Tanze zusahen und dichtgedrängt standen, heimlich die bauschigen Röcke
-aneinandergenäht hatte und daß sie am Ende nicht auseinander konnten,
-was viel Geschrei und Spektakel ergab.
-
-»Wer weiß eine Gespenstergeschichte?«
-
-Das war etwas. Die Mädchen rückten näher zusammen. Und eine sprach halb
-im Flüsterton:
-
-»Bei Leipa drunten in der Mühle hat es gespukt. Alle Nächte sind eine
-greuliche Menge Katzen gekommen und haben um Mitternacht einen großen
-Spektakel gemacht. Alle Leute aus der Mühle sind ausgezogen. Da ist
-einmal ein Scharfrichter durch Leipa gekommen, der hat von der Mühle
-gehört. Und er ist hineingegangen, hat sich in der großen Stube an den
-Tisch gesetzt, zwei Lichter vor sich gestellt und sein Richtbeil vor
-sich gelegt und um den ganzen Tisch mit Kreide einen Kreis gezogen. Und
-so hat er gewartet. Dann haben draußen alle Wächter zwölf gepfiffen,
-und da ist es losgegangen. Das hat gerasselt und gepoltert und
-gefaucht, und an die hundert böse Katzen sind hereingekommen und haben
-sich alle auf den Scharfrichter stürzen wollen. Aber keine einzige hat
-sich über den Kreis getraut. Geh du rüber! Geh du rüber! haben sie
-zueinander gesagt. Aber keine hat sich's getraut. Bloß eine große,
-gelbe Katze hat die Pfote in den Kreis hineingestreckt. Da hat schnell
-der Scharfrichter sein Beil genommen und sie blutig gehackt. Da sind
-alle Katzen winselnd fortgelaufen. Und am andern Tag hat die Frau des
-Amtmanns von Leipa eine verbundene Hand gehabt und hat gesagt, sie
-hätte sich aus Versehen mit einem Messer einen Finger abgeschnitten.
-Aber die Leute haben jetzt gewußt, daß sie eine Hexe war!«
-
-»Da werd' ich auch etwas von einer Hexe erzählen«, sagte eine andere.
-»Die hat in einem Dorfe gewohnt, und abends hat sich immer ihr Geist
-auf den Feldern und in den Gassen herumgetrieben, während ihr Leib im
-Bette lag, und der Geist hat die Leute geängstigt. Da ist einmal der
-Schulmeister von Saßleben dem Gespenst begegnet und hat es mit einem
-Stock jämmerlich durchgeprügelt. Am andern Morgen hat eine Bauersfrau
-nicht aufstehen können, weil sie ganz grün und blau geprügelt war. Und
-das war die Hexe.«
-
-Kito seufzte in seiner Ofenhölle.
-
-»Ja, ich bin auch einmal so eine Hexe gewesen.«
-
-»Du, eine Hexe? Das ist nicht möglich!«
-
-»Doch! Und es war auch so ein Abenteuer mit einem Schulmeister. Ich
-ging damals noch in die Schule und saß auf der Schulbank. Das heißt, es
-sah nur so aus, als ob ich dort säße. In Wirklichkeit spukte ich. Denn
-der Mensch besteht aus Leib und Geist. Und mein Geist, der war nicht
-mit in der Schule, der war im Walde und fing mit Sprenkeln Rotkehlchen.
-Da fing plötzlich der Schulmeister an zuzuhauen. Aber er hieb nicht auf
-den Geist ein, sondern der Leib bekam die Hiebe persönlich. Grün und
-blau war er aber auch.«
-
-Kito wird ein alter Narr genannt und ausgescholten. Teufelsgeschichten
-kommen an die Reihe: wie der Teufel Asche in Gold verwandelte, wie er
-als dreibeiniger Hase herumhüpfte, wie er mit zwei schwarzen Ochsen die
-Spree pflügte und die Ochsen immer so ungebärdig hin und her sprangen,
-daß die Spree ganz krumm geworden ist.
-
-Und mit scheuen Augen erzählt eine von dem Mädchen, das im Rautenkranz
-zur Kirche ging und mit Rosen geschmückt auf einem Stuhl vor dem Altar
-saß. Da kam plötzlich ein Kind vom Altar her, setzte sich dem Mädchen
-auf den Schoß und sagte: »Ich will bei meiner Mutter sein!« Da gestand
-die erbleichende Braut, daß sie heimlich ein Kind geboren und getötet
-habe. Und das Kind nahm die Seele ihrer Mutter mit. Die Braut fiel tot
-vom Stuhl, der Rosenkranz aber flog auf den Kirchhof hinaus. Dort wuchs
-ein großer Rosenbusch, der noch heute zu sehen ist. Und das ist in
-Gahlen geschehen vor zweihundert Jahren.
-
-Lauter schaurige Geschichten erzählen die Mädchen, indes der Wind an
-die Scheiben poltert und das Feuer im Herde knistert.
-
-Wißt ihr die Geschichte von dem Schatz im Totenkopf? Wißt ihr, wie der
-Tod in Luckau den Dreißigjährigen Krieg vorhergesagt hat?
-
-Wer weiß die Geschichte von dem Riesen, der ein dreieckiges Gesicht
-hatte? Er hat viel Übles getan. Die kleinen Ludki haben ihn im Schlaf
-erschlagen. Und er wurde begraben, aber er spukte in jeder Nacht, und
-alle Leute fürchteten sich sehr. Da haben die Leute die Leiche des
-Riesen ausgegraben, ihr einen Nagel in den Kopf und einen Pfahl durchs
-Herz getrieben, und dann hatten sie Ruhe.
-
-Von brennendem Feld wird erzählt, von weißen Männchen, von dem
-unglücklichen Mädchen, das der Nix in sein Wasserschloß holte, von der
-Mittagsgöttin, die allen denen mit der Sichel den Kopf abschneidet, die
-sie zur Mittagszeit im Felde trifft und die ihre vielen Fragen nicht
-beantworten können, von unverwundbaren Wölfen, gespenstigen Kälbern.
-
-»Heda! Kito, der Swinigel, sucht dem Hunde Flöhe ab!« Die Mädchen
-kreischten, sprangen auf, traten zurück.
-
-»Was schreit ihr?« sagte Kito gemütlich. »Eure Geschichten sind so
-blutig, daß ich mir dazu eine blutige Arbeit gesucht habe.«
-
-Die Mädchen schimpften alle auf ihn ein. Er sei ein unerhörter
-Swinigel. »Pfui, pfui!«
-
-»Tut nur nicht so,« verteidigte sich der Alte; »ich werfe sie alle
-ins Feuer, und wenn ja einer der Schwarzen zu einer von euch springt,
-die kann ihn morgen wiederbringen, wenn sie ihn unter den eigenen
-herauskennt.«
-
-Ei, wie gingen die Mäulchen! Hanka tat einen Schiedsspruch; Kito mußte
-das Liebeswerk an seinem »Napolium« einstellen, und bald schnurrten die
-Rädchen wieder und ging das Erzählen.
-
-Da knurrte der Hund, und von draußen kam ein feines Läuten.
-
-»Hört, hört, was ist das? Hört ihr es läuten?«
-
-»~Bože džječo! Bože džječo!~«[50] rief da ein Mädchen, und alle Rädlein
-standen still, und über alle jungen Gesichter ging der helle Schein der
-Freude.
-
-»~Bože džječo!~ Still, still! Fleißig, fleißig, daß wir es nicht
-verscheuchen!«
-
-Und die Rädlein schnurrten wie nie zuvor, und die Mäulchen standen ganz
-still.
-
-Da wurde die Tür geöffnet, liebliches Schellengeläut ertönte im
-Hausflur, und eine feine Stimme fragte:
-
-»Sind fleißige, gute Mädchen in der Spinnstube?«
-
-»Nein!« schrie Kito von der Ofenhölle aus, und sein »Napolium« bellte.
-
-»Ja, ja, ja!« riefen die Mädchen, »gute, fleißige Mädchen!«
-
-Da kam das Gotteskind in die Stube. Es war ganz weiß gekleidet, das
-Gesicht verschleiert, auf dem Kopf trug es eine Krone aus Goldpapier.
-In der einen Hand hatte es die Schelle, in der anderen eine Rute. Es
-war von einem Weihnachtsmann begleitet, der einen großen Korb in der
-Hand und einen Sack auf dem Rücken trug und sich ganz greulich vermummt
-hatte. Das Hofgesinde drängte in die Stube, auch der Hausherr Hanzo
-erschien. Hanka machte erstaunte Augen; sie hatte von der Veranstaltung
-nichts gewußt.
-
-»Hausvater,« fragte das Gotteskind, »sind das fleißige, brave
-Spinnmädchen?«
-
-Der Hausvater bejahte es.
-
-Da ging das Gotteskind von einem Spinnrad zum andern, prüfte das Garn,
-lobte die, die wenig, und tadelte die, die noch zuviel Flachs am Rocken
-hatten.
-
-Dann sprach es: »Singt die Kantorka mit euch gute Lieder?«
-
-Die Mädchen standen auf, Hanka stimmte an, und alle sangen:
-
- Heil'ge Maria am Rocken spann[51]
- Den Flachs gar wunderfein,
- Heil'ge Maria saß und sann
- Und nähte ein Hemdelein.
-
- Da kamen herein zur Kammertür
- Zwei liebliche Engelein:
- »Maria, wir wollen spielen mit dir,
- Wir sind so jung und klein!«
-
- »Ich kann nicht singen und spielen mit euch,
- Die Stund' nicht ferne ist,
- Braucht Hemdchen und Windeln und Linnenzeug
- Mein Söhnlein Jesus Christ!«
-
-Die Mädchen standen mit gefalteten Händen hinter ihren Spinnrädern und
-sangen das Lied andächtig und schön. Das Kaminfeuer warf einen roten
-Schein über sie und über das »Gotteskind« in seinem feierlichen, weißen
-Kleid.
-
-Nun packte der Weihnachtsmann mit großem Gepolter seine Gaben aus und
-fuhr mit einem alten Besen derb unter dem Mannsvolk herum, wodurch er
-den Zorn des Hundes »Napolium« erweckte, der beständig nach seinen
-Waden schnappte, was viel Hallo gab. Es gab für eine »Vorbescherung«
-ganz unerhört kostbare Dinge; denn die eigentliche Bescherung kam
-erst am Heiligabend. Die Spinnmädchen bekamen alle kleine silberne
-Anhängsel: ein Herzchen, ein Kreuzchen, einen Stern, die Knechte und
-Mägde wurden reichlich mit Kleidungsstücken bedacht, Kito erhielt
-eine silberbeschlagene Tabakspfeife, der Hausvater bekam die schön
-ausgeführten Wappen der Ober- und Niederlausitz, beide unter einem
-geschnitzten Lindenkranz vereinigt. Von wem ging diese Bescherung aus?
-Die Antwort ergab sich bald.
-
-Zur Tür herein kam Samo. Er war am späten Nachmittag heimlich
-angekommen.
-
-»Darf ich auch bei der Bescherung sein?« fragte er, nachdem er gegrüßt
-hatte. Hanka wurde blaß und hielt sich an dem Spinnrocken fest.
-Errötend gab sie Samo die Hand.
-
-Plötzlich aber stieß sie einen lauten Freudenschrei aus. Ihre Eltern
-waren in die Stube getreten. Das Mädchen hing an ihrem Halse und lachte
-und weinte vor Freude.
-
-Da stand Kito auf und gebot mit lauter Stimme Ruhe. Er nahm Hanka an
-der Hand und sagte:
-
-»Setz dich auf deinen Platz! Es muß Ordnung sein!«
-
-Und dann stellte er sich mitten in die Stube und sprach:
-
-»Ihr kennt alle die Bibel. Als Abraham für seinen Sohn Isaak ein Weib
-haben wollte, schickte er seinen Knecht Elieser aus, ein solches zu
-suchen; denn er dachte wahrscheinlich, daß Elieser das besser verstände
-als er und Isaak. Elieser war nur ein Knecht, aber er hatte doch
-dieses wichtige Amt bekommen. Er war ein ~družba~. Hier seht ihr auch
-einen ~družba~ stehen. Zehnmal bin ich schon Zurater und Brautwerber
-gewesen; siebenmal haben sie mich -- aber davon will ich nicht reden.
-Kurz und gut, dreimal ist es geglückt. Und dazu gehört dieses Mal.
-Ihr dürft nicht glauben, daß es nur der ~palenc~ war, der meine Zunge
-so geschmeidig und siegreich gemacht hat; denn ich habe schon von der
-Linde gepredigt. Kurz und bündig: durch Gottes Gnade und meine Hilfe
-ist es geglückt, von unserer ehrbaren Jungfrau Hanka für unseren
-ehrbaren Junggesellen und Gutssohn Samo das ›Jawort‹ zu bekommen.«
-
-Ein Ruf allgemeiner Überraschung ging durch die Stube. Die Spinnmädchen
-umdrängten Hanka, und es wurde ein solcher Lärm, daß Kito sich nur
-durch die Anwendung von Grobheit wieder Ruhe schaffen konnte.
-
-»Und so will ich nun die achtbaren Eltern unserer Jungfrau Hanka bitten
-und fragen, ob sie in Gottes Namen ihre Einwilligung zu der Verbindung
-geben wollen.«
-
-Die Frage wurde bejaht.
-
-»Und so frage ich unseren achtbaren Hausvater, ob auch er in Gottes
-Namen seine Einwilligung geben will.«
-
-»Ja!« sagte Hanzo.
-
-»So frage ich nun, ob diese Zeugen hier genügen, oder ob ich noch
-andere Zeugen holen soll.«
-
-»Sie genügen.«
-
-»Nun, so bitte ich für meinen Freund Samo alle, die er beleidigt hat,
-um Verzeihung. Jetzt aber tretet ihr zwei hierher!«
-
-Samo und Hanka traten in die Mitte der Stube, der Brautwerber legte
-ihre Hände ineinander und sprach die vorgeschriebenen Worte:
-
-»Ich verlobe euch öffentlich vor diesen Zeugen in Gottes Namen. Es sei
-mit euch beiden der Gott unserer Väter und segne euch mit den Gütern,
-mit denen er unsere Väter gesegnet hat. Amen!«
-
-Darauf sangen alle Anwesenden das Lied:
-
- »Lob, Ehr' und Preis sei Gott, dem Vater und dem Sohne
- Und auch dem heil'gen Geist im hohen Himmelsdome.«
-
-Als das Lied zu Ende war, trat das weiße »Gotteskind« vor Hanka, gab
-ihr einen goldenen Ring und sprach dazu:
-
- »Aus der Erd' stammt das Gold,
- Vom Himmel die Treu,
- Dein goldenes Ringlein
- Breche nimmer entzwei!«
-
-Samo küßte Hanka auf die leise bebenden Lippen. Die zwei waren nach
-wendischem Brauch verlobt. --
-
-Nun brach die Tollheit des lebenslustigen Wendenvolkes sich Bahn. Boten
-eilten in die anderen Spinnstuben des Dorfes, und nicht lange, so
-wimmelte es von Burschen und Mädchen. Die fremden Burschen drangen in
-die Stube; einer hatte ein langes Messer in der Hand, damit »erstach«
-er den Rocken Hankas. Und nun nahmen die anderen Burschen den Mädchen
-die Rocken weg, und aller Flachs, der noch dran war, wanderte ins
-Feuer.
-
-Ein Ungetüm sauste in die Stube. Es sollte einen Schimmel darstellen
-und hatte einen Kopf aus Stroh. Es wurde weidlich durchgeprügelt und
-machte wilde Sprünge und Purzelbäume.
-
-Ein paar wollten anfangen zu tanzen. Da aber trat Kito, der
-Brautwerber, wieder auf, und nachdem er sich mühsam Ruhe verschafft
-hatte, rief er:
-
-»Hochgeachtete Gäste!«
-
-Er wurde unterbrochen; denn sein Hund »Napolium« hatte sich mit dem
-Schimmel verbissen, und es gab ein tolles Gelächter.
-
-»Laßt sie, laßt sie! Es ist wie im Zirkus!«
-
-Nachdem der Kampf der Bestien vorüber war, rief Kito abermals:
-
-»Hochgeachtete Gäste! Dieweilen dies hier ein Trauerhaus ist, seid
-ihr gebeten, in den Kretscham zu gehen und euch dort zu Ehren des
-Brautpaares etwas zu erfreuen.«
-
-Da zog das Völklein jauchzend ab, und das helle Lachen und Singen klang
-vom Kretscham her die ganze Nacht, bis der Tag graute.
-
-Hanka saß indes aufrecht in ihrem Bett. Sie allein lachte nicht.
-
-
-
-
-Auch Juro kam zu den Weihnachtsferien nach Hause. Er traf zwei Tage
-später ein als Samo. Als er bald nach seiner Ankunft dem Bruder
-begegnete, sagte er:
-
-»Warum hast du mir von deiner Abreise aus Breslau nichts gesagt?
-Konnten wir nicht zusammen reisen?«
-
-»Von uns zweien findet jeder den Weg für sich«, antwortete Samo
-unliebenswürdig.
-
-»Jawohl, das weiß ich!« sagte Juro und wollte sich abwenden. Aber Samo
-sprach ihn noch einmal an.
-
-»Ich will dir etwas sagen, ehe du es von anderen Leuten hörst: ich habe
-mich vorgestern mit Hanka verlobt.«
-
-»Was?«
-
-Juro starrte ihn an.
-
-»Ich habe das Mädchen lieb,« fuhr Samo fort, »und es muß die Tradition
-in unserer Familie gewahrt werden. Im übrigen bin ich dir ja wohl
-weitere Rechenschaft nicht schuldig.«
-
-»Du -- du bist wohl verrückt?«
-
-»Nein, im Gegenteil, recht vernünftig! Ich weiß, was ich will!«
-
-Da faßte Juro sein Zorn.
-
-»Samo -- Mensch -- ist das wirklich wahr? Hast du dich wirklich mit dem
-unerfahrenen Mädchen verlobt?«
-
-»Wie ich dir sagte ...«
-
-»Und -- und du schämst dich nicht -- eine so gemeine Komödie ...«
-
-»Hüte dich, du deutscher Lümmel!«
-
-Juro ballte die Faust.
-
-»Noch so ein Wort, und ich schlag' dich nieder, du -- du Erbschleicher!«
-
-Samo lachte ihm höhnisch ins Gesicht.
-
-»Schlag' nur zu! Es ist die deutsche Art, etwas zu beweisen, was nicht
-zu beweisen ist. Aber es nützt dir gar nichts! Deine Rolle ist hier
-verspielt!«
-
-Er ging aus dem Zimmer und warf die Tür zu.
-
-Juro suchte in höchster Erregung seinen Vater auf.
-
-»Vater, ist das wahr, das von Samo und Hanka ...?«
-
-»Sie sind seit vorgestern verlobt!«
-
-Juro wurde bleich.
-
-»Und du hast das zugegeben?« fragte er fassungslos.
-
-»Ja, ich habe es sogar gewünscht. Ich will nicht, daß ein so braves
-Mädchen wie Hanka verachtet wird, ich will mich vor ihren Eltern und
-allen Leuten nicht lächerlich machen.«
-
-»Und das Mädchen?«
-
-»Es hat eingewilligt.«
-
-»Aber siehst du denn nicht ein, Vater, was Hanka für großes Unrecht
-geschieht, daß Samo sie nur nimmt, weil es in seine Berechnungen
-paßt, daß es eine Schmach für das Mädchen ist, so -- so -- als
-Spekulationsobjekt behandelt zu werden?«
-
-»Wieso Spekulation?«
-
-»Es liegt doch auf der Hand, daß Samo, der im Grunde genommen immer
-alles Bäuerische mißachtet hat, weil seine Gedankenflüge zu hoch
-gingen, jetzt durch seine wendische Heirat nichts anderes will, als
-sich hier auf dem Gut als künftigen Herrn festsetzen.«
-
-Das Gesicht des Vaters wurde noch ernster, als es schon war.
-
-»Das Gut bekommt er sowieso -- mein Testament ist gemacht.«
-
-»Dein -- Testament -- -- für Samo? Und -- und mit -- mit welchem Recht
-schließest du mich aus?«
-
-»Ich schließe dich nicht aus. Was dir zukommt, wirst du bekommen in
-barem Geld.«
-
-Juro schlug ein bitteres Gelächter an.
-
-»Bares Geld? Und das Heimatsrecht?«
-
-»Du hast dich selbst von deiner Heimat losgesagt.«
-
-»Das ist nicht wahr!«
-
-»Sprichst du so mit deinem Vater?«
-
-»Ja, auch mit dir! Es ist nicht wahr, es ist beim allwissenden Gott
-nicht wahr, daß ich mich von meiner Heimat losgesagt habe.«
-
-»Du willst von den Wenden nichts wissen, Juro; ich habe es selbst
-gehört!«
-
-»Ja, ja, ich will von ihnen wissen; ich will ihnen ja mein ganzes
-Leben, meine ganze Arbeit, meine ganze Fürsorge weihen, ich will ja
-nichts anderes erstreben, als ihnen zu helfen, sie geistig zu heben,
-ihre Lage zu verbessern, sie vorwärtszubringen in der Welt.«
-
-»Dadurch, daß du sie deutsch machst«, sagte der Vater finster.
-
-»Jawohl, dadurch! Vater, ich beschwöre dich, ich bitte dich, sieh es
-doch ein, gib es doch zu, daß das das Beste, das Richtige ist! Unsere
-geringe Anzahl, kaum hundertfünfzigtausend Seelen, sie kann sich doch
-nicht halten, sie kann doch ihr Volkstum nicht behaupten in unserer
-jetzigen Zeit; wir können doch mit dem Festhalten an alten, längst
-überlebten Bräuchen, mit dem Verharren in albernem Aberglauben ...«
-
-»Schweig!« schrie ihn der Vater an; »hier steht der Kral der Wenden,
-die du beschimpfst.«
-
-Juro fuhr sich ein paarmal über die Stirn. Dann sagte er erschöpft:
-
-»Der Kral der Wenden bist du; es kann niemand beweisen, daß du es nicht
-bist! Aber das Königtum ist uns genommen; der wendische König, der
-heute regiert, heißt Wilhelm von Hohenzollern und wohnt in Berlin.«
-
-»Das weiß ich«, sagte der Alte ernst. »Und ich bin sein treuer
-Untertan. Ich tue meine Pflicht. Ich bin kein Hochverräter. Aber Gott
-führt die Schicksale der Menschen, und ich brauche die Würde, die er
-mir gab, im Herzen nicht aufzugeben und die Leute, die zu mir halten,
-mir nicht abtrünnig machen zu lassen von meinem eigenen Sohne, solange
-unsere alte Krone noch ruht im heiligen Hügel.«
-
-»Ich glaube nicht daran, daß in dem Hügel eine Krone liegt; es ist eine
-Sage wie alle. Ich kann nicht an sowas glauben.«
-
-»Und du wagst es, zu sagen, daß du dich nicht von deiner Heimat
-losgesagt hast?«
-
-»Nicht von der Heimat, nicht von dir, nicht von allen Wenden. Nur von
-dem, was ihnen schadet, was sie tiefhält, was nicht wahr ist! Und das
-sage ich dir, Vater, Samo glaubt an alle diese Dinge so wenig wie ich.
-Aber er heuchelt und hat den Vorteil, und ich sage die Wahrheit und
-verliere dich und verliere alles.«
-
-»Samo lügt nicht. Samo beachtet unsere Gebräuche bis ins kleinste. Für
-dich aber ist alles, was uns heilig ist, Aberglaube und Dummheit. Und
-deshalb ist Samo an deine Stelle getreten. Mit Fug und Recht, Juro; ich
-habe es in vielen schlaflosen Nächten mit mir abgemacht.«
-
-»Und meine Erbfolgeschaft als künftiger Kral?«
-
-»Die vor allen Dingen wirst du an Samo abtreten.«
-
-Da kam der Zorn wieder über Juro, und er richtete sich auf und sagte:
-
-»Das werde ich +nicht+! Dein Gut kannst du vermachen, wem du willst, es
-ist dein Eigentum, und die preußischen Gesetze werden dafür sorgen,
-daß dein wendisches Testament bis ins kleinste erfüllt wird. Aber das
-Recht der Erstgeburt, das kannst du mir nicht nehmen und kein Gericht,
-das behalte ich! Das behalte ich!«
-
-»Du, der nicht an das Königtum glaubt?«
-
-»Ja, ich! Ich bleibe doch der künftige Kral. Ich werde den Einfluß, den
-ich dadurch habe, nicht aufgeben. Denn ich will der Kral sein, der sein
-Volk aus der Gefangenschaft finsterer Vorurteile herausführt, und dazu
-brauche ich Ansehen, sei es auch eingebildetes Ansehen. Niemand anders
-als der Kral selbst kann den Leuten zeigen, daß es keinen Kral gibt!«
-
-»Du Verräter!«
-
-»Vater, ich bin noch weniger ein Verräter an den Wenden als du ein
-Hochverräter am König von Preußen bist, dem du Treue geschworen hast.«
-
-Einige Augenblicke standen sich Vater und Sohn noch gegenüber, Kälte im
-Blick, Kälte im Herzen; dann sagte Hanzo:
-
-»Wir sind fertig miteinander!«
-
-Und er ging hinaus.
-
-Juro war allein. Ein paarmal ging er ratlos hin und her mit unsicheren
-Schritten, dann sank er auf einen Stuhl und weinte vor Zorn und vor
-Schmerz.
-
-Aber es gibt keinen stärkeren Trost in den Bitternissen des Lebens
-als die Erkenntnis, daß einem Unrecht geschehen ist. So erhob sich
-Juro nach kurzer Zeit, und seine Gestalt straffte sich wieder zu ihrer
-schlanken Schönheit.
-
-Er stieg hinauf in seine Kammer und holte Mantel, Stab und Hut.
-
-Und er zog fort aus seinem Vaterhause.
-
-Es war ein trüber Abend angebrochen. Juro ging langsam das Dorf hinab.
-Die spitzen Giebel der Häuser schauten ernst auf seinen Weg. Hin und
-wieder begegnete ihm ein Bursch, der seine Mütze zog. Starke, gutmütige
-Menschen. Aber die Sonne einer höheren Erkenntnis scheint nicht in
-ihre Heimat, ihre Gedanken irren nur immer um ihre schmalen Felder,
-und ihre Wünsche gehen nicht weiter als bis in eine Mädchenkammer oder
-an einen Wirtshaustisch. Und die Hütten der Kleinen! Wie armselig
-liegen sie unter ihren Strohdächern. Der kümmerliche Rauch, der aus
-dem windschiefen Schornstein steigt, stammt vielleicht von einem
-Bündel Holz, das der Mann aus dem Walde des Reichen zur Nachtzeit mit
-pochendem Herzen holte, damit die Kinder nicht zu frieren brauchten in
-dieser strengen Zeit, damit die Hände nicht steif würden, die spinnen
-und weben mußten. Und viele der Kinder, die jetzt auf der Gasse noch
-vom Christkind plauderten, hatten am Weihnachtsabend auch nicht die
-kleinste Gabe und starrten ins Dunkle und fragten sich, warum der holde
-Himmelsgast denn nicht zu ihnen komme, ihnen auch nicht ein einziges
-buntes Lichtlein schicke. O ihr Träumer, wacht auf! Draußen ist eine
-reichere Tafel für euch und eure Kinder gedeckt, draußen ist eine
-weitere, lichtere Heimat! Und hat sie auch noch tausend Mängel, dort
-steht doch die Freiheit vor der Tür, dort gibt es hundert Ansätze zum
-Sprung auf die Staffel der Menschenwürdigkeit. Wacht auf, ihr Träumer,
-seid wie die anderen, fordert wie die anderen euer Menschenrecht,
-werdet im Anschluß an die anderen glücklich! Dann aber müßt ihr heraus
-aus der Enge; denn eure wendischen Stammelrufe hört niemand, versteht
-und beachtet niemand in der Welt. Von Branntwein und Hexengeschichten
-könnt ihr nicht leben, und der Sand der Heide macht euch nicht
-satt! -- --
-
-Das letzte Haus war vorbei, der holperige Feldweg führte hinaus ins
-Dunkle. Da kam wieder ein Schwanken in Juros Gang, da klangen ein paar
-Stimmen in seinem Ohr, die ihm einmal lieb waren, da gingen ein paar
-Heimatsmelodien traurig durch sein Herz.
-
-Aber er zog den Hut fester auf den Kopf, stampfte mit dem Stock stark
-auf die gefrorene Erde und schritt rasch vorwärts.
-
-
-
-
-Zuerst hatte Juro mit Elisabeth gesprochen. Sie hatte ihm in ihren
-letzten Briefen immer wieder die eine Frage vorgelegt: ob er nicht zu
-stürmisch, zu ungeduldig zu Werke gehe, ob es notwendig sei, immer
-seine herausfordernde Meinung so laut zu sagen, oder ob nicht klugem
-Abwarten eine bessere Aussicht auf Erfolg beschieden sei.
-
-Nun, da der Bruch geschehen war, sagte sie von allen diesen Dingen kein
-Wort. Sie sagte nur, daß sie treu zu ihm halte und hoffe, daß sich
-Juro mit seinem Vater werde aussöhnen können, damit er unter diesem
-Zwiespalt nicht leide. Und sie sagte das, was der Mann in schweren
-Kämpfen vom Weibe hören muß: »Ich glaube an dich; deine Sache ist
-gerecht!«
-
-Der alte joviale Herr von Withold nahm die Sache nicht sehr ernst. Mit
-Juro und seinen beiden Kindern Heinrich und Elisabeth saß er an dem
-runden Tisch der mit alter solider Biederkeit traulich ausgestatteten
-Wohnstube seines Herrenhauses, tat einen tiefen Trunk und sagte:
-
-»Also, da wollen wir einen feierlichen Familienrat halten. -- Es sind
-Dickköppe!«
-
-Damit meinte er die Wenden.
-
-»Aber sehen Sie, Juro, die Leute imponieren mir auch. Lassen sich
-nischt vormachen. Halten am Alten. Sind stockkonservativ bis auf die
-Knochen. Eigentlich mein Fall!«
-
-Juro wollte etwas erwidern, aber Herr von Withold winkte ab.
-
-»Nee, jetzt rede ich erst! Also, Juro, das mit dem Deutschreden ist
-richtig. Das Wendische hat der Teufel erfunden. Ich krieg' das Niesen,
-das Schlucken und den Keuchhusten, wenn ich es sprechen soll. Es ist
-ganz verrückt schwer, in jedem Dorfe ist es anders, und für den Verkehr
-taugt so was gar nischt. Also Deutsch! Selbstverständlich! Mit dem
-Humbug, den sie sonst machen, Volkssitten, Märchen und so -- na, da
-soll man nich so strenge sein. Das schadet nischt. Aber das mit dem
-sogenannten Vorwärtskommen, das ist gefährlich! Nur keene Parvenüs
-züchten! Ich kann meinem Großknecht nich Polstermöbel in die Stube
-stellen und meine Kühe nich mit Mandelseife waschen lassen. Das ist
-moderner Unfug! Das sind so Schnurrpfeifereien von Leuten, die nischt
-verstehen von der Sache. Volkshygiene! In meinem Leben hab' ich von so
-was nischt gehört, bis Sie kamen, Juro. Na, Sie wissen, ich bin kein
-Unmensch; ich gönne meinen Leuten alles Gute. Bauen wir also jetzt das
-neue Arbeiterhaus, gut, soll's größer werden; gut, soll jede Familie
-zwei Stuben und 'ne Kammer haben; gut, soll'n sogar große Fenster rein,
-obwohl ich das für 'n kolossalen Luxus halte. Aber seh'n Sie, Juro,
-da Sie nu eben mal mein zukünftiger Schwiegersohn sind, da möcht'
-ich nich gern, daß Sie bei sich denken: der Alte is 'n altmodischer
-Furchenklecker. Also, es wird werden!«
-
-Er tat wieder einen Trunk und fuhr fort:
-
-»Und jetzt von dem Königtum. Da haben Sie mich also eingeweiht!
-Ehrenwort, ich sag' nischt weiter! Aber, Juro, mit dem Kral, das is
--- das is -- ja, wenn ich sagen würde, es is Blech, wär' es zu grob
--- also sag' ich, es is nich Blech -- bloß, es hat keenen Zweck!
-Jawohl, jawohl, ich weiß, unser Großer Kurfürst Friedrich Wilhelm
-von Brandenburg, der hat nach dem Kral suchen lassen. Seine Häscher
-hatten auch den richtigen Kral rausgespürt, einen jungen, hübschen
-Mann. Also so einen Ahnen von Ihnen, Juro. Sie wollten ihn nach Berlin
-unter die Soldaten für immer verschwinden lassen. Da kam gerade im
-kritischen Moment 'n alter, wendischer Bauer vorbei. Der hieb plötzlich
-dem jungen, hübschen Mann 'ne Ohrfeige runter, weil er behauptete,
-der hätte ihn nicht pflichtschuldig gegrüßt, und die Häscher sagten
-sich: ›Aha, das ist nicht der Kral; denn sonst hätte ihn kein Wende
-geohrfeigt.‹ Und der Kral war gerettet, und der Kurfürst in Berlin
-saß da mit seiner langen Nase, die ohnehin lang genug war. Jawohl,
-das ist Tatsache! Das ist Geschichte! Das hat sich keiner aus den
-Fingern gesogen. Und auch der Alte Fritz hat vom Wendenkönig gewußt und
-aufgepaßt, daß die Wenden ihm nicht etwa mit den verfluchten Tschechen
-›Kaprusche‹ machen. Also das steht alles fest. Und sind Ihre Ahnen,
-Juro! Alle Achtung! Wissen Sie, 'n preußischer Edelmann hat für so was
-Verständnis. Aber jetzt, Juro, jetzt ist mit dem Kraltum nischt mehr zu
-machen. Aus und vorbei ist es!«
-
-»Es ist noch nicht aus und vorbei«, entgegnete Juro. »Fast das ganze
-Wendenvolk glaubt noch an den Kral und hängt noch am Kral. Und deshalb
-darf nicht mein Bruder Samo der Kral der Wenden werden, weil er ihren
-alten Aberglauben aus Selbstsucht erhalten würde, sondern ich muß der
-Kral sein, der die Leute aufklärt und sie zu einem menschenwürdigeren
-Dasein führt. Ich suche es im Deutschtum, weil es mir am nächsten ist.
-Freilich müßte sich die Hinüberführung lohnen.«
-
-»Sie brauchen nicht zu sticheln, Juro; die Fenster im Arbeiterhause
-werden groß genug sein. Ich geb' ja zu, früher, wie wir noch die alte
-Fronordnung hatten, da ist es ja den Bauern nicht gerade berühmt
-gegangen. Aber die Güter waren gut! Gut waren sie! Oh, es war doch eine
-schöne Zeit!«
-
-Er versank ins Nachdenken, tat wieder einen tiefen Trunk und schüttelte
-ein paarmal wehmütig den Kopf, wie er so an die »gute, alte, liebe
-Fronzeit« dachte. Dann raffte er sich auf.
-
-»Na, die alte Zeit ist nu leider mal vorbei. Halten wir uns an die
-Gegenwart. Sie sind nu von Hause fortgegangen, Juro. Ich kann's Ihnen
-nicht verdenken, wenn es auch nicht gerade erfreulich ist, daß es so
-kommen mußte. Aber, Juro, 'n vernünftiger Plan war da überhaupt nich.
-Ihre Väterei in Ehren, Juro, sie is 'ne Staatsbesitzung; kein anderer
-Wende hat 'ne solche. Aber, Juro, Sie und meine Liese paßten dorthin
-wie die Faust aufs Auge. Darein müssen Bauersleute.«
-
-»Das sag ich auch,« warf der junge Heinrich dazwischen, »und deshalb
-möchte ich jetzt einen sehr vernünftigen Vorschlag machen.«
-
-»Deine vernünftigen Vorschläge sind unvernünftig«, lehnte sein Vater
-ab. »Leute, die Zigaretten rauchen, haben überhaupt keine Vernunft.
-Meine Ansicht ist die, Juro, Sie geben die Geschichte da drüben in
-Ihrer Heimat auf, setzen sich, wenn Sie Ihr Staatsexamen und Ihren
-Doktor gemacht haben, in irgend 'ne große deutsche Stadt als Arzt,
-gründen da Ihren Hausstand und pfeifen auf die ganze wendische
-Geschichte.«
-
-»Das kann ich nicht und das werd' ich auch nicht, Herr von Withold. Ich
-werde meine wendische Heimat nicht im Stich lassen. Es ist mein Ideal,
-den Wenden zu helfen, ihnen zu dienen, und das werde ich durchführen.
-Ich werde mich als Arzt in irgendeinem wendischen Ort niederlassen und
-von da aus wirken.«
-
-Herr von Withold schnitt ein saures Gesicht.
-
-»Arzt im wendischen Ort? -- So 'ne Sache! Wo? In Hoyerswerda oder in
-Burg? Kottbus wär' etwas oder Bautzen. Aber da haben sie deutsche
-Ärzte, und die Städte sind deutsch, sind da bloß an der Peripherie der
-Wendei. Und mitten im Land wird Ihr Bruder Samo als Arzt sitzen wie die
-Spinne im Netz und wird Ihnen Ihre Mücken abfangen.«
-
-»Darf ich jetzt endlich meinen vernünftigen Vorschlag machen?« warf
-Heinrich wieder ein.
-
-»Donnerwetter, der Junge läßt keine Ruhe. Wenn wenigstens seine
-Zigaretten nicht so stinken möchten. Also schieße los!«
-
-Heinrich, der mit seinem Vater sehr kordial stand, blies ihm eine
-Rauchwolke ins Gesicht und sagte:
-
-»Stück zwei Dreier!« Dann wurde sein hübsches, weiches Gesicht, das von
-einer Fülle wirrer »Künstlerlocken« umrahmt war, sehr ernst, und er
-sagte:
-
-»Was ich vorzuschlagen habe, ist mir nicht erst jetzt eingefallen,
-sondern meine Lieblingsidee seit langem. Ich will es kurz heraussagen,
-einen Sturm gibt's sowieso. Also, mit dem Landwirt ist's für mich ein
-für allemal nichts. Ich würde unglücklich werden und es mein Lebtag
-zu nichts bringen. Ich habe die ganzen Jahre nebenher Kunstgeschichte
-und Musik studiert. Das Vernünftigste ist, ich widme mich ganz und gar
-der Musik und erobere mir eine Stellung in der Welt, die mir zusagt.
-Juro wird Arzt, heiratet die Liese, wohnt mit ihr hier in diesem
-weitläufigen Gespensterbau, doktert ein bißchen (denn viel zu tun
-wird er nicht haben), reformiert seine Wenden, richtet sich in die
-Gutsverwaltung ein und übernimmt als Eigentümer das Gut, wenn sich der
-Vater zur Ruhe setzt. Dann ist uns allen geholfen.«
-
-Da schlug der alte Withold auf den Tisch, daß die Gläser klirrten.
-
-»Habt Ihr's gehört? -- Er ist verrückt! Jagt mir nichts dir nichts das
-väterliche Gut in die Binsen, präsentiert es einem andern wie eine
-Zigarette für zwei Dreier. Oho, Bürschchen, oho! Ich werd' schon dafür
-sorgen, daß es dir in dem weitläufigen Gespensterbau nicht zu eng wird.
-Ja, glaubst du denn, dafür hat man einen Sohn, einen Stammhalter?«
-
-»Lieber Vater, den Stamm kann ich dir ja woanders erhalten; das muß
-doch nicht gerade hier sein. Und von Wegschenken ist keine Rede; ich
-laß mich natürlich auszahlen.«
-
-»Auszahlen -- wie ein Weib! Pfui Teufel! Das macht der verfluchte
-Wagner! Die Liese wird ausgezahlt als Tochter -- verstanden? Du gehörst
-hierher! So ist es Brauch und Recht.«
-
-»Es ist natürlich gänzlich ausgeschlossen,« sagte Juro, »daß durch
-meine Lebensschicksale die Familiengeschichte Withold in dieser Weise
-beeinflußt werden soll.«
-
-»Natürlich, Juro, du bist ja vernünftig. Wir werden uns schon
-vertragen. Na, man könnte z. B. das Jagdschlößchen für euch beide
-recht hübsch herrichten lassen, und da könntest du von hier aus deinen
-ärztlichen Bezirk haben. Das läßt sich ja alles einrichten. Aber wenn
-einem sein einziger Sohn so kommt, das ist stark! Das übersteigt alle
-Begriffe!«
-
-Er ging aufs höchste verärgert aus der Stube, und bald darauf hörte man
-ihn unten im Hofe herumschimpfen.
-
-Heinrich schritt gelassen ins Nebenzimmer, wo ein großer Flügel stand,
-und vertiefte sich in die Schönheit der Wagnerschen »Gralserzählung«.
-
-Juro und Elisabeth waren allein. Das Mädchen küßte dem Geliebten
-Mund, Stirn und Augen. Dann lehnte sie an seiner Schulter und sprach
-tröstende und zärtliche Worte zu ihm. Er lächelte glücklich; nur ein
-paarmal irrte sein Blick zum Fenster hinaus. Dort in der Richtung, wo
-der bleiche Mond stand, lag das Vaterhaus, das er verlassen hatte.
-
- »So hört, wie ich verrat'ner Liebe lohne:
- Vom Gral ward ich zu euch dahergesandt!«
-
-sang Heinrich im Nebenzimmer mit Begeisterung.
-
-
-
-
-Es war am Nachmittag, zwei Tage vor Weihnachten. Frostwetter mit
-leichtem Schneefall. Elisabeth von Withold war allein auf der öden
-Landstraße. Der Vater war mit Juro und Heinrich auf der Jagd. So hatte
-sie unbemerkt von Hause fortgekonnt.
-
-Nach einstündigem scharfen Zuschreiten stand Elisabeth vor dem
-Heimatsdorfe Juros. Das Herz schlug ihr heftig, eine brennende Röte
-stieg in ihre Wangen, aber ihre Füße wanderten darum nicht weniger
-schnell.
-
-Es mußte noch vor dem Heiligen Abend geschehen. Irgend jemand mußte zu
-dem alten wendischen Vater gehen und ihm ein gutes Wort geben, damit
-sein Herz nicht so vergrämt sei am Fest der Liebe.
-
-Und es mußte Juros wegen geschehen. Sein Stolz fand den Heimweg nicht,
-aber seine bange Sehnsucht nach dem alten Manne, der sein Vater war,
-irrte oft hin zu der Heimat. Er sollte am Heiligen Abend Frieden haben.
-
-Nun war das erste Gehöft erreicht. Kinder, Burschen, Mägde stürzten in
-Fenster und Tür und starrten das fremde Fräulein an, das hier ins Dorf
-kam. Ein paar Leute kannten sie, und es entstand ein Tuscheln.
-
-Das Mädchen faßte Angst und Scham. Sie war mit Juro noch nicht einmal
-öffentlich verlobt und wagte diesen Schritt. Aber ihr tapferes Herz
-trieb sie vorwärts.
-
-Nur als Juros Vaterhaus auftauchte, ging sie langsam. Vor dem kleinen
-Hoftürchen blieb sie ein paar Minuten lang stehen und zupfte aufgeregt
-an ihren Kleidern und an ihrem Schleier.
-
-»Helfe mir Gott!«
-
-Und sie trat in den Hof. Vor der Haustür stand Hanka und schaute
-verwundert auf.
-
-Die Mädchen kannten sich von dem Begräbnis her. Und sie kannten sich
-aus ihrem stummen Herzenskampf. Jetzt, da sie sich sahen, erschraken
-sie beide tödlich, und das deutsche wie das wendische Mädchen preßte
-die Hand aufs Herz und jede stieß einen Schrei aus, und kein Gott
-hätte einen nationalen Unterschied in ihrem Empfinden und Gebaren
-herausgefunden.
-
-Elisabeth blieb bestürzt stehen, und Hanka rannte wie gehetzt zur
-Haustür hinein.
-
-Eine Minute lang war es Elisabeth, als müsse nun auch sie fliehen,
-fliehen aus diesem Hof, wo sie nicht nur eine Fremde, wo sie eine
-Gehaßte war. Aber die Kraft ihrer starken Frauenseele kam wieder, und
-sie trat entschlossen in das Haus.
-
-Ein großer Hund kläffte sie wütend an. Sie blieb ratlos stehen. Kein
-anderer Gruß wurde ihr als das Gekläff des Hundes. Da kam jemand
-schlürfenden Schrittes die Kellertreppe herauf.
-
-»Napolium, halte die Schnauze! Je, je, ein Fräulein ...«
-
-Der Hund bekam einen Fußtritt.
-
-»Das Fräulein von Withold!«
-
-»Ja. Und Ihr -- Ihr seid wohl Kito?«
-
-»Kito! Kito! Kito!« sagte der Alte in höchster Verlegenheit und machte
-eine Menge Verneigungen.
-
-»Ich möchte ein paar Augenblicke mit dem Herrn sprechen.«
-
-»Mit dem Scholta! Der ist zu Haus. Herr Samo ist in der Stadt. Wenn das
-gnädige Fräulein so gnädig wäre, ins gute Stübel zu kommen, wir müssen
-freilich über die Treppe ...«
-
-»Es ist nicht nötig, Kito! Ich warte hier.«
-
-»Hier im Hausflur? O nein, nein! Auch nicht in der Wohnstube! Ein
-gnädiges Fräulein ...«
-
-Hinter der Küchentür hatte Hanka alles mit angehört. Zu dem Schreck,
-den sie erlitten, kam jetzt die weibliche Angst, der alte Pulverkopf
-Kito möchte wirklich die -- die Fremde ins »gute Stübel« führen. Das
-war ungeheizt, und der ganze Fußboden des fast nie benutzten Raumes lag
-voll Winteräpfel und Walnüsse. Diese Schande ertrug Hanka nicht. Kurz
-entschlossen trat sie in den Hausflur.
-
-»~Pomogaj Bog wam!~« grüßte sie wendisch. »Gott helfe Euch!«
-
-»~Bog žekujscho!~« dankte Elisabeth. »Gott vergelte es!«
-
-»Es -- es -- in der Oberstube ist es kalt«, stammelte Hanka und öffnete
-die Wohnstubentür. Elisabeth trat in den großen Raum, in dem das
-Kaminfeuer brannte.
-
-»Ich möchte nur einige Augenblicke den Herrn sprechen.«
-
-»Ja. Er wird kommen.«
-
-Die Mädchen standen noch ein paar Augenblicke voreinander. Jede wollte
-etwas sagen; keine brachte ein Wort heraus. Endlich sagte Hanka in
-deutscher Sprache, aber mit schwerem Akzent:
-
-»Bitte sich zu setzen. Ich werde den Herrn rufen!«
-
-Elisabeth war allein und blieb lange allein. Sie fröstelte am
-Kaminfeuer. Als sie endlich einen Männertritt hörte, überfiel sie große
-Furcht.
-
-Der alte Hanzo trat ein. Er hatte sich offenbar erst frisch gewaschen
-und gekämmt und trug seinen langen blauen Staatsrock. Auch er war
-schwer befangen. Als er aber das zitternde Mädchen sah, das sich an die
-Stuhllehne klammerte, sagte er in deutscher Sprache:
-
-»In Gottes Namen willkommen! Es ist mir eine große Ehre, daß mich das
-gnädige Fräulein besucht.«
-
-Elisabeth ging zwei Schritte auf ihn zu.
-
-»Verzeihen Sie -- verzeihen Sie --«
-
-Dann brach sie in Tränen aus.
-
-Hanzo kam an sie heran, faßte sie an der Hand und führte sie auf einen
-Stuhl. Da brachte sie mühsam hervor:
-
-»Ich habe es -- es gewagt, weil -- weil -- es nicht sein kann, daß
-Heiliger Abend ist und daß Sie und Ihr Sohn --«
-
-Weiter kam sie nicht.
-
-Der alte Hanzo suchte nach Worten. Endlich sagte er:
-
-»Mein Sohn Juro ist als Gast bei Ihrem Herrn Vater. Er hat es mir
-geschrieben.«
-
-Und nach einer kleinen Weile fragte er:
-
-»Weiß es -- weiß es Juro, daß Sie --?«
-
-»Nein, niemand weiß es. Nur Gott weiß es, daß ich nicht anders konnte
-als herkommen. Ich -- ich wollte Sie bitten, daß Sie keinen -- keinen
-Groll auf mich haben. Sonst könnte ich nicht mehr glücklich sein.«
-
-Da wurden die Augen des alten Hanzo mild und warm.
-
-»Sie sind gut!« sagte er schlicht.
-
-»Aber hauptsächlich komme ich wegen Juro«, fuhr Elisabeth etwas
-gefaßter fort. »Er ist unglücklich, denn er hat Sie sehr lieb.«
-
-Hanzo schlug finster den Blick nieder. Eine lange Pause kam.
-
-»Das ist eine andere Sache«, sagte Hanzo endlich.
-
-Hier klopfte es leise an die Tür, und dann trat Hanka ein.
-
-»Ich möchte das gnädige Fräulein fragen, ob ich ein Glas Wein oder ein
-Glas Milch bringen darf«, sagte sie schnell heraus.
-
-Elisabeth wehrte freundlich dankend ab. Aber der Hausherr meinte:
-
-»Eines wird uns Wenden immer gelassen, unsere Gastfreundschaft. Es geht
-kein Gast von uns, dem wir nicht etwas Bescheidenes anbieten.«
-
-Da sagte Elisabeth:
-
-»Ich werde gern trinken, wenn Fräulein Hanka mit uns trinken will.«
-
-Hanka sah auf, als sie sich beim Namen genannt hörte, und verschwand
-eiligst.
-
-Hanzo trommelte leise auf den Tisch, dann sagte er:
-
-»Gnädiges Fräulein, ich habe Sie bis jetzt nicht gekannt. Nur so vom
-Sehen habe ich Sie gekannt. Ich hätte auch nicht zugegeben, daß mein
-Sohn Juro die Augen zu Ihnen erhebt, aber jetzt sehe ich ein: Gott hat
-ihn gesegnet!«
-
-Elisabeth schlug die Augen nieder. Hanzo fuhr fort:
-
-»Juro wird Ihnen alles gesagt haben. Er muß das auch, da er Ihr
-Bräutigam ist. Und Sie werden ihm recht geben, nicht wahr?«
-
-Elisabeth blickte angstvoll auf.
-
-»Ich -- ich kann es ja nicht leugnen: -- ja, ich gebe ihm recht.«
-
-»Das ist ganz richtig!« entgegnete Hanzo milde. »Sie als deutsches
-Fräulein können gar nicht anders. Sie halten zu Ihrem Volk; das wird
-Ihnen niemand verdenken. Aber anders ist es mit Juro. Der ist ein
-Wende, oder vielmehr, er war ein Wende; denn er ist abtrünnig!«
-
-Da sagte sie mit ruhiger Bestimmtheit:
-
-»Er hat seine Überzeugung und handelt nach seiner Überzeugung; wenn er
-das nicht täte, wäre er kein Mann.«
-
-Nun schlug Hanzo die Augen nieder. Elisabeth fuhr fort:
-
-»Ich bitte Sie, daß Sie sich mit ihm versöhnen, daß Sie zugeben, er muß
-nach seiner Überzeugung handeln.«
-
-»Nein, das kann ich nicht«, sagte Hanzo fest und bestimmt.
-
-»Geben Sie nicht zu, daß er bloß der inneren Macht folgt, die ihn
-leitet? Glauben Sie, er sei schlecht?«
-
-Hanzo sah vor sich hin.
-
-»Das ist eine schwere Frage«, sagte er beklommen.
-
-Elisabeth stand auf. Ihre Stimme floß jetzt ruhiger, aber es war ein
-bitterer Ton darin, als sie sagte:
-
-»Das hätte ich nicht gedacht. Ich bin noch ein unerfahrenes Mädchen,
-aber ich habe immer gehört, man dürfe zwar eine fremde Meinung
-bekämpfen, aber man dürfe den, der sie hat, nicht für schlecht halten,
-nur weil er anders denkt als man selbst denkt.«
-
-»Wollen Sie sich nicht wieder setzen, gnädiges Fräulein?«
-
-»Ich kann nicht. Wenn Sie glauben, daß ich der Schlechtigkeit das Wort
-rede, kann ich ja nicht hier bleiben.«
-
-»Gnädiges Fräulein, ich denke von Ihnen das Allerbeste. Und ich will
-auch nicht sagen, daß Juro schlecht ist. Aber er ist so betört, er hat
-sich selbst so von uns getrennt, daß er für uns alle verloren ist, auch
-für mich.«
-
-»So bin ich umsonst gekommen«, sagte Elisabeth in tiefer
-Niedergeschlagenheit und setzte sich langsam wieder auf ihren Stuhl.
-
-»Vielleicht hat es Gott so gefügt, gnädiges Fräulein,« entgegnete Hanzo
-bewegt, »daß Sie doch gekommen sind, daß Sie diese gute Tat vollbracht
-haben, damit mir altem Mann ein Trost wird, denn ich habe den Trost
-sehr nötig.«
-
-Das Mädchen saß regungslos da.
-
-»Das eine können Sie Juro sagen, daß ich über die Verbindung mit Ihnen
-glücklich bin und daß ich euch Gottes Segen wünsche.«
-
-»Vater Hanzo!«
-
-Das deutsche Mädchen sprang auf. Zitternd stand sie vor dem wendischen
-Bauern, und plötzlich umschlang sie seinen Hals.
-
-»Gott segne Sie, Elisabeth!« sagte Hanzo und küßte das Mädchen
-ehrfürchtig, aber auch zärtlich auf die Stirn. Ein schönes, stilles
-Weilchen blieben die beiden so, dann sagte Elisabeth:
-
-»Und darf ich ihm auch sagen, daß Sie keinen Groll auf ihn haben?«
-
-Hanzo antwortete ausweichend:
-
-»Sagen Sie ihm, ich wünsche ihm Gottes Segen zu allem, was er tut,
-ausgenommen das, was er gegen die Wenden tun will.«
-
-»Er will nach seiner Überzeugung gar nichts +gegen+ die Wenden, alles
-+für+ die Wenden tun.«
-
-»Diese Überzeugung verwerfe ich. Gott wird sie zunichte machen.«
-
-Dabei blieb es. Hanka kam. Sie brachte eine Flasche Wein und drei
-Gläser. Auf Geheiß des Hausherrn setzte sie sich, aber sie setzte sich
-ganz abseits. Der alte Hanzo füllte die Gläser und trank Elisabeth zu:
-
-»Herzlich willkommen!« sagte er warm.
-
-Auch Hanka stieß mit Elisabeth an. Das Glas zitterte leise in ihrer
-sonst so kräftigen Hand, und ihr »Willkommen« war kaum vernehmbar. Auch
-Elisabeth war wieder verwirrt. Sie suchte nach irgendwelchen Worten.
-
-»Nicht wahr -- Sie -- Sie haben sich dieser Tage verlobt? Darf ich
-Ihnen Glück wünschen? Es kommt von Herzen!«
-
-Hanka sah zum Fenster hinaus.
-
-»Ich danke!« sagte sie.
-
-»Es war in derselben Stube,« erzählte Hanzo, nur um die peinliche
-Spannung zu unterbrechen, »das ist nämlich unsere Spinnstube!«
-
-Dann fragte er nach der letzten Ernte des Vaters. Elisabeth gab
-freundliche Auskunft, und die Spannung ließ etwas nach. Sie sagte
-auch, daß der Vater Herrn Hanzo gut kenne; sie seien schon einigemal
-Wahlmänner zusammen gewesen, auch einmal Geschworene.
-
-»Ja, das stimmt«, sagte Hanzo. »Ich hätte nicht geglaubt, daß sich der
-gnädige Herr darauf erinnert.«
-
-So ging es noch eine kleine Weile. Da stand Elisabeth auf.
-
-»Ich muß jetzt gehen. Es wird so zeitig finster.«
-
-Da ging Hanka rasch hinaus. Nicht lange darauf fuhr ein Wagen vor. Es
-war Hanzos guter Glaswagen mit den beiden Kutschpferden, das Staunen
-aller wendischen Kleinbauern. Der deutsche Knecht Wilhelm saß auf dem
-Bock.
-
-»Elisabeth, erlauben Sie mir, daß ich Sie so weit fahren lasse, bis
-Sie in Sicherheit sind, und daß ich Sie begleite. Der Weg ist lang und
-einsam.«
-
-»Ich bin Ihnen dankbar,« sagte Elisabeth erfreut, »wenn ich mich auch
-nicht fürchte. Es geschieht selten eine Schlechtigkeit in der Wendei.«
-
-Hanzo lächelte, sagte aber nichts. Mit tadelloser Höflichkeit, die
-er sich in den langen Jahren eines an öffentlichen Ehren nicht armen
-Lebens angeeignet hatte und die auch der Güte seines Charakters
-entsprach, geleitete er Elisabeth zum Wagen, nachdem er ihr nochmals
-für ihren Besuch gedankt und ihr gesagt hatte, er werde ihr ihn nie
-vergessen.
-
-An der Haustür trafen Hanka und Elisabeth noch einmal zusammen.
-
-»Leben Sie wohl, Fräulein Hanka, und haben Sie vielen Dank.«
-
-»Ich wünsche glückliche Heimfahrt, und wir danken für den Besuch«,
-sagte Hanka, die die Stelle der Hausfrau vertrat.
-
-Einen Augenblick ruhten die Hände der Mädchen ineinander. Bald darauf
-fuhr der Wagen zum Hofe hinaus. Unterwegs plauderte Hanzo mit Elisabeth
-über alltägliche Dinge. Erst, als sich der Weg zu Ende neigte, wurden
-beide wieder sehr ernst.
-
-»Kommen Sie doch einmal mit zu uns«, bat das Mädchen. »Und wenn es auch
-nur auf eine Viertelstunde wäre.«
-
-»Nein, Elisabeth, das kann ich nicht. Das brächte ich jetzt nicht
-fertig. Wenn Juro fort sein wird, werde ich Ihnen und Ihrem Herrn Vater
-einen Besuch machen.«
-
-»Darf ich -- darf ich -- gar keine Hoffnung mitnehmen?«
-
-Hanzo antwortete nicht gleich.
-
-»Wenn Juro von seiner Idee lassen würde, dann wär' alles gut.«
-
-»Das tut er nicht.«
-
-»Nun, da bleibt uns nichts übrig, als auf die Zeit zu hoffen.«
-
-Sie erreichten einen Seitenweg, der nach dem Witholdschen Schlosse
-führte, das jetzt ganz nahe war; da stieg Elisabeth aus, und der Wagen
-kehrte um.
-
-Hanzo sah noch einmal aus dem Fenster auf das Mädchen, das ihm in
-tiefer Traurigkeit nachschaute.
-
-
-
-
-Samo war aus der Stadt zurückgekehrt und hatte gehört, wer dagewesen
-sei und daß der Vater im guten Wagen den Gast nach Hause geleitet. Samo
-war mit rotem Kopf nach Hause heimgekommen. Er hatte in einem Gasthaus
-für das Slawentum der Wenden große Reden gehalten und dabei viel
-getrunken. Nun rief er nach Hanka. Barsch stellte er eine Frage wegen
-des Besuches. Das Mädchen gab ihm ruhige Auskunft. Da blitzte es zornig
-auf in den Augen Samos. Grimmig fuhr er das Mädchen an:
-
-»Du führst die Deutsche selbst ins Haus, du rufst ihr den Alten herbei,
-du trägst ihr Wein zu, du bestellst ihr die Fuhre -- was hat sie dir
-denn für Trinkgeld gegeben?«
-
-»Samo!«
-
-Das Mädchen richtete sich beleidigt auf.
-
-»Das lasse ich mir nicht gefallen. Ich habe nur das getan, was die
-Gastfreundschaft gebietet.«
-
-»Gastfreundschaft gegen Deutsche gibt's nicht«, rief Samo.
-»Gastfreundschaft gibt es gegen Hottentotten, Indianer, Kannibalen und
-sonst noch einigermaßen achtbare Völker, aber nicht gegen Deutsche!
-Wendische Gastfreundschaft gegen Deutsche ist die Gastfreundschaft der
-Schafe für den Wolf!«
-
-Hanka wandte ihm ohne Antwort den Rücken und ging fort.
-
-Als der Vater nach Hause kam, erneuerte sich der Streit. Der alte Hanzo
-wurde blaß.
-
-»Mir scheint,« sagte er, »noch bin ich der Herr in meinem Hause, und
-wenn es so anfängt, dann will ich mir doch noch alles anders überlegen.«
-
-Samo zuckte die Schultern.
-
-»Es muß doch anders kommen. Schon fängst du an nachzugeben. Schon
-versuchen sie mit List und Schmeichelei das zu erreichen, was sie mit
-Gewalt nicht bekommen können. Die Wenden sind dann verloren.«
-
-»Sie sind nicht verloren! Ich habe um keinen Fuß breit nachgegeben.
-Was das Mädchen getan hat, war gut und brav, und deine Anschuldigung
-fällt auf dich zurück. Mir scheint, Gott hat mir zwei wackere
-Schwiegertöchter zugedacht; was ich aber von meinen beiden Söhnen
-denken soll, weiß ich nicht mehr.«
-
-Auch der Vater ließ ihn stehen.
-
-Da lief Samo aufs Feld hinaus, wo es bereits dunkelte. Er traf die alte
-Wičaz, die mit Paketen aus der Stadt kam.
-
-»Nun, Alte, was sagen die Leute zu meiner Verlobung?«
-
-»Die meisten freuen sich.«
-
-»Die meisten? Nicht alle?«
-
-»Hm -- es gibt doch viele, die schon halb deutsch sind, die beim
-Militär gewesen sind oder in deutschen Dienststellungen. Denen gefällt
-der Herr Juro gar nicht schlecht.«
-
-»So, er hat also wendischen Anhang? Großen Anhang?«
-
-Die Alte zuckte die Achseln.
-
-»Tu nicht so einfältig, alte Wičaz. Was habe ich dir angetan?«
-
-»Nichts habt Ihr mir angetan. Dem Kito, dem alten Scheusal, habt Ihr
-einen Pelz angetan, einen richtigen Kuppelpelz --«
-
-»Ach ja -- ich verstehe -- für dich kommt's auch noch --«
-
-Die Alte sah ihn von der Seite her listig an.
-
-»Was ihm -- dem Juro -- die Leute am meisten übelnehmen, ist, daß er
-sich am Kronenhügel vergreifen will.«
-
-Samos Augen glimmten auf. Ein Schein wilder Freude flog über sein
-Gesicht.
-
-»Wissen denn die Leute von dieser Absicht?« fragte er möglichst ruhig.
-
-»Es spricht sich so langsam herum.«
-
-»Es könnte nichts schaden, wenn es sich etwas schneller herumspräche«,
-sagte Samo und schenkte der Alten einen Taler.
-
-Sie nickte.
-
-»Früher wolltet Ihr das nicht! Aber man kann das schon machen.«
-
-»Also mache es! Daß ich nicht geizig bin, weißt du!«
-
-Er nickte ihr zu und ging allein weiter.
-
-»Oho,« sagte er bei sich, »ich wäre ein Esel, wenn ich es mir so dumm
-verderben würde wie Juro. Ich muß sehen, daß ich die Geschichte mit
-Hanka und dem Alten wieder ins Geleise bringe.«
-
-
-
-
-Wie mag nur ein Winter im Föhrenwald vergehen, wenn alles so tot und
-still ist draußen und dieselben Menschen immer zusammenhocken in
-derselben niederen Stube? Zuletzt lachen sie wohl nicht mehr, reden
-wohl nicht mehr, wissen sich nichts mehr zu sagen!
-
-Sind sie nicht wie Gefangene? Weg und Steg verschneit, das liebe Brot
-schmal, der Beutel leer, das Herz leer.
-
-Dann sind wohl manche wie stumpfe Tiere, die mit der Kette an magerer
-Krippe hängen, dumpf hinstarren vor sich in die grausige Langeweile.
-Und die anderen, die die Sehnsucht kennen, wandern aus. Im fahlen
-Schneelicht reist ihre Seele nach großen Städten, wo die prangenden
-Theater sind, wo die schönsten Frauen der Erde in lichtstrahlenden
-Sälen tanzen, oder nach den Ländern des Südens, wo jetzt die blauen
-Schwalben fliegen über roten Blüten.
-
-Wie mag nur ein Winter im Föhrenwald vergehen? Im Unterland, wo die
-Sprewja breit und vielfach verzweigt ist, ist jetzt lustige Zeit. Da
-laufen selbst die alten Weiber auf Schlittschuhen, und jeder Bursch
-fährt seine Liebste auf dem Schlitten. Die Unterländer sind lustig,
-aber leichtsinnig; die ernsteren Oberländer haben das immer behauptet
-und immer etwas auf die Spreewaldleute herabgesehen.
-
-Doch auch sie wollen ihr Vergnügen, und auch in ihren stillen Stuben
-stirbt das Lachen nicht in der langen einsamen Zeit. -- --
-
-Der alte Kito steht im Hof und unterhält sich mit einem Sperling.
-
-»Was, ~wrobel~[52], was sagst du? ›Lieber Kito, 'ne Ähre‹? Das sagst
-du? Und was sangst du im Sommer? ›Dem Kito 'n Strick, dem Kito 'n
-Strick!‹ Und was sangst du noch im Herbst: ›Korn ist Dreck, Korn ist
-Dreck!‹ Wart, ~wrobel~, ich schmeiß dich tot!« Und er warf nach ihm mit
-fünf Haferkörnchen.
-
-Es ist doch gut, daß die Lieder sind und die alten Sagen und die alten
-Bräuche. So schläft die Seele nicht ein. Und auch der Magen fühlt sich
-wohl dabei. Am Sebastianstag muß auch der Ärmste sein Pfund Fleisch
-essen, sonst wird das Vieh krank, muß geschlachtet werden, und es gibt
-bald Fleisch in Fülle.
-
-Dann kommt die lustige Faschingszeit. Welcher Spaß ist größer, wo
-in der Welt wird herzlicher gelacht, als wenn in den Spinnstuben am
-~cazowečor~[53] sich die Burschen und Mädel gegenseitig die Gesichter
-mit Ruß schwärzen? Am Faschingsdienstag gar schallt der stille
-Föhrenwald wider von jubelndem Lachen, wenn die Burschen »zampern«
-gehen, alle als Weiber verkleidet, jeder mit einem großen Korb, in
-dem er Speck und Eier einsammelt. Wer ein einziges Mal den alten Kito
-in der Tracht eines jungen Mädchens gesehen hat mit dem gestickten
-Busentüchlein und der großen Bänderhaube und dem bunt gestreiften
-Rock, der vergißt es sein Lebtag nicht. Dieses Jahr ist er aber nicht
-als junges Mädel, sondern als alte Wičaz gegangen, hat mit verklebten
-Federspulen, in die er gelbe Sandstückchen getan hatte, die wie Wanzen
-aussahen, überall Schrecken und Angst erregt, zumal er die Spulen den
-Weibern in den Nacken steckte. Auch hat er Karten gelegt und unerhörte
-Dinge geweissagt, so, daß auf den Sonntag der Montag treffen wird und
-daß ein Dreierlicht auch dann noch einen Dreier kosten wird, wenn das
-Wachs aufschlagen sollte. Die wirkliche Wičaz ist ihm nachgegangen, und
-die beiden Wičaze, die echte und die unechte, sind sich in die Haare
-geraten, und so ein schöner Spaß ist noch nie und nirgends dagewesen.
-Oh, es lebt sich lustig und herrlich zur Winterzeit im Föhrenwald! Und
-»am Ostermorgen tanzt die Sonne«.
-
-Hanka hat mit ihren Spinnmädchen am Karfreitag draußen gestanden auf
-dem freien Feld, sie sind feierlich im Kreise zusammengetreten und
-haben gesungen: »~Nět daj moj Jezus dobru noc~«, »Nun gib, mein Jesus,
-gute Nacht«, und als am Karsamstag Mitternacht vorbei war, haben die
-Burschen in allen Dörfern geschossen; Hanka aber ist, noch ehe die
-Sonne aufging, schweigend mit einem Krüglein zur stillen Spree gegangen
-und hat Osterwasser geholt; das wird sie nun gesund erhalten das ganze
-Jahr. Viele Mädchen und Frauen sind ihr begegnet, keine hat ein Wort
-gesprochen.
-
-Ja, am Ostermorgen tanzte die Sonne! Winter war aus, neues Leben kam in
-die Heide.
-
- * * * * *
-
-Und auch der Sommer verging.
-
-Hanka war zu ihren Eltern zurückgekehrt, als ihr Bräutigam Samo als
-»~Pán doctor~« nach Hause gekommen war.
-
-Mit gewaltigem Respekt betrachteten die Dorfleute den jungen Arzt.
-Ja, es kam so weit, daß die Bäuerin Pösch, die die Rose bekam, allen
-Ernstes daran dachte, sich den neuen Doktor rufen zu lassen, wenn sie
-es zuletzt doch nicht vorgezogen hätte, sich lieber von der Wičaz
-»besprechen« zu lassen.
-
-Samo war nicht lange zu Hause geblieben, sondern wieder nach Prag
-gefahren. Von dort war er erst nach Monatsfrist zurückgekehrt.
-
-So ging der Sommer vorbei. Wieder spielte der junge Herbst mit
-den gelben Blättern, die auf der Spree schwammen, wie mit kleinen
-Schifflein. Ein Jahr und einen Tag war es nun her, seit Mariana, die
-Frau des Scholta, gestorben war.
-
-Da war die Trauerzeit zu Ende.
-
-Und zwei Tage später war die Hochzeit Samos mit Hanka. Sie fand
-in Hankas Heimatsort statt. Kito als Brautführer war schon einige
-Wochen vorher daselbst eingetroffen, um alles vorzubereiten. Denn
-der Bräutigam hatte ausdrücklich gewünscht, daß bei seiner Hochzeit
-alles genau nach der Väter Sitte hergehe. Und alle Leute lobten den
-Bräutigam, der, obwohl er ein ~Pán doctor~ war, sich nicht stolz von
-ihnen und ihrer Art absonderte.
-
-So erschien Samo in wendischer Bauerntracht, den kleinen Rautenkranz
-auf dem Kopf, am Hochzeitsmorgen vor der Tür der Braut. Alle
-Männer, die ihn begleiteten, trugen lange, buntbebänderte Stöcke.
-Eine Musikbande war auch dabei. Ein Fiedler strich die ~husla~,
-die dreisaitige wendische Geige; ein anderer Musikant entlockte
-seiner ~tarakawa~ schreiende Oboetöne, die Hauptsache aber war der
-Dudelsackpfeifer, dessen ~kozol~ mit einem mächtigen gehörnten
-Ziegenbockkopf gekrönt war.
-
-Kito, der ~družba~, klopfte an die verschlossene Tür des
-Hochzeitshauses, begehrte Einlaß und verlangte die Braut heraus. Ein
-altes Weib mit einem mächtigen Höcker wurde durch die Tür geschoben.
-
-»Was, das soll die Braut sein?« schrie der ~družba~. »Ich schlag' ihr
-den Buckel entzwei.«
-
-Und er schlug mit seinem Stock auf den Buckel, der auch wirklich
-zersprang, weil er aus einem untergebundenen Topf hergestellt war.
-
-Nun wurde ein junges Mädchen durch die Tür geschoben. Aber auch jetzt
-schrie Kito:
-
-»Das ist nicht die Braut! Das ist nur die ~družka~[54]. Der
-~zagolka~[55] soll sie bekommen.«
-
-Endlich kam Hanka im Brautstaat. Sie war blasser als sonst, aber
-sie lächelte. Mit großem Lärm wurde sie empfangen. Nun ging es ins
-Haus hinein zum Frühstück. Der Bräutigam mußte sich von der Braut
-fernhalten; nur der ~družba~ hatte das Recht, ihr Kavalier zu sein.
-Kito strahlte vor Stolz und Freude. Und er sorgte für alles. Er
-fragte die Mutter, ob sie der Tochter auch einen Taler in den Strumpf
-gesteckt, ob sie ihr auch Salz in den Schuh geschüttet habe, damit der
-Reichtum nicht ausbleibe, und ob sie auch nicht vergessen habe, ihr ein
-Äpflein mitzugeben, damit der Kindersegen nicht fehle. Er wolle gewiß
-drei Bissen Brotes unterwegs essen, damit die Ehe eine glückliche werde.
-
-Alles war erfüllt. Alle Vorzeichen waren gut. Zunehmender Mond war, und
-es war Dienstag, der beste Tag für eine Hochzeit.
-
-Zur Trauung ging es zu Wagen, und wieder war Kito der Begleiter der
-Braut. Kinder und große Leute standen am Wege, Zuckerwerk und kleine
-Münzen wurden ausgestreut, und es war Jubel aller Enden.
-
-Unterwegs geschah aber etwas, worüber sie alle erschraken. Eine
-Kuhherde kreuzte den Weg. Der Brautwagen mußte anhalten. Das war kein
-gutes Zeichen. Kito aß nun neunmal drei Bissen trockenes Brot, um den
-Zauber abzulenken, und sagte nach dem siebenundzwanzigsten Bissen:
-»Jetzt bin ich zwar satt, und das ist schade an einem solchen Tage,
-zumal, wenn man sein Lebtag nicht immer an der Bratenpfanne gesessen
-hat; aber nun wird doch alles gut gehen in der Ehe.«
-
-Hanka nickte freundlich. Sie war sehr still in allen diesen Tagen und
-ließ alles schweigend über sich ergehen.
-
-Bei der Rückkehr aus der Kirche hielt der Wagen vor dem Tor. Die
-Mutter kam aus dem Hof. Sie hielt einen neuen Topf mit Milch in
-der Hand. Daraus tranken Bräutigam und Braut, und der ~družba~
-zerschellte darauf den Topf an einem Stein. Nun ging die ganze
-Hochzeitsgesellschaft in den Hof; der ~družba~ hielt eine Rede, in der
-er wieder Abbitte leistete für alles etwa geschehene Unrecht, dann
-setzte die Musik ein, und es wurde im Hofe getanzt.
-
-Und dann wurde geschmaust und gegessen den ganzen Tag lang und in der
-Schenke die ganze Nacht getanzt.
-
- * * * * *
-
-Es waren aber zu dieser Hochzeit Gäste von nah und fern gekommen,
-Gäste, die nicht zur Verwandtschaft und nächsten Freundschaft gehörten,
-sondern Ehren halber als Vertreter großer Gemeinden oder Bezirke vom
-Kral eingeladen worden waren.
-
-Einer von diesen Leuten traf bald nach dem Essen mit Hanzo im
-Großgarten zusammen und sagte:
-
-»Höre Kral, ich muß dir etwas sagen. Da wir nun zu diesem frohen und
-schönen Feste so viele Dorfväter beisammen sind, so wollen wir etwas
-besprechen und abmachen, was allen von uns sehr am Herzen liegt. Dein
-Sohn Juro ist nicht hier, obwohl sein einziger Bruder Hochzeit hält.«
-
-Hanzo errötete leicht.
-
-»Juro ist auf einer Reise,« sagte er; »er ist jetzt in Italien.«
-
-»Ja, und er ist vier Wochen vor der Hochzeit dorthin gereist. Aber das
-geht uns nichts an. Etwas anderes müssen wir mit dir abmachen. Sieh,
-Hanzo, du bist noch nicht alt, und Gott soll dir noch viele Jahre
-schenken. Aber deine Frau war auch nicht alt und starb doch. ›Ihr
-wisset weder den Ort noch die Stunde‹, sagt die Bibel. Wenn du nun
-einmal den Tod finden wirst, müssen unsere Leute wissen, wer ihr Kral
-ist. Und ihr Kral kann dann nur Pán Samo sein.«
-
-Hanzo schwieg.
-
-»Er hat heute«, fuhr der andere fort, »die Hanka geheiratet, das
-einzige Mädchen, das noch aus der Familie des alten Kral ist. Er hält
-zu uns, er beachtet unser Volk; er soll unser Kral sein.«
-
-Hanzo entgegnete darauf:
-
-»Der Erbsohn ist Juro, und er hat sein Recht nicht abgetreten und will
-es auch nicht abtreten.«
-
-»So müssen wir ihn absetzen, und zwar werden wir ihn heute absetzen.«
-
-»Nicht heute«, wehrte Hanzo ab.
-
-»Warum nicht heute? Heute ist der richtige Tag. Wann werden wir wieder
-so viele beisammen sein, die da mitzureden haben?«
-
-»Wir können uns am Martinimarkt in der Stadt treffen.«
-
-»Wozu willst du den Aufschub?«
-
-»Ich möchte es nicht hinterrücks tun. Ich will meinem Sohn Juro
-schreiben, was ihr vorhabt; dann kann er sich verteidigen.«
-
-Der andere sagte mit finsterer Miene:
-
-»Er kann sich nicht verteidigen. Er hat offen und vielmal gesagt, daß
-er kein Wende, daß er ein Deutscher ist; er hat sogar gesagt, er werde
-den Kronenhügel aufgraben, um den Wenden zu zeigen, daß ihr Glaube
-Dummheit ist, daß in dem Hügel keine Krone ist, sondern nur Erde und
-Steine. Und das kann ihm nicht verziehen werden.«
-
-»Er hat es doch nicht getan! Er scheut sich doch und weiß, es wäre ein
-Verbrechen.«
-
-»Aber er wird es tun«, sagte der andere. »Er hat es bestimmt gesagt.«
-
-»Wissen viele Leute davon?« fragte Hanzo trostlos.
-
-»Alle!« entgegnete der andere.
-
-»Woher wissen sie es? Er schreit es doch nicht auf die Straße.«
-
-»Das kann ich nicht sagen. Es ist in aller Mund. Und alle wissen, was
-Juro gegen die Wenden gesagt und getan hat -- alle! Es ist alles gegen
-ihn. Und es wird täglich schlimmer.«
-
-Sie schwiegen beide. Dann fuhr der andere fort:
-
-»Bezwinge dich, alter Hanzo! Es mag schwer sein, aber es muß sein!
-Treten wir zusammen, die wir hier sind, und machen wir es aus. Einmal
-muß es doch sein.«
-
-»Heute nicht! -- ~Njok!~«
-
-Mit diesem »~Njok!~«, diesem messerscharfen, endgültigen: »Ich will
-nicht!« schnitt der Kral die Unterhaltung ab. Kein Widerspruch erfolgte
-mehr.
-
-War auch die Zeit längst vorbei, wo der Kral eine heimliche Kopfsteuer
-erhielt, so war doch sein Einfluß so stark, sein Wille so mächtig, daß
-alle anwesenden »Volksvertreter« sich dem »~Njok!~« Hanzos fügten und
-die »Absetzung« Juros, sein Ausschluß von der Kralswürde, auf eine
-große ~Gromada~ am Martinimarkt vertagt wurde.
-
- * * * * *
-
-Im Kretscham saß Samo auf der Bank und sah dem Tanz zu. Mit seiner
-jungen Frau durfte er nicht tanzen. Auch mit den Brautjungfern durfte
-er sich nur dann im Kreise drehen, wenn es der allmächtige ~Družba~
-erlaubte. Der Bräutigam ist im Wendenland an seinem Hochzeitstag
-rechtlos.
-
-Es war Samo ganz lieb so. Am liebsten wäre er fortgegangen, hinaus in
-die Nacht. Es war ihm eigen zumute. Wenn er Hanka ansah, die nun seine
-Frau war, dann sagte er sich wohl, daß sie ihm gefalle. Von Liebe
-wußte er nichts, hatte er nie etwas gewußt. Das war töricht Zeug für
-Schwärmer und unreife Menschen, nichts für ihn.
-
-In seiner Brust herrschte nur das eine: maßloser Ehrgeiz. König sein,
-wenn auch ein heimlicher König, wenn auch nur ein König über ein
-kleines, unterjochtes Volk! Aber im Glauben eines Volkes an erster
-Stelle stehen! Der Mann sein, auf den auch die Slawen anderer Länder
-mit ehrfürchtiger Scheu sahen, dem alte Leute die Hand küßten und für
-den der gelehrte Krok die Krone Przemisls aus dem Tabernakel nahm!
-
-Oh, das war etwas Großes, das zu erstreben sich lohnte! Und dann den
-heimlichen, zähen Kampf führen mit dem Soldatenkönig in Berlin! Sich
-äußerlich bescheiden und doch wissen: ich stehe auf Vorposten gegen
-dich und bahne den slawischen Brüdern einen Weg vor die Mauern deiner
-Stadt! Um das zu erreichen, nahm man alles, was Geschmack und Bildung
-schwer genießbar machten, willig hin, ließ man sich von einem ~Družba~
-tyrannisieren, trank man mit den Burschen ein Glas Branntwein ums
-andere. -- --
-
- * * * * *
-
-Am selben Tage, da Samo und Hanka im Wendenlande Hochzeit hielten,
-saß Juro mit seinem Freunde Heinrich von Withold auf dem Posilip bei
-Neapel. Und er träumte hinüber zu den silbernen Städten Castellamare
-und Sorrent und nach Capri und Ischia. Die schönste Inselflur der Welt
-lag vor ihm. Weit hinaus dehnte sich das blaue Meer. Da war es ihm,
-es geschähen Wunder vor seinen Augen, als seien Märchen zur Wahrheit
-geworden, Träume in Erfüllung gegangen; Märchen und Träume, denen seine
-junge Seele nachging, als er noch einsam im Wendenwald war.
-
-Ja, hier war die Welt schön und darum groß und reich. Und war auch
-das Volk ärmlich gekleidet, es war dennoch reich, denn es hatte immer
-Herrlichkeiten leibhaftig vor Augen, von denen selbst Königspaläste nur
-mit matten Bildern ihre Wände schmücken konnten.
-
-Aber es geschah, daß die Seele des Wendensohnes beim Rauschen des
-blauen Südmeeres und beim Duft der roten Mandelblüten das Heimweh
-überkam nach den Sandwegen der Wendei, nach den Föhren an der stillen
-Spree. Und das geschah, weil er nicht nur von der Heimat weg eine Reise
-getan, sondern weil man ihn aus der Heimat verbannen wollte.
-
-Das Menschenherz lenkt auch im glänzendsten Exil seine Sehnsucht nach
-Hause. --
-
-Seit Weihnachten hatte Juro mit seinem Vater mancherlei Briefe
-gewechselt. Er war ihm aber dadurch nicht näher gekommen, nein, die
-Kluft hatte sich noch vertieft. Schließlich hatte ihm der Vater sogar
-gegen seinen Willen sein mütterliches Erbteil auszahlen lassen.
-
-Das war der Bruch; damit sollte Juro völlig ausgeschlossen werden von
-dem heimischen Hof.
-
-Eine tiefe Bitternis war über Juro gekommen. Seine frohe,
-selbstbewußte Art drohte in finsteren Trotz umzuschlagen. Er war oft
-schweigsam und müde wie ein Kranker. Da kam Samos Hochzeit immer näher
-heran. Samo lud den Bruder erst auf ausdrücklichen Befehl des Vaters
-zu dem Fest; er tat es in der denkbar kältesten Form. Juro schlug
-die Einladung aus, und um allen Peinlichkeiten zu entgehen, um sich
-andererseits zu zerstreuen und wieder einmal Sonne in die Seele zu
-bekommen, begab er sich mit seinem Freunde auf die Reise.
-
-Oh, wohl war es schön in Florenz und Rom, wohl war es ein Genuß, mit
-Heinrich, der seit Jahren Kunstgeschichte studiert hatte, durch die
-Museen zu wandern, wohl war es herrlich hier am alten Posilip! Aber die
-Bitterkeit wich nicht ganz aus Juros Herzen, und als einmal Musikanten
-ein italienisches Volkslied sangen, sagte er:
-
-»Wir haben ein ähnliches Lied; ich finde es sogar schöner.«
-
-Und er sang dem Freunde leise das Lied vor -- in wendischer
-Sprache. -- -- --
-
-Nach zwei Monaten kehrten sie heim. Da fand Juro in seiner Breslauer
-Wohnung einen Brief des Vaters vor. Der Vater machte ihm die
-Mitteilung, daß die Vertreter der wendischen Gemeinden beschlossen
-hätten, ihm die künftige Kralswürde abzusprechen auf Grund seines
-feindlichen Verhaltens gegen das Wendentum und vor allen Dingen auf
-Grund seines geäußerten Vorsatzes, den Kronenhügel aufzugraben und
-das Nichtvorhandensein der alten Krone der Wenden nachzuweisen. Am
-Martinitage mittags solle in dem und dem Lokal die Ausschließung Juros
-von der Kralswürde erfolgen. Es sei Juro anheimgestellt, bei dieser
-großen ~Gromada~ zu erscheinen und daselbst seine Sache zu führen,
-wolle er aber klug handeln und seinem Vater einen Schmerz ersparen, so
-solle er vorher durch freiwilligen schriftlichen Verzicht das traurige
-Schauspiel unnötig machen.
-
-»So wirf ihnen doch die ganze Geschichte hin«, sagte Heinrich, der
-mitanwesend war und den Brief ebenfalls las. »Das ist doch alles
-Humbug! Darum wirst du dir doch nicht das Leben verbittern!«
-
-»Nein!« rief Juro, »nein! Ich gebe nicht nach!«
-
-»Aber, Mensch, du siehst doch, daß du sowieso keinen Einfluß auf
-die Wenden hast. Wozu also dieses trotzige Festhalten an dieser
-phantastischen Würde? Bei denen wirst du nichts ausrichten, auch wenn
-du der eingebildete zukünftige Kral bleibst.«
-
-»Ich werde etwas ausrichten, denn ich bin nicht ohne Anhang. Die
-Jungen, die einmal ins Land hinausgerochen haben, die sind denn doch
-anders als die alten Nesthocker. An die Jungen muß ich mich wenden. Ich
-werde jetzt wirklich den Kronenhügel aufgraben!«
-
-»Das laß nur hübsch bleiben! Das könnte dir schlecht bekommen!«
-
-»Mir kann nichts mehr schlechter bekommen als dieser Brief meines
-Vaters. Vor allem aber weiche ich meinem Bruder Samo nicht, dessen Hand
-ich hinter all diesen Machenschaften deutlich sehe. Die Wenden allein
-wären viel zu schläfrig, viel zu indolent, um so vorzugehen. Es ist
-einer, der hetzt und das alles leitet, und das ist Samo.«
-
-»Das ist allerdings auch meine Ansicht. Tue also, was du nicht lassen
-kannst!«
-
-
-
-
-Ein niederes, aber sonst geräumiges Hinterzimmer in einem wendischen
-Gasthof. Um einen ungedeckten Tisch sitzen zwölf Männer, darunter Hanzo
-und Samo. Jeder hat ein Glas Wein vor sich stehen, das Hanzo bestellt
-hat. Es herrscht bedrücktes Schweigen. Die Rathausuhr draußen schlägt
-zwölf. Da tritt Juro ein.
-
-»~Pomogaj Bóg wam!~« grüßt er. Er hat sich nach langem Überlegen zu dem
-wendischen Gruß entschlossen.
-
-»~Bóg žekuscho!~« kommt es bedrückt zurück.
-
-Juro geht auf seinen Vater zu und streckt ihm die Hand hin, die dieser
-langsam ergreift. Nun reichen auch die anderen Männer zögernd die Hand.
-Seinen Bruder Samo übersieht Juro völlig.
-
-»So wollen wir in Gottes Namen beginnen«, sagt der alte Hanzo mit
-etwas zitternder Stimme. »Ihr habt mich zum Leiter dieser Versammlung
-gewählt. Es ist Klage gegen Juro, meinen ältesten Sohn. Die Klage will
-ich nicht selbst vorbringen, sondern das wird der Bur Klin tun.«
-
-Der Bauer Klin war sonst ein Wichtigtuer und Maulheld. Heute aber
-stotterte er und versprach sich oft, als er Juro, der für ihn der
-gelehrte und gebildete Mann war, die Anklage ins Gesicht sagen
-mußte. Aber er stammelte doch die Anklage heraus: Juro sei gegen
-das Wendentum, er habe in diesen und diesen Fällen Wenden schwer
-beleidigt, er habe die wendischen Gebräuche nicht nur selbst gemieden,
-sondern auch gesagt, er wolle sie ausrotten, er habe die wendische
-Sprache geschmäht, er habe öffentlich erklärt, er wolle alle Wenden
-zu Deutschen machen; endlich, er wolle sich am heiligen Kronenhügel
-vergreifen und nachweisen, daß es überhaupt keine wendische Krone
-gebe. Darum sei das Volk eines Sinnes, daß ein solcher Mann nicht der
-zukünftige Kral sein könne.
-
-»Hat noch jemand der Anklage was hinzuzufügen?« fragte Hanzo.
-
-»Ja«, rief Samo. »Die Hauptsache ist, daß er sich im Wendenland
-festsetzen und den Einfluß, den er als erstgeborener Sohn des Kral hat,
-dazu mißbrauchen will, unser Kraltum zu vernichten und die Wenden den
-Deutschen auszuliefern.«
-
-Nun bekam Juro das Wort.
-
-»Ich möchte zuerst fragen: Ist mein Bruder Samo ansässiger Bürger oder
-Bauer der Wendei, hat er in einer Gemeinde bereits Sitz und Stimme?«
-
-»Nein!«
-
-»Also gehört er nicht hierher, und ich bitte, ihn von dieser
-Versammlung, in der er nichts zu suchen hat, auszuschließen.«
-
-Es ging ein Tumult los. Es wurde durcheinandergeredet. Der Erfolg war,
-daß Samo bleiben durfte.
-
-»Gut,« sagte Juro, »so bleibt er gegen alles Recht. Ich werde annehmen,
-daß auf seinem Platze eine Säule nicht ganz reiner Luft sei!«
-
-Samo sprang auf, es gab neuen Tumult; Hanzo verwies Juro die getane
-Beleidigung aufs strengste und forderte ihn auf, sich zu der Klage, die
-der Bauer Klin im Namen aller hier vorgebracht habe, zu äußern.
-
-Da überkam Juro seine Spottlust.
-
-»Pán Klin,« begann er, »Ihr habt eine gewaltige Rede gegen mich
-geführt, und deshalb sage ich: Ihr müßt in den Landtag gewählt werden.«
-
-Hanzo stand auf. Seine Augen funkelten zornig.
-
-»Juro, es ist höchst unangebracht, hier zu spotten; es ist uns heiliger
-Ernst!«
-
-»Es ist mir auch Ernst«, erwiderte Juro. »Um aber noch einmal auf den
-Landtag zu kommen; warum habt ihr Wenden keinen Vertreter dort, warum
-seid ihr politisch so rechtlos? Warum habt ihr nicht einmal versucht,
-eure Stimme zu erheben? Weil ihr rückständig seid, weil ihr eure Zeit
-verträumt und selbst nicht so viele Rechte in Anspruch zu nehmen wagt
-wie alle anderen Kinder des Staates.«
-
-Unwilliges Murren.
-
-»Wenn ihr auch murrt, die Wahrheit muß ich euch sagen. Und wie ihr
-keinen wendischen Abgeordneten habt, so habt ihr auch keinen wendischen
-Arzt ...«
-
-»Samo!« schrien sie. »Samo!« Juro zuckte die Achseln.
-
-»Habt ihr keinen wendischen Arzt,« wiederholte er, »keinen Advokaten,
-keine Gelehrten, kein großes Kaufhaus, kein Theater oder sonstiges
-Kunstinstitut. Warum seid ihr so arm? Oh, nicht ihr, die ihr hier seid!
-Ich weiß, jeder von euch ist ein Bur und hat soundsoviel Hufen Landes.
-Aber die Mehrzahl, warum ist sie so bettelarm? Warum wohnen so viele
-in windschiefen Hütten, essen so schmales Brot, haben so wenig Freude?
-Weil ihr Wenden seid! Wäret ihr Deutsche, es ginge euch allen zehnmal
-besser!«
-
-»So haben uns die Deutschen unterdrückt!« sagte einer.
-
-»Das ist nicht wahr! Die Deutschen haben stets in Frieden mit euch
-gelebt und ihr mit ihnen, bis eine gewissenlose Hetze eingesetzt
-hat. Ich frage euch, was wollt ihr eigentlich? Ewig sitzen bleiben
-auf euren paar Dörfern, da man eure Sprache schon in Bautzen oder in
-Kottbus nicht mehr richtig versteht? Da in den Hauptstädten der Länder,
-zu denen ihr gehört, in Berlin und Dresden, die meisten Leute nicht
-einmal recht wissen, was ein Wende ist, geschweige, daß sie je ein
-wendisches Wort gehört hätten?! Könnt ihr paar Leute heutzutage noch
-daran denken, einen eigenen Staat zu bilden? Seht ihr nicht ein, daß
-das lächerlich ist? Ein Staat, wo ihr nicht einmal einen Abgeordneten
-zustande bringt? Aber freilich, ich kenne Leute, die hinüberschielen
-zu den Tschechen. Nicht ihr! Ihr habt euch euer Leben lang nicht um
-die Tschechen gekümmert, trotz aller Versuche, die von dort gemacht
-worden sind. Die Tschechen waren euch hundsegal; es gibt sogar viele,
-die dem wendischen Schmied Stosch recht geben, der den Buchdrucker
-Schmaler für einen Todsünder erklärt, weil er in eure Gesangbücher die
-tschechische Schreibweise eingeführt hat. Ihr seid von Kindheit an
-brave, zuverlässige Preußen oder Sachsen gewesen, und so wie ihr waren
-es eure Väter und Urväter. Ist das so?«
-
-»Ja, das ist so!«
-
-»Nun denn, wenn ihr gute Preußen oder gute Sachsen seid, warum wollt
-ihr es nicht auch äußerlich sein in Kleidung und Sitte, hauptsächlich
-aber in der Sprache, damit auch ihr mit euren Kindern besser fortkommt
-in der Welt? Und wenn euch jemand zur Vernunft, zum eigenen Nutzen rät,
-sagt an, ist er nicht in Wahrheit euer Freund?«
-
-Ein alter Bauer stand auf.
-
-»Ich bin ein guter Preuße, und mein Vater und Großvater waren gute
-Preußen. Aber wir waren auch gute Wenden. Und dabei soll es bleiben.«
-
-Juro wurde wieder erregt.
-
-»Das ist die alte -- die alte -- ich will es nicht aussprechen. Niemand
-kann zweien Herren dienen! Das wißt ihr schon aus der Bibel! Man soll
-nur eines sein und das eine ganz! Alles andere ist Zwiespältigkeit
-oder schlimmer: Hinterhältigkeit. Ja, ich glaube, daß der Staat nichts
-verliert, wenn er euch euer Wendentum läßt. Er nicht! Er, der Staat,
-hat eine fleißige, genügsame, ruhige Bevölkerung in einer Gegend,
-wo sonst nicht viel zu holen ist. Oh, der Staat ist zufrieden! Darum
-auch nicht die Spur von Unterdrückung, darum das Eingehen auf eure,
-ach so bescheidenen Wünsche. Ihr seid ja schon selig, wenn euch das
-Dresdener Kabinett einmal eine Verfügung in wendischer Sprache schickt.
-Der Staat fährt gut dabei; aber ihr fahrt schlecht, weil ihr nicht die
-gleichen Aussichten, nicht die gleichen Möglichkeiten habt wie die
-anderen. Nehmt mich zum Beispiel! Ich bin wendischer Geburt. Als ich
-auf die Schule kam, ist es mir viel schwerer geworden fortzukommen als
-den deutschen Mitschülern, weil ich das mühsam erst lernen mußte, was
-diese schon mitbrachten. Solcher Beispiele gibt es Tausende. Denkt an
-jeden Kaufmann, jeden Gewerbetreibenden, ja sogar jeden Rekruten. Die
-Sprache, die sonst allen eine Helferin ist, ist uns ein Hemmnis!«
-
-»Und das ist,« rief Samo erregt dazwischen, »weil wir in einem fremden
-Lande wohnen. Gehörten wir zu den Tschechen, so verstände eure Sprache
-jedermann. Deutschland ist nicht unser Land; wir sind Slawen und
-gehören zu den Slawen!«
-
-»Ich will nicht von Hochverrat reden,« sagte Juro, »der euch
-vereidigten Ortsvorstehern ja ganz fern liegt; ich bin auch weder
-Aufpasser noch Denunziant; ich will nur die ungeheure Dummheit der
-Tschechenillusion beleuchten. Hier hängt zu meiner Freude eine Karte
-von Europa an der Wand. Nun seht einmal her! Dieses kleine Fleckchen
-ist also Böhmen. Darin wohnen Tschechen, d. h. nur zur reichlichen
-Hälfte Tschechen. Die anderen sind deutsch. Nähmen wir nun wirklich zu
-dem kleinen Fleckchen auch Mähren hinzu, das noch weniger Tschechen hat
-als Böhmen, und ein bißchen slowakisches Hinterland -- was käm' heraus?
-Ein Weltstaat, nicht wahr?! Eine kolossale Macht?! Nein, ich sage
-euch, es wäre ein Kleinstaat mehr, noch dazu sprachlich und national
-zersetzt, ein Staat, der für sich gar nichts bedeutete, der im Norden,
-Westen und Süden von Deutschen umklammert wäre, im Osten die Polen
-hätte, mit denen sich die Tschechen mäßig, und die Ungarn, mit denen
-sie sich gar nicht vertragen. So könnte aus dem Ganzen nichts anderes
-werden als ein russischer Vasallenstaat, eine russische Provinz, und
-da wir wieder nur ein Provinzchen dieser Provinz sein könnten, so
-wären wir die Aftermieter der Aftermieter, und der Hausherr säße in
-Petersburg. Wir danken für eine solche Ehre! Wir wollen lieber deutsche
-Einwohner des großen deutschen Landes sein!«
-
-Nun stand Samo auf.
-
-»Des großen deutschen Landes,« lachte er höhnisch; »wo gibt es ein
-großes deutsches Land? Wo gibt es etwas Zersplitterteres, etwas
-Uneinigeres als dieses deutsche Land, wo gibt es etwas Lächerlicheres
-als diese »Frankfurter«? Wohin deine Sprache weist, da steht dein
-Vaterhaus, da ist deine Heimat, da ist dein Vaterland!«
-
-Der Streit hatte sich zu einem Wortgefecht zwischen Juro und Samo
-ausgewachsen, das über die Köpfe der Bauern wegbrauste. Die meisten
-saßen mit verdrossenen Gesichtern gelangweilt da. Das bemerkte Samo
-eher als Juro; darum spielte er einen guten Trumpf aus:
-
-»Wollt ihr jetzt zum deutschen Händler gehen, eure schöne Volkstracht
-einhandeln gegen einen schäbigen deutschen Anzug, sollen eure Frauen
-und Töchter nicht mehr ihre herrlichen Wendenkleider tragen dürfen,
-sollen die Spinnstube, die Kirmes, das Osterreiten aufhören, soll
-euer alter wendischer Gruß verboten sein, sollen eure wendischen
-Gesangbücher verbrannt, soll ...«
-
-Er wurde unterbrochen.
-
-»Nein, nein, nein! Wir sind Wenden! Wir bleiben Wenden!« schrie es
-durcheinander. Alle Schläfrigkeit war vorüber.
-
-»Wir bleiben Wenden!« rief ein alter Bauer zitternd.
-
-»Und -- und wer sich der wendischen Tracht und der wendischen Sprache
-schämt, der soll -- der soll gehen ...«
-
-Alle stimmten ihm zu. Juro sah, wie alle seine Behauptungen und deren
-Beweise vor alter Gewöhnung in nichts zerflossen.
-
-»Nun, so ist euch nicht zu helfen«, sagte er. »Die Kultur wird
-weitergehen auch gegen diese ~Gromada~, und die Betrogenen seid allein
-ihr!«
-
-»Und -- unsere alte Krone?« fragte ein Bauer.
-
-Alle sahen gespannt auf Juro.
-
-»Das Kraltum ist eine Sage,« sagte er ausweichend, »eine Sage, die sich
-jahrhundertelang erhalten hat, von der sogar hohenzollersche Fürsten
-gewußt haben, die aber durch nichts und in nichts anderem begründet ist
-als in der Einbildung unseres Volkes.«
-
-Der alte Hanzo sprang auf.
-
-»Du -- du -- du ...«
-
-Die Stimme brach ihm.
-
-»So stellst du mich -- mich -- als einen Lügner, als einen
-Theaterspieler hin -- vor diesen -- diesen Leuten ...«
-
-»Gott behüte mich -- nein! Wahr spricht, der das spricht, was er
-glaubt!«
-
-»Und du glaubst nicht, daß ich der Kral bin?«
-
-»Ich weiß es nicht!«
-
-Alle standen auf, ein großer Lärm entstand, Gläser wurden umgeworfen,
-einzelne Männer liefen gestikulierend in der Stube herum, alle sahen
-voll Abscheu auf Juro.
-
-»Und -- unsere alte Krone?« fragte nun Hanzo. »Jetzt weichst du nicht
-aus -- jetzt frage ich dich: Unsere alte Krone?«
-
-»Existiert nicht!«
-
-»Der Kronenhügel ...«
-
-»Ist leer!«
-
-»Hast du -- hast du nachgegraben ...«
-
-»Nein! Aber wenn ich es täte, würde ich nichts finden als Steine und
-Erde!«
-
-»Gottloser Mensch du!«
-
-Hanzo sank auf seinen Stuhl zurück, unfähig, weiterzusprechen.
-
-Da sprang der älteste der anwesenden Männer auf wie ein Jüngling und
-rief:
-
-»Er wird es nie wagen, an den Kronenhügel zu rühren.«
-
-Juro warf trotzig den Kopf zurück.
-
-»Ich werde es wagen! Ich werde es nun bestimmt tun. Ich werde beweisen,
-daß ich recht habe!«
-
-»Hinaus mit ihm! Das ist eine Gemeinheit! Hinaus!«
-
-Sie drangen auf Juro ein.
-
-Der wehrte sie ab.
-
-»Ihr habt hier kein Gastrecht«, schrie er sie an. »Wehe dem, der mich
-anrührt!«
-
-Da wichen sie zurück. Der alte Wende aber sprach:
-
-»Wie es in der Bibel steht, so frage ich jetzt: Was haben wir noch
-Zeugen nötig?«
-
-»Jawohl,« rief Juro, »so könnt ihr fragen. Die in der Bibel so
-fragten, waren die Pharisäer, und die Frage geschah vor dem elendesten
-Gerichtshof der Welt. Die paßt hierher!«
-
-Der Alte beachtete das nicht. Er sprach mit erhobener Stimme, indem er
-auf Juro mit dem Finger zeigte:
-
-»Wer mit mir der Meinung ist, daß dieser da mit den Wenden nichts mehr
-zu tun hat und nicht unser künftiger Kral sein kann, der stehe auf!«
-
-Alle erhoben sich.
-
-»So ist er für immer und ewig von uns abgesetzt!«
-
-Juro lachte laut auf.
-
-»Setzt mich doch ab, soviel ihr wollt! Ihr habt gar kein Recht dazu.
-Wer gibt euch dieses Recht? Von wem habt ihr's? Von euch selbst oder
-von jenem Schleicher da, der euch aufgehetzt hat?«
-
-Es entstand ein solcher Skandal, daß Juros Worte untergingen.
-Schließlich hatte er zu tun, einige tätlich auf ihn Eindringende
-abzuwehren. Er nahm seinen Hut. An der Tür rief er noch:
-
-»Wenn zwölf über einen herfallen, wird wohl der eine gehen müssen. Aber
-das sage ich euch: ich bin und bleibe der zukünftige Kral, der euch
-beweisen wird, daß es keinen Kral gibt!«
-
-
-
-
-Es war tiefe Nacht. Nur selten brach ein Mondstrahl durch das dichte
-schwarze Gewölk. Es war so still im Föhrenwald, daß man das leise
-Murmeln der Spree hören konnte.
-
-In der Nähe des »Kronenhügels« hockten zwei Männer.
-
-»Bis es Morgen ist,« sagte der eine, »bin ich tot vor Angst.«
-
-»Du hast doch eine Axt.«
-
-»Was nutzt mir die Axt, Kito, wenn der Nachtjäger kommt? Ich sage dir,
-Morkusky nimmt mir die Axt und spaltet mir den Kopf. Und ich hab' einen
-sehr schwachen Kopf!«
-
-»Man soll einen Schneider nicht zum Wächter machen«, sagte Kito.
-
-»Du hast leicht reden, Kito; du bist ein Junggeselle, und ich habe
-sieben Kinder.«
-
-»Warum zogst du mit auf die Wache?« fragte der alte Knecht.
-
-»Was soll ich machen -- wenn sie's doch verlangten? Sie sind doch alle
-meine Kunden, von denen ich leben muß. Und eine Nacht kommt jeder
-daran.«
-
-»Ja, solange noch der Juro drüben sitzt beim Withold, muß hier gewacht
-werden.«
-
-»Er ist ein gottloser, schrecklicher Mensch! Wenn er es nun wirklich
-tut? Der alte Kral wird aus seinem Grabe aufstehen und ihn mit seinem
-Schlangenschwert erstechen. Der alte Kral hat hier die silberne Krone
-selbst vergraben vor der Wendenschlacht.«
-
-»Ja,« sagte Kito traurig, »und nur eine Jungfrau mit silberner Schaufel
-soll sie heben, und dann wird das Wendenvolk stark sein.«
-
-Er schüttelte schmerzlich den weißen Kopf.
-
-»Er war so ein guter Junge, immer aufrichtig, nie hat er gelogen, auch
-immer freundlich, gut zu Mensch und Tier. Und nun -- und nun ...«
-
-Er preßte eine Hand über die Augen. Kito hatte viel Kummer auf seine
-alten Tage. Die gute Frau tot, der Herr blaß und schweigsam, Hanka gar
-nicht die fröhliche, glückliche Frau, wie er es gedacht und gewünscht
-hatte, selbst Samo ein wunderlicher Mann. Er lief so viel in den
-Städten und auf den Dörfern herum, saß so viel bei den Männern in der
-Schenke, war schon vierzehn Tage nach seiner Hochzeit wieder nach Prag
-gefahren. Was wollte er immer in Prag?
-
-»Bis morgen früh bin ich tot vor Angst«, begann der Schneider wieder.
-»Horch -- horch -- hörst du's rascheln?«
-
-»Ich höre nichts.«
-
-»O Kito, wenn du allein wachtest! Wenn du mich nach Hause gehen
-ließest! Ich würde dir auch gern meine Axt hier lassen.«
-
-»Ich brauche keine Axt. Aber wenn du willst, geh nach Haus. Hier
-nützest du doch nichts.«
-
-»Wirst du es auch niemand verraten?«
-
-»Nein!«
-
-»O Kito, ich mache dir deine neue Weste ganz umsonst.« Und fort war er.
-
-Nun Kito ganz allein war, überkam auch ihn Furcht und Grauen. Die Nacht
-war so unheimlich still, so unheimlich dunkel. Und alle alten Sagen und
-bösen Geschichten wurden lebendig im Herzen des Alten.
-
-Da hörte er ein Geräusch. Hatte er sich getäuscht? Da war wieder das
-Geräusch. Jetzt hörte er Tritte, deutliche Tritte. Kito lehnte sich an
-einen Baum. Eiskalter Schweiß rann ihm von der Stirn. Mühsam hielt er
-sich aufrecht.
-
-Da -- eine dunkle Gestalt, noch eine, noch eine. Drei oder vier.
-
-Kito fing laut an zu ächzen.
-
-»Ist hier jemand?« fragte eine Stimme. Es war die Stimme Juros.
-
-»Da ist ein Mann. Kito -- Kito -- bist du es?«
-
-»Pán Juro!«
-
-Der Alte wimmerte.
-
-»Was wimmerst du? Fürchte dich nicht! Hier ist nichts zu fürchten. Wir
-tun dir nichts. Was machst du hier?«
-
-»Ich -- ich soll -- soll bei dem Kronenhügel wachen.«
-
-»Wer hat es dir befohlen?«
-
-»Die ~Gromada~.«
-
-»Aah!«
-
-Juro lachte leise.
-
-»Höre, Kito, ich bin mit diesen drei Männern gekommen, den Kronenhügel
-aufzugraben.«
-
-»Tut es nicht, Pán Juro, tut es nicht!«
-
-Der Alte lag vor ihm auf den Knien.
-
-»Steh auf, Kito, ich kann das nicht sehen! Deine Bitten nützen nichts.
-Sieh, das sind drei wendische Männer, Ehrenmänner, die haben sich
-in der Welt umgesehen, und die werden nun Zeugen sein, daß in dem
-Kronenhügel nichts ist als Erde, Sand und Stein. Und so werden die
-Wenden von einem alten Aberglauben erlöst werden.«
-
-»Tut es nicht, Pán Juro, tut es nicht!«
-
-»Hör auf zu bitten; ich sagte dir schon, es nützt nichts. Oder willst
-du ins Dorf gehen und Skandal schlagen?«
-
-»Ich müßte es eigentlich tun; es wäre meine Pflicht. Aber, ich kann ja
-nicht, ich kann ja nicht; die Bauern kämen und schlügen Pán Juro tot.«
-
-»So stelle dich beiseite und warte! In weniger als einer Stunde wirst
-du sehen, daß ich recht habe, und dann werden alle Wenden es sehen. Du
-bist mir der willkommenste Zeuge.«
-
-»Tut es nicht, Pán Juro; es geschieht ein Unglück!«
-
-Juro schob den Alten beiseite. Er winkte den drei Männern. Jeder hatte
-Spaten und Hacke. Auch Juro trug diese Werkzeuge.
-
-»Ans Werk!«
-
-Die drei Wenden zögerten. Da sah Juro sie lächelnd an. Dann sagte er:
-
-»Nun wohl, ich werde die ersten dreißig Spatenstiche selbst tun, und
-wenn ihr seht, daß kein Morkusky und kein Kral sich einmischt, wird
-euch der Mut schon kommen.«
-
-»Tut es nicht, Pán Juro!«
-
-Kito warf sich auf den kleinen Hügel.
-
-»Nehmt den Alten weg!« befahl Juro. Die drei Männer zogen Kito empor
-und führten ihn abseits.
-
-Einen Augenblick später tat Juro den ersten Spatenstich in den heiligen
-Kronenhügel.
-
-Weinend kniete Kito beiseite mit gefalteten Händen, die er zum Himmel
-hob. Die drei Männer schauten mit ernsten Gesichtern zu. Juro grub und
-grub. Da kam erst einer der Männer und half ihm graben, und dann halfen
-alle drei. Der Mond brach durch die Wolken, es wurde ganz hell, und man
-hörte nichts als das schwere Atmen der Arbeitenden, das leise Wimmern
-Kitos.
-
-Eine gute Weile verging -- -- --
-
-Da ... »Da liegt was!« schreit ein Mann und springt aus der Grube.
-
-»Da -- da ist ein Topf!«
-
-»Eine Urne!«
-
-»Um Jesu willen, Pán Juro, den Hügel zu -- den Hügel zu!«
-
-»Weg mit euch! Es gibt viel Urnen in der Welt!«
-
-Juro hebt ein altersgraues Gefäß aus der Erde, er setzt es neben die
-Grube, löst den Deckel, schaut hinein ...
-
-»Was -- was -- was ...«
-
-Er stammelt -- er röchelt -- er stöhnt ...
-
-»Um Jesu willen, Pán Juro ...«
-
-Der greift in die Urne, nimmt etwas heraus, richtet sich auf, wendet
-sich gegen das Mondenlicht, steht so drei Herzschläge lang und bricht,
-wie vom Blitz erschlagen, mit einem markerschütternden Schrei zusammen.
-
-In der rechten Hand hält er eine alte Krone. --
-
-Die vier Männer knien zitternd, stammelnd, ächzend am Boden. Kito nimmt
-zitternd die alte Krone auf, küßt sie scheu am Rande und ruft weinend:
-
-»Du Heilige -- du Heilige -- du Heilige -- um Gottes willen, verzeih
-uns!«
-
-Und bettet die Krone wieder in die Urne, schließt mit zitternden Händen
-die Urne und senkt sie in die Erde.
-
-»Zuschütten! Den Hügel zuschütten! Schnell zuschütten! Sonst richtet
-uns Gott!«
-
-Wie die Rasenden arbeiten die Männer. In ganz kurzer Zeit ist der Hügel
-geschlossen.
-
-Dann läuft einer fluchtartig waldein. Die zwei andern helfen dem alten
-Kito, Juro aufzuraffen.
-
-»Lebt er?«
-
-»Sein Herz schlägt!«
-
-»Er ist so weiß wie eine Leiche. Er kann jeden Augenblick sterben.«
-
-»Helft ihn tragen!«
-
-Sie tragen ihn mühsam ins Dorf. -- -- --
-
-Vor dem Tor seines Vaterhauses wird Juro auf die Erde niedergelegt. Er
-schlägt die Augen auf.
-
-»Was -- was ist? Wo? -- Wer?«
-
-Plötzlich verzerrt er sein Gesicht.
-
-»Die alte Krone!«
-
-Und er sinkt in die Ohnmacht zurück.
-
-Der alte Kito wird über den Gartenzaun gehoben und dringt ins Haus. Er
-klopft an die Tür des Scholta.
-
-»Kommt herunter, Herr -- vors Tor -- es ist ein Unglück geschehen ...«
-
-Mehr bringt er nicht heraus.
-
-Vor dem Tor findet der alte Hanzo seinen Sohn. Er starrt ihn an und
-fragt dann mit eisiger Stimme:
-
-»Hat er nach der Krone gegraben?«
-
-»Ja.«
-
-Der Alte lehnt sich an das Tor.
-
-»Und ...?«
-
-»Und er hat sie gefunden!«
-
-Die drei Männer beugen vor dem Kral das Haupt.
-
-»Er hat sie gefunden!« wiederholt der Kral langsam. Trotz seiner
-schweren Herzensnot tritt ein sieghaftes Leuchten in seine Augen, die
-sich zu stummem Dank gen Himmel richten.
-
-»Er hat sie gefunden! Die alte Krone ist da! Gott sei gelobt in
-Ewigkeit! Amen!«
-
-Eine lange feierliche Stille. Dann sagt Kito:
-
-»Herr, Euer Sohn ...«
-
-Hanzo streckt die Hand aus gegen Juro.
-
-»Dieser ist nicht mein Sohn. Er ist ein Verbrecher. Ob er tot ist oder
-noch lebt, schafft ihn aus dem Dorf!«
-
-»Wohin sollen wir mit ihm?«
-
-»Wohin ihr wollt! Zu den Deutschen, die ihn verführt haben, oder
-irgendwohin; mir ist es gleich!«
-
-»Er ist schwerkrank. Wir müssen einen Wagen haben für den weiten Weg.«
-
-Hanzo besann sich eine kleine Weile; dann sagte er:
-
-»Den Wagen könnt ihr haben. Er steht schon hier am Tor.«
-
-Da faßte ihn Kito am Arm.
-
-»Herr, nicht auf den alten Bretterwagen, nicht den Sünderwagen, auf dem
-die Gehängten auf den Kirchhof gefahren werden!«
-
-»Es ist der rechte Wagen für diesen da! Einen anderen gebe ich für ihn
-nicht. Spannt ein Pferd an, legt eine Schütte Stroh auf den Wagen und
-schafft ihn fort!«
-
-Weinend schob Kito mit den anderen den alten Bretterwagen auf den
-Weg hinaus; behutsam und sacht holte er das Stroh und ein Pferd. Mit
-finsterem, starrem Angesicht sah Hanzo noch zu, wie Juro auf das Stroh
-gebettet wurde; dann schloß er das Tor, indes der alte Kito draußen von
-dannen fuhr.
-
-
-
-
-Oh, das war eine traurige Fahrt! Die Nacht so öde, der Weg so lang.
-Und so dahinfahren in Schande und Herzeleid mit einem, den man lieb
-hat! In seinem langen Leben hatte der alte Kito keine Stunde gehabt,
-die so bitter gewesen wäre wie diese. Und er zergrübelte seinen alten
-Kopf, wie er's nun anstellen sollte. Es war noch finster. Was würden
-die Leute auf der deutschen Herrschaft sagen, wenn er mit einem
-solchen Fuhrwerk daherkäme? Wie sollte er, der Knecht, sich vor die
-Augen eines gnädigen Herrn trauen und ihm sagen: »Auf dem Stroh meines
-Bretterwagens liegt Ihr Herr Schwiegersohn!«
-
-Wie hatte es nur der alte Hanzo tun können! Was für einen wilden Zorn
-mußte er in seinem Herzen haben, daß er dem Sohn diese Schande antat!
-
-O Gott, was sollte er nur tun, der alte Kito? Vielleicht war der, den
-er so langsam dahinfuhr, schon gestorben.
-
-Da hielt Kito an, da wandte er sich um nach dem Wagen, kniete bei Juro
-nieder und tastete mit seinen stumpfen Fingerspitzen nach Juros Herzen.
-Es dauerte lange, ehe er einen schwachen Herzschlag fühlte.
-
-Dann fuhr er weiter in müdem, schleppendem Tempo. Und als er an den
-Seitenweg kam, der nach dem Witholdschen Schlosse führte, fuhr er
-daran vorbei. Er hatte zu viel Angst, mit einem solchen Auftrage dem
-deutschen Herrn vor die Augen zu treten.
-
-Weiter ging es den Sandweg entlang. Was war das für eine Nacht! So
-gab es wirklich die alte Krone der Wenden! So war Hanzo wirklich ein
-König! Und seinen ältesten Sohn hatte der Schlag getroffen, als er
-sich an der Krone vergriff. Heilig war sie! Mochte Gott allen vergeben
-und alle schützen vor der Gewalt des Nachtjägers! Der Morgen kam. Ein
-kalter Morgen. Vielleicht begegneten Kito Leute vom Schloß, denen er
-Juro übergeben könnte. Da -- da sprang auch wirklich jemand über den
-Graben ...
-
-»Heda -- heda!« schrie der alte Kito.
-
-Ein Mann kam näher. Es war Heinrich von Withold. Er trug eine Büchse
-über der Schulter.
-
-»Was ist los? -- Was schreien Sie?«
-
-»O Gott -- gerade der gnädige junge Herr!«
-
-»Nun, was ist da weiter? Wohin wollt Ihr?«
-
-»Ich soll -- ich will -- Gott schütze mich!«
-
-»Aber Mann, was macht Ihr für Gerede?«
-
-»Sehen Sie, sehen Sie einmal in meinen Wagen!«
-
-»Juro!«
-
-Die Büchse fiel auf den Weg.
-
-»Ja -- was -- was ist denn? Ist er verunglückt? Wo bringt Ihr ihn denn
-her? Was ist geschehen? Juro! Juro!«
-
-Heinrich kletterte auf den Wagen, griff nach der Stirn Juros, fühlte
-nach seinem Puls.
-
-»Der Schlag hat ihn getroffen«, sagte Kito.
-
-»Nein, er scheint nur ohnmächtig zu sein -- Gott sei Dank, nur
-ohnmächtig ...! Spannen Sie das Pferd aus, damit es nicht anrückt! Dann
-helfen Sie mir! So! -- Den Kopf tief betten -- er ist ja leichenblaß --
-und nun die Arme und die Beine reiben -- tüchtig!«
-
-Heinrich flößte dem Kranken Kognak aus seiner Feldflasche ein und rieb
-ihm die Herzgrube.
-
-Dabei fragte er Kito:
-
-»Wo habt Ihr ihn gefunden?«
-
-Stammelnd, unter vielen Tränen, sagte der Alte:
-
-»Er hat -- hat -- die alte Krone ausgegraben, und da hat ihn der Schlag
-getroffen.«
-
-»Die alte Krone? Seid Ihr irre?«
-
-»Ich war selbst dabei. Ich hatte am Kronenhügel Wache.«
-
-»Und er hat wirklich eine alte Krone gefunden?«
-
-»Ja, in einem alten grauen Topf.«
-
-»Das ist nicht möglich!«
-
-»Ich habe es gesehen, Herr! Ich hab' die Krone ja selbst wieder in den
-Topf getan und sie wieder eingegraben.«
-
-»Kräftiger reiben! Kräftiger! -- Und er fiel also ohnmächtig um? --
-Die Nerven! Er war schon so aufgeregt vorher. Er hat nächtelang nicht
-geschlafen! -- Ja, Mann, wie kommt Ihr denn zu dem Wagen?«
-
-Kito gab jammernd Auskunft.
-
-»Was -- auf einen Mist- -- auf einen Schand- und Schinderwagen -- der
-eigene Vater?! -- -- -- Bande! Bande! Bande!«
-
-Juro schlug die Augen auf. Da lachte Heinrich gezwungen.
-
-»Na also, alter Junge! Du machst schöne Geschichten! Aber es ist nichts
-dabei, wird bald vorüber sein! Da trink mal!«
-
-»Wo bin ich? Was ist?«
-
-»Davon reden wir später. Jetzt trink mal!«
-
-Juros Auge wanderte umher; seine Stirn runzelte sich zu angestrengtem
-Nachdenken, und dann sagte er erschauernd:
-
-»Die Krone! Die Krone!«
-
-»Laß das jetzt, Juro! Ich weiß alles. Laß das jetzt! Spannen Sie ein,
-Mann! Dann den Weg rechts hinab!«
-
-»Es ist schrecklich, Heinrich! Sie ist da! Es ist alles -- alles wahr!
-Sie ist da!«
-
-»Sei jetzt ruhig! Wir wollen nach Hause.«
-
-»Ich schäme mich -- ich hab' ein Heiligtum geschändet -- ich bin
-schlecht!«
-
-Sie fuhren einen Weg hinab. Kurz vor dem Schloß half Heinrich dem
-Kranken vom Wagen. Juro stützte sich auf die beiden Männer und trat
-durch eine Hintertür ins Schloß.
-
-
-
-
-Es waren etwa zwei Wochen vergangen. Da ließ sich Heinrich von Withold
-beim alten Scholta Hanzo anmelden. Er wartete im Kretscham auf Antwort.
-Es dauerte zwei Stunden ehe die Nachricht eintraf, daß der Scholta
-Heinrich erwartete. Die beiden Männer begrüßten sich stumm. Der Scholta
-wies auf einen Stuhl.
-
-»Ich danke,« lehnte Heinrich ab; »ich habe nicht viel zu sagen.
-Allerdings, was ich zu sagen habe, ist wichtig. Mein Freund und
-Schwager Juro hat, gehetzt durch die aufgestachelte öffentliche
-Meinung und in der Überzeugung, daß eine alte Krone der Wenden nicht
-existiere, nach ihr gegraben und zu seiner schweren Überraschung eine
-Krone gefunden. Da ist er dem Schreck, einem plötzlichen Nervenanfall,
-erlegen -- er ist ohnmächtig geworden.«
-
-»Gott hat ihn geschlagen!« sagte Hanzo ernst.
-
-Heinrich beachtete den Zwischenruf nicht, sondern fuhr fort:
-
-»Als ich Juro auf Ihrem Düngerwagen liegend fand, hatte ich zuerst vor,
-die ganze Sache der Behörde anzuzeigen.«
-
-»Das konnten Sie! Von uns aus ist nichts Unrechtes geschehen.«
-
-»Ich weiß nicht,« entgegnete Heinrich kalt, »wieweit sich die beiden
-Würden eines preußischen Schulzen und heimlichen Wendenkönigs
-miteinander vertragen, jedenfalls habe ich die Anzeige unterlassen,
-weil ich mich zu solchen Dingen nicht eigne. Aber ich habe etwas
-anderes getan: ich habe mir die Krone auch einmal angesehen! Hier ist
-sie!«
-
-Er zog unter dem weiten Kragen seines Mantels ein Paket hervor und
-legte es auf den Tisch.
-
-»Was -- was -- was sagen Sie? -- Was ist das?«
-
-Heinrich löste die Umhüllung, eine alte Krone, ein schmaler silberner
-Stirnreif wurde sichtbar.
-
-»Da! -- Das hat Juro gefunden!«
-
-Der alte Hanzo streckte entsetzt die Hände aus gegen den Tisch.
-
-»Das -- das -- die Krone! -- Sie haben es gewagt -- Sie ...«
-
-»Regen Sie sich nicht auf,« sagte Heinrich ruhig; »die Krone ist
-gefälscht!«
-
-Der alte Wende sank auf einen Stuhl; die Zähne schlugen ihm aufeinander.
-
-»Ist das -- ist das -- die Krone aus dem Hügel?«
-
-»Ja, und sie ist nicht die alte Kralskrone, sie ist gefälscht!«
-
-»Sie haben sie ausgegraben?«
-
-»Ja -- unter der Zeugenschaft von zwei gebildeten Männern.«
-
-Da stürzte der alte Hanzo mit geballten Fäusten auf Heinrich los,
-schlug auf ihn ein, rang mit ihm und mußte doch von dem Angegriffenen
-halb gehalten werden, damit er nicht niederfiel. Schließlich sank er
-völlig gebrochen, kraftlos und erschöpft auf seinen Stuhl.
-
-Da öffnete sich die Tür, und Samo trat ein.
-
-»Was geht hier vor?«
-
-»Ich habe dem Scholta die Krone gebracht, die mein Freund Juro neulich
-gefunden hat.«
-
-Samo wurde bleich.
-
-»Wie kommen Sie zu der Krone?«
-
-»Ich habe sie ausgegraben mit noch zwei gebildeten Männern; ich habe
-sofort erkannt, daß es sich um eine wertlose Imitation handelt, und
-habe mir meine Ansicht durch ein Sachverständigenurteil in Berlin
-bestätigen lassen. Hier ist eine beglaubigte Abschrift!«
-
-»Sie sind ein Lump!« schrie Samo heiser.
-
-»Es ist mir eine Ehre, von Ihnen beschimpft zu werden,« erwiderte
-Heinrich mit eisiger Kälte; »denn ich bringe Sie mit dem schmählichen
-Betrug, der hier vollführt wurde, in Verbindung.«
-
-»Herr! Sie werden mir mit der Waffe Genugtuung geben. Diese Schmach
-kann nur Ihr Tod sühnen!«
-
-»Ich schlage mich nicht mit Verbrechern!« sagte Heinrich verächtlich.
-
-Da fiel Samo über ihn her, Heinrich aber schleuderte ihn beiseite und
-verließ rasch das Haus.
-
-
-
-
-»Vater!«
-
-Samo beugte sich über den Alten, dessen Kopf auf der Tischplatte ruhte.
-Hanzo hob das Haupt. Er sah seinem Sohne starr ins Gesicht und sprach:
-
-»Samo, hast du's gehört? Hast du es auch gehört, was der Mensch
-Schreckliches sagte, oder ist alles ein Spuk, oder bin ich irrsinnig
-geworden durch all die schwere Zeit?«
-
-»Ich habe es gehört, und da ist die Krone!«
-
-»Die Krone!«
-
-Furchtsam starrte der Alte wieder auf den silbernen Reif.
-
-»Er sagt -- er sagt -- sie ist falsch!«
-
-»Er ist ein deutscher Hund!« schrie Samo zornig; »einer, dem nichts
-heilig ist, einer, der auf unseren Grund und Boden eindrang und die
-Krone stahl.«
-
-»Ist das -- ist das wirklich die Krone aus dem Hügel?«
-
-»Frage Kito -- er hat sie gesehen.«
-
-Kito wurde gerufen. Als er auf dem Tisch die Krone sah, wollte er an
-der Tür umkehren. Gespenster, nichts als Gespenster in seinen alten
-Tagen! Aber er mußte in die Stube, mußte an die Krone herantreten.
-
-»Es ist die Krone aus dem Hügel«, sagte er bebend. »Ich kenne sie genau
-wieder.«
-
-Da traten alle drei Männer von dem Tische zurück.
-
-»Da liegt ein Papier,« sagte Hanzo endlich scheu, »auf dem soll stehen,
-die Krone ist gefälscht.«
-
-»Willst du es lesen, Vater?« fragte Samo und hielt ihm das Blatt Papier
-hin, das Heinrich dagelassen hatte. »Lies es!«
-
-»Nicht hier, nicht bei der Krone!« wehrte der Vater ab.
-
-»Weißt du, was auf solchen Papieren von Deutschen schon alles gestanden
-hat?« fragte Samo. »Daß es keinen Gott gibt, daß es kein Vaterland
-gibt, daß es kein Eigentum gibt, daß es kein Recht der Slawen gibt,
-ja daß es überhaupt keine Welt gibt, daß alles Einbildung, Täuschung
-ist. Alle solche Dinge haben auf deutschen Urkunden von sogenannten
-deutschen Sachverständigen schon gestanden. Auf diesem Papier da
-wird zur Abwechslung stehen, es gibt keinen Kral der Wenden, und der
-tausendjährige Beweis, die Krone, ist falsch. Es gibt nur eine deutsche
-Herrschaft, eine deutsche Krone! Können wir von unseren Feinden ein
-anderes Urteil erwarten? Kann ein Urteil, das unsere Widersacher bei
-ihresgleichen bestellt und bezahlt haben, anders ausfallen?«
-
-»Nein!« sagte Hanzo, »du hast recht!«
-
-Er zerriß das Papier in viele kleine Teile.
-
-»Die Krone ist genug beleidigt«, sagte er. »Gehet jetzt hinaus. Laßt
-mich allein!«
-
-Und der Kral blieb bei der Krone mit einer großen königlichen Andacht
-im Herzen.
-
- * * * * *
-
-Am Nachmittag desselben Tages wurde der Kronenhügel noch einmal
-aufgegraben, und zwar in Gegenwart Hanzos, Samos und dreier Zeugen aus
-dem Dorfe. Die Männer überzeugten sich, daß der Hügel nunmehr leer
-sei, und Hanzo gab den Befehl, daß er der Erde gleich gemacht werde.
-
-»Tausend Jahre lang hat er unsere heilige Krone beherbergt,« sagte er
-ergriffen; »nun ist seine Ruhe gestört und entheiligt worden, nun soll
-er nicht mehr sein!«
-
-Dann ging er mit den Zeugen nach seinem Hause, zeigte ihnen die Krone
-und sagte:
-
-»Das ist die Krone der Wenden! Ihr Silber ist vom Himmel gefallen, ein
-gottgesandter Mann hat sie geformt. Der Urkral hat sie getragen. Aus
-ihrem tausendjährigen Hause ist sie vertrieben worden. Sie soll zurück
-in die mütterliche Erde. Denn nicht ist die Jungfrau mit der silbernen
-Schaufel gekommen und hat sie ans Licht geholt, Frevlerhände haben es
-getan. Ich werde die Krone wieder begraben an einem anderen Ort. Den
-soll aber niemand wissen als mein Sohn Samo und ich, als immer der Kral
-und sein ältester Sohn. Was ihr gehört und gesehen habt, dürft ihr den
-Wenden erzählen, aber keinem Deutschen.«
-
-Die Männer gelobten das und gingen in größter Erregung von
-dannen. -- -- --
-
-Als Hanzo mit Samo allein war, sprach er:
-
-»Unter der Kirchhoflinde, dort, wo die Mutter liegt, werden wir eine
-Grube graben, dahin werden wir die Krone legen. Sie wird dann über
-Mutters Kopf sein und bald auch über meinem.«
-
-Samo wandte sich ab.
-
-Er stand am Fenster und schaute hinaus auf die Straße. Sein Atem ging
-rasch. Endlich wandte er sich um.
-
-»Wähle einen anderen Ort, Vater! Der Kirchhof ist die Stätte der Toten.
-Unsere Krone aber ist lebendig, und unsere Hoffnung knüpft sich daran,
-die Hoffnung, daß wir Slawen noch einmal loskommen von diesem elenden
-Lande der Deutschen. Deshalb muß die Krone lebendig bleiben, Vater.
-Ganz lebendig vor aller Augen und in aller Herzen! Daran, an diesem
-Glauben, hängt unsere Zukunft. Wähle einen anderen Ort!«
-
-Der Vater blieb bei seinem Vorsatz.
-
-»Die in der Kirchhofserde liegen,« sagte er, »sind nur tot für eine
-Zeit, dann wird sie unser Herr Christus auferwecken. Und auch unsere
-Krone wird eines Tages auferstehen. Du wirst sie mit mir dort begraben,
-wo ich dir gesagt habe. Sie ist dort sicher; denn sie hat dort Wächter,
-an die sich nicht leicht jemand wagt.«
-
-»Ich werde dir gehorchen!« sagte Samo.
-
-
-
-
-Auf dem Bahnhof zu Prag stand Hanka. Sie sah sich verängstigt um. Ihre
-Stirn war weiß, aber auf ihren Wangen brannten große rote Flecken.
-Da stellte sie plötzlich das Paket hin, das sie getragen, und begann
-heftig zu zittern.
-
-»Da -- da -- ist er -- Samo!«
-
-Samo kam auf sie zu und küßte sie scheu auf den Mund.
-
-»Samo! Samo!«
-
-»Pst -- still! Nur keinen Namen nennen! Hier lauern überall
-Polizeihunde. Komm weiter!«
-
-Er zog Hanka aus dem Bahnhof hinaus und nahm einen geschlossenen Wagen.
-Im Wagen fiel sie ihm um den Hals und weinte leidenschaftlich.
-
-»O Samo -- Samo! Endlich seh' ich dich wieder!«
-
-Er sagte etwas, was sie nicht verstand.
-
-»Ist es dir nicht lieb, Samo, daß ich dir nachgekommen bin?«
-
-»Warum soll es mir nicht lieb sein? Aber ich fürchte, dir wird es nicht
-lieb sein, daß du es getan hast, wenn du erst siehst, wie ich lebe!«
-
-Er sprach mit abgewandtem Gesicht.
-
-»Ich gehöre zu dir; ich bin dein Weib. Oh, warum hast du uns so lange
-nicht geschrieben? Fast zwei Jahre! Was haben wir ausgestanden um dich!«
-
-»Ich konnte nicht! Ich mußte glauben, daß ihr mich verfluchtet!«
-
-»Das haben wir nie getan. Von Anfang an nicht! Du warst nie schlecht!«
-
-Samo sah finster zur Seite. Eine Weile schwiegen sie. Nur Hanka weinte
-leise vor sich hin.
-
-»Also, er ist nicht tot?« begann Samo wieder. Seine Stimme war düster.
-
-»Nein, er war kaum zwei Monate lang krank.«
-
-Samo schüttelte den Kopf.
-
-»Merkwürdig! Ich weiß doch als Arzt, wo das Herz sitzt. Und ich hab'
-aufs Herz gezielt. Das Messer muß abgeglitten sein.«
-
-»Sprich nicht davon, Samo, sprich nicht davon!« rief Hanka erschauernd.
-
-»Ja, ich spreche +nur+ davon! Ich hab' in den ganzen zwei Jahren
-eigentlich nichts anderes mit mir selbst verhandelt als immer das eine.
-Ich glaubte, er sei längst vermodert.«
-
-»Samo, sprich nicht so Schreckliches!«
-
-»Hätte er sich mit mir duelliert,« fuhr Samo fort, »wäre es anders
-gekommen. Vielleicht hätte er dann eine Kugel in diesen heißen,
-unglücklichen Schädel geschossen, und es wär' gut gewesen.«
-
-»Samo!«
-
-»Aber er verachtete mich! Er behandelte mich wie einen Hund. Er
-schickte meinen Zeugen heim. Er beleidigte mich aufs neue, als ich ihn
-persönlich stellte. Da bekam er das Messer in die Brust. Ich konnte
-nicht anders. Meine Hand tat es von selbst.«
-
-»Er hat dich schwer beleidigt, Samo, wir wissen es; er hat sich auch
-frech an unserer alten Krone vergriffen; er hat die meiste Schuld
-gehabt!«
-
-»Sie haben einen Steckbrief hinter mir erlassen?«
-
-»Ja, der alte Withold hat's nicht gewollt -- um Juros willen -- wegen
-des Namens --, aber der Staatsanwalt ist gekommen, und es hat sich
-nichts ändern lassen. -- Juro hat damals seine Verlobung aufgelöst --«
-
-»So?«
-
-Samo schwieg eine Weile.
-
-»Weil sein Name geschändet war -- weil ich den Bruder seiner Braut --
-nun ja, ich kann mir's denken!«
-
-»Das Mädchen, die Elisabeth, ist aber dem Juro nachgegangen nach
-Breslau. Sie hat ihn nicht losgelassen. Jetzt sind sie schon
-verheiratet.«
-
-»Na also! Ist Hochzeit zu Haus gewesen, und man hat nichts davon
-gewußt!« lachte Samo gezwungen. »Wo wohnt denn das junge Paar? Beim
-Vater zu Haus auf der Scholtisei?«
-
-»Nein, unser Vater und Juro sind noch in Feindschaft. Der Vater
-verzeiht es Juro nicht, daß er sich an der Krone vergriffen hat, wie er
-dir alles verzeiht, weil du doch die Krone verteidigt hast.«
-
-Samo sah zum Wagenfenster hinaus.
-
-»Die verfluchte Krone!« sagte er leise und ingrimmig.
-
-»Was -- was sagst du, Samo?« fragte Hanka erschrocken.
-
-»Ja, Weib, ahnst du denn, was ich ausgestanden habe? Kannst du nur ein
-wenig einsehen, was das heißt, zwei ganze Jahre mit einem Ermordeten
-zu ringen, was das heißt, verbannt, geächtet, verfolgt zu sein, ein
-Mordbube zu sein, dem jeder Straßenpassant gefährlich und verdächtig
-erscheint, was das heißt, wenn einem so das ganze Leben und alle
-Hoffnung zusammenbricht?«
-
-»Der junge Withold ist nicht tot«, sagte Hanka.
-
-»Aber ich habe es geglaubt; ich habe darum nicht an euch geschrieben,
-hab' mich verkrochen in die elendesten Spelunken Prags unter falschem
-Namen, als Vagabund zu den Vagabunden, bis ich es nicht mehr aushielt,
-bis ich euch doch eine Nachricht gab.«
-
-»Jetzt wird es besser werden, Samo, lieber Samo!«
-
-»+Besser+ -- vielleicht! Es kann aber nicht mehr +gut+ werden. Der
-Schatten freilich wird mich jetzt in Ruhe lassen; aber die Heimat ist
-verloren, die Ehre ist verloren, das Leben ist zerbrochen.«
-
-Er preßte die Fäuste vor die Augen. Sie schlang den Arm um seinen Hals.
-
-»Samo, ich hab' dich lieb!«
-
-Er nickte versonnen und sah mit verlorenem Blick vor sich hin.
-
-»Das ist das Sonderbare! Als es mir gut ging, hattest du mich nicht
-lieb, da liebtest du den Juro.«
-
-Sie wurde rot.
-
-»Und jetzt bist du mir nachgekommen ins Elend. In ein viel schlimmeres
-Elend, Hanka, als du meinst. Du wirst es nicht aushalten.«
-
-»Ich werde alles aushalten, Samo! Ich hab' dich lieb!«
-
-Er schob sie sacht beiseite.
-
- * * * * *
-
-Es war ein elendes Quartier, das Samo in einer Vorstadt Prags bewohnte,
-die Parterrestube eines schmutzigen Hauses. Ein Bett stand in dem
-sonnenlosen Raum, ein wackeliges Sofa, ein Tisch und ein paar Stühle.
-An der Wand waren einige Kleiderhaken, auf einem Stuhl stand ein
-halbzerbrochenes Waschbecken.
-
-»Also, da wohne ich!« sagte Samo. »Das ist die Residenz des zukünftigen
-Krals der Wenden.«
-
-Er lachte höhnisch und bitter. Hanka flog ein Schauer durch Leib und
-Seele. Sie, deren ganzes Sinnen von Jugend an auf Ordnung, Reinlichkeit
-und behaglichen Wohlstand gerichtet war, erschrak vor dieser
-liederlichen Höhle.
-
-»Hier wohnst du?« fragte sie tonlos. »Die ganzen Jahre?«
-
-»Seit einem halben Jahr. Meine frühere Wohnung war noch schlimmer;
-zeitweise hatte ich überhaupt keine Wohnung.«
-
-Da brach sie in Tränen aus.
-
-»Es wird jetzt besser, Samo; ich bringe dir Geld mit von deinem Vater
--- sechstausend Taler!«
-
-Samos Augen blitzten auf.
-
-»Geld? -- Sechstausend Taler? -- Ah, mein Mutterteil! Das ist nicht
-schlecht!«
-
-Er lächelte vergnügt.
-
-»Geld habe ich schon lange nicht mehr gehabt. Aber sag' das niemandem,
-Hanka, das darf niemand wissen! Das würde gleich Verdacht erregen. Ich
-bin hier der verbummelte und verarmte Journalist Wenzel Halek. Das
-darfst du nie vergessen. Ich heiße Wenzel Halek.«
-
-Sie setzte sich müde und traurig auf einen Stuhl.
-
-»Ja, ja, Hanka, so weit kann es kommen. Selbst den Namen muß man sich
-schließlich erschachern oder stehlen. Ich habe einem verbummelten Kerl
-seine Papiere abgekauft. Um fünfzig Kreuzer! Die fünfzig Kreuzer hat er
-noch vertrunken, und am anderen Tage ist er am Delirium in einem Spital
-gestorben, ohne noch einmal zur Besinnung zu kommen.«
-
-»O Gott, o barmherziger Gott!«
-
-»Ja, Hanka, ich will dir von vornherein sagen, in was für eine Welt du
-kommst. Ich sagte dir schon, du wirst es nicht ertragen. Ich -- ich
-habe mich schon daran gewöhnt. Ich passe schon hierher!«
-
-»Samo!«
-
-»Ich heiße Wenzel! Vergiß das nicht! Samo ist tot -- der neue Wenzel
-Halek ist ein Lump -- er sauft ebenso wie der alte Wenzel Halek.«
-
-»Samo, Samo, was -- was redest du --«
-
-»Ich will dich nicht belügen. Ich bin ein Süffling geworden. Es gab
-Zeiten, wo ich durchschnittlich in der Woche siebenmal betrunken war.
-Das wird so, wenn man mit -- mit Schatten kämpft und wenn man alles,
-was einem lieb war, verloren hat.«
-
-Er stieß es rauh, brutal, unbarmherzig heraus. Hanka sank mit dem Kopf
-auf den Tisch.
-
-Da öffnete sich die Tür, ohne daß angeklopft worden war. Eine dicke,
-alte Tschechin trat ein. Sie besah sich mit frecher Neugier Hanka.
-
-»Also -- das ist die Frau Halek? Das ist das neue Frauchen? Ein
-schmuckes Frauchen! -- Nu, Herzchen, wie gefällt es Ihnen hier? Ja,
-mein Fräulein, das Zimmer ist nicht groß, aber es ist gemütlich!«
-
-»Mach, daß du hinauskommst, alte Schwarte«, tobte Samo.
-
-»Oho, das ist meine Stube! Und Sie sind noch zehn Gulden schuldig.«
-
-»Kriegst du morgen! Und nun hinaus, ~murguta Myrlawa!~«[56]
-
-Er schob die Alte zur Tür hinaus.
-
-»Wer -- wer ist diese Frau?« fragte Hanka betroffen.
-
-»Meine Wirtin.«
-
-»Was will sie? Sie nannte mich Fräulein. Hast du ihr nicht gesagt, daß
-ich deine Frau bin?«
-
-»Ich hab' es ihr gesagt. Aber solches Volk glaubt das nicht. Hier läuft
-alles durcheinander.«
-
-Sie nahm ihn ängstlich an der Hand.
-
-»Nicht wahr, Samo, wir werden eine ordentliche Stube nehmen und ein
-ordentliches Leben führen?«
-
-Er machte sich achselzuckend los von ihr.
-
-»Das geht nicht so auf einmal. Das fällt doch auf.«
-
-»Du kannst doch sagen, ich -- ich habe dir das Erbteil mitgebracht --«
-
-»Vorsichtig müssen wir sein. Ich werde sehen, was sich wird machen
-lassen.«
-
-
-
-
-Ein und ein halbes Jahr waren seitdem wieder vergangen. In eine
-»ordentliche Stube« waren Samo und Hanka gezogen, hoch in den oberen
-Stock eines sauberen Hauses. Aber ein »ordentliches Leben« führten sie
-nicht.
-
-Samo war liederlich geworden.
-
-Er hielt es nicht aus in der engen Klause, wo das stille Weib saß und
-mit heimwehkranken Augen zum Fenster hinausstarrte, hinauf zu den
-Wolken, die am Himmel wanderten. Er wußte, daß ihre Sehnsucht immer mit
-auf die Reise ging, hinstrebte nach der wendischen Heimat, die für ihn
-und sie auf immer verloren war.
-
-Und er hatte keine geordnete Beschäftigung. Am Anfang hatte er manchmal
-Bücher aus einer Bibliothek besorgt und etwas studiert. Aber was
-nutzte ihm das Studieren? Er interessierte sich in der Hauptsache für
-medizinische Schriften, und was in aller Welt sollte ihm noch die
-medizinische Wissenschaft nutzen? Wenzel Halek war nicht approbiert,
-Wenzel Halek hatte nur das Äußere mit Samo ziemlich ähnlich gehabt;
-geistig war er ein verlumpter Kerl gewesen, der sich keinerlei
-Qualifikationen erworben hatte. Das elende Leben Haleks, das im
-Delirium geendet war, mußte Samo nun fortsetzen.
-
-»Hat der erste Wenzel Halek gesoffen, kann auch der zweite Wenzel Halek
-saufen«, sagte er oft zynisch und brutal.
-
-Hanka vermochte nichts über ihn. Sie war ihm geistig nicht gewachsen;
-er unterhielt sich auf die Dauer nicht gern mit ihr, zumal sie nicht
-viel anderes zu reden wußte als von ihrer wendischen Heimat. Einmal
-hatten ihre Eltern auf Besuch kommen wollen; sie hatte es auf Samos
-Wunsch verhindern müssen.
-
-So war Hanka in schwerster Verlassenheit.
-
-Samo lief viel in die Wirtshäuser. Und er verkehrte in untergeordneten,
-schlechten Vorstadtlokalen. »Damit es nicht auffalle, daß er plötzlich
-mehr Geld habe«, gab er als Grund an. In Wirklichkeit hatte er -- seit
-er aus der besseren Gesellschaft ausgestoßen war -- einen Haß auf
-alles, was sicher, ordentlich, anständig erschien; er degradierte sich
-in tollem Grimm über sein Schicksal, ja in Haß gegen sich selbst mehr
-und mehr. Schließlich gewöhnte er sich an die wilde Gesellschaft.
-
-Pöbel saß in den niederen Gaststuben. »Flamender« werden diese
-Vagabunden des Lebens in Prag genannt: Diebe, Zuhälter, entlassene
-Sträflinge, Bettler, Trunkenbolde, Dirnen und dazwischen die große
-Schar der Entgleisten aus guten Familien: verbummelte Literaten
-und Studenten, Musiker, fortgelaufene Schüler, herabgekommene
-Komödianten, bankerotte Kaufleute. Der Massenhaftigkeit dieser
-Existenzen war es zuzuschreiben, daß in demselben Jahre in Prag, das
-damals zweihunderttausend Einwohner zählte, über zwanzigtausend Leute
-verhaftet wurden, also immer der zehnte Mensch. Und da wurde noch
-geklagt, die Polizei sei zu nachlässig! --
-
-Der Tabaksqualm war heut ärger denn je. Die schmierige Wirtin, der
-fettquabbelnde Wirt liefen her und hin, Fusel tragend und schlechten
-Wein. Zweimal war schon eine Prügelei gewesen, einmal war die Polizei
-einem Taschendieb nachgegangen, der sich hierher flüchtete, hatte ihn
-weggeholt und bei dieser Gelegenheit noch einen andern Kerl und ein
-Frauenzimmer mitgenommen.
-
-Jetzt war verhältnismäßig Ruhe. Ein paar Individuen unterhielten sich
-in der »Hantyrka«, der Gaunersprache, und manch ein Ohr lauschte hin,
-um etwas von dieser Kunst zu profitieren.
-
-Am Tisch bei Samo saßen noch zwei Männer, beide in schäbigen,
-abgetragenen Kleidern. Ihre Gesichter waren zerdunsen, von
-vielen schlimmen Leidenschaften entstellt. Aber jene Linien im
-Menschenantlitz, die aus den besten Jahren des Lebens stammen und deren
-tiefe Schönheit durch nichts von der Stirn wegzuwischen ist, waren auch
-noch in den Gesichtern jener Männer.
-
-Draußen läutete eine tiefe Glocke. Da sagte der eine:
-
-»Das ist die Veitsglocke! Ich erkenne sie am Klang. Sie hat mich oft
-genug zur Kirche gerufen.«
-
-»Du bist Katholik?«
-
-»Ich meine schon. Ich habe in jener Kirche ungezählte Male das Hochamt
-gesungen.«
-
-»Ach, du warst Priester?«
-
-Der andere zuckte die Schultern.
-
-»Prosit!« sagte er und trank seine ganze Flasche leer.
-
-»Siehst du, Pfäfflein,« sagte der zweite, »ich hab' mich mein
-ganzes Leben lang mit den Schwarzen nicht vertragen. Als ich noch
-Bezirksrichter war, habe ich ihnen zu schaffen gemacht. Jetzt ist's
-anders. Da sitze ich gemütlich hier mit dir. Laß mich einmal aus deiner
-Flasche trinken, Brüderlein! Pfui, leer -- na also, die Kirche hat
-immer noch einen guten Magen.«
-
-Er lachte unflätig.
-
-»Ja,« fuhr er fort, »da sitzt man hier mit sechs Kreuzern in der
-Tasche. Wo sind nun die Mündelgelder, die ich geschluckt haben soll?
-Der Teufel hol' die ganze Gesellschaft!«
-
-»Ein Cikán! Ein Cikán!«
-
-Ein Zigeuner trat in die Stube und verlangte Schnaps. Er hatte ein
-schwarzes Weibsbild mit, das alsbald die Karten aufschlug oder aus
-der Hand weissagte. Sie erhielt nur einige Kreuzer für ihre Kunst;
-aber alles lauschte gespannt und gläubig ihren Worten. Sie mischte
-ihre Vorhersagungen aus buntem Glück und schwarzem Unheil, prophezeite
-goldene Reichtümer oder auch den Tod am Galgen. Da gab es Gelächter und
-Zähneknirschen. Auch der frühere Geistliche hielt ihr seine Hand hin.
-Sie sah ihn einige Augenblicke forschend an. Dann sprach sie:
-
-»Du bist der Luzifer, der vom Himmel in die Hölle gefallen ist. Und du
-wirst dort liegen bleiben!«
-
-»Hallo, sie weiß alles! Der Luzifer! Das ist nicht schlecht! Er ist ein
-Pater gewesen! Aber das ist doch lange keine Hölle hier, Zigeunerweib?!
-Oder doch eine lustige Hölle! Laßt uns trinken!«
-
-Auch an Samo trat die Zigeunerin heran. Er dachte an die alte Wičaz zu
-Haus, die ihm einmal geweissagt hatte, und hielt seine Hand hin. Die
-Zigeunerin betrachtete erst sein Gesicht, dann seine Hand und sagte:
-
-»Es sind zwei Blutflecken in deinem Leben. Einer ist von einem Fremden,
-der andere ist von deinem eigenen Blut. Es ist ein anderer schuld, daß
-du hier bist. Du wirst dich an ihm rächen.«
-
-Samo nickte düster.
-
-»Du scheinst deine Sache besser zu verstehen als die alte Wičaz. Was
-faselte sie von den zwei Adlern? Nun wird wohl nicht der eine im
-Lóbjofluß ertrinken, sondern der andere in der Moldau.«
-
-Er warf der Zigeunerin einen Gulden hin.
-
-Da setzte sie sich auf sein Knie, küßte ihn auf die Wange und flüsterte
-ihm dann ins Ohr:
-
-»Mach dir nichts aus dem, was ich dir gesagt habe. Aber wenn du einen
-Feind hast, räche dich!«
-
-In der Nähe der Tür saß ein Slowak. Er war aus dem fernen ungarischen
-Karpathenwald vor Jahr und Tag ausgewandert und hatte Weib und Kind
-daheim gelassen. Mit Mausefallen hatte er gehandelt, sich durch
-Drahtbinden seine Kreuzer sauer verdient. Er hatte fast allen Verdienst
-erspart, nur von übriggebliebenem Essen anderer gelebt und war nun, da
-er sechzig Gulden im Beutel hatte, ein wohlhabender Mann, der in seine
-arme Heimat zurückkehren und sich dort ein Häuschen kaufen wollte.
-
-Nun war er müde an der Tür eingeschlafen. Er saß auf bloßer Erde;
-die anderen ließen ihn nicht bei sich sitzen, denn er trug sein
-fettgetränktes Hemd schon ein ganzes Jahr. Aber als die Zigeunerin
-herumging, stand einer der Gäste auf, trat an den Slowaken heran und
-rüttelte ihn.
-
-»He, Slowak, wach auf, laß dir eine Grafschaft prophezeien.«
-
-Einige lachten. Der müde Slowak brummte etwas und schlief weiter.
-
-Da kam ein »Kastelmann« in die Stube, ein Händler mit Kämmen, Knöpfen,
-Spiegeln, Tabakspfeifen und anderem Kleinkram. Er machte geringe
-Geschäfte. Während er noch schacherte, erwachte der Slowak und fing
-plötzlich laut an zu schreien.
-
-Sein Geldbeutel mit den sechzig Gulden, an denen er fast zwei Jahre
-fern der Heimat gespart hatte, war verschwunden. Der arme Mann schrie,
-jammerte, warf sich auf die Erde, schlug verzweiflungsvoll mit Armen
-und Beinen.
-
-»Der Cikán! Der Cikán!« schrie einer.
-
-Der Zigeuner und die Zigeunerin waren verschwunden.
-
-»Nein, nicht der Cikán!« rief Samo, »sondern dieser da, der vorhin den
-Slowaken gerüttelt hat. Heraus mit dem Geld!«
-
-Der Angegriffene tobte und fluchte und ging auf Samo los. Samo aber
-rief in das Lokal hinein:
-
-»Wir sind alle arme Leute! Wir müssen auf uns halten. Hier darf keinem
-was passieren. Da könnte sich keiner mehr hertrauen.«
-
-Nun hatte er die meisten für sich. Dem Dieb wurde der Beutel, den er
-in der Tat hatte, entrissen, und der Slowak kam zu seinem Gelde.
-
-Er fiel vor Samo auf die Knie und küßte ihm die Hand.
-
-»O danke, Pán, o danke, Pán!« -- -- --
-
-Von der Tür aus sah ein hochgewachsener junger Mann der Szene zu. Als
-Samo aufschaute, erkannte er seinen früheren Freund Bohuslaw, den
-Neffen des alten Krok.
-
-Er machte sich rasch von dem Slowaken, der immer noch seine Hand hielt,
-los, bezahlte seine Zeche und trat mit Bohuslaw auf die Straße.
-
-»Das war wieder einmal echt königlich«, sagte Bohuslaw draußen.
-
-»Was willst du hier?« fragte Samo unwirsch.
-
-»Ich habe dich überall gesucht! Seit langer, langer Zeit haben wir
-nichts mehr von dir gehört; wir glaubten schon, du seist gar nicht mehr
-in Prag.«
-
-»Ich habe bei euch nichts zu suchen! Ihr seid ja anständige Leute!«
-
-Er lachte höhnisch. Sie gingen ein Stückchen die Straße entlang. Da
-setzte sich Samo auf eine niedere Gartenmauer.
-
-»Weiter gehe ich nicht mit dir!« sagte er.
-
-Bohuslaw setzte sich neben ihn.
-
-»Sollten wir nicht lieber in ein besseres Lokal --«
-
-»Ich gehöre in kein besseres Lokal. Dort in die Spelunke gehöre ich! Da
-brauche ich mich wenigstens vor den andern nicht zu schämen.«
-
-»Du brauchst dich überhaupt nicht zu schämen, Samo!« sagte Bohuslaw
-traurig.
-
-»Nicht?! Verzeih, daß ich lache. Aber du bist zu gütig! Ich brauche
-mich nicht zu schämen? Das ist gut! Nein, nein, Pán Bohuslaw, das steht
-doch anders! Aber es wird noch mancherlei dazukommen! Vorhin hat mir
-eine Zigeunerin geweissagt. Unsinn. Oder vielleicht nicht Unsinn -- ich
-weiß es nicht! Das eine, was sie sagte, stimmte: Ein Fremder ist schuld
-an meinem Unglück, und an dem soll ich mich rächen! Und dieser Fremde
-ist dein elender, verfluchter Onkel Krok.«
-
-»Samo!«
-
-»Ist dies nicht die Wahrheit?! Ich war ein ehrlicher Kerl; ich wollte
-meine slawische Überzeugung mit ehrlichen Waffen durchkämpfen; da ist
-dieser verrückte Altertumskrämer in mein Leben getreten und hat mich
-auch verrückt gemacht! Mit seinem Kerzengeflimmer und Altarklimbim
-hat er mich so sentimental, so duselig, so toll gemacht, daß ich
-schließlich auf seine hirnverbrannten Ideen eingegangen bin.«
-
-»Samo, darf ich etwas zur Verteidigung des alten Krok sagen?«
-
-Samo antwortete nicht. Da fuhr Bohuslaw fort:
-
-»Erinnere dich, Samo, wie die Sache eurer Lausitzer Sorben stand,
-als du meinen Onkel kennen lerntest. Du selbst gabst ihre Sache fast
-verloren. Und den Hauptschlag gegen das Slawentum an der Sprewja
-fürchtetest du von deinem Bruder Juro, der gedroht hatte, den
-Kronenhügel aufzugraben und so den einfachen Leuten da oben den Beweis
-zu erbringen, daß es eine wendische Krone nicht gäbe. Da hat dir der
-alte Krok gesagt: Symbole sind für das Volk alles. Sieht das Volk, daß
-das Symbol fehlt, dann vergeht ihm der Glaube, dann ist die slawische
-Sache der Lausitz verloren, dann wird die Lausitz deutsch!«
-
-»Was wärmst du den alten Kohl auf?«
-
-»Um Krok zu verteidigen. Er hat es ehrlich gemeint.«
-
-»Ehrlich! Indem er mich zu dem ungeheuren Betrug verleitete.«
-
-»Er hielt es nicht für Betrug. Die wendische Krone ist in Wahrheit da,
-die ideelle Krone, das war und ist seine Überzeugung. Die Kralswürde
-ist echt. Und der Glaube daran darf nicht an der äußerlichen Tatsache
-scheitern, daß die substanzielle Krone fehlt oder wenigstens dort
-fehlt, wo man sie vermutete.«
-
-»Ja, und also haben wir uns eine Krone machen lassen und sie im
-Kronenhügel eingegraben. Eine kluge und herrliche Tat fürwahr! Oder
-vielleicht auch eine romantische Schufterei.«
-
-»Krok hat doch alles anders geraten, als du es ausgeführt hast. Er hat
-dir doch geraten, nachdem die Krone eingegraben war, dafür zu sorgen,
-daß du selbst sie vor vielen Zeugen ausgraben und nach einem würdigeren
-Platz bringen solltest, etwa nach eurer Heimatkirche. Dann war der
-Glaube befestigt, dann konnte auch nichts passieren, dann konnte ja
-nichts entdeckt werden.«
-
-Samo sprang von der Mauer herab.
-
-»Siehst du, Bohuslaw, und das brachte ich nicht fertig. So einen Quark,
-so einen betrügerischen Schmarren, den hier in Prag ein Pfuscher
-gemacht, nach dem Altar unserer Heimatkirche bringen, das vermochte
-ich nicht. Ich ließ es darauf ankommen. Grub Juro den Hügel nicht
-auf -- nun gut -- dann war alles nicht nötig. Grub er ihn auf, dann
-war ihm die Überraschung zu gönnen, und der Beweis für unsere Leute
-war gebracht. Aber das Ding, das mir dein Onkel gegeben hat, war ein
-elendes Pfuschwerk, dessen Unechtheit ein simpler deutscher Student
-erkannte.«
-
-»Die Kopie der Krone wurde getreu nach der alten Krone Przemisls
-gemacht; mein Onkel hat die Arbeit selbst Tag und Nacht überwacht.«
-
-»Ja, weil er um seinen Schatz fürchtete. Warum gab er nicht seine
-echte, alte Krone, wenn ihm so viel daran lag, den slawischen Gedanken
-an der Sprewja zu befestigen? Weil er ein selbstsüchtiger Geizhals ist!
-So wurde ein Stümperwerk geschaffen, das mich ins Verderben brachte.«
-
-»Krok hat gewollt -- ich sage es noch einmal --, du selbst solltest den
-Wenden die Notwendigkeit klarmachen, die Krone auszugraben und nach
-einem sicheren Ort zu bringen, da sie durch Juro bedroht sei. Hättest
-du das getan, wär alles gut.«
-
-»Und -- ich sag' es auch noch einmal -- ich konnte es nicht! Ich
-brachte es nicht fertig, den Quark ans Licht zu ziehen und in unsere
-Kirche zu bringen. Oh, und dann hat mich doch -- doch der Vater
-gezwungen, das falsche Ding auf dem Kirchhof zu begraben über dem
-Kopf meiner Mutter. Und das, Mensch, das ist es, was mich wie ein
-Fluch verfolgt, das war es, was mir schon am nächsten Tag den Sinn so
-verwirrte, daß ich den Feind niederstach, der die Fälschung entdeckt
-hatte. Das ist es, was mir noch jetzt keine Ruhe läßt. Ich sehe in den
-Nächten nichts anderes als den Totenkopf meiner Mutter mit der falschen
-Krone. Ich sage dir, ein schlechter Spaß ist das, ein sehr schlechter
-Spaß ist das! Und wenn ich noch verrückt werde, werde ich darüber
-verrückt!«
-
-Bohuslaw seufzte schwer auf.
-
-»Und deswegen,« fuhr Samo ingrimmig fort, »deswegen bin ich hier, bin
-ich ein Säufer, ein Verfolgter. Aber ich werde das tun, wozu mir die
-Zigeunerin riet, ich werde mich an dem alten Krok rächen, der mich
-vom geraden Pfade ehrlichen Kampfes abbrachte und mit allerlei blödem
-romantischem Geschwätz auf diesen elenden Irrweg lockte. Leb wohl, ich
-gehe nach dem Wirtshaus zurück.«
-
-»Samo!«
-
-Er ließ sich nicht halten; er ging wieder nach der Kaschemme.
-
-
-
-
-Drei Tage später war Hanka wieder allein. Samo war schon am frühen
-Morgen fortgegangen. Es war wieder eine schreckliche Nacht gewesen.
-Erst spät war er nach Hause gekommen, mehr betrunken als sonst. Und er
-hatte wieder soviel laut geredet im Schlaf. Das Schrecklichste war,
-wenn er schrie:
-
-»Mutter, nimm die Krone vom Kopf, nimm die Krone vom Kopf! Mutter, sie
-drückt dich! Mutter, ich kann es nicht leiden, daß du die Krone auf dem
-Kopf hast!«
-
-Dann sprang er oft aus dem Bett, dann zitterte er und streckte die
-Hände entsetzt von sich, dann schluchzte und weinte er, bis er erwachte
-und erschöpft ins Bett zurücksank. Was er nur mit der Krone hatte! Er
-sprach niemals ein gutes Wort von ihr; sein Gesicht wurde finster, wenn
-die Krone nur erwähnt wurde.
-
-Und doch, war er nicht ein Märtyrer der alten Krone? Hatte er sie nicht
-verteidigt gegen Frevlerhände, mußte er nicht Schmach und Verachtung
-für sie erdulden, war es nicht die Krone, um derentwillen er Heimat und
-Ehre verlor?
-
-Um dieses Martyriums willen liebte Hanka ihren Mann, hatte sie für
-seine Verirrungen nichts als liebendes Bedauern.
-
-Nun saß sie wieder einmal allein. Sie nähte an kleiner Wäsche für das
-Kind, das sie erwartete. Sie freute sich auf dieses Kind. Vielleicht
-würde Samo erlauben, daß ihre Eltern zur Taufe kämen. Das würde doch
-ein Lichtblick sein in ihr so dunkles, einsames Leben; vielleicht würde
-Samo gar ordentlicher werden, mehr zu Haus bleiben, wenn erst das
-Kindchen da war. Dann würde Hanka zufrieden sein.
-
-Da klopfte es an die Tür, und es stürzte ein alter Mann in höchster
-Aufregung ins Zimmer.
-
-»Sind Sie -- sind Sie Frau Halek?«
-
-»Ja, -- was wollen Sie?«
-
-»Sind Sie die Frau Samos?«
-
-»Mein Mann heißt Wenzel Halek.«
-
-»Ja, gut, gut; aber ich weiß, wer er ist, woher er stammt. Wo ist Ihr
-Mann?«
-
-»Das weiß ich nicht! Wer sind Sie? Was wollen Sie?«
-
-»Wo ist Ihr Mann?« schrie der Alte.
-
-»Ich weiß es nicht!«
-
-»Sie wissen es bestimmt! Sie wissen auch, wo die Krone ist! Wo ist
-meine Krone? Meine kostbare Krone?«
-
-Der Alte brüllte es. Hanka sah ihn erschrocken und verängstigt an. Sie
-glaubte, einen Irrsinnigen vor sich zu haben. Verzweiflungsvoll fuhr
-sich der Mann mit beiden Händen über den kahlen Kopf.
-
-»Wenn Sie es nicht sagen, dann hole ich die Polizei! Dann lasse ich
-alle einsperren -- alle!«
-
-»Was wollen Sie eigentlich von meinem Mann?«
-
-»Die Krone hat er mir gestohlen. Aus dem Altar heraus hat er sie mir
-gestohlen. Hat sich eingeschlichen, weil er meine Wirtschafterin kennt!«
-
-»Was für eine Krone? Was redet Ihr immer von einer Krone?«
-
-»Die Krone Przemisls. Die echte Krone! Das Heiligtum! Die Krone, nach
-der Ihre wendische Krone gemacht worden ist.«
-
-Noch immer sah ihn Hanka fassungslos an.
-
-»Die wendische Krone gemacht worden ist --?« wiederholte sie
-verständnislos.
-
-»Nun ja, ich hab' doch meine echte böhmische Krone hergeliehen, daß
-sich Samo eine Krone machen lassen konnte --«
-
-»Eine Krone machen lassen konnte -- --? Wozu braucht Samo jetzt eine
-Krone?«
-
-»Jetzt?! Frau, verstellen Sie sich nicht! Wer redet von ›Jetzt?‹ Damals
--- als er die Krone für den wendischen Königshügel brauchte, -- als er
-sich die Krone machen ließ --«
-
-»Für -- für unseren -- unseren Hügel?!«
-
-Hanka fragte es mit entsetzt starrenden Augen. Ein grausiges Licht ging
-ihr auf.
-
-»Nun, natürlich für Ihren Hügel -- Sie verstellen sich doch bloß -- Sie
-müssen doch das wissen als seine Frau. Und das ist der Dank, daß er
-mir --«
-
-Er hielt inne. Die Frau vor ihm war ohnmächtig zusammengesunken.
-
-»Was ist das? Was ist mit ihr? -- Aah -- Sie erschrak vor der Polizei!
-O hätt' ich doch -- hätt' ich doch -- meine Krone --«
-
-Er begann die ganze Stube zu durchsuchen, öffnete den Schrank, riß die
-Schübe auf, wühlte alles durcheinander. Darüber kam Samo nach Haus.
-
-»Was geht hier vor? -- Was macht der alte Halunke? -- Stiehlt er? --
-Ahnt' ich es doch!«
-
-Er schloß die Tür hinter sich ab.
-
-»Meine Krone will ich -- meine Krone will ich -- wo hast du sie -- du
--- du ...« brüllte der Alte. Samo schob ihn beiseite.
-
-»Hanka -- was ist mit Hanka? Hat sie der Lump erschlagen?«
-
-»Sie ist von selbst umgefallen. Ich habe ihr nichts getan.«
-
-»Hast du es ihr gesagt, daß wir unsere Krone nach deiner ...«
-
-Der Alte nickte. »Ich glaubte, sie wüßte es! Und es ist alles egal --
-alles egal -- meine Krone will ich.«
-
-»Oh, du -- du -- du Lump -- auch das noch -- auch das noch!«
-
-Samo schüttelte den alten Mann, daß ihm der Atem ausging. Dann raffte
-er Hanka auf und legte sie aufs Bett. Dabei erwachte sie. Sie schaute
-entsetzt auf Samo:
-
-»Ist es wahr, was jener Mann dort ...«
-
-»Ja,« stieß Samo heiser heraus, »es ist wahr! Nun sollst du's schon
-wissen!«
-
-Da schloß Hanka die Augen und rührte sich nicht mehr.
-
-»Meine Krone will ich, meine heilige Krone will ich!« heulte wieder der
-Alte.
-
-Samo stieß ihn auf einen Stuhl.
-
-»Deine heilige Krone habe ich verkauft!«
-
-Der Alte schrie auf.
-
-»Ich habe sie an einen Matrosen verkauft, der hier zu Besuch war und
-jetzt über alle Berge ist.«
-
-»Das kann nicht wahr sein, das kann nicht wahr sein,« heulte Krok; »das
-gibt Gott nicht zu!«
-
-»Laß Gott aus dem Spiel, alter Lump! Deine Krone wird in irgendeinem
-Hafenort verschachert oder eingeschmolzen werden. Fünf Gulden habe ich
-dafür bekommen. Da hast du das Geld!«
-
-Er warf es dem Alten vor die Füße. Der schnappte nach Luft, brachte
-aber kein Wort mehr heraus.
-
-»Siehst du, alter Krok, das ist meine Rache! Eine viel zu winzige
-Rache. Ich habe dir einen alten Silberscherben genommen, der tot und
-leblos war; du hast mir die lebendige Krone meines Volkes vom Haupte
-gerissen, du hast aus dem künftigen Wendenkral einen versoffenen
-Vagabunden gemacht. Wenn ich sage, wir sind quitt, bin ich großmütig.
-Ich zerstörte dir eine Marotte, du zerstörtest mir das Leben.«
-
-Nun schlug der alte Krok einen andern Ton an:
-
-Mit gefalteten Händen stand er vor Samo:
-
-»Erbarme dich, Samo, erbarme dich! Sei großmütig, wirklich großmütig!
-Gib mir die Krone wieder!«
-
-»Gib du mir meine Krone wieder, wenn du kannst!«
-
-»Sieh es ein, Samo, ich habe es gut mit dir gemeint. Denke an die
-schöne, feierliche Nacht, da du zuerst bei mir warst.«
-
-»Ich verfluche diese Nacht; sie war der Anfang zu meinem Verderben.«
-
-»Es mußte doch so sein, wenn das Slawentum bei euch gerettet werden
-sollte -- sieh es doch ein!«
-
-»Nein, es mußte nicht so sein!«
-
-»Ich habe es dir anders geraten ...«
-
-»Ich weiß, was du mir geraten hast. Selbst sollte ich die Krone
-ausgraben oder von dieser Frau dort, die damals noch ein Mädchen war,
-mit einer versilberten Schaufel ausgraben lassen und die Krone nach
-meiner Heimatkirche übertragen. -- Ich konnte es nicht; ich brachte
-diese elende Komödie nicht fertig ...«
-
-»Völker sind oft durch Komödien geleitet worden, Samo, tausendmal sind
-Völker durch ein Spiel, das ihre Phantasie ergötzte, zum Glück und
-zur Größe geführt worden. Wer das nicht wagt, was kleine Leute Betrug
-nennen, kann nicht der Führer eines Volkes sein; denn die Völker wollen
-und müssen von Zeit zu Zeit betrogen werden. Es gibt keinen Staat der
-Welt, wo so etwas nicht bewußt geschehen wäre.«
-
-»Das ist deine Sophistik!«
-
-»Du hast ihr zugestimmt. Und dann ist das Ganze an deiner Schwäche
-gescheitert.«
-
-»An meiner Ehrlichkeit!«
-
-»Nenne es, wie du willst! Aber wenn du ehrlich bist, gib mir die Krone
-wieder, die du aus meiner Kapelle geholt hast. Ich bitte dich um Himmel
-und Erde willen, gib mir die Krone!«
-
-Hanka sprang vom Bett auf. Finster schaute sie auf Samo.
-
-»Gib ihm die Krone zurück! Sei wenigstens kein Dieb!« sagte sie hart.
-
-»O gute Frau! O brave Frau Hanka!«
-
-Samo lachte laut und lange. Er wandte sich an Hanka:
-
-»Nun hast du mich also ganz erkannt, Hanka! Ein Prachtkerl, nicht wahr?
-Und das, was ich bin, bin ich durch diesen Mann. Schau ihn an, den
-kahlen Affen! Er hat kein anderes Ideal als alten Kram, in dem er sich
-wohlfühlt. Ich wußte, daß ich ihn nicht ärger treffen konnte, als daß
-ich ihm seine alte Krone nahm; deshalb nahm ich sie ihm, und deshalb
-bleibt sie ihm genommen.«
-
-»Samo, erbarme dich ...«
-
-Der Alte fiel vor ihm auf die Knie.
-
-Da nahm Samo seinen Hut und stürmte davon. Der Alte lief ihm wimmernd
-und händeringend nach.
-
-
-
-
-Der trübe Tag verging, eine sternenlose Nacht folgte ihm. Und als auch
-sie vorüber war und das fahle Morgenlicht durch die Straßen schlich
-wie ein zu früh gewecktes, müdes Kind, das auf Arbeit ausgehen muß, da
-verließ Samo das Wirtshaus, in dem er so lange gewesen war, und irrte
-erst ziellos durch die Gassen und kam schließlich, von innerem Drang
-geleitet, an das Haus des alten Krok.
-
-Was er dort wollte, wußte er nicht; er wollte sich wohl mit dem alten
-Manne weiter streiten. Es tat ihm wohl, mit ihm Händel zu haben. So
-klopfte er an die Tür.
-
-Nur wenige Minuten, und die alte Haushälterin kam und erschrak so vor
-Samo, daß sie sich auf die Treppe setzen mußte. Samo schloß die Tür
-von innen und ließ die Alte sitzen, nachdem er ihr unter einer rauhen
-Drohung verboten hatte, Lärm zu schlagen. Das Weiblein duckte sich
-zitternd und heulend zusammen.
-
-Oben im Eckzimmer war Licht, auch der Nebenraum war erleuchtet. Aber
-Krok war nicht zu sehen. Da ging Samo nach der Kapelle.
-
-Sie war hell erleuchtet. Ungezählte Kerzen flammten.
-
-Der beraubte Tabernakel des Altars stand offen.
-
-Und auf den Stufen des Altars lag lang dahingestreckt der alte Krok und
-war tot.
-
-Regungslos stand Samo, starrte mit stumpfem Sinnen in das
-Kerzengeflimmer und dann wieder auf den toten Greis. Lange stand er
-so. Dann aber war es, als würden die Heiligen und Helden an den Wänden
-lebendig.
-
-Wenzeslaus schwenkte seine Fahne, der große König Karl stieg aus dem
-Bilde, Wallenstein zückte den Degen, Przemisl, der König, dessen Krone
-geraubt worden war, sprang auf von seinem Pflug.
-
-Da lief Samo davon, die Treppe hinab, hinaus auf die Straße.
-
-Die kühle Morgenluft ernüchterte ihn. Er ging zwei oder drei Straßen
-weiter, dann setzte er sich müde auf die Stufen, die zu einer
-Kirchenpforte emporführten.
-
-Krok war tot. Weil er die Krone verloren hatte! Weil das alte Heiligtum
-nun ein wüster Matrose irgendwo versetzte und das Geld, das er dafür
-bekam, verliederte.
-
-Ei, alter Krok, dir ist es schlecht ergangen!
-
-Aber ich habe auch keine Krone. Ich bin auch tot.
-
-Tröste dich! Siehe, der dort auf der Straße dahertorkelt, der war
-früher ein Priester. Siehst du, wie er stehen bleibt? Siehst du, wie
-er ein paar Sekunden lang her auf die Kirche sieht? Da hat er früher
-Hochamt gehalten, und an seinem Altar brannten viele Lichter.
-
-Er hat auch eine Krone verloren.
-
-Viel, viel Menschen verlieren eine kostbare, alte Krone, sinken von
-einem Thron in den Pfuhl.
-
-Tröste dich also, alter, toter Krok! Ich will jetzt nicht mehr bös auf
-dich sein. Davon hast du schon etwas; denn ich bin doch ein Königssohn.
-Weißt du noch, wie du mich vergöttert hast? Wie du mir die Hand
-küßtest? Es ist dumm genug, daß alles so kommen mußte!
-
-Als es heller wurde, ging Samo nach Hause.
-
-Nun kam noch ein ernstes Wort mit dem Weibe. Am Ende war der auch
-Unrecht geschehen. Aber Unrecht muß geschehen, Hanka, muß! Hast halt
-auch Unglück gehabt. Glaubtest, einen künftigen König zu heiraten, und
-bekamst einen Lumpen ...
-
-Die Stube war leer. -- -- --
-
-Auf dem Tische lag ein Zettel. In Hankas wenig geübten Schriftzeichen
-stand darauf zu lesen:
-
-»Ich habe bei dir ausgehalten, weil ich glaubte, du seiest im Recht.
-Jetzt gehe ich fort. Ich will unser Kind ordentlich erziehen oder es
-doch zu guten Leuten bringen. Deiner mag sich Gott erbarmen. Hanka.«
-
-Samo las den Zettel zweimal, dann nickte er mit dem Kopf.
-
-»Es stimmt!«
-
-Ein paar Minuten starrte er stumpf vor sich hin. Dann öffnete er die
-Kommode und durchsuchte sie. Dabei brummte er:
-
-»Es war doch -- es war doch -- ein Strick im Schube! -- -- Wo ist er
-nur -- ist er nur? Immer, wenn man was braucht, findet man's nicht. Wo
-ist nur der Strick?«
-
-Beim Suchen fiel ihm eine Geldbörse in die Hand.
-
-»Das Geld hat sie dagelassen -- hat sie dagelassen -- o ja, anständig
-war sie ...«
-
-Er trat ans Fenster und stand dort regungslos wohl eine Viertelstunde.
-Der junge Morgen leuchtete ihm ins Gesicht.
-
-Da steckte er die Börse und einige Papiere zu sich, verließ das Zimmer,
-schloß es ab und trat wieder auf die Straße.
-
-
-
-
-Es war an einem regnerischen Märzabend des Jahres 1866. Eine Frau
-erschien an der Tür Juros, der in einer ansehnlichen deutschen Stadt
-als Arzt lebte. Die Frau begehrte den Herrn Doktor zu sprechen.
-
-Das Dienstmädchen öffnete eine Tür.
-
-»Sie wünschen?« fragte der Doktor.
-
-Die Frau rührte sich nicht. Sie blieb an der Tür stehen. Da kam ihr
-Juro näher.
-
-»Womit kann ich Ihnen -- -- Hanka! Hanka! Hanka! -- Bist du es
-wirklich? -- Komm -- nimm meinen Arm! Setze dich! Aber, Hanka, reg dich
-doch nicht so auf! Sei doch ruhig! Wir wollen ja ganz ruhig sprechen.
-Rege dich nicht auf! Wir kommen schon zum Ziel. Sei doch ruhig --
-fürchte dich nicht!«
-
-»Ich komm -- ich komm um Verzeihung bitten -- ich ...«
-
-»Was? Laß das, Hanka! Werde erst ruhig! Laß mich lieber fragen. Du
-warst bei Samo, bei deinem Manne, nicht wahr?«
-
-»Ja -- er -- er hat -- hat alle betrogen -- er hat -- hat die Krone
-eingegraben -- und sie war -- war gefälscht!«
-
-Sie weinte leidenschaftlich. Juro faßte sie an beiden Händen.
-
-»Liebes Kind, das weiß ich schon, das ist mir ja nichts Neues -- reg'
-dich doch darum nicht so auf! Das ist eine alte Geschichte für mich,
-die nun endlich vergessen sein soll.«
-
-»Ich bin -- bin bei ihm geblieben, bis ich das wußte. Aber jetzt --
-jetzt konnte ich nicht mehr.«
-
-»Du bist fort von ihm?« sagte Juro düster. »Du hältst es bei ihm nicht
-aus?« Weiteres mochte er nicht fragen.
-
-Hanka aber sagte unter einem Strom von Tränen:
-
-»Er ist -- ist ganz liederlich geworden -- er erträgt es nicht, daß er
-so ausgestoßen ist -- und ich -- ich erwarte ein Kind -- und das Kind
-kann da nicht aufwachsen, nicht bei diesen schrecklichen Menschen in
-Prag -- nicht, wo ich jetzt alles weiß ...«
-
-Juro sah sie mitleidig an. Er streichelte ihr den Kopf, und sie
-schwieg eine lange Weile, ehe sie sich fassen konnte. »Und nun bin ich
-gekommen,« fuhr sie dann fort, »um Verzeihung zu bitten -- dich und
-deine Frau und deinen Schwager Heinrich und unsern alten -- alten Vater
-Hanzo.«
-
-Da stand Juro auf.
-
-»Nein,« rief er, »nein, Hanka, der Vater darf davon nichts wissen, der
-darf nie, nie erfahren, daß die Krone gefälscht war.«
-
-»Er muß es doch erfahren!«
-
-»Nein, Hanka! Sieh, ich bin nicht mehr der alte. Wohl erkenne ich jetzt
-noch meine Prinzipien als richtig, wohl glaube ich jetzt noch, daß für
-unser Wendenvölklein allein im innigsten Anschluß an die Deutschen das
-Heil liegt, aber ich weiß auch, daß ich nicht unschuldig bin an allem,
-was geschehen ist. Ach, Hanka, uns arme Menschen quält alle eine
-Schuld. Keiner von uns ist weiß wie Schnee, keiner von uns ist schwarz
-wie die Nacht.«
-
-Er sah ein Weilchen vor sich hin, dann fuhr er fort: »Mein
-Jugendungestüm, oder sage ich ruhig, mein geistiger Hochmut, hat mich
-verleitet, rücksichtslos mein Ziel zu verfolgen, hat alles kluge
-Abwarten vereitelt. Daß ich den Hügel aufgrub, war nicht recht! Die
-Schicksale der Völker gehen ihren Weg wie die großen Ströme; es ist
-töricht, unsere paar Hände voll Sand gegen sie zu werfen. Und es ist
-sündhaft, altes, gläubiges Vertrauen ohne Not niederzureißen. Selbst
-Gottes Sonne schmilzt ja altes Eis nicht an einem Tag.«
-
-Wieder machte er eine Pause, ehe er weitersprach:
-
-»Dem Vater muß sein Vertrauen zu der alten Krone erhalten bleiben. Was
-nützt es, seinem sinkenden Tag das Abendgold zu nehmen? Und so wie er
-ist sein wendisches Volk. Dessen langer mühsamer Tag geht zur Neige.
-Es stehen noch ein paar rote Träumerwolken an seinem Himmel; ich habe
-erkannt, daß es unrecht ist, den Wenden dieses letzte Glück zu nehmen.«
-
-Hanka hörte auf zu weinen, als er so redete. Nach einiger Zeit
-beruhigte sie sich so weit, daß sie einen Bericht über die zwei letzten
-Jahre ihres Lebens geben konnte. Sie stockte oft und brachte die Worte
-nur mühsam heraus, und als sie der letzten Tage gedachte, mußte sie
-alle Kraft zusammennehmen. Als sie geendet hatte, sagte Juro:
-
-»Hanka, auch du darfst das Vertrauen nicht verlieren. Du darfst nicht
-so in bitterem Groll an deinen Mann denken. Schon um deines und seines
-Kindes willen darfst du es nicht. Hanka, ich bin überzeugt, daß Samo,
-als er die Krone eingrub, glaubte, er tue etwas, das unerläßlich sei,
-er begehe nichts als eine Kriegslist, zu der ich ihn gezwungen hatte.
-Mit diesem Gedanken ist er von dem alten Manne aus Prag zurückgekehrt.
-Und, Hanka, was er gefehlt hat, hat er bitter büßen müssen. Er ist ja
-so unglücklich geworden!«
-
-»Ich kann nicht zu ihm zurück; sein Leben ist schrecklich!«
-
-»Du sollst und du darfst auch jetzt nicht zu ihm. Vielleicht findet er
-später noch eine friedliche Stätte.«
-
-Hanka schüttelte traurig den Kopf.
-
-»Er hat wirklich sehr an seiner Heimat gehangen; er findet sich draußen
-nicht zurecht.«
-
-Juro grübelte. Er hatte längst Erkundigungen eingezogen, ob denn keine
-Aussicht sei, daß durch des Königs Gnade die Gefängnisstrafe, die Samo
-zu gewärtigen hatte, wenn er zurückkehrte, in Festungshaft umgewandelt
-werden könnte. Er hatte nichts Tröstliches erfahren. Daß Samo nach der
-Tat geflohen war, und daß er sich nicht selbst gestellt hatte, daß er
-unter einem falschen Namen sich so lange verborgen hatte, machte die
-Sache aussichtslos.
-
-Armes Weib! So jung und so tief in der Verlassenheit. Armes Kind, das
-zum Leben strebte und schon jetzt keinen Vater mehr hatte!
-
-Juro suchte nach freundlichen Trostworten; er fand keine. Es würgte ihn
-an der Kehle, er brachte nichts Ordentliches heraus. Endlich sagte er:
-
-»Du mußt bei uns zu Gaste bleiben, Hanka!«
-
-Sie wehrte mit beiden Händen ab.
-
-Nein! Nein! Sie wollte bloß ihre Pflicht tun, Aufklärung geben, Abbitte
-leisten und dann sehen, ob ihre Eltern sie aufnehmen würden. Sie wolle
-bald wieder fort.
-
-Da ging Juro hinaus und holte seine Frau. Elisabeth eilte herbei. Ach,
-diese kleine deutsche Frau lachte und weinte und lachte wieder und war
-so offenbar glücklich, Hanka zu sehen, daß sich das arme Weib ihren
-Zärtlichkeiten nicht entziehen konnte.
-
-Juro schlich hinaus. Nach einem Weilchen kam er mit einem Kindchen
-zurück.
-
-»Sieh, Hanka, das ist unser Kind. Es ist sechs Monate alt.«
-
-Da nahm Hanka das Kind auf ihre Arme, und das Gefühl einer großen
-heiligen Versöhnung überkam sie. Schwere, erlösende Tränen quollen aus
-ihren Augen, aber ihre Augen glänzten durch diese Tränen. Eine süße
-Vorahnung eigenen Mutterglücks ward in ihr lebendig und tilgte das
-Herzeleid und machte die Stunde schön und lieblich.
-
- * * * * *
-
-Während die Frauen später an der Wiege des kleinen Mädchens saßen und
-Elisabeth echte Töne des Trostes und der Beruhigung für Hanka fand,
-saß Juro in seinem Arbeitszimmer und schrieb einen ernsten Brief in
-wendischer Sprache.
-
- Lieber Vater!
-
- Dein Sohn Juro klopft an Deine Tür und bittet Dich um
- Verzeihung für all das, was Du Bitteres durch ihn erfahren
- hast. Ich habe eingesehen, daß der Weg, auf dem ich meine
- Prinzipien in Tat und Wahrheit umsetzen wollte, nicht der
- richtige war, daß überall da, wo zwischen Menschen und
- Völkern der Kampf geführt wird, der beglückende wahre Sieg
- fehlen muß, wenn als Kampfmittel nur Klugheit und List,
- Energie und sachliche Überlegenheit oder gar Gewalttat und
- Rücksichtslosigkeit eingestellt werden, wenn die Liebe fehlt,
- die allein zu versöhnen, zu überzeugen und zu gewinnen vermag.
- Ich habe geirrt; es tut mir leid. Ich will nicht mehr dessen
- gedenken, was auf der Gegenseite verschuldet wurde; ich will
- auch die Schande, die mir widerfahren ist, als ich auf jenem
- Wagen aus dem Dorfe gefahren wurde, hinnehmen als eine Strafe,
- die der Vater dem Sohne aufzuerlegen für gerecht fand. Ich rede
- nur von mir und bekenne mich in vielen Dingen für schuldig.
-
- Von dem Versöhnungsgedanken getrieben, ist heute Hanka in
- meinem Hause eingekehrt. Sie sitzt, während ich diesen Brief
- schreibe, mit meiner Frau an dem Bettchen unseres Töchterchens,
- Deines ersten Enkelkindes. Hanka ist mit uns im Frieden. Auch
- sie wird ein Kind bekommen in der nächsten Zeit. Sie hat aber
- doch ihren Mann, unseren Samo, verlassen müssen, weil sein
- Leben zu unsicher ist und Hanka in ihrer schweren Zeit nicht
- bei ihm bleiben konnte. Sonst ist Samo gesund, und wir alle
- hoffen, daß er noch einmal eine friedliche Stätte findet und
- daß Hanka dann mit ihrem und seinem Kinde zu ihm zurückkehren
- kann.
-
- Um den Stein des Anstoßes zwischen uns zu begraben, verzichte
- ich für mich und meine Nachkommenschaft auf die Erbfolge an der
- wendischen Kralswürde, und zwar zugunsten des zu erwartenden
- Kindes meines Bruders Samo und seiner Frau Hanka.
-
- Gott gebe Dir, lieber Vater, versöhnliche Gedanken!
-
- In Liebe: Dein Sohn Juro.
-
-Drei Tage später stand der alte Hanzo unter der Tür seines Sohnes Juro.
-Er hielt den Hut in der Hand und sagte: »Darf ich zu euch herein? Ich
-möchte zu meinen Kindern.«
-
-
-
-
-Sommer 1866. Der Deutsche Krieg brach los. Die preußischen Heere
-drängten durch die Pässe des schlesischen Gebirges und zogen den
-Elbstrom hinab nach Böhmen. Auch die Wenden zogen in den Kampf. Was
-diesseits der preußischen Grenze war, für Preußen, was drüben in
-Sachsen wohnte, für Österreich. Das Völkchen der Wenden in zwei Lager
-zerrissen. Da standen sich oft Bruder und Bruder gegenüber. Der alte
-»Kral« Hanzo litt schwer in diesen Tagen um sein kleines, getrenntes
-Volk.
-
-Juro machte den Feldzug als preußischer Militärarzt mit. Er war einem
-Regiment, in dem besonders viele Wenden waren, als Hilfsarzt zugeteilt.
-
-Und wo er auf dem Schlachtfeld einen fand, der seine Schmerzen in
-wendischen Lauten beklagte, da fragte er nicht: »Sprichst du auch
-Deutsch?« Da kniete er bei ihm nieder und erquickte ihn nicht nur mit
-ärztlicher Hilfe, sondern auch mit dem süßen Trost der Muttersprache.
-
-Ganz gleichgültig ist es auf dem Felde der Leiden, auf welcher Seite
-der verwundete Mann gefochten hat. Juro, der auf der Sprachgrenze der
-Obersorben und Niedersorben aufgewachsen war, erforschte mit feinem
-Ohr die Gegend, aus der der Verwundete stammte, und sprach zu ihm in
-seinem heimischen Dialekt, und ehe es ans Sterben kam, betete er mit
-dem Mann aus dem Oberlande: »~Wótcě naš, kiž sy w njebjesach~« und mit
-dem Mann aus Niederland: »~Woschz nas, kenž sy na niebju~«, und es
-hieß immer: »Vater unser, der du bist im Himmel.« -- Da trat mitten im
-großen Völkerschicksal das eigene Schicksal wieder an Juro heran.
-
-Als der Krieg eben sein rasches Ende gefunden hatte, schrieb ihm ein
-Freund und ärztlicher Kollege aus Königgrätz: »In unserem Spital liegt
-dein Bruder Samo. Er ist bei Sadowa im böhmischen Heer schwer verwundet
-worden. Er nennt sich Wenzel Halek. Aber ich kenne ihn doch von früher.
-Wenn du ihn noch sehen willst, eile -- er ist verloren!«
-
-Nun, es ließ sich machen, daß Juro Urlaub bekam.
-
-Und die beiden Brüder sahen sich wieder ...
-
-»Bruder Samo!«
-
-Samo wandte das Gesicht zur Seite.
-
-»Willst du mir nicht die Hand geben?«
-
-»Es ist keine Ehre, mir die Hand zu geben.«
-
-»Es ist eine Ehre! Du bist ein tapferer Krieger gewesen!«
-
-»Tapferer Krieger?«
-
-Samo lachte gequält, dann wandte er sich halb um: »Als gemeiner Mann,
-als Wenzel Halek eingestellt! Ein lustiger Krieg -- nicht wahr?
-Deutsche gegen Deutsche! Es ist die alte Katzbalgerei, die Mode ist
-bei dieser großen Nation!« Er schwieg erschöpft. Juro war erschüttert.
-Nach so langer Zeit, nach so vielen schweren Schicksalen sahen sich die
-Brüder wieder, und sofort begann Samo seine alte Weise. Das Reden fiel
-ihm schwer; aber er bezwang sich und sprach mit dem alten Haß in der
-Stimme:
-
-»Die alten deutschen Herzöge haben sich geprügelt, die Grafen und
-Ritter haben sich geprügelt, die deutschen Kaiser haben mit den
-deutschen Gegenkaisern gerauft, der Dreißigjährige Krieg ist gewesen,
-dies große Schauspiel der Schande, Maria Theresia hat mit dem
-preußischen Friedrich gerungen, die katholischen deutschen Bayern haben
-die katholischen Tiroler gemetzget, der Schlesier Blücher hat die
-sächsische Stadt Leipzig genommen -- alles -- alles -- alles Deutsche
--- und jetzt wieder -- wieder dasselbe -- und das ist die Nation der
-wir uns -- uns unterwerfen sollen.«
-
-Kraftlos schloß er die Augen. In steigendem Fieber hatte er geredet.
-
-Juro legte ihm die Hand auf die Stirn.
-
-»Samo -- streng dich doch nicht an -- du bist krank --«
-
-Samo schlug die Augen auf. Er lächelte verächtlich.
-
-»Krank? Ich bin morgen früh tot. Das weiß ich. Die preußische Kugel ist
-mir -- mir in den Unterleib -- weißt du, das ist das Gescheiteste --
-was -- was die Preußen seit langem gemacht haben, -- daß mich -- daß
-mich einer getroffen hat.«
-
-»O dieser unglückselige Krieg!«
-
-Samo schüttelte den Kopf. Erst nach einer Weile konnte er wieder
-sprechen, die Schmerzen quälten ihn sehr.
-
-»Der Krieg ist gut -- gut -- gut -- er spaltet die Deutschen -- und
-durch den Spalt -- braust -- braust frische Luft -- ins slawische
-Feuer!«
-
-Er blieb bis zum Tode derselbe. Draußen auf der Straße marschierten
-preußische Krieger vorbei; die Kapelle spielte »Heil dir im
-Siegerkranz!«
-
-»Hörst du sie --? Das ist die Trostmusik, die sie uns spielen, uns
-Sterbenden! Aber laß sie schmettern! Besiegt ist das Deutschtum,
-zersprungen in zwei Hälften; die Zeit der Slawen ist näher als sonst.
-Dieser Krieg war gut. Die Deutschen haben ihn geführt, die Slawen haben
-den Sieg davongetragen.«
-
-Juro mochte ihm in nichts mehr widersprechen. Er stand mit gesenktem
-Kopf am Lager Samos und wartete, ob ihm denn nicht ein Erinnern kommen
-würde an seine Heimat. Aber länger als eine halbe Stunde sprach Samo
-mit vielen Pausen noch von dem Niedergang des Deutschtums, dem Sieg der
-Slawen. Endlich fragte er doch ganz schüchtern, ganz furchtsam:
-
-»Lebt der Vater noch?«
-
-Er fragte es mit abgewandtem Gesicht.
-
-»Er lebt und denkt an dich ohne Groll.«
-
-»Weiß er --?«
-
-»Nein, er weiß es nicht«, unterbrach ihn Juro rasch. »Er wird es nie
-erfahren. Der Glaube an sein Kraltum soll ihm nicht genommen werden.«
-
-»Das sagst du? Da hast du dich geändert.«
-
-»Ich habe mich in mancherlei geändert -- ja!«
-
-»Aber ein Deutscher bleibst du?«
-
-»Ja.«
-
-Samo seufzte tief, er sagte, ihn schmerze seine Wunde. Als er ruhiger
-wurde, sagte Juro mit tiefbewegter Stimme:
-
-»Ich habe auf die Kralswürde verzichtet. Ein anderer wird Kral sein --
-dein Sohn!«
-
-Samo starrte ihn mit weitaufgerissenen Augen an. Er sagte kein Wort.
-
-»Hanka hat im Mai einen Knaben geboren, Samo!«
-
-Noch immer sah ihn Samo starr an. Endlich sprach er leise:
-
-»War es ein Knabe? -- -- Ich fürchtete immer, es werde ein Mädchen
-sein.«
-
-»Ein gesunder Knabe!«
-
-Da schloß Samo die Augen. Juro stand regungslos. Die große
-Feierlichkeit, da ein scheidendes Leben erfuhr, daß ein Kind, ein Teil
-seines Wesens, auf der Erde zurückbleiben würde, durfte kein Wort
-stören. Die Hände Samos falteten sich auf der Bettdecke. Gott allein
-wußte, wo die Gedanken waren. Endlich tastete die Rechte nach Juros
-Hand. Ein leiser Druck. Lange schwere Feindschaft war ausgelöscht. Die
-Lippen bewegten sich. Juro beugte sich tief über den Bruder.
-
-»Wie heißt er?«
-
-»Er heißt Hanzo wie sein Großvater.«
-
-Samo nickte.
-
-»Es ist gut, daß er nicht heißt wie ich.«
-
-Noch einmal zuckten die Lippen.
-
-»Er soll gesegnet sein!«
-
-Dann rief er laut und ängstlich:
-
-»Mach das Fenster auf!«
-
-Juro öffnete das Fenster. Als er ans Lager zurückkehrte, lag Samo im
-Todeskampf. -- -- --
-
-Als es überstanden war, drückte Juro dem toten Bruder die Augen zu. Und
-er, der Deutsche, übte den wendischen Totenbrauch; er hielt die kleine
-Wanduhr an und deckte über den winzigen Spiegel, der auf dem Tisch lag,
-ein Taschentuch.
-
-Vor dem Fenster saß ein kleiner Vogel und sang.
-
-Zu dem sagte Juro mit tränenerstickter Stimme:
-
-»Der Herr ist gestorben!«
-
-Da flog der kleine Vogel davon.
-
-Vielleicht flog er nach der Heimat.
-
-
-
-
-Die Jahre gingen dahin, der Französische Krieg war geschlagen, die
-Wenden hatten ihre alte Tapferkeit bewiesen im Kampfe für das große
-Vaterland. Und es war Friede geworden im deutschen Land, alter Hader
-beglichen, alte Wunden vernarbt.
-
-Auch im Wendenland war Friede. Keinerlei Auflehnung und Untreue des
-kleinen stillen Völkchens, keinerlei Bedrückung, kein unfreundliches
-Wort von seiten der Deutschen. Noch flatterten die großen Haubenbänder
-im Wind, noch schnurrten in den Spinnstuben die Rädchen und die
-Mäulchen, noch ritten die Osterreiter übers Feld, noch klangen die
-alten wendischen Lieder. Und mit Liebe und Sorgfalt gingen gelehrte
-Gesellschaften und Einzelpersonen daran, zu sammeln, zu hegen,
-daß nichts Wertvolles, nichts Köstliches aus diesem Völkerleben
-verlorengehe oder vergessen werde. Und diesen Leuten stehen alle
-Deutschen nahe, die guten Willens sind.
-
-Stilles friedliches Einvernehmen! Die Schönheit des wendischen
-Spreewalds wurde den Leuten im weiten Lande durch Hunderte von Bildern
-kundgetan, und bald besannen sich die klugen Berliner, daß ihre Spree,
-an deren »grünem Strand« sie wohnen, ja doch irgendwoher kommen müsse,
-und kühn wie die Sucher der Nilquellen drangen sie stromaufwärts,
-gerieten in den Spreewald und staunten, daß da ein wundersames
-Lagunenland war, märchenhaft wie das alte Venedig, mit hohen grünen
-Walddomen und Gondolieren, die auf leisen Nachen den Fremden durch
-verträumte Wasserstraßen fahren.
-
-Auch ins noch stillere Oberland kam manch ein Maler, mancher Künstler
-und Volksfreund.
-
-Und die deutsche Sprache kam mit ihnen. Aber die Wenden suchten sie
-auch selbst auf den Märkten, in den Fabriken, in den Studiersälen.
-Aufgezwungen darf sie nicht werden. Nationalität ist Liebe, und Liebe
-kann nicht erzwungen werden!
-
-Friede war auch bei den Menschen, von denen dies Buch erzählt hat.
-
-Hanka war die aufrechte, starke Herrscherin auf dem Hof des alten
-Scholta Hanzo. Als sie von dem Tode ihres Mannes erfahren hatte,
-legte sie weiße Trauerkleider an und trug sie ein Jahr und einen Tag.
-Sie sprach nie von Samo, aber sie wies alle Freier, die sich an sie
-drängten, herb und kurz ab. Selten versah sich jemand von ihr eines
-übermäßig freundlichen oder gar scherzenden Wortes; sie hielt strenge
-Zucht, und sogar der alte Kito bekam öfters seinen Tadel. Aber sie war
-gerecht. In ihrem ganzen Haus und Hof war nichts Unordentliches, nichts
-Unsauberes. Die alte Wičaz mit ihrem Sohn hatte fortziehen müssen.
-Der Scholta überließ Hanka mehr und mehr das volle Regiment, und der
-Wohlstand mehrte sich von Jahr zu Jahr.
-
-Über ihrem Söhnchen Hanzo wachte sie mit äußerer Kühle, aber desto
-innigerer Herzenssorge. Einmal, als der Knirps eben fünf Jahre alt
-geworden war, trat er vor seine Mutter, hatte einen Papierhelm auf
-dem Kopfe und einen Holzstecken als Schwert an der Seite und sagte:
-»Mutter, ich bin der Kral!«
-
-Da erschrak Hanka so, daß sie erst kein Wort herausbrachte. Dann berief
-sie den alten Kito und fuhr ihn hart an. Es stellte sich heraus, daß
-Kito unschuldig war; die Knaben auf der Gasse hatten dem kleinen Hanzo
-zugerufen, daß er der Kral sei.
-
-Da sagte Hanka kein Wort mehr über diese Sache, aber sie gewöhnte ihren
-Sohn noch mehr als früher an Bescheidenheit und friedfertiges Wesen.
-
-Zweimal im Jahre ließ sie die gute Kutsche anspannen und fuhr zu Besuch
-auf den Hof des Herrn von Withold. Und der alte Edelmann nannte sie
-»gnädige Frau« und küßte ihr die Hand. Mit Elisabeth verband sie seit
-den Tagen von Breslau eine stille Freundschaft. Von Juro hielt sie sich
-ferner. Sie fragte ihn nie um Rat, auch nicht wegen der Erziehung ihres
-Sohnes, dessen Pate er war. Desto größere Zärtlichkeit brachte sie
-seinem Töchterchen entgegen, das das einzige Kind seiner Ehe geblieben
-war. Juro lebte mit seiner Frau auf dem Gut seines Schwiegervaters.
-Sein Schwager Heinrich hatte seinen Willen, sich ganz der Musik zu
-widmen, durchgesetzt. Er war Kapellmeister in einem kleinen Hoftheater
-geworden. Er hatte eine Oper geschrieben, die allerdings durchgefallen
-war; aber sein Leben war nicht ohne Glanz, denn sein Heros Richard
-Wagner hatte ihn einmal auf die Schulter geklopft und »Mein lieber,
-geschickter Freund!« zu ihm gesagt. Von solcher Hocherinnerung ließ
-sich leben.
-
-Juros ärztliche Praxis war nicht bedeutend. Es gab immer noch
-viele Wenden, die ihre Krankheiten besprechen ließen oder sich mit
-Hausmitteln behalfen. Immerhin: nach geraumer Zeit sickerte durch, daß
-der »~Pán doctor~« selten für seine Hilfe Geld beanspruche, ja daß er
-bei armen Leuten eher etwas aus eigener Tasche zulege. Und nun mehrten
-sich die Patienten. Juro sprach mit den Leuten wendisch. Manchmal --
-wie von ungefähr -- sprach er deutsch. Und das war immer ein leises
-Examen. Endlich kam eine Zeit, wo ihn die Leute fragten, was sie mit
-ihren Kindern beginnen sollten, wenn sie aus der Schule entlassen
-wurden. Dann gab er ihnen die Ratschläge, die seine Überzeugung ihm
-vorschrieb. -- --
-
-Eines hatte die Großbäuerin Hanka lange gequält. Ihr Schwiegervater
-Hanzo hatte einmal in einer ernsten Stunde zu ihr gesagt:
-
-»Hanka, ich muß dir etwas anvertrauen, was eigentlich nur eine Sache
-für Männer ist. Aber seit Samo tot ist, stehst du an seiner Stelle.
-Der kleine Hanzo ist ein Kind, mit dem ich über solche Dinge nicht
-reden kann. Und Juro hat verzichtet und steht abseits. So will ich dir
-sagen, wohin unsere alte Krone gekommen ist, als sie aus dem heiligen
-Hügel gerissen wurde, damit du es deinem Sohne anvertraust, wenn er
-groß ist und ich nicht mehr bin. -- Die alte Krone habe ich mit Samo
-in nächtlicher Zeit unter unserer Kirchhoflinde begraben, dort, wo
-die Mutter liegt und wo ich einmal liegen werde. Und die Krone wird
-über unsern Häuptern sein, wenn wir da schlafen. Niemand weiß das;
-die Kronenstätte ist dem wendischen Volke fortan unbekannt. Nur der
-Kral darf sie wissen und sein Erbe. Das ist dein Sohn. Und bis er es
-erfahren kann, sollst du es wissen!«
-
-Nach dieser Aussprache war die Großbäuerin Hanka tagelang bleich und
-vergrämt umhergegangen, so daß die Leute unter sich flüsterten: »Die
-Frau ist krank!« Das war aber, weil kein Schlaf mehr über ihre Augen
-kam. Denn in der Nacht, wenn Hanka in halbwachem Traumschlummer lag,
-trat Samo an ihr Bett, sah sie mit heißen, verängstigten Augen an und
-rief:
-
-»Die Mutter muß die Krone vom Kopfe nehmen!«
-
-Das war wie in den schrecklichen Tagen von Prag. Und wenn der Morgen
-kam, grübelte Hanka, was sie tun solle. Ein einziger Mensch war, den
-sie hätte um Rat fragen können, das war Juro. Aber sie fragte ihn
-nicht. --
-
-Nach sieben bangen Tagen und sieben schweren Nächten hatte es Hanka mit
-sich ausgemacht.
-
-Heimlich verließ sie zur Nachtzeit Haus und Hof. Gestählt durch ihren
-bewußten Willen, ging sie zum hochgelegenen Gottesacker. Alles, was an
-Furcht- und Spukgestalt seit der Kindheit Tagen in ihrem Herzen lebte,
-war besiegt. Und sie ging zu der Linde, unter deren Krone die Frau
-ruhte, mit der sie in dies Dorf gezogen war. Sie stach mit ihrem Spaten
-vorsichtig den Rasen ab. Sie grub. Das Herz bangte ihr, der Spaten
-werde den Sarg jener Frau treffen, aber es geschah nicht. So arbeitete
-Hanka zwischen Grabsteinen und alten Holzkreuzen im Mondenlicht.
-
-Und sie fand zwischen den Wurzeln des Slawenbaums, der Linde, die
-silberne Krone. Die putzte sie mit ihrer Schürze ab und legte sie
-beiseite. Dann schloß sie die Grube, fügte den Rasen auf seine Stelle.
-
-Eine kleine Weile stand sie an dem Grabe und sprach in ihrem Herzen:
-
-»Ich wollte deine Ruhe nicht stören, gute Mutter, aber ich mußte diese
-Krone holen, weil es dein Sohn Samo verlangt. Nun sollt ihr beide in
-Gottes Frieden ruhen!« Die Krone trug Hanka auf ihrer Brust unter dem
-großen Umschlagtuch davon.
-
-Und sie ging auf Seitenwegen hin zur Spree.
-
-Dahinein senkte sie die Krone.
-
-Leise und langsam floß das stille Wasser darüber. -- --
-
- * * * * *
-
-Hanzo aber, der alte »Kral«, ging noch oft auf den Gottesacker zum
-Grabe seiner Frau und träumte beim leisen Rauschen der Linde von einer
-tiefen, stillen Ruhe da unten im Schmuck einer strahlenden Krone.
-
-Und er war nicht getäuscht. Das wußte auch Hanka.
-
-Eine Krone würde über seinem Haupte sein, wenn er da unten schlief:
-
-Die alte, unvergängliche Krone, in deren Glanz und ewigem Schmuck alle
-die ruhen, die auf Erden die Wahrheit gesucht und das Recht geliebt
-haben.
-
-
-
-
-Fußnoten
-
-
-[1] Schulzen.
-
-[2] Rittermäßiger
-
-[3] König.
-
-[4] Alp.
-
-[5] Juro ist der wendische Name für Georg.
-
-[6] Großes weißes Tuch.
-
-[7] Ohrfeige.
-
-[8] Vorsängerin.
-
-[9] Totenschmaus.
-
-[10] ist viel herablassender, freundlicher.
-
-[11] Spree.
-
-[12] Slawischer Name für Bautzen.
-
-[13] Jetzt versaufen wir das Fell! (der Verstorbenen).
-
-[14] Böhmischen Krone.
-
-[15] Aus der russischen Zeitung »Golos«.
-
-[16] Gott führt die Seinen wunderlich zusammen.
-
-[17] Ohrfeige.
-
-[18] »~Jana stawa baba,~ »Ein altes Weib,
- ~Jaden stary kón~ Ein altes Pferd
- ~Nejstej togo carta wert.~« Sind beide nicht den Teufel wert.«
-
-
-[19] Nach dem böhmischen Volksgesang. »~Stoji hruška w širem poli~«.
-
-[20] Der Branntwein ist ein Umwerfer.
-
-[21] Wasser macht hungrig (schwach).
-
-[22] Wendische Formel beim Zutrinken.
-
-[23] Kämmerchen.
-
-[24] Andere Hand -- anderes Glück.
-
-[25] Elbe.
-
-[26] Kälbchen.
-
-[27] Sau.
-
-[28] Du Plunderliese.
-
-[29] Wer mit der Katze gepflügt hat, weiß, wie sie zieht.
-
-[30] »Gedächtnistag des Meisters Johann Hus.« Der 6. Juli. Hus wurde
- bekanntlich am 6. Juli 1369 geboren und am 6. Juli 1415 zu
- Konstanz verbrannt.
-
-[31] Er lebe!
-
-[32] Slawische Bezeichnung der Deutschen während der Zeit des
- Frankfurter Parlamentes.
-
-[33] Fürst! Fürst!
-
-[34] ~Pán Krystus, neýmocnegssj pán, racz techto klenotuw ostrzjhati
- sam, až do neyposlednegssho dne.~
-
-[35] Spinngesellschaft.
-
-[36] Kirmes.
-
-[37] Maske.
-
-[38] Branntwein.
-
-[39] Meine Mutter ist eine Witwe,
- Ich bin eine liederliche Kröte!
-
-
-[40] Sohn des Hauses.
-
-[41] Vater!
-
-[42] Wendischer Nationaltanz.
-
-[43] Gemeindeversammlung.
-
-[44] Gemeindeschöffen.
-
-[45] Schlafgöttin.
-
-[46] »~Stoz 'ce so swjeci prolowac.~«
-
-[47] »~Ceknena mać.~«
-
-[48] »~Lóchko zmýslena!~«
-
-[49] Wänden!
-
-[50] Das Gotteskind (Christkind).
-
-[51] Nach dem Lied: »~Pšadla Marja kudželku.~«
-
-[52] Spatz.
-
-[53] Rußabend.
-
-[54] Brautjungfer.
-
-[55] Brautgeselle.
-
-[56] Schmutzige Hexe.
-
-
-
-
- Beachten Sie
- bitte die folgenden
- Seiten!
-
-
-
-
- ~Von~
-
- ~PAUL KELLER~
-
- ~erschien in gleicher Ausstattung~
-
-
- ~Heimat~
-
- »Ein Roman aus den schlesischen Bergen, ein sehr starkes Werk
- des Dichters, der seine Menschen aus dem Innern, aus dem Herzen
- zeichnet.«
-
- Frankfurter Nachrichten
-
-
-
-
-~DIE GELBEN ULLSTEIN-BÜCHER~
-
-
- ~RUDOLF HANS BARTSCH~
-
- ~Hannerl und ihre Liebhaber~
-
- Das Schicksal einer lustigen, kleinen Wienerin, die im Glauben,
- über der Liebe zu stehen, an ihr zugrunde geht.
-
-
- ~ELISABETH RUSSELL~
-
- ~Urlaub von der Ehe~
-
- Ein sonniger, humorvoller Ferienroman aus einer
- oberitalienischen Villa, in der einige Frauen und Mädchen
- glauben, den Männern entfliehen zu können.
-
-
- ~P. O. HÖCKER~
-
- ~Die Sonne von St. Moritz~
-
- »Saison in St. Moritz, das mondäne Treiben des Luxushotels,
- der sport- und klatschlüsternen ›Welt‹ geben den Rahmen dieser
- neuen Erzählung Höckers. In dieser strahlenden Umgebung erfüllt
- sich das Schicksal zweier Menschen, um endlich, nach mancherlei
- Verwicklung, zu einem versöhnlichen Ende zu führen.«
-
- Nürnberger Zeitung
-
-
- ~CARL ROESSLER~
-
- ~Wellen des Eros~
-
- »Roeßler hat hier mit der Gabe außerordentlich scharfer
- Charakterisierung ein Buch geschaffen, wie es nur einer kann,
- der all' die Figuren bis ins Innerste kennt.«
-
- Neue Freie Presse
-
-
- ~PAUL FRANK~
-
- ~Das Liebesschiff~
-
- Das Liebeserlebnis einer schönen, vielumworbenen Frau, die sich
- bis zum geheimnisvollen Verschwinden eines Mannes für keinen
- ihrer zahlreichen Verehrer entscheiden kann.
-
-
- ~HERMANN LINT~
-
- ~Horizont der Liebe~
-
- »Am Horizont der Liebe geistert eine schöne Frau, rätselhaft
- verschwunden, rätselhaft auftauchend in neuer, verhängnisvoller
- Erscheinung.«
-
- Hannoverscher Kurier
-
-
- ~LUDWIG THOMA~
-
- ~Krawall~
-
- Eine Reihe köstlicher Burlesken von der kochenden bayrischen
- Volksseele, von Richtern, Bauern und Städtern, von Krach und
- Krawall vor Gericht.
-
-
- ~P. G. WODEHOUSE~
-
- ~Der schüchterne Junggeselle~
-
- Eine der amüsantesten Schöpfungen des großen englischen
- Humoristen. Die Handlung spielt auf dem Dachgarten eines
- New-Yorker Wolkenkratzers und schildert »schreckliche
- Abenteuer«, die ein sehr sympathischer, sehr blonder, sehr
- junger, sehr schüchterner Mann mit bösen Schwiegermüttern,
- eleganten Kartenlegerinnen und lyrischen Polizisten zu bestehen
- hat.
-
-
- ~EDMUND SABOTT~
-
- ~Jan Fock, der Millionär~
-
- »Diese lustige, leichtbeschwingte und amüsante Diebskomödie
- läßt die Sympathien des Lesers von Seite zu Seite wachsen.«
-
- Hamburger Fremdenblatt
-
-
-~+JEDER BAND 1 MARK+~
-
-
-
-
- Gedruckt
- im Ullsteinhaus
- Berlin
-
-
-
-
- Weitere Anmerkungen zur Transkription
-
-
- Offensichtlich fehlerhafte Zeichensetzung wurde stillschweigend
- korrigiert.
-
- Die Darstellung der Ellipsen und der Gedankensprünge wurde
- vereinheitlicht.
-
- Sofern hier nicht aufgeführt, wurden unterschiedliche Schreibweisen
- beibehalten.
-
- Korrekturen (das korrigierte Wort ist in {} eingeschlossen):
-
- S. 28: daß → daß du
- Ich verbitte mir, {daß du} mich hier
-
- S. 38: zuckte → zückte
- das Messer nach ihm {zückte}
-
- S. 44: Haaresbre te → Haaresbreite
- nicht um {Haaresbreite} dem einen näher
-
- S. 57: ber → aber
- alle Weise zu hindern, was ihm {aber} mißlang
-
- S. 67: gib → gibt
- Es {gibt} heuer recht viele
-
- S. 67: Geberde → Gebärde
- Sie machte eine {Gebärde} mit der Hand
-
- S. 74: übscher → hübscher
- Aber er ist ein {hübscher} Mann
-
- S. 76: us → aus
- der Buchdrucker {aus} Bautzen
-
- S. 79: bewunderswert → bewundernswert
- ein Reich ist nur in einer Einheit {bewundernswert}
-
- S. 79: Baudissin → Budissin
- ich bin im sächsischen {Budissin} geblieben
-
- S. 82: chlesien → Schlesien
- ebenso wie {Schlesien} geschichtlich und rechtlich
-
- S. 96: Wicaz → Wičaz
- Sie war als die Sprichwörter-{Wičaz} bekannt
-
- S. 123: sie → Sie
- ich danke, daß {Sie} mich
-
- S. 124: sie → Sie
- Vergönnen {Sie} nun auch meinem lettischen Bruder
-
- S. 147: Strin → Stirn
- machte er die {Stirn} runzelig und sagte
-
- S. 149 druzba → družba
- Oberlande heißt man's ~{družba}~
-
- S. 179: hat → Er hat
- {Er hat} es mir geschrieben
-
- S. 180: der → oder
- ob ich ein Glas Wein {oder} ein Glas Milch bringen darf
-
- S. 181: ber → aber
- fremde Meinung bekämpfen, {aber} man dürfe
-
- S. 200: n → an
- Denkt {an} jeden Kaufmann, jeden Gewerbetreibenden
-
- S. 201: wischen → zwischen
- Wortgefecht {zwischen} Juro und Samo ausgewachsen
-
- S. 218: hiner → hinter
- einen Steckbrief {hinter} mir erlassen
-
- S. 229: war → wär
- Hättest du das getan, {wär} alles gut
-
- S. 243: nd → und
- er bezwang sich {und} sprach
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Die alte Krone, by Paul Keller
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE ALTE KRONE ***
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- The Project Gutenberg eBook of Die alte Krone, by Paul Keller.
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-<pre>
-
-The Project Gutenberg EBook of Die alte Krone, by Paul Keller
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
-almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
-re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
-with this eBook or online at www.gutenberg.org/license
-
-
-Title: Die alte Krone
- Ein Roman aus dem Spreewald
-
-Author: Paul Keller
-
-Release Date: April 10, 2016 [EBook #51722]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE ALTE KRONE ***
-
-
-
-
-Produced by Peter Becker and the Online Distributed
-Proofreading Team at http://www.pgdp.net
-
-
-
-
-
-
-</pre>
-
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_1">[1]</a></span></p>
-
-<div class="transnote">
-<p class="h2">Anmerkungen zur Transkription</p>
-
-<p>Das Original ist in Fraktur gesetzt.</p>
-
-<p>Im Original in Antiqua gesetzter Text ist <em class="antiqua">so ausgezeichnet</em>.</p>
-
-<p>Im Original gesperrter Text ist <em class="gesperrt">so ausgezeichnet</em>.</p>
-
-<p>Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am <a href="#tnextra">Ende
-des Buches</a>.</p>
-</div>
-
-<div class="figcenter">
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-</div>
-
-<p class="h2">Die gelben Ullstein-Bücher</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<h1>Die alte Krone</h1>
-
-<p class="center">Ein Roman aus dem Spreewald</p>
-
-<p class="center">von</p>
-
-<p class="center large">Paul Keller</p>
-
-<div class="figcenter">
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-
-<p class="center">Im Verlag Ullstein / Berlin
-</p>
-<hr class="chap" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<p class="center smaller">Umschlagbild: Die Filmschauspielerin Carmen Boni / Phot. Ufa<br />
-Copyright 1909 by Bergstadtverlag Wilh. Gottl. Korn, Breslau<br />
-<em class="antiqua">Printed in Germany</em>
-</p>
-
-<hr class="chap" />
-</div>
-
-<div class="chapter"></div>
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_5">[5]</a></span></p>
-
-<p class="ph2">Die Spree ist ein Heidekind. Ihre Jugend ist arm und ohne
-Wagemut, ihre Kraft gering und ihre Lustigkeit schüchtern.
-Frühzeitig &ndash; als halberwachsen Ding &ndash; muß sie in Dienst
-nach der anspruchsvollsten Stadt der Welt, nach Berlin, wo
-man ihr, einer jungen, billigen, schmucklosen Dienerin, auf die
-schwachen Schultern viel Last und Qual ladet.</p>
-
-<p>Aber auch sie hat eine grüne Heimat und eine grüne Jugend.
-Gar nicht fern von dem schreienden, lachenden, gellenden Berlin
-wohnt die große Stille in hohen Föhrenwäldern, ist eine andere
-Welt, wohnt ein anderes Volk, ist eine andere Zeit. Gar nicht
-fern von dem prangenden Reichtum der glänzenden Weltstadt
-ziehen arme Sandwege durchs Land, stehen hohe Farnkräuter
-an alten Ziehbrunnen; nur wenige Stunden von dem Mittelpunkt
-kaltherziger Weisheit, heißblütiger Genußsucht sieht das
-Volk auf den Blättern der Pflanze <em class="antiqua">cerweny drest</em> die Blutstropfen
-Christi glänzen, saugen die Kinder süßen Saft aus
-weißen Birkenstämmen, legen die Leute das Freundschaftskraut
-»<em class="antiqua">kokoski</em>« unters verwitterte Strohdach, um am grünenden
-oder welkenden Kräutlein zu erkennen, ob das ferne
-liebe Leben eines Freundes noch frisch und grün oder im Tode
-verblichen sei.</p>
-
-<p>Das ist das Land, wo ein kecker Hase, der ins Dorf kommt,
-den Leuten ein Feuer verkündet, wo man neun Sünden verziehen
-bekommt, wenn man eine Maulwurfsgrille tötet, wo
-der Mann sich eine krabbelnde Fledermaus unter die Mütze
-steckt, um im Spiele Glück zu haben, wo das Mädchen dem
-jungen Burschen, dessen Liebe sie gewinnen will, einen Apfel
-zu essen gibt, den sie eine ganze Nacht lang in der Schulterhöhle
-getragen hat.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_6">[6]</a></span></p>
-
-<p>Das ist das Land Wendei. Keine rote oder blaue Grenzlinie
-kennzeichnet das Wendenland auf einem Kartenbild;
-jahrhundertelang war es ein Spielball der Brandenburger,
-Sachsen und Böhmen, und auch heut noch muß man von der
-sächsischen Stadt Bautzen die böhmische Grenze entlang durch
-die schmale schlesische Lausitz bis hin in den brandenburgischen
-Spreewald wandern, wenn man die Wendei kennenlernen will.</p>
-
-<p>Ein anderes Volk als in Berlin, der deutschesten aller
-deutschen Städte, die nur wenig Bahnstunden entfernt ist &ndash;
-ureingesessene Slawen, die in grauer Vorzeit den ganzen Osten
-unseres Vaterlandes bis an die Ostsee beherrschten, dann
-zurückwichen Schritt um Schritt und die trotz jahrtausendelanger
-Abhängigkeit, in die sie alsbald gerieten, sich ihre
-trotzige Eigenart in Sprache und Sitte, in Kleidertracht,
-Häuserbau und Gemeindeanlage bewahrt haben. Jetzt aber ist
-Wendenland eine kleine, zerbröckelnde Slaweninsel im brausenden
-deutschen Meere, das an seiner Küste zehrt, seine
-geistigen Springfluten über das Land gießt und es bald bis
-zum letzten Brocken aufgezehrt haben wird.</p>
-
-<p>Sorben, oder &ndash; wie sie die Deutschen nennen &ndash; Wenden.
-Eines von den Völkern, die jahrtausendelang bestehen, ohne
-eine Geschichte zu haben, die alt werden, ohne je jung gewesen
-zu sein, Blutsverwandte der Tschechen und Schicksalsverwandte
-der südslawischen Stämme der Slowenen und Kroaten, die
-auf den mageren Ziegenweiden des felsigen Karstlandes ihre
-Jahrhunderte verträumten.</p>
-
-<p>Kein Hoheslied, kein Heldenbuch, keine steinerne Tafel mit
-unvergänglichen Gesetzen, keine Ruhmeshalle mit Ewigkeitsphysiognomien
-großer Menschen und großer Geschehnisse
-kennzeichnete den Weg, den diese Nationen durch die Geschichte
-schritten. Ihre Spur verlief im Sand. Die Weltgeschichte
-vermerkt ihre Namen nur in nebensächlichen Fußnoten. Einige
-Grenzplänkeleien mit dem großen Karl, dem schlauen Heinrich,
-dem Markgrafen Gero, den Meißener Bischöfen, den dänischen
-Herrschern, nicht viel mehr von eigener Geschichte.</p>
-
-<p>Eine recht dürftige Historie. Geschickte, fleißige Forscher und<span class="pagenum"><a id="Seite_7">[7]</a></span>
-Sammler haben dagegen Mythen, Sagen, Märchen, Volkslieder,
-Schnurren, Eigentümlichkeiten in Sitte und Brauch
-getreulich niedergeschrieben, Dinge, die Zeugnis geben von dem
-Leben, das einst im wendischen Völkerwald war. Schmaler,
-Andree, Schulenburg, Veckenstedt, Tetzner und andere tüchtige
-Männer wurden unsere Lehrer über das Wendentum. Aber es
-sind nur Einzelheiten, Forschungsergebnisse, abgerissene Töne
-und Klänge, die sie einfangen. Ein ganzes Bild haben sie nicht
-zusammengestimmt; selbst die Sage vom König der Wenden
-liegt bei ihnen in Schutt und Trümmern.</p>
-
-<p>Die deutschen Dichter sind an diesem einsamen Heide- und
-Flußwald, an dieser geschichtlichen Trümmerburg vorbeigegangen.
-Die Wenden selbst waren immer stille Leute. Kein
-politischer Alarmruf ging von ihnen aus, kein kraftvoller
-Dichter erstand aus ihrer Mitte. Ein tausendjähriges Volk sind
-die Wenden, ohne Geschichte, ohne Literatur, ohne bildende
-Kunst, kleine Ansätze abgerechnet.</p>
-
-<p>Wenn mich, den Schlesier, das Heidegeheimnis meiner
-Heimat reizte, so lag das nahe. Ich bin mit ganzer Liebe an das
-Werk gegangen, habe nach den Trümmerbildern, die ich fand,
-die Sage vom Wendenkönig rekonstruiert und hoffe, daß mich
-das deutsche Herz nirgends, wo zwischen Nationalitäten abzuwägen
-war, zu einer Sünde ungerechter Parteilichkeit
-verführt hat.</p>
-
-<p>Kraft, geistige und körperliche Fruchtbarkeit, Entwicklungsfähigkeit,
-Wollen zur Höhe, Schätze und Kräfte sonder Zahl
-waren auch im Volke der Lausitzer Sorben. Die Kinder Gottes
-sind alle zur Herrschaft berufen. Aber den Wenden fehlten die
-Führer. Die Könige, die Führer, die Befreier kommen von selbst
-ihre lichte Straße daher oder sie kommen nicht, mag das Volk
-auch tausend Jahre am Boden knien und rufen: »Tauet
-Himmel den Gerechten!«</p>
-
-<p>Gegen versagte Gnade, die im Weltplan begründet ist, hilft
-kein Wollen, kein Beten, kein Toben. Der Führer kommt nicht,
-das Volk verträumt seine Zeit, es altert und vergeht, ohne daß
-es jung war.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_8">[8]</a></span></p>
-
-<p>Heutigen Tags hat der Donner der Lokomotiven, das
-Sausen der Automobile, die durch die Wendei rasen, die
-Lutchen und andere Zwerggeisterlein, die Mittagsfrau und die
-Kobolde vertrieben; der scharfe Wind geistiger Aufklärung, der
-schneidend über alles Land fegt, hat die blauen Traumlichter
-romantischen Glaubens in den Herzkammern der Wenden
-ausgelöscht; die Sucht nach Gold und Lust hat das Heidevölklein
-aus seinen stillen Wald- und Wiesenwinkeln herausgelockt
-ins breite allgemeine Gefild, in die große Stadt, wo die
-jungen Burschen ihre Kraft, die jungen Mütter die Milch ihrer
-Brust verkaufen; der moderne Fabrikbetrieb verlangt viele
-Kräfte; die malerischen Volkstrachten mit ihrer soliden Pracht
-haben vielfach schäbigem modischen Zeug aus billigen Bazaren
-Platz gemacht; die wendische Sprache hört mehr und mehr
-auf: bald wird die ganze Wendei nichts mehr sein als eine
-historische Reminiszenz.</p>
-
-<p>Aber in der Zeit, von der dies Buch erzählen will, in den
-Jahren 1860 bis 66, da war es doch noch ganz anders. Damals
-begann die Zersetzung des Wendentums erst, die jetzt beinahe
-vollendet ist.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_9">[9]</a></span></p>
-
-<p class="ph2">Rot glüht der Wald über die Heide. In den Wellen der
-stillen Spree schwimmen die ersten gelben Weidenblätter
-wie lange, gelbe Schifflein. Eine kleine Flotte, mit der der junge
-Herbst spielt. Weiden den ganzen Fluß hinab, auch auf den
-Moorwiesen, die sich lang im Abendsonnenschein dehnen. Torf
-schläft in der schlammigen, quabbeligen Erde, saures Gras
-wächst darüber, und zahllose Wollblumen wiegen leicht die
-Perückenköpfe. Hoch und ragend aber steht der Föhrenwald.
-Das Auge blickt tief hinein; denn die Stämme sind schlank, die
-Föhre duldet kein Unterholz. Wie ein Heer von Kriegern stehen
-die Stämme und sind alle rot wie in blankes Kupfer gepanzert.</p>
-
-<p>Und erst die Kronen! Wie Burgen türmen sie sich in der
-Luft; das Abendsonnengold vermischt sich dem dunklen Grün,
-und die Burgen haben alle Wände und Dächer von grünroter
-Patina bedeckt.</p>
-
-<p>Alt, ehrwürdig, kostbar ist das alles.</p>
-
-<p>Kein Laut. Nur irgendein schwarzgefiederter Burgwart
-gibt manchmal den Brüdern ein Signal, die draußen auf der
-Wiese noch nach Beute suchen.</p>
-
-<p>Der erste Stern taucht auf.</p>
-
-<p>Da treibt der Gänsehirt seine schnatternde Herde heim.</p>
-
-<p>Das zweite Sternlein erglimmt.</p>
-
-<p>Ein alter Wende blinzelt hinauf, erkennt sein Zeichen und
-treibt zehn Schweinchen, die er aufs Feld geführt hatte, in den
-Stall.</p>
-
-<p>Das dritte Sternlein schimmert im Osten.</p>
-
-<p>Da singt der Schafhirt zur Heimkehr.</p>
-
-<p>Ein vierter Stern ersteht leuchtend am Himmel.</p>
-
-<p>»Geht ein, Rote, Schwarze, geht ein!« ruft der Kuhhüter
-und strebt nach dem Dorfe.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_10">[10]</a></span></p>
-
-<p>Das fünfte Sternlein strahlt friedlich hernieder. Da hören
-die Kinder auf zu spielen, schließen sich den Herden an und
-helfen sie heimführen.</p>
-
-<p>Draußen, wo die stille Spree schläfrig zwischen den Weiden
-rinnt und wo die alte Landstraße weit hinausführt &ndash; Gott
-weiß, wohin! &ndash;, wird es nun ganz still, und wie der Mond
-aufsteigt, findet er nichts Lebendes auf den weiten Wiesenplänen
-als ein paar Birken, die die weißen schlanken Leiber
-biegen und die herrlichen Lockenköpfe zu leisen Liedern zierlich
-bewegen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Eine Wolke verhüllt das strahlende Himmelslicht, und
-dunkle Schatten legen sich auf das Gelände und auf die alte
-Landstraße, die weit hinausführt, Gott weiß, wohin.</p>
-
-<p>Da schleicht durch die Schatten der Waldbäume ein Gespenst.
-Es hat einen brennenden Leib, greift mit zuckenden
-Armen irr in der Luft herum, dehnt sich zur Höhe, kauert sich
-zu Boden, huscht zu den Birken, verbirgt sich hinter den Weiden,
-schaut ins Wasser, springt wieder über die Wiese und zittert
-plötzlich entsetzt empor, als ein zweites brennendes Gespenst
-ihm nahe kommt.</p>
-
-<p>Da gibt es eine wilde Jagd weit über den Moorgrund. Das
-erste Gespenst duckt sich zusammen, versteckt sich, wird aufgescheucht,
-jagt davon, schlägt Zacken wie ein gehetztes Wild,
-springt zwischen die Bäume, und das zweite setzt ihm nach,
-langt nach ihm mit gierigen, flackernden Händen. &ndash; Horch!
-Ein Knarren kommt die Landstraße daher. Ein Wagen wird
-sichtbar. Darin sitzen Menschen. Ganz langsam geht das
-Pferd, fast unhörbar auf dem grasbewachsenen Wege. Der
-Kutscher hebt seine Peitsche und weist nach den brennenden
-Gespenstern.</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Ty newetko pormorski!</em>«</p>
-
-<p>»Fluche nicht, Lobo!« sagt die eine Frau, die im Wagen
-sitzt, leise und ängstlich. »Gott schütze uns! Es sind Jakub und
-Merten. Gott sei ihnen gnädig!«</p>
-
-<p>»Gott sei ihnen gnädig!« brummt auch der eingeschüchterte
-Knecht.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_11">[11]</a></span></p>
-
-<p>Da recken sich die Gespenster, langen noch einmal mit
-brennenden Armen hinauf gen Himmel und verschwinden.
-Langsam schleicht das Fuhrwerk weiter. Nun, da es eine
-Wegbiegung erreicht, atmet die Frau auf und sagt zu der
-jüngeren Begleiterin, die neben ihr sitzt, im Flüsterton: »Es
-waren Jakub und Merten. Jakub hat seinen Vater Merten,
-der bei ihm im Auszug war, mit einem Strick erdrosselt, weil
-er ihm zu lange lebte, und dann hat ihn der Gewissensteufel
-geplagt, und da hat er sich mit demselben Strick erhängt. Jetzt
-irren die armen Seelen über dem Moor. Hast du gesehen, wie
-der Vater den Strick in der Hand hält und den Sohn damit
-treibt?«</p>
-
-<p>Das Mädchen schmiegt sich fröstelnd an die Alte.</p>
-
-<p>»Ich fürchte mich«, sagt es leise.</p>
-
-<p>»Es ist unsere böse Gegend hier, Hanka«, fährt die Ältere
-fort. »Um alles will ich hier nicht sein zur Abendzeit. Und wir
-wären längst daheim, wenn sich Lobo, der Liederlich, nicht
-betrunken hätte.«</p>
-
-<p>Der Kutscher hört die Anklage und brummt für sich. Langsam
-schleicht das Gefährt dahin. Wer will in verrufener Gegend
-den bösen Jäger wecken oder in rascher Fahrt dem Nachtfuhrmann
-begegnen? Ist nicht selbst der himmlische Fuhrmann,
-dessen Wagen am Firmament steht, auf zu rascher Fahrt an
-eine Mauer der Hölle angefahren, so daß die hintere Achse aus
-dem Quadrat wich und sich die Deichsel für alle Ewigkeit verbog?</p>
-
-<p>Langsam schleicht das Gefährt. Neue Wiesenflächen tauchen
-auf. Die alte Bäuerin sagt furchtsam, beklommen: »Hanka,
-erschrick nicht; aber ich muß es dir sagen: Hier ist noch eine
-böse Gegend; hier wohnt die Todesgöttin Smjertniza. Gott
-schütze uns!«&nbsp;…</p>
-
-<p>In einem Nebelschloß wohnt die Todesgöttin Smjertniza.
-Sie ist immer in weißen Kleidern. Die Tür ihres Hauses ist
-zweifach verriegelt, mit einer Menschenhand und mit einem
-Menschenfuß. Aber ob sich auch die Menschen mit Hand und
-Fuß gegen die Tür ihres Schlosses stemmen &ndash; wenn sie ihre<span class="pagenum"><a id="Seite_12">[12]</a></span>
-Lichter entzündet, schiebt sie die Riegel zur Seite und geht über
-die Felder bis zu den Dörfern. Die Menschen sehen sie nicht.
-Die Tiere sehen sie. Aber der Mensch, dem sie begegnet und den
-sie meint, stirbt nach drei Tagen&nbsp;…</p>
-
-<p>Drüben liegt die Wiese mit dem dunklen Waldrand.</p>
-
-<p>»Schau geradeaus, Hanka! Geradeaus! Schau nicht
-hinüber!«</p>
-
-<p>Lobo, der Kutscher, hält durch Zurufe die Pferde zu noch
-langsamerem Gange an. Wie unter angstvollem Zauberbann
-schleicht der Wagen dahin.</p>
-
-<p>Da schallt Hundegebell übers Feld. Die Frauen horchen
-erschreckt auf.</p>
-
-<p>»Es ist Tyra, unser Hund!« sagt Lobo. »Ich kenne ihn an
-der Stimme. Er hat sich losgerissen von der Kette.«</p>
-
-<p>Zwei Tiere jagen aus dem Busch am Wegrand, ein Reh,
-ein Hund dahinter. Sie springen dicht vor dem Gefährt auf
-die Straße. Die Pferde bäumen auf. Das Reh bleibt zitternd
-stehen. Der Hund steht, keucht. Die Pferde stehen. Die alte
-Frau schreit gellend auf:</p>
-
-<p>»Die Smjertniza, die Todesgöttin!«</p>
-
-<p>Drüben über der Wiese, weit drüben steht das Nebelschloß
-&ndash; Lichter blitzen drin &ndash;, eine weiße Gestalt löst sich von dem
-Schlosse los&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Die Smjertniza! Die Tiere &ndash; sehen &ndash; sie&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Ty newetko pormorski!</em>« flucht da der Knecht, schlägt
-auf die Pferde wie rasend, die Pferde gehen durch, jagen die
-Straße entlang, springen über einen Graben querfeldein auf
-ein Dorf zu&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Beim Eingang des Dorfes schlägt der Wagen um &ndash; zerbirst
-an einem Prellstein &ndash; die Insassen fliegen heraus &ndash;
-Pferde reißen sich los, jagen davon&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Schreiende Leute kommen gelaufen. Sie richten Lobo, den
-Knecht, und Hanka, das Mädchen, die wenig verletzt sind, auf
-und tragen die Bäuerin, die am Sterben ist, nach ihrem
-Gehöfte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_13">[13]</a></span></p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Wie ein Herrensitz ist das Gehöft des Scholta<a id="FNAnker_1_1"></a><a href="#Fussnote_1_1" class="fnanchor">[1]</a> Hanzo.
-Hoch ragt das schindelgedeckte Wohnhaus, das nach wendischer
-Art mit der schmalen Giebelseite der Dorfstraße zugekehrt ist.
-Die Dorfstraße ist ziemlich weit vom Hause entfernt. Eigener
-Zufuhrweg, Teich und Anger liegen zwischen ihr und dem
-Gehöft; das wendische Angerdorf ist breit und geräumig
-angelegt. Muster von Lindenblättern, mit Sternen durchwirkt,
-schmücken den Giebel des Hauses, ein Kreuz schaut ernst aus
-dem Blattgerank, und ein Spruch, der darunter steht:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Durch Gott und eigene Kraft<br /></span>
-<span class="i0">Haben wir's geschafft«<br /></span>
-</div></div>
-
-<p class="noind">zeigt an: hier wohnen starke, selbstbewußte Menschen. Es ist
-eines der wenigen Bauernhäuser der Wenden, die groß,
-geräumig und von einem gewissen Luxus sind. Ein Mann hat
-es gebaut, der ein Withas<a id="FNAnker_2_2"></a><a href="#Fussnote_2_2" class="fnanchor">[2]</a> werden wollte, der aber doch ein
-Bauer blieb. Eine hohe Mauer, ein festes Tor schließen den
-Hof und den Vorgarten ab, der steinerne Stall, die hölzerne
-Scheune ragen darüber empor. Der Großgarten trennt das
-Gebäude vollends von jeder unmittelbaren Nachbarschaft.</p>
-
-<p>Es ist spät. Um diese Stunde wacht sonst im Gehöft kein
-Mensch mehr, es sei denn ein Wächter in unsicheren Zeiten,
-wenn Brandleger in der Gegend auftauchen.</p>
-
-<p>Heute aber sitzen unter dem zweiten Hauptgebäude, das
-dem Wohnhaus gegenüber liegt, in einem Laubengang
-zischelnde Leute, Knechte und Mägde des Großbauern. Sie
-hocken auf niederen Schemelchen oder kauern am Boden und
-schauen hinüber nach den erleuchteten Fenstern.</p>
-
-<p>»Ich hab' schwarze Holzklötzer in der Spree schwimmen
-sehen«, sagt ein Knecht.</p>
-
-<p>»Und ich hab' weiße Männer fahren sehen in einem Kahn«,
-sagt eine Magd.</p>
-
-<p>»Es meldet sich immer an«, sagt ein drittes.</p>
-
-<p>Dann Stille.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_14">[14]</a></span></p>
-
-<p>»Erzähl' es noch einmal, wie es war, Lobo!«</p>
-
-<p>»Es war ganz einfach«, sagt einer. »Lobo war besoffen!«</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Hognity kjandros</em>« &ndash; fährt Lobo auf den Sprecher los.
-Aber der wehrt ihn gemütlich ab.</p>
-
-<p>»Ich bin kee abgefaulter Baier, ich bin höchstens a abgefaulter
-Schläsinger.«</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Cerwiško!</em> Aas!« fährt der Wende abermals auf und geht
-auf den Deutschen zu.</p>
-
-<p>»Ruhe! <em class="antiqua">Tormy gótuju.</em> Die Wolken türmen sich!« mahnt
-ein alter Wende. »Drüben liegt die sterbende Frau. Ruhe!«</p>
-
-<p>Ein Weilchen Stille.</p>
-
-<p>Dann: »Erzähl' es noch einmal, wie es war, Lobo!«</p>
-
-<p>Und Lobo erzählt von den Feuermännern, von dem Hund
-und dem Reh, von der Todesgöttin Smjertniza.</p>
-
-<p>»Ich dachte, es wär' Tyra, unser Hund. Es hat mich aber
-genarrt, es war nicht Tyra. Es war auch kein richtiges Reh.
-Es waren Tiere von der bösen Meute.«</p>
-
-<p>»Gott schütze uns!«</p>
-
-<p>Tiefe Stille. In den niederen Wendenstirnen arbeiten die
-Gedanken. Der Riesenarm des Ziehbrunnens streckt sich
-drohend zum Himmel.</p>
-
-<p>Da flattert eine Gestalt über den Hof. Eine Magd ist es,
-die aus dem Herrenhause kommt.</p>
-
-<p>»Wie geht es, Anna, wie geht es der Frau?«</p>
-
-<p>Die Magd macht eine klagende Gebärde. Dann sagt sie
-flüsternd:</p>
-
-<p>»Wir wollen die Probe machen.«</p>
-
-<p>Sie zeigt ein Stück Speck.</p>
-
-<p>»Du hast ihr die Fußsohle damit gerieben?«</p>
-
-<p>Die Magd nickt.</p>
-
-<p>Da stehen alle wie auf ein heimliches Kommando auf,
-gehen auf den Zehenspitzen und schleichen den Stall entlang
-bis zur Hundehütte. Tyra fährt knurrend aus dem Schlafe,
-beruhigt sich aber, als er die bekannten Gesichter sieht.</p>
-
-<p>Die Magd wirft ihm das Speckstück hin.</p>
-
-<p>»Zeig' es an, Tyra, zeig' es an! Friß!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_15">[15]</a></span></p>
-
-<p>Der Hund beschnuppert den Speck und läßt ihn liegen.</p>
-
-<p>Da geht ein leiser Schreckensruf durch die kleine Schar.</p>
-
-<p>»Er frißt ihn nicht! Die Frau muß sterben.«</p>
-
-<p>»Tyra ist krank!« wendet der deutsche Knecht ein. »Er
-frißt schon zwei Tage lang nichts.«</p>
-
-<p>Sie sehen ihn zornig an und schleichen nach dem Laubengang
-zurück.</p>
-
-<p>»Die Frau muß sterben!«</p>
-
-<p>»Sie ist erst fünfzig Jahre. Sie könnte noch viel arbeiten.
-Sie muß noch lange nicht in den Auszug. Was stirbt sie schon?«</p>
-
-<p>»Man sollte es ihren Söhnen nach Breslau schreiben.«</p>
-
-<p>»Sie haben vielleicht jetzt keine Ferien.«</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Ty bamlak!</em> Braucht man Ferien, wenn die Mutter stirbt?
-Und überhaupt, richtige Studenten haben immer Ferien.«</p>
-
-<p>»Der Großbauer will morgen früh einen Brief an die Söhne
-schreiben.«</p>
-
-<p>»Ja, und indes vergehen die drei Tage, die ihr die Smjertniza
-noch läßt, und die Söhne kommen zu spät.«</p>
-
-<p>»Wie Gott will!«</p>
-
-<p>Der eine Knecht entkorkt eine Branntweinflasche, nimmt
-einen tiefen Schluck und reicht die Flasche weiter.</p>
-
-<p>»Wie Gott will!« sagt der letzte, als er getrunken hat.</p>
-
-<p>»Und nun müssen wir alle neue weiße Trauerkleider haben.«</p>
-
-<p>»Die kauft der Großbauer.«</p>
-
-<p>Als die Mägde von den neuen Kleidern hörten, mischte
-sich in ihren jungen Herzen mit der Trauer um die Frau ein
-heimliches Entzücken.</p>
-
-<p>»Grinst nicht so vergnügt, ihr eitlen Frauenzimmer«, fuhr
-der alte Knecht Kito sie an. Er war sonst der lustigste Patron
-trotz seines Alters; aber heute war er völlig gebrochen.</p>
-
-<p>»Erzähl' es noch einmal, Lobo, wie es war.«</p>
-
-<p>»Wir wissen es schon!«</p>
-
-<p>»Nein, wie es dort war, in dem Dorfe, von wo ihr kamet.«</p>
-
-<p>»Es war gut. Es gab viel zu essen. Drei Tage sind wir dort
-gewesen. Es gab reichlich zu essen; nur der Schnaps war etwas
-zu wässerig. Es war kein Rum darin.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_16">[16]</a></span></p>
-
-<p>»Und dann fuhr das fremde Mädchen mit?«</p>
-
-<p>»Sie ist eine Verwandte vom Großbauern, freilich, das
-Wasser von der siebenten Windel. Und sie heißt Hanka.«</p>
-
-<p>»Warum hat die Frau die Reise gemacht, zwei Tage mit
-dem Wagen hin, drei Tage dort, zwei Tage mit dem Wagen
-zurück? Mit der Eisenbahn fährt sie nicht. Eine ganze Woche
-war sie fort, jetzt in der Arbeitszeit.«</p>
-
-<p>»Sie kann tun, was sie will, sie ist die Frau. Und es sind
-Verwandte. Das fremde Mädchen bleibt jetzt hier.«</p>
-
-<p>»Ja, sie wird den Juro heiraten, den Erbsohn«, sagte eine
-junge Magd, »denn sie ist aus dem könig&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Eine Hand preßte sich dem Mädchen auf den Mund, und
-alle Wenden sahen auf den deutschen Knecht.</p>
-
-<p>Der stand auf und machte eine abweisende Handbewegung.</p>
-
-<p>»Tut nicht so albern! Ich weiß soviel wie ihr!«</p>
-
-<p>Er entfernte sich langsam und ging über den Hof.</p>
-
-<p>Die anderen fielen über die junge Magd her.</p>
-
-<p>»Wie kannst du, Worsla, du Plappermaul? &ndash; Vom
-König spricht man nicht! Noch dazu, wenn ein Fremder dabei
-ist. Das ist das heilige Geheimnis!«</p>
-
-<p>Das hübsche junge Mädchen brach in Tränen aus.</p>
-
-<p>»Ich wußte es nicht. Ich glaubte, er gehört zu uns.«</p>
-
-<p>»Er ist ein guter Kerl,« sagte einer, »aber er ist ein
-Deutscher.«</p>
-
-<p>»Ein <em class="antiqua">hognity kjandros</em> ist er«, lallte Lobo, der bereits
-wieder betrunken war.</p>
-
-<p>»Sie ist verliebt in Wilhelm,« sagte giftig eine Magd;
-»sie hat ihm drei Haare vom Nacken und ein Stück Haut vom
-Knie in den Osterkuchen gebacken. Nun ist er in sie vernarrt.«</p>
-
-<p>»Es ist nicht wahr«, schluchzte Worsla, »es ist nicht
-wahr!«</p>
-
-<p>»Ruhe!« kommandierte der alte Kito. »Heute ist keine
-Zeit für Liebessachen!«</p>
-
-<p>Es entstand eine Pause. Man hörte nichts als gelegentlich
-den glucksenden Ton, wenn einer Branntwein trank.</p>
-
-<p>Da sprach der Alte:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_17">[17]</a></span></p>
-
-<p>»Ich will nicht, daß die Frau stirbt. Sie ist noch jung und
-sie ist gut. Vor dreißig Jahren bin ich mit ihr auf den Hof
-gekommen. Ich will nicht, daß sie stirbt. Ich werde sie anräuchern.
-Noch ehe die Sonne aufgeht, werde ich auf den
-Kirchhof gehen und Gras abschneiden von einem Kindergrabe.
-Und ich werde dabei zählen: neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier,
-drei, zwei, eins. So werde ich zählen. Und am Morgen werde
-ich das Gras anzünden und die Frau beräuchern. Das wird ihr
-helfen. Das wird ihr helfen, oder &ndash; oder&nbsp;…«</p>
-
-<p>Er machte eine Handbewegung. Starr blickte er vor sich
-hin und fuhr dann fort:</p>
-
-<p>»Ich bin alt. Ich weiß nicht, ob ich zurückkomme, oder
-ob mich die Toten dort behalten. Zeit ist es längst. Es gibt auch
-Leute, die mir das Leben nicht mehr vergönnen. Wenn eines mit
-mir auf den Kirchhof gehen will, so soll er es sagen. Er darf
-aber auf dem Wege kein Wort sprechen.«</p>
-
-<p>Sie duckten sich alle zusammen, als ob plötzlich ein eisiger
-Wind sie gefaßt hätte.</p>
-
-<p>Nur die junge Magd Worsla sagte:</p>
-
-<p>»Vater Kito, ich gehe mit dir. Du bist sonst so lustig und
-immer gut.«</p>
-
-<p>Der Alte nickte und sah sie an.</p>
-
-<p>»Wenn sie &ndash; wenn sie mich dort behalten, dann lege mir
-gleich zwei Steine auf die Augen.«</p>
-
-<p>Schritte klangen über den Hof. Wilhelm, der deutsche
-Knecht, kehrte zurück.</p>
-
-<p>»Will keiner einspannen und nach dem Doktor fahren?«
-fragte er.</p>
-
-<p>Sie wehrten alle ab. Der Arzt bringe den Tod. Der Bader
-sei bei der Frau, die Smjertniza sei auf dem Felde, der Doktor
-solle fortbleiben.</p>
-
-<p>Der Deutsche wurde wütend.</p>
-
-<p>»Gebt mir den Schlüssel zum Pferdestall!« rief er zornig.</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Hognity kjandros!</em>« fuhr Lobo auf.</p>
-
-<p>Da erhielt er eine Ohrfeige, daß er taumelte.</p>
-
-<p>Mit Mühe wurden die beiden auseinandergebracht. Aber<span class="pagenum"><a id="Seite_18">[18]</a></span>
-vergebens versuchte der deutsche Knecht, den Schlüssel zum
-Pferdestall zu erlangen.</p>
-
-<p>»So werde ich nach der Stadt laufen.«</p>
-
-<p>»Das Hoftor ist zu. Den Schlüssel bekommt er nicht!«</p>
-
-<p>Wilhelm lächelte verächtlich. Aber er fuhr zusammen, als
-er leises Weinen hörte. Worsla, die junge Magd, hob die Hände
-zu ihm.</p>
-
-<p>»Geh nicht! Die Smjertniza geht um! Geh nicht! Es ist
-nicht nötig! Ich gehe mit Kito zum Friedhof. Wir holen heiliges
-Gras von einem Kindergrab. Da räuchern wir die Frau an,
-und sie wird gesund werden.«</p>
-
-<p>Sie streckte ihm, alle Scheu vergessend, beide Hände hin,
-er aber wehrte sie unwirsch ab und sagte:</p>
-
-<p>»Du bist auch so eine Gans!«</p>
-
-<p>Ging über den Hof und schwang sich über die Mauer.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p class="ph2">Die weiten Matten des Riesengebirges sind dort am breitesten
-und schönsten, wo der große Elbstrom seine Quellen
-hat. Runde dichte Knieholzgebüsche sind über den kurzen Rasen
-verstreut wie dunkelgrüne Kränze.</p>
-
-<p>Ein leichter milder Abendwind ging über die sich weit hindehnende
-Elbwiese und erquickte einige Wandersleute, die, vom
-Gipfel des Hohen Rades herkommend, sich am Boden lagerten.</p>
-
-<p>»Kolossale Fläche«, sagte ein stattlicher Fünfziger und ließ
-die fröhlichen, stahlgrauen Augen rundum schweifen.</p>
-
-<p>»Grandiose Fläche! Und das liegt nun alles hier oben viertausend
-Fuß hoch und hat keinen Zweck.«</p>
-
-<p>»Aber, Papa, das ist doch so schön!« entgegnete ihm seine
-schlanke Tochter; »sieh mal, wie sich diese weiten Wiesen hindehnen
-und eine so friedlich schöne Brücke sind zwischen den
-zwei großen Gebirgskämmen&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Jawohl«, unterbrach sie der Alte sarkastisch und mit
-imitiert flötender Stimme. »Diese epische, ruhige Breite, nur
-hin und wieder unterbrochen durch die Lyrismen winziger<span class="pagenum"><a id="Seite_19">[19]</a></span>
-märchenhafter Knieholzwälder, deren Baumstämmchen nur so
-groß sind wie die Kinder und so verträumt sind wie die Kinder.«</p>
-
-<p>»Papa!«</p>
-
-<p>»Tja! Herrschaften, denken Sie nu ja nicht etwa, die Stelle
-von der epischen Wiese und von den lyrischen Kniehölzern is
-von mir. Keine Spur! Hier steht sie, die diese Stelle gedichtet
-hat &ndash; meine Tochter Elisabeth von Withold. Es hört sich großartig
-an sowas. Man kann sich zwar nischt dabei denken, aber
-es klingt nach was!«</p>
-
-<p>»Papa, du hast&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Ich habe jar nischt. Dein Papa ›hat‹ nie! Nämlich spioniert!
-Er hat sich lediglich erlaubt, direkt auf dem Wege ein
-Notizblatt zu finden, das seine poetische Tochter verloren hatte
-und das er hiermit submissest zurückerstattet, weil er keine Verwendung
-dafür hat.«</p>
-
-<p>»Gnädiges Fräulein, die Stelle von der epischen Ruhe dieser
-großen hohen Wiesenflächen und ihrer lyrischen Unterbrechung
-durch die kleinen Büsche mit ihren bizarren Zwergstämmchen
-und den wunderlichen Kronen ist herrlich. Bitte, schenken Sie
-mir das Blatt!«</p>
-
-<p>Der das sprach, war ein junger, schlanker Mann. Der Alte
-lachte fröhlich.</p>
-
-<p>»Bravo, Herr Juro, bravo! Man hört Ihnen gleich an, daß
-Sie Ackerbau studieren und künftiger Scholta und Großbauer
-im Wendenland sind. Jawohl, das ist unsere moderne Landwirtschaft!
-Der Landwirt stellt sich an die Wiese und phantasiert
-von epischer Ruhe und lyrischer Unterbrechung, und die Ochsen
-zu Hause verhungern und die Wirtschaft geht sachte zum
-Deibel.«</p>
-
-<p>»Lieber Vater&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Lieber Sohn?! Sei du man stille! Denn du bist erst der
-rechte!«</p>
-
-<p>Heinrich von Withold, ein zweiter junger Mann, nickte
-seinem Vater gemütlich zu und pfiff eine kurze musikalische
-Sentenz.</p>
-
-<p>»Pfeif nur, Bürschel, pfeif nur! War wohl wieder von dem<span class="pagenum"><a id="Seite_20">[20]</a></span>
-verrückten Kerl, von dem Wagner? Ich sage &ndash; einmal und
-nicht wieder!«</p>
-
-<p>Niemand fragte, was er meine. Alle wußten, er meine, einmal
-habe er eine der neuen Wagnerschen Opern angehört und
-tue das nie wieder.</p>
-
-<p>»Auf keinen Fall!« fuhr Herr Withold zornig beteuernd
-fort. »Jetzt &ndash; was soll ich machen, daß der Junge, der Heinrich
-da, sich viel mehr mit musikalischen Faxen abgibt, als daß er
-Volkswirtschaft und Agrikultur studiert, wofür ich ihn,
-Himmeldonnerwetter, nach Breslau zur Universität geschickt
-habe?! Was soll ich machen?«</p>
-
-<p>»Ach, wir können die Kinder nach unserm Sinn nicht
-formen. So wie Gott sie uns gab, muß man sie halten und
-lieben,« entgegnete Heinrich, der Jüngling. »Siehst du, Papa,
-diese Verse sind auch dichterisch, zwar nicht von meiner Schwester
-Elisabeth, aber von Goethe, von Johann Wolfgang von Goethe.«</p>
-
-<p>»Affe!« sagte der Alte. (Er meinte seinen Sohn Heinrich,
-nicht Goethe.) »Affe!« wiederholte er, »ihr habt Glück, daß ihr
-so einen schafsgutmütigen Vater habt, sonst &ndash; Donnerschlag
-ja …! Ich amüsier' mich schon immer, wenn ich so 'ne Visitenkarte
-von einem Studenten sehe: ›<em class="antiqua">stud. med.</em>‹, ›<em class="antiqua">stud. jur.</em>‹,
-›<em class="antiqua">stud. phil.</em>‹, ›<em class="antiqua">stud. agric.</em>‹ und was da alles draufsteht. &ndash; Da
-sag ich mir immer, das erste ›<em class="antiqua">stud.</em>‹, das is das, was der Kerl
-im allgemeinen nicht macht, und das, was dahinter kommt,
-das is das, wovon er sich ganz besonders drückt. Herr Gott,
-dahier stehen zwei Studenten, <em class="antiqua">cives academiae</em>, wie es so stolz
-heißt &ndash; Herr Juro und Herr Heinrich, mein vielbegabter Herr
-Sohn; beide sollen in Breslau Agrikultur studieren, beide
-sollen ja einmal große Güter übernehmen. Gut! Kommen wir
-also hier an diese kolossalen Bergwiesen. Müßte man denken &ndash;
-halt &ndash; Studenten des Ackerbaues &ndash; halt! &ndash; was werden die
-machen? Werden sich gewiß hinstellen und sagen: Bis zu dem
-Gebüsch da soundsoviel Huben, bis zur Baude soundsoviel
-Huben und so weiter. Und dann: Verflixt ja, wenn ich diese
-Prachtwiesen unten im Gelände hätte &ndash; das Kroppzeug von
-Knieholz rodete ich aus &ndash; Klee? &ndash; Ruchgras? &ndash; Luzerne? &ndash;<span class="pagenum"><a id="Seite_21">[21]</a></span>
-Zum mindesten Buchweizen? &ndash; Wollen mal sehen! &ndash; Aber
-die Wiesen liegen nu mal hier oben. Viertausend Fuß hoch.
-Nichts zu machen mit Talbepflanzung. Aber mit Almenwirtschaft,
-zum Donnerwetter, mit rationeller Almenwirtschaft!
-Schande und schade um so herrliche Flur! Jawohl, so müßte
-man denken, würden zwei Studenten sagen, die Ackerbau
-studieren. Ach, du oller Döskopp! Einer spricht von epischer
-Breite und lyrischer Unterbrechung und einer pfeift 'ne Melodie,
-nach der nicht mal sein letzter Pferdeknecht tanzen mag.«</p>
-
-<p>»Herr von Withold, Sie haben ganz recht. Was mich angeht,
-so befinde ich mich sicher an ganz falschem Platze. Ich habe eben
-für die Landwirtschaft nicht das mindeste Talent.«</p>
-
-<p>»Na, Juro, so schlimm wird ja das nicht sein. Hauptsache,
-Sie geben sich Mühe. Seh'n Sie mal, das schöne Gut wartet
-doch auf Sie! Ein Rittergut können Sie aus der alten wendischen
-Scholtisei machen, wenn Sie's vernünftig anstellen.
-Ihr Großvater und Ihr Vater haben ja kolossal zugekauft. Wie
-groß ist denn Ihr Väterliches jetzt?«</p>
-
-<p>»Ich weiß es nicht«, sagte Juro achselzuckend.</p>
-
-<p>»Sie &ndash; Sie wissen das nicht? Ja, erlauben Sie mal, das &ndash;
-das ist arg! Studiert Ackerbau und weiß nicht mal, wie groß
-das väterliche Gut ist. &ndash; Das ist ja unglaublich! Als ich so alt
-war wie Sie, kannte ich auf unserem Gute sozusagen jedes
-Rind, jedes Schaf, jeden Hahn persönlich mit seiner ganzen
-Lebens- und Familiengeschichte. Und Sie wissen nicht mal &ndash;
-ja, dann ist's allerdings am besten, Sie hängen die Geschichte
-an den Nagel.«</p>
-
-<p>»Ich möchte wohl, wenn ich es könnte.«</p>
-
-<p>»Aber Mensch, Christ, Bürger, Sie haben doch Traditionen
-zu erfüllen! Sie können doch nicht mir nichts dir nichts eine so
-wunderbare Sache fahren lassen. Donnerwetter, bei Ihnen ist
-ja von Bauernwirtschaft gar keine Rede mehr, das ist doch ein
-großes Gut! Ja, Mensch, wollten Sie denn lieber ein ärmlicher
-Stubenhocker sein, als über eigenen Grund und Boden schreiten
-als freier Mann, dem niemand auch nur ein Wörtlein zu sagen
-hat, der lebt wie ein König?«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_22">[22]</a></span></p>
-
-<p>»Wie ein König der Wenden!«</p>
-
-<p>»Red' mir nicht hinein, Heinrich! König der Wenden, das
-gibt's nich! Das is eine von den vielen alten Sagen, die die
-Wenden haben. Unsere Wenden sind gute Preußen, haben ihren
-König in Berlin, wie andere Preußen, ihren Bramborski Kral.
-Aber ein König in seiner Art ist jeder freie Landwirt, und nur er,
-alle anderen bis zum Minister und General hinauf sind abhängige
-Diener.«</p>
-
-<p>Er nahm einen Schluck aus der Reiseflasche und fuhr fort:
-»Und Heimat &ndash; ist Heimat gar nichts mehr? Irgendein Tand,
-den man leichten Herzens aufgibt? Sehen Sie, Juro, Ihre
-Wendenheimat ist schön! Nicht lauter Kernboden &ndash; nein, viel
-Sand und auch Moor dazwischen. Aber doch gutes, treues
-Land, auf das man sich immer noch verlassen kann. Ja, und
-ich &ndash; ich bin ja eigentlich ein Fremder dort zu Lande. Na,
-schütteln Sie nich den Kopp! Ich bin ein deutscher Rittermäßiger,
-der sich im Wendenland sein Gut gekauft hat. Ja,
-ich kann mich nicht beschweren, die Wenden sind gute Leute.
-Saufen ja 'n bissel &ndash; das tun wir auch &ndash; sind auch sonst nicht
-gerade große Säulenheilige &ndash; das sind wir auch nicht &ndash;, aber
-sind fleißige Arbeiter und ehrliche Leute. Juro, ich bin ein Deutscher,
-aber ich möcht aus dem Wendenland nicht raus; es is
-mir zur Heimat geworden, wenn ich mir auch jetzt noch mit
-jedem wendischen Wort die Zunge verrenke. Und Sie &ndash; Sie
-sind doch ein geborener Wende!«</p>
-
-<p>Juro ließ den Kopf sinken und zupfte mit den Fingern an
-dem kurzen Grase. Der Wind spielte leicht mit seinen schlichten
-blonden Haaren, und eine tiefe Röte bedeckte seine Wangen.
-So sprach er:</p>
-
-<p>»Ach, Herr von Withold, Sie wissen nicht, woran Sie da
-rühren. Das sind ja die Kämpfe, die ich seit vielen Jahren führe
-mit meiner Mutter, mit meinem Vater, mit mir selbst, auch mit
-meinem Bruder Samo. Daß ich für die Landwirtschaft kein
-Talent und kein Interesse habe, ist ja von meiner Nationalität
-ganz unabhängig und hat damit gar nichts zu tun. Ich studiere
-ja auch in der Hauptsache Medizin und höre nur nebenbei einige<span class="pagenum"><a id="Seite_23">[23]</a></span>
-landwirtschaftliche Vorlesungen. Was mich grämt, ist aber, daß
-sie mich zu Hause alle als einen Abtrünnigen ansehen, als einen,
-der sein Wendentum verrät und ein Deutscher wurde.«</p>
-
-<p>Der junge Mann stand auf. Eine große Erregung überkam
-ihn.</p>
-
-<p>»Ich will's ja nicht leugnen, ich bin ein Deutscher in
-meinem Herzen. Aber ich wehre mich dagegen, daß ich das
-Wendentum verraten haben soll. Was sind die Wenden noch?
-Ein winziges Häuflein, eingesprengt ins große deutsche Volk.
-Und wie ist ihnen zu helfen? Dadurch, daß sie sich feindselig
-und eigensinnig absperren? Dann müssen sie verhungern, vor
-allen Dingen auch geistig verhungern. Wir haben keine große
-Nationalliteratur, keine nationale Kunst, keine nationale
-Wissenschaft, keine großen nationalen Schulen, nicht einmal
-nationale Geschäftsbetriebe. Auf unseren Walddörfern sitzen
-wir in Armut, und wenn einer hinauskommt und nichts kann
-als seine wendische Sprache, die niemand versteht, dann wird
-er ein Helot, und das ganze Volk wird ein Helotenvolk werden.
-Das will ich nicht, dagegen wehr' ich mich, eben weil ich die
-Meinigen liebe, und darum müssen wir, die selbst zu schwach
-sind, uns an ein stärkeres und reicheres Volk anschließen,
-müssen wir eine Sprache haben, die ins weite Land klingt und
-auf vielen Märkten und in vielen Hörsälen verstanden wird.«</p>
-
-<p>Er hielt inne und blickte hinunter ins tiefe Elbtal, das den
-preußischen und den böhmischen Kamm des Riesengebirges
-trennt. Steil fallen die Felsenwände des böhmischen Krokonosch
-hinab zum Fluß. Juros Blicke schweiften hinüber zum böhmischen
-Land. Und er sprach das, was in seinem jungen Grüblerherzen
-sich in vielen einsamen Stunden gebildet und immer
-wiederholt hatte, was er wie sein eigenes Evangelium konnte:</p>
-
-<p>»Anschluß an ein glücklicheres Volk, als wir sind, denen
-das Schicksal durch alle Jahrhunderte die Größe und Selbstherrlichkeit
-versagt hat! Kapitulation in Ehren! Aussöhnung
-mit gegebenen Notwendigkeiten, Aussöhnung, die uns nicht
-schändet, die uns vorwärts führt. Heimatsuchen in weitem Gefild,
-Heimatsuchen, das meinen stillen, gutmütigen Brüdern<span class="pagenum"><a id="Seite_24">[24]</a></span>
-und Schwestern nicht schwerfallen wird … Aber nicht dort
-drüben, nicht bei den Tschechen, die unsere Vettern heißen, die
-viel glücklicher waren als wir, in viel reicherem Lande wohnen
-und die doch trotz aller Großmannssucht den Weg zu einer
-hohen Staffel der Menschheit nicht fanden. Wir wollen Deutsche
-sein, im Deutschtum vorwärtskommen und ehrlich mithelfen,
-das, was uns am Deutschtum nicht gefallen kann, zu ändern
-und zu bessern.«</p>
-
-<p>Der alte Withold reichte Juro gerührt die Hand, und der
-Mund des jungen, leidenschaftlich erregten Wenden zuckte.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Im Silberlicht des Mondes spielte die junge Elbe auf der
-Bergwiese. Und sie plauderte harmlos wie alle Bächlein, die
-mit Gräsern spielen und mit lachendem Glick-Glack und Hopp-Schlock
-über wichtigtuende Hölzchen wegsetzen, die sich ihnen
-neckend in den Weg legen. Das spielende Königskind, das zu
-Großem berufen ist, zur Beherrscherin weiter Lande und mächtiger
-Städte, tändelt hier in seiner Jugendheimat, lacht, tanzt
-und plaudert wie ein armes Wiesenwässerchen, das im nächsten
-Dorfteich mündet.</p>
-
-<p>Aber eine ungestörte Jugend haben Königskinder nicht.
-Alte Leute, die von ihrer großen Mission wissen, nehmen sie
-von Zeit zu Zeit vom Spielplatz weg, bekleiden sie mit Größe
-und Würde, mit Brokatgewändern und goldenen Kronen,
-trichtern ihnen ein trutzig und altklug Sprüchlein ein und stellen
-sie so dem Volk zur Schau.</p>
-
-<p>»Seht da, das Königskind! Seht die Würde und Größe,
-die in ihm ruht!«</p>
-
-<p>Also geschieht es auch mit der jungen Elbe. Ihre Wässerchen
-werden in einem großen Wasserbehälter aufgefangen, der dicht
-an einem felsigen Abgrund liegt, und wenn der ganze Behälter
-voll ist und wenn genug Volk da ist, das geneigt ist, seinen
-Tribut zu entrichten, dann zieht der Wärter, der Gouverneur
-des jungen Königskindes, eine Schleuse, und das Kind, das
-eben noch silbern lachte, spricht plötzlich mit donnernden<span class="pagenum"><a id="Seite_25">[25]</a></span>
-Herrscherworten, entrollt seinen tausendfaltigen Demantmantel,
-steigt mit Riesenschritten hinab ins Tal.</p>
-
-<p>Freilich, es ist nur ein höfisches Theater, es ist nur, um dem
-Volk ein Schaustück zu stellen. Kaum ist das Königskind
-im Tal angelangt, so zieht es den wallenden Demantmantel
-wieder aus, hört auf, seinen eingelernten Donnerspruch
-zu sagen, und spielt tändelnd wieder wie andere Kinder.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Einsam lag die Gebirgsbaude an der Felsschlucht, wo der
-alte Wärter am Wasserbassin lehnte und wartete, ob er um ein
-Stücklein Trinkgeld den »Elbfall« noch einmal »ziehen«
-können würde. In der Baude saßen Gäste, lachten beim böhmischen
-Wein. Ein Fiedler spielte, sein Weib schlug die Gitarre.
-Sie sangen »Gott erhalte Franz den Kaiser« und »Heil dir im
-Siegerkranz«.</p>
-
-<p>Die drei Künstlermenschen, das Geschwisterpaar Withold
-und der junge Wende Juro, wanderten draußen durch den
-lichten Abend, sahen den Himmelskuß des Sternenlichtes auf
-den Stirnen der Berge, sahen das tiefe dunkle Elbtal hinab
-einen weißen Nebelschwaden fahren, der war wie ein silberner
-Kahn auf dunklem Strom. Als die drei zu einem schmalen,
-steinigen Fußsteig kamen, der in die Elbschlucht führt, sagte
-Heinrich zu Juro und Elisabeth:</p>
-
-<p>»Steigt ein Stücklein da hinab. Ich gehe hinüber zum
-Wärter, er muß den Fall noch einmal ablassen. Das wird schön
-aussehen jetzt im Mondenschein.«</p>
-
-<p>Da standen Juro und Elisabeth erst zögernd still, dann
-gingen sie beklommen den dunklen, schmalen Felsenweg hinab.
-Sie waren jung. Sie waren Träumer. Sie liebten sich, und ihre
-Seelen waren unverdorben. Da war die herzschlagende Scheu
-in ihnen, die bange Furcht und doch auch die schmerzliche Sehnsucht:
-jetzt in dieser lichten Abendstunde möge die Zeit gekommen
-sein, wo das goldene Tor zum Allerheiligsten ihrer
-Seele aufspringen und sich das Wunder offenbaren würde, das
-wohlgehütet da wohnte &ndash; ihre Liebe.</p>
-
-<p>Langsam stiegen sie den holprigen Pfad hinab, und wenn
-der Mann dem Mädchen die Hand reichte, dann glühten die<span class="pagenum"><a id="Seite_26">[26]</a></span>
-Hände ineinander wie im Fieberfeuer, oder sie trafen sich kalt
-wie in Schreck und Angst.</p>
-
-<p>Als sie endlich stehenblieben, war ein Baumstamm zwischen
-ihnen, aber sie fühlten ihre Nähe, und es war, als ob
-tausend weiche Wunderfäden sich um sie und den Stamm
-rankten und sie in weltferne Wonnen einspännen. Ein Nachtvogel
-huschte vor ihnen auf; sonst war alles in tiefer, feierlicher
-Ruhe.</p>
-
-<p>Da kam ein Plätschern, ein Rauschen, dann ein Brausen,
-und donnernd fiel eine Silberflut vor ihren Augen durch die
-Nacht, und eine Siegeshymne dröhnte an ihr Ohr. Eine Fülle
-von Schönheit, Größe, Kraft ward vor ihnen aufgetan, ein
-Siegesjubel, ein jauchzender Glaube an Glück und Freude
-durchschütterte sie&nbsp;…</p>
-
-<p>Der Strom überdröhnte den Schlag ihrer Herzen, und sie
-lagen sich in den Armen zum ersten langen heißen Kuß.</p>
-
-<p>Sie sprachen kein Wort. Den ganzen großen jubelnden
-Inhalt ihrer Herzen sang der silberne Fluß in gewaltiger
-Melodie.</p>
-
-<p>Erst als der Strom versiegte, als ein dünnes Rinnlein einen
-leisen Epilog zu dem großen Schauspiel sprach, da erwachten sie
-zur Menschensprache und gaben sich in stammelnden Fragen
-und wirren Antworten, mit leisem Seufzen und glückseligem
-Lachen Kunde von ihrer Liebe.</p>
-
-<p>»Ich gehöre dir für immer und ewig!«</p>
-
-<p>Diese Worte sprach Juro fest und mit feierlichem Ernst. Es
-war ein Gelöbnis, das aus der Gegenwart herauswuchs und
-an keine Kämpfe der Zukunft dachte.</p>
-
-<p>Der Wendensohn und das deutsche Mädchen hatten sich
-verlobt.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Heinrich kam, merkte sogleich, was geschehen sei, drückte
-dem Freund und seiner Schwester die Hand und übernahm es,
-oben auf dem Wiesenplan die Verwirrung der beiden jungen
-Leute durch seine Munterkeit zu verbergen.</p>
-
-<p>Die Eltern und alle anderen Gäste waren aus der Baude
-gekommen, und nun wurde im Freien eine große Polonaise<span class="pagenum"><a id="Seite_27">[27]</a></span>
-geschritten, zu der der Böhme und sein gitarreschlagendes Weib
-gar lieblich musizierten.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Ein später Wanderer kam vom Hohen Rad herüber. Er war
-schon weit gegangen, hatte in vielen Bauden Einkehr gehalten
-und überall dieselbe Frage getan. Nun wies ihn die Spur, der
-er folgte, nach der Elbfallbaude, die da endlich vor ihm lag.
-Er hörte Musik, sah tanzende Gestalten, hörte ein deutsches Lied
-singen und blieb stehen. Den Hut hielt er in der Hand, der Mond
-bestrahlte seinen Kopf.</p>
-
-<p>Schlichtes, schwarzes Haar, in die Stirn gekämmt, etwa wie
-es die Russen tragen, breite Wangen, zwei kleine dunkle, bewegliche
-Augen. Die Figur klein, aber kräftig, ein wenig krummrückig,
-so daß der Hals kurz, gedrückt erschien. Er war jung,
-ohne recht jung auszusehen, über dem scharf und energisch geschnittenen
-Mund war kein Barthaar zu sehen.</p>
-
-<p>Wieder tönte das Lied herüber. Da kniffen sich die kleinen
-Augen zusammen, und der Fremde sprach in fremder Sprache:</p>
-
-<p>»Tolle Deutsche auf slawischem Boden!«</p>
-
-<p>Im Weitergehen summte auch er ein Lied:</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Kde domov muj?</em>«</p>
-
-<p>Es war das tschechische Heimatlied: »Wo steht mein Vaterhaus?«</p>
-
-<p>So kam er an die Baude heran. Mit finsterem Blick schaute
-er dem fröhlichen Tanze zu, blickte er besonders auf Juro, der
-mit Elisabeth tanzte und die Ankunft des Fremden gar nicht
-bemerkte.</p>
-
-<p>Da faßte ihn dieser am Arm, hielt das Paar an.</p>
-
-<p>»Hör auf zu tanzen!«</p>
-
-<p>Er sagte es in der fremden Sprache.</p>
-
-<p>Juro wandte sich ihm bestürzt zu.</p>
-
-<p>»Was &ndash; was ist? &ndash; Samo &ndash; du? &ndash; Du &ndash; Samo? &ndash;
-Ja &ndash; was &ndash; was willst du denn?«</p>
-
-<p>»Daß du aufhörst zu tanzen!«</p>
-
-<p>»Was fällt dir ein? &ndash; Wo kommst du her? &ndash; Kennst du<span class="pagenum"><a id="Seite_28">[28]</a></span>
-denn Fräulein von Withold nicht, die Tochter von Herrn
-von Withold aus unserem Nachbardorf?«</p>
-
-<p>Der Fremde machte Elisabeth eine leichte, mürrische Verneigung.</p>
-
-<p>»Ich habe mit meinem Bruder zu reden«, sagte er kurz.</p>
-
-<p>»Samo, ich verbitte mir diesen Ton! Ich verbitte mir, <span id="corr028">daß du</span>
-mich hier mitten im harmlosen Tanz überfällst.«</p>
-
-<p>»So tanze weiter! Indes liegt unsere Mutter daheim im
-Sterben!«</p>
-
-<p>»Du bist &ndash; du bist wohl wahnsinnig?«</p>
-
-<p>Der andere reichte ihm ein Depeschenblatt hin.</p>
-
-<p>»Mutter tödlich verunglückt&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Samo &ndash; was &ndash; was &ndash; das ist ja nicht möglich &ndash;
-o Gott, Samo, das ist doch nicht wahr? Sag doch, was das
-ist &ndash; sag doch, was du weißt&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Ich weiß, daß ich das Blatt in Breslau bekam, daß ich
-hierhergefahren bin und daß ich dich den ganzen Tag gesucht
-habe.«</p>
-
-<p>Juro brach in ein mühsam unterdrücktes Schluchzen aus
-und wollte sich dem Bruder an die Brust werfen. Der wehrte
-ihn ab.</p>
-
-<p>»Hol deine Sachen und komm!«</p>
-
-<p>Eine Weile stand Juro fassungslos da, indes seine Hände
-das böse Blatt zerknitterten, dann wandte er sich zu Elisabeth.</p>
-
-<p>Die stand mit todblassem Gesicht neben ihm. Die anderen
-drängten heran, die Musikanten brachen das Spiel ab, eine
-kurze Auskunft wurde gegeben, eine Flut bedauernder Worte
-wogte durcheinander.</p>
-
-<p>Da ging Juro nach der Baude, holte sein geringes Reisegepäck.
-Als er vor Elisabeth zum Abschiednehmen stand, sagte
-er leise zu ihr:</p>
-
-<p>»Nun bleib mir treu! Jetzt brauche ich dich mehr als früher!«</p>
-
-<p>Sie wollte etwas sagen, aber ihre Lippen zuckten nur. Doch
-sie drückte ihm die Hand.</p>
-
-<p>Bald darauf wanderten die beiden Brüder der preußischen
-Grenze zu.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_29">[29]</a></span></p>
-
-<p class="ph2">Drüben im Wendenland kämpft die verunglückte Frau mit
-dem Tode.</p>
-
-<p>»Es geht zu Ende! &ndash; Nehmt mich aus dem Bett! Holt
-frisches Stroh. &ndash; &ndash; &ndash; Weine nicht so sehr, Hanka! &ndash; Wenn
-ich tot bin, weine nicht auf meinen Sarg &ndash; &ndash; sonst müßte
-ich kommen und dich zu mir holen&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Eine lange, bange Pause. Dann fährt die Kranke fort:
-»Kommt Juro? &ndash; Habt ihr ihm geschrieben? &ndash; &ndash; Ich muß
-noch mit ihm reden &ndash; &ndash; und ich will ihn sehen&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Der alte Scholta tritt ans Bett seiner Frau.</p>
-
-<p>»Juro kommt und auch Samo kommt.«</p>
-
-<p>Die Kranke lächelt und reicht ihrem Gatten die Hand.</p>
-
-<p>»Hanzo! Ich danke dir, daß du mich zu deiner Frau genommen
-hast! Das war eine Gnade von Gott!«</p>
-
-<p>Über das scharfgeschnittene, bartlose Gesicht des alten
-Wenden geht ein tiefer Schmerz; aber er sagt nichts als:
-»Gott helfe dir!«</p>
-
-<p>Die Frau richtet den Blick nach der Wand, wo der Glasschrank
-steht. Er ist aus gelbgestrichenem Kirschbaumholz und
-hat eine Tür mit drei Glasscheiben, durch die man ein Gewirr
-bunter Dinge steht. Da sind Porzellan- und Glasgefäße vom
-Ahn und Urahn her. An alle knüpfen sich Familienerinnerungen,
-auf manchem steht ein alter Name, eine alte Jahreszahl,
-ein alter Segensspruch, der noch immer wirkt, wenn man
-ihn liest. Da sind noch die Tabaksdose und die Korallenkette,
-die der Alte Fritz den Urgroßeltern geschenkt hat, als er einmal
-in der Scholtisei gerastet hat; da ist Großvaters eiserner Ehering
-vom Jahre 1813. Wie die Kaffeetassen glitzern mit ihren
-goldenen oder hellroten Aufschriften! Dazwischen liegt ein altes
-Stück Holz. Es stammt von der uralten Hejka, der Hammerkeule,
-die der erste Scholta der Familie als Zeichen seiner Macht
-führte, mit der er sich verteidigte, als er in bösen Zeitläuften des
-langen Krieges von Kroaten überfallen wurde. Die Kroaten
-erschlugen ihn, zerschlugen seine Hejka. Aber das Holz der Hejka
-liegt immer noch als Heiligtum im Glasschrank unter den
-schönen feierlichen Kaffeetassen, das Andenken des Urahnen ist<span class="pagenum"><a id="Seite_30">[30]</a></span>
-immer noch im Segen, und die Kroaten werden wohl gestorben
-und verdorben und verloren sein, wie alle bösen Menschen verlorengehen.</p>
-
-<p>Die schlimmen Schmerzen kommen wieder, die Kranke verliert
-das Bewußtsein.</p>
-
-<p>Hanka, das junge Wendenmädchen, schreit laut auf, Hanzo
-tritt ruhig ans Bett und schiebt das jammernde Mädchen beiseite.
-Der alte Knecht Kito schleicht durch die Tür herein. Er hat
-ein Büschel Kirchhofgras in der Hand.</p>
-
-<p>Die Kranke erwacht wieder zum Leben. Und nachdem ihre
-Augen lange in Fieber und Schmerz an der Stubendecke herumgeirrt
-sind, richtet sie wieder den Blick nach dem Glasschrank
-und reicht ihrem Manne die Hand.</p>
-
-<p>»Hanzo, es war eine Gnade&nbsp;&ndash;!«</p>
-
-<p>Dort im Glasschrank ist noch der kleine Rautenkranz, den
-Hanzo bei der Hochzeit auf dem Kopfe trug. Weil er »<em class="antiqua">cysty</em>«
-war &ndash; ehrbar. Und der Kranz ist ihm nicht abgefallen den
-ganzen Tag, nicht einmal beim Tanze. Nun ist der Kranz freilich
-braun und dürr, aber die grünen und weißen Seidenfäden, die
-von ihm herunterhängen, sind noch immer weiß und grün. Da
-steht noch ihre eigene farbengeschmückte Brauthaube, da ist noch
-ihr eigener Kranz, da ist noch der Taler, den ihr die Mutter in
-den Brautstrumpf steckte, damit sie immer im Leben Geld habe.
-Da sind noch zwei Kerzenstümpfe, die gebrannt haben von dem
-Augenblick der Geburt ihrer beiden Söhne Juro und Samo an
-bis zu deren Taufe. Nun kann der Teufel keine Macht über sie
-haben ihr Leben lang.</p>
-
-<p>Grüne, schöne Zeit! Die scheidende Seele geht am letzten
-Herbsttag immer zu ihrem Frühling zurück.</p>
-
-<p>»Sie stirbt! Sie stirbt!« schreit Hanka, das Mädchen, wieder
-leidenschaftlich auf und neigt sich über die bleiche Kranke. Die
-fährt mit irren Fingern nach dem Verband an ihrem Kopf, und
-ein rotes Rinnsel fließt über Auge und Wange.</p>
-
-<p>»Sie stirbt! Sie stirbt!«</p>
-
-<p>»Geh weg, Mädel!«</p>
-
-<p>Der alte Knecht Kito steht am Bett. Er hat Gras geholt vom<span class="pagenum"><a id="Seite_31">[31]</a></span>
-Kirchhof und es trocknen lassen. Nun zündet er die dürren
-Gräser und Blumen an, läßt den Rauch hingehen über die
-Kranke und spricht:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Ich sehe einen heiligen Baum.<br /></span>
-<span class="i0">Er hat kostbare Frucht getragen.<br /></span>
-<span class="i0">Er trägt nicht mehr.<br /></span>
-<span class="i0">Blut stehe still und tue nicht weh:<br /></span>
-</div></div>
-
-<p class="noind">Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen
-Geistes!«</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">To pomogaj si bóg wósc, bóg syn a bóg swety duch</em>«,
-wiederholt der alte Scholta.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Da fährt ein Wagen in den Hof. Ein Herr springt heraus,
-stellt draußen einige Fragen und tritt in die Stube.</p>
-
-<p>»Tag! Also, was ist los?« So fragt er barsch.</p>
-
-<p>Die beiden alten Wenden und das junge Mädchen starren
-den Fremdling an. Der geht auf das Krankenbett los&nbsp;…</p>
-
-<p>»Also, wollen mal sehen!«</p>
-
-<p>Und streckt die Hand nach der Kranken aus.</p>
-
-<p>»Herr, wer sind Sie? Was wollen Sie hier?« fragt der alte
-Scholta.</p>
-
-<p>»Ja, Mann, ich bin doch der Arzt &ndash; <em class="antiqua">Dr.</em> Brehler. Sie haben
-mich doch rufen lassen.«</p>
-
-<p>»Ich habe Sie nicht rufen lassen.«</p>
-
-<p>»Na, hört sich alles auf! Kommt so'n Kerl, Wilhelm Tielscher
-oder so ähnlich &ndash; also Ihr Knecht &ndash; kommt der mitten
-in der Nacht, klingelt mich raus und sagt, ich müsse sofort zu
-seiner verunglückten Frau kommen. Na, ich hab' den Morgen
-abgewartet und bin nun hier. Die Fahrt durch Ihre Sandgruben
-und Schlammgräben ist doch kein Vergnügen. Ist das nu Ihre
-Frau?«</p>
-
-<p>»Ja! Und verunglückt, schwer verunglückt ist sie auch &ndash;
-ja! Aber Sie rufen lassen habe ich nicht &ndash; nein!«</p>
-
-<p>»Das ist stark! Mich hierher in dieses weltverlorene Nest &ndash;
-Ja, Mann, sehen Sie nicht, daß die Frau stirbt?«</p>
-
-<p>»Ja, das sehe ich!« sagt der Scholta ganz leise.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_32">[32]</a></span></p>
-
-<p>»Und Sie lassen die Frau so liegen? Was ist denn das für
-ein schauderhafter Qualm hier?«</p>
-
-<p>Der alte Kito tritt vor.</p>
-
-<p>»Ich habe die Frau angeräuchert und das Blut besprochen«,
-sagt er mit großem Ernst.</p>
-
-<p>»Beräuchert? Besprochen? Ja, Menschenkinder, gibt's denn
-im neunzehnten Jahrhundert wirklich noch solch schafsdämliche
-Gesellschaft? Seid ihr denn verrückt?«</p>
-
-<p>»Herr Doktor! &ndash; Herr Doktor! &ndash; Herr Doktor!«</p>
-
-<p>Mehr bringt der weißhaarige Alte nicht heraus. Aber mit
-seinem angebrannten Grasbüschel fährt er dem Arzt vor dem
-Gesicht herum.</p>
-
-<p>»Herr Doktor &ndash; ich habe &ndash; im Namen Gottes&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Im Namen Gottes wird der hellste Blödsinn vollführt
-seit ewigen Zeiten!« schrie der Doktor. »Macht das Fenster
-auf! &ndash; Und Sie &ndash; Sie sind doch der Mann von der Frau?
-Soll ich sie nun untersuchen oder nicht?«</p>
-
-<p>Der Scholta senkte den Kopf und schwieg.</p>
-
-<p>»Also &ndash; da &ndash; da macht doch, was ihr wollt!«</p>
-
-<p>Zornschnaubend wandte sich der Arzt nach der Tür. Da eilte
-ihm Hanzo nach.</p>
-
-<p>»Herr Doktor &ndash; können Sie &ndash; können Sie meiner Frau
-wirklich das Leben retten?«</p>
-
-<p>»Natürlich kann ich. Dafür bin ich Doktor! Aber ihr mit
-eurem blödsinnigen Quatsch macht ja alles zuschanden. Adieu!«</p>
-
-<p>»Herr Doktor! Herr Doktor! Ich bitte so sehr! Ich gebe
-alles, was Sie wollen, wenn Sie es wirklich können!«</p>
-
-<p>»So! Auf einmal! Erst wird man behandelt wie'n Schuhputzer,
-und dann&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Er kehrte um, tat einige barsche Fragen und enthüllte dann
-die bewußtlose Frau, um sie zu untersuchen.</p>
-
-<p>Der alte Hanzo wandte sich ab. Er schluchzte, und seine Brust
-krampfte sich zusammen. Der Sohn der Heide litt darunter,
-daß ein fremder Mann seine Frau sah. Der alte Kito schlich
-mit seinem Grasbüschel hinaus.</p>
-
-<p>Eine lange schmerzliche Pause. Die Sonne sah zum Fenster<span class="pagenum"><a id="Seite_33">[33]</a></span>
-herein und vergoldete den Rautenkranz, den der Scholta bei
-seiner Trauung getragen, und in dem alten Glasschrank war
-Licht und Glanz, und in der keuschen Seele des Bauern war
-Nacht und Qual.</p>
-
-<p>»Hm! Da ist nichts mehr zu machen! Da ist es vorbei!«</p>
-
-<p>»Herr! &ndash; Und da &ndash; da &ndash; da &ndash; haben Sie erst&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Was habe ich?«</p>
-
-<p>»Sie &ndash; Sie &ndash; Mariana&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Der alte Scholta sinkt am Bett nieder und deckt alles, was
-er mit seinen zitternden Händen erlangt, hastig über seine Frau.</p>
-
-<p>»Ja, Mann, was wollen Sie eigentlich?«</p>
-
-<p>Der Scholta springt auf.</p>
-
-<p>»Können Sie &ndash; können Sie ihr nicht helfen?«</p>
-
-<p>»Nein! &ndash; Es ist vorbei&nbsp;&ndash;!«</p>
-
-<p>»Und Sie haben&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Was habe ich?«</p>
-
-<p>»Sie erst &ndash; erst &ndash; erst&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Also, Mann, brüllen Sie mich nicht an! Ich hab' die Sache
-endlich satt. Adieu!«</p>
-
-<p>Mit kraftlos herabhängenden Armen, an denen sich die
-Fäuste ballten, sah der alte Wende dem Arzte nach.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Oh, es war schade!</p>
-
-<p>Es war schade, daß kein besserer Arzt, kein besserer Deutscher,
-kein besserer Mensch in diese wendische Krankenstube trat. Und
-es war schade, daß der deutsche Knecht Wilhelm Tielscher sechs
-Wochen lang ins Gefängnis gesteckt wurde, weil er den Arzt,
-den er auf der Heimfahrt begleitete, unterwegs aus dem Wagen
-gezogen, durchgeprügelt und zu Fuß hatte heimgehen lassen.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p class="ph2">Als der Abend kam, sagte die kranke Frau: »Nehmt mich
-aus dem Bett. Holt das Sterbestroh und legt mich
-darauf!«</p>
-
-<p>Alle wehrten ab.</p>
-
-<p>»Ich muß sterben,« sagte die Frau, »und es möchte niemand<span class="pagenum"><a id="Seite_34">[34]</a></span>
-mehr in den Betten schlafen, in denen ich gestorben bin. Legt
-mich auf das Stroh!«</p>
-
-<p>Sie verlangte den alten wendischen Brauch, der das Bettzeug
-nicht unbrauchbar werden lassen will, weshalb der Kranke
-vor seinem Verscheiden neben das Bett auf Stroh gelegt wird.</p>
-
-<p>»Es ist schade um die Betten!« sagte die sparsame Frau.
-»Ihr müßtet sie verbrennen!«</p>
-
-<p>Hanzo neigte sich über sie und sagte:</p>
-
-<p>»Weißt du nicht, wer du bist?«</p>
-
-<p>Da flog ein stolzes Lächeln über das Antlitz der Kranken,
-und sie sagte wieder:</p>
-
-<p>»Hanzo, es war eine Gnade!«</p>
-
-<p>Dann sprach sie stolz zum alten Kito und zu Hanka:</p>
-
-<p>»Ich sterbe im Bett, weil mein Mann der Kral<a id="FNAnker_3_3"></a><a href="#Fussnote_3_3" class="fnanchor">[3]</a> ist.«</p>
-
-<p>Sie nahm ihn an der Hand und flüsterte:</p>
-
-<p>»Ich werde noch so lange leben, bis Juro kommt. Ich muß
-noch mit ihm reden wegen Hanka und vom Kral.«</p>
-
-<p>Er nickte und saß am Bette und hielt ihre Hand.</p>
-
-<p>Und so warteten die beiden auf ihre Söhne und auf den Tod.</p>
-
-<p>Aber zwischen alles schwere Leid und alle Erwartung mischte
-sich immer der Königsgedanke. Der Königsgedanke war im
-ganzen Haus &ndash; bei der Frau als die stolzeste Erinnerung ihres
-entfliehenden Lebens, bei dem Manne und bei allen Wenden in
-Haus und Hof.</p>
-
-<p>Es war die Gewißheit, hier geschehe etwas anderes, Größeres,
-als wenn sonst eine wendische Frau starb.</p>
-
-<p>Die Frau des Kral starb, die heimliche Königin der Wenden
-schied aus dem Leben.</p>
-
-<p>Dieser Gedanke ging durchs Dorf: der alte Briefträger trug
-ihn über die Heide; ein Händler fing die Kunde auf und trug
-sie weiter; am Ackerpflug, am Webstuhl wurde er besprochen,
-und bald sagten sich die Schiffer und Fischer drunten im Niederland
-an der Spree wie auch die Schafhirten im Oberlande
-heimlich und scheu: »Die Frau des Kral stirbt!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_35">[35]</a></span></p>
-
-<p>Als dieser Abend weiter vorschritt und der Nachtwind ans
-Fenster klopfte, schrie die Frau auf:</p>
-
-<p>»Oh &ndash; der Nachtjäger!«</p>
-
-<p>Die Mägde stürzten mit neuem Tee herbei, mit Wohlverleih
-und Schwarzwurzel, die da gut sind für die Wunden, und sie
-brachten Bitterklee gegen das Fieber.</p>
-
-<p>Im Wundfieber sprach die Frau vom König der Wenden.
-Wirr waren ihre Worte: vom verblühten Flieder sprach sie, von
-der ledernen Brücke, von toten Kindern und vom Spinnen und
-Weben &ndash; abgerissene, harte Worte vom Untergang, und dann
-lachte sie dazwischen, rief nach Juro und Samo, gab Befehle
-für die Milchwirtschaft und kam wieder auf den Kral und sprach
-von einer silbernen Schaufel, von einer weißen Wolke und
-einem weißen Fisch&nbsp;…</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Es ist aber dieses die</p>
-
-<p class="center gesperrt">Sage vom Wendenkönig.</p>
-
-<p>Es war vor tausend und vielen Jahren. Der Winter war mit
-seinem Eis bis auf den Grund der Spree gedrungen und
-sprach mit knirschenden Worten zu den Waldbäumen, die, in
-silberne Panzer gezwängt, seine Fronsleute waren.</p>
-
-<p>Da ritt vom verrufenen Kreuzweg her der Nachtjäger Sturm
-gegen die gepanzerten Bäume. Er hatte das Gesicht im Nacken
-und pfiff mit gellem Ton seinen sieben Wolfshunden. Die hatten
-Schweinsköpfe und kamen mit fliegenden Flanken und triefenden,
-behaarten Zungen dahergejagt. Das pechschwarze Roß
-des Nachtjägers sprang zur Höhe, daß Funken von den Hufen
-auf das Eis des Weges sprühten, und gelbes Feuer brach aus
-den Nüstern des Rosses.</p>
-
-<p>So ritt der Nachtjäger Sturm. Ein Beben ging durch den
-Wald, und alle Panzer klirrten, und alle Bäume duckten sich
-angstvoll und gramvoll nieder.</p>
-
-<p>»Hallojoho! Hallojoho! Hallojoho!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_36">[36]</a></span></p>
-
-<p>Eine Peitsche knallte, die Rüden bellten heiser und hohl. Der
-Nachtjäger lachte. Wo er vorüberritt, verhüllten sich alle Sterne.
-Wo er vorüberritt, kam das Sterben über das Vieh, erblindeten
-alte Leute, ging Jungfrauenehre verloren, ringelten sich graue
-Stricke gleich lockenden Schlangen in die Hände verzweifelnder
-Menschen.</p>
-
-<p>»Hallojoho! Hallojoho!«</p>
-
-<p>Die Luft dröhnt und brüllt, Raben flattern zuckend am
-Boden, die ersten Bäume brechen zusammen.</p>
-
-<p>Hallojoho! Der Nachtjäger ist da!&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Da tritt ein Mann aus dem Wald. Er trägt einen Pilgermantel
-und einen Stecken als Stab.</p>
-
-<p>»Hallojoho! Ich reite dich zu Blut und Knochenbrei, und
-meine Hunde fressen dir Auge und Herz!«</p>
-
-<p>Der Fremdling aber hebt seinen Stab und steht plötzlich in
-großer Stille, steht in silbernem Mondenlicht und lächelt. Da
-bäumt das Roß des Nachtjägers hoch auf, da dreht sich der
-Kopf des wilden Reiters in wüstem Wirbel, da heulen die
-Hunde wie unter grausamer Peitsche, da wendet sich der böse
-Troß zu jäher Flucht.</p>
-
-<p>Die Wolken zerreißen, Mondenschein und Sonnenlicht fällt
-auf die Wiese, der Wald richtet sich auf, und der Wanderer geht
-auf ein kleines Haus zu, in dem ein Licht brennt.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Am knorrigen Ast des Apfelbaumes vor dem Hause hing
-ein alter Mann. Die Glieder zuckten noch im Todeskampf. Der
-Fremdling knüpfte den Gehenkten los, stellte ihn auf die Füße,
-stützte ihn mit jugendstarkem Arm und fragte nach einer Weile:</p>
-
-<p>»Warum wolltest du sterben?«</p>
-
-<p>Der Greis keuchte etwas von Not und Elend, von Krankheit
-unter dem Vieh, vom harten Winter und harten Hunger.</p>
-
-<p>»Der Nachtjäger hat dich betört! Komm ins Haus!«</p>
-
-<p>In der Hütte saß die Frau des alten Mannes. Sie war blind.</p>
-
-<p>»Warum bist du blind?« fragte der Fremdling.</p>
-
-<p>»Weil ich so viel geweint habe!«</p>
-
-<p>»Und warum hast du geweint?«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_37">[37]</a></span></p>
-
-<p>Sie machte eine müde Gebärde.</p>
-
-<p>Da zog der Fremdling eine goldene Schale aus der Tasche,
-darin war eine kristallklare Flüssigkeit, und er strich mit der
-Flüssigkeit über die Augen des alten Weibleins, und sie jauchzte
-und lachte mit ihren wieder geöffneten Augen.</p>
-
-<p>Der alte Mann aber kniete am Tische nieder und sagte:
-»Du bist der König der Wenden!«</p>
-
-<p>Und das alte Weiblein kniete am Tische nieder und sagte:
-»Du bist unser Kral.«</p>
-
-<p>»Ja, ich bin der Kral der Wenden«, sagte der Fremde mit
-Feierlichkeit.</p>
-
-<p>Dann zog er eine Spindel aus der Tasche und ein Säckchen
-mit Leinsamen und belehrte die alten Leute, wie sie Flachs
-bauen und spinnen sollten. Und wenn erst alle Leute Flachs
-bauten und spännen, dann würde die Not fort sein aus dem
-Wendenlande.</p>
-
-<p>Diese Leute hatten aber eine schöne Tochter. Sie war groß
-gewachsen und üppig gebildet, hatte helle Haare und ein rotes
-Gesicht; ihre Arme waren stark und ihre Füße flink.</p>
-
-<p>Sie trat nun in die Stube und sah den Fremdling, und er
-sah sie. Und sie sahen beide ihre junge Gesundheit und ihre
-schöne Kraft und liebten sich alsobald.</p>
-
-<p>»Ich höre, daß die Krankheit unter dein Vieh gekommen
-ist«, begann der Fremde.</p>
-
-<p>»Ja, es ist so«, antwortete das Mädchen.</p>
-
-<p>»So komm mit mir in den Stall!«</p>
-
-<p>Sie gingen in die Winternacht hinaus nach dem Stalle, in
-dem die Kühe krank die Köpfe hängen ließen.</p>
-
-<p>Der Fremde ließ die Tiere an einem Salz lecken, hob dann
-die Hand und sagte:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Neun Brunnen sind im Mittagsland,<br /></span>
-<span class="i0">Neun Würmer nagen am Ufersand.<br /></span>
-<span class="i0">Die Brunnen versiegten beim Morgenrot,<br /></span>
-<span class="i0">Die Würmer waren am Mittag tot,<br /></span>
-<span class="i0">Zu Abend und Nacht ich spreche dies Wort:<br /></span>
-<span class="i0">All' Krankheit weiche von diesem Ort!«<br /></span>
-</div></div>
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_38">[38]</a></span></p>
-<p>Da wurden die Tiere gesund.</p>
-
-<p>Am nächsten Tage, als es Mittag war und die Sonne klar
-über das weiße Feld strahlte, nahm der Fremde das Mädchen
-an der Hand, führte es in den kleinen Garten vor der Hütte
-und sagte:</p>
-
-<p>»Ich schenke dir diesen Stab, den ich hier in die Erde stoße.
-Er wird zu einem Baume werden, an dem tausend Blumen
-blühen werden. Und der böse Jäger wird nimmermehr Macht
-haben über euch.«</p>
-
-<p>Das Mädchen dankte ihm, und als sie der Fremde so sah in
-ihrer Schönheit und Stärke, sagte er:</p>
-
-<p>»Du bist schön und gefällst mir wohl, und ich möchte dich
-zum Weibe nehmen, wenn du mir in Wahrheit sagen kannst,
-daß du eine reine Jungfer bist.«</p>
-
-<p>Da erglühte das Mädchen, und dann wurde es blaß, und
-es sah auf den herrlichen Jüngling und zögerte noch drei Herzschläge
-lang und sagte dann:</p>
-
-<p>»Wohl, ich bin eine reine Jungfrau!«</p>
-
-<p>Er fragte weiter:</p>
-
-<p>»Sage mir noch, wer der Mann war, den ich gestern abend
-von deinem Hause schleichen sah, ehe ich bei euch eintrat.«</p>
-
-<p>Sie antwortete:</p>
-
-<p>»War es keiner vom wilden Heer, so war es wohl ein Dieb.«</p>
-
-<p>Darauf nahm er sie in seine Arme, küßte sie und sagte: »Am
-Tage des nächsten Vollmondes soll unsere Hochzeit sein.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Nach drei Tagen war aber im Kretscham des Dorfes Spiel
-und Tanz. Da war auch der Fremde dabei, und er tanzte mit
-seiner Braut bald zierlich, bald keck und feurig, bis die Sterne
-hoch standen.</p>
-
-<p>Dann aber fielen die Burschen des Dorfes, die von einem
-eifersüchtigen jungen Manne aufgehetzt waren, über den Fremden
-her, um ihn zu töten.</p>
-
-<p>Er aber warf sie &ndash; hundert an der Zahl &ndash; mit Riesenkräften
-der Reihe nach auf die Straße, und den einen, der
-das Messer nach ihm <span id="corr038">zückte</span>, schlug er mit einem Fausthieb
-nieder.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_39">[39]</a></span></p>
-
-<p>Da riefen die draußen auf der Straße: »Weh', er hat ihren
-Buhlen erschlagen!«</p>
-
-<p>Der Fremde sagte zu den Spielleuten, der Tanz sei aus,
-und ging in den Wald.</p>
-
-<p>Am anderen Tage, als wieder die Mittagssonne klar übers
-Feld schien, kam er zurück in die Hütte seiner Braut, nahm das
-Mädchen bei der Hand und führte sie nach dem Garten, wo der
-Wanderstecken in der Erde steckte.</p>
-
-<p>Und er fragte sie mit strenger Stimme:</p>
-
-<p>»Hatten jene recht, die sagten, ich habe deinen Buhlen erschlagen?«</p>
-
-<p>Weil aber das Mädchen nicht »nein« sagen konnte, riß er
-den Stecken aus der Erde und schlug sie nieder.</p>
-
-<p>Noch ehe sie starb, fragte er:</p>
-
-<p>»Warum hast du mich belogen?«</p>
-
-<p>Da sagte sie, daß sie ihn ja früher nicht gekannt hätte, daß
-sie ihn aber mit Treue geliebt hätte, als sie ihn sah. Und sie
-starb.</p>
-
-<p>Der Fremdling stand drei Stunden neben ihr in tiefem
-Nachdenken. Dann holte er eine Schaufel, begrub das Mädchen
-und steckte den Stecken auf ihr Grab. Am selben Abend
-noch zog er fort in die Welt.</p>
-
-<p>Als der Frühling kam, wuchs aus dem Stecken ein Fliederbaum.
-Und der Flieder war fortan im Wendenland. Die Blüten
-waren hold und lieb in jedem Jahr, und ihr Duft war süß und
-zart; aber wer sie pflückte, dem welkten sie an der Brust, noch
-ehe die Frühlingssonne unterging.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Nach vielen Jahren kam der König wieder ins Wendenland.
-Als er die Heimat betrat, wurde sein Antlitz rot und jung;
-er war wieder ein Jüngling.</p>
-
-<p>Auf dem Sandwege im Föhrenwald begegnete ihm ein
-wendisches Mädchen. Sie war zierlich und schlank und trug ein
-Bündel unter dem Arm.</p>
-
-<p>»Wie heißest du? Woher bist du? Wohin gehst du? Und was
-trägst du unter dem Arm?«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_40">[40]</a></span></p>
-
-<p>»Das sind viele Fragen. Ich heiße Trudetzka, ich bin aus
-Burg und reise nach der reichen Stadt, um mein Garn zu verkaufen.«</p>
-
-<p>»Zeige mir dein Garn.«</p>
-
-<p>Er prüfte es und fand es fein und regelmäßig gesponnen.</p>
-
-<p>»Wer hat euch diese Kunst gelehrt?«</p>
-
-<p>Sie erzählte ihm vom Kral.</p>
-
-<p>Er hörte versonnen zu und fragte am Schlusse nur: »Blüht
-der Flieder?«</p>
-
-<p>»Ja, der Flieder blüht im ganzen Lande.«</p>
-
-<p>Darauf besann sich der König eine Weile lang und sagte
-dann:</p>
-
-<p>»Verkaufe dein Garn nicht an die Deutschen. Behalte es
-und gehe heim. Ich werde mit dir gehen und dir das Geld geben,
-das du verdienen wolltest.«</p>
-
-<p>Das Mädchen ging mit ihm, und sie kamen nach langer
-Wanderung nach Burg, das an der Spree liegt. Dort kaufte
-sich der Wendenkönig ein Haus. Und er baute alsbald mit
-kundiger Hand einen Webstuhl und wurde ein Leinweber.</p>
-
-<p>Da kamen die Wenden aus allen Häusern und Wäldern.
-Sie kamen auf Kähnen und auf Rossen, besahen sich den Webstuhl
-und kehrten heim. Viele aber erkannten den starken,
-klugen Mann, und sie flüsterten unter sich: »Er ist unser Kral.«</p>
-
-<p>Es geschah aber, daß Boten des Markgrafen Johannes, der
-an der Grenze herrschte, in das Haus des Kral traten und ihn
-fragten, ob er nicht Dienste nehmen wolle bei den deutschen
-Kriegern. Ein Obrist solle er sein mit goldenem Stern und
-funkelndem Degen.</p>
-
-<p>Der Kral wies das Angebot stolz von sich. Er wollte kein
-Diener sein und sich auch nicht trennen von Trudetzka, um deren
-Lieblichkeit willen er nach Burg gekommen war.</p>
-
-<p>Sein Ansehen wuchs von Tag zu Tag, und bald sagten die
-Leute in den Spinnstuben:</p>
-
-<p>»Der Leinweber in Burg ist der König der Wenden. Er ist
-uns nachgekommen aus dem fernen Asia. Er wird uns reich
-und groß machen.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_41">[41]</a></span></p>
-
-<p>Trudetzka aber, die goldene Münzen am Mieder trug, die
-ihr der Kral geschenkt hatte, sie führte den Kral an einem rotseidenen
-Faden wie einen Narren, und einmal lockte sie ihn in
-eine einsame Waldgegend und verriet ihn an Häscher des Markgrafen
-Johannes.</p>
-
-<p>Der Kral schlug die Häscher tot. Das Mädchen aber trug er
-sieben Stunden weit bis an den tiefsten Sumpf. Dort senkte er
-Trudetzka hinein.</p>
-
-<p>Und er tat einen Fluch gegen Wendenland und ging in die
-Welt.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Nach drei Menschenaltern saß der Kral in einer Herberge des
-Morgenlandes. Er war zum Greise geworden. Ihm gegenüber
-saß ein Mann mit dunklem Haar und stechend schwarzen Augen.</p>
-
-<p>Der Kral hob den Kopf und sagte zu dem Fremden:</p>
-
-<p>»Bist du aus Armenia?«</p>
-
-<p>Da lachte der Dunkle und wies gen Norden:</p>
-
-<p>»Droben im Nordland ist meine Heimat. Ich bin ein Sorb,
-ein Slaw; denn ich habe ›<em class="antiqua">slovo</em>‹, das Wort, und die Deutschen
-sind ›<em class="antiqua">njemski</em>‹, das ist stumme Hunde, denn sie können meine
-Worte nicht sprechen.«</p>
-
-<p>Da erschrak der Kral und sagte:</p>
-
-<p>»Erzähle mir von deiner Heimat!«</p>
-
-<p>Und der Fremde begann:</p>
-
-<p>»Es ist ein Fluß, der heißt Sprewja, und es ist ein Ort
-daran, der heißt Burg. Weithin bis nach der berühmten Stadt
-Budissin dehnen sich Felder, Wälder und Wiesen. Dort wohnen
-die Sorben, die von den <em class="antiqua">njemski</em> Wenden genannt werden. Das
-Volk war arm, aber nun ist es reich und stark, denn ein Kral ist
-erstanden, ein Retter und Erlöser, der hat das Volk nützliche
-Künste gelehrt, die es groß und reich gemacht haben.«</p>
-
-<p>»Ein Kral sagst du?« fragte der Alte. »Ist er noch unter
-euch? Ist er jung und stark?«</p>
-
-<p>Die Stirn des Fremden umwölkte sich.</p>
-
-<p>»Der Kral ist lange nicht mehr bei uns. Er ist aufgegangen<span class="pagenum"><a id="Seite_42">[42]</a></span>
-an unserem Himmel wie eine Sonne und ist untergegangen
-hinter zwei schwarzen Wolken!«</p>
-
-<p>»Hinter zwei schwarzen Wolken?«</p>
-
-<p>»Ja! Siehe, der Mann ist ein Stern, der auf die Erde scheint,
-und das Weib ist die Wolke, die von ihm vergoldet wird, die ihn
-weiß umrahmen, die ihn aber auch nächtlich verdecken kann. Es
-standen zwei schwarze Wolken an unserem Himmel, das waren
-zwei unwürdige Töchter unseres Volkes. Dahinter verschwand
-der Kral.«</p>
-
-<p>Der Alte seufzte und fragte:</p>
-
-<p>»Ist nun das Land ohne Fürsten?«</p>
-
-<p>Da schwieg der Fremde lange, als kämpfe er mit tiefem
-Gram. Dann berichtete er:</p>
-
-<p>»Das Land war so groß und reich, daß es einunddreißig
-Fürsten hatte. Aber an der Grenze lauerte der stumme Hund.
-Der <em class="antiqua">njemz</em>! Der Deutsche. Es war ein Markgraf, Gero mit
-Namen &ndash;, der tat freundlich den Wenden. Der lud die einunddreißig
-Fürsten auf sein Schloß zu üppigem Mahl und flößte
-ihnen einen Teufelswein ein, der sie trunken und ihre Hände schlaff
-machte, und er ließ dreißig erschlagen. Ein einziger entkam.«</p>
-
-<p>Aufsprang der Kral in weher Wut.</p>
-
-<p>»Und der eine &ndash; der letzte &ndash; er hat das Volk gesammelt,
-er hat an dem <em class="antiqua">njemz</em> Rache genommen, sein Blut vergossen,
-seine Burg zerstört, sein Land verwüstet &ndash; gesiegt&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Schweig, ehrwürdiger Greis &ndash; schweige, denn ich ertrage
-deine Worte nicht &ndash; die Schamröte verbrennt meine Wangen,
-wenn du so redest &ndash; &ndash; der letzte, der einunddreißigste, floh
-vor hundertfacher Übermacht und sitzt, ein beschämter Pilger,
-an deinem Tisch.«</p>
-
-<p>»Du bist es?«</p>
-
-<p>»Ja, ich!«</p>
-
-<p>Still und traurig ging die Stunde weiter. Der Dunkle legte
-den Kopf auf den Tisch, der Alte deckte die Hände über die
-Augen, und seine Tränen tropften.</p>
-
-<p>»So ist das Volk ohne Führer?« fragte er endlich mit tiefer
-Traurigkeit.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_43">[43]</a></span></p>
-
-<p>»Es ist allein. Wer bin ich, ihm zu helfen? Ein einziger
-könnte ihm helfen &ndash; &ndash; der Kral. Aber die Sonne ist untergegangen,
-und die Flur der Wenden liegt in Nacht.«</p>
-
-<p>Da stand der Alte auf und sprach mit Feierlichkeit:</p>
-
-<p>»Ich bin der König der Wenden.«</p>
-
-<p>Und der Fremde sah ihn erschrocken an und sank am Tisch
-in die Knie und fragte erschüttert:</p>
-
-<p>»Du bist der König der Wenden?«</p>
-
-<p>»Ich bin es! Und wenn mich mein Alter trägt durch die
-fremden Länder bis zur Heimat, dann will ich für mein Volk
-kämpfen und dann sterben!«</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Sie saßen lange beisammen in der Herberge des Morgenlandes.
-Und der Fremde sagte:</p>
-
-<p>»Großer Kral! Das Volk wartet auf dich. Ich bin nichts
-als Morkusky, dein Diener. Aber Morkusky ist ein nützlicher
-Diener. Er ist jahrelang bei einem großen Meister gewesen und
-nun selbst geheimer Kräfte Meister.«</p>
-
-<p>Am folgenden Morgen reiste der Kral mit Morkusky gen
-Norden.</p>
-
-<p>Als er in seine Heimat kam, wurde er mit jedem Tage um
-ein Jahr jünger. Dieses Heimatwunder dauerte so lange, bis
-der Kral wieder ein starker, schöner Jüngling war.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Auf seiner Reise kam er gen Schorbus. Dort ist ein Berg,
-auf dem zwei Felsblöcke liegen. Auf dem einen Stein saß Bely
-Bog, der weiße Gott, der den Menschen, die über den Berg
-wanderten, die Hände mit guten Gaben und das Herz mit
-guten Gedanken füllte; auf dem andern Stein saß Zarny Bog,
-der den Menschen die guten Gaben nahm und in den Schmutz
-warf, die guten Gedanken in alle Winde stieß.</p>
-
-<p>Und der Kral wußte nicht, zu wem er sich wenden sollte.
-Denn ob er gleich wieder ein Jüngling war von Gestalt und
-Aussehen, so war doch sein Herz alt und kalt geblieben, hatte
-böser Jahre und bösen Verrats nicht vergessen und war hart
-und ohne Liebe.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_44">[44]</a></span></p>
-
-<p>Und der Kral stand mitten zwischen den beiden Göttern,
-nicht um <span id="corr044">Haaresbreite</span> dem einen näher oder entfernter.</p>
-
-<p>Da kam von der anderen Seite her den Berg herauf ein
-junger Mann, fast noch ein Knabe. Er war blond und schön,
-und seine Augen blühten wie blaue Blumen. Er ging nach der
-Seite des guten Gottes hin und grüßte nach Art der Deutschen.</p>
-
-<p>»Wohin willst du, deutscher Jüngling?« fragte finster der
-Kral.</p>
-
-<p>»Ich suche den König der Wenden.«</p>
-
-<p>»Was willst du vom Kral?«</p>
-
-<p>»Ich komme für Gero, den Markgrafen. Er lud dreißig
-wendische Fürsten zu sich auf sein Schloß. Er sprach gütlich mit
-ihnen. Sie aber tranken und prahlten mit der Deutschen Tod.
-Da wurden sie getötet.«</p>
-
-<p>»Er hat sie gemeuchelt«, schrie der Kral und trat einen
-Schritt nach der linken Seite.</p>
-
-<p>»Er hat sie alle dreißig im Kampf selbst erschlagen.«</p>
-
-<p>Da trat der Kral drei Schritt weiter auf den schwarzen
-Gott zu.</p>
-
-<p>»Was faselt der Knirps? Ein Deutscher hätte dreißig
-Wenden erschlagen? Drückt ihn der <em class="antiqua">Plon</em>?<a id="FNAnker_4_4"></a><a href="#Fussnote_4_4" class="fnanchor">[4]</a> Was willst du
-hier, Knabe?«</p>
-
-<p>»Ich bin kein Knabe; ich bin fünfzehn Jahre alt. Aber
-Gero ist alt geworden. Alle Nächte kämpfen die dreißig Wenden
-mit ihm. Er ist in sieben frommen Klöstern gewesen, er ist nach
-Rom gewallfahrtet und findet doch keine Ruhe. Darum suche
-ich den Kral.«</p>
-
-<p>»Was willst du vom Kral?«</p>
-
-<p>»Ich will, daß er meinem Vater das gibt, wonach er alle
-Nächte seufzet: die Versöhnung mit den Wenden.«</p>
-
-<p>Als die Menschen so redeten, schwiegen die Götter. Nun aber
-erhob sich Bely Bog, der gute Gott, und er streckte seine weißen
-Hände aus, die eine über Wendenland, die andere dem Lande
-der Deutschen zu, und hob dann die Hände über sein Haupt und<span class="pagenum"><a id="Seite_45">[45]</a></span>
-wob aus Sonnenschein zwei goldene Ringe der Eintracht. Die
-hielt er wortlos den beiden hin.</p>
-
-<p>Zwei zögernde Schritte ging der Kral auf den guten Gott
-zu. Aber auch der deutsche Jüngling nahm nur zögernd den
-Ring.</p>
-
-<p>Und er sagte dabei:</p>
-
-<p>»Es ist um Geros Ruhe willen!«</p>
-
-<p>»Um Geros Ruhe willen, sagst du? Verabscheust du selbst
-die Tat nicht?« fragte der Kral.</p>
-
-<p>»Nein, Gero ist krank geworden am Gemüt. Wäre ich wie
-er gewesen, ich hätte in Mannentreue die Wenden erschlagen
-und es nie bereut.«</p>
-
-<p>Da schrie der Kral auf, da stürzte er zum schwarzen Gott;
-da griff Zarny Bog unter seinen Steinsitz und zog eine Schlange
-hervor, die sich in ein Schwert verwandelte, und gab das
-Schlangenschwert dem Kral.</p>
-
-<p>Der stieß es dem Jüngling ins Herz.</p>
-
-<p>»Hier steht der Kral der Wenden!«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Das junge Herzblut rann, die blauen Augen verblühten,
-und eine Knabenstimme sprach:</p>
-
-<p>»Ich bin Geros einziger Sohn.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Der gute Gott schlug seine weißen Hände vors Angesicht,
-der Zarny Bog aber wuchs wie eine schwarze Wolke zum
-Himmel, und der Kral lachte ein schmerzliches wildes Gelächter.</p>
-
-<p>Die goldenen Ringe rollten die zwei Bergseiten hinab und
-sanken ins tiefste Wasser.</p>
-
-<p>Gero, der Stadt und Kloster Gernrode gebaut hatte und
-mit müdem, krankem Sinn daselbst alter Blutschuld nachhing,
-erfuhr von dem grausamen Tod seines Sohnes.</p>
-
-<p>Oft zertritt die Göttin des Leids mit schwerem Tritt das
-Gewürm nagender Zweifel.</p>
-
-<p>So auch hier. Gero erwachte aus langem Angsttraum, der
-alte Mut, der alte Haß lohte auf in seiner Brust, und sieben
-Tage, nachdem die Todeskunde nach Gernrode gedrungen war,
-rauchten im Wendenlande die ersten Trümmerhaufen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_46">[46]</a></span></p>
-
-<p>Gero verwüstete das Land, und seine Mannen verfolgten
-den Kral durch die Heide, durch alle Wälder und verborgensten
-Winkel, über Seen und Moräste.</p>
-
-<p>Und der Kral hatte weder ein Roß noch einen Kahn. Wie
-ein Hirsch floh er durch die Wälder, wie ein Fisch schwamm er
-durch den Fluß. Kam er aber an ein Wendenhaus und bat um
-Schutz und Einlaß, dann schlossen die Leute die Tür vor ihm
-und jagten ihn fort, denn sie fürchteten die Rache des Markgrafen
-und fluchten dem Kral, um dessentwillen alles Unheil
-über das Land gekommen sei.</p>
-
-<p>Gehetzt von den Deutschen, verraten von seinem Volk, mit
-zerrissenen Füßen, mit durchnäßten, zerfetzten Kleidern, die
-Augen fieberglänzend von Anstrengung und Hunger, so brach
-einmal bei herandämmernder Nacht der Kral zusammen,
-als dreißig deutsche Reiter hinter ihm her waren. Aber noch ehe
-der erste vollends herankam, brach in donnerndem Ritt ein
-schwarzer Reiter aus dem Gebüsch, erfaßte den Kral, hob ihn
-auf sein Roß und ritt durch die Luft mit ihm davon.</p>
-
-<p>Und der schwarze Reiter drehte das Gesicht in den Nacken
-und bleckte den Deutschen eine lange behaarte Zunge heraus,
-und als er das Gesicht dem Kral wieder zuwandte, war es
-Morkusky, sein Begleiter aus Morgenland.</p>
-
-<p>»Morkusky, du bist der Nachtjäger?« rief der Kral entsetzt.</p>
-
-<p>»Ich bin wer ich will«, zischte der Schwarze. »Willst du
-keine Gemeinschaft mit mir? Willst du es mit den Wenden oder
-mit den Deutschen halten?«</p>
-
-<p>»Ich fluche den Wenden wie den Deutschen!« schrie der
-Kral. Da lachte der Nachtjäger.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>An der Spree türmte der Nachtjäger einen Berg, grub einen
-tiefen See rundum, ließ gelbe giftige Lichter um den Uferrand
-erbrennen und baute in einer Nacht für den Kral auf dem Berge
-mitten im See ein festes Schloß.</p>
-
-<p>Zum jenseitigen Ufer führten nur eine lederne Brücke und
-ein blutroter Kahn. Die Deutschen wollten das Schloß<span class="pagenum"><a id="Seite_47">[47]</a></span>
-erstürmen, aber die meisten von ihnen gingen in einem Sumpf
-elend zugrunde.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Der Wendenkönig wurde nun ein Räuber. Er sammelte
-eine Horde verkommener Leute um sich, raubte, brannte und
-mordete und feierte mit seinen Spießgesellen, mit Hexen und
-schlechten Weibern auf seiner Burg teuflische Feste. Weit
-breitete er seine Macht aus. Die Wenden plünderte und unterdrückte
-er, den Deutschen aber stahl er Kinder. Die Mädchen
-schlachtete er und fraß sie auf, die Knaben steckte er in sein
-Räuberheer und machte sie zu Unholden. Zuletzt wurde er so
-schlimm wie Morkusky, sein Meister.</p>
-
-<p>Und als dieser ganz zufrieden mit ihm war, verließ er ihn,
-um nach anderen Ländern zu reiten und dort Zwietracht zwischen
-die Völker zu säen &ndash; zwischen Wenden und Deutschen war
-Morkuskys Werk getan.</p>
-
-<p>Der Kral wurde oft verfolgt von Wenden wie von Deutschen.
-Aber er schlug seinem Rosse die Hufeisen verkehrt auf, so daß
-er seine Verfolger täuschte. In höchster Not flüchtete er in sein
-Schloß, indem er über die lederne Brücke ritt, die sich hinter
-ihm aufrollte.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Da geschah es, daß der König einmal ein wunderholdes
-Mädchen raubte. Das hieß Rinetta und war zehn Jahre alt.
-Und es saß unter einem Fliederbaum, als er es stahl. Während
-nun der Kral heimritt mit seiner jungen Beute, war eine
-blühende Nacht. Alle Wege grün und bunt, die Sterne so
-träumerisch am Himmel, der sanfte Wind wie ein heiliger,
-heilender Strom.</p>
-
-<p>Das Kindlein weinte in des Räubers Arm, aber allgemach
-schlief es ein, ruhte an der Brust seines Mörders und sagte im
-Traum zu ihm: »Du guter Vater!«</p>
-
-<p>Da sah der König erschrocken auf das Kind. Er sah es mit
-finsterem Auge an. Aber er sah es zweimal und dreimal, und
-durch die Mainacht kamen in Sternenglanz und Mondschein<span class="pagenum"><a id="Seite_48">[48]</a></span>
-alte Freunde, Jugendfreunde seiner Seele: reine, wundersame
-Gedanken. Nur weil er so versonnen war, nur weil er wie in
-müdem Traum durch den Wald ritt, wies er sie nicht ab.</p>
-
-<p>Und er sah das Kindlein noch einmal an, wie es im Glanz
-des Himmelslichtes in seinem Arm lag, und wandte in Sinnen
-versunken langsam sein Roß und trug das Kind in das Haus
-seiner Eltern zurück.</p>
-
-<p>Die schrien, als sie den Kral erkannten. Das erwachte Kind
-aber, als es sich wieder bei seinen Eltern sah, lächelte und sagte:</p>
-
-<p>»Oh, er hat mir nichts getan; er hat mich nur ein wenig
-auf seinem Pferde reiten lassen.«</p>
-
-<p>Da ging der Kral rasch von dannen.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Und die gute Tat ging dem Kral nach in sein böses Leben.
-Wohl blieb er ein wilder Räuber, aber er stahl keine Kinder
-mehr. Und wenn das bittere Heimweh kam, das alle bösen
-Herzen von Zeit zu Zeit überkommt, wenn es nicht wich bei
-Raubzug und Zechgelag, dann lenkte der Kral sein Roß zu
-dem Hause der Rinetta, die lieblicher aufblühte von Jahr
-zu Jahr.</p>
-
-<p>Zuletzt faßte den Kral eine so verzehrende Liebe zu dem
-Mädchen, daß er einsam wurde und wochenlang aus seiner
-Burg nicht herauskam.</p>
-
-<p>Seine Spießgesellen murrten. Viele jagte der Kral davon,
-andere zogen auf eigene Faust in die Fremde. Am Ende war
-der Kral allein, und am nächsten Tage kam Rinetta zu ihm als
-seine Frau. Von da an tat er keinen Raubzug mehr.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Und es geschah ein großes Wunder im Wendenland, als
-Rinetta dem Kral einen Sohn schenkte. Da ward der Kral
-dem Lande ein gütiger Vater. Er verteilte von den ungeheuren
-Geldschätzen, die er gesammelt hatte, er baute Weiler und
-Dörfer, er wurde ein Feind und Vernichter aller Räuber, die
-noch im Lande waren.</p>
-
-<p>Einmal, als der Kral auf einer Wiese ein Fest feierte, fiel<span class="pagenum"><a id="Seite_49">[49]</a></span>
-vor ihm eine silberne Kugel vom Himmel. Alles Volk sah das
-Wunder. Und es kam ein Mann aus dem Walde, der hob die
-Kugel auf und fing an, sie zu kneten und zu drücken, als sei sie
-aus Wachs, und er formte aus dem Silber eine Krone.</p>
-
-<p>Die Krone übergab er kniend dem Kral. Der setzte sie aufs
-Haupt, und alle Wenden jauchzten ihm zu.</p>
-
-<p>Der Mann, der die Krone geformt hatte, verschwand und
-ist nicht mehr gesehen worden.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Einzelne von den ehemaligen Spießgesellen des Kral aber
-hatten in der Welt Morkusky, den Nachtjäger, getroffen und
-hatten ihm gesagt: »Freue dich, es ist Friede zwischen den
-Deutschen und den Wenden, und der Kral sitzt bei seiner Frau
-und singt ihrem Sohne Wiegenlieder.«</p>
-
-<p>Da brach der Nachtjäger zornschnaubend auf und sammelte
-in allen verrufenen Spelunken der Welt, in den Felsgründen
-wilder Gebirge und auf unwirtlichen Straßen ein großes
-Räuberheer. Damit fiel er im Wendenlande ein. Als er an die
-Spree kam, verwandelte er sich in einen Adler, der so groß war
-wie ein Pferd, flog zwölfmal um die Burg und tat beim
-dreizehnten Mal einen Zauberspruch, durch den das Schloß
-mit allem, was darin war, in die Erde sank und der See austrocknete,
-so daß nur einige kleine Wässerchen übrigblieben.</p>
-
-<p>Der Kral aber, der durch einen guten Geist gewarnt worden
-war, war mit seiner Frau und seinem Sohne ausgezogen.</p>
-
-<p>Er wanderte mit ihnen in einen tiefen Wald. Dort vergrub
-er die Krone in einen Hügel und sprach:</p>
-
-<p>»Hier soll die Krone liegen, bis eine Jungfrau sie mit einer
-silbernen Schaufel ausgraben wird.«</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Es kam zu der großen Schlacht der Wenden gegen die
-Räuber. Das Blut floß derart in Strömen, daß es eine Wassermühle
-in Bewegung setzte, die die Blutmühle heißt bis auf
-den heutigen Tag. Und die Heide färbte sich rot und bleibt rot<span class="pagenum"><a id="Seite_50">[50]</a></span>
-für alle Ewigkeit. Die Verwundeten selbst kämpften, auf ihre
-Schilde gestützt. Die Wenden siegten; alle Räuber wurden
-getötet. Der Kral selbst erschlug ihrer hundertundeinen.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Zuletzt aber sprengte der Nachtjäger gegen den Kral an,
-wie er es schon einmal vor vielen Jahren getan, als der junge
-König nur den Fliederstecken trug.</p>
-
-<p>Auch jetzt hob der Kral den Arm gegen den wilden Jäger.
-Aber das Schwert, das er aufhob, triefte von Blut, und der
-Nachtjäger floh nicht wie damals, sondern schrie höhnisch:</p>
-
-<p>»Wiegenliedsänger! Kinderfresser! Sieh, was ich habe!«
-Er hatte das Schlangenschwert, mit dem der Kral ehemals
-seine Untaten vollführt und das er nach seiner Bekehrung in
-einen Sumpf geworfen hatte.</p>
-
-<p>Dieses Schlangenschwert stieß der Nachtjäger dem Kral
-ins Herz.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Eine weiße Wolke stieg von dem Leichnam des Kral zum
-Himmel. Diese weiße Wolke wandert immerzu über das
-Wendenland. Auch an ganz sonnenhellen Tagen ist sie tief
-im Blauen am Himmel zu sehen.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Die Königin Rinetta aber hatte am Tage der Wendenschlacht
-ein weißes Roß bestiegen und war über die Heide
-gejagt, um dem geliebten Gemahl beizustehen, wenn er in Not
-sei. Als sie an die Spree kam, traten ihr drei wendische Männer
-entgegen, klagten und riefen: »Unser Kral ist tot!« Da sprang
-das Roß der Königin in die Spree und versank mit ihr. Nichts
-war mehr von beiden zu sehen. Nur ein weißer Fisch schwamm
-im Wasser.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Und der weiße Fisch sah aus dem Wasser, und die weiße
-Wolke hielt still am Himmel, wenn der junge Königssohn am
-Uferrande spielte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_51">[51]</a></span></p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Es geschah aber, daß die Deutschen, als sie hörten, der
-Kral sei gefallen und sein Schloß sei versunken, in das Land
-kamen und es unter ihre Herrschaft brachten. Die Wenden
-waren zu schwach, um ihnen zu widerstehen. Die Deutschen
-forschten nach dem Königskinde, aber niemand hat es verraten,
-obwohl alle Leute im Wendenlande es kannten.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Und der Sohn des Kral wurde ein Bauer. Er hatte sechs
-Söhne, und dem ältesten von ihnen zeigte er den Ort, wo die
-silberne Krone begraben lag, und sprach:</p>
-
-<p>»Bewahre das Geheimnis, und vererbe es auf den ältesten
-Sohn! Wenn die Zeit erfüllt ist, wird die weiße Wolke in den
-Himmel verschwinden, wird der weiße Fisch ins Meer
-schwimmen bis dorthin, wo das Meer in den Himmel fließt,
-und eine reine Jungfrau wird kommen und mit einer silbernen
-Schaufel die Krone ausgraben. Der, der dann Kral sein wird,
-wird die Krone tragen und unser Volk zum ersten der Erde
-machen. Wenn ich tot bin, bist du der Kral. Und wenn du tot
-bist, wird dein ältester Sohn der Kral. So soll es sein und
-bleiben durch alle Zeit.«</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Der Nachtjäger aber wagt sich nur noch in den sieben
-bösen Nächten, die zwischen Weihnachten und Neujahr sind,
-ins Wendenland. Dann ist die weiße Wolke hinter undurchdringlichen
-Nebeln verborgen, der weiße Fisch wohnt in einem
-festen Haus von Eis, und die silberne Krone liegt tief unter
-dem Schnee im Walde.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_52">[52]</a></span></p>
-
-<p class="ph2">Das ist die Sage vom Kral, die durch tausend und viele
-Jahre im Wendenvolk lebt und die an dem Abend, da
-Hanzos Frau am Sterben war, wieder lebendig wurde, von den
-Heidewiesen des Oberlandes an bis tief hinunter in die Strohhütten
-an der Spree, so daß sich die Fischer im Niederland wie
-die Hirten im Oberland es zuraunten: »Die Frau des Kral
-stirbt.«</p>
-
-<p>Wieder einmal stand das Volk an einer Wende. Nur wenig
-änderte der schmale Weg, den seine Geschicke durch das Land
-der Geschichte nahmen, seine Richtung.</p>
-
-<p>Nur die Frau des Kral starb. Ein derbes, tüchtiges Bauernweib
-ging dahin. Der Kral selbst lebte.</p>
-
-<p>Er ging durch den Hof und durch die Zimmer so steiffeierlich
-wie immer. Nichts war anders an seiner hohen
-Gestalt. Und die schmalen Lippen des bartlosen Gesichtes
-waren so fest, so ohne sichtbare Linie des Grams zum Schweigen
-aufeinandergepreßt wie in den Tagen der Freude, wo auch
-kaum ein leises Lächeln um seinen Mund, ein heimliches
-Leuchten in seine Augen kam.</p>
-
-<p>Nur die Frau des Kral starb!</p>
-
-<p>Aber sie war für den Königsgedanken wichtiger als alle.
-Ihre Frauenseele hatte das große Geheimnis am besten betreut.
-Weil ihre Kindlichkeit an alle jene nationalen Wunder am
-festesten glaubte. Nicht, daß sie die Hoheit des Gedankens
-erfaßt hätte. Sie war keine Heldin, sie war eine Hausfrau.
-Sie hütete den Königsgedanken wie ein kostbares Erb- und
-Prunkstück.</p>
-
-<p>Es war ein Unglück für wendisches Volkstum, daß diese
-Frau starb. Die alte Art fing an zu vergehen. Die jungen Burschen
-lachten über den Nachtjäger; und wer bei der Garde gedient
-hatte, erwartete vielleicht, daß ihn sein Kral grüße. Die Mädchen,
-kaum fürchteten sie noch. Und die alten Sagen standen nur
-lebendig wieder auf, wenn etwas Schreckliches kam: ein wildes
-Wetter, der bleiche Tod oder die bleiche, unglückliche Liebe.</p>
-
-<p>Dann wurden auch für die jungen Herzen die alten Wunder
-wieder wach.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>In lichten Augenblicken, wenn das Fieber etwas nachließ,
-betete die Frau mit lauter Stimme zu ihrem Herrn und Heiland
-Jesus Christus. Sie hatte jenes Christentum, das den Alten
-eigen war, die im Walde immer noch ihre heidnischen Geister
-huschen hörten, wenn sie gläubig zur christlichen Kirche schritten,<span class="pagenum"><a id="Seite_53">[53]</a></span>
-oder wie jene Heilandsleute, die in Christus den größten Helden
-und in seinen Aposteln Ritter und Reisige voll Kraft und Mut
-verehrten.</p>
-
-<p>Und zwischen ihrem Beten lenkte die Kranke das Ohr
-lauschend nach dem Hoftor, ob die Söhne nicht kämen.</p>
-
-<p>»Ich muß mit Juro reden wegen Hanka und vom Kral.«</p>
-
-<p>Dann kam das Fieber wieder, und sie sprach von ihrer
-Brauthaube, von der Heyka des Urvaters und von Morkusky,
-dem bösen Zauberer.</p>
-
-<p>Es war schon tief in der Nacht, als ein Wagen in den Hof
-fuhr. Das Hoftor war seit dem Morgen weit geöffnet geblieben.</p>
-
-<p>Die Dienstboten huschten aus dem Gesindehaus; der alte
-Scholta erschien in der Haustür.</p>
-
-<p>Juro und Samo, mit Staub bedeckt, entstiegen dem Wagen.
-Sie waren die ganze Nacht gewandert, den ganzen Tag gefahren.</p>
-
-<p>Der Scholta ging seinen Söhnen entgegen.</p>
-
-<p>»Ihr kommt noch zur rechten Zeit. Morgen früh wäre es
-zu spät gewesen.«</p>
-
-<p>Da schmiegten sich die Söhne an den Vater, und er schlang
-die Arme um sie, und es war ein Bild einträchtiger Liebe zu
-der einen.</p>
-
-<p>Leise gingen sie dann nach der Krankenstube, und die
-jungen Männer knieten nieder am Bett der kranken Frau, die
-bewußtlos war. Sie weinten, wie heimkehrende Söhne
-weinen, wenn sie die Mutter im Sterben finden.</p>
-
-<p>Bis an die zartesten Wurzeln unseres Seins rührt der Tod,
-wenn er uns die nimmt, die uns das Leben gaben oder denen
-wir das Leben gaben. Aber wenn beim Tode einer Frau der Gatte
-mehr leidet als ihre Kinder, ist das Entartung?</p>
-
-<p>Wer litt hier am tiefsten? Samo, der sich leidenschaftlich
-schluchzend an den Bettpfosten klammerte &ndash; Juro, dessen
-Brust zuckte und dessen Hände irr über das blasse Gesicht
-fuhren &ndash; oder der alte Scholta, der am Tische lehnte, seine
-Frau betrachtete und sich nicht rührte?</p>
-
-<p>Diese drei dort, die beiden Jünglinge und die Frau, sind<span class="pagenum"><a id="Seite_54">[54]</a></span>
-ein Fleisch und ein Blut, sind sich innig verbunden von der
-ersten Sekunde ihres Seins an.</p>
-
-<p>Er, Hanzo, ist nicht ihr Fleisch und Blut, er hat sie vor kaum
-dreißig Jahren nicht einmal gekannt.</p>
-
-<p>Und wenn sie jetzt geht? Wenn ihr Leben ausgelöscht wird
-wie eine Kerze? Wird nicht dennoch auf dem Wege jener beiden
-bald ein neues Licht leuchten, und wird nicht der alternde
-Mann seine dunkle Straße allein ziehen?</p>
-
-<p>Feine, stille Grenzen sind im Menschenland. Und die volle
-Lebenskameradschaft hat doch ein weiteres Gelände, als die
-Erbgebiete des Blutes sind.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Die Söhne erhoben sich, setzten sich auf zwei Stühle. Sie
-waren müde. Müde von der langen Reise und von Angst und
-Groll, die sie gequält hatten.</p>
-
-<p>Hanka trat ins Zimmer. Die Jünglinge reichten ihr die
-Hand. Sie kannten sie kaum. Vor vielen Jahren hatten sie
-das Mädchen einmal gesehen, als sie noch heranwachsende
-Burschen waren und die Hanka noch ein Kind war. Aber sie
-wußten, daß sie eine entfernte Verwandte war, drüben aus
-dem Sächsischen. Eine aus der Familie, die nach der Tradition
-als die königliche galt. Auch die Mutter war von dort her. Wie
-kam das Mädchen hierher?</p>
-
-<p>Der Vater gab flüsternd eine kurze Aufklärung. Nun erst
-erfuhren die Söhne, auf welchem Wege die Mutter verunglückt
-war.</p>
-
-<p>Beklommen standen sie dem Mädchen gegenüber.</p>
-
-<p>Die Kranke begann wieder zu sprechen.</p>
-
-<p>»Eine reine Jungfer muß es sein &ndash; die mit der silbernen
-Schaufel nach der Krone gräbt&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Nicht die, die unter dem Flieder liegt&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Ja, der Lobo ist ein Süffling &ndash; ja&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Aber Juro &ndash; Juro und Hanka&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Ich will mit ihm reden &ndash; wegen Hanka und vom Kral.«</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Ach, bleib mit deiner Gnade<br /></span>
-<span class="i0">Bei uns, Herr Jesu Christ!«<br /></span>
-</div></div>
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_55">[55]</a></span></p>
-<p>Da erwachte sie.</p>
-
-<p>»Juro! &ndash; Samo! &ndash; Seid ihr da? Seid ihr gekommen? &ndash;
-Seid ihr gesund? &ndash; Geht es euch gut? Habt ihr schon zu essen
-bekommen?«</p>
-
-<p>Sie herzte die Söhne, sie hörte ihre Liebesworte. Sie herzte
-sie wieder. Sie sah Juro forschend an.</p>
-
-<p>»Ich wollte &ndash; wollte &ndash; etwas mit dir reden &ndash; ich weiß
-es nicht mehr &ndash; was wollte ich doch mit dir reden&nbsp;…?«</p>
-
-<p>Dann plötzlich schrie sie:</p>
-
-<p>»Macht das Fenster auf!«</p>
-
-<p>Und sie versank in den Todeskampf.</p>
-
-<p>Der Scholta wurde blaß bis auf die Lippen. Aber er ging
-ohne Schwanken zum Fenster und öffnete es.</p>
-
-<p>Noch als er sich an dem einen Flügel festhielt, starb die Frau.</p>
-
-<p>Und der Mann glaubte zu fühlen, wie die erlöste Seele vom
-Bette herschwebte, ihm noch einmal die Stirn berührte und
-sich dann durch das geöffnete Fenster aufschwang zum Firmament,
-das mit Millionen winkender ferner Heimatlichter
-herniedergrüßte.</p>
-
-<p>Hanka und die Söhne knieten weinend am Bette.</p>
-
-<p>Der alte Hanzo trat heran und drückte der Toten die Augen
-zu. Er nahm ihre rechte Hand zwischen seine beiden Hände zum
-Abschied und zum Gebet. Dann wandte er sich ab, nahm ein
-großes Tuch, verhängte den Spiegel, der an der Wand hing,
-und hielt die Uhr an. Das alles tat er mit ruhiger Gewissenhaftigkeit.</p>
-
-<p>Zuletzt ging er in den Hof und rief das Gesinde zusammen.</p>
-
-<p>»Die Frau ist gestorben!« sagte er schlicht und stand hochaufgerichtet
-im mondbeschienenen Hofe. Nach den wenigen
-Worten ging er nach dem Hause zurück. Der alte Knecht Kito
-aber trennte sich von dem jammernden Weibsvolk, ging nach
-den Viehställen, trieb die schlummernden Tiere auf und rief
-mit seiner alten Stimme durch den Stall:</p>
-
-<p>»Die Frau ist gestorben!«</p>
-
-<p>Da brüllten ein paar Kühe auf, und die Pferde klirrten mit
-den Halfterketten.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_56">[56]</a></span></p>
-
-<p>Kito ging weiter bis in den Großgarten, wo die Bienenstöcke
-standen, klopfte dreimal an jedes Bienenhaus und sagte dann
-laut und deutlich:</p>
-
-<p>»Die Frau ist gestorben!«</p>
-
-<p>Da kam es wie ein leise summendes Geflüster aus den
-Bienenstöcken.</p>
-
-<p>Kito ging an die Hundehütte.</p>
-
-<p>»Tyra, die Frau ist gestorben!«</p>
-
-<p>Das Tier rührte sich nicht. Es war tot.</p>
-
-<p>Zitternd ging der alte Knecht in seine kleine Stube, wo in
-einem kleinen Bauer ein schlafender Kanarienvogel saß. Er
-weckte das Tierchen, das ihn müde anblinzelte, und sagte ihm:</p>
-
-<p>»Die Frau ist gestorben!«</p>
-
-<p>Da sang der Vogel eine wehmütige kurze Melodie und
-schlief wieder ein.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p class="ph2">Am Tage vor dem Begräbnis ritt Heinrich von Withold,
-Elisabeths Bruder, in den Hof des Scholta. Er sprang
-vom Pferde und reichte die Zügel einem Mädchen hin, das eben
-in die Haustür trat. Es war Hanka.</p>
-
-<p>»Bind mal den Gaul an einer passenden Stelle fest, schönes
-Kind!« sagte Heinrich leutselig.</p>
-
-<p>Das Mädchen errötete, und ihre hohe Gestalt straffte sich.</p>
-
-<p>»Ich werde einen Knecht oder eine Magd rufen«, sagte sie.</p>
-
-<p>Da sah Heinrich von Withold ein, daß er wohl eine Unhöflichkeit
-begangen habe. Er stammelte eine Entschuldigung und
-band sein Roß selbst fest.</p>
-
-<p>»Ich bitte um Verzeihung, verehrtes Fräulein«, sagte er
-dann; »ich bin ja hierzulande nicht fremd, aber ich kann mir
-die Abzeichen der Wendentracht partout nicht merken. Wollen
-Sie mir sagen, meine Gnädigste, ob ich den Herrn Scholta
-sprechen kann?«</p>
-
-<p>»Da kommt er schon.«</p>
-
-<p>Der wendische Großbauer und der deutsche junge Edelmann<span class="pagenum"><a id="Seite_57">[57]</a></span>
-traten sich gegenüber. Heinrich geriet in Verlegenheit,
-aber dann nahm er all seinen Schliff zusammen und sagte:</p>
-
-<p>»Herr Scholta, ich erlaube mir, Ihnen namens meiner Familie
-einen Kondolenzbesuch abzustatten und Ihnen anläßlich
-des Hinscheidens Ihrer Frau Gemahlin unser herzlichstes Beileid
-auszudrücken. Mein alter Herr würde dieser traurigen
-Pflicht selbst nachgekommen sein, aber er ist noch verreist.
-Wollen also mit dieser Stellvertretung gütigst vorliebnehmen.«</p>
-
-<p>Auf diese geschniegelte Rede hin wußte der alte Wende
-nichts zu sagen. Er nahm verlegen seine Kappe ab und sagte:</p>
-
-<p>»Ja &ndash; ja, die Frau ist gestorben!«</p>
-
-<p>Darauf wußte wieder Heinrich von Withold nichts zu sagen.
-Und so entstand eine peinliche Pause. Zum Glück kam Juro aus
-dem Hause. Heinrich eilte auf ihn zu, umarmte ihn, küßte ihn
-und drückte ihm dann warm die Hände.</p>
-
-<p>»Alter Junge, das hat mir aber scheußlich leid getan!«
-sagte er bewegt.</p>
-
-<p>Nach diesem studentischen Freundschaftsausbruch besann er
-sich aber gleich wieder auf seinen höflichen Ton und erklärte
-Juro:</p>
-
-<p>»Ich habe mir erlaubt, dem Scholta, deinem alten Herrn,
-anläßlich des Hinscheidens deiner Frau Mutter die Kondolation
-unserer Familie zu überbringen.«</p>
-
-<p>Es entstand wieder eine Pause, und Heinrich erklärte also,
-er habe bloß seine Mission ausrichten wollen, werde jetzt nicht
-weiter stören und gestatte sich also, sich zu empfehlen. Darauf
-begann endlich Hanzo, der Scholta, zu reden. Er sagte wohl an
-die zehnmal: »Nein, nein!« Der gnädige junge Herr müsse
-ins Haus treten und dürfe eine kurze Gastfreundschaft nicht
-verschmähen. Der Scholta selbst band Heinrichs Pferd los, um
-es nach einem Stall zu führen. Der höfliche junge Mann suchte
-diesen Dienst auf alle Weise zu hindern, was ihm <span id="corr057">aber</span> mißlang,
-und ging schließlich selbst mit nach dem Stall, wo er über die
-dort befindlichen Pferde enthusiastische Urteile abgab, die in der
-Mehrzahl Unsinn waren und von gar keiner Sachkenntnis
-zeugten und die der Scholta schweigend anhörte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_58">[58]</a></span></p>
-
-<p>»Und der Blauschimmel, Herr Scholta, der Blauschimmel!
-Ein Götterroß!«</p>
-
-<p>Der alte Hanzo rückte verlegen an seiner Kappe.</p>
-
-<p>»Ich habe das Pferd für eine Forderung eingetauscht«, sagte
-er. »Es wird wenig benutzt. Ich brauche es nur fürs Osterreiten.
-Und sonst ist es für die Jungen, wenn die mal zu den
-Ferien sind.«</p>
-
-<p>»Ein Götterroß, Herr Scholta! Ich kann mir's denken; es
-ist vom alten Hinzberg, von dem deutschen Rittermäßigen, der
-überall Schulden hatte, natürlich auch bei Ihnen.«</p>
-
-<p>Hanzo antwortete nicht. Sie verließen den Stall.</p>
-
-<p>»Ich möchte riesig gern noch etwas mehr von Ihrer Musterwirtschaft
-sehen, Herr Scholta«, sagte Heinrich darauf. »Wissen
-Sie, wenn man nun mal Landwirtschaft studiert, interessiert
-einen das mächtig. Aber die Veranlassung meines Besuches ist
-zu trauriger Art.«</p>
-
-<p>Hanzo machte eine Handbewegung und führte dann Heinrich
-durch sämtliche Wirtschaftsräume, zeigte ihm alle Wirtschaftsgeräte,
-führte ihn bis hinter das Gehöft, von wo man
-einen großen Teil der Felder übersah, und erklärte alles mit
-einer ihm sonst ganz ungewöhnlichen Gesprächigkeit. Hanzo
-wäre kein wendischer Bauer gewesen, wenn er das nicht getan
-hätte.</p>
-
-<p>Und als er seinen Gast endlich in ein kleines Stübchen geführt
-hatte, wo seine Söhne und Hanka mit einem Frühstück
-warteten, ging er selbst nach »der guten Stube«, wo seine Frau
-aufgebahrt war. Und es war, als ob die tote Bäuerin lächelte.</p>
-
-<p>»Hast du ihm auch alles gezeigt? Nicht wahr, es hat ihm
-gefallen? Es muß ihm ja gefallen!«</p>
-
-<p>Juro begleitete seinen Freund nach Hause. Sie legten die
-gute Wegstunde zu Fuß zurück. Das Reitpferd führte Heinrich
-am Zügel. Sie gingen lange schon über die Felder, da fragte
-Heinrich:</p>
-
-<p>»Ist das hier noch euer Besitz, Georg?«<a id="FNAnker_5_5"></a><a href="#Fussnote_5_5" class="fnanchor">[5]</a></p>
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_59">[59]</a></span></p>
-<p>»Ich glaube wohl; aber es ist erst dazugekauft worden von
-meinem Vater und Großvater. Das waren tüchtige Landwirte.
-Und deshalb muß ich ja durchaus landwirtschaftliche Studien
-machen, obwohl ich doch Mediziner bin.«</p>
-
-<p>»Ja, ich weiß es. Sie wollen einen gelehrten Herrn auf
-großem Besitz aus dir machen. So 'ne Art kleinen ›König der
-Wenden‹.«</p>
-
-<p>Juro errötete und schwieg.</p>
-
-<p>»Und was wird jetzt werden?«</p>
-
-<p>»Ich möchte &ndash; wenn das möglich wäre &ndash; Jura studieren
-und Theologie und Medizin und möchte alles tun für die
-braven Leute, die hier wohnen, und möchte sie so recht heimisch
-machen und vorwärtsbringen im deutschen Vaterland.«</p>
-
-<p>Heinrich lachte.</p>
-
-<p>»Ein guter Prediger würdest du sein. Wenn du willst,
-sprichst du mit Schwung. Und ernst bist du. Eigentlich doch ein
-Grübler. Es ist ein reines Wunder, daß du mit einem so leichten
-Huhn, wie ich bin, dich befreundet hast.«</p>
-
-<p>Er wartete keine Antwort ab.</p>
-
-<p>Ȇbrigens, dein Bruder Samo &ndash; du, der hat mir heut
-wieder Augen gemacht! Höflich war er ja &ndash; na ja, weil ich der
-Gast war, aber Augen &ndash; &ndash; du, wenn der mich fressen könnte,
-mich und alle Deutschen!«</p>
-
-<p>»Es ist seine unglückliche Art«, sagte Juro.</p>
-
-<p>»Und dem willst du dieses ganze Königreich abtreten?«</p>
-
-<p>»Ich weiß es nicht. Ich bin so unentschlossen. Ich passe
-sicher besser in die Stadt. Und dann &ndash; dann ist es wegen
-Elisabeth.«</p>
-
-<p>»Stimmt! Die paßt allerdings besser in die Stadt als in
-eure Scholtisei. Obwohl sich das Mädel für alles interessiert.
-Sie spricht sogar ziemlich gut wendisch, was z. B. mein Vater
-und ich nie kapieren. Übrigens, das Fräulein aus eurer Verwandtschaft,
-die Hanka, ist ein süperbes Mädel. Ein Urbild von
-Gesundheit. Leider habe ich es mit ihr gleich von vornherein
-verdorben. Erstens halte ich Esel sie für eine hübsche Magd und
-sage ihr, sie solle mein Pferd anbinden, zweitens faselte ich von<span class="pagenum"><a id="Seite_60">[60]</a></span>
-Irrlichtern und Nebelgebilden, als sie so gläubig von den
-brennenden Gespenstern und dieser weißen Todesgöttin sprach.
-Sie glaubt daran.«</p>
-
-<p>»Ja, sie glaubt daran, wie meine Mutter daran geglaubt
-hat.«</p>
-
-<p>»Und dein Vater?«</p>
-
-<p>»Er hat noch keinen in sein Herz sehen lassen. Wie Samo!
-Vor dessen Verstand und Bildung hielt natürlich der ganze alte
-Aberglaube nicht stand, aber im innersten Herzen hängt er
-daran wie der einfachste Wende. Aus Nationalität &ndash; jawohl!
-So etwa, wie die Schweizer am Tell hängen oder alle Völker
-an mancherlei Geschehnissen, Heldentugenden, Herrschertaten,
-die nie gewesen sind.«</p>
-
-<p>»Alle diese Selbsttäuschungen machen doch aber sehr glücklich.«</p>
-
-<p>Juro wehrte heftig ab.</p>
-
-<p>»Nein, sie halten auf, sie hemmen! Sie sind toter Ballast,
-der die Schiffe der Völker unnütz beschwert. Es sind vorgespiegelte
-Reichtümer, erträumte Erbschaften, die den Nationen
-einen falschen Begriff von ihrer Größe geben und in denen der
-Chauvinismus, der größte Feind aller Völkerverbrüderung und
-des menschlichen Fortschritts, am tiefsten wurzelt.«</p>
-
-<p>»Sprechen wir von etwas anderem«, sagte Heinrich, der des
-schweren Themas schon müde war.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Im Park der Witholdschen Besitzung traf Juro mit Elisabeth
-zusammen und blieb mit ihr allein. Heinrich hatte sein
-Pferd davongeführt.</p>
-
-<p>»Du bist sehr blaß, Elisabeth? Du trauerst um meine
-Mutter.«</p>
-
-<p>Sie saßen auf einer Holzbank unter einem alten Baume.</p>
-
-<p>»Erzähle mir von deiner Mutter«, bat das Mädchen. »Ich
-habe sie nur zweimal in meinem Leben gesehen. Sie hatte sehr
-gute Augen.«</p>
-
-<p>Er erzählte. Er sprach wie ein guter Sohn. Und das deutsche<span class="pagenum"><a id="Seite_61">[61]</a></span>
-Mädchen sah mit feuchten Augen der Seele der wendischen Frau
-nach in das blaue Dämmern, das über ihnen war.</p>
-
-<p>Sie küßten sich nicht. Aber sie hielt seine Hand. Und der
-Schmerz, der in ihm war, wurde milder und stiller in der
-Gegenwart dieses lieben Mädchens.</p>
-
-<p>Er sagte es ihr. Da antwortete sie:</p>
-
-<p>»Wenn es anders wäre, würde ich wohl nicht für dich
-taugen.«</p>
-
-<p>»Du bist viel klüger, viel erfahrener, als sonst Mädchen in
-deinem Alter sind«, meinte er.</p>
-
-<p>»Das ist, weil ich keine Mutter gehabt habe! Weil sie so früh
-starb! Da muß ein Mädchen vieles, was ihm sonst die Mutter
-abnähme, selbst tragen und selbst erleben.«</p>
-
-<p>Er schwieg eine Weile und sagte dann:</p>
-
-<p>»Elisabeth, ich werde dich in ein Geheimnis einweihen, das
-du wissen mußt. Du könntest mich sonst nicht ganz verstehen
-und auch nicht die schwere Aufgabe ermessen, die dir werden
-wird, wenn du meine Frau sein wirst.«</p>
-
-<p>Und Juro erzählte Elisabeth die Sage vom Wendenkönig.
-Er entrollte ihr das alte, ehrwürdige Gemälde, das, im Allerheiligsten
-des Tempels wendischen Volkstums gehütet und gehegt,
-sonst kein »<em class="antiqua">Njemz</em>« zu ersehen bekam. Das Mädchen hörte
-zu mit verwunderter Seele, und allmählich kam eine Angst und
-plötzlich kam ein Schreck über sie&nbsp;…</p>
-
-<p>Und sie erkannte, daß Juro der zukünftige Kral der Wenden
-war.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Da tat sie das, was die Frauen großen Erkenntnissen gegenüber
-tun &ndash; sie weinte.</p>
-
-<p>Er sah es nicht, er beachtete das Leid der Geliebten nicht.
-Die große Idee des Königtums war über ihn gekommen, ein
-Sonnenmeer von Erleuchtung war plötzlich über ihn geflutet.</p>
-
-<p>Als er der Erwählten die heimische Sage erschloß, hatte er
-sie selbst das erstemal ganz erfaßt, wie wir Menschen ja alle
-erst dann recht und wahr und tief lernen, wenn wir uns ehrlich
-bemühen, zu lehren, wie wir immer dann den rechten Weg am
-ehesten finden, wenn wir ihn getreu einem andern zeigen wollen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_62">[62]</a></span></p>
-
-<p>Die Schönheit des Königsgedankens brannte nun im
-Herzen Juros, und er sprang auf und ging weit den Waldweg
-entlang, kam ganz langsam zurück. Die tote Mutter, die Braut,
-sein ganzes bisheriges Leben mit allem Großen und Kleinlichen
-waren in diesen Augenblicken vergessen, da Juro den Waldweg
-auf und ab wandelte.</p>
-
-<p>Endlich blieb er vor Elisabeth stehen.</p>
-
-<p>»Ich will dir einiges sagen,« sprach er mit einer Stimme,
-die hart klang; »ich war nahe daran, ein Schwächling und
-Feigling zu sein. Drüben bei uns im Wendenland, da ist vieles
-nicht so, wie es ein feiner, zarter Träumer sich wünscht. Da ist
-leibliche und körperliche Not. Da ist Dummheit und Aberglaube
-und neben der Knechtseligkeit die heimliche Großmannssucht.
-Da sind alte Weiber die Ärzte, unter deren Plunderformeln die
-Kranken elend verscheiden. Betrunkene Bauern machen die
-Politik. Der alte Webstuhl ist unsere glänzendste Maschine, und
-die Leute, die mit langen Ruderstangen im Schlamm der seichten
-Gewässer wühlen, daß die Blasen aufsteigen, die halten sich
-für Schiffer. Mit ihrer Sprache finden sich die Leute knapp zum
-nächsten Wochenmarkt, wo sie der dämlichste deutsche Händler
-übers Ohr haut. Bücher haben sie nicht, es seien denn jämmerliche
-Übersetzungen. Und die sind noch in fünffacher Orthographie.
-Da gibt es eine oberwendische, eine niederwendische,
-eine tschechische, eine evangelische, eine katholische Rechtschreibung.
-Falsch sind sie alle. Es gab eine Zeit, wo es als ein
-ehrendes Zeugnis galt, wenn einem jungen Handwerker bescheinigt
-werden konnte: er ist kein Wende. Es gab eine Zeit,
-wo jeder Wende geschlagen werden durfte. Es ist heute noch
-nicht viel besser. Immer in die Heide gedrückt bleibt der Wende,
-immer auf der mageren Scholle sitzt er. Und wenn er einen
-Schweinestall bewohnt, nennt er ihn schon stolz sein Haus. Die
-Armut ist der scheußlichste Bundesgenosse dieses Volkes.
-Unsere jungen Mütter nähren die Kinder der Reichen in Berlin
-oder Breslau, und derweil stirbt das eigene Kind zu Haus aus
-Hunger oder unter dem Beistand abergläubischer Quacksalberinnen.
-Wäre ein guter Arzt sofort zur Stelle gewesen, meine<span class="pagenum"><a id="Seite_63">[63]</a></span>
-Mutter lebte noch! So ist sie gemordet worden durch die gutmütige
-Unvernunft, die bei uns Volksreligion ist. Nicht wahr,
-und einem solchen Volk den Rücken zu kehren, das ist leicht?
-Da putzt man sich die Kleider ab, räuspert sich, bürstet sich den
-Bart und geht achselzuckend davon. Und ist ein feiner Mann!«</p>
-
-<p>Juro lachte höhnisch über sich selbst.</p>
-
-<p>»Oh, siehst du, so ein Held war ich! Ich ließ den Widerwillen
-über mich kommen. Und weißt du, was Widerwille ist? Widerwille
-ist Feigheit der Schwäche gegenüber. Also die elendeste
-Feigheit. Das weiß ich jetzt. Aber ich war ein Feigling. Ich
-wollte Reißaus nehmen; ich wollte mir ein nettes deutsches
-Mädel nehmen und in ein recht elegantes Quartier in der
-Hauptstadt ziehen und als Arzt unter tausend anderen Ärzten
-von reichen Leuten Geld verdienen. Mich mein Leben lang nicht
-mehr um die Wenden kümmern! Das wollte ich! Das war eine
-Schurkerei! Und die ist mir erst aufgedämmert, als meine
-Mutter starb, und ist mir jetzt völlig klar geworden, da ich dir
-diese Kralssage erzählte.«</p>
-
-<p>Er hielt inne und setzte sich auf die Bank. Aber er sprang
-bald wieder auf.</p>
-
-<p>»An meinen Bruder wollte ich das väterliche Gut preisgeben.
-An Samo! An ihn, der wie ein polnischer Schlachziz auf
-dem Gute hausen würde, ein gnädiger Herr, der sich von ungewaschenen
-Mäulern die Hand lecken ließe, der das Volk sorgsam
-in seinem Aberglauben lassen und sich das obendrein als
-eine nationale Tat anrechnen würde. Oh, das ist der verfluchte
-Standpunkt, der die slawischen Völker so tief gehalten hat, daß
-alle die, die ihm die Fenster der niederen Hütten vernagelten &ndash;
-die Intelligenten im Lande: Adel, Geistliche, Advokaten,
-Juden &ndash;, daß die sich als die Führer des Volkes mästeten und
-sich &ndash; das will ich ja zugeben &ndash; auch dazu berufen fühlten.
-Keiner kam, der das Volk ans Licht führte, keiner, der den
-Leuten die frohe Kunde brachte: Ihr, ihr das Volk, seid die
-Hauptsache, ihr sollt reich, stark, gesund, klug sein, ihr sollt euch
-wohlfühlen, und die Regierenden sollen sich abrackern, wie sie
-das zustande bringen! Es ziemt sich nicht, daß der eine Mensch<span class="pagenum"><a id="Seite_64">[64]</a></span>
-wohne wie ein Gott und der andere wie ein Tier, und überall,
-wo das der Fall ist, herrscht ein verbrecherischer Götzendienst,
-auch wenn er tausendmal sanktioniert ist. Und wehe am Ende,
-wehe vor Gott und allen guten Menschen den gemästeten
-Götzen! Arme Slawen!«</p>
-
-<p>Elisabeth weinte nicht mehr, sie hörte Juro zu, wie er so
-erregt sprach, sah mit Bewunderung, wie plötzlich eine Mission
-über ihn gekommen schien, wie wieder einmal aus dem Brunnen
-der Tradition ein Wundertrank geschöpft worden war, der den
-Blinden sehend, den Träumer zum Helden machte.</p>
-
-<p>Aber eine tiefe Trauer war in dem Mädchen.</p>
-
-<p>»Alle deine Vorwürfe richten sich gegen die Deutschen?«
-fragte sie langsam.</p>
-
-<p>Da besann er sich auf sie, wachte auf wie aus einem Traum.</p>
-
-<p>»Mein deutsches Mädel!« sagte er, »wie kannst du so
-sprechen? Weißt du nicht, daß ich die Deutschen lieb habe? Nicht
-deinethalben! Ich hatte sie von Jugend auf gern. Ich liebte ihre
-Stärke, ihre Gründlichkeit und verlässige Pflichttreue, ihren
-starken, wunderbaren Fleiß. Ich vergöttere ihre Kunst und finde
-auch einiges Hübsche in ihrer Geschichte. Ich wohne in Preußen,
-ich habe alles, was ich körperlich und geistig besitze, von Preußen.
-Also bin ich ein Preuße! Nicht, daß ich die Fehler dieses
-Volkes nicht sähe, daß mich sein plumpes Spartanertum nicht
-oft ärgerte; aber es ist besser, menschlich besser bei ihnen als
-bei den Slawen, aus deren Blut ich bin. Besser als bei den
-Russen, die in jahrtausendelanger Totenstarre liegen, besser als
-bei den Polen, die mit all ihren herrlichen Gaben zu lange vor
-den selbstgeschaffenen Götzenbildern lagen; besser als bei den
-Slowaken, Slowenen, Kroaten und Serben, die trüb und müd
-in ihrer Armut dahinleben und nur manchmal kraftlos mit der
-Bettlerhand drohen; besser endlich als bei den Tschechen, die es
-trotz ihres reichen Landes, trotz der günstigsten Entwicklungsmöglichkeiten
-auf keinem Gebiet über die Mittelmäßigkeit hinausgebracht
-haben. An alle diese soll mein Wendenvolk keinen
-Anschluß suchen und sucht auch keinen trotz der Anstrengungen,
-die von Moskau, Warschau und Prag her gemacht werden,<span class="pagenum"><a id="Seite_65">[65]</a></span>
-trotz der Bemühungen einiger faselnder Panslawisten unter
-uns.«</p>
-
-<p>Juro hatte hastig, erregt, die Worte oft überstürzend, gesprochen.
-Er war einer, der viel dachte, aber auch viel redete,
-der gern Ideen, Absichten, Probleme entwickelte: er war bereits
-ein Deutscher. Das Mädchen war klug und ernst. Es war wohl
-fähig, solchen Worten zu folgen, aber ihr Herz war jetzt weit
-von den Schicksalen slawischer Stämme, es war nur bei dem
-einen, der sprach, und bei ihrem eigenen Schicksal.</p>
-
-<p>»Juro, du wirst der Kral der Wenden werden«, sprach sie.</p>
-
-<p>Es klang wie ein Schluchzen, das aus gequälter Seele kam.</p>
-
-<p>Juro war zu versonnen, als daß er den Jammer der Geliebten
-bemerkt hätte.</p>
-
-<p>»Ja, der Kral!« rief er. »Es ist nur eine imaginäre Würde;
-ich glaube nicht an sie; aber die Wenden sprechen sie mir in aller
-Heimlichkeit zu. Tausende hängen mit stumpfem Gewohnheitssinn
-daran, einige mit kühnen Hoffnungen; alle wünschen die
-Erhaltung dieser uralten Tradition. Alle, bis auf mich! Ich
-halte solche Traditionen viel eher für ein Hemmnis als für eine
-gesunde Wurzel. Und deshalb wollte ich meiner Wege gehen.
-Wollte Samo neidlos und kampflos den Platz überlassen. Bis
-die Mutter starb, bis ich dir, Elisabeth, die alte Volkssage erzählte
-und es mich plötzlich überkam, ich müsse wirklich der
-Kral werden, der Einfluß hat auf das Volk und der seine Aufgabe
-darin erblickt, dem Volk aus Armut und Aberglauben aufzuhelfen,
-das Wendenvolk vollends zu Deutschen zu machen.«</p>
-
-<p>Das Mädchen faßte ihn am Arm.</p>
-
-<p>»Erschrick nicht, Elisabeth! Es ist kein Verrat! Es ist die
-einzig vernünftige Tat, die geschehen kann. Was ist klüger: eine
-alte Kaluppe, die jeden Augenblick vom Wind über den Haufen
-geworfen werden kann, immer neu zu stützen, die klaffenden
-Löcher mit Lehm zu verschmieren, die zerschlagenen Fensterscheiben
-mit Papierfetzen zu verkleben &ndash; oder die ganze Bude
-kurzweg niederzureißen und ein festes, gesundes Haus an seine
-Stelle zu setzen? Die Antwort kann nicht zweifelhaft sein, nicht
-wahr? Die Wenden üben alle Staatsbürgerpflichten auf das<span class="pagenum"><a id="Seite_66">[66]</a></span>
-gewissenhafteste, haben aber nicht vollen Genuß staatsbürgerlicher
-Vorteile. Das ist, weil ihnen ihre Tradition anhängt.
-Ihre schmucke Volkstracht ist in den Augen der Welt doch weiter
-nichts als das Proletenkleid zurückgebliebener Leute; ihre isolierte
-Sprache macht sie unfähig zu vielem, macht sie befangen,
-furchtsam; der alte Aberglaube hält ihre Stirnen umwölkt.
-Fort mit all diesem Plunder! Heraus aus dem Sandwald ins
-grüne Land! Heran an den großen deutschen Tisch! Gleiche
-Rechte! Gleiches Gepräge!«</p>
-
-<p>Mit den flammenden Prophetenaugen begeisterter Jugend
-stand er vor ihr. Und sie war auch jung, und ihr Herz erglühte
-im Glauben an ihn und an seine Sache.</p>
-
-<p>»Du bist edel, Juro! Du bist klug! Du hast recht!«</p>
-
-<p>Da faßte er sie fest an den Händen.</p>
-
-<p>»Elisabeth, wirst du es mit mir wagen, was ich vorhabe?
-Wirst du die Frau des letzten Wendenkrals sein, der sein Volk
-zur wahren Freiheit führen will?«</p>
-
-<p>»Ja, Juro! Als ich erkannte, wer du eigentlich bist, erschrak
-ich und glaubte, ich könne nicht deine Frau werden. Ich glaubte,
-wenn du der König der Wenden bist, müßtest du auch eine
-Wendin heiraten. Aber so, wie du es vorhast, ist es doch anders.
-Wenn du die Wenden zu Deutschen machen willst, sollst du
-selbst eine deutsche Frau haben! Und die will ich von Herzen
-gern sein!«</p>
-
-<p>Sie küßten sich auch jetzt nicht.</p>
-
-<p>Aber sie ging weit mit ihm über die Felder, als er heimkehrte,
-und hielt ihn fest an der Hand.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Als Juro allein war, brannten ihm die Wangen. Und in
-seiner Lebhaftigkeit sprach er mit sich selbst von seinen Aufgaben,
-seinen Zielen, die ihm klar vor der Seele standen. Er
-blieb oft stehen, und seine Arme fuhren durch die Luft, als er so
-mit sich selbst sprach.</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Pomogaj Bog wam!</em>«</p>
-
-<p>Er erschrak und sah eine alte Frau vor sich stehen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_67">[67]</a></span></p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Bog žekujscho</em>«, antwortete er.</p>
-
-<p>»Gott helfe Euch!« hatte sie gegrüßt. »Gott vergelte es!«
-hatte er wendisch geantwortet. Er besann sich kurz und redete die
-Alte in deutscher Sprache an.</p>
-
-<p>»Nun, Mütterchen, habt Ihr Pilze gesucht? Es <span id="corr067a">gibt</span> heuer
-recht viele, weil das Wetter naß ist.«</p>
-
-<p>Sie machte eine <span id="corr067b">Gebärde</span> mit der Hand, die bedeuten sollte,
-daß sie nicht Deutsch verstehe. Dann kicherte sie und sagte
-wendisch:</p>
-
-<p>»Der Sohn des Kral spricht deutsch mit mir!«</p>
-
-<p>Es erschien ihr wie ein Scherz, den Juro mit ihr trieb. Er
-sah, daß sie eine alte Frau sei und also wohl wirklich kein deutsches
-Wort verstehe. Sie verfiel augenblicklich in einen weinerlichen
-Ton, klagte, daß nun die gute Frau gestorben sei, bei der
-sie hätte sich alle Tage ein Töpflein Milch holen können. Juro
-sagte ihr, er wolle anordnen, daß sie die Milch auch fernerhin
-bekäme.</p>
-
-<p>Da haschte sie nach seiner Hand, um sie zu küssen. Er aber
-entzog ihr die Hand heftig und sagte in wendischer Sprache:</p>
-
-<p>»Mütterchen, habt Ihr ein Kreuz zu Haus, woran dem
-Herrn Jesus die Hände genagelt sind?«</p>
-
-<p>Sie nickte.</p>
-
-<p>»Die Hände dürft Ihr küssen, wenn Ihr an die wirklichen
-Hände des Herrn Jesus denkt. Aber nicht meine. Ich bin kein
-Gott!«</p>
-
-<p>»Auch nicht dem Herrn Pastor? Oder dem gnädigen Herrn?«</p>
-
-<p>»Auch diesen nicht! Ihr sollt es durchaus nicht tun!«</p>
-
-<p>»Aber Eurem Herrn Bruder Samo habe ich vor einer
-Stunde beide Hände geküßt, weil er mir zwei Dreier geschenkt
-hat.«</p>
-
-<p>»Ihr sollt es nie wieder tun, weder ihm noch einem andern
-Menschen.«</p>
-
-<p>Er schenkte ihr eine Silbermünze. Da schnappte sie doch
-wieder nach seiner Hand.</p>
-
-<p>»Ihr sollt es nicht!« rief er erzürnt. »Hunde lecken die
-Hände, nicht Menschen!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_68">[68]</a></span></p>
-
-<p>Da erschrak sie, steckte die Silbermünze ein und sagte wieder:
-»<em class="antiqua">Pomogaj Bog wam!</em>« Dann huschte sie über eine schmale
-Wasserrinne in den Wald. Aber Juro hörte noch, daß sie bei
-sich brummte:</p>
-
-<p>»Er tut, als ob ich ein giftiges Maul hätte!«&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Nach drei Tagen ging in den Dörfern das Gerücht, Juro
-habe die alte Domasch einen Hund genannt und halte sich arme
-Leute stolz vom Leibe.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Langsam ging Juro nach seiner Begegnung mit der alten
-Frau seines Weges. Es war, als ob er sich fürchte, heimzukommen
-zur Mutter. Was war sie für eine eifrige, gläubige
-Wendin gewesen! &ndash; Aber seine Seele straffte sich wieder und
-schüttelte den Kleinmut von sich.</p>
-
-<p>Da sah er auf einem schmalen Raine, der zwischen den
-Feldern seines Vaters hinlief, Hanka, das fremde Mädchen.
-Die schritt rüstig aus, hatte die Schürze hochgebunden, hielt in
-der linken Hand einen Topf und machte mit der rechten die
-Bewegung des Säens. Juro wußte, was sie tat. In dem Topf
-war das Wasser gewesen, mit dem sie die tote Mutter gewaschen
-hatten. Nun hatten sie dem Topf den Boden ausgeschlagen,
-und das Mädchen säte durch den Topf Hirsesamen auf die
-Felder. Da würde im nächsten Jahr kein Vogel ein Körnlein
-von diesen Feldern picken. Ein Widerwille erfaßte den jungen
-Mann. Er wartete, bis Hanka näherkam, und rief sie an. Sie
-erschrak, als sie Juro sah, kam aber zu ihm.</p>
-
-<p>»Was tust du da?« fragte er in deutscher Sprache.</p>
-
-<p>»Ich säe den Totensamen! Es ist besser, wenn es ein Mädchen
-tut, als wenn es ein Mann tut!«</p>
-
-<p>Sie hatte wendisch geantwortet.</p>
-
-<p>»Sprichst du nicht Deutsch, Hanka?«</p>
-
-<p>Sie sah ihn verwundert an.</p>
-
-<p>»Warum sollte ich das wohl tun? Ich bin doch eine
-Wendin!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_69">[69]</a></span></p>
-
-<p>»Ja, Hanka! Wir werden noch später darüber sprechen. Ich
-hoffe, wir werden uns verständigen, denn du bist ja ein kluges
-Mädchen. Sag mir, warum säst du den Totensamen? Glaubst
-du daran?«</p>
-
-<p>»Glaubst du denn <em class="gesperrt">nicht</em> daran?« gab sie verwundert zurück.</p>
-
-<p>»Ich bitte dich, gib mir den Topf!«</p>
-
-<p>Sie reichte ihm den Topf, und Juro warf ihn auf einen
-nahen Steinhaufen, daß er zerbrach.</p>
-
-<p>»Was tust du? Ich bin noch lange nicht fertig mit allen
-Feldern!« rief sie erschrocken.</p>
-
-<p>»Laß die Felder und laß die Vögel! Siehst du den Schwarm
-Sperlinge? Sie werden die Hirse fressen, die du gesät hast.«</p>
-
-<p>»Ja, sie kosten davon und kommen dann nie wieder!«</p>
-
-<p>»Sie kommen wieder, Hanka, davon wirst du dich selbst
-bald überzeugen können. Und warum sollten wir sie vertreiben?
-Der Mensch soll nicht geizig sein gegen die kleinen Kostgänger
-des Herrgotts!«</p>
-
-<p>»Ich bin nicht geizig!« sagte sie trotzig, »es sind nicht meine
-Felder!«</p>
-
-<p>»Ich will dich auch nicht kränken, Hanka!« sagte er milder.
-»Aber &ndash; nicht wahr, der Nutzen könnte doch nur klein sein,
-und wir wollen keinen Nutzen ziehen aus dem Tode eines
-Menschen!«</p>
-
-<p>»Der Nutzen ist nicht für mich; er ist für euch!«</p>
-
-<p>Sie bückte sich über den Steinhaufen und nahm einen
-größeren Scherben auf.</p>
-
-<p>»Was willst du damit, Hanka?«</p>
-
-<p>»Aus dem Scherben weitersäen!«</p>
-
-<p>»Das wirst du nicht tun! Ich will es nicht! Es ist schmählich!
-Ich verbiete es dir!«</p>
-
-<p>Er stampfte mit dem Fuß auf. Sie sah ihn mit ihren stahlblauen
-Augen hart an.</p>
-
-<p>»Du bist grob!« sagte sie und wandte sich ab.</p>
-
-<p>»Hanka!« rief er zornig, »du wirst das Säen sein lassen!
-Begreifst du denn nicht, was du damit ausdrückst? Daß das<span class="pagenum"><a id="Seite_70">[70]</a></span>
-Wasser, mit dem meine Mutter gewaschen wurde, kleinen unschuldigen
-Tieren &ndash; einen &ndash; einen Ekel einflößen soll? Ich
-verbiete es dir!«</p>
-
-<p>»Du hast mir nichts zu verbieten! Jemand anders hat mir
-befohlen, den Samen zu säen!«</p>
-
-<p>»Wer? &ndash; Wer ist so töricht? &ndash; Ich will ihn zur Rechenschaft
-ziehen&nbsp;…«</p>
-
-<p>Bei dieser Frage erbleichte sie und rannte, so schnell sie
-konnte, den Feldrain entlang.</p>
-
-<p>Zornig schritt Juro weiter, dem väterlichen Gehöft zu. Er
-begegnete seinem Bruder Samo. Der wartete ab, bis ihn der
-Bruder grüßte, und gab eine mürrische Antwort.</p>
-
-<p>»Samo, siehst du das Mädchen dort drüben &ndash; die Hanka?
-Sie sät aus dem Topf, aus dem die Mutter gewaschen worden
-ist, ›Totensamen‹ auf die Felder! Wer hat ihr diesen greulichen
-Unsinn befohlen? Ich will ihn zur Rechenschaft ziehen! Wer
-hat es angeordnet?«</p>
-
-<p>»Die Mutter selbst!« antwortete Samo kurz und hart.</p>
-
-<p>Juro wich einen Schritt zurück. Samo betrachtete ihn mit
-einem schadenfrohen Zucken im Blick.</p>
-
-<p>»Juro, du würdest besser tun, dich nicht in diese Dinge zu
-mischen, die Leute bei ihren alten Gebräuchen zu lassen. Sie
-ehren unsere Toten weit besser als zum Beispiel dein deutscher
-Freund heute mit seinem albernen studentischen Geschwätz!«</p>
-
-<p>Er ließ den Bruder stehen. Wie ein Geschlagener ging Juro
-den Weg entlang. Ein Schwarm Schwalben flog hoch in der
-Luft immer im Kreis herum. Die Vögel dachten ans Abschiednehmen.</p>
-
-<p>Im Großgarten lehnte der Vater regungslos an einem
-Apfelbaum und starrte in die sinkende Abendsonne.</p>
-
-<p>Das Glöcklein vom Kirchturm begann zu läuten.</p>
-
-<p>Dort in der Stube mit dem verhangenen Fenster schlief die
-Mutter den letzten Abend auf dieser Erde.</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Pusty wjecor</em>«, sagen die Wenden.</p>
-
-<p>»Der öde Abend!«</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_71">[71]</a></span></p>
-
-<p class="ph2">Der letzte Trauergast war an den schwarzen, weißgeränderten
-Sarg getreten, in dem die tote Frau in ihrer Brauttracht
-lag, hatte sein stilles Vaterunser gebetet, den Anverwandten
-sein Beileid ausgesprochen und war dann nach der
-großen Gesindestube gegangen, wo Kaffee und Kuchen, Käse
-und Branntwein zu haben waren.</p>
-
-<p>Endlich war es Zeit zum Aufbruch. Vater und Söhne
-nahmen bewegten Abschied, und die Tote wurde im offenen
-Sarg aus der Stube getragen, mit den Füßen voran, damit sie
-nicht »zurückschauen könne«. Der Spiegel wurde enthüllt, das
-Fenster geöffnet, die Stühle, auf denen der Sarg gestanden
-hatte, wurden umgestürzt.</p>
-
-<p>An der Haustür wurde der offene Sarg hingestellt. Die tote
-Bäuerin, deren Augen halboffen waren, blinzelte noch einmal
-in ihren Hof hinein. Es war alles sauber und ordentlich. Die
-zwei Mägde, die das Vieh im Augenblick des Abschieds füttern
-mußten, rannten so eilig mit ihrem Heu, als fürchteten sie
-immer noch einen Tadel der Frau. Ein paar junge Mädchen
-rückten an ihrer Plachta<a id="FNAnker_6_6"></a><a href="#Fussnote_6_6" class="fnanchor">[6]</a>, ob sie auch ordentlich säße; einige alte
-Leute nickten der Toten zu: »Du kannst stolz sein, daß du ein
-so großes Grabgeleite hast!«</p>
-
-<p>Unter der weißgekleideten Trauergesellschaft standen zwei
-in schwarzen Gewändern: Elisabeth und ihr Bruder Heinrich.
-Samo, der einmal die Augen aufhob und die beiden Deutschen
-sah, dachte bei sich: Sie sind wie schwarze Flecken auf weißen
-Kleidern.</p>
-
-<p>Die Herbstsonne schien auf den bevölkerten und doch so
-stillen Hof. Da trat der alte Scholta an den Sarg heran, nahm
-den Hut ab und sprach laut:</p>
-
-<p>»Vater, in deine Hände befehle ich meine Frau!«</p>
-
-<p>Dann wurde der Sarg geschlossen und nach dem hochgelegenen
-Friedhof getragen, wo ein Glöcklein mit blechernem
-Klang läutete.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Alle einfachen Menschen haben das Bedürfnis, zu lärmen,<span class="pagenum"><a id="Seite_72">[72]</a></span>
-wenn sie einmal eine Zeitlang haben still sein müssen. Nach dem
-Begräbnis wurde die Dorfstraße überaus lebhaft.</p>
-
-<p>Die Mägde sprachen von dem »prachtvollen Leichenputz«,
-den die Tote getragen, von den blütenweißen Brusttüchern und
-der breiten gestickten Seidenschärpe, vor allem aber davon, daß
-sie in der linken Hand statt des üblichen Sträußchens eine
-Zitrone gehabt habe.</p>
-
-<p>»Nun, sie war eine Reiche!«</p>
-
-<p>»Und was für eine! Sie ist sogar im Bette gestorben!«</p>
-
-<p>»Arme Leute könnten das nicht!«</p>
-
-<p>»Dürften es auch nicht. Es wäre gegen die Schicklichkeit.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Die Burschen waren noch lebhafter. Sie behandelten insbesondere
-eine Standesfrage.</p>
-
-<p>Zu den Leichenträgern gehörten auch ein Halbbauer und ein
-Häusler; sogar der Schäfer. Der Großbauer Klin hat nicht mit
-»Träger« sein mögen deshalb. Sie haben müssen herumschicken.
-Da ist der Gregorek für den Klin eingesprungen.</p>
-
-<p>»Der Klin hat ganz recht. Bauersleute sollen nur von
-Bauern getragen werden. Anderen Leuten kommt das nicht zu«,
-sagte ein junger Bauernsohn stolz.</p>
-
-<p>»Du schmutziger Bengel, du bist der richtige!« fuhr ein
-anderer dazwischen. »Der Tod macht alles gleich. Und dem
-Toten ist es ganz gleich, wer ihn trägt.«</p>
-
-<p>Der Bauernsohn geriet in Hitze.</p>
-
-<p>»Wenn ich nicht meinen guten Anzug anhätte,« sagte er,
-»würde ich dir eine ›Pflaume‹<a id="FNAnker_7_7"></a><a href="#Fussnote_7_7" class="fnanchor">[7]</a> geben, an der du zu kauen
-hättest &ndash; du &ndash; du Demokrat du!«</p>
-
-<p>»Warte nur den Abend ab«, entgegnete der andere. »Die
-Pflaume kommt zurecht. Sie wird desto blauer und saftiger
-werden &ndash; für dich.«</p>
-
-<p>»Pst!« machte ein dritter. »Sie war die Frau des Kral. Da
-ist es etwas anderes. Da haben alle Anteil am Begräbnis. Der
-Branntwein war gut. Es wird ein Leichenschmaus, wie ihr noch
-keinen erlebt habt.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_73">[73]</a></span></p>
-
-<p>Darauf sprachen sie von Mädeln und von Manövern.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Zwei alte Weiber humpelten zusammen.</p>
-
-<p>»Mein Gott«, sagte die alte Wičaz, die Mutter des Knechtes
-Lobo, »man kommt im Leben zu nichts. Ich hab' doch so viel
-Wanzen in meinem Bett, und da hab' ich ein paar gefangen
-und in eine Federspule gesperrt und die Spule an beiden Enden
-mit Wachs verklebt. Ich wollte sie in den Sarg stecken, daß ich
-alle Plagegeister los würde. Aber ich habe ja nicht allein an den
-Sarg kommen können. Es waren ja immer Leute da. Nun ist
-gar das Wachs von der Spule in meiner Tasche abgegangen,
-und die Viecher sitzen mir im Kirchenkleide. Ein armer Mensch
-hat kein Glück.«</p>
-
-<p>»Wart, bis der alte Kito stirbt«, tröstete die andere. »Der
-macht's nicht mehr lange. Und bei dem sind nicht viel Leute.
-Der nimmt die Wanzen mit.«</p>
-
-<p>»Hast du nicht deine Wanzen dem Merten mitgegeben?«</p>
-
-<p>»Ja, aber sie haben nicht mit ihm gehen mögen, weil der sich
-doch gehangen hat und in die Hölle gekommen ist. Sie sind
-wiedergekommen.«</p>
-
-<p>»Also warten wir, bis der alte Kito stirbt. Auf den hat man
-sich immer verlassen können!«&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Juro ging mit den beiden Deutschen vom Kirchhof zurück.
-Sie redeten nicht viel. Es war nur, daß die Gäste nicht allein
-blieben. Am Kretscham stand Heinrichs Fuhre. Dort nahmen sie
-bald Abschied. Elisabeth sagte leise zu Juro:</p>
-
-<p>»Es tat mir weh, daß ich am Grabe deiner Mutter allein so
-fremd war. Die Leute sahen mich an, als ob ich nicht dahin
-gehöre, und ich gehörte doch gewiß dahin.«</p>
-
-<p>»Ich danke dir, daß du gekommen bist, Elisabeth. Es wird
-eine schwere Sache, die wir übernehmen wollen, weil wir nicht
-zu den Leuten hingehen, weil wir sie zu uns herüberziehen
-müssen. Aber wir wollen mutige Kameraden sein.«</p>
-
-<p>Sie reichten sich die Hände und schieden.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Samo ging mit Hanka. Sie sprachen eine Weile nicht, dann
-hob Samo den Kopf, wies nach vorn und sagte:</p>
-
-<p>»Da gehen die Deutschen. Sie sind aufdringlich. Wie alle<span class="pagenum"><a id="Seite_74">[74]</a></span>
-Deutschen! Gestern das studentische Gefasele dem Vater gegenüber
-war direkt ekelhaft. Sie sind hinter Juro her.«</p>
-
-<p>»Wie meinst du das?« fragte das Mädchen arglos wie ein
-Kind.</p>
-
-<p>»Es ist nicht schwer zu raten. Sie wollen ihn für das deutsche
-Mädchen.«</p>
-
-<p>»Für diese da? &ndash; Als Mann? Als Ehemann?«</p>
-
-<p>»Ja natürlich!«</p>
-
-<p>Hanka schüttelte den Kopf und sagte ruhig:</p>
-
-<p>»Das darf er nicht. Eure Mutter hat es mit meinen Eltern
-ausgemacht, daß Juro mich heiratet. Das muß er nun doch
-tun!«</p>
-
-<p>»Nimmst du ihn gern?«</p>
-
-<p>»Ich weiß es nicht. Er spricht nicht mit mir. Gestern hat er
-mich ausgeschimpft und mir den Leichentopf zerschlagen.
-Eigentlich fürchte ich mich vor ihm. Aber er ist ein <span id="corr074">hübscher</span>
-Mann.«</p>
-
-<p>»Ja! Und er ist ein Glückspilz!« knirschte Samo zwischen
-den Zähnen.</p>
-
-<p>Hanka senkte traurig den Kopf.</p>
-
-<p>»Ich möchte am liebsten wieder heim. Es ist so schön zu
-Hause. In der Spinnstube war ich schon die Kantorka<a id="FNAnker_8_8"></a><a href="#Fussnote_8_8" class="fnanchor">[8]</a>, und
-ich bin doch erst achtzehn Jahr.«</p>
-
-<p>Samo blieb vor ihr stehen und sah sie an. Und die Trauer
-wich auf ein paar Sekunden aus seiner Seele, und er sah, daß
-Hanka schön und lieblich sei.</p>
-
-<p>»Man sollte dich auf Händen tragen, Hanka!«</p>
-
-<p>»Sie sind alle gut zu mir. Nur Juro ist streng. Er schalt
-mich gestern, daß ich wendisch sprach.«</p>
-
-<p>Da kollerte ein leises, grimmes Lachen über Samos Lippen.</p>
-
-<p>»Der zukünftige Kral!« sagte er verächtlich. »Nun, ich bin
-da und will aufpassen. Gehen wir durch die Seitengasse, Hanka.
-Ich will nicht am Kretscham vorbei. Ich mag diese Deutschen
-nicht grüßen.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_75">[75]</a></span></p>
-
-<p>»Aber ich will das Mädchen sehen«, sagte Hanka. »Sie ist
-ein Fräulein, man sieht es gleich.«</p>
-
-<p>Samo ging allein durch die Seitengasse.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Der Kral schritt hochaufgerichtet seines Weges. Sein Gesicht
-war ebenmäßig feierlich. An diesem schweren Tage seines
-Lebens brach eine rote Sonne durch graue Nebel des Schmerzes,
-zeigte sich seine Königswürde.</p>
-
-<p>Bis von Muskau her im Nordosten waren Trauergäste gekommen,
-viele aus dem Spreewald von Burg, Leipe und Lehde,
-auch von den Städten Lübbenau und Kottbus. Dann welche
-aus Wittichenau und den Dörfern um Hoyerswerda, endlich
-viele aus dem Sächsischen, und sogar der berühmte und gelehrte
-Herr Buchdrucker Schmaler aus Bautzen hatte den weiten Weg
-nicht gescheut. Er ging jetzt neben dem Kral, und seine Brille
-funkelte, und sein Slawenherz freute sich dieser einmütigen
-Kundgebung des Wendenvolkes. Er sprach vom reinen Slawentum,
-und daß es wohl vereinbar sei mit der preußischen Königstreue.</p>
-
-<p>Alle aber, die von weither gekommen waren, drängten sich
-an den Kral heran, wollten genau sehen, wie er ausschaue, und
-daheim Kunde geben vom König, dessen Bild auf keiner Münze
-und in keinem Buche stand. Eine Röte stieg dem Kral in die
-Wangen und verdrängte die bleiche Trauer. Und Dankbarkeit
-war in seinem Herzen für die Frau, die jetzt eingescharrt wurde.
-Zweimal in seinem Leben hatte er durch sie sein Königtum deutlich
-gefühlt, am Hochzeitstag, da er sie bekam, und heute am
-Begräbnistag, da er sie verlor. Beide Male hatte das Wendenvolk
-seine Vertreter zum Kral geschickt aus allen Dörfern und
-Städten.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p class="ph2">»Gebt uns die Ehre!« hatte der Kral zu allen gesagt, die ihn
-begrüßten. Der König lud sein Volk zum Mahle. Im
-Großgarten waren lange Tafeln aufgeschlagen; in allen
-Stuben, selbst in der Scheune waren Tische und Stühle. Das<span class="pagenum"><a id="Seite_76">[76]</a></span>
-war kein gewöhnlicher <em class="antiqua">zakopowane</em><a id="FNAnker_9_9"></a><a href="#Fussnote_9_9" class="fnanchor">[9]</a> mit gelber Suppe und
-etwas Branntwein und Butterbrot, das war ein großes Mahl
-mit gekochtem und gebratenem Fleisch. Es gab Bier, Branntwein
-und Tabak für die Männer und Kaffee mit Kuchen und
-Schokolade für die Frauen. Selbst Zuckererbsen für die Kinder
-gab es wie bei einer Hochzeit. Der Kral ging ein paarmal durch
-die Reihen der Schmausenden, hörte viel Gerede an und sprach
-selbst selten ein Wort.</p>
-
-<p>Samo setzte sich der Reihe nach zu allen Leuten aus fremden
-Ortschaften, war freundlich und vertraulich mit ihnen.</p>
-
-<p>Hanka herrschte über die Küche und die Speisenträger. Die
-Burschen sahen sie mit Entzücken, die Mädchen mit Neid. »Ob
-sie heut abend im Kretscham mittanzen wird? Denn getanzt
-muß werden bei einem so großen Begräbnis.«</p>
-
-<p>»Jawohl! Aber das Mädchen ist zu nahe verwandt, sie wird
-nicht tanzen. Sie wird Juros Frau werden. Deswegen ist
-sie hier.«</p>
-
-<p>»Wo ist Juro?«</p>
-
-<p>»Der ist nicht zu sehen. Sein Bruder macht sich viel gemeiner«<a id="FNAnker_10_10"></a><a href="#Fussnote_10_10" class="fnanchor">[10]</a>.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Juro ging einsam durch die Felder. Der Totenschmaus war
-ihm zuwider. Kaum, daß das Totengeläut verhallt ist, geht das
-Klingen der Gläser an. Barbarisch ist das, abscheulich! Es
-ekelte ihn.</p>
-
-<p>Er ging weiter den Feldrain entlang und hing in Gedanken
-der Mutter nach, dachte an lichte Kindertage, da ihre Liebe sein
-junges Leben vergoldet hatte.</p>
-
-<p>Schließlich mußte er doch umkehren.</p>
-
-<p>Da sah er ein bewegliches Männlein den Weg entlangkommen.
-Juro kannte den Mann sehr gut. Schmaler, der Buchdrucker
-<span id="corr076">aus</span> Bautzen, war er. Juro wußte seine ganze Geschichte.
-Wie er mit einem Stipendium des preußischen Königs studiert,
-wie er dann seine ganze Lebensarbeit der Erhaltung des wendischen<span class="pagenum"><a id="Seite_77">[77]</a></span>
-Slawentums gewidmet hatte. Ein Mann, der seine
-kleine Buchhandlung hatte, der ein wendisches Blättchen herausgab,
-selbst redigierte, die meisten Artikel selbst schrieb, das
-Blatt selbst druckte und versandte. Ein seltsamer Mann. Wenige
-seiner großen buchhändlerischen Kollegen waren so weit bekannt
-wie dieser Zeitungs- und Bücherkrämer. In Moskau
-kannte man ihn, aus Prag wallfahrteten tschechische Politiker,
-Schriftsteller, Studenten zu ihm. Er trug auch heut am Begräbnistag
-an seinem schwarzen Rock den russischen St. Annenorden
-zweiter Klasse. Er war der Mann, auf den die Panslawisten
-aller Völker für das »Slawentum an der Sprewja«<a id="FNAnker_11_11"></a><a href="#Fussnote_11_11" class="fnanchor">[11]</a>
-ihre Hoffnungen setzten.</p>
-
-<p>Inzwischen trafen sich die beiden Männer, Schmaler, der
-wirkliche, geistige Kral der Wenden, und Juro, der nominelle
-Erbe des wendischen Königtums.</p>
-
-<p>»Sie werden sehr vermißt!« sagte Schmaler in wendischer
-Sprache.</p>
-
-<p>»Ich kann diese Totenschmausereien nicht ertragen«, antwortete
-Juro deutsch.</p>
-
-<p>Schmaler sah überrascht auf ihn.</p>
-
-<p>»Sie sprechen deutsch mit mir?«</p>
-
-<p>»Ja, Sie sind aus Bautzen, und Bautzen ist, denke ich, eine
-deutsche Stadt.«</p>
-
-<p>»Sie wissen sehr wohl, wer ich bin, werter Herr, und Sie
-wissen auch, daß Budissin<a id="FNAnker_12_12"></a><a href="#Fussnote_12_12" class="fnanchor">[12]</a> eine uralte wendische Stadt ist.
-Was verdrießt Sie an den Wenden? Man hat mir schon gesagt,
-daß Sie kein Freund der Wenden sind.«</p>
-
-<p>Schmaler hatte ruhig und mild gesprochen; Juro entgegnete
-heftig:</p>
-
-<p>»Ich bin kein Freund der Wenden? Wer Ihnen das gesagt
-hat, Herr Schmaler, ist ein Lügner! Wer Ihnen das gesagt hat,
-ist ein Schuft!«</p>
-
-<p>»Nun, nun, es kommt viel auf die Auffassung an. Wir<span class="pagenum"><a id="Seite_78">[78]</a></span>
-können ja ganz ruhig miteinander sprechen. Und wenn Ihnen
-heute eine Aussprache nicht paßt, so verstehe ich das wohl und
-will Sie gewiß nicht quälen.«</p>
-
-<p>»Wir können miteinander sprechen, Herr Schmaler, aber ich
-fürchte, wir werden uns nicht verstehen. Ich kenne Sie und Ihr
-Werk, und ich habe Hochachtung vor Ihren Talenten, Ihrer
-Ausdauer, Ihrem Opfermut. Sie sind ein Freund der Wenden
-in Ihrem Sinne, ich bin ein Freund der Wenden im gerade entgegengesetzten
-Sinne. Ich glaube nicht, daß so scharfe Gegensätze,
-wie sie zwischen uns sind, sich oft wiederholen.«</p>
-
-<p>»Das soll heißen,« sagte Schmaler düster, »daß Sie alle
-meine Bestrebungen um die Erhaltung sorbischen Slawentums
-in der Lausitz verwerfen, wenn nicht gar bekämpfen wollen.«</p>
-
-<p>»So ist es!« sagte Juro aufrichtig.</p>
-
-<p>Schmaler schwieg eine Weile, dann sagte er:</p>
-
-<p>»Ich könnte Sie um die Begründung Ihres Urteils fragen,
-aber ich kenne alle Einwände, die gegen mein Werk erhoben
-werden. Sie halten es für vergeblich.«</p>
-
-<p>»Ja! Für so vergeblich, wie wenn Sie in heißen Frühjahrstagen
-mit einem eisernen Haken eine Eisscholle in der Spree
-festhalten wollten. Die Wenden schwimmen im deutschen Fluß,
-und unter der deutschen Kultursonne wird Ihnen die Scholle,
-die Sie festzuhalten sich bemühen, trotz aller Haken und Anstrengungen
-zerrinnen.«</p>
-
-<p>Wieder entgegnete Schmaler nicht gleich. Dann sagte er:</p>
-
-<p>»Sie wissen, daß alle Gleichnisse hinken. Ich könnte Ihnen
-hundert andere entgegenstellen, z. B. daß es mir lieber ist, als
-armer Häusler in eigener Hütte zu wohnen, als daß ich als
-Dominialknecht zu einem großen Herrn zöge.«</p>
-
-<p>»Knechte sind die Wenden nur so lange, als sie Wenden
-bleiben. Werden sie Deutsche, so sind sie freie Kinder des freien
-Hauses.«</p>
-
-<p>»Mein Gott, so spricht der zukünftige Kral!«</p>
-
-<p>»Herr Schmaler, Sie wissen, daß unser Königtum eine
-Illusion ist.«</p>
-
-<p>»Nehmen Sie die Illusion aus der Welt, und die Staaten<span class="pagenum"><a id="Seite_79">[79]</a></span>
-und die Gemeinschaften und die Familien und alles individuelle
-Leben geht in Trümmer. Fällt Ihnen nie ein, was für Kulturwerte
-versinken, wenn dieses Volk untergeht? Glauben Sie
-nicht, daß nur im Individualismus die Welt schön und liebenswürdig
-sein kann? Glauben Sie nicht, daß es zum Sterben
-langweilig wäre, wenn auf der Welt überall dieselbe Art Menschen
-wohnte?«</p>
-
-<p>»In der Welt ja; aber ein Reich ist nur in einer Einheit
-<span id="corr079a">bewundernswert</span>. Das weiß sonst niemand besser als die Panslawisten.«</p>
-
-<p>Juro sagte es mit einem Seitenblick auf Schmaler. Der
-entgegnete ruhig:</p>
-
-<p>»Ich bin ein Panslawist. Es sind mir oft in slawischen
-Ländern gute, wohlbesoldete Stellen angeboten worden; ich bin
-im sächsischen <span id="corr079b">Budissin</span> geblieben, habe dort meine Kraft,
-meine Gesundheit, mein Vermögen zugesetzt im Dienst der
-wendischen Sache. Aus Eitelkeit, werden meine Feinde sagen,
-aus der Sucht heraus, ein Eigenbrötler zu sein, der Beachtung
-findet. Das mögen sie sagen; ich verachte es.«</p>
-
-<p>»Ich meine, daß Ihre ehrlichen Gegner an Ihren Idealismus
-glauben, Herr Schmaler; ich jedenfalls gehöre zu diesen.«</p>
-
-<p>»Danke! Das eine kann man mir auch jedenfalls nicht bestreiten,
-daß ich ein loyaler sächsischer Untertan bin.«</p>
-
-<p>»Sehen Sie, Herr Schmaler, das würde ich bestreiten. Ich
-glaube, daß Sie Ihre staatsbürgerlichen Pflichten erfüllen, aber
-Ihre Seele gehört hinüber zu den Tschechen, mit denen Sie
-eine Spracheinheit anstreben, mit denen Sie ständig sympathisieren.«</p>
-
-<p>»Was soll ich tun? Sie selbst sagen, daß meine Scholle zerbröckelt.
-Festigkeit, geistigen Inhalt für meine Sache kann ich
-nur bei unseren slawischen Brüdern suchen. Ich suche Stärkung
-bei den Slawen für unser wendisches Volkstum, aber ich suche
-keinen politischen Anschluß an sie. Ich will die Erhaltung des
-sorbischen Slawentums innerhalb der bestehenden Staatsverbände.
-Ist das Landesverrat?«</p>
-
-<p>»Landesverrat nicht! Nein! Sicherlich aber auch nicht<span class="pagenum"><a id="Seite_80">[80]</a></span>
-Patriotismus, der die Wurzeln seiner Kraft nicht im Auslande
-hat.«</p>
-
-<p>»Vaterland? &ndash; Welches Blut haben uns unsere Väter vererbt?
-Wo zieht es uns hin?«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Sie waren inzwischen nahe an das Gehöft gekommen, wo
-festliches Treiben war. Mitten aus dem Lärm hob sich das
-widerliche Geschrei eines Betrunkenen ab:</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Njet hordujo ta kóža přepita!</em>«<a id="FNAnker_13_13"></a><a href="#Fussnote_13_13" class="fnanchor">[13]</a></p>
-
-<p>»Hören Sie! Hören Sie!« keuchte Juro. »Ist das nicht eine
-Roheit sondergleichen? Ist das nicht gemeiner Kannibalismus!
-Wenn ich den Kerl erwische, schlage ich ihn nieder!«</p>
-
-<p>Er wollte voran. Schmaler faßte ihn am Arm und hielt
-ihn fest.</p>
-
-<p>»Es ist roh! Ja, es ist widerlich roh! Aber der Mann ist
-betrunken!«</p>
-
-<p>»Oh, es wird nicht lange dauern, da brüllen sie alle dieselbe
-Gemeinheit!«</p>
-
-<p>»Nicht doch! Denken Sie daran, daß solch arme Leute jeden
-öffentlichen Anlaß zu einer Festlichkeit benutzen, weil ihr Leben
-so wenig Feste hat.«</p>
-
-<p>»Da sind sie voll von diesem eklen Kannibalenfraß, da
-dürfen sie von einer edlen Toten sprechen wie von einem geschlachteten
-Tier! Ich halte es nicht aus! Ich werfe sie hinaus;
-ich werfe sie alle hinaus!«</p>
-
-<p>»Es sind die Gäste Ihres Vaters! Roheiten kommen überall
-vor. Beruhigen Sie sich! Es ist ein ungebildetes Volk! Sie
-denken sich nichts so Schlimmes dabei!«</p>
-
-<p>»Prosit! Prosit!« scholl es vom Großgarten her, und wieder
-kam der rohe Satz:</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Njet hordujo ta kóža přepita!</em>«</p>
-
-<p>Da überfiel Juro ein starker physischer Ekel; ein Brechreiz
-würgte ihn, dann riß er sich los und eilte nach dem Großgarten.
-Er sah eine Gruppe zechender Männer.</p>
-
-<p>»Prosit, Juro, prosit!« schrien sie. »<em class="antiqua">Njet hordujo</em>&nbsp;…«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_81">[81]</a></span></p>
-
-<p>»Wollt ihr schweigen, ihr &ndash; ihr &ndash; Schweine!«</p>
-
-<p>Juro brüllte es.</p>
-
-<p>»Ist das ein Sauffest? Dürft ihr so von meiner Mutter
-sprechen? Hinaus, sage ich, hinaus mit euch besoffenem
-Pack!«</p>
-
-<p>Die Gesellschaft erschrak. Blöde, ernüchtert sahen sie den
-tobenden jungen Mann an.</p>
-
-<p>»Was &ndash; Was sagt er?« grunzte einer.</p>
-
-<p>»Was ich sage? Daß ihr eine besoffene Horde seid, die sich
-benimmt wie die Wilden!«</p>
-
-<p>Nun ging ein Skandal los.</p>
-
-<p>»Wir haben doch den Branntwein nicht gestohlen!«</p>
-
-<p>»Wir sind doch nicht zum Spaß so weit hergelaufen!«</p>
-
-<p>»Er ist ein aufgeblasener Bengel!« &ndash; »Er hat uns beim
-Totenschmaus der eigenen Mutter verjagt!« &ndash; »Pfui, er ist
-geizig!«</p>
-
-<p>»Da &ndash; da hast du dein Fett!«</p>
-
-<p>Und es warf einer das Schnapsglas nach Juro, das haarscharf
-an seinem Kopf vorbeisauste. Mit einer unflätigen Beleidigung
-stampfte der Kerl davon. Eine Anzahl anderer warf
-die Gläser ebenfalls ins Gras und ging davon.</p>
-
-<p>Der Kral kam schnell heran und sagte laut:</p>
-
-<p>»Ich bin hier der Herr! Wer mein Gast ist und wem es hier
-gefällt, der bleibt!«</p>
-
-<p>Aber wenige blieben. Juro ging zitternd vor Aufregung ins
-Haus.</p>
-
-<p>Schmaler trat an den Scholta heran und sprach einige aufklärende
-Worte.</p>
-
-<p>»Es hat mir auch wehgetan, wenn sie so brüllten«, sagte der
-alte Hanzo; »aber es ist eine Redensart seit alters her. Und
-Gäste soll man nicht vertreiben.«</p>
-
-<p>»Juro ist kein Wende mehr«, sagte Samo, der auch herangetreten
-war. »Er hat sich so mit Haut und Haaren den Deutschen
-verschrieben, hat sich so an geschniegelte Kreise angeschlossen,
-daß ihm alles in der Heimat zu roh ist, daß er sich
-zimperlich benimmt wie ein Frauenzimmer. Mit den Deutschen<span class="pagenum"><a id="Seite_82">[82]</a></span>
-ist er gegangen; mit einem Wenden hat der feine Herr nicht gesprochen.«</p>
-
-<p>»Nur mit mir!« sagte Schmaler. »Freilich haben wir gestritten.
-Ich kehre bedrückten Herzens heim, weil ich gesehen
-habe, wie der zukünftige Kral über das Wendentum denkt.«</p>
-
-<p>Ein Seufzer kam aus der Brust des alten Hanzo, und er
-wandte sich, ohne weiter ein Wort zu sagen, wieder zu seinen
-Gästen. Eine Anzahl kam zurück. Es wurde weiter geschmaust
-und getrunken, aber es ging stiller her. &ndash; Schmaler und Samo
-gingen nun ein Stück den Feldweg entlang. Sie verstanden sich
-besser.</p>
-
-<p>Schmaler erzählte mit Begeisterung von Prag.</p>
-
-<p>»Ich kann es nicht begreifen«, sagte Samo, »daß mein
-Vater darauf bestand, ich müsse in Breslau studieren. Mir ist
-das deutschgewordene Nest, das Slawen gegründet haben, zuwider.
-Wir wendischen Studenten gehören nach Prag. Denn die
-Lausitz gehört ebenso wie <span id="corr082">Schlesien</span> geschichtlich und rechtlich
-zur ›<em class="antiqua">Koruna ceska</em>‹«<a id="FNAnker_14_14"></a><a href="#Fussnote_14_14" class="fnanchor">[14]</a>.</p>
-
-<p>Schmaler schüttelte den Kopf.</p>
-
-<p>»Ich gehe nicht so weit, ich fasse unsere Stellung zu den verwandten
-Tschechen anders auf!«</p>
-
-<p>»Was man will, muß man ganz wollen, Meister Schmaler.
-Los von den Deutschen! Die deutsche Länderkrume, die uns
-von den tschechischen Brüdern trennt, ist dünn genug, daß man
-sie durchbrechen kann. Wir müssen nur ausharren, festhalten,
-hier treu bleiben auf dem slawischen Vorposten. Jahrhundertelang
-hat unser armes Volk den deutschen Druck ertragen und
-ist slawisch geblieben im fremden Joch, im fremden Land.
-Sehen Sie dagegen auf die Deutschen! Alle fremden Sprachfetzen
-lesen sie auf, die vom Schneidertisch anderer Nationen
-fallen, behängen sich damit und glauben sich geschmückt. Ihre
-Nationalität hält im fremden Land nicht vom Vater auf den
-Sohn. Weil sie nichts taugt! Und deshalb werden unsere
-tschechischen Brüder Tag um Tag weiter vordringen gen<span class="pagenum"><a id="Seite_83">[83]</a></span>
-Norden, und eines Tages werden wir mit ihnen vereinigt sein.
-Dann wird man sowohl vor den Mauern Berlins wie vor den
-Mauern Wiens die slawische Sprache hören.«</p>
-
-<p>»Sie gehen zu weit, Sie gehen viel zu weit in Ihren Plänen
-und Hoffnungen«, sagte der vorsichtige Schmaler besorgt.</p>
-
-<p>»Ich setze mir ein Ziel: Erhaltung des Sorbentums als
-Vorposten der siegreich vordringenden Slawen.«</p>
-
-<p>Schmaler schwieg. Er mochte sich zu solch kühnen Worten
-nicht äußern.</p>
-
-<p>»Liegt es nicht an der Feigheit unserer Intelligenz, wenn
-das Sorbentum leider Gottes zurückgeht?« fuhr Samo fort.
-»Wenn wir solche Führer haben wie meinen Bruder Juro,
-dann Gnade uns Gott!«</p>
-
-<p>»Auch ich fürchte von ihm viel«, sagte Schmaler.</p>
-
-<p>»Er darf kein Führer werden; er darf es nicht! Ich werde
-es verhindern. Gott sei Dank, ich glaube, er will es auch nicht.
-Er ist zu feig und oberflächlich dazu. Ich sah mit scheelen Augen
-darauf, daß er hinter einer Deutschen herlief. Ich war ein
-Esel. Ein Glück ist diese Liebschaft! Er soll sich nur sein bleichsüchtiges
-Ding nehmen, nach Berlin ziehen und alle zehn Jahre
-einmal nach Hause zur Kirmeß kommen. Öfter gehört er auf
-unsern Hof nicht! Da ist er unmöglich! Vollends mit seiner
-deutschen Zierpuppe. Auf unsern Hof gehöre ich!«</p>
-
-<p>»Er ist der Erbsohn«, warf Schmaler ein. »Er ist auch nach
-der Tradition der zukünftige Kral.«</p>
-
-<p>»Haben nicht andere abgedankt als er, wenn sie unfähig
-waren für ihre Sache? Er wird abdanken!«</p>
-
-<p>»Ich will mich in einen Familienstreit nicht mischen«,
-sagte Schmaler wieder vorsichtig.</p>
-
-<p>»Das ist kein Familienstreit, das ist eine Sache, die alle
-angeht und die Sie unterstützen sollten, wenn eine Unterstützung
-nötig wird.«</p>
-
-<p>»Ihr Vater ist noch jung. Wir müssen die Entwicklung der
-Dinge abwarten.«</p>
-
-<p>»Die Dinge werden sich rasch entwickeln. Denken Sie an
-Hanka! Sie ist das letzte Mädchen aus dem Geschlechte, das<span class="pagenum"><a id="Seite_84">[84]</a></span>
-uns als das königliche gilt. Meine Eltern und ihre Eltern
-haben sie für Juro bestimmt. Und wenn er sich um seiner
-deutschen Liebsten willen weigert, das Mädchen zu nehmen?
-Wenn er mit seiner deutschen Frau als Arzt nach irgendeiner
-Stadt zieht? Nach allen seinen Äußerungen glaube ich bestimmt,
-daß er das tun wird. Nun, irgend jemand wird wohl die Sache
-hier übernehmen müssen.«</p>
-
-<p>Schmaler drückte Samo die Hand.</p>
-
-<p>»Sie wissen, daß ich Sie hundertmal lieber als Herr auf
-dem Hofe sehen würde als Ihren Bruder.«</p>
-
-<p>»Das genügt mir!« sagte Samo, und seine dunklen Augen
-funkelten.</p>
-
-<p>Dann sprach er von der Zeitung, die Schmaler herausgab,
-von der »<em class="antiqua">Sorbske Nowiny</em>«. Er lobte Schmalers Bestreben,
-die deutschen Fremdwörter und Lehnformen aus der wendischen
-Sprache auszurotten und überall da, wo ein rein wendisches
-Wort nicht vorhanden war, tschechische Formen einzuführen.
-Er versprach auch, selbst an der »<em class="antiqua">Sorbske Nowiny</em>« mitzuarbeiten,
-zog ein Zeitungsblatt aus der Tasche und wies auf
-einen Artikel.</p>
-
-<p>»Den müssen Sie abdrucken. Der trifft das Richtige!«</p>
-
-<p>»Sie lesen Russisch?« fragte Schmaler.</p>
-
-<p>»Ja, ich habe mich von Kindheit an mit dieser Sprache
-befaßt.«</p>
-
-<p>Schmaler, der ebenfalls des Russischen mächtig war, las:<a id="FNAnker_15_15"></a><a href="#Fussnote_15_15" class="fnanchor">[15]</a>
-»Wir Slawen bewundern den Genius der Semiten auf dem
-Gebiete religiöser Schöpfungen, den der Griechen auf dem
-Gebiete der Wissenschaften und Künste, den Genius der Römer
-auf dem Gebiete des Rechts und der Politik; wir bewundern den
-begeisterten Schwung des Spaniers und Italieners, das
-gesellschaftliche Talent und den Geschmack des Franzosen, die
-schöpferische Kraft und die Erfindungsgabe des Engländers.
-Was kann dagegen der Deutsche für sich beanspruchen? Was
-ist an ihm genial, was ideal, was vollendet? Ist sein Glaube<span class="pagenum"><a id="Seite_85">[85]</a></span>
-nicht abstrakt und sein Unglaube kühl, seine Philosophie
-phantastisch und seine Poesie philosophisch? Seine soziale
-Existenz, sein Feudalismus, sein Junkertum, sind sie nicht die
-Negation der Menschenrechte, die organisierte Gewalttat?
-Können seine gute militärische Disziplin, seine Mäßigkeit und
-Akkuratesse, sein kaltes, herzloses, maschinenartiges Ausführen
-dessen, was ihm befohlen wird, selbst auf Kosten der
-geheiligten Gefühle der Großmut und des Mitleids &ndash; können
-sie dieses Volk erheben und Liebe erregen? Können seine
-Arbeitsamkeit und Pünktlichkeit den Mangel an Humanität
-und schöpferischer Kraft ersetzen? Möge die geschichtliche Vorsehung
-die Slawen vor dem Wege der Entwicklung bewahren,
-auf dem sie den Deutschen ähnlich werden könnten!«</p>
-
-<p>»Haben Sie das selbst geschrieben?« fragte Schmaler.</p>
-
-<p>Samo zuckte die Achseln.</p>
-
-<p>»Geschrieben oder nicht, es ist meine Meinung. Und Sie
-sollen den Artikel abdrucken.«</p>
-
-<p>»Nein«, sagte Schmaler, »er ist zwar geistreich, aber er
-schießt über das Ziel hinaus. Die Russen können unmöglich den
-Deutschen den Vorwurf kalter Herzlosigkeit, Unfreiheit und
-schöpferischer Unproduktivität machen. Solche Angriffe verfehlen
-ihren Zweck.«</p>
-
-<p>Samo zuckte die Achseln.</p>
-
-<p>»Wer dieses Volk angreift, hat immer recht. Die ›<em class="antiqua">Nàrodni
-listi</em>‹ in Prag sollten Sie sich zum Muster nehmen. Das Blatt
-nennt das Ziel, stellt die Aufgabe klar, wenn es schreibt: ›Wir
-werden immer auf seiten jenes Volkes stehen, das gegen die
-Deutschen den Krieg unternimmt, weil der Feind unseres
-Feindes stets unser Freund ist.‹ Sehen Sie, Pàn Schmaler, das
-ist stark und zielbewußt! Für Ihre ›<em class="antiqua">Sorbske Nowiny</em>‹ aber
-werde ich nichts schreiben können, weil ich fürchte, dies Blatt
-ist zu deutschfreundlich.«</p>
-
-<p>Das mußte sich der alte Wendenführer von dem jungen
-Manne sagen lassen. Als er gen Bautzen nach Hause fuhr,
-mußte er sich eingestehen, daß er sich mit keinem der beiden
-Söhne des Kral verstanden hatte, mußte er sich sagen, es sei<span class="pagenum"><a id="Seite_86">[86]</a></span>
-doch eine mißliche Sache, in Prag und Moskau als Vertrauensmann
-zu gelten und daheim dem König von Preußen ein
-Wendenbuch zu widmen.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p class="ph2">An dem Begräbnis hatten auch Hankas Eltern, wohlhabende
-Bauersleute aus dem Sächsischen, teilgenommen.
-Am Abend noch sprach der Scholta zu ihnen: »Herr Vetter und
-Frau Muhme, ich hätte euch eine herzliche Bitte auszusprechen.
-Meine Frau hat sich eure Tochter Hanka auf ein paar Wochen
-zum Besuch ausgebeten. Es war unser beiderseitiger Wille, daß
-die Jungfer und mein Sohn Juro sich wiedersehen sollten, damit,
-wenn Gott es will, ein Paar aus ihnen werde. Nun ist mir
-die Frau gestorben&nbsp;…!«</p>
-
-<p>Er hielt nach dieser langen Rede müde inne und machte eine
-Handbewegung, die bedeuten sollte: alles andere könnt ihr euch
-wohl selbst denken. Die Mutter Hankas verstand ihn auch.</p>
-
-<p>»Der Herr Vetter meint, weil das Hauswesen jetzt ohne
-Frau ist, so sollten wir in Gottes Namen die Hanka auf längere
-Zeit hierlassen, daß er nicht ganz allein ist, wenn die Herren
-Söhne wieder fortziehen, und daß eine weibliche Aufsicht
-wäre.«</p>
-
-<p>Hanzo nickte der Frau dankbar zu. Er freute sich, daß sie
-ihm das weitere Sprechen und Bitten ersparte.</p>
-
-<p>Die Frau aber schwieg jetzt, und auch ihr Mann schwieg.
-Sie brauchten sich ihre Gedanken nicht mitzuteilen. Sie dachten
-alle drei dasselbe: daß Hanka an einem Unglückstage in dies
-Dorf eingezogen, daß ihr unterwegs die Smjertniza begegnet
-war. Der alte Scholta suchte endlich die Bedenken zu zerstreuen,
-indem er sprach:</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Bog te swoje žiwńe gromadu zwežo!</em>«<a id="FNAnker_16_16"></a><a href="#Fussnote_16_16" class="fnanchor">[16]</a></p>
-
-<p>Diesem Spruche dachte die Frau nach, und ihr Mann
-wartete, wie sie sich entscheiden werde.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_87">[87]</a></span></p>
-
-<p>Endlich sprach die Mutter Hankas:</p>
-
-<p>»So wollen wir das Mädchen in Gottes Namen hierlassen,
-bis der Herr Vetter seine Wirtschaft gerichtet hat.«</p>
-
-<p>Der Mann sah seine Frau an, als wollte er sagen: Ich hätte
-erwartet, daß wir uns anders entscheiden würden. Aber die
-Frau sagte: »Gott hat das Kind behütet und auch mit tollen
-Pferden gesund hierher geführt, es mag hierbleiben.«</p>
-
-<p>Hanka wurde nun herbeigerufen, und der Familienbeschluß
-wurde ihr mitgeteilt. Da rannen ein paar helle Tränlein über
-die roten Wangen des Mädchens.</p>
-
-<p>»Es war so schön zu Haus. In der Spinnstube war ich schon
-die Kantorka!«</p>
-
-<p>»Du wirst hier auch die Kantorka werden!« tröstete die
-Mutter. Das Mädchen aber hielt die Hände vors Gesicht.
-Da stand die Mutter auf und sagte recht barsch:</p>
-
-<p>»Höre, Hanka, ich will nicht hoffen, daß dir ein Kerl von
-zu Haus im Kopfe steckt.«</p>
-
-<p>Das Mädchen sah sie groß an.</p>
-
-<p>»Nein! Wie wäre das möglich? Ich denke, ich soll den Juro
-heiraten!«</p>
-
-<p>Da nickten sich die drei Alten befriedigt zu: »Sie ist ein
-folgsames Kind!«</p>
-
-<p>Ein Weilchen war's still, dann seufzte die Frau und sagte:</p>
-
-<p>»Der Herr Juro hat ein gar hitziges Blut!«</p>
-
-<p>Ihr Mann wollte nun auch was sagen und sprach:</p>
-
-<p>»Das muß so sein bei den Herren Studenten.«</p>
-
-<p>Die Frau sah ihn an und sagte nichts. Aber der Mann
-wußte, daß sie bei sich dachte: Was faselst du? Du hast in
-deinem Leben keine fünf Studenten gesehen. Das war wahr,
-und der Mann nahm sich vor, ein andermal mit Reden nicht so
-voreilig zu sein.</p>
-
-<p>»Er wird ein schweres Leben haben, wenn er erst auf dem
-Gut ist und so hitziges Blut hat«, nahm die Frau das Thema
-wieder auf.</p>
-
-<p>»Er wird älter werden!« sagte der Kral.</p>
-
-<p>»Und er hatte ganz recht«, rief Hanka, halb noch in Tränen.<span class="pagenum"><a id="Seite_88">[88]</a></span>
-»Ich habe auch einem von den Kerlen, die so lärmten, eine
-Flinka<a id="FNAnker_17_17"></a><a href="#Fussnote_17_17" class="fnanchor">[17]</a> gegeben.«</p>
-
-<p>»Du?!«</p>
-
-<p>»Ja, es kam einer an die Küchentür und sagte den gemeinen
-Spruch: ›<em class="antiqua">Jana stawa baba</em>‹.«<a id="FNAnker_18_18"></a><a href="#Fussnote_18_18" class="fnanchor">[18]</a></p>
-
-<p>»Der Kerl! Da hattest du recht, daß du ihm eine Flinka
-gabst. Was sagte er?« fragte die Mutter.</p>
-
-<p>»Ach, er lachte und meinte: Ei sieh, das Kätzchen gibt die
-Pfote!«</p>
-
-<p>»Und du?«</p>
-
-<p>»Ich gab ihm noch einmal die Pfote!« sagte Hanka und
-lachte auch.</p>
-
-<p>Die Eltern sahen stolz auf den Scholta: »Sieh, was für
-eine Schwiegertochter du bekommst!«</p>
-
-<p>»Juro ist streng!« sagte Hanka nachdenklich, »er hat auch
-auf mich schon sehr geschimpft. Aber er ist schöner als alle!«</p>
-
-<p>Da sahen die Eltern wieder auf den Scholta: »Nehmt euch
-diese Perle wahr!« Hanzo nickte.</p>
-
-<p>Als die Eltern Hankas an die Heimreise gingen, schieden sie
-in Zufriedenheit, obwohl sie sich von ihrem zukünftigen
-Schwiegersohn Juro nicht einmal verabschieden konnten, weil
-er nirgends zu finden war. So hatte Juro mit ihnen außer
-einer kurzen Begrüßung bei der Ankunft überhaupt kein Wort
-gesprochen.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Der Scholta brauchte drei Tage und drei Nächte, ehe er sich
-zu dem Entschluß aufraffte, mit seinen Söhnen Rücksprache
-über die Zukunft zu nehmen. Endlich saß er mit ihnen in dem
-kleinen Stübchen, in dem sein uralter Schreibtisch stand, der so
-hoch war wie ein Schrank.</p>
-
-<p>Der alte Hanzo schloß das Fenster und verriegelte die Tür.<span class="pagenum"><a id="Seite_89">[89]</a></span>
-»Meine Söhne,« sagte er dann mit der ihm eigenen Feierlichkeit,
-»es hat sich in unserer Familie ein so großes Unglück ereignet,
-daß wir jetzt daran denken müssen, wie in Zukunft alles
-werden soll. Ich habe hier auf dem Papier alles aufgeschrieben,
-was die Mutter eingebracht hat, und es kommen jetzt nach
-ihrem Tode auf jeden von euch sechstausend Taler Mutterteil.«</p>
-
-<p>Die Söhne sagten übereinstimmend, daß sie das Geld vorläufig
-aus dem Gute nicht herausziehen wollten.</p>
-
-<p>»So werde ich euch jedem eine Hypothek auf das Geld eintragen
-lassen; denn es muß Ordnung sein«, sagte der Vater.</p>
-
-<p>Damit &ndash; meinte er &ndash; sei alles erledigt, und er wollte die
-Tür wieder aufriegeln. Aber beide Söhne sagten, sie hätten noch
-mit dem Vater zu reden und wollten bald alles abmachen.</p>
-
-<p>»Nun, so kommt zuerst Juro an die Reihe«, sagte der
-Scholta. Er sah gespannt auf den Sohn. Der redegewandte
-Juro stockte erst und brachte auch dann seine Sätze nicht ganz
-glatt heraus.</p>
-
-<p>»Vater, du weißt, daß ich in meinem Berufsstudium hinter
-Samo zurück bin, obgleich ich ein Jahr eher auf die Universität
-kam als er. Er hat gleich von Anfang an Medizin studiert, und
-ich habe erst zwei Jahre mit der Jurisprudenz verloren, ehe ich
-auch zur Medizin umsattelte. Ich konnte aber nicht Advokat
-oder Richter werden; ich hatte mich in mir getäuscht. Nun wird
-Samo schon vor nächsten Ostern fertig, und ich werde noch ein
-und ein halbes Jahr brauchen, ehe ich approbiert bin. Es kommt
-dazu, daß ich auf deinen und der Mutter Wunsch nebenbei auch
-landwirtschaftliche Vorlesungen höre.«</p>
-
-<p>»Wozu erzählst du das?« sprach Samo dazwischen, »das
-wissen wir doch.«</p>
-
-<p>»Es gehört zum Ganzen«, sagte Juro. »Du weißt, Vater,
-daß ich mich für die Landwirtschaft bisher wenig interessiert
-habe; ich habe euch zuliebe diese Vorlesungen gehört, obwohl
-ich es für ganz unnütz hielt, und ich will dir gestehen, daß ich
-im Ernst gar nicht daran dachte, einmal Landwirt zu werden.«</p>
-
-<p>Der Vater entgegnete nichts; er kannte die Interesselosigkeit
-des Sohnes an der Landwirtschaft.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_90">[90]</a></span></p>
-
-<p>»Aber, Juro, weshalb erzählst du das?« fragte Samo
-wieder. »Wir alle wissen, daß du kein Landwirt bist und also
-auch später einmal das Gut nicht übernehmen kannst.«</p>
-
-<p>Juro wandte sich seinem Bruder zu, und der Haß blitzte
-auf in seinen Augen, und ein Lächeln der Schadenfreude spielte
-um seine Lippen.</p>
-
-<p>»Und wer wird es übernehmen?« fragte er kalt. »Fremde
-Leute?«</p>
-
-<p>»Ich bin auch noch da &ndash; ich&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Juro brach in ein Gelächter aus.</p>
-
-<p>»Du?! &ndash; Ja, du! &ndash; Ich verstehe! &ndash; Ich konnte es mir
-denken!«</p>
-
-<p>Dann stand er auf und schrie den Bruder an:</p>
-
-<p>»Nein, du wirst es nicht übernehmen! Ich bin der Erbsohn!
-Ich!! Ich bin der zukünftige Kral der Wenden!«</p>
-
-<p>»Das bist du!« sagte der Vater und stand auf und sah mit
-leuchtenden Augen auf seinen Sohn, der ihm wie ein Wunder
-erschien in seiner plötzlichen Verwandlung.</p>
-
-<p>Samo aber sah seinen Bruder ganz erschrocken an.</p>
-
-<p>»Du &ndash; du &ndash; was fällt dir auf einmal ein?«</p>
-
-<p>»Jetzt rede ich erst!« sprach der Vater mild, aber fest, und
-wandte sich an seinen ältesten Sohn.</p>
-
-<p>»Dir hat Gott geholfen, Juro, er hat dir gezeigt, was du
-tun sollst, weil du der Kral der Wenden sein wirst. Die Mutter
-hat sich großen Kummer gemacht. Sie wollte noch mit dir reden,
-aber sie starb zu rasch. So werde ich dir sagen, was nötig ist.
-Wir wollen, daß du ein guter Hausvater und ein treuer Kral
-wirst, und wir haben bestimmt, daß du unsere Jungfer Hanka
-zur Frau nimmst.«</p>
-
-<p>»Ich &ndash; was? &ndash; Ich &ndash; Hanka?&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Der Jüngling brachte keinen Satz zustande. Er stand blaß
-vor dem Vater, und es war, als ob sein Hirn lahm und seine
-Glieder starr geworden wären.</p>
-
-<p>Samo schlug ein lautes Gelächter an.</p>
-
-<p>Der Vater verwies Samo dieses Lachen mit strenger Gebärde.</p>
-
-<p>Juro gewann endlich die Herrschaft über sich zurück. Er<span class="pagenum"><a id="Seite_91">[91]</a></span>
-sprach nicht gleich, aber man sah an seinem Gesicht, wie rasch
-die Gedanken arbeiteten.</p>
-
-<p>Schließlich sagte er mit ruhiger Stimme, durch die kaum
-ein merkliches Beben lief:</p>
-
-<p>»Vater, der Eltern Wille ist in Ehren! Und das Mädchen,
-die Hanka, ist in Ehren! Aber ich werde Hanka nicht heiraten,
-denn ich habe bereits eine Braut.«</p>
-
-<p>Der Vater sah ihm steif ins Gesicht und sprach:</p>
-
-<p>»Du kannst keine Braut haben, Juro, denn ich weiß nichts
-davon. Es ist Sitte von alters her in unserer Familie, daß der
-Sohn mit seinem Vater spricht, ehe er mit einem Mädchen von
-der Ehe redet, und es ist Sitte, daß kein braves Mädchen mit
-sich von der Ehe sprechen läßt, ehe sie weiß, daß der Bursch mit
-seinem Vater einig ist.«</p>
-
-<p>Juros Gesicht wurde dunkelrot. Aber er sprach mit ruhiger
-Stimme:</p>
-
-<p>»Die Zeiten ändern sich, Vater! Unsere Zeit macht die
-Menschen schnell selbständig. Unselbständige Leute vernichtet
-sie. Ich bin schon lange mündig, ich habe so viel gelernt, um
-zu wissen, was ich tue, und ich werde nur das Mädchen heiraten,
-das ich mir selbst gewählt habe. Es ist Elisabeth von Withold.«</p>
-
-<p>»Wer?«</p>
-
-<p>»Elisabeth, die Tochter unseres Nachbarn!«</p>
-
-<p>»Des Rittermäßigen?«</p>
-
-<p>»Ja!«</p>
-
-<p>Da ging der Vater auf den Sohn zu, tippte ihm mit dem
-Zeigefinger auf die Brust und sagte:</p>
-
-<p>»Weißt du, daß du ein Bauernjunge bist?«</p>
-
-<p>»Ich weiß, daß ich ein gebildeter Mensch bin!«</p>
-
-<p>»Das vergiß nicht, Vater!« rief Samo höhnisch dazwischen.</p>
-
-<p>Der Bauer setzte sich an den Tisch. Er sah starr auf Juro
-und fragte dann:</p>
-
-<p>»Und du hast es wirklich gewagt, das dem deutschen Edelmann
-zu sagen?«</p>
-
-<p>»Ich habe es ihm noch nicht gesagt, weil es noch nicht möglich
-war, aber ich werde es alsbald tun!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_92">[92]</a></span></p>
-
-<p>Da sprang der alte Wende auf, und eine Energie kam über
-ihn, die seltsam von seiner Art abstach. Seine sonst so ruhige
-Stimme wurde scharf:</p>
-
-<p>»Du wirst es nicht tun! Du wirst uns die Schande nicht
-machen, daß der deutsche Edelmann den wendischen Bauernjungen
-mit den Hunden hinaushetzt!«</p>
-
-<p>»Das wird er nicht! Das kann er nicht!« lächelte Juro.</p>
-
-<p>»Er wird es tun! Er gehört zu den Deutschen, die die
-Wenden verachten! Er ist ein Ritter, und wir sind Bauern!«</p>
-
-<p>»Laß das meine Sorge sein, Vater!«</p>
-
-<p>»Nein, es ist <em class="gesperrt">meine</em> Sorge. Ich bin der Vater! Die Schande
-kommt über uns alle!«</p>
-
-<p>Da hielt Juro eine lange Rede. Er sprach von der Emanzipation
-des Wendenvolks, von seiner Gleichberechtigung mit
-den Deutschen, von dem Ausgleich zwischen den Ständen. Er
-sprach mit herzlicher Liebe und mit großer Begeisterung von
-Elisabeth und von ihrer Liebe zu ihm. Und er schloß:</p>
-
-<p>»Wendin oder Deutsche &ndash; es ist gleich; adelig oder nicht
-adelig, es ist kein Hindernis für die Liebe! Wir lieben uns, weil
-wir uns lieben müssen, unsere Herzen haben zusammengeschlagen,
-ohne daß alte Vorurteile es hindern konnten. Die Zeiten,
-wo Menschen ihr Glück mit selbstgeschaffenen Ketten erwürgten,
-sind gottlob vorbei!«</p>
-
-<p>Der alte Wende hörte ihm starr zu. Zuletzt schlug er die
-Hände vor's Gesicht und sagte:</p>
-
-<p>»Ich wollte, ich wäre bei der Mutter!«</p>
-
-<p>Juro sah ihn erschüttert an.</p>
-
-<p>»Willst du mich nicht verstehen, Vater?«</p>
-
-<p>»Nein, ich verstehe eure Welt nicht, in der alles ohne Sitte
-und Ordnung ist, alles von unten nach oben gedreht wird!«</p>
-
-<p>»Vater, du warst immer gerecht. Du kannst kein hartes
-Urteil fällen über ein Mädchen, das du nicht kennst. Oder
-hast du je etwas Schlimmes von ihr oder ihrer Familie
-gehört?«</p>
-
-<p>»Nein! Aber es sind Edelleute. Und ein Fräulein paßt nicht
-zu einem Bauernsohn!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_93">[93]</a></span></p>
-
-<p>»Warum hast du uns studieren lassen, Vater? Doch darum,
-daß wir vorwärts kommen sollen in der Welt!«</p>
-
-<p>»Ja, aber nicht so! Die Wenden haben keinen Arzt, keinen
-Advokaten, der ihre Sprache spricht, nicht einmal genug Geistliche
-und Lehrer, die Wendisch können. Da war es doch meine
-Pflicht als Kral, daß ich euch auf die Schule gab. Einer sollte
-Advokat werden, einer Arzt!«</p>
-
-<p>»Nun werde ich auch Arzt. Aus innerer Neigung. Und ich
-werde mich ganz den Wenden widmen, die der ärztlichen Hilfe
-so nötig bedürfen!«</p>
-
-<p>Samo, der mit feuerrotem Gesicht der Unterredung zuhörte,
-sagte nun dazwischen:</p>
-
-<p>»Er wird die Kranken kurieren oder auch nicht kurieren &ndash;
-je nachdem &ndash;, und das gnädige Fräulein von Withold, die dann
-eine Bauernfrau geworden ist, wird indes zu Hause die Schweine
-füttern!«</p>
-
-<p>Juro sah den Bruder kalt an.</p>
-
-<p>»Wir haben uns nicht vertragen, als du noch glaubtest, ich
-würde dir Platz machen; wir werden uns natürlich erst recht
-nicht vertragen, nachdem du weißt, daß ich nicht dir zu Lieb' auf
-mein Erbe verzichte!«</p>
-
-<p>Samo sprang auf.</p>
-
-<p>»Bin ich ein Erbschleicher?«</p>
-
-<p>Juro sah ihn mit strengen Augen an und zuckte die Achseln.
-Da holte Samo zum Schlage gegen ihn aus. Der alte Scholta
-aber hieb mit der Faust auf den Tisch.</p>
-
-<p>»Wie benehmt ihr euch? Was erdreistet ihr euch in meiner
-Gegenwart? Geht hinaus! Beide!«</p>
-
-<p>Die Söhne mußten das Zimmer verlassen, und der Vater
-blieb allein und sprach drei Tage lang mit keinem Menschen
-ein Wort.</p>
-
-<p>Dann aber ließ er die Söhne wieder zu sich rufen.</p>
-
-<p>»Ich will dich fragen, Juro, ob du es dir überlegt hast, daß
-ein adliges Fräulein nicht in unseren Hof als Bäuerin ziehen
-kann!«</p>
-
-<p>»Elisabeth wohnt jetzt auch auf dem Hofe ihres Vaters. Sie<span class="pagenum"><a id="Seite_94">[94]</a></span>
-interessiert sich für die Landwirtschaft und verträgt sich aufs
-beste mit allen Leuten!« entgegnete Juro kleinlaut.</p>
-
-<p>»Sie haben ein herrschaftliches Schloß, einen Park!«</p>
-
-<p>»Das brauchen wir nicht! Aber ich wollte dich allerdings
-bitten, Vater, daß ich mir hinter unserem Großgarten ein neues
-Wohnhaus bauen darf: nicht groß und prunkvoll, aber gesund
-und bequem!«</p>
-
-<p>»Das soll heißen, Vater,« fiel Samo ein, »er baut nebenan
-ein deutsches Herrenhaus, und du darfst hier in der wendischen
-Kaluppe weiterwohnen und seinen Großknecht spielen!«</p>
-
-<p>Es drohte wieder ein Streit auszubrechen, aber die Gegenwart
-des strengen Vaters hielt die Brüder im Zaum.</p>
-
-<p>»Ich beabsichtige,« sagte Juro, »von hier aus meine ärztliche
-Praxis auszuüben und mich &ndash; soweit mir Zeit bleibt &ndash; unter
-deiner Leitung in die Verwaltung des Gutes einzurichten.«</p>
-
-<p>»Und das Fräulein?«</p>
-
-<p>»Sie wird zufrieden sein und dir eine gute Tochter sein.«</p>
-
-<p>Der Alte schüttelte den Kopf.</p>
-
-<p>»Sie ist eine Deutsche!«</p>
-
-<p>»Gott sei Dank!« sagte Samo.</p>
-
-<p>»Was meinst du damit?« fragte ihn der Vater.</p>
-
-<p>»Ich meine, es ist gut, daß sie eine Deutsche ist. Sie paßt zu
-Juro, denn er ist auch ein Deutscher, ein Stockdeutscher.«</p>
-
-<p>Der Vater sah mit forschenden Augen dem Sohne ins Gesicht.</p>
-
-<p>»Er hat die Wenden oft unfreundlicher behandelt, als ich
-wünschte, aber deshalb kann noch kein Mensch behaupten, daß
-er ein Deutscher geworden ist«, sagte der Alte.</p>
-
-<p>Juro, der erkannte, auf welches Geleise ihn der Bruder geführt,
-verschmähte es, sich zu verstecken.</p>
-
-<p>»Ja, ich bin ein Deutscher«, rief er. »Ich will es, ich mag es,
-ich kann es nicht verheimlichen.«</p>
-
-<p>»Und &ndash; und dein Wendentum?«</p>
-
-<p>»Ich liebe die Wenden; aber ich sehe kein anderes Heil für
-sie, als daß sie Deutsche werden.«</p>
-
-<p>»Ihre Sitte, ihre Sprache, ihre Gebräuche, ihr Volksglaube?«</p>
-
-<p>Juro wartete einige Sekunden. Dann sagte er fest:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_95">[95]</a></span></p>
-
-<p>»Sie sind dem wahren Fortschritt der Wenden hinderlich.
-Darum müssen sie ausgetilgt werden.«</p>
-
-<p>»Juro &ndash; Juro, bist du das &ndash; ist das mein Sohn, der so
-redet?«</p>
-
-<p>»Ich kann nicht anders. Bei Gott, Vater, es ist meine Überzeugung!«</p>
-
-<p>Er wollte auf ihn zugehen; aber der Vater wehrte mit
-beiden Händen ab.</p>
-
-<p>Bleich und gesenkten Hauptes ging der alte Mann zur Tür.
-Dort blieb er stehen und sagte noch:</p>
-
-<p>»Das ist das Schwerste, was ich im Leben hören mußte!
-Da gehört viel Zeit dazu, ehe ich das fassen kann.«</p>
-
-<p>Juro streckte die Hände nach ihm aus, aber der Vater schloß
-die Tür von draußen.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Birnbaum steht im weiten Felde<a id="FNAnker_19_19"></a><a href="#Fussnote_19_19" class="fnanchor">[19]</a>.<br /></span>
-<span class="i0">Weiße Steine liegen drunter,<br /></span>
-<span class="i0">Unter all den weißen Steinen<br /></span>
-<span class="i0">Liegt ein rotes, gold'nes Ringlein.<br /></span>
-<span class="i0">Durch das Ringlein wachsen Halme,<br /></span>
-<span class="i0">Und die Halme tragen Blüten.<br /></span>
-<span class="i0">Kommt ein Pfau dahergeschritten,<br /></span>
-<span class="i0">Läßt die schönsten Federn fliegen,<br /></span>
-<span class="i0">Kommt ein Mädchen hergegangen,<br /></span>
-<span class="i0">Nimmt die Federn, flicht ein Kränzlein&nbsp;…<br /></span>
-<span class="i0">&mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash;<br /></span>
-<span class="i0">Birnbaum steht im weiten Felde,<br /></span>
-<span class="i0">Gold'nes Ringlein schläft darunter,<br /></span>
-<span class="i0">Von dem Turme schallt die Glocke,<br /></span>
-<span class="i0">Mädchen macht ein Rautenkränzlein.<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>»Das ist ein schönes Lied, Töchterchen«, sagte die alte
-Wičaz zu Hanka. Sie saß mit ihr im Hofe.</p>
-
-<p>»Ein schönes Lied, und du hast eine schöne Stimme.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_96">[96]</a></span></p>
-
-<p>»Zu Hause war ich schon die Kantorka«, erwiderte Hanka
-und seufzte. »Hier singt man wenig.«</p>
-
-<p>»Wer soll singen?« sagte die Wičaz. »Ich weiß einen, der
-singt schöner als alle Burschen; das ist mein Sohn Lobo.«</p>
-
-<p>»Dein Lobo trinkt zu viel Branntwein. Wäre er nicht betrunken
-gewesen, hätte vielleicht der Wagen mit der Tante nicht
-umgeworfen. <em class="antiqua">Palenc je walenc!</em>«<a id="FNAnker_20_20"></a><a href="#Fussnote_20_20" class="fnanchor">[20]</a></p>
-
-<p>Die alte Wičaz schüttelte den grausträhnigen Kopf. Sie war
-als die Sprichwörter-<span id="corr096">Wičaz</span> bekannt, da sie beständig Sprichwörter
-in lehrhaftem Ton gebrauchte, ärgerte sich aber, daß ihr
-jetzt das Mädchen mit dem verdrießlichen Vers: »<em class="antiqua">Palenc je
-walenc</em>« kam, denn sie hielt auf ihren Sohn Lobo.</p>
-
-<p>»Töchterchen, das redest du so«, meinte sie ärgerlich. »Du
-kennst gewiß nicht den richtigen Spruch:</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Woda wšitko zhloda!</em>«<a id="FNAnker_21_21"></a><a href="#Fussnote_21_21" class="fnanchor">[21]</a></p>
-
-<p>»Hättet ihr mit einem verhungerten Kutscher fahren wollen?
-Mein Lobo ist gut und stark und hat eine schöne Stimme. Gegen
-die Smjertniza konnte er euch freilich nicht helfen, obwohl er
-stark war. Sonst &ndash; ist er so fromm wie der Kater beim
-Quarge.«</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Sie hacken, sie pflügen&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Da bleib ich hübsch liegen;<br /></span>
-<span class="i0">Sie fressen und saufen&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Da komm ich gelaufen.«<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>»Da &ndash; da habt Ihr Euren Sohn! Er singt schöne Lieder!«</p>
-
-<p>»Töchterchen, der Gesang muß lustig sein; sonst ist er kein
-guter Gesang. Es muß Schmalz darin sein! Siehst du, dort
-kommt er, mein Lobo. Er ist doch ein schöner, starker Bursch!«</p>
-
-<p>»Betrunken ist er schon wieder am Vormittag. Pfui! Ich
-gehe ins Haus!«</p>
-
-<p>Sie verschwand.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_97">[97]</a></span></p>
-
-<p>»Ich sehe dich, Mutter!«<a id="FNAnker_22_22"></a><a href="#Fussnote_22_22" class="fnanchor">[22]</a> rief Lobo von weitem, trank aus
-einer Flasche und kam dann heran. Er blieb vor der alten
-Frau stehen, sah sie beinahe schadenfroh an und sagte unvermittelt:</p>
-
-<p>»Mutter, wir müssen fort!«</p>
-
-<p>»Wir? Fort? Was? Was faselst du? Wohin?«</p>
-
-<p>»Das weiß ich nicht. Der Neue, der Juro, will uns rausschmeißen.«</p>
-
-<p>»Rausschmeißen? Uns? Mich?«</p>
-
-<p>Das alte Weib grunzte vor Überraschung.</p>
-
-<p>»Ich bin mein Lebtag auf diesem Hofe gewesen. Ich gehöre
-hierher! Bist du verrückt, du Süffling?«</p>
-
-<p>Lobo zuckte die Achseln. »Wenn Ihr schimpft, erzähl' ich
-nichts mehr.«</p>
-
-<p>»Erzähl es, sag es, Lobo!« besänftigte sie ihn.</p>
-
-<p>»Nein!«</p>
-
-<p>»Erzähl es, Lobo, mein Söhnchen! Ich habe noch sechs
-Dreier in der Ulmer, die geb' ich dir«, bat sie.</p>
-
-<p>»Sechs Dreier? Und Ihr sagtet, Ihr hättet kein Geld?
-Sechs Dreier sind zu wenig.«</p>
-
-<p>»Ich habe noch zwei Silbergroschen, die geb' ich dir.«</p>
-
-<p>Der Trunkenbold blinzelte die Mutter an.</p>
-
-<p>»Es ist wegen der Frau. Weil die Smjertniza den Wagen
-umgeworfen hat. Der Juro hat keine Religion, er sagt, die
-Smjertniza ist dummes Zeug.«</p>
-
-<p>Das Weib schlug die Hände zusammen.</p>
-
-<p>»Daß ihn der Teufel hol!«</p>
-
-<p>»Er wird ihn schon holen!« sagte Lobo grimmig, »ihn und
-den alten Kito, diesen abgefaulten, alten Lumpen. Kito weiß,
-daß Ihr ihm unsere Wanzen mit in den Sarg geben wollt,
-wenn er stirbt. Die Wanzen will der Kito nicht annehmen. Er
-vermacht dem abgefaulten Baier, dem Wilhelm, zehn Taler,
-und der wird Wache beim Sarge halten, wenn Kito stirbt.«</p>
-
-<p>»Ah, der schlechte Kerl! Der Wanzenwächter! Aber, mein<span class="pagenum"><a id="Seite_98">[98]</a></span>
-Söhnchen, deshalb ziehen wir nicht aus. Da werde ich eben die
-Wanzen behalten.«</p>
-
-<p>»Behalten oder nicht, fort müssen wir doch! Denn sie haben
-dem Juro die Wanzengeschichte erzählt und auch erzählt, daß
-Ihr immer mit einer Federspule um den Sarg der toten Frau
-geschlichen seid, und da heißt es jetzt: fort!«</p>
-
-<p>»Wer sagt das?«</p>
-
-<p>»Juro sagte es zu mir. Wir müßten raus. Er wird nicht
-ruhen, bis wir raus sind. Er hat uns Schweine genannt.«</p>
-
-<p>Das Weib schlug die Hände zusammen.</p>
-
-<p>»Der Grobian! Ach, er ist dazu imstande; er tut's! Hat er
-doch sogar die reichen Leichengäste hinausgeworfen.«</p>
-
-<p>»Ich sehe dich, Mutter«, lallte Lobo und trank ihr zu. »Ich
-werde den Juro totschlagen.«</p>
-
-<p>Da faßte ihn seine Mutter an der Hand.</p>
-
-<p>»Rede nicht so laut, mein Söhnchen; ich werde dir auch drei
-Silbergroschen schenken.«</p>
-
-<p>»Der Wilhelm, der abgefaulte Baier, wird auch rausgeschmissen«,
-grinste Lobo. »Den schmeißt der andere raus &ndash;
-der Samo.«</p>
-
-<p>»Was sagst du, Samo hat den Wilhelm fortgejagt, den
-Deutschen?«</p>
-
-<p>»Ja, Juro hat gesagt, ich und du werden rausgeschmissen,
-und Samo hat gesagt, Wilhelm wird rausgeschmissen.«</p>
-
-<p>Die Alte grinste.</p>
-
-<p>»Die zwei werden den ganzen Hof ausräumen.«</p>
-
-<p>»Ja, es fehlte nicht viel, daß sie sich prügelten, die feinen
-Herren. Es wär' mir recht gewesen. Den Juro wollt' ich schon
-besorgen. So habe ich bloß meine Hacke weggeschmissen und
-bin abgezogen. Alle fünf streck ich gerade und mach' keinen mehr
-krumm. Ich sehe dich, Mutter!«</p>
-
-<p>»Lobo, mein Söhnchen, geh' arbeiten, daß dich der Scholta
-nicht sieht. Auf ihn kommt es an. Laß mich nur machen.«</p>
-
-<p>Der Bursche torkelte erst nach vielen Bitten und Versprechungen
-nach dem Felde zurück. Die Alte blieb allein auf
-der Bank sitzen. Sie hatte heut keine »Tour«. Sonst ging sie<span class="pagenum"><a id="Seite_99">[99]</a></span>
-als Botenfrau nach der Stadt, kehrte in vielen Häusern unterwegs
-ein, besorgte für die Leute allerhand Aufträge. Hier im
-Schulzenhofe hatte sie ein kleines Stübchen, in dem sie mit
-ihrem Sohn Lobo schlief.</p>
-
-<p>Die Alte war klug und schlau auf ihre Weise. Sie kam viel
-bei Leuten herum, hörte mancherlei und wußte es für sich zu
-benutzen. Sie stand im Rufe der Wahrsagekunst und bekam viel
-Geld für das Besprechen von Krankheiten an Menschen und
-Tieren.</p>
-
-<p>Jetzt blinzelte sie ins Sonnenlicht und dachte nach.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Birnbaum steht im weiten Felde,<br /></span>
-<span class="i0">Weiße Steine liegen drunter&nbsp;…«<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Hanka sang im Hause. Die Alte hörte aufmerksam zu und
-sprach bei sich:</p>
-
-<p>»Mit dem Mädel wird vielleicht etwas zu machen sein.«</p>
-
-<p>Nun hörte sie drinnen ein Gespräch. Samo unterhielt sich
-mit Hanka.</p>
-
-<p>»Das ist ein hübsches Lied. Wir singen es etwas anders.
-Du hast es von den Böhmischen«, sagte Samo.</p>
-
-<p>»Ich weiß es nicht, ich habe es so gelernt«, erwiderte Hanka.</p>
-
-<p>»Weißt du, was es bedeutet?«</p>
-
-<p>Sie lachte.</p>
-
-<p>»Meinst du, ich bin so dumm, daß ich nicht weiß, was ich
-singe?«</p>
-
-<p>»Oh, das Lied ist gar nicht so leicht zu verstehen. Oder was
-denkst du dir unter dem Pfau, der seine Federn verliert, und
-unter dem Mädchen, das den Rautenkranz flicht?«</p>
-
-<p>»Nichts! Es ist eben ein Pfau. Ich weiß, daß es eigentlich
-etwas Trauriges ist, weil der Rautenkranz sowohl der Brautkranz
-wie der Totenkranz ist; aber ich will nicht daran denken.«</p>
-
-<p>»So &ndash; ja so! Ich finde, Hanka, du bist blässer, als du sonst
-warst. Schläfst du nicht gut oder fehlt dir sonst etwas?«</p>
-
-<p>Sie seufzte.</p>
-
-<p>»Ich weiß nicht, was mir fehlt. Ich kann nicht mehr so
-lustig sein. Vielleicht habe ich die Heimkrankheit.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_100">[100]</a></span></p>
-
-<p>»Hanka, ich möchte so gern, daß es dir bei uns gefällt. Ich
-möchte dir alles verschaffen, was du willst, dir alles von den
-Augen absehen.«</p>
-
-<p>»Ja, Samo, du bist ein guter Mensch!«</p>
-
-<p>Er lachte bitter.</p>
-
-<p>»Guter Mensch! Ich habe kein Glück. Ich bin nicht so schön
-und fein und geschniegelt wie &ndash; wie zum Beispiel mein Bruder
-Juro. Nicht wahr, der gefällt dir gut?«</p>
-
-<p>»Er muß mir wohl gefallen. Es ist ja meine Pflicht, da ich
-ihn doch heiraten soll!«</p>
-
-<p>Das Mädchen sagte es mit stockender, beklommener
-Stimme.</p>
-
-<p>»Kein Mensch kann dich dazu zwingen, kein Mensch«, sagte
-Samo erregt. »Es ist dein freier Wille. Du kannst ebensogut
-einen &ndash; einen andern nehmen.«</p>
-
-<p>Das Mädchen stieß einen langen Seufzer aus. Da trat
-jemand in die Stube, und das Gespräch brach ab.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Am Nachmittag desselben Tages traf die alte Wičaz wie
-von ungefähr Samo auf einem Feldweg.</p>
-
-<p>»Laß die Geschichte mit den Wanzen,« sagte er zu ihr;
-»mein Bruder Juro will euch rauswerfen; aber ich werde schon
-sehen, daß ihr eure Kamorka<a id="FNAnker_23_23"></a><a href="#Fussnote_23_23" class="fnanchor">[23]</a> behaltet.«</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»<em class="antiqua">Druga ruka</em><br /></span>
-<span class="i0"><em class="antiqua">Druga gluka!</em>«<a id="FNAnker_24_24"></a><a href="#Fussnote_24_24" class="fnanchor">[24]</a><br /></span>
-</div></div>
-
-<p class="noind">sagte die Sprichwörter-Wičaz. »Der Herr Samo ist ein freundlicher
-Herr. Vielleicht kann ich ihm dankbar sein. Ich habe die
-Karten aufgeschlagen und weiß wohl manches, was für den
-Herrn Samo gut wäre, auch zu wissen.«</p>
-
-<p>Er machte eine abwehrende Handbewegung.</p>
-
-<p>»Laß nur das mit den Karten! Ich will das nicht!«</p>
-
-<p>Das Weib ging ein Weilchen schweigend neben Samo her.
-Plötzlich sagte sie halblaut:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_101">[101]</a></span></p>
-
-<p>»Zwei Adler fliegen aus dem Wendenland. Einer kommt
-zurück und baut sein Nest. Einer stürzt in den Lóbjofluß«<a id="FNAnker_25_25"></a><a href="#Fussnote_25_25" class="fnanchor">[25]</a>.</p>
-
-<p>»Was meinst du damit?« fragte Samo überrascht.</p>
-
-<p>Die Alte antwortete mit einem Spruch:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Wem Gott wohl will,<br /></span>
-<span class="i0">Dem kommt's im Schlafe;<br /></span>
-<span class="i0">Wem Gott nicht wohl will,<br /></span>
-<span class="i0">Dem fällt's vom Löffel.«<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Samo blieb stehen und sah der Alten scharf ins Gesicht.</p>
-
-<p>»Ich glaube, daß ich dich verstehe. Aber ich weiß nicht, ob
-ich dir trauen darf.«</p>
-
-<p>»So erlaube mir der junge Herr, daß ich ihm die Karten
-lege. Ich werde dann in seine Seele sehen und er in meine.«</p>
-
-<p>Samo sah sich um. Es war niemand in der Nähe. Er setzte
-sich also auf einen Rand des tiefen Feldweges und wies mit
-stummer Gebärde der Alten ihren Platz gegenüber an. Sie zog
-ein Päckchen schmutziger Karten, auf die allerhand mystische
-und allegorische Bilder gezeichnet waren, aus der Tasche, mischte
-sie und ließ Samo abheben. Er tat es und wischte sich gleich
-darauf die Hand am Grase ab.</p>
-
-<p>Die Alte breitete die Karten vor sich auf den Wegrand,
-kniete davor, fuhr mit dem Finger über die Karten, brummte
-allerlei vor sich hin und sagte dann:</p>
-
-<p>»Der junge Herr wird bald sein Examen sehr gut bestehen.«</p>
-
-<p>Samo lachte.</p>
-
-<p>»Das denkst du dir. Da hast du was davon läuten hören.«</p>
-
-<p>»Es steht in den Karten«, sagte die Wičaz ernst.</p>
-
-<p>Dann suchte sie wieder lange mit ihrem dürren gelben
-Finger und fuhr fort:</p>
-
-<p>»Der junge Herr liebt ein wendisches Mädchen!«</p>
-
-<p>Sie sah dabei Samo an, der sehr rot wurde. Da war die
-Alte schon wieder bei den Karten.</p>
-
-<p>»Das Mädchen ist für einen andern bestimmt; der junge<span class="pagenum"><a id="Seite_102">[102]</a></span>
-Herr wird viel Kämpfe bestehen müssen, aber er wird das Mädchen
-erringen, weil es das Volk will.«</p>
-
-<p>»Was heißt das: weil es das Volk will?«</p>
-
-<p>Samo fragte es schnell und erregt.</p>
-
-<p>»Der junge Herr wird der Kral werden!« sagte die Alte
-sehr ernst.</p>
-
-<p>Da sprang Samo auf, und seine flackernden Blicke suchten
-die Umgebung ab.</p>
-
-<p>»Bist du toll, Wičaz,« sagte er im Zischton, »du weißt, daß
-ich einen älteren Bruder habe.«</p>
-
-<p>»Mit dem Kopfe werfen wie ein Herrenpferd, das frommt
-nicht zum Glück. Das Volk wird ihn nicht mögen, es wird den
-Herrn Samo wollen. Zwei Adler fliegen aus vom Wendenland.
-Einer kommt zurück und baut sein Nest, der andere ertrinkt im
-deutschen Fluß.«</p>
-
-<p>»Du redest ja wie eine Weise, Weib!« rief Samo in höchster
-Überraschung. »Woher hast du diese Gedanken?«</p>
-
-<p>Die Alte lächelte.</p>
-
-<p>»Ich lese in den Karten und ich lese auch in den Herzen. Ich
-komme weit herum. Ich kenne viele Leute und sage ihnen ihre
-Zukunft. Soll ich Euch noch mehr prophezeien?«</p>
-
-<p>Er wehrte ab. In angestrengtem Nachdenken saß er da. Ein
-tiefes, grünes Feuer glimmte in seinen Augen, die einen neuen
-Weg sahen.</p>
-
-<p>Eine ganze Weile sagte er nichts.</p>
-
-<p>»Ihr legt vielen Leuten die Karten?« fragte er dann.</p>
-
-<p>»Es sind wenig Bauern auf dem Wege von hier nach der
-Stadt, und es ist keine Bäuerin, der ich nicht die Karten gelegt
-hätte. Alle jungen Männer kommen zu mir, auch viele Burschen,
-und in der Stadt habe ich eine Stube, wo ich alle Freitage und
-an jedem 7., 13. und 17. des Monats die Karten aufschlage;
-da sind oft an die dreißig, ja fünfzig Leute bei mir.«</p>
-
-<p>»Wenden?«</p>
-
-<p>»Ich spreche nicht Deutsch.«</p>
-
-<p>Samo nickte.</p>
-
-<p>»Ihr verdient viel Geld?« fragte er leichthin.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_103">[103]</a></span></p>
-
-<p>Sie lächelte.</p>
-
-<p>»Vom Botengehen wollte ich nicht leben. Die Bäuerin gibt
-mir für einen schweren Korb, den ich ihr aus der Stadt mitbringe,
-einen Silbergroschen, und wenn ich ihr auf ein paar
-Minuten die Karten aufschlage, gibt sie fünf Silbergroschen.
-Nur mein Lobo darf nicht wissen, was ich verdiene. Ich will
-ihm einmal eine kleine Wirtschaft kaufen, wenn er erst ein
-ordentliches Weib hat.«</p>
-
-<p>»Wenn Ihr Geld habt, warum wohnt Ihr in der kleinen
-Kamorka bei uns?«</p>
-
-<p>Die Wičaz lächelte überlegen.</p>
-
-<p>»Die Kartenlegerin muß arm sein,« sagte sie, »muß in einer
-Kamorka wohnen. Und sie muß Wanzen haben. Das gehört
-dazu. Und in Eurer Kamorka wohne ich, weil ich eben beim Kral
-wohne.«</p>
-
-<p>»Ah &ndash; ich verstehe Euch!«</p>
-
-<p>Samo betrachtete das Weib mit steigender Verwunderung
-und mit großem Interesse. Aber er beherrschte sich und sagte
-wieder leichthin, ja spöttisch:</p>
-
-<p>»Nun, ich kann mir wohl denken, was die Leute auf dem
-Herzen haben und was Ihr ihnen weissagen müßt: ob man
-das <em class="antiqua">čelatko</em><a id="FNAnker_26_26"></a><a href="#Fussnote_26_26" class="fnanchor">[26]</a> großziehen oder besser dem Fleischer verkaufen
-soll, wieviel Junge die <em class="antiqua">ranca</em><a id="FNAnker_27_27"></a><a href="#Fussnote_27_27" class="fnanchor">[27]</a> bekommen wird, und vor
-allem, ob der Jakub der Maruška treu ist und ob der Pilip die
-Marja kriegen wird.«</p>
-
-<p>Die Alte war nicht gekränkt.</p>
-
-<p>»Ja, das fragen sie wohl. Die Burschen fragen mich, ob sie
-beim Militär Gefreiter werden können, und die Mädel, ob sie
-im grünen Rautenkranz zum Traualtar gehen werden; die
-Männer, ob ihre Wirtschaft in die Höhe gehen wird, und die
-Weiber, was sie tun sollen, daß sie der Mann nicht prügelt.
-Und ich sag' ihnen immer das Richtige. Sie fragen mich auch,
-wo der billigste und beste Kaffee zu haben ist und von welchem<span class="pagenum"><a id="Seite_104">[104]</a></span>
-Kaufmann die Schürzenbänder am besten halten. Sie zahlen
-immer fünf Silbergroschen dafür. Und die Kaufleute wissen
-mich zu schätzen. Ich habe stets besseren Kaffee getrunken als
-die Frau Mutter.«</p>
-
-<p>Samo staunte über die menschenkundige Alte.</p>
-
-<p>»Ihr seid ein siebenmal schlaues Beest«, sagte er. »Aber
-warum wollt Ihr nur durchaus beim Kral wohnen?«</p>
-
-<p>»Alles, was vom König kommt, hat Ansehen.«</p>
-
-<p>»Habt Ihr auch manchmal Botschaften zu bringen &ndash; ich
-meine wendische Nachrichten?«</p>
-
-<p>»O ja &ndash; der Herr Vater hat mir immer vertraut. Ich habe
-manches auszurichten gehabt, und einmal hat ein Deutscher in
-der Stadt auf mich gesagt: Sieh da &ndash; das ist der wendische
-Staatskurier, das ist die Geheimrätin Wičaz! Ich habe ihn ausgelacht
-und gesagt, der Scholta vertraue mir nicht einmal an,
-ein paar Hühner zu verkaufen.«</p>
-
-<p>»So seid Ihr verschwiegen. Nun sagt mir, von wem habt
-Ihr das Gleichnis von den zwei Adlern?«</p>
-
-<p>»Ich habe es aus den Karten gelesen.«</p>
-
-<p>Samo machte eine wegwerfende Handbewegung.</p>
-
-<p>»Nun, so nehmen wir an, es ist mir eingefallen, wenn ich
-auf den weiten Wegen allein war, und es fiel mir immer ein,
-wenn ich in den Hof des Kral kam. Da sah ich es mit offenen
-Augen.«</p>
-
-<p>»Erzählt Ihr dieses Gleichnis auch anderen Leuten?«</p>
-
-<p>»Ich habe es noch nicht erzählt. Ich wollte es nicht sagen,
-daß der eine in dem Lóbjofluß ertrinken wird; sie würden sich
-sonst zu sehr freuen.«</p>
-
-<p>»Freuen? Über diesen Untergang?«</p>
-
-<p>»Ja; denn der eine Adler hat scharfe Krallen und läßt
-sie die Wenden fühlen, wo er nur kann. Er kratzt, bis es
-blutet.«</p>
-
-<p>Samo nickte und sah die Alte versonnen an.</p>
-
-<p>»Und der andere?« fragte er leise.</p>
-
-<p>»Der andere wird im Wendenland wohnen und herrschen.«</p>
-
-<p>Sie schwieg. Und er schwieg.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_105">[105]</a></span></p>
-
-<p>»Ihr könnt Euch auf mich verlassen, alte Wičaz«, sagte er
-endlich und gab ihr einen Taler.</p>
-
-<p>Da sah sie ihn durchdringend an und sprach:</p>
-
-<p>»Ich werde die Geschichte von den zwei Adlern jetzt überall
-erzählen, in allen Bauernstuben, allen Kleinbauern und Häuslern
-&ndash; auch den Wenden in der Stadt.«</p>
-
-<p>Er gab ihr noch einen Taler.</p>
-
-<p>Eine Woche später trat Juro durch das Feldtürchen in den
-Großgarten. Es war Abendzeit. Die stille Melancholie des
-Herbstes war über allen Feldern und Wegen und war auch in
-dem Herzen des jungen Mannes, der drüben bei der Geliebten
-gewesen war und von ihr Abschied genommen hatte.</p>
-
-<p>Morgen reiste er nach Breslau zurück. Die Ferien neigten
-sich dem Ende zu.</p>
-
-<p>Er hatte wieder mit Elisabeth gesprochen: von seinen
-Plänen, von der Zukunft. Er hatte ihr nicht gesagt, wie sehr der
-Vater gegen die Heirat sei; denn er hoffte, den stillen Mann
-schon noch für sich zu gewinnen, aber er hatte ihr doch wieder
-schwere Kämpfe in Aussicht gestellt.</p>
-
-<p>Und da hatte sie ihn das erstemal gefragt: ob er denn sein
-Werk nicht zu heftig angreife, ob er nicht mit mehr Geduld und
-Nachsicht die Herzen der Wenden eher gewinnen und besser an
-sein Ziel kommen werde.</p>
-
-<p>Herzlich hatte er gelacht, als sie sagte, sie ängstige sich oft
-um ihn; denn es gebe doch rohes, rachsüchtiges Volk. Nein,
-hatte er gesagt, er wolle nicht mit Geduld ans Ziel kommen.
-Geduld sei etwas für müde, rückständige Leute. Die Geduld, mit
-der die Regierung diesen Verhältnissen seit Jahrhunderten zuschaue,
-die Geduld, mit der der Wende seit tausend Jahren
-schläfrig und denkfaul in seinem Waldwinkel hocke, sie sei schuld
-an diesen Zuständen. Er kämpfe wie ein Deutscher, er erkläre
-laut und rücksichtslos den Krieg und greife dann den Gegner von
-vorn an ohne Maske und Schliche, nachdrücklich und kaltblütig.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_106">[106]</a></span></p>
-
-<p>So hatte er wieder einmal in Worten und Ideen geschwelgt.</p>
-
-<p>Dann aber war die fernere Zukunft ganz in die Ferne entwichen
-und in ihrem jungen Herzen nur das lebendig gewesen,
-was ihnen unmittelbar bevorstand.</p>
-
-<p>Seufzer und Küsse, Zärtlichkeiten und Treueschwüre, die
-Vereinbarung einer Stunde, in der sie täglich aneinander denken
-würden, wo und in welcher Lage sie sich auch befänden, eine
-Blume, ein blaues Band, eine Locke &ndash; alle diese Dinge, die in
-den Abschiedsstunden junger deutscher Liebesleute ihre süßschmerzliche
-Rolle spielten, sie hatten auch hier nicht gefehlt.</p>
-
-<p>Und nun, als Juro in den heimischen Garten trat, war er
-wie in der Fremde, das Herz war ihm so voll von Liebe und
-Leid und Zukunftsträumen, und die Gedanken gingen die
-abendlichen Wege zurück zu der Geliebten, die ihm nun mit
-ihrer süßen Mädchenliebe gewiß traurig nachschaute.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Birnbaum steht im weiten Felde,<br /></span>
-<span class="i0">Gold'nes Ringlein schläft darunter,<br /></span>
-<span class="i0">Von dem Turme schallt die Glocke,<br /></span>
-<span class="i0">Mädchen macht ein Federkränzlein.«<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Der leise Gesang schreckte Juro auf. Er sah Hanka drüben
-in der Nähe der Haustür unter einem Baume sitzen. Sie
-bürstete Schuhe ab. Und als er näher kam, sah er, daß es seine
-eigenen Schuhe waren, die er tags zuvor getragen hatte, als er
-bei Elisabeth war, und die auf regendurchweichtem Wege recht
-schmutzig geworden waren.</p>
-
-<p>Es war ihm arg unangenehm, das zu sehen, und ob er sonst
-wenig, fast nie mit dem Mädchen sprach, blieb er jetzt bei ihr
-stehen und sagte halb freundlich und halb ärgerlich:</p>
-
-<p>»Das sind ja meine Schuhe! Warum bürstest du sie ab?
-Das kann doch ein anderer machen. Wozu sind denn die Dienstleute
-da?«</p>
-
-<p>Sie war bei seiner Ankunft erschrocken. Nun wurde sie so
-knallrot, daß er bei sich dachte, sie habe doch eigentlich ein recht
-gewöhnliches Gesicht. Sie gab keine Antwort.</p>
-
-<p>»Warum machst du das?« fragte er wieder und nahm ihr<span class="pagenum"><a id="Seite_107">[107]</a></span>
-den Schuh aus der Hand. Er wußte gar nicht, daß er wendisch
-mit ihr sprach.</p>
-
-<p>»Mache ich es nicht gut?« fragte sie.</p>
-
-<p>»Darauf kommt's nicht an! Es ist keine Arbeit für dich. Du
-bist meine Verwandte!«</p>
-
-<p>Da sah sie ihn groß an, und ihr Gesicht wurde blässer und
-schöner, und sie sagte:</p>
-
-<p>»Laß mich's nur tun! Ich tue es gern.«</p>
-
-<p>Und dann schluckte sie ein paarmal und brachte heraus:</p>
-
-<p>»Denn ich bin doch deine Braut!«</p>
-
-<p>Da trat er langsam einen Schritt zurück und lehnte sich an
-den Baum.</p>
-
-<p>»Was sagst du? Wer &ndash; wer hat dir das gesagt? Hat dir das
-wirklich jemand gesagt?« fragte er mit erstaunter, schmerzlicher
-Stimme.</p>
-
-<p>Nun kam die Scham über sie, und sie wollte ins Haus
-laufen. Er hielt sie aber zurück.</p>
-
-<p>»Bleib, Hanka, es ist gut, wenn wir miteinander reden.
-Morgen muß ich fort.«</p>
-
-<p>Sie nickte traurig.</p>
-
-<p>»Du hast fast nie mit mir gesprochen. Du bist so fein und
-so stolz!«</p>
-
-<p>»Ich bin nicht fein und stolz. Ich will mit dir alles ordentlich
-und vernünftig besprechen. Komm mit, dort unter den
-Nußbaum!«</p>
-
-<p>Sie gingen tiefer miteinander in den Großgarten hinein.
-Unter dem Nußbaum war eine Bank. Er setzte sich und lud
-sie ein, neben ihm Platz zu nehmen. Aber sie weigerte sich und
-blieb mit gesenktem Haupte vor ihm stehen. Durch das Gezweig
-des Baumes fielen rote Lichtfunken auf ihren schlichten,
-blonden Scheitel, und Juro sah, daß Hanka ein kraftvolles,
-gesundes, hübsches Mädchen war. Da faßte ihn ein Unbehagen
-und eine Trauer, und er sagte:</p>
-
-<p>»Ich finde es unerhört, dir solche Dinge vorzureden. Nicht
-wahr, Hanka, du selbst hast nie daran gedacht?«</p>
-
-<p>»Wie sollte ich wohl? Ich habe dich gar nicht gekannt!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_108">[108]</a></span></p>
-
-<p>»Und wer hat dir das vorgeredet?«</p>
-
-<p>»Deine Mutter hat es mit meinen Eltern besprochen, als
-sie mich abholte, und dein Vater hat es auch gesagt.«</p>
-
-<p>Er nahm den Hut ab und fuhr sich nervös durch die Haare.</p>
-
-<p>»Wie alt bist du, Hanka?«</p>
-
-<p>»Achtzehn Jahre.«</p>
-
-<p>»Das ist sehr jung! Aber das weißt du doch, daß zwei
-Menschen nicht von Vater und Mutter miteinander verheiratet
-werden können, daß es auf sie selber ankommt?«</p>
-
-<p>»Ich habe meinen Eltern immer gehorcht.«</p>
-
-<p>Er haschte nach ihrer Hand. Hart und schwer lag sie in seiner
-feinen Rechten.</p>
-
-<p>»Du bist ein gutes Kind, Hanka! Aber sieh mal, wenn
-man sich heiraten soll, muß man sich doch liebhaben, nicht wahr?
-Du hast gewiß einen schönen Burschen in deiner Heimat lieb.«</p>
-
-<p>Sie erglühte.</p>
-
-<p>»Siehst du, Hanka, und du brauchst mir das gar nicht zu
-sagen. Aber ich verspreche dir, daß ich dafür sorgen werde, daß
-dich niemand mehr mit solchen Dingen belästigt; ich verspreche
-dir, dafür einzutreten, daß du deinen Liebsten heiraten kannst.«</p>
-
-<p>Da sagte sie:</p>
-
-<p>»Ich habe keinen Liebsten!«</p>
-
-<p>»Du hast keinen?«</p>
-
-<p>»Nein, ich habe immer gehört, daß ich &ndash; daß ich&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Daß du mich heiraten mußt!« vollendete er. »Aber,
-Hanka, das ist nicht so, dazu kann dich kein Mensch zwingen,
-auch dein Vater und deine Mutter nicht. Dazu bist du nicht
-verpflichtet, weder vor Gott noch vor den Menschen! Am wenigsten
-bist du es mir schuldig! Damit du aus allen Zweifeln
-herauskommst, will ich dir sagen, Hanka: ich habe schon eine
-Braut!«</p>
-
-<p>Da hob sie jäh den Kopf und starrte ihn erschrocken an.</p>
-
-<p>Sie brachte kein Wort heraus.</p>
-
-<p>»Ja, Hanka, ich muß es dir sagen, daß du im klaren bist.
-Freust du dich denn nicht, daß du jetzt frei bist, daß du mich los
-bist?«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_109">[109]</a></span></p>
-
-<p>Er versuchte in scherzhaftem Tone zu fragen.</p>
-
-<p>»Ja, liebes Mädel, jetzt bist du frei, jetzt kannst du alles
-auf mich schieben. Auf meinem Rücken hat viel Platz!«</p>
-
-<p>Sie zupfte an ihrem Brusttuch und sagte kein Wort. Er
-fragte betroffen:</p>
-
-<p>»Ja, bist du denn nicht einverstanden? Freust du dich nicht?«</p>
-
-<p>Da stammelte sie:</p>
-
-<p>»Ja, &ndash; ja &ndash; ich freue mich &ndash; ich wäre ja auch viel &ndash;
-viel zu gewöhnlich&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Hanka, davon ist nicht die Rede! Ich hatte doch meine
-Braut schon, ehe ich dich sah!«</p>
-
-<p>Ihre Augen flogen noch mit ein paar flackernden Blicken
-zu ihm hin, dann sagte sie:</p>
-
-<p>»Ich muß hinein!«</p>
-
-<p>Und sie ging trotz seines Zurufes.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Am späten Abend lehnte Juro am offenen Fenster seiner
-Giebelstube. Die Herbstnacht war dunkel, ein müder Wind
-ging durch welkes Laub und dürres Gras.</p>
-
-<p>Dort vom Berge her grüßte der Hochwald.</p>
-
-<p>Dahinter lag das Haus der Geliebten.</p>
-
-<p>Morgen war er weit.</p>
-
-<p>Wie still es war! Einmal nur klagte ein Vogel, dann war
-tiefe Ruhe.</p>
-
-<p>Da drang leises Weinen an Juros Ohr.</p>
-
-<p>Unten aus dem Garten.</p>
-
-<p>Lehnte nicht dort ein Mädchen?</p>
-
-<p>War das nicht Hanka?</p>
-
-<p>»Hanka!« rief Juro leise hinab. »Hanka!«</p>
-
-<p>Eine Gestalt huschte in tiefes Dunkel, und nichts regte sich
-mehr. Juro lehnte noch eine Weile am Fenster, ehe er es
-fröstelnd schloß.</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Budže bohu skoržene! Zrudna wutoba!</em>« sagte er in
-seiner wendischen Muttersprache zu sich.</p>
-
-<p>»Gott sei es geklagt: Ein trauriges Herz!«</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_110">[110]</a></span></p>
-
-<p class="ph2">Ehe der Kral in die große Wendenschlacht zog, vergrub er
-die Krone, die er zu Burg vor allem Volk getragen hatte,
-an einem sicheren Orte. Im tiefsten Wald hat der Kral die Krone
-vergraben, an einer Stelle, wohin kein Weg noch Fußpfad
-führt. Einen kleinen Hügel hat er über dem Grabe des Königsschmuckes
-errichtet. Den haben die Kiefern mit langen, braunen
-Nadeln zugedeckt.</p>
-
-<p>Der Kronenhügel ist ein heiliger Ort.</p>
-
-<p>Der Holzschläger achtet seinen geweihten Bannkreis auf
-hundert Schritt. Was am Kronenhügel wächst und steht,
-welkt oder fällt, entsteht und vergeht nach den Gesetzen des
-Urwalds.</p>
-
-<p>Kein Jäger schießt am Kronenhügel ein Wild. Dort ist
-Gottesfriede für Mensch und Tier.</p>
-
-<p>Die alten Weiblein, die Pilze suchen, die Kinder, die im
-Walde spielen, fürchten sich, allein zum Kronenhügel hinzugehen.</p>
-
-<p>Selten steht ein ernster Wende sinnend an dem Hügel; die
-meisten wissen gar nicht den Weg zu ihm. Sie wissen nur, in
-welchem Walde er liegt, und mancher, dem sonst die Kappe
-fest auf den Ohren sitzt, lüftet sie in heimlicher Stunde, wenn
-er einsam an dem Walde vorbeikommt. Auf dem Hügel ist ein
-einzelner Stein. Er sieht aus wie ein altersgrauer Grenzstein.
-Ein Hufeisen ist darauf eingedrückt.</p>
-
-<p>Der Nachtjäger hat einmal Sturm geritten gegen den Hügel;
-aber als das Roß den Huf auf den Stein setzte, ist ihm das
-Eisen glühend geworden, und es ist mit dem Nachtjäger
-davongerast, und der wilde Jäger hat sich nimmer getraut an
-selbigen Ort.</p>
-
-<p>Seit tausend Jahren liegt die Krone des Kral in jenem
-kleinen Hügel.</p>
-
-<p>Wann wird die Jungfrau mit der silbernen Schaufel
-kommen, nach ihr zu graben?</p>
-
-<p>Gott weiß es! Aber dann wird Wendenland groß und
-mächtig werden.</p>
-
-<p>Indessen schlafe in Gottes Hut, alte Krone! Das Volk
-denkt an dich! Der Schiffer tief drunten an der Spree träumt<span class="pagenum"><a id="Seite_111">[111]</a></span>
-manchmal von dir, wenn er in langsamer Fahrt durch das
-stille Wasser zieht; der Pflugtreiber, der sich auf sandigem
-Hügelfeld im Oberland um geringen Lohn quält und müht,
-ermißt in seinen einsamen Gedanken deinen Wert; im heimlichen
-Kreis der winterlichen Spinnstuben wird von dir geraunt
-und geflüstert, und keines dieser treuen armen Menschenkinder
-wird dich je verraten.</p>
-
-<p>Schlaf in Gottes Hut, alte Krone, bis der junge Morgen
-tagt, da du auferstehst aus deinem ehrwürdigen tausendjährigen
-Grabe!</p>
-
-<p>Inzwischen wird die weiße Wolke, die über Wendenland
-segelt, oft über dir halten und im Abendrot auf dich herniederglühen,
-wird der weiße Fisch in der Sprewja im stillen Wasser
-stehen und nach dem grünen Walde hinüberlugen, wo du
-schläfst.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Samo und die alte Wičaz, die sich wieder einmal von
-ungefähr auf dem Felde getroffen hatten, sahen von ferne den
-grünen Kronenwald.</p>
-
-<p>Da wies die Alte nach dem Walde hin und sagte:</p>
-
-<p>»Daran will er sich auch vergreifen!«</p>
-
-<p>»Woran? Doch nicht an dem Kronenhügel?«</p>
-
-<p>»Ja, an dem Kronenhügel.«</p>
-
-<p>»Wer? Juro?«</p>
-
-<p>»Ja!«</p>
-
-<p>»Pah! Das ist Unsinn! Daran wagt sich keiner!«</p>
-
-<p>Die Wičaz zuckte die Achseln.</p>
-
-<p>»Ich weiß es!«</p>
-
-<p>»Das ist nicht möglich. Aber erzähle, was du weißt!«</p>
-
-<p>Er gab ihr wieder ein Geldstück.</p>
-
-<p>Die Alte duckte sich ein bißchen zusammen, wandte den
-grauen Kopf zu Samo hin und sagte:</p>
-
-<p>»Drin in der Stadt hat ein Kaufmann hinter seinem Laden
-eine Weinstube. Da hat der Herr Juro mit seinem Freunde
-Heinrich von Withold gesessen. Und sie haben fünf Flaschen
-Wein zusammen getrunken. Ihi! Die Wenden saufen. <em class="antiqua">Palenc<span class="pagenum"><a id="Seite_112">[112]</a></span>
-je walenc</em>! Die Deutschen saufen nicht. Wein ist wohl kein
-Umwerfer &ndash; wie? Wein ist teuer, die Deutschen sind reich;
-Branntwein ist billig, der Wende ist arm.«</p>
-
-<p>»Alle Völker saufen!« sagte Samo verächtlich. »Halte mich
-nicht auf, erzähl, was ich hören will!«</p>
-
-<p>»Wie sie schon etwas betrunken waren, hat der Herr Juro
-wieder davon gesprochen, daß er die Wenden deutsch machen
-will, hat über das Wendische geschimpft und hat auch vom
-Kronenhügel angefangen. Das sei ein blöder Ameisenhaufen,
-hat er gesagt.«</p>
-
-<p>»Das hat er nicht gesagt«, fiel Samo ein, »dafür ist er
-zu klug.«</p>
-
-<p>»Er hat es gesagt. Und dann hat er von einem deutschen
-Bischof angefangen, einem ganz alten, der hat einmal eine
-Eiche umgehackt.«</p>
-
-<p>»Bonifacius?«</p>
-
-<p>»Jawohl &ndash; so hieß er. Ich konnte den deutschen Namen
-nicht behalten. Die Eiche ist den Leuten dort heilig gewesen.
-Und der Bischof hat sie umgehauen, daß die Leute sehen sollten,
-die Geschichte mit der Eiche sei Lüge und Plunder.«</p>
-
-<p>Samo tat drei rasche Atemzüge.</p>
-
-<p>»Und so &ndash; so will sich Juro an dem Kronenhügel vergreifen?
-Etwa nachgraben? Den Leuten beweisen, daß keine
-Krone in dem Hügel liegt, dadurch ihren Volksglauben, ihre
-ganze Hoffnung, ihre Nationalität zerstören?« Er sprach mehr
-zu sich selbst. Aber die alte Wičaz antwortete:</p>
-
-<p>»Ja, er wird den Hügel aufreißen. Er hat es gesagt.«</p>
-
-<p>»Wer hat es gehört?«</p>
-
-<p>»Der Kaufmann. Sonst niemand! Denn der Lehrling, den
-er hat, versteht nicht Deutsch.«</p>
-
-<p>»Und der Kaufmann &ndash; wird er es nicht weitererzählen?«</p>
-
-<p>»Nein. Er hat gewartet, bis ich in seinen Laden kam, und
-es erst mir erzählt; denn ich verschaffe ihm viel Kundschaft.
-Und er weiß, daß Juro der Sohn vom Kral ist, bei dem ich
-wohne. Ich habe ihm gesagt, er dürfe es niemand weitererzählen,
-was er gehört hat.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_113">[113]</a></span></p>
-
-<p>»Warum?«</p>
-
-<p>Die alte Wičaz zuckte die Achseln.</p>
-
-<p>»Ich wollte Euch erst fragen, Pan Samo!«</p>
-
-<p>Er antwortete nicht. Er blieb stehen, und seine Augen
-hafteten am Boden.</p>
-
-<p>»Wenn Ihr wollt, Pan Samo, so wissen es in acht Tagen
-alle Wenden«, sagte sie in lauerndem und vertraulich klingendem
-Tone.</p>
-
-<p>Er wehrte heftig ab.</p>
-
-<p>»Nein! Es darf niemand wissen, &ndash; niemand &ndash; hörst
-du? &ndash; Oder du fliegst aus dem Hof, &ndash; hörst du? &ndash; Ich will
-es nicht! &ndash; Er ist mein Bruder! &ndash; Und ich &ndash; ich glaube
-überhaupt nicht, daß er das gesagt hat. Geh jetzt!«</p>
-
-<p>Er machte wieder seine wegwerfende Handbewegung. Die
-alte Wičaz starrte ihn an und wußte nicht, was sie zu dieser
-Veränderung sagen sollte.</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Tý plundrawa!</em><a id="FNAnker_28_28"></a><a href="#Fussnote_28_28" class="fnanchor">[28]</a> Scher' dich zum Teufel!«</p>
-
-<p>Sie wandte sich erschreckt ab.</p>
-
-<p>Da rief er sie noch einmal an.</p>
-
-<p>»Ich will keine Vertraulichkeiten mit dir, verstehst du?
-Das ist selbstverständlich! Das gibt es nicht! Ich habe mit dir
-nichts zu schaffen. Gar nichts! Natürlich nicht! Und was du
-mir gesagt hast, ist alles Unsinn! Altweiberquatsch! Wičaz,
-ich sage dir, halte dich fern von Juro und mir! Sage nicht so &ndash;
-sage nicht anders. Sage gar nichts! Dann kannst du auf dem
-Hof wohnen bleiben, und es bleibt alles, wie es war. Sonst &ndash;
-du weißt, ich bin der einzige, der dich halten kann.«</p>
-
-<p>Er wandte sich ab und schlug rasch einen Seitenpfad ein.
-»Herrendienst ist rund«, sagte bestürzt die »Sprichwörter-Wičaz«.
-Aber nach einer Weile, als sie nachgedacht hatte,
-sprach sie schlau blinzelnd bei sich selbst: »<em class="antiqua">Stóž je z kóčdu
-wločil, najljepe wje kak čelńe.</em>«<a id="FNAnker_29_29"></a><a href="#Fussnote_29_29" class="fnanchor">[29]</a></p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_114">[114]</a></span></p>
-
-<p class="ph2">Über die ehrwürdige Karlsbrücke im »goldenen Prag«
-gingen zwei junge Männer. Es war bereits Nacht. Die
-»argandischen Lampen« der damaligen Straßenbeleuchtung
-erhellten den Weg nur schwach und unvollkommen; hin und
-wieder nur blitzte die Laterne eines Kahns vom dunklen
-Moldauwasser herauf; der Hradschin aber, die heilige Akropolis
-von Prag, lag in Sternenlicht und hob sich zauberisch schön von
-dem dunkelblauen Nachthimmel ab.</p>
-
-<p>»Wie fühlst du dich in der Tschamarka?« fragte der eine
-der jungen Männer.</p>
-
-<p>»Ich bin glücklich!« sagte darauf der andere.</p>
-
-<p>Es war Samo. Er war, ehe er nach Breslau zurückkehrte,
-nach Prag gefahren, um einige Tage bei guten Freunden
-zu sein, die er früher in Breslau kennengelernt und mit denen
-er einer slawischen Geheimverbindung angehörte.</p>
-
-<p>Der andere betrachtete ihn von der Seite.</p>
-
-<p>»Sie kleidet dich trefflich. Ha, sie haben uns auch diese
-Nationaltracht nehmen wollen; jahrelang durften wir uns
-in der Tschamarka nicht sehen lassen, &ndash; jetzt wird es wieder
-anders!«</p>
-
-<p>Samo betrachtete sich. An dem bunten, mit vielen Schnüren,
-Bändern und Litzen verzierten Rock schaute er hinab bis auf
-die Stiefel, die ihm bis an die halbe Wade reichten. Und er
-rückte an dem runden slawischen Hut, den er trug.</p>
-
-<p>»Ich fühle mich wohl in diesem slawischen Ehrenkleide, und
-ich wünschte, daß alle Böhmen es trügen«, sagte er.</p>
-
-<p>»Hab nur Geduld; bald wird es so sein.«</p>
-
-<p>Bei der Nepomuk-Statue blieben sie stehen.</p>
-
-<p>»Es ist eigentlich schade, daß ihr Protestanten seid«, sagte
-der Prager.</p>
-
-<p>Samo zuckte die Achseln.</p>
-
-<p>»Religion läßt sich ändern, Nationalität nicht«, sagte er
-gleichgültig.</p>
-
-<p>»Das heißt, &ndash; verstehe mich nicht falsch«, rief der zweite
-darauf, »ich meine nur, es ist schade für die Einheitsbestrebungen!
-Sonst weißt du wohl, daß ich kein Freund der<span class="pagenum"><a id="Seite_115">[115]</a></span>
-Pfaffen bin. Ach du, &ndash; wenn wir noch Hussiten wären! Da
-wäre alles anders!«</p>
-
-<p>Sie lehnten sich an die Brückenbrüstung und schauten hinunter
-zur dunklen Moldau.</p>
-
-<p>»Ich sage dir, Samo, ich kann keine Hussitenfahne sehen,
-ohne daß ich toll werde. Und wenn die <em class="antiqua">pamatka mistra Jana
-Husi</em><a id="FNAnker_30_30"></a><a href="#Fussnote_30_30" class="fnanchor">[30]</a> kommt, da weiß ich, da wissen Tausende und aber
-Tausende hier im Lande, zu welcher Religion wir eigentlich
-gehören sollten. Dann wallt sie wieder auf, die schwarze Fahne
-mit dem roten Kelch, und ich sag' dir, Tausende von treuen
-Papisten kommen in inneren Zwiespalt, weil sie den als
-religiösen Ketzer verdammen sollen, den sie als nationalen
-Helden vergöttern müssen. Denn so wie Jan Hus hat selten
-einer die Deutschen gehaßt.«</p>
-
-<p>»Keiner, es sei denn Ziška«, sagte Samo. »Wie Hus mit
-Hilfe Wenzels alle deutschen Studenten aus Böhmen verjagte,
-wie er am Tage ihrer Vertreibung einen Jubelhymnus
-von der Kanzel sprach, das war herrlich!« Der andere seufzte.</p>
-
-<p>»Die Jesuiten haben die vertriebenen deutschen Hunde
-wieder zurückgebracht, und heute bellen sie frecher als je.« Eine
-Weile schwiegen die Jünglinge. Da schlang der Prager den
-Arm um Samos Nacken und sprach: »Oh, Samo, wenn ich
-den Brüdern sagen könnte, wer du bist! Wenn ich jetzt auf
-unserer großen Beseda den Brüdern zurufen könnte: Sehet
-da einen slawischen Königssohn, sehet da den zukünftigen
-Kral der Lausitzer Sorben, sehet da den König unserer unerlösten
-Brüder an der Sprewja!«</p>
-
-<p>»Ich bin es nicht«, entgegnete Samo finster; »mein Bruder
-ist es, der Renegat.«</p>
-
-<p>»Du bist es, und dein Bruder wird es nie sein!« sagte
-der andere feierlich.</p>
-
-<p>Darauf gingen sie weiter und traten zuletzt in den hell<span class="pagenum"><a id="Seite_116">[116]</a></span>
-erleuchteten Hausflur eines Gasthauses der Altstadt. An der
-Treppe bereits kamen ihnen einige Leute entgegen, die auch die
-tschechische Tschamarka trugen, und begrüßten sie mit Herzlichkeit.
-Die Tür eines großen Saales war mit Lindenzweigen
-und vielen kleinen rot-weiß-blauen Fähnchen geziert. Die
-Wände des Saales waren festlich geschmückt. Überall rot und
-weiß, die tschechischen Nationalfarben, überall Zweige von der
-Linde, dem heiligen Baum der Slawen. Das rote und gelbe
-Herbstlaub nahm sich bunt und schön aus auf dem grünen
-Untergrund von Tannenzweigen. An einer Wand war ein
-Podium mit einer Rednertribüne aufgeschlagen. Über der
-Podiumswand prangte die goldene Wenzelskrone; darunter
-waren die Wappen der »slawischen« Länder: der böhmische
-weiße Löwe, der Adler Mährens, der schwarze schlesische Aar,
-der gekrönte weiße Adler Polens, auch das Schachbrettwappen
-der Kroaten und der doppelköpfige Aar der südslawischen
-Serben. Was aber Samo mit tiefer Rührung erfüllte, war,
-daß auch die Wappen seiner wendischen Heimat nicht vergessen
-waren, die Oberlausitzer goldene Mauer im blauen Feld und
-der Niederlausitzer rote Stier auf weißem Grund. Auf einer
-Seite des Podiums die rot-weiße böhmische Flagge, auf der
-anderen die rot-weiß-blaue »slawische Trikolore«.</p>
-
-<p>Ein buntes Menschengewühl im Saal. Viele Männer in
-der böhmischen Tschamarka, viele in der komödiantenhaft
-bunten Tracht der nationalen Sokolvereine, hier ein Pole in der
-Konfederatka, dort ein Hanak in grellrotem Gewand mit
-blauem Mantel, da ein Bulgare mit der Tschubaramütze aus
-Pelzwerk; sogar ein Montenegriner ist da, dem Dolch und
-Pistole im Gürtel stecken. Die Mädchen tragen slawische
-Mieder, mit rot-weiß-blauen Bändern und Schleifen geschmückt,
-viele haben Kränze von Lindenlaub im Haar.</p>
-
-<p>Man spricht nur das Tschechische, das auch die anderen
-slawischen Stämme notdürftig verstehen. Samo, der die
-tschechische Sprache völlig beherrscht, wird von seinem Freunde
-Bohuslaw vielen Leuten vorgestellt, von allen mit großer
-Freundlichkeit und vielem Interesse behandelt.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_117">[117]</a></span></p>
-
-<p>Wie es mit der deutschen Bedrückung bei den sorbischen
-Brüdern an der Spree stehe, ob es wahr sei, daß Budissin
-in Sachsen noch eine ganz slawische Stadt sei, und ob die
-Lausitzer auch nie vergessen würden, daß sie zu Böhmen gehören,
-slawisches Blut zu slawischem Blut, slawisches Land
-zu slawischem Land? Hier im »goldenen Prag« seien die nördlichen
-Brüder unvergessen, wie ja auch ihre Wappen an der
-Wand andeuteten. Samo redete wenig, aber er drückte allen
-mit leuchtenden Augen die Hand.</p>
-
-<p>Dann begann die Feier. Sie wurde mit dem alten Wenzelsliede
-eingeleitet, das alle Anwesenden stehend sangen:
-»<em class="antiqua">Svaty Václave</em>«.</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Heiliger Wenzeslaus,<br /></span>
-<span class="i0">Herzog des Böhmerlands,<br /></span>
-<span class="i0">Du unser Fürst,<br /></span>
-<span class="i0">Bitt für uns bei Gott!«<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Stolz stehen sie da und singen das alte Kirchenlied. Aber
-sie denken wohl nicht an den frommen, milden Heiligen, der
-so demütig war, daß er den Weizen selbst säte, erntete, mahlte,
-aus dem er die Hostien buk, daß er den Wein selbst kelterte,
-den er zum heiligen Opfer brauchte. Vergessen das Bild
-frommen Friedens; Wenzeslaus ist diesen Leuten der geistige,
-politische Führer geworden, weil er der Träger der Wenzelskrone
-war.</p>
-
-<p>Und die glühenden Augen hängen an dem Abbild der alten
-Krone, die dort zwischen Heimatsfahnen und Lindenlaub zu
-sehen ist; der milde Heilige ist zum Bannerträger geworden,
-zum Schutzpatron im Kampfe gegen die Deutschen; und in dem
-Liede, das vom Heiligen Geist spricht und von der Schönheit
-des Himmels, bitten diese Leute um irdisches Heil, um politischen
-und sozialen Sieg.</p>
-
-<p>Das Lied verhallt. Die Menge setzt sich nieder. Ein ziemlich
-junger Mann besteigt die Rednertribüne.</p>
-
-<p>»Heil dem slawischen Volke!« beginnt er und begrüßt »die
-slawischen Brüder«, die zum Teil weither gekommen seien<span class="pagenum"><a id="Seite_118">[118]</a></span>
-vom fernen Südland, wo der rohe Türke die Brüder knechte
-seit Jahrhunderten, und vom Norden, wo es am Fluß der
-Sprewja den Slawen nicht viel besser ergehe.</p>
-
-<p>Die Menge klatscht Beifall; viele Leute sehen auf Samo.
-Der sitzt regungslos da. Er möchte mit dem Kopf nicken;
-aber er bringt es nicht fertig, weil ihm im gleichen Augenblick
-sein Vater einfällt, der ein zufriedener Preuße ist.</p>
-
-<p>Bedrückung überall, fährt der Redner fort, Ungerechtigkeit,
-Vergewaltigung durch die rohe Übermacht! Nicht die geistige
-Übermacht! Denn geistig waren die Slawen den Germanen
-immer überlegen!</p>
-
-<p>Ein starker Beifallssturm der anwesenden Slawen bestätigt
-diese bescheidene Behauptung.</p>
-
-<p>Als die Deutschen noch lebten wie die Tiere, als sie Eicheln
-fraßen, sich in Felle hüllten und Ochsenhörner auf dem Kopfe
-trugen, waren die Slawen längst in viel höherer Kultur. Und
-wir Slawen sollen unseren geistigen Besitz den Deutschen
-verdanken?</p>
-
-<p>Stürmischer Widerspruch.</p>
-
-<p>Eingenistet haben sie sich in dieses Land, das Gastrecht
-haben sie gemißbraucht! Denn den Slawen ist der Gast heilig.
-»Hast du einen Gast im Haus, so hast du Gott im Haus«,
-das ist immer und ewig der slawische Grundsatz gewesen.
-Aber der Gast betrog uns, er machte sich zum Herrn!</p>
-
-<p>Er betrog uns um die Herrschaft, um unser leibliches Gut.
-Wie haben aber die Deutschen erst geistig gestohlen und gefälscht!
-Wer ist der Feldherr Wallenstein, der ihr Land vor den
-Ausländern rettete? Ist er nicht der Tscheche <em class="antiqua">Valdstyn</em>? Wer
-ist ihr gefeierter Feldmarschall Radetzky, dem sie so ungeheuer
-viel verdanken? Ist er nicht unser slawischer Bruder Hradecky?
-Hat nicht ein Tscheche die Buchdruckerkunst erfunden? War
-nicht der große Jan, der diese unsterblichste aller Künste erfand,
-ein Ausgewanderter aus unserer böhmischen Stadt Kuttenberg?
-War es nicht eine Frechheit sondergleichen von den Deutschen,
-<em class="antiqua">anno</em> vierzig die Buchdruckerkunst als <em class="gesperrt">ihre</em> Erfindung zu bezeichnen,
-aus einem Jan Kuttenberg einen Johann Gutenberg<span class="pagenum"><a id="Seite_119">[119]</a></span>
-zu machen? Aber laßt sie nur ihr ›Gott erhalte Franz den
-Kaiser‹ brüllen; Joseph Haydn hat die Melodie den Tschechen
-gestohlen, und das wird noch an den Tag kommen! Was haben
-die Deutschen nicht alles von uns! Stammt nicht ihr Dichter
-Lessing aus dem wendischen Dorfe Kamenz; ist er also nicht
-ein Slaw? Hat nicht Karl Maria von Weber seinen »Jungfernkranz«
-den Tschechen gestohlen? Und da wollen die Deutschen
-sagen, wir hätten keinen großen Dichter, keinen großen
-Musiker?« Es gab wieder starken Beifall. Nur Samo und sein
-Freund Bohuslaw saßen mit niedergeschlagenen Augen da.
-Bohuslaw wußte, daß die kuriose Beweisführung des Redners
-seinem klugen Freunde peinlich war.</p>
-
-<p>Der Redner fuhr fort: »Wofür sollen wir uns bei den
-Deutschen bedanken? Dafür, daß sie uns zu knebeln versuchten,
-daß sie unsere Sprache, unsere Sitte, unsere Freiheit verfolgten,
-unsere Söhne auf ihre Schlachtfelder schleppten, dafür, daß
-der preußische Barbar Friedrich <em class="antiqua">II.</em> unseren heiligen Hradschin
-beschoß, allein an einem Tage eintausendfünfhundert Kugeln
-gegen unseren Dom richten ließ, dafür, daß wir selbst die Gebeine
-des heiligen Jan von Nepomuk vor ihm in Sicherheit
-bringen mußten?«</p>
-
-<p>Tosende Zwischenrufe. Der Redner erhob die Stimme zu
-größter Kraftentfaltung. Er brüllte:</p>
-
-<p>»Sollen wir uns bei den Deutschen dafür bedanken, daß
-sie uns unseren großen Magister Jan Hus heimtückisch
-ermordeten?«</p>
-
-<p>Brausende Bewegung.</p>
-
-<p>»Warum haben sie ihn ermordet? Wegen seiner kirchlichen
-Lehre etwa? Manch einer hat freiere Dinge gelehrt und blieb
-am Leben und blieb in Ehren. Warum haben sie Luther geschont
-und Jan Hus verbrannt? Weil Luther ein Deutscher war und
-Jan Hus ein Böhme!«</p>
-
-<p>Jetzt sprangen viele auf. Auch Samo und Bohuslaw. Und
-sie standen da mit wogender Brust und leuchtenden Augen.
-Spazierstöcke mit dem Ziška-Knopf wurden hochgehoben, und
-das Symbol der Hussitenkeule schwebte in der Luft.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_120">[120]</a></span></p>
-
-<p>»Darum haben sie ihn ermordet«, rief der Redner, »weil
-er die Deutschen haßte, wie sie es verdienten, weil er eines
-Sinnes, einer Seele war mit dem slawischen Volk, weil seine
-Donnerstimme die deutschen Studenten aus dem Lande
-scheuchte, weil er den deutschen Ratsherren in Prag das Handwerk
-legte, weil er für unsere Muttersprache eintrat, weil er
-gesagt hat: ›So wie Nehemias, als er hörte, jüdische Kinder
-sprächen halb Azotisch und könnten nicht mehr rein Jüdisch
-sprechen, diese geißelte, so verdienen die Prager gegeißelt zu
-werden, die halb Deutsch reden!‹ Hatte er nicht recht, meine
-Brüder?«</p>
-
-<p>Stürmische Zustimmung.</p>
-
-<p>»Slawische Brüder! Jan Hus ist verbrannt worden, weil
-er der Feind der Feinde seines Vaterlandes war!«</p>
-
-<p>Der Redner griff blitzschnell in die Rocktasche und zog eine
-kleine schwarze Fahne heraus, die Hussitenfahne mit dem
-roten Kelch.</p>
-
-<p>Ein Teil der Versammelten heulte laut auf vor Jubel, ein
-anderer schwieg. Ein katholischer Priester sprang auf das
-Podium, verschaffte sich durch eine Handbewegung Schweigen
-und rief:</p>
-
-<p>»Im Namen der heiligen Kirche muß ich protestieren gegen
-die Entfaltung dieser Fahne!«</p>
-
-<p>Der Redner sah ihn an.</p>
-
-<p>»Nun gut«, sagte er, »ich will nicht Zwietracht säen unter
-die Brüder. Ich stecke die Fahne ein. Aber ich sage, es ist notwendig,
-an ein Konzil zu appellieren, daß die Akten des Jan
-Hus noch einmal revidiert werden. Wir können uns in nationaler
-Beziehung von diesem großen Mann nicht trennen.«</p>
-
-<p>Niemand widersprach.</p>
-
-<p>Noch einmal kam der Redner zu sprechen auf die großen
-welt- und kulturgeschichtlichen Leistungen der Slawen. Belisar,
-der dem Kaiser Justinian die Schlachten gewann, war ein
-Slawe, eine Unmenge deutscher Städte sind slawische Gründungen,
-ja die erste Kultur Oberitaliens war slawisch. Venedig
-ist weiter nichts als eine ursprünglich slawische Stadt.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_121">[121]</a></span></p>
-
-<p>Samo rückte wieder ungeduldig auf dem Stuhle hin und
-her. Weiter prahlte der Redner. Es sei heute eine Binsenweisheit,
-daß vor Christoph Kolumbus längst ein polnischer
-Seefahrer von Island aus Amerika entdeckt habe; in der
-Geschichte Christians <em class="antiqua">II.</em> von Dänemark sei das nachzulesen.
-Neuerdings würde auch geprüft, ob das berühmte Buch »Von
-der Nachfolge Christi« nicht einem Slawen statt Thomas a
-Kempis zuzuschreiben sei. Schließlich kam der Redner auf
-Rußland zu sprechen, von dessen Stärke allein die Auferstehung
-slawischer Macht zu hoffen sei. Hoffen wir auf den Zaren!</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">At' žije!</em>«<a id="FNAnker_31_31"></a><a href="#Fussnote_31_31" class="fnanchor">[31]</a> rief die Menge begeistert dazwischen.</p>
-
-<p>»Ja,« schrie der Redner, »ich halte es mit unserem großen
-Havlitschek-Borowsky: ›Lieber die russische Knute als die
-deutsche Freiheit!‹«</p>
-
-<p>Es gab Beifall, in den allerdings die anwesenden Russisch-Polen
-nicht einstimmten.</p>
-
-<p>Eine Schlußapotheose des Slawentums, die dem sprachgewandten
-Redner gut gelang, und in der sich die Schönheit
-und der Reichtum der tschechischen Sprache offenbarte.</p>
-
-<p>Und der Redner schloß, indem er zu singen anhub:</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Kde domov muj?</em>«</p>
-
-<p>»Wo steht mein Vaterhaus?«</p>
-
-<p>Die Versammlung sang das sehr schöne tschechische Heimatlied
-mit.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Ein älterer Mann stieg auf die Rednertribüne. Er sprach
-gemäßigter, sprach von den strengen tschechenfeindlichen Erlassen
-Josephs <em class="antiqua">II.</em>, erörterte allerhand schikanöse Anordnungen
-der Wiener Regierung, unter anderem, daß die
-Tschechen in ihrem eigenen Lande nicht in tschechischer Sprache
-telegraphieren dürften, während dies in allen möglichen
-fremden Sprachen erlaubt sei.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Da erscheinen zwei männliche Gestalten auf dem Podium,
-die das Erstaunen aller aufs höchste erregen. Der eine ist
-bunter als ein Pfau. Er trägt einen stechend grünen Rock,<span class="pagenum"><a id="Seite_122">[122]</a></span>
-knallrote Weste, hellgelbe Hose, braune Stiefel, eine riesig
-lange weißrote Krawatte und einen scheckigen, rot-weiß-blauen
-Hut. Sein Begleiter hat einen Zottelpelz an, Holzschuhe und
-trägt auf dem Kopf eine riesige Pudelmütze. »Slawische
-Brüder,« schreit der Bunte mit krähender Stimme, »nehmt es
-nicht übel, wenn wir hier reden und wenn uns eure schöne
-Sprache nicht so gut vom Munde fließt, wie es bei euch Göttlichen
-der Fall ist! Wundert euch nicht über uns! Ich bin ein
-Masur, und dieser mein Bruder in der Pudelmütze ist ein Lette.
-Und das, was wir hier anhaben, sind unsere neuen Nationaltrachten,
-die erst in diesem Jahre ein berühmter und sinnreicher
-Schneider in Warschau für uns erfunden hat. Ich hoffe, wir
-Slawen aus dem gottvergessenen Ostpreußen dürfen uns in
-eurem edlen Kreise einfinden.«</p>
-
-<p>Der Bunte und die Pudelmütze wurden akklamiert.</p>
-
-<p>»Slawische Brüder, mit Staunen haben wir in diesem
-gelehrten Kreise von unseren berühmten slawischen Männern
-gehört, von dem slawischen Dichter Lessing und von dem herrlichen
-Nasensammler Sobeslaw. Unser Herz hat höher geschlagen.
-Heil den Polen, die Amerika entdeckt haben! Heil
-den Tschechen, die die Buchdruckerkunst erfanden! Ich komme
-aber, um euch Kunde zu sagen von ganz neuen Entdeckungen,
-die ein berühmter und eifriger Forscher und Gelehrter unseres
-masurischen Volkes, das gleich eurem stets der Wissenschaft
-diente, gefunden hat&nbsp;…</p>
-
-<p>… Nero, das römische Kaiserscheusal, war ein Deutscher!«</p>
-
-<p>Bewegung.</p>
-
-<p>»Wohl war Agrippina seine Mutter, aber das verbuhlte
-Weib hat ihn gezeugt mit einem deutschen Söldling aus der
-Umgegend von Köln. Weiter: Pontius Pilatus, der den
-größten und schändlichsten Mord der Welt auf dem Gewissen
-hat, war ein Deutscher!«</p>
-
-<p>Einige Stirnen im Saal runzeln sich, einige Augen werden
-scharf.</p>
-
-<p>Der Bunte fährt unbeirrt fort:</p>
-
-<p>»Das heißt eigentlich auch nur ein Halbdeutscher. Aber was<span class="pagenum"><a id="Seite_123">[123]</a></span>
-für einer! Er war der heimliche Sohn des Kaisers Augustus
-und Thusneldas, der gefangenen Gattin Hermanns des
-Cheruskers!«</p>
-
-<p>Einige tschechische Studenten treten dicht vor das Podium
-und sehen den Redner scharf an. Harmlos spricht der weiter:</p>
-
-<p>»Ich berichte hier nur das, was unser Forscher entdeckt hat.
-Die Beweisführung muß ich seiner Weisheit und Gewissenhaftigkeit
-überlassen. Aber wenn auch seine Resultate verblüffend
-sind, wenn sie auch unsere Feinde, die bluthündischen
-Deutschen, schwer ärgern müssen &ndash; sollen sie deshalb unausgesprochen
-bleiben? Nein, nein, nein!«</p>
-
-<p>Zustimmung. Die Studenten treten vom Podium zurück.</p>
-
-<p>»Und so sage ich euch: auch Judas Ischariot war ein Deutscher!
-Es ist klar erwiesen, daß sein Großvater als Kriegsgefangener
-von Julius Cäsar nach Rom gebracht wurde und
-durch Abschiebung nach Kairot ins Morgenland kam; denn
-Judas Ischariot ist eben Judas aus Kairot. Ich will die
-Ehrenliste deutscher Helden hier nicht verlängern; die Forschungen
-unseres Meisters, ob nicht auch der bethlehemitische
-Herodes deutsches Blut in den Adern hatte, sind noch nicht
-abgeschlossen!«</p>
-
-<p>Wieder treten einige Studenten erregt vor.</p>
-
-<p>»Laßt mich ein Wort sagen, slawische Brüder, über die
-Knechtung unseres Volkstums in Ostpreußen. Über neunzig
-Prozent unserer Kinder unterliegen dem Schulzwang; im
-slawischen Dalmatien brauchen bloß zwei Prozent der eingestellten
-Rekruten lesen zu können!«</p>
-
-<p>»Was soll das heißen?« rief ein Student dazwischen.</p>
-
-<p>»Das soll heißen, daß wir Slawen uns nicht in die deutsche
-Bildungszwangsjacke pressen lassen wollen. Haben wir das
-nötig? Neuerdings hat ja sogar ein Wiener Gelehrter zugegeben,
-daß das tschechische Gehirn das relativ schwerste ist,
-fünfzig Gramm schwerer als das deutsche!«</p>
-
-<p>»Stimmt! <em class="antiqua">Dr.</em> Weisbach in Wien!« schrie einer.</p>
-
-<p>Einige Studenten fixieren den Redner scharf.</p>
-
-<p>»Ich bin fertig!« sagte dieser; »ich danke, daß <span id="corr123">Sie</span> mich<span class="pagenum"><a id="Seite_124">[124]</a></span>
-meine bescheidenen Ausführungen haben machen lassen. Vergönnen
-<span id="corr124">Sie</span> nun auch meinem lettischen Bruder und Nachbar
-einige wenige Minuten!«</p>
-
-<p>Der Lette wiegt die riesige Pudelmütze hin und her und sagt
-stockend: Als Lette sei er, wie man wohl wisse, ein Germanoslawe.
-Aber jetzt habe er den Germanen abgestreift und stehe als
-Slawe hier. (Lebhafter Beifall.) Leider beherrsche er sehr
-wenig die tschechische Sprache, wolle aber nicht zurückhalten mit
-einer Entdeckung, die ein berühmter und eifriger Forscher seines
-Stammes gemacht habe. Das Grundgesetz, auf dem alle moderne
-Kultur beruhe, in dem das Judentum, das Christentum
-und der Islam eine gemeinsame Grundsäule hätten, seien offenbar
-die zehn Gebote Mosis. »Sie alle wissen, daß der Finger
-Gottes die Gebote auf zwei steinerne Tafeln geschrieben hatte,
-daß aber Moses die Tafeln zerschlug, als er die Israeliten beim
-goldenen Kalbe erwischte. Nun, unser Forscher hat jahrelang
-am Sinai nachgegraben, hat die Scherben der Tafeln gefunden,
-hat sie zusammengesetzt und entdeckt: Die zehn Gebote waren
-von Gott in urslawischer Sprache geschrieben!«</p>
-
-<p>»Was soll das heißen? Was sagt er?«</p>
-
-<p>Stühle rücken. Eine große Bewegung greift Platz. Samo
-spricht erregt auf seinen Freund ein.</p>
-
-<p>»Ja, wenn ich nicht sagen darf, was mein Volk glaubt!«
-fährt der Lette fort, »so will ich schweigen. Sie wissen, daß viele
-Polen glauben, der Papst spreche Polnisch. Und haben Sie die
-Argumente unseres Forschers schon nachgeprüft? Haben wir
-Ihnen nicht auch die Erfindung der Buchdruckerkunst geglaubt?
-Man hatte uns gesagt, auf der tschechischen Beseda könne man
-reden, was man wolle. Ich danke Ihnen, daß Sie mich bis
-hierher angehört haben!«</p>
-
-<p>Er verließ verärgert mit seinem masurischen Freunde das
-Podium, und beide gingen der Tür zu. Alle sahen den beiden
-nach. An der Tür stieg der Lette auf einen Stuhl und rief:</p>
-
-<p>»Eines bitte ich noch sagen zu dürfen: Die zehn Gebote,
-wie Sie sie kennen, haben eine Lücke: Es muß heißen: Siebentes
-Gebot: du sollst nicht stehlen; achtes Gebot: du sollst kein<span class="pagenum"><a id="Seite_125">[125]</a></span>
-falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten, das heißt also:
-du sollst kein Tscheche sein!«</p>
-
-<p>Ein Schrei! Der Masur reißt die Pudelmütze ab. Eine
-deutsche Studentenkappe kommt zum Vorschein.</p>
-
-<p>»Leben Sie wohl!« schreien die beiden in deutscher Sprache
-und sind zur Tür hinaus. Ein wahnwitziges Geschrei geht los.
-Hunderte von Menschen drängen zur Tür. Sie verlegen einander
-den Weg. Unten auf der Straße fährt ein Wagen
-rasch davon. Im Saale herrscht die grimmigste Empörung.
-Mehr als eine halbe Stunde vergeht in ohnmächtigem
-Toben und Fluchen. Viele Frauen weinen. Da steigt einer
-aufs Podium.</p>
-
-<p>»Slawische Brüder! Laßt eure Feier nicht stören durch diese
-deutschen Lausbuben!«</p>
-
-<p>Großer Beifall!</p>
-
-<p>»Sind sie nicht ausgerissen wie Feiglinge?«</p>
-
-<p>Stürmischer Beifall.</p>
-
-<p>»Wir werden sie und ihresgleichen zu treffen wissen!«</p>
-
-<p>Geschrei.</p>
-
-<p>»Wieder einmal ist es erwiesen, daß die Deutschen die
-Friedensstörer, die Provokateure sind, die sich selbst zu so
-friedlichen Slawenfesten wie dieses heimtückisch einschmuggeln.
-Lasten wir uns nicht stören; der Tag der Vergeltung kommt.«</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Šusnelka nám piše.</em>«</p>
-
-<p>Er stimmte den beliebten Gassenhauer an, der davon
-redet, die Deutschen hätten alle gefährliche Bauchschmerzen, und
-die Versammlung sang mit.</p>
-
-<p>Die Erregung legte sich allgemach etwas; nur einzelne
-Studentengruppen führten unter sich aufgeregte Debatten. Man
-beschloß eine große Demonstration vor der Karlsuniversität.</p>
-
-<p>Und nun trat »<em class="antiqua">Plzenske piwo</em>« in seine gewaltigen Rechte.
-Pilsener Bier. Je erregter der Mann, desto tiefer der Trunk.
-Nur, daß der köstliche Trank das innere Feuer nicht löschte,
-sondern immer mehr anfachte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_126">[126]</a></span></p>
-
-<p>»Diese elenden Frankfurter!«<a id="FNAnker_32_32"></a><a href="#Fussnote_32_32" class="fnanchor">[32]</a></p>
-
-<p>»Jauche haben sie gegossen in unseren slawischen Verbrüderungswein!«</p>
-
-<p>»Der eine sah aus wie ein bunter Hanswurst, der andere
-wie ein Urmensch aus der Eiszeit. Und das nannten sie slawische
-Nationaltracht! Und der Kerl, der Lette, sagte ausdrücklich,
-eigentlich bin ich ein Germanoslawe, aber ich habe den Germanen
-abgestreift und stehe jetzt als Slawe hier. Und wir klatschen
-Beifall dazu. Eine Schmach! Eine Schmach!«</p>
-
-<p>Der junge Student, der das sagte, vergoß Tränen.</p>
-
-<p>Da stimmte jemand das Lied von der Aussiger Schlacht an:
-»<em class="antiqua">Bitwa před Ustim.</em>«</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Gedankt sei Gott! O preiset ihn,<br /></span>
-<span class="i0">Er hat uns hilfereich verlieh'n,<br /></span>
-<span class="i0">Die Deutschen ruhmvoll zu schlagen<br /></span>
-<span class="i0">Und aus dem Lande zu jagen!«<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Die Studenten hörten mit finsteren Gesichtern zu. Heut
-war der Ruhm, wie sie die Deutschen aus dem Felde geschlagen
-hatten, klein.</p>
-
-<p>Selbst als ein paar hübsche Mädchen etliche der wunderherrlichen
-Volkslieder der Tschechen vortrugen, die für Trauer
-und Sehnsucht des Menschenherzens in stillen Worten und
-tiefen reichen Melodien so ergreifenden Ausdruck finden, kam
-keine rechte Stimmung mehr zustande.</p>
-
-<p>Die Beseda war verunglückt.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p class="ph2">Es war kaum zehn Uhr, als Samo aufbrach. Sein Freund
-Bohuslaw folgte ihm. »Ich ersticke in diesem Saal!«
-sagte Samo draußen. »So ist es selten einmal durchtriebenen
-Hallunken geglückt, die Gegner zu äffen.«</p>
-
-<p>»Mein Herz leidet, daß es geschah, Samo«, antwortete der
-sanfte Bohuslaw. »Wenn es nun einmal geschehen sollte,<span class="pagenum"><a id="Seite_127">[127]</a></span>
-dann doch nie in deiner Gegenwart. In dir ist der slawische
-Königsgedanke beleidigt worden.«</p>
-
-<p>Der junge Mann hing an Samo mit einer Art ehrfürchtiger
-Liebe. Er ehrte in ihm mit tiefer Überzeugung den heimlichen
-Königssohn.</p>
-
-<p>Schweigend gingen die beiden jungen Männer weiter. Als
-sie in eine schmale, winklige Straße kamen, zeigte Bohuslaw
-auf das Erkerfenster eines Eckhauses. Mattes Licht schimmerte
-durch die kleinen bleigefaßten Scheiben des Fensters.</p>
-
-<p>»Dort wohnt mein Onkel Krok, von dem ich dir erzählte.
-Wenn es dir gefällt, so gehen wir zu ihm hinauf. Wohin sollen
-wir jetzt in dieser Stimmung?«</p>
-
-<p>»Es ist zu spät für einen Besuch.«</p>
-
-<p>»Mein Onkel Krok würde um Mitternacht aufstehen und
-dir sieben Meilen entgegengehen, wenn er wüßte, du wolltest
-ihn besuchen. Erlaubst du, daß ich klopfe?«</p>
-
-<p>Samo zuckte die Achseln.</p>
-
-<p>»Tu, was du willst.«</p>
-
-<p>Bohuslaw klopfte mit dem eisernen Schläger an die Tür,
-und bald erschien an dem Erkerfenster der Kopf eines alten
-Mannes.</p>
-
-<p>»Wer klopft? Bist du es, Bohuslaw? Und wer ist der
-andere?«</p>
-
-<p>»Das ist Samo. Unser Samo!«</p>
-
-<p>»Unser &ndash; unser&nbsp;…«</p>
-
-<p>Dem Alten stockte die Stimme. Er warf den Fensterflügel
-zu und erschien bald in der Tür mit einem Licht. Eine in einen
-weiten Schlafrock gehüllte schmächtige Gestalt eilte auf Samo
-zu und beugte sich tief vor ihm.</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Fjersta! Fjersta!</em>«<a id="FNAnker_33_33"></a><a href="#Fussnote_33_33" class="fnanchor">[33]</a> rief der Alte zitternd, und ehe es
-sich Samo versah, küßte er ihm ehrfurchtsvoll die Hände.
-»In Gottes Namen, willkommen! Gesegnet der Tag, da
-meinem Hause diese goldene Ehre widerfährt!«</p>
-
-<p>Samo war bestürzt, daß er kaum etwas zu antworten<span class="pagenum"><a id="Seite_128">[128]</a></span>
-wußte. Wie im Traum trat er durch die schmale Tür, stieg
-er eine schmale Stiege hinauf. Der Alte, der ihm leuchtete,
-stammelte unausgesetzt Worte freudigen, ehrfurchtsvollen
-Willkommens.</p>
-
-<p>Sie traten in das sehr geräumige Erkerzimmer. Es war
-erhellt durch eine große Hängelampe von auffällig schöner
-Schmiedearbeit. Der große Tisch unter der Lampe war mit
-Büchern und Manuskripten bedeckt. Sonst machte das Zimmer
-den Eindruck des Lagerraums eines Altwarenhändlers oder
-des ungeordneten Saales eines Museums. Alte Möbel,
-Waffen, Bilder standen und lagen umher, von der Decke hingen
-seidene Tücher mit bunten Malereien, an den Wänden waren
-kostbare Stickereien, in Glaskästen allerhand kleine historische
-Pretiosen, geschichtliche Reliquien und Sonderbarkeiten.</p>
-
-<p>»Heilige Madonna, ich danke dir, daß ich diesen Tag erlebte!
-<em class="antiqua">O Fjersta! Fjersta!</em>«</p>
-
-<p>Und wieder wollte der Alte Samo die Hand küssen.</p>
-
-<p>Dieser wehrte ihn freundlich ab.</p>
-
-<p>»Ich freue mich, daß ich bei Euch bin; aber ich bin nichts
-als ein wendischer Student.«</p>
-
-<p>»Ich weiß, wer Ihr seid! Der <em class="antiqua">sorbski kral</em>, der kommen
-wird. O seht, wenn ich auf unserer heiligen slawischen Erde
-reise und sehe, wie schön und reich sie ist, ich finde alles: ich
-finde große Berge und weite Ebenen, Städte mit alten Domen
-und heiligen Gräbern, Wiesenflächen mit singenden Dörfern,
-ich finde alte Nationalschätze und habe davon manches gesammelt,
-ich finde eine stolze Jugend, die an ihr Slawentum
-glaubt, ich finde Dichterwerke und Weisheitswerke und Silber
-und Gold und Edelstein &ndash; aber ich finde das nicht, wonach ich
-mit meinen alten Augen immer noch suche: ich finde keinen
-slawischen König. Und nun ist er hier! Und nun ist er hier!«</p>
-
-<p>Der Alte fing so heftig an zu zittern, daß ihn sein Neffe
-nach einem der großen Lehnstühle führen mußte. Auch Samo
-faßte es an wie ein Taumel, und er setzte sich langsam und
-schwer auf einen Stuhl an dem großen Tisch.</p>
-
-<p>Eine tiefe, tiefe Stille kam. Der Alte blickte auf den jungen<span class="pagenum"><a id="Seite_129">[129]</a></span>
-Königssohn wie ein Vater, dem in frühen Jahren ein Sohn,
-das Kleinod seiner Ehre und seiner Hoffnung, geraubt worden
-ist, dem die goldene Wahrheit und Gewißheit seines Lebens in
-graue, neblige Ferne entwich, der mit heißen Augen und nimmermüdem
-Fleiß suchte durch die besten Jahre seines Lebens und
-endlich müde heimkehren mußte mit winzigen Andenken und
-ungewissen Anhalten, ein Träumer sitzt am einsamen Tisch &ndash;
-und dem mitten in der Nacht im Sternenschein der Sohn als
-ein kommender Sieger wiederkehrt.</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Fjersta!</em>«</p>
-
-<p>Samo eilte auf den Alten zu &ndash; sie liegen sich in den
-Armen.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Endlich sagte Samo:</p>
-
-<p>»Ihr überschätzt mich! Ich bin nur der zweitgeborene Sohn
-des <em class="antiqua">sorbski kral</em>.«</p>
-
-<p>Der Alte schüttelte den Kopf.</p>
-
-<p>»Die, die sich um die Slawen kümmern, wissen, wer Ihr
-seid. Euer Bruder, der den slawisierten Germanennamen Juro
-trägt, ist nicht der Kral. Ihr heißet Samo, Ihr tragt den Namen,
-der als einziger aus dem ersten Schöpfungstag tschechischer
-Geschichte zu uns herüberleuchtet. Samo, der Slaw, der die
-Avaren schlug, an die sich Kaiser Karl vergeblich gewagt hatte,
-Samo, der die Tschechen heimisch machte in diesem Lande
-Gottes &ndash; Ihr könntet keinen schöneren Namen haben als
-diesen!«</p>
-
-<p>»Der Name macht es nicht; obwohl ich zugebe, daß Ihr,
-der Ihr Krok heißt, gewiß mit dem alten Tschechenherzog Krok,
-dem Klugen und Gerechten, vieles gemeinsam habt.«</p>
-
-<p>»Ich bin ein alter Mann, der nicht viel mehr für seine
-slawischen Brüder tun konnte, als daß er sein Leben lang um
-sie litt. Und der ein wenig sammelte. Freilich, es sind nicht die
-Schätze vom Karlstein.«</p>
-
-<p>Der Alte wies auf seine Raritäten.</p>
-
-<p>»Waret Ihr im Karlstein, Pán Samo?«</p>
-
-<p>»Nein, ich komme erst zum zweitenmal in meinem Leben
-nach Böhmen.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_130">[130]</a></span></p>
-
-<p>»Zürnet nicht, Herr, wenn ich sage, daß das nicht gut ist.«</p>
-
-<p>»Ich weiß es. Ich hätte in Prag studieren sollen, nicht in
-dem deutschen Nest Breslau. Hier in Prag ist der Nährboden
-für starkes, echtes Volkstum. Aber ich war nicht unabhängig.
-So habe ich auch den Karlstein noch nicht gesehen.«</p>
-
-<p>Das Auge des Alten strahlte.</p>
-
-<p>»Der Karlstein! Vieles ist zerfallen, viele Edelsteine, die
-die Mauern bedeckten, sind ausgebrochen, die Fenster sind jetzt
-aus Glas, aber doch ist der Karlstein noch immer unsere
-Gralsburg, wie sie Meister Mathias von Arras schuf. Ich denke
-jetzt nicht an die Rittersäle, die großen Höfe; an eine der
-Kapellen denke ich, an die Kreuzkapelle. Und ich sehe, wie
-Karl <em class="antiqua">IV.</em> barfüßig in das Heiligtum tritt, nachdem vier eiserne
-Türen, neunzehn Schlösser geöffnet worden sind. Und die Kapelle
-erstrahlt im Glanz von eintausenddreihundertunddreißig
-Lichtern, indes der Probst die Messe zelebriert. Die
-vergoldeten Wände funkeln, die Jaspise und Karneole blitzen,
-durch die Halbedelsteinfenster fällt das Licht hinaus ins Land,
-bis an den Fluß hinunter. Rund herum, als wenn sie lebten,
-die großen Bildnisse von einhundertfünfundzwanzig Heiligen,
-die aus ihren reinen Augen nach dem Altar schauen; und im
-Hochaltar, hinter goldenen Gittern, die alte, heilige Wenzelskrone,
-die Insignien des Reichs. Karl, der Böhmenkönig, der
-als Kaiser das ganze deutsche Reich beherrscht, liegt hier auf
-den Knien, betet zu Gott um Schutz für die Krone, und draußen
-ruft der Wächter am Tor alle Stunden ins Tal: ›Bleibet der
-heiligen Burg fern, ihr Wanderer, sonst ereilt euch Unheil
-und Tod!‹«</p>
-
-<p>Über der Kapelle prangt die Schrift:</p>
-
-<p>»Herr Christus, mächtiger Herr, behüte du selbst diese
-Kleinodien bis zum letzten Tage<a id="FNAnker_34_34"></a><a href="#Fussnote_34_34" class="fnanchor">[34]</a>!«</p>
-
-<p>»War das nicht eine große, schöne Zeit?«</p>
-
-<p>Samo blickte den Alten, der so begeistert redete, versonnen<span class="pagenum"><a id="Seite_131">[131]</a></span>
-an. Sein Gesicht war finster. Der alte Krok erzählte nun von
-vielen anderen Schätzen der Burg Karlstein, von kirchlichen und
-weltlichen Reliquien kostbarer Art.</p>
-
-<p>»Haltet Ihr diese Dinge für echt?« fragte Samo.</p>
-
-<p>»Ja! Und wenn mir ein Zweifel kommt, jage ich ihn
-eilends davon. Zweifel macht arm und verödet das Herz; er
-ist der Bilderstürmer im Dom unserer Seele, dessen Altäre er
-entkleidet und von dessen Wänden er Glanz und Schönheit
-nimmt. Was dann übrigbleibt, ist kahle Armut, sind harte,
-nüchterne Trümmer. Und der rauhe Wind, den sie Wahrheit
-nennen, der dann schneidend durch die zerschlagenen Fenster
-fährt, kann uns nicht trösten, wenn der Tabernakel des Heiligsten
-beraubt ist und die ewigen Lampen verlöscht sind. Oh,
-Pán Samo, an alten Symbolen hängt der Gedanke, und der
-Gedanke stirbt mit dem Symbol; denn wir Menschen schauen
-aus leiblichen Augen.« Samo stand auf und ging ein paar
-Schritte hin und her. »Es mag schön sein, so zu glauben und zu
-träumen wie Ihr, Pán Krok. Ich kann es nicht. Ich habe ohne
-Neid von dem Glanz der Wenzelskrone gehört, ich habe mit
-Freude davon gehört; aber es ist doch bitter, wenn ich daran
-denke, wie bettelarm dagegen mein eigenes Volk war. Kennt
-Ihr die Sage vom Wendenkönig?«</p>
-
-<p>»Ich kenne sie.«</p>
-
-<p>»Seht, Pán Krok, der Wendenkönig konnte sich keine
-bleibende Burg bauen, keine goldene Kapelle errichten, wo er
-seine Schätze verwahrte, für ihn gab es noch keinen Pán Krystus,
-dessen Schützernamen er über seine Tür schreiben konnte. Als
-er in die entscheidende Schlacht zog, hatte er niemand, der seine
-Krone verwahrte; in den armen Sand der Heide mußte er sie
-vergraben, unter die Bäume des Waldes. Eine Grube zwischen
-Erde und Steinen war unsere Kronenstätte.«</p>
-
-<p>Der Alte stand auf, und seine milden Augen ruhten liebevoll
-auf Samo.</p>
-
-<p>»Gott selbst hat einen blauen Dom über Eure Krone gewölbt,
-Pán Samo, und seine Sterne werden nicht weniger
-hell gefunkelt haben als unsere Karneole. Und hat Euch nicht<span class="pagenum"><a id="Seite_132">[132]</a></span>
-Gott wunderbar erhalten? Unser Königtum ging verloren,
-das Eure blieb!«</p>
-
-<p>»Es wird verloren sein für immer und ewig«, sagte Samo
-düster.</p>
-
-<p>»Das darf nicht sein, Pán Samo, das darf nimmer geschehen!
-Ihr werdet es aufrechterhalten; denn Ihr müßt der
-Kral werden, geschehe auch, was wolle!«</p>
-
-<p>Die milde Hoheit war von dem Alten gewichen, ein fanatischer
-Eifer sprühte aus seinen grauen Augen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Die Deutschen verseuchen unser Volkstum«, fuhr Samo
-fort; »sorbisch geht der Bursch zum Militär, verdorben, deutsch
-kommt er zurück; der deutsche Gutsherr, der deutsche Krämer,
-der deutsche Gastwirt bohren sich wie die Maden in die slawische
-Frucht; unsere Gebildeten liegen in einem Halbschlummer;
-sie träumen noch ein wenig vom Slawentum, aber vor der
-Welt sind sie gehorsame Diener des deutschen Herrn. Die
-wendischen Geistlichen und Lehrer sterben aus; sie waren die
-besten und letzten Hüter unseres Volkstums, ihre Nachfolger
-sind Pioniere des Deutschtums. Das Volk kehrt sich vom
-heimischen Ackerbau ab, strebt in den Frondienst deutscher
-Fabriken. Es ist &ndash; es ist aus mit uns droben in der Lausitz!«</p>
-
-<p>»Das ist ein düsteres Bild, das ist ein zu düsteres Bild!«</p>
-
-<p>»Schreien möchte ich, Pán Krok, daß es so ist! Tausend
-Jahre lang hat unser sorbisches Volk der Lausitz seine slawische
-Art bewahrt mitten in Kampf und Not. Die Herren haben
-gewechselt, die Bedrücker sind geblieben, aber auch das Slawentum
-ist geblieben. Keine Gewalt, keine List, keine leibliche und
-geistige Aushungerung hat es vernichtet. Der arme, starke
-Sandwald hat es geschützt. Und welche Hoffnung blieb uns?
-Unsere Zahl schmolz zusammen. Wir konnten nicht mehr hoffen,
-ein eigenes Reich zu errichten, wie es die alte Sage verheißt.«</p>
-
-<p>»Ihr müßt das hoffen, Pán Samo,« rief der Alte; »Ihr
-dürft diese Hoffnung im Herzen des Volkes nicht untergehen
-lassen. Man darf einen Stern nicht ableugnen, weil man nicht
-nach ihm greifen kann. Genug, wenn er leuchtet. Der felsenfeste
-Glaube an die große Zukunft muß dem Volk erhalten<span class="pagenum"><a id="Seite_133">[133]</a></span>
-bleiben. Ohne großes Ziel keine Religion, kein aufstrebendes
-Volkstum, nicht einmal irgendein gutes Einzelwerk!«</p>
-
-<p>Samo zuckte die Achseln.</p>
-
-<p>»Wir müssen uns an die realen Verhältnisse halten. Was
-zu tun ist und immer zu tun war, ist das eine: das Slawentum
-in der Lausitz zu erhalten, bis die deutsche Kluft, die
-zwischen uns und den Tschechen liegt, überbrückt ist, mit einem
-Wort, das Wendentum zu konservieren, bis das deutsche
-Nordböhmen slawisiert ist und wir Lausitzer Sorben unmittelbaren
-territorialen Anschluß an die böhmischen Tschechen
-haben.«</p>
-
-<p>»Und das kommt doch! Das kommt doch!« rief der alte
-Krok begeistert. »Tausend Jahre habt ihr ausgehalten, wollt
-ihr in letzter Stunde unterliegen, da der Sieg so nahe ist?
-Ja, ihr seid auf einem gefährlichen, auf dem bedrohtesten
-Vorposten; aber, ihr Brüder, ihr seht doch, daß euch die siegreiche
-Hauptarmee Stunde um Stunde näherkommt!«</p>
-
-<p>Samo entgegnete finster:</p>
-
-<p>»Die Pflicht erkenne ich so wie Ihr, Pán Krok. Aber die
-Verhältnisse liegen so, wie ich Euch sagte. Und es fehlen uns die
-stolzen Erinnerungen, die großen Symbole. Was wir davon
-haben, wird angezweifelt, soll vernichtet werden.«</p>
-
-<p>»Laßt nur das nicht geschehen, nur das nicht, Pán Samo!
-Nur nicht an die Tradition tasten! Ich muß noch einmal von
-ihrem unermeßlichen Wert reden. Gestattet, daß ich in einem
-Gleichnis spreche. Seht, da war eine Edelfamilie, die hegte als
-großen Schatz einen alten, goldenen Ring. Den Ring, so erzählte
-die Familiengeschichte, habe ein Ahn von einem edlen
-Moslem erhalten, in dessen Gefangenschaft er zur Zeit der
-Kreuzzüge geraten war. Der Ahn war von so herrlicher, edler
-Art, er war in allen Dingen von so bezwingender Menschlichkeit,
-daß er das Herz seines Kerkermeisters gewann und dieser ihm
-eines Tages die Freiheit schenkte und ihm den Ring mitgab mit
-den Worten: »Denke meiner in deiner Heimat, du bewunderungswürdiger
-Mann, gönne mir ferner deine Freundschaft,
-die ich ehren werde bis zu meinem letzten Tage.« Und in der<span class="pagenum"><a id="Seite_134">[134]</a></span>
-Familie wurde der Ring geachtet und geliebt. Der Vater hielt
-ihn dem Kinde aufs Haupt, wenn es getauft wurde; der
-Jüngling gelobte bei dem Ringe, brav und edel zu sein, ehe er
-in die Welt ging; die Jungfrau bekam ihn bei der Trauung an
-den Finger gesteckt; der Sterbende trug ihn an der Hand, wenn
-er sie zum letztenmal um Erbarmen zu Gott aufhob. &ndash; &ndash; Da
-erschien eines Tages ein Mann, der sagte, er sei ein Gelehrter,
-prüfte das Kleinod und wies nach, der Ring stamme gar nicht
-aus der Zeit der Kreuzzüge, er sei aus einem späteren Jahrhundert
-und offenbar fränkische Arbeit. Und er ging davon mit
-stolzgeblähter Brust und dem eitlen Gedanken, er habe diesen
-Leuten die historische Wahrheit gebracht. &ndash; Wißt Ihr, Pán
-Samo, daß dieser Mann ein Verbrecher war? Was war der
-Unbekannte, der das Symbol erfand und ihm durch einen
-tiefen Gedanken eine Wundermacht verlieh, die durch viele
-Generationen wirkte, doch für ein besserer Mensch als dieser
-Aufklärer!«</p>
-
-<p>Samo sagte dazu nicht »Ja« und nicht »Nein«. Er schwieg
-eine Weile, dann aber sagte er mit gepreßter Stimme:</p>
-
-<p>»Und mein Bruder Juro wird den Sorben ihren goldenen
-Ring entwerten.«</p>
-
-<p>»Das darf er nicht!« rief der Alte vor Zorn bebend. »Eher
-sei er geächtet! Eher werde er getötet! Ihr müßt ihm, Pán
-Samo, mit allen Mitteln entgegenstehen!«</p>
-
-<p>»Das werde ich!« sagte Samo und reichte dem alten Krok
-die Hand.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Die ganze Nacht saß Samo mit seinem Freunde Bohuslaw
-beim alten Krok. Die betagte Wirtschafterin hatte so köstlichen
-Wein gebracht, wie Samo noch nie zuvor getrunken hatte.
-So war auch er mitteilsamer geworden und hatte von seinen
-letzten Erlebnissen im wendischen Vaterhause erzählt. Der
-kluge Alte hörte ihm mit glühendem Interesse zu, und so wie
-seine Zuneigung für den alten Hanzo, für Hanka, vor allem
-aber für Samo selbst wuchs, so loderte sein Haß auf gegen<span class="pagenum"><a id="Seite_135">[135]</a></span>
-Juro, den »Renegaten«. Bis in die Einzelheiten mußte Samo
-erzählen, selbst seine Unterredungen mit der alten Wičaz verschwieg
-er nicht.</p>
-
-<p>Später zeigte und erläuterte Krok einen großen Teil seiner
-Sammlungen. Er tat es mit dem Feuereifer des überzeugten
-Slawen, aber auch mit der strahlenden Freude des erfolgreichen
-Sammlers, dem die Eitelkeit nicht fremd ist.</p>
-
-<p>Oh, es war ein hoher Genuß für die beiden jungen
-Männer, den Worten des begeisterten Alten zu lauschen, der an
-oft unscheinbaren Dingen in leuchtenden Einzelbildern böhmische
-Geschichte entwickelte. Andenken aus der Zeit der
-Kämpfe des Christentums und Heidentums; ein Pilgerstecken,
-den der heilige Cyrillus trug, der große Heilige, große Held,
-große Gelehrte, der Moses der Slawen; das Hufeisen, das
-das Roß Swatopluks von Mähren verlor, als er vor den
-Böhmen flüchten mußte; ein Gürtel der gottlosen Königin
-Drahomira, die von der Erde verschlungen wurde; Kriegstrophäen
-aus den Kämpfen mit den Polen und Ungarn; eine
-Pergamentschrift des ersten böhmischen Chronisten Cosmas;
-ein Stein aus dem Schwertgriff des unglücklichen Ottokar, der
-im Kampfe gegen den ersten Habsburger Krone und Leben
-verlor; ein Schild aus der ruhmreichen Zeit, da Heinrich von
-Kärnten verjagt wurde; ein Evangelienbuch der ketzerischen
-Beguinen; viel Andenken an den Vater Böhmens, Karl <em class="antiqua">IV.</em>,
-darunter ein Teil der Biographie, die dieser Herrscher über sich
-selbst schrieb. Endlich vielerlei historische Andenken aus der
-Zeit der Hussitenkriege und des Dreißigjährigen Krieges:
-Waffen, Trommeln, Panzerhemden, Keulen, Pistolen, ein
-silberner Hussitenkelch, eine eigenhändige Handschrift Wallensteins;
-dazu viele Dinge von kulturhistorischem Wert: alte
-Stickereien, alte Gewebe, Glasmalereien, Goldschmiedearbeiten,
-bunt gemalte Abschriften aus Benediktinerklöstern,
-Möbel-, Haus- und Feldgeräte, Wappen, Münzen, Petschafte.</p>
-
-<p>Alle diese Dinge waren in dem geräumigen Erkerzimmer
-und einem anstoßenden großen Raum untergebracht.</p>
-
-<p>Samo staunte über den Reichtum.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_136">[136]</a></span></p>
-
-<p>»Mein Familiengut«, lächelte Krok. »Das andere ist in alle
-Winde; aber dieses, das Wertvollste, hat sich erhalten!«</p>
-
-<p>Er brachte eine große Familienchronik heran. Die Eintragungen
-reichten in sehr alte Zeit zurück. Insonderheit war
-über Erwerb und Herkunft der historischen Reliquien genau und
-treulich berichtet.</p>
-
-<p>»Meine Ahnen«, sagte Krok, »hatten Sinn für das Alte,
-Kostbare, Wesentliche. Mein Vater war ein lustiger Herr; er
-lebte mehr in Wien und Paris, als unserem Familiengut
-günstig war. So ging es verloren. Burg, Dorf, Wald, Feld
-mußten verkauft werden; mir, dem Sohn, blieb gerade genug,
-nach dem Tode meines Vaters das Leben zu fristen. Aber mir
-blieb auch diese Sammlung. Alles hat mein Vater preisgegeben,
-nur dieses da nicht. Er hat nicht so gehandelt wie der leichtsinnige
-Sigismund, der den Karlstein entweihte, dessen kostbare
-Steine er ausbrach und an Händler verkaufte, um Geld für sein
-Schlemmerleben zu haben, oder gar wie jener deutsche Braunschweiger,
-der die silbernen Apostelfiguren zu Talern einschmelzen
-ließ und dabei die lästerlichen Worte sprach: ›Gehet
-hin in alle Welt und predigt den Heiden!‹ Mein Vater hat mir
-keine andere Herrschaft hinterlassen als diese; aber ich bin ein
-glücklicher, zufriedener Mensch.«</p>
-
-<p>Als die Zeiger der alten Uhr schon in die Morgenstunden
-hineinrückten, wurde Krok plötzlich schweigsam. Die Jünglinge
-wollten fortgehen, aber der Alte hinderte sie und wurde heftig,
-als sie abermals davon sprachen.</p>
-
-<p>Lange und unverwandt blickte er oft von seinem Lehnstuhl
-aus auf Samo. Als draußen der Tag schon graute, sprach er:</p>
-
-<p>»Jeder Mensch hütet ein Geheimnis in seinem Herzen. Ist
-es nur für ihn, so mag es sterben, wenn er stirbt; ist es aber für
-andere, dann muß der Mensch Erben seines Geheimnisses
-suchen. Ich bin alt, und eines Morgens, wenn der Tag graut,
-wird er mich tot finden bei diesen Reliquien, ich selbst eine
-Reliquie, das geringwertige Überbleibsel einer alten Zeit. Was
-Wissenswertes ist von diesen Dingen, die hier verwahrt sind,
-ist aufgeschrieben. Eines aber möchte ich in eure Herzen<span class="pagenum"><a id="Seite_137">[137]</a></span>
-schreiben, ihr edlen Jünglinge, und da soll es verwahrt sein für
-den Fall meines Todes.«</p>
-
-<p>Der Alte stand auf und stellte sich ans Fenster. Das Licht
-des aufdämmernden Tages spielte blaß um seinen grauen
-Kopf. Und Krok sprach langsam und feierlich:</p>
-
-<p>»Ehe ich euch mein Geheimnis überliefere, müssen eure
-Seelen mit meiner Seele rückwärts wandern den ganzen
-heißen, arbeitsreichen Tag der böhmischen Geschichte entlang
-bis zu der Stunde, da das herandämmernde Licht der beginnenden
-Tschechenherrschaft seine ersten Strahlen über das Land
-schickte, wie jetzt da draußen die Sonne über unser heiliges
-Prag. Samo, der Gewaltige, schlug die Avaren, Krok, der
-Gerechte, gab das erste Gesetz. Krok hatte drei weisheitsvolle
-Töchter. Als er zum Sterben kam, wußte er nicht, welcher der
-drei Töchter er das Reich vererben sollte. Und er warf das Los,
-und das Los fiel auf Libussa, die weiseste und machtvollste der
-Königstöchter. Libussa gründete die Stadt Prag und regierte
-klug und streng. Die Böhmen waren glücklich unter ihr, aber
-eines Tages verlangten sie, die Königin solle einen Gatten
-nehmen, der mit ihr regiere. Da sandte Libussa eine Reiterschar
-ab und befahl dieser: ›Wo ihr einen Mann findet, der von einem
-eisernen Tische ißt, so bringet ihn; er soll mein Gatte und soll
-König sein!‹ Der Reiterschar gab sie ihr eigenes Roß mit, und
-dieses Roß setzte sich an die Spitze der Schar und schlug den
-Weg ein gen Staditz.</p>
-
-<p>Es war aber an die fünfzigtausend Schritt von Prag, da
-saß ein Bauer auf dem Felde. Es war just ein schöner Frühlingsmorgen;
-die Lerchen sangen, das Gras und die junge Erde
-dufteten. Der Bauer saß lachend auf dem Felde und aß sein
-Frühstück von der blanken Pflugschar. Da wieherte das
-Königsroß und fiel auf die Knie, und alle Rosse knieten nieder,
-und die Reiter stiegen ab und knieten nieder und riefen dem
-Bauern zu: ›Du bist unser König!‹ Der Bauer, welcher
-Przemisl hieß, stand auf, ließ Acker und Pflug im Stich, zog
-nach Prag und wurde der Gatte der Königin. Libussa ließ ihm
-eine silberne Krone machen; sie selbst aber trug eine goldene<span class="pagenum"><a id="Seite_138">[138]</a></span>
-Krone, denn sie war an Macht über ihm. Jahrhundertelang
-haben die Nachkommen von Przemisl und Libussa die Schicksale
-Böhmens gelenkt.</p>
-
-<p>Libussa aber hatte eine Schar von Dienerinnen sorgsam
-erzogen, und die Schönste und Klügste von ihnen, Wlasta,
-empörte sich gegen die Herrin, gewann ein Heer von Frauen
-und führte den Mägdekrieg. Libussa flüchtete bis ins Riesengebirge,
-und weil sie verfolgt wurde, warf sie ihre goldene
-Krone in den Zackenfluß, der in donnerndem Fall von den
-Bergen springt, und unter diesem Wasserfall liegt die Krone
-noch jetzt.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Przemisl kehrte in seine Heimat zurück. Die Mägde suchten
-nach seiner silbernen Krone, aber sie fanden sie nimmer.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Krok schwieg. Er senkte das Haupt und stand in tiefem
-Nachdenken da. Dann sagte er:</p>
-
-<p>»Wartet ein Weilchen, bis ich wiederkomme!«</p>
-
-<p>Er verschwand durch die Tür und kam nach nicht langer
-Zeit zurück.</p>
-
-<p>»Kommt.«</p>
-
-<p>Sie gingen durch den Nebenraum, der auch mit Altertümern
-angefüllt war, und kamen an eine eiserne Tür, die jetzt sichtbar
-war, weil Krok eine große, alte Stickerei an dieser Stelle fortgenommen
-hatte. Krok öffnete die Tür, und die Jünglinge
-blickten in eine Kapelle.</p>
-
-<p>Eine große Anzahl von Kerzen brannte, in drei silbernen
-Lampen glimmte rotes Licht, ein Altar stand in einer Nische,
-darauf war ein Tabernakel. Rundum die Wände waren mit
-Stickereien und seidenen Tüchern behangen, ein großer Teppich
-bedeckte den Fußboden. Viele Bilder schmückten die Wände.
-Gestalten aus der Heiligen- und der profanen Geschichte
-Böhmens: Wenzeslaus mit der Fahne, Cyrillus und Methodius,
-die heilige Ludmilla, Johann von Nepomuk, dann das
-große Bild Karls <em class="antiqua">IV.</em>, ein Bild von Libussa und von Przemisl
-am Pflug. Diese Gemälde hingen über dem Altar; in der Mitte
-war ein altes, eisernes Kreuz. An den Seitenwänden die Taufe
-Borzivois, die Gründung des Bistums Prag durch Boleslaw<span class="pagenum"><a id="Seite_139">[139]</a></span>
-den Frommen, Herzog Udalrich bei der Kaiserwahl Konrads <em class="antiqua">II.</em>;
-die deutschen Kaiser Heinrich <em class="antiqua">IV.</em> und Barbarossa, die Böhmen
-die Königswürde verliehen; einzelne hervorragende Äbte berühmter
-Orden, die sich um das Land verdient machten;
-mehrere Bilder des großen Ottokar: als Herr in Kärnten,
-als Gründer der Stadt Königsberg, sein Tod auf dem Marchfeld;
-dann die Ermordung Wenzels <em class="antiqua">III.</em>, des letzten Przemisliden.
-Aus der späteren Geschichte hauptsächlich wieder
-Erinnerungen an Karl <em class="antiqua">IV.</em>: die Moldaubrücke, der Karlstein,
-die Unterwerfung von Brandenburg und Schlesien, die slawische
-Universität. Wallensteins Bildnis fehlt nicht, auch einige Dichter
-und Redner sind vertreten: der Psalmensänger Streyc, Kotwa,
-der »böhmische Cicero«, der Hofpoet Simon Lomnicky.</p>
-
-<p>Ganz nahe der Tür, halb im Dunkel hängen einige Bilder
-aus der Hussitenzeit: Jan Hus, Ziska, Prokop, Wecleff, Amos
-Comenius, der Brüderbischof.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Manche der Bilder haben einen beträchtlichen Wert, manche
-sind billige Reproduktionen, nur ihres Inhalts, nicht ihres
-Kunstwertes wegen da.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Hoch an der Altarwand, dicht unter der Decke, sind die
-Worte geschrieben: »<em class="antiqua">Pán Krystus, neymnocnegssj pán, racz
-techto klenotuw, ostrzjhati sam, až do neypos ednegssho dne!</em>«</p>
-
-<p>Der alte Krok blieb mit seinen Begleitern dicht an der Tür
-stehen. Die jungen Männer waren so überrascht, daß sie kein
-Wort zu sprechen vermochten. Auch Krok stand stumm neben
-ihnen. Erst nach langer Zeit sagte er in tiefer Ergriffenheit,
-leise flüsternd:</p>
-
-<p>»Mein Karlstein! Meine Kreuzkapelle!«</p>
-
-<p>Und er wies auf die Schrift über dem Altar: »Pán Krystus!«</p>
-
-<p>»Herr Krystus, mächtigster Herr, behüte du selbst diese
-Kleinodien bis zum letzten Tage!«</p>
-
-<p>»Das ist das Wort vom Karlstein,« sagte Krok, »das Wort,
-das über meiner Wohnung und über meinem ganzen Leben
-schwebt.«</p>
-
-<p>Und Tränen rannen in seinen grauen Bart.</p>
-
-<p>Scheu gingen die Jünglinge die Wände entlang, betrachteten<span class="pagenum"><a id="Seite_140">[140]</a></span>
-die Bilder. Der Alte schritt zum Altar, kniete nieder und preßte
-die Hände vors Gesicht, wie zu inbrünstigem Gebet. Auch
-Bohuslaw kniete nieder. Samo stand mit gefalteten Händen
-und gesenktem Kopf.</p>
-
-<p>Da stieg der alte Krok die Stufen des Altars hinauf und
-öffnete den Tabernakel.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>In dem Tabernakel lag auf einem seidenen Kissen eine alte
-silberne Krone&nbsp;…</p>
-
-<p>Und Krok wandte sich mit der Krone um. Mit bewegter,
-tränenerstickter Stimme sagte er:</p>
-
-<p>»Seht da, das Kleinod! Das ist die silberne Krone Przemisls
-<em class="antiqua">I.</em>, des Königs vom Pflug. Das ist die Urväterkrone
-unseres böhmischen Volkes!«</p>
-
-<p>Die Hände des Alten zitterten so, daß er die Krone auf den
-Altar niederlegen mußte. Langsam beruhigte er sich:</p>
-
-<p>»Zweifelt nicht an der Krone! Sie ist die echte, heilige Krone
-Przemisls! Ehrwürdige Urkunden ehrwürdiger Männer bestätigen
-sie bis in die älteste Zeit.«</p>
-
-<p>Bohuslaw trat einige Schritte näher. Samo stand regungslos
-wie eine Statue.</p>
-
-<p>Da rief ihm der alte Krok zu:</p>
-
-<p>»Pán Samo, kommt an den Altar.«</p>
-
-<p>Mit schweren Schritten gehorchte ihm Samo.</p>
-
-<p>»Pán Samo, zukünftiger Kral der Lausitzer Sorben, ich
-begrüße Euch an dieser heiligen Stätte. Bin ich auch kein
-geweihter Diener Gottes, so habe ich doch die Weihe einer
-Familie, die von der Vorsehung ausersehen war, durch Jahrhunderte
-dieses Heiligtum zu hüten und zu hegen. Samo, ich
-setze Euch diese Krone aufs Haupt, nicht daß ich Euch zum
-König von Böhmen kröne, sondern als ein Unterpfand Eurer
-eigenen zukünftigen Würde.«</p>
-
-<p>Und Krok setzte Samo die Krone aufs Haupt. Das alte
-Silber berührte kühl die heiße Stirn des Mannes. Ein paar
-Herzschläge lang stand Samo so im königlichen Schmuck;
-dann ergriff er die Krone, küßte sie, legte sie auf den Altar und
-ging eilends aus der Kapelle.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_141">[141]</a></span></p>
-
-<p>Krok und Bohuslaw fanden ihn bald darauf im vordersten
-Zimmer fassungslos in einem Lehnstuhl sitzen.</p>
-
-<p>»Pán Samo,« sagte Krok, »nicht umsonst weihte ich Euch in
-das größte Geheimnis meines Lebens ein. Alles hat einen Sinn,
-und alles geht darauf hin, unserem Slawentum zu dienen.
-Pán Samo, vergeßt dieses nicht: Symbole sind nötig; Gedanken,
-vom Symbol losgelöst, verfliegen im Wind. Kommt
-noch einmal allein zu mir, ehe Ihr abreiset; ich habe Euch etwas
-zu sagen, das mir in dieser Nacht eingefallen ist.«</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p class="ph2">Spätherbst droben im Wendenlande.</p>
-
-<p>Die letzten Sommerfäden nahm der Wind; der letzte
-Singvogel zog fort.</p>
-
-<p>Irgendwo in der Welt gibt es sonnige, glänzende Fluren,
-irgendwo gibt es laute, große Städte.</p>
-
-<p>Das muß weit von hier sein. Denn hier wohnt die graue
-Einsamkeit. Spät dämmert der müde Tag, früh geht er zur
-Rüste. Oft liegt der Waldweg die ganze Woche einsam. Kein
-Wanderer kommt daher.</p>
-
-<p>Und doch wäre es ein Weg, wo einer den Frieden suchen
-könnte, wo müde Augen ruhen und wilde Herzen stille werden
-könnten.</p>
-
-<p>Hier wandeln in den tiefen Wäldern, wie im Traum hinhören
-auf die knisternden Sagen der Föhren, am alten Heidenhügel
-früherer Zeit nachdenken, an die Lutchen denken, die
-Zwergmännlein, die jetzt selbst zur Mittagszeit die Zipfelkappe
-fest über die dicken Köpfe ziehen und bei sinkender Sonne
-fröstelnd in ihr warmes Haus flüchten tief unter der Erde!
-O ja, das täte den klugen, unglücklichen Menschen draußen gut!</p>
-
-<p>Nur wer eine wehe Reue im Herzen trägt, dürfte hierher
-nicht kommen; die Smjertniza könnte ihm begegnen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Drunten im Spreewald führte ein junger Bursch zur Abendzeit
-seinen Kahn heim. Ihm gegenüber saß seine einzige
-Schwester. Sie war von großer Schönheit; aber nun war sie<span class="pagenum"><a id="Seite_142">[142]</a></span>
-traurig und blaß und sah immer ins Wasser hinein, in dem die
-letzten bunten Blätter des Waldes schwammen.</p>
-
-<p>Da fing der Bursche an zu singen:</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Sla je holčka po wodu&nbsp;…</em>«</p>
-
-<p>Das Mädchen sah den Bruder bittend an, er möge schweigen;
-aber er sang das Lied:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Gingen nach Wasser drei Mägdelein<br /></span>
-<span class="i0">In den weißen See hinein&nbsp;…<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Die erste schöpfte die Kanne ein<br /></span>
-<span class="i0">Und verlor ihr Ringelein.<br /></span>
-<span class="i0">Mädchen an zu weinen fing&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Ihr Liebster kauft einen neuen Ring.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Die zweite schöpfte die Kanne ein,<br /></span>
-<span class="i0">Verlor ihr seiden Tüchelein.<br /></span>
-<span class="i0">Das Mädchen weinte und klagte genug&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Doch ihr Liebster kauft ein neues Tuch.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Die dritte schöpfte die Kanne ein,<br /></span>
-<span class="i0">Verlor ihr Rautenkränzelein;<br /></span>
-<span class="i0">Das Mädchen wollte vor Jammer vergehn&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Ihr Liebster ließ sie am Wasser stehn.«<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Der Bursche schaute finster auf den Boden des Kahnes,
-das Mädchen saß gebrochen vor ihm und hatte die Hände vor
-dem Gesicht.</p>
-
-<p>Die Abendglocke läutet. Oh, der Küster weiß nicht, daß der
-Bursch auf den Kirchturm geschlichen ist und in die Glocke den
-Namen des Mannes, der seiner Schwester Glück und Ehre
-nahm, geschrieben hat, dort, wo der Klöpfel anschlägt. Nun
-geht mit jedem Glockenschlag der Name des Schelmen über
-alles Land und hinauf zum Himmel, und wenn Liza stirbt und
-die Glocke läutet, dann wird durch ihr Wimmern der Name
-des Verführers an Gottes Ohr klingen.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Nicht überall ist es zur Herbstzeit so trüb im Wendenlande.</p>
-
-<p>Droben im Oberland der alte Weber Domasch ist ein friedlicher
-Mann. Vor seinem Häuschen steht ein wilder Apfelbaum,<span class="pagenum"><a id="Seite_143">[143]</a></span>
-der einzige Baum, den er besitzt. Domasch läßt die Holzäpfel
-immer bis tief in den November hängen. Dann verlieren
-sie zwar etwas an Saft, sagt er, aber sie werden mürber und
-lassen sich besser beißen. Nun ist er mit seinem Weibe auf den
-Apfelbaum gekrochen. Die beiden Alten hocken sich auf zwei
-Ästen gegenüber.</p>
-
-<p>»Eine schöne Ernte!« lächelt der Weber.</p>
-
-<p>»Eine Gottesernte!« sagt das Weiblein.</p>
-
-<p>»Wenn's nur der Küster nicht zu kurz macht, daß wir sie
-gut herunterkriegen. Siehst du, Mutter, weil wir unsere Äpfel
-nur immer beim Abendläuten geschüttelt haben, deshalb hat
-uns auch Gott alle Jahre so reichlich beschert.«</p>
-
-<p>»Ja, so ist es!« sagt die Frau.</p>
-
-<p>Nun beginnt die Glocke zu läuten, und nun fangen die
-beiden an zu schütteln. Die verrunzelten kleinen Äpflein prasseln
-zur Erde; die beiden verrunzelten Alten schütteln, so viel sie
-können. Denn der Küster läutet gewöhnlich nicht lange, und
-wenn der letzte Ton verhallt, muß die Arbeit beendet sein.
-Deshalb herrscht eine ganz bestimmte Strategie, eine genaue
-Einteilung; jedes von den zweien weiß, welche Äste es zu
-schütteln hat.</p>
-
-<p>Oh, wie das prasselt! Hastig steigen Mann und Frau von
-einem Ast zum andern und schütteln mit ihren dünnen Armen.
-Endlich sagt der Alte:</p>
-
-<p>»Hör auf, Mutter, für die Eichhörnchen muß auch noch
-was drauf bleiben; der Mensch soll nicht genußsüchtig sein
-und nicht alles für sich haben wollen.«</p>
-
-<p>Und sie klettern die Äste und die kurze Leiter hinab. Noch
-immer tönt die Glocke.</p>
-
-<p>»Der Küster macht's aber heute lang«, sagt die Frau.</p>
-
-<p>»Ja,« lächelt der Mann schlau, »das weißt du gar nicht:
-Ich hab' ihm heut früh gesagt, daß ich Äpfel schütteln will,
-und hab' ihn einmal schnupfen lassen.«</p>
-
-<p>Darauf lesen die beiden glücklich ihren sauren, armen
-Herbstsegen zusammen, aber in ihrer goldenen Zufriedenheit
-finden sie ihn süß und reich.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_144">[144]</a></span></p>
-
-<p class="ph2">»Es hat schon zu Abend geläutet«, sagte der alte Knecht
-Kito, als er zu Hanka in die Stube trat.</p>
-
-<p>Das Mädchen, das ganz allein war, saß am Tisch bei der
-Lampe und war mit einer Näharbeit beschäftigt.</p>
-
-<p>»Ja, Kito, ich habe es gehört, wenn wir auch schon die
-Doppelfenster haben.«</p>
-
-<p>»Es ist erst fünf, es wird jetzt zeitig Abend.«</p>
-
-<p>»Ja, bis zur <em class="antiqua">pšaza</em><a id="FNAnker_35_35"></a><a href="#Fussnote_35_35" class="fnanchor">[35]</a> sind noch zwei Stunden Zeit. Füttern
-die Mägde schon?«</p>
-
-<p>»Sie haben angefangen. Deine Spinnstube ist gut, Hanka.
-Du bist die einzige Kantorka hier, die keine schlechten Lieder
-duldet.«</p>
-
-<p>Das Mädchen errötete.</p>
-
-<p>»Ich mag solche Lieder nicht leiden; ich habe sie auch zu
-Hause nicht zugegeben.«</p>
-
-<p>Der Alte nickte.</p>
-
-<p>»Ja, es geschieht an den Spinnabenden mancherlei.
-Voriges Jahr sind drei Mädchen aus unserem Dorf unglücklich
-geworden. Eine hat noch geheiratet, die anderen&nbsp;…«</p>
-
-<p>Er machte eine bedauernde Handbewegung.</p>
-
-<p>»Wie ich noch jung war,« fuhr er fort, »da hab' ich auch
-solche Schelmenlieder gesungen. O ja &ndash; was für welche!
-Wenn man dann alt ist, gefällt einem das nicht mehr. Aber du
-bist noch jung, Hanka, jung und hübsch!«</p>
-
-<p>»Was soll das bedeuten?« sagte Hanka und sah verwundert
-auf. Der Alte stand auf, redete hin und her, dies und das,
-von der Wirtschaft allerlei.</p>
-
-<p>»Du hast etwas auf dem Herzen, du willst etwas«, sagte
-Hanka.</p>
-
-<p>Kito wandte sich ab und stopfte seine Tabakspfeife. Endlich
-setzte er sich wieder. Aber er richtete die Augen starr auf die
-Tischplatte.</p>
-
-<p>»Hanka, du kennst die Bibel. Du weißt, daß Abraham<span class="pagenum"><a id="Seite_145">[145]</a></span>
-seinen Knecht Elieser ausgesandt hat, um für seinen Sohn
-Isaak eine Frau zu suchen. Elieser war nur ein Knecht, aber er
-bekam doch dieses wichtige Amt.«</p>
-
-<p>»Wo soll das hinaus?«</p>
-
-<p>Kito zündete sich aufs neue seine Pfeife an, stand wieder
-auf und spuckte dreimal hinter den Ofen, ehe er weitere Worte
-fand.</p>
-
-<p>»Ich sagte dir, Hanka, daß ich auch einmal jung war. Ich
-habe bei der <em class="antiqua">kremuša</em><a id="FNAnker_36_36"></a><a href="#Fussnote_36_36" class="fnanchor">[36]</a> drei Tage lang gegessen und getrunken
-und drei Nächte lang mit den Mädeln getanzt. Ja, das habe
-ich! Ich hab' bei der ›verheirateten Männerkirmes‹ als lediger
-Bursch auf einem fremden Dorf getanzt, und es ist nicht herausgekommen.
-Jawohl, das war ich! Ich war der Anführer der
-›Wurstbrüder‹, und wehe dem Bauern oder der Schenke, wo
-wir nicht unseren Speck bekommen hätten, wenn wir ankamen!
-Jawohl, das war ich! Und weißt du, wer ich noch war? Der
-Jan beim Johannisfest war ich! Der tollste Reiter! Bei den
-Husaren habe ich gedient, und wenn ich der Jan war, da hatte
-ich aus Birkenrinde eine Larve<a id="FNAnker_37_37"></a><a href="#Fussnote_37_37" class="fnanchor">[37]</a> vorm Gesicht und den ganzen
-Buckel voll Blumengirlanden &ndash; ei ja, schön war ich! Über und
-über Blumen, bis zum Hute! Und dann aufs beste Pferd!
-Ohne Sattel und ohne Zaum! Wie der wilde Reiter durchs
-Dorf! Beim letzten Hause hat sich das ganze Dorf aufgestellt.
-Sie machen eine Kette. Sie woll'n mich aufhalten. Ich aber
-wie der Blitz durch die Kette! Sie schreien, sie laufen. Ich
-kehre blitzschnell um. Vom Pferd runter. Alle Weiber fall'n
-über mich her. Jede will 'ne Blume. Die verheirateten, daß sie
-starke Kinder kriegen, die ledigen, daß sie 'n Mann kriegen. Und
-ich immer rechts und links mit beiden Armen und Händen das
-ganze Weibsvolk abgestreift. Und hinauf auf die Linde geklettert
-bis zum obersten Aste. Und von oben eine Predigt
-gehalten. Dunderwetter, eine Predigt gehalten! Ich bin ein
-Prediger, hab' ich gesagt! Denkt ihr, ein Prediger wie der<span class="pagenum"><a id="Seite_146">[146]</a></span>
-invalide Unteroffizier, den der alte Fritz den Wenden schickte?
-Drei Jahre lang predigte dieser Mann alle Sonntage dieselbe
-Predigt, die er sich auswendig gelernt hatte. Und als drei
-Jahre um waren, gingen die Wenden zum alten Fritz und sagten,
-sie wollten einen anderen Prediger, weil der Alte bloß immerfort
-dasselbe predigte. Nun, was predigt er denn? fragte der
-alte Fritz. Ja, da kratzten sie sich auf dem Kopfe und wußten
-nichts. Nun, sagte da der alte Fritz, so soll nur der Mann noch
-ruhig seine zehn Jahre weiterpredigen! Dunderlitzen, so ein
-Prediger war ich nicht! Ich hab' von meiner Linde gepredigt,
-daß sie unten rot und blau wurden, daß sie manchmal schrien:
-›Pfui Deibel!‹ Die Frauvölker, die Kerle, der Schulze, die
-Schöffen, ja sogar die Frau Pastorin, alle kriegten was ans
-Bein. Rot und blau wurden sie. ›Hurra!‹ schrien die einen,
-›Haut ihn!‹ die andern. Ja, so ein Prediger war ich! Bis ich
-mich selbst von der Linde herunterpredigte. Dunderlitzen, wie
-ich gerade eine Kraftstelle sage, daß die eine Hälfte lacht und
-die andere Hälfte flucht, fall' ich runter von meinem blätterigen
-Predigtstuhl und breche mir die Hüfte. Und wenn man die
-Hüfte gebrochen hat, sage ich dir, ist es mit dem Reiten und
-kräftigen Predigen vorbei.«</p>
-
-<p>Kito seufzte schwer und trommelte mit seinen stumpfen,
-dicken Fingern auf dem Tisch. Hanka sah ihn lächelnd an.
-»Hanka, denke nicht an den <em class="antiqua">palenc</em><a id="FNAnker_38_38"></a><a href="#Fussnote_38_38" class="fnanchor">[38]</a>. Drei Gläschen habe ich
-getrunken; aber drei Gläschen sind nötig zu dem, was ich
-vorhab'.«</p>
-
-<p>»Ja, was hast du denn eigentlich vor, alter Kito?«</p>
-
-<p>Kito stand auf, stieß mit dem Mittelfinger dreimal in die
-abermals erloschene Pfeife, ging zum Feuer, um einen neuen
-Span zu entzünden, spuckte dreimal hinter den Ofen und sagte
-dann passend:</p>
-
-<p>»He, was ich vorhab'? Wenn das so glatt rauszukriegen
-wäre, da säß ich doch nicht so lange hier und versäumte bei
-einem Mädel dummerweise meine Zeit!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_147">[147]</a></span></p>
-
-<p>Er setzte sich wieder an den Tisch.</p>
-
-<p>»Ja, Hanka, das Lied ist auf mich gemacht:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»<em class="antiqua">Moja mač jo wúdowa,</em><br /></span>
-<span class="i0"><em class="antiqua">Ja som liderlich škrodawa.</em>«<a id="FNAnker_39_39"></a><a href="#Fussnote_39_39" class="fnanchor">[39]</a><br /></span>
-</div></div>
-
-<p class="noind">Herr, meine Zeit, was habe ich als Junge alles angerichtet!
-Es ist schwer zu glauben. Da muß ich dir einen Witz erzählen,
-Hanka! Es waren einmal drei Jungen, die hatten einen Käse
-gefunden. Und weil sie nicht einig wurden, wem der Käse
-gehören sollte, so wollten sie wetten. Und sie machten es also
-aus: Wer von uns dreien die größte Lüge sagt, der kriegt den
-Käse! Sie logen nun die Sterne vom Himmel herunter, aber
-sie konnten nicht einig werden, wer den Käse bekommen sollte.
-Da kam der Herr Pastor gerade vorbei und fragte die Jungen
-aus, um was sie sich so händelten. Und da er alles angehört
-hatte, machte er die <span id="corr147">Stirn</span> runzelig und sagte: ›Pfui, ihr
-Lügner! Als ich ein Junge war, wie ihr, hab' ich <em class="gesperrt">nie</em> gelogen!‹
-Und richtig &ndash; so ein frecher Schlingel gibt ihm den Käse und
-sagt: ›Sie haben gewonnen, Herr Pastor.‹ Ja, und diese
-Range war ich!«</p>
-
-<p>Hanka sah überrascht auf.</p>
-
-<p>»Ih, du bist ja ein kurioser Kauz gewesen, Kito!«</p>
-
-<p>Kito schüttelte melancholisch den Kopf.</p>
-
-<p>»Kauz hin &ndash; Kauz her &ndash; es ist doch aus! Jetzt &ndash; jetzt
-lauert bloß die alte Wičaz, daß sie mir ihre Wanzen in den
-Sarg stecken kann. Aber ich werd' ihr was … Hanka, ich schlag'
-mit allen vieren aus, daß der ganze Sarg umkippt, wenn die
-alte Schraube mit ihrer wanzigen Federspule angerückt kommt.«</p>
-
-<p>Hanka suchte ihn zu beruhigen.</p>
-
-<p>»Ach, Kito, du bist noch rüstig. Du machst es noch länger
-als die Wičaz.«</p>
-
-<p>Kito wehrte ab.</p>
-
-<p>»Nein, nein! Was nutzt alles! Die Frau habe ich mit
-heiligem Gras angeräuchert, weil ich das so gehört habe, aber<span class="pagenum"><a id="Seite_148">[148]</a></span>
-genutzt hat es nichts. Siebzig Jahre laufe ich hier im Wendenland
-herum. Eigentliche Wunder habe ich wenig bemerkt.
-Den Vampyr habe ich manchmal gesehen &ndash; jawohl, aber nur,
-wenn ich lange in der Schenke gesessen hatte. Da hatte ich am
-nächsten Morgen blasse Lippen. Da hatte er mir das Blut ausgesaugt.
-Und oft bin ich geprellt worden. Wenn man nachts
-um zwölf Uhr auf der Wiese kleine Flämmchen brennen sieht,
-da brennt Geld. So hat es mir meine Großmutter erzählt.
-Da braucht man dann bloß sein Erspartes zwischen die Flämmchen
-zu werfen und fortzugehen. Am anderen Morgen hebt
-man einen Schatz. Ja, ich hab' mein Vierteljahreslohn unter
-die Flämmchen geworfen, und am anderen Morgen war alles
-futsch &ndash; der Schatz und der Lohn.«</p>
-
-<p>»So hast du den Ort vergessen«, warf Hanka ein.</p>
-
-<p>»Ort hin &ndash; Ort her! Ich bin auf meine alten Tage ungläubig
-geworden. Seit das Gras bei unserer guten Frau
-nichts geholfen hat, denk ich mir das meine. Und siehst du, der
-<em class="antiqua">domjacy</em><a id="FNAnker_40_40"></a><a href="#Fussnote_40_40" class="fnanchor">[40]</a>, der Juro, der glaubt auch nicht an solche Dinge
-und ist doch bald ein <em class="antiqua">Pán doctor</em>.«</p>
-
-<p>»Schlimm genug, daß er nichts glaubt«, sagte Hanka.</p>
-
-<p>»Mädchen, der Juro ist der allergrößte Prachtkerl. Das war
-er schon als Kind. Da war ich doch sozusagen sein Erzieher.
-Offen und ehrlich ist er, ein bißchen Hitzkopf und Eigensinn, aber
-auch gutherzig. Und ein richtiger Kerl. Der könnte den Jan
-beim Johannisfest machen!«</p>
-
-<p>Hanka seufzte tief und schwer. Kito lachte plötzlich über sich
-selbst.</p>
-
-<p>»Das heißt, ich bin schon wirklich der allerdümmste Kerl
-auf Gottes weiter Welt. Red' ich nicht dahier gegen mein eigenes
-Maul?«</p>
-
-<p>Er schwieg. Dann brachte er stoßweise heraus:</p>
-
-<p>»Hanka, schenke mir einen Branntwein ein!«</p>
-
-<p>Das Mädchen war ganz verwundert über den Alten.</p>
-
-<p>»War es das, was du auf dem Herzen hattest?«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_149">[149]</a></span></p>
-
-<p>»Nein, Hanka, nein! Der Branntwein ist bloß dazu,
-daß ich es leichter herauskriege, was ich zu sagen habe. Ich
-versitz' dahier sonst bloß unnütz meine Zeit.«</p>
-
-<p>Hanka schloß einen Wandschrank auf, goß ein Glas Branntwein
-ein, nippte der Sitte gemäß erst selbst davon und stellte
-es dann vor den Alten.</p>
-
-<p>»Ich sehe dich, Hanka«, sagte der und trank ihr zu.</p>
-
-<p>»Nun komm aber auf das, was du vorhast«, sagte das
-Mädchen.</p>
-
-<p>»Jawohl, jawohl! Es ist gar nicht so einfach, wie du wohl
-bemerkt hast.«</p>
-
-<p>Er zündete sich erst seine Pfeife wieder an und spuckte
-hinter den Ofen.</p>
-
-<p>»Also, Hanka, du kennst die Geschichte vom Elieser. Er
-war nur ein Knecht und hatte doch ein wichtiges Amt: er sollte
-für den Sohn seines Herrn die Braut werben. Als ich noch
-jung war, bin ich auch oft Brautwerber gewesen. Du kennst
-das ja. Im Oberlande heißt man's <em class="antiqua"><span id="corr149">družba</span></em>, im Niederlande
-<em class="antiqua">pobratz</em> (Brautwerber). Na, du kannst glauben, Hanka, es ist
-nicht so einfach, wenn man für einen anderen auf die Brautschau
-geht. Man kann nicht mit der Tür ins Haus fallen. Man
-muß erst über alles mögliche andere schwatzen, und dann muß
-man politisch und fein und sachte hintenrum mit seiner Absicht
-rausrücken. Und man geht immer so um die Abenddämmerung.
-Da fällt's nicht so auf, wenn man rausgeschmissen wird.«</p>
-
-<p>Hanka stand auf. Ganz erregt sagte sie:</p>
-
-<p>»Ich frag' dich jetzt, Kito, was soll das ganze Gerede
-bedeuten?«</p>
-
-<p>»Immer sachte, Jungfer, immer sachte, man kann doch
-nichts überstürzen. Neunmal bin ich Freiwerber und Zurater
-gewesen in meinem Leben; siebenmal haben sie mich rausgeschmissen,
-aber zweimal ist was aus der Sache geworden.
-Nun, man hat seine Erfahrungen!«</p>
-
-<p>»Kito, jetzt sprichst du endlich oder ich gehe hinaus!«</p>
-
-<p>Da stand Kito erschrocken auf, und sein Gesicht wurde
-plötzlich sehr ernst, und er faltete die Hände auf dem Tische.<span class="pagenum"><a id="Seite_150">[150]</a></span>
-Er stockte noch eine Minute lang, dann sagte er mit bewegter
-Stimme:</p>
-
-<p>»Wie der Elieser um die Rebekka geworben hat, so werbe
-ich in Gottes Namen um dich, Jungfrau Hanka, für unseren
-Gutssohn Samo.«</p>
-
-<p>Hanka saß regungslos hinter dem Tisch. Sie schluckte ein
-paarmal, und ihr Gesicht war bleich.</p>
-
-<p>»Bist du &ndash; bist du toll?« fragte sie stockend.</p>
-
-<p>»Es ist heiliger Gottesernst, Hanka«, entgegnete der Knecht.</p>
-
-<p>Er setzte sich die Brille auf, zog einen Brief aus der Tasche
-und las mit feierlicher Stimme:</p>
-
-<div class="letter">
-<p class="right">
-Breslau, am 20. November 1860.<br />
-</p>
-
-<p>Mein lieber alter Freund Kito!</p>
-
-<p>Nach dem alten, schönen Brauche unseres lieben sorbischen
-Volkes bitte ich dich, daß du der Freiwerber für mich bist bei
-unserer ehrbaren Jungfrau Hanka. Wir sind von derselben
-Abstammung und gehören zueinander, nachdem mein Bruder
-Juro ein Deutscher geworden ist und auch ein deutsches
-Mädchen heiraten wird. Aber ich wähle auch die Hanka, weil
-ich sie von Herzen lieb habe, weil sie ein braves sorbisches
-Mädchen ist. Du sollst erst mit meinem Vater sprechen und
-dann für mich werben. Ich werde dir stets dankbar sein. Gott
-möge dir helfen!</p>
-
-<p class="right">
-Samo.
-</p></div>
-
-<p>Dem Alten rannen die Tränen übers Gesicht, wie er so las.
-Ohne auf das fassungslose Mädchen zu achten, sprach er dann:</p>
-
-<p>»Ein braver Bursch! Ich bin bloß ein Knecht, aber er nennt
-mich ›mein alter Freund‹. Er hält sich an die alte Sitte. Das
-werden ihm alle Leute hoch anrechnen, wenn sie es hören
-werden.«</p>
-
-<p>Hanka stand auf.</p>
-
-<p>»Wo willst du hin, Hanka?«</p>
-
-<p>»Hinaus!«</p>
-
-<p>»Und gibst du mir keine Antwort?«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_151">[151]</a></span></p>
-
-<p>Sie war schon draußen. Der alte Kito steckte seinen Brief
-ein. Betrübt senkte er den weißen Kopf.</p>
-
-<p>»Und ich glaubte, ich hätte es so lustig, so ausführlich und
-so gut gemacht!«</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p class="ph2">Die Spinngesellschaft war abgesagt worden. Die Gutstochter
-Hanka war krank.</p>
-
-<p>Fünf Tage schon war das Mädchen allein in ihrer Stube.
-Eine Magd brachte ihr Essen, das fast immer unberührt zurückkam.
-Tee wollte die Kranke nicht trinken; alle Hilfsmittel
-verschmähte sie.</p>
-
-<p>Am sechsten Tage schlich sich die alte Wičaz bei Hanka ein.
-Das Mädchen wollte anfangs nichts von ihr wissen; aber
-schon nach einer Viertelstunde lagen die Wahrsagekarten ausgebreitet
-auf dem Tisch. Hanka sah mit großen Augen vom Bett
-her auf die Alte. Ihr Gesicht war in der kurzen Zeit blaß und
-schmal geworden.</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Wuše stupaš, dale widžiš</em>«, begann die Alte; »je höher
-du steigst, je weiter du siehst.«</p>
-
-<p>Dann machte sie eine lange Pause, bohrte die grauen Augen
-in die Kartenbilder, fuhr mit den gelben, knochigen Fingern
-darüber, zuckte mit den Lippen.</p>
-
-<p>Dann sprach sie:</p>
-
-<p>»Ich sehe zwei junge Adler und ein junges Adlerweibchen.
-Der eine Adler kommt an das Nest des Weibchens, kreischt es
-an und hackt es mit seinem scharfen Schnabel, daß es blutet.
-Dann fliegt er fort und paart sich mit einer Krähe. Und sie
-fliegen bis an den Lóbjofluß. Da werden sie erschossen und
-sinken ins Wasser. Der andere Adler gewinnt das Adlerweibchen,
-und sie bauen sich ein gutes Nest auf dem höchsten
-Baume und verjagen alle Krähen. <em class="antiqua">Wuše stupaš, dale widžiš.</em>
-Je höher du steigst, je weiter du siehst.«</p>
-
-<p>Hanka hörte der Alten staunend zu.</p>
-
-<p>»Woher weißt du das?«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_152">[152]</a></span></p>
-
-<p>»Ich lese es in den Karten, und mehr kann ich nicht sagen.«</p>
-
-<p>Die Wičaz stand auf und ließ Hanka allein.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Am Nachmittag desselben Tages kam der alte Scholta zu
-Hanka.</p>
-
-<p>»Kannst du es nicht über dich bringen?« fragte er.</p>
-
-<p>Hanka schlug die Hände vors Gesicht.</p>
-
-<p>»Juro ist für uns verloren,« sagte der Alte traurig; »nicht
-bloß für dich, auch für mich, auch für uns alle. Was er will,
-kann ich nie zugeben.«</p>
-
-<p>Der Scholta stand am Fenster und schaute in den herbstlichen
-Großgarten.</p>
-
-<p>»Ich brauch' dich so notwendig hier wie das tägliche Brot«,
-sagte er nach einer Weile. »Das weißt du wohl, Hanka. Wo
-keine Frau im Hof, da ist der Böse im Hof. Ich müßte aber
-doch jetzt sagen: ›Fahr wieder heim, Hanka!‹ Doch ich schäme
-mich, ich schäme mich!«</p>
-
-<p>Er legte den Kopf an die Fensterscheiben. Das Mädchen
-begann bitterlich zu schluchzen. Der alte Hanzo fuhr fort:</p>
-
-<p>»Meine selige Frau hat es mit deinen Eltern ausgemacht,
-die Leute hier auf dem Hofe wissen es; ich mag dich nun so
-nicht heimgehen lassen.«</p>
-
-<p>Da richtete sich das Mädchen halb auf.</p>
-
-<p>»Ja, es wär' &ndash; es wäre eine Schande für mich! Sagt mir,
-sagt mir das eine in Gottes Wahrheit: will mich Samo bloß
-aus Barmherzigkeit nehmen, weil mich Juro nicht mag?«</p>
-
-<p>Da leuchteten die Augen des Alten auf.</p>
-
-<p>»Nein, weil er dich gern hat, weil er dich lieb hat! Wer
-sollte dich auch nicht gern haben? Er hat es mir geschrieben, und
-er hat es mir schon gesagt, als er noch hier war.«</p>
-
-<p>Drei Minuten wohl lag das Mädchen mit geschlossenen
-Augen, dann sagte es leise:</p>
-
-<p>»Ich werde dankbar sein und den Samo nehmen.«</p>
-
-<p>Hanzo ergriff freudig ihre beiden Hände und küßte Hanka
-dreimal auf die Stirn.</p>
-
-<p>Dann stand er aufrecht und feierlich da, und er, der sonst
-scheu und schweigsam war, sprach:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_153">[153]</a></span></p>
-
-<p>»Hanka, wenn du einen Sohn bekommst, wird er der Herr
-auf diesem Hofe und der Kral der Wenden sein! Wenn auch
-Juro darauf vergißt, wir anderen wollen es nicht vergessen,
-daß du in Wahrheit eine Königstochter bist, aus älterem Geschlecht
-als manche Prinzessin. Darum sollst du den Kopf
-hochtragen und nicht mehr weinen.«</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Nan!</em>«<a id="FNAnker_41_41"></a><a href="#Fussnote_41_41" class="fnanchor">[41]</a></p>
-
-<p>Das eine Wort sagte das Mädchen und schlang die Arme
-um den Hals des Alten&nbsp;…</p>
-
-<p>Hanzo stieg glücklich in den Hof hinab. Unten traf er seinen
-Altknecht Kito.</p>
-
-<p>Er drückte ihm die Hand und sagte:</p>
-
-<p>»Kito, sag den Leuten, nächsten Sonntag ist noch eine kleine
-Kirmes. Tanzen dürfen sie hier im Hof nicht, weil Trauerjahr
-ist, aber im Kretscham werde ich alles bezahlen.«</p>
-
-<p>Kito erschrak aufs heftigste und versuchte dann einen kleinen
-Freudensprung, der infolge seiner lahmen Hüfte mißriet.</p>
-
-<p>»Hat sie &ndash; hat sie?«</p>
-
-<p>»Ja, sie wird ihn nehmen! Du kannst es Samo schreiben,
-denn er hat dich zum Brautwerber gemacht.«</p>
-
-<p>Kito ging freudetrunken über den Hof, wackelnd wie ein
-lahmer Enterich. Am Ziehbrunnen blieb er stehen.</p>
-
-<p>»Zehnmal bin ich jetzt <em class="antiqua">družba</em> gewesen; siebenmal haben
-sie mich rausgeschmissen, dreimal ist es geglückt. Schade,
-daß ich schon so alt bin; ich könnte noch viel Gutes stiften.«</p>
-
-<p>Zum Unglück kam die alte Wičaz daher. Kito, der sonst ihr
-erklärter Widersacher war, ging auf sie zu, erfaßte unversehens
-ihre rechte Hand, hob die Hand über ihren Kopf und drehte
-die Frau etliche Male blitzschnell um ihre Achse.</p>
-
-<p>»Was fällt dir denn ein, du verrückter Kerl?« fragte die
-Alte schnaufend.</p>
-
-<p>»Ach, ich wollte wieder mal mit einem jungen Mädchen <em class="antiqua">serska
-reja</em><a id="FNAnker_42_42"></a><a href="#Fussnote_42_42" class="fnanchor">[42]</a> tanzen und sehe eben, daß ich mich vergriffen habe.«</p>
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_154">[154]</a></span></p>
-<p>Die Alte sah ihn neugierig forschend an und ging dann
-schimpfend davon. Kito aber begab sich nach dem Kretscham,
-der gleichzeitig das Kaufhaus des Dorfes war, trank erst drei
-Gläser Schnaps, kaufte dann Tinte, Feder und Papier und
-schrieb am selben Abend noch an Samo folgenden Bericht:</p>
-
-<div class="letter">
-<p class="center">
-Lieber Freund Samo!
-</p>
-
-<p>Ich habe es mir ehrenvoll entledigt. Drei Gläser <em class="antiqua">palenc</em> hatte ich
-getrunken, und eines hat die Hanka gegeben und selbst zugetrunken.
-Sie ist nicht übel. Über den alten Fritz und den Pastor mit dem Käse
-hat sie sehr gelacht. Die alte Wičaz hat mit mir <em class="antiqua">serska reja</em> tanzen
-müssen. Oh, die hat geflucht! Aber sie soll nur mit ihren Wanzen
-kommen! Ich fühle mich wieder ganz jung. Ich sterbe noch sehr lange
-nicht. Und sie wird schon wieder gesund werden. Denn solche Mädel
-haben solche Mucken, das war immer so. Die Spinnstube ist abbestellt.
-Aber auf den Sonntag ist eine kleine Kirmes. Wenn ich noch
-auf die Linde könnte, würde ich schon eine starke Predigt halten.
-Womit ich schließe als dein treuer Freund und Brautwerber</p>
-
-<p class="right">
-Kito.
-</p></div>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p class="ph2">Die Spinnstube Hankas war wieder eröffnet. Zwei
-Mädchen, denen die ehrbare <em class="antiqua">pšaza</em> Hankas zu »langweilig«
-war, hatten die Unterbrechung benutzt, sich einer
-lustigeren Spinngesellschaft anzuschließen. Für die eine kam
-die Reue gar bald und gar schmerzlich. Hanka war verändert.
-Ihre große Kindlichkeit war ausgelöscht, der wissende Ernst
-lag auf ihrer Stirn, eine leise Trauer, aber auch eine feste
-Entschlossenheit leuchtete aus ihren Augen. Sie war stiller
-geworden. Eine Herbheit war in ihrem Wesen, die oft in Stolz
-überging. Sie weinte nie mehr, auch nicht, wenn sie allein war.
-Mit Samo wechselte sie alle Wochen einen Brief. Er schrieb
-zärtlich, sie antwortete freundlich-kühl.</p>
-
-<p>Um sieben Uhr des Abends kamen die zehn Mädchen, die
-noch zu ihrer <em class="antiqua">pšaza</em> gehörten, mit ihren Spinnrädern und
-Flachsrocken. Bald saßen alle Mädchen in einer Reihe im
-Halbkreis, und die Rädlein schnurrten und die Mäulchen<span class="pagenum"><a id="Seite_155">[155]</a></span>
-schnurrten noch mehr. Erzählen, lachen, singen und dabei
-spinnen, spinnen!</p>
-
-<p>Ein schönes Bild. Rote, jugendfrische Gesichter, gesunde,
-kernige Gestalten, schmucke Gewandung. Bunt gestreifte, weite
-Röcke haben sie alle, pralle Sammetmieder, zierliche Brusttüchlein,
-manche hat einen besonders feinen Brustlatz aus
-Brokat. Große Tücher sind um die Köpfe gewunden mit weitausgreifenden
-Flügeln nach beiden Seiten. Wenn eine schöne
-Strümpfe ihr eigen nennt, so steckt sie bald den linken, bald den
-rechten Fuß unauffällig unter dem Kleid hervor.</p>
-
-<p>Ein lustiges Kienspanfeuer im Kamin liefert die Beleuchtung;
-außerdem brennen noch zwei Öllämpchen. Heimlich
-und traulich ist es in der Spinnstube, indes draußen der Sturm
-über die Heide pfeift oder der Regen an die kleinen Fenster
-klopft, leise wie mit Geisterfingerlein.</p>
-
-<p>Die Mädchen schwatzen von der Dorfchronik. Die Gromada<a id="FNAnker_43_43"></a><a href="#Fussnote_43_43" class="fnanchor">[43]</a>
-des Thomastages steht bevor. Da läuft das Amtsjahr
-des Gemeindedieners, des Dorfschmiedes und des Nachtwächters
-ab. Entblößten Hauptes müssen sie am 21. Dezember
-im Kretscham vor der Gromada erscheinen und um ihre Wiederanstellung
-bitten, sich auch fein höflich bedanken, wenn sie
-solche erhalten haben.</p>
-
-<p>Nun hat sich der Nachtwächter als ein Rebell erwiesen. Er
-hat zwar im Vorjahre bei der Gromada die Mütze abgenommen
-und etwas gebrummt, was man bei viel gutem Willen für
-eine Bitte um Wiederanstellung hätte halten können, aber er
-ist, nachdem ihn das Wohlwollen der Dorfväter auf ein neues
-Jahr bestätigt hatte, ohne Dank und Gruß davongestampft, ja
-er soll eine Äußerung getan haben, die mit Respekterzeigung in
-einem greulichen Gegensatz steht. Er ist ein roher Kerl, dieser
-Nachtwächter!</p>
-
-<p>»Diesmal wird er abgesetzt«, sagt ein Mädchen, die Tochter
-eines der <em class="antiqua">starsi</em><a id="FNAnker_44_44"></a><a href="#Fussnote_44_44" class="fnanchor">[44]</a>.</p>
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_156">[156]</a></span></p>
-<p>»Hurra!« schreit da der alte Kito, der in der ›Ofenhölle‹ sitzt,
-»da werd' ich ein Spitzbube. Denn einen neuen Nachtwächter
-kriegen sie nicht, wo er bloß sechs Dreier auf die lange Nacht
-bekommt. Dafür möchte ja nicht mal mein Napolium wachen.«</p>
-
-<p>Er wies auf einen großen Hund, der neben ihm lag. »Napolium«
-gähnte und schüttelte sich, so daß alle Mädchen laut auflachten.</p>
-
-<p>»Sechs Dreier sind auch Geld«, sagte die Schöffentochter
-verärgert. »Überhaupt, mein Vater sagt, es ist eine ganz schlechte
-aufsässige Zeit. Unser Knecht hat sich Strümpfe gekauft!
-Strümpfe! Ein Knecht! Wo mein Vater in Fußlappen geht
-oder auf Stroh in den Stiefeln, kauft sich der Knecht auf dem
-Jahrmarkt ein Paar Strümpfe!«</p>
-
-<p>Kito nickte nach dem Feuer hin.</p>
-
-<p>»Ja, ja,« seufzte er, »der Untergang der Welt kann nicht
-mehr weit sein. Napolium, scharr dich nicht!«</p>
-
-<p>Die Mädchen waren des politischen Gesprächs schon wieder
-müde. Eine Liebesgeschichte machte tuschelnd die Runde, und es
-wurde viel heimlich gelacht und viel Spott getrieben. Ein Mädchen
-wurde durchgehechelt.</p>
-
-<p>»So eine Schlafliese hat Glück. Die stieß die <em class="antiqua">Dřemotka</em><a id="FNAnker_45_45"></a><a href="#Fussnote_45_45" class="fnanchor">[45]</a>
-schon immer um halb neun in den Nacken. Und kriegt einen
-solchen Burschen!«</p>
-
-<p>»Sie hat sich sogar abkonterfeien lassen.«</p>
-
-<p>Kaum war das Wort gefallen, so stimmte Kito ein Lied an.
-Mit meckriger Stimme sang er:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Wer hoch und angesehn will sein<a id="FNAnker_46_46"></a><a href="#Fussnote_46_46" class="fnanchor">[46]</a>,<br /></span>
-<span class="i0">Der muß sich lassen konterfein,<br /></span>
-<span class="i0">Schön weiß und rot fürs liebe Geld,<br /></span>
-<span class="i0">Wie's Mode ist,<br /></span>
-<span class="i0">Wie's Mode, Mode ist,<br /></span>
-<span class="i0">Wie's Mod' ist in der Welt!<br /></span>
-<span class="i0">Kaum hatt' sie mir ihr Bild geschickt,<br /></span>
-<span class="i0">Da wurd' ich ganz und gar verrückt,<br /></span><span class="pagenum"><a id="Seite_157">[157]</a></span>
-<span class="i0">Um mein Genie ist's schlecht bestellt,<br /></span>
-<span class="i0">Wie's Mode, Mode ist,<br /></span>
-<span class="i0">Mode ist auf der Welt!«<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>»O du Hund! Kaum fang' ich an zu singen, so beißt mich
-dieser Lump von Napolium in die Waden.«</p>
-
-<p>»Ach, Kito, du hast doch gar keine Waden mehr«, lachte ein
-Mädchen.</p>
-
-<p>»Soll ich sie zeigen?«</p>
-
-<p>Kito machte Miene, einen Stiefel auszuziehen.</p>
-
-<p>»Pst, keinen Unfug!« wehrte Hanka ab. Kito seufzte.</p>
-
-<p>»Napolium, Napolium, heutzutage sind die Jungen frumber
-als die Alten. O jerum!«</p>
-
-<p>Auch die Mädchen seufzten verstohlen. Eine wendische
-Spinnstube nach ihrem Geschmack war das nicht. Da mußte es
-schon anders hergehen. Nun ja, zweimal waren die Burschen
-zu Besuch dagewesen und hatten auch Branntwein mitgebracht,
-aber tanzen durfte man hier nicht, und sonst war auch nicht viel
-Spaß erlaubt. Am ersten Spinnabend hatte es einen feinen
-Gänsebraten gegeben, das ist wahr! Und alle Abend um dreiviertel
-neun Uhr gab es Kaffee. Das konnten sich nur so reiche
-Leute leisten. Und die schönsten Lieder gab es hier. Ganz neue
-Lieder hatte das fremde Mädchen mitgebracht. Auch heute versprach
-Hanka, zwei neue Lieder zu singen. Es waren aber diese:</p>
-
-<p><em class="center gesperrt">Die entlaufene Mutter.</em><a id="FNAnker_47_47"></a><a href="#Fussnote_47_47" class="fnanchor">[47]</a></p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Kathinka aus Gurich lief davon<br /></span>
-<span class="i0">Dem Ehemann, dem Saufpatron.<br /></span>
-<span class="i0">Sie lief bis Malschwitz in toller Hast,<br /></span>
-<span class="i0">Dort macht sie müde am Hügel Rast.<br /></span>
-<span class="i0">Mit trübe geweinten Äugelein<br /></span>
-<span class="i0">Sah sie in Gottes Sonne hinein.<br /></span>
-<span class="i0">»O Hanzo, Hanzo, mein lieber Sohn,<br /></span>
-<span class="i0">Hast du wohl jetzt dein Frühstück schon?«<br /></span>
-<span class="i0">»O Maja, Maja, du Blümlein rot,<br /></span>
-<span class="i0">Wer kocht dir heute dein Mittagbrot?«<br /></span><span class="pagenum"><a id="Seite_158">[158]</a></span>
-<span class="i0">»Und du, mein Merten, du Kleinster, mein,<br /></span>
-<span class="i0">Wer singt dich heut in den Schlummer ein?«<br /></span>
-<span class="i0">Da weinte sie laut, da stand sie auf<br /></span>
-<span class="i0">Und nahm gen Gurich den raschen Lauf:<br /></span>
-<span class="i0">»Und schlüg er mir auch das Leben heraus,<br /></span>
-<span class="i0">Ich kehre um und gehe nach Haus!«<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Und das andere Lied war dieses:</p>
-
-<p><em class="center gesperrt">Die Leichtsinnige.</em><a id="FNAnker_48_48"></a><a href="#Fussnote_48_48" class="fnanchor">[48]</a></p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Und als der junge Bursche erfuhr,<br /></span>
-<span class="i0">Daß andere liebet sein Schätzelein,<br /></span>
-<span class="i0">Zog aus der Scheide er sein Schwert<br /></span>
-<span class="i0">Und bohrt sich's tief ins Herz hinein.<br /></span>
-<span class="i0">Zur Kirche ging das Mägdelein<br /></span>
-<span class="i0">Und sprang dann in das Feld hinaus,<br /></span>
-<span class="i0">Da lag ihr Liebster hinterm Busch<br /></span>
-<span class="i0">Und ruht' von Leid und Untreu aus.<br /></span>
-<span class="i0">Das Mädchen weinte, und ihm war bang<br /></span>
-<span class="i0">&ndash; Fast eine ganze Woche lang.<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Die Lieder wurden gelobt, der Text wurde gelernt, die Weise
-eingeübt; noch am selben Abend wurden die beiden Lieder gemeinsam
-gesungen.</p>
-
-<p>Dann wurde Kito aufgefordert, Scherze zu erzählen.</p>
-
-<p>Er wollte vom Alten Fritz und dem Prediger anfangen, aber
-alle wehrten ab. Das sei eine ganz alte Geschichte. Auch der
-Pastor mit dem Käse wurde abgelehnt sowie die Erzählung,
-wie Kito von der Linde predigte.</p>
-
-<p>Schließlich sagte er: »Ein Deutscher sagte einmal zu einem
-Wenden im Kretscham: ›Aus vier Wenden<a id="FNAnker_49_49"></a><a href="#Fussnote_49_49" class="fnanchor">[49]</a> baut man einen
-Schweinestall‹.«</p>
-
-<p>»Ja, und er sperrt ein deutsches Schwein hinein!« riefen
-die Mädchen alle zusammen.</p>
-
-<p>»Oh, Kito, bei deinen Geschichten hat Adam zu Paten gestanden!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_159">[159]</a></span></p>
-
-<p>Kito schüttelte den grauen Kopf.</p>
-
-<p>»Die Welt ist neuerungssüchtig und verderbt. Der Knecht
-kauft sich Strümpfe, und wendische Mädel woll'n neue Geschichten!«</p>
-
-<p>Er fing nun an zu singen:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Nach Jenkwiz gehn wir nicht zum Biere,<br /></span>
-<span class="i0">Dort kriegten die Burschen von den Mädeln Schmiere«;<br /></span>
-</div></div>
-
-<p class="noind">aber auch dieses schöne Lied fand keinen Beifall, weil es alt und
-abgeleiert sei.</p>
-
-<p>Selbst einer seiner schönsten Späße wurde mäßig gelobt,
-daß er nämlich einer Herde von Weibern, die neugierig durch
-ein Gasthausfenster dem Tanze zusahen und dichtgedrängt
-standen, heimlich die bauschigen Röcke aneinandergenäht hatte
-und daß sie am Ende nicht auseinander konnten, was viel Geschrei
-und Spektakel ergab.</p>
-
-<p>»Wer weiß eine Gespenstergeschichte?«</p>
-
-<p>Das war etwas. Die Mädchen rückten näher zusammen.
-Und eine sprach halb im Flüsterton:</p>
-
-<p>»Bei Leipa drunten in der Mühle hat es gespukt. Alle Nächte
-sind eine greuliche Menge Katzen gekommen und haben um
-Mitternacht einen großen Spektakel gemacht. Alle Leute aus der
-Mühle sind ausgezogen. Da ist einmal ein Scharfrichter durch
-Leipa gekommen, der hat von der Mühle gehört. Und er ist hineingegangen,
-hat sich in der großen Stube an den Tisch gesetzt,
-zwei Lichter vor sich gestellt und sein Richtbeil vor sich gelegt
-und um den ganzen Tisch mit Kreide einen Kreis gezogen. Und
-so hat er gewartet. Dann haben draußen alle Wächter zwölf
-gepfiffen, und da ist es losgegangen. Das hat gerasselt und gepoltert
-und gefaucht, und an die hundert böse Katzen sind hereingekommen
-und haben sich alle auf den Scharfrichter stürzen
-wollen. Aber keine einzige hat sich über den Kreis getraut. Geh
-du rüber! Geh du rüber! haben sie zueinander gesagt. Aber
-keine hat sich's getraut. Bloß eine große, gelbe Katze hat die
-Pfote in den Kreis hineingestreckt. Da hat schnell der Scharfrichter
-sein Beil genommen und sie blutig gehackt. Da sind alle<span class="pagenum"><a id="Seite_160">[160]</a></span>
-Katzen winselnd fortgelaufen. Und am andern Tag hat die
-Frau des Amtmanns von Leipa eine verbundene Hand gehabt
-und hat gesagt, sie hätte sich aus Versehen mit einem Messer
-einen Finger abgeschnitten. Aber die Leute haben jetzt gewußt,
-daß sie eine Hexe war!«</p>
-
-<p>»Da werd' ich auch etwas von einer Hexe erzählen«, sagte
-eine andere. »Die hat in einem Dorfe gewohnt, und abends hat
-sich immer ihr Geist auf den Feldern und in den Gassen herumgetrieben,
-während ihr Leib im Bette lag, und der Geist hat die
-Leute geängstigt. Da ist einmal der Schulmeister von Saßleben
-dem Gespenst begegnet und hat es mit einem Stock jämmerlich
-durchgeprügelt. Am andern Morgen hat eine Bauersfrau nicht
-aufstehen können, weil sie ganz grün und blau geprügelt war.
-Und das war die Hexe.«</p>
-
-<p>Kito seufzte in seiner Ofenhölle.</p>
-
-<p>»Ja, ich bin auch einmal so eine Hexe gewesen.«</p>
-
-<p>»Du, eine Hexe? Das ist nicht möglich!«</p>
-
-<p>»Doch! Und es war auch so ein Abenteuer mit einem Schulmeister.
-Ich ging damals noch in die Schule und saß auf der
-Schulbank. Das heißt, es sah nur so aus, als ob ich dort säße.
-In Wirklichkeit spukte ich. Denn der Mensch besteht aus Leib
-und Geist. Und mein Geist, der war nicht mit in der Schule, der
-war im Walde und fing mit Sprenkeln Rotkehlchen. Da fing
-plötzlich der Schulmeister an zuzuhauen. Aber er hieb nicht auf
-den Geist ein, sondern der Leib bekam die Hiebe persönlich.
-Grün und blau war er aber auch.«</p>
-
-<p>Kito wird ein alter Narr genannt und ausgescholten.
-Teufelsgeschichten kommen an die Reihe: wie der Teufel Asche
-in Gold verwandelte, wie er als dreibeiniger Hase herumhüpfte,
-wie er mit zwei schwarzen Ochsen die Spree pflügte und die
-Ochsen immer so ungebärdig hin und her sprangen, daß die
-Spree ganz krumm geworden ist.</p>
-
-<p>Und mit scheuen Augen erzählt eine von dem Mädchen, das
-im Rautenkranz zur Kirche ging und mit Rosen geschmückt auf
-einem Stuhl vor dem Altar saß. Da kam plötzlich ein Kind
-vom Altar her, setzte sich dem Mädchen auf den Schoß und<span class="pagenum"><a id="Seite_161">[161]</a></span>
-sagte: »Ich will bei meiner Mutter sein!« Da gestand die erbleichende
-Braut, daß sie heimlich ein Kind geboren und getötet
-habe. Und das Kind nahm die Seele ihrer Mutter mit. Die
-Braut fiel tot vom Stuhl, der Rosenkranz aber flog auf den
-Kirchhof hinaus. Dort wuchs ein großer Rosenbusch, der noch
-heute zu sehen ist. Und das ist in Gahlen geschehen vor zweihundert
-Jahren.</p>
-
-<p>Lauter schaurige Geschichten erzählen die Mädchen, indes
-der Wind an die Scheiben poltert und das Feuer im Herde
-knistert.</p>
-
-<p>Wißt ihr die Geschichte von dem Schatz im Totenkopf?
-Wißt ihr, wie der Tod in Luckau den Dreißigjährigen Krieg vorhergesagt
-hat?</p>
-
-<p>Wer weiß die Geschichte von dem Riesen, der ein dreieckiges
-Gesicht hatte? Er hat viel Übles getan. Die kleinen Ludki haben
-ihn im Schlaf erschlagen. Und er wurde begraben, aber er spukte
-in jeder Nacht, und alle Leute fürchteten sich sehr. Da haben die
-Leute die Leiche des Riesen ausgegraben, ihr einen Nagel in den
-Kopf und einen Pfahl durchs Herz getrieben, und dann hatten
-sie Ruhe.</p>
-
-<p>Von brennendem Feld wird erzählt, von weißen Männchen,
-von dem unglücklichen Mädchen, das der Nix in sein Wasserschloß
-holte, von der Mittagsgöttin, die allen denen mit der
-Sichel den Kopf abschneidet, die sie zur Mittagszeit im Felde
-trifft und die ihre vielen Fragen nicht beantworten können, von
-unverwundbaren Wölfen, gespenstigen Kälbern.</p>
-
-<p>»Heda! Kito, der Swinigel, sucht dem Hunde Flöhe ab!«
-Die Mädchen kreischten, sprangen auf, traten zurück.</p>
-
-<p>»Was schreit ihr?« sagte Kito gemütlich. »Eure Geschichten
-sind so blutig, daß ich mir dazu eine blutige Arbeit gesucht habe.«</p>
-
-<p>Die Mädchen schimpften alle auf ihn ein. Er sei ein unerhörter
-Swinigel. »Pfui, pfui!«</p>
-
-<p>»Tut nur nicht so,« verteidigte sich der Alte; »ich werfe sie
-alle ins Feuer, und wenn ja einer der Schwarzen zu einer von
-euch springt, die kann ihn morgen wiederbringen, wenn sie ihn
-unter den eigenen herauskennt.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_162">[162]</a></span></p>
-
-<p>Ei, wie gingen die Mäulchen! Hanka tat einen Schiedsspruch;
-Kito mußte das Liebeswerk an seinem »Napolium«
-einstellen, und bald schnurrten die Rädchen wieder und ging
-das Erzählen.</p>
-
-<p>Da knurrte der Hund, und von draußen kam ein feines Läuten.</p>
-
-<p>»Hört, hört, was ist das? Hört ihr es läuten?«</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Bože džječo! Bože džječo!</em>«<a id="FNAnker_50_50"></a><a href="#Fussnote_50_50" class="fnanchor">[50]</a> rief da ein Mädchen, und
-alle Rädlein standen still, und über alle jungen Gesichter ging
-der helle Schein der Freude.</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Bože džječo!</em> Still, still! Fleißig, fleißig, daß wir es nicht
-verscheuchen!«</p>
-
-<p>Und die Rädlein schnurrten wie nie zuvor, und die Mäulchen
-standen ganz still.</p>
-
-<p>Da wurde die Tür geöffnet, liebliches Schellengeläut ertönte
-im Hausflur, und eine feine Stimme fragte:</p>
-
-<p>»Sind fleißige, gute Mädchen in der Spinnstube?«</p>
-
-<p>»Nein!« schrie Kito von der Ofenhölle aus, und sein »Napolium«
-bellte.</p>
-
-<p>»Ja, ja, ja!« riefen die Mädchen, »gute, fleißige Mädchen!«</p>
-
-<p>Da kam das Gotteskind in die Stube. Es war ganz weiß
-gekleidet, das Gesicht verschleiert, auf dem Kopf trug es eine
-Krone aus Goldpapier. In der einen Hand hatte es die Schelle,
-in der anderen eine Rute. Es war von einem Weihnachtsmann
-begleitet, der einen großen Korb in der Hand und einen Sack
-auf dem Rücken trug und sich ganz greulich vermummt hatte.
-Das Hofgesinde drängte in die Stube, auch der Hausherr
-Hanzo erschien. Hanka machte erstaunte Augen; sie hatte von
-der Veranstaltung nichts gewußt.</p>
-
-<p>»Hausvater,« fragte das Gotteskind, »sind das fleißige,
-brave Spinnmädchen?«</p>
-
-<p>Der Hausvater bejahte es.</p>
-
-<p>Da ging das Gotteskind von einem Spinnrad zum andern,
-prüfte das Garn, lobte die, die wenig, und tadelte die, die noch
-zuviel Flachs am Rocken hatten.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_163">[163]</a></span></p>
-
-<p>Dann sprach es: »Singt die Kantorka mit euch gute Lieder?«</p>
-
-<p>Die Mädchen standen auf, Hanka stimmte an, und alle
-sangen:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Heil'ge Maria am Rocken spann<a id="FNAnker_51_51"></a><a href="#Fussnote_51_51" class="fnanchor">[51]</a><br /></span>
-<span class="i0">Den Flachs gar wunderfein,<br /></span>
-<span class="i0">Heil'ge Maria saß und sann<br /></span>
-<span class="i0">Und nähte ein Hemdelein.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Da kamen herein zur Kammertür<br /></span>
-<span class="i0">Zwei liebliche Engelein:<br /></span>
-<span class="i0">»Maria, wir wollen spielen mit dir,<br /></span>
-<span class="i0">Wir sind so jung und klein!«<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">»Ich kann nicht singen und spielen mit euch,<br /></span>
-<span class="i0">Die Stund' nicht ferne ist,<br /></span>
-<span class="i0">Braucht Hemdchen und Windeln und Linnenzeug<br /></span>
-<span class="i0">Mein Söhnlein Jesus Christ!«<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Die Mädchen standen mit gefalteten Händen hinter ihren
-Spinnrädern und sangen das Lied andächtig und schön. Das
-Kaminfeuer warf einen roten Schein über sie und über das
-»Gotteskind« in seinem feierlichen, weißen Kleid.</p>
-
-<p>Nun packte der Weihnachtsmann mit großem Gepolter seine
-Gaben aus und fuhr mit einem alten Besen derb unter dem
-Mannsvolk herum, wodurch er den Zorn des Hundes »Napolium«
-erweckte, der beständig nach seinen Waden schnappte,
-was viel Hallo gab. Es gab für eine »Vorbescherung« ganz
-unerhört kostbare Dinge; denn die eigentliche Bescherung kam
-erst am Heiligabend. Die Spinnmädchen bekamen alle kleine
-silberne Anhängsel: ein Herzchen, ein Kreuzchen, einen Stern,
-die Knechte und Mägde wurden reichlich mit Kleidungsstücken
-bedacht, Kito erhielt eine silberbeschlagene Tabakspfeife, der
-Hausvater bekam die schön ausgeführten Wappen der Ober-
-und Niederlausitz, beide unter einem geschnitzten Lindenkranz
-vereinigt. Von wem ging diese Bescherung aus? Die Antwort
-ergab sich bald.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_164">[164]</a></span></p>
-
-<p>Zur Tür herein kam Samo. Er war am späten Nachmittag
-heimlich angekommen.</p>
-
-<p>»Darf ich auch bei der Bescherung sein?« fragte er, nachdem
-er gegrüßt hatte. Hanka wurde blaß und hielt sich an dem
-Spinnrocken fest. Errötend gab sie Samo die Hand.</p>
-
-<p>Plötzlich aber stieß sie einen lauten Freudenschrei aus. Ihre
-Eltern waren in die Stube getreten. Das Mädchen hing an
-ihrem Halse und lachte und weinte vor Freude.</p>
-
-<p>Da stand Kito auf und gebot mit lauter Stimme Ruhe. Er
-nahm Hanka an der Hand und sagte:</p>
-
-<p>»Setz dich auf deinen Platz! Es muß Ordnung sein!«</p>
-
-<p>Und dann stellte er sich mitten in die Stube und sprach:</p>
-
-<p>»Ihr kennt alle die Bibel. Als Abraham für seinen Sohn
-Isaak ein Weib haben wollte, schickte er seinen Knecht Elieser
-aus, ein solches zu suchen; denn er dachte wahrscheinlich, daß
-Elieser das besser verstände als er und Isaak. Elieser war nur
-ein Knecht, aber er hatte doch dieses wichtige Amt bekommen.
-Er war ein <em class="antiqua">družba</em>. Hier seht ihr auch einen <em class="antiqua">družba</em> stehen.
-Zehnmal bin ich schon Zurater und Brautwerber gewesen;
-siebenmal haben sie mich &ndash; aber davon will ich nicht reden.
-Kurz und gut, dreimal ist es geglückt. Und dazu gehört dieses
-Mal. Ihr dürft nicht glauben, daß es nur der <em class="antiqua">palenc</em> war, der
-meine Zunge so geschmeidig und siegreich gemacht hat; denn ich
-habe schon von der Linde gepredigt. Kurz und bündig: durch
-Gottes Gnade und meine Hilfe ist es geglückt, von unserer ehrbaren
-Jungfrau Hanka für unseren ehrbaren Junggesellen und
-Gutssohn Samo das ›Jawort‹ zu bekommen.«</p>
-
-<p>Ein Ruf allgemeiner Überraschung ging durch die Stube.
-Die Spinnmädchen umdrängten Hanka, und es wurde ein
-solcher Lärm, daß Kito sich nur durch die Anwendung von Grobheit
-wieder Ruhe schaffen konnte.</p>
-
-<p>»Und so will ich nun die achtbaren Eltern unserer Jungfrau
-Hanka bitten und fragen, ob sie in Gottes Namen ihre Einwilligung
-zu der Verbindung geben wollen.«</p>
-
-<p>Die Frage wurde bejaht.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_165">[165]</a></span></p>
-
-<p>»Und so frage ich unseren achtbaren Hausvater, ob auch er
-in Gottes Namen seine Einwilligung geben will.«</p>
-
-<p>»Ja!« sagte Hanzo.</p>
-
-<p>»So frage ich nun, ob diese Zeugen hier genügen, oder ob
-ich noch andere Zeugen holen soll.«</p>
-
-<p>»Sie genügen.«</p>
-
-<p>»Nun, so bitte ich für meinen Freund Samo alle, die er beleidigt
-hat, um Verzeihung. Jetzt aber tretet ihr zwei hierher!«</p>
-
-<p>Samo und Hanka traten in die Mitte der Stube, der Brautwerber
-legte ihre Hände ineinander und sprach die vorgeschriebenen
-Worte:</p>
-
-<p>»Ich verlobe euch öffentlich vor diesen Zeugen in Gottes
-Namen. Es sei mit euch beiden der Gott unserer Väter und
-segne euch mit den Gütern, mit denen er unsere Väter gesegnet
-hat. Amen!«</p>
-
-<p>Darauf sangen alle Anwesenden das Lied:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Lob, Ehr' und Preis sei Gott, dem Vater und dem Sohne<br /></span>
-<span class="i0">Und auch dem heil'gen Geist im hohen Himmelsdome.«<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Als das Lied zu Ende war, trat das weiße »Gotteskind« vor
-Hanka, gab ihr einen goldenen Ring und sprach dazu:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Aus der Erd' stammt das Gold,<br /></span>
-<span class="i0">Vom Himmel die Treu,<br /></span>
-<span class="i0">Dein goldenes Ringlein<br /></span>
-<span class="i0">Breche nimmer entzwei!«<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Samo küßte Hanka auf die leise bebenden Lippen. Die zwei
-waren nach wendischem Brauch verlobt.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Nun brach die Tollheit des lebenslustigen Wendenvolkes
-sich Bahn. Boten eilten in die anderen Spinnstuben des Dorfes,
-und nicht lange, so wimmelte es von Burschen und Mädchen.
-Die fremden Burschen drangen in die Stube; einer hatte ein
-langes Messer in der Hand, damit »erstach« er den Rocken
-Hankas. Und nun nahmen die anderen Burschen den Mädchen
-die Rocken weg, und aller Flachs, der noch dran war, wanderte
-ins Feuer.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_166">[166]</a></span></p>
-
-<p>Ein Ungetüm sauste in die Stube. Es sollte einen Schimmel
-darstellen und hatte einen Kopf aus Stroh. Es wurde weidlich
-durchgeprügelt und machte wilde Sprünge und Purzelbäume.</p>
-
-<p>Ein paar wollten anfangen zu tanzen. Da aber trat Kito,
-der Brautwerber, wieder auf, und nachdem er sich mühsam
-Ruhe verschafft hatte, rief er:</p>
-
-<p>»Hochgeachtete Gäste!«</p>
-
-<p>Er wurde unterbrochen; denn sein Hund »Napolium« hatte
-sich mit dem Schimmel verbissen, und es gab ein tolles Gelächter.</p>
-
-<p>»Laßt sie, laßt sie! Es ist wie im Zirkus!«</p>
-
-<p>Nachdem der Kampf der Bestien vorüber war, rief Kito
-abermals:</p>
-
-<p>»Hochgeachtete Gäste! Dieweilen dies hier ein Trauerhaus
-ist, seid ihr gebeten, in den Kretscham zu gehen und euch dort zu
-Ehren des Brautpaares etwas zu erfreuen.«</p>
-
-<p>Da zog das Völklein jauchzend ab, und das helle Lachen
-und Singen klang vom Kretscham her die ganze Nacht, bis der
-Tag graute.</p>
-
-<p>Hanka saß indes aufrecht in ihrem Bett. Sie allein lachte nicht.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p class="ph2">Auch Juro kam zu den Weihnachtsferien nach Hause. Er
-traf zwei Tage später ein als Samo. Als er bald nach
-seiner Ankunft dem Bruder begegnete, sagte er:</p>
-
-<p>»Warum hast du mir von deiner Abreise aus Breslau nichts
-gesagt? Konnten wir nicht zusammen reisen?«</p>
-
-<p>»Von uns zweien findet jeder den Weg für sich«, antwortete
-Samo unliebenswürdig.</p>
-
-<p>»Jawohl, das weiß ich!« sagte Juro und wollte sich abwenden.
-Aber Samo sprach ihn noch einmal an.</p>
-
-<p>»Ich will dir etwas sagen, ehe du es von anderen Leuten
-hörst: ich habe mich vorgestern mit Hanka verlobt.«</p>
-
-<p>»Was?«</p>
-
-<p>Juro starrte ihn an.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_167">[167]</a></span></p>
-
-<p>»Ich habe das Mädchen lieb,« fuhr Samo fort, »und es
-muß die Tradition in unserer Familie gewahrt werden. Im
-übrigen bin ich dir ja wohl weitere Rechenschaft nicht schuldig.«</p>
-
-<p>»Du &ndash; du bist wohl verrückt?«</p>
-
-<p>»Nein, im Gegenteil, recht vernünftig! Ich weiß, was ich
-will!«</p>
-
-<p>Da faßte Juro sein Zorn.</p>
-
-<p>»Samo &ndash; Mensch &ndash; ist das wirklich wahr? Hast du dich
-wirklich mit dem unerfahrenen Mädchen verlobt?«</p>
-
-<p>»Wie ich dir sagte&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Und &ndash; und du schämst dich nicht &ndash; eine so gemeine
-Komödie&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Hüte dich, du deutscher Lümmel!«</p>
-
-<p>Juro ballte die Faust.</p>
-
-<p>»Noch so ein Wort, und ich schlag' dich nieder, du &ndash; du
-Erbschleicher!«</p>
-
-<p>Samo lachte ihm höhnisch ins Gesicht.</p>
-
-<p>»Schlag' nur zu! Es ist die deutsche Art, etwas zu beweisen,
-was nicht zu beweisen ist. Aber es nützt dir gar nichts! Deine
-Rolle ist hier verspielt!«</p>
-
-<p>Er ging aus dem Zimmer und warf die Tür zu.</p>
-
-<p>Juro suchte in höchster Erregung seinen Vater auf.</p>
-
-<p>»Vater, ist das wahr, das von Samo und Hanka&nbsp;…?«</p>
-
-<p>»Sie sind seit vorgestern verlobt!«</p>
-
-<p>Juro wurde bleich.</p>
-
-<p>»Und du hast das zugegeben?« fragte er fassungslos.</p>
-
-<p>»Ja, ich habe es sogar gewünscht. Ich will nicht, daß ein
-so braves Mädchen wie Hanka verachtet wird, ich will mich vor
-ihren Eltern und allen Leuten nicht lächerlich machen.«</p>
-
-<p>»Und das Mädchen?«</p>
-
-<p>»Es hat eingewilligt.«</p>
-
-<p>»Aber siehst du denn nicht ein, Vater, was Hanka für großes
-Unrecht geschieht, daß Samo sie nur nimmt, weil es in seine
-Berechnungen paßt, daß es eine Schmach für das Mädchen ist,
-so &ndash; so &ndash; als Spekulationsobjekt behandelt zu werden?«</p>
-
-<p>»Wieso Spekulation?«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_168">[168]</a></span></p>
-
-<p>»Es liegt doch auf der Hand, daß Samo, der im Grunde
-genommen immer alles Bäuerische mißachtet hat, weil seine
-Gedankenflüge zu hoch gingen, jetzt durch seine wendische
-Heirat nichts anderes will, als sich hier auf dem Gut als künftigen
-Herrn festsetzen.«</p>
-
-<p>Das Gesicht des Vaters wurde noch ernster, als es schon war.</p>
-
-<p>»Das Gut bekommt er sowieso &ndash; mein Testament ist gemacht.«</p>
-
-<p>»Dein &ndash; Testament &ndash; &ndash; für Samo? Und &ndash; und mit &ndash;
-mit welchem Recht schließest du mich aus?«</p>
-
-<p>»Ich schließe dich nicht aus. Was dir zukommt, wirst du
-bekommen in barem Geld.«</p>
-
-<p>Juro schlug ein bitteres Gelächter an.</p>
-
-<p>»Bares Geld? Und das Heimatsrecht?«</p>
-
-<p>»Du hast dich selbst von deiner Heimat losgesagt.«</p>
-
-<p>»Das ist nicht wahr!«</p>
-
-<p>»Sprichst du so mit deinem Vater?«</p>
-
-<p>»Ja, auch mit dir! Es ist nicht wahr, es ist beim allwissenden
-Gott nicht wahr, daß ich mich von meiner Heimat losgesagt
-habe.«</p>
-
-<p>»Du willst von den Wenden nichts wissen, Juro; ich habe
-es selbst gehört!«</p>
-
-<p>»Ja, ja, ich will von ihnen wissen; ich will ihnen ja mein
-ganzes Leben, meine ganze Arbeit, meine ganze Fürsorge
-weihen, ich will ja nichts anderes erstreben, als ihnen zu helfen,
-sie geistig zu heben, ihre Lage zu verbessern, sie vorwärtszubringen
-in der Welt.«</p>
-
-<p>»Dadurch, daß du sie deutsch machst«, sagte der Vater
-finster.</p>
-
-<p>»Jawohl, dadurch! Vater, ich beschwöre dich, ich bitte dich,
-sieh es doch ein, gib es doch zu, daß das das Beste, das Richtige
-ist! Unsere geringe Anzahl, kaum hundertfünfzigtausend
-Seelen, sie kann sich doch nicht halten, sie kann doch ihr Volkstum
-nicht behaupten in unserer jetzigen Zeit; wir können doch
-mit dem Festhalten an alten, längst überlebten Bräuchen, mit
-dem Verharren in albernem Aberglauben&nbsp;…«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_169">[169]</a></span></p>
-
-<p>»Schweig!« schrie ihn der Vater an; »hier steht der Kral
-der Wenden, die du beschimpfst.«</p>
-
-<p>Juro fuhr sich ein paarmal über die Stirn. Dann sagte er
-erschöpft:</p>
-
-<p>»Der Kral der Wenden bist du; es kann niemand beweisen,
-daß du es nicht bist! Aber das Königtum ist uns genommen;
-der wendische König, der heute regiert, heißt Wilhelm von
-Hohenzollern und wohnt in Berlin.«</p>
-
-<p>»Das weiß ich«, sagte der Alte ernst. »Und ich bin sein
-treuer Untertan. Ich tue meine Pflicht. Ich bin kein Hochverräter.
-Aber Gott führt die Schicksale der Menschen, und ich
-brauche die Würde, die er mir gab, im Herzen nicht aufzugeben
-und die Leute, die zu mir halten, mir nicht abtrünnig machen zu
-lassen von meinem eigenen Sohne, solange unsere alte Krone
-noch ruht im heiligen Hügel.«</p>
-
-<p>»Ich glaube nicht daran, daß in dem Hügel eine Krone liegt;
-es ist eine Sage wie alle. Ich kann nicht an sowas glauben.«</p>
-
-<p>»Und du wagst es, zu sagen, daß du dich nicht von deiner
-Heimat losgesagt hast?«</p>
-
-<p>»Nicht von der Heimat, nicht von dir, nicht von allen
-Wenden. Nur von dem, was ihnen schadet, was sie tiefhält,
-was nicht wahr ist! Und das sage ich dir, Vater, Samo glaubt
-an alle diese Dinge so wenig wie ich. Aber er heuchelt und hat
-den Vorteil, und ich sage die Wahrheit und verliere dich und
-verliere alles.«</p>
-
-<p>»Samo lügt nicht. Samo beachtet unsere Gebräuche bis ins
-kleinste. Für dich aber ist alles, was uns heilig ist, Aberglaube
-und Dummheit. Und deshalb ist Samo an deine Stelle getreten.
-Mit Fug und Recht, Juro; ich habe es in vielen schlaflosen
-Nächten mit mir abgemacht.«</p>
-
-<p>»Und meine Erbfolgeschaft als künftiger Kral?«</p>
-
-<p>»Die vor allen Dingen wirst du an Samo abtreten.«</p>
-
-<p>Da kam der Zorn wieder über Juro, und er richtete sich auf
-und sagte:</p>
-
-<p>»Das werde ich <em class="gesperrt">nicht</em>! Dein Gut kannst du vermachen, wem
-du willst, es ist dein Eigentum, und die preußischen Gesetze werden<span class="pagenum"><a id="Seite_170">[170]</a></span>
-dafür sorgen, daß dein wendisches Testament bis ins kleinste
-erfüllt wird. Aber das Recht der Erstgeburt, das kannst du mir
-nicht nehmen und kein Gericht, das behalte ich! Das behalte ich!«</p>
-
-<p>»Du, der nicht an das Königtum glaubt?«</p>
-
-<p>»Ja, ich! Ich bleibe doch der künftige Kral. Ich werde den
-Einfluß, den ich dadurch habe, nicht aufgeben. Denn ich will
-der Kral sein, der sein Volk aus der Gefangenschaft finsterer
-Vorurteile herausführt, und dazu brauche ich Ansehen, sei es
-auch eingebildetes Ansehen. Niemand anders als der Kral
-selbst kann den Leuten zeigen, daß es keinen Kral gibt!«</p>
-
-<p>»Du Verräter!«</p>
-
-<p>»Vater, ich bin noch weniger ein Verräter an den Wenden
-als du ein Hochverräter am König von Preußen bist, dem du
-Treue geschworen hast.«</p>
-
-<p>Einige Augenblicke standen sich Vater und Sohn noch gegenüber,
-Kälte im Blick, Kälte im Herzen; dann sagte Hanzo:</p>
-
-<p>»Wir sind fertig miteinander!«</p>
-
-<p>Und er ging hinaus.</p>
-
-<p>Juro war allein. Ein paarmal ging er ratlos hin und her
-mit unsicheren Schritten, dann sank er auf einen Stuhl und
-weinte vor Zorn und vor Schmerz.</p>
-
-<p>Aber es gibt keinen stärkeren Trost in den Bitternissen des
-Lebens als die Erkenntnis, daß einem Unrecht geschehen ist. So
-erhob sich Juro nach kurzer Zeit, und seine Gestalt straffte sich
-wieder zu ihrer schlanken Schönheit.</p>
-
-<p>Er stieg hinauf in seine Kammer und holte Mantel, Stab
-und Hut.</p>
-
-<p>Und er zog fort aus seinem Vaterhause.</p>
-
-<p>Es war ein trüber Abend angebrochen. Juro ging langsam
-das Dorf hinab. Die spitzen Giebel der Häuser schauten ernst
-auf seinen Weg. Hin und wieder begegnete ihm ein Bursch, der
-seine Mütze zog. Starke, gutmütige Menschen. Aber die Sonne
-einer höheren Erkenntnis scheint nicht in ihre Heimat, ihre Gedanken
-irren nur immer um ihre schmalen Felder, und ihre
-Wünsche gehen nicht weiter als bis in eine Mädchenkammer
-oder an einen Wirtshaustisch. Und die Hütten der Kleinen! Wie<span class="pagenum"><a id="Seite_171">[171]</a></span>
-armselig liegen sie unter ihren Strohdächern. Der kümmerliche
-Rauch, der aus dem windschiefen Schornstein steigt, stammt
-vielleicht von einem Bündel Holz, das der Mann aus dem
-Walde des Reichen zur Nachtzeit mit pochendem Herzen holte,
-damit die Kinder nicht zu frieren brauchten in dieser strengen
-Zeit, damit die Hände nicht steif würden, die spinnen und
-weben mußten. Und viele der Kinder, die jetzt auf der Gasse
-noch vom Christkind plauderten, hatten am Weihnachtsabend
-auch nicht die kleinste Gabe und starrten ins Dunkle und fragten
-sich, warum der holde Himmelsgast denn nicht zu ihnen komme,
-ihnen auch nicht ein einziges buntes Lichtlein schicke. O ihr
-Träumer, wacht auf! Draußen ist eine reichere Tafel für euch
-und eure Kinder gedeckt, draußen ist eine weitere, lichtere
-Heimat! Und hat sie auch noch tausend Mängel, dort steht doch
-die Freiheit vor der Tür, dort gibt es hundert Ansätze zum
-Sprung auf die Staffel der Menschenwürdigkeit. Wacht auf,
-ihr Träumer, seid wie die anderen, fordert wie die anderen euer
-Menschenrecht, werdet im Anschluß an die anderen glücklich!
-Dann aber müßt ihr heraus aus der Enge; denn eure wendischen
-Stammelrufe hört niemand, versteht und beachtet niemand in
-der Welt. Von Branntwein und Hexengeschichten könnt ihr
-nicht leben, und der Sand der Heide macht euch nicht satt!&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Das letzte Haus war vorbei, der holperige Feldweg führte
-hinaus ins Dunkle. Da kam wieder ein Schwanken in Juros
-Gang, da klangen ein paar Stimmen in seinem Ohr, die ihm
-einmal lieb waren, da gingen ein paar Heimatsmelodien traurig
-durch sein Herz.</p>
-
-<p>Aber er zog den Hut fester auf den Kopf, stampfte mit dem
-Stock stark auf die gefrorene Erde und schritt rasch vorwärts.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p class="ph2">Zuerst hatte Juro mit Elisabeth gesprochen. Sie hatte ihm
-in ihren letzten Briefen immer wieder die eine Frage vorgelegt:
-ob er nicht zu stürmisch, zu ungeduldig zu Werke gehe,
-ob es notwendig sei, immer seine herausfordernde Meinung so<span class="pagenum"><a id="Seite_172">[172]</a></span>
-laut zu sagen, oder ob nicht klugem Abwarten eine bessere Aussicht
-auf Erfolg beschieden sei.</p>
-
-<p>Nun, da der Bruch geschehen war, sagte sie von allen diesen
-Dingen kein Wort. Sie sagte nur, daß sie treu zu ihm halte und
-hoffe, daß sich Juro mit seinem Vater werde aussöhnen können,
-damit er unter diesem Zwiespalt nicht leide. Und sie sagte das,
-was der Mann in schweren Kämpfen vom Weibe hören muß:
-»Ich glaube an dich; deine Sache ist gerecht!«</p>
-
-<p>Der alte joviale Herr von Withold nahm die Sache nicht sehr
-ernst. Mit Juro und seinen beiden Kindern Heinrich und Elisabeth
-saß er an dem runden Tisch der mit alter solider Biederkeit
-traulich ausgestatteten Wohnstube seines Herrenhauses, tat
-einen tiefen Trunk und sagte:</p>
-
-<p>»Also, da wollen wir einen feierlichen Familienrat halten. &ndash;
-Es sind Dickköppe!«</p>
-
-<p>Damit meinte er die Wenden.</p>
-
-<p>»Aber sehen Sie, Juro, die Leute imponieren mir auch.
-Lassen sich nischt vormachen. Halten am Alten. Sind stockkonservativ
-bis auf die Knochen. Eigentlich mein Fall!«</p>
-
-<p>Juro wollte etwas erwidern, aber Herr von Withold
-winkte ab.</p>
-
-<p>»Nee, jetzt rede ich erst! Also, Juro, das mit dem Deutschreden
-ist richtig. Das Wendische hat der Teufel erfunden. Ich
-krieg' das Niesen, das Schlucken und den Keuchhusten, wenn
-ich es sprechen soll. Es ist ganz verrückt schwer, in jedem Dorfe
-ist es anders, und für den Verkehr taugt so was gar nischt.
-Also Deutsch! Selbstverständlich! Mit dem Humbug, den sie
-sonst machen, Volkssitten, Märchen und so &ndash; na, da soll man
-nich so strenge sein. Das schadet nischt. Aber das mit dem sogenannten
-Vorwärtskommen, das ist gefährlich! Nur keene
-Parvenüs züchten! Ich kann meinem Großknecht nich Polstermöbel
-in die Stube stellen und meine Kühe nich mit Mandelseife
-waschen lassen. Das ist moderner Unfug! Das sind so
-Schnurrpfeifereien von Leuten, die nischt verstehen von der
-Sache. Volkshygiene! In meinem Leben hab' ich von so was
-nischt gehört, bis Sie kamen, Juro. Na, Sie wissen, ich bin kein<span class="pagenum"><a id="Seite_173">[173]</a></span>
-Unmensch; ich gönne meinen Leuten alles Gute. Bauen wir also
-jetzt das neue Arbeiterhaus, gut, soll's größer werden; gut, soll
-jede Familie zwei Stuben und 'ne Kammer haben; gut, soll'n
-sogar große Fenster rein, obwohl ich das für 'n kolossalen Luxus
-halte. Aber seh'n Sie, Juro, da Sie nu eben mal mein zukünftiger
-Schwiegersohn sind, da möcht' ich nich gern, daß Sie
-bei sich denken: der Alte is 'n altmodischer Furchenklecker. Also,
-es wird werden!«</p>
-
-<p>Er tat wieder einen Trunk und fuhr fort:</p>
-
-<p>»Und jetzt von dem Königtum. Da haben Sie mich also
-eingeweiht! Ehrenwort, ich sag' nischt weiter! Aber, Juro, mit
-dem Kral, das is &ndash; das is &ndash; ja, wenn ich sagen würde, es is
-Blech, wär' es zu grob &ndash; also sag' ich, es is nich Blech &ndash; bloß,
-es hat keenen Zweck! Jawohl, jawohl, ich weiß, unser Großer
-Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der hat nach
-dem Kral suchen lassen. Seine Häscher hatten auch den richtigen
-Kral rausgespürt, einen jungen, hübschen Mann. Also so einen
-Ahnen von Ihnen, Juro. Sie wollten ihn nach Berlin unter
-die Soldaten für immer verschwinden lassen. Da kam gerade
-im kritischen Moment 'n alter, wendischer Bauer vorbei. Der
-hieb plötzlich dem jungen, hübschen Mann 'ne Ohrfeige runter,
-weil er behauptete, der hätte ihn nicht pflichtschuldig gegrüßt,
-und die Häscher sagten sich: ›Aha, das ist nicht der Kral; denn
-sonst hätte ihn kein Wende geohrfeigt.‹ Und der Kral war gerettet,
-und der Kurfürst in Berlin saß da mit seiner langen Nase,
-die ohnehin lang genug war. Jawohl, das ist Tatsache! Das ist
-Geschichte! Das hat sich keiner aus den Fingern gesogen. Und
-auch der Alte Fritz hat vom Wendenkönig gewußt und aufgepaßt,
-daß die Wenden ihm nicht etwa mit den verfluchten
-Tschechen ›Kaprusche‹ machen. Also das steht alles fest. Und
-sind Ihre Ahnen, Juro! Alle Achtung! Wissen Sie, 'n preußischer
-Edelmann hat für so was Verständnis. Aber jetzt, Juro,
-jetzt ist mit dem Kraltum nischt mehr zu machen. Aus und vorbei
-ist es!«</p>
-
-<p>»Es ist noch nicht aus und vorbei«, entgegnete Juro. »Fast
-das ganze Wendenvolk glaubt noch an den Kral und hängt noch<span class="pagenum"><a id="Seite_174">[174]</a></span>
-am Kral. Und deshalb darf nicht mein Bruder Samo der Kral
-der Wenden werden, weil er ihren alten Aberglauben aus Selbstsucht
-erhalten würde, sondern ich muß der Kral sein, der die
-Leute aufklärt und sie zu einem menschenwürdigeren Dasein
-führt. Ich suche es im Deutschtum, weil es mir am nächsten ist.
-Freilich müßte sich die Hinüberführung lohnen.«</p>
-
-<p>»Sie brauchen nicht zu sticheln, Juro; die Fenster im
-Arbeiterhause werden groß genug sein. Ich geb' ja zu, früher,
-wie wir noch die alte Fronordnung hatten, da ist es ja den
-Bauern nicht gerade berühmt gegangen. Aber die Güter waren
-gut! Gut waren sie! Oh, es war doch eine schöne Zeit!«</p>
-
-<p>Er versank ins Nachdenken, tat wieder einen tiefen Trunk
-und schüttelte ein paarmal wehmütig den Kopf, wie er so
-an die »gute, alte, liebe Fronzeit« dachte. Dann raffte er
-sich auf.</p>
-
-<p>»Na, die alte Zeit ist nu leider mal vorbei. Halten wir uns
-an die Gegenwart. Sie sind nu von Hause fortgegangen, Juro.
-Ich kann's Ihnen nicht verdenken, wenn es auch nicht gerade
-erfreulich ist, daß es so kommen mußte. Aber, Juro, 'n vernünftiger
-Plan war da überhaupt nich. Ihre Väterei in Ehren,
-Juro, sie is 'ne Staatsbesitzung; kein anderer Wende hat 'ne
-solche. Aber, Juro, Sie und meine Liese paßten dorthin wie die
-Faust aufs Auge. Darein müssen Bauersleute.«</p>
-
-<p>»Das sag ich auch,« warf der junge Heinrich dazwischen,
-»und deshalb möchte ich jetzt einen sehr vernünftigen Vorschlag
-machen.«</p>
-
-<p>»Deine vernünftigen Vorschläge sind unvernünftig«, lehnte
-sein Vater ab. »Leute, die Zigaretten rauchen, haben überhaupt
-keine Vernunft. Meine Ansicht ist die, Juro, Sie geben die Geschichte
-da drüben in Ihrer Heimat auf, setzen sich, wenn Sie
-Ihr Staatsexamen und Ihren Doktor gemacht haben, in
-irgend 'ne große deutsche Stadt als Arzt, gründen da Ihren
-Hausstand und pfeifen auf die ganze wendische Geschichte.«</p>
-
-<p>»Das kann ich nicht und das werd' ich auch nicht, Herr
-von Withold. Ich werde meine wendische Heimat nicht im Stich<span class="pagenum"><a id="Seite_175">[175]</a></span>
-lassen. Es ist mein Ideal, den Wenden zu helfen, ihnen zu
-dienen, und das werde ich durchführen. Ich werde mich als Arzt
-in irgendeinem wendischen Ort niederlassen und von da aus
-wirken.«</p>
-
-<p>Herr von Withold schnitt ein saures Gesicht.</p>
-
-<p>»Arzt im wendischen Ort? &ndash; So 'ne Sache! Wo? In
-Hoyerswerda oder in Burg? Kottbus wär' etwas oder Bautzen.
-Aber da haben sie deutsche Ärzte, und die Städte sind deutsch,
-sind da bloß an der Peripherie der Wendei. Und mitten im Land
-wird Ihr Bruder Samo als Arzt sitzen wie die Spinne im Netz
-und wird Ihnen Ihre Mücken abfangen.«</p>
-
-<p>»Darf ich jetzt endlich meinen vernünftigen Vorschlag
-machen?« warf Heinrich wieder ein.</p>
-
-<p>»Donnerwetter, der Junge läßt keine Ruhe. Wenn wenigstens
-seine Zigaretten nicht so stinken möchten. Also schieße los!«</p>
-
-<p>Heinrich, der mit seinem Vater sehr kordial stand, blies ihm
-eine Rauchwolke ins Gesicht und sagte:</p>
-
-<p>»Stück zwei Dreier!« Dann wurde sein hübsches, weiches
-Gesicht, das von einer Fülle wirrer »Künstlerlocken« umrahmt
-war, sehr ernst, und er sagte:</p>
-
-<p>»Was ich vorzuschlagen habe, ist mir nicht erst jetzt eingefallen,
-sondern meine Lieblingsidee seit langem. Ich will es
-kurz heraussagen, einen Sturm gibt's sowieso. Also, mit dem
-Landwirt ist's für mich ein für allemal nichts. Ich würde unglücklich
-werden und es mein Lebtag zu nichts bringen. Ich habe
-die ganzen Jahre nebenher Kunstgeschichte und Musik studiert.
-Das Vernünftigste ist, ich widme mich ganz und gar der Musik
-und erobere mir eine Stellung in der Welt, die mir zusagt. Juro
-wird Arzt, heiratet die Liese, wohnt mit ihr hier in diesem weitläufigen
-Gespensterbau, doktert ein bißchen (denn viel zu tun
-wird er nicht haben), reformiert seine Wenden, richtet sich in die
-Gutsverwaltung ein und übernimmt als Eigentümer das Gut,
-wenn sich der Vater zur Ruhe setzt. Dann ist uns allen geholfen.«</p>
-
-<p>Da schlug der alte Withold auf den Tisch, daß die Gläser
-klirrten.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_176">[176]</a></span></p>
-
-<p>»Habt Ihr's gehört? &ndash; Er ist verrückt! Jagt mir nichts dir
-nichts das väterliche Gut in die Binsen, präsentiert es einem
-andern wie eine Zigarette für zwei Dreier. Oho, Bürschchen,
-oho! Ich werd' schon dafür sorgen, daß es dir in dem weitläufigen
-Gespensterbau nicht zu eng wird. Ja, glaubst du denn,
-dafür hat man einen Sohn, einen Stammhalter?«</p>
-
-<p>»Lieber Vater, den Stamm kann ich dir ja woanders erhalten;
-das muß doch nicht gerade hier sein. Und von Wegschenken
-ist keine Rede; ich laß mich natürlich auszahlen.«</p>
-
-<p>»Auszahlen &ndash; wie ein Weib! Pfui Teufel! Das macht der
-verfluchte Wagner! Die Liese wird ausgezahlt als Tochter &ndash;
-verstanden? Du gehörst hierher! So ist es Brauch und Recht.«</p>
-
-<p>»Es ist natürlich gänzlich ausgeschlossen,« sagte Juro, »daß
-durch meine Lebensschicksale die Familiengeschichte Withold in
-dieser Weise beeinflußt werden soll.«</p>
-
-<p>»Natürlich, Juro, du bist ja vernünftig. Wir werden uns
-schon vertragen. Na, man könnte z. B. das Jagdschlößchen für
-euch beide recht hübsch herrichten lassen, und da könntest du von
-hier aus deinen ärztlichen Bezirk haben. Das läßt sich ja alles
-einrichten. Aber wenn einem sein einziger Sohn so kommt, das
-ist stark! Das übersteigt alle Begriffe!«</p>
-
-<p>Er ging aufs höchste verärgert aus der Stube, und bald
-darauf hörte man ihn unten im Hofe herumschimpfen.</p>
-
-<p>Heinrich schritt gelassen ins Nebenzimmer, wo ein großer
-Flügel stand, und vertiefte sich in die Schönheit der Wagnerschen
-»Gralserzählung«.</p>
-
-<p>Juro und Elisabeth waren allein. Das Mädchen küßte dem
-Geliebten Mund, Stirn und Augen. Dann lehnte sie an seiner
-Schulter und sprach tröstende und zärtliche Worte zu ihm. Er
-lächelte glücklich; nur ein paarmal irrte sein Blick zum Fenster
-hinaus. Dort in der Richtung, wo der bleiche Mond stand, lag
-das Vaterhaus, das er verlassen hatte.</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»So hört, wie ich verrat'ner Liebe lohne:<br /></span>
-<span class="i0">Vom Gral ward ich zu euch dahergesandt!«<br /></span>
-</div></div>
-
-<p class="noind">sang Heinrich im Nebenzimmer mit Begeisterung.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_177">[177]</a></span></p>
-
-<p class="ph2">Es war am Nachmittag, zwei Tage vor Weihnachten. Frostwetter
-mit leichtem Schneefall. Elisabeth von Withold war
-allein auf der öden Landstraße. Der Vater war mit Juro und
-Heinrich auf der Jagd. So hatte sie unbemerkt von Hause fortgekonnt.</p>
-
-<p>Nach einstündigem scharfen Zuschreiten stand Elisabeth vor
-dem Heimatsdorfe Juros. Das Herz schlug ihr heftig, eine
-brennende Röte stieg in ihre Wangen, aber ihre Füße wanderten
-darum nicht weniger schnell.</p>
-
-<p>Es mußte noch vor dem Heiligen Abend geschehen. Irgend
-jemand mußte zu dem alten wendischen Vater gehen und ihm
-ein gutes Wort geben, damit sein Herz nicht so vergrämt sei am
-Fest der Liebe.</p>
-
-<p>Und es mußte Juros wegen geschehen. Sein Stolz fand den
-Heimweg nicht, aber seine bange Sehnsucht nach dem alten
-Manne, der sein Vater war, irrte oft hin zu der Heimat. Er sollte
-am Heiligen Abend Frieden haben.</p>
-
-<p>Nun war das erste Gehöft erreicht. Kinder, Burschen,
-Mägde stürzten in Fenster und Tür und starrten das fremde
-Fräulein an, das hier ins Dorf kam. Ein paar Leute kannten sie,
-und es entstand ein Tuscheln.</p>
-
-<p>Das Mädchen faßte Angst und Scham. Sie war mit Juro
-noch nicht einmal öffentlich verlobt und wagte diesen Schritt.
-Aber ihr tapferes Herz trieb sie vorwärts.</p>
-
-<p>Nur als Juros Vaterhaus auftauchte, ging sie langsam.
-Vor dem kleinen Hoftürchen blieb sie ein paar Minuten lang stehen
-und zupfte aufgeregt an ihren Kleidern und an ihrem Schleier.</p>
-
-<p>»Helfe mir Gott!«</p>
-
-<p>Und sie trat in den Hof. Vor der Haustür stand Hanka und
-schaute verwundert auf.</p>
-
-<p>Die Mädchen kannten sich von dem Begräbnis her. Und sie
-kannten sich aus ihrem stummen Herzenskampf. Jetzt, da sie
-sich sahen, erschraken sie beide tödlich, und das deutsche wie das
-wendische Mädchen preßte die Hand aufs Herz und jede stieß
-einen Schrei aus, und kein Gott hätte einen nationalen Unterschied
-in ihrem Empfinden und Gebaren herausgefunden.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_178">[178]</a></span></p>
-
-<p>Elisabeth blieb bestürzt stehen, und Hanka rannte wie gehetzt
-zur Haustür hinein.</p>
-
-<p>Eine Minute lang war es Elisabeth, als müsse nun auch sie
-fliehen, fliehen aus diesem Hof, wo sie nicht nur eine Fremde,
-wo sie eine Gehaßte war. Aber die Kraft ihrer starken Frauenseele
-kam wieder, und sie trat entschlossen in das Haus.</p>
-
-<p>Ein großer Hund kläffte sie wütend an. Sie blieb ratlos
-stehen. Kein anderer Gruß wurde ihr als das Gekläff des
-Hundes. Da kam jemand schlürfenden Schrittes die Kellertreppe
-herauf.</p>
-
-<p>»Napolium, halte die Schnauze! Je, je, ein Fräulein&nbsp;…«</p>
-
-<p>Der Hund bekam einen Fußtritt.</p>
-
-<p>»Das Fräulein von Withold!«</p>
-
-<p>»Ja. Und Ihr &ndash; Ihr seid wohl Kito?«</p>
-
-<p>»Kito! Kito! Kito!« sagte der Alte in höchster Verlegenheit
-und machte eine Menge Verneigungen.</p>
-
-<p>»Ich möchte ein paar Augenblicke mit dem Herrn sprechen.«</p>
-
-<p>»Mit dem Scholta! Der ist zu Haus. Herr Samo ist in der
-Stadt. Wenn das gnädige Fräulein so gnädig wäre, ins gute
-Stübel zu kommen, wir müssen freilich über die Treppe&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Es ist nicht nötig, Kito! Ich warte hier.«</p>
-
-<p>»Hier im Hausflur? O nein, nein! Auch nicht in der Wohnstube!
-Ein gnädiges Fräulein&nbsp;…«</p>
-
-<p>Hinter der Küchentür hatte Hanka alles mit angehört. Zu
-dem Schreck, den sie erlitten, kam jetzt die weibliche Angst, der
-alte Pulverkopf Kito möchte wirklich die &ndash; die Fremde ins
-»gute Stübel« führen. Das war ungeheizt, und der ganze Fußboden
-des fast nie benutzten Raumes lag voll Winteräpfel und
-Walnüsse. Diese Schande ertrug Hanka nicht. Kurz entschlossen
-trat sie in den Hausflur.</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Pomogaj Bog wam!</em>« grüßte sie wendisch. »Gott helfe
-Euch!«</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Bog žekujscho!</em>« dankte Elisabeth. »Gott vergelte es!«</p>
-
-<p>»Es &ndash; es &ndash; in der Oberstube ist es kalt«, stammelte Hanka
-und öffnete die Wohnstubentür. Elisabeth trat in den großen
-Raum, in dem das Kaminfeuer brannte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_179">[179]</a></span></p>
-
-<p>»Ich möchte nur einige Augenblicke den Herrn sprechen.«</p>
-
-<p>»Ja. Er wird kommen.«</p>
-
-<p>Die Mädchen standen noch ein paar Augenblicke voreinander.
-Jede wollte etwas sagen; keine brachte ein Wort heraus.
-Endlich sagte Hanka in deutscher Sprache, aber mit schwerem
-Akzent:</p>
-
-<p>»Bitte sich zu setzen. Ich werde den Herrn rufen!«</p>
-
-<p>Elisabeth war allein und blieb lange allein. Sie fröstelte
-am Kaminfeuer. Als sie endlich einen Männertritt hörte, überfiel
-sie große Furcht.</p>
-
-<p>Der alte Hanzo trat ein. Er hatte sich offenbar erst frisch
-gewaschen und gekämmt und trug seinen langen blauen
-Staatsrock. Auch er war schwer befangen. Als er aber das
-zitternde Mädchen sah, das sich an die Stuhllehne klammerte,
-sagte er in deutscher Sprache:</p>
-
-<p>»In Gottes Namen willkommen! Es ist mir eine große
-Ehre, daß mich das gnädige Fräulein besucht.«</p>
-
-<p>Elisabeth ging zwei Schritte auf ihn zu.</p>
-
-<p>»Verzeihen Sie &ndash; verzeihen Sie&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Dann brach sie in Tränen aus.</p>
-
-<p>Hanzo kam an sie heran, faßte sie an der Hand und führte
-sie auf einen Stuhl. Da brachte sie mühsam hervor:</p>
-
-<p>»Ich habe es &ndash; es gewagt, weil &ndash; weil &ndash; es nicht sein
-kann, daß Heiliger Abend ist und daß Sie und Ihr Sohn&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Weiter kam sie nicht.</p>
-
-<p>Der alte Hanzo suchte nach Worten. Endlich sagte er:</p>
-
-<p>»Mein Sohn Juro ist als Gast bei Ihrem Herrn Vater.
-<span id="corr179">Er hat</span> es mir geschrieben.«</p>
-
-<p>Und nach einer kleinen Weile fragte er:</p>
-
-<p>»Weiß es &ndash; weiß es Juro, daß Sie&nbsp;&ndash;?«</p>
-
-<p>»Nein, niemand weiß es. Nur Gott weiß es, daß ich nicht
-anders konnte als herkommen. Ich &ndash; ich wollte Sie bitten,
-daß Sie keinen &ndash; keinen Groll auf mich haben. Sonst könnte
-ich nicht mehr glücklich sein.«</p>
-
-<p>Da wurden die Augen des alten Hanzo mild und warm.</p>
-
-<p>»Sie sind gut!« sagte er schlicht.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_180">[180]</a></span></p>
-
-<p>»Aber hauptsächlich komme ich wegen Juro«, fuhr Elisabeth
-etwas gefaßter fort. »Er ist unglücklich, denn er hat Sie sehr
-lieb.«</p>
-
-<p>Hanzo schlug finster den Blick nieder. Eine lange Pause kam.</p>
-
-<p>»Das ist eine andere Sache«, sagte Hanzo endlich.</p>
-
-<p>Hier klopfte es leise an die Tür, und dann trat Hanka ein.</p>
-
-<p>»Ich möchte das gnädige Fräulein fragen, ob ich ein Glas
-Wein <span id="corr180">oder</span> ein Glas Milch bringen darf«, sagte sie schnell
-heraus.</p>
-
-<p>Elisabeth wehrte freundlich dankend ab. Aber der Hausherr
-meinte:</p>
-
-<p>»Eines wird uns Wenden immer gelassen, unsere Gastfreundschaft.
-Es geht kein Gast von uns, dem wir nicht etwas
-Bescheidenes anbieten.«</p>
-
-<p>Da sagte Elisabeth:</p>
-
-<p>»Ich werde gern trinken, wenn Fräulein Hanka mit uns
-trinken will.«</p>
-
-<p>Hanka sah auf, als sie sich beim Namen genannt hörte,
-und verschwand eiligst.</p>
-
-<p>Hanzo trommelte leise auf den Tisch, dann sagte er:</p>
-
-<p>»Gnädiges Fräulein, ich habe Sie bis jetzt nicht gekannt.
-Nur so vom Sehen habe ich Sie gekannt. Ich hätte auch nicht
-zugegeben, daß mein Sohn Juro die Augen zu Ihnen erhebt,
-aber jetzt sehe ich ein: Gott hat ihn gesegnet!«</p>
-
-<p>Elisabeth schlug die Augen nieder. Hanzo fuhr fort:</p>
-
-<p>»Juro wird Ihnen alles gesagt haben. Er muß das auch,
-da er Ihr Bräutigam ist. Und Sie werden ihm recht geben,
-nicht wahr?«</p>
-
-<p>Elisabeth blickte angstvoll auf.</p>
-
-<p>»Ich &ndash; ich kann es ja nicht leugnen: &ndash; ja, ich gebe ihm
-recht.«</p>
-
-<p>»Das ist ganz richtig!« entgegnete Hanzo milde. »Sie als
-deutsches Fräulein können gar nicht anders. Sie halten zu
-Ihrem Volk; das wird Ihnen niemand verdenken. Aber anders
-ist es mit Juro. Der ist ein Wende, oder vielmehr, er war ein
-Wende; denn er ist abtrünnig!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_181">[181]</a></span></p>
-
-<p>Da sagte sie mit ruhiger Bestimmtheit:</p>
-
-<p>»Er hat seine Überzeugung und handelt nach seiner Überzeugung;
-wenn er das nicht täte, wäre er kein Mann.«</p>
-
-<p>Nun schlug Hanzo die Augen nieder. Elisabeth fuhr fort:</p>
-
-<p>»Ich bitte Sie, daß Sie sich mit ihm versöhnen, daß Sie
-zugeben, er muß nach seiner Überzeugung handeln.«</p>
-
-<p>»Nein, das kann ich nicht«, sagte Hanzo fest und bestimmt.</p>
-
-<p>»Geben Sie nicht zu, daß er bloß der inneren Macht folgt,
-die ihn leitet? Glauben Sie, er sei schlecht?«</p>
-
-<p>Hanzo sah vor sich hin.</p>
-
-<p>»Das ist eine schwere Frage«, sagte er beklommen.</p>
-
-<p>Elisabeth stand auf. Ihre Stimme floß jetzt ruhiger, aber
-es war ein bitterer Ton darin, als sie sagte:</p>
-
-<p>»Das hätte ich nicht gedacht. Ich bin noch ein unerfahrenes
-Mädchen, aber ich habe immer gehört, man dürfe zwar eine
-fremde Meinung bekämpfen, <span id="corr181">aber</span> man dürfe den, der sie hat,
-nicht für schlecht halten, nur weil er anders denkt als man
-selbst denkt.«</p>
-
-<p>»Wollen Sie sich nicht wieder setzen, gnädiges Fräulein?«</p>
-
-<p>»Ich kann nicht. Wenn Sie glauben, daß ich der Schlechtigkeit
-das Wort rede, kann ich ja nicht hier bleiben.«</p>
-
-<p>»Gnädiges Fräulein, ich denke von Ihnen das Allerbeste.
-Und ich will auch nicht sagen, daß Juro schlecht ist. Aber er ist
-so betört, er hat sich selbst so von uns getrennt, daß er für uns
-alle verloren ist, auch für mich.«</p>
-
-<p>»So bin ich umsonst gekommen«, sagte Elisabeth in tiefer
-Niedergeschlagenheit und setzte sich langsam wieder auf ihren
-Stuhl.</p>
-
-<p>»Vielleicht hat es Gott so gefügt, gnädiges Fräulein,«
-entgegnete Hanzo bewegt, »daß Sie doch gekommen sind, daß
-Sie diese gute Tat vollbracht haben, damit mir altem Mann
-ein Trost wird, denn ich habe den Trost sehr nötig.«</p>
-
-<p>Das Mädchen saß regungslos da.</p>
-
-<p>»Das eine können Sie Juro sagen, daß ich über die Verbindung
-mit Ihnen glücklich bin und daß ich euch Gottes
-Segen wünsche.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_182">[182]</a></span></p>
-
-<p>»Vater Hanzo!«</p>
-
-<p>Das deutsche Mädchen sprang auf. Zitternd stand sie vor
-dem wendischen Bauern, und plötzlich umschlang sie seinen
-Hals.</p>
-
-<p>»Gott segne Sie, Elisabeth!« sagte Hanzo und küßte das
-Mädchen ehrfürchtig, aber auch zärtlich auf die Stirn. Ein
-schönes, stilles Weilchen blieben die beiden so, dann sagte
-Elisabeth:</p>
-
-<p>»Und darf ich ihm auch sagen, daß Sie keinen Groll auf
-ihn haben?«</p>
-
-<p>Hanzo antwortete ausweichend:</p>
-
-<p>»Sagen Sie ihm, ich wünsche ihm Gottes Segen zu allem,
-was er tut, ausgenommen das, was er gegen die Wenden
-tun will.«</p>
-
-<p>»Er will nach seiner Überzeugung gar nichts <em class="gesperrt">gegen</em> die
-Wenden, alles <em class="gesperrt">für</em> die Wenden tun.«</p>
-
-<p>»Diese Überzeugung verwerfe ich. Gott wird sie zunichte
-machen.«</p>
-
-<p>Dabei blieb es. Hanka kam. Sie brachte eine Flasche Wein
-und drei Gläser. Auf Geheiß des Hausherrn setzte sie sich,
-aber sie setzte sich ganz abseits. Der alte Hanzo füllte die
-Gläser und trank Elisabeth zu:</p>
-
-<p>»Herzlich willkommen!« sagte er warm.</p>
-
-<p>Auch Hanka stieß mit Elisabeth an. Das Glas zitterte leise
-in ihrer sonst so kräftigen Hand, und ihr »Willkommen« war
-kaum vernehmbar. Auch Elisabeth war wieder verwirrt. Sie
-suchte nach irgendwelchen Worten.</p>
-
-<p>»Nicht wahr &ndash; Sie &ndash; Sie haben sich dieser Tage verlobt?
-Darf ich Ihnen Glück wünschen? Es kommt von Herzen!«</p>
-
-<p>Hanka sah zum Fenster hinaus.</p>
-
-<p>»Ich danke!« sagte sie.</p>
-
-<p>»Es war in derselben Stube,« erzählte Hanzo, nur um die
-peinliche Spannung zu unterbrechen, »das ist nämlich unsere
-Spinnstube!«</p>
-
-<p>Dann fragte er nach der letzten Ernte des Vaters. Elisabeth
-gab freundliche Auskunft, und die Spannung ließ etwas<span class="pagenum"><a id="Seite_183">[183]</a></span>
-nach. Sie sagte auch, daß der Vater Herrn Hanzo gut kenne;
-sie seien schon einigemal Wahlmänner zusammen gewesen,
-auch einmal Geschworene.</p>
-
-<p>»Ja, das stimmt«, sagte Hanzo. »Ich hätte nicht geglaubt,
-daß sich der gnädige Herr darauf erinnert.«</p>
-
-<p>So ging es noch eine kleine Weile. Da stand Elisabeth auf.</p>
-
-<p>»Ich muß jetzt gehen. Es wird so zeitig finster.«</p>
-
-<p>Da ging Hanka rasch hinaus. Nicht lange darauf fuhr ein
-Wagen vor. Es war Hanzos guter Glaswagen mit den beiden
-Kutschpferden, das Staunen aller wendischen Kleinbauern.
-Der deutsche Knecht Wilhelm saß auf dem Bock.</p>
-
-<p>»Elisabeth, erlauben Sie mir, daß ich Sie so weit fahren
-lasse, bis Sie in Sicherheit sind, und daß ich Sie begleite. Der
-Weg ist lang und einsam.«</p>
-
-<p>»Ich bin Ihnen dankbar,« sagte Elisabeth erfreut, »wenn
-ich mich auch nicht fürchte. Es geschieht selten eine Schlechtigkeit
-in der Wendei.«</p>
-
-<p>Hanzo lächelte, sagte aber nichts. Mit tadelloser Höflichkeit,
-die er sich in den langen Jahren eines an öffentlichen Ehren
-nicht armen Lebens angeeignet hatte und die auch der Güte
-seines Charakters entsprach, geleitete er Elisabeth zum Wagen,
-nachdem er ihr nochmals für ihren Besuch gedankt und ihr
-gesagt hatte, er werde ihr ihn nie vergessen.</p>
-
-<p>An der Haustür trafen Hanka und Elisabeth noch einmal
-zusammen.</p>
-
-<p>»Leben Sie wohl, Fräulein Hanka, und haben Sie vielen
-Dank.«</p>
-
-<p>»Ich wünsche glückliche Heimfahrt, und wir danken für
-den Besuch«, sagte Hanka, die die Stelle der Hausfrau vertrat.</p>
-
-<p>Einen Augenblick ruhten die Hände der Mädchen ineinander.
-Bald darauf fuhr der Wagen zum Hofe hinaus.
-Unterwegs plauderte Hanzo mit Elisabeth über alltägliche
-Dinge. Erst, als sich der Weg zu Ende neigte, wurden beide
-wieder sehr ernst.</p>
-
-<p>»Kommen Sie doch einmal mit zu uns«, bat das Mädchen.
-»Und wenn es auch nur auf eine Viertelstunde wäre.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_184">[184]</a></span></p>
-
-<p>»Nein, Elisabeth, das kann ich nicht. Das brächte ich jetzt
-nicht fertig. Wenn Juro fort sein wird, werde ich Ihnen und
-Ihrem Herrn Vater einen Besuch machen.«</p>
-
-<p>»Darf ich &ndash; darf ich &ndash; gar keine Hoffnung mitnehmen?«</p>
-
-<p>Hanzo antwortete nicht gleich.</p>
-
-<p>»Wenn Juro von seiner Idee lassen würde, dann wär'
-alles gut.«</p>
-
-<p>»Das tut er nicht.«</p>
-
-<p>»Nun, da bleibt uns nichts übrig, als auf die Zeit zu hoffen.«</p>
-
-<p>Sie erreichten einen Seitenweg, der nach dem Witholdschen
-Schlosse führte, das jetzt ganz nahe war; da stieg Elisabeth
-aus, und der Wagen kehrte um.</p>
-
-<p>Hanzo sah noch einmal aus dem Fenster auf das Mädchen,
-das ihm in tiefer Traurigkeit nachschaute.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p class="ph2">Samo war aus der Stadt zurückgekehrt und hatte gehört,
-wer dagewesen sei und daß der Vater im guten Wagen
-den Gast nach Hause geleitet. Samo war mit rotem Kopf nach
-Hause heimgekommen. Er hatte in einem Gasthaus für das
-Slawentum der Wenden große Reden gehalten und dabei
-viel getrunken. Nun rief er nach Hanka. Barsch stellte er eine
-Frage wegen des Besuches. Das Mädchen gab ihm ruhige
-Auskunft. Da blitzte es zornig auf in den Augen Samos.
-Grimmig fuhr er das Mädchen an:</p>
-
-<p>»Du führst die Deutsche selbst ins Haus, du rufst ihr den
-Alten herbei, du trägst ihr Wein zu, du bestellst ihr die Fuhre
-&ndash; was hat sie dir denn für Trinkgeld gegeben?«</p>
-
-<p>»Samo!«</p>
-
-<p>Das Mädchen richtete sich beleidigt auf.</p>
-
-<p>»Das lasse ich mir nicht gefallen. Ich habe nur das getan,
-was die Gastfreundschaft gebietet.«</p>
-
-<p>»Gastfreundschaft gegen Deutsche gibt's nicht«, rief Samo.
-»Gastfreundschaft gibt es gegen Hottentotten, Indianer,
-Kannibalen und sonst noch einigermaßen achtbare Völker, aber<span class="pagenum"><a id="Seite_185">[185]</a></span>
-nicht gegen Deutsche! Wendische Gastfreundschaft gegen
-Deutsche ist die Gastfreundschaft der Schafe für den Wolf!«</p>
-
-<p>Hanka wandte ihm ohne Antwort den Rücken und ging fort.</p>
-
-<p>Als der Vater nach Hause kam, erneuerte sich der Streit.
-Der alte Hanzo wurde blaß.</p>
-
-<p>»Mir scheint,« sagte er, »noch bin ich der Herr in meinem
-Hause, und wenn es so anfängt, dann will ich mir doch noch
-alles anders überlegen.«</p>
-
-<p>Samo zuckte die Schultern.</p>
-
-<p>»Es muß doch anders kommen. Schon fängst du an nachzugeben.
-Schon versuchen sie mit List und Schmeichelei das
-zu erreichen, was sie mit Gewalt nicht bekommen können.
-Die Wenden sind dann verloren.«</p>
-
-<p>»Sie sind nicht verloren! Ich habe um keinen Fuß breit
-nachgegeben. Was das Mädchen getan hat, war gut und brav,
-und deine Anschuldigung fällt auf dich zurück. Mir scheint,
-Gott hat mir zwei wackere Schwiegertöchter zugedacht; was
-ich aber von meinen beiden Söhnen denken soll, weiß ich nicht
-mehr.«</p>
-
-<p>Auch der Vater ließ ihn stehen.</p>
-
-<p>Da lief Samo aufs Feld hinaus, wo es bereits dunkelte.
-Er traf die alte Wičaz, die mit Paketen aus der Stadt kam.</p>
-
-<p>»Nun, Alte, was sagen die Leute zu meiner Verlobung?«</p>
-
-<p>»Die meisten freuen sich.«</p>
-
-<p>»Die meisten? Nicht alle?«</p>
-
-<p>»Hm &ndash; es gibt doch viele, die schon halb deutsch sind, die
-beim Militär gewesen sind oder in deutschen Dienststellungen.
-Denen gefällt der Herr Juro gar nicht schlecht.«</p>
-
-<p>»So, er hat also wendischen Anhang? Großen Anhang?«</p>
-
-<p>Die Alte zuckte die Achseln.</p>
-
-<p>»Tu nicht so einfältig, alte Wičaz. Was habe ich dir
-angetan?«</p>
-
-<p>»Nichts habt Ihr mir angetan. Dem Kito, dem alten Scheusal,
-habt Ihr einen Pelz angetan, einen richtigen Kuppelpelz&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Ach ja &ndash; ich verstehe &ndash; für dich kommt's auch noch&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Die Alte sah ihn von der Seite her listig an.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_186">[186]</a></span></p>
-
-<p>»Was ihm &ndash; dem Juro &ndash; die Leute am meisten übelnehmen,
-ist, daß er sich am Kronenhügel vergreifen will.«</p>
-
-<p>Samos Augen glimmten auf. Ein Schein wilder Freude
-flog über sein Gesicht.</p>
-
-<p>»Wissen denn die Leute von dieser Absicht?« fragte er
-möglichst ruhig.</p>
-
-<p>»Es spricht sich so langsam herum.«</p>
-
-<p>»Es könnte nichts schaden, wenn es sich etwas schneller
-herumspräche«, sagte Samo und schenkte der Alten einen Taler.</p>
-
-<p>Sie nickte.</p>
-
-<p>»Früher wolltet Ihr das nicht! Aber man kann das schon
-machen.«</p>
-
-<p>»Also mache es! Daß ich nicht geizig bin, weißt du!«</p>
-
-<p>Er nickte ihr zu und ging allein weiter.</p>
-
-<p>»Oho,« sagte er bei sich, »ich wäre ein Esel, wenn ich es
-mir so dumm verderben würde wie Juro. Ich muß sehen, daß
-ich die Geschichte mit Hanka und dem Alten wieder ins Geleise
-bringe.«</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p class="ph2">Wie mag nur ein Winter im Föhrenwald vergehen, wenn
-alles so tot und still ist draußen und dieselben Menschen
-immer zusammenhocken in derselben niederen Stube? Zuletzt
-lachen sie wohl nicht mehr, reden wohl nicht mehr, wissen sich
-nichts mehr zu sagen!</p>
-
-<p>Sind sie nicht wie Gefangene? Weg und Steg verschneit,
-das liebe Brot schmal, der Beutel leer, das Herz leer.</p>
-
-<p>Dann sind wohl manche wie stumpfe Tiere, die mit der
-Kette an magerer Krippe hängen, dumpf hinstarren vor sich in
-die grausige Langeweile. Und die anderen, die die Sehnsucht
-kennen, wandern aus. Im fahlen Schneelicht reist ihre Seele
-nach großen Städten, wo die prangenden Theater sind, wo die
-schönsten Frauen der Erde in lichtstrahlenden Sälen tanzen,
-oder nach den Ländern des Südens, wo jetzt die blauen
-Schwalben fliegen über roten Blüten.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_187">[187]</a></span></p>
-
-<p>Wie mag nur ein Winter im Föhrenwald vergehen? Im
-Unterland, wo die Sprewja breit und vielfach verzweigt ist, ist
-jetzt lustige Zeit. Da laufen selbst die alten Weiber auf Schlittschuhen,
-und jeder Bursch fährt seine Liebste auf dem Schlitten.
-Die Unterländer sind lustig, aber leichtsinnig; die ernsteren
-Oberländer haben das immer behauptet und immer etwas auf
-die Spreewaldleute herabgesehen.</p>
-
-<p>Doch auch sie wollen ihr Vergnügen, und auch in ihren
-stillen Stuben stirbt das Lachen nicht in der langen einsamen
-Zeit.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Der alte Kito steht im Hof und unterhält sich mit einem
-Sperling.</p>
-
-<p>»Was, <em class="antiqua">wrobel</em><a id="FNAnker_52_52"></a><a href="#Fussnote_52_52" class="fnanchor">[52]</a>, was sagst du? ›Lieber Kito, 'ne Ähre‹?
-Das sagst du? Und was sangst du im Sommer? ›Dem Kito
-'n Strick, dem Kito 'n Strick!‹ Und was sangst du noch im
-Herbst: ›Korn ist Dreck, Korn ist Dreck!‹ Wart, <em class="antiqua">wrobel</em>, ich
-schmeiß dich tot!« Und er warf nach ihm mit fünf Haferkörnchen.</p>
-
-<p>Es ist doch gut, daß die Lieder sind und die alten Sagen und
-die alten Bräuche. So schläft die Seele nicht ein. Und auch der
-Magen fühlt sich wohl dabei. Am Sebastianstag muß auch
-der Ärmste sein Pfund Fleisch essen, sonst wird das Vieh krank,
-muß geschlachtet werden, und es gibt bald Fleisch in Fülle.</p>
-
-<p>Dann kommt die lustige Faschingszeit. Welcher Spaß ist
-größer, wo in der Welt wird herzlicher gelacht, als wenn in
-den Spinnstuben am <em class="antiqua">cazowečor</em><a id="FNAnker_53_53"></a><a href="#Fussnote_53_53" class="fnanchor">[53]</a> sich die Burschen und Mädel
-gegenseitig die Gesichter mit Ruß schwärzen? Am Faschingsdienstag
-gar schallt der stille Föhrenwald wider von jubelndem
-Lachen, wenn die Burschen »zampern« gehen, alle als Weiber
-verkleidet, jeder mit einem großen Korb, in dem er Speck und
-Eier einsammelt. Wer ein einziges Mal den alten Kito in der
-Tracht eines jungen Mädchens gesehen hat mit dem gestickten
-Busentüchlein und der großen Bänderhaube und dem bunt<span class="pagenum"><a id="Seite_188">[188]</a></span>
-gestreiften Rock, der vergißt es sein Lebtag nicht. Dieses Jahr
-ist er aber nicht als junges Mädel, sondern als alte Wičaz
-gegangen, hat mit verklebten Federspulen, in die er gelbe
-Sandstückchen getan hatte, die wie Wanzen aussahen, überall
-Schrecken und Angst erregt, zumal er die Spulen den Weibern
-in den Nacken steckte. Auch hat er Karten gelegt und unerhörte
-Dinge geweissagt, so, daß auf den Sonntag der Montag
-treffen wird und daß ein Dreierlicht auch dann noch einen
-Dreier kosten wird, wenn das Wachs aufschlagen sollte. Die
-wirkliche Wičaz ist ihm nachgegangen, und die beiden Wičaze,
-die echte und die unechte, sind sich in die Haare geraten, und so
-ein schöner Spaß ist noch nie und nirgends dagewesen. Oh,
-es lebt sich lustig und herrlich zur Winterzeit im Föhrenwald!
-Und »am Ostermorgen tanzt die Sonne«.</p>
-
-<p>Hanka hat mit ihren Spinnmädchen am Karfreitag draußen
-gestanden auf dem freien Feld, sie sind feierlich im Kreise
-zusammengetreten und haben gesungen: »<em class="antiqua">Nět daj moj Jezus
-dobru noc</em>«, »Nun gib, mein Jesus, gute Nacht«, und als am
-Karsamstag Mitternacht vorbei war, haben die Burschen in
-allen Dörfern geschossen; Hanka aber ist, noch ehe die Sonne
-aufging, schweigend mit einem Krüglein zur stillen Spree gegangen
-und hat Osterwasser geholt; das wird sie nun gesund
-erhalten das ganze Jahr. Viele Mädchen und Frauen sind ihr
-begegnet, keine hat ein Wort gesprochen.</p>
-
-<p>Ja, am Ostermorgen tanzte die Sonne! Winter war aus,
-neues Leben kam in die Heide.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Und auch der Sommer verging.</p>
-
-<p>Hanka war zu ihren Eltern zurückgekehrt, als ihr Bräutigam
-Samo als »<em class="antiqua">Pán doctor</em>« nach Hause gekommen war.</p>
-
-<p>Mit gewaltigem Respekt betrachteten die Dorfleute den
-jungen Arzt. Ja, es kam so weit, daß die Bäuerin Pösch, die die
-Rose bekam, allen Ernstes daran dachte, sich den neuen Doktor
-rufen zu lassen, wenn sie es zuletzt doch nicht vorgezogen hätte,
-sich lieber von der Wičaz »besprechen« zu lassen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_189">[189]</a></span></p>
-
-<p>Samo war nicht lange zu Hause geblieben, sondern wieder
-nach Prag gefahren. Von dort war er erst nach Monatsfrist
-zurückgekehrt.</p>
-
-<p>So ging der Sommer vorbei. Wieder spielte der junge
-Herbst mit den gelben Blättern, die auf der Spree schwammen,
-wie mit kleinen Schifflein. Ein Jahr und einen Tag war es nun
-her, seit Mariana, die Frau des Scholta, gestorben war.</p>
-
-<p>Da war die Trauerzeit zu Ende.</p>
-
-<p>Und zwei Tage später war die Hochzeit Samos mit Hanka.
-Sie fand in Hankas Heimatsort statt. Kito als Brautführer
-war schon einige Wochen vorher daselbst eingetroffen, um alles
-vorzubereiten. Denn der Bräutigam hatte ausdrücklich gewünscht,
-daß bei seiner Hochzeit alles genau nach der Väter
-Sitte hergehe. Und alle Leute lobten den Bräutigam, der, obwohl
-er ein <em class="antiqua">Pán doctor</em> war, sich nicht stolz von ihnen und ihrer
-Art absonderte.</p>
-
-<p>So erschien Samo in wendischer Bauerntracht, den kleinen
-Rautenkranz auf dem Kopf, am Hochzeitsmorgen vor der Tür
-der Braut. Alle Männer, die ihn begleiteten, trugen lange,
-buntbebänderte Stöcke. Eine Musikbande war auch dabei. Ein
-Fiedler strich die <em class="antiqua">husla</em>, die dreisaitige wendische Geige; ein
-anderer Musikant entlockte seiner <em class="antiqua">tarakawa</em> schreiende Oboetöne,
-die Hauptsache aber war der Dudelsackpfeifer, dessen <em class="antiqua">kozol</em> mit
-einem mächtigen gehörnten Ziegenbockkopf gekrönt war.</p>
-
-<p>Kito, der <em class="antiqua">družba</em>, klopfte an die verschlossene Tür des
-Hochzeitshauses, begehrte Einlaß und verlangte die Braut
-heraus. Ein altes Weib mit einem mächtigen Höcker wurde durch
-die Tür geschoben.</p>
-
-<p>»Was, das soll die Braut sein?« schrie der <em class="antiqua">družba</em>. »Ich
-schlag' ihr den Buckel entzwei.«</p>
-
-<p>Und er schlug mit seinem Stock auf den Buckel, der auch
-wirklich zersprang, weil er aus einem untergebundenen Topf
-hergestellt war.</p>
-
-<p>Nun wurde ein junges Mädchen durch die Tür geschoben.
-Aber auch jetzt schrie Kito:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_190">[190]</a></span></p>
-
-<p>»Das ist nicht die Braut! Das ist nur die <em class="antiqua">družka</em><a id="FNAnker_54_54"></a><a href="#Fussnote_54_54" class="fnanchor">[54]</a>. Der
-<em class="antiqua">zagolka</em><a id="FNAnker_55_55"></a><a href="#Fussnote_55_55" class="fnanchor">[55]</a> soll sie bekommen.«</p>
-
-<p>Endlich kam Hanka im Brautstaat. Sie war blasser als
-sonst, aber sie lächelte. Mit großem Lärm wurde sie empfangen.
-Nun ging es ins Haus hinein zum Frühstück. Der Bräutigam
-mußte sich von der Braut fernhalten; nur der <em class="antiqua">družba</em> hatte das
-Recht, ihr Kavalier zu sein. Kito strahlte vor Stolz und Freude.
-Und er sorgte für alles. Er fragte die Mutter, ob sie der Tochter
-auch einen Taler in den Strumpf gesteckt, ob sie ihr auch Salz in
-den Schuh geschüttet habe, damit der Reichtum nicht ausbleibe,
-und ob sie auch nicht vergessen habe, ihr ein Äpflein mitzugeben,
-damit der Kindersegen nicht fehle. Er wolle gewiß drei Bissen
-Brotes unterwegs essen, damit die Ehe eine glückliche werde.</p>
-
-<p>Alles war erfüllt. Alle Vorzeichen waren gut. Zunehmender
-Mond war, und es war Dienstag, der beste Tag für eine
-Hochzeit.</p>
-
-<p>Zur Trauung ging es zu Wagen, und wieder war Kito
-der Begleiter der Braut. Kinder und große Leute standen am
-Wege, Zuckerwerk und kleine Münzen wurden ausgestreut,
-und es war Jubel aller Enden.</p>
-
-<p>Unterwegs geschah aber etwas, worüber sie alle erschraken.
-Eine Kuhherde kreuzte den Weg. Der Brautwagen mußte anhalten.
-Das war kein gutes Zeichen. Kito aß nun neunmal drei
-Bissen trockenes Brot, um den Zauber abzulenken, und sagte
-nach dem siebenundzwanzigsten Bissen: »Jetzt bin ich zwar satt,
-und das ist schade an einem solchen Tage, zumal, wenn man
-sein Lebtag nicht immer an der Bratenpfanne gesessen hat;
-aber nun wird doch alles gut gehen in der Ehe.«</p>
-
-<p>Hanka nickte freundlich. Sie war sehr still in allen diesen
-Tagen und ließ alles schweigend über sich ergehen.</p>
-
-<p>Bei der Rückkehr aus der Kirche hielt der Wagen vor dem
-Tor. Die Mutter kam aus dem Hof. Sie hielt einen neuen
-Topf mit Milch in der Hand. Daraus tranken Bräutigam und<span class="pagenum"><a id="Seite_191">[191]</a></span>
-Braut, und der <em class="antiqua">družba</em> zerschellte darauf den Topf an einem
-Stein. Nun ging die ganze Hochzeitsgesellschaft in den Hof;
-der <em class="antiqua">družba</em> hielt eine Rede, in der er wieder Abbitte leistete für
-alles etwa geschehene Unrecht, dann setzte die Musik ein, und
-es wurde im Hofe getanzt.</p>
-
-<p>Und dann wurde geschmaust und gegessen den ganzen Tag
-lang und in der Schenke die ganze Nacht getanzt.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Es waren aber zu dieser Hochzeit Gäste von nah und fern
-gekommen, Gäste, die nicht zur Verwandtschaft und nächsten
-Freundschaft gehörten, sondern Ehren halber als Vertreter
-großer Gemeinden oder Bezirke vom Kral eingeladen worden
-waren.</p>
-
-<p>Einer von diesen Leuten traf bald nach dem Essen mit
-Hanzo im Großgarten zusammen und sagte:</p>
-
-<p>»Höre Kral, ich muß dir etwas sagen. Da wir nun zu
-diesem frohen und schönen Feste so viele Dorfväter beisammen
-sind, so wollen wir etwas besprechen und abmachen, was allen
-von uns sehr am Herzen liegt. Dein Sohn Juro ist nicht hier,
-obwohl sein einziger Bruder Hochzeit hält.«</p>
-
-<p>Hanzo errötete leicht.</p>
-
-<p>»Juro ist auf einer Reise,« sagte er; »er ist jetzt in Italien.«</p>
-
-<p>»Ja, und er ist vier Wochen vor der Hochzeit dorthin gereist.
-Aber das geht uns nichts an. Etwas anderes müssen wir mit
-dir abmachen. Sieh, Hanzo, du bist noch nicht alt, und Gott
-soll dir noch viele Jahre schenken. Aber deine Frau war auch
-nicht alt und starb doch. ›Ihr wisset weder den Ort noch die
-Stunde‹, sagt die Bibel. Wenn du nun einmal den Tod finden
-wirst, müssen unsere Leute wissen, wer ihr Kral ist. Und ihr
-Kral kann dann nur Pán Samo sein.«</p>
-
-<p>Hanzo schwieg.</p>
-
-<p>»Er hat heute«, fuhr der andere fort, »die Hanka geheiratet,
-das einzige Mädchen, das noch aus der Familie des alten Kral
-ist. Er hält zu uns, er beachtet unser Volk; er soll unser Kral
-sein.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_192">[192]</a></span></p>
-
-<p>Hanzo entgegnete darauf:</p>
-
-<p>»Der Erbsohn ist Juro, und er hat sein Recht nicht abgetreten
-und will es auch nicht abtreten.«</p>
-
-<p>»So müssen wir ihn absetzen, und zwar werden wir ihn
-heute absetzen.«</p>
-
-<p>»Nicht heute«, wehrte Hanzo ab.</p>
-
-<p>»Warum nicht heute? Heute ist der richtige Tag. Wann
-werden wir wieder so viele beisammen sein, die da mitzureden
-haben?«</p>
-
-<p>»Wir können uns am Martinimarkt in der Stadt treffen.«</p>
-
-<p>»Wozu willst du den Aufschub?«</p>
-
-<p>»Ich möchte es nicht hinterrücks tun. Ich will meinem
-Sohn Juro schreiben, was ihr vorhabt; dann kann er sich
-verteidigen.«</p>
-
-<p>Der andere sagte mit finsterer Miene:</p>
-
-<p>»Er kann sich nicht verteidigen. Er hat offen und vielmal
-gesagt, daß er kein Wende, daß er ein Deutscher ist; er hat
-sogar gesagt, er werde den Kronenhügel aufgraben, um den
-Wenden zu zeigen, daß ihr Glaube Dummheit ist, daß in dem
-Hügel keine Krone ist, sondern nur Erde und Steine. Und das
-kann ihm nicht verziehen werden.«</p>
-
-<p>»Er hat es doch nicht getan! Er scheut sich doch und weiß,
-es wäre ein Verbrechen.«</p>
-
-<p>»Aber er wird es tun«, sagte der andere. »Er hat es bestimmt
-gesagt.«</p>
-
-<p>»Wissen viele Leute davon?« fragte Hanzo trostlos.</p>
-
-<p>»Alle!« entgegnete der andere.</p>
-
-<p>»Woher wissen sie es? Er schreit es doch nicht auf die
-Straße.«</p>
-
-<p>»Das kann ich nicht sagen. Es ist in aller Mund. Und alle
-wissen, was Juro gegen die Wenden gesagt und getan hat &ndash;
-alle! Es ist alles gegen ihn. Und es wird täglich schlimmer.«</p>
-
-<p>Sie schwiegen beide. Dann fuhr der andere fort:</p>
-
-<p>»Bezwinge dich, alter Hanzo! Es mag schwer sein, aber es
-muß sein! Treten wir zusammen, die wir hier sind, und machen
-wir es aus. Einmal muß es doch sein.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_193">[193]</a></span></p>
-
-<p>»Heute nicht! &ndash; <em class="antiqua">Njok!</em>«</p>
-
-<p>Mit diesem »<em class="antiqua">Njok!</em>«, diesem messerscharfen, endgültigen:
-»Ich will nicht!« schnitt der Kral die Unterhaltung ab. Kein
-Widerspruch erfolgte mehr.</p>
-
-<p>War auch die Zeit längst vorbei, wo der Kral eine heimliche
-Kopfsteuer erhielt, so war doch sein Einfluß so stark, sein Wille
-so mächtig, daß alle anwesenden »Volksvertreter« sich dem
-»<em class="antiqua">Njok!</em>« Hanzos fügten und die »Absetzung« Juros, sein Ausschluß
-von der Kralswürde, auf eine große <em class="antiqua">Gromada</em> am Martinimarkt
-vertagt wurde.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Im Kretscham saß Samo auf der Bank und sah dem Tanz
-zu. Mit seiner jungen Frau durfte er nicht tanzen. Auch mit
-den Brautjungfern durfte er sich nur dann im Kreise drehen,
-wenn es der allmächtige <em class="antiqua">Družba</em> erlaubte. Der Bräutigam ist
-im Wendenland an seinem Hochzeitstag rechtlos.</p>
-
-<p>Es war Samo ganz lieb so. Am liebsten wäre er fortgegangen,
-hinaus in die Nacht. Es war ihm eigen zumute.
-Wenn er Hanka ansah, die nun seine Frau war, dann sagte er
-sich wohl, daß sie ihm gefalle. Von Liebe wußte er nichts, hatte
-er nie etwas gewußt. Das war töricht Zeug für Schwärmer
-und unreife Menschen, nichts für ihn.</p>
-
-<p>In seiner Brust herrschte nur das eine: maßloser Ehrgeiz.
-König sein, wenn auch ein heimlicher König, wenn auch nur
-ein König über ein kleines, unterjochtes Volk! Aber im Glauben
-eines Volkes an erster Stelle stehen! Der Mann sein, auf den
-auch die Slawen anderer Länder mit ehrfürchtiger Scheu sahen,
-dem alte Leute die Hand küßten und für den der gelehrte Krok
-die Krone Przemisls aus dem Tabernakel nahm!</p>
-
-<p>Oh, das war etwas Großes, das zu erstreben sich lohnte!
-Und dann den heimlichen, zähen Kampf führen mit dem
-Soldatenkönig in Berlin! Sich äußerlich bescheiden und doch
-wissen: ich stehe auf Vorposten gegen dich und bahne den
-slawischen Brüdern einen Weg vor die Mauern deiner Stadt!
-Um das zu erreichen, nahm man alles, was Geschmack und<span class="pagenum"><a id="Seite_194">[194]</a></span>
-Bildung schwer genießbar machten, willig hin, ließ man sich
-von einem <em class="antiqua">Družba</em> tyrannisieren, trank man mit den Burschen
-ein Glas Branntwein ums andere.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Am selben Tage, da Samo und Hanka im Wendenlande
-Hochzeit hielten, saß Juro mit seinem Freunde Heinrich von
-Withold auf dem Posilip bei Neapel. Und er träumte hinüber
-zu den silbernen Städten Castellamare und Sorrent und nach
-Capri und Ischia. Die schönste Inselflur der Welt lag vor ihm.
-Weit hinaus dehnte sich das blaue Meer. Da war es ihm, es
-geschähen Wunder vor seinen Augen, als seien Märchen zur
-Wahrheit geworden, Träume in Erfüllung gegangen; Märchen
-und Träume, denen seine junge Seele nachging, als er noch
-einsam im Wendenwald war.</p>
-
-<p>Ja, hier war die Welt schön und darum groß und reich. Und
-war auch das Volk ärmlich gekleidet, es war dennoch reich, denn
-es hatte immer Herrlichkeiten leibhaftig vor Augen, von denen
-selbst Königspaläste nur mit matten Bildern ihre Wände
-schmücken konnten.</p>
-
-<p>Aber es geschah, daß die Seele des Wendensohnes beim
-Rauschen des blauen Südmeeres und beim Duft der roten
-Mandelblüten das Heimweh überkam nach den Sandwegen
-der Wendei, nach den Föhren an der stillen Spree. Und das
-geschah, weil er nicht nur von der Heimat weg eine Reise getan,
-sondern weil man ihn aus der Heimat verbannen wollte.</p>
-
-<p>Das Menschenherz lenkt auch im glänzendsten Exil seine
-Sehnsucht nach Hause.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Seit Weihnachten hatte Juro mit seinem Vater mancherlei
-Briefe gewechselt. Er war ihm aber dadurch nicht näher gekommen,
-nein, die Kluft hatte sich noch vertieft. Schließlich
-hatte ihm der Vater sogar gegen seinen Willen sein mütterliches
-Erbteil auszahlen lassen.</p>
-
-<p>Das war der Bruch; damit sollte Juro völlig ausgeschlossen
-werden von dem heimischen Hof.</p>
-
-<p>Eine tiefe Bitternis war über Juro gekommen. Seine frohe,<span class="pagenum"><a id="Seite_195">[195]</a></span>
-selbstbewußte Art drohte in finsteren Trotz umzuschlagen. Er
-war oft schweigsam und müde wie ein Kranker. Da kam
-Samos Hochzeit immer näher heran. Samo lud den Bruder
-erst auf ausdrücklichen Befehl des Vaters zu dem Fest; er tat
-es in der denkbar kältesten Form. Juro schlug die Einladung
-aus, und um allen Peinlichkeiten zu entgehen, um sich andererseits
-zu zerstreuen und wieder einmal Sonne in die Seele zu
-bekommen, begab er sich mit seinem Freunde auf die Reise.</p>
-
-<p>Oh, wohl war es schön in Florenz und Rom, wohl war es
-ein Genuß, mit Heinrich, der seit Jahren Kunstgeschichte
-studiert hatte, durch die Museen zu wandern, wohl war es
-herrlich hier am alten Posilip! Aber die Bitterkeit wich nicht
-ganz aus Juros Herzen, und als einmal Musikanten ein
-italienisches Volkslied sangen, sagte er:</p>
-
-<p>»Wir haben ein ähnliches Lied; ich finde es sogar schöner.«</p>
-
-<p>Und er sang dem Freunde leise das Lied vor &ndash; in wendischer
-Sprache.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Nach zwei Monaten kehrten sie heim. Da fand Juro in
-seiner Breslauer Wohnung einen Brief des Vaters vor. Der
-Vater machte ihm die Mitteilung, daß die Vertreter der
-wendischen Gemeinden beschlossen hätten, ihm die künftige
-Kralswürde abzusprechen auf Grund seines feindlichen Verhaltens
-gegen das Wendentum und vor allen Dingen auf
-Grund seines geäußerten Vorsatzes, den Kronenhügel aufzugraben
-und das Nichtvorhandensein der alten Krone der
-Wenden nachzuweisen. Am Martinitage mittags solle in dem
-und dem Lokal die Ausschließung Juros von der Kralswürde
-erfolgen. Es sei Juro anheimgestellt, bei dieser großen <em class="antiqua">Gromada</em>
-zu erscheinen und daselbst seine Sache zu führen, wolle er aber
-klug handeln und seinem Vater einen Schmerz ersparen, so
-solle er vorher durch freiwilligen schriftlichen Verzicht das
-traurige Schauspiel unnötig machen.</p>
-
-<p>»So wirf ihnen doch die ganze Geschichte hin«, sagte
-Heinrich, der mitanwesend war und den Brief ebenfalls las.
-»Das ist doch alles Humbug! Darum wirst du dir doch nicht
-das Leben verbittern!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_196">[196]</a></span></p>
-
-<p>»Nein!« rief Juro, »nein! Ich gebe nicht nach!«</p>
-
-<p>»Aber, Mensch, du siehst doch, daß du sowieso keinen Einfluß
-auf die Wenden hast. Wozu also dieses trotzige Festhalten
-an dieser phantastischen Würde? Bei denen wirst du nichts ausrichten,
-auch wenn du der eingebildete zukünftige Kral bleibst.«</p>
-
-<p>»Ich werde etwas ausrichten, denn ich bin nicht ohne
-Anhang. Die Jungen, die einmal ins Land hinausgerochen
-haben, die sind denn doch anders als die alten Nesthocker. An
-die Jungen muß ich mich wenden. Ich werde jetzt wirklich den
-Kronenhügel aufgraben!«</p>
-
-<p>»Das laß nur hübsch bleiben! Das könnte dir schlecht
-bekommen!«</p>
-
-<p>»Mir kann nichts mehr schlechter bekommen als dieser
-Brief meines Vaters. Vor allem aber weiche ich meinem
-Bruder Samo nicht, dessen Hand ich hinter all diesen Machenschaften
-deutlich sehe. Die Wenden allein wären viel zu schläfrig,
-viel zu indolent, um so vorzugehen. Es ist einer, der hetzt und
-das alles leitet, und das ist Samo.«</p>
-
-<p>»Das ist allerdings auch meine Ansicht. Tue also, was du
-nicht lassen kannst!«</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p class="ph2">Ein niederes, aber sonst geräumiges Hinterzimmer in einem
-wendischen Gasthof. Um einen ungedeckten Tisch sitzen zwölf
-Männer, darunter Hanzo und Samo. Jeder hat ein Glas
-Wein vor sich stehen, das Hanzo bestellt hat. Es herrscht bedrücktes
-Schweigen. Die Rathausuhr draußen schlägt zwölf.
-Da tritt Juro ein.</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Pomogaj Bóg wam!</em>« grüßt er. Er hat sich nach langem
-Überlegen zu dem wendischen Gruß entschlossen.</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Bóg žekuscho!</em>« kommt es bedrückt zurück.</p>
-
-<p>Juro geht auf seinen Vater zu und streckt ihm die Hand hin,
-die dieser langsam ergreift. Nun reichen auch die anderen
-Männer zögernd die Hand. Seinen Bruder Samo übersieht
-Juro völlig.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_197">[197]</a></span></p>
-
-<p>»So wollen wir in Gottes Namen beginnen«, sagt der alte
-Hanzo mit etwas zitternder Stimme. »Ihr habt mich zum
-Leiter dieser Versammlung gewählt. Es ist Klage gegen Juro,
-meinen ältesten Sohn. Die Klage will ich nicht selbst vorbringen,
-sondern das wird der Bur Klin tun.«</p>
-
-<p>Der Bauer Klin war sonst ein Wichtigtuer und Maulheld.
-Heute aber stotterte er und versprach sich oft, als er Juro, der
-für ihn der gelehrte und gebildete Mann war, die Anklage ins
-Gesicht sagen mußte. Aber er stammelte doch die Anklage
-heraus: Juro sei gegen das Wendentum, er habe in diesen und
-diesen Fällen Wenden schwer beleidigt, er habe die wendischen
-Gebräuche nicht nur selbst gemieden, sondern auch gesagt, er
-wolle sie ausrotten, er habe die wendische Sprache geschmäht, er
-habe öffentlich erklärt, er wolle alle Wenden zu Deutschen
-machen; endlich, er wolle sich am heiligen Kronenhügel vergreifen
-und nachweisen, daß es überhaupt keine wendische
-Krone gebe. Darum sei das Volk eines Sinnes, daß ein solcher
-Mann nicht der zukünftige Kral sein könne.</p>
-
-<p>»Hat noch jemand der Anklage was hinzuzufügen?« fragte
-Hanzo.</p>
-
-<p>»Ja«, rief Samo. »Die Hauptsache ist, daß er sich im Wendenland
-festsetzen und den Einfluß, den er als erstgeborener
-Sohn des Kral hat, dazu mißbrauchen will, unser Kraltum zu
-vernichten und die Wenden den Deutschen auszuliefern.«</p>
-
-<p>Nun bekam Juro das Wort.</p>
-
-<p>»Ich möchte zuerst fragen: Ist mein Bruder Samo ansässiger
-Bürger oder Bauer der Wendei, hat er in einer Gemeinde
-bereits Sitz und Stimme?«</p>
-
-<p>»Nein!«</p>
-
-<p>»Also gehört er nicht hierher, und ich bitte, ihn von dieser
-Versammlung, in der er nichts zu suchen hat, auszuschließen.«</p>
-
-<p>Es ging ein Tumult los. Es wurde durcheinandergeredet.
-Der Erfolg war, daß Samo bleiben durfte.</p>
-
-<p>»Gut,« sagte Juro, »so bleibt er gegen alles Recht. Ich
-werde annehmen, daß auf seinem Platze eine Säule nicht ganz
-reiner Luft sei!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_198">[198]</a></span></p>
-
-<p>Samo sprang auf, es gab neuen Tumult; Hanzo verwies
-Juro die getane Beleidigung aufs strengste und forderte ihn
-auf, sich zu der Klage, die der Bauer Klin im Namen aller
-hier vorgebracht habe, zu äußern.</p>
-
-<p>Da überkam Juro seine Spottlust.</p>
-
-<p>»Pán Klin,« begann er, »Ihr habt eine gewaltige Rede
-gegen mich geführt, und deshalb sage ich: Ihr müßt in den Landtag
-gewählt werden.«</p>
-
-<p>Hanzo stand auf. Seine Augen funkelten zornig.</p>
-
-<p>»Juro, es ist höchst unangebracht, hier zu spotten; es ist
-uns heiliger Ernst!«</p>
-
-<p>»Es ist mir auch Ernst«, erwiderte Juro. »Um aber noch
-einmal auf den Landtag zu kommen; warum habt ihr Wenden
-keinen Vertreter dort, warum seid ihr politisch so rechtlos?
-Warum habt ihr nicht einmal versucht, eure Stimme zu erheben?
-Weil ihr rückständig seid, weil ihr eure Zeit verträumt
-und selbst nicht so viele Rechte in Anspruch zu nehmen wagt
-wie alle anderen Kinder des Staates.«</p>
-
-<p>Unwilliges Murren.</p>
-
-<p>»Wenn ihr auch murrt, die Wahrheit muß ich euch sagen.
-Und wie ihr keinen wendischen Abgeordneten habt, so habt
-ihr auch keinen wendischen Arzt&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Samo!« schrien sie. »Samo!« Juro zuckte die Achseln.</p>
-
-<p>»Habt ihr keinen wendischen Arzt,« wiederholte er, »keinen
-Advokaten, keine Gelehrten, kein großes Kaufhaus, kein
-Theater oder sonstiges Kunstinstitut. Warum seid ihr so arm?
-Oh, nicht ihr, die ihr hier seid! Ich weiß, jeder von euch ist ein
-Bur und hat soundsoviel Hufen Landes. Aber die Mehrzahl,
-warum ist sie so bettelarm? Warum wohnen so viele in windschiefen
-Hütten, essen so schmales Brot, haben so wenig
-Freude? Weil ihr Wenden seid! Wäret ihr Deutsche, es ginge
-euch allen zehnmal besser!«</p>
-
-<p>»So haben uns die Deutschen unterdrückt!« sagte einer.</p>
-
-<p>»Das ist nicht wahr! Die Deutschen haben stets in Frieden
-mit euch gelebt und ihr mit ihnen, bis eine gewissenlose Hetze
-eingesetzt hat. Ich frage euch, was wollt ihr eigentlich? Ewig<span class="pagenum"><a id="Seite_199">[199]</a></span>
-sitzen bleiben auf euren paar Dörfern, da man eure Sprache
-schon in Bautzen oder in Kottbus nicht mehr richtig versteht? Da
-in den Hauptstädten der Länder, zu denen ihr gehört, in Berlin
-und Dresden, die meisten Leute nicht einmal recht wissen, was
-ein Wende ist, geschweige, daß sie je ein wendisches Wort
-gehört hätten?! Könnt ihr paar Leute heutzutage noch daran
-denken, einen eigenen Staat zu bilden? Seht ihr nicht ein, daß
-das lächerlich ist? Ein Staat, wo ihr nicht einmal einen Abgeordneten
-zustande bringt? Aber freilich, ich kenne Leute, die
-hinüberschielen zu den Tschechen. Nicht ihr! Ihr habt euch euer
-Leben lang nicht um die Tschechen gekümmert, trotz aller Versuche,
-die von dort gemacht worden sind. Die Tschechen waren
-euch hundsegal; es gibt sogar viele, die dem wendischen Schmied
-Stosch recht geben, der den Buchdrucker Schmaler für einen
-Todsünder erklärt, weil er in eure Gesangbücher die tschechische
-Schreibweise eingeführt hat. Ihr seid von Kindheit an brave,
-zuverlässige Preußen oder Sachsen gewesen, und so wie ihr
-waren es eure Väter und Urväter. Ist das so?«</p>
-
-<p>»Ja, das ist so!«</p>
-
-<p>»Nun denn, wenn ihr gute Preußen oder gute Sachsen
-seid, warum wollt ihr es nicht auch äußerlich sein in Kleidung
-und Sitte, hauptsächlich aber in der Sprache, damit auch ihr
-mit euren Kindern besser fortkommt in der Welt? Und wenn
-euch jemand zur Vernunft, zum eigenen Nutzen rät, sagt an, ist
-er nicht in Wahrheit euer Freund?«</p>
-
-<p>Ein alter Bauer stand auf.</p>
-
-<p>»Ich bin ein guter Preuße, und mein Vater und Großvater
-waren gute Preußen. Aber wir waren auch gute Wenden.
-Und dabei soll es bleiben.«</p>
-
-<p>Juro wurde wieder erregt.</p>
-
-<p>»Das ist die alte &ndash; die alte &ndash; ich will es nicht aussprechen.
-Niemand kann zweien Herren dienen! Das wißt ihr schon aus
-der Bibel! Man soll nur eines sein und das eine ganz! Alles
-andere ist Zwiespältigkeit oder schlimmer: Hinterhältigkeit.
-Ja, ich glaube, daß der Staat nichts verliert, wenn er euch euer
-Wendentum läßt. Er nicht! Er, der Staat, hat eine fleißige,<span class="pagenum"><a id="Seite_200">[200]</a></span>
-genügsame, ruhige Bevölkerung in einer Gegend, wo sonst
-nicht viel zu holen ist. Oh, der Staat ist zufrieden! Darum auch
-nicht die Spur von Unterdrückung, darum das Eingehen auf
-eure, ach so bescheidenen Wünsche. Ihr seid ja schon selig, wenn
-euch das Dresdener Kabinett einmal eine Verfügung in wendischer
-Sprache schickt. Der Staat fährt gut dabei; aber ihr
-fahrt schlecht, weil ihr nicht die gleichen Aussichten, nicht die
-gleichen Möglichkeiten habt wie die anderen. Nehmt mich zum
-Beispiel! Ich bin wendischer Geburt. Als ich auf die Schule
-kam, ist es mir viel schwerer geworden fortzukommen als den
-deutschen Mitschülern, weil ich das mühsam erst lernen mußte,
-was diese schon mitbrachten. Solcher Beispiele gibt es Tausende.
-Denkt <span id="corr200">an</span> jeden Kaufmann, jeden Gewerbetreibenden, ja sogar
-jeden Rekruten. Die Sprache, die sonst allen eine Helferin ist,
-ist uns ein Hemmnis!«</p>
-
-<p>»Und das ist,« rief Samo erregt dazwischen, »weil wir in
-einem fremden Lande wohnen. Gehörten wir zu den Tschechen,
-so verstände eure Sprache jedermann. Deutschland ist nicht
-unser Land; wir sind Slawen und gehören zu den
-Slawen!«</p>
-
-<p>»Ich will nicht von Hochverrat reden,« sagte Juro, »der
-euch vereidigten Ortsvorstehern ja ganz fern liegt; ich bin
-auch weder Aufpasser noch Denunziant; ich will nur die ungeheure
-Dummheit der Tschechenillusion beleuchten. Hier hängt
-zu meiner Freude eine Karte von Europa an der Wand. Nun
-seht einmal her! Dieses kleine Fleckchen ist also Böhmen.
-Darin wohnen Tschechen, d. h. nur zur reichlichen Hälfte
-Tschechen. Die anderen sind deutsch. Nähmen wir nun wirklich
-zu dem kleinen Fleckchen auch Mähren hinzu, das noch weniger
-Tschechen hat als Böhmen, und ein bißchen slowakisches
-Hinterland &ndash; was käm' heraus? Ein Weltstaat, nicht wahr?!
-Eine kolossale Macht?! Nein, ich sage euch, es wäre ein Kleinstaat
-mehr, noch dazu sprachlich und national zersetzt, ein
-Staat, der für sich gar nichts bedeutete, der im Norden, Westen
-und Süden von Deutschen umklammert wäre, im Osten die
-Polen hätte, mit denen sich die Tschechen mäßig, und die<span class="pagenum"><a id="Seite_201">[201]</a></span>
-Ungarn, mit denen sie sich gar nicht vertragen. So könnte aus
-dem Ganzen nichts anderes werden als ein russischer Vasallenstaat,
-eine russische Provinz, und da wir wieder nur ein
-Provinzchen dieser Provinz sein könnten, so wären wir die
-Aftermieter der Aftermieter, und der Hausherr säße in
-Petersburg. Wir danken für eine solche Ehre! Wir wollen
-lieber deutsche Einwohner des großen deutschen Landes
-sein!«</p>
-
-<p>Nun stand Samo auf.</p>
-
-<p>»Des großen deutschen Landes,« lachte er höhnisch; »wo
-gibt es ein großes deutsches Land? Wo gibt es etwas Zersplitterteres,
-etwas Uneinigeres als dieses deutsche Land, wo
-gibt es etwas Lächerlicheres als diese »Frankfurter«? Wohin
-deine Sprache weist, da steht dein Vaterhaus, da ist deine
-Heimat, da ist dein Vaterland!«</p>
-
-<p>Der Streit hatte sich zu einem Wortgefecht <span id="corr201">zwischen</span> Juro
-und Samo ausgewachsen, das über die Köpfe der Bauern
-wegbrauste. Die meisten saßen mit verdrossenen Gesichtern
-gelangweilt da. Das bemerkte Samo eher als Juro; darum
-spielte er einen guten Trumpf aus:</p>
-
-<p>»Wollt ihr jetzt zum deutschen Händler gehen, eure schöne
-Volkstracht einhandeln gegen einen schäbigen deutschen Anzug,
-sollen eure Frauen und Töchter nicht mehr ihre herrlichen
-Wendenkleider tragen dürfen, sollen die Spinnstube, die Kirmes,
-das Osterreiten aufhören, soll euer alter wendischer Gruß
-verboten sein, sollen eure wendischen Gesangbücher verbrannt,
-soll&nbsp;…«</p>
-
-<p>Er wurde unterbrochen.</p>
-
-<p>»Nein, nein, nein! Wir sind Wenden! Wir bleiben Wenden!«
-schrie es durcheinander. Alle Schläfrigkeit war vorüber.</p>
-
-<p>»Wir bleiben Wenden!« rief ein alter Bauer zitternd.</p>
-
-<p>»Und &ndash; und wer sich der wendischen Tracht und der
-wendischen Sprache schämt, der soll &ndash; der soll gehen&nbsp;…«</p>
-
-<p>Alle stimmten ihm zu. Juro sah, wie alle seine Behauptungen
-und deren Beweise vor alter Gewöhnung in nichts
-zerflossen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_202">[202]</a></span></p>
-
-<p>»Nun, so ist euch nicht zu helfen«, sagte er. »Die Kultur
-wird weitergehen auch gegen diese <em class="antiqua">Gromada</em>, und die Betrogenen
-seid allein ihr!«</p>
-
-<p>»Und &ndash; unsere alte Krone?« fragte ein Bauer.</p>
-
-<p>Alle sahen gespannt auf Juro.</p>
-
-<p>»Das Kraltum ist eine Sage,« sagte er ausweichend, »eine
-Sage, die sich jahrhundertelang erhalten hat, von der sogar
-hohenzollersche Fürsten gewußt haben, die aber durch nichts
-und in nichts anderem begründet ist als in der Einbildung
-unseres Volkes.«</p>
-
-<p>Der alte Hanzo sprang auf.</p>
-
-<p>»Du &ndash; du &ndash; du&nbsp;…«</p>
-
-<p>Die Stimme brach ihm.</p>
-
-<p>»So stellst du mich &ndash; mich &ndash; als einen Lügner, als einen
-Theaterspieler hin &ndash; vor diesen &ndash; diesen Leuten&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Gott behüte mich &ndash; nein! Wahr spricht, der das spricht,
-was er glaubt!«</p>
-
-<p>»Und du glaubst nicht, daß ich der Kral bin?«</p>
-
-<p>»Ich weiß es nicht!«</p>
-
-<p>Alle standen auf, ein großer Lärm entstand, Gläser wurden
-umgeworfen, einzelne Männer liefen gestikulierend in der
-Stube herum, alle sahen voll Abscheu auf Juro.</p>
-
-<p>»Und &ndash; unsere alte Krone?« fragte nun Hanzo. »Jetzt
-weichst du nicht aus &ndash; jetzt frage ich dich: Unsere alte
-Krone?«</p>
-
-<p>»Existiert nicht!«</p>
-
-<p>»Der Kronenhügel&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Ist leer!«</p>
-
-<p>»Hast du &ndash; hast du nachgegraben&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Nein! Aber wenn ich es täte, würde ich nichts finden als
-Steine und Erde!«</p>
-
-<p>»Gottloser Mensch du!«</p>
-
-<p>Hanzo sank auf seinen Stuhl zurück, unfähig, weiterzusprechen.</p>
-
-<p>Da sprang der älteste der anwesenden Männer auf wie
-ein Jüngling und rief:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_203">[203]</a></span></p>
-
-<p>»Er wird es nie wagen, an den Kronenhügel zu rühren.«</p>
-
-<p>Juro warf trotzig den Kopf zurück.</p>
-
-<p>»Ich werde es wagen! Ich werde es nun bestimmt tun.
-Ich werde beweisen, daß ich recht habe!«</p>
-
-<p>»Hinaus mit ihm! Das ist eine Gemeinheit! Hinaus!«</p>
-
-<p>Sie drangen auf Juro ein.</p>
-
-<p>Der wehrte sie ab.</p>
-
-<p>»Ihr habt hier kein Gastrecht«, schrie er sie an. »Wehe dem,
-der mich anrührt!«</p>
-
-<p>Da wichen sie zurück. Der alte Wende aber sprach:</p>
-
-<p>»Wie es in der Bibel steht, so frage ich jetzt: Was haben
-wir noch Zeugen nötig?«</p>
-
-<p>»Jawohl,« rief Juro, »so könnt ihr fragen. Die in der
-Bibel so fragten, waren die Pharisäer, und die Frage geschah
-vor dem elendesten Gerichtshof der Welt. Die paßt
-hierher!«</p>
-
-<p>Der Alte beachtete das nicht. Er sprach mit erhobener
-Stimme, indem er auf Juro mit dem Finger zeigte:</p>
-
-<p>»Wer mit mir der Meinung ist, daß dieser da mit den
-Wenden nichts mehr zu tun hat und nicht unser künftiger Kral
-sein kann, der stehe auf!«</p>
-
-<p>Alle erhoben sich.</p>
-
-<p>»So ist er für immer und ewig von uns abgesetzt!«</p>
-
-<p>Juro lachte laut auf.</p>
-
-<p>»Setzt mich doch ab, soviel ihr wollt! Ihr habt gar kein
-Recht dazu. Wer gibt euch dieses Recht? Von wem habt ihr's?
-Von euch selbst oder von jenem Schleicher da, der euch aufgehetzt
-hat?«</p>
-
-<p>Es entstand ein solcher Skandal, daß Juros Worte untergingen.
-Schließlich hatte er zu tun, einige tätlich auf ihn
-Eindringende abzuwehren. Er nahm seinen Hut. An der Tür
-rief er noch:</p>
-
-<p>»Wenn zwölf über einen herfallen, wird wohl der eine
-gehen müssen. Aber das sage ich euch: ich bin und bleibe der
-zukünftige Kral, der euch beweisen wird, daß es keinen Kral
-gibt!«</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_204">[204]</a></span></p>
-
-<p class="ph2">Es war tiefe Nacht. Nur selten brach ein Mondstrahl durch
-das dichte schwarze Gewölk. Es war so still im Föhrenwald,
-daß man das leise Murmeln der Spree hören konnte.</p>
-
-<p>In der Nähe des »Kronenhügels« hockten zwei Männer.</p>
-
-<p>»Bis es Morgen ist,« sagte der eine, »bin ich tot vor Angst.«</p>
-
-<p>»Du hast doch eine Axt.«</p>
-
-<p>»Was nutzt mir die Axt, Kito, wenn der Nachtjäger kommt?
-Ich sage dir, Morkusky nimmt mir die Axt und spaltet mir den
-Kopf. Und ich hab' einen sehr schwachen Kopf!«</p>
-
-<p>»Man soll einen Schneider nicht zum Wächter machen«,
-sagte Kito.</p>
-
-<p>»Du hast leicht reden, Kito; du bist ein Junggeselle, und ich
-habe sieben Kinder.«</p>
-
-<p>»Warum zogst du mit auf die Wache?« fragte der alte
-Knecht.</p>
-
-<p>»Was soll ich machen &ndash; wenn sie's doch verlangten? Sie
-sind doch alle meine Kunden, von denen ich leben muß. Und
-eine Nacht kommt jeder daran.«</p>
-
-<p>»Ja, solange noch der Juro drüben sitzt beim Withold, muß
-hier gewacht werden.«</p>
-
-<p>»Er ist ein gottloser, schrecklicher Mensch! Wenn er es nun
-wirklich tut? Der alte Kral wird aus seinem Grabe aufstehen
-und ihn mit seinem Schlangenschwert erstechen. Der alte Kral
-hat hier die silberne Krone selbst vergraben vor der Wendenschlacht.«</p>
-
-<p>»Ja,« sagte Kito traurig, »und nur eine Jungfrau mit
-silberner Schaufel soll sie heben, und dann wird das Wendenvolk
-stark sein.«</p>
-
-<p>Er schüttelte schmerzlich den weißen Kopf.</p>
-
-<p>»Er war so ein guter Junge, immer aufrichtig, nie hat er
-gelogen, auch immer freundlich, gut zu Mensch und Tier. Und
-nun &ndash; und nun&nbsp;…«</p>
-
-<p>Er preßte eine Hand über die Augen. Kito hatte viel
-Kummer auf seine alten Tage. Die gute Frau tot, der Herr
-blaß und schweigsam, Hanka gar nicht die fröhliche, glückliche
-Frau, wie er es gedacht und gewünscht hatte, selbst Samo ein<span class="pagenum"><a id="Seite_205">[205]</a></span>
-wunderlicher Mann. Er lief so viel in den Städten und auf den
-Dörfern herum, saß so viel bei den Männern in der Schenke,
-war schon vierzehn Tage nach seiner Hochzeit wieder nach Prag
-gefahren. Was wollte er immer in Prag?</p>
-
-<p>»Bis morgen früh bin ich tot vor Angst«, begann der
-Schneider wieder. »Horch &ndash; horch &ndash; hörst du's rascheln?«</p>
-
-<p>»Ich höre nichts.«</p>
-
-<p>»O Kito, wenn du allein wachtest! Wenn du mich nach
-Hause gehen ließest! Ich würde dir auch gern meine Axt hier
-lassen.«</p>
-
-<p>»Ich brauche keine Axt. Aber wenn du willst, geh nach Haus.
-Hier nützest du doch nichts.«</p>
-
-<p>»Wirst du es auch niemand verraten?«</p>
-
-<p>»Nein!«</p>
-
-<p>»O Kito, ich mache dir deine neue Weste ganz umsonst.«
-Und fort war er.</p>
-
-<p>Nun Kito ganz allein war, überkam auch ihn Furcht und
-Grauen. Die Nacht war so unheimlich still, so unheimlich
-dunkel. Und alle alten Sagen und bösen Geschichten wurden
-lebendig im Herzen des Alten.</p>
-
-<p>Da hörte er ein Geräusch. Hatte er sich getäuscht? Da war
-wieder das Geräusch. Jetzt hörte er Tritte, deutliche Tritte.
-Kito lehnte sich an einen Baum. Eiskalter Schweiß rann ihm
-von der Stirn. Mühsam hielt er sich aufrecht.</p>
-
-<p>Da &ndash; eine dunkle Gestalt, noch eine, noch eine. Drei oder vier.</p>
-
-<p>Kito fing laut an zu ächzen.</p>
-
-<p>»Ist hier jemand?« fragte eine Stimme. Es war die Stimme
-Juros.</p>
-
-<p>»Da ist ein Mann. Kito &ndash; Kito &ndash; bist du es?«</p>
-
-<p>»Pán Juro!«</p>
-
-<p>Der Alte wimmerte.</p>
-
-<p>»Was wimmerst du? Fürchte dich nicht! Hier ist nichts zu
-fürchten. Wir tun dir nichts. Was machst du hier?«</p>
-
-<p>»Ich &ndash; ich soll &ndash; soll bei dem Kronenhügel wachen.«</p>
-
-<p>»Wer hat es dir befohlen?«</p>
-
-<p>»Die <em class="antiqua">Gromada</em>.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_206">[206]</a></span></p>
-
-<p>»Aah!«</p>
-
-<p>Juro lachte leise.</p>
-
-<p>»Höre, Kito, ich bin mit diesen drei Männern gekommen,
-den Kronenhügel aufzugraben.«</p>
-
-<p>»Tut es nicht, Pán Juro, tut es nicht!«</p>
-
-<p>Der Alte lag vor ihm auf den Knien.</p>
-
-<p>»Steh auf, Kito, ich kann das nicht sehen! Deine Bitten
-nützen nichts. Sieh, das sind drei wendische Männer, Ehrenmänner,
-die haben sich in der Welt umgesehen, und die werden
-nun Zeugen sein, daß in dem Kronenhügel nichts ist als Erde,
-Sand und Stein. Und so werden die Wenden von einem alten
-Aberglauben erlöst werden.«</p>
-
-<p>»Tut es nicht, Pán Juro, tut es nicht!«</p>
-
-<p>»Hör auf zu bitten; ich sagte dir schon, es nützt nichts. Oder
-willst du ins Dorf gehen und Skandal schlagen?«</p>
-
-<p>»Ich müßte es eigentlich tun; es wäre meine Pflicht. Aber,
-ich kann ja nicht, ich kann ja nicht; die Bauern kämen und
-schlügen Pán Juro tot.«</p>
-
-<p>»So stelle dich beiseite und warte! In weniger als einer
-Stunde wirst du sehen, daß ich recht habe, und dann werden
-alle Wenden es sehen. Du bist mir der willkommenste Zeuge.«</p>
-
-<p>»Tut es nicht, Pán Juro; es geschieht ein Unglück!«</p>
-
-<p>Juro schob den Alten beiseite. Er winkte den drei Männern.
-Jeder hatte Spaten und Hacke. Auch Juro trug diese Werkzeuge.</p>
-
-<p>»Ans Werk!«</p>
-
-<p>Die drei Wenden zögerten. Da sah Juro sie lächelnd an.
-Dann sagte er:</p>
-
-<p>»Nun wohl, ich werde die ersten dreißig Spatenstiche selbst
-tun, und wenn ihr seht, daß kein Morkusky und kein Kral sich
-einmischt, wird euch der Mut schon kommen.«</p>
-
-<p>»Tut es nicht, Pán Juro!«</p>
-
-<p>Kito warf sich auf den kleinen Hügel.</p>
-
-<p>»Nehmt den Alten weg!« befahl Juro. Die drei Männer
-zogen Kito empor und führten ihn abseits.</p>
-
-<p>Einen Augenblick später tat Juro den ersten Spatenstich in
-den heiligen Kronenhügel.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_207">[207]</a></span></p>
-
-<p>Weinend kniete Kito beiseite mit gefalteten Händen, die er
-zum Himmel hob. Die drei Männer schauten mit ernsten Gesichtern
-zu. Juro grub und grub. Da kam erst einer der Männer
-und half ihm graben, und dann halfen alle drei. Der Mond
-brach durch die Wolken, es wurde ganz hell, und man hörte
-nichts als das schwere Atmen der Arbeitenden, das leise Wimmern
-Kitos.</p>
-
-<p>Eine gute Weile verging&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Da … »Da liegt was!« schreit ein Mann und springt aus
-der Grube.</p>
-
-<p>»Da &ndash; da ist ein Topf!«</p>
-
-<p>»Eine Urne!«</p>
-
-<p>»Um Jesu willen, Pán Juro, den Hügel zu &ndash; den Hügel
-zu!«</p>
-
-<p>»Weg mit euch! Es gibt viel Urnen in der Welt!«</p>
-
-<p>Juro hebt ein altersgraues Gefäß aus der Erde, er setzt es
-neben die Grube, löst den Deckel, schaut hinein&nbsp;…</p>
-
-<p>»Was &ndash; was &ndash; was&nbsp;…«</p>
-
-<p>Er stammelt &ndash; er röchelt &ndash; er stöhnt&nbsp;…</p>
-
-<p>»Um Jesu willen, Pán Juro&nbsp;…«</p>
-
-<p>Der greift in die Urne, nimmt etwas heraus, richtet sich auf,
-wendet sich gegen das Mondenlicht, steht so drei Herzschläge
-lang und bricht, wie vom Blitz erschlagen, mit einem markerschütternden
-Schrei zusammen.</p>
-
-<p>In der rechten Hand hält er eine alte Krone.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Die vier Männer knien zitternd, stammelnd, ächzend am
-Boden. Kito nimmt zitternd die alte Krone auf, küßt sie scheu
-am Rande und ruft weinend:</p>
-
-<p>»Du Heilige &ndash; du Heilige &ndash; du Heilige &ndash; um Gottes
-willen, verzeih uns!«</p>
-
-<p>Und bettet die Krone wieder in die Urne, schließt mit zitternden
-Händen die Urne und senkt sie in die Erde.</p>
-
-<p>»Zuschütten! Den Hügel zuschütten! Schnell zuschütten!
-Sonst richtet uns Gott!«</p>
-
-<p>Wie die Rasenden arbeiten die Männer. In ganz kurzer Zeit
-ist der Hügel geschlossen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_208">[208]</a></span></p>
-
-<p>Dann läuft einer fluchtartig waldein. Die zwei andern
-helfen dem alten Kito, Juro aufzuraffen.</p>
-
-<p>»Lebt er?«</p>
-
-<p>»Sein Herz schlägt!«</p>
-
-<p>»Er ist so weiß wie eine Leiche. Er kann jeden Augenblick
-sterben.«</p>
-
-<p>»Helft ihn tragen!«</p>
-
-<p>Sie tragen ihn mühsam ins Dorf.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Vor dem Tor seines Vaterhauses wird Juro auf die Erde
-niedergelegt. Er schlägt die Augen auf.</p>
-
-<p>»Was &ndash; was ist? Wo? &ndash; Wer?«</p>
-
-<p>Plötzlich verzerrt er sein Gesicht.</p>
-
-<p>»Die alte Krone!«</p>
-
-<p>Und er sinkt in die Ohnmacht zurück.</p>
-
-<p>Der alte Kito wird über den Gartenzaun gehoben und
-dringt ins Haus. Er klopft an die Tür des Scholta.</p>
-
-<p>»Kommt herunter, Herr &ndash; vors Tor &ndash; es ist ein Unglück
-geschehen&nbsp;…«</p>
-
-<p>Mehr bringt er nicht heraus.</p>
-
-<p>Vor dem Tor findet der alte Hanzo seinen Sohn. Er starrt
-ihn an und fragt dann mit eisiger Stimme:</p>
-
-<p>»Hat er nach der Krone gegraben?«</p>
-
-<p>»Ja.«</p>
-
-<p>Der Alte lehnt sich an das Tor.</p>
-
-<p>»Und&nbsp;…?«</p>
-
-<p>»Und er hat sie gefunden!«</p>
-
-<p>Die drei Männer beugen vor dem Kral das Haupt.</p>
-
-<p>»Er hat sie gefunden!« wiederholt der Kral langsam. Trotz
-seiner schweren Herzensnot tritt ein sieghaftes Leuchten in seine
-Augen, die sich zu stummem Dank gen Himmel richten.</p>
-
-<p>»Er hat sie gefunden! Die alte Krone ist da! Gott sei gelobt
-in Ewigkeit! Amen!«</p>
-
-<p>Eine lange feierliche Stille. Dann sagt Kito:</p>
-
-<p>»Herr, Euer Sohn&nbsp;…«</p>
-
-<p>Hanzo streckt die Hand aus gegen Juro.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_209">[209]</a></span></p>
-
-<p>»Dieser ist nicht mein Sohn. Er ist ein Verbrecher. Ob er
-tot ist oder noch lebt, schafft ihn aus dem Dorf!«</p>
-
-<p>»Wohin sollen wir mit ihm?«</p>
-
-<p>»Wohin ihr wollt! Zu den Deutschen, die ihn verführt haben,
-oder irgendwohin; mir ist es gleich!«</p>
-
-<p>»Er ist schwerkrank. Wir müssen einen Wagen haben für
-den weiten Weg.«</p>
-
-<p>Hanzo besann sich eine kleine Weile; dann sagte er:</p>
-
-<p>»Den Wagen könnt ihr haben. Er steht schon hier am
-Tor.«</p>
-
-<p>Da faßte ihn Kito am Arm.</p>
-
-<p>»Herr, nicht auf den alten Bretterwagen, nicht den Sünderwagen,
-auf dem die Gehängten auf den Kirchhof gefahren
-werden!«</p>
-
-<p>»Es ist der rechte Wagen für diesen da! Einen anderen gebe
-ich für ihn nicht. Spannt ein Pferd an, legt eine Schütte Stroh
-auf den Wagen und schafft ihn fort!«</p>
-
-<p>Weinend schob Kito mit den anderen den alten Bretterwagen
-auf den Weg hinaus; behutsam und sacht holte er das
-Stroh und ein Pferd. Mit finsterem, starrem Angesicht sah
-Hanzo noch zu, wie Juro auf das Stroh gebettet wurde; dann
-schloß er das Tor, indes der alte Kito draußen von dannen fuhr.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p class="ph2">Oh, das war eine traurige Fahrt! Die Nacht so öde, der Weg
-so lang. Und so dahinfahren in Schande und Herzeleid
-mit einem, den man lieb hat! In seinem langen Leben hatte der
-alte Kito keine Stunde gehabt, die so bitter gewesen wäre wie
-diese. Und er zergrübelte seinen alten Kopf, wie er's nun anstellen
-sollte. Es war noch finster. Was würden die Leute auf
-der deutschen Herrschaft sagen, wenn er mit einem solchen Fuhrwerk
-daherkäme? Wie sollte er, der Knecht, sich vor die Augen
-eines gnädigen Herrn trauen und ihm sagen: »Auf dem Stroh
-meines Bretterwagens liegt Ihr Herr Schwiegersohn!«</p>
-
-<p>Wie hatte es nur der alte Hanzo tun können! Was für einen<span class="pagenum"><a id="Seite_210">[210]</a></span>
-wilden Zorn mußte er in seinem Herzen haben, daß er dem
-Sohn diese Schande antat!</p>
-
-<p>O Gott, was sollte er nur tun, der alte Kito? Vielleicht war
-der, den er so langsam dahinfuhr, schon gestorben.</p>
-
-<p>Da hielt Kito an, da wandte er sich um nach dem Wagen,
-kniete bei Juro nieder und tastete mit seinen stumpfen Fingerspitzen
-nach Juros Herzen. Es dauerte lange, ehe er einen
-schwachen Herzschlag fühlte.</p>
-
-<p>Dann fuhr er weiter in müdem, schleppendem Tempo. Und
-als er an den Seitenweg kam, der nach dem Witholdschen
-Schlosse führte, fuhr er daran vorbei. Er hatte zu viel Angst,
-mit einem solchen Auftrage dem deutschen Herrn vor die Augen
-zu treten.</p>
-
-<p>Weiter ging es den Sandweg entlang. Was war das für
-eine Nacht! So gab es wirklich die alte Krone der Wenden! So
-war Hanzo wirklich ein König! Und seinen ältesten Sohn hatte
-der Schlag getroffen, als er sich an der Krone vergriff. Heilig
-war sie! Mochte Gott allen vergeben und alle schützen vor der
-Gewalt des Nachtjägers! Der Morgen kam. Ein kalter Morgen.
-Vielleicht begegneten Kito Leute vom Schloß, denen er Juro
-übergeben könnte. Da &ndash; da sprang auch wirklich jemand über
-den Graben&nbsp;…</p>
-
-<p>»Heda &ndash; heda!« schrie der alte Kito.</p>
-
-<p>Ein Mann kam näher. Es war Heinrich von Withold. Er
-trug eine Büchse über der Schulter.</p>
-
-<p>»Was ist los? &ndash; Was schreien Sie?«</p>
-
-<p>»O Gott &ndash; gerade der gnädige junge Herr!«</p>
-
-<p>»Nun, was ist da weiter? Wohin wollt Ihr?«</p>
-
-<p>»Ich soll &ndash; ich will &ndash; Gott schütze mich!«</p>
-
-<p>»Aber Mann, was macht Ihr für Gerede?«</p>
-
-<p>»Sehen Sie, sehen Sie einmal in meinen Wagen!«</p>
-
-<p>»Juro!«</p>
-
-<p>Die Büchse fiel auf den Weg.</p>
-
-<p>»Ja &ndash; was &ndash; was ist denn? Ist er verunglückt?
-Wo bringt Ihr ihn denn her? Was ist geschehen? Juro!
-Juro!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_211">[211]</a></span></p>
-
-<p>Heinrich kletterte auf den Wagen, griff nach der Stirn Juros,
-fühlte nach seinem Puls.</p>
-
-<p>»Der Schlag hat ihn getroffen«, sagte Kito.</p>
-
-<p>»Nein, er scheint nur ohnmächtig zu sein &ndash; Gott sei Dank,
-nur ohnmächtig …! Spannen Sie das Pferd aus, damit es
-nicht anrückt! Dann helfen Sie mir! So! &ndash; Den Kopf tief
-betten &ndash; er ist ja leichenblaß &ndash; und nun die Arme und die
-Beine reiben &ndash; tüchtig!«</p>
-
-<p>Heinrich flößte dem Kranken Kognak aus seiner Feldflasche
-ein und rieb ihm die Herzgrube.</p>
-
-<p>Dabei fragte er Kito:</p>
-
-<p>»Wo habt Ihr ihn gefunden?«</p>
-
-<p>Stammelnd, unter vielen Tränen, sagte der Alte:</p>
-
-<p>»Er hat &ndash; hat &ndash; die alte Krone ausgegraben, und da hat
-ihn der Schlag getroffen.«</p>
-
-<p>»Die alte Krone? Seid Ihr irre?«</p>
-
-<p>»Ich war selbst dabei. Ich hatte am Kronenhügel Wache.«</p>
-
-<p>»Und er hat wirklich eine alte Krone gefunden?«</p>
-
-<p>»Ja, in einem alten grauen Topf.«</p>
-
-<p>»Das ist nicht möglich!«</p>
-
-<p>»Ich habe es gesehen, Herr! Ich hab' die Krone ja selbst
-wieder in den Topf getan und sie wieder eingegraben.«</p>
-
-<p>»Kräftiger reiben! Kräftiger! &ndash; Und er fiel also ohnmächtig
-um? &ndash; Die Nerven! Er war schon so aufgeregt vorher.
-Er hat nächtelang nicht geschlafen! &ndash; Ja, Mann, wie kommt
-Ihr denn zu dem Wagen?«</p>
-
-<p>Kito gab jammernd Auskunft.</p>
-
-<p>»Was &ndash; auf einen Mist- &ndash; auf einen Schand- und
-Schinderwagen &ndash; der eigene Vater?! &ndash; &ndash; &ndash; Bande! Bande!
-Bande!«</p>
-
-<p>Juro schlug die Augen auf. Da lachte Heinrich gezwungen.</p>
-
-<p>»Na also, alter Junge! Du machst schöne Geschichten!
-Aber es ist nichts dabei, wird bald vorüber sein! Da trink
-mal!«</p>
-
-<p>»Wo bin ich? Was ist?«</p>
-
-<p>»Davon reden wir später. Jetzt trink mal!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_212">[212]</a></span></p>
-
-<p>Juros Auge wanderte umher; seine Stirn runzelte sich zu
-angestrengtem Nachdenken, und dann sagte er erschauernd:</p>
-
-<p>»Die Krone! Die Krone!«</p>
-
-<p>»Laß das jetzt, Juro! Ich weiß alles. Laß das jetzt!
-Spannen Sie ein, Mann! Dann den Weg rechts hinab!«</p>
-
-<p>»Es ist schrecklich, Heinrich! Sie ist da! Es ist alles &ndash; alles
-wahr! Sie ist da!«</p>
-
-<p>»Sei jetzt ruhig! Wir wollen nach Hause.«</p>
-
-<p>»Ich schäme mich &ndash; ich hab' ein Heiligtum geschändet &ndash;
-ich bin schlecht!«</p>
-
-<p>Sie fuhren einen Weg hinab. Kurz vor dem Schloß half
-Heinrich dem Kranken vom Wagen. Juro stützte sich auf die
-beiden Männer und trat durch eine Hintertür ins Schloß.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p class="ph2">Es waren etwa zwei Wochen vergangen. Da ließ sich Heinrich
-von Withold beim alten Scholta Hanzo anmelden. Er
-wartete im Kretscham auf Antwort. Es dauerte zwei Stunden
-ehe die Nachricht eintraf, daß der Scholta Heinrich erwartete.
-Die beiden Männer begrüßten sich stumm. Der Scholta wies
-auf einen Stuhl.</p>
-
-<p>»Ich danke,« lehnte Heinrich ab; »ich habe nicht viel zu
-sagen. Allerdings, was ich zu sagen habe, ist wichtig. Mein
-Freund und Schwager Juro hat, gehetzt durch die aufgestachelte
-öffentliche Meinung und in der Überzeugung, daß eine alte
-Krone der Wenden nicht existiere, nach ihr gegraben und zu
-seiner schweren Überraschung eine Krone gefunden. Da ist er
-dem Schreck, einem plötzlichen Nervenanfall, erlegen &ndash; er ist
-ohnmächtig geworden.«</p>
-
-<p>»Gott hat ihn geschlagen!« sagte Hanzo ernst.</p>
-
-<p>Heinrich beachtete den Zwischenruf nicht, sondern fuhr fort:</p>
-
-<p>»Als ich Juro auf Ihrem Düngerwagen liegend fand, hatte
-ich zuerst vor, die ganze Sache der Behörde anzuzeigen.«</p>
-
-<p>»Das konnten Sie! Von uns aus ist nichts Unrechtes geschehen.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_213">[213]</a></span></p>
-
-<p>»Ich weiß nicht,« entgegnete Heinrich kalt, »wieweit sich die
-beiden Würden eines preußischen Schulzen und heimlichen
-Wendenkönigs miteinander vertragen, jedenfalls habe ich die
-Anzeige unterlassen, weil ich mich zu solchen Dingen nicht eigne.
-Aber ich habe etwas anderes getan: ich habe mir die Krone auch
-einmal angesehen! Hier ist sie!«</p>
-
-<p>Er zog unter dem weiten Kragen seines Mantels ein Paket
-hervor und legte es auf den Tisch.</p>
-
-<p>»Was &ndash; was &ndash; was sagen Sie? &ndash; Was ist das?«</p>
-
-<p>Heinrich löste die Umhüllung, eine alte Krone, ein schmaler
-silberner Stirnreif wurde sichtbar.</p>
-
-<p>»Da! &ndash; Das hat Juro gefunden!«</p>
-
-<p>Der alte Hanzo streckte entsetzt die Hände aus gegen den
-Tisch.</p>
-
-<p>»Das &ndash; das &ndash; die Krone! &ndash; Sie haben es gewagt &ndash;
-Sie&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Regen Sie sich nicht auf,« sagte Heinrich ruhig; »die
-Krone ist gefälscht!«</p>
-
-<p>Der alte Wende sank auf einen Stuhl; die Zähne schlugen
-ihm aufeinander.</p>
-
-<p>»Ist das &ndash; ist das &ndash; die Krone aus dem Hügel?«</p>
-
-<p>»Ja, und sie ist nicht die alte Kralskrone, sie ist gefälscht!«</p>
-
-<p>»Sie haben sie ausgegraben?«</p>
-
-<p>»Ja &ndash; unter der Zeugenschaft von zwei gebildeten Männern.«</p>
-
-<p>Da stürzte der alte Hanzo mit geballten Fäusten auf Heinrich
-los, schlug auf ihn ein, rang mit ihm und mußte doch von
-dem Angegriffenen halb gehalten werden, damit er nicht niederfiel.
-Schließlich sank er völlig gebrochen, kraftlos und erschöpft
-auf seinen Stuhl.</p>
-
-<p>Da öffnete sich die Tür, und Samo trat ein.</p>
-
-<p>»Was geht hier vor?«</p>
-
-<p>»Ich habe dem Scholta die Krone gebracht, die mein Freund
-Juro neulich gefunden hat.«</p>
-
-<p>Samo wurde bleich.</p>
-
-<p>»Wie kommen Sie zu der Krone?«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_214">[214]</a></span></p>
-
-<p>»Ich habe sie ausgegraben mit noch zwei gebildeten Männern;
-ich habe sofort erkannt, daß es sich um eine wertlose
-Imitation handelt, und habe mir meine Ansicht durch ein Sachverständigenurteil
-in Berlin bestätigen lassen. Hier ist eine beglaubigte
-Abschrift!«</p>
-
-<p>»Sie sind ein Lump!« schrie Samo heiser.</p>
-
-<p>»Es ist mir eine Ehre, von Ihnen beschimpft zu werden,«
-erwiderte Heinrich mit eisiger Kälte; »denn ich bringe Sie mit
-dem schmählichen Betrug, der hier vollführt wurde, in Verbindung.«</p>
-
-<p>»Herr! Sie werden mir mit der Waffe Genugtuung geben.
-Diese Schmach kann nur Ihr Tod sühnen!«</p>
-
-<p>»Ich schlage mich nicht mit Verbrechern!« sagte Heinrich
-verächtlich.</p>
-
-<p>Da fiel Samo über ihn her, Heinrich aber schleuderte ihn
-beiseite und verließ rasch das Haus.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p class="ph2">»Vater!«</p>
-
-<p>Samo beugte sich über den Alten, dessen Kopf auf
-der Tischplatte ruhte. Hanzo hob das Haupt. Er sah seinem
-Sohne starr ins Gesicht und sprach:</p>
-
-<p>»Samo, hast du's gehört? Hast du es auch gehört, was der
-Mensch Schreckliches sagte, oder ist alles ein Spuk, oder bin ich
-irrsinnig geworden durch all die schwere Zeit?«</p>
-
-<p>»Ich habe es gehört, und da ist die Krone!«</p>
-
-<p>»Die Krone!«</p>
-
-<p>Furchtsam starrte der Alte wieder auf den silbernen
-Reif.</p>
-
-<p>»Er sagt &ndash; er sagt &ndash; sie ist falsch!«</p>
-
-<p>»Er ist ein deutscher Hund!« schrie Samo zornig; »einer,
-dem nichts heilig ist, einer, der auf unseren Grund und Boden
-eindrang und die Krone stahl.«</p>
-
-<p>»Ist das &ndash; ist das wirklich die Krone aus dem Hügel?«</p>
-
-<p>»Frage Kito &ndash; er hat sie gesehen.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_215">[215]</a></span></p>
-
-<p>Kito wurde gerufen. Als er auf dem Tisch die Krone sah,
-wollte er an der Tür umkehren. Gespenster, nichts als Gespenster
-in seinen alten Tagen! Aber er mußte in die Stube,
-mußte an die Krone herantreten.</p>
-
-<p>»Es ist die Krone aus dem Hügel«, sagte er bebend. »Ich
-kenne sie genau wieder.«</p>
-
-<p>Da traten alle drei Männer von dem Tische zurück.</p>
-
-<p>»Da liegt ein Papier,« sagte Hanzo endlich scheu, »auf dem
-soll stehen, die Krone ist gefälscht.«</p>
-
-<p>»Willst du es lesen, Vater?« fragte Samo und hielt ihm
-das Blatt Papier hin, das Heinrich dagelassen hatte. »Lies es!«</p>
-
-<p>»Nicht hier, nicht bei der Krone!« wehrte der Vater ab.</p>
-
-<p>»Weißt du, was auf solchen Papieren von Deutschen schon
-alles gestanden hat?« fragte Samo. »Daß es keinen Gott gibt,
-daß es kein Vaterland gibt, daß es kein Eigentum gibt,
-daß es kein Recht der Slawen gibt, ja daß es überhaupt keine
-Welt gibt, daß alles Einbildung, Täuschung ist. Alle solche
-Dinge haben auf deutschen Urkunden von sogenannten deutschen
-Sachverständigen schon gestanden. Auf diesem Papier da wird
-zur Abwechslung stehen, es gibt keinen Kral der Wenden, und
-der tausendjährige Beweis, die Krone, ist falsch. Es gibt nur
-eine deutsche Herrschaft, eine deutsche Krone! Können wir von
-unseren Feinden ein anderes Urteil erwarten? Kann ein Urteil,
-das unsere Widersacher bei ihresgleichen bestellt und bezahlt
-haben, anders ausfallen?«</p>
-
-<p>»Nein!« sagte Hanzo, »du hast recht!«</p>
-
-<p>Er zerriß das Papier in viele kleine Teile.</p>
-
-<p>»Die Krone ist genug beleidigt«, sagte er. »Gehet jetzt hinaus.
-Laßt mich allein!«</p>
-
-<p>Und der Kral blieb bei der Krone mit einer großen königlichen
-Andacht im Herzen.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Am Nachmittag desselben Tages wurde der Kronenhügel
-noch einmal aufgegraben, und zwar in Gegenwart Hanzos,
-Samos und dreier Zeugen aus dem Dorfe. Die Männer überzeugten<span class="pagenum"><a id="Seite_216">[216]</a></span>
-sich, daß der Hügel nunmehr leer sei, und Hanzo gab
-den Befehl, daß er der Erde gleich gemacht werde.</p>
-
-<p>»Tausend Jahre lang hat er unsere heilige Krone beherbergt,«
-sagte er ergriffen; »nun ist seine Ruhe gestört und entheiligt
-worden, nun soll er nicht mehr sein!«</p>
-
-<p>Dann ging er mit den Zeugen nach seinem Hause, zeigte
-ihnen die Krone und sagte:</p>
-
-<p>»Das ist die Krone der Wenden! Ihr Silber ist vom
-Himmel gefallen, ein gottgesandter Mann hat sie geformt. Der
-Urkral hat sie getragen. Aus ihrem tausendjährigen Hause ist
-sie vertrieben worden. Sie soll zurück in die mütterliche Erde.
-Denn nicht ist die Jungfrau mit der silbernen Schaufel gekommen
-und hat sie ans Licht geholt, Frevlerhände haben es
-getan. Ich werde die Krone wieder begraben an einem anderen
-Ort. Den soll aber niemand wissen als mein Sohn Samo und
-ich, als immer der Kral und sein ältester Sohn. Was ihr gehört
-und gesehen habt, dürft ihr den Wenden erzählen, aber keinem
-Deutschen.«</p>
-
-<p>Die Männer gelobten das und gingen in größter Erregung
-von dannen.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Als Hanzo mit Samo allein war, sprach er:</p>
-
-<p>»Unter der Kirchhoflinde, dort, wo die Mutter liegt, werden
-wir eine Grube graben, dahin werden wir die Krone legen. Sie
-wird dann über Mutters Kopf sein und bald auch über meinem.«</p>
-
-<p>Samo wandte sich ab.</p>
-
-<p>Er stand am Fenster und schaute hinaus auf die Straße.
-Sein Atem ging rasch. Endlich wandte er sich um.</p>
-
-<p>»Wähle einen anderen Ort, Vater! Der Kirchhof ist die
-Stätte der Toten. Unsere Krone aber ist lebendig, und unsere
-Hoffnung knüpft sich daran, die Hoffnung, daß wir Slawen
-noch einmal loskommen von diesem elenden Lande der Deutschen.
-Deshalb muß die Krone lebendig bleiben, Vater. Ganz
-lebendig vor aller Augen und in aller Herzen! Daran, an diesem
-Glauben, hängt unsere Zukunft. Wähle einen anderen Ort!«</p>
-
-<p>Der Vater blieb bei seinem Vorsatz.</p>
-
-<p>»Die in der Kirchhofserde liegen,« sagte er, »sind nur tot<span class="pagenum"><a id="Seite_217">[217]</a></span>
-für eine Zeit, dann wird sie unser Herr Christus auferwecken.
-Und auch unsere Krone wird eines Tages auferstehen. Du wirst
-sie mit mir dort begraben, wo ich dir gesagt habe. Sie ist dort
-sicher; denn sie hat dort Wächter, an die sich nicht leicht jemand
-wagt.«</p>
-
-<p>»Ich werde dir gehorchen!« sagte Samo.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p class="ph2">Auf dem Bahnhof zu Prag stand Hanka. Sie sah sich verängstigt
-um. Ihre Stirn war weiß, aber auf ihren Wangen
-brannten große rote Flecken. Da stellte sie plötzlich das Paket
-hin, das sie getragen, und begann heftig zu zittern.</p>
-
-<p>»Da &ndash; da &ndash; ist er &ndash; Samo!«</p>
-
-<p>Samo kam auf sie zu und küßte sie scheu auf den Mund.</p>
-
-<p>»Samo! Samo!«</p>
-
-<p>»Pst &ndash; still! Nur keinen Namen nennen! Hier lauern
-überall Polizeihunde. Komm weiter!«</p>
-
-<p>Er zog Hanka aus dem Bahnhof hinaus und nahm einen
-geschlossenen Wagen. Im Wagen fiel sie ihm um den Hals und
-weinte leidenschaftlich.</p>
-
-<p>»O Samo &ndash; Samo! Endlich seh' ich dich wieder!«</p>
-
-<p>Er sagte etwas, was sie nicht verstand.</p>
-
-<p>»Ist es dir nicht lieb, Samo, daß ich dir nachgekommen
-bin?«</p>
-
-<p>»Warum soll es mir nicht lieb sein? Aber ich fürchte, dir
-wird es nicht lieb sein, daß du es getan hast, wenn du erst siehst,
-wie ich lebe!«</p>
-
-<p>Er sprach mit abgewandtem Gesicht.</p>
-
-<p>»Ich gehöre zu dir; ich bin dein Weib. Oh, warum hast du
-uns so lange nicht geschrieben? Fast zwei Jahre! Was haben wir
-ausgestanden um dich!«</p>
-
-<p>»Ich konnte nicht! Ich mußte glauben, daß ihr mich verfluchtet!«</p>
-
-<p>»Das haben wir nie getan. Von Anfang an nicht! Du warst
-nie schlecht!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_218">[218]</a></span></p>
-
-<p>Samo sah finster zur Seite. Eine Weile schwiegen sie. Nur
-Hanka weinte leise vor sich hin.</p>
-
-<p>»Also, er ist nicht tot?« begann Samo wieder. Seine
-Stimme war düster.</p>
-
-<p>»Nein, er war kaum zwei Monate lang krank.«</p>
-
-<p>Samo schüttelte den Kopf.</p>
-
-<p>»Merkwürdig! Ich weiß doch als Arzt, wo das Herz sitzt.
-Und ich hab' aufs Herz gezielt. Das Messer muß abgeglitten sein.«</p>
-
-<p>»Sprich nicht davon, Samo, sprich nicht davon!« rief Hanka
-erschauernd.</p>
-
-<p>»Ja, ich spreche <em class="gesperrt">nur</em> davon! Ich hab' in den ganzen zwei
-Jahren eigentlich nichts anderes mit mir selbst verhandelt als
-immer das eine. Ich glaubte, er sei längst vermodert.«</p>
-
-<p>»Samo, sprich nicht so Schreckliches!«</p>
-
-<p>»Hätte er sich mit mir duelliert,« fuhr Samo fort, »wäre
-es anders gekommen. Vielleicht hätte er dann eine Kugel in
-diesen heißen, unglücklichen Schädel geschossen, und es wär'
-gut gewesen.«</p>
-
-<p>»Samo!«</p>
-
-<p>»Aber er verachtete mich! Er behandelte mich wie einen
-Hund. Er schickte meinen Zeugen heim. Er beleidigte mich aufs
-neue, als ich ihn persönlich stellte. Da bekam er das Messer in
-die Brust. Ich konnte nicht anders. Meine Hand tat es von
-selbst.«</p>
-
-<p>»Er hat dich schwer beleidigt, Samo, wir wissen es; er hat
-sich auch frech an unserer alten Krone vergriffen; er hat die
-meiste Schuld gehabt!«</p>
-
-<p>»Sie haben einen Steckbrief <span id="corr218">hinter</span> mir erlassen?«</p>
-
-<p>»Ja, der alte Withold hat's nicht gewollt &ndash; um Juros
-willen &ndash; wegen des Namens &ndash;, aber der Staatsanwalt ist
-gekommen, und es hat sich nichts ändern lassen. &ndash; Juro hat
-damals seine Verlobung aufgelöst&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»So?«</p>
-
-<p>Samo schwieg eine Weile.</p>
-
-<p>»Weil sein Name geschändet war &ndash; weil ich den Bruder
-seiner Braut &ndash; nun ja, ich kann mir's denken!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_219">[219]</a></span></p>
-
-<p>»Das Mädchen, die Elisabeth, ist aber dem Juro nachgegangen
-nach Breslau. Sie hat ihn nicht losgelassen. Jetzt
-sind sie schon verheiratet.«</p>
-
-<p>»Na also! Ist Hochzeit zu Haus gewesen, und man hat
-nichts davon gewußt!« lachte Samo gezwungen. »Wo wohnt
-denn das junge Paar? Beim Vater zu Haus auf der Scholtisei?«</p>
-
-<p>»Nein, unser Vater und Juro sind noch in Feindschaft. Der
-Vater verzeiht es Juro nicht, daß er sich an der Krone vergriffen
-hat, wie er dir alles verzeiht, weil du doch die Krone verteidigt
-hast.«</p>
-
-<p>Samo sah zum Wagenfenster hinaus.</p>
-
-<p>»Die verfluchte Krone!« sagte er leise und ingrimmig.</p>
-
-<p>»Was &ndash; was sagst du, Samo?« fragte Hanka erschrocken.</p>
-
-<p>»Ja, Weib, ahnst du denn, was ich ausgestanden habe?
-Kannst du nur ein wenig einsehen, was das heißt, zwei ganze
-Jahre mit einem Ermordeten zu ringen, was das heißt, verbannt,
-geächtet, verfolgt zu sein, ein Mordbube zu sein, dem
-jeder Straßenpassant gefährlich und verdächtig erscheint, was
-das heißt, wenn einem so das ganze Leben und alle Hoffnung
-zusammenbricht?«</p>
-
-<p>»Der junge Withold ist nicht tot«, sagte Hanka.</p>
-
-<p>»Aber ich habe es geglaubt; ich habe darum nicht an euch
-geschrieben, hab' mich verkrochen in die elendesten Spelunken
-Prags unter falschem Namen, als Vagabund zu den Vagabunden,
-bis ich es nicht mehr aushielt, bis ich euch doch eine
-Nachricht gab.«</p>
-
-<p>»Jetzt wird es besser werden, Samo, lieber Samo!«</p>
-
-<p>»<em class="gesperrt">Besser</em> &ndash; vielleicht! Es kann aber nicht mehr <em class="gesperrt">gut</em> werden.
-Der Schatten freilich wird mich jetzt in Ruhe lassen; aber die
-Heimat ist verloren, die Ehre ist verloren, das Leben ist zerbrochen.«</p>
-
-<p>Er preßte die Fäuste vor die Augen. Sie schlang den Arm
-um seinen Hals.</p>
-
-<p>»Samo, ich hab' dich lieb!«</p>
-
-<p>Er nickte versonnen und sah mit verlorenem Blick vor sich hin.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_220">[220]</a></span></p>
-
-<p>»Das ist das Sonderbare! Als es mir gut ging, hattest du
-mich nicht lieb, da liebtest du den Juro.«</p>
-
-<p>Sie wurde rot.</p>
-
-<p>»Und jetzt bist du mir nachgekommen ins Elend. In ein viel
-schlimmeres Elend, Hanka, als du meinst. Du wirst es nicht
-aushalten.«</p>
-
-<p>»Ich werde alles aushalten, Samo! Ich hab' dich lieb!«</p>
-
-<p>Er schob sie sacht beiseite.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Es war ein elendes Quartier, das Samo in einer Vorstadt
-Prags bewohnte, die Parterrestube eines schmutzigen Hauses.
-Ein Bett stand in dem sonnenlosen Raum, ein wackeliges Sofa,
-ein Tisch und ein paar Stühle. An der Wand waren einige
-Kleiderhaken, auf einem Stuhl stand ein halbzerbrochenes
-Waschbecken.</p>
-
-<p>»Also, da wohne ich!« sagte Samo. »Das ist die Residenz
-des zukünftigen Krals der Wenden.«</p>
-
-<p>Er lachte höhnisch und bitter. Hanka flog ein Schauer durch
-Leib und Seele. Sie, deren ganzes Sinnen von Jugend an auf
-Ordnung, Reinlichkeit und behaglichen Wohlstand gerichtet war,
-erschrak vor dieser liederlichen Höhle.</p>
-
-<p>»Hier wohnst du?« fragte sie tonlos. »Die ganzen Jahre?«</p>
-
-<p>»Seit einem halben Jahr. Meine frühere Wohnung war
-noch schlimmer; zeitweise hatte ich überhaupt keine Wohnung.«</p>
-
-<p>Da brach sie in Tränen aus.</p>
-
-<p>»Es wird jetzt besser, Samo; ich bringe dir Geld mit von
-deinem Vater &ndash; sechstausend Taler!«</p>
-
-<p>Samos Augen blitzten auf.</p>
-
-<p>»Geld? &ndash; Sechstausend Taler? &ndash; Ah, mein Mutterteil!
-Das ist nicht schlecht!«</p>
-
-<p>Er lächelte vergnügt.</p>
-
-<p>»Geld habe ich schon lange nicht mehr gehabt. Aber sag' das
-niemandem, Hanka, das darf niemand wissen! Das würde
-gleich Verdacht erregen. Ich bin hier der verbummelte und<span class="pagenum"><a id="Seite_221">[221]</a></span>
-verarmte Journalist Wenzel Halek. Das darfst du nie vergessen.
-Ich heiße Wenzel Halek.«</p>
-
-<p>Sie setzte sich müde und traurig auf einen Stuhl.</p>
-
-<p>»Ja, ja, Hanka, so weit kann es kommen. Selbst den Namen
-muß man sich schließlich erschachern oder stehlen. Ich habe
-einem verbummelten Kerl seine Papiere abgekauft. Um fünfzig
-Kreuzer! Die fünfzig Kreuzer hat er noch vertrunken, und am
-anderen Tage ist er am Delirium in einem Spital gestorben,
-ohne noch einmal zur Besinnung zu kommen.«</p>
-
-<p>»O Gott, o barmherziger Gott!«</p>
-
-<p>»Ja, Hanka, ich will dir von vornherein sagen, in was
-für eine Welt du kommst. Ich sagte dir schon, du wirst es nicht
-ertragen. Ich &ndash; ich habe mich schon daran gewöhnt. Ich passe
-schon hierher!«</p>
-
-<p>»Samo!«</p>
-
-<p>»Ich heiße Wenzel! Vergiß das nicht! Samo ist tot &ndash; der
-neue Wenzel Halek ist ein Lump &ndash; er sauft ebenso wie der alte
-Wenzel Halek.«</p>
-
-<p>»Samo, Samo, was &ndash; was redest du&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Ich will dich nicht belügen. Ich bin ein Süffling geworden.
-Es gab Zeiten, wo ich durchschnittlich in der Woche siebenmal
-betrunken war. Das wird so, wenn man mit &ndash; mit Schatten
-kämpft und wenn man alles, was einem lieb war, verloren
-hat.«</p>
-
-<p>Er stieß es rauh, brutal, unbarmherzig heraus. Hanka sank
-mit dem Kopf auf den Tisch.</p>
-
-<p>Da öffnete sich die Tür, ohne daß angeklopft worden war.
-Eine dicke, alte Tschechin trat ein. Sie besah sich mit frecher
-Neugier Hanka.</p>
-
-<p>»Also &ndash; das ist die Frau Halek? Das ist das neue Frauchen?
-Ein schmuckes Frauchen! &ndash; Nu, Herzchen, wie gefällt es
-Ihnen hier? Ja, mein Fräulein, das Zimmer ist nicht groß, aber
-es ist gemütlich!«</p>
-
-<p>»Mach, daß du hinauskommst, alte Schwarte«, tobte Samo.</p>
-
-<p>»Oho, das ist meine Stube! Und Sie sind noch zehn Gulden
-schuldig.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_222">[222]</a></span></p>
-
-<p>»Kriegst du morgen! Und nun hinaus, <em class="antiqua">murguta Myrlawa!</em>«<a id="FNAnker_56_56"></a><a href="#Fussnote_56_56" class="fnanchor">[56]</a></p>
-
-<p>Er schob die Alte zur Tür hinaus.</p>
-
-<p>»Wer &ndash; wer ist diese Frau?« fragte Hanka betroffen.</p>
-
-<p>»Meine Wirtin.«</p>
-
-<p>»Was will sie? Sie nannte mich Fräulein. Hast du ihr nicht
-gesagt, daß ich deine Frau bin?«</p>
-
-<p>»Ich hab' es ihr gesagt. Aber solches Volk glaubt das nicht.
-Hier läuft alles durcheinander.«</p>
-
-<p>Sie nahm ihn ängstlich an der Hand.</p>
-
-<p>»Nicht wahr, Samo, wir werden eine ordentliche Stube
-nehmen und ein ordentliches Leben führen?«</p>
-
-<p>Er machte sich achselzuckend los von ihr.</p>
-
-<p>»Das geht nicht so auf einmal. Das fällt doch auf.«</p>
-
-<p>»Du kannst doch sagen, ich &ndash; ich habe dir das Erbteil mitgebracht&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Vorsichtig müssen wir sein. Ich werde sehen, was sich wird
-machen lassen.«</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p class="ph2">Ein und ein halbes Jahr waren seitdem wieder vergangen.
-In eine »ordentliche Stube« waren Samo und Hanka gezogen,
-hoch in den oberen Stock eines sauberen Hauses. Aber
-ein »ordentliches Leben« führten sie nicht.</p>
-
-<p>Samo war liederlich geworden.</p>
-
-<p>Er hielt es nicht aus in der engen Klause, wo das stille Weib
-saß und mit heimwehkranken Augen zum Fenster hinausstarrte,
-hinauf zu den Wolken, die am Himmel wanderten. Er wußte,
-daß ihre Sehnsucht immer mit auf die Reise ging, hinstrebte
-nach der wendischen Heimat, die für ihn und sie auf immer verloren
-war.</p>
-
-<p>Und er hatte keine geordnete Beschäftigung. Am Anfang
-hatte er manchmal Bücher aus einer Bibliothek besorgt und<span class="pagenum"><a id="Seite_223">[223]</a></span>
-etwas studiert. Aber was nutzte ihm das Studieren? Er interessierte
-sich in der Hauptsache für medizinische Schriften, und
-was in aller Welt sollte ihm noch die medizinische Wissenschaft
-nutzen? Wenzel Halek war nicht approbiert, Wenzel Halek hatte
-nur das Äußere mit Samo ziemlich ähnlich gehabt; geistig war
-er ein verlumpter Kerl gewesen, der sich keinerlei Qualifikationen
-erworben hatte. Das elende Leben Haleks, das im Delirium
-geendet war, mußte Samo nun fortsetzen.</p>
-
-<p>»Hat der erste Wenzel Halek gesoffen, kann auch der zweite
-Wenzel Halek saufen«, sagte er oft zynisch und brutal.</p>
-
-<p>Hanka vermochte nichts über ihn. Sie war ihm geistig nicht
-gewachsen; er unterhielt sich auf die Dauer nicht gern mit ihr,
-zumal sie nicht viel anderes zu reden wußte als von ihrer wendischen
-Heimat. Einmal hatten ihre Eltern auf Besuch kommen
-wollen; sie hatte es auf Samos Wunsch verhindern müssen.</p>
-
-<p>So war Hanka in schwerster Verlassenheit.</p>
-
-<p>Samo lief viel in die Wirtshäuser. Und er verkehrte in
-untergeordneten, schlechten Vorstadtlokalen. »Damit es nicht
-auffalle, daß er plötzlich mehr Geld habe«, gab er als Grund an.
-In Wirklichkeit hatte er &ndash; seit er aus der besseren Gesellschaft
-ausgestoßen war &ndash; einen Haß auf alles, was sicher, ordentlich,
-anständig erschien; er degradierte sich in tollem Grimm über
-sein Schicksal, ja in Haß gegen sich selbst mehr und mehr.
-Schließlich gewöhnte er sich an die wilde Gesellschaft.</p>
-
-<p>Pöbel saß in den niederen Gaststuben. »Flamender« werden
-diese Vagabunden des Lebens in Prag genannt: Diebe, Zuhälter,
-entlassene Sträflinge, Bettler, Trunkenbolde, Dirnen
-und dazwischen die große Schar der Entgleisten aus guten Familien:
-verbummelte Literaten und Studenten, Musiker, fortgelaufene
-Schüler, herabgekommene Komödianten, bankerotte
-Kaufleute. Der Massenhaftigkeit dieser Existenzen war es zuzuschreiben,
-daß in demselben Jahre in Prag, das damals zweihunderttausend
-Einwohner zählte, über zwanzigtausend Leute
-verhaftet wurden, also immer der zehnte Mensch. Und da wurde
-noch geklagt, die Polizei sei zu nachlässig!&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Der Tabaksqualm war heut ärger denn je. Die schmierige<span class="pagenum"><a id="Seite_224">[224]</a></span>
-Wirtin, der fettquabbelnde Wirt liefen her und hin, Fusel
-tragend und schlechten Wein. Zweimal war schon eine Prügelei
-gewesen, einmal war die Polizei einem Taschendieb nachgegangen,
-der sich hierher flüchtete, hatte ihn weggeholt und bei
-dieser Gelegenheit noch einen andern Kerl und ein Frauenzimmer
-mitgenommen.</p>
-
-<p>Jetzt war verhältnismäßig Ruhe. Ein paar Individuen
-unterhielten sich in der »Hantyrka«, der Gaunersprache, und
-manch ein Ohr lauschte hin, um etwas von dieser Kunst zu
-profitieren.</p>
-
-<p>Am Tisch bei Samo saßen noch zwei Männer, beide in
-schäbigen, abgetragenen Kleidern. Ihre Gesichter waren zerdunsen,
-von vielen schlimmen Leidenschaften entstellt. Aber jene
-Linien im Menschenantlitz, die aus den besten Jahren des Lebens
-stammen und deren tiefe Schönheit durch nichts von der Stirn
-wegzuwischen ist, waren auch noch in den Gesichtern jener
-Männer.</p>
-
-<p>Draußen läutete eine tiefe Glocke. Da sagte der eine:</p>
-
-<p>»Das ist die Veitsglocke! Ich erkenne sie am Klang. Sie hat
-mich oft genug zur Kirche gerufen.«</p>
-
-<p>»Du bist Katholik?«</p>
-
-<p>»Ich meine schon. Ich habe in jener Kirche ungezählte Male
-das Hochamt gesungen.«</p>
-
-<p>»Ach, du warst Priester?«</p>
-
-<p>Der andere zuckte die Schultern.</p>
-
-<p>»Prosit!« sagte er und trank seine ganze Flasche leer.</p>
-
-<p>»Siehst du, Pfäfflein,« sagte der zweite, »ich hab' mich mein
-ganzes Leben lang mit den Schwarzen nicht vertragen. Als ich
-noch Bezirksrichter war, habe ich ihnen zu schaffen gemacht.
-Jetzt ist's anders. Da sitze ich gemütlich hier mit dir. Laß mich
-einmal aus deiner Flasche trinken, Brüderlein! Pfui, leer &ndash;
-na also, die Kirche hat immer noch einen guten Magen.«</p>
-
-<p>Er lachte unflätig.</p>
-
-<p>»Ja,« fuhr er fort, »da sitzt man hier mit sechs Kreuzern in
-der Tasche. Wo sind nun die Mündelgelder, die ich geschluckt
-haben soll? Der Teufel hol' die ganze Gesellschaft!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_225">[225]</a></span></p>
-
-<p>»Ein Cikán! Ein Cikán!«</p>
-
-<p>Ein Zigeuner trat in die Stube und verlangte Schnaps. Er
-hatte ein schwarzes Weibsbild mit, das alsbald die Karten aufschlug
-oder aus der Hand weissagte. Sie erhielt nur einige
-Kreuzer für ihre Kunst; aber alles lauschte gespannt und gläubig
-ihren Worten. Sie mischte ihre Vorhersagungen aus buntem
-Glück und schwarzem Unheil, prophezeite goldene Reichtümer
-oder auch den Tod am Galgen. Da gab es Gelächter und Zähneknirschen.
-Auch der frühere Geistliche hielt ihr seine Hand hin.
-Sie sah ihn einige Augenblicke forschend an. Dann sprach sie:</p>
-
-<p>»Du bist der Luzifer, der vom Himmel in die Hölle gefallen
-ist. Und du wirst dort liegen bleiben!«</p>
-
-<p>»Hallo, sie weiß alles! Der Luzifer! Das ist nicht schlecht!
-Er ist ein Pater gewesen! Aber das ist doch lange keine Hölle
-hier, Zigeunerweib?! Oder doch eine lustige Hölle! Laßt uns
-trinken!«</p>
-
-<p>Auch an Samo trat die Zigeunerin heran. Er dachte an die
-alte Wičaz zu Haus, die ihm einmal geweissagt hatte, und hielt
-seine Hand hin. Die Zigeunerin betrachtete erst sein Gesicht,
-dann seine Hand und sagte:</p>
-
-<p>»Es sind zwei Blutflecken in deinem Leben. Einer ist von
-einem Fremden, der andere ist von deinem eigenen Blut. Es ist
-ein anderer schuld, daß du hier bist. Du wirst dich an ihm
-rächen.«</p>
-
-<p>Samo nickte düster.</p>
-
-<p>»Du scheinst deine Sache besser zu verstehen als die alte
-Wičaz. Was faselte sie von den zwei Adlern? Nun wird wohl
-nicht der eine im Lóbjofluß ertrinken, sondern der andere in der
-Moldau.«</p>
-
-<p>Er warf der Zigeunerin einen Gulden hin.</p>
-
-<p>Da setzte sie sich auf sein Knie, küßte ihn auf die Wange
-und flüsterte ihm dann ins Ohr:</p>
-
-<p>»Mach dir nichts aus dem, was ich dir gesagt habe. Aber
-wenn du einen Feind hast, räche dich!«</p>
-
-<p>In der Nähe der Tür saß ein Slowak. Er war aus dem
-fernen ungarischen Karpathenwald vor Jahr und Tag ausgewandert<span class="pagenum"><a id="Seite_226">[226]</a></span>
-und hatte Weib und Kind daheim gelassen. Mit
-Mausefallen hatte er gehandelt, sich durch Drahtbinden seine
-Kreuzer sauer verdient. Er hatte fast allen Verdienst erspart, nur
-von übriggebliebenem Essen anderer gelebt und war nun, da er
-sechzig Gulden im Beutel hatte, ein wohlhabender Mann, der
-in seine arme Heimat zurückkehren und sich dort ein Häuschen
-kaufen wollte.</p>
-
-<p>Nun war er müde an der Tür eingeschlafen. Er saß auf
-bloßer Erde; die anderen ließen ihn nicht bei sich sitzen, denn er
-trug sein fettgetränktes Hemd schon ein ganzes Jahr. Aber als
-die Zigeunerin herumging, stand einer der Gäste auf, trat an
-den Slowaken heran und rüttelte ihn.</p>
-
-<p>»He, Slowak, wach auf, laß dir eine Grafschaft prophezeien.«</p>
-
-<p>Einige lachten. Der müde Slowak brummte etwas und
-schlief weiter.</p>
-
-<p>Da kam ein »Kastelmann« in die Stube, ein Händler mit
-Kämmen, Knöpfen, Spiegeln, Tabakspfeifen und anderem
-Kleinkram. Er machte geringe Geschäfte. Während er noch
-schacherte, erwachte der Slowak und fing plötzlich laut an zu
-schreien.</p>
-
-<p>Sein Geldbeutel mit den sechzig Gulden, an denen er fast
-zwei Jahre fern der Heimat gespart hatte, war verschwunden.
-Der arme Mann schrie, jammerte, warf sich auf die Erde, schlug
-verzweiflungsvoll mit Armen und Beinen.</p>
-
-<p>»Der Cikán! Der Cikán!« schrie einer.</p>
-
-<p>Der Zigeuner und die Zigeunerin waren verschwunden.</p>
-
-<p>»Nein, nicht der Cikán!« rief Samo, »sondern dieser da,
-der vorhin den Slowaken gerüttelt hat. Heraus mit dem
-Geld!«</p>
-
-<p>Der Angegriffene tobte und fluchte und ging auf Samo los.
-Samo aber rief in das Lokal hinein:</p>
-
-<p>»Wir sind alle arme Leute! Wir müssen auf uns halten.
-Hier darf keinem was passieren. Da könnte sich keiner mehr hertrauen.«</p>
-
-<p>Nun hatte er die meisten für sich. Dem Dieb wurde der<span class="pagenum"><a id="Seite_227">[227]</a></span>
-Beutel, den er in der Tat hatte, entrissen, und der Slowak kam
-zu seinem Gelde.</p>
-
-<p>Er fiel vor Samo auf die Knie und küßte ihm die Hand.</p>
-
-<p>»O danke, Pán, o danke, Pán!«&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Von der Tür aus sah ein hochgewachsener junger Mann der
-Szene zu. Als Samo aufschaute, erkannte er seinen früheren
-Freund Bohuslaw, den Neffen des alten Krok.</p>
-
-<p>Er machte sich rasch von dem Slowaken, der immer noch
-seine Hand hielt, los, bezahlte seine Zeche und trat mit Bohuslaw
-auf die Straße.</p>
-
-<p>»Das war wieder einmal echt königlich«, sagte Bohuslaw
-draußen.</p>
-
-<p>»Was willst du hier?« fragte Samo unwirsch.</p>
-
-<p>»Ich habe dich überall gesucht! Seit langer, langer Zeit
-haben wir nichts mehr von dir gehört; wir glaubten schon,
-du seist gar nicht mehr in Prag.«</p>
-
-<p>»Ich habe bei euch nichts zu suchen! Ihr seid ja anständige
-Leute!«</p>
-
-<p>Er lachte höhnisch. Sie gingen ein Stückchen die Straße
-entlang. Da setzte sich Samo auf eine niedere Gartenmauer.</p>
-
-<p>»Weiter gehe ich nicht mit dir!« sagte er.</p>
-
-<p>Bohuslaw setzte sich neben ihn.</p>
-
-<p>»Sollten wir nicht lieber in ein besseres Lokal&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Ich gehöre in kein besseres Lokal. Dort in die Spelunke
-gehöre ich! Da brauche ich mich wenigstens vor den andern
-nicht zu schämen.«</p>
-
-<p>»Du brauchst dich überhaupt nicht zu schämen, Samo!«
-sagte Bohuslaw traurig.</p>
-
-<p>»Nicht?! Verzeih, daß ich lache. Aber du bist zu gütig!
-Ich brauche mich nicht zu schämen? Das ist gut! Nein, nein,
-Pán Bohuslaw, das steht doch anders! Aber es wird noch
-mancherlei dazukommen! Vorhin hat mir eine Zigeunerin
-geweissagt. Unsinn. Oder vielleicht nicht Unsinn &ndash; ich weiß
-es nicht! Das eine, was sie sagte, stimmte: Ein Fremder ist
-schuld an meinem Unglück, und an dem soll ich mich rächen!
-Und dieser Fremde ist dein elender, verfluchter Onkel Krok.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_228">[228]</a></span></p>
-
-<p>»Samo!«</p>
-
-<p>»Ist dies nicht die Wahrheit?! Ich war ein ehrlicher Kerl;
-ich wollte meine slawische Überzeugung mit ehrlichen Waffen
-durchkämpfen; da ist dieser verrückte Altertumskrämer in mein
-Leben getreten und hat mich auch verrückt gemacht! Mit seinem
-Kerzengeflimmer und Altarklimbim hat er mich so sentimental,
-so duselig, so toll gemacht, daß ich schließlich auf seine hirnverbrannten
-Ideen eingegangen bin.«</p>
-
-<p>»Samo, darf ich etwas zur Verteidigung des alten Krok
-sagen?«</p>
-
-<p>Samo antwortete nicht. Da fuhr Bohuslaw fort:</p>
-
-<p>»Erinnere dich, Samo, wie die Sache eurer Lausitzer Sorben
-stand, als du meinen Onkel kennen lerntest. Du selbst gabst
-ihre Sache fast verloren. Und den Hauptschlag gegen das
-Slawentum an der Sprewja fürchtetest du von deinem Bruder
-Juro, der gedroht hatte, den Kronenhügel aufzugraben und
-so den einfachen Leuten da oben den Beweis zu erbringen, daß
-es eine wendische Krone nicht gäbe. Da hat dir der alte Krok
-gesagt: Symbole sind für das Volk alles. Sieht das Volk, daß
-das Symbol fehlt, dann vergeht ihm der Glaube, dann ist die
-slawische Sache der Lausitz verloren, dann wird die Lausitz
-deutsch!«</p>
-
-<p>»Was wärmst du den alten Kohl auf?«</p>
-
-<p>»Um Krok zu verteidigen. Er hat es ehrlich gemeint.«</p>
-
-<p>»Ehrlich! Indem er mich zu dem ungeheuren Betrug
-verleitete.«</p>
-
-<p>»Er hielt es nicht für Betrug. Die wendische Krone ist in
-Wahrheit da, die ideelle Krone, das war und ist seine Überzeugung.
-Die Kralswürde ist echt. Und der Glaube daran darf
-nicht an der äußerlichen Tatsache scheitern, daß die substanzielle
-Krone fehlt oder wenigstens dort fehlt, wo man sie vermutete.«</p>
-
-<p>»Ja, und also haben wir uns eine Krone machen lassen und
-sie im Kronenhügel eingegraben. Eine kluge und herrliche Tat
-fürwahr! Oder vielleicht auch eine romantische Schufterei.«</p>
-
-<p>»Krok hat doch alles anders geraten, als du es ausgeführt
-hast. Er hat dir doch geraten, nachdem die Krone eingegraben<span class="pagenum"><a id="Seite_229">[229]</a></span>
-war, dafür zu sorgen, daß du selbst sie vor vielen Zeugen ausgraben
-und nach einem würdigeren Platz bringen solltest, etwa
-nach eurer Heimatkirche. Dann war der Glaube befestigt, dann
-konnte auch nichts passieren, dann konnte ja nichts entdeckt
-werden.«</p>
-
-<p>Samo sprang von der Mauer herab.</p>
-
-<p>»Siehst du, Bohuslaw, und das brachte ich nicht fertig.
-So einen Quark, so einen betrügerischen Schmarren, den hier
-in Prag ein Pfuscher gemacht, nach dem Altar unserer Heimatkirche
-bringen, das vermochte ich nicht. Ich ließ es darauf ankommen.
-Grub Juro den Hügel nicht auf &ndash; nun gut &ndash; dann
-war alles nicht nötig. Grub er ihn auf, dann war ihm die
-Überraschung zu gönnen, und der Beweis für unsere Leute
-war gebracht. Aber das Ding, das mir dein Onkel gegeben hat,
-war ein elendes Pfuschwerk, dessen Unechtheit ein simpler
-deutscher Student erkannte.«</p>
-
-<p>»Die Kopie der Krone wurde getreu nach der alten Krone
-Przemisls gemacht; mein Onkel hat die Arbeit selbst Tag und
-Nacht überwacht.«</p>
-
-<p>»Ja, weil er um seinen Schatz fürchtete. Warum gab er
-nicht seine echte, alte Krone, wenn ihm so viel daran lag, den
-slawischen Gedanken an der Sprewja zu befestigen? Weil er
-ein selbstsüchtiger Geizhals ist! So wurde ein Stümperwerk
-geschaffen, das mich ins Verderben brachte.«</p>
-
-<p>»Krok hat gewollt &ndash; ich sage es noch einmal &ndash;, du selbst
-solltest den Wenden die Notwendigkeit klarmachen, die Krone
-auszugraben und nach einem sicheren Ort zu bringen, da sie
-durch Juro bedroht sei. Hättest du das getan, <span id="corr229">wär</span> alles gut.«</p>
-
-<p>»Und &ndash; ich sag' es auch noch einmal &ndash; ich konnte es nicht!
-Ich brachte es nicht fertig, den Quark ans Licht zu ziehen und
-in unsere Kirche zu bringen. Oh, und dann hat mich doch &ndash;
-doch der Vater gezwungen, das falsche Ding auf dem Kirchhof
-zu begraben über dem Kopf meiner Mutter. Und das, Mensch,
-das ist es, was mich wie ein Fluch verfolgt, das war es, was
-mir schon am nächsten Tag den Sinn so verwirrte, daß ich den
-Feind niederstach, der die Fälschung entdeckt hatte. Das ist es,<span class="pagenum"><a id="Seite_230">[230]</a></span>
-was mir noch jetzt keine Ruhe läßt. Ich sehe in den Nächten
-nichts anderes als den Totenkopf meiner Mutter mit der
-falschen Krone. Ich sage dir, ein schlechter Spaß ist das, ein
-sehr schlechter Spaß ist das! Und wenn ich noch verrückt werde,
-werde ich darüber verrückt!«</p>
-
-<p>Bohuslaw seufzte schwer auf.</p>
-
-<p>»Und deswegen,« fuhr Samo ingrimmig fort, »deswegen
-bin ich hier, bin ich ein Säufer, ein Verfolgter. Aber ich werde
-das tun, wozu mir die Zigeunerin riet, ich werde mich an dem
-alten Krok rächen, der mich vom geraden Pfade ehrlichen
-Kampfes abbrachte und mit allerlei blödem romantischem
-Geschwätz auf diesen elenden Irrweg lockte. Leb wohl, ich gehe
-nach dem Wirtshaus zurück.«</p>
-
-<p>»Samo!«</p>
-
-<p>Er ließ sich nicht halten; er ging wieder nach der Kaschemme.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p class="ph2">Drei Tage später war Hanka wieder allein. Samo war
-schon am frühen Morgen fortgegangen. Es war wieder
-eine schreckliche Nacht gewesen. Erst spät war er nach Hause
-gekommen, mehr betrunken als sonst. Und er hatte wieder soviel
-laut geredet im Schlaf. Das Schrecklichste war, wenn er schrie:</p>
-
-<p>»Mutter, nimm die Krone vom Kopf, nimm die Krone vom
-Kopf! Mutter, sie drückt dich! Mutter, ich kann es nicht leiden,
-daß du die Krone auf dem Kopf hast!«</p>
-
-<p>Dann sprang er oft aus dem Bett, dann zitterte er und
-streckte die Hände entsetzt von sich, dann schluchzte und weinte
-er, bis er erwachte und erschöpft ins Bett zurücksank. Was er
-nur mit der Krone hatte! Er sprach niemals ein gutes Wort von
-ihr; sein Gesicht wurde finster, wenn die Krone nur erwähnt
-wurde.</p>
-
-<p>Und doch, war er nicht ein Märtyrer der alten Krone?
-Hatte er sie nicht verteidigt gegen Frevlerhände, mußte er nicht
-Schmach und Verachtung für sie erdulden, war es nicht die
-Krone, um derentwillen er Heimat und Ehre verlor?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_231">[231]</a></span></p>
-
-<p>Um dieses Martyriums willen liebte Hanka ihren Mann,
-hatte sie für seine Verirrungen nichts als liebendes Bedauern.</p>
-
-<p>Nun saß sie wieder einmal allein. Sie nähte an kleiner
-Wäsche für das Kind, das sie erwartete. Sie freute sich auf
-dieses Kind. Vielleicht würde Samo erlauben, daß ihre Eltern
-zur Taufe kämen. Das würde doch ein Lichtblick sein in ihr so
-dunkles, einsames Leben; vielleicht würde Samo gar ordentlicher
-werden, mehr zu Haus bleiben, wenn erst das Kindchen da war.
-Dann würde Hanka zufrieden sein.</p>
-
-<p>Da klopfte es an die Tür, und es stürzte ein alter Mann in
-höchster Aufregung ins Zimmer.</p>
-
-<p>»Sind Sie &ndash; sind Sie Frau Halek?«</p>
-
-<p>»Ja, &ndash; was wollen Sie?«</p>
-
-<p>»Sind Sie die Frau Samos?«</p>
-
-<p>»Mein Mann heißt Wenzel Halek.«</p>
-
-<p>»Ja, gut, gut; aber ich weiß, wer er ist, woher er stammt.
-Wo ist Ihr Mann?«</p>
-
-<p>»Das weiß ich nicht! Wer sind Sie? Was wollen Sie?«</p>
-
-<p>»Wo ist Ihr Mann?« schrie der Alte.</p>
-
-<p>»Ich weiß es nicht!«</p>
-
-<p>»Sie wissen es bestimmt! Sie wissen auch, wo die Krone
-ist! Wo ist meine Krone? Meine kostbare Krone?«</p>
-
-<p>Der Alte brüllte es. Hanka sah ihn erschrocken und verängstigt
-an. Sie glaubte, einen Irrsinnigen vor sich zu haben.
-Verzweiflungsvoll fuhr sich der Mann mit beiden Händen über
-den kahlen Kopf.</p>
-
-<p>»Wenn Sie es nicht sagen, dann hole ich die Polizei! Dann
-lasse ich alle einsperren &ndash; alle!«</p>
-
-<p>»Was wollen Sie eigentlich von meinem Mann?«</p>
-
-<p>»Die Krone hat er mir gestohlen. Aus dem Altar heraus
-hat er sie mir gestohlen. Hat sich eingeschlichen, weil er meine
-Wirtschafterin kennt!«</p>
-
-<p>»Was für eine Krone? Was redet Ihr immer von einer
-Krone?«</p>
-
-<p>»Die Krone Przemisls. Die echte Krone! Das Heiligtum!
-Die Krone, nach der Ihre wendische Krone gemacht worden ist.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_232">[232]</a></span></p>
-
-<p>Noch immer sah ihn Hanka fassungslos an.</p>
-
-<p>»Die wendische Krone gemacht worden ist&nbsp;&ndash;?« wiederholte
-sie verständnislos.</p>
-
-<p>»Nun ja, ich hab' doch meine echte böhmische Krone hergeliehen,
-daß sich Samo eine Krone machen lassen konnte&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Eine Krone machen lassen konnte&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;? Wozu braucht
-Samo jetzt eine Krone?«</p>
-
-<p>»Jetzt?! Frau, verstellen Sie sich nicht! Wer redet von
-›Jetzt?‹ Damals &ndash; als er die Krone für den wendischen
-Königshügel brauchte, &ndash; als er sich die Krone machen ließ&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Für &ndash; für unseren &ndash; unseren Hügel?!«</p>
-
-<p>Hanka fragte es mit entsetzt starrenden Augen. Ein grausiges
-Licht ging ihr auf.</p>
-
-<p>»Nun, natürlich für Ihren Hügel &ndash; Sie verstellen sich doch
-bloß &ndash; Sie müssen doch das wissen als seine Frau. Und das
-ist der Dank, daß er mir&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Er hielt inne. Die Frau vor ihm war ohnmächtig zusammengesunken.</p>
-
-<p>»Was ist das? Was ist mit ihr? &ndash; Aah &ndash; Sie erschrak
-vor der Polizei! O hätt' ich doch &ndash; hätt' ich doch &ndash; meine
-Krone&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Er begann die ganze Stube zu durchsuchen, öffnete den
-Schrank, riß die Schübe auf, wühlte alles durcheinander.
-Darüber kam Samo nach Haus.</p>
-
-<p>»Was geht hier vor? &ndash; Was macht der alte Halunke? &ndash;
-Stiehlt er? &ndash; Ahnt' ich es doch!«</p>
-
-<p>Er schloß die Tür hinter sich ab.</p>
-
-<p>»Meine Krone will ich &ndash; meine Krone will ich &ndash; wo hast
-du sie &ndash; du &ndash; du …« brüllte der Alte. Samo schob ihn
-beiseite.</p>
-
-<p>»Hanka &ndash; was ist mit Hanka? Hat sie der Lump erschlagen?«</p>
-
-<p>»Sie ist von selbst umgefallen. Ich habe ihr nichts getan.«</p>
-
-<p>»Hast du es ihr gesagt, daß wir unsere Krone nach deiner&nbsp;…«</p>
-
-<p>Der Alte nickte. »Ich glaubte, sie wüßte es! Und es ist
-alles egal &ndash; alles egal &ndash; meine Krone will ich.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_233">[233]</a></span></p>
-
-<p>»Oh, du &ndash; du &ndash; du Lump &ndash; auch das noch &ndash; auch das
-noch!«</p>
-
-<p>Samo schüttelte den alten Mann, daß ihm der Atem ausging.
-Dann raffte er Hanka auf und legte sie aufs Bett. Dabei
-erwachte sie. Sie schaute entsetzt auf Samo:</p>
-
-<p>»Ist es wahr, was jener Mann dort&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Ja,« stieß Samo heiser heraus, »es ist wahr! Nun sollst
-du's schon wissen!«</p>
-
-<p>Da schloß Hanka die Augen und rührte sich nicht mehr.</p>
-
-<p>»Meine Krone will ich, meine heilige Krone will ich!« heulte
-wieder der Alte.</p>
-
-<p>Samo stieß ihn auf einen Stuhl.</p>
-
-<p>»Deine heilige Krone habe ich verkauft!«</p>
-
-<p>Der Alte schrie auf.</p>
-
-<p>»Ich habe sie an einen Matrosen verkauft, der hier zu Besuch
-war und jetzt über alle Berge ist.«</p>
-
-<p>»Das kann nicht wahr sein, das kann nicht wahr sein,«
-heulte Krok; »das gibt Gott nicht zu!«</p>
-
-<p>»Laß Gott aus dem Spiel, alter Lump! Deine Krone wird
-in irgendeinem Hafenort verschachert oder eingeschmolzen
-werden. Fünf Gulden habe ich dafür bekommen. Da hast du
-das Geld!«</p>
-
-<p>Er warf es dem Alten vor die Füße. Der schnappte nach
-Luft, brachte aber kein Wort mehr heraus.</p>
-
-<p>»Siehst du, alter Krok, das ist meine Rache! Eine viel zu
-winzige Rache. Ich habe dir einen alten Silberscherben genommen,
-der tot und leblos war; du hast mir die lebendige
-Krone meines Volkes vom Haupte gerissen, du hast aus dem
-künftigen Wendenkral einen versoffenen Vagabunden gemacht.
-Wenn ich sage, wir sind quitt, bin ich großmütig. Ich zerstörte
-dir eine Marotte, du zerstörtest mir das Leben.«</p>
-
-<p>Nun schlug der alte Krok einen andern Ton an:</p>
-
-<p>Mit gefalteten Händen stand er vor Samo:</p>
-
-<p>»Erbarme dich, Samo, erbarme dich! Sei großmütig,
-wirklich großmütig! Gib mir die Krone wieder!«</p>
-
-<p>»Gib du mir meine Krone wieder, wenn du kannst!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_234">[234]</a></span></p>
-
-<p>»Sieh es ein, Samo, ich habe es gut mit dir gemeint.
-Denke an die schöne, feierliche Nacht, da du zuerst bei mir
-warst.«</p>
-
-<p>»Ich verfluche diese Nacht; sie war der Anfang zu meinem
-Verderben.«</p>
-
-<p>»Es mußte doch so sein, wenn das Slawentum bei euch
-gerettet werden sollte &ndash; sieh es doch ein!«</p>
-
-<p>»Nein, es mußte nicht so sein!«</p>
-
-<p>»Ich habe es dir anders geraten&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Ich weiß, was du mir geraten hast. Selbst sollte ich die
-Krone ausgraben oder von dieser Frau dort, die damals noch
-ein Mädchen war, mit einer versilberten Schaufel ausgraben
-lassen und die Krone nach meiner Heimatkirche übertragen. &ndash;
-Ich konnte es nicht; ich brachte diese elende Komödie nicht
-fertig&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Völker sind oft durch Komödien geleitet worden, Samo,
-tausendmal sind Völker durch ein Spiel, das ihre Phantasie
-ergötzte, zum Glück und zur Größe geführt worden. Wer
-das nicht wagt, was kleine Leute Betrug nennen, kann nicht
-der Führer eines Volkes sein; denn die Völker wollen und müssen
-von Zeit zu Zeit betrogen werden. Es gibt keinen Staat der
-Welt, wo so etwas nicht bewußt geschehen wäre.«</p>
-
-<p>»Das ist deine Sophistik!«</p>
-
-<p>»Du hast ihr zugestimmt. Und dann ist das Ganze an deiner
-Schwäche gescheitert.«</p>
-
-<p>»An meiner Ehrlichkeit!«</p>
-
-<p>»Nenne es, wie du willst! Aber wenn du ehrlich bist, gib
-mir die Krone wieder, die du aus meiner Kapelle geholt hast.
-Ich bitte dich um Himmel und Erde willen, gib mir die Krone!«</p>
-
-<p>Hanka sprang vom Bett auf. Finster schaute sie auf Samo.</p>
-
-<p>»Gib ihm die Krone zurück! Sei wenigstens kein Dieb!«
-sagte sie hart.</p>
-
-<p>»O gute Frau! O brave Frau Hanka!«</p>
-
-<p>Samo lachte laut und lange. Er wandte sich an Hanka:</p>
-
-<p>»Nun hast du mich also ganz erkannt, Hanka! Ein Prachtkerl,
-nicht wahr? Und das, was ich bin, bin ich durch diesen<span class="pagenum"><a id="Seite_235">[235]</a></span>
-Mann. Schau ihn an, den kahlen Affen! Er hat kein anderes
-Ideal als alten Kram, in dem er sich wohlfühlt. Ich wußte,
-daß ich ihn nicht ärger treffen konnte, als daß ich ihm seine
-alte Krone nahm; deshalb nahm ich sie ihm, und deshalb bleibt
-sie ihm genommen.«</p>
-
-<p>»Samo, erbarme dich&nbsp;…«</p>
-
-<p>Der Alte fiel vor ihm auf die Knie.</p>
-
-<p>Da nahm Samo seinen Hut und stürmte davon. Der Alte
-lief ihm wimmernd und händeringend nach.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p class="ph2">Der trübe Tag verging, eine sternenlose Nacht folgte ihm.
-Und als auch sie vorüber war und das fahle Morgenlicht
-durch die Straßen schlich wie ein zu früh gewecktes, müdes
-Kind, das auf Arbeit ausgehen muß, da verließ Samo das
-Wirtshaus, in dem er so lange gewesen war, und irrte erst
-ziellos durch die Gassen und kam schließlich, von innerem
-Drang geleitet, an das Haus des alten Krok.</p>
-
-<p>Was er dort wollte, wußte er nicht; er wollte sich wohl mit
-dem alten Manne weiter streiten. Es tat ihm wohl, mit ihm
-Händel zu haben. So klopfte er an die Tür.</p>
-
-<p>Nur wenige Minuten, und die alte Haushälterin kam und
-erschrak so vor Samo, daß sie sich auf die Treppe setzen mußte.
-Samo schloß die Tür von innen und ließ die Alte sitzen, nachdem
-er ihr unter einer rauhen Drohung verboten hatte, Lärm
-zu schlagen. Das Weiblein duckte sich zitternd und heulend
-zusammen.</p>
-
-<p>Oben im Eckzimmer war Licht, auch der Nebenraum war
-erleuchtet. Aber Krok war nicht zu sehen. Da ging Samo nach
-der Kapelle.</p>
-
-<p>Sie war hell erleuchtet. Ungezählte Kerzen flammten.</p>
-
-<p>Der beraubte Tabernakel des Altars stand offen.</p>
-
-<p>Und auf den Stufen des Altars lag lang dahingestreckt der
-alte Krok und war tot.</p>
-
-<p>Regungslos stand Samo, starrte mit stumpfem Sinnen<span class="pagenum"><a id="Seite_236">[236]</a></span>
-in das Kerzengeflimmer und dann wieder auf den toten Greis.
-Lange stand er so. Dann aber war es, als würden die Heiligen
-und Helden an den Wänden lebendig.</p>
-
-<p>Wenzeslaus schwenkte seine Fahne, der große König Karl
-stieg aus dem Bilde, Wallenstein zückte den Degen, Przemisl,
-der König, dessen Krone geraubt worden war, sprang auf von
-seinem Pflug.</p>
-
-<p>Da lief Samo davon, die Treppe hinab, hinaus auf die
-Straße.</p>
-
-<p>Die kühle Morgenluft ernüchterte ihn. Er ging zwei oder
-drei Straßen weiter, dann setzte er sich müde auf die Stufen,
-die zu einer Kirchenpforte emporführten.</p>
-
-<p>Krok war tot. Weil er die Krone verloren hatte! Weil das
-alte Heiligtum nun ein wüster Matrose irgendwo versetzte und
-das Geld, das er dafür bekam, verliederte.</p>
-
-<p>Ei, alter Krok, dir ist es schlecht ergangen!</p>
-
-<p>Aber ich habe auch keine Krone. Ich bin auch tot.</p>
-
-<p>Tröste dich! Siehe, der dort auf der Straße dahertorkelt,
-der war früher ein Priester. Siehst du, wie er stehen bleibt?
-Siehst du, wie er ein paar Sekunden lang her auf die Kirche
-sieht? Da hat er früher Hochamt gehalten, und an seinem
-Altar brannten viele Lichter.</p>
-
-<p>Er hat auch eine Krone verloren.</p>
-
-<p>Viel, viel Menschen verlieren eine kostbare, alte Krone,
-sinken von einem Thron in den Pfuhl.</p>
-
-<p>Tröste dich also, alter, toter Krok! Ich will jetzt nicht mehr
-bös auf dich sein. Davon hast du schon etwas; denn ich bin doch
-ein Königssohn. Weißt du noch, wie du mich vergöttert hast?
-Wie du mir die Hand küßtest? Es ist dumm genug, daß alles
-so kommen mußte!</p>
-
-<p>Als es heller wurde, ging Samo nach Hause.</p>
-
-<p>Nun kam noch ein ernstes Wort mit dem Weibe. Am Ende
-war der auch Unrecht geschehen. Aber Unrecht muß geschehen,
-Hanka, muß! Hast halt auch Unglück gehabt. Glaubtest, einen
-künftigen König zu heiraten, und bekamst einen Lumpen&nbsp;…</p>
-
-<p>Die Stube war leer.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_237">[237]</a></span></p>
-
-<p>Auf dem Tische lag ein Zettel. In Hankas wenig geübten
-Schriftzeichen stand darauf zu lesen:</p>
-
-<p>»Ich habe bei dir ausgehalten, weil ich glaubte, du seiest
-im Recht. Jetzt gehe ich fort. Ich will unser Kind ordentlich
-erziehen oder es doch zu guten Leuten bringen. Deiner mag sich
-Gott erbarmen. Hanka.«</p>
-
-<p>Samo las den Zettel zweimal, dann nickte er mit dem
-Kopf.</p>
-
-<p>»Es stimmt!«</p>
-
-<p>Ein paar Minuten starrte er stumpf vor sich hin. Dann
-öffnete er die Kommode und durchsuchte sie. Dabei brummte er:</p>
-
-<p>»Es war doch &ndash; es war doch &ndash; ein Strick im Schube!
-&ndash; &ndash; Wo ist er nur &ndash; ist er nur? Immer, wenn man was
-braucht, findet man's nicht. Wo ist nur der Strick?«</p>
-
-<p>Beim Suchen fiel ihm eine Geldbörse in die Hand.</p>
-
-<p>»Das Geld hat sie dagelassen &ndash; hat sie dagelassen &ndash; o ja,
-anständig war sie&nbsp;…«</p>
-
-<p>Er trat ans Fenster und stand dort regungslos wohl eine
-Viertelstunde. Der junge Morgen leuchtete ihm ins Gesicht.</p>
-
-<p>Da steckte er die Börse und einige Papiere zu sich, verließ
-das Zimmer, schloß es ab und trat wieder auf die Straße.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p class="ph2">Es war an einem regnerischen Märzabend des Jahres 1866.
-Eine Frau erschien an der Tür Juros, der in einer ansehnlichen
-deutschen Stadt als Arzt lebte. Die Frau begehrte
-den Herrn Doktor zu sprechen.</p>
-
-<p>Das Dienstmädchen öffnete eine Tür.</p>
-
-<p>»Sie wünschen?« fragte der Doktor.</p>
-
-<p>Die Frau rührte sich nicht. Sie blieb an der Tür stehen.
-Da kam ihr Juro näher.</p>
-
-<p>»Womit kann ich Ihnen &ndash; &ndash; Hanka! Hanka! Hanka!
-&ndash; Bist du es wirklich? &ndash; Komm &ndash; nimm meinen Arm!
-Setze dich! Aber, Hanka, reg dich doch nicht so auf! Sei doch
-ruhig! Wir wollen ja ganz ruhig sprechen. Rege dich nicht auf!<span class="pagenum"><a id="Seite_238">[238]</a></span>
-Wir kommen schon zum Ziel. Sei doch ruhig &ndash; fürchte dich
-nicht!«</p>
-
-<p>»Ich komm &ndash; ich komm um Verzeihung bitten &ndash; ich&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Was? Laß das, Hanka! Werde erst ruhig! Laß mich lieber
-fragen. Du warst bei Samo, bei deinem Manne, nicht wahr?«</p>
-
-<p>»Ja &ndash; er &ndash; er hat &ndash; hat alle betrogen &ndash; er hat &ndash; hat
-die Krone eingegraben &ndash; und sie war &ndash; war gefälscht!«</p>
-
-<p>Sie weinte leidenschaftlich. Juro faßte sie an beiden
-Händen.</p>
-
-<p>»Liebes Kind, das weiß ich schon, das ist mir ja nichts
-Neues &ndash; reg' dich doch darum nicht so auf! Das ist eine alte
-Geschichte für mich, die nun endlich vergessen sein soll.«</p>
-
-<p>»Ich bin &ndash; bin bei ihm geblieben, bis ich das wußte. Aber
-jetzt &ndash; jetzt konnte ich nicht mehr.«</p>
-
-<p>»Du bist fort von ihm?« sagte Juro düster. »Du hältst
-es bei ihm nicht aus?« Weiteres mochte er nicht fragen.</p>
-
-<p>Hanka aber sagte unter einem Strom von Tränen:</p>
-
-<p>»Er ist &ndash; ist ganz liederlich geworden &ndash; er erträgt es nicht,
-daß er so ausgestoßen ist &ndash; und ich &ndash; ich erwarte ein Kind &ndash;
-und das Kind kann da nicht aufwachsen, nicht bei diesen
-schrecklichen Menschen in Prag &ndash; nicht, wo ich jetzt alles
-weiß&nbsp;…«</p>
-
-<p>Juro sah sie mitleidig an. Er streichelte ihr den Kopf, und
-sie schwieg eine lange Weile, ehe sie sich fassen konnte. »Und
-nun bin ich gekommen,« fuhr sie dann fort, »um Verzeihung
-zu bitten &ndash; dich und deine Frau und deinen Schwager Heinrich
-und unsern alten &ndash; alten Vater Hanzo.«</p>
-
-<p>Da stand Juro auf.</p>
-
-<p>»Nein,« rief er, »nein, Hanka, der Vater darf davon nichts
-wissen, der darf nie, nie erfahren, daß die Krone gefälscht war.«</p>
-
-<p>»Er muß es doch erfahren!«</p>
-
-<p>»Nein, Hanka! Sieh, ich bin nicht mehr der alte. Wohl
-erkenne ich jetzt noch meine Prinzipien als richtig, wohl glaube
-ich jetzt noch, daß für unser Wendenvölklein allein im innigsten
-Anschluß an die Deutschen das Heil liegt, aber ich weiß auch,
-daß ich nicht unschuldig bin an allem, was geschehen ist. Ach,<span class="pagenum"><a id="Seite_239">[239]</a></span>
-Hanka, uns arme Menschen quält alle eine Schuld. Keiner von
-uns ist weiß wie Schnee, keiner von uns ist schwarz wie die
-Nacht.«</p>
-
-<p>Er sah ein Weilchen vor sich hin, dann fuhr er fort: »Mein
-Jugendungestüm, oder sage ich ruhig, mein geistiger Hochmut,
-hat mich verleitet, rücksichtslos mein Ziel zu verfolgen, hat
-alles kluge Abwarten vereitelt. Daß ich den Hügel aufgrub,
-war nicht recht! Die Schicksale der Völker gehen ihren Weg wie
-die großen Ströme; es ist töricht, unsere paar Hände voll
-Sand gegen sie zu werfen. Und es ist sündhaft, altes, gläubiges
-Vertrauen ohne Not niederzureißen. Selbst Gottes Sonne
-schmilzt ja altes Eis nicht an einem Tag.«</p>
-
-<p>Wieder machte er eine Pause, ehe er weitersprach:</p>
-
-<p>»Dem Vater muß sein Vertrauen zu der alten Krone
-erhalten bleiben. Was nützt es, seinem sinkenden Tag das
-Abendgold zu nehmen? Und so wie er ist sein wendisches Volk.
-Dessen langer mühsamer Tag geht zur Neige. Es stehen noch
-ein paar rote Träumerwolken an seinem Himmel; ich habe
-erkannt, daß es unrecht ist, den Wenden dieses letzte Glück zu
-nehmen.«</p>
-
-<p>Hanka hörte auf zu weinen, als er so redete. Nach einiger
-Zeit beruhigte sie sich so weit, daß sie einen Bericht über die
-zwei letzten Jahre ihres Lebens geben konnte. Sie stockte oft
-und brachte die Worte nur mühsam heraus, und als sie der
-letzten Tage gedachte, mußte sie alle Kraft zusammennehmen.
-Als sie geendet hatte, sagte Juro:</p>
-
-<p>»Hanka, auch du darfst das Vertrauen nicht verlieren. Du
-darfst nicht so in bitterem Groll an deinen Mann denken.
-Schon um deines und seines Kindes willen darfst du es nicht.
-Hanka, ich bin überzeugt, daß Samo, als er die Krone eingrub,
-glaubte, er tue etwas, das unerläßlich sei, er begehe nichts
-als eine Kriegslist, zu der ich ihn gezwungen hatte. Mit diesem
-Gedanken ist er von dem alten Manne aus Prag zurückgekehrt.
-Und, Hanka, was er gefehlt hat, hat er bitter büßen
-müssen. Er ist ja so unglücklich geworden!«</p>
-
-<p>»Ich kann nicht zu ihm zurück; sein Leben ist schrecklich!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_240">[240]</a></span></p>
-
-<p>»Du sollst und du darfst auch jetzt nicht zu ihm. Vielleicht
-findet er später noch eine friedliche Stätte.«</p>
-
-<p>Hanka schüttelte traurig den Kopf.</p>
-
-<p>»Er hat wirklich sehr an seiner Heimat gehangen; er findet
-sich draußen nicht zurecht.«</p>
-
-<p>Juro grübelte. Er hatte längst Erkundigungen eingezogen,
-ob denn keine Aussicht sei, daß durch des Königs Gnade die
-Gefängnisstrafe, die Samo zu gewärtigen hatte, wenn er
-zurückkehrte, in Festungshaft umgewandelt werden könnte.
-Er hatte nichts Tröstliches erfahren. Daß Samo nach der Tat
-geflohen war, und daß er sich nicht selbst gestellt hatte, daß er
-unter einem falschen Namen sich so lange verborgen hatte,
-machte die Sache aussichtslos.</p>
-
-<p>Armes Weib! So jung und so tief in der Verlassenheit.
-Armes Kind, das zum Leben strebte und schon jetzt keinen
-Vater mehr hatte!</p>
-
-<p>Juro suchte nach freundlichen Trostworten; er fand keine.
-Es würgte ihn an der Kehle, er brachte nichts Ordentliches
-heraus. Endlich sagte er:</p>
-
-<p>»Du mußt bei uns zu Gaste bleiben, Hanka!«</p>
-
-<p>Sie wehrte mit beiden Händen ab.</p>
-
-<p>Nein! Nein! Sie wollte bloß ihre Pflicht tun, Aufklärung
-geben, Abbitte leisten und dann sehen, ob ihre Eltern sie aufnehmen
-würden. Sie wolle bald wieder fort.</p>
-
-<p>Da ging Juro hinaus und holte seine Frau. Elisabeth eilte
-herbei. Ach, diese kleine deutsche Frau lachte und weinte und
-lachte wieder und war so offenbar glücklich, Hanka zu sehen,
-daß sich das arme Weib ihren Zärtlichkeiten nicht entziehen
-konnte.</p>
-
-<p>Juro schlich hinaus. Nach einem Weilchen kam er mit
-einem Kindchen zurück.</p>
-
-<p>»Sieh, Hanka, das ist unser Kind. Es ist sechs Monate alt.«</p>
-
-<p>Da nahm Hanka das Kind auf ihre Arme, und das Gefühl
-einer großen heiligen Versöhnung überkam sie. Schwere,
-erlösende Tränen quollen aus ihren Augen, aber ihre Augen
-glänzten durch diese Tränen. Eine süße Vorahnung eigenen<span class="pagenum"><a id="Seite_241">[241]</a></span>
-Mutterglücks ward in ihr lebendig und tilgte das Herzeleid und
-machte die Stunde schön und lieblich.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Während die Frauen später an der Wiege des kleinen
-Mädchens saßen und Elisabeth echte Töne des Trostes und der
-Beruhigung für Hanka fand, saß Juro in seinem Arbeitszimmer
-und schrieb einen ernsten Brief in wendischer Sprache.</p>
-
-<div class="letter">
-<p>
-Lieber Vater!
-</p>
-
-<p>Dein Sohn Juro klopft an Deine Tür und bittet Dich um
-Verzeihung für all das, was Du Bitteres durch ihn erfahren
-hast. Ich habe eingesehen, daß der Weg, auf dem ich meine
-Prinzipien in Tat und Wahrheit umsetzen wollte, nicht der
-richtige war, daß überall da, wo zwischen Menschen und Völkern
-der Kampf geführt wird, der beglückende wahre Sieg fehlen
-muß, wenn als Kampfmittel nur Klugheit und List, Energie und
-sachliche Überlegenheit oder gar Gewalttat und Rücksichtslosigkeit
-eingestellt werden, wenn die Liebe fehlt, die allein zu
-versöhnen, zu überzeugen und zu gewinnen vermag. Ich habe
-geirrt; es tut mir leid. Ich will nicht mehr dessen gedenken,
-was auf der Gegenseite verschuldet wurde; ich will auch die
-Schande, die mir widerfahren ist, als ich auf jenem Wagen
-aus dem Dorfe gefahren wurde, hinnehmen als eine Strafe, die
-der Vater dem Sohne aufzuerlegen für gerecht fand. Ich rede
-nur von mir und bekenne mich in vielen Dingen für schuldig.</p>
-
-<p>Von dem Versöhnungsgedanken getrieben, ist heute Hanka
-in meinem Hause eingekehrt. Sie sitzt, während ich diesen Brief
-schreibe, mit meiner Frau an dem Bettchen unseres Töchterchens,
-Deines ersten Enkelkindes. Hanka ist mit uns im Frieden.
-Auch sie wird ein Kind bekommen in der nächsten Zeit. Sie hat
-aber doch ihren Mann, unseren Samo, verlassen müssen, weil
-sein Leben zu unsicher ist und Hanka in ihrer schweren Zeit nicht
-bei ihm bleiben konnte. Sonst ist Samo gesund, und wir alle
-hoffen, daß er noch einmal eine friedliche Stätte findet und daß
-Hanka dann mit ihrem und seinem Kinde zu ihm zurückkehren
-kann.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_242">[242]</a></span></p>
-
-<p>Um den Stein des Anstoßes zwischen uns zu begraben,
-verzichte ich für mich und meine Nachkommenschaft auf die
-Erbfolge an der wendischen Kralswürde, und zwar zugunsten
-des zu erwartenden Kindes meines Bruders Samo und seiner
-Frau Hanka.</p>
-
-<p>Gott gebe Dir, lieber Vater, versöhnliche Gedanken!</p>
-
-<p class="right">
-In Liebe: Dein Sohn Juro.
-</p></div>
-
-<p>Drei Tage später stand der alte Hanzo unter der Tür seines
-Sohnes Juro. Er hielt den Hut in der Hand und sagte: »Darf
-ich zu euch herein? Ich möchte zu meinen Kindern.«</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p class="ph2">Sommer 1866. Der Deutsche Krieg brach los. Die preußischen
-Heere drängten durch die Pässe des schlesischen
-Gebirges und zogen den Elbstrom hinab nach Böhmen. Auch
-die Wenden zogen in den Kampf. Was diesseits der preußischen
-Grenze war, für Preußen, was drüben in Sachsen wohnte, für
-Österreich. Das Völkchen der Wenden in zwei Lager zerrissen.
-Da standen sich oft Bruder und Bruder gegenüber. Der alte
-»Kral« Hanzo litt schwer in diesen Tagen um sein kleines,
-getrenntes Volk.</p>
-
-<p>Juro machte den Feldzug als preußischer Militärarzt mit.
-Er war einem Regiment, in dem besonders viele Wenden waren,
-als Hilfsarzt zugeteilt.</p>
-
-<p>Und wo er auf dem Schlachtfeld einen fand, der seine
-Schmerzen in wendischen Lauten beklagte, da fragte er nicht:
-»Sprichst du auch Deutsch?« Da kniete er bei ihm nieder und
-erquickte ihn nicht nur mit ärztlicher Hilfe, sondern auch mit
-dem süßen Trost der Muttersprache.</p>
-
-<p>Ganz gleichgültig ist es auf dem Felde der Leiden, auf
-welcher Seite der verwundete Mann gefochten hat. Juro, der
-auf der Sprachgrenze der Obersorben und Niedersorben aufgewachsen
-war, erforschte mit feinem Ohr die Gegend, aus der
-der Verwundete stammte, und sprach zu ihm in seinem<span class="pagenum"><a id="Seite_243">[243]</a></span>
-heimischen Dialekt, und ehe es ans Sterben kam, betete er mit
-dem Mann aus dem Oberlande: »<em class="antiqua">Wótcě naš, kiž sy w
-njebjesach</em>« und mit dem Mann aus Niederland: »<em class="antiqua">Woschz
-nas, kenž sy na niebju</em>«, und es hieß immer: »Vater unser,
-der du bist im Himmel.« &ndash; Da trat mitten im großen Völkerschicksal
-das eigene Schicksal wieder an Juro heran.</p>
-
-<p>Als der Krieg eben sein rasches Ende gefunden hatte,
-schrieb ihm ein Freund und ärztlicher Kollege aus Königgrätz:
-»In unserem Spital liegt dein Bruder Samo. Er ist bei
-Sadowa im böhmischen Heer schwer verwundet worden. Er
-nennt sich Wenzel Halek. Aber ich kenne ihn doch von früher.
-Wenn du ihn noch sehen willst, eile &ndash; er ist verloren!«</p>
-
-<p>Nun, es ließ sich machen, daß Juro Urlaub bekam.</p>
-
-<p>Und die beiden Brüder sahen sich wieder&nbsp;…</p>
-
-<p>»Bruder Samo!«</p>
-
-<p>Samo wandte das Gesicht zur Seite.</p>
-
-<p>»Willst du mir nicht die Hand geben?«</p>
-
-<p>»Es ist keine Ehre, mir die Hand zu geben.«</p>
-
-<p>»Es ist eine Ehre! Du bist ein tapferer Krieger gewesen!«</p>
-
-<p>»Tapferer Krieger?«</p>
-
-<p>Samo lachte gequält, dann wandte er sich halb um: »Als
-gemeiner Mann, als Wenzel Halek eingestellt! Ein lustiger
-Krieg &ndash; nicht wahr? Deutsche gegen Deutsche! Es ist die alte
-Katzbalgerei, die Mode ist bei dieser großen Nation!« Er
-schwieg erschöpft. Juro war erschüttert. Nach so langer Zeit,
-nach so vielen schweren Schicksalen sahen sich die Brüder wieder,
-und sofort begann Samo seine alte Weise. Das Reden fiel ihm
-schwer; aber er bezwang sich <span id="corr243">und</span> sprach mit dem alten Haß in
-der Stimme:</p>
-
-<p>»Die alten deutschen Herzöge haben sich geprügelt, die
-Grafen und Ritter haben sich geprügelt, die deutschen Kaiser
-haben mit den deutschen Gegenkaisern gerauft, der Dreißigjährige
-Krieg ist gewesen, dies große Schauspiel der Schande,
-Maria Theresia hat mit dem preußischen Friedrich gerungen,
-die katholischen deutschen Bayern haben die katholischen
-Tiroler gemetzget, der Schlesier Blücher hat die sächsische Stadt<span class="pagenum"><a id="Seite_244">[244]</a></span>
-Leipzig genommen &ndash; alles &ndash; alles &ndash; alles Deutsche &ndash; und
-jetzt wieder &ndash; wieder dasselbe &ndash; und das ist die Nation der
-wir uns &ndash; uns unterwerfen sollen.«</p>
-
-<p>Kraftlos schloß er die Augen. In steigendem Fieber hatte
-er geredet.</p>
-
-<p>Juro legte ihm die Hand auf die Stirn.</p>
-
-<p>»Samo &ndash; streng dich doch nicht an &ndash; du bist krank&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Samo schlug die Augen auf. Er lächelte verächtlich.</p>
-
-<p>»Krank? Ich bin morgen früh tot. Das weiß ich. Die
-preußische Kugel ist mir &ndash; mir in den Unterleib &ndash; weißt du,
-das ist das Gescheiteste &ndash; was &ndash; was die Preußen seit langem
-gemacht haben, &ndash; daß mich &ndash; daß mich einer getroffen hat.«</p>
-
-<p>»O dieser unglückselige Krieg!«</p>
-
-<p>Samo schüttelte den Kopf. Erst nach einer Weile konnte
-er wieder sprechen, die Schmerzen quälten ihn sehr.</p>
-
-<p>»Der Krieg ist gut &ndash; gut &ndash; gut &ndash; er spaltet die Deutschen
-&ndash; und durch den Spalt &ndash; braust &ndash; braust frische Luft &ndash;
-ins slawische Feuer!«</p>
-
-<p>Er blieb bis zum Tode derselbe. Draußen auf der Straße
-marschierten preußische Krieger vorbei; die Kapelle spielte
-»Heil dir im Siegerkranz!«</p>
-
-<p>»Hörst du sie&nbsp;&ndash;? Das ist die Trostmusik, die sie uns
-spielen, uns Sterbenden! Aber laß sie schmettern! Besiegt ist
-das Deutschtum, zersprungen in zwei Hälften; die Zeit der
-Slawen ist näher als sonst. Dieser Krieg war gut. Die Deutschen
-haben ihn geführt, die Slawen haben den Sieg davongetragen.«</p>
-
-<p>Juro mochte ihm in nichts mehr widersprechen. Er stand mit
-gesenktem Kopf am Lager Samos und wartete, ob ihm denn
-nicht ein Erinnern kommen würde an seine Heimat. Aber länger
-als eine halbe Stunde sprach Samo mit vielen Pausen noch von
-dem Niedergang des Deutschtums, dem Sieg der Slawen.
-Endlich fragte er doch ganz schüchtern, ganz furchtsam:</p>
-
-<p>»Lebt der Vater noch?«</p>
-
-<p>Er fragte es mit abgewandtem Gesicht.</p>
-
-<p>»Er lebt und denkt an dich ohne Groll.«</p>
-
-<p>»Weiß er&nbsp;&ndash;?«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_245">[245]</a></span></p>
-
-<p>»Nein, er weiß es nicht«, unterbrach ihn Juro rasch. »Er
-wird es nie erfahren. Der Glaube an sein Kraltum soll ihm
-nicht genommen werden.«</p>
-
-<p>»Das sagst du? Da hast du dich geändert.«</p>
-
-<p>»Ich habe mich in mancherlei geändert &ndash; ja!«</p>
-
-<p>»Aber ein Deutscher bleibst du?«</p>
-
-<p>»Ja.«</p>
-
-<p>Samo seufzte tief, er sagte, ihn schmerze seine Wunde. Als
-er ruhiger wurde, sagte Juro mit tiefbewegter Stimme:</p>
-
-<p>»Ich habe auf die Kralswürde verzichtet. Ein anderer wird
-Kral sein &ndash; dein Sohn!«</p>
-
-<p>Samo starrte ihn mit weitaufgerissenen Augen an. Er sagte
-kein Wort.</p>
-
-<p>»Hanka hat im Mai einen Knaben geboren, Samo!«</p>
-
-<p>Noch immer sah ihn Samo starr an. Endlich sprach er leise:</p>
-
-<p>»War es ein Knabe? &ndash; &ndash; Ich fürchtete immer, es werde
-ein Mädchen sein.«</p>
-
-<p>»Ein gesunder Knabe!«</p>
-
-<p>Da schloß Samo die Augen. Juro stand regungslos. Die
-große Feierlichkeit, da ein scheidendes Leben erfuhr, daß ein
-Kind, ein Teil seines Wesens, auf der Erde zurückbleiben würde,
-durfte kein Wort stören. Die Hände Samos falteten sich auf
-der Bettdecke. Gott allein wußte, wo die Gedanken waren.
-Endlich tastete die Rechte nach Juros Hand. Ein leiser Druck.
-Lange schwere Feindschaft war ausgelöscht. Die Lippen bewegten
-sich. Juro beugte sich tief über den Bruder.</p>
-
-<p>»Wie heißt er?«</p>
-
-<p>»Er heißt Hanzo wie sein Großvater.«</p>
-
-<p>Samo nickte.</p>
-
-<p>»Es ist gut, daß er nicht heißt wie ich.«</p>
-
-<p>Noch einmal zuckten die Lippen.</p>
-
-<p>»Er soll gesegnet sein!«</p>
-
-<p>Dann rief er laut und ängstlich:</p>
-
-<p>»Mach das Fenster auf!«</p>
-
-<p>Juro öffnete das Fenster. Als er ans Lager zurückkehrte,
-lag Samo im Todeskampf.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_246">[246]</a></span></p>
-
-<p>Als es überstanden war, drückte Juro dem toten Bruder
-die Augen zu. Und er, der Deutsche, übte den wendischen
-Totenbrauch; er hielt die kleine Wanduhr an und deckte über
-den winzigen Spiegel, der auf dem Tisch lag, ein Taschentuch.</p>
-
-<p>Vor dem Fenster saß ein kleiner Vogel und sang.</p>
-
-<p>Zu dem sagte Juro mit tränenerstickter Stimme:</p>
-
-<p>»Der Herr ist gestorben!«</p>
-
-<p>Da flog der kleine Vogel davon.</p>
-
-<p>Vielleicht flog er nach der Heimat.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p class="ph2">Die Jahre gingen dahin, der Französische Krieg war
-geschlagen, die Wenden hatten ihre alte Tapferkeit bewiesen
-im Kampfe für das große Vaterland. Und es war
-Friede geworden im deutschen Land, alter Hader beglichen, alte
-Wunden vernarbt.</p>
-
-<p>Auch im Wendenland war Friede. Keinerlei Auflehnung
-und Untreue des kleinen stillen Völkchens, keinerlei Bedrückung,
-kein unfreundliches Wort von seiten der Deutschen. Noch
-flatterten die großen Haubenbänder im Wind, noch schnurrten
-in den Spinnstuben die Rädchen und die Mäulchen, noch ritten
-die Osterreiter übers Feld, noch klangen die alten wendischen
-Lieder. Und mit Liebe und Sorgfalt gingen gelehrte Gesellschaften
-und Einzelpersonen daran, zu sammeln, zu hegen, daß
-nichts Wertvolles, nichts Köstliches aus diesem Völkerleben
-verlorengehe oder vergessen werde. Und diesen Leuten stehen
-alle Deutschen nahe, die guten Willens sind.</p>
-
-<p>Stilles friedliches Einvernehmen! Die Schönheit des wendischen
-Spreewalds wurde den Leuten im weiten Lande durch
-Hunderte von Bildern kundgetan, und bald besannen sich die
-klugen Berliner, daß ihre Spree, an deren »grünem Strand«
-sie wohnen, ja doch irgendwoher kommen müsse, und kühn wie
-die Sucher der Nilquellen drangen sie stromaufwärts, gerieten
-in den Spreewald und staunten, daß da ein wundersames
-Lagunenland war, märchenhaft wie das alte Venedig, mit<span class="pagenum"><a id="Seite_247">[247]</a></span>
-hohen grünen Walddomen und Gondolieren, die auf leisen
-Nachen den Fremden durch verträumte Wasserstraßen fahren.</p>
-
-<p>Auch ins noch stillere Oberland kam manch ein Maler,
-mancher Künstler und Volksfreund.</p>
-
-<p>Und die deutsche Sprache kam mit ihnen. Aber die Wenden
-suchten sie auch selbst auf den Märkten, in den Fabriken, in
-den Studiersälen. Aufgezwungen darf sie nicht werden. Nationalität
-ist Liebe, und Liebe kann nicht erzwungen werden!</p>
-
-<p>Friede war auch bei den Menschen, von denen dies Buch
-erzählt hat.</p>
-
-<p>Hanka war die aufrechte, starke Herrscherin auf dem Hof
-des alten Scholta Hanzo. Als sie von dem Tode ihres Mannes
-erfahren hatte, legte sie weiße Trauerkleider an und trug sie
-ein Jahr und einen Tag. Sie sprach nie von Samo, aber sie
-wies alle Freier, die sich an sie drängten, herb und kurz ab.
-Selten versah sich jemand von ihr eines übermäßig freundlichen
-oder gar scherzenden Wortes; sie hielt strenge Zucht, und sogar
-der alte Kito bekam öfters seinen Tadel. Aber sie war gerecht.
-In ihrem ganzen Haus und Hof war nichts Unordentliches,
-nichts Unsauberes. Die alte Wičaz mit ihrem Sohn hatte fortziehen
-müssen. Der Scholta überließ Hanka mehr und mehr das
-volle Regiment, und der Wohlstand mehrte sich von Jahr zu
-Jahr.</p>
-
-<p>Über ihrem Söhnchen Hanzo wachte sie mit äußerer Kühle,
-aber desto innigerer Herzenssorge. Einmal, als der Knirps
-eben fünf Jahre alt geworden war, trat er vor seine Mutter,
-hatte einen Papierhelm auf dem Kopfe und einen Holzstecken
-als Schwert an der Seite und sagte: »Mutter, ich bin der
-Kral!«</p>
-
-<p>Da erschrak Hanka so, daß sie erst kein Wort herausbrachte.
-Dann berief sie den alten Kito und fuhr ihn hart an. Es stellte
-sich heraus, daß Kito unschuldig war; die Knaben auf der Gasse
-hatten dem kleinen Hanzo zugerufen, daß er der Kral sei.</p>
-
-<p>Da sagte Hanka kein Wort mehr über diese Sache, aber sie
-gewöhnte ihren Sohn noch mehr als früher an Bescheidenheit
-und friedfertiges Wesen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_248">[248]</a></span></p>
-
-<p>Zweimal im Jahre ließ sie die gute Kutsche anspannen und
-fuhr zu Besuch auf den Hof des Herrn von Withold. Und der
-alte Edelmann nannte sie »gnädige Frau« und küßte ihr die
-Hand. Mit Elisabeth verband sie seit den Tagen von Breslau
-eine stille Freundschaft. Von Juro hielt sie sich ferner. Sie
-fragte ihn nie um Rat, auch nicht wegen der Erziehung ihres
-Sohnes, dessen Pate er war. Desto größere Zärtlichkeit brachte
-sie seinem Töchterchen entgegen, das das einzige Kind seiner
-Ehe geblieben war. Juro lebte mit seiner Frau auf dem Gut
-seines Schwiegervaters. Sein Schwager Heinrich hatte seinen
-Willen, sich ganz der Musik zu widmen, durchgesetzt. Er war
-Kapellmeister in einem kleinen Hoftheater geworden. Er hatte
-eine Oper geschrieben, die allerdings durchgefallen war; aber
-sein Leben war nicht ohne Glanz, denn sein Heros Richard
-Wagner hatte ihn einmal auf die Schulter geklopft und »Mein
-lieber, geschickter Freund!« zu ihm gesagt. Von solcher Hocherinnerung
-ließ sich leben.</p>
-
-<p>Juros ärztliche Praxis war nicht bedeutend. Es gab immer
-noch viele Wenden, die ihre Krankheiten besprechen ließen oder
-sich mit Hausmitteln behalfen. Immerhin: nach geraumer Zeit
-sickerte durch, daß der »<em class="antiqua">Pán doctor</em>« selten für seine Hilfe Geld
-beanspruche, ja daß er bei armen Leuten eher etwas aus eigener
-Tasche zulege. Und nun mehrten sich die Patienten. Juro sprach
-mit den Leuten wendisch. Manchmal &ndash; wie von ungefähr &ndash;
-sprach er deutsch. Und das war immer ein leises Examen. Endlich
-kam eine Zeit, wo ihn die Leute fragten, was sie mit ihren
-Kindern beginnen sollten, wenn sie aus der Schule entlassen
-wurden. Dann gab er ihnen die Ratschläge, die seine Überzeugung
-ihm vorschrieb.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Eines hatte die Großbäuerin Hanka lange gequält. Ihr
-Schwiegervater Hanzo hatte einmal in einer ernsten Stunde zu
-ihr gesagt:</p>
-
-<p>»Hanka, ich muß dir etwas anvertrauen, was eigentlich nur
-eine Sache für Männer ist. Aber seit Samo tot ist, stehst du an
-seiner Stelle. Der kleine Hanzo ist ein Kind, mit dem ich über
-solche Dinge nicht reden kann. Und Juro hat verzichtet und steht<span class="pagenum"><a id="Seite_249">[249]</a></span>
-abseits. So will ich dir sagen, wohin unsere alte Krone gekommen
-ist, als sie aus dem heiligen Hügel gerissen wurde, damit
-du es deinem Sohne anvertraust, wenn er groß ist und ich
-nicht mehr bin. &ndash; Die alte Krone habe ich mit Samo in nächtlicher
-Zeit unter unserer Kirchhoflinde begraben, dort, wo die
-Mutter liegt und wo ich einmal liegen werde. Und die Krone
-wird über unsern Häuptern sein, wenn wir da schlafen. Niemand
-weiß das; die Kronenstätte ist dem wendischen Volke
-fortan unbekannt. Nur der Kral darf sie wissen und sein Erbe.
-Das ist dein Sohn. Und bis er es erfahren kann, sollst du es
-wissen!«</p>
-
-<p>Nach dieser Aussprache war die Großbäuerin Hanka tagelang
-bleich und vergrämt umhergegangen, so daß die Leute
-unter sich flüsterten: »Die Frau ist krank!« Das war aber, weil
-kein Schlaf mehr über ihre Augen kam. Denn in der Nacht,
-wenn Hanka in halbwachem Traumschlummer lag, trat Samo
-an ihr Bett, sah sie mit heißen, verängstigten Augen an und rief:</p>
-
-<p>»Die Mutter muß die Krone vom Kopfe nehmen!«</p>
-
-<p>Das war wie in den schrecklichen Tagen von Prag. Und
-wenn der Morgen kam, grübelte Hanka, was sie tun solle. Ein
-einziger Mensch war, den sie hätte um Rat fragen können, das
-war Juro. Aber sie fragte ihn nicht.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Nach sieben bangen Tagen und sieben schweren Nächten
-hatte es Hanka mit sich ausgemacht.</p>
-
-<p>Heimlich verließ sie zur Nachtzeit Haus und Hof. Gestählt
-durch ihren bewußten Willen, ging sie zum hochgelegenen
-Gottesacker. Alles, was an Furcht- und Spukgestalt seit der
-Kindheit Tagen in ihrem Herzen lebte, war besiegt. Und sie ging
-zu der Linde, unter deren Krone die Frau ruhte, mit der sie in
-dies Dorf gezogen war. Sie stach mit ihrem Spaten vorsichtig
-den Rasen ab. Sie grub. Das Herz bangte ihr, der Spaten werde
-den Sarg jener Frau treffen, aber es geschah nicht. So arbeitete
-Hanka zwischen Grabsteinen und alten Holzkreuzen im
-Mondenlicht.</p>
-
-<p>Und sie fand zwischen den Wurzeln des Slawenbaums, der
-Linde, die silberne Krone. Die putzte sie mit ihrer Schürze ab<span class="pagenum"><a id="Seite_250">[250]</a></span>
-und legte sie beiseite. Dann schloß sie die Grube, fügte den
-Rasen auf seine Stelle.</p>
-
-<p>Eine kleine Weile stand sie an dem Grabe und sprach in
-ihrem Herzen:</p>
-
-<p>»Ich wollte deine Ruhe nicht stören, gute Mutter, aber ich
-mußte diese Krone holen, weil es dein Sohn Samo verlangt.
-Nun sollt ihr beide in Gottes Frieden ruhen!« Die Krone trug
-Hanka auf ihrer Brust unter dem großen Umschlagtuch davon.</p>
-
-<p>Und sie ging auf Seitenwegen hin zur Spree.</p>
-
-<p>Dahinein senkte sie die Krone.</p>
-
-<p>Leise und langsam floß das stille Wasser darüber.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Hanzo aber, der alte »Kral«, ging noch oft auf den Gottesacker
-zum Grabe seiner Frau und träumte beim leisen Rauschen
-der Linde von einer tiefen, stillen Ruhe da unten im Schmuck
-einer strahlenden Krone.</p>
-
-<p>Und er war nicht getäuscht. Das wußte auch Hanka.</p>
-
-<p>Eine Krone würde über seinem Haupte sein, wenn er da
-unten schlief:</p>
-
-<p>Die alte, unvergängliche Krone, in deren Glanz und ewigem
-Schmuck alle die ruhen, die auf Erden die Wahrheit gesucht und
-das Recht geliebt haben.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_251">[251]</a></span></p>
-
-<div class="footnotes">
-<h2><a id="FOOTNOTES">Fußnoten</a></h2>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_1_1"></a><a href="#FNAnker_1_1"><span class="label">[1]</span></a> Schulzen.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_2_2"></a><a href="#FNAnker_2_2"><span class="label">[2]</span></a> Rittermäßiger</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_3_3"></a><a href="#FNAnker_3_3"><span class="label">[3]</span></a> König.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_4_4"></a><a href="#FNAnker_4_4"><span class="label">[4]</span></a> Alp.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_5_5"></a><a href="#FNAnker_5_5"><span class="label">[5]</span></a> Juro ist der wendische Name für Georg.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_6_6"></a><a href="#FNAnker_6_6"><span class="label">[6]</span></a> Großes weißes Tuch.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_7_7"></a><a href="#FNAnker_7_7"><span class="label">[7]</span></a> Ohrfeige.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_8_8"></a><a href="#FNAnker_8_8"><span class="label">[8]</span></a> Vorsängerin.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_9_9"></a><a href="#FNAnker_9_9"><span class="label">[9]</span></a> Totenschmaus.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_10_10"></a><a href="#FNAnker_10_10"><span class="label">[10]</span></a> ist viel herablassender, freundlicher.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_11_11"></a><a href="#FNAnker_11_11"><span class="label">[11]</span></a> Spree.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_12_12"></a><a href="#FNAnker_12_12"><span class="label">[12]</span></a> Slawischer Name für Bautzen.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_13_13"></a><a href="#FNAnker_13_13"><span class="label">[13]</span></a> Jetzt versaufen wir das Fell! (der Verstorbenen).</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_14_14"></a><a href="#FNAnker_14_14"><span class="label">[14]</span></a> Böhmischen Krone.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_15_15"></a><a href="#FNAnker_15_15"><span class="label">[15]</span></a> Aus der russischen Zeitung »Golos«.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_16_16"></a><a href="#FNAnker_16_16"><span class="label">[16]</span></a> Gott führt die Seinen wunderlich zusammen.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_17_17"></a><a href="#FNAnker_17_17"><span class="label">[17]</span></a> Ohrfeige.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_18_18"></a><a href="#FNAnker_18_18"><span class="label">[18]</span></a>
-</p>
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»<em class="antiqua">Jana stawa baba,</em> »Ein altes Weib,<br /></span>
-<span class="i0"><em class="antiqua">Jaden stary kón</em> Ein altes Pferd<br /></span>
-<span class="i0"><em class="antiqua">Nejstej togo carta wert.</em>« Sind beide nicht den Teufel wert.«<br /></span>
-</div></div>
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_19_19"></a><a href="#FNAnker_19_19"><span class="label">[19]</span></a> Nach dem böhmischen Volksgesang. »<em class="antiqua">Stoji hruška w širem
-poli</em>«.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_20_20"></a><a href="#FNAnker_20_20"><span class="label">[20]</span></a> Der Branntwein ist ein Umwerfer.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_21_21"></a><a href="#FNAnker_21_21"><span class="label">[21]</span></a> Wasser macht hungrig (schwach).</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_22_22"></a><a href="#FNAnker_22_22"><span class="label">[22]</span></a> Wendische Formel beim Zutrinken.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_23_23"></a><a href="#FNAnker_23_23"><span class="label">[23]</span></a> Kämmerchen.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_24_24"></a><a href="#FNAnker_24_24"><span class="label">[24]</span></a> Andere Hand &ndash; anderes Glück.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_25_25"></a><a href="#FNAnker_25_25"><span class="label">[25]</span></a> Elbe.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_26_26"></a><a href="#FNAnker_26_26"><span class="label">[26]</span></a> Kälbchen.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_27_27"></a><a href="#FNAnker_27_27"><span class="label">[27]</span></a> Sau.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_28_28"></a><a href="#FNAnker_28_28"><span class="label">[28]</span></a> Du Plunderliese.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_29_29"></a><a href="#FNAnker_29_29"><span class="label">[29]</span></a> Wer mit der Katze gepflügt hat, weiß, wie sie zieht.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_30_30"></a><a href="#FNAnker_30_30"><span class="label">[30]</span></a> »Gedächtnistag des Meisters Johann Hus.« Der 6. Juli.
-Hus wurde bekanntlich am 6. Juli 1369 geboren und am 6. Juli 1415
-zu Konstanz verbrannt.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_31_31"></a><a href="#FNAnker_31_31"><span class="label">[31]</span></a> Er lebe!</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_32_32"></a><a href="#FNAnker_32_32"><span class="label">[32]</span></a> Slawische Bezeichnung der Deutschen während der Zeit des
-Frankfurter Parlamentes.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_33_33"></a><a href="#FNAnker_33_33"><span class="label">[33]</span></a> Fürst! Fürst!</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_34_34"></a><a href="#FNAnker_34_34"><span class="label">[34]</span></a> <em class="antiqua">Pán Krystus, neýmocnegssj pán, racz techto klenotuw
-ostrzjhati sam, až do neyposlednegssho dne.</em></p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_35_35"></a><a href="#FNAnker_35_35"><span class="label">[35]</span></a> Spinngesellschaft.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_36_36"></a><a href="#FNAnker_36_36"><span class="label">[36]</span></a> Kirmes.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_37_37"></a><a href="#FNAnker_37_37"><span class="label">[37]</span></a> Maske.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_38_38"></a><a href="#FNAnker_38_38"><span class="label">[38]</span></a> Branntwein.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_39_39"></a><a href="#FNAnker_39_39"><span class="label">[39]</span></a>
-</p>
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Meine Mutter ist eine Witwe,<br /></span>
-<span class="i0">Ich bin eine liederliche Kröte!<br /></span>
-</div></div>
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_40_40"></a><a href="#FNAnker_40_40"><span class="label">[40]</span></a> Sohn des Hauses.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_41_41"></a><a href="#FNAnker_41_41"><span class="label">[41]</span></a> Vater!</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_42_42"></a><a href="#FNAnker_42_42"><span class="label">[42]</span></a> Wendischer Nationaltanz.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_43_43"></a><a href="#FNAnker_43_43"><span class="label">[43]</span></a> Gemeindeversammlung.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_44_44"></a><a href="#FNAnker_44_44"><span class="label">[44]</span></a> Gemeindeschöffen.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_45_45"></a><a href="#FNAnker_45_45"><span class="label">[45]</span></a> Schlafgöttin.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_46_46"></a><a href="#FNAnker_46_46"><span class="label">[46]</span></a> »<em class="antiqua">Stoz 'ce so swjeci prolowac.</em>«</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_47_47"></a><a href="#FNAnker_47_47"><span class="label">[47]</span></a> »<em class="antiqua">Ceknena mać.</em>«</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_48_48"></a><a href="#FNAnker_48_48"><span class="label">[48]</span></a> »<em class="antiqua">Lóchko zmýslena!</em>«</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_49_49"></a><a href="#FNAnker_49_49"><span class="label">[49]</span></a> Wänden!</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_50_50"></a><a href="#FNAnker_50_50"><span class="label">[50]</span></a> Das Gotteskind (Christkind).</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_51_51"></a><a href="#FNAnker_51_51"><span class="label">[51]</span></a> Nach dem Lied: »<em class="antiqua">Pšadla Marja kudželku.</em>«</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_52_52"></a><a href="#FNAnker_52_52"><span class="label">[52]</span></a> Spatz.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_53_53"></a><a href="#FNAnker_53_53"><span class="label">[53]</span></a> Rußabend.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_54_54"></a><a href="#FNAnker_54_54"><span class="label">[54]</span></a> Brautjungfer.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_55_55"></a><a href="#FNAnker_55_55"><span class="label">[55]</span></a> Brautgeselle.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_56_56"></a><a href="#FNAnker_56_56"><span class="label">[56]</span></a> Schmutzige Hexe.</p></div>
-</div>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p class="center">Beachten Sie<br />
-bitte die folgenden<br />
-Seiten!
-</p>
-<hr class="chap" />
-
-</div>
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_252">[252]</a></span></p>
-
-<p class="center"><em class="antiqua">Von</em></p>
-
-<p class="h2"><em class="antiqua">PAUL KELLER</em></p>
-
-<p class="center"><em class="antiqua">erschien in gleicher Ausstattung</em></p>
-
-<p class="h2"><em class="antiqua">Heimat</em>
-</p>
-
-<div class="adv">
-
-<p class="noind">»Ein Roman aus den schlesischen Bergen,
-ein sehr starkes Werk des Dichters,
-der seine Menschen aus dem
-Innern, aus dem Herzen zeichnet.«</p>
-
-<p class="center">Frankfurter Nachrichten</p></div>
-
-<hr class="chap" />
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_253">[253]</a></span></p>
-
-<p class="h2"><em class="antiqua">DIE GELBEN ULLSTEIN-BÜCHER</em>
-</p>
-
-<p class="center p2"><em class="antiqua">RUDOLF HANS BARTSCH</em></p>
-
-<p class="h2"><em class="antiqua">Hannerl und ihre Liebhaber</em>
-</p>
-
-<div class="adv">
-
-<p class="noind">Das Schicksal einer lustigen, kleinen Wienerin,
-die im Glauben, über der Liebe zu stehen, an ihr
-zugrunde geht.</p></div>
-
-<p class="center p2"><em class="antiqua">ELISABETH RUSSELL</em></p>
-
-<p class="h2"><em class="antiqua">Urlaub von der Ehe</em>
-</p>
-
-<div class="adv">
-
-<p class="noind">Ein sonniger, humorvoller Ferienroman aus
-einer oberitalienischen Villa, in der einige
-Frauen und Mädchen glauben, den Männern
-entfliehen zu können.</p></div>
-
-<p class="center p2"><em class="antiqua">P. O. HÖCKER</em></p>
-
-<p class="h2"><em class="antiqua">Die Sonne von St. Moritz</em>
-</p>
-
-<div class="adv">
-
-<p class="noind">»Saison in St. Moritz, das mondäne Treiben
-des Luxushotels, der sport- und klatschlüsternen
-›Welt‹ geben den Rahmen dieser neuen Erzählung
-Höckers. In dieser strahlenden Umgebung
-erfüllt sich das Schicksal zweier Menschen, um
-endlich, nach mancherlei Verwicklung, zu einem
-versöhnlichen Ende zu führen.«</p>
-
-<p class="right">
-Nürnberger Zeitung
-</p></div>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_254">[254]</a></span></p>
-
-<p class="center p2"><em class="antiqua">CARL ROESSLER</em></p>
-
-<p class="h2"><em class="antiqua">Wellen des Eros</em>
-</p>
-
-<div class="adv">
-
-<p class="noind">»Roeßler hat hier mit der Gabe außerordentlich
-scharfer Charakterisierung ein Buch geschaffen,
-wie es nur einer kann, der all' die Figuren bis
-ins Innerste kennt.«</p>
-
-<p class="right">
-Neue Freie Presse
-</p></div>
-
-<p class="center p2"><em class="antiqua">PAUL FRANK</em></p>
-
-<p class="h2"><em class="antiqua">Das Liebesschiff</em>
-</p>
-
-<div class="adv">
-
-<p class="noind">Das Liebeserlebnis einer schönen, vielumworbenen
-Frau, die sich bis zum geheimnisvollen
-Verschwinden eines Mannes für keinen ihrer
-zahlreichen Verehrer entscheiden kann.</p></div>
-
-<p class="center p2"><em class="antiqua">HERMANN LINT</em></p>
-
-<p class="h2"><em class="antiqua">Horizont der Liebe</em>
-</p>
-
-<div class="adv">
-
-<p class="noind">»Am Horizont der Liebe geistert eine schöne
-Frau, rätselhaft verschwunden, rätselhaft auftauchend
-in neuer, verhängnisvoller Erscheinung.«</p>
-
-<p class="right">
-Hannoverscher Kurier
-</p></div>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_255">[255]</a></span></p>
-<p class="center p2"><em class="antiqua">LUDWIG THOMA</em></p>
-
-<p class="h2"><em class="antiqua">Krawall</em>
-</p>
-
-<div class="adv">
-
-<p class="noind">Eine Reihe köstlicher Burlesken von der kochenden
-bayrischen Volksseele, von Richtern, Bauern und
-Städtern, von Krach und Krawall vor Gericht.</p></div>
-
-<p class="center p2"><em class="antiqua">P. G. WODEHOUSE</em></p>
-
-<p class="h2"><em class="antiqua">Der schüchterne Junggeselle</em>
-</p>
-
-<div class="adv">
-
-<p class="noind">Eine der amüsantesten Schöpfungen des großen
-englischen Humoristen. Die Handlung spielt auf
-dem Dachgarten eines New-Yorker Wolkenkratzers
-und schildert »schreckliche Abenteuer«,
-die ein sehr sympathischer, sehr blonder, sehr
-junger, sehr schüchterner Mann mit bösen
-Schwiegermüttern, eleganten Kartenlegerinnen
-und lyrischen Polizisten zu bestehen hat.</p></div>
-
-<p class="center p2"><em class="antiqua">EDMUND SABOTT</em></p>
-
-<p class="h2"><em class="antiqua">Jan Fock, der Millionär</em>
-</p>
-
-<div class="adv">
-
-<p class="noind">»Diese lustige, leichtbeschwingte und amüsante
-Diebskomödie läßt die Sympathien des Lesers
-von Seite zu Seite wachsen.«</p>
-
-<p class="right">
-Hamburger Fremdenblatt
-</p></div>
-
-<p class="center large"><em class="antiqua">JEDER BAND 1 MARK</em>
-</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Seite_256">[256]</a></span></p>
-
-<p class="center">Gedruckt<br />
-im Ullsteinhaus<br />
-Berlin
-</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter"></div>
-<div class="transnote" id="tnextra">
-
-<p class="h2">Weitere Anmerkungen zur Transkription</p>
-
-<p>Offensichtlich fehlerhafte Zeichensetzung wurde stillschweigend korrigiert.</p>
-
-<p>Die Darstellung der Ellipsen und der Gedankensprünge wurde vereinheitlicht.</p>
-
-<p>Sofern hier nicht aufgeführt, wurden unterschiedliche Schreibweisen beibehalten.</p>
-
-<p>Korrekturen:</p>
-
-<div class="corr">
-<p>
-S. 28: daß → daß du<br />
-Ich verbitte mir, <a href="#corr028">daß du</a> mich hier</p>
-<p>
-S. 38: zuckte → zückte<br />
-das Messer nach ihm <a href="#corr038">zückte</a></p>
-<p>
-S. 44: Haaresbre te → Haaresbreite<br />
-nicht um <a href="#corr044">Haaresbreite</a> dem einen näher</p>
-<p>
-S. 57: ber → aber<br />
-alle Weise zu hindern, was ihm <a href="#corr057">aber</a> mißlang</p>
-<p>
-S. 67: gib → gibt<br />
-Es <a href="#corr067a">gibt</a> heuer recht viele</p>
-<p>
-S. 67: Geberde → Gebärde<br />
-Sie machte eine <a href="#corr067b">Gebärde</a> mit der Hand</p>
-<p>
-S. 74: übscher → hübscher<br />
-Aber er ist ein <a href="#corr074">hübscher</a> Mann</p>
-<p>
-S. 76: us → aus<br />
-der Buchdrucker <a href="#corr076">aus</a> Bautzen</p>
-<p>
-S. 79: bewunderswert → bewundernswert<br />
-ein Reich ist nur in einer Einheit <a href="#corr079a">bewundernswert</a></p>
-<p>
-S. 79: Baudissin → Budissin<br />
-ich bin im sächsischen <a href="#corr079b">Budissin</a> geblieben</p>
-<p>
-S. 82: chlesien → Schlesien<br />
-ebenso wie <a href="#corr082">Schlesien</a> geschichtlich und rechtlich</p>
-<p>
-S. 96: Wicaz → Wičaz<br />
-Sie war als die Sprichwörter-<a href="#corr096">Wičaz</a> bekannt</p>
-<p>
-S. 123: sie → Sie<br />
-ich danke, daß <a href="#corr123">Sie</a> mich</p>
-<p>
-S. 124: sie → Sie<br />
-Vergönnen <a href="#corr124">Sie</a> nun auch meinem lettischen Bruder</p>
-<p>
-S. 147: Strin → Stirn<br />
-machte er die <a href="#corr147">Stirn</a> runzelig und sagte</p>
-<p>
-S. 149 druzba → družba<br />
-Oberlande heißt man's <em class="antiqua"><a href="#corr149">družba</a></em></p>
-<p>
-S. 179: hat → Er hat<br />
-<a href="#corr179">Er hat</a> es mir geschrieben</p>
-<p>
-S. 180: der → oder<br />
-ob ich ein Glas Wein <a href="#corr180">oder</a> ein Glas Milch bringen darf</p>
-<p>
-S. 181: ber → aber<br />
-fremde Meinung bekämpfen, <a href="#corr181">aber</a> man dürfe</p>
-<p>
-S. 200: n → an<br />
-Denkt <a href="#corr200">an</a> jeden Kaufmann, jeden Gewerbetreibenden</p>
-<p>
-S. 201: wischen → zwischen<br />
-Wortgefecht <a href="#corr201">zwischen</a> Juro und Samo ausgewachsen</p>
-<p>
-S. 218: hiner → hinter<br />
-einen Steckbrief <a href="#corr218">hinter</a> mir erlassen</p>
-<p>
-S. 229: war → wär<br />
-Hättest du das getan, <a href="#corr229">wär</a> alles gut</p>
-<p>
-S. 243: nd → und<br />
-er bezwang sich <a href="#corr243">und</a> sprach</p>
-</div>
-</div>
-
-
-
-
-
-
-
-<pre>
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Die alte Krone, by Paul Keller
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE ALTE KRONE ***
-
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-the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
-refund. If you received the work electronically, the person or entity
-providing it to you may choose to give you a second opportunity to
-receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy
-is also defective, you may demand a refund in writing without further
-opportunities to fix the problem.
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-1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
-in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
-WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
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-1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
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-If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
-law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
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-1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
-trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
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-with this agreement, and any volunteers associated with the production,
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-harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
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-work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
-Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.
-
-
-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
-
-Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
-electronic works in formats readable by the widest variety of computers
-including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
-because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
-people in all walks of life.
-
-Volunteers and financial support to provide volunteers with the
-assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
-goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
-To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
-and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.
-
-
-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
-Foundation
-
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
-http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
-permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
-
-The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
-Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
-throughout numerous locations. Its business office is located at
-809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
-business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
-information can be found at the Foundation's web site and official
-page at http://pglaf.org
-
-For additional contact information:
- Dr. Gregory B. Newby
- Chief Executive and Director
- gbnewby@pglaf.org
-
-
-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation
-
-Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
-spread public support and donations to carry out its mission of
-increasing the number of public domain and licensed works that can be
-freely distributed in machine readable form accessible by the widest
-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
-status with the IRS.
-
-The Foundation is committed to complying with the laws regulating
-charities and charitable donations in all 50 states of the United
-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
-considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
-with these requirements. We do not solicit donations in locations
-where we have not received written confirmation of compliance. To
-SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
-particular state visit http://pglaf.org
-
-While we cannot and do not solicit contributions from states where we
-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
-against accepting unsolicited donations from donors in such states who
-approach us with offers to donate.
-
-International donations are gratefully accepted, but we cannot make
-any statements concerning tax treatment of donations received from
-outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
-
-Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
-methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
-ways including checks, online payments and credit card donations.
-To donate, please visit: http://pglaf.org/donate
-
-
-Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
-works.
-
-Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
-concept of a library of electronic works that could be freely shared
-with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
-Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
-
-
-Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
-unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
-keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
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-
-Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
-
- http://www.gutenberg.org
-
-This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
-including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
-subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
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