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+The Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 2 by Theodor Mommsen
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
+other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
+whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
+the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
+www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
+to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
+
+Title: Römische Geschichte Book 2
+
+Author: Theodor Mommsen
+
+Release Date: February, 2002 [Etext #3061]
+[Most recently updated: January 15, 2020]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: UTF-8
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***
+
+
+
+
+Römische Geschichte
+
+Zweites Buch
+Von der Abschaffung des römischen Königtums bis zur Einigung Italiens
+
+von Theodor Mommsen
+
+The following e-text of Mommsen’s Roemische Geschichte contains some
+(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a
+modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek
+words, nor is there any differentiation between the different accents of
+ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.
+
+Contents
+
+ Zweites Buch—Von der Abschaffung des römischen Königtums bis zur Einigung Italiens
+ Kapitel I. Änderung der Verfassung. Beschränkung der Magistratsgewalt.
+ Kapitel II. Das Volkstribunat und die Dezemvirn
+ Kapitel III. Die Ausgleichung der Stände und die neue Aristokratie
+ Kapitel IV. Sturz der etruskischen Macht. Die Kelten.
+ Kapitel V. Die Unterwerfung der Latiner und Kampaner unter Rom
+ Kapitel VI. Die Italiker gegen Rom
+ Kapitel VII. König Pyrrhos gegen Rom und die Einigung Italiens
+ Kapitel VIII. Recht, Religion, Kriegswesen, Volkswirtschaft, Nationalität
+ Kapitel IX. Kunst und Wissenschaft
+
+
+
+
+Zweites Buch
+Von der Abschaffung des römischen Königtums bis zur Einigung Italiens
+
+
+— δεί ουκ εκπλήττειν τόν συγγράφεα τερατευόμενον διά τής ιστορίας τούς
+εντυγχάνοντας.
+
+— der Historiker soll seine Leser nicht durch Schauergeschichten in
+Erschuetterung versetzen.
+
+Polybios
+
+
+
+
+KAPITEL I.
+Änderung der Verfassung. Beschränkung der Magistratsgewalt.
+
+
+Der strenge Begriff der Einheit und Allgewalt der Gemeinde in allen
+Gemeindeangelegenheiten, dieser Schwerpunkt der italischen
+Verfassungen, legte in die Haende des einzigen, auf Lebenszeit
+ernannten Vorstehers eine furchtbare Gewalt, die wohl der Landesfeind
+empfand, aber nicht minder schwer der Buerger. Missbrauch und Druck
+konnte nicht ausbleiben, und hiervon die notwendige Folge waren
+Bestrebungen, jene Gewalt zu mindern. Aber das ist das Grossartige in
+diesen roemischen Reformversuchen und Revolutionen, dass man nie
+unternimmt, weder die Gemeinde als solche zu beschraenken noch auch nur
+sie entsprechender Organe zu berauben, dass nie die sogenannten
+natuerlichen Rechte des einzelnen gegen die Gemeinde geltend gemacht
+werden, sondern dass der ganze Sturm sich richtet gegen die Form der
+Gemeindevertretung. Nicht Begrenzung der Staats-, sondern Begrenzung
+der Beamtenmacht ist der Ruf der roemischen Fortschrittspartei von den
+Zeiten der Tarquinier bis auf die der Gracchen; und auch dabei vergisst
+man nie, dass das Volk nicht regieren, sondern regiert werden soll.
+
+Dieser Kampf bewegt sich innerhalb der Buergerschaft. Ihm zur Seite
+entwickelt sich eine andere Bewegung: der Ruf der Nichtbuerger um
+politische Gleichberechtigung. Dahin gehoeren die Agitationen der
+Plebejer, der Latiner, der Italiker, der Freigelassenen, welche alle,
+mochten sie Buerger genannt werden, wie die Plebejer und die
+Freigelassenen, oder nicht, wie die Latiner und die Italiker,
+politische Gleichheit entbehrten und begehrten.
+
+Ein dritter Gegensatz ist noch allgemeinerer Art: der der Vermoegenden
+und der Armen, insbesondere der aus dem Besitz gedraengten oder in
+demselben gefaehrdeten Besitzer. Die rechtlichen und politischen
+Verhaeltnisse Roms veranlassten die Entstehung zahlreicher
+Bauernwirtschaften teils kleiner Eigentuemer, die von der Gnade des
+Kapital-, teils kleiner Zeitpaechter, die von der Gnade des Grundherrn
+abhingen, und beraubten vielfach einzelne wie ganze Gemeinden des
+Grundbesitzes, ohne die persoenliche Freiheit anzugreifen. Dadurch ward
+das ackerbauende Proletariat schon so frueh maechtig, dass es
+wesentlich in die Schicksale der Gemeinde eingreifen konnte. Das
+staedtische Proletariat gewann erst in weit spaeterer Zeit politische
+Bedeutung.
+
+In diesen Gegensaetzen bewegte sich die innere Geschichte Roms und
+vermutlich nicht minder die uns gaenzlich verlorene der uebrigen
+italischen Gemeinden. Die politische Bewegung innerhalb der
+vollberechtigten Buergerschaft, der Krieg der Ausgeschlossenen und der
+Ausschliessenden, die sozialen Konflikte der Besitzenden und der
+Besitzlosen, so mannigfaltig sie sich durchkreuzen und
+ineinanderschlingen und oft seltsame Allianzen herbeifuehren, sind
+dennoch wesentlich und von Grund aus verschieden.
+
+Da die Servianische Reform, welche den Insassen in militaerischer
+Hinsicht dem Buerger gleichstellte, mehr aus administrativen
+Ruecksichten als aus einer politischen Parteitendenz hervorgegangen zu
+sein scheint, so darf als der erste dieser Gegensaetze, der zu inneren
+Krisen und Verfassungsaenderungen fuehrte, derjenige betrachtet werden,
+der auf die Beschraenkung der Magistratur hinarbeitet. Der frueheste
+Erfolg dieser aeltesten roemischen Opposition besteht in der
+Abschaffung der Lebenslaenglichkeit der Gemeindevorsteherschaft, das
+heisst in der Abschaffung des Koenigtums. Wie notwendig diese in der
+natuerlichen Entwicklung der Dinge lag, dafuer ist der schlagendste
+Beweis, dass dieselbe Verfassungsaenderung in dem ganzen Kreise der
+italisch-griechischen Welt in analoger Weise vor sich gegangen ist.
+Nicht bloss in Rom, sondern gerade ebenso bei den uebrigen Latinern
+sowie bei den Sabellern, Etruskern und Apulern, ueberhaupt in
+saemtlichen italischen Gemeinden finden wir, wie in den griechischen,
+in spaeterer Zeit die alten lebenslaenglichen durch Jahresherrscher
+ersetzt. Fuer den lucanischen Gau ist es bezeugt, dass er im Frieden
+sich demokratisch regierte und nur fuer den Krieg die Magistrate einen
+Koenig, das heisst einen dem roemischen Diktator aehnlichen Beamten
+bestellten; die sabellischen Stadtgemeinden, zum Beispiel die von Capua
+und Pompeii, gehorchten gleichfalls spaeterhin einem jaehrlich
+wechselnden “Gemeindebesorger” (medix tuticus), und aehnliche
+Institutionen moegen wir auch bei den uebrigen Volks- und
+Stadtgemeinden Italiens voraussetzen. Es bedarf hiernach keiner
+Erklaerung, aus welchen Gruenden in Rom die Konsuln an die Stelle der
+Koenige getreten sind; der Organismus der alten griechischen und
+italischen Politie entwickelt vielmehr die Beschraenkung der
+lebenslaenglichen Gemeindevorstandschaft auf eine kuerzere,
+meistenteils jaehrige Frist mit einer gewissen Naturnotwendigkeit aus
+sich selber. So einfach indes die Ursache dieser Veraenderung ist, so
+mannigfaltig konnten die Anlaesse sein; man mochte nach dem Tode des
+lebenslaenglichen Herrn beschliessen keinen solchen wieder zu
+erwaehlen, wie nach Romulus’ Tode der roemische Senat versucht haben
+soll; oder der Herr mochte freiwillig abdanken, was angeblich Koenig
+Servius Tullius beabsichtigt hat; oder das Volk mochte gegen einen
+tyrannischen Regenten aufstehen und ihn vertreiben, wie dies das Ende
+des roemischen Koenigtums war. Denn mag die Geschichte der Vertreibung
+des letzten Tarquinius, “des Uebermuetigen”, auch noch so sehr in
+Anekdoten ein- und zur Novelle ausgesponnen sein, so ist doch an den
+Grundzuegen nicht zu zweifeln. Dass der Koenig es unterliess den Senat
+zu befragen und zu ergaenzen, dass er Todesurteile und Konfiskationen
+ohne Zuziehung von Ratmaennern aussprach, dass er in seinen Speichern
+ungeheure Kornvorraete aufhaeufte und den Buergern Kriegsarbeit und
+Handdienste ueber die Gebuehr ansann, bezeichnet die Ueberlieferung in
+glaublicher Weise als die Ursachen der Empoerung; von der Erbitterung
+des Volkes zeugt das foermliche Geloebnis, das dasselbe Mann fuer Mann
+fuer sich und seine Nachkommen ablegte, fortan keinen Koenig mehr zu
+dulden, und der blinde Hass, der seitdem an den Namen des Koenigs sich
+anknuepfte, vor allem aber die Verfuegung, dass der “Opferkoenig”, den
+man kreieren zu muessen glaubte, damit nicht die Goetter den gewohnten
+Vermittler vermissten, kein weiteres Amt solle bekleiden koennen und
+also dieser zwar der erste, aber auch der ohnmaechtigste Mann im
+roemischen Gemeindewesen ward. Mit dem letzten Koenig wurde sein ganzes
+Geschlecht verbannt - ein Beweis, welche Geschlossenheit damals noch
+die gentilizischen Verbindungen hatten. Die Tarquinier siedelten darauf
+ueber nach Caere, vielleicht ihrer alten Heimat, wo ihr Geschlechtsgrab
+kuerzlich aufgedeckt worden ist. An die Stelle aber des einen
+lebenslaenglichen traten zwei jaehrige Herrscher an die Spitze der
+roemischen Gemeinde.
+
+Dies ist alles, was historisch ueber dies wichtige Ereignis als sicher
+angesehen werden kann ^1. Dass in einer grossen weitherrschenden
+Gemeinde, wie die roemische war, die koenigliche Gewalt, namentlich
+wenn sie durch mehrere Generationen bei demselben Geschlechte gewesen,
+widerstandsfaehiger und der Kampf also lebhafter war als in den
+kleineren Staaten, ist begreiflich; aber auf eine Einmischung
+auswaertiger Staaten in denselben deutet keine sichere Spur. Der grosse
+Krieg mit Etrurien, der uebrigens wohl nur durch chronologische
+Verwirrung in den roemischen Jahrbuechern so nahe an die Vertreibung
+der Tarquinier gerueckt ist, kann nicht als eine Intervention Etruriens
+zu Gunsten eines in Rom beeintraechtigten Landsmannes angesehen werden,
+aus dem sehr zureichenden Grunde, dass die Etrusker trotz des
+vollstaendigen Sieges doch weder das roemische Koenigtum
+wiederhergestellt noch auch nur die Tarquinier zurueckgefuehrt haben.
+
+———————————————————————
+
+^1 Die bekannte Fabel richtet groesstenteils sich selbst; zum guten
+Teil ist sie aus Beinamenerklaerung (Brutus, Poplicola, Scaevola)
+herausgesponnen. Aber sogar die scheinbar geschichtlichen Bestandteile
+derselben zeigen bei genauerer Erwaegung sich als erfunden. Dahin
+gehoert, dass Brutus Reiterhauptmann (tribunus celerum) gewesen und als
+solcher den Volksschluss ueber die Vertreibung der Tarquinier beantragt
+haben soll; denn es ist nach der roemischen Verfassung ganz unmoeglich,
+dass ein blosser Offizier das Recht gehabt habe, die Kurien zu berufen.
+Offenbar ist diese ganze Angabe zum Zweck der Herstellung eines
+Rechtsbodens fuer die roemische Republik ersonnen, und recht schlecht
+ersonnen, indem dabei der tribunus celerum mit dem ganz verschiedenen
+magister equitum verwechselt und dann das dem letzteren kraft seines
+praetorischen Ranges zustehende Recht, die Zenturien zu berufen, auf
+die Kurienversammlung bezogen ward.
+
+———————————————————————
+
+Sind wir ueber den historischen Zusammenhang dieses wichtigen
+Ereignisses im Dunkeln, so liegt dagegen zum Glueck klar vor, worin die
+Verfassungsaenderung bestand. Die Koenigsgewalt ward keineswegs
+abgeschafft, wie schon das beweist, dass in der Vakanz nach wie vor der
+“Zwischenkoenig” eintrat; es traten nur an die Stelle des einen
+lebenslaenglichen zwei Jahreskoenige, die sich Feldherren (praetores)
+oder Richter (iudices) oder auch bloss Kollegen (consules) ^2 nannten.
+Es sind die Prinzipien der Kollegialitaet und der Annuitaet, die die
+Republik und das Koenigtum unterscheiden und die hier zuerst uns
+entgegentreten.
+
+——————————————————
+
+^2 Consules sind die zusammen Springenden oder Tanzenden, wie praesul
+der Vorspringen exul der Ausspringer (ο εκπεσών), insula der Einsprung,
+zunaechst der ins Meer gefallene Felsblock.
+
+——————————————————
+
+Dasjenige der Kollegialitaet, dem der dritte spaeterhin gangbarste Name
+der Jahreskoenige entlehnt war, erscheint hier in einer ganz
+eigentuemlichen Gestalt. Nicht den beiden Beamten zusammen ward die
+hoechste Macht uebertragen, sondern es hatte und uebte sie jeder Konsul
+fuer sich so voll und ganz, wie der Koenig sie gehabt und geuebt hatte.
+Es geht dies so weit, dass von den beiden Kollegen nicht etwa der eine
+die Rechtspflege, der andere den Heerbefehl uebernahm, sondern sie
+ebenso gleichzeitig in der Stadt Recht sprachen wie zusammen zum Heere
+abgingen; im Falle der Kollision entschied ein nach Monaten oder Tagen
+bemessener Turnus. Allerdings konnte daneben, wenigstens im
+militaerischen Oberbefehl, eine gewisse Kompetenzteilung wohl von
+Anfang an stattfinden, beispielsweise der eine Konsul gegen die Aequer,
+der andere gegen die Volsker ausruecken; aber sie hatte in keiner Weise
+bindende Kraft und jedem der Kollegen stand es rechtlich frei, in den
+Amtskreis des andern zu jeder Zeit ueberzugreifen. Wo also die hoechste
+Gewalt der hoechsten Gewalt entgegentrat und der eine Kollege das
+verbot, was der andere befahl, hoben die konsularischen Machtworte
+einander auf. Diese eigentuemlich wenn nicht roemische, so doch
+latinische Institution konkurrierender hoechster Gewalt, die im
+roemischen Gemeinwesen sich im ganzen genommen praktisch bewaehrt hat,
+zu der es aber schwer sein wird, in einem andern groesseren Staat eine
+Parallele zu finden, ist offenbar hervorgegangen aus dem Bestreben, die
+koenigliche Macht in rechtlich ungeschmaelerter Fuelle festzuhalten und
+darum das Koenigsamt nicht etwa zu teilen oder von einem Individuum auf
+ein Kollegium zu uebertragen, sondern lediglich es zu verdoppeln und
+damit, wo es noetig war, es durch sich selber zu vernichten.
+
+Fuer die Befristung gab das aeltere fuenftaegige Zwischenkoenigtum
+einen rechtlichen Anhalt. Die ordentlichen Gemeindevorsteher wurden
+verpflichtet, nicht laenger als ein Jahr, von dem Tage ihres
+Amtsantritts an gerechnet ^3, im Amte zu bleiben und hoerten, wie der
+Interrex mit Ablauf der fuenf Tage, so mit Ablauf des Jahres vor.
+Rechts wegen auf, Beamte zu sein. Durch diese Befristung des hoechsten
+Amtes ging die tatsaechliche Unverantwortlichkeit des Koenigs fuer den
+Konsul verloren. Zwar hatte auch der Koenig von jeher in dem roemischen
+Gemeinwesen unter, nicht ueber dem Gesetz gestanden; allein da nach
+roemischer Auffassung der hoechste Richter nicht bei sich selbst
+belangt werden durfte, hatte er wohl ein Verbrechen begehen koennen,
+aber ein Gericht und eine Strafe gab es fuer ihn nicht. Den Konsul
+dagegen schuetzte, wenn er Mord oder Landesverrat beging, sein Amt
+auch, aber nur, solange es waehrte; nach seinem Ruecktritt unterlag er
+dem gewoehnlichen Strafgericht wie jeder andere Buerger.
+
+—————————————————————————-
+
+^3 Der Antrittstag fiel mit dem Jahresanfang (1. Maerz) nicht zusammen
+und war ueberhaupt nicht fest. Nach diesem richtete sich der
+Ruecktrittstag, ausgenommen, wenn ein Konsul ausdruecklich anstatt
+eines ausgefallenen gewaehlt war (consul suffectus), wo er in die
+Rechte und also auch in die Frist des Ausgefallenen eintrat. Doch sind
+diese Ersatzkonsuln in aelterer Zeit nur vorgekommen, wenn bloss der
+eine der Konsuln weggefallen war; Kollegien von Ersatzkonsuln begegnen
+erst in der spaeteren Republik. Regelmaessig bestand also das Amtsjahr
+eines Konsuls aus den ungleichen Haelften zweier buergerlicher Jahre.
+
+—————————————————————————
+
+Zu diesen hauptsaechlichen und prinzipiellen Aenderungen kamen andere
+untergeordnete und mehr aeusserliche, aber doch auch teilweise tief
+eingreifende Beschraenkungen hinzu. Das Recht des Koenigs, seine Aecker
+durch Buergerfronden zu bestellen, und das besondere Schutzverhaeltnis,
+in welchem die Insassenschaft zu dem Koenig gestanden haben muss,
+fielen mit der Lebenslaenglichkeit des Amtes von selber.
+
+Hatte ferner im Kriminalprozess sowie bei Bussen und Leibesstrafen
+bisher dem Koenig nicht bloss Untersuchung und Entscheidung der Sache
+zugestanden, sondern auch die Entscheidung darueber, ob der Verurteilte
+den Gnadenweg betreten duerfe oder nicht, so bestimmte jetzt das
+Valerische Gesetz (Jahr 245 Roms 500), dass der Konsul der Provokation
+des Verurteilten stattgeben muesse, wenn auf Todes- oder Leibesstrafe
+nicht nach Kriegsrecht erkannt war; was durch ein spaeteres Gesetz
+(unbestimmter Zeit, aber vor dem Jahre 303 451 erlassen) auf schwere
+Vermoegensbussen ausgedehnt ward. Zum Zeichen dessen legten die
+konsularischen Liktoren, wo der Konsul als Richter, nicht als Feldherr
+auftrat, die Beile ab, die sie bisher kraft des ihrem Herrn zustehenden
+Blutbannes gefuehrt hatten. Indes drohte dem Beamten, der der
+Provokation nicht ihren Lauf liess, das Gesetz nichts anderes als die
+Infamie, die nach damaligen Verhaeltnissen im wesentlichen nichts war
+als ein sittlicher Makel und hoechstens zur Folge hatte, dass das
+Zeugnis des Ehrlosen nicht mehr galt. Auch hier liegt dieselbe
+Anschauung zu Grunde, dass es rechtlich unmoeglich ist, die alte
+Koenigsgewalt zu schmaelern und die infolge der Revolution dem Inhaber
+der hoechsten Gemeindegewalt gesetzten Schranken streng genommen nur
+einen tatsaechlichen und sittlichen Wert haben. Wenn also der Konsul
+innerhalb der alten koeniglichen Kompetenz handelt, so kann er damit
+wohl ein Unrecht, aber kein Verbrechen begehen und unterliegt also
+deswegen dem Strafrichter nicht.
+
+Eine in der Tendenz aehnliche Beschraenkung fand statt in der
+Zivilgerichtsbarkeit; denn wahrscheinlich wurde den Konsuln gleich mit
+ihrem Eintritt das Recht genommen, einen Rechtshandel unter Privaten
+nach ihrem Ermessen zu entscheiden.
+
+Die Umgestaltung des Kriminal- wie des Zivilprozesses stand in
+Verbindung mit einer allgemeinen Anordnung hinsichtlich der
+Uebertragung der Amtsgewalt auf Stellvertreter oder Nachfolger. Hatte
+dem Koenig die Ernennung von Stellvertretern unbeschraenkt frei, aber
+nie fuer ihn ein Zwang dazu bestanden, so haben die Konsuln das Recht
+der Gewaltuebertragung in wesentlich anderer Weise geuebt. Zwar die
+Regel, dass wenn der hoechste Beamte die Stadt verliess, er fuer die
+Rechtspflege daselbst einen Vogt zu bestellen habe, blieb auch fuer die
+Konsuln in Kraft, und nicht einmal die Kollegialitaet ward auf die
+Stellvertretung erstreckt, vielmehr diese Bestellung demjenigen Konsul
+auferlegt, welcher zuletzt die Stadt verliess. Aber das
+Mandierungsrecht fuer die Zeit, wo die Konsuln in der Stadt verweilten,
+wurde wahrscheinlich gleich bei der Einfuehrung dieses Amtes dadurch
+beschraenkt, dass dem Konsul das Mandieren fuer bestimmte Faelle
+vorgeschrieben, fuer alle Faelle dagegen, wo dies nicht geschehen war,
+untersagt ward. Nach diesem Grundsatz ward, wie gesagt, das gesamte
+Gerichtswesen geordnet. Der Konsul konnte allerdings die
+Kriminalgerichtsbarkeit auch im Kapitalprozess in der Weise ausueben,
+dass er seinen Spruch der Gemeinde vorlegte und diese ihn dann
+bestaetigte oder verwarf; aber er hat dies Recht, soviel wir sehen, nie
+geuebt, vielleicht bald nicht mehr ueben duerfen und vielleicht nur da
+ein Kriminalurteil gefaellt, wo aus irgendeinem Grunde die Berufung an
+die Gemeinde ausgeschlossen war. Man vermied den unmittelbaren Konflikt
+zwischen dem hoechsten Gemeindebeamten und der Gemeinde selbst und
+ordnete den Kriminalprozess vielmehr in der Weise, dass das hoechste
+Gemeindeamt nur der Idee nach kompetent blieb, aber immer handelte
+durch notwendige, wenn auch von ihm bestellte Vertreter. Es sind dies
+die beiden nicht staendigen Urteilsprecher fuer Empoerung und
+Hochverrat (duoviri perduellionis) und die zwei staendigen Mordspuerer,
+die quaestores parricidii. Aehnliches mag vielleicht in der Koenigszeit
+da vorgekommen sein, wo der Koenig sich in solchen Prozessen vertreten
+liess; aber die Staendigkeit der letzteren Institution und das in
+beiden durchgefuehrte Kollegialitaetsprinzip gehoeren auf jeden Fall
+der Republik an. Die letztere Einrichtung ist auch insofern von grosser
+Wichtigkeit geworden, als damit zum erstenmal neben die zwei staendigen
+Oberbeamten zwei Gehilfen traten, die jeder Oberbeamte bei seinem
+Amtsantritt ernannte und die folgerecht auch bei seinem Ruecktritt mit
+ihm abtraten, deren Stellung also wie das Oberamt selbst nach den
+Prinzipien der Staendigkeit, der Kollegialitaet und der Annuitaet
+geordnet war. Es ist das zwar noch nicht die niedere Magistratur
+selbst, wenigstens nicht in dem Sinne, den die Republik mit der
+magistratischen Stellung verbindet, insofern die Kommissarien nicht aus
+der Wahl der Gemeinde hervorgehen; wohl aber ist dies der Ausgangspunkt
+der spaeter so mannigfaltig entwickelten Institution der Unterbeamten
+geworden.
+
+In aehnlichem Sinne wurde die Entscheidung im Zivilprozess dem Oberamt
+entzogen, indem das Recht des Koenigs, einen einzelnen Prozess zur
+Entscheidung einem Stellvertreter zu uebertragen, umgewandelt ward in
+die Pflicht des Konsuls, nach Feststellung der Parteilegitimation und
+des Gegenstandes der Klage dieselbe zur Erledigung an einen von ihm
+auszuwaehlenden und von ihm zu instruierenden Privatmann zu verweisen.
+
+In gleicher Weise wurde den Konsuln die wichtige Verwaltung des
+Staatsschatzes und des Staatsarchivs zwar gelassen, aber doch
+wahrscheinlich sofort, mindestens sehr frueh, ihnen dabei staendige
+Gehilfen und zwar eben jene Quaestoren zugeordnet, welche ihnen
+freilich in dieser Taetigkeit unbedingt zu gehorchen hatten, ohne deren
+Vorwissen und Mitwirkung aber doch die Konsuln nicht handeln konnten.
+Wo dagegen solche Vorschriften nicht bestanden, musste der
+Gemeindevorstand in der Hauptstadt persoenlich eingreifen; wie denn zum
+Beispiel bei der Einleitung des Prozesses er sich unter keinen
+Umstaenden vertreten lassen kann.
+
+Diese zwiefache Fesselung des konsularischen Mandierungsrechts bestand
+fuer das staedtische Regiment, zunaechst fuer die Rechtspflege und die
+Kassenverwaltung. Als Oberfeldherr behielt der Konsul dagegen das
+Uebertragungsrecht aller oder einzelner ihm obliegender Geschaefte.
+Diese verschiedene Behandlung der buergerlichen und der militaerischen
+Gewaltuebertragung ist die Ursache geworden, weshalb innerhalb des
+eigentlichen roemischen Gemeinderegiments durchaus keine
+stellvertretende Amtsgewalt (pro magistratu) moeglich ist und rein
+staedtische Beamte nie durch Nichtbeamte ersetzt, die militaerischen
+Stellvertreter aber (pro consule, pro praetore, pro quaestore) von
+aller Taetigkeit innerhalb der eigentlichen Gemeinde ausgeschlossen
+werden.
+
+Das Recht, den Nachfolger zu ernennen, hatte der Koenig nicht gehabt,
+sondern nur der Zwischenkoenig. Der Konsul wurde in dieser Hinsicht dem
+letzten gleichgestellt; fuer den Fall jedoch, dass er es nicht
+ausgeuebt hatte, trat nach wie vor der Zwischenkoenig ein, und die
+notwendige Kontinuitaet des Amtes bestand auch in dem republikanischen
+Regiment ungeschmaelert fort. Indes wurde das Ernennungsrecht
+wesentlich eingeschraenkt zu Gunsten der Buergerschaft, indem der
+Konsul verpflichtet ward, fuer die von ihm bezeichneten Nachfolger die
+Zustimmung der Gemeinde zu erwirken, weiterhin nur diejenigen zu
+ernennen, die die Gemeinde ihm bezeichnete. Durch dieses bindende
+Vorschlagsrecht ging wohl in gewissem Sinne die Ernennung der
+ordentlichen hoechsten Beamten materiell auf die Gemeinde ueber; doch
+bestand auch praktisch noch ein sehr bedeutender Unterschied zwischen
+jenem Vorschlags- und dem foermlichen Ernennungsrecht. Der wahlleitende
+Konsul war durchaus nicht blosser Wahlvorstand, sondern konnte immer
+noch, kraft seines alten koeniglichen Rechts, zum Beispiel einzelne
+Kandidaten zurueckweisen und die auf sie fallenden Stimmen unbeachtet
+lassen, anfangs auch noch die Wahl auf eine von ihm entworfene
+Kandidatenliste beschraenken; und was noch wichtiger war, wenn das
+Konsulkollegium durch den gleich zu erwaehnenden Diktator zu ergaenzen
+war, wurde bei dieser Ergaenzung die Gemeinde nicht befragt, sondern
+der Konsul bestellte in dem Fall mit derselben Freiheit den Kollegen,
+wie einst der Zwischenkoenig den Koenig bestellt hatte.
+
+Die Priesterernennung, die den Koenigen zugestanden hatte, ging nicht
+ueber auf die Konsuln, sondern es trat dafuer bei den Maennerkollegien
+die Selbstergaenzung, bei den Vestalinnen und den Einzelpriestern die
+Ernennung durch das Pontifikalkollegium ein, an welches auch die
+Ausuebung der gleichsam hausherrlichen Gerichtsbarkeit der Gemeinde
+ueber die Priesterinnen der Vesta kam. Um diese fueglich nicht anders
+als von einem einzelnen vorzunehmenden Handlungen vollziehen zu
+koennen, setzte das Kollegium sich, vermutlich erst um diese Zeit,
+einen Vorstand, den Pontifex maximus. Diese Abtrennung der sakralen
+Obergewalt von der buergerlichen, waehrend auf den schon erwaehnten
+“Opferkoenig” weder die buergerliche noch die sakrale Macht des
+Koenigtums, sondern lediglich der Titel ueberging, sowie die aus dem
+sonstigen Charakter des roemischen Priestertums entschieden
+heraustretende, halb magistratische Stellung des neuen Oberpriesters
+ist eine der bezeichnendsten und folgenreichsten Eigentuemlichkeiten
+dieser auf Beschraenkung der Beamtengewalt hauptsaechlich im
+aristokratischen Interesse hinzielenden Staatsumwaelzung.
+
+Dass auch im aeusseren Auftreten der Konsul weit zurueckstand hinter
+dem mit Ehrfurcht und Schrecken umgebenen koeniglichen Amte, dass der
+Koenigsname und die priesterliche Weihe ihm entzogen, seinen Dienern
+das Beil genommen wurde, ist schon gesagt worden; es kommt hinzu, dass
+der Konsul statt des koeniglichen Purpurkleides nur durch den
+Purpursaum seines Obergewandes von dem gewoehnlichen Buerger sich
+unterschied, und dass, waehrend der Koenig oeffentlich vielleicht
+regelmaessig im Wagen erschien, der Konsul der allgemeinen Ordnung sich
+zu fuegen und gleich jedem anderen Buerger innerhalb der Stadt zu Fuss
+zu gehen gehalten war.
+
+Indes, diese Beschraenkungen der Amtsgewalt kamen im wesentlichen nur
+zur Anwendung gegen den ordentlichen Gemeindevorstand.
+Ausserordentlicher Weise trat neben und in gewissem Sinn anstatt der
+beiden von der Gemeinde gewaehlten Vorsteher ein einziger ein, der
+Heermeister (magister populi), gewoehnlich bezeichnet als der dictator.
+Auf die Wahl zum Diktator uebte die Gemeinde keinerlei Einfluss,
+sondern sie ging lediglich aus dem freien Entschluss eines der zeitigen
+Konsuln hervor, den weder der Kollege noch eine andere Behoerde hieran
+hindern konnte; gegen ihn galt die Provokation nur wie gegen den
+Koenig, wenn er freiwillig ihr wich; sowie er ernannt war, waren alle
+uebrigen Beamten von Rechts wegen ihm untertan. Dagegen war der Zeit
+nach die Amtsdauer des Diktators zwiefach begrenzt: einmal insofern er
+als Amtsgenosse derjenigen Konsuln, deren einer ihn ernannt hatte,
+nicht ueber deren gesetzliche Amtszeit hinaus im Amte bleiben durfte;
+sodann war als absolutes Maximum der Amtsdauer dem Diktator eine
+sechsmonatliche Frist gesetzt. Eine der Diktatur eigentuemliche
+Einrichtung war ferner, dass der “Heermeister” gehalten war, sich
+sofort einen “Reitermeister” (magister equitum) zu ernennen, welcher
+als abhaengiger Gehilfe neben ihm, etwa wie der Quaestor neben dem
+Konsul, fungierte und mit ihm vom Amte abtrat - eine Einrichtung, die
+ohne Zweifel damit zusammenhaengt, dass es dem Heermeister, vermutlich
+als dem Fuehrer des Fussvolkes, verfassungsmaessig untersagt war, zu
+Pferde zu steigen. Diesen Bestimmungen zufolge ist die Diktatur wohl
+aufzufassen als eine mit dem Konsulat zugleich entstandene Einrichtung,
+die den Zweck hatte, insbesondere fuer den Kriegsfall die Nachteile der
+geteilten Gewalt zeitweilig zu beseitigen und die koenigliche Gewalt
+voruebergehend wieder ins Leben zu rufen. Denn im Kriege vor allem
+musste die Gleichberechtigung der Konsuln bedenklich erscheinen und
+nicht bloss bestimmte Zeugnisse, sondern vor allem die aelteste
+Benennung des Beamten selbst und seines Gehilfen wie auch die
+Begrenzung auf die Dauer eines Sommerfeldzugs und der Ausschluss der
+Provokation sprechen fuer die ueberwiegend militaerische Bestimmung der
+urspruenglichen Diktatur.
+
+Im ganzen also blieben auch die Konsuln, was die Koenige gewesen waren,
+oberste Verwalter, Richter und Feldherren, und auch in religioeser
+Hinsicht war es nicht der Opferkoenig, der nur, damit der Name
+vorhanden sei, ernannt ward, sondern der Konsul, der fuer die Gemeinde
+betete und opferte und in ihrem Namen den Willen der Goetter mit Hilfe
+der Sachverstaendigen erforschte. Fuer den Notfall hielt man sich
+ueberdies die Moeglichkeit offen, die volle unumschraenkte
+Koenigsgewalt ohne vorherige Befragung der Gemeinde jeden Augenblick
+wieder ins Leben zu rufen mit Beseitigung der durch die Kollegialitaet
+und durch die besonderen Kompetenzminderungen gezogenen Schranken. So
+wurde die Aufgabe, die koenigliche Autoritaet rechtlich festzuhalten
+und tatsaechlich zu beschraenken, von den namenlosen Staatsmaennern,
+deren Werk diese Revolution war, in echt roemischer Weise ebenso scharf
+wie einfach geloest.
+
+Die Gemeinde gewann also durch die Aenderung der Verfassung die
+wichtigsten Rechte: das Recht, die Gemeindevorsteher jaehrlich zu
+bezeichnen und ueber Tod und Leben des Buergers in letzter Instanz zu
+entscheiden. Aber es konnte das unmoeglich die bisherige Gemeinde sein,
+der tatsaechlich zum Adelstande gewordene Patriziat. Die Kraft des
+Volkes war bei der “Menge”, welche namhafte und vermoegende Leute
+bereits in grosser Zahl in sich schloss. Dass diese Menge aus der
+Gemeindeversammlung ausgeschlossen war, obwohl sie die gemeinen Lasten
+mittrug, mochte ertragen werden, solange die Gemeindeversammlung selbst
+im wesentlichen nicht eingriff in den Gang der Staatsmaschine und
+solange die Koenigsgewalt eben durch ihre hohe und freie Stellung den
+Buergern nicht viel weniger fuerchterlich blieb als den Insassen und
+damit in der Nation die Rechtsgleichheit erhielt. Allein als die
+Gemeinde selbst zu regelmaessigen Wahlen und Entscheidungen berufen,
+der Vorsteher aber faktisch aus ihrem Herrn zum befristeten
+Auftragnehmer herabgedrueckt ward, konnte dies Verhaeltnis nicht
+laenger aufrecht erhalten werden; am wenigsten bei der Neugestaltung
+des Staates an dem Morgen einer Revolution, die nur durch
+Zusammenwirken der Patrizier und der Insassen hatte durchgesetzt werden
+koennen. Eine Erweiterung dieser Gemeinde war unvermeidlich; und sie
+ist in der umfassendsten Weise erfolgt, indem das gesamte Plebejat, das
+heisst saemtliche Nichtbuerger, die weder Sklaven noch nach Gastrecht
+lebende Buerger auswaertiger Gemeinden waren, in die Buergerschaft
+aufgenommen wurden. Der Kurienversammlung der Altbuerger, die bis dahin
+rechtlich und tatsaechlich die erste Autoritaet im Staate gewesen war,
+wurden ihre verfassungsmaessigen Befugnisse fast gaenzlich entzogen:
+nur in rein formellen oder in den die Geschlechtsverhaeltnisse
+betreffenden Akten, also hinsichtlich des dem Konsul oder dem Diktator
+nach Antritt ihres Amtes eben wie frueher dem Koenig zu leistenden
+Treugeloebnisses und des fuer die Arrogation und das Testament
+erforderlichen gesetzlichen Dispenses, sollte die Kurienversammlung die
+bisherige Kompetenz behalten, aber in Zukunft keinen eigentlichen
+politischen Schluss mehr vollziehen duerfen. Bald wurden sogar die
+Plebejer zum Stimmrecht auch in den Kurien zugelassen, und es verlor
+damit die Altbuergerschaft das Recht ueberhaupt, zusammenzutreten und
+zu beschliessen. Die Kurienordnung wurde insofern gleichsam entwurzelt,
+als sie auf der Geschlechterordnung beruhte, diese aber in ihrer
+Reinheit ausschliesslich bei dem Altbuergertum zu finden war. Indern
+die Plebejer in die Kurien aufgenommen wurden, gestattete man
+allerdings auch ihnen rechtlich, was frueher nur faktisch bei ihnen
+vorgekommen sein kann, sich als Familien und Geschlechter zu
+konstituieren, aber es ist bestimmt ueberliefert und auch an sich sehr
+begreiflich, dass nur ein Teil der Plebejer zur gentilizischen
+Konstituierung vorschritt und also die neue Kurienversammlung im
+Widerspruch mit ihrem urspruenglichen Wesen zahlreiche Mitglieder
+zaehlte, die keinem Geschlecht angehoerten.
+
+Alle politischen Befugnisse der Gemeindeversammlung, sowohl die
+Entscheidung auf Provokation in dem Kriminalverfahren, das ja
+ueberwiegend politischer Prozess war, als die Ernennung der Magistrate
+und die Annahme oder Verwerfung der Gesetze, wurden auf das versammelte
+Aufgebot der Waffenpflichtigen uebertragen oder ihm neu erworben, so
+dass die Zenturien zu den gemeinen Lasten jetzt auch die gemeinen
+Rechte empfingen. Damit gelangten die in der Servianischen Verfassung
+gegebenen geringen Anfaenge, wie namentlich das dem Heer ueberwiesene
+Zustimmungsrecht bei der Erklaerung eines Angriffskrieges, zu einer
+solchen Entwicklung, dass die Kurien durch die Zenturienversammlung
+voellig und auf immer verdunkelt wurden und man sich gewoehnte, das
+souveraene Volk in der letzteren zu erblicken. Debatte fand auch in
+dieser bloss dann statt, wenn der vorsitzende Beamte freiwillig selbst
+sprach oder andere sprechen hiess, nur dass bei der Provokation
+natuerlich beide Teile gehoert werden mussten; die einfache Majoritaet
+der Zenturien entschied.
+
+Da in der Kurienversammlung die ueberhaupt Stimmberechtigten sich
+voellig gleichstanden, also nach Aufnahme der saemtlichen Plebejer in
+die Kurien man bei der ausgebildeten Demokratie angelangt sein wuerde,
+so ist es begreiflich, dass die politischen Abstimmungen den Kurien
+entzogen blieben; die Zenturienversammlung legte das Schwergewicht zwar
+nicht in die Haende der Adligen, aber doch in die der Vermoegenden, und
+das wichtige Vorstimmrecht, welches oft tatsaechlich entschied, in die
+der Ritter, das ist der Reichen.
+
+Nicht in gleicher Weise wie die Gemeinde wurde der Senat durch die
+Reform der Verfassung betroffen. Das bisherige Kollegium der Aeltesten
+blieb nicht bloss ausschliesslich patrizisch, sondern behauptete auch
+seine wesentlichen Befugnisse, das Recht, den Zwischenkoenig zu stellen
+und die von der Gemeinde gefassten Beschluesse als verfassungsmaessige
+oder verfassungswidrige zu bestaetigen oder zu verwerfen. Ja, diese
+Befugnisse wurden durch die Reform der Verfassung noch gesteigert,
+indem fortan auch die Bestellung der Gemeindebeamten wie der Wahl der
+Gemeinde, so der Bestaetigung oder Verwerfung des patrizischen Senats
+unterlag - nur bei der Provokation ist seine Bestaetigung, soviel wir
+wissen, niemals eingeholt worden, da es sich hier um Begnadigung des
+Schuldigen handelte, und wenn diese von der souveraenen
+Volksversammlung erteilt war, von einer etwaigen Vernichtung dieses
+Aktes nicht fueglich die Rede sein konnte.
+
+Indes wenngleich durch die Abschaffung des Koenigtums die
+verfassungsmaessigen Rechte des patrizischen Senats eher gemehrt als
+gemindert wurden, so kam doch auch, und zwar der Ueberlieferung zufolge
+sogleich mit der Abschaffung des Koenigtums, fuer diejenigen
+Angelegenheiten, die im Senat sonst zur Sprache kamen und die eine
+freiere Behandlung zuliessen, eine Erweiterung des Senats auf, die auch
+Plebejer in denselben brachte, und die in ihren Folgen eine
+vollstaendige Umgestaltung der gesamten Koerperschaft herbeigefuehrt
+hat. Seit aeltester Zeit hat der Senat nicht allein und nicht
+vorzugsweise, aber doch auch als Staatsrat fungiert; und wenn es
+wahrscheinlich schon in der Koenigszeit nicht als verfassungswidrig
+angesehen ward, dass in diesem Fall auch Nichtsenatoren an der
+Versammlung teilnahmen, so wurde jetzt die Einrichtung getroffen, dass
+fuer dergleichen Verhandlungen dem patrizischen Senat (Patres) eine
+Anzahl nicht patrizischer “Eingeschriebener” (conscripti) beigegeben
+wurden. Eine Gleichstellung war dies freilich in keiner Weise: die
+Plebejer im Senat wurden nicht Senatoren, sondern blieben Mitglieder
+des Ritterstandes, hiessen nicht “Vaeter”, sondern waren nun auch
+“Eingeschriebenen und hatten kein Recht, auf das Abzeichen der
+senatorischen Wuerde, den roten Schuh. Sie blieben ferner nicht bloss
+unbedingt ausgeschlossen von der Ausuebung der dem Senat zustehenden
+obrigkeitlichen Befugnisse (auctoritas), sondern sie mussten auch da,
+wo es sich bloss um einen Ratschlag (consilium) handelte, es sich
+gefallen lassen, der an die Patrizier gerichteten Umfrage schweigend
+beizuwohnen und nur bei dem Auseinandertreten zur Abmehrung ihre
+Meinung zu erkennen zu geben, “mit den Fuessen zu stimmen” (pedibus in
+sententiam ire, pedarii), wie der stolze Adel sagte. Aber dennoch
+fanden die Plebejer durch die neue Verfassung ihren Weg nicht bloss auf
+den Markt, sondern auch in das Rathaus, und der erste und schwerste
+Schritt zur Gleichberechtigung war auch hier getan.
+
+Im uebrigen aenderte sich in den den Senat betreffenden Ordnungen
+nichts Wesentliches. Unter den patrizischen Mitgliedern machte sich
+bald, namentlich bei der Umfrage, ein Rangunterschied dahin geltend,
+dass diejenigen, welche zu dem hoechsten Gemeindeamt demnaechst
+bezeichnet waren oder dasselbe bereits verwaltet hatten, vor den
+uebrigen in der Liste verzeichnet und bei der Abstimmung gefragt
+wurden, und die Stellung des ersten von ihnen, des Vormanns des Rates
+(princeps senatus), wurde bald ein vielbeneideter Ehrenplatz. Der
+fungierende Konsul dagegen galt als Mitglied des Senats so wenig wie
+der Koenig und seine eigene Stimme zaehlte darum nicht mit. Die Wahlen
+in den Rat, sowohl in den engeren patrizischen wie unter die bloss
+Eingeschriebenen, erfolgten durch die Konsuln eben wie frueher durch
+die Koenige; nur liegt es in der Sache, dass, wenn der Koenig
+vielleicht auf die Vertretung der einzelnen Geschlechter im Rat noch
+einigermassen Ruecksicht genommen hatte, den Plebejern gegenueber, bei
+denen die Geschlechterordnung nur unvollkommen entwickelt war, diese
+Erwaegung gaenzlich wegfiel und somit ueberhaupt die Beziehung des
+Senats zu der Geschlechterordnung mehr und mehr in Abnahme kam. Von
+einer Beschraenkung der waehlenden Konsuln in der Weise, dass sie nicht
+ueber eine bestimmte Zahl von Plebejern in den Senat haetten aufnehmen
+duerfen, ist nichts bekannt; es bedurfte einer solchen Ordnung auch
+nicht, da die Konsuln ja selbst dem Adel angehoerten. Dagegen ist
+wahrscheinlich von Haus aus der Konsul seiner ganzen Stellung gemaess
+bei der Bestellung der Senatoren tatsaechlich weit weniger frei und
+weit mehr durch Standesmeinung und Observanz gebunden gewesen als der
+Koenig. Namentlich die Regel, dass die Bekleidung des Konsulats
+notwendig den Eintritt in den Senat auf Lebenszeit herbeifuehre, wenn,
+was in dieser Zeit wohl noch vorkam, der Konsul zur Zeit seiner
+Erwaehlung noch nicht Mitglied desselben war, wird sich wohl sehr frueh
+gewohnheitsrechtlich festgestellt haben. Ebenso scheint es frueh
+ueblich geworden zu sein, die Senatorenstellen nicht sofort nach der
+Erledigung wieder zu besetzen, sondern bei Gelegenheit der Schatzung,
+also regelmaessig jedes vierte Jahr, die Liste des Senats zu revidieren
+und zu ergaenzen; worin doch auch eine nicht unwichtige Beschraenkung
+der mit der Auswahl betrauten Behoerde enthalten war. Die Gesamtzahl
+der Senatoren blieb wie sie war, und zwar wurden auch die
+Eingeschriebenen in dieselbe eingerechnet; woraus man wohl auch auf das
+numerische Zusammenschwinden des Patriziats zu schliessen berechtigt
+ist ^4.
+
+————————————————————-
+
+^4 Dass die ersten Konsuln 164 Plebejer in den Senat nahmen, ist kaum
+als geschichtliche Tatsache zu betrachten, sondern eher ein Zeugnis
+dafuer, dass die spaeteren roemischen Archaeologen nicht mehr als 136
+roemische Adelsgeschlechter nachzuweisen vermochten (Roemische
+Forschungen, Bd. 1, S. 121).
+
+—————————————————————-
+
+Es blieb, wie man sieht, in dem roemischen Gemeinwesen selbst bei
+Umwandlung der Monarchie in die Republik soweit immer moeglich beim
+alten; soweit eine Staatsumwaelzung ueberhaupt konservativ sein kann,
+ist diese es gewesen und keines der konstitutiven Elemente des
+Gemeinwesens durch sie eigentlich ueber den Haufen geworfen worden. Es
+war das bezeichnend fuer den Charakter der gesamten Bewegung. Die
+Vertreibung der Tarquinier war nicht, wie die klaeglichen, tief
+verfaelschten Berichte sie darstellen, das Werk eines von Mitleid und
+Freiheitsenthusiasmus berauschten Volkes, sondern das Werk zweier
+grosser, bereits im Ringen begriffener und der stetigen Fortdauer ihres
+Kampfes klar sich bewusster politischer Parteien, der Altbuerger und
+der Insassen, welche, wie die englischen Tories und die Whigs im Jahre
+1688, durch die gemeinsame Gefahr das Gemeinwesen in die
+Willkuerregierung eines Herrn sich umwandeln zu sehen, auf einen
+Augenblick vereinigt wurden, um dann sofort wieder sich zu entzweien.
+Die Altbuergerschaft konnte ohne die Neubuerger des Koenigtums sich
+nicht entledigen; aber die Neubuerger waren bei weitem nicht maechtig
+genug, um jener mit einem Schlag das Heft aus den Haenden zu winden.
+Solche Transaktionen beschraenken sich notwendigerweise auf das
+geringste Mass gegenseitiger, durch muehsames Abdingen gewonnener
+Konzessionen und lassen die Zukunft entscheiden, wie das Schwergewicht
+der konstitutiven Elemente weiter sich stellen, wie sie
+ineinandergreifen oder einander entgegenwirken werden. Darum verkennt
+man die Tragweite der ersten roemischen Revolution durchaus, wenn man
+in ihr bloss die unmittelbaren Neuerungen, etwa bloss eine Veraenderung
+in der Dauer der hoechsten Magistratur sieht; die mittelbaren Folgen
+waren auch hier bei weitem die Hauptsache und wohl gewaltiger, als
+selbst ihre Urheber sie ahnten.
+
+Dies war die Zeit, wo, um es mit einem Worte zu sagen, die roemische
+Buergerschaft im spaeteren Sinne des Wortes entstand. Die Plebejer
+waren bisher Insassen gewesen, welche man wohl zu den Steuern und
+Lasten mit heranzog, die aber dennoch in den Augen des Gesetzes
+wesentlich nichts waren als geduldete Fremdlinge und deren Kreis gegen
+die eigentlichen Auslaender scharf abzustecken kaum noetig scheinen
+mochte. Jetzt wurden sie als wehrpflichtige Buerger in die Listen
+eingeschrieben; und wenn sie auch der Rechtsgleichheit noch fern
+standen, immer noch die Altbuerger zu den dem Rat der Alten
+verfassungsmaessig zustehenden Autoritaetshandlungen ausschliesslich
+befugt und zu den buergerlichen Aemtern und Priestertuemern
+ausschliesslich waehlbar, ja sogar der buergerlichen Nutzungen, zum
+Beispiel des Anteils an der Gemeinweide, vorzugsweise teilhaft blieben,
+so war doch der erste und schwerste Schritt zur voelligen Ausgleichung
+geschehen, seit die Plebejer nicht bloss im Gemeindeaufgebot dienten,
+sondern auch in der Gemeindeversammlung und im Gemeinderat bei dessen
+gutachtlicher Befragung stimmten und Haupt und Ruecken auch des
+aermsten Insassen so gut wie des vornehmsten Altbuergers geschuetzt
+ward durch das Provokationsrecht.
+
+Eine Folge dieser Verschmelzung der Patrizier und Plebejer zu der neuen
+gemeinen roemischen Buergerschaft war die Umwandlung der
+Altbuergerschaft in einen Geschlechtsadel, welcher, seit die Adelschaft
+auch das Recht verlor, in gemeiner Versammlung zu beschliessen, da die
+Aufnahme neuer Familien in den Adel durch Gemeindebeschluss noch
+weniger zulaessig erschien, jeder, sogar der Selbstergaenzung unfaehig
+war. Unter den Koenigen war dergleichen Abgeschlossenheit dem
+roemischen Adel fremd und die Aufnahme neuer Geschlechter nicht allzu
+selten gewesen; jetzt stellte dieses rechte Kennzeichnen des Junkertums
+sich ein als der sichere Vorbote des bevorstehenden Verlustes seiner
+politischen Vorrechte und seiner ausschliesslichen Geltung in der
+Gemeinde. Die Ausschliessung der Plebejer von allen Gemeindeaemtern und
+Gemeindepriestertuemern, waehrend sie doch zu Offiziers- und
+Ratsherrenstellen zugelassen wurden, und die mit verkehrter
+Hartnaeckigkeit festgehaltene rechtliche Unmoeglichkeit einer Ehe
+zwischen Altbuergern und Plebejern drueckten weiter dem Patriziat von
+vornherein den Stempel des exklusiven und widersinnig privilegierten
+Adeltums auf.
+
+Eine zweite Folge der neuen buergerlichen Einigung muss die festere
+Regulierung des Niederlassungsrechts sowohl den latinischen Eidgenossen
+als anderen Staaten gegenueber gewesen sein. Weniger des Stimmrechts in
+den Zenturien wegen, das ja doch nur dem Ansaessigen zukam, als wegen
+des Provokationsrechts, das dem Plebejer, aber nicht dem eine Zeitlang
+oder auch dauernd in Rom verweilenden Auslaender gewaehrt werden
+sollte, wurde es notwendig, die Bedingungen der Erwerbung des
+plebejischen Rechts genauer zu formulieren und die erweiterte
+Buergerschaft wiederum gegen die jetzigen Nichtbuerger abzuschliessen.
+Also geht auf diese Epoche im Sinne und Geiste des Volkes sowohl die
+Gehaessigkeit des Gegensatzes zwischen Patriziern und Plebejern zurueck
+wie die scharfe und stolze Abgrenzung der cives Romani gegen die
+Fremdlinge. Aber jener staedtische Gegensatz war voruebergehender,
+dieser politische dauernder Art und das Gefuehl der staatlichen Einheit
+und der beginnenden Grossmacht, das hiermit in die Herzen der Nation
+gepflanzt ward, expansiv genug, um jene kleinlichen Unterschiede erst
+zu untergraben und sodann im allmaechtigen Strom mit sich
+fortzureissen.
+
+Dies war ferner die Zeit, wo Gesetz und Verordnung sich schieden.
+Begruendet zwar ist der Gegensatz in dem innersten Wesen des roemischen
+Staates; denn auch die roemische Koenigsgewalt stand unter, nicht ueber
+dem Landrecht. Allein die tiefe und praktische Ehrfurcht, welche die
+Roemer wie jedes andere politisch faehige Volk vor dem Prinzip der
+Autoritaet hegten, erzeugte den merkwuerdigen Satz des roemischen
+Staats- und Privatrechts, dass jeder nicht auf ein Gesetz gegruendete
+Befehl des Beamten wenigstens waehrend der Dauer seines Amtes gelte,
+obwohl er mit diesem wegfiel. Es ist einleuchtend, dass hierbei,
+solange die Vorsteher auf Lebenszeit ernannt wurden, der Unterschied
+zwischen Gesetz und Verordnung tatsaechlich fast verschwinden musste
+und die legislative Taetigkeit der Gemeindeversammlung keine
+Entwicklung gewinnen konnte. Umgekehrt erhielt sie einen weiten
+Spielraum, seit die Vorsteher jaehrlich wechselten, und es war jetzt
+keineswegs ohne praktische Bedeutung, dass, wenn der Konsul bei der
+Entscheidung eines Prozesses eine rechtliche Nullitaet beging, sein
+Nachfolger eine neue Instruktion der Sache anordnen konnte.
+
+Dies war endlich die Zeit, wo die buergerliche und die militaerische
+Gewalt sich voneinander sonderten. Dort herrscht das Gesetz, hier das
+Beil; dort waren die konstitutionellen Beschraenkungen der Provokation
+und der regulierten Mandierung massgebend ^5, hier schaltete der
+Feldherr unumschraenkt wie der Koenig. Es stellte sich fest, dass der
+Feldherr und das Heer als solche die eigentliche Stadt regelmaessig
+nicht betreten durften. Dass organische und auf die Dauer wirksame
+Bestimmungen nur unter der Herrschaft der buergerlichen Gewalt
+getroffen werden konnte, lag nicht im Buchstaben, aber im Geiste der
+Verfassung; es kam freilich vor, dass gelegentlich diesem zuwider der
+Feldherr seine Mannschaft im Lager zur Buergerversammlung berief und
+rechtlich nichtig war ein solcher Beschluss nicht, allein die Sitte
+missbilligte dieses Verfahren und es unterblieb bald, als waere es
+verboten. Der Gegensatz der Quiriten und der Soldaten wurzelte
+allmaehlich fest und fester in den Gemuetern der Buerger.
+
+———————————————————————————
+
+^5 Es mag nicht ueberfluessig sein zu bemerken, dass auch das iudicium
+legitimum wie das quod imperio continetur auf dem Imperium des
+instruierenden Beamten beruht und der Unterschied nur darin besteht,
+dass das Imperium dort von der Lex beschraenkt, hier aber frei ist.
+
+———————————————————————————
+
+Indes, um diese Folgesaetze des neuen Republikanismus zu entwickeln,
+bedurfte es der Zeit; wie lebendig die Nachwelt sie empfand, der
+Mitwelt mochte die Revolution zunaechst in einem andern Lichte
+erscheinen. Wohl gewannen die Nichtbuerger dadurch das Buergerrecht und
+gewann die neue Buergerschaft in der Gemeindeversammlung weitgreifende
+Befugnisse; aber das Verwerfungsrecht des patrizischen Senats, der
+gleichsam wie ein Oberhaus jenen Komitien in fester Geschlossenheit
+gegenueberstand, hob rechtlich die freie Bewegung derselben gerade in
+den entscheidendsten Dingen auf und war tatsaechlich zwar nicht
+imstande, den ernstlichen Willen der Gesamtheit zu brechen, aber doch,
+ihn zu verzoegern und zu verkuemmern. Schien die Adelschaft, indem sie
+es aufgab, allein die Gemeinde zu sein, nicht allzuviel verloren zu
+haben, so hatte sie in anderen Beziehungen entschieden gewonnen. Der
+Koenig war freilich Patrizier wie der Konsul, und das Recht der
+Senatorenernennung steht diesem wie jenem zu; aber wenn jenen seine
+Ausnahmestellung ueber Patrizier nicht minder wie ueber Plebejer
+hinausrueckte und wenn er leicht in den Fall kommen konnte, eben gegen
+den Adel sich auf die Menge stuetzen zu muessen, so stand der Konsul,
+Herrscher auf kurze Frist, vorher und nachher aber nichts als einer aus
+dem Adel, und dem adligen Mitbuerger, welchem er heute befahl, morgen
+gehorchend, keineswegs ausserhalb seines Standes und musste der Adlige
+in ihm weit maechtiger sein als der Beamte. Wenn ja dennoch einmal
+ausnahmsweise ein der Adelsherrschaft abgeneigter Patrizier ans
+Regiment gerufen ward, so ward seine Amtsgewalt teils durch die vom
+schroffen Adelsgeiste durchdrungenen Priesterschaften, teils durch den
+Kollegen gelaehmt und leicht durch die Diktatur suspendiert; und was
+noch wichtiger war, es fehlte ihm das erste Element der politischen
+Macht, die Zeit. Der Vorsteher eines Gemeinwesens, welche Machtfuelle
+immer ihm eingeraeumt werden moege, wird die politische Gewalt nie in
+die Haende bekommen, wenn er nicht auf laengere Zeit an der Spitze der
+Geschaefte bleibt; denn die notwendige Bedingung jeder Herrschaft ist
+ihre Dauer. Folgeweise gewann der lebenslaengliche Gemeinderat, und
+zwar hauptsaechlich durch seine Befugnis, den Beamten in allen Stuecken
+zu beraten, also nicht der engere patrizische, sondern der weitere
+patrizisch-plebejische, den Jahresherrschern gegenueber unvermeidlich
+einen solchen Einfluss, dass die rechtlichen Verhaeltnisse sich
+geradezu umkehrten, der Gemeinderat wesentlich die Regierungsgewalt an
+sich nahm und der bisherige Regent herabsank zu dessen vorsitzendem und
+ausfuehrendem Praesidenten. Fuer den der Gemeinde zur Annahme oder
+Verwerfung vorzulegenden Antrag erschien die Vorberatung im Gesamtsenat
+und dessen Billigung zwar nicht als konstitutionell notwendig, aber als
+gewohnheitsmaessig geheiligt, und nicht leicht und nicht gern ging man
+darueber hinweg. Fuer wichtige Staatsvertraege, fuer die Verwaltung und
+Austeilung des Gemeindelandes, ueberhaupt fuer jeden Akt, dessen Folgen
+sich ueber das Amtsjahr erstreckten, galt dasselbe, und dem Konsul
+blieb nichts als die Erledigung der laufenden Geschaefte, die
+Einleitung der Zivilprozesse und das Kommando im Kriege. Vor allem
+folgenreich war die Neuerung, dass es weder dem Konsul noch selbst dem
+sonst unbeschraenkten Diktator gestattet war, den gemeinen Schatz
+anders als mit und durch den Willen des Rates anzugreifen. Indem der
+Senat es den Konsuln zur Pflicht machte, die Verwaltung der
+Gemeindekasse, die der Koenig selbst gefuehrt hatte oder doch hatte
+fuehren koennen, an zwei staendige Unterbeamte abzugeben, welche zwar
+von den Konsuln ernannt wurden und ihnen zu gehorchen hatten, aber
+begreiflicherweise noch weit mehr als die Konsuln selbst vom Senat
+abhingen, zog er die Leitung des Kassenwesens an sich, und es kann
+dieses Geldbewilligungsrecht des roemischen Senats wohl in seinen
+Wirkungen mit dem Steuerbewilligungsrecht in den heutigen
+konstitutionellen Monarchien zusammengestellt werden.
+
+Die Folgen ergeben sich von selbst. Die erste und wesentlichste
+Bedingung jeder Adelsherrschaft ist, dass die Machtfuelle im Staat
+nicht einem Individuum, sondern einer Korporation zusteht; jetzt hatte
+eine ueberwiegend adlige Korporation, der Gemeinderat, das Regiment an
+sich gebracht und war dabei die exekutive Gewalt nicht bloss dem Adel
+geblieben, sondern auch der regierenden Korporation voellig unterworfen
+worden. Zwar sassen im Rat eine betraechtliche Anzahl nichtadliger
+Maenner; aber da sie der Bekleidung von Aemtern, ja sogar der Teilnahme
+an der Debatte unfaehig, also von jedem praktischen Anteil am Regiment
+ausgeschlossen waren, spielten sie notwendigerweise auch im Senat eine
+untergeordnete Rolle und wurden ueberdies durch das oekonomisch
+wichtige Nutzungsrecht der Gemeinweide in pekuniaerer Abhaengigkeit von
+der Korporation gehalten. Das allmaehlich sich bildende Recht der
+patrizischen Konsuln, wenigstens jedes vierte Jahr die Ratsherrenliste
+zu revidieren und zu modifizieren, so nichtig es vermutlich der
+Adelschaft gegenueber war, konnte doch sehr wohl in ihrem Interesse
+gebraucht und der missliebige Plebejer mittels desselben aus dem Senat
+ferngehalten und sogar wieder ausgeschieden werden.
+
+Es ist darum durchaus wahr, dass die unmittelbare Folge der Revolution
+die Feststellung der Adelsherrschaft gewesen ist; nur ist es nicht die
+ganze Wahrheit. Wenn die Mehrzahl der Mitlebenden meinen mochte, dass
+die Revolution den Plebejern nur eine starrere Despotie gebracht habe,
+so sehen wir Spaeteren in dieser selbst schon die Knospen der jungen
+Freiheit. Was die Patrizier gewannen, ging nicht der Gemeinde verloren,
+sondern der Beamtengewalt; die Gemeinde gewann zwar nur wenige
+engbeschraenkte Rechte, welche weit minder praktisch und handgreiflich
+waren als die Errungenschaften des Adels, und welche nicht einer von
+Tausend zu schaetzen wissen mochte, aber in ihnen lag die Buergschaft
+der Zukunft. Bisher war politisch die Insassenschaft nichts, die
+Altbuergerschaft alles gewesen; indem jetzt jene zur Gemeinde ward, war
+die Altbuergerschaft ueberwunden; denn wieviel auch noch zu der vollen
+buergerlichen Gleichheit mangeln mochte, es ist die erste Bresche,
+nicht die Besetzung des letzten Postens, die den Fall der Festung
+entscheidet. Darum datierte die roemische Gemeinde mit Recht ihre
+politische Existenz von dem Beginn des Konsulats.
+
+Indes, wenn die republikanische Revolution trotz der durch sie
+zunaechst begruendeten Junkerherrschaft mit Recht ein Sieg der
+bisherigen Insassenschaft oder der Plebs genannt werden kann, so trug
+doch auch in der letzteren Beziehung die Revolution keineswegs den
+Charakter, den wir heutzutage als den demokratischen zu bezeichnen
+gewohnt sind. Das rein persoenliche Verdienst ohne Unterstuetzung der
+Geburt und des Reichtums mochte wohl unter der Koenigsherrschaft
+leichter als unter derjenigen des Patriziats zu Einfluss und Ansehen
+gelangen. Damals war der Eintritt in das Patriziat rechtlich keinem
+verschlossen; jetzt war das hoechste Ziel des plebejischen Ehrgeizes
+die Aufnahme in den mundtoten Anhang des Senats. Es lag dabei in der
+Natur der Sache, dass der regierende Herrenstand, soweit er ueberhaupt
+die Plebejer zuliess, nicht unbedingt den tuechtigsten Maennern,
+sondern vorzugsweise den Haeuptern der reichen und angesehenen
+Plebejerfamilien im Senat neben sich zu sitzen gestattete und die also
+zugelassenen Familien eifersuechtig ueber den Besitz der
+Ratsherrenstellen wachten. Waehrend also innerhalb der alten
+Buergerschaft vollstaendige Rechtsgleichheit bestanden hatte, begann
+die Neubuerger- oder die ehemalige Insassenschaft von Haus aus damit,
+sich in eine Anzahl bevorrechteter Familien. und eine zurueckgesetzte
+Menge zu scheiden. Die Gemeindemacht aber kam in Gemaessheit der
+Zenturienordnung jetzt an diejenige Klasse, welche seit der
+Servianischen Reform des Heer- und Steuerwesens vorzugsweise die
+buergerlichen Lasten trug, an die Ansaessigen, und zwar vorzugsweise
+weder an die grossen Gutsbesitzer noch an die Instenleute, sondern an
+den mittleren Bauernstand, wobei die Aelteren noch insofern bevorzugt
+waren, als sie, obgleich minder zahlreich, doch ebensoviel
+Stimmabteilungen innehatten wie die Jugend. Indem also der
+Altbuergerschaft und ihrem Geschlechteradel die Axt an die Wurzel und
+zu einer neuen Buergerschaft der Grund gelegt ward, fiel in dieser das
+Gewicht auf Grundbesitz und Alter und zeigten sich schon die ersten
+Ansaetze zu einem neuen, zunaechst auf dem faktischen Ansehen der
+Familien beruhenden Adel, der kuenftigen Nobilitaet. Der konservative
+Grundcharakter des roemischen Gemeinwesens konnte sich nicht deutlicher
+bezeichnen als dadurch, dass die republikanische Staatsumwaelzung
+zugleich zu der neuen, ebenfalls konservativen und ebenfalls
+aristokratischen Staatsordnung die ersten Linien zog.
+
+
+
+
+KAPITEL II.
+Das Volkstribunat und die Dezemvirn
+
+
+Die Altbuergerschaft war durch die neue Gemeindeordnung auf
+gesetzlichem Wege in den vollen Besitz der politischen Macht gelangt.
+Herrschend durch die zu ihrer Dienerin herabgedrueckte Magistratur,
+vorwiegend im Gemeinderate, im Alleinbesitze aller Aemter und
+Priestertuemer, ausgeruestet mit der ausschliesslichen Kunde der
+goettlichen und menschlichen Dinge und mit der ganzen Routine
+politischer Praxis, einflussreich in der Gemeindeversammlung durch den
+starken Anhang fuegsamer und den einzelnen Familien anhaenglicher
+Leute, endlich befugt, jeden Gemeindebeschluss zu pruefen und zu
+verwerfen, konnten die Patrizier die faktische Herrschaft noch auf
+lange Zeit sich bewahren, eben weil sie rechtzeitig auf die gesetzliche
+Alleingewalt verzichtet hatten. Zwar mussten die Plebejer ihre
+politische Zuruecksetzung schwer empfinden; allein von der rein
+politischen Opposition hatte der Adel unzweifelhaft zunaechst nicht
+viel zu besorgen, wenn er es verstand, die Menge, die nichts verlangt
+als gerechte Verwaltung und Schutz der materiellen Interessen, dem
+politischen Kampfe fernzuhalten. In der Tat finden wir in der ersten
+Zeit nach der Vertreibung der Koenige verschiedene Massregeln, welche
+bestimmt waren oder doch bestimmt schienen, den gemeinen Mann fuer das
+Adelsregiment besonders von der oekonomischen Seite zu gewinnen: es
+wurden die Hafenzoelle herabgesetzt, bei hohem Stand der Kornpreise
+grosse Quantitaeten Getreide fuer Rechnung des Staats aufgekauft und
+der Salzhandel zum Staatsmonopol gemacht, um den Buergern Korn und Salz
+zu billigen Preisen abgeben zu koennen, endlich das Volksfest um einen
+Tag verlaengert. In denselben Kreis gehoert die schon erwaehnte
+Vorschrift hinsichtlich der Vermoegensbussen, die nicht bloss im
+allgemeinen dem gefaehrlichen Bruchrecht der Beamten Schranken zu
+setzen bestimmt, sondern auch in bezeichnender Weise vorzugsweise auf
+den Schutz des kleinen Mannes berechnet war. Denn wenn dem Beamten
+untersagt ward, an demselben Tag denselben Mann um mehr als zwei Schafe
+und um mehr als dreissig Rinder ausser mit Gestattung der Provokation
+zu buessen, so kann die Ursache dieser seltsamen Ansaetze wohl nur
+darin gefunden werden, dass fuer den kleinen, nur einige Schafe
+besitzenden Mann ein anderes Maximum noetig schien als fuer den reichen
+Rinderherdenbesitzer - eine Ruecksichtnahme auf Reichtum oder Armut der
+Gebuessten, von der neuere Gesetzgebungen lernen koennten. Allein diese
+Ordnungen halten sich auf der Oberflaeche; die Grundstroemung geht
+vielmehr nach der entgegengesetzten Richtung. Mit der
+Verfassungsaenderung leitet in den finanziellen und oekonomischen
+Verhaeltnissen Roms eine umfassende Revolution sich ein. Das
+Koenigsregiment hatte wahrscheinlich der Kapitalmacht prinzipiell
+keinen Vorschub getan und die Vermehrung der Bauernstellen nach
+Kraeften gefoerdert; die neue Adelsregierung dagegen scheint von
+vornherein auf die Zerstoerung der Mittelklassen, namentlich des
+mittleren und kleinen Grundbesitzes, und auf die Entwicklung einerseits
+einer Herrschaft der Grund- und Geldherren, anderseits eines
+ackerbauenden Proletariats ausgegangen zu sein.
+
+Schon die Minderung der Hafenzoelle, obwohl im allgemeinen eine
+populaere Massregel, kam vorzugsweise dem Grosshandel zugute. Aber ein
+noch viel groesserer Vorschub geschah der Kapitalmacht durch das System
+der indirekten Finanzverwaltung. Es ist schwer zu sagen, worauf
+dasselbe in seinen letzten Gruenden beruht; mag es aber auch an sich
+bis in die Koenigszeit zurueckreichen, so musste doch seit der
+Einfuehrung des Konsulats teils der schnelle Wechsel der roemischen
+Beamten, teils die Erstreckung der finanziellen Taetigkeit des Aerars
+auf Geschaefte, wie der Ein- und Verkauf von Korn und Salz, die
+Wichtigkeit der vermittelnden Privattaetigkeit steigern und, damit den
+Grund zu jenem Staatspaechtersystem legen, das in seiner Entwicklung
+fuer das roemische Gemeinwesen so folgenreich wie verderblich geworden
+ist. Der Staat gab nach und nach alle seine indirekten Hebungen und
+alle komplizierteren Zahlungen und Verrichtungen in die Haende von
+Mittelsmaennern, die eine Rauschsumme gaben oder empfingen und dann
+fuer ihre Rechnung wirtschafteten. Natuerlich konnten nur bedeutende
+Kapitalisten und, da der Staat streng auf dingliche Sicherheit sah,
+hauptsaechlich nur grosse Grundbesitzer sich hierbei beteiligen, und so
+erwuchs eine Klasse von Steuerpaechtern und Lieferanten, die in dem
+reissend schnellen Wachstum ihrer Opulenz, in der Gewalt ueber den
+Staat, dem sie zu dienen schienen, und in dem widersinnigen und
+sterilen Fundament ihrer Geldherrschaft den heutigen Boersenspekulanten
+vollkommen vergleichbar sind.
+
+Aber zunaechst und am empfindlichsten offenbarte sich die vereinbarte
+Richtung der finanziellen Verwaltung in der Behandlung der
+Gemeindelaendereien, die so gut wie geradezu hinarbeitete auf die
+materielle und moralische Vernichtung der Mittelklassen. Die Nutzung
+der gemeinen Weide und der Staatsdomaenen ueberhaupt war ihrer Natur
+nach ein buergerliches Vorrecht; das formelle Recht schloss den
+Plebejer von der Mitbenutzung des gemeinen Angers aus. Da indes,
+abgesehen von dem Uebergang in das Privateigentum oder der Assignation,
+das roemische Recht feste und gleich dem Eigentum zu respektierende
+Nutzungsrechte einzelner Buerger am Gemeinlande nicht kannte, so hing
+es, so lange das Gemeinland Gemeinland blieb, lediglich von der
+Willkuer des Koenigs ab den Mitgenuss zu gestatten und zu begrenzen,
+und es ist nicht zu bezweifeln, dass er von diesem seinem Recht oder
+wenigstens seiner Macht haeufig zu Gunsten von Plebejern Gebrauch
+gemacht hat. Aber mit der Einfuehrung der Republik wird der Satz wieder
+scharf betont, dass die Nutzung der Gemeinweide von Rechts wegen bloss
+dem Buerger besten Rechts, das heisst dem Patrizier zusteht; und wenn
+auch der Senat zu Gunsten der reichen in ihm mitvertretenen
+plebejischen Haeuser nach wie vor Ausnahmen zuliess, so wurden doch die
+kleinen plebejischen Ackerbesitzer und die Tageloehner, die eben die
+Weide am noetigsten brauchten, in dem Mitgenuss beeintraechtigt. Es war
+ferner bisher fuer das auf die gemeine Weide aufgetriebene Vieh ein
+Hutgeld erlegt worden, das zwar maessig genug war, um das Recht, auf
+diese Weide zu treiben, immer noch als Vorrecht erscheinen zu lassen,
+aber doch dem gemeinen Saeckel eine nicht unansehnliche Einnahme
+abwarf. Die patrizischen Quaestoren erhoben dasselbe jetzt saeumig und
+nachsichtig und liessen allmaehlich es ganz schwinden. Bisher hatte
+man, namentlich wenn durch Eroberung neue Domaenen gewonnen waren,
+regelmaessig Landauslegungen angeordnet, bei denen alle aermeren
+Buerger und Insassen beruecksichtigt wurden; nur dasjenige Land, das
+zum Ackerbau sich nicht eignete, ward zu der gemeinen Weide geschlagen.
+Diese Assignationen wagte man zwar nicht ganz zu unterlassen und noch
+weniger, sie bloss zu Gunsten der Reichen vorzunehmen; allein sie
+wurden seltener und karger und an ihre Stelle trat das verderbliche
+Okkupationssystem, das heisst die Ueberlassung der Domaenengueter nicht
+zum Eigentum oder zur foermlichen Pacht auf bestimmte Zeitfrist,
+sondern zur Sondernutzung bis weiter an den ersten Okkupanten und
+dessen Rechtsnachfolger, sodass dem Staate die Ruecknahme jederzeit
+freistand und der Inhaber die zehnte Garbe oder von Oel und Wein den
+fuenften Teil des Ertrages an die Staatskasse abzuliefern hatte. Es war
+dies nichts anderes als das frueher beschriebene Precarium, angewandt
+auf Staatsdomaenen und mag, namentlich als transitorische Einrichtung
+bis zur Durchfuehrung der Assignation, auch frueher schon bei dem
+Gemeinlande vorgekommen sein. Jetzt indes wurde dieser
+Okkupationsbesitz nicht bloss dauernd, sondern es griffen auch, wie
+natuerlich, nur die privilegierten Personen oder deren Guenstlinge zu
+und der Zehnte und Fuenfte ward mit derselben Laessigkeit eingetrieben
+wie das Hutgeld. So traf den mittleren und kleinen Grundbesitz ein
+dreifacher Schlag: die gemeinen Buergernutzungen gingen ihm verloren;
+die Steuerlast stieg dadurch, dass die Domanialgefaelle nicht mehr
+ordentlich in die gemeine Kasse flossen; und die Landauslegungen
+stockten, die fuer das agrikole Proletariat, etwa wie heutzutage ein
+grossartiges und fest reguliertes Emigrationssystem es tun wuerde,
+einen dauernden Abzugskanal gebildet hatten. Dazu kam die
+wahrscheinlich schon jetzt beginnende Grosswirtschaft, welche die
+kleinen Ackerklienten vertrieb und statt deren durch Feldsklaven das
+Gut nutzte; ein Schlag, der schwerer abzuwenden und wohl verderblicher
+war als alle jene politischen Usurpationen zusammengenommen. Die
+schweren, zum Teil ungluecklichen Kriege, die dadurch herbeigefuehrten
+unerschwinglichen Kriegssteuern und Fronden taten das uebrige, um den
+Besitzer entweder geradezu vom Hof zu bringen und ihn zum Knecht, wenn
+auch nicht zum Sklaven seines Schuldherrn zu machen, oder ihn durch
+Ueberschuldung tatsaechlich zum Zeitpaechter seiner Glaeubiger
+herabzudruecken. Die Kapitalisten, denen hier ein neues Gebiet
+eintraeglicher und muehe- und gefahrloser Spekulation sich eroeffnete,
+vermehrten teils auf diesem Wege ihr Grundeigentum, teils liessen sie
+dem Bauern, dessen Person und Gut das Schuldrecht ihnen in die Haende
+gab, den Namen des Eigentuemers und den faktischen Besitz. Das letztere
+war wohl das Gewoehnlichste wie das Verderblichste; denn mochte damit
+fuer den einzelnen der aeusserste Ruin abgewandt sein, so drohte
+dagegen diese prekaere, von der Gnade des Glaeubigers jederzeit
+abhaengige Stellung des Bauern, bei der derselbe vom Eigentum nichts
+als die Lasten trug, den ganzen Bauernstand zu demoralisieren und
+politisch zu vernichten. Die Absicht des Gesetzgebers, als er statt der
+hypothekarischen Schuld den sofortigen Uebergang des Eigentums auf den
+Glaeubiger anordnete, der Ueberschuldung zuvorzukommen und die Lasten
+des Staats den wirklichen Inhabern des Grundes und Bodens aufzuwaelzen,
+ward umgangen durch das strenge persoenliche Kreditsystem, das fuer
+Kaufleute sehr zweckmaessig sein mochte, die Bauern aber ruinierte.
+Hatte die freie Teilbarkeit des Bodens schon immer die Gefahr eines
+ueberschuldeten Ackerbauproletariats nahegelegt, so musste unter
+solchen Verhaeltnissen, wo alle Lasten stiegen, alle Abhilfen sich
+versperrten, die Not und die Hoffnungslosigkeit unter der baeuerlichen
+Mittelklasse mit entsetzlicher Raschheit um sich greifen.
+
+Der Gegensatz der Reichen und Armen, der aus diesen Verhaeltnissen
+hervorging, faellt keineswegs zusammen mit dem der Geschlechter und
+Plebejer. War auch der bei weitem groesste Teil der Patrizier reich
+beguetert, so fehlte es doch natuerlich auch unter den Plebejern nicht
+an reichen und ansehnlichen Familien, und da der Senat, der schon
+damals vielleicht zur groesseren Haelfte aus Plebejern bestand, selbst
+mit Ausschliessung der patrizischen Magistrate die finanzielle
+Oberleitung an sich genommen hatte, so ist es begreiflich, dass alle
+jene oekonomischen Vorteile, zu denen die politischen Vorrechte des
+Adels missbraucht wurden, den Reichen insgesamt zugute kamen und der
+Druck auf dem gemeinen Mann um so schwerer lastete, als durch den
+Eintritt in den Senat die tuechtigsten und widerstandsfaehigsten
+Personen aus der Klasse der Unterdrueckten uebertraten in die der
+Unterdruecker.
+
+Hierdurch aber ward die politische Stellung des Adels auf die Dauer
+unhaltbar. Haette er es ueber sich vermocht, gerecht zu regieren, und
+den Mittelstand geschuetzt, wie es einzelne Konsuln aus seiner Mitte
+versuchten, ohne bei der herabgedrueckten Stellung der Magistratur
+durchdringen zu koennen, so konnte er sich noch lange im Alleinbesitz
+der Aemter behaupten. Haette er es vermocht, die reichen und
+ansehnlichen Plebejer zu voller Rechtsgleichheit zuzulassen, etwa an
+den Eintritt in den Senat die Gewinnung des Patriziats zu knuepfen, so
+mochten beide noch lange ungestraft regieren und spekulieren. Allein es
+geschah keines von beiden: die Engherzigkeit und Kurzsichtigkeit, die
+eigentlichen und unverlierbaren Privilegien alles echten Junkertums,
+verleugneten sich auch in Rom nicht und zerrissen die maechtige
+Gemeinde in nutz-, ziel- und ruhmlosem Hader.
+
+Indes die naechste Krise ging nicht von den staendisch Zurueckgesetzten
+aus, sondern von der notleidenden Bauernschaft. Die zurechtgemachten
+Annalen setzen die politische Revolution in das Jahr 244 (510), die
+soziale in die Jahre 259 und 260 (495 494); sie scheinen allerdings
+sich rasch gefolgt zu sein, doch ist der Zwischenraum wahrscheinlich
+laenger gewesen. Die strenge Uebung des Schuldrechts - so lautet die
+Erzaehlung - erregte die Erbitterung der ganzen Bauernschaft. Als im
+Jahre 259 (495) fuer einen gefahrvollen Krieg die Aushebung
+veranstaltet ward, weigerte sich die pflichtige Mannschaft, dem Gebot
+zu folgen. Wie darauf der Konsul Publius Servilius die Anwendung der
+Schuldgesetze vorlaeufig suspendierte und sowohl die schon in
+Schuldhaft sitzenden Leute zu entlassen befahl, als auch den weiteren
+Lauf der Verhaftungen hemmte, stellten die Bauern sich und halfen den
+Sieg erfechten. Heimgekehrt vom Schlachtfeld brachte der Friede, den
+sie erstritten hatten, ihnen ihren Kerker und ihre Ketten wieder; mit
+erbarmungsloser Strenge wandte der zweite Konsul Appius Claudius die
+Kreditgesetze an und der Kollege, den seine frueheren Soldaten um Hilfe
+anriefen, wagte nicht sich zu widersetzen. Es schien, als sei die
+Kollegialitaet nicht zum Schutz des Volkes eingefuehrt, sondern zur
+Erleichterung des Treubruchs und der Despotie; indes man litt, was
+nicht zu aendern war. Als aber im folgenden Jahr sich der Krieg
+erneuerte, galt das Wort des Konsuls nicht mehr. Erst dem ernannten
+Diktator Manius Valerius fuegten sich die Bauern, teils aus Scheu vor
+der hoeheren Amtsgewalt, teils im Vertrauen auf seinen populaeren Sinn
+- die Valerier waren eines jener alten Adelsgeschlechter, denen das
+Regiment ein Recht und eine Ehre, nicht eine Pfruende duenkte. Der Sieg
+war wieder bei den roemischen Feldzeichen; aber als die Sieger
+heimkamen und der Diktator seine Reformvorschlaege dem Senat vorlegte,
+scheiterten sie an dem hartnaeckigen Widerstand des Senats. Noch stand
+das Heer beisammen, wie ueblich vor den Toren der Stadt; als die
+Nachricht hinauskam, entlud sich das lange drohende Gewitter - der
+Korpsgeist und die geschlossene militaerische Organisation rissen auch
+die Verzagten und Gleichgueltigen mit fort. Das Heer verliess den
+Feldherrn und seine Lagerstatt und zog, gefuehrt von den
+Legionskommandanten, den wenigstens grossenteils plebejischen
+Kriegstribunen, in militaerischer Ordnung in die Gegend von Crustumeria
+zwischen Tiber und Anio, wo es einen Huegel besetzte und Miene machte,
+in diesem fruchtbarsten Teil des roemischen Stadtgebiets eine neue
+Plebejerstadt zu gruenden. Dieser Abmarsch tat selbst den
+hartnaeckigsten Pressern auf eine handgreifliche Art dar, dass ein
+solcher Buergerkrieg auch mit ihrem oekonomischen Ruin enden muesse;
+der Senat gab nach. Der Diktator vermittelte das Vertraegnis; die
+Buerger kehrten zurueck in die Stadtmauern; die aeusserliche Einheit
+ward wiederhergestellt. Das Volk nannte den Manius Valerius seitdem
+“den Grossen” (maximus) und den Berg jenseits des Anio “den heiligen”.
+Wohl lag etwas Gewaltiges und Erhebendes in dieser ohne feste Leitung
+unter den zufaellig gegebenen Feldherren von der Menge selbst
+begonnenen und ohne Blutvergiessen durchgefuehrten Revolution, und gern
+und stolz erinnerten sich ihrer die Buerger. Empfunden wurden ihre
+Folgen durch viele Jahrhunderte; ihr entsprang das Volkstribunat.
+
+Ausser den transitorischen Bestimmungen, namentlich zur Abstellung der
+drueckendsten Schuldnot und zur Versorgung einer Anzahl Landleute durch
+Gruendung verschiedener Kolonien, brachte der Diktator
+verfassungsmaessig ein Gesetz durch, welches er ueberdies noch, ohne
+Zweifel um den Buergern wegen ihres gebrochenen Fahneneides Amnestie zu
+sichern, von jedem einzelnen Gemeindeglied beschwoeren und sodann in
+einem Gotteshause niederlegen liess unter Aufsicht und Verwahrung
+zweier besonders dazu aus der Plebs bestellter Beamten, der beiden
+“Hausherren” (aediles). Dies Gesetz stellte den zwei patrizischen
+Konsuln zwei plebejische Tribune zur Seite, welche die nach Kurien
+versammelten Plebejer zu waehlen hatten. Gegen das militaerische
+Imperium, das heisst gegen das der Diktatoren durchaus und gegen das
+der Konsuln ausserhalb der Stadt, vermochte die tribunizische Gewalt
+nichts; der buergerlichen ordentlichen Amtsgewalt aber, wie die Konsuln
+sie uebten, trat die tribunizische unabhaengig gegenueber, ohne dass
+doch eine Teilung der Gewalten stattgefunden haette. Die Tribune
+erhielten das Recht, welches dem Konsul gegen den Konsul und um so mehr
+gegen den niederen Beamten zustand, das heisst das Recht jeden von den
+Beamten erlassenen Befehl, durch den der davon betroffene Buerger sich
+verletzt hielt, auf dessen Anweisung durch ihren rechtzeitig und
+persoenlich eingelegten Protest zu vernichten und ebenso jeden von
+einem Beamten an die Buergerschaft gerichteten Antrag nach Ermessen zu
+hemmen oder zu kassieren, das ist das Recht der Interzession oder das
+sogenannte tribunizische Veto.
+
+Es lag also in der tribunizischen Gewalt zunaechst das Recht, die
+Verwaltung und die Rechtspflege willkuerlich zu hemmen, dem
+Militaerpflichtigen es moeglich zu machen, sich straflos der Aushebung
+zu entziehen, die Klageerhebung und die Rechtsvollstreckung gegen den
+Schuldner, die Einleitung des Kriminalprozesses und die
+Untersuchungshaft des Angeschuldigten zu verhindern oder aufzuheben und
+was dessen mehr war. Damit diese Rechtshilfe nicht durch die
+Abwesenheit der Helfer vereitelt werde, war ferner verordnet, dass der
+Tribun keine Nacht ausserhalb der Stadt zubringen duerfe und Tag und
+Nacht seine Tuer offenstehen muesse. Weiter lag es in der Gewalt des
+Volkstribunats, der Beschlussfassung der Gemeinde, die ja andernfalls
+kraft ihres souveraenen Rechts die von ihr der Plebs verliehenen
+Privilegien ohne weiteres haette zuruecknehmen koennen, durch ein
+einziges Wort eines einzelnen Tribunen Schranken zu setzen.
+
+Aber diese Rechte waeren wirkungslos gewesen, wenn nicht gegen den, der
+sich nicht daran kehrte, insonderheit gegen den zuwiderhandelnden
+Magistrat dem Volkstribun eine augenblicklich wirkende und
+unwiderstehliche Zwangsgewalt zugestanden haette. Es ward ihm diese in
+der Form erteilt, dass das Zuwiderhandeln gegen den seines Rechts sich
+bedienenden Tribun, vor allen Dingen das Vergreifen an seiner
+Persoenlichkeit, welche auf dem heiligen Berg jeder Plebejer Mann fuer
+Mann fuer sich und seine Nachkommen geschworen hatte, fuer jetzt und
+alle Zukunft vor jeder Unbill zu schuetzen, ein todeswuerdiges
+Verbrechen sein sollte und die Handhabung dieser Kriminaljustiz nicht
+den Magistraten der Gemeinde, sondern denen der Plebs uebertragen ward.
+Kraft dieses seines Richteramts konnte der Tribun jeden Buerger, vor
+allem den Konsul im Amte, zur Verantwortung ziehen, ihn, wenn er nicht
+freiwillig sich stellte, greifen lassen, ihn in Untersuchungshaft
+setzen oder Buergschaftstellung ihm gestatten und alsdann auf Tod oder
+Geldbusse erkennen. Zu diesem Zweck standen die beiden zugleich
+bestellten Aedilen des Volkes den Tribunen als Diener und Gehilfen zur
+Seite, zunaechst, um die Verhaftung zu bewirken, weshalb auch ihnen
+dieselbe Unangreifbarkeit durch den Gesamteid der Plebejer versichert
+ward. Ausserdem hatten die Aedilen selbst gleich den Tribunen, aber nur
+fuer die geringeren mit Bussen suehnbaren Sachen, richterliche
+Befugnis. Ward gegen den tribunizischen oder aedilizischen Spruch
+Berufung eingelegt, so ging diese nicht an die Gesamtbuergerschaft, mit
+der zu verhandeln die Beamten der Plebs ueberall nicht befugt waren,
+sondern an die Gesamtheit der Plebejer, die in diesem Fall nach Kurien
+zusammentrat und durch Stimmenmehrheit endgueltig entschied.
+
+Dies Verfahren war allerdings mehr ein Gewalt- als ein Rechtsakt, zumal
+wenn es gegen einen Nichtplebejer angewandt ward, wie dies doch eben in
+der Regel der Fall sein musste. Es war weder mit dem Buchstaben noch
+mit dem Geist der Verfassung irgend zu vereinigen, dass der Patrizier
+von Behoerden zur Rechenschaft gezogen ward, die nicht der
+Buergerschaft, sondern einer innerhalb der Buergerschaft gebildeten
+Assoziation vorstanden, und dass er gezwungen ward, statt an die
+Buergerschaft, an eben diese Assoziation zu appellieren. Dies war
+urspruenglich ohne Frage Lynchjustiz; aber die Selbsthilfe vollzog sich
+wohl von jeher in Form Rechtens und wurde seit der gesetzlichen
+Anerkennung des Volkstribunats als rechtlich statthaft betrachtet.
+
+Der Absicht nach war diese neue Gerichtsbarkeit der Tribune und der
+Aedilen und die daraus hervorgehende Provokationsentscheidung der
+Plebejerversammlung ohne Zweifel ebenso an die Gesetze gebunden wie die
+Gerichtsbarkeit der Konsuln und Quaestoren und der Spruch der Zenturien
+auf Provokation; die Rechtsbegriffe des Verbrechens gegen die Gemeinde
+und der Ordnungswidrigkeit wurden von der Gemeinde und deren
+Magistraten auf die Plebs und deren Vorsteher uebertragen. Indes diese
+Begriffe waren selbst so wenig fest und deren gesetzliche Begrenzung so
+schwierig, ja unmoeglich, dass die auf diese Kategorien hin geuebte
+Justizpflege schon an sich den Stempel der Willkuer fast unvermeidlich
+an sich trug. Seit nun aber gar in den staendischen Kaempfen die Idee
+des Rechts sich selber getruebt hatte und seit die gesetzlichen
+Parteifuehrer beiderseits mit einer konkurrierenden Gerichtsbarkeit
+ausgestattet waren, musste diese mehr und immer mehr der reinen
+Willkuerpolizei sich naehern. Namentlich traf dieselbe den Beamten.
+Bisher unterlag derselbe nach roemischem Staatsrecht, solange er
+Beamter war, ueberhaupt keiner Gerichtsbarkeit, und wenn er auch nach
+Niederlegung seines Amtes rechtlich fuer jede seiner Handlungen zur
+Verantwortung hatte gezogen werden koennen, so lag doch die Handhabung
+dieses Rechts in den Haenden seiner Standesgenossen und schliesslich
+der Gesamtgemeinde, zu der diese ebenfalls gehoerten. Jetzt trat in der
+tribunizischen Gerichtsbarkeit eine neue Macht auf, welche einerseits
+gegen den hoechsten Beamten schon waehrend der Amtsfuehrung
+einschreiten konnte, anderseits gegen die adligen Buerger
+ausschliesslich durch die nicht adligen gehandhabt ward, und die um so
+drueckender war, als weder das Verbrechen noch die Strafe gesetzlich
+formuliert wurden. Der Sache nach ward durch die konkurrierende
+Gerichtsbarkeit der Plebs und der Gemeinde Gut, Leib und Leben der
+Buerger dem willkuerlichen Belieben der Parteiversammlungen
+preisgegeben.
+
+In die Ziviljurisdiktion haben die plebejischen Institutionen nur
+insofern eingegriffen, als in den fuer die Plebs so wichtigen
+Freiheitsprozessen den Konsuln die Geschworenenernennung entzogen ward
+und die Sprueche hier erfolgten von den besonders dafuer bestimmten
+Zehnmaenner-Richtern (iudices decemviri, spaeter decemviri litibus
+iudicandis). An die konkurrierende Jurisdiktion schloss sich weiter die
+Konkurrenz in der gesetzgebenden Initiative. Das Recht, die Mitglieder
+zu versammeln und Beschluesse derselben zu bewirken, stand den Tribunen
+schon insofern zu, als ohne dasselbe ueberhaupt keine Assoziation
+gedacht werden kann. Ihnen aber ward dasselbe in der eminenten Weise
+verliehen, dass das autonomische Versammlungs- und Beschlussrecht der
+Plebs gesetzlich sichergestellt war vor jedem Eingriff der Magistrate
+der Gemeinde, ja der Gemeinde selbst. Allerdings war es die notwendige
+Vorbedingung der rechtlichen Anerkennung der Plebs ueberhaupt, dass die
+Tribune nicht daran gehindert werden konnten, ihre Nachfolger von der
+Versammlung der Plebs waehlen zu lassen und die Bestaetigung ihrer
+Kriminalsentenz durch dieselbe zu bewirken; und es ward ihnen denn
+dieses Recht auch durch das Icilische Gesetz (262 492) noch besonders
+gewaehrleistet und jedem, der dabei dem Tribun ins Wort falle oder das
+Volk auseinandergehen heisse, eine schwere Strafe gedroht. Dass demnach
+dem Tribun nicht gewehrt werden konnte, auch andere Antraege als die
+Wahl seines Nachfolgers und die Bestaetigung seiner Urteilssprueche zur
+Abstimmung zu bringen, leuchtet ein. Gueltige Volksschluesse waren
+derartige “Beliebungen der Menge” (plebi scita) zwar eigentlich nicht,
+sondern anfaenglich nicht viel mehr als die Beschluesse unserer
+heutigen Volksversammlungen; allein da der Unterschied zwischen den
+Komitien des Volkes und den Konzilien der Menge denn doch mehr formaler
+Natur war, ward wenigstens von plebejischer Seite die Gueltigkeit
+derselben als autonomischer Festsetzungen der Gemeinde sofort in
+Anspruch genommen und zum Beispiel gleich das Icilische Gesetz auf
+diesem Wege durchgesetzt.
+
+So war der Tribun des Volks bestellt, dem einzelnen zu Schirm und
+Schutz, allen zur Leitung und Fuehrung, versehen mit unbeschraenkter
+richterlicher Gewalt im peinlichen Verfahren, um also seinem Befehl
+Nachdruck geben zu koennen, endlich selbst persoenlich fuer
+unverletzlich (sacrosanctus) erklaert, indem wer sich an ihm oder
+seinem Diener vergriff, nicht bloss den Goettern verfallen galt,
+sondern auch bei den Menschen als nach rechtlich erwiesenem Frevel des
+Todes schuldig.
+
+Die Tribune der Menge (tribuni plebis) sind hervorgegangen aus den
+Kriegstribunen und fuehren von diesen ihren Namen; rechtlich aber haben
+sie weiter zu ihnen keinerlei Beziehung. Vielmehr stehen der Gewalt
+nach die Volkstribune und die Konsuln sich gleich. Die Appellation vom
+Konsul an den Tribun und das Interzessionsrecht des Tribuns gegen den
+Konsul ist, wie schon gesagt ward, durchaus gleichartig der Appellation
+vom Konsul an den Konsul und der Interzession des einen Konsuls gegen
+den andern, und beide sind nichts als eine Anwendung des allgemeinen
+Rechtssatzes, dass zwischen zwei Gleichberechtigten der Verbietende dem
+Gebietenden vorgeht. Auch die urspruengliche, allerdings bald vermehrte
+Zahl und die Jahresdauer des Amtes, welches fuer die Tribune jedesmal
+am 10. Dezember wechselte, sind den Tribunen mit den Konsuln gemein,
+ebenso die eigentuemliche Kollegialitaet, die in jedes einzelnen
+Konsuls und in jedes einzelnen Tribunen Hand die volle Machtfuelle des
+Amtes legt und bei Kollisionen innerhalb des Kollegiums nicht die
+Stimmen zaehlt, sondern das Nein dem Ja vorgehen laesst - weshalb, wo
+der Tribun verbietet, das Verbot des einzelnen trotz des Widerspruchs
+der Kollegen genuegt, wo er dagegen anklagt, er durch jeden seiner
+Kollegen gehemmt werden kann. Konsuln und Tribune haben beide volle und
+konkurrierende Kriminaljurisdiktion, wenn auch jene dieselbe mittelbar,
+diese unmittelbar ausueben; wie jenen die beiden Quaestoren, stehen
+diesen die beiden Aedilen hierin zur Seite ^1. Die Konsuln sind
+notwendig Patrizier, die Tribune notwendig Plebejer. Jene haben die
+vollere Macht, diese die unumschraenktere, denn ihrem Verbot und ihrem
+Gericht fuegt sich der Konsul, nicht aber dem Konsul sich der Tribun.
+So ist die tribunizische Gewalt das Abbild der konsularischen; sie ist
+aber nicht minder ihr Gegenbild. Die Macht der Konsuln ist wesentlich
+positiv, die der Tribune wesentlich negativ. Nur die Konsuln sind
+Magistrate des roemischen Volkes, nicht die Tribune; denn jene erwaehlt
+die gesamte Buergerschaft, diese nur die plebejische Assoziation. Zum
+Zeichen dessen erscheint der Konsul oeffentlich mit dem den
+Gemeindebeamten zukommenden Schmuck und Gefolge, die Tribune aber
+sitzen auf der Bank anstatt des Wagenstuhls und ermangeln der
+Amtsdiener, des Purpursaumes und ueberhaupt jedes Abzeichens der
+Magistratur; sogar im Gemeinderat hat der Tribun weder den Vorsitz noch
+auch nur den Beisitz. So ist in dieser merkwuerdigen Institution dem
+absoluten Befehlen das absolute Verbieten in der schaerfsten und
+schroffsten Weise gegenuebergestellt; das war die Schlichtung des
+Haders, dass die Zwietracht der Reichen und der Armen gesetzlich
+festgestellt und geordnet ward.
+
+—————————————————————————-
+
+^1 Dass die plebejischen Aedilen in derselben Weise den patrizischen
+Quaestoren nachgebildet sind wie die plebejischen Tribune den
+patrizischen Konsuln, ist deutlich sowohl fuer die
+Kriminalrechtspflege, wo nur die Tendenz der beiden Magistraturen,
+nicht die Kompetenz verschieden gewesen zu sein scheint, wie fuer das
+Archivgeschaeft. Fuer die Aedilen ist der Cerestempel, was der Tempel
+des Saturnus fuer die Quaestoren, und von jenem haben sie auch den
+Namen. Bezeichnend ist die Vorschrift des Gesetzes von 305 (349) (Liv.
+3, 55), dass die Senatsbeschluesse dorthin an die Aedilen abgeliefert
+werden sollen (I, 300), waehrend dieselben bekanntlich nach altem und
+spaeter nach Beilegung des Staendekampfes wieder ueberwiegendem
+Gebrauche den Quaestoren zur Aufbewahrung in dem Saturnustempel
+zugestellt wurden.
+
+————————————————————————-
+
+Aber was war erreicht damit, dass man die Einheit der Gemeinde brach,
+dass die Beamten einer unsteten und von allen Leidenschaften des
+Augenblicks abhaengigen Kontrollbehoerde unterworfen wurden, dass auf
+den Wink eines einzelnen der auf den Gegenthron gehobenen
+Oppositionshaeupter die Verwaltung im gefaehrlichsten Augenblick zum
+Stocken gebracht werden konnte, dass man die Kriminalrechtspflege,
+indem man alle Beamte dazu konkurrierend bevollmaechtigte, gleichsam
+gesetzlich aus dem Recht in die Politik verwies und sie fuer alle
+Zeiten verdarb? Es ist wohl wahr, dass das Tribunat wenn nicht
+unmittelbar zur politischen Ausgleichung der Staende beigetragen, so
+doch als eine maechtige Waffe in der Hand der Plebejer gedient hat, als
+diese bald darauf die Zulassung zu den Gemeindeaemtern begehrten. Aber
+die eigentliche Bestimmung des Tribunats war dieses nicht. Nicht dem
+politisch privilegierten Stande ward es abgerungen, sondern den reichen
+Grund- und Kapitalherren; es sollte dem gemeinen Mann billige
+Rechtspflege sichern und eine zweckmaessigere Finanzverwaltung
+herbeifuehren. Diesen Zweck hat es nicht erfuellt und konnte es nicht
+erfuellen. Der Tribun mochte einzelnen Unbilden, einzelnen schreienden
+Haerten steuern; aber der Fehler lag nicht im Unrecht, das man Recht
+hiess, sondern im Rechte, welches ungerecht war: und wie konnte der
+Tribun die ordentliche Rechtspflege regelmaessig hemmen? haette er es
+gekonnt, so war auch damit noch wenig geholfen, wenn nicht die Quellen
+der Verarmung verstopft wurden, die verkehrte Besteuerung, das
+schlechte Kreditsystem, die heillose Okkupation der Domaenen. Aber
+hieran wagte man sich nicht, offenbar weil die reichen Plebejer selbst
+an diesen Missbraeuchen kein minderes Interesse hatten als die
+Patrizier. So gruendete man diese seltsame Magistratur, deren
+handgreiflicher Beistand dem gemeinen Mann einleuchtete und die doch
+die notwendige oekonomische Reform unmoeglich durchsetzen konnte. Sie
+ist kein Beweis politischer Weisheit, sondern ein schlechtes Kompromiss
+zwischen dem reichen Adel und der fuehrerlosen Menge. Man hat gesagt,
+das Volkstribunat habe Rom vor der Tyrannis bewahrt. Waere dies wahr,
+so wuerde es wenig bedeuten; die Aenderung der Staatsform ist an sich
+fuer ein Volk kein Unheil, und fuer das roemische war es vielmehr ein
+Unglueck, dass die Monarchie zu spaet eingefuehrt ward nach
+Erschoepfung der physischen und geistigen Kraefte der Nation. Es ist
+aber nicht einmal richtig, wie schon das beweist, dass die italischen
+Staaten ebenso regelmaessig ohne Tyrannis geblieben sind wie sie in den
+hellenischen regelmaessig aufstanden. Der Grund liegt einfach darin,
+dass die Tyrannis ueberall die Folge des allgemeinen Stimmrechts ist
+und dass die Italiker laenger als die Griechen die nicht grundsaessigen
+Buerger von den Gemeindeversammlungen ausschlossen; als Rom hiervon
+abging, blieb auch die Monarchie nicht aus, ja knuepfte eben an an das
+tribunizische Amt. Dass das Volkstribunat auch genuetzt hat, indem es
+der Opposition gesetzliche Bahnen wies und manche Verkehrtheit
+abwehrte, wird niemand verkennen; aber ebensowenig, dass, wo es sich
+nuetzlich erwies, es fuer ganz andere Dinge gebraucht ward, als wofuer
+man es begruendet hatte. Das verwegene Experiment, den Fuehrern der
+Opposition ein verfassungsmaessiges Veto einzuraeumen und sie mit der
+Macht, es ruecksichtslos geltend zu machen, auszustatten, bleibt ein
+Notbehelf, der den Staat politisch aus den Angeln gehoben und die
+sozialen Missstaende durch nutzlose Palliative hingeschleppt hat.
+
+Indes man hatte den Buergerkrieg organisiert; er ging seinen Gang. Wie
+zur Schlacht standen die Parteien sich gegenueber, jede unter ihren
+Fuehrern; Beschraenkung der konsularischen, Erweiterung der
+tribunizischen Gewalt ward auf der einen, die Vernichtung des Tribunats
+auf der andern Seite angestrebt; die gesetzlich straflos gemachte
+Insubordination, die Weigerung, sich zur Landesverteidigung zu stellen,
+die Buss- und Strafklagen namentlich gegen Beamte, die die Rechte der
+Gemeinde verletzt oder auch nur ihr Missfallen erregt hatten, waren die
+Waffen der Plebejer, denen die Junker Gewalt und Einverstaendnisse mit
+den Landesfeinden, gelegentlich auch den Dolch des Meuchelmoerders
+entgegensetzten; auf den Strassen kam es zum Handgemenge und hueben und
+drueben vergriff man sich an der Heiligkeit der Magistratspersonen.
+Viele Buergerfamilien sollen ausgewandert sein und in den benachbarten
+Gemeinden einen friedlicheren Wohnsitz gesucht haben; und man mag es
+wohl glauben. Es zeugt von dem starken Buergersinn im Volk, nicht dass
+es diese Verfassung sich gab, sondern dass es sie ertrug und die
+Gemeinde trotz der heftigsten Kaempfe dennoch zusammenhielt. Das
+bekannteste Ereignis aus diesen Staendekaempfen ist die Geschichte des
+Gnaeus Marcius, eines tapferen Adligen, der von Coriolis Erstuermung
+den Beinamen trug. Er soll im Jahr 263 (491), erbittert ueber die
+Weigerung der Zenturien, ihm das Konsulat zu uebertragen, beantragt
+haben, wie einige sagen, die Einstellung der Getreideverkaeufe aus den
+Staatsmagazinen, bis das hungernde Volk auf das Tribunat verzichte; wie
+andere berichten, geradezu die Abschaffung des Tribunats. Von den
+Tribunen auf Leib und Leben angeklagt, habe er die Stadt verlassen,
+indes nur, um zurueckzukehren an der Spitze eines volskischen Heeres;
+jedoch im Begriff, .seine Vaterstadt fuer den Landesfeind zu erobern,
+habe das ernste Wort der Mutter sein Gewissen geruehrt und also sei von
+ihm der erste Verrat durch einen zweiten gesuehnt worden und beide
+durch den Tod. Wieviel darin wahr ist, laesst sich nicht entscheiden;
+aber alt ist die Erzaehlung, aus der die naive Impertinenz der
+roemischen Annalisten eine vaterlaendische Glorie gemacht hat, und sie
+oeffnet den Einblick in die tiefe sittliche und politische
+Schaendlichkeit dieser staendischen Kaempfe. Aehnlichen Schlages ist
+der Ueberfall des Kapitols durch eine Schar politischer Fluechtlinge,
+gefuehrt von dem Sabiner Appius Herdonius im Jahr 294 (460); sie riefen
+die Sklaven zu den Waffen, und erst nach heissem Kampf und mit Hilfe
+der herbeigeeilten Tusculaner ward die roemische Buergerwehr der
+catilinarischen Bande Meister. Denselben Charakter fanatischer
+Erbitterung tragen andere Ereignisse dieser Zeit, deren geschichtliche
+Bedeutung in den luegenseligen Familienberichten sich nicht mehr
+erfassen laesst; so das Uebergewicht des Fabischen Geschlechtes, das
+von 269 bis 275 (485-479) den einen Konsul stellte, und die Reaktion
+dagegen, die Auswanderung der Fabier aus Rom und ihre Vernichtung durch
+die Etrusker am Cremera (277 477). Noch entsetzlicher war die Ermordung
+des Volkstribuns Gnaeus Genucius, der es gewagt hatte, zwei Konsulare
+zur Rechenschaft zu ziehen und der am Morgen des fuer die Anklage
+anberaumten Tages tot im Bette gefunden ward (281 473). Die
+unmittelbare Folge dieser Untat war das Publilische Gesetz, eines der
+folgenreichsten, das die roemische Geschichte kennt. Zwei der
+wichtigsten Ordnungen, die Einfuehrung der plebejischen
+Tribusversammlung und die wenngleich bedingte Gleichstellung des
+Plebiszits mit dem foermlichen, von der ganzen Gemeinde beschlossenen
+Gesetz, gehen, jene gewiss, diese wahrscheinlich zurueck auf den Antrag
+des Volkstribunen Volero Publilius vom Jahre 283 (471). Die Plebs hatte
+bis dahin ihre Beschluesse nach Kurien gefasst; demnach war in diesen
+ihren Sonderversammlungen teils ohne Unterschied des Vermoegens und der
+Ansaessigkeit bloss nach Koepfen abgestimmt worden, teils hatten,
+infolge des im Wesen der Kurienversammlung liegenden Zusammenstehens
+der Geschlechtsgenossen, die Klienten der grossen Adelsfamilien in der
+Plebejerversammlung miteinander gestimmt. Der eine wie der andere
+Umstand gab dem Adel vielfache Gelegenheit, Einfluss auf diese
+Versammlung zu ueben und besonders die Wahl der Tribune in seinem Sinne
+zu lenken; beides fiel fortan weg durch die neue Abstimmungsweise nach
+Quartieren. Deren waren in der Servianischen Verfassung zum Zweck der
+Aushebung vier gebildet worden, die Stadt und Land gleichmaessig
+umfassten (I, 105); spaeterhin - vielleicht im Jahr 259 (495) - hatte
+man das roemische Gebiet in zwanzig Distrikte eingeteilt, von denen die
+ersten vier die Stadt und deren naechste Umgebung umfassten, die
+uebrigen sechzehn mit Zugrundelegung der Geschlechtergaue des aeltesten
+roemischen Ackers aus dem Landgebiet gebildet wurden (I, 51). Zu diesen
+wurde, wahrscheinlich erst infolge des Publilischen Gesetzes und um die
+fuer die Abstimmung wuenschenswerte Ungleichheit der Gesamtzahl der
+Stimmabteilungen herbeizufuehren, als einundzwanzigste Tribus die
+crustuminische hinzugefuegt, die ihren Namen von dem Orte trug, wo die
+Plebs als solche sich konstituiert und das Tribunat gestiftet hatte (I,
+282) und fortan fanden die Sonderversammlungen der Plebs nicht mehr
+nach Kurien statt, sondern nach Tribus. In diesen Abteilungen, die
+durchaus auf dem Grundbesitz beruhten, stimmten ausschliesslich die
+ansaessigen Leute, diese jedoch ohne Unterschied der Groesse des
+Grundbesitzes und so, wie sie in Doerfern und Weilern zusammen wohnten;
+es war also diese Tribusversammlung, die im uebrigen aeusserlich der
+nach Kurien geordneten nachgebildet ward, recht eigentlich eine
+Versammlung des unabhaengigen Mittelstandes, von der einerseits die
+Freigelassenen und Klienten der grossen Mehrzahl nach als nicht
+ansaessige Leute ausgeschlossen waren, und in der anderseits der
+groessere Grundbesitz nicht so wie in den Zenturien ueberwog. Eine
+allgemeine Buergerschaftsversammlung war diese “Zusammenkunft der
+Menge” (concilium plebis) noch weniger als die plebejische
+Kurienversammlung, da sie nicht bloss wie diese die saemtlichen
+Patrizier, sondern auch die nicht grundsaessigen Plebejer ausschloss;
+aber die Menge war maechtig genug, um es durchzusetzen, dass ihr
+Beschluss dem von den Zenturien gefassten rechtlich gleich gelte, falls
+er vorher vom Gesamtsenat gebilligt worden war. Dass diese letzte
+Bestimmung schon vor Erlass der Zwoelf Tafeln gesetzlich feststand, ist
+gewiss; ob man sie gerade bei Gelegenheit des Publilischen Plebiszits
+eingefuehrt hat, oder ob sie bereits vorher durch irgendeine andere
+verschollene Satzung ins Leben gerufen und auf das Publilische
+Plebiszit nur angewendet worden ist, laesst sich nicht mehr ausmachen.
+Ebenso bleibt es ungewiss, ob durch dies Gesetz die Zahl der Tribune
+von zwei auf vier vermehrt ward oder dies bereits vorher geschehen war.
+
+Einsichtiger angelegt als alle diese Parteimassregeln war der Versuch
+des Spurius Cassius, die finanzielle Allmacht der Reichen zu brechen
+und damit den eigentlichen Quell des Uebels zu verstopfen. Er war
+Patrizier, und keiner tat es in seinem Stande an Rang und Ruhm ihm
+zuvor; nach zwei Triumphen, im dritten Konsulat (268 486) brachte er an
+die Buergergemeinde den Antrag, das Gemeindeland vermessen zu lassen
+und es teils zum Besten des oeffentlichen Schatzes zu verpachten, teils
+unter die Beduerftigen zu verteilen; das heisst, er versuchte, die
+Entscheidung ueber die Domaenen dem Senat zu entreissen und, gestuetzt
+auf die Buergerschaft, dem egoistischen Okkupationssystem ein Ende zu
+machen. Er mochte meinen, dass die Auszeichnung seiner Persoenlichkeit,
+die Gerechtigkeit und Weisheit der Massregel durchschlagen werde,
+selbst in diesen Wogen der Leidenschaftlichkeit und der Schwaeche;
+allein er irrte. Der Adel erhob sich wie ein Mann; die reichen Plebejer
+traten auf seine Seite; der gemeine Mann war missvergnuegt, weil
+Spurius Cassius, wie Bundesrecht und Billigkeit geboten, auch den
+latinischen Eidgenossen bei der Assignation ihr Teil geben wollte.
+Cassius musste sterben; es ist etwas Wahres in der Anklage, dass er
+koenigliche Gewalt sich angemasst habe, denn freilich versuchte er
+gleich den Koenigen, gegen seinen Stand die Gemeinfreien zu schirmen.
+Sein Gesetz ging mit ihm ins Grab, aber das Gespenst desselben stand
+seitdem den Reichen unaufhoerlich vor Augen und wieder und wieder stand
+es auf gegen sie, bis unter den Kaempfen darueber das Gemeinwesen
+zugrunde ging.
+
+Da ward noch ein Versuch gemacht, die tribunizische Gewalt dadurch zu
+beseitigen, dass man dem gemeinen Mann die Rechtsgleichheit auf einem
+geregelteren und wirksameren Wege sicherte. Der Volkstribun Gaius
+Terentilius Arsa beantragte im Jahr 292 (462) die Ernennung einer
+Kommission von fuenf Maennern zur Entwerfung eines gemeinen Landrechts,
+an das die Konsuln kuenftighin in ihrer richterlichen Gewalt gebunden
+sein sollten. Aber der Senat weigerte sich, diesem Vorschlag seine
+Sanktion zu geben, und es vergingen zehn Jahre, ehe derselbe zur
+Ausfuehrung kam - Jahre des heissesten Staendekampfes, welche ueberdies
+vielfach bewegt waren durch Kriege und innere Unruhen; mit gleicher
+Hartnaeckigkeit hinderte die Adelspartei die Zulassung des Gesetzes im
+Senat und ernannte die Gemeinde wieder und wieder dieselben Maenner zu
+Tribunen. Man versuchte durch andere Konzessionen den Angriff zu
+beseitigen: im Jahre 297 (457) ward die Vermehrung der Tribune von vier
+auf zehn bewilligt - freilich ein zweifelhafter Gewinn; im folgenden
+Jahre durch ein Icilisches Plebiszit, das aufgenommen ward unter die
+beschworenen Privilegien der Gemeinde, der Aventin, bisher Tempelhain
+und unbewohnt, unter die aermeren Buerger zu Bauplaetzen erblichen
+Besitzes aufgeteilt. Die Gemeinde nahm, was ihr geboten ward, allein
+sie hoerte nicht auf, das Landrecht zu fordern. Endlich im Jahre 300
+(454) kam ein Vergleich zustande; der Senat gab in der Hauptsache nach.
+Die Abfassung des Landrechts wurde beschlossen; es sollten dazu
+ausserordentlicher Weise zehn Maenner von den Zenturien gewaehlt
+werden, welche zugleich als hoechste Beamte anstatt der Konsuln zu
+fungieren hatten (decem viri consulari imperio legibus scribundis), und
+zu diesem Posten sollten nicht bloss Patrizier, sondern auch Plebejer
+wahlfaehig sein. Diese wurden hier zum erstenmal, freilich nur fuer ein
+ausserordentliches Amt, als waehlbar bezeichnet. Es war dies ein
+grosser Schritt vorwaerts zu der vollen politischen Gleichberechtigung,
+und er war nicht zu teuer damit verkauft, dass das Volkstribunat
+aufgehoben, das Provokationsrecht fuer die Dauer des Dezemvirats
+suspendiert und die Zehnmaenner nur verpflichtet wurden, die
+beschworenen Freiheiten der Gemeinde nicht anzutasten. Vorher indes
+wurde noch eine Gesandtschaft nach Griechenland geschickt um die
+Solonischen und andere griechische Gesetze heimzubringen, und erst nach
+deren Rueckkehr wurden fuer das Jahr 303 (451) die Zehnmaenner
+gewaehlt. Obwohl es freistand, auch Plebejer zu ernennen, so traf doch
+die Wahl auf lauter Patrizier - so maechtig war damals noch der Adel -,
+und erst als eine abermalige Wahl fuer 304 (450) noetig ward, wurden
+auch einige Plebejer gewaehlt - die ersten nichtadligen Beamten, die
+die roemische Gemeinde gehabt hat.
+
+Erwaegt man diese Massregeln in ihrem Zusammenhang, so kann kaum ein
+anderer Zweck ihnen untergelegt werden, als die Beschraenkung der
+konsularischen Gewalt durch das geschriebene Gesetz an die Stelle der
+tribunizischen Hilfe zu setzen. Von beiden Seiten musste man sich
+ueberzeugt haben, dass es nicht so bleiben konnte, wie es war, und die
+Permanenzerklaerung der Anarchie wohl die Gemeinde zugrunde richtete,
+aber in der Tat und Wahrheit dabei fuer niemand etwas herauskam.
+Ernsthafte Leute mussten einsehen, dass das Eingreifen der Tribune in
+die Administration sowie ihre Anklaegertaetigkeit schlechterdings
+schaedlich wirkten und der einzige wirkliche Gewinn, den das Tribunat
+dem gemeinen Mann gebracht hatte, der Schutz gegen parteiische
+Rechtspflege war, indem es als eine Art Kassationsgericht die Willkuer
+des Magistrats beschraenkte. Ohne Zweifel ward, als die Plebejer ein
+geschriebenes Landrecht begehrten, von den Patriziern erwidert, dass
+dann der tribunizische Rechtsschutz ueberfluessig werde; und hierauf
+scheint von beiden Seiten nachgegeben zu sein. Es ist vielleicht nie
+bestimmt ausgesprochen worden, wie es werden sollte nach Abfassung des
+Landrechts; aber an dem definitiven Verzicht der Plebs auf das Tribunat
+ist nicht zu zweifeln, da dieselbe durch das Dezemvirat in die Lage
+kam, nicht anders als auf ungesetzlichem Wege das Tribunat
+zurueckgewinnen zu koennen. Die der Plebs gegebene Zusage, dass ihre
+beschworenen Freiheiten nicht angetastet werden sollten, kann bezogen
+werden auf die vom Tribunat unabhaengigen Rechte der Plebejer, wie die
+Provokation und der Besitz des Aventin. Die Absicht scheint gewesen zu
+sein, dass die Zehnmaenner bei ihrem Ruecktritt dem Volke vorschlagen
+sollten, die jetzt nicht mehr nach Willkuer, sondern nach geschriebenem
+Recht urteilenden Konsuln wiederum zu waehlen.
+
+Der Plan, wenn er bestand, war weise; es kam darauf an, ob die
+leidenschaftlich erbitterten Gemueter hueben und drueben diesen
+friedlichen Austrag annehmen wuerden. Die Dezemvirn des Jahres 303
+(451) brachten ihr Gesetz vor das Volk und, von diesem bestaetigt,
+wurde dasselbe, in zehn kupferne Tafeln eingegraben, auf dem Markt an
+der Rednerbuehne vor dem Rathaus angeschlagen. Da indes noch ein
+Nachtrag erforderlich schien, so ernannte man auf das Jahr 304 (450)
+wieder Zehnmaenner, die noch zwei Tafeln hinzufuegten; so entstand das
+erste und einzige roemische Landrecht, das Gesetz der Zwoelf Tafeln. Es
+ging aus einem Kompromiss der Parteien hervor und kann schon darum
+tiefgreifende, ueber nebensaechliche und blosse
+Zweckmaessigkeitsbestimmungen hinausgehende Aenderungen des bestehenden
+Rechts nicht wohl enthalten haben. Sogar im Kreditwesen trat keine
+weitere Milderung ein, als dass ein - wahrscheinlich niedriges -
+Zinsmaximum (10 Prozent) festgestellt und der Wucherer mit schwerer
+Strafe - charakteristisch genug mit einer weit schwereren als der Dieb
+- bedroht ward; der strenge Schuldprozess blieb wenigstens in seinen
+Hauptzuegen ungeaendert. Aenderungen der staendischen Rechte waren
+begreiflicherweise noch weniger beabsichtigt; der Rechtsunterschied
+zwischen steuerpflichtigen und vermoegenslosen Buergern, die
+Ungueltigkeit der Ehe zwischen Adligen und Buergerlichen wurden
+vielmehr aufs neue im Stadtrecht bestaetigt, ebenso zur Beschraenkung
+der Beamtenwillkuer und zum Schutz des Buergers ausdruecklich
+vorgeschrieben, dass das spaetere Gesetz durchaus dem frueheren
+vorgehen und dass kein Volksschluss gegen einen einzelnen Buerger
+erlassen werden solle. Am bemerkenswertesten ist die Ausschliessung der
+Provokation an die Tribuskomitien in Kapitalsachen, waehrend die an die
+Zenturien gewaehrleistet ward; was sich daraus erklaert, dass die
+Strafgerichtsbarkeit von der Plebs und ihren Vorstehern in der Tat
+usurpiert war und mit dem Tribunal auch der tribunizische
+Kapitalprozess notwendig fiel, waehrend es vielleicht die Absicht war,
+den aedilizischen Multprozess beizubehalten. Die wesentliche politische
+Bedeutung lag weit weniger in dem Inhalt des Weistums als in der jetzt
+foermlich festgestellten Verpflichtung der Konsuln, nach diesen
+Prozessformen und diesen Rechtsregeln Recht zu sprechen, und in der
+oeffentlichen Aufstellung des Gesetzbuchs, wodurch die Rechtsverwaltung
+der Kontrolle der Publizitaet unterworfen und der Konsul genoetigt
+ward, allen gleiches und wahrhaft gemeines Recht zu sprechen.
+
+Der Ausgang des Dezemvirats liegt in tiefem Dunkel. Es blieb - so wird
+berichtet - den Zehnmaennern nur noch uebrig, die beiden letzten Tafeln
+zu publizieren und alsdann der ordentlichen Magistratur Platz zu
+machen. Sie zoegerten indes; unter dem Vorwande, dass das Gesetz noch
+immer nicht fertig sei, fuehrten sie selbst nach Ablauf des Amtsjahres
+ihr Amt weiter, was insofern moeglich war, als nach roemischem
+Staatsrecht die ausserordentlicherweise zur Revision der Verfassung
+berufene Magistratur durch die ihr gesetzte Endfrist rechtlich nicht
+gebunden werden kann. Die gemaessigte Fraktion der Aristokratie, die
+Valerier und Horatier an ihrer Spitze, soll versucht haben, im Senat
+die Abdankung der Dezemvirn zu erzwingen; allein das Haupt der
+Zehnmaenner, Appius Claudius, von Haus aus ein starrer Aristokrat, aber
+jetzt umschlagend zum Demagogen und zum Tyrannen, gewann das
+Uebergewicht im Senat, und auch das Volk fuegte sich. Die Aushebung
+eines doppelten Heeres ward ohne Widerspruch vollzogen und der Krieg
+gegen die Volsker wie gegen die Sabiner begonnen. Da wurde der gewesene
+Volkstribun Lucius Siccius Dentatus, der tapferste Mann in Rom, der in
+hundertundzwanzig Schlachten gefochten und fuenfundvierzig ehrenvolle
+Narben aufzuzeigen hatte, tot vor dem Lager gefunden, meuchlerisch
+ermordet, wie es hiess, auf Anstiften der Zehnmaenner. Die Revolution
+gaerte in den Gemuetern; zum Ausbruch brachte sie der ungerechte
+Wahrspruch des Appius in dem Prozess um die Freiheit der Tochter des
+Centurionen Lucius Verginius, der Braut des gewesenen Volkstribuns
+Lucius Icilius, welcher Spruch das Maedchen den Ihrigen entriss, um sie
+unfrei und rechtlos zu machen und den Vater bewog, seiner Tochter auf
+offenem Markt das Messer selber in die Brust zu stossen, um sie der
+gewissen Schande zu entreissen. Waehrend das Volk erstarrt ob der
+unerhoerten Tat die Leiche des schoenen Maedchens umstand, befahl der
+Dezemvir seinen Buetteln, den Vater und alsdann den Braeutigam vor
+seinen Stuhl zu fuehren, um ihm, von dessen Spruch keine Berufung galt,
+sofort Rede zu stehen wegen ihrer Auflehnung gegen seine Gewalt. Nun
+war das Mass voll. Geschuetzt von den brausenden Volksmassen entziehen
+der Vater und der Braeutigam des Maedchens sich den Haeschern des
+Gewaltherrn, und waehrend in Rom der Senat zittert und schwankt,
+erscheinen die beiden mit zahlreichen Zeugen der furchtbaren Tat in den
+beiden Lagern. Das Unerhoerte wird berichtet; vor allen Augen oeffnet
+sich die Kluft, die der mangelnde tribunizische Schutz in der
+Rechtssicherheit gelassen hat, und was die Vaeter getan, wiederholen
+die Soehne. Abermals verlassen die Heere ihre Fuehrer; sie ziehen in
+kriegerischer Ordnung durch die Stadt und abermals auf den heiligen
+Berg, wo sie abermals ihre Tribune sich ernennen. Immer noch weigern
+die Dezemvirn die Niederlegung ihrer Gewalt; da erscheint das Heer mit
+seinen Tribunen in der Stadt und lagert sich auf dem Aventin. Jetzt
+endlich, wo der Buergerkrieg schon da war und der Strassenkampf
+stuendlich beginnen konnte, jetzt entsagen die Zehnmaenner ihrer
+angemassten und entehrten Gewalt, und die Konsuln Lucius Valerius und
+Marcus Horatius vermitteln einen zweiten Vergleich, durch den das
+Volkstribunal wieder hergestellt wurde. Die Anklagen gegen die
+Dezemvirn endigten damit, dass die beiden schuldigsten, Appius Claudius
+und Spurius Oppius, im Gefaengnis sich das Leben nahmen, die acht
+anderen ins Exil gingen und der Staat ihr Vermoegen einzog. Weitere
+gerichtliche Verfolgungen hemmte der kluge und gemaessigte Volkstribun
+Marcus Duilius durch den rechtzeitigen Gebrauch seines Veto.
+
+So lautet die Erzaehlung, wie der Griffel der roemischen Aristokraten
+sie aufgezeichnet hat; unmoeglich aber kann, auch von den
+Nebenumstaenden abgesehen, die grosse Krise, der die Zwoelf Tafeln
+entsprangen, in solche romantische Abenteuerlichkeiten und politische
+Unbegreiflichkeiten ausgelaufen sein. Das Dezemvirat war nach der
+Abschaffung des Koenigtums und der Einsetzung des Volkstribunats der
+dritte grosse Sieg der Plebs, und die Erbitterung der Gegenpartei gegen
+die Institution wie gegen ihr Haupt Appius Claudius ist erklaerlich
+genug. Die Plebejer hatten damit das passive Wahlrecht zu dem hoechsten
+Gemeindeamt und das gemeine Landrecht errungen; und nicht sie waren es,
+die Ursache hatten, sich gegen die neue Magistratur aufzulehnen und mit
+Waffengewalt das rein patrizische Konsularregiment zu restaurieren.
+Dies Ziel kann nur von der Adelspartei verfolgt worden sein, und wenn
+die patrizisch-plebejischen Dezemvirn den Versuch gemacht haben, sich
+ueber die Zeit hinaus im Amte zu behaupten, so ist sicherlich dagegen
+in erster Reihe der Adel in die Schranken getreten; wobei er freilich
+nicht versaeumt haben wird geltend zu machen, dass ja auch der Plebs
+ihre verbrieften Rechte geschmaelert, insbesondere das Tribunat ihr
+genommen sei. Gelang es dann dem Adel, die Dezemvirn zu beseitigen, so
+ist es allerdings begreiflich, dass nach deren Sturz die Plebs jetzt
+abermals in Waffen zusammentrat, um die Ergebnisse sowohl der frueheren
+Revolution von 260 wie auch der juengsten Bewegung sich zu sichern; und
+nur als Kompromiss in diesem Konflikt lassen die Valerisch-Horatischen
+Gesetze von 305 (449) sich verstehen. Der Vergleich fiel wie natuerlich
+durchaus zu Gunsten der Plebejer aus und beschraenkte abermals in
+empfindlicher Weise die Gewalt des Adels. Dass das Volkstribunat wieder
+hergestellt, das dem Adel abgedrungene Stadtrecht definitiv
+festgehalten und die Konsuln danach zu richten verpflichtet wurden,
+versteht sich von selbst. Durch das Stadtrecht verloren allerdings die
+Tribus die angemasste Gerichtsbarkeit in Kapitalsachen; allein die
+Tribune erhielten sie zurueck, indem ein Weg gefunden ward, ihnen fuer
+solche Faelle die Verhandlung mit den Zenturien moeglich zu machen.
+Ueberdies blieb ihnen in dem Recht, auf Geldbussen unbeschraenkt zu
+erkennen und diesen Spruch an die Tribuskomitien zu bringen, ein
+ausreichendes Mittel, die buergerliche Existenz des patrizischen
+Gegners zu vernichten. Es ward ferner auf Antrag der Konsuln von den
+Zenturien beschlossen, dass kuenftig jeder Magistrat, also auch der
+Diktator bei seiner Ernennung verpflichtet werden solle, der
+Provokation stattzugeben; wer dem zuwider einen Beamten ernannte,
+buesste mit dem Kopfe. Im uebrigen behielt der Diktator die bisherige
+Gewalt und konnte namentlich der Tribun seine Amtshandlungen nicht wie
+die der Konsuln kassieren.
+
+Eine weitere Beschraenkung der konsularischen Machtfuelle war es, dass
+die Verwaltung der Kriegskasse zwei von der Gemeinde gewaehlten
+Zahlmeistern (quaestores) uebertragen ward, die zuerst fuer 307 (447)
+ernannt wurden. Die Ernennung sowohl der beiden neuen Zahlmeister fuer
+den Krieg wie auch der beiden die Stadtkasse verwaltenden ging jetzt
+ueber auf die Gemeinde; der Konsul behielt statt der Wahl nur die
+Wahlleitung. Die Versammlung, in der die Zahlmeister erwaehlt wurden,
+war die der saemtlichen patrizisch-plebejischen ansaessigen Leute und
+stimmte nach Quartieren ab; worin ebenfalls eine Konzession an die
+diese Versammlungen weit mehr als die Zenturiatkomitien beherrschende
+plebejische Bauernschaft liegt.
+
+Folgenreicher noch war es, dass den Tribunen Anteil an den
+Verhandlungen im Senat eingeraeumt ward. Zwar in den Sitzungssaal die
+Tribune zuzulassen, schien dem Senat unter seiner Wuerde; es wurde
+ihnen eine Bank an die Tuer gesetzt, um von da aus den Verhandlungen zu
+folgen. Das tribunizische Interzessionsrecht hatte sich auch auf die
+Beschluesse des Gesamtsenats erstreckt, seit dieser aus einer
+beratenden zu einer beschliessenden Behoerde geworden war, was wohl
+zuerst eintrat in dem Fall, wo ein Plebiszit fuer die ganze Gemeinde
+verbindend werden sollte; es war natuerlich, dass man seitdem den
+Tribunen eine gewisse Beteiligung an den Verhandlungen in der Kurie
+einraeumte. Um auch gegen Unterschiebung und Verfaelschung von
+Senatsbeschluessen gesichert zu sein, an deren Gueltigkeit ja die der
+wichtigsten Plebiszite geknuepft war, wurde verordnet, dass in Zukunft
+dieselben nicht bloss bei den patrizischen Stadtquaestoren im
+Saturnus-, sondern ebenfalls bei den plebejischen Aedilen im
+Cerestempel hinterlegt werden sollten. So endigte dieser Kampf, der
+begonnen war, um die Gewalt der Volkstribune zu beseitigen, mit der
+abermaligen und nun definitiven Sanktionierung ihres Rechts, sowohl
+einzelne Verwaltungsakte auf Anrufen des Beschwerten als auch jede
+Beschlussnahme der konstitutiven Staatsgewalten nach Ermessen zu
+kassieren. Mit den heiligsten Eiden und allem, was die Religion
+Ehrfuerchtiges darbot, und nicht minder mit den foermlichsten Gesetzen
+wurde abermals sowohl die Person der Tribune als die ununterbrochene
+Dauer und die Vollzaehligkeit des Kollegiums gesichert. Es ist seitdem
+nie wieder in Rom ein Versuch gemacht worden, diese Magistratur
+aufzuheben.
+
+
+
+
+KAPITEL III.
+Die Ausgleichung der Stände und die neue Aristokratie
+
+
+Die tribunizischen Bewegungen scheinen vorzugsweise aus den sozialen,
+nicht aus den politischen Missverhaeltnissen hervorgegangen zu sein und
+es ist guter Grund vorhanden zu der Annahme, dass ein Teil der
+vermoegenden, in den Senat aufgenommenen Plebejer denselben nicht
+minder entgegen war als die Patrizier; denn die Privilegien, gegen
+welche die Bewegung vorzugsweise sich richtete, kamen auch ihnen
+zugute, und wenn sie auch wieder in anderer Beziehung sich
+zurueckgesetzt fanden, so mochte es ihnen doch keineswegs an der Zeit
+scheinen, ihre Ansprueche auf Teilnahme an den Aemtern geltend zu
+machen, waehrend der ganze Senat in seiner finanziellen Sondermacht
+bedroht war. So erklaert es sich, dass waehrend der ersten fuenfzig
+Jahre der Republik kein Schritt geschah, der geradezu auf politische
+Ausgleichung der Staende hinzielte.
+
+Allein eine Buergschaft der Dauer trug dieses Buendnis der Patrizier
+und der reichen Plebejer doch keineswegs in sich. Ohne Zweifel hatte
+ein Teil der vornehmen plebejischen Familien von Haus aus der
+Bewegungspartei sich angeschlossen, teils aus Billigkeitsgefuehl gegen
+ihre Standesgenossen, teils infolge des natuerlichen Bundes aller
+Zurueckgesetzten, teils endlich, weil sie begriffen, dass Konzessionen
+an die Menge auf die Laenge unvermeidlich waren und dass sie, richtig
+benutzt, die Beseitigung der Sonderrechte des Patriziats zur Folge
+haben und damit der plebejischen Aristokratie das entscheidende Gewicht
+im Staate geben wuerden. Wenn diese Ueberzeugung, wie das nicht fehlen
+konnte, in weitere Kreise eindrang und die plebejische Aristokratie an
+der Spitze ihres Standes den Kampf gegen den Geschlechtsadel aufnahm,
+so hielt sie in dem Tribunat den Buergerkrieg gesetzlich in der Hand
+und konnte mit dem sozialen Notstand die Schlachten schlagen, um dem
+Adel die Friedensbedingungen zu diktieren und als Vermittler zwischen
+beiden Parteien fuer sich den Zutritt zu den Aemtern zu erzwingen.
+
+Ein solcher Wendepunkt in der Stellung der Parteien trat ein nach dem
+Sturz des Dezemvirats. Es war jetzt vollkommen klar geworden, dass das
+Volkstribunat sich nicht beseitigen liess; die plebejische Aristokratie
+konnte nichts Besseres tun, als sich dieses gewaltigen Hebels zu
+bemaechtigen und sich desselben zur Beseitigung der politischen
+Zuruecksetzung ihres Standes zu bedienen.
+
+Wie wehrlos der Geschlechtsadel der vereinigten Plebs gegenueberstand,
+zeigt nichts so augenscheinlich, als dass der Fundamentalsatz der
+exklusiven Partei, die Ungueltigkeit der Ehe zwischen Adligen und
+Buergerlichen, kaum vier Jahre nach der Dezemviralrevolution auf den
+ersten Streich fiel. Im Jahre 309 (445) wurde durch das Canuleische
+Plebiszit verordnet, dass die Ehe zwischen Adligen und Buergerlichen
+als eine rechte roemische gelten und die daraus erzeugten Kinder dem
+Stande des Vaters folgen sollten. Gleichzeitig wurde ferner
+durchgesetzt, dass statt der Konsuln Kriegstribune - es gab deren
+damals, vor der Teilung des Heeres in Legionen, sechs, und danach
+richtete sich auch die Zahl dieser Magistrate - mit konsularischer
+Gewalt ^1 und konsularischer Amtsdauer von den Zenturien gewaehlt
+werden sollten. Die naechste Ursache war militaerischer Art, indem die
+vielfachen Kriege eine groessere Zahl von obersten Feldherren
+forderten, als die Konsularverfassung sie gewaehrte; aber die Aenderung
+ist von wesentlicher Bedeutung fuer den Staendekampf geworden, ja
+vielleicht jener militaerische Zweck fuer diese Einrichtung mehr der
+Vorwand als der Grund gewesen. Zu Offizierstellen konnte nach altem
+Recht jeder dienstpflichtige Buerger oder Insasse gelangen, und es ward
+also damit das hoechste Amt, nachdem es voruebergehend schon im
+Dezemvirat den Plebejern geoeffnet worden war, jetzt in umfassender
+Weise saemtlichen freigewordenen Buergern gleichmaessig zugaenglich
+gemacht. Die Frage liegt nahe, welches Interesse der Adel dabei haben
+konnte, da er einmal auf den Alleinbesitz des hoechsten Amtes
+verzichten und in der Sache nachgeben musste, den Plebejern den Titel
+zu versagen und das Konsulat ihnen in dieser wunderlichen Form
+zuzugestehen ^2. Einmal aber knuepften sich an die Bekleidung des
+hoechsten Gemeindeamts mancherlei teils persoenliche, teils erbliche
+Ehrenrechte: so galt die Ehre des Triumphs als rechtlich bedingt durch
+die Bekleidung des hoechsten Gemeindeamts und wurde nie einem Offizier
+gegeben, der nicht dieses selbst verwaltet hatte; so stand es den
+Nachkommen eines kurulischen Beamten frei, das Bild eines solchen Ahnen
+im Familiensaal auf- und bei geeigneten Veranlassungen oeffentlich zur
+Schau zu stellen, waehrend dies fuer andere Vorfahren nicht statthaft
+war ^3. Es ist ebenso leicht zu erklaeren wie schwer zu rechtfertigen,
+dass der regierende Herrenstand weit eher das Regiment selbst als die
+daran geknuepften Ehrenrechte, namentlich die erblichen, sich entwinden
+liess und darum, als es jenes mit den Plebejern teilen musste, den
+tatsaechlich hoechsten Gemeindebeamten rechtlich nicht als Inhaber des
+kurulischen Sessels, sondern als einfachen Stabsoffizier hinstellte,
+dessen Auszeichnung eine rein persoenliche war. Von groesserer
+politischer Bedeutung aber als die Versagung des Ahnenrechts und der
+Ehre des Triumphs war es, dass die Ausschliessung der im Senat
+sitzenden Plebejer von der Debatte notwendig fuer diejenigen von ihnen
+fiel, die als designierte oder gewesene Konsuln in die Reihe der vor
+den uebrigen um ihr Gutachten zu fragenden Senatoren eintraten;
+insofern war es allerdings fuer den Adel von grosser Wichtigkeit, den
+Plebejer nur zu einem konsularischen Amt, nicht aber zum Konsulat
+selbst zuzulassen.
+
+——————————————————————-
+
+^1 Die Annahme, dass rechtlich den patrizischen Konsulartribunen das
+volle, den plebejischen nur das militaerische Imperium zugestanden
+habe, ruft nicht bloss manche Fragen hervor, auf die es keine Antwort
+gibt, zum Beispiel, was denn geschah, wenn, wie dies gesetzlich
+moeglich war, die Wahl auf lauter Plebejer fiel, sondern verstoesst vor
+allem gegen den Fundamentalsatz des roemischen Staatsrechts, dass das
+Imperium, das heisst das Recht, dem Buerger im Namen der Gemeinde zu
+befehlen, qualitativ unteilbar und ueberhaupt keiner anderen als einer
+raeumlichen Abgrenzung faehig ist. Es gibt einen Stadtrechtsbezirk und
+einen Kriegsrechtsbezirk, in welchem letzteren die Provokation und
+andere stadtrechtliche Bestimmungen nicht massgebend sind; es gibt
+Beamte, wie zum Beispiel die Prokonsuln, welche lediglich in dem
+letzteren zu funktionieren vermoegen; aber es gibt im strengen
+Rechtssinn keine Beamten mit bloss jurisdiktionellem wie keine mit
+bloss militaerischem Imperium. Der Prokonsul ist in seinem Bezirk eben
+wie der Konsul zugleich Oberfeldherr und Oberrichter und befugt, nicht
+bloss unter Nichtbuergern und Soldaten, sondern auch unter Buergern den
+Prozess zu instruieren. Selbst als mit der Einsetzung der Praetur der
+Begriff der Kompetenz fuer die magistratus maiores aufkommt, hat er
+mehr tatsaechliche als eigentlich rechtliche Geltung: der staedtische
+Praetor ist zwar zunaechst Oberrichter, aber er kann auch wenigstens
+fuer gewisse Faelle die Zenturien berufen und kann ein Heer befehligen;
+dem Konsul kommt in der Stadt zunaechst die Oberverwaltung und der
+Oberbefehl zu, aber er fungiert doch auch bei Emanzipation und Adoption
+als Gerichtsherr - die qualitative Unteilbarkeit des hoechsten Amtes
+ist also selbst hier noch beiderseits mit grosser Schaerfe
+festgehalten. Es muss also die militaerische wie die jurisdiktionelle
+Amtsgewalt oder, um diese, dem roemischen Recht dieser Zeit fremden
+Abstraktionen beiseite zu lassen, die Amtsgewalt schlechthin den
+plebejischen Konsulartribunen virtuell so gut wie den patrizischen
+zugestanden haben. Aber wohl moegen, wie W. A. Becker (Handbuch, Bd. 2,
+2, S. 137) meint, aus denselben Gruenden, weshalb spaeterhin neben das
+gemeinschaftliche Konsulat die - tatsaechlich laengere Zeit den
+Patriziern vorbehaltene - Praetur gestellt ward, faktisch schon
+waehrend des Konsulartribunats die plebejischen Glieder des Kollegiums
+von der Jurisdiktion ferngehalten worden sein und insofern die spaetere
+Kompetenzteilung zwischen Konsuln und Praetoren mittels des
+Konsulartribunats sich vorbereitet haben.
+
+^2 Die Verteidigung, dass der Adel an der Ausschliessung der Plebejer
+aus religioeser Befangenheit festgehalten habe, verkennt den
+Grundcharakter der roemischen Religion und traegt den modernen
+Gegensatz zwischen Kirche und Staat in das Altertum hinein. Die
+Zulassung des Nichtbuergers zu einer buergerlich religioesen
+Verrichtung musste freilich dem rechtglaeubigen Roemer als suendhaft
+erscheinen; aber nie hat auch der strengste Orthodoxe bezweifelt, dass
+durch die lediglich und allein vom Staat abhaengige Zulassung in die
+buergerliche Gemeinschaft auch die volle religioese Gleichheit
+herbeigefuehrt werde. All jene Gewissensskrupel, deren Ehrlichkeit an
+sich nicht beanstandet werden soll, waren abgeschnitten, sowie man den
+Plebejern in Masse rechtzeitig das Patriziat zugestand. Nur das etwa
+kann man zur Entschuldigung des Adels geltend machen, dass er, nachdem
+er bei Abschaffung des Koenigtums den rechten Augenblick hierzu
+versaeumt hatte, spaeter selber nicht mehr imstande war, das Versaeumte
+nachzuholen.
+
+^3 Ob innerhalb des Patriziats die Unterscheidung dieser “kurulischen
+Haeuser” von den uebrigen Familien jemals von ernstlicher politischer
+Bedeutung gewesen ist, laesst sich weder mit Sicherheit verneinen noch
+mit Sicherheit bejahen, und ebensowenig wissen wir, ob es in dieser
+Epoche wirklich noch nicht kurulische Patrizierfamilien in einiger
+Anzahl gab.
+
+————————————————————————-
+
+Indes trotz dieser kraenkenden Zuruecksetzung waren doch die
+Geschlechterprivilegien, soweit sie politischen Wert hatten, durch die
+neue Institution gesetzlich beseitigt, und wenn der roemische Adel
+seines Namens wert gewesen waere, haette er jetzt den Kampf aufgeben
+muessen. Allein er hat es nicht getan. Wenn auch ein vernuenftiger und
+gesetzlicher Widerstand fortan unmoeglich war, so bot sich doch noch
+ein weites Feld fuer die tueckische Opposition der kleinen Mittel, der
+Schikanen und der Kniffe; und so wenig ehrenhaft und staatsklug dieser
+Widerstand war, so war er doch in einem gewissen Sinne erfolgreich. Er
+hat allerdings schliesslich dem gemeinen Mann Konzessionen verschafft,
+zu welchen die vereinigte roemische Aristokratie nicht leicht gezwungen
+worden waere; aber er hat es auch vermocht, den Buergerkrieg noch um
+ein Jahrhundert zu verlaengern und jenen Gesetzen zum Trotz das
+Regiment noch mehrere Menschenalter hindurch tatsaechlich im
+Sonderbesitz des Adels zu erhalten.
+
+Die Mittel, deren der Adel sich bediente, waren so mannigfach wie die
+politische Kuemmerlichkeit ueberhaupt. Statt die Frage ueber die
+Zulassung oder Ausschliessung der Buergerlichen bei den Wahlen ein fuer
+allemal zu entscheiden, raeumte man, was man einraeumen musste, nur
+fuer die jedesmal naechsten Wahlen ein; jaehrlich erneuerte sich also
+der eitle Kampf, ob patrizische Konsuln oder aus beiden Staenden
+Kriegstribune mit konsularischer Gewalt ernannt werden sollten, und
+unter den Waffen des Adels erwies sich diese, den Gegner durch
+Ermuedung und Langweile zu ueberwinden, keineswegs als die
+unwirksamste.
+
+Man zersplitterte ferner die bis dahin ungeteilte hoechste Geaalt, um
+die unvermeidliche Niederlage durch Vermehrung der Angriffspunkte in
+die Laenge zu ziehen. So wurde die der Regel nach jedes vierte Jahr
+stattfindende Feststellung des Budgets und der Buerger- und
+Steuerlisten, welche bisher durch die Konsuln bewirkt worden war, schon
+im Jahre 319 (435) zweien von den Zenturien aus dem Adel auf hoechstens
+achtzehn Monate ernannten Schaetzern (censores) uebertragen. Das neue
+Amt ward allmaehlich zum Palladium der Adelspartei, weniger noch wegen
+seines finanziellen Einflusses als wegen des daran sich knuepfenden
+Rechts, die erledigten Plaetze im Senat und in der Ritterschaft zu
+besetzen und bei der Feststellung der Listen von Senat, Ritter- und
+Buergerschaft einzelne Personen aus denselben zu entfernen; die hohe
+Bedeutung indes und die moralische Machtfuelle, welche spaeterhin der
+Zensur beiwohnt, hat sie in dieser Epoche noch keineswegs besessen.
+
+Dagegen die im Jahre 333 (421) hinsichtlich der Quaestur getroffene
+wichtige Aenderung glich diesen Erfolg der Adelspartei reichlich wieder
+aus. Die patrizisch-plebejische Quartierversammlung, vielleicht darauf
+sich stuetzend, dass wenigstens die beiden Kriegszahlmeister faktisch
+mehr Offiziere waren als Zivilbeamte und insofern der Plebejer so gut
+wie zum Militaertribunat auch zur Quaestur befaehigt erschien, setzte
+es durch, dass fuer die Quaestorenwahlen auch plebejische Bewerber
+zugelassen wurden und erwarb damit zum erstenmal zu dem aktiven
+Wahlrecht auch das passive fuer eines der ordentlichen Aemter. Mit
+Recht ward es auf der einen Seite als ein grosser Sieg, auf der anderen
+als eine schwere Niederlage empfunden, dass fortan zu dem Kriegs- wie
+zu dem Stadtzahlmeisteramt der Patrizier und der Plebejer aktiv und
+passiv gleich wahlfaehig waren.
+
+Trotz der hartnaeckigsten Gegenwehr schritt der Adel doch nur von
+Verlust zu Verlust; die Erbitterung stieg, wie die Macht sank. Er hat
+es wohl noch versucht, die der Gemeinde vertragsmaessig zugesicherten
+Rechte geradezu anzutasten; aber es waren diese Versuche weniger
+berechnete Parteimanoever als Akte einer impotenten Rachsucht. So
+namentlich der Prozess gegen Maelius, wie unsere allerdings wenig
+zuverlaessige Ueberlieferung ihn berichtet. Spurius Maelius, ein
+reicher Plebejer, verkaufte waehrend schwerer Teuerung (315 439)
+Getreide zu solchen Preisen, dass er den patrizischen Magazinvorsteher
+(praefectus annonae) Gaius Minucius beschaemte und kraenkte. Dieser
+beschuldigte ihn des Strebens nach der koeniglichen Gewalt; mit welchem
+Recht, koennen wir freilich nicht entscheiden, allein es ist kaum
+glaublich, dass ein Mann, der nicht einmal das Tribunat bekleidet
+hatte, ernstlich an die Tyrannis gedacht haben sollte. Indes die
+Behoerden nahmen die Sache ernsthaft, und auf die Menge Roms hat der
+Zeterruf des Koenigtums stets aehnliche Wirkung geuebt wie der
+Papstzeter auf die englischen Massen. Titus Quinctius Capitolinus, der
+zum sechstenmal Konsul war, ernannte den achtzigjaehrigen Lucius
+Quinctius Cincinnatus zum Diktator ohne Provokation, in offener
+Auflehnung gegen die beschworenen Gesetze. Maelius, vorgeladen, machte
+Miene, sich dem Befehl zu entziehen; da erschlug ihn der Reiterfuehrer
+des Diktators, Gaius Servilius Ahala, mit eigener Hand. Das Haus des
+Ermordeten ward niedergerissen, das Getreide aus seinen Speichern dem
+Volke umsonst verteilt, und die seinen Tod zu raechen drohten, heimlich
+ueber die Seite gebracht. Dieser schaendliche Justizmord, eine Schande
+mehr noch fuer das leichtglaeubige und blinde Volk als fuer die
+tueckische Junkerpartei, ging ungestraft hin; aber wenn diese gehofft
+hatte, damit das Provokationsrecht zu untergraben, so hatte sie umsonst
+die Gesetze verletzt und umsonst unschuldiges Blut vergossen.
+
+Wirksamer als alle uebrigen Mittel erwiesen sich dem Adel Wahlintrigen
+und Pfaffentrug. Wie arg jene gewesen sein muessen, zeigt am besten,
+dass es schon 322 (432) noetig schien, ein eigenes Gesetz gegen
+Wahlumtriebe zu erlassen, das natuerlich nichts half. Konnte man nicht
+durch Korruption oder Drohung auf die Stimmberechtigten wirken, so
+taten die Wahldirektoren das uebrige und liessen zum Beispiel so viele
+plebejische Kandidaten zu, dass die Stimmen der Opposition sich
+zersplitterten, oder liessen diejenigen von der Kandidatenliste weg,
+die die Majoritaet zu waehlen beabsichtigte. Ward trotz alledem eine
+unbequeme Wahl durchgesetzt, so wurden die Priester befragt, ob bei
+derselben nicht eine Nichtigkeit in der Voegelschau oder den sonstigen
+religioesen Zeremonien vorgekommen sei; welche diese alsdann zu
+entdecken nicht ermangelten. Unbekuemmert um die Folgen und uneingedenk
+des weisen Beispiels der Ahnen liess man den Satz sich feststellen,
+dass das Gutachten der priesterlichen Sachverstaendigenkollegien ueber
+Voegelzeichen, Wunder und aehnliche Dinge den Beamten von Rechts wegen
+binde, und es in ihre Macht kommen, jeden Staatsakt, sei es die Weihung
+eines Gotteshauses oder sonst eine Verwaltungshandlung, sei es Gesetz
+oder Wahl, wegen religioeser Nullitaeten zu kassieren. Auf diesem Wege
+wurde es moeglich, dass, obwohl die Waehlbarkeit der Plebejer schon im
+Jahre 333 (421) fuer die Quaestur gesetzlich festgestellt worden war
+und seitdem rechtlich anerkannt blieb, dennoch erst im Jahre 345 (409)
+der erste Plebejer zur Quaestur gelangte; aehnlich haben das
+konsularische Kriegstribunat bis zum Jahre 354 (400) fast
+ausschliesslich Patrizier bekleidet. Es zeigte sich, dass die
+gesetzliche Abschaffung der Adelsprivilegien noch keineswegs die
+plebejische Aristokratie wirklich und tatsaechlich dem Geschlechtsadel
+gleichgestellt hatte. Mancherlei Ursachen wirkten dabei zusammen: die
+zaehe Opposition des Adels liess sich weit leichter in einem
+aufgeregten Moment der Theorie nach ueber den Haufen werfen, als in den
+jaehrlich wiederkehrenden Wahlen dauernd niederhalten; die Hauptursache
+aber war die innere Uneinigkeit der Haeupter der plebejischen
+Aristokratie und der Masse der Bauernschaft. Der Mittelstand, dessen
+Stimmen in den Komitien entschieden, fand sich nicht berufen, die
+vornehmen Nichtadligen vorzugsweise auf den Schild zu heben, solange
+seine eigenen Forderungen von der plebejischen nicht minder wie von der
+patrizischen Aristokratie zurueckgewiesen wurden.
+
+Die sozialen Fragen hatten waehrend dieser politischen Kaempfe im
+ganzen geruht oder waren doch mit geringer Energie verhandelt worden.
+Seitdem die plebejische Aristokratie sich des Tribunats zu ihren
+Zwecken bemaechtigt hatte, war weder von der Domaenenangelegenheit noch
+von der Reform des Kreditwesens ernstlich die Rede gewesen; obwohl es
+weder fehlte an neugewonnenen Laendereien noch an verarmenden oder
+verarmten Bauern. Einzelne Assignationen, namentlich in neueroberten
+Grenzgebieten, erfolgten wohl, so des ardeatischen Gebiets 312 (442),
+des labicanischen 336 (418), des veientischen 361 (393), jedoch mehr
+aus militaerischen Gruenden, als um dem Bauer zu helfen, und keineswegs
+in ausreichenden Umfang. Wohl machten einzelne Tribune den Versuch, das
+Gesetz des Cassius wieder aufzunehmen: so stellten Spurius Maecilius
+und Spurius Metilius im Jahre 337 (417) den Antrag auf Aufteilung
+saemtlicher Staatslaendereien - allein sie scheiterten, was
+charakteristisch fuer die damalige Situation ist, an dem Widerstand
+ihrer eigenen Kollegen, das heisst der plebejischen Aristokratie. Auch
+unter den Patriziern versuchten einige, der gemeinen Not zu helfen;
+allein mit nicht besserem Erfolg als einst Spurius Cassius. Patrizier
+wie dieser, und wie dieser ausgezeichnet durch Kriegsruhm und
+persoenliche Tapferkeit, soll Marcus Manlius, der Retter der Burg
+waehrend der gallischen Belagerung, als Vorkaempfer aufgetreten sein
+fuer die unterdrueckten Leute, mit denen sowohl die Kriegskameradschaft
+ihn verband wie der bittere Hass gegen seinen Rivalen, den gefeierten
+Feldherrn und optimatischen Parteifuehrer Marcus Furius Camillus. Als
+ein tapferer Offizier ins Schuldgefaengnis abgefuehrt werden sollte,
+trat Manlius fuer ihn ein und loeste mit seinem Gelde ihn aus; zugleich
+bot er seine Grundstuecke zum Verkauf aus, laut erklaerend, dass,
+solange er noch einen Fussbreit Landes besitze, solche Unbill nicht
+vorkommen solle. Das war mehr als genug, um die ganze Regimentspartei,
+Patrizier wie Plebejer, gegen den gefaehrlichen Neuerer zu vereinigen.
+Der Hochverratsprozess, die Anschuldigung der beabsichtigten Erneuerung
+des Koenigtums, wirkte mit dem tueckischen Zauber stereotyp gewordener
+Parteiphrasen auf die blinde Menge; sie selbst verurteilte ihn zum
+Tode, und nichts trug sein Ruhm ihm ein, als dass man das Volk zum
+Blutgericht an einem Ort versammelte, von wo die Stimmenden den
+Burgfelsen nicht erblickten, den stummen Mahner an die Rettung des
+Vaterlandes aus der hoechsten Gefahr durch die Hand desselben Mannes,
+welchen man jetzt dem Henker ueberlieferte (370 384).
+
+Waehrend also die Reformversuche im Keim erstickt wurden, wurde das
+Missverstaendnis immer schreiender, indem einerseits infolge der
+gluecklichen Kriege die Domanialbesitzungen mehr und mehr sich
+ausdehnten, anderseits in der Bauernschaft die Ueberschuldung und
+Verarmung immer weiter um sich griff, namentlich infolge des schweren
+Veientischen Krieges (348-358 406-396) und der Einaescherung der
+Hauptstadt bei dem gallischen Ueberfall (364 390). Zwar als es indem
+Veientischen Kriege notwendig wurde, die Dienstzeit der Soldaten zu
+verlaengern und sie, statt wie bisher hoechstens nur den Sommer, auch
+den Winter hindurch unter den Waffen zu halten, und als die
+Bauernschaft, die vollstaendige Zerruettung ihrer oekonomischen Lage
+voraussehend, im Begriff war, ihre Einwilligung zu der Kriegserklaerung
+zu verweigern, entschloss sich der Senat zu einer wichtigen Konzession:
+er uebernahm den Sold, den bisher die Distrikte durch Umlage
+aufgebracht hatten, auf die Staatskasse, das heisst auf den Ertrag der
+indirekten Abgaben und der Domaenen (348 406). Nur fuer den Fall, dass
+die Staatskasse augenblicklich leer sei, wurde des Soldes wegen eine
+allgemeine Umlage (tributum) ausgeschrieben, die indes als gezwungene
+Anleihe betrachtet und von der Gemeinde spaeterhin zurueckgezahlt ward.
+Die Einrichtung war billig und weise; allein da das wesentliche
+Fundament, eine reelle Verwertung der Domaenen zum Besten der
+Staatskasse, ihr nicht gegeben ward, so kamen zu der vermehrten Last
+des Dienstes noch haeufige Umlagen hinzu, die den kleinen Mann darum
+nicht weniger ruinierten, dass sie offiziell nicht als Steuern, sondern
+als Vorschuesse betrachtet wurden.
+
+Unter solchen Umstaenden, wo die plebejische Aristokratie sich durch
+den Widerstand des Adels und die Gleichgueltigkeit der Gemeinde
+tatsaechlich von der politischen Gleichberechtigung ausgeschlossen sah
+und die leidende Bauernschaft der geschlossenen Aristokratie
+ohnmaechtig gegenueberstand, lag es nahe, beiden zu helfen durch ein
+Kompromiss. Zu diesem Ende brachten die Volkstribune Gaius Licinius und
+Lucius Sextius bei der Gemeinde Antraege dahin ein: einerseits mit
+Beseitigung des Konsulatribunats festzustellen, dass wenigstens der
+eine Konsul Plebejer sein muesse, und ferner den Plebejern den Zutritt
+zu dem einen der drei grossen Priesterkollegien, dem auf zehn
+Mitglieder zu vermehrenden der Orakelbewahrer (duoviri, spaeter
+decemviri sacris faciundis, 1, 191) zu eroeffnen; anderseits
+hinsichtlich der Domaenen keinen Buerger auf die Gemeinweide mehr als
+hundert Rinder und fuenfhundert Schafe auftreiben und keinen von dem
+zur Okkupation freigegebenen Domanialland mehr als fuenfhundert Iugera
+(= 494 preussische Morgen) in Besitz nehmen zu lassen, ferner die
+Gutsbesitzer zu verpflichten, unter ihren Feldarbeitern eine zu der
+Zahl der Ackersklaven im Verhaeltnis stehende Anzahl freier Arbeiter zu
+verwenden, endlich den Schuldnern durch Abzug der gezahlten Zinsen vom
+Kapital und Anordnung von Rueckzahlungsfristen Erleichterung zu
+verschaffen.
+
+Die Tendenz dieser Verfuegungen liegt auf der Hand. Sie sollten dem
+Adel den ausschliesslichen Besitz der kurulischen Aemter und der daran
+geknuepften erblichen Auszeichnungen der Nobilitaet entreissen, was man
+in bezeichnender Weise nur dadurch erreichen zu koennen meinte, dass
+man die Adligen von der zweiten Konsulstelle gesetzlich ausschloss. Sie
+sollten folgeweise die plebejischen Mitglieder des Senats aus der
+untergeordneten Stellung, in der sie als stumme Beisitzer sich
+befanden, insofern befreien, als wenigstens diejenigen von ihnen, die
+das Konsulat bekleidet hatten, damit ein Anrecht erwarben, mit den
+patrizischen Konsularen vor den uebrigen patrizischen Senatoren ihr
+Gutachten abzugeben. Sie sollten ferner dem Adel den ausschliesslichen
+Besitz der geistlichen Wuerden entziehen; wobei man aus naheliegenden
+Ursachen die altlatinischen Priestertuemer der Augurn und Pontifices
+den Altroemern liess, aber sie noetigte, das dritte, juengere und einem
+urspruenglich auslaendischen Kult angehoerige grosse Kollegium mit den
+Neubuergern zu teilen. Sie sollten endlich den geringen Leuten den
+Mitgenuss der gemeinen Buergernutzungen, den leidenden Schuldnern
+Erleichterung, den arbeitslosen Tageloehnern Beschaeftigung
+verschaffen. Beseitigung der Privilegien, buergerliche Gleichheit,
+soziale Reform - das waren die drei grossen Ideen, welche dadurch zur
+Anerkennung kommen sollten. Vergeblich boten die Patrizier gegen diese
+Gesetzvorschlaege ihre letzten Mittel auf; selbst die Diktatur und der
+alte Kriegsheld Camillus vermochten nur ihre Durchbringung zu
+verzoegern, nicht sie abzuwenden. Gern haette auch das Volk die
+Vorschlaege geteilt; was lag ihm am Konsulat und an dem
+Orakelbewahreramt, wenn nur die Schuldenlast erleichtert und das
+Gemeinland frei ward! Aber umsonst war die plebejische Nobilitaet nicht
+popular; sie fasste die Antraege in einen einzigen Gesetzvorschlag
+zusammen und nach lang-, angeblich elfjaehrigem Kampfe gab endlich der
+Senat seine Einwilligung und gingen sie im Jahre 387 (367) durch.
+
+Mit der Wahl des ersten nicht patrizischen Konsuls - sie fiel auf den
+einen der Urheber dieser Reform, den gewesenen Volkstribunen Lucius
+Sextius Lateranus - hoerte der Geschlechtsadel tatsaechlich und
+rechtlich auf, zu den politischen Institutionen Roms zu zaehlen. Wenn
+nach dem endlichen Durchgang dieser Gesetze der bisherige Vorkaempfer
+der Geschlechter, Marcus Furius Camillus, am Fusse des Kapitols auf
+einer ueber der alten Malstatt der Buergerschaft, dem Comitium,
+erhoehten Flaeche, wo der Senat haeufig zusammenzutreten pflegte, ein
+Heiligtum der Eintracht stiftete, so gibt man gern dem Glauben sich
+hin, dass er in dieser vollendeten Tatsache den Abschluss des nur zu
+lange fortgesponnenen Haders erkannte. Die religioese Weihe der neuen
+Eintracht der Gemeinde war die letzte oeffentliche Handlung des alten
+Kriegs- und Staatsmannes und der wuerdige Beschluss seiner langen und
+ruhmvollen Laufbahn. Er hatte sich auch nicht ganz geirrt; der
+einsichtigere Teil der Geschlechter gab offenbar seitdem die
+politischen Sonderrechte verloren und war es zufrieden, das Regiment
+mit der plebejischen Aristokratie zu teilen. Indes in der Majoritaet
+der Patrizier verleugnete das unverbesserliche Junkertum sich nicht.
+Kraft des Privilegiums, welches die Vorfechter der Legitimitaet zu
+allen Zeiten in Anspruch genommen haben, den Gesetzen nur da zu
+gehorchen, wo sie mit ihren Parteiinteressen zusammenstimmen, erlaubten
+sich die roemischen Adligen noch verschiedene Male, in offener
+Verletzung der vorgetragenen Ordnung, zwei patrizische Konsuln ernennen
+zu lassen; wie indes, als Antwort auf eine derartige Wahl fuer das Jahr
+411 (343), das Jahr darauf die Gemeinde foermlich beschloss, die
+Besetzung beider Konsulstellen mit Nichtpatriziern zu gestatten,
+verstand man die darin liegende Drohung und hat es wohl noch
+gewuenscht, aber nicht wieder gewagt, an die zweite Konsulstelle zu
+ruehren.
+
+Ebenso schnitt sich der Adel nur in das eigene Fleisch durch den
+Versuch, den er bei der Durchbringung der Licinischen Gesetze machte,
+mittels eines politischen Kipp- und Wippsystems wenigstens einige
+Truemmer der alten Vorrechte fuer sich zu bergen. Unter dem Vorwande,
+dass das Recht ausschliesslich dem Adel bekannt sei, ward von dem
+Konsulat, als dies den Plebejern eroeffnet werden musste, die
+Rechtspflege getrennt und dafuer ein eigener dritter Konsul, oder, wie
+er gewoehnlich heisst, ein Praetor bestellt. Ebenso kamen die
+Marktaufsicht und die damit verbundenen Polizeigerichte sowie die
+Ausrichtung des Stadtfestes an zwei neu ernannte Aedilen, die von ihrer
+staendigen Gerichtsbarkeit, zum Unterschied von den plebejischen, die
+Gerichtsstuhl-Aedilen (aediles curules) genannt wurden. Allein die
+kurulische Aedilitaet ward sofort den Plebejern in der Art zugaenglich,
+dass adlige und buergerliche Kurulaedilen Jahr um Jahr abwechselten. Im
+Jahre 398 (356) wurde ferner die Diktatur, wie schon das Jahr vor den
+Licinischen Gesetzen (386 368), das Reiterfuehreramt, im Jahre 403
+(351) die Zensur, im Jahre 417 (337) die Praetur Plebejern uebertragen
+und um dieselbe Zeit (415 339) der Adel, wie es frueher in Hinsicht des
+Konsulats geschehen war, auch von der einen Zensorstelle gesetzlich
+ausgeschlossen. Es aenderte nichts, dass wohl noch einmal ein
+patrizischer Augur in der Wahl eines plebejischen Diktators (427 327)
+geheime, ungeweihten Augen verborgene Maengel fand und dass der
+patrizische Zensor seinem Kollegen bis zum Schlusse dieser Periode (474
+280) nicht gestattete, das feierliche Opfer darzubringen, womit die
+Schatzung schloss; dergleichen Schikanen dienten lediglich dazu, die
+ueble Laune des Junkertums zu konstatieren. Ebensowenig aenderten etwa
+die Quengeleien, welche die patrizischen Vorsitzer des Senats nicht
+verfehlt haben werden, wegen der Teilnahme der Plebejer an der Debatte
+in demselben zu erheben; vielmehr stellte die Regel sich fest, dass
+nicht mehr die patrizischen Mitglieder, sondern die zu einem der drei
+hoechsten ordentlichen Aemter, Konsulat, Praetur und kurulischer
+Aedilitaet gelangten, in dieser Folge und ohne Unterschied des Standes
+zur Abgabe ihres Gutachtens aufzufordern seien, waehrend diejenigen
+Senatoren, die keines dieser Aemter bekleidet hatten, auch jetzt noch
+bloss an der Abmehrung teilnahmen. Das Recht endlich des
+Patriziersenats, einen Beschluss der Gemeinde als verfassungswidrig zu
+verwerfen, das derselbe auszuueben freilich wohl ohnehin selten gewagt
+haben mochte, ward ihm durch das Publilische Gesetz von 415 (339) und
+durch das nicht vor der Mitte des fuenften Jahrhunderts erlassene
+Maenische in der Art entzogen, dass er veranlasst ward, seine etwaigen
+konstitutionellen Bedenken bereits bei Aufstellung der Kandidatenliste
+oder Einbringung des Gesetzvorschlags geltend zu machen; was denn
+praktisch darauf hinauslief, dass er stets im voraus seine Zustimmung
+aussprach. In dieser Art als rein formales Recht ist die Bestaetigung
+der Volksschluesse dem Adel bis in die letzte Zeit der Republik
+geblieben.
+
+Laenger behaupteten begreiflicherweise die Geschlechter ihre
+religioesen Vorrechte; ja an manche derselben, die ohne politische
+Bedeutung waren, wie namentlich an ihre ausschliessliche Waehlbarkeit
+zu den drei hoechsten Flaminaten und dem sacerdotalen Koenigtum sowie
+in die Genossenschaften der Springer, hat man niemals geruehrt. Dagegen
+waren die beiden Kollegien der Pontifices und der Augurn, an welche ein
+bedeutender Einfluss auf die Gerichte und die Komitien sich knuepfte,
+zu wichtig, als dass diese Sonderbesitz der Patrizier haetten bleiben
+koennen; das Ogulnische Gesetz vom Jahre 454 (300) eroeffnete denn auch
+in diese den Plebejern den Eintritt, indem es die Zahl der Pontifices
+und der Augurn beide von sechs auf neun vermehrte und in beiden
+Kollegien die Stellen zwischen Patriziern und Plebejern gleichmaessig
+teilte.
+
+Den letzten Abschluss des zweihundertjaehrigen Haders brachte das durch
+einen gefaehrlichen Volksaufstand hervorgerufene Gesetz des Diktators
+Q. Hortensius (465-468 289-286), das anstatt der frueheren bedingten
+die unbedingte Gleichstellung der Beschluesse der Gesamtgemeinde und
+derjenigen der Plebs aussprach. So hatten sich die Verhaeltnisse
+umgewandelt, dass derjenige Teil der Buergerschaft, der einst allein
+das Stimmrecht besessen hatte, seitdem bei der gewoehnlichen Form der
+fuer die gesamte Buergerschaft verbindlichen Abstimmungen nicht einmal
+mehr mitgefragt ward.
+
+Der Kampf zwischen den roemischen Geschlechtern und Gemeinen war damit
+im wesentlichen zu Ende. Wenn der Adel von seinen umfassenden
+Vorrechten noch den tatsaechlichen Besitz der einen Konsul- und der
+einen Zensorstelle bewahrte, so war er dagegen vom Tribunat, der
+plebejischen Aedilitaet, von der zweiten Konsul- und Zensorstelle und
+von der Teilnahme an den rechtlich den Buergerschaftsabstimmungen
+gleichstehenden Abstimmungen der Plebs gesetzlich ausgeschlossen; in
+gerechter Strafe seines verkehrten und eigensinnigen Widerstrebens
+hatten die ehemaligen patrizischen Vorrechte sich fuer ihn in ebenso
+viele Zuruecksetzungen verwandelt. Indes der roemische Geschlechtsadel
+ging natuerlich darum keineswegs unter, weil er zum leeren Namen
+geworden war. Je weniger der Adel bedeutete und vermochte, desto reiner
+und ausschliesslicher entwickelte sich der junkerhafte Geist. Die
+Hoffart der “Ramner” hat das letzte ihrer Standesprivilegien um
+Jahrhunderte ueberlebt; nachdem man standhaft gerungen hatte, “das
+Konsulat aus dem plebejischen Kote zu ziehen”, und sich endlich
+widerwillig von der Unmoeglichkeit dieser Leistung hatte ueberzeugen
+muessen, trug man wenigstens schroff und verbissen sein Adeltum zur
+Schau. Man darf, um die Geschichte Roms im fuenften und sechsten
+Jahrhundert richtig zu verstehen, dies schmollende Junkertum nicht
+vergessen; es vermochte zwar nichts weiter als sich und andere zu
+aergern, aber dies hat es denn auch nach Vermoegen getan. Einige Jahre
+nach dem Ogulnischen Gesetz (458 296) kam ein bezeichnender Auftritt
+dieser Art vor: eine patrizische Frau, welche an einen vornehmen und zu
+den hoechsten Wuerden der Gemeinde gelangten Plebejer vermaehlt war,
+wurde dieser Missheirat wegen von dem adligen Damenkreise ausgestossen
+und zu der gemeinsamen Keuschheitsfeier nicht zugelassen; was denn zur
+Folge hatte, dass seitdem in Rom eine besondere adlige und eine
+besondere buergerliche Keuschheitsgoettin verehrt ward. Ohne Zweifel
+kam es auf Velleitaeten dieser Art sehr wenig an und hat auch der
+bessere Teil der Geschlechter sich dieser truebseligen
+Verdriesslichkeitspolitik durchaus enthalten; aber ein Gefuehl des
+Missbehagens liess sie doch auf beiden Seiten zurueck, und wenn der
+Kampf der Gemeinde gegen die Geschlechter an sich eine politische und
+selbst eine sittliche Notwendigkeit war, so haben dagegen diese lange
+nachzitternden Schwingungen desselben, sowohl die zwecklosen
+Nachhutgefechte nach der entschiedenen Schlacht als auch die leeren
+Rang- und Standeszaenkereien, das oeffentliche und private Leben der
+roemischen Gemeinde ohne Not durchkreuzt und zerruettet.
+
+Indes nichtsdestoweniger ward der eine Zweck des von den beiden Teilen
+der Plebs im Jahre 387 (367) geschlossenen Kompromisses, die
+Beseitigung des Patriziats, im wesentlichen vollstaendig erreicht. Es
+fragt sich weiter, inwiefern dies auch von den beiden positiven
+Tendenzen desselben gesagt werden kann und ob die neue Ordnung der
+Dinge in der Tat der sozialen Not gesteuert und die politische
+Gleichheit hergestellt hat. Beides hing eng miteinander zusammen; denn
+wenn die oekonomische Bedraengnis den Mittelstand aufzehrte und die
+Buergerschaft in eine Minderzahl von Reichen und ein notleidendes
+Proletariat aufloeste, so war die buergerliche Gleichheit damit
+zugleich vernichtet und das republikanische Gemeinwesen der Sache nach
+zerstoert. Die Erhaltung und Mehrung des Mittelstandes, namentlich der
+Bauernschaft, war darum fuer jeden patriotischen Staatsmann Roms nicht
+bloss eine wichtige, sondern von allen die wichtigste Aufgabe. Die neu
+zum Regiment berufenen Plebejer aber waren ueberdies noch, da sie zum
+guten Teil die gewonnenen Rechte dem notleidenden und von ihnen Hilfe
+erhoffenden Proletariat verdankten, politisch und sittlich besonders
+verpflichtet, demselben, soweit es ueberhaupt auf diesem Wege moeglich
+war, durch Regierungsmassregeln zu helfen.
+
+Betrachten wir zunaechst, inwiefern indem hierher gehoerenden Teil der
+Gesetzgebung von 387 (367) eine ernstliche Abhilfe enthalten war. Dass
+die Bestimmung zu Gunsten der freien Tageloehner ihren Zweck: der
+Gross- und Sklavenwirtschaft zu steuern und den freien Proletariern
+wenigstens einen Teil der Arbeit zu sichern, unmoeglich erreichen
+konnte, leuchtet ein; aber hier konnte auch die Gesetzgebung nicht
+helfen, ohne an den Fundamenten der buergerlichen Ordnung jener Zeit in
+einer Weise zu ruetteln, die ueber den Horizont derselben weit
+hinausging. In der Domanialfrage dagegen waere es den Gesetzgebern
+moeglich gewesen, Wandel zu schaffen; aber was geschah, reichte dazu
+offenbar nicht aus. Indem die neue Domaenenordnung die Betreibung der
+gemeinen Weide mit schon sehr ansehnlichen Herden und die Okkupation
+des nicht zur Weide ausgelegten Domanialbesitzes bis zu einem hoch
+gegriffenen Maximalsatz gestattete, raeumte sie den Vermoegenden einen
+bedeutenden und vielleicht schon unverhaeltnismaessigen Voranteil an
+dem Domaenenertrag ein und verlieh durch die letztere Anordnung dem
+Domanialbesitz, obgleich er rechtlich zehntpflichtig und beliebig
+widerruflich blieb, sowie dem Okkupationssystem selbst gewissermassen
+eine gesetzliche Sanktion. Bedenklicher noch war es, dass die neue
+Gesetzgebung weder die bestehenden, offenbar ungenuegenden Anstalten
+zur Eintreibung des Hutgeldes und des Zehnten durch wirksamere
+Zwangsmassregeln ersetzte, noch eine durchgreifende Revision des
+Domanialbesitzes vorschrieb, noch eine mit der Ausfuehrung der neuen
+Gesetze beauftragte Behoerde einsetzte. Die Aufteilung des vorhandenen
+okkupierten Domaniallandesteils unter die Inhaber bis zu einem billigen
+Maximalsatz, teils unter die eigentumslosen Plebejer, beiden aber zu
+vollem Eigentum, die Abschaffung des Okkupationssystems fuer die
+Zukunft und die Niedersetzung einer zu sofortiger Aufteilung kuenftiger
+neuer Gebietserwerbungen befugten Behoerde waren durch die
+Verhaeltnisse so deutlich geboten, dass es gewiss nicht Mangel an
+Einsicht war, wenn diese durchgreifenden Massregeln unterblieben. Man
+kann nicht umhin, sich daran zu erinnern, dass die plebejische
+Aristokratie, also eben ein Teil der hinsichtlich der Domanialnutzungen
+tatsaechlich privilegierten Klasse es war, welche die neue Ordnung
+vorgeschlagen hatte, und dass einer ihrer Urheber selbst, Gaius
+Licinius Stolo, unter den ersten wegen Ueberschreitung des Ackermaximum
+Verurteilten sich befand; und nicht umhin, sich die Frage vorzulegen,
+ob die Gesetzgeber ganz ehrlich verfahren und nicht vielmehr der
+wahrhaft gemeinnuetzigen Loesung der leidigen Domanialfrage absichtlich
+aus dem Wege gegangen sind. Damit soll indes nicht in Abrede gestellt
+werden, dass die Bestimmungen der Licinischen Gesetze, wie sie nun
+waren, dem kleinen Bauern und dem Tageloehner wesentlich nuetzen
+konnten und genuetzt haben. Es muss ferner anerkannt werden, dass in
+der naechsten Zeit nach Erlassung des Gesetzes die Behoerden ueber die
+Maximalsaetze desselben wenigstens vergleichungsweise mit Strenge
+gewacht und die grossen Herdenbesitzer und die Domanialokkupanten
+oftmals zu schweren Bussen verurteilt haben.
+
+Auch im Steuer- und Kreditwesen wurde in dieser Epoche mit groesserer
+Energie als zu irgendeiner Zeit vor- oder nachher darauf hingearbeitet,
+soweit gesetzliche Massregeln reichten, die Schaeden der
+Volkswirtschaft zu heilen. Die im Jahre 397 (357) verordnete Abgabe von
+fuenf vom Hundert des Wertes der freizulassenden Sklaven war, abgesehen
+davon, dass sie der nicht wuenschenswerten Vermehrung der
+Freigelassenen einen Hemmschuh anlegte, die erste in der Tat auf die
+Reichen gelegte roemische Steuer. Ebenso suchte man dem Kreditwesen
+aufzuhelfen. Die Wuchergesetze, die schon die Zwoelf Tafeln aufgestellt
+hatten, wurden erneuert und allmaehlich geschaerft, sodass das
+Zinsmaximum sukzessiv von zehn (eingeschaerft im Jahre 397 357) auf
+fuenf vom Hundert (407 347) fuer das zwoelfmonatliche Jahr ermaessigt
+und endlich (412 342) das Zinsnehmen ganz verboten ward. Das letztere
+toerichte Gesetz blieb formell in Kraft; vollzogen aber ward es
+natuerlich nicht, sondern der spaeter uebliche Zinsfuss von eins vom
+Hundert fuer den Monat oder zwoelf vom Hundert fuer das buergerliche
+Gemeinjahr, der nach den Geldverhaeltnissen des Altertums ungefaehr
+damals sein mochte, was nach den heutigen der Zinsfuss von fuenf oder
+sechs vom Hundert ist, wird wohl schon in dieser Zeit sich als das
+Maximum der angemessenen Zinsen festgestellt haben. Fuer hoehere
+Betraege wird die Einklagung versagt und vielleicht auch die
+gerichtliche Rueckforderung gestattet worden sein; ueberdies wurden
+notorische Wucherer nicht selten vor das Volksgericht gezogen und von
+den Quartieren bereitwillig zu schweren Bussen verurteilt. Wichtiger
+noch war die Aenderung des Schuldprozesses durch das Poetelische Gesetz
+(428 oder 441 326 oder 313); es ward dadurch teils jedem Schuldner, der
+seine Zahlungsfaehigkeit eidlich erhaertete, gestattet, durch Abtretung
+seines Vermoegens seine persoenliche Freiheit sich zu retten, teils das
+bisherige kurze Exekutivverfahren bei der Darlehensschuld abgeschafft
+und festgestellt, dass kein roemischer Buerger anders als auf den
+Spruch von Geschworenen hin in die Knechtschaft abgefuehrt werden
+koenne.
+
+Dass alle diese Mittel die bestehenden oekonomischen Missverhaeltnisse
+wohl hie und da lindern, aber nicht beseitigen konnten, leuchtet ein;
+den fortdauernden Notstand zeigt die Niedersetzung einer Bankkommission
+zur Regulierung der Kreditverhaeltnisse und zur Leistung von
+Vorschuessen aus der Staatskasse im Jahre 402 (352), die Anordnung
+gesetzlicher Terminzahlungen im Jahre 407 (347) und vor allen Dingen
+der gefaehrliche Volksaufstand um das Jahr 467 (287), wo das Volk,
+nachdem es neue Erleichterungen in der Schuldzahlung nicht hatte
+erreichen koennen, hinaus auf das Ianiculum zog und erst ein
+rechtzeitiger Angriff der aeusseren Feinde und die in dem Hortensischen
+Gesetz enthaltenen Zugestaendnisse der Gemeinde den Frieden
+wiedergaben. Indes ist es sehr ungerecht, wenn man jenen ernstlichen
+Versuchen, der Verarmung des Mittelstandes zu steuern, ihre
+Unzulaenglichkeit entgegenhaelt; die Anwendung partialer und
+palliativer Mittel gegen radikale Leiden fuer nutzlos zu erklaeren,
+weil sie nur zum Teil helfen, ist zwar eines der Evangelien, das der
+Einfalt von der Niedertraechtigkeit nie ohne Erfolg gepredigt wird,
+aber darum nicht minder unverstaendig. Eher liesse sich umgekehrt
+fragen, ob nicht die schlechte Demagogie sich damals schon dieser
+Angelegenheit bemaechtigt gehabt und ob es wirklich so gewaltsamer und
+gefaehrlicher Mittel bedurft habe, wie zum Beispiel die Kuerzung der
+gezahlten Zinsen am Kapital ist. Unsere Akten reichen nicht aus, um
+hier ueber Recht und Unrecht zu entscheiden; allein klar genug erkennen
+wir, dass der ansaessige Mittelstand immer noch in einer bedrohten und
+bedenklichen oekonomischen Lage sich befand, dass man von oben herab
+vielfach, aber natuerlich vergeblich sich bemuehte, ihm durch
+Prohibitivgesetze und Moratorien zu helfen, dass aber das
+aristokratische Regiment fortdauernd gegen seine eigenen Glieder zu
+schwach und zu sehr in egoistischen Standesinteressen befangen war, um
+durch das einzige wirksame Mittel, das der Regierung zu Gebote stand,
+durch die voellige und rueckhaltlose Beseitigung des Okkupationssystems
+der Staatslaendereien, dem Mittelstande aufzuhelfen und vor allen
+Dingen die Regierung von dem Vorwurf zu befreien, dass sie die
+gedrueckte Lage der Regierten zu ihrem eigenen Vorteil ausbeute.
+
+Eine wirksamere Abhilfe, als die Regierung sie gewaehren wollte oder
+konnte, brachten den Mittelklassen die politischen Erfolge der
+roemischen Gemeinde und die allmaehlich sich befestigende Herrschaft
+der Roemer ueber Italien. Die vielen und grossen Kolonien, die zu deren
+Sicherung gegruendet werden mussten und von denen die Hauptmasse im
+fuenften Jahrhundert ausgefuehrt wurde, verschafften dem ackerbauenden
+Proletariat teils eigene Bauernstellen, teils durch den Abfluss auch
+den Zurueckgebliebenen Erleichterung daheim. Die Zunahme der indirekten
+und ausserordentlichen Einnahmen, ueberhaupt die glaenzende Lage der
+roemischen Finanzen fuehrte nur selten noch die Notwendigkeit herbei,
+von der Bauernschaft in Form der gezwungenen Anleihe Kontribution zu
+erheben. War auch der ehemalige Kleinbesitz wahrscheinlich unrettbar
+verloren, so musste der steigende Durchschnittssatz des roemischen
+Wohlstandes die bisherigen groesseren Grundbesitzer in Bauern
+verwandeln und auch insofern dem Mittelstand neue Glieder zufuehren.
+Die Okkupationen der Vornehmen warfen sich vorwiegend auf die grossen
+neugewonnenen Landstriche; die Reichtuemer, die durch den Krieg und den
+Verkehr massenhaft nach Rom stroemten, muessen den Zinsfuss
+herabgedrueckt haben; die steigende Bevoelkerung der Hauptstadt kam dem
+Ackerbauer in ganz Latium zugute; ein weises Inkorporationssystem
+vereinigte eine Anzahl angrenzender, frueher untertaeniger Gemeinden
+mit der roemischen und verstaerkte dadurch namentlich den Mittelstand;
+endlich brachten die herrlichen Siege und die gewaltigen Erfolge die
+Faktionen zum Schweigen, und wenn der Notstand der Bauernschaft auch
+keineswegs beseitigt, noch weniger seine Quellen verstopft wurden, so
+leidet es doch keinen Zweifel, dass am Schlusse dieser Periode der
+roemische Mittelstand im ganzen in einer weit minder gedrueckten Lage
+sich befand als in dem ersten Jahrhundert nach Vertreibung der Koenige.
+
+Endlich, die buergerliche Gleichheit ward durch die Reform vom Jahre
+387 (367) und deren weitere folgerichtige Entwicklung in gewissem Sinne
+allerdings erreicht oder vielmehr wieder hergestellt. Wie einst, als
+die Patrizier noch in der Tat die Buergerschaft ausmachten, sie
+untereinander an Rechten und Pflichten unbedingt gleichgestanden
+hatten, so gab es jetzt wieder in der erweiterten Buergerschaft dem
+Gesetze gegenueber keinen willkuerlichen Unterschied. Diejenigen
+Abstufungen freilich, welche die Verschiedenheiten in Alter, Einsicht,
+Bildung und Vermoegen in der buergerlichen Gesellschaft mit
+Notwendigkeit hervorrufen, beherrschten natuerlicherweise auch das
+Gemeindeleben; allein der Geist der Buergerschaft und die Politik der
+Regierung wirkten gleichmaessig dahin, diese Scheidung moeglichst wenig
+hervortreten zu lassen. Das ganze roemische Wesen lief darauf hinaus,
+die Buerger durchschnittlich zu tuechtigen Maennern heranzubilden,
+geniale Naturen aber nicht emporkommen zu lassen. Der Bildungsstand der
+Roemer hielt mit der Machtentwicklung ihrer Gemeinde durchaus nicht
+Schritt und ward instinktmaessig von oben herab mehr zurueckgehalten
+als gefoerdert. Dass es Reiche und Arme gab, liess sich nicht
+verhindern; aber wie in einer rechten Bauerngemeinde fuehrte der Bauer
+wie der Tageloehner selber den Pflug und galt auch fuer den Reichen die
+gut wirtschaftliche Regel, gleichmaessig sparsam zu leben und vor allem
+kein totes Kapital bei sich hinzulegen - ausser dem Salzfass und dem
+Opferschaelchen sah man Silbergeraet in dieser Zeit in keinem
+roemischen Hause. Es war das nichts Kleines. Man spuert es an den
+gewaltigen Erfolgen, welche die roemische Gemeinde in dem Jahrhundert
+vom letzten Veientischen bis auf den Pyrrhischen Krieg nach aussen hin
+errang, dass hier das Junkertum der Bauernschaft Platz gemacht hatte,
+dass der Fall des hochadligen Fabiers nicht mehr und nicht weniger von
+der ganzen Gemeinde betrauert worden waere als der Fall des
+plebejischen Deciers von Plebejern und Patriziern betrauert ward, dass
+auch dem reichsten Junker das Konsulat nicht von selber zufiel und ein
+armer Bauersmann aus der Sabina, Manius Curius, den Koenig Pyrrhos in
+der Feldschlacht ueberwinden und aus Italien verjagen konnte, ohne
+darum aufzuhoeren, einfacher sabinischer Stellbesitzer zu sein und sein
+Brotkorn selber zu bauen.
+
+Indes darf es ueber dieser imponierenden republikanischen Gleichheit
+nicht uebersehen werden, dass dieselbe zum guten Teil nur formaler Art
+war und aus derselben eine sehr entschieden ausgepraegte Aristokratie
+nicht so sehr hervorging als vielmehr darin von vornherein enthalten
+war. Schon laengst hatten die reichen und angesehenen nichtpatrizischen
+Familien von der Menge sich ausgeschieden und im Mitgenuss der
+senatorischen Rechte, in der Verfolgung einer, von der der Menge
+unterschiedenen und sehr oft ihr entgegenwirkenden Politik sich mit dem
+Patriziat verbuendet. Die Licinischen Gesetze hoben die gesetzlichen
+Unterschiede innerhalb der Aristokratie auf und verwandelten die den
+gemeinen Mann vom Regiment ausschliessende Schranke aus einem
+unabaenderlichen Rechts- in ein nicht unuebersteigliches, aber doch
+schwer zu uebersteigendes tatsaechliches Hindernis. Auf dem einen wie
+dem anderen Wege kam frisches Blut in den roemischen Herrenstand; aber
+an sich blieb nach wie vor das Regiment aristokratisch und auch in
+dieser Hinsicht die roemische eine rechte Bauerngemeinde, in welcher
+der reiche Vollhufener zwar aeusserlich von dem armen Insten sich wenig
+unterscheidet und auf gleich und gleich mit ihm verkehrt, aber
+nichtsdestoweniger die Aristokratie so allmaechtig regiert, dass der
+Unbemittelte weit eher in der Stadt Buergermeister als in seinem Dorfe
+Schulze wird. Es war wichtig und segensreich, dass nach der neuen
+Gesetzgebung auch der aermste Buerger das hoechste Gemeindeamt
+bekleiden durfte; aber darum war es nichtsdestoweniger nicht bloss eine
+seltene Ausnahme, dass ein Mann aus den unteren Schichten der
+Bevoelkerung dazu gelangte ^4, sondern es war wenigstens gegen den
+Schluss dieser Periode wahrscheinlich schon nur moeglich mittels einer
+Oppositionswahl. Jedem aristokratischen Regiment tritt von selber eine
+entsprechende Oppositionspartei gegenueber; und da auch die formelle
+Gleichstellung der Staende die Aristokratie nur modifizierte und der
+neue Herrenstand das alte Patriziat nicht bloss beerbte, sondern sich
+auf denselben pfropfte und aufs innigste mit ihm zusammenwuchs, so
+blieb auch die Opposition bestehen und tat in allen und jeden Stuecken
+das gleiche. Da die Zuruecksetzung jetzt nicht mehr die Buergerlichen,
+sondern den gemeinen Mann traf, so trat die neue Opposition von
+vornherein auf als Vertreterin der geringen Leute und namentlich der
+kleinen Bauern; und wie die neue Aristokratie sich an das Patriziat
+anschloss, so schlangen sich die ersten Regungen dieser neuen
+Opposition mit den letzten Kaempfen gegen die Patrizierprivilegien
+zusammen. Die ersten Namen in der Reihe dieser neuen roemischen
+Volksfuehrer sind Manius Curius (Konsul 464, 479, 480, 290 275, 274;
+Zensor 481 273) und Gaius Fabricius (Konsul 472, 476, 481, 282, 278,
+273; Zensor 479 275), beide ahnenlose und nichtwohlhabende Maenner,
+beide - gegen das aristokratische Prinzip, die Wiederwahl zu dem
+hoechsten Gemeindeamt zu beschraenken - jeder dreimal durch die Stimmen
+der Buergerschaft an die Spitze der Gemeinde gerufen, beide als
+Tribune, Konsuln und Zensoren Gegner der patrizischen Privilegien und
+Vertreter des kleinen Bauernstandes gegen die aufkeimende Hoffart der
+vornehmen Haeuser. Die kuenftigen Parteien zeichnen schon sich vor;
+aber noch schweigt auf beiden Seiten vor dem Interesse des Gemeinwohls
+das der Partei. Der adlige Appius Claudius und der Bauer Manius Curius,
+dazu noch heftige persoenliche Gegner, haben durch klugen Rat und
+kraeftige Tat den Koenig Pyrrhos gemeinsam ueberwunden; und wenn Gaius
+Fabricius den aristokratisch gesinnten und aristokratisch lebenden
+Publius Cornelius Rufinus als Zensor deswegen bestrafte, so hielt ihn
+dies nicht ab, demselben seiner anerkannten Feldherrntuechtigkeit wegen
+zum zweiten Konsulat zu verhelfen. Der Riss war wohl schon da; aber
+noch reichten die Gegner sich ueber ihm die Haende.
+
+—————————————————————-
+
+^4 Die Armut der Konsulare dieser Epoche, welche in den moralischen
+Anekdotenbuechern der spaeteren Zeit eine grosse Rolle spielt, beruht
+grossenteils auf Missverstaendnis teils des alten sparsamen
+Wirtschaftens, welches sich recht gut mit ansehnlichem Wohlstand
+vertraegt, teils der alten schoenen Sitte, verdiente Maenner aus dem
+Ertrag von Pfennigkollekten zu bestatten, was durchaus keine
+Armenbeerdigung ist. Auch die autoschediastische Beinamenerklaerung,
+die so viel Plattheiten in die roemische Geschichte gebracht hat, hat
+hierzu ihren Beitrag geliefert (Serranus).
+
+—————————————————————
+
+Die Beendigung der Kaempfe zwischen Alt- und Neubuergern, die
+verschiedenartigen und verhaeltnismaessig erfolgreichen Versuche, dem
+Mittelstande aufzuhelfen, die inmitten der neugewonnenen buergerlichen
+Gleichheit bereits hervortretenden Anfaenge der Bildung einer neuen
+aristokratischen und einer neuen demokratischen Partei sind also
+dargestellt worden. Es bleibt noch uebrig zu schildern, wie unter
+diesen Veraenderungen das neue Regiment sich konstituierte, und wie
+nach der politischen Beseitigung der Adelschaft die drei Elemente des
+republikanischen Gemeinwesens, Buergerschaft, Magistratur und Senat,
+gegeneinander sich stellten.
+
+Die Buergerschaft in ihren ordentlichen Versammlungen blieb nach wie
+vor die hoechste Autoritaet im Gemeinwesen und der legale Souveraen;
+nur wurde gesetzlich festgestellt, dass, abgesehen von den ein fuer
+allemal den Zenturien ueberwiesenen Entscheidungen, namentlich den
+Wahlen der Konsuln und Zensoren, die Abstimmung nach Distrikten ebenso
+gueltig sein solle wie die nach Zenturien, was fuer die
+patrizisch-plebejische Versammlung das Valerisch-Horatische Gesetz von
+305 (449) einfuehrte und das Publilische von 415 (339) erweiterte, fuer
+die plebejische Sonderversammlung aber das Hortensische um 467 (287)
+verordnete. Dass im ganzen dieselben Individuen in beiden Versammlungen
+stimmberechtigt waren, ist schon hervorgehoben worden, aber auch, dass,
+abgesehen von dem Ausschluss der Patrizier von der plebejischen
+Sonderversammlung, auch in der allgemeinen Distriktsversammlung alle
+Stimmberechtigten durchgaengig sich gleichstanden, in den
+Zenturiatkomitien aber die Wirksamkeit des Stimmrechts nach dem
+Vermoegen des Stimmenden sich abstufte, also insofern allerdings die
+erstere eine nivellierende und demokratische Neuerung war. Von weit
+groesserer Bedeutung war es, dass gegen das Ende dieser Periode die
+uralte Bedingung des Stimmrechts, die Ansaessigkeit, zum erstenmal in
+Frage gestellt zu werden anfing. Appius Claudius, der kuehnste Neuerer,
+den die roemische Geschichte kennt, legte in seiner Zensur 442 (312),
+ohne den Senat oder das Volk zu fragen, die Buergerliste so an, dass
+der nicht grundsaessige Mann in die ihm beliebige Tribus und alsdann
+nach seinem Vermoegen in die entsprechende Zenturie aufgenommen ward.
+Allein diese Aenderung griff zu sehr dem Geiste der Zeit vor, um
+vollstaendig Bestand zu haben. Einer der naechsten Nachfolger des
+Appius, der beruehmte Besieger der Samniten, Quintus Fabius Rullianus,
+uebernahm es in seiner Zensur 450 (304) sie zwar nicht ganz zu
+beseitigen, aber doch in solche Grenzen einzuschliessen, dass den
+Grundsaessigen und Vermoegenden effektiv die Herrschaft in den
+Buergerversammlungen blieb. Es wies die nicht grundsaessigen Leute
+saemtlich in die vier staedtischen Tribus, die jetzt aus den ersten im
+Range die letzten wurden. Die Landquartiere dagegen, deren Zahl
+zwischen den Jahren 367 (241) und 513 (387) allmaehlich von siebzehn
+bis auf einunddreissig stieg, also die von Haus aus bei weitem
+ueberwiegende und immer mehr das Uebergewicht erhaltende Majoritaet der
+Stimmabteilungen, wurden den saemtlichen ansaessigen Buergern
+gesetzlich vorbehalten. In den Zenturien blieb es bei der
+Gleichstellung der ansaessigen und nichtansaessigen Buerger, wie Appius
+sie eingefuehrt hatte. Auf diese Weise ward dafuer gesorgt, dass in den
+Tributkomitien die Ansaessigen ueberwogen, waehrend fuer die
+Zenturiatkomitien an sich schon die Vermoegenden den Ausschlag gaben.
+Durch diese weise und gemaessigte Festsetzung eines Mannes, der seiner
+Kriegstaten wegen wie mehr noch wegen dieser seiner Friedenstat mit
+Recht den Beinamen des Grossen (Maximus) erhielt, ward einerseits die
+Wehrpflicht wie billig auch auf die nicht ansaessigen Buerger
+erstreckt, anderseits dafuer Sorge getragen, dass in der
+Distriktversammlung ihrem Einfluss, insbesondere dem der meistenteils
+des Grundbesitzes entbehrenden gewesenen Sklaven, derjenige Riegel
+vorgeschoben ward, welcher in einem Staat, der Sklaverei zulaesst, ein
+leider unerlaessliches Beduerfnis ist. Ein eigentuemliches
+Sittengericht, das allmaehlich an die Schatzung und die Aufnahme der
+Buergerliste sich anknuepfte, schloss ueberdies aus der Buergerschaft
+alle notorisch unwuerdigen Individuen aus und wahrte dem Buergertum die
+sittliche und politische Reinheit.
+
+Die Kompetenz der Komitien zeigt die Tendenz, sich mehr und mehr, aber
+sehr allmaehlich zu erweitern. Schon die Vermehrung der vom Volk zu
+waehlenden Magistrate gehoert gewissermassen hierher; bezeichnend ist
+es besonders, dass seit 392 (362) die Kriegstribune einer Legion, seit
+443 (311) je vier in jeder der vier ersten Legionen, nicht mehr vom
+Feldherrn, sondern von der Buergerschaft ernannt wurden. In die
+Administration griff waehrend dieser Periode die Buergerschaft im
+ganzen nicht ein; nur das Recht der Kriegserklaerung wurde von ihr, wie
+billig, mit Nachdruck festgehalten und namentlich auch fuer den Fall
+festgestellt, wo ein an Friedens Statt abgeschlossener laengerer
+Waffenstillstand ablief und zwar nicht rechtlich, aber tatsaechlich ein
+neuer Krieg begann (327 427). Sonst ward eine Verwaltungsfrage fast nur
+dann dem Volke vorgelegt, wenn die regierenden Behoerden unter sich in
+Kollision gerieten und eine derselben die Sache an das Volk brachte -
+so, als den Fuehrern der gemaessigten Partei unter dem Adel, Lucius
+Valerius und Marcus Horatius, im Jahre 305 (449) und dem ersten
+plebejischen Diktator Gaius Marcus Rutilus im Jahre 398 (356) vom Senat
+die verdienten Triumphe nicht zugestanden wurden; als die Konsuln des
+Jahres 459 (295) ueber ihre gegenseitige Kompetenz nicht untereinander
+sich einigen konnten; und als der Senat im Jahre 364 (390) die
+Auslieferung eines pflichtvergessenen Gesandten an die Gallier
+beschloss und ein Konsulartribun deswegen an die Gemeinde sich wandte -
+es war dies der erste Fall, wo ein Senatsbeschluss vom Volke kassiert
+ward, und schwer hat ihn die Gemeinde gebuesst. Zuweilen gab auch die
+Regierung in schwierigen Fragen dem Volk die Entscheidung anheim: so
+zuerst, als Caere, nachdem ihm das Volk den Krieg erklaert hatte, ehe
+dieser wirklich begann, um Frieden bat (401 353); und spaeter, als der
+Senat den demuetig von den Samniten erbetenen Frieden ohne weiteres
+abzuschlagen Bedenken trug (436 318). Erst gegen das Ende dieser
+Periode finden wir ein bedeutend erweitertes Eingreifen der
+Distriktversammlung auch in Verwaltungsangelegenheiten, namentlich
+Befragung derselben bei Friedensschluessen und Buendnissen; es ist
+wahrscheinlich, dass diese zurueckgeht auf das Hortensische Gesetz von
+467 (287).
+
+Indes trotz dieser Erweiterungen der Kompetenz der Buergerversammlungen
+begann der praktische Einfluss derselben auf die Staatsangelegenheiten
+vielmehr, namentlich gegen das Ende dieser Epoche, zu schwinden. Vor
+allem die Ausdehnung der roemischen Grenzen entzog der Urversammlung
+ihren richtigen Boden. Als Versammlung der Gemeindesaessigen konnte sie
+frueher recht wohl in genuegender Vollzaehligkeit sich zusammenfinden
+und recht wohl missen, was sie wollte, auch ohne zu diskutieren; aber
+die roemische Buergerschaft war jetzt schon weniger Gemeinde als Staat.
+Dass die zusammen Wohnenden auch miteinander stimmten, brachte
+allerdings in die roemischen Komitien, wenigstens, wenn nach Quartieren
+gestimmt ward, einen gewissen inneren Zusammenhang und in die
+Abstimmung hier und da Energie und Selbstaendigkeit; in der Regel aber
+waren doch die Komitien in ihrer Zusammensetzung wie in ihrer
+Entscheidung teils von der Persoenlichkeit des Vorsitzenden und vom
+Zufall abhaengig, teils den in der Hauptstadt domizilierten Buergern in
+die Haende gegeben. Es ist daher vollkommen erklaerlich, dass die.
+Buergerversammlungen, die in den beiden ersten Jahrhunderten. der
+Republik eine grosse und praktische Wichtigkeit haben, allmaehlich
+beginnen, ein reines Werkzeug in der Hand des vorsitzenden Beamten zu
+werden; freilich ein sehr gefaehrliches, da der zum Vorsitz berufenen
+Beamten so viele waren und jeder Beschluss der Gemeinde galt als der
+legale Ausdruck des Volkswillens in letzter Instanz. An der Erweiterung
+aber der verfassungsmaessigen Rechte der Buergerschaft war insofern
+nicht viel gelegen, als diese weniger als frueher eines eigenen Wollens
+und Handelns faehig war, und als es eine eigentliche Demagogie in Rom
+noch nicht gab - haette eine solche damals bestanden, so wuerde sie
+versucht haben, nicht die Kompetenz der Buergerschaft zu erweitern,
+sondern die politische Debatte vor der Buergerschaft zu entfesseln,
+waehrend es doch bei den alten Satzungen, dass nur der Magistrat die
+Buerger zur Versammlung zu berufen und dass er jede Debatte und jede
+Amendementsstellung auszuschliessen befugt sei, unveraendert sein
+Bewenden hatte. Zur Zeit machte sich diese beginnende Zerruettung der
+Verfassung hauptsaechlich nur insofern geltend, als die Urversammlungen
+sich wesentlich passiv verhielten und im ganzen in das Regiment weder
+foerdernd noch stoerend eingriffen.
+
+Was die Beamtengewalt anlangt, so war deren Schmaelerung nicht gerade
+das Ziel der zwischen Alt- und Neubuergern gefuehrten Kaempfe, wohl
+aber eine ihrer wichtigsten Folgen. Bei dem Beginn der staendischen
+Kaempfe, das heisst des Streites um den Besitz der konsularischen
+Gewalt, war das Konsulat noch die einige und unteilbare wesentliche
+koenigliche Amtsgewalt gewesen und hatte der Konsul wie ehemals der
+Koenig noch alle Unterbeamten nach eigener freier Wahl bestellt; an
+Ende desselben waren die wichtigsten Befugnisse: Gerichtsbarkeit,
+Strassenpolizei, Senatoren- und Ritterwahl, Schatzung und
+Kassenverwaltung von dem Konsulat getrennt und an Beamte uebergegangen,
+die gleich dem Konsul von der Gemeinde ernannt wurden und weit mehr
+neben als unter ihm standen. Das Konsulat, sonst das einzige
+ordentliche Gemeindeamt, war jetzt nicht mehr einmal unbedingt das
+erste: in der neu sich feststellenden Rang- und gewoehnlichen
+Reihenfolge der Gemeindeaemter stand das Konsulat zwar ueber Praetur,
+Aedilitaet und Quaestur, aber unter dem Einschaetzungsamt, an das
+ausser den wichtigsten finanziellen Geschaeften die Feststellung der
+Buerger-, Ritter- und Senatorenliste und damit eine durchaus
+willkuerliche sittliche Kontrolle ueber die gesamte Gemeinde und jeden
+einzelnen, geringsten wie vornehmsten Buerger gekommen war. Der dem
+urspruenglichen roemischen Staatsrecht mit dem Begriff des Oberamts
+unvereinbar erscheinende Begriff der begrenzten Beamtengewalt oder der
+Kompetenz brach allmaehlich sich Bahn und zerfetzte und zerstoerte den
+aelteren des einen und unteilbaren Imperium. Einen Anfang dazu machte
+schon die Einsetzung der staendigen Nebenaemter, namentlich der
+Quaestur; vollstaendig durchgefuehrt ward sie durch die Licinischen
+Gesetze (387 367), welche von den drei hoechsten Beamten der Gemeinde
+die ersten beiden fuer Verwaltung und Kriegfuehrung, den dritten fuer
+die Gerichtsleitung bestimmten. Aber man blieb hierbei nicht stehen.
+Die Konsuln, obwohl sie rechtlich durchaus und ueberall konkurrierten,
+teilten doch natuerlich seit aeltester Zeit tatsaechlich die
+verschiedenen Geschaeftskreise (provinciae) unter sich. Urspruenglich
+war dies lediglich durch freie Vereinbarung oder in deren Ermangelung
+durch Losung geschehen; allmaehlich aber griffen die anderen
+konstitutiven Gewalten im Gemeinwesen in diese faktischen
+Kompetenzbestimmungen ein. Es ward ueblich, dass der Senat Jahr fuer
+Jahr die Geschaeftskreise abgrenzte und sie zwar nicht geradezu unter
+die konkurrierenden Beamten verteilte, aber doch durch Ratschlag und
+Bitte auch auf die Personenfragen entscheidend einwirkte. Aeussersten
+Falls erlangte der Senat auch wohl einen Gemeindebeschluss, der die
+Kompetenzfrage definitiv entschied; doch hat die Regierung diesen
+bedenklichen Ausweg nur sehr selten angewandt. Ferner wurden die
+wichtigsten Angelegenheiten, wie zum Beispiel die Friedensschluesse,
+den Konsuln entzogen und dieselben genoetigt, hierbei an den Senat zu
+rekurrieren und nach dessen Instruktion zu verfahren. Fuer den
+aeussersten Fall endlich konnte der Senat jederzeit die Konsuln vom Amt
+suspendieren, indem nach einer nie rechtlich festgestellten und nie
+tatsaechlich verletzten Uebung der Eintritt der Diktatur lediglich von
+dem Beschluss des Senats abhing und die Bestimmung der zu ernennenden
+Person, obwohl verfassungsmaessig bei dem ernennenden Konsul, doch der
+Sache nach in der Regel bei dem Senat stand.
+
+Laenger als in dem Konsulat blieb in der Diktatur die alte Einheit und
+Rechtsfuelle des Imperium enthalten; obwohl sie natuerlich als
+ausserordentliche Magistratur der Sache nach von Haus aus eine
+Spezialkompetenz hatte, gab es doch rechtlich eine solche fuer den
+Diktator noch weit weniger als fuer den Konsul. Indes auch sie ergriff
+allmaehlich der neu in das roemische Rechtsleben eintretende
+Kompetenzbegriff. Zuerst 391 (363) begegnet ein aus theologischem
+Skrupel ausdruecklich bloss zur Vollziehung einer religioesen Zeremonie
+ernannter Diktator; und wenn dieser selbst noch, ohne Zweifel formell
+verfassungsmaessig, die ihm gesetzte Kompetenz als nichtig behandelte
+und ihr zum Trotz den Heerbefehl uebernahm, so wiederholte bei den
+spaeteren, gleichartig beschraenkten Ernennungen, die zuerst 403 (351)
+und seitdem sehr haeufig begegnen, diese Opposition der Magistratur
+sich nicht, sondern auch die Diktatoren erachteten fortan durch ihre
+Spezialkompetenzen sich gebunden.
+
+Endlich lagen in dem 412 (342) erlassenen Verbot der Kumulierung
+ordentlicher kurulischer Aemter und in der gleichzeitigen Vorschrift,
+dass derselbe Mann dasselbe Amt in der Regel nicht vor Ablauf einer
+zehnjaehrigen Zwischenzeit solle verwalten koennen, sowie in der
+spaeteren Bestimmung, dass das tatsaechlich hoechste Amt, die Zensur,
+ueberhaupt nicht zum zweitenmal bekleidet werden duerfe (489 265),
+weitere sehr empfindliche Beschraenkungen der Magistratur. Doch war die
+Regierung noch stark genug, um ihre Werkzeuge nicht zu fuerchten und
+darum eben die brauchbarsten absichtlich ungenutzt zu lassen; tapfere
+Offiziere wurden sehr haeufig von jenen Vorschriften entbunden ^5, und
+es kamen noch Faelle vor, wie der des Quintus Fabius Rullianus, der in
+achtundzwanzig Jahren fuenfmal Konsul war, und des Marcus Valerius
+Corvus (384-483 370-271), welcher, nachdem er sechs Konsulate, das
+erste im dreiundzwanzigsten, das letzte im zweiundsiebzigsten Jahre,
+verwaltet und drei Menschenalter hindurch der Hort der Landsleute und
+der Schrecken der Feinde gewesen war, hundertjaehrig zur Grube fuhr.
+
+————————————————————————-
+
+^5 Wer die Konsularverzeichnisse vor und nach 412 (342) vergleicht,
+wird an der Existenz des oben erwaehnten Gesetzes ueber die Wiederwahl
+zum Konsulat nicht zweifeln; denn so gewoehnlich vor diesem Jahr die
+Wiederbekleidung des Amtes besonders nach drei bis vier Jahren ist, so
+haeufig sind nachher die Zwischenraeume von zehn Jahren und darueber.
+Doch finden sich, namentlich waehrend der schweren Kriegsjahre 434-443
+(320-311), Ausnahmen in sehr grosser Zahl. Streng hielt man dagegen an
+der Unzulaessigkeit der Aemterkumulierung. Es findet sich kein sicheres
+Beispiel der Verbindung zweier der drei ordentlichen kurulischen (Liv.
+39, 39, 4) Aemter (Konsulat, Praetur, kurulische Aedilitaet), wohl aber
+von anderen Kumulierungen, zum Beispiel der kurulischen Aedilitaet und
+des Reiterfuehreramts (Liv. 23 24, 30); der Praetur und der Zensur
+(Fast. Capitol. a 501); der Praetur und der Diktatur (Liv. 8, 12); des
+Konsulats und der Diktatur (Liv. 8, 12).
+
+————————————————————————-
+
+Waehrend also der roemische Beamte immer vollstaendiger und immer
+bestimmter aus dem unbeschraenkten Herrn in den gebundenen
+Auftragnehmer und Geschaeftsfuehrer der Gemeinde sich umwandelte,
+unterlag die alte Gegenmagistratur, das Volkstribunat, gleichzeitig
+einer gleichartigen mehr innerlichen als aeusserlichen Umgestaltung.
+Dasselbe diente im Gemeinwesen zu einem doppelten Zweck. Es war von
+Haus aus bestimmt gewesen, den Geringen und Schwachen. durch eine
+gewissermassen revolutionaere Hilfsleistung (auxilium) gegen den
+gewalttaetigen Uebermut der Beamten zu schuetzen; es war spaeterhin
+gebraucht worden, um die rechtliche Zuruecksetzung der Buergerlichen
+und die Privilegien des Geschlechtsadels zu beseitigen. Letzteres war
+erreicht. Der urspruengliche Zweck war nicht bloss an sich mehr ein
+demokratisches Ideal als eine politische Moeglichkeit, sondern auch der
+plebejischen Aristokratie, in deren Haenden das Tribunat sich befinden
+musste und befand, vollkommen ebenso verhasst und mit der neuen, aus
+der Ausgleichung der Staende hervorgegangenen, womoeglich noch
+entschiedener als die bisherige aristokratisch gefaerbten,
+Gemeindeordnung vollkommen ebenso unvertraeglich, wie es dem
+Geschlechtsadel verhasst und mit der patrizischen Konsularverfassung
+unvertraeglich gewesen war. Aber anstatt das Tribunat abzuschaffen, zog
+man vor, es aus einem Ruestzeug der Opposition in ein Regierungsorgan
+umzuschaffen und zog die Volkstribune, die von Haus aus von aller
+Teilnahme an der Verwaltung ausgeschlossen und weder Beamte noch
+Mitglieder des Senats waren, jetzt hinein in den Kreis der regierenden
+Behoerden. Wenn sie in der Gerichtsbarkeit von Anfang an den Konsuln
+gleichstanden und schon in den ersten Stadien der staendischen Kaempfe
+gleich diesen die legislatorische Initiative erwarben, so empfingen sie
+jetzt auch, wir wissen nicht genau wann, aber vermutlich bei oder bald
+nach der schliesslichen Ausgleichung der Staende, gleiche Stellung mit
+den Konsuln gegenueber der tatsaechlich regierenden Behoerde, dem
+Senate. Bisher hatten sie, auf einer Bank an der Tuer sitzend, der
+Senatsverhandlung beigewohnt, jetzt erhielten sie gleich und neben den
+uebrigen Beamten ihren Platz im Senate selbst und das Recht, bei der
+Verhandlung das Wort zu ergreifen; wenn ihnen das Stimmrecht versagt
+blieb, so war dies nur eine Anwendung des allgemeinen Grundsatzes des
+roemischen Staatsrechts, dass den Rat nur gab, wer zur Tat nicht
+berufen war und also saemtlichen funktionierenden Beamten waehrend
+ihres Amtsjahrs nur Sitz, nicht Stimme im Gemeinderat zukam. Aber es
+blieb hierbei nicht. Die Tribune empfingen das unterscheidende Vorrecht
+der hoechsten Magistratur, das sonst von den ordentlichen Beamten nur
+den Konsuln und Praetoren zustand: das Recht, den Senat zu versammeln,
+zu befragen und einen Beschluss desselben zu bewirken ^6. Es war das
+nur in der Ordnung: die Haeupter der plebejischen Aristokratie mussten
+denen der patrizischen im Senate gleichgestellt werden, seit das
+Regiment von dem Gesellschaftsadel uebergegangen war auf die vereinigte
+Aristokratie. Indem dieses urspruenglich von aller Teilnahme an der
+Staatsverwaltung ausgeschlossene Oppositionskollegium jetzt, namentlich
+fuer die eigentlich staedtischen Angelegenheiten, eine zweite hoechste
+Exekutivstelle ward und eines der gewoehnlichsten und brauchbarsten
+Organe der Regierung, dass heisst des Senats, um die Buergerschaft zu
+lenken und vor allem um Ausschreitungen der Beamten zu hemmen, wurde es
+allerdings seinem urspruenglichen Wesen nach absorbiert und politisch
+vernichtet; indes war dieses Verfahren in der Tat durch die
+Notwendigkeit geboten. Wie klar auch die Maengel der roemischen
+Aristokratie zutage liegen und wie entschieden das stetige Wachsen der
+aristokratischen Uebermacht mit der tatsaechlichen Beseitigung des
+Tribunats zusammenhaengt, so kann doch nicht verkannt werden, dass auf
+die Laenge sich nicht mit einer Behoerde regieren liess, welche nicht
+bloss zwecklos war und fast auf die Hinhaltung des leidenden
+Proletariats durch truegerische Hilfsvorspiegelung berechnet, sondern
+zugleich entschieden revolutionaer und im Besitz einer eigentlich
+anarchischen Befugnis der Hemmung der Beamten-, ja der Staatsgewalt
+selbst. Aber der Glaube an das Ideale, in dem alle Macht wie alle
+Ohnmacht der Demokratie begruendet ist, hatte in den Gemuetern der
+Roemer aufs engste an das Gemeindetribunat sich geheftet, und man
+braucht nicht erst an Cola Rienzi zu erinnern, um einzusehen, dass
+dasselbe, wie wesenlos immer der daraus fuer die Menge entspringende
+Vorteil war, ohne eine furchtbare Staatsumwaelzung nicht beseitigt
+werden konnte. Darum begnuegte man sich mit echt buergerlicher
+Staatsklugheit, in den moeglichst wenig in die Augen fallenden Formen
+die Sache zu vernichten. Der blosse Name dieser ihrem innersten Kern
+nach revolutionaeren Magistratur blieb immer noch innerhalb des
+aristokratisch regierten Gemeinwesens gegenwaertig ein Widerspruch und
+fuer die Zukunft, in den Haenden einer dereinstigen Umsturzpartei, eine
+schneidende und gefaehrliche Waffe; indes fuer jetzt und noch auf lange
+hinaus war die Aristokratie so unbedingt maechtig und so vollstaendig
+im Besitz des Tribunats, dass von einer kollegialischen Opposition der
+Tribune gegen den Senat schlechterdings keine Spur sich findet und die
+Regierung der etwa vorkommenden verlorenen oppositionellen Regungen
+einzelner solcher Beamten immer ohne Muehe und in der Regel durch das
+Tribunat selbst Herr ward.
+
+————————————————————————-
+
+^6 Daher werden die fuer den Senat bestimmten Depeschen adressiert an
+Konsuln, Praetoren, Volkstribune und Senat (Cic. ad fam. 15, 2 und
+sonst).
+
+————————————————————————-
+
+In der Tat war es der Senat, der die Gemeinde regierte, und fast ohne
+Widerstand seit der Ausgleichung der Staende. Seine Zusammensetzung
+selbst war eine andere geworden. Das freie Schalten der Oberbeamten,
+wie es nach Beseitigung der alten Geschlechtervertretung in dieser
+Hinsicht stattgefunden hatte, hatte schon mit der Abschaffung der
+lebenslaenglichen Gemeindevorstandschaft sehr wesentliche
+Beschraenkungen erfahren.
+
+Ein weiterer Schritt zur Emanzipation des Senats von der Beamtengewalt
+erfolgte durch den Uebergang der Feststellung dieser Listen von den
+hoechsten Gemeindebeamten auf eine Unterbehoerde, von den Konsuln auf
+die Zensoren. Allerdings wurde, sei es gleich damals oder bald nachher,
+auch das Recht des mit der Anfertigung der Liste beauftragten Beamten,
+einzelne Senatoren wegen eines ihnen anhaftenden Makels aus derselben
+wegzulassen und somit aus dem Senat auszuschliessen, wo nicht
+eingefuehrt, doch wenigstens schaerfer formuliert ^7 und somit jenes
+eigentuemliche Sittengericht begruendet, auf dem das hohe Ansehen der
+Zensoren vornehmlich beruht. Allein derartige Ruegen konnten, da zumal
+beide Zensoren darueber einig sein mussten, wohl dazu dienen, einzelne
+der Versammlung nicht zur Ehre gereichende oder dem in ihr herrschenden
+Geist feindliche Persoenlichkeiten zu entfernen, nicht aber sie selbst
+in Abhaengigkeit von der Magistratur versetzen.
+
+————————————————————————-
+
+^7 Diese Befugnis sowie die aehnlichen hinsichtlich der Ritter- und der
+Buergerliste waren wohl nicht foermlich und gesetzlich den Zensoren
+beigelegt, lagen aber tatsaechlich von jeher in ihrer Kompetenz. Das
+Buergerrecht vergibt die Gemeinde, nicht der Zensor aber wem dieser in
+dem Verzeichnis der Stimmberechtigten keine oder eine schlechtere
+Stelle anweist, der verliert das Buergerrecht nicht, kann aber die
+buergerlichen Befugnisse nicht oder nur an dem geringeren Platz
+ausueben bis zur Anfertigung einer neuen Liste. Ebenso verhaelt es sich
+mit dem Senat: wen der Zensor in seiner Liste auslaesst, der scheidet
+aus demselben, solange die betreffende Liste gueltig bleibt - es kommt
+vor, dass der vorsitzende Beamte sie verwirft und die aeltere Liste
+wieder in Kraft setzt. Offenbar kam also in dieser Hinsicht es nicht so
+sehr darauf an, was den Zensoren gesetzlich freistand, sondern was bei
+denjenigen Beamten, welche nach ihren Listen zu laden hatten, ihre
+Autoritaet vermochte. Daher begreift man, wie diese Befugnis
+allmaehlich stieg und wie mit der steigenden Konsolidierung der
+Nobilitaet dergleichen Streichungen gleichsam die Form richterlicher
+Entscheidungen annahmen und gleichsam als solche respektiert wurden.
+Hinsichtlich der Feststellung der Senatsliste hat freilich auch ohne
+Zweifel die Bestimmung des Ovinischen Plebiszits wesentlich mitgewirkt,
+dass die Zensoren “aus allen Rangklassen die Besten” in den Senat
+nehmen sollten.
+
+———————————————————————
+
+Entscheidend aber beschraenkte das Ovinische Gesetz, welches etwa um
+die Mitte dieser Periode, wahrscheinlich bald nach den Licinischen
+Gesetzen durchgegangen ist, das Recht der Beamten, den Senat nach ihrem
+Ermessen zu konstituieren, indem es demjenigen, der kurulischer Aedil,
+Praetor oder Konsul gewesen war, sofort vorlaeufig Sitz und Stimme im
+Senat verlieh und die naechst eintretenden Zensoren verpflichtete,
+diese Expektanten entweder foermlich in die Senatorenliste
+einzuzeichnen oder doch nur aus denjenigen Gruenden, welche auch zur
+Ausstossung des wirklichen Senators genuegten, von der Liste
+auszuschliessen. Freilich reichte die Zahl dieser gewesenen Magistrate
+bei weitem nicht aus, um den Senat auf der normalen Zahl von
+dreihundert zu halten; und unter dieselbe durfte man, besonders da die
+Senatoren- zugleich Geschworenenliste war, ihn nicht herabgehen lassen.
+So blieb dem zensorischen Wahlrecht immer noch ein bedeutender
+Spielraum; indes nahmen diese, nicht durch die Bekleidung eines Amtes,
+sondern durch die zensorische Wahl erkiesten Senatoren - haeufig
+diejenigen Buerger, die ein nicht kurulisches Gemeindeamt verwaltet
+oder durch persoenliche Tapferkeit sich hervorgetan, einen Feind im
+Gefecht getoetet oder einem Buerger das Leben gerettet hatten - zwar an
+der Abstimmung, aber nicht an der Debatte teil. Der Kern des Senats und
+derjenige Teil desselben, in dem Regierung und Verwaltung sich
+konzentriert, ruhte also nach dem Ovinischen Gesetz im wesentlichen
+nicht mehr auf der Willkuer eines Beamten, sondern mittelbar auf der
+Wahl durch das Volk; und die roemische Gemeinde war auf diesem Wege
+zwar nicht zu der grossen Institution der Neuzeit, dem repraesentativen
+Volksregimente, aber wohl dieser Institution nahe gekommen, waehrend
+die Gesamtheit der nicht debattierenden Senatoren gewaehrte, was bei
+regierenden Kollegien so notwendig wie schwierig herzustellen ist, eine
+kompakte Masse urteilsfaehiger und urteilsberechtiger, aber
+schweigender Mitglieder.
+
+Die Kompetenz des Senats wurde formell kaum veraendert. Der Senat
+huetete sich wohl, durch unpopulaere Verfassungsaenderungen oder
+offenbare Verfassungsverletzungen der Opposition und der Ambition
+Handhaben darzubieten; er liess es sogar geschehen, wenn er es auch
+nicht foerderte, dass die Buergerschaftskompetenz im demokratischen
+Sinne ausgedehnt ward. Aber wenn die Buergerschaft den Schein, so
+erwarb der Senat das Wesen der Macht: einen bestimmenden Einfluss auf
+die Gesetzgebung und die Beamtenwahlen und das gesamte
+Gemeinderegiment.
+
+Jeder neue Gesetzvorschlag ward zunaechst im Senat vorberaten, und kaum
+wagte es je ein Beamter, ohne oder wider das Gutachten des Senats einen
+Antrag an die Gemeinde zu stellen; geschah es dennoch, so hatte der
+Senat durch die Beamteninterzession und die priesterliche Kassation
+eine lange Reihe von Mitteln in der Hand, um jeden unbequemen Antrag im
+Keime zu ersticken oder nachtraeglich zu beseitigen; und im aeussersten
+Fall hatte er als oberste Verwaltungsbehoerde mit der Ausfuehrung auch
+die Nichtausfuehrung der Gemeindebeschluesse in der Hand. Es nahm der
+Senat ferner unter stillschweigender Zustimmung der Gemeinde das Recht
+in Anspruch, in dringenden Faellen unter Vorbehalt der Ratifikation
+durch Buergerschaftsbeschluss, von den Gesetzen zu entbinden - ein
+Vorbehalt, der von Haus aus nicht viel bedeutete und allmaehlich so
+vollstaendig zur Formalitaet ward, dass man in spaeterer Zeit sich
+nicht einmal mehr die Muehe gab, den ratifizierenden Gemeindebeschluss
+zu beantragen.
+
+Was die Wahlen anlangt, so gingen sie, soweit sie den Beamten zustanden
+und von politischer Wichtigkeit waren, tatsaechlich ueber auf den
+Senat; auf diesem Wege erwarb derselbe, wie schon gesagt ward, das
+Recht, den Diktator zu bestellen. Groessere Ruecksicht masste
+allerdings auf die Gemeinde genommen werden: es konnte ihr das Recht
+nicht entzogen werden, die Gemeindeaemter zu vergeben; doch ward, wie
+gleichfalls schon bemerkt wurde, sorgfaeltig darueber gewacht, dass
+diese Beamtenwahl nicht etwa in die Vergebung bestimmter Kompetenzen,
+namentlich nicht der Oberfeldherrnstellen in bevorstehenden Kriegen,
+uebergehe. Ueberdies brachte teils der neu eingefuehrte
+Kompetenzbegriff, teils das dem Senat tatsaechlich zugestandene Recht,
+von den Gesetzen zu entbinden, einen wichtigen Teil der Aemterbesetzung
+in die Haende des Senats. Von dem Einfluss, den der Senat auf die
+Feststellung der Geschaeftskreise namentlich der Konsuln ausuebte, ist
+schon die Rede gewesen. Von dem Dispensationsrecht war eine der
+wichtigsten Anwendungen die Entbindung des Beamten von der gesetzlichen
+Befristung seines Amtes, welche zwar, als den Grundgesetzen der
+Gemeinde zuwider, nach roemischen Staatsrecht in dem eigentlichen
+Stadtbezirk nicht vorkommen durfte, aber ausserhalb desselben
+wenigstens insoweit galt, als der Konsul und Praetor, dem die Frist
+verlaengert war, nach Ablauf derselben fortfuhr, “an Konsul” oder
+“Praetor Statt” (pro consule, pro praetore) zu fungieren. Natuerlich
+stand dies wichtige, dem Ernennungsrecht wesentlich gleichstehende
+Recht der Fristerstreckung gesetzlich allein der Gemeinde zu und ward
+anfaenglich auch faktisch von ihr gehandhabt; aber doch wurde schon 447
+(307) und seitdem regelmaessig den Oberfeldherren das Kommando durch
+blossen Senatsbeschluss verlaengert. Dazu kam endlich der
+uebermaechtige und klug vereinigte Einfluss der Aristokratie auf die
+Wahlen, welcher dieselben nicht immer, aber in der Regel auf die der
+Regierung genehmen Kandidaten lenkte.
+
+Was schliesslich die Verwaltung anlangt, so hing Krieg, Frieden und
+Buendnis, Kolonialgruendung, Ackerassignation, Bauwesen, ueberhaupt
+jede Angelegenheit von dauernder und durchgreifender Wichtigkeit, und
+namentlich das gesamte Finanzwesen lediglich ab von dem Senat. Er war
+es, der Jahr fuer Jahr den Beamten in der Feststellung ihrer
+Geschaeftskreise und in der Limitierung der einem jeden zur Verfuegung
+zu stellenden Truppen und Gelder die allgemeine Instruktion gab, und an
+ihn ward von allen Seiten in allen wichtigen Faellen rekurriert: keinem
+Beamten, mit Ausnahme des Konsuls, und keinem Privaten durften die
+Vorsteher der Staatskasse Zahlung anders leisten als nach vorgaengigem
+Senatsbeschluss. Nur in die Besorgung der laufenden Angelegenheiten und
+in die richterliche und militaerische Spezialverwaltung mischte das
+hoechste Regierungskollegium sich nicht ein; es war zu viel politischer
+Sinn und Takt in der roemischen Aristokratie, um die Leitung des
+Gemeinwesens in eine Bevormundung des einzelnen Beamten und das
+Werkzeug in eine Maschine verwandeln zu wollen.
+
+Dass dies neue Regiment des Senats bei aller Schonung der bestehenden
+Formen eine vollstaendige Umwaelzung des alten Gemeinwesens in sich
+schloss, leuchtet ein; dass die freie Taetigkeit der Buergerschaft
+stockte und erstarrte und die Beamten zu Sitzungspraesidenten und
+ausfuehrenden Kommissarien herabsanken, dass ein durchaus nur
+beratendes Kollegium die Erbschaft beider verfassungsmaessiger Gewalten
+tat und, wenn auch in den bescheidensten Formen, die Zentralregierung
+der Gemeinde ward, war revolutionaer und usurpatorisch. Indes wenn jede
+Revolution und jede Usurpation durch die ausschliessliche Faehigkeit
+zum Regimente vor dem Richterstuhl der Geschichte gerechtfertigt
+erscheint, so muss auch ihr strenges Urteil es anerkennen, dass diese
+Koerperschaft ihre grosse Aufgabe zeitig begriffen und wuerdig erfuellt
+hat. Berufen nicht durch den eitlen Zufall der Geburt, sondern
+wesentlich durch die freie Wahl der Nation; bestaetigt von vier zu vier
+Jahren durch das strenge Sittengericht der wuerdigsten Maenner; auf
+Lebenszeit im Amte und nicht abhaengig von dem Ablauf des Mandats oder
+von der schwankenden Meinung des Volkes; in sich einig und geschlossen
+seit der Ausgleichung der Staende; alles in sich schliessend, was das
+Volk besass von politischer Intelligenz und praktischer Staatskunde;
+unumschraenkt verfuegend in allen finanziellen Fragen und in der
+Leitung der auswaertigen Politik; die Exekutive vollkommen beherrschend
+durch deren kurze Dauer und durch die dem Senat nach der Beseitigung
+des staendischen Haders dienstbar gewordene tribunizische Interzession,
+war der roemische Senat der edelste Ausdruck der Nation und in
+Konsequenz und Staatsklugheit, in Einigkeit und Vaterlandsliebe, in
+Machtfuelle und sicherem Mut die erste politische Koerperschaft aller
+Zeiten - auch jetzt noch “eine Versammlung von Koenigen”, die es
+verstand, mit republikanischer Hingebung despotische Energie zu
+verbinden. Nie ist ein Staat nach aussen fester und wuerdiger vertreten
+worden als Rom in seiner guten Zeit durch seinen Senat. In der inneren
+Verwaltung ist es allerdings nicht zu verkennen, dass die im Senat
+vorzugsweise vertretene Geld- und Grundaristokratie in den ihre
+Sonderinteressen betreffenden Angelegenheiten parteiisch verfuhr und
+dass die Klugheit und die Energie der Koerperschaft hier haeufig von
+ihr nicht zum Heil des Staates gebraucht worden sind. Indes der grosse,
+in schweren Kaempfen festgestellte Grundsatz, dass jeder roemische
+Buerger gleich vor dem Gesetz sei in Rechten und Pflichten, und die
+daraus sich ergebende Eroeffnung der politischen Laufbahn, das heisst
+des Eintritts in den Senat fuer jedermann, erhielten neben dem Glanz
+der militaerischen und politischen Erfolge die staatliche und nationale
+Eintracht und nahmen dem Unterschied der Staende jene Erbitterung und
+Gehaessigkeit, die den Kampf der Patrizier und Plebejer bezeichnen; und
+da die glueckliche Wendung der aeusseren Politik es mit sich brachte,
+dass laenger als ein Jahrhundert die Reichen Spielraum fuer sich
+fanden, ohne den Mittelstand unterdruecken zu muessen, so hat das
+roemische Volk in seinem Senat laengere Zeit, als es einem Volke
+verstattet zu sein pflegt, das grossartigste aller Menschenwerke
+durchzufuehren vermocht, eine weise und glueckliche Selbstregierung.
+
+
+
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+KAPITEL IV.
+Sturz der etruskischen Macht. Die Kelten.
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+Nachdem die Entwicklung der roemischen Verfassung waehrend der zwei
+ersten Jahrhunderte der Republik dargestellt ist, ruft uns die aeussere
+Geschichte Roms und Italiens wieder zurueck in den Anfang dieser
+Epoche. Um diese Zeit, als die Tarquinier aus Rom vertrieben wurden,
+stand die etruskische Macht auf ihrem Hoehepunkt. Die Herrschaft auf
+der Tyrrhenischen See besassen unbestritten die Tusker und die mit
+ihnen eng verbuendeten Karthager. Wenn auch Massalia unter steten und
+schweren Kaempfen sich behauptete, so waren dagegen die Haefen
+Kampaniens und der volskischen Landschaft und seit der Schlacht von
+Alalia auch Korsika im Besitz der Etrusker. In Sardinien gruendeten
+durch die vollstaendige Eroberung der Insel (um 260 500) die Soehne des
+karthagischen Feldherrn Mago die Groesse zugleich ihres Hauses und
+ihrer Stadt, und in Sizilien behaupteten die Phoeniker waehrend der
+inneren Fehden der hellenischen Kolonien ohne wesentliche Anfechtung
+den Besitz der Westhaelfte. Nicht minder beherrschten die Schiffe der
+Etrusker das Adriatische Meer, und selbst in den oestlichen Gewaessern
+waren ihre Kaper gefuerchtet.
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+Auch zu Lande schien ihre Macht im Steigen. Den Besitz der latinischen
+Landschaft zu gewinnen, war fuer Etrurien, das von den volskischen in
+seiner Klientel stehenden Staedten und von seinen kampanischen
+Besitzungen allein durch die Latiner geschieden war, von der
+entscheidendsten Wichtigkeit. Bisher hatte das feste Bollwerk der
+roemischen Macht Latium ausreichend beschirmt und die Tibergrenze mit
+Erfolg gegen Etrurien behauptet. Allein als der gesamte tuskische Bund,
+die Verwirrung und die Schwaeche des roemischen Staats nach der
+Vertreibung der Tarquinier benutzend, jetzt unter dem Koenig Lars
+Porsena von Clusium seinen Angriff maechtiger als zuvor erneuerte, fand
+er nicht ferner den gewohnten Widerstand; Rom kapitulierte und trat im
+Frieden (angeblich 247 507) nicht bloss alle Besitzungen am rechten
+Tiberufer an die naechstliegenden tuskischen Gemeinden ab und gab also
+die ausschliessliche Herrschaft ueber den Strom auf, sondern lieferte
+auch dem Sieger seine saemtlichen Waffen aus und gelobte, fortan des
+Eisens nur zur Pflugschar sich zu bedienen. Es schien, als sei die
+Einigung Italiens unter tuskischer Suprematie nicht mehr fern.
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+Allein die Unterjochung, womit die Koalition der etruskischen und
+karthagischen Nation die Griechen wie die Italiker bedroht, ward
+gluecklich abgewendet durch das Zusammenhalten der durch
+Stammverwandtschaft wie durch die gemeinsame Gefahr aufeinander
+angewiesenen Voelker. Zunaechst fand das etruskische Heer, das nach
+Roms Fall in Latium eingedrungen war, vor den Mauern von Aricia die
+Grenze seiner Siegesbahn durch die rechtzeitige Hilfe der den Aricinern
+zur Hilfe herbeigeeilten Kymaeer (248 506). Wir wissen nicht, wie der
+Krieg endigte, und namentlich nicht, ob Rom schon damals den
+verderblichen und schimpflichen Frieden zerriss; gewiss ist nur, dass
+die Tusker auch diesmal auf dem linken Tiberufer sich dauernd zu
+behaupten nicht vermochten.
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+Bald ward die hellenische Nation zu einem noch umfassenderen und noch
+entscheidenderen Kampf gegen die Barbaren des Westens wie des Ostens
+genoetigt. Es war um die Zeit der Perserkriege. Die Stellung der Tyrier
+zu dem Grosskoenig fuehrte auch Karthago in die Bahnen der persischen
+Politik - wie denn selbst ein Buendnis zwischen den Karthagern und
+Xerxes glaubwuerdig ueberliefert ist - und mit den Karthagern die
+Etrusker. Es war eine der grossartigsten politischen Kombinationen, die
+gleichzeitig die asiatischen Scharen auf Griechenland, die
+phoenikischen auf Sizilien warf, um mit einem Schlag die Freiheit und
+die Zivilisation vom Angesicht der Erde zu vertilgen. Der Sieg blieb
+den Hellenen. Die Schlacht bei Salamis (274 der Stadt 480) rettete und
+raechte das eigentliche Hellas; und an demselben Tag - so wird erzaehlt
+- besiegten die Herren von Syrakus und Akragas, Gelon und Theron, das
+ungeheure Heer des karthagischen Feldherrn Hamilkar, Magos Sohn, bei
+Himera so vollstaendig, dass der Krieg damit zu Ende war und die
+Phoeniker, die damals noch keineswegs den Plan verfolgten, ganz
+Sizilien fuer eigene Rechnung sich zu unterwerfen, zurueckkehrten zu
+ihrer bisherigen defensiven Politik. Noch sind von den grossen
+Silberstuecken erhalten, welche aus dem Schmuck der Gemahlin Gelons,
+Damareta, und anderer edler Syrakusanerinnen fuer diesen Feldzug
+geschlagen wurden, und die spaeteste Zeit gedachte dankbar des milden
+und tapferen Koenigs von Syrakus und des herrlichen, von Simonides
+gefeierten Sieges.
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+Die naechste Folge der Demuetigung Karthagos war der Sturz der
+Seeherrschaft ihrer etruskischen Verbuendeten. Schon Anaxilas, der Herr
+von Rhegion und Zankte, hatte ihren Kapern die sizilische Meerenge
+durch eine stehende Flotte gesperrt (um 272 482); einen entscheidenden
+Sieg erfochten bald darauf die Kymaeer und Hieron von Syrakus bei Kyme
+(280 474) ueber die tyrrhenische Flotte, der die Karthager vergeblich
+Hilfe zu bringen versuchten. Das ist der Sieg, welchen Pindaros in der
+ersten pythischen Ode feiert, und noch ist der Etruskerhelm vorhanden,
+den Hieron nach Olympia sandte mit der Aufschrift: “Hiaron des
+Deinomenes Sohn und die Syrakosier dem Zeus Tyrrhanisches von Kyma” ^1.
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+^1 Fιάρον ο Διομένεος καί τοί Συρακόσιοι τοί Δί' Τύραν' από Κύμας.
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+Waehrend diese ungemeinen Erfolge gegen Karthager und Etrusker Syrakus
+an die Spitze der sizilischen Griechenstaedte brachten, erhob unter den
+italischen Hellenen, nachdem um die Zeit der Vertreibung der Koenige
+aus Rom (243 511) das achaeische Sybaris untergegangen war, das
+dorische Tarent sich unbestritten zu der ersten Stelle; die furchtbare
+Niederlage der Tarentiner durch die Iapyger (280 474), die schwerste,
+die bis dahin ein Griechenheer erlitten hatte, entfesselte nur,
+aehnlich wie der Persersturm in Hellas, die ganze Gewalt des
+Volksgeistes in energisch demokratischer Entwicklung. Von jetzt an
+spielen nicht mehr die Karthager und die Etrusker die erste Rolle in
+den italischen Gewaessern, sondern im Adriatischen und Ionischen Meer
+die Tarentiner, im Tyrrhenischen die Massalioten und die Syrakusaner,
+und namentlich die letzteren beschraenkten mehr und mehr das
+etruskische Korsarenwesen. Schon Hieron hatte nach dem Siege bei Kyme
+die Insel Aenaria (Ischia) besetzt und damit die Verbindung zwischen
+den kampanischen und den noerdlichen Etruskern unterbrochen. Um das
+Jahr 302 (452) wurde von Syrakus, um der tuskischen Piraterie
+gruendlich zu steuern, eine eigene Expedition ausgesandt, die die Insel
+Korsika und die etruskische Kueste verheerte und die Insel Aethalia
+(Elba) besetzte. Ward man auch nicht voellig Herr ueber die
+etruskisch-karthagischen Piraten - wie denn das Kaperwesen zum Beispiel
+in Antium bis in den Anfang des fuenften Jahrhunderts der Stadt
+fortgedauert zu haben scheint -, so war doch das maechtige Syrakus ein
+starkes Bollwerk gegen die verbuendeten Tusker und Phoeniker. Einen
+Augenblick freilich schien es, als muesse die syrakusische Macht
+gebrochen werden durch die Athener, deren Seezug gegen Syrakus im Lauf
+des Peloponnesischen Krieges (339-341 415-413) die Etrusker, die alten
+Handelsfreunde Athens, mit drei Fuenfzigruderern unterstuetzten. Allein
+der Sieg blieb, wie bekannt, im Westen wie im Osten den Dorern. Nach
+dem schmaehlichen Scheitern der attischen Expedition ward Syrakus so
+unbestritten die erste griechische Seemacht, dass die Maenner, die dort
+an der Spitze des Staates standen, die Herrschaft ueber Sizilien und
+Unteritalien und ueber beide Meere Italiens ins Auge fassten; wogegen
+anderseits die Karthager, die ihre Herrschaft in Sizilien jetzt
+ernstlich bedroht sahen, auch auf ihrer Seite die Ueberwaeltigung der
+Syrakusaner und die Unterwerfung der ganzen Insel zum Ziel ihrer
+Politik nehmen mussten und nahmen. Der Verfall der sizilischen
+Mittelstaaten, die Steigerung der karthagischen Macht auf der Insel,
+die zunaechst aus diesen Kaempfen hervorgingen, koennen hier nicht
+erzaehlt werden; was Etrurien anlangt, so fuehrte gegen dies der neue
+Herr von Syrakus, Dionysios (reg. 348-387 406-367), die empfindlichsten
+Schlaege. Der weitstrebende Koenig gruendete seine neue Kolonialmacht
+vor allem in dem italischen Ostmeer, dessen noerdlichere Gewaesser
+jetzt zum erstenmal einer griechischen Seemacht untertan wurden. Um das
+Jahr 367 (387) besetzte und kolonisierte Dionysios an der illyrischen
+Kueste den Hafen Lissos und die Insel Issa, an der italischen die
+Landungsplaetze Ankon, Numana und Atria; das Andenken an die
+syrakusanische Herrschaft in dieser entlegenen Gegend bewahrten nicht
+bloss die “Graeben des Philistos”, ein ohne Zweifel von dem bekannten
+Geschichtschreiber und Freunde des Dionysios, der die Jahre seiner
+Verbannung (368 386f.) in Atria verlebte, angelegter Kanal an der
+Pomuendung; auch die veraenderte Benennung des italischen Ostmeers
+selbst, wofuer seitdem anstatt der aelteren Benennung des Ionischen
+Busens die heute noch gangbare des “Meeres von Hadria” vorkommt, geht
+wahrscheinlich auf diese Ereignisse zurueck ^2. Aber nicht zufrieden
+mit diesen Angriffen auf die Besitzungen und Handelsverbindungen der
+Etrusker im Ostmeer, griff Dionysios durch die Erstuermung und
+Pluenderung der reichen caeritischen Hafenstadt Pygri (369 385 die
+etruskische Macht in ihrem innersten Kern an. Sie hat denn auch sich
+nicht wieder erholt. Als nach Dionysios’ Tode die inneren Unruhen in
+Syrakus den Karthagern freiere Bahn machten und deren Flotte wieder im
+Tyrrhenischen Meer das Uebergewicht bekam, das sie seitdem mit kurzen
+Unterbrechungen behauptete, lastete dieses nicht minder schwer auf den
+Etruskern wie auf den Griechen; so dass sogar, als im Jahre 444 (310)
+Agathokles von Syrakus zum Krieg mit Karthago ruestete, achtzehn
+tuskische Kriegsschiffe zu ihm stiessen. Die Etrusker mochten fuer
+Korsika fuerchten, das sie wahrscheinlich damals noch behaupteten; die
+alte tuskisch-phoenikische Symmachie, die noch zu Aristoteles’ Zeit
+(370-432 384-322) bestand, ward damit gesprengt, aber die Schwaeche der
+Etrusker zur See nicht wieder aufgehoben.
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+^2 Hekataeos († nach 257 497, Rom) und noch Herodot (270 bis nach 345
+484-409) kennen den Hatrias nur als das Podelta und das dasselbe
+bespuelende Meer (K. O. Mueller, Die Etrusker. Breslau 1828. Bd. 1, S.
+140; GGM 1, p. 23). In weiterer Bedeutung findet sich die Benennung des
+Hadriatischen Meeres zuerst bei dem sogenannten Skylax um 418 der Stadt
+(336).
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+Dieser rasche Zusammensturz der etruskischen Seemacht wuerde
+unerklaerlich sein, wenn nicht gegen die Etrusker zu eben der Zeit, wo
+die sizilischen Griechen sie zur See angriffen, auch zu Lande von allen
+Seiten her die schwersten Schlaege gefallen waeren. Um die Zeit der
+Schlachten von Salamis, Himera und Kyme ward, dem Berichte der
+roemischen Annalen zufolge, zwischen Rom und Veii ein vieljaehriger und
+heftiger Krieg gefuehrt (271-280 483-474). Die Roemer erlitten in
+demselben schwere Niederlagen; im Andenken geblieben ist die
+Katastrophe der Fabier (277 477), die infolge der inneren Krisen sich
+freiwillig aus der Hauptstadt verbannt und die Verteidigung der Grenze
+gegen Etrurien uebernommen hatten, hier aber am Bache Cremera bis auf
+den letzten waffenfaehigen Mann niedergehauen wurden. Allein der
+Waffenstillstand auf 400 Monate, der anstatt Friedens den Krieg
+beendigte, fiel fuer die Roemer insofern guenstig aus, als er
+wenigstens den Status quo der Koenigszeit wiederherstellte; die
+Etrusker verzichteten auf Fidenae und den am rechten Tiberufer
+gewonnenen Distrikt. Es ist nicht auszumachen, inwieweit dieser
+roemisch-etruskische Krieg mit dem hellenisch-persischen und dem
+sizilisch-karthagischen in unmittelbaren Zusammenhange stand; aber
+moegen die Roemer die Verbuendeten der Sieger von Salamis und von
+Himera gewesen sein oder nicht, die Interessen wie die Folgen trafen
+jedenfalls zusammen.
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+Wie die Latiner warfen auch die Samniten sich auf die Etrusker; und
+kaum war deren kampanische Niederlassung durch die Folgen des Treffens
+bei Kyme vom Mutterlande abgeschnitten worden, als sie auch schon nicht
+mehr imstande war, den Angriffen der sabellischen Bergvoelker zu
+widerstehen. Die Hauptstadt Capua fiel 330 (424) und die tuskische
+Bevoelkerung ward hier bald nach der Eroberung von den Samniten
+ausgerottet oder verjagt. Freilich hatten auch die kampanischen
+Griechen, vereinzelt und geschwaecht, unter derselben Invasion schwer
+zu leiden; Kyme selbst ward 334 (420) von den Sabellern erobert.
+Dennoch behaupteten die Griechen sich namentlich in Neapolis,
+vielleicht mit Hilfe der Syrakusaner, waehrend der etruskische Name in
+Kampanien aus der Geschichte verschwindet; kaum dass einzelne
+etruskische Gemeinden eine kuemmerliche und verlorene Existenz sich
+dort fristeten.
+
+Aber noch folgenreichere Ereignisse traten um dieselbe Zeit im
+noerdlichen Italien ein. Eine neue Nation pochte an die Pforten der
+Alpen: es waren die Kelten; und ihr erster Andrang traf die Etrusker.
+
+Die keltische, auch galatische oder gallische Nation hat von der
+gemeinschaftlichen Mutter eine andere Ausstattung empfangen als die
+italische, die germanische und die hellenische Schwester. Es fehlt ihr
+bei manchen tuechtigen und noch mehr glaenzenden Eigenschaften die
+tiefe sittliche und staatliche Anlage, auf welche alles Gute und Grosse
+in der menschlichen Entwicklung sich gruendet. Es galt, sagt Cicero,
+als schimpflich fuer den freien Kelten, das Feld mit eigenen Haenden zu
+bestellen. Dem Ackerbau zogen sie das Hirtenleben vor und trieben
+selbst in den fruchtbaren Poebenen vorzugsweise die Schweinezucht, von
+dem Fleisch ihrer Herden sich naehrend und in den Eichenwaeldern mit
+ihnen Tag und Nacht verweilend. Die Anhaenglichkeit an die eigene
+Scholle, wie sie den Italikern und den Germanen eigen ist, fehlt bei
+den Kelten; wogegen sie es lieben, in den Staedten und Flecken zusammen
+zu siedeln und diese bei ihnen frueher, wie es scheint, als in Italien
+Ausdehnung und Bedeutung gewonnen haben. Ihre buergerliche Verfassung
+ist unvollkommen; nicht bloss wird die nationale Einheit nur durch ein
+schwaches Band vertreten, was ja in gleicher Weise von allen Nationen
+anfaenglich gilt, sondern es mangelt auch in den einzelnen Gemeinden an
+Eintracht und festem Regiment, an ernstem Buergersinn und folgerechtem
+Streben. Die einzige Ordnung, der sie sich schicken, ist die
+militaerische, in der die Bande der Disziplin dem einzelnen die schwere
+Muehe abnehmen, sich selber zu bezwingen. “Die hervorstehenden
+Eigenschaften der keltischen Rasse”, sagt ihr Geschichtschreiber
+Thierry, “sind die persoenliche Tapferkeit, in der sie es allen
+Voelkern zuvortun; ein freier, stuermischer, jedem Eindruck
+zugaenglicher Sinn; viel Intelligenz, aber daneben die aeusserste
+Beweglichkeit, Mangel an Ausdauer, Widerstreben gegen Zucht und
+Ordnung, Prahlsucht und ewige Zwietracht, die Folge der grenzenlosen
+Eitelkeit.” Kuerzer sagt ungefaehr dasselbe der alte Cato: “auf zwei
+Dinge geben die Kelten viel: auf das Fechten und auf den Esprit” ^3.
+Solche Eigenschaften guter Soldaten und schlechter Buerger erklaeren
+die geschichtliche Tatsache, dass die Kelten alle Staaten erschuettert
+und keinen gegruendet haben. Ueberall finden wir sie bereit zu wandern,
+das heisst zu marschieren; dem Grundstueck die bewegliche Habe
+vorziehend, allem anderen aber das Gold; das Waffenwerk betreibend als
+geordnetes Raubwesen oder gar als Handwerk um Lohn und allerdings mit
+solchem Erfolge, dass selbst der roemische Geschichtschreiber
+Sallustius im Waffenwerk den Kelten den Preis vor den Roemern
+zugesteht. Es sind die rechten Lanzknechte des Altertums, wie die
+Bilder und Beschreibungen sie uns darstellen: grosse, nicht sehnige
+Koerper, mit zottigem Haupthaar und langem Schnauzbart - recht im
+Gegensatz zu Griechen und Roemern, die das Haupt und die Oberlippe
+schoren -, in bunten gestickten Gewaendern, die beim Kampf nicht selten
+abgeworfen wurden, mit dem breiten Goldring um den Hals, unbehelmt und
+ohne Wurfwaffen jeder Art, aber dafuer mit ungeheurem Schild nebst dem
+langen schlechtgestaehlten Schwert, dem Dolch und der Lanze, alle diese
+Waffen mit Gold geziert, wie sie denn die Metalle nicht ungeschickt zu
+bearbeiten verstanden. Zum Renommieren dient alles, selbst die Wunde,
+die oft nachtraeglich erweitert wird, um mit der breiteren Schmarre zu
+prunken. Gewoehnlich fechten sie zu Fuss, einzelne Schwaerme aber auch
+zu Pferde, wo dann jedem Freien zwei gleichfalls berittene Knappen
+folgen; Streitwagen finden sich frueh wie bei den Libyern und den
+Hellenen in aeltester Zeit. Mancher Zug erinnert an das Ritterwesen des
+Mittelalters; am meisten die den Roemern und Griechen fremde Sitte des
+Zweikampfes. Nicht bloss im Kriege pflegten sie den einzelnen Feind,
+nachdem sie ihn zuvor mit Worten und Gebaerden verhoehnt hatten, zum
+Kampfe zu fordern; auch im Frieden fochten sie gegeneinander in
+glaenzender Ruestung auf Leben und Tod. Dass die Zechgelage hernach
+nicht fehlten, versteht sich. So fuehrten sie unter eigener oder
+fremder Fahne ein unstetes Soldatenleben, das sie von Irland und
+Spanien bis nach Kleinasien zerstreute unter steten Kaempfen und
+sogenannten Heldentaten; aber was sie auch begannen, es zerrann wie der
+Schnee im Fruehling, und nirgends ist ein grosser Staat, nirgends eine
+eigene Kultur von ihnen geschaffen worden.
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+^3 Pleraque Gallia duas res industriosissime persequitur: rem militarem
+et argute loqui. (Cato or. frg. 2, 2).
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+So schildern uns die Alten diese Nation; ueber ihre Herkunft laesst
+sich nur mutmassen. Demselben Schoss entsprungen, aus dem auch die
+hellenischen, italischen und germanischen Voelkerschaften hervorgingen,
+sind die Kelten ohne Zweifel gleich diesen aus dem oestlichen
+Mutterland in Europa eingerueckt, wo sie in fruehester Zeit das
+Westmeer erreichten und in dem heutigen Frankreich ihre Hauptsitze
+begruendeten ^4, gegen Norden hin uebersiedelnd auf die britannischen
+Inseln, gegen Sueden die Pyrenaeen ueberschreitend und mit den
+iberischen Voelkerschaften um den Besitz der Halbinsel ringend. An den
+Alpen indes stroemte ihre erste grosse Wanderung vorbei und erst von
+den westlichen Laendern aus begannen sie in kleineren Massen und in
+entgegengesetzter Richtung jene Zuege, die sie ueber die Alpen und den
+Haemus, ja ueber den Bosporus fuehrten und durch die sie der Schrecken
+der saemtlichen zivilisierten Nationen des Altertums geworden und durch
+manche Jahrhunderte geblieben sind, bis Caesars Siege und die von
+Augustus geordnete Grenzverteidigung ihre Macht fuer immer brachen.
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+^4 Neuerdings ist von kundigen Sprachforschern behauptet worden, dass
+die Verwandtschaft der Kelten und der Italiker naeher sei, als selbst
+die der letzteren und der Hellenen, das heisst, dass derjenige Ast des
+grossen Baumes, von dem die west- und suedeuropaeischen Voelkerschaften
+indogermanischen Stammes entsprungen sind, zunaechst sich in Griechen
+und Italokelten und betraechtlich spaeter die letzteren sich wieder in
+Italiker und Kelten gespalten haetten. Geographisch ist diese
+Aufstellung sehr annehmbar, und auch die geschichtlich vorliegenden
+Tatsachen lassen sich vielleicht damit ebenfalls in Einklang bringen
+da, was bisher als graecoitalische Zivilisation angesehen worden ist,
+fueglich graecokeltoitalisch gewesen sein kann - wissen wir doch ueber
+die aelteste keltische Kulturstufe in der Tat nichts. Die sprachliche
+Untersuchung scheint indes noch nicht so weit gediehen zu sein, dass
+ihre Ergebnisse in die aelteste Voelkergeschichte eingereiht werden
+duerften.
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+Die einheimische Wandersage, die hauptsaechlich Livius uns erhalten
+hat, berichtet von diesen spaeteren ruecklaeufigen Zuegen
+folgendermassen ^5. Die gallische Eidgenossenschaft, an deren Spitze
+damals wie noch zu Caesars Zeit der Gau der Biturigen (um Bourges)
+stand, habe unter dem Koenig Ambiatus zwei grosse Heeresschwaerme
+entsendet, gefuehrt von den beiden Neffen des Koenigs, und es sei der
+eine derselben, Sigovesus, ueber den Rhein in der Richtung auf den
+Schwarzwald zu vorgedrungen, der zweite, Bellovesus, ueber die
+Graischen Alpen (den Kleinen St. Bernhard) in das Potal hinabgestiegen.
+Von jenem stamme die gallische Niederlassung an der mittleren Donau,
+von diesem die aelteste keltische Ansiedlung in der heutigen Lombardei,
+der Gau der Insubrer mit dem Hauptort Mediolanum (Mailand). Bald sei
+ein zweiter Schwarm gefolgt, der den Gau der Cenomaner mit den Staedten
+Brixia (Brescia) und Verona begruendet habe. Unaufhoerlich stroemte es
+fortan ueber die Alpen in das schoene ebene Land; die keltischen
+Staemme samt den von ihnen aufgetriebenen und fortgerissenen
+ligurischen entrissen den Etruskern einen Platz nach dem andern, bis
+das ganze linke Poufer in ihren Haenden war. Nach dem Fall der reichen
+etruskischen Stadt Melpum (vermutlich in der Gegend von Mailand), zu
+deren Bezwingung sich die schon im Potal ansaessigen Kelten mit
+neugekommenen Staemmen vereinigt hatten (358? 396), gingen diese
+letzteren hinueber auf das rechte Ufer des Flusses und begannen die
+Umbrer und Etrusker in ihren uralten Sitzen zu bedraengen. Es waren
+dies vornehmlich die angeblich auf einer anderen Strasse, ueber den
+Poeninischen Berg (Grossen St. Bernhard) in Italien eingedrungenen
+Boier; sie siedelten sich an in der heutigen Romagna, wo die alte
+Etruskerstadt Felsina, von den neuen Herren Bononia umgenannt, ihre
+Hauptstadt wurde. Endlich kamen die Senonen, der letzte groessere
+Keltenstamm, der ueber die Alpen gelangt ist; er nahm seine Sitze an
+der Kueste des Adriatischen Meeres von Rimini bis Ancona. Aber einzelne
+Haufen keltischer Ansiedler muessen sogar bis tief nach Umbrien hinein,
+ja bis an die Grenze des eigentlichen Etrurien vorgedrungen sein; denn
+noch bei Todi am oberen Tiber haben sich Steinschriften in keltischer
+Sprache gefunden. Enger und enger zogen sich nach Norden und Osten hin
+die Grenzen Etruriens zusammen, und um die Mitte des vierten
+Jahrhunderts sah die tuskische Nation sich schon wesentlich auf
+dasjenige Gebiet beschraenkt, das seitdem ihren Namen getragen hat und
+heute noch traegt.
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+^5 Die Sage ueberliefern Livius (5, 34) und Iustin (24, 4) und auch
+Caesar (Gall. 6, 24) hat sie im Sinn gehabt. Die Verknuepfung indes der
+Wanderung des Bellovesus mit der Gruendung von Massalia, wodurch jene
+chronologisch auf die Mitte des zweiten Jahrhunderts der Stadt bestimmt
+wird, gehoert unzweifelhaft nicht der einheimischen, natuerlich
+zeitlosen Sage an, sondern der spaeteren chronologisierenden Forschung
+und verdient keinen Glauben. Einzelne Einfaelle und Einwanderungen
+moegen sehr frueh stattgefunden haben; aber das gewaltige Umsichgreifen
+der Kelten in Norditalien kann nicht vor die Zeit des Sinkens der
+etruskischen Macht, das heisst nicht vor die zweite Haelfte des dritten
+Jahrhunderts der Stadt gesetzt werden.
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+Ebenso ist, nach der einsichtigen Ausfuehrung von Wickham und Cramer,
+nicht daran zu zweifeln, dass der Zug des Bellovesus wie der des
+Hannibal nicht ueber die Kottischen Alpen (Mont Genèvre) und durch das
+Gebiet der Tauriner, sondern ueber die Graischen (den Kleinen St.
+Bernhard) und durch das der Salasser ging; den Namen des Berges gibt
+Livius wohl nicht nach der Sage, sondern nach seiner Vermutung an. Ob
+die italischen Boier aufgrund einer echten Sagenreminiszenz oder nur
+aufgrund eines angenommenen Zusammenhangs mit den noerdlich von der
+Donau wohnhaften Boiern durch den oestlichen Pass der Poeninischen
+Alpen gefuehrt werden, muss dahingestellt bleiben.
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+Unter diesen, wie auf Verabredung gemeinschaftlichen Angriffen der
+verschiedensten Voelker, der Syrakusaner, Latiner, Samniten und vor
+allem der Kelten brach die eben noch so gewaltig und so ploetzlich in
+Latium und Kampanien und auf beiden italischen Meeren um sich greifende
+etruskische Nation noch gewaltsamer und noch ploetzlicher zusammen. Der
+Verlust der Seeherrschaft, die Bewaeltigung der kampanischen Etrusker
+gehoert derselben Epoche an, wo die Insubrer und Cenomaner am Po sich
+niederliessen; und eben um diese Zeit ging auch die durch Porsena
+wenige Jahrzehnte zuvor aufs tiefste gedemuetigte und fast geknechtete
+roemische Buergerschaft zuerst angreifend gegen Etrurien vor. Im
+Waffenstillstand mit Veii von 280 (474) hatte sie das Verlorene
+wiedergewonnen und im wesentlichen den Zustand wiederhergestellt, wie
+er zu der Zeit der Koenige zwischen beiden Nationen bestanden hatte.
+Als er im Jahre 309 (445) ablief, begann zwar die Fehde aufs neue; aber
+es waren Grenzgefechte und Beutezuege, die fuer beide Teile ohne
+wesentliches Resultat verliefen. Etrurien stand noch zu maechtig da,
+als dass Rom einen ernstlichen Angriff haette unternehmen koennen. Erst
+der Abfall der Fidenaten, die die roemische Besatzung vertrieben, die
+Gesandten ermordeten und sich dem Koenig der Veienter, Lars Tolumnius,
+unterwarfen, veranlasste einen bedeutenderen Krieg, welcher gluecklich
+fuer die Roemer ablief: der Koenig Tolumnius fiel im Gefecht von der
+Hand des roemischen Konsuls Aulus Cornelius Cossus (326? 428), Fidenae
+ward genommen und 329 (425) ein neuer Stillstandsvertrag auf 200 Monate
+abgeschlossen. Waehrend desselben steigerte sich Etruriens Bedraengnis
+mehr und mehr und naeherten sich die keltischen Waffen schon den bisher
+noch verschonten Ansiedlungen am rechten Ufer des Po. Als der
+Waffenstillstand Ende 346 (408) abgelaufen war, entschlossen sich die
+Roemer auch ihrerseits zu einem Eroberungskrieg gegen Etrurien, der
+jetzt nicht bloss gegen, sondern um Veii gefuehrt ward.
+
+Die Geschichte des Krieges gegen die Veienter, Capenaten und Falisker
+und der Belagerung Veiis, die gleich der trojanischen zehn Jahre
+gewaehrt haben soll, ist wenig beglaubigt. Sage und Dichtung haben sich
+dieser Ereignisse bemaechtigt, und mit Recht; denn gekaempft ward hier
+mit bis dahin unerhoerter Anstrengung um einen bis dahin unerhoerten
+Kampfpreis. Es war das erstemal, dass ein roemisches Heer Sommer und
+Winter, Jahr aus Jahr ein im Felde blieb, bis das vorgesteckte Ziel
+erreicht war; das erstemal, dass die Gemeinde aus Staatsmitteln dem
+Aufgebot Sold zahlte. Aber es war auch das erstemal, dass die Roemer es
+versuchten, sich eine stammfremde Nation zu unterwerfen und ihre Waffen
+ueber die alte Nordgrenze der latinischen Landschaft hinuebertrugen.
+Der Kampf war gewaltig, der Ausgang kaum zweifelhaft. Die Roemer fanden
+Unterstuetzung bei den Latinern und den Hernikern, denen der Sturz des
+gefuerchteten Nachbarn fast nicht minder Genugtuung und Foerderung
+gewaehrte als den Roemern selbst; waehrend Veii von seiner Nation
+verlassen dastand und nur die naechsten Staedte, Capena, Falerii, auch
+Tarquinii, ihm Zuzug leisteten. Die gleichzeitigen Angriffe der Kelten
+wuerden diese Nichtteilnahme der noerdlichen Gemeinden allein schon
+genuegend erklaeren; es wird indes erzaehlt und es ist kein Grund es zu
+bezweifeln, dass zunaechst innere Parteiungen in dem etruskischen
+Staedtebund, namentlich die Opposition der aristokratischen Regierungen
+der uebrigen Staedte gegen das von den Veientern beibehaltene oder
+wiederhergestellte Koenigsregiment, jene Untaetigkeit der uebrigen
+Etrusker herbeigefuehrt haben. Haette die etruskische Nation sich an
+dem Kampf beteiligen koennen oder wollen, so wuerde die roemische
+Gemeinde kaum imstande gewesen sein, die bei der damaligen hoechst
+unentwickelten Belagerungskunst riesenhafte Aufgabe der Bezwingung
+einer grossen und festen Stadt zu Ende zu fuehren; vereinzelt aber und
+verlassen wie sie war, unterlag die Stadt (358 396) nach tapferer
+Gegenwehr dem ausharrenden Heldengeist des Marcus Furius Camillus,
+welcher zuerst seinem Volke die glaenzende Bahn der auslaendischen
+Eroberungen auftat. Von dem Jubel, den der grosse Erfolg in Rom
+erregte, ist ein Nachklang die in den Festspielen Roms bis in spaete
+Zeit fortgepflanzte Sitte des “Veienterverkaufs”, wobei unter den zur
+Versteigerung gebrachten parodischen Beutestuecken der aergste alte
+Krueppel, den man auftreiben konnte, im Purpurmantel und Goldschmuck
+den Beschluss machte als “Koenig der Veienter”. Die Stadt ward
+zerstoert, der Boden verwuenscht zu ewiger Oede. Falerii und Capena
+eilten, Frieden zu machen; das maechtige Volsinii, das in
+bundesmaessiger Halbheit waehrend Veiis Agonie geruht hatte und nach
+der Einnahme zu den Waffen griff, bequemte nach wenigen Jahren (363
+391) sich gleichfalls zum Frieden. Es mag eine wehmuetige Sage sein,
+dass die beiden Vormauern der etruskischen Nation, Melpum und Veii, an
+demselben Tage jenes den Kelten, dieses den Roemern unterlagen; aber es
+liegt in ihr auf jeden Fall eine tiefe geschichtliche Wahrheit. Der
+doppelte Angriff von Norden und Sueden und der Fall der beiden
+Grenzfesten war der Anfang des Endes der grossen etruskischen Nation.
+
+Indes einen Augenblick schien es, als sollten die beiden
+Voelkerschaften, durch deren Zusammenwirken Etrurien sich in seiner
+Existenz bedroht sah, vielmehr untereinander sich aufreiben und auch
+Roms neu aufbluehende Macht von den fremden Barbaren zertreten werden.
+Diese Wendung der Dinge, die dem natuerlichen Lauf der Politik
+widersprach, beschworen ueber die Roemer der eigene Uebermut und die
+eigene Kurzsichtigkeit herauf.
+
+Die keltischen Scharen, die nach Melpums Fall ueber den Fluss gesetzt
+waren, ueberfluteten mit reissender Geschwindigkeit das noerdliche
+Italien, nicht bloss das offene Gebiet am rechten Ufer des Padus und
+laengs des Adriatischen Meeres, sondern auch das eigentliche Etrurien
+diesseits des Apennin. Wenige Jahre nachher (363 391) ward schon das im
+Herzen Etruriens gelegene Clusium (Chiusi an der Grenze von Toskana und
+dem Kirchenstaat) von den keltischen Senonen belagert; und so
+gedemuetigt waren die Etrusker, dass die bedraengte tuskische Stadt die
+Zerstoerer Veiis um Hilfe anrief. Es waere vielleicht weise gewesen,
+dieselbe zu gewaehren und zugleich die Gallier durch die Waffen und die
+Etrusker durch den gewaehrten Schutz in Abhaengigkeit von Rom zu
+bringen; allein eine solche weitblickende Intervention, die die Roemer
+genoetigt haben wuerde, einen ernsten Kampf an der tuskischen
+Nordgrenze zu beginnen, lag jenseits des Horizonts ihrer damaligen
+Politik. So blieb nichts uebrig, als sich jeder Einmischung zu
+enthalten. Allein toerichterweise schlug man die Hilfstruppen ab und
+schickte Gesandte; und noch toerichter meinten diese, den Kelten durch
+grosse Worte imponieren und, als dies fehlschlug, gegen Barbaren
+ungestraft das Voelkerrecht verletzen zu koennen: sie nahmen in den
+Reihen der Clusiner teil an einem Gefecht und der eine von ihnen stach
+darin einen gallischen Befehlshaber vom Pferde. Die Barbaren verfuhren
+in diesem Fall mit Maessigung und Einsicht. Sie sandten zunaechst an
+die roemische Gemeinde, um die Auslieferung der Frevler am Voelkerrecht
+zu fordern, und der Senat war bereit, dem billigen Begehren sich zu
+fuegen. Allein in der Masse ueberwog das Mitleid gegen die Landsleute
+die Gerechtigkeit gegen die Fremden; die Genugtuung ward von der
+Buergerschaft verweigert, ja nach einigen Berichten ernannte man die
+tapferen Vorkaempfer fuer das Vaterland sogar zur Konsulartribunen fuer
+das Jahr 364 (390) ^6, das in den roemischen Annalen so verhaengnisvoll
+werden sollte. Da brach der Brennus, das heisst der Heerkoenig der
+Gallier, die Belagerung von Clusium ab und der ganze Keltenschwarm -
+die Zahl wird auf 70000 Koepfe angegeben - wandte sich gegen Rom.
+Solche Zuege in unbekannte und ferne Gegenden waren den Galliern
+gelaeufig, die unbekuemmert um Deckung und Rueckzug als bewaffnete
+Auswandererscharen marschierten; in Rom aber ahnte man offenbar nicht,
+welche Gefahr in diesem so ploetzlichen und so gewaltigen Ueberfall
+lag. Erst als die Gallier im Anmarsch auf Rom waren, ueberschritt eine
+roemische Heeresmacht den Tiber und vertrat ihnen den Weg. Keine drei
+deutsche Meilen von den Toren, gegenueber der Muendung des Baches Allia
+in den Tiberfluss, trafen die Heere aufeinander und kam es am 18. Juli
+364 (390) zur Schlacht. Auch jetzt noch ging man, nicht wie gegen ein
+Heer, sondern wie gegen Raeuber, uebermuetig und tolldreist in den
+Kampf unter unerprobten Feldherren - Camillus hatte infolge des
+Staendehaders von den Geschaeften sich zurueckgezogen. Waren es doch
+Wilde, gegen die man fechten sollte; was bedurfte es des Lagers, der
+Sicherung des Rueckzugs? Aber die Wilden waren Maenner von
+todverachtendem Mut und ihre Fechtweise den Italikern so neu wie
+schrecklich; die blossen Schwerter in der Faust stuerzten die Kelten im
+rasenden Anprall sich auf die roemische Phalanx und rannten sie im
+ersten Stosse ueber den Haufen. Die Niederlage war vollstaendig; von
+den Roemern, die den Fluss im Ruecken gefochten hatten, fand ein
+grosser Teil bei dem Versuch, denselben zu ueberschreiten, seinen
+Untergang; was sich rettete, warf sich seitwaerts nach dem nahen Veii.
+Die siegreichen Kelten standen zwischen dem Rest des geschlagenen
+Heeres und der Hauptstadt. Diese war rettungslos dem Feinde
+preisgegeben; die geringe dort zurueckgebliebene oder dorthin
+gefluechtete Mannschaft reichte nicht aus, um die Mauern zu besetzen,
+und drei Tage nach der Schlacht zogen die Sieger durch die offenen Tore
+in Rom ein. Haetten sie es am ersten getan, wie sie es konnten, so war
+nicht bloss die Stadt, sondern auch der Staat verloren; die kurze
+Zwischenzeit machte es moeglich, die Heiligtuemer zu fluechten oder zu
+vergraben und, was wichtiger war, die Burg zu besetzen und notduerftig
+mit Lebensmitteln zu versehen. Was die Waffen nicht tragen konnte,
+liess man nicht auf die Burg - man hatte kein Brot fuer alle. Die Menge
+der Wehrlosen verlief sich in die Nachbarstaedte; aber manche, vor
+allem eine Anzahl angesehener Greise, mochten den Untergang der Stadt
+nicht ueberleben und erwarteten in ihren Haeusern den Tod durch das
+Schwert der Barbaren. Sie kamen, mordeten und pluenderten, was an
+Menschen und Gut sich vorfand und zuendeten schliesslich vor den Augen
+der roemischen Besatzung auf dem Kapitol die Stadt an allen Ecken an.
+Aber die Belagerungskunst verstanden sie nicht und die Blockade des
+steilen Burgfelsens war langwierig und schwierig, da die Lebensmittel
+fuer den grossen Heeresschwarm nur durch bewaffnete Streifpartien sich
+herbeischaffen liessen und diesen die benachbarten latinischen
+Buergerschaften, namentlich die Ardeaten, haeufig mit Mut und Glueck
+sich entgegenwarfen. Dennoch harrten die Kelten mit einer unter ihren
+Verhaeltnissen beispiellosen Energie sieben Monate unter dem Felsen aus
+und schon begannen der Besatzung, die der Ueberrumpelung in einer
+dunkeln Nacht nur durch das Schnattern der Heiligen Gaense im
+kapitolinischen Tempel und das zufaellige Erwachen des tapferen Marcus
+Manlius entgangen war, die Lebensmittel auf die Neige zu geben, als den
+Kelten ein Einfall der Veneter in das neu gewonnene senonische Gebiet
+am Padus gemeldet ward und sie bewog, das ihnen fuer den Abzug gebotene
+Loesegeld anzunehmen. Das hoehnische Hinwerfen des gallischen
+Schwertes, dass es aufgewogen werde vom roemischen Golde, bezeichnete
+sehr richtig die Lage der Dinge. Das Eisen der Barbaren hatte gesiegt,
+aber sie verkauften ihren Sieg und gaben ihn damit verloren.
+
+———————————————————————————
+
+^6 Dies ist nach der gangbaren Gleichung 390 v. Chr.; in der Tat aber
+fiel die Einnahme Roms Ol. 98, 1 = 388 v. Chr. und ist nur durch die
+zerruettete roemische Jahrzaehlung verschoben.
+
+———————————————————————————
+
+Die fuerchterliche Katastrophe der Niederlage und des Brandes, der 18.
+Juli und der Bach der Allia, der Platz, wo die Heiligtuemer vergraben
+gewesen und wo die Ueberrumpelung der Burg war abgeschlagen worden -
+all die Einzelheiten dieses unerhoerten Ereignisses gingen ueber von
+der Erinnerung der Zeitgenossen in die Phantasie der Nachwelt, und noch
+wir begreifen es kaum, dass wirklich schon zwei Jahrtausende verflossen
+sind, seit jene welthistorischen Gaense sich wachsamer bewiesen als die
+aufgestellten Posten. Und doch - mochte in Rom verordnet werden, dass
+in Zukunft bei einem Einfall der Kelten keines der gesetzlichen
+Privilegien vom Kriegsdienst befreien solle; mochte man dort rechnen
+nach den Jahren von der Eroberung der Stadt; mochte diese Begebenheit
+widerhallen in der ganzen damaligen zivilisierten Welt und ihren Weg
+finden bis in die griechischen Annalen: die Schlacht an der Allia mit
+ihren Resultaten ist dennoch kaum den folgenreichen geschichtlichen
+Begebenheiten beizuzaehlen. Sie aendert eben nichts in den politischen
+Verhaeltnissen. Wie die Gallier wieder abgezogen sind mit ihrem Golde,
+das nur eine spaet und schlecht erfundene Erzaehlung den Helden
+Camillus wieder nach Rom zurueckbringen laesst; wie die Fluechtigen
+sich wieder heimgefunden haben, der wahnsinnige Gedanke einiger
+mattherziger Klugheitspolitiker, die Buergerschaft nach Veii
+ueberzusiedeln, durch Camillus’ hochsinnige Gegenrede beseitigt ist,
+die Haeuser eilig und unordentlich - die engen und krummen Strassen
+Roms schrieben von dieser Zeit sich her - sich aus den Truemmern
+erheben, steht auch Rom wieder da in seiner alten gebietenden Stellung;
+ja es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieses Ereignis wesentlich, wenn
+auch nicht im ersten Augenblick, dazu beigetragen hat, dem Gegensatz
+zwischen Etrurien und Rom seine Schaerfe zu nehmen und vor allem
+zwischen Latium und Rom die Bande der Einigkeit fester zu knuepfen. Der
+Kampf der Gallier und Roemer ist, ungleich dem zwischen Rom und
+Etrurien oder Rom und Samnium, nicht ein Zusammenstoss zweier
+politischer Maechte, die einander bedingen und bestimmen; er ist den
+Naturkatastrophen vergleichbar, nach denen der Organismus, wenn er
+nicht zerstoert wird, sofort wieder sich ins gleiche setzt. Die Gallier
+sind noch oft wiedergekehrt nach Latium; so im Jahre 387 (367), wo
+Camillus sie bei Alba schlug - der letzte Sieg des greisen Helden, der
+sechsmal konsularischer Kriegstribun, fuenfmal Diktator gewesen und
+viermal triumphierend auf das Kapitol gezogen war; im Jahre 393 (361),
+wo der Diktator Titus Quinctius Pennus ihnen gegenueber keine volle
+Meile von der Stadt an der Aniobruecke lagerte, aber ehe es noch zum
+Kampfe gekommen war, der gallische Schwarm nach Kampanien weiterzog; im
+Jahre 394 (360), wo der Diktator Quintus Servilius Ahala vor dem
+Collinischen Tor mit den aus Kampanien heimkehrenden Scharen stritt; im
+Jahre 396 (358), wo ihnen der Diktator Gaius Sulpicius Peticus eine
+nachdrueckliche Niederlage beibrachte; im Jahre 404 (350), wo sie sogar
+den Winter ueber auf dem Albaner Berg kampierten und sich mit den
+griechischen Piraten an der Kueste um den Raub schlugen, bis Lucius
+Furius Camillus, der Sohn des beruehmten Feldherrn, im folgenden Jahr
+sie vertrieb - ein Ereignis, von dem der Zeitgenosse Aristoteles
+(370-432 384-322) in Athen vernahm. Allein diese Raubzuege, wie
+schreckhaft und beschwerlich sie sein mochten, waren mehr
+Ungluecksfaelle als politische Ereignisse und das wesentlichste
+Resultat derselben, dass die Roemer sich selbst und dem Auslande in
+immer weiteren Kreisen als das Bollwerk der zivilisierten Nationen
+Italiens gegen den Anstoss der gefuerchteten Barbaren erschienen - eine
+Auffassung, die ihre spaetere Weltstellung mehr als man meint
+gefoerdert hat.
+
+Die Tusker, die den Angriff der Kelten auf Rom benutzt hatten, um Veii
+zu berennen, hatten nichts ausgerichtet, da sie mit ungenuegenden
+Kraeften erschienen waren; kaum waren die Barbaren abgezogen, als der
+schwere Arm Latiums sie mit unvermindertem Gewicht traf. Nach
+wiederholten Niederlagen der Etrusker blieb das ganze suedliche
+Etrurien bis zu den Ciminischen Huegeln in den Haenden der Roemer,
+welche in den Gebieten von Veii, Capena und Falerii vier neue
+Buergerbezirke einrichteten (367 387) und die Nordgrenze sicherten
+durch die Anlage der Festungen Sutrium (371 383) und Nepete (381 373).
+Mit raschen Schritten ging dieser fruchtbare und mit roemischen
+Kolonisten bedeckte Landstrich der vollstaendigen Romanisierung
+entgegen. Um 396 (358) versuchten zwar die naechstliegenden
+etruskischen Staedte Tarquinii, Caere, Falerii sich gegen die
+roemischen Uebergriffe aufzulehnen, und wie tief die Erbitterung war,
+die dieselben in Etrurien erweckt hatten, zeigt die Niedermetzlung der
+saemtlichen, im ersten Feldzug gemachten roemischen Gefangenen,
+dreihundertundsieben an der Zahl, auf dem Marktplatz von Tarquinii;
+allein es war die Erbitterung der Ohnmacht. Im Frieden (403 351) musste
+Caere, das, als den Roemern zunaechst gelegen, am schwersten buesste,
+die halbe Landmark an Rom abtreten und mit dem geschmaelerten Gebiet,
+das ihm blieb, aus dem etruskischen Bunde aus- und in das
+Untertanenverhaeltnis zu Rom treten, welches inzwischen zunaechst fuer
+einzelne latinische Gemeinden aufgekommen war. Es schien indes nicht
+ratsam, dieser entfernteren und von der roemischen stammverschiedenen
+Gemeinde diejenige kommunale Selbstaendigkeit zu belassen, welche den
+untertaenigen Gemeinden Latiums noch verblieben war; man gab der
+caeritischen Gemeinde das roemische Buergerrecht nicht bloss ohne
+aktives und passives Wahlrecht in Rom, sondern auch unter Entziehung
+der Selbstverwaltung, so dass an die Stelle der eigenen Beamten bei der
+Rechtspflege und Schatzung die roemischen traten und am Orte selbst ein
+Vertreter (praefectus) des roemischen Praetors die Verwaltung leitete -
+eine hier zuerst begegnende staatsrechtliche Form der Untertaenigkeit,
+wodurch der bisher selbstaendige Staat in eine rechtlich
+fortbestehende, aber jeder eigenen Bewegung beraubte Gemeinde
+umgewandelt ward. Nicht lange nachher (411 343) trat auch Falerii, das
+seine urspruengliche latinische Nationalitaet auch unter der
+Tuskerherrschaft sich bewahrt hatte, aus dem etruskischen Bunde aus und
+in ewigen Bund mit Rom; damit war ganz Suedetrurien in der einen oder
+anderen Form der roemischen Suprematie unterworfen. Tarquinii und wohl
+das noerdliche Etrurien ueberhaupt begnuegte man sich, durch einen
+Friedensvertrag auf 400 Monate fuer lange Zeit zu fesseln (403 351).
+
+Auch im noerdlichen Italien ordneten sich allmaehlich die durch und
+gegen einander stuermenden Voelker wieder in dauernder Weise und in
+festere Grenzen. Die Zuege ueber die Alpen hoerten auf, zum Teil wohl
+infolge der verzweifelten Verteidigung der Etrusker in ihrer
+beschraenkteren Heimat und der ernstlichen Gegenwehr der maechtigen
+Roemer, zum Teil wohl auch infolge uns unbekannter Veraenderungen im
+Norden der Alpen. Zwischen Alpen und Apenninen bis hinab an die
+Abruzzen waren jetzt die Kelten im allgemeinen die herrschende Nation
+und namentlich die Herren des ebenen Landes und der reichen Weiden;
+aber bei ihrer schlaffen und oberflaechlichen Ansiedlungsweise wurzelte
+ihre Herrschaft nicht tief in der neu gewonnenen Landschaft und
+gestaltete sich keineswegs zum ausschliesslichen Besitz. Wie es in den
+Alpen stand und wie hier keltische Ansiedler mit aelteren etruskischen
+oder andersartigen Staemmen sich vermischten, gestattet unsere
+ungenuegende Kunde ueber die Nationalitaet der spaeteren Alpenvoelker
+nicht auszumachen; nur die Raeter in dem heutigen Graubuenden und Tirol
+duerfen als ein wahrscheinlich etruskischer Stamm bezeichnet werden.
+Die Taeler des Apennin behielten die Umbrer, den nordoestlichen Teil
+des Potals die anderssprachigen Veneter im Besitz; in den westlichen
+Bergen behaupteten sich ligurisch: Staemme, die bis Pisa und Arezzo
+hinab wohnten und das eigentliche Keltenland von Etrurien schieden. Nur
+in dem mittleren Flachland hausten die Kelten, noerdlich vom Po die
+Insubrer und Cenomaner, suedlich die Boier, an der adriatischen Kueste
+von Ariminum bis Ankon, in der sogenannten “Gallierlandschaft” (ager
+Gallicus) die Senonen, kleinerer Voelkerschaften zu geschweigen. Aber
+selbst hier muessen die etruskischem Ansiedlungen zum Teil wenigstens
+fortbestanden haben, etwa wie Ephesos und Milet griechisch blieben
+unter persischer Oberherrlichkeit. Mantua wenigstens, das durch seine
+Insellage geschuetzt war, war noch in der Kaiserzeit eine tuskische
+Stadt und auch in Atria am Po, wo zahlreiche Vasenfunde gemacht sind,
+scheint das etruskische Wesen fortbestanden zu haben; noch die unter
+dem Namen des Skylax bekannte, um 418 (336) abgefasste
+Kuestenbeschreibung nennt die Gegend von Atria und Spina tuskisches
+Land. Nur so erklaert sich auch, wie etruskische Korsaren bis weit ins
+fuenfte Jahrhundert hinein das Adriatische Meer unsicher machen
+konnten, und weshalb nicht bloss Dionysios von Syrakus die Kuesten
+desselben mit Kolonien bedeckte, sondern selbst Athen noch um 429
+(325), wie eine kuerzlich entdeckte merkwuerdige Urkunde lehrt, zum
+Schutz der Kauffahrer gegen die tyrrhenischen Kaper die Anlage einer
+Kolonie im Adriatischen Meere beschloss.
+
+Aber mochte hier mehr oder weniger von etruskischem Wesen sich
+behaupten, es waren das einzelne Truemmer und Splitter der frueheren
+Machtentwicklung; der etruskischen Nation kam nicht mehr zugute, was
+hier im friedlichen Verkehr oder im Seekrieg von einzelnen noch etwa
+erreicht ward. Dagegen gingen wahrscheinlich von diesen halbfreien
+Etruskern die Anfaenge derjenigen Zivilisation aus, die wir spaeterhin
+bei den Kelten und ueberhaupt den Alpenvoelkern finden. Schon dass die
+Keltenschwaerme in den lombardischen Ebenen, mit dem sogenannten Skylax
+zu reden, das Kriegerleben aufgaben und sich bleibend ansaessig
+machten, gehoert zum Teil hierher; aber auch die Anfaenge der Handwerke
+und Kuenste und das Alphabet sind den lombardischen Kelten, ja den
+Alpenvoelkern bis in die heutige Steiermark hinein durch die Etrusker
+zugekommen.
+
+Also blieben nach dem Verlust der Besitzungen in Kampanien und der
+ganzen Landschaft noerdlich vom Apennin und suedlich vom Ciminischen
+Walde den Etruskern nur sehr beschraenkte Grenzen: die Zeiten der Macht
+und des Aufstrebens waren fuer sie auf immer vorueber. In engster
+Wechselwirkung mit diesem aeusseren Sinken steht der innere Verfall der
+Nation, zu dem die Keime freilich wohl schon weit frueher gelegt worden
+waren. Die griechischen Schriftsteller dieser Zeit sind voll von
+Schilderungen der masslosen Ueppigkeit des etruskischen Lebens:
+unteritalische Dichter des fuenften Jahrhunderts der Stadt preisen den
+tyrrhenischen Wein und die gleichzeitigen Geschichtschreiber Timaeos
+und Theopomp entwerfen Bilder von der etruskischen Weiberzucht und der
+etruskischen Tafel, welche der aergsten byzantinischen und
+franzoesischen Sittenlosigkeit nichts nachgeben. Wie wenig beglaubigt
+das einzelne in diesen Berichten auch ist, so scheint doch mindestens
+die Angabe begruendet zu sein, dass die abscheuliche Lustbarkeit der
+Fechterspiele, der Krebsschaden des spaeteren Rom und ueberhaupt der
+letzten Epoche des Altertums, zuerst bei den Etruskern aufgekommen ist;
+und jedenfalls lassen sie im ganzen keinen Zweifel an der tiefen
+Entartung der Nation. Auch die politischen Zustaende derselben sind
+davon durchdrungen. So weit unsere duerftige Kunde reicht, finden wir
+aristokratische Tendenzen vorwiegend, in aehnlicher Weise wie
+gleichzeitig in Rom, aber schroffer und verderblicher. Die Abschaffung
+des Koenigtums, die um die Zeit der Belagerung Veiis schon in allen
+Staaten Etruriens durchgefuehrt gewesen zu sein scheint, rief in den
+einzelnen Staedten ein Patrizierregiment hervor, das durch das lose
+eidgenossenschaftliche Band sich nur wenig beschraenkt sah. Selten nur
+gelang es, selbst zur Landesverteidigung alle etruskischen Staedte zu
+vereinigen, und Volsiniis nominelle Hegemonie haelt nicht den
+entferntesten Vergleich aus mit der gewaltigen Kraft, die durch Roms
+Fuehrung die latinische Nation empfing. Der Kampf gegen die
+ausschliessliche Berechtigung der Altbuerger zu allen Gemeindestellen
+und allen Gemeindenutzungen, der auch den roemischen Staat haette
+verderben muessen, wenn nicht die aeusseren Erfolge es moeglich gemacht
+haetten, die Ansprueche der gedrueckten Proletarier auf Kosten fremder
+Voelker einigermassen zu befriedigen und dem Ehrgeiz andere Bahnen zu
+oeffnen - dieser Kampf gegen das politische und was in Etrurien
+besonders hervortritt, gegen das priesterliche Monopol der
+Adelsgeschlechter muss Etrurien staatlich, oekonomisch und sittlich
+zugrunde gerichtet haben. Ungeheure Vermoegen, namentlich an
+Grundbesitz, konzentrierten sich in den Haenden von wenigen Adligen,
+waehrend die Massen verarmten; die sozialen Umwaelzungen, die hieraus
+entstanden, erhoehten die Not, der sie abhelfen sollten, und bei der
+Ohnmacht der Zentralgewalt blieb zuletzt den bedraengten Aristokraten,
+zum Beispiel in Arretium 453 (301), in Volsinii 488 (266) nichts
+uebrig, als die Roemer zu Hilfe zu rufen, die denn zwar der Unordnung,
+aber zugleich auch dem Rest von Unabhaengigkeit ein Ende machten. Die
+Kraft des Volkes war gebrochen seit dem Tage von Veii und Melpum; es
+wurden wohl einige Male noch ernstliche Versuche gemacht, sich der
+roemischen Oberherrschaft zu entziehen, aber wenn es geschah, kam die
+Anregung dazu den Etruskern von aussen, von einen andern italischen
+Stamm, den Samniten.
+
+
+
+
+KAPITEL V.
+Die Unterwerfung der Latiner und Kampaner unter Rom
+
+
+Das grosse Werk der Koenigszeit war Roms Herrschaft ueber Latium in der
+Form der Hegemonie. Dass die Umwandlung der roemischen Verfassung
+sowohl auf das Verhaeltnis der roemischen Gemeinde zu Latium wie auf
+die innere Ordnung der latinischen Gemeinden selbst nicht ohne
+maechtige Rueckwirkung bleiben konnte, leuchtet an sich ein und geht
+auch aus der Ueberlieferung hervor; von den Schwankungen, in welche
+durch die Revolution in Rom die roemisch-latinische Eidgenossenschaft
+geriet, zeugt die in ungewoehnlich lebhaften Farben schillernde Sage
+von dem Siege am Regiller See, den der Diktator oder Konsul Aulus
+Postumius (255? 258? 499 496) mit Hilfe der Dioskuren ueber die Latiner
+gewonnen haben soll, und bestimmter die Erneuerung des ewigen Bundes
+zwischen Rom und Latium durch Spurius Cassius in seinem zweiten
+Konsulat (261 493). Indes geben diese Erzaehlungen eben ueber die
+Hauptsache, das Rechtsverhaeltnis der neuen roemischen Republik zu der
+latinischen Eidgenossenschaft, am wenigsten Aufschluss; und was wir
+sonst ueber dasselbe wissen, ist zeitlos ueberliefert und kann nur nach
+ungefaehrer Wahrscheinlichkeit hier eingereiht werden.
+
+Es liegt im Wesen der Hegemonie, dass sie durch das blosse innere
+Schwergewicht der Verhaeltnisse allmaehlich in die Herrschaft
+uebergeht; auch die roemische ueber Latium hat davon keine Ausnahme
+gemacht. Sie war begruendet auf die wesentliche Rechtsgleichheit des
+roemischen Staates und der latinischen Eidgenossenschaft; aber
+wenigstens im Kriegswesen und in der Behandlung der gemachten
+Eroberungen trug dies Verhaeltnis des Einheitsstaates einer- und des
+Staatenbundes anderseits die Hegemonie der Sache nach in sich. Nach der
+urspruenglichen Bundesverfassung war wahrscheinlich das Recht zu Krieg
+und Vertrag mit auswaertigen Staaten, also die volle staatliche
+Selbstbestimmung sowohl Rom wie den einzelnen Staedten des latinischen
+Bundes gewahrt, und es stellte auch wohl bei gemeinschaftlicher
+Kriegfuehrung Rom wie Latium das gleiche Kontingent, in der Regel jedes
+ein “Heer” von 8400 Mann ^1; aber den Oberbefehl fuehrte der roemische
+Feldherr, welcher dann die Stabsoffiziere, also die Teilfuehrer
+(tribuni militum), nach eigener Wahl ernannte. Im Falle des Sieges
+wurden die bewegliche Beute wie das eroberte Land zwischen Rom und der
+Eidgenossenschaft geteilt, und wenn man in dem eroberten Gebiet
+Festungen anzulegen beschloss, so wurde nicht bloss deren Besatzung und
+Bevoelkerung teils aus roemischen, teils aus eidgenoessischen
+Aussendlingen gebildet, sondern auch die neugegruendete Gemeinde als
+souveraener Bundesstaat in die latinische Eidgenossenschaft aufgenommen
+und mit Sitz und Stimme auf der latinischen Tagsatzung ausgestattet.
+
+———————————————————————————-
+
+^1 Die urspruengliche Gleichheit der beiden Armeen geht schon aus Liv.
+1, 52; 8, 8, 14 und Dion. Hal. 8, 15, am deutlichsten aber aus Polyb.
+6, 26 hervor.
+
+———————————————————————————-
+
+Diese Bestimmungen werden wahrscheinlich schon in der Koenigszeit,
+sicher in der republikanischen Epoche sich mehr und mehr zu Ungunsten
+der Eidgenossenschaft verschoben und Roms Hegemonie weiter entwickelt
+haben. Am fruehesten fiel ohne Zweifel weg das Kriegs- und
+Vertragsrecht der Eidgenossenschaft gegenueber dem Ausland ^2; Krieg
+und Vertrag kam ein fuer allemal an Rom. Die Stabsoffiziere fuer die
+latinischen Truppen muessen in aelterer Zeit wohl ebenfalls Latiner
+gewesen sein; spaeter wurden dazu wo nicht ausschliesslich, doch
+vorwiegend roemische Buerger genommen ^3. Dagegen wurde nach wie vor
+der latinischen Eidgenossenschaft insgesamt kein staerkeres Kontingent
+zugemutet als das von der roemischen Gemeinde gestellte war; und ebenso
+war der roemische Oberfeldherr gehalten, die latinischen Kontingente
+nicht zu zersplittern, sondern den von jeder Gemeinde gesandten Zuzug
+als besondere Heerabteilung unter dem von der Gemeinde bestellten
+Anfuehrer ^4 zusammenzuhalten. Das Anrecht der latinischen
+Eidgenossenschaft auf einen Anteil an der beweglichen Beute wie an dem
+eroberten Lande blieb formell bestehen; aber der Sache nach ist der
+wesentliche Kriegsertrag ohne Zweifel schon in frueher Zeit an den
+fuehrenden Staat gekommen. Selbst bei der Anlegung der Bundesfestungen
+oder der sogenannten latinischen Kolonien waren in der Regel vermutlich
+die meisten und nicht selten alle Ansiedler Roemer; und wenn auch
+dieselben durch die Uebersiedelung aus roemischen Buergern Buerger
+einer eidgenoessischen Gemeinde wurden, so blieb doch wohl der
+neugepflanzten Ortschaft haeufig eine ueberwiegende und fuer die
+Eidgenossenschaft gefaehrliche Anhaenglichkeit an die wirkliche
+Mutterstadt.
+
+———————————————————————-
+
+^2 Dass in den spaeteren Bundesvertraegen zwischen Rom und Latium es
+den latinischen Gemeinden untersagt war ihre Kontingente von sich aus
+zu mobilisieren und allein ins Feld zu senden, sagt ausdruecklich
+Dionysios (8, 15).
+
+^3 Diese latinischen Stabsoffiziere sind die zwoelf praefecti sociorum,
+welche spaeterhin, als die alte Phalanx sich in die spaeteren Legionen
+und alae aufgeloest hatte, ebenso je sechs und sechs den beiden alae
+der Bundesgenossenkontingente vorstehen, wie die zwoelf Kriegstribunen
+des roemischen Heeres je sechs und sechs den beiden Legionen. Dass der
+Konsul jene wie urspruenglich auch diese ernennt, sagt Polyb. 6 26, 5.
+Da nun nach dem alten Rechtssatz, dass jeder Heerespflichtige Offizier
+werden kann, es gesetzlich dem Heerfuehrer gestattet war, einen Latiner
+zum Fuehrer einer roemischen wie umgekehrt einen Roemer zum Fuehrer
+einer latinischen Legion zu bestellen, so fuehrte dies praktisch dazu,
+dass die tribuni militum durchaus und die praefecti sociorum wenigstens
+in der Regel Roemer waren.
+
+^4 Dies sind die decuriones turmarum und praefecti cohortium (Polyb. 6,
+21, 5; Liv. 25, 14; Sall. Iug. 69 und sonst). Natuerlich wurden, wie
+die roemischen Konsuln von Rechts wegen, in der Regel auch tatsaechlich
+Oberfeldherren waren, vielleicht durchaus, mindestens sehr haeufig auch
+in den abhaengigen Staedten die Gemeindevorsteher an die Spitze der
+Gemeindekontingente gestellt (Liv. 23, 19; Orelli 7022); wie denn
+selbst der gewoehnliche Name der latinischen Obrigkeiten (praetores)
+sie als Offiziere bezeichnet.
+
+———————————————————————
+
+Die Rechte dagegen, welche die Bundesvertraege dem einzelnen Buerger
+einer der verbuendeten Gemeinden in jeder Bundesstadt zusicherten,
+wurden nicht beschraenkt. Es gehoerten dahin namentlich die volle
+Rechtsgleichheit in Erwerb von Grundbesitz und beweglicher Habe, in
+Handel und Wandel, Ehe und Testament, und die unbeschraenkte
+Freizuegigkeit, sodass der in einer Bundesstadt verbuergerte Mann nicht
+bloss in jeder andern sich niederzulassen rechtlich befugt war, sondern
+auch daselbst als Rechtsgenosse (municeps) mit Ausnahme der passiven
+Wahlfaehigkeit an allen privaten und politischen Rechten und Pflichten
+teilnahm, sogar wenigstens in der nach Distrikten berufenen
+Gemeindeversammlung in einer freilich beschraenkten Weise zu stimmen
+befugt war ^5.
+
+——————————————————————-
+
+^5 Es wurde ein solcher Insasse nicht wie der wirkliche Mitbuerger
+einem ein fuer allemal bestimmten Stimmbezirk zugeteilt, sondern vor
+jeder einzelnen Abstimmung nach Stimmbezirken der, in dem die Insassen
+diesmal zu stimmen hatten, durch das Los festgestellt. Der Sache nach
+kam dies wohl darauf hinaus, dass in der roemischen Tribusversammlung
+den Latinern eine Stimme eingeraeumt ward. Da der Platz in irgendeiner
+Tribus die Vorbedingung des ordentlichen Zenturiatstimmrechts war, so
+muss, wenn die Insassen auch in der Zenturienversammlung mitgestimmt
+haben, was wir nicht wissen, fuer diese eine aehnliche Losung
+festgesetzt gewesen sein. An den Kurien werden sie gleich den Plebejern
+teilgenommen haben.
+
+—————————————————————-
+
+So etwa mag in der ersten republikanischen Zeit das Verhaeltnis der
+roemischen Gemeinde zu der latinischen Eidgenossenschaft beschaffen
+gewesen sein, ohne dass sich ausmachen liesse, was darin auf aeltere
+Satzungen und was auf die Buendnisrevision von 261 (493) zurueckgeht.
+
+Mit etwas groesserer Sicherheit darf die Umgestaltung der Ordnungen der
+einzelnen zu der latinischen Eidgenossenschaft gehoerigen Gemeinden
+nach dem Muster der roemischen Konsularverfassung als Neuerung
+bezeichnet und in diesen Zusammenhang gestellt werden. Denn obgleich
+die verschiedenen Gemeinden zu der Abschaffung des Koenigtums an sich
+recht wohl voneinander unabhaengig gelangt sein koennen, so verraet
+doch die gleichartige Benennung der neuen Jahreskoenige in der
+roemischen und den uebrigen Gemeindeverfassungen von Latium sowie die
+weitgreifende Anwendung des so eigentuemlichen Kollegialitaetsprinzips
+^6 augenscheinlich einen aeusseren Zusammenhang; irgend einmal nach der
+Vertreibung der Tarquinier aus Rom muessen durchaus die latinischen
+Gemeindeordnungen nach dem Schema der Konsularverfassung revidiert
+worden sein. Es kann nun freilich diese Ausgleichung der latinischen
+Verfassungen mit derjenigen der fuehrenden Stadt moeglicherweise erst
+einer spaeteren Epoche angehoeren; indes spricht die innere
+Wahrscheinlichkeit vielmehr dafuer, dass der roemische Adel, nachdem er
+bei sich die Abschaffung des lebenslaenglichen Koenigtums bewirkt
+hatte, dieselbe Verfassungsaenderung auch den Gemeinden der latinischen
+Eidgenossenschaft angesonnen und, trotz des ernsten und den Bestand des
+roemisch-latinischen Bundes selbst in Frage stellenden Widerstandes,
+welchen teils die vertriebenen Tarquinier, teils die koeniglichen
+Geschlechter und koeniglich gesinnten Parteien der uebrigen Gemeinden
+Latiums geleistet zu haben scheinen, schliesslich in ganz Latium die
+Adelsherrschaft eingefuehrt hat. Die eben in diese Zeit fallende
+gewaltige Machtentwicklung Etruriens, die stetigen Angriffe der
+Veienter, der Heereszug des Porsena moegen wesentlich dazu beigetragen
+haben, die latinische Nation bei der einmal festgestellten Form der
+Einigung, das heisst bei der fortwaehrenden Anerkennung der
+Oberherrlichkeit Roms festzuhalten und dem zuliebe eine ohne Zweifel
+auch im Schosse der latinischen Gemeinden vielfach vorbereitete
+Verfassungsaenderung, ja vielleicht selbst eine Steigerung der
+hegemonischen Rechte sich gefallen zu lassen.
+
+—————————————————————
+
+^6 Regelmaessig stehen bekanntlich die latinischen Gemeinden unter zwei
+Praetoren. Daneben kommen in einer Reihe von Gemeinden auch
+Einzelbeamte vor, welche dann den Diktatortitel fuehren - so in Alba
+(Orelli-Henzen 2293), Tusculum, Lanuvium (Cic. Mil. 10, 27;17, 45;
+Ascon. Mil. p. 32 Orelli, Orelli 2786, 5157, 6086), Compitum (Orelli
+3324), Nomentum (Orelli 208, 6138, 7032; vgl. W. Henzen in Bullettino
+dell’ Istituto 1858, S. 169) und Aricia (Orelli 1455). Dazu kommt der
+aehnliche Diktator in der civitas sine suffragio Caere (Orelli 3787,
+5772; auch Garrucci, Diss. arch. Bd. 1, S. 31, obwohl irrig nach
+Sutrium gesetzt); ferner die gleichnamigen Beamten von Fidenae (Orelli
+112). Alle diese Aemter oder aus Aemtern hervorgegangenen
+Priestertuemer (der Diktator von Caere ist zu erklaeren nach Liv. 9,
+43: Anagninis - magistratibus praeter quam sacrorum curatione
+interdictum) sind jaehrig (Orelli 208). Auch der Bericht Macers und der
+aus ihm schoepfenden Annalisten, dass Alba schon zur Zeit seines Falls
+nicht mehr unter Koenigen, sondern unter Jahresdiktatoren gestanden
+habe (Dion. Hal. 5, 74; Plut. Rom. 27; Liv. 1, 23), ist vermutlich
+bloss eine Folgerung aus der ihm bekannten Institution der ohne Zweifel
+gleich der nomentanischen jaehrigen sacerdotalen albanischen Diktatur,
+bei welcher Darstellung ueberdies die demokratische Parteistellung
+ihres Urhebers mit im Spiel gewesen sein wird. Es steht dahin, ob der
+Schluss gueltig ist und nicht, auch wenn Alba zur Zeit seiner
+Aufloesung unter lebenslaenglichen Herrschern stand, die Abschaffung
+des Koenigtums in Rom nachtraeglich die Verwandlung der albanischen
+Diktatur in ein Jahramt herbeifuehren konnte.
+
+All diese latinischen Magistraturen kommen in der Sache wie besonders
+auch in den Namen wesentlich mit der in Rom durch die Revolution
+festgestellten Ordnung in einer Weise ueberein, die durch die blosse
+Gleichartigkeit der politischen Grundverhaeltnisse nicht genuegend
+erklaert wird.
+
+————————————————————-
+
+Die dauernd geeinigte Nation vermochte es, ihre Machtstellung nach
+allen Seiten hin nicht bloss zu behaupten, sondern auch zu erweitern.
+Dass die Etrusker nur kurze Zeit im Besitze der Suprematie ueber Latium
+blieben und die Verhaeltnisse hier bald wieder in die Lage
+zurueckkamen, welche sie in der Koenigszeit gehabt hatten, wurde schon
+dargestellt; zu einer eigentlichen Erweiterung der roemischen Grenzen
+kam es aber nach dieser Seite hin erst mehr als ein Jahrhundert nach
+der Vertreibung der Koenige aus Rom.
+
+Mit den Sabinern, die das Mittelgebirge von den Grenzen der Umbrer bis
+hinab zu der Gegend zwischen Tiber und Anio einnahmen und die in der
+Epoche, in welche die Anfaenge Roms fallen, bis nach Latium selbst
+kaempfend und erobernd vordrangen, haben spaeterhin die Roemer trotz
+der unmittelbaren Nachbarschaft sich verhaeltnismaessig wenig beruehrt.
+Die schwache Teilnahme derselben an dem verzweifelten Widerstand der
+oestlichen und suedlichen Nachbarvoelker geht selbst aus den Berichten
+der Jahrbuecher noch hervor und, was wichtiger ist, es begegnen hier
+keine Zwingburgen, wie sie namentlich in dem volskischen Gebiet so
+zahlreich angelegt worden sind. Vielleicht haengt dies damit zusammen,
+dass die sabinischen Scharen wahrscheinlich eben um diese Zeit sich
+ueber Unteritalien ergossen; gelockt von den anmutigen Sitzen am
+Tifernus und Volturnus scheinen sie wenig in die Kaempfe eingegriffen
+zu haben, deren Schauplatz das Gebiet suedlich vom Tiber war.
+
+Bei weitem heftiger und dauernder war der Widerstand der Aequer, die,
+oestlich von Rom bis in die Taeler des Turano und Salto und am
+Nordrande des Fuciner Sees sitzend, mit den Sabinern und Marsern
+grenzten ^7, und der Volsker, welche suedlich von den um Ardea
+sesshaften Rutulern und den suedwaerts bis Cora sich erstreckenden
+Latinern die Kueste bis nahe an die Muendung des Lirisflusses nebst den
+vorliegenden Inseln und im Innern das ganze Stromgebiet des Liris
+besassen. Die mit diesen beiden Voelkern sich jaehrlich erneuernden
+Fehden, die in der roemischen Chronik so berichtet werden, dass der
+unbedeutendste Streifzug von dem folgenreichen Kriege kaum
+unterschieden und der historische Zusammenhang gaenzlich beiseite
+gelassen wird, sollen hier nicht erzaehlt werden; es genuegt
+hinzuweisen auf die dauernden Erfolge. Deutlich erkennen wir, dass es
+den Roemern und Latinern vor allem darauf ankam, die Aequer von den
+Volskern zu trennen und der Kommunikationen Herr zu werden; in der
+Gegend zwischen dem Suedabhang des Albaner Gebirges, den volskischen
+Bergen und den Pomptinischen Suempfen scheinen ueberdies die Latiner
+und die Volsker zunaechst sich beruehrt und selbst gemischt
+durcheinander gesessen zu haben ^8. In dieser Gegend haben die Latiner
+die ersten Schritte getan ueber ihre Landesgrenze hinaus und sind
+Bundesfestungen im Fremdland, sogenannte latinische Kolonien zuerst
+angelegt worden, in der Ebene Velitrae (angeblich um 260 494) unter dem
+Albaner Gebirge selbst und Suessa in der pomptinischen Niederung, in
+den Bergen Norba (angeblich 262 492) und Signia (angeblich verstaerkt
+259 495), welche beide auf den Verbindungspunkten zwischen der
+aequischen und volskischen Landschaft liegen. Vollstaendiger noch ward
+der Zweck erreicht durch den Beitritt der Herniker zu dem Bunde der
+Latiner und Roemer (268 486), welcher die Volsker vollstaendig
+isolierte und dem Bunde eine Vormauer gewaehrte gegen die suedlich und
+oestlich wohnenden sabellischen Staemme; man begreift es, weshalb dem
+kleinen Volk volle Gleichheit mit den beiden anderen in Rat und
+Beuteanteil zugestanden ward. Die schwaecheren Aequer waren seitdem
+wenig gefaehrlich; es genuegte, von Zeit zu Zeit einen Pluenderzug
+gegen sie zu unternehmen. Auch die Rutuler, welche in der Kuestenebene
+suedlich mit Latium grenzten, unterlagen frueh; ihre Stadt Ardea wurde
+schon im Jahre 312 (442) in eine latinische Kolonie umgewandelt ^9.
+Ernstlicher widerstanden die Volsker. Der erste namhafte Erfolg, den
+nach den oben erwaehnten die Roemer ihnen abgewannen, ist, merkwuerdig
+genug, die Gruendung von Circeii im Jahre 361 (393), das, solange
+Antium und Tarracina noch frei waren, nur zu Wasser mit Latium in
+Verbindung gestanden haben kann. Antium zu besetzen, ward oft versucht
+und gelang auch voruebergehend 287 (467); aber 295 (459) machte die
+Stadt sich wieder frei, und erst nach dem gallischen Brande erhielten
+infolge eines heftigen dreizehnjaehrigen Krieges (365-377 389-377) die
+Roemer die entschiedene Oberhand im antiatischen und pomptinischen
+Gebiet. Satricum, unweit Antium, wurde im Jahre 369 (385) mit einer
+latinischen Kolonie belegt, nicht lange nachher wahrscheinlich Antium
+selbst sowie Tarracina ^10, das pomptinische Gebiet ward durch die
+Anlage der Festung Setia (372 382, verstaerkt 375 379) gesichert und in
+den Jahren 371 f. (383) in Ackerlose und Buergerbezirke verteilt.
+Seitdem haben die Volsker wohl noch sich empoert, aber keine Kriege
+mehr gegen Rom gefuehrt.
+
+—————————————————————
+
+^7 Die Landschaft der Aequer umfasst nicht bloss das Tal des Anio
+oberhalb von Tibur und das Gebiet der spaeteren latinischen Kolonien
+Carsioli (am oberen Turano) und Alba (am Fuciner See), sondern auch den
+Bezirk des spaeteren Municipiums der Aequiculi welche nichts sind als
+derjenige Rest der Aequer, welchem nach der Unterwerfung durch die
+Roemer und nach der Assignierung des groessten Teils des Gebiets an
+roemische oder latinische Kolonisten die munizipale Selbstaendigkeit
+verblieb.
+
+^8 Allem Anschein nach ist Velitrae, obwohl in der Ebene gelegen,
+urspruenglich volskisch und also latinische Kolonie, Cora dagegen auf
+dem Volskergebirge urspruenglich latinisch.
+
+^9 Nicht lange nachher muss die Gruendung des Dianahains im Walde von
+Aricia erfolgt sein, welche nach Catos Bericht (orig. p. 12 Jordan) ein
+tusculanischer Diktator vollzog fuer die Stadtgemeinden des alten
+Latiums Tusculum, Aricia, Lanuvium, Laurentum, Cora und Tibur und die
+beiden latinischen Kolonien (welche deshalb an der letzten Stelle
+stehen) Suessa Pometia und Ardea (populus Ardeatis Rutulus). Das Fehlen
+Praenestes und der kleineren Gemeinden des alten Latium zeigt, wie es
+auch in der Sache liegt, dass nicht saemtliche Gemeinden des damaligen
+Latinischen Bundes sich an der Weihung beteiligten. Dass sie vor 372
+(382) faellt, beweist das Auftreten von Pometia und das Verzeichnis
+stimmt voellig zu dem, was anderweitig ueber den Bestand des Bundes
+kurz nach dem Zutritt von Ardea sich ermitteln laesst.
+
+Den ueberlieferten Jahreszahlen der Gruendungen darf mehr als den
+meisten der aeltesten Ueberlieferungen Glauben beigemessen werden, da
+die den italischen Staedten gemeinsame Jahreszaehlung ab urbe condita
+allem Anschein nach das Gruendungsjahr der Kolonien durch unmittelbare
+Ueberlieferung bewahrt hat.
+
+^10 Als latinische Gemeinden erscheinen beide in dem sogenannten
+Cassischen Verzeichnis um 372 (382) nicht, wohl aber in dem
+karthagischen Vertrag vom Jahre 406 (348); in der Zwischenzeit also
+sind die Staedte latinische Kolonien geworden.
+
+———————————————————————
+
+Aber je entschiedenere Erfolge der Bund der Roemer, Latiner und
+Herniker gegen die Etrusker, Aequer, Volsker und Rutuler davontrug,
+desto mehr entwich aus ihm die Eintracht. Die Ursache lag zum Teil wohl
+in der frueher dargestellten, aus den bestehenden Verhaeltnissen mit
+innerer Notwendigkeit sich entwickelnden, aber darum nicht weniger
+schwer auf Latium lastenden Steigerung der hegemonischen Gewalt Roms,
+zum Teil in einzelnen gehaessigen Ungerechtigkeiten der fuehrenden
+Gemeinde. Dahin gehoeren vornehmlich der schmaehliche Schiedsspruch
+zwischen den Aricinern und den Rutulern in Ardea 308 (446), wo die
+Roemer, angerufen zu kompromissarischer Entscheidung ueber ein zwischen
+den beiden Gemeinden streitiges Grenzgebiet, dasselbe fuer sich nahmen,
+und als ueber diesen Spruch in Ardea innere Streitigkeiten entstanden,
+das Volk zu den Volskern sich schlagen wollte, waehrend der Adel an Rom
+festhielt, die noch schaendlichere Ausnutzung dieses Haders zu der
+schon erwaehnten Aussendung roemischer Kolonisten in die reiche Stadt,
+unter die die Laendereien der Anhaenger der antiroemischen Partei
+ausgeteilt wurden (312 442). Hauptsaechlich indes war die Ursache,
+weshalb der Bund sich innerlich aufloeste, eben die Niederwerfung der
+gemeinschaftlichen Feinde; die Schonung von der einen, die Hingebung
+von der anderen Seite hatte ein Ende, seitdem man gegenseitig des
+anderen nicht mehr meinte zu beduerfen. Zum offenen Bruche zwischen den
+Latinern und Hernikern einer- und den Roemern anderseits gab die
+naechste Veranlassung teils die Einnahme Roms durch die Kelten und
+dessen dadurch herbeigefuehrte augenblickliche Schwaeche, teils die
+definitive Besetzung und Aufteilung des pomptinischen Gebiets; bald
+standen die bisherigen Verbuendeten gegeneinander im Felde. Schon
+hatten latinische Freiwillige in grosser Anzahl an dem letzten
+Verzweiflungskampf der Antiaten teilgenommen; jetzt mussten die
+namhaftesten latinischen Staedte: Lanuvium (371 383), Praeneste
+(372-374, 400 382-380, 354), Tusculum (373 381), Tibur (394, 400 360,
+354) und selbst einzelne der im Volskerland von dem
+roemisch-latinischen Bunde angelegten Festungen wie Velitrae und
+Circeii mit den Waffen bezwungen werden, ja die Tiburtiner scheuten
+sich sogar nicht, mit den eben einmal wieder einrueckenden gallischen
+Scharen gemeinschaftliche Sache gegen Rom zu machen. Zum
+gemeinschaftlichen Aufstand kam es indes nicht und ohne viel Muehe
+bemeisterte Rom die einzelnen Staedte; Tusculum ward sogar (373 381)
+genoetigt, seine politische Selbstaendigkeit aufzugeben und in den
+roemischen Buergerverband als untertaenige Gemeinde (civitas sine
+suffragio) einzutreten, so dass die Stadt ihre Mauern und eine wenn
+auch beschraenkte Selbstverwaltung, darum auch eigene Beamten und eine
+eigene Buergerversammlung behielt, dagegen aber ihre Buerger als
+roemische das aktive und passive Wahlrecht entbehrten - der erste Fall,
+dass eine ganze Buergerschaft dem roemischen Gemeinwesen als abhaengige
+Gemeinde einverleibt wurde.
+
+Ernster war der Kampf gegen die Herniker (392-396 362-358), in dem der
+erste der Plebs angehoerige konsularische Oberfeldherr Lucius Genucius
+fiel; allein auch hier siegten die Roemer. Die Krise endigte damit,
+dass die Vertraege zwischen Rom und der latinischen wie der
+hernikischen Eidgenossenschaft im Jahre 396 (358) erneuert wurden. Der
+genauere Inhalt derselben ist nicht bekannt, aber offenbar fuegten
+beide Eidgenossenschaften abermals und wahrscheinlich unter haerteren
+Bedingungen sich der roemischen Hegemonie. Die in demselben Jahr
+erfolgte Einrichtung zweier neuer Buergerbezirke im pomptinischen
+Gebiet zeigt deutlich die gewaltig vordringende roemische Macht.
+
+In offenbarem Zusammenhang mit dieser Krise in dem Verhaeltnis zwischen
+Rom und Latium steht die um das Jahr 370 (384) erfolgte Schliessung der
+latinischen Eidgenossenschaft ^11, obwohl es nicht sicher zu bestimmen
+ist, ob sie Folge oder, wie wahrscheinlicher, Ursache der eben
+geschilderten Auflehnung Latiums gegen Rom war. Nach dem bisherigen
+Recht war jede von Rom und Latium gegruendete souveraene Stadt unter
+die am Bundesfest und Bundestag teilberechtigten Kommunen eingetreten,
+wogegen umgekehrt jede einer anderen Stadt inkorporierte und also
+staatlich vernichtete Gemeinde aus der Reihe der Bundesglieder
+gestrichen ward. Dabei ward indes nach latinischer Art die einmal
+feststehende Zahl von dreissig foederierten Gemeinden in der Art
+festgehalten, dass von den teilnehmenden Staedten nie mehr und nie
+weniger als dreissig stimmberechtigt waren und eine Anzahl spaeter
+eingetretener oder auch ihrer Geringfuegigkeit oder begangener Vergehen
+wegen zurueckgesetzter Gemeinden des Stimmrechts entbehrten. Hiernach
+war der Bestand der Eidgenossenschaft um das Jahr 370 (384) folgender
+Art. Von altlatinischen Ortschaften waren, ausser einigen jetzt
+verschollenen oder doch der Lage nach unbekannten, noch autonom und
+stimmberechtigt zwischen Tiber und Anio Nomentum, zwischen dem Anio und
+dem Albaner Gebirg Tibur, Gabii, Scaptia, Labici ^12, Pedum und
+Praeneste, am Albaner Gebirg Corbio, Tusculum, Bovillae, Aricia,
+Corioli und Lanuvium, in den volskischen Bergen Cora, endlich in der
+Kuestenebene Laurentum. Dazu kamen die von Rom und dem latinischen
+Bunde angelegten Kolonien: Ardea im ehemaligen Rutulergebiet und in dem
+der Volsker Satricum, Velitrae, Norba, Signia, Setia und Circeii.
+Ausserdem hatten siebzehn andere Ortschaften, deren Namen nicht sicher
+bekannt sind, das Recht der Teilnahme am Latinerfest ohne Stimmrecht.
+Auf diesem Bestande von siebenundvierzig teil- und dreissig
+stimmberechtigten Orten blieb die latinische Eidgenossenschaft seitdem
+unabaenderlich stehen; weder sind die spaeter gegruendeten latinischen
+Gemeinden, wie Sutrium, Nepete, Antium, Tarracina, Cales, unter
+dieselben eingereiht, noch die spaeter der Autonomie entkleideten
+latinischen Gemeinden, wie Tusculum und Lanuvium, aus dem Verzeichnis
+gestrichen.
+
+————————————————————-
+
+^11 In dem von Dionysios (5, 61) mitgeteilten Verzeichnis der dreissig
+latinischen Bundesstaedte, dem einzigen, das wir besitzen, werden
+genannt die Ardeaten, Ariciner, Bovillaner, Bubentaner (unbekannter
+Lage), Corner (vielmehr Coraner), Carventaner (unbekannter Lage),
+Circeienser, Coriolaner, Corbinter, Cabaner (vielleicht die Cabenser am
+Albaner Berg, Bullettino dell’ Istituto 1861, S. 205), Fortineer
+(unbekannt), Gabiner, Laurenter, Lanuviner, Lavinaten, Labicaner,
+Nomentaner, Norbaner, Praenestiner, Pedaner, Querquetulaner
+(unbekannter Lage), Satricaner, Scaptiner, Senner, Tiburtiner,
+Tusculaner, Tellenier (unbekannter Lage), Toleriner (unbekannter Lage)
+und Veliterner. Die gelegentlichen Erwaehnungen teilnahmeberechtigter
+Gemeinden, wie von Ardea (Liv. 32, 1), Laurentum (Liv. 37, 3), Lanuvium
+(Liv. 41, 16), Bovillae, Gabii, Labici (Cic. Planc. 9, 23) stimmen mit
+diesem Verzeichnis. Dionysios teilt es bei Gelegenheit der
+Kriegserklaerung Latiums gegen Rom im Jahre 256 (498) mit, und es lag
+darum nahe, wie dies Niebuhr getan, dies Verzeichnis als der bekannten
+Bundeserneuerung vom Jahre 261 (493) entlehnt zu betrachten. Allein da
+in diesem nach dem latinischen Alphabet geordneten Verzeichnis der
+Buchstabe g an der Stelle erscheint, die er zur Zeit der Zwoelf Tafeln
+sicher noch nicht hatte und schwerlich vor dem fuenften Jahrhundert
+bekommen hat (mein Die unteritalischen Dialekte. Leipzig 1850, S. 33),
+so muss dasselbe einer viel juengeren Quelle entnommen sein; und es ist
+bei weitem die einfachste Annahme, darin das Verzeichnis derjenigen
+Orte zu erkennen die spaeterhin als die ordentlichen Glieder der
+latinischen Eidgenossenschaft betrachtet wurden und die Dionysios,
+seiner pragmatisierenden Gewohnheit gemaess, als deren urspruenglichen
+Bestand auffuehrt. Es erscheint in dem Verzeichnis, wie es zu erwarten
+war, keine einzige nichtlatinische Gemeinde; dasselbe zaehlt lediglich
+urspruenglich latinische oder mit latinischen Kolonien belegte Orte auf
+- Corbio und Corioli wird niemand als Ausnahme geltend machen.
+Vergleicht man nun mit diesem Register das der latinischen Kolonien so
+sind bis zum Jahre 372 (382) gegruendet worden Suessa Pometia,
+Velitrae, Norba, Signia, Ardea, Circeii (361 393), Satricum (369 385),
+Sutrium (371 383), Nepete (371), Setia (372 382). Von den letzten drei
+ungefaehr gleichzeitigen koennen sehr wohl die beiden etruskischen
+etwas spaeter datieren als Setia, da ja die Gruendung jeder Stadt eine
+gewisse Zeitdauer in Anspruch nahm und unsere Liste von kleineren
+Ungenauigkeiten nicht frei sein kann. Nimmt man dies an, so enthaelt
+das Verzeichnis saemtliche bis zum Jahre 372 (382) ausgefuehrte
+Kolonien einschliesslich der beiden bald nachher aus dem Verzeichnis
+gestrichenen Satricum, zerstoert 377 (377), und Velitrae, des
+latinischen Rechts entkleidet 416 (338); es fehlen nur Suessa Pometia,
+ohne Zweifel als vor dem Jahre 372 (382) zerstoert, und Signia,
+wahrscheinlich weil im Text des Dionysios, der nur neunundzwanzig Namen
+nennt, hinter ΣΗΤΙΝΩΝ ausgefallen ist ΣΙΓΝΙΝΩΝ. Im vollkommenen
+Einklang hiermit mangeln in diesem Verzeichnis ebenso alle nach dem
+Jahre 372 (382) gegruendeten latinischen Kolonien wie alle Orte, die
+wie Ostia, Antemnae, Alba vor dem Jahre 370 (384) der roemischen
+Gemeinde inkorporiert wurden, wogegen die spaeter einverleibten, wie
+Tusculum, Lanuvium, Velitrae, in demselben stehen geblieben sind.
+
+Was das von Plinius mitgeteilte Verzeichnis von zweiunddreissig zu
+Plinius’ Zeit untergegangenen, ehemals am Albanischen Fest beteiligten
+Ortschaften betrifft, so bleiben nach Abzug von sieben, die auch bei
+Dionysios stehen (denn die Cusuetaner des Plinius scheinen die
+Dionysischen Carventaner zu sein) noch fuenfundzwanzig, meistenteils
+ganz unbekannte Ortschaften ohne Zweifel teils jene siebzehn nicht
+stimmenden Gemeinden, groesstenteils wohl eben die aeltesten, spaeter
+zurueckgestellten Glieder der albanischen Festgenossenschaft, teils
+eine Anzahl anderer untergegangener oder ausgestossener Bundesglieder,
+zu welchen letzteren vor allem der alte, auch von Plinius genannte
+Vorort Alba gehoert.
+
+^12 Allerdings berichtet Livius (4, 47), dass Labici im Jahre 336 (418)
+Kolonie geworden sei. Allein abgesehen davon, dass Diodor (13, 6)
+hierueber schweigt, kann Labici weder eine Buergerkolonie geworden
+sein, da die Stadt teils nicht an der Kueste lag, teils auch spaeter
+noch im Besitz der Autonomie erscheint, noch eine latinische, da es
+kein einziges zweites Beispiel einer im urspruenglichen Latium
+angelegten latinischen Kolonie gibt noch nach dem Wesen dieser
+Gruendungen geben kann. Hoechst wahrscheinlich ist hier wie anderswo,
+da zumal als verteiltes Ackermass zwei Iugera genannt werden, die
+gemeine Buerger- mit der kolonialen Assignation verwechselt worden.
+
+—————————————————————-
+
+Mit dieser Schliessung der Eidgenossenschaft haengt auch die
+geographische Fixierung des Umfanges von Latium zusammen. Solange die
+latinische Eidgenossenschaft noch offen war, hatte auch die Grenze von
+Latium mit der Anlage neuer Bundesstaedte sich vorgeschoben; aber wie
+die juengeren latinischen Kolonien keinen Anteil am Albaner Fest
+erhielten, galten sie auch geographisch nicht als Teil von Latium -
+darum werden wohl Ardea und Circeii, nicht aber Sutrium und Tarracina
+zur Landschaft Latium gerechnet.
+
+Aber nicht bloss wurden die nach 370 (384) mit latinischem Recht
+ausgestatteten Orte von der eidgenoessischen Gemeinschaft ferngehalten,
+sondern es wurden dieselben auch privatrechtlich insofern voneinander
+isoliert, als die Verkehrs- und wahrscheinlich auch die Ehegemeinschaft
+(commercium et conubium) einer jeden von diesen Gemeinden zwar mit der
+roemischen, nicht aber mit den uebrigen latinischen gestattet ward, so
+dass also zum Beispiel der Buerger von Sutrium wohl in Rom, aber nicht
+in Praeneste einen Acker zu vollem Eigentum besitzen und wohl von einer
+Roemerin, nicht aber von einer Tiburtinerin rechte Kinder gewinnen
+konnte ^13.
+
+———————————————————————————
+
+^13 Diese Beschraenkung der alten vollen latinischen Rechtsgemeinschaft
+begegnet zwar zuerst in der Vertragserneuerung von 416 (338) (Liv. 8,
+14); da indes das Isolierungssystem, von dem dieselbe ein wesentlicher
+Teil ist, zuerst fuer die nach 370 (384) ausgefuehrten latinischen
+Kolonien begann und 416 (338) nur generalisiert ward, so war diese
+Neuerung hier zu erwaehnen.
+
+—————————————————————-
+
+Wenn ferner bisher innerhalb der Eidgenossenschaft eine ziemlich freie
+Bewegung gestattet worden war und zum Beispiel die sechs altlatinischen
+Gemeinden Aricia, Tusculum, Tibur, Lanuvium, Cora und Laurentum und die
+zwei neulatinischen Ardea und Suessa Pometia der aricinischen Diana ein
+Heiligtum gemeinschaftlich hatten stiften duerfen, so findet von
+aehnlichen der roemischen Hegemonie Gefahr drohenden
+Sonderkonfoederationen, ohne Zweifel nicht zufaellig, in spaeterer Zeit
+sich kein weiteres Beispiel.
+
+Ebenso wird man die weitere Umgestaltung der latinischen
+Gemeindeverfassungen und ihre voellige Ausgleichung mit der Verfassung
+Roms dieser Epoche zuschreiben duerfen; denn wenn als notwendiger
+Bestandteil der latinischen Magistratur neben den beiden Praetoren
+spaeterhin die beiden mit der Markt- und Strassenpolizei und der dazu
+gehoerigen Rechtspflege betrauten Aedilen erscheinen, so hat diese
+offenbar gleichzeitig und auf Anregung der fuehrenden Macht in allen
+Bundesgemeinden erfolgte Einsetzung staedtischer Polizeibehoerden
+sicher nicht vor der in das Jahr 387 (367) fallenden Einrichtung der
+kurulischen Aedilitaet in Rom, aber wahrscheinlich auch eben um diese
+Zeit stattgefunden. Ohne Zweifel war diese Anordnung nur das Glied
+einer Kette von bevormundenden und die bundesgenoessischen
+Gemeindeordnungen im polizeilich-aristokratischen Sinne umgestaltenden
+Massregeln.
+
+Offenbar fuehlte Rom nach dem Fall von Veii und der Eroberung des
+pomptinischen Gebietes sich maechtig genug, um die Zuegel der Hegemonie
+straffer anzuziehen und die saemtlichen latinischen Staedte in eine so
+abhaengige Stellung zu bringen, dass sie faktisch vollstaendig
+untertaenig wurden. In dieser Zeit (406 348) verpflichteten sich die
+Karthager in dem mit Rom abgeschlossenen Handelsvertrag, den Latinern,
+die Rom botmaessig seien, namentlich den Seestaedten Ardea, Antium,
+Circeii, Tarracina, keinen Schaden zuzufuegen; wuerde aber eine der
+latinischen Staedte vom roemischen Buendnis abgefallen sein, so sollten
+die Phoeniker dieselbe angreifen duerfen, indes, wenn sie sie etwa
+erobern wuerden, gehalten sein, sie nicht zu schleifen, sondern sie den
+Roemern zu ueberliefern. Hier liegt es vor, durch welche Ketten die
+roemische Gemeinde ihre Schutzstaedte an sich band und was eine Stadt,
+die der einheimischen Schutzherrschaft sich entzog, dadurch einbuesste
+und wagte.
+
+Zwar blieb auch jetzt noch wenn nicht der hernikischen, doch wenigstens
+der latinischen Eidgenossenschaft ihr formelles Anrecht auf den dritten
+Teil von Kriegsgewinn und wohl noch mancher andere Ueberrest der
+ehemaligen Rechtsgleichheit; aber was nachweislich verloren ging, war
+wichtig genug, um die Erbitterung begreiflich zu machen, welche in
+dieser Zeit unter den Latinern gegen Rom herrschte. Nicht bloss fochten
+ueberall, wo Heere gegen Rom im Felde standen, latinische Reislaeufer
+zahlreich unter der fremden Fahne gegen ihre fuehrende Gemeinde;
+sondern im Jahre 405 (349) beschloss sogar die latinische
+Bundesversammlung, den Roemern den Zuzug zu verweigern. Allen Anzeichen
+nach stand eine abermalige Schilderhebung der gesamten latinischen
+Bundesgenossenschaft in nicht ferner Zeit bevor; und eben jetzt drohte
+ein Zusammenstoss mit einer anderen italischen Nation, die wohl
+imstande war, der vereinigten Macht des latinischen Stammes ebenbuertig
+zu begegnen. Nach der Niederwerfung der noerdlichen Volsker stand den
+Roemern im Sueden zunaechst kein bedeutender Gegner gegenueber;
+unaufhaltsam naeherten ihre Legionen sich dem Liris. Im Jahre 397 (357)
+ward gluecklich gekaempft mit den Privernaten, 409 (345) Sora am oberen
+Liris besetzt. Schon standen also die roemischen Heere an der Grenze
+der Samniten, und das Freundschaftsbuendnis, das im Jahre 400 (354) die
+beiden tapfersten und maechtigsten italischen Nationen miteinander
+schlossen, war das sichere Vorzeichen des herannahenden und mit der
+Krise innerhalb der latinischen Nation in drohender Weise sich
+verschlingenden Kampfes um die Oberherrschaft Italiens.
+
+Die samnitische Nation, die, als man in Rom die Tarquinier austrieb,
+ohne Zweifel schon seit laengerer Zeit im Besitz des zwischen der
+apulischen und der kampanischen Ebene aufsteigenden und beide
+beherrschenden Huegellandes gewesen war, war bisher auf der einen Seite
+durch die Daunier - Arpis Macht und Bluete faellt in diese Zeit -, auf
+der andern durch die Griechen und Etrusker an weiterem Vordringen
+gehindert worden. Aber der Sturz der etruskischen Macht um das Ende des
+dritten (450), das Sinken der griechischen Kolonien im Laufe des
+vierten Jahrhunderts (450-350) machten gegen Westen und Sueden ihnen
+Luft und ein samnitischer Schwarm nach dem andern zog jetzt bis an, ja
+ueber die sueditalischen Meere. Zuerst erschienen sie in der Ebene am
+Golf, wo der Name der Kampaner seit dem Anfang des vierten Jahrhunderts
+vernommen wird; die Etrusker wurden hier erdrueckt, die Griechen
+beschraenkt, jenen Capua (330 424), diesen Kyme (334 420) entrissen. Um
+dieselbe Zeit, vielleicht schon frueher, zeigen sich in
+Grossgriechenland die Lucaner, die im Anfang des vierten Jahrhunderts
+mit Terinaeern und Thurinern im Kampf liegen und geraume Zeit vor 364
+(390) in dem griechischen Laos sich festsetzten. Um diese Zeit betrug
+ihr Aufgebot 30000 Mann zu Fuss und 4000 Reiter. Gegen das Ende des
+vierten Jahrhunderts ist zuerst die Rede von der gesonderten
+Eidgenossenschaft der Brettier ^14, die, ungleich den andern
+sabellischen Staemmen, nicht als Kolonie, sondern im Kampf von den
+Lucanern sich losgemacht und mit vielen fremdartigen Elementen sich
+gemischt hatten. Wohl suchten die unteritalischen Griechen sich des
+Andranges der Barbaren zu erwehren; der Achaeische Staedtebund ward 361
+(393) rekonstituiert und festgesetzt, dass, wenn eine der verbuendeten
+Staedte von Lucanern angegriffen werde, alle Zuzug leisten und die
+Fuehrer der ausbleibenden Heerhaufen Todesstrafe leiden sollten. Aber
+selbst die Einigung Grossgriechenlands half nicht mehr, da der Herr von
+Syrakus, der aeltere Dionysios, mit den Italikern gegen seine
+Landsleute gemeinschaftliche Sache machte. Waehrend Dionysios den
+grossgriechischen Flotten die Herrschaft ueber die italischen Meere
+entriss, ward von den Italikern eine Griechenstadt nach der andern
+besetzt oder vernichtet; in unglaublich kurzer Zeit war der bluehende
+Staedtering zerstoert oder veroedet. Nur wenigen griechischen Orten,
+wie zum Beispiel Neapel, gelang es muehsam und mehr durch Vertraege als
+durch Waffengewalt, wenigstens ihr Dasein und ihre Nationalitaet zu
+bewahren; durchaus unabhaengig und maechtig blieb allein Tarent, das
+durch seine entferntere Lage und durch seine in steten Kaempfen mit den
+Messapiern unterhaltene Schlagfertigkeit sich aufrecht hielt,
+wenngleich auch diese Stadt bestaendig mit den Lucanern um ihre
+Existenz zu fechten hatte und genoetigt war, in oder griechischen
+Heimat Buendnisse und Soeldner zu suchen.
+
+———————————————————————
+
+^14 Der Name selbst ist uralt, ja der aelteste einheimische Name der
+Bewohner des heutigen Kalabrien (Antiochos fr. 5 Mueller). Die bekannte
+Ableitung ist ohne Zweifel erfunden.
+
+———————————————————————-
+
+Um die Zeit, wo Veii und die pomptinische Ebene roemisch wurden, hatten
+die samnitischen Scharen bereits ganz Unteritalien inne mit Ausnahme
+weniger und unter sich nicht zusammenhaengender griechischer
+Pflanzstaedte und der apulisch-messapischen Kueste. Die um 418 (336)
+abgefasste griechische Kuestenbeschreibung setzt die eigentlichen
+Samniten mit ihren “fuenf Zungen” von einem Meer zum andern an und am
+Tyrrhenischen neben sie in noerdlicher Richtung die Kampaner, in
+suedlicher die Lucaner, unter denen hier wie oefter die Brettier
+mitbegriffen sind und denen bereits die ganze Kueste von Paestum am
+Tyrrhenischen bis nach Thurii am Ionischen Meer zugeteilt wird. In der
+Tat, wer miteinander vergleicht, was die beiden grossen Nationen
+Italiens, die latinische und die samnitische, errungen hatten, bevor
+sie sich beruehrten, dem erscheint die Eroberungsbahn der letzteren bei
+weitem ausgedehnter und glaenzender als die der Roemer. Aber der
+Charakter der Eroberungen war ein wesentlich verschiedener. Von dem
+festen staedtischen Mittelpunkt aus, den Latium im Rom besass, dehnt
+die Herrschaft dieses Stammes langsam nach allen Seiten sich aus, zwar
+in verhaeltnismaessig engen Grenzen, aber festen Fuss fassend, wo sie
+hintritt, teils durch Gruendung von befestigten Staedten roemischer Art
+mit abhaengigem Bundesrecht, teils durch Romanisierung des eroberten
+Gebiets. Anders in Samnium. Es gibt hier keine einzelne fuehrende
+Gemeinde und darum auch keine Eroberungspolitik. Waehrend die Eroberung
+des veientischen und pomptinischen Gebietes fuer Rom eine wirkliche
+Machterweiterung war, wurde Samnium durch die Entstehung der
+kampanischen Staedte, der lucanischen, der brettischen
+Eidgenossenschaft eher geschwaecht als gestaerkt; denn jeder Schwarm,
+der neue Sitze gesucht und gefunden hatte, ging fortan fuer sich seine
+Wege. Die samnitischen Scharen erfuellen einen unverhaeltnismaessig
+weiten Raum, den sie ganz sich eigen zu machen keineswegs bedacht sind;
+die groesseren Griechenstaedte, Tarent, Thurii, Kroton, Metapont,
+Herakleia, Rhegion, Neapel, wenngleich geschwaecht und oefters
+abhaengig, bestehen fort, ja selbst auf dem platten Lande und in den
+kleineren Staedten werden die Hellenen geduldet, und Kyme zum Beispiel,
+Poseidonia, Laos, Hipponion blieben, wie die erwaehnte
+Kuestenbeschreibung und die Muenzen lehren, auch unter samnitischer
+Herrschaft noch Griechenstaedte. So entstanden gemischte
+Bevoelkerungen, wie denn namentlich die zwiesprachigen Brettier ausser
+samnitischen auch hellenische Elemente und selbst wohl Ueberreste der
+alten Autochthonen in sich aufnahmen; aber auch in Lucanien und
+Kampanien muessen in minderem Grade aehnliche Mischungen stattgefunden
+haben. Dem gefaehrlichen Zauber der hellenischen Kultur konnte auch die
+samnitische Nation sich nicht entziehen, am wenigsten in Kampanien, wo
+Neapel frueh mit den Einwanderern sich auf freundlichen Verkehr stellte
+und wo der Himmel selbst die Barbaren humanisierte. Nola, Nuceria,
+Teanum, obwohl rein samnitischer Bevoelkerung, nahmen griechische Weise
+und griechische Stadtverfassung an, wie denn auch die heimische
+Gauverfassung unter den veraenderten Verhaeltnissen unmoeglich
+fortbestehen konnte. Die kampanischen Samnitenstaedte begannen Muenzen
+zu schlagen, zum Teil mit griechischer Aufschrift; Capua ward durch
+Handel und Ackerbau der Groesse nach die zweite Stadt Italiens, die
+erste an Ueppigkeit und Reichtum. Die tiefe Entsittlichung, worin den
+Berichten der Alten zufolge diese Stadt es allen uebrigen italischen
+zuvorgetan hat, spiegelt sich namentlich in dem Werbewesen und in den
+Fechterspielen, die beide vor allem in Capua zur Bluete gelangt sind.
+Nirgends fanden die Werber so zahlreichen Zulauf wie in dieser
+Metropole der entsittlichten Zivilisation; waehrend Capua selbst sich
+vor den Angriffen der nachdraengenden Samniten nicht zu bergen wusste,
+stroemte die streitbare kampanische Jugend unter selbstgewaehlten
+Condottieren massenweise namentlich nach Sizilien. Wie tief diese
+Landknechtfahrten in die Geschicke Italiens eingriffen, wird spaeter
+noch darzustellen sein; fuer die kampanische Weise sind sie ebenso
+bezeichnend wie die Fechterspiele, die gleichfalls in Capua zwar nicht
+ihre Entstehung, aber ihre Ausbildung empfingen. Hier traten sogar
+waehrend des Gastmahls Fechterpaare auf und ward deren Zahl je nach dem
+Rang der geladenen Gaeste abgemessen. Diese Entartung der bedeutendsten
+samnitischen Stadt, die wohl ohne Zweifel auch mit dem hier noch
+nachwirkenden etruskischen Wesen eng zusammenhaengt, musste fuer die
+ganze Nation verhaengnisvoll werden; wenn auch der kampanische Adel es
+verstand, mit dem tiefsten Sittenverfall ritterliche Tapferkeit und
+hohe Geistesbildung zu verbinden, so konnte er doch fuer seine Nation
+nimmermehr werden, was die roemische Nobilitaet fuer die latinische
+war. Aehnlich wie auf die Kampaner, wenn auch in minderer Staerke,
+wirkte der hellenische Einfluss auf die Lucaner und Brettier. Die
+Graeberfunde in all diesen Gegenden beweisen, wie die griechische Kunst
+daselbst mit barbarischem Luxus gepflegt ward; der reiche Gold- und
+Bernsteinschmuck, das prachtvolle gemalte Geschirr, wie wir sie jetzt
+den Haeusern der Toten entheben, lassen ahnen, wie weit man hier schon
+sich entfernt hatte von der alten Sitte der Vaeter. Andere Spuren
+bewahrt die Schrift; die altnationale aus dem Norden mitgebrachte ward
+von den Lucanern und Brettiern aufgegeben und mit der griechischen
+vertauscht, waehrend in Kampanien das nationale Alphabet und wohl auch
+die Sprache unter dem bildenden Einfluss der griechischen sich
+selbstaendig entwickelte zu groesserer Klarheit und Feinheit. Es
+begegnen sogar einzelne Spuren des Einflusses griechischer Philosophie.
+
+Nur das eigentliche Samnitenland blieb unberuehrt von diesen
+Neuerungen, die, so schoen und natuerlich sie teilweise sein mochten,
+doch maechtig dazu beitrugen, das von Haus aus schon lose Band der
+nationalen Einheit immer mehr zu lockern. Durch den Einfluss des
+hellenischen Wesens kam ein tiefer Riss in den samnitischen Stamm. Die
+gesitteten “Philhellenen” Kampaniens gewoehnten sich, gleich den
+Hellenen selbst, vor den rauheren Staemmen der Berge zu zittern, die
+ihrerseits nicht aufhoerten, in Kampanien einzudringen und die
+entarteten aelteren Ansiedler zu beunruhigen. Rom war ein geschlossener
+Staat, der ueber die Kraft von ganz Latium verfuegte; die Untertanen
+mochten murren, aber sie gehorchten. Der samnitische Stamm war
+zerfahren und zersplittert, und die Eidgenossenschaft im eigentlichen
+Samnium hatte sich zwar die Sitten und die Tapferkeit der Vaeter
+ungeschmaelert bewahrt, war aber auch darueber mit den uebrigen
+samnitischen Voelker- und Buergerschaften voellig zerfallen.
+
+In der Tat war es dieser Zwist zwischen den Samniten der Ebene und den
+Samniten der Gebirge, der die Roemer ueber den Liris fuehrte. Die
+Sidiciner in Teanum, die Kampaner in Capua suchten gegen die eigenen
+Landsleute, die mit immer neuen Schwaermen ihr Gebiet brandschatzten
+und darin sich festzusetzen drohten, Hilfe bei den Roemern (411 343).
+Als das begehrte Buendnis verweigert ward, bot die kampanische
+Gesandtschaft die Unterwerfung der Stadt unter die Oberherrlichkeit
+Roms an, und solcher Lockung vermochten die Roemer nicht zu
+widerstehen. Roemische Gesandte gingen zu den Samniten, ihnen den neuen
+Erwerb anzuzeigen und sie aufzufordern, das Gebiet der befreundeten
+Macht zu respektieren. Wie die Ereignisse weiter verliefen, ist im
+einzelnen nicht mehr zu ermitteln ^15; wir sehen nur, dass zwischen Rom
+und Samnium, sei es nach einem Feldzug, sei es ohne vorhergehenden
+Krieg, ein Abkommen zustande kam, wodurch die Roemer freie Hand
+erhielten gegen Capua, die Samniten gegen Teanum und die Volsker am
+oberen Liris. Dass die Samniten sich dazu verstanden, erklaert sich aus
+den gewaltigen Anstrengungen, die eben um diese Zeit die Tarentiner
+machten, sich der sabellischen Nachbarn zu entledigen; aber auch die
+Roemer hatten guten Grund, sich mit den Samniten so schnell wie
+moeglich abzufinden, denn der bevorstehende Uebergang der suedlich an
+Latium angrenzenden Landschaft in roemischen Besitz verwandelte die
+laengst unter den Latinern bestehende Gaerung in offene Empoerung. Alle
+urspruenglich latinischen Staedte, selbst die in den roemischen
+Buergerverband aufgenommenen Tusculaner ergriffen die Waffen gegen Rom,
+mit einziger Ausnahme der Laurenter, waehrend dagegen von den
+ausserhalb der Grenzen Latiums gegruendeten Kolonien nur die alten
+Volskerstaedte Velitrae, Antium und Tarracina sich an der Auflehnung
+beteiligten. Dass die Capuaner, ungeachtet der eben erst freiwillig den
+Roemern angetragenen Unterwerfung, dennoch die erste Gelegenheit, der
+roemischen Herrschaft wieder ledig zu werden, bereitwillig ergriffen
+und, trotz des Widerstandes der an dem Vertrag mit Rom festhaltenden
+Optimatenpartei, die Gemeinde gemeinschaftliche Sache mit der
+latinischen Eidgenossenschaft machte, ist erklaerlich; wogegen die noch
+selbstaendigen Volskerstaedte, wie Fundi und Formiae, und die Herniker
+sich gleich der kampanischen Aristokratie an diesem Aufstande nicht
+beteiligten. Die Lage der Roemer war bedenklich; die Legionen, die
+ueber den Liris gegangen waren und Kampanien besetzt hatten, waren
+durch den Aufstand der Latiner von der Heimat abgeschnitten und nur ein
+Sieg konnte sie retten. Bei Trifanum (zwischen Minturnae, Suessa und
+Sinuessa) ward die entscheidende Schlacht geliefert (414 340): der
+Konsul Titus Manlius Imperiosus Torquatus erfocht ueber die vereinigten
+Latiner und Kampaner einen vollstaendigen Sieg. In den beiden folgenden
+Jahren wurden die einzelnen Staedte, soweit sie noch Widerstand
+leisteten, durch Kapitulation oder Sturm bezwungen und die ganze
+Landschaft zur Unterwerfung gebracht.
+
+—————————————————————————-
+
+^15 Vielleicht kein Abschnitt der roemischen Annalen ist aerger
+entstellt als die Erzaehlung des ersten samnitisch-latinischen Krieges,
+wie sie bei Livius, Dionysios, Appian steht oder stand. Sie lautet etwa
+folgendermassen. Nachdem 411 (343) beide Konsuln in Kampanien
+eingerueckt waren, erfocht zuerst der Konsul Marcus Valerius Corvus am
+Berge Gaurus ueber die Samniten einen schweren und blutigen Sieg;
+alsdann auch der Kollege Aulus Cornelius Cossus, nachdem er der
+Vernichtung in einem Engpass durch Hingebung einer von dem Kriegstribun
+Publius Decius gefuehrten Abteilung entgangen war. Die dritte und
+entscheidende Schlacht ward am Eingang der Caudinischen Paesse bei
+Suessula von den beiden Konsuln geschlagen; die Samniten wurden
+vollstaendig ueberwunden - man las vierzigtausend ihrer Schilde auf dem
+Schlachtfelde auf - und zum Frieden genoetigt, in welchem die Roemer
+Capua, das sich ihnen zu eigen gegeben, behielten, Teanum dagegen den
+Samniten ueberliessen (413 341). Glueckwuensche kamen von allen Seiten,
+selbst von Karthago. Die Latiner, die den Zuzug verweigert hatten und
+gegen Rom zu ruesten schienen, wandten ihre Waffen statt gegen Rom
+vielmehr gegen die Paeligner, waehrend die Roemer zunaechst durch eine
+Militaerverschwoerung der in Kampanien zurueckgelassenen Besatzung (412
+342), dann durch die Einnahme von Privernum (413 341) und den Krieg
+gegen die Antiaten beschaeftigt waren. Nun aber wechseln ploetzlich und
+seltsam die Parteiverhaeltnisse. Die Latiner, die umsonst das roemische
+Buergerrecht und Anteil am Konsulat gefordert hatten, erhoben sich
+gegen Rom in Gemeinschaft mit den Sidicinern, die vergeblich den
+Roemern die Unterwerfung angetragen hatten und vor den Samniten sich
+nicht zu retten wussten, und mit den Kampanern, die der roemischen
+Herrschaft bereits muede waren. Nur die Laurenter in Latium und die
+kampanischen Ritter hielten zu den Roemern, welche ihrerseits
+Unterstuetzung fanden bei den Paelignern und den Samniten. Das
+latinische Heer ueberfiel Samnium; das roemisch-samnitische schlug,
+nachdem es an den Fuciner See und von da an Latium vorueber in
+Kampanien einmarschiert war, die Entscheidungsschlacht gegen die
+vereinigten Latiner und Kampaner am Vesuv, welche der Konsul Titus
+Manlius Imperiosus, nachdem er selbst durch die Hinrichtung seines
+eigenen, gegen den Lagerbefehl siegenden Sohnes die schwankende
+Heereszucht wiederhergestellt und sein Kollege Publius Decius Mus die
+Goetter versoehnt hatte durch seinen Opfertod, endlich mit Aufbietung
+der letzten Reserve gewann. Aber erst eine zweite Schlacht, die der
+Konsul Manlius den Latinern und Kampanern bei Trifanum lieferte, machte
+dem Krieg ein Ende; Latium und Capua unterwarfen sich und wurden um
+einen Teil ihres Gebietes gestraft.
+
+Einsichtigen und ehrlichen Lesern wird es nicht entgehen, dass dieser
+Bericht von Unmoeglichkeiten aller Art wimmelt. Dahin gehoert das
+Kriegfuehren der Antiaten nach der Dedition von 377 (377) (Liv. 6, 33);
+der selbstaendige Feldzug der Latiner gegen die Paeligner im
+schneidenden Widerspruch zu den Bestimmungen der Vertraege zwischen Rom
+und Latium; der unerhoerte Marsch des roemischen Heeres durch das
+marsische und samnitische Gebiet nach Capua, waehrend ganz Latium gegen
+Rom in Waffen stand; um nicht zu reden von dem ebenso verwirrten wie
+sentimentalen Bericht ueber den Militaeraufstand von 412 (342) und den
+Geschichtchen von dem gezwungenen Anfuehrer desselben, dem lahmen Titus
+Quinctius, dem roemischen Goetz von Berlichingen. Vielleicht noch
+bedenklicher sind die Wiederholungen; so ist die Erzaehlung von dem
+Kriegstribun Publius Decius nachgebildet der mutigen Tat des Marcus
+Calpurnius Flamma, oder wie er sonst hiess, im Ersten Punischen Kriege;
+so kehrt die Eroberung Privernums durch Gaius Plautius wieder im Jahre
+425 (329), und nur diese zweite ist in den Triumphalfasten verzeichnet;
+so der Opfertod des Publius Decius bekanntlich bei dem Sohne desselben
+459 (295). Ueberhaupt verraet in diesem Abschnitt die ganze Darstellung
+eine andere Zeit und eine andere Hand als die sonstigen
+glaubwuerdigeren annalistischen Berichte; die Erzaehlung ist voll von
+ausgefuehrten Schlachtgemaelden; von eingewebten Anekdoten, wie zum
+Beispiel der von dem setinischen Praetor, der auf den Stufen des
+Rathauses den Hals bricht, weil er dreist genug gewesen war, das
+Konsulat zu begehren, und den mannigfaltigen aus dem Beinamen des Titus
+Manlius herausgesponnenen; von ausfuehrlichen und zum Teil bedenklichen
+archaeologischen Digressionen, wohin zum Beispiel die Geschichte der
+Legion (von der die hoechst wahrscheinlich apokryphe Notiz ueber die
+aus Roemern und Latinern gemischten Manipel des zweiten Tarquinius bei
+Liv. 1, 52 offenbar ein zweites Bruchstueck ist), die verkehrte
+Auffassung des Vertrages zwischen Capua und Rom (meine Geschichte des
+roemischen Muenzwesens. Breslau 1860, S. 334, A. 122), die
+Devotionsformulare, der kampanische Denar, das laurentische Buendnis,
+die bina iugera bei der Assignation gehoeren. Unter solchen Umstaenden
+erscheint es von grossem Gewicht, dass Diodoros, der anderen und oft
+aelteren Berichten folgt, von all diesen Ereignissen schlechterdings
+nichts kennt als die letzte Schlacht bei Trifanum; welche auch in der
+Tat schlecht passt zu der uebrigen Erzaehlung, die nach poetischer
+Gerechtigkeit schliessen sollte mit dem Tode des Decius.
+
+——————————————————————-
+
+Die Folge des Sieges war die Aufloesung des latinischen Bundes.
+Derselbe wurde aus einer selbstaendigen politischen Konfoederation in
+eine bloss religioese Festgenossenschaft umgewandelt; die
+altverbrieften Rechte der Eidgenossenschaft auf ein Maximum der
+Truppenaushebung und einen Anteil an dem Kriegsgewinn gingen damit als
+solche zu Grunde, und was derart spaeter noch vorkam, traegt den
+Charakter der Gnadenbewilligung. An die Stelle des einen Vertrages
+zwischen Rom einer- und der latinischen Eidgenossenschaft anderseits
+traten im besten Fall ewige Buendnisse zwischen Rom und den einzelnen
+eidgenoessischen Orten. Zu diesem Vertragsverhaeltnis wurden von den
+altlatinischen Orten ausser Laurentum auch Tibur und Praeneste
+zugelassen, welche indes Stuecke ihres Gebiets an Rom abtreten mussten.
+Gleiches Recht erhielten die ausserhalb Latium gegruendeten Gemeinden
+latinischen Rechts, soweit sie sich nicht an dem Kriege beteiligt
+hatten. Die Isolierung der Gemeinden gegeneinander, welche fuer die
+nach dem Jahre 370 (384) gegruendeten Orte bereits frueher festgestellt
+worden war, ward also auf die gesamte Nation erstreckt. Im uebrigen
+blieben den einzelnen Orten die bisherigen Gerechtsame und ihre
+Autonomie. Die uebrigen altlatinischen Gemeinden sowie die abgefallenen
+Kolonien verloren saemtlich die Selbstaendigkeit und traten in einer
+oder der anderen Form in den roemischen Buergerverband ein. Die beiden
+wichtigsten Kuestenstaedte Antium (416 338) und Tarracina (425 329)
+wurden, nach dem Muster von Ostia, mit roemischen Vollbuergern besetzt
+und auf eine engbegrenzte kommunale Selbstaendigkeit beschraenkt, die
+bisherigen Buerger zu Gunsten der roemischen Kolonisten ihres
+Grundeigentums grossenteils beraubt und, soweit sie es behielten,
+ebenfalls in den Vollbuergerverband aufgenommen. Lanuvium, Aricia,
+Nomentum, Pedum wurden roemische Buergergemeinden mit beschraenkter
+Selbstverwaltung nach dem Muster von Tusculum (l, 360). Velitraes
+Mauern wurden niedergerissen, der Senat in Masse ausgewiesen und im
+roemischen Etrurien interniert, die Stadt wahrscheinlich als
+untertaenige Gemeinde nach caeritischem Recht konstituiert. Von dem
+gewonnenen Acker wurde ein Teil, zum Beispiel die Laendereien der
+veliternischen Ratsmitglieder, an roemische Buerger verteilt; mit
+diesen Einzelassignationen haengt die Errichtung zweier neuer
+Buergerbezirke im Jahre 422 (332) zusammen. Wie tief man in Rom die
+ungeheure Bedeutung des gewonnenen Erfolges empfand, zeigt die
+Ehrensaeule, die man dem siegreichen Buergermeister des Jahres 416
+(338), Gaius Maenius, auf dem roemischen Markte errichtete, und die
+Schmueckung der Rednertribuene auf demselben mit den Schnaebeln der
+unbrauchbar befundenen antiatischen Galeeren.
+
+In gleicher Weise ward in dem suedlichen volskischen und dem
+kampanischen Gebiet die roemische Herrschaft durchgefuehrt und
+befestigt. Fundi, Formiae, Capua, Kyme und eine Anzahl kleinerer
+Staedte wurden abhaengige roemische Gemeinden mit Selbstverwaltung; um
+das vor allem wichtige Capua zu sichern, erweiterte man kuenstlich die
+Spaltung zwischen Adel und Gemeinde, revidierte die Gemeindeverfassung
+im roemischen Interesse und kontrollierte die staedtische Verwaltung
+durch jaehrlich nach Kampanien gesandte roemische Beamte. Dieselbe
+Behandlung widerfuhr einige Jahre darauf dem volskischen Privernum,
+dessen Buerger, unterstuetzt von dem kuehnen fundanischen Parteigaenger
+Vitruvius Vaccus, die Ehre hatten, fuer die Freiheit dieser Landschaft
+den letzten Kampf zu kaempfen - er endigte mit der Erstuermung der
+Stadt (425 329) und der Hinrichtung des Vaccus im roemischen Kerker. Um
+eine eigene roemische Bevoelkerung in diesen Gegenden emporzubringen,
+teilte man von den im Krieg gewonnenen Laendereien, namentlich im
+privernatischen und im falernischen Gebiet, so zahlreiche Ackerlose an
+roemische Buerger aus, dass wenige Jahre nachher (436 318) auch dort
+zwei neue Buergerbezirke errichtet werden konnten. Die Anlegung zweier
+Festungen als Kolonien latinischen Rechts sicherte schliesslich das neu
+gewonnene Land. Es waren dies Cales (420 334) mitten in der
+kampanischen Ebene, von wo aus Teanum und Capua beobachtet werden
+konnten, und Fregellae (426 328), das den Uebergang ueber den Liris
+beherrschte. Beide Kolonien waren ungewoehnlich stark und gelangten
+schnell zur Bluete, trotz der Hindernisse, welche die Sidiciner der
+Gruendung von Cales, die Samniten der von Fregellae in den Weg legten.
+Auch nach Sora ward eine roemische Besatzung verlegt, worueber die
+Samniten, denen dieser Bezirk vertragsmaessig ueberlassen worden war,
+sich mit Grund, aber vergeblich beschwerten. Ungeirrt ging Rom seinem
+Ziel entgegen, seine energische und grossartige Staatskunst mehr als
+auf dem Schlachtfelde offenbarend in der Sicherung der gewonnenen
+Landschaft, die es politisch und militaerisch mit einem unzerreissbaren
+Netze umflocht.
+
+Dass die Samniten das bedrohliche Vorschreiten der Roemer nicht gern
+sahen, versteht sich; sie warfen ihnen auch wohl Hindernisse in den
+Weg, aber versaeumten es doch jetzt, wo es vielleicht noch Zeit war,
+mit der von den Umstaenden geforderten Energie ihnen die neue
+Eroberungsbahn zu verlegen. Zwar Teanum scheinen sie nach dem Vertrag
+mit Rom eingenommen und stark besetzt zu haben; denn waehrend die Stadt
+frueher Hilfe gegen Samnium in Capua und Rom nachsucht, erscheint sie
+in den spaeteren Kaempfen als die Vormauer der samnitischen Macht gegen
+Westen. Aber am oberen Liris breiteten sie wohl erobernd und
+zerstoerend sich aus, versaeumten es aber, hier auf die Dauer sich
+festzusetzen. So zerstoerten sie die Volskerstadt Fregellae, wodurch
+nur die Anlage der eben erwaehnten roemischen Kolonie daselbst
+erleichtert ward, und schreckten zwei andere Volskerstaedte, Fabrateria
+(Ceccano) und Luca (unbekannter Lage), so, dass dieselben, Capuas
+Beispiel folgend, sich (424 330) den Roemern zu eigen gaben. Die
+samnitische Eidgenossenschaft gestattete, dass die roemische Eroberung
+Kampaniens eine vollendete Tatsache geworden war, bevor sie sich
+ernstlich derselben widersetzte; wovon der Grund allerdings zum Teil in
+den gleichzeitigen Fehden der samnitischen Nation mit den italischen
+Hellenen, aber zum Teil doch auch in der schlaffen und zerfahrenen
+Politik der Eidgenossenschaft zu suchen ist.
+
+
+
+
+KAPITEL VI.
+Die Italiker gegen Rom
+
+
+Waehrend die Roemer am Liris und Volturnus fochten, bewegten den
+Suedosten der Halbinsel andere Kaempfe. Die reiche tarentinische
+Kaufmannsrepublik, immer ernstlicher bedroht von den lucanischen und
+messapischen Haufen und ihren eigenen Schwertern mit Recht misstrauend,
+gewann fuer gute Worte und besseres Geld die Bandenfuehrer der Heimat.
+Der Spartanerkoenig Archidamos, der mit einem starken Haufen den
+Stammgenossen zu Hilfe gekommen war, erlag an demselben Tage, wo
+Philipp bei Chaeroneia siegte, den Lucanern (416 338); wie die frommen
+Griechen meinten, zur Strafe dafuer, dass er und seine Leute neunzehn
+Jahre frueher teilgenommen hatten an der Pluenderung des delphischen
+Heiligtums. Seinen Platz nahm ein maechtigerer Feldhauptmann ein,
+Alexander der Molosser, Bruder der Olympias, der Mutter Alexanders des
+Grossen. Mit den mitgebrachten Scharen vereinigte er unter seinen
+Fahnen die Zuzuege der Griechenstaedte, namentlich der Tarentiner und
+Metapontiner; ferner die Poediculer (um Rubi, jetzt Ruvo), die gleich
+den Griechen sich von der sabellischen Nation bedroht sahen; endlich
+sogar die lucanischen Verbannten selbst, deren betraechtliche Zahl auf
+heftige innere Unruhen in dieser Eidgenossenschaft schliessen laesst.
+So sah er sich bald dem Feinde ueberlegen. Consentia (Cosenza), der
+Bundessitz, wie es scheint, der in Grossgriechenland angesiedelten
+Sabeller, fiel in seine Haende. Umsonst kommen die Samniten den
+Lucanern zu Hilfe; Alexander schlaegt ihre vereinigte Streitmacht bei
+Paestum, er bezwingt die Daunier um Sipontum, die Messapier auf der
+suedoestlichen Halbinsel; schon gebietet er von Meer zu Meer und ist im
+Begriff, den Roemern die Hand zu reichen und mit ihnen gemeinschaftlich
+die Samniten in ihren Stammsitzen anzugreifen. Aber so unerwartete
+Erfolge waren den Tarentiner Kaufleuten unerwuenscht und erschreckend;
+es kam zum Kriege zwischen ihnen und ihrem Feldhauptmann, der als
+gedungener Soeldner erschienen war und nun sich anliess, als wolle er
+im Westen ein hellenisches Reich begruenden gleichwie sein Neffe im
+Osten. Alexander war anfangs im Vorteil: er entriss den Tarentinern
+Herakleia, stellte Thurii wieder her und scheint die uebrigen
+italischen Griechen aufgerufen zu haben, sich unter seinem Schutz gegen
+die Tarentiner zu vereinigen, indem er zugleich es versuchte, zwischen
+ihnen und den sabellischen Voelkerschaften den Frieden zu vermitteln.
+Allein seine grossartigen Entwuerfe fanden nur schwache Unterstuetzung
+bei den entarteten und entmutigten Griechen und der notgedrungene
+Parteiwechsel entfremdete ihm seinen bisherigen lucanischen Anhang; bei
+Pandosia fiel er von der Hand eines lucanischen Emigrierten (422 332)
+^1. Mit seinem Tode kehrten im wesentlichen die alten Zustaende wieder
+zurueck. Die griechischen Staedte sahen sich wiederum vereinzelt und
+wiederum lediglich darauf angewiesen, sich jede, so gut es gehen
+mochte, zu schuetzen durch Vertrag oder Tributzahlung oder auch durch
+auswaertige Hilfe, wie zum Beispiel Kroton um 430 (324) mit Hilfe von
+Syrakus die Brettier zurueckschlug. Die samnitischen Staemme erhielten
+aufs neue das Uebergewicht und konnten, unbekuemmert um die Griechen,
+wieder ihre Blicke nach Kampanien und Latium wenden.
+
+———————————————————————
+
+^1 Es wird nicht ueberfluessig sein, daran zu erinnern, dass, was ueber
+Archidamos und Alexander bekannt ist, aus griechischen Jahrbuechern
+herruehrt und der Synchronismus dieser und der roemischen fuer die
+gegenwaertige Epoche noch bloss approximativ festgestellt ist. Man
+huete sich daher, den im allgemeinen unverkennbaren Zusammenhang der
+west- und der ostitalischen Ereignisse zu sehr ins einzelne verfolgen
+zu wollen.
+
+———————————————————————
+
+Hier aber war in der kurzen Zwischenzeit ein ungeheurer Umschwung
+eingetreten. Die latinische Eidgenossenschaft war gesprengt und
+zertruemmert, der letzte Widerstand der Volsker gebrochen, die
+kampanische Landschaft, die reichste und schoenste der Halbinsel, im
+unbestrittenen und wohlbefestigten Besitz der Roemer, die zweite Stadt
+Italiens in roemischer Klientel. Waehrend die Griechen und Samniten
+miteinander rangen, hatte Rom fast unbestritten sich zu einer
+Machtstellung emporgeschwungen, die zu erschuettern kein einzelnes Volk
+der Halbinsel die Mittel mehr besass und die alle zugleich mit
+roemischer Unterjochung bedrohte. Eine gemeinsame Anstrengung der jedes
+fuer sich Rom nicht gewachsenen Voelker konnte vielleicht die Ketten
+noch sprengen, ehe sie voellig sich befestigten; aber die Klarheit, der
+Mut, die Hingebung, wie eine solche Koalition unzaehliger, bisher
+grossenteils feindlich oder doch fremd sich gegenueberstehender Volks-
+und Stadtgemeinden sie erforderte, fanden sich nicht oder doch erst,
+als es bereits zu spaet war.
+
+Nach dem Sturz der etruskischen Macht, nach der Schwaechung der
+griechischen Republiken war naechst Rom unzweifelhaft die bedeutendste
+Macht in Italien die samnitische Eidgenossenschaft und zugleich
+diejenige, die von den roemischen Uebergriffen am naechsten und
+unmittelbarsten bedroht war. Ihr also kam es zu, in dem Kampf um die
+Freiheit und die Nationalitaet, den die Italiker gegen Rom zu fuehren
+hatten, die erste Stelle und die schwerste Last zu uebernehmen. Sie
+durfte rechnen auf den Beistand der kleinen sabellischen
+Voelkerschaften, der Vestiner, Frentaner, Marruciner und anderer
+kleinerer Gaue, die in baeuerlicher Abgeschiedenheit zwischen ihren
+Bergen wohnten, aber nicht taub waren, wenn der Aufruf eines verwandten
+Stammes sie mahnte, zur Verteidigung der gemeinsamen Gueter die Waffen
+zu ergreifen. Wichtiger waere der Beistand der kampanischen und
+grossgriechischen Hellenen, namentlich der Tarentiner, und der
+maechtigen Lucaner und Brettier gewesen; allein teils die Schlaffheit
+und Fahrigkeit der in Tarent herrschenden Demagogen und die Verwicklung
+der Stadt in die sizilischen Angelegenheiten, teils die innere
+Zerrissenheit der lucanischen Eidgenossenschaft, teils und vor allem
+die seit Jahrhunderten bestehende tiefe Verfehdung der unteritalischen
+Hellenen mit ihren lucanischen Bedraengern liessen kaum hoffen, dass
+Tarent und Lucanien gemeinschaftlich sich den Samniten anschliessen
+wuerden. Von den Sabinern und den Marsern als den naechsten und seit
+langem in friedlichem Verhaeltnis mit Rom lebenden Nachbarn der Roemer
+war wenig mehr zu erwarten als schlaffe Teilnahme oder Neutralitaet;
+die Apuler, die alten und erbitterten Gegner der Sabeller, waren die
+natuerlichen Verbuendeten der Roemer. Dass dagegen die fernen Etrusker,
+wenn ein erster Erfolg errungen war, dem Bunde sich anschliessen
+wuerden, liess sich erwarten, und selbst ein Aufstand in Latium und dem
+Volsker- und Hernikerland lag nicht ausser der Berechnung. Vor allen
+Dingen aber mussten die Samniten, die italischen Aetoler, in denen die
+nationale Kraft noch ungebrochen lebte, vertrauen auf die eigene Kraft,
+auf die Ausdauer im ungleichen Kampf, welche den uebrigen Voelkern Zeit
+gab zu edler Scham, zu gefasster Ueberlegung, zum Sammeln der Kraefte;
+ein einziger gluecklicher Erfolg konnte alsdann die Kriegs- und
+Aufruhrsflammen rings um Rom entzuenden. Die Geschichte darf dem edlen
+Volke das Zeugnis nicht versagen, dass es seine Pflicht begriffen und
+getan hat.
+
+Mehrere Jahre schon waehrte der Hader zwischen Rom und Samnium infolge
+der bestaendigen Uebergriffe, die die Roemer sich am Liris erlaubten
+und unter denen die Gruendung von Fregellae 426 (328) der letzte und
+wichtigste war. Zum Ausbruch des Kampfes aber gaben die Veranlassung
+die kampanischen Griechen. Seitdem Cumae und Capua roemisch geworden
+waren, lag den Roemern nichts so nahe wie die Unterwerfung der
+Griechenstadt Neapolis, die auch die griechischen Inseln im Golf
+beherrschte, innerhalb des roemischen Machtgebiets die einzige noch
+nicht unterworfene Stadt. Die Tarentiner und Samniten, unterrichtet von
+dem Plane der Roemer, sich der Stadt zu bemaechtigen, beschlossen,
+ihnen zuvorzukommen; und wenn die Tarentiner nicht sowohl zu fern als
+zu schlaff waren, um diesen Plan auszufuehren, so warfen die Samniten
+in der Tat eine starke Besatzung hinein. Sofort erklaerten die Roemer
+dem Namen nach den Neapoliten, in der Tat den Samniten den Krieg (427
+327) und begannen die Belagerung von Neapolis. Nachdem dieselbe eine
+Weile gewaehrt hatte, wurden die kampanischen Griechen des gestoerten
+Handels und der fremden Besatzung muede; und die Roemer, deren ganzes
+Bestreben darauf gerichtet war, von der Koalition, deren Bildung
+bevorstand, die Staaten zweiten und dritten Ranges durch
+Sondervertraege fernzuhalten, beeilten sich, sowie sich die Griechen
+auf Unterhandlungen einliessen, ihnen die guenstigsten Bedingungen zu
+bieten: volle Rechtsgleichheit und Befreiung vom Landdienst, gleiches
+Buendnis und ewigen Frieden. Daraufhin ward, nachdem die Neapoliten
+sich der Besatzung durch List entledigt hatten, der Vertrag
+abgeschlossen (428 326).
+
+Im Anfang dieses Krieges hielten die sabellischen Staedte suedlich vom
+Volturnus, Nola, Nuceria, Herculaneum, Pompeii, es mit Samnium; allein
+teils ihre sehr ausgesetzte Lage, teils die Machinationen der Roemer,
+welche die optimatische Partei in diesen Staedten durch alle Hebel der
+List und des Eigennutzes auf ihre Seite zu ziehen versuchten und dabei
+an Capuas Vorgang einen maechtigen Fuersprecher fanden, bewirkten, dass
+diese Staedte nicht lange nach dem Fall von Neapolis sich entweder fuer
+Rom oder doch neutral erklaerten.
+
+Ein noch wichtigerer Erfolg gelang den Roemern in Lucanien. Das Volk
+war auch hier mit richtigem Instinkt fuer den Anschluss an die
+Samniten; da aber das Buendnis mit den Samniten auch Frieden mit Tarent
+nach sich zog und ein grosser Teil der regierenden Herren Lucaniens
+nicht gemeint war, die eintraeglichen Pluenderzuege einzustellen, so
+gelang es den Roemern, mit Lucanien ein Buendnis abzuschliessen, das
+unschaetzbar war, weil dadurch den Tarentinern zu schaffen gemacht
+wurde und also die ganze Macht Roms gegen Samnium verwendbar blieb.
+
+So stand Samnium nach allen Seiten hin allein; kaum dass einige der
+oestlichen Bergdistrikte ihm Zuzug sandten. Mit dem Jahre 428 (326)
+begann der Krieg im samnitischen Lande selbst; einige Staedte an der
+kampanischen Grenze, Rufrae (zwischen Venafrum und Teanum) und Allifae,
+wurden von den Roemern besetzt. In den folgenden Jahren durchzogen die
+roemischen Heere fechtend und pluendernd Samnium bis in das vestinische
+Gebiet hinein, ja bis nach Apulien, wo man sie mit offenen Armen
+empfing, ueberall im entschiedensten Vorteil. Der Mut der Samniten war
+gebrochen; sie sandten die roemischen Gefangenen zurueck und mit ihnen
+die Leiche des Fuehrers der Kriegspartei, Brutulus Papius, welcher den
+roemischen Henkern zuvorgekommen war, nachdem die samnitische
+Volksgemeinde beschlossen hatte, den Frieden von dem Feinde zu erbitten
+und durch die Auslieferung ihres tapfersten Feldherrn sich leidlichere
+Bedingungen zu erwirken. Aber als die demuetige, fast flehentliche
+Bitte bei der roemischen Volksgemeinde keine Erhoerung fand (432 322),
+ruesteten sich die Samniten unter ihrem neuen Feldherrn Gavius Pontius
+zur aeussersten und verzweifelten Gegenwehr. Das roemische Heer, das
+unter den beiden Konsuln des folgenden Jahres (433 321), Spurius
+Postumius und Titus Veturius, bei Calatia (zwischen Caserta und
+Maddaloni) gelagert war, erhielt die durch die Aussage zahlreicher
+Gefangenen bestaetigte Nachricht, dass die Samniten Luceria eng
+eingeschlossen haetten und die wichtige Stadt, an der der Besitz
+Apuliens hing, in grosser Gefahr schwebe. Eilig brach man auf. Wollte
+man zu rechter Zeit anlangen, so konnte kein anderer Weg eingeschlagen
+werden als mitten durch das feindliche Gebiet, da wo spaeter als
+Fortsetzung der Appischen Strasse die roemische Chaussee von Capua
+ueber Benevent nach Apulien angelegt ward. Dieser Weg fuehrte zwischen
+den heutigen Orten Arpaja und Montesarchio (Caudium) durch einen
+feuchten Wiesengrund, der rings von hohen und steilen Waldhuegeln
+umschlossen und nur durch tiefe Einschnitte beim Ein- und Austritt
+zugaenglich war. Hier hatten die Samniten verdeckt sich aufgestellt.
+Die Roemer, ohne Hindernis in das Tal eingetreten, fanden den Ausweg
+durch Verhaue gesperrt und stark besetzt; zurueckmarschierend
+erblickten sie den Eingang in aehnlicher Weise geschlossen und
+gleichzeitig kroenten die Bergraender rings im Kreise sich mit den
+samnitischen Kohorten. Zu spaet begriffen sie, dass sie sich durch eine
+Kriegslist hatten taeuschen lassen und dass die Samniten nicht bei
+Luceria sie erwarteten, sondern in dem verhaengnisvollen Pass von
+Caudium. Man schlug sich, aber ohne Hoffnung auf Erfolg und ohne
+ernstliches Ziel; das roemische Heer war gaenzlich unfaehig zu
+manoevrieren und ohne Kampf vollstaendig ueberwunden. Die roemischen
+Generale Boten die Kapitulation an. Nur toerichte Rhetorik laesst dem
+samnitischen Feldherrn die Wahl bloss zwischen Entlassung und
+Niedermetzelung der roemischen Armee; er konnte nichts Besseres tun als
+die angebotene Kapitulation annehmen und das feindliche Heer, die
+gesamte augenblicklich aktive Streitmacht der roemischen Gemeinde mit
+beiden hoechstkommandierenden Feldherren, gefangen machen; worauf ihm
+dann der Weg nach Kampanien und Latium offenstand und unter den
+damaligen Verhaeltnissen, wo die Volsker und Herniker und der groesste
+Teil der Latiner ihn mit offenen Armen empfangen haben wuerden, Roms
+politische Existenz ernstlich gefaehrdet war. Allein statt diesen Weg
+einzuschlagen und eine Militaerkonvention zu schliessen, dachte Gavius
+Pontius durch einen billigen Frieden gleich den ganzen Hader beendigen
+zu koennen; sei es, dass er die unverstaendige Friedenssehnsucht der
+Eidgenossen teilte, der das Jahr zuvor Brutulus Papius zum Opfer
+gefallen war, sei es, dass er nicht imstande war, der kriegsmueden
+Partei zu wehren, dass sie den beispiellosen Sieg ihm verdarb. Die
+gestellten Bedingungen waren maessig genug: Rom solle die
+vertragswidrig angelegten Festungen - Cales und Fregellae - schleifen
+und den gleichen Bund mit Samnium erneuern. Nachdem die roemischen
+Feldherren dieselben eingegangen waren und fuer die getreuliche
+Ausfuehrung sechshundert aus der Reiterei erlesene Geiseln gestellt,
+ueberdies ihr und ihrer saemtlichen Stabsoffiziere Eideswort dafuer
+verpfaendet hatten, wurde das roemische Heer entlassen, unverletzt,
+aber entehrt; denn das siegestrunkene samnitische Heer gewann es nicht
+ueber sich, den gehassten Feinden die schimpfliche Form der
+Waffenstreckung und des Abzuges unter dem Galgen durch zu erlassen.
+
+Allein der roemische Senat, unbekuemmert um den Eid der Offiziere und
+um das Schicksal der Geiseln, kassierte den Vertrag und begnuegte sich
+diejenigen, die ihn abgeschlossen hatten, als persoenlich fuer dessen
+Erfuellung verantwortlich dem Feinde auszuliefern. Es kann der
+unparteiischen Geschichte wenig darauf ankommen, ob die roemische
+Advokaten- und Pfaffenkasuistik hierbei den Buchstaben des Rechts
+gewahrt oder der Beschluss des roemischen Senats denselben verletzt
+hat; menschlich und politisch betrachtet trifft die Roemer hier kein
+Tadel. Es ist ziemlich gleichgueltig, ob nach formellem roemischen
+Staatsrecht der kommandierende General befugt oder nicht befugt war,
+ohne vorbehaltene Ratifikation der Buergerschaft Frieden zu schliessen;
+dem Geiste und der Uebung der Verfassung nach stand es vollkommen Fest,
+dass in Rom jeder nicht rein militaerische Staatsvertrag zur Kompetenz
+der buergerlichen Gewalten gehoerte und ein Feldherr, der ohne Auftrag
+von Rat und Buergerschaft Frieden schloss, mehr tat, als er tun durfte.
+Es war ein groesserer Fehler des samnitischen Feldherrn, den roemischen
+die Wahl zu stellen zwischen Rettung ihres Heeres und Ueberschreitung
+ihrer Vollmacht, als der roemischen, dass sie nicht die Seelengroesse
+hatten, die letztere Anmutung unbedingt zurueckzuweisen; und dass der
+roemische Senat einen solchen Vertrag verwarf, war recht und notwendig.
+Kein grosses Volk gibt, was es besitzt, anders hin als unter dem Druck
+der aeussersten Notwendigkeit; alle Abtretungsvertraege sind
+Anerkenntnisse einer solchen, nicht sittliche Verpflichtungen. Wenn
+jede Nation mit Recht ihre Ehre darein setzt, schimpfliche Vertraege
+mit den Waffen zu zerreissen, wie kann ihr dann die Ehre gebieten, an
+einem Vertrage gleich dem Caudinischen, zu dem ein ungluecklicher
+Feldherr moralisch genoetigt worden ist, geduldig festzuhalten, wenn
+die frische Schande brennt und die Kraft ungebrochen dasteht?
+
+So brachte der Friedensvertrag von Caudium nicht die Ruhe, die die
+Friedensenthusiasten in Samnium toerichterweise davon erhofft hatten,
+sondern nur Krieg und wieder Krieg, mit gesteigerter Erbitterung auf
+beiden Seiten durch die verscherzte Gelegenheit, das gebrochene
+feierliche Wort, die geschaendete Waffenehre, die preisgegebenen
+Kameraden. Die ausgelieferten roemischen Offiziere wurden von den
+Samniten nicht angenommen, teils weil sie zu gross dachten, um an
+diesen Ungluecklichen ihre Rache zu ueben, teils weil sie damit den
+Roemern wuerden zugestanden haben, dass das Buendnis nur die
+Schwoerenden verpflichtet habe, nicht den roemischen Staat. Hochherzig
+verschonten sie sogar die Geiseln, deren Leben nach Kriegsrecht
+verwirkt war, und wandten sich vielmehr sogleich zum Waffenkampf.
+Luceria ward von ihnen besetzt, Fregellae ueberfallen und erstuermt
+(434 320), bevor die Roemer die aufgeloeste Armee wieder reorganisiert
+hatten; was man haette erreichen koennen, wenn man den Vorteil nicht
+haette aus den Haenden fahren lassen, zeigt der Uebertritt der
+Satricaner ^2 zu den Samniten. Aber Rom war nur augenblicklich
+gelaehmt, nicht geschwaecht; voll Scham und Erbitterung bot man dort
+auf, was man an Mannschaft und Mitteln vermochte und stellte den
+erprobtesten, als Soldat wie als Feldherr gleich ausgezeichneten
+Fuehrer Lucius Papirius Cursor an die Spitze des neugebildeten Heeres.
+Dasselbe teilte sich; die eine Haelfte zog durch die Sabina und das
+adriatische Litoral vor Luceria, die andere ebendahin durch Samnium
+selbst, indem die letztere das samnitische Heer unter gluecklichen
+Gefechten vor sich her trieb. Man traf wieder zusammen unter den Mauern
+von Luceria, dessen Belagerung um so eifriger betrieben ward, als dort
+die roemischen Reiter gefangen sassen; die Apuler, namentlich die
+Arpaner, leisteten dabei den Roemern wichtigen Beistand, vorzueglich
+durch Beschaffung der Zufuhr. Nachdem die Samniten zum Entsatz der
+Stadt eine Schlacht geliefert und verloren hatten, ergab sich Luceria
+den Roemern (435 319): Papirius genoss die doppelte Freude, die
+verlorengegebenen Kameraden zu befreien und der samnitischen Besatzung
+von Luceria die Galgen von Caudium zu vergelten. In den folgenden
+Jahren (435-437 319-317) ward der Krieg nicht so sehr in Samnium
+gefuehrt ^3 als in den benachbarten Landschaften. Zuerst zuechtigten
+die Roemer die samnitischen Verbuendeten in dem apulischen und
+frentanischen Gebiet und schlossen mit den apulischen Teanensern und
+den Canusinern neue Bundesvertraege ab. Gleichzeitig ward Satricum zur
+Botmaessigkeit zurueckgebracht und schwer fuer seinen Abfall bestraft.
+Alsdann zog der Krieg sich nach Kampanien, wo die Roemer die Grenzstadt
+gegen Samnium Saticula (vielleicht S. Agata de’ Goti) eroberten (438
+316). Jetzt aber schien hier das Kriegsglueck sich wieder gegen sie
+wenden zu wollen. Die Samniten zogen die Nuceriner (438 316) und bald
+darauf die Nolaner auf ihre Seite; am oberen Liris vertrieben die
+Soraner selbst die roemische Besatzung (439 315); eine Erhebung der
+Ausonen bereitete sich vor und bedrohte das wichtige Cales; selbst in
+Capua regten sich lebhaft die antiroemisch Gesinnten. Ein samnitisches
+Heer rueckte in Kampanien ein und lagerte vor der Stadt, in der
+Hoffnung, durch seine Naehe der Nationalpartei das Uebergewicht zu
+geben (440 314). Allein Sora ward von den Roemern sofort angegriffen
+und, nachdem die samnitische Entsatzarmee geschlagen war (440 314),
+wieder genommen. Die Bewegungen unter den Ausonen wurden mit grausamer
+Strenge unterdrueckt, ehe der Aufstand recht zum Ausbruch kam, und
+gleichzeitig ein eigener Diktator ernannt, um die politischen Prozesse
+gegen die Fuehrer der samnitischen Partei in Capua einzuleiten und
+abzuurteilen, so dass die namhaftesten derselben, um dem roemischen
+Henker zu entgehen, freiwillig den Tod nahmen (440 314). Das
+samnitische Heer vor Capua ward geschlagen und zum Abzug aus Kampanien
+gezwungen; die Roemer, dem Feinde auf den Fersen folgend,
+ueberschritten den Matese und lagerten im Winter 440 (314) vor der
+Hauptstadt Samniums Bovianum. Nola war von den Verbuendeten
+preisgegeben; die Roemer waren einsichtig genug, durch den
+guenstigsten, dem neapolitanischen aehnlichen Bundesvertrag die Stadt
+fuer immer von der samnitischen Partei zu trennen (441 313). Fregellae,
+das seit der caudinischen Katastrophe in den Haenden der antiroemischen
+Partei und deren Hauptburg in der Landschaft am Liris gewesen war, fiel
+endlich auch, im achten Jahre nach der Einnahme durch die Samniten (441
+313); zweihundert der Buerger, die vornehmsten der nationalen Partei,
+wurden nach Rom gefuehrt und dort zum warnenden Beispiel fuer die
+ueberall sich regenden Patrioten auf offenem Markte enthauptet.
+
+———————————————————-
+
+^2 Es sind dies nicht die Einwohner von Satricum bei Antium, sondern
+die einer anderen volskischen, damals als roemische Buergergemeinde
+ohne Stimmrecht konstituierten Stadt bei Arpinum.
+
+^3 Dass zwischen den Roemern und Samniten 436, 437 (318, 317) ein
+foermlicher zweijaehriger Waffenstillstand bestanden habe, ist mehr als
+unwahrscheinlich.
+
+———————————————————-
+
+Hiermit waren Apulien und Kampanien in den Haenden der Roemer. Zur
+endlichen Sicherstellung und bleibenden Beherrschung des eroberten
+Gebietes wurden in den Jahren 440 bis 442 (314 bis 312) in demselben
+eine Anzahl neuer Festungen gegruendet: Luceria in Apulien, wohin
+seiner isolierten und ausgesetzten Lage wegen eine halbe Legion als
+bleibende Besatzung gesandt ward, ferner Pontiae (die Ponzainseln) zur
+Sicherung der kampanischen Gewaesser, Saticula an der
+kampanisch-samnitischen Grenze als Vormauer gegen Samnium, endlich
+Interamna (bei Monte Cassino) und Suessa Aurunca (Sessa) auf der
+Strasse von Rom nach Capua. Besatzungen kamen ausserdem nach Caiatia
+(Cajazzo), Sora und anderen militaerisch wichtigen Plaetzen. Die grosse
+Militaerstrasse von Rom nach Capua, die der Zensor Appius Claudius 442
+(312) chaussieren und den dazu erforderlichen Damm durch die
+Pontinischen Suempfe ziehen liess, vollendete die Sicherung Kampaniens.
+Immer vollstaendiger entwickelten sich die Absichten der Roemer; es
+galt die Unterwerfung Italiens, das durch das roemische Festungs- und
+Strassennetz von Jahr zu Jahr enger umstrickt ward. Von beiden Seiten
+schon waren die Samniten von den Roemern umsponnen; schon schnitt die
+Linie von Rom nach Luceria Nord- und Sueditalien voneinander ab, wie
+einst die Festungen Norba und Signia die Volsker und Aequer getrennt
+hatten; und wie damals auf die Herniker, stuetzte Rom sich jetzt auf
+die Arpaner. Die Italiker mussten erkennen, dass es um ihrer aller
+Freiheit geschehen war, wenn Samnium unterlag, und dass es die
+allerhoechste Zeit war, dem tapferen Bergvolk, das nun schon fuenfzehn
+Jahre allein den ungleichen Kampf gegen die Roemer kaempfte, endlich
+mit gesamter Kraft zu Hilfe zu kommen.
+
+Die naechsten Bundesgenossen der Samniten waeren die Tarentiner
+gewesen; allein es gehoert zu dem ueber Samnium und ueber Italien
+ueberhaupt waltenden Verhaengnis, dass in diesem zukunftbestimmenden
+Augenblick die Entscheidung in den Haenden dieser italischen Athener
+lag. Seit die urspruenglich nach alter dorischer Art streng
+aristokratische Verfassung Tarents in die vollstaendigste Demokratie
+uebergegangen war, hatte in dieser hauptsaechlich von Schiffern,
+Fischern und Fabrikanten bewohnten Stadt ein unglaublich reges Leben
+sich entwickelt; Sinn und Tun der mehr reichen als vornehmen
+Bevoelkerung wehrte allen Ernst des Lebens in dem witzig und geistreich
+quirlenden Tagestreiben von sich ab und schwankte zwischen dem
+grossartigsten Wagemut und der genialsten Erhebung und zwischen
+schandbarem Leichtsinn und kindischer Schwindelei. Es wird auch in
+diesem Zusammenhang, wo ueber das Sein oder Nichtsein hochbegabter und
+altberuehmter Nationen die ernsten Lose fallen, nicht unstatthaft sein,
+daran zu erinnern, dass Platon, der etwa sechzig Jahre vor dieser Zeit
+(389) nach Tarent kam, seinem eigenen Zeugnis zufolge am Dionysienfest
+die ganze Stadt berauscht sah, und dass das parodische Possenspiel, die
+sogenannte “lustige Tragoedie” eben um die Zeit des grossen
+samnitischen Krieges in Tarent geschaffen ward. Zu dieser
+Lotterwirtschaft und Lotterpoesie der Tarentiner Eleganten und
+Literaten liefert die Ergaenzung die unstete, uebermuetige und
+kurzsichtige Politik der Tarentiner Demagogen, welche regelmaessig da
+sich beteiligten, wo sie nichts zu schaffen hatten, und da ausblieben,
+wo ihr naechstes Interesse sie hinrief. Sie hatten, als nach der
+caudinischen Katastrophe Roemer und Samniten sich in Apulien
+gegenueberstanden, Gesandte dorthin geschickt, die beiden Parteien
+geboten, die Waffen niederzulegen (434 320). Diese diplomatische
+Intervention in dem italischen Entscheidungskampf konnte
+verstaendigerweise nichts sein als die Ankuendigung, dass Tarent aus
+seiner bisherigen Passivitaet jetzt endlich herauszutreten entschlossen
+sei. Grund genug hatte es wahrlich dazu, wie schwierig und gefaehrlich
+es auch fuer Tarent selbst war, in diesen Krieg verwickelt zu werden:
+denn die demokratische Machtentwicklung des Staates hatte sich
+lediglich auf die Flotte geworfen, und waehrend diese, gestuetzt auf
+die starke Handelsmarine Tarents, unter den grossgriechischen
+Seemaechten den ersten Rang einnahm, bestand die Landmacht, auf die es
+jetzt ankam, wesentlich aus gemieteten Soeldnern und war in tiefem
+Verfall. Unter diesen Umstaenden war es fuer die tarentinische Republik
+keine leichte Aufgabe, an dem Kampf zwischen Rom und Samnium sich zu
+beteiligen, auch abgesehen von der wenigstens beschwerlichen Fehde, in
+welche die roemische Politik die Tarentiner mit den Lucanern zu
+verwickeln gewusst hatte. Indes bei kraeftigem Willen waren diese
+Schwierigkeiten wohl zu ueberwinden; und beide streitende Teile fassten
+die Aufforderung der tarentinischen Gesandten, mit dem Kampf
+einzuhalten, in diesem Sinne auf. Die Samniten als die Schwaecheren
+zeigten sich bereit, derselben nachzukommen; die Roemer antworteten
+durch die Aufsteckung des Zeichens zur Schlacht. Vernunft und Ehre
+geboten den Tarentinern, dem herrischen Gebot ihrer Gesandten jetzt die
+Kriegserklaerung gegen Rom auf dem Fusse folgen zu lassen; allein in
+Tarent war eben weder diese noch jene am Regimente und man hatte dort
+bloss mit sehr ernsthaften Dingen sehr kindisch gespielt. Die
+Kriegserklaerung gegen Rom erfolgte nicht; statt dessen unterstuetzte
+man lieber gegen Agathokles von Syrakus, der frueher in tarentinischen
+Diensten gestanden hatte und in Ungnade entlassen worden war, die
+oligarchische Staedtepartei in Sizilien und sandte, dem Beispiel
+Spartas folgend, eine Flotte nach der Insel, die in der kampanischen
+See bessere Dienste getan haben wuerde (440 314).
+
+Energischer handelten die nord- und mittelitalischen Voelker, die
+namentlich durch die Anlegung der Festung Luceria aufgeruettelt worden
+zu sein scheinen. Zuerst (443 311) schlugen die Etrusker los, deren
+Waffenstillstandsvertrag von 403 (351) schon einige Jahre frueher zu
+Ende gegangen war. Die roemische Grenzfestung Sutrium hatte eine
+zweijaehrige Belagerung auszuhalten, und in den heftigen Gefechten, die
+unter ihren Mauern geliefert wurden, zogen die Roemer in der Regel den
+kuerzeren, bis der Konsul des Jahres 444 (310), Quintus Fabius
+Rullianus, ein in den Samnitenkriegen erprobter Fuehrer, nicht bloss im
+roemischen Etrurien das Uebergewicht der roemischen Waffen
+wiederherstellte, sondern auch kuehn eindrang in das eigentliche, durch
+die Verschiedenheit der Sprache und die geringen Kommunikationen den
+Roemern bis dahin fast unbekannt gebliebene etruskische Land. Der Zug
+ueber den noch von keinem roemischen Heer ueberschrittenen Ciminischen
+Wald und die Pluenderung des reichen, lange von Kriegsnot verschont
+gebliebenen Gebiets brachte ganz Etrurien in Waffen; die roemische
+Regierung, welche die tollkuehne Expedition ernstlich missbilligte und
+die Ueberschreitung der Grenze dem verwegenen Fuehrer zu spaet
+untersagt hatte, raffte, um dem erwarteten Ansturm der gesamten
+etruskischen Macht zu begegnen, in schleunigster Eile neue Legionen
+zusammen. Allein ein rechtzeitiger und entscheidender Sieg des
+Rullianus, die lange im Andenken des Volkes fortlebende Schlacht am
+Vadimonischen See, machte aus dem unvorsichtigen Beginnen eine
+gefeierte Heldentat und brach den Widerstand der Etrusker. Ungleich den
+Samniten, die nun schon seit achtzehn Jahren den ungleichen Kampf
+fochten, bequemten sich schon nach der ersten Niederlage drei der
+maechtigsten etruskischen Staedte, Perusia, Cortona und Arretium, zu
+einem Sonderfrieden auf dreihundert (444 310) und, nachdem im folgenden
+Jahre die Roemer noch einmal bei Perusia die uebrigen Etrusker besiegt
+hatten, auch die Tarquinienser zu einem Frieden auf vierhundert Monate
+(446 308); worauf auch die uebrigen Staedte vom Kampfe abstanden und in
+Etrurien vorlaeufig Waffenruhe eintrat.
+
+Waehrend dieser Ereignisse hatte auch in Samnium der Krieg nicht
+geruht. Der Feldzug von 443 (311) beschraenkte sich gleich den
+bisherigen auf die Belagerung und Erstuermung einzelner samnitischer
+Plaetze; aber im naechsten Jahre nahm der Krieg eine lebhaftere
+Wendung. Rullianus’ gefaehrliche Lage in Etrurien und die ueber die
+Vernichtung der roemischen Nordarmee verbreiteten Geruechte ermutigten
+die Samniten zu neuen Anstrengungen; der roemische Konsul Gaius Marcius
+Rutilus wurde von ihnen besiegt und selber schwer verwundet. Aber der
+Umschwung der Dinge in Etrurien zerstoerte die neu aufleuchtenden
+Hoffnungen. Wieder trat Lucius Papirius Cursor an die Spitze der gegen
+die Samniten gesandten roemischen Truppen, und wieder blieb er Sieger
+in einer grossen und entscheidenden Schlacht (445 309), zu der die
+Eidgenossen ihre letzten Kraefte angestrengt hatten; der Kern ihrer
+Armee, die Buntroecke mit den Gold-, die Weissroecke mit den
+Silberschilden wurden hier aufgerieben und die glaenzenden Ruestungen
+derselben schmueckten seitdem bei festlichen Gelegenheiten die
+Budenreihen laengs des roemischen Marktes. Immer hoeher stieg die Not,
+immer hoffnungsloser ward der Kampf. Im folgenden Jahre (446 308)
+legten die Etrusker die Waffen nieder; in ebendemselben ergab die
+letzte Stadt Kampaniens, die noch zu den Samniten hielt, Nuceria, zu
+Wasser und zu Lande gleichzeitig angegriffen, unter guenstigen
+Bedingungen sich den Roemern. Zwar fanden die Samniten neue
+Bundesgenossen an den Umbrern im noerdlichen, an den Marsern und
+Paelignern im mittleren Italien, ja selbst von den Hernikern traten
+zahlreiche Freiwillige in ihre Reihen; allein was mit entscheidendem
+Gewicht gegen Rom in die Waagschale haette fallen koennen, wenn die
+Etrusker noch unter Waffen gestanden haetten, vermehrte jetzt bloss die
+Erfolge des roemischen Sieges, ohne denselben ernstlich zu erschweren.
+Den Umbrern, die Miene machten, einen Zug nach Rom zu unternehmen,
+verlegte Rullianus am oberen Tiber mit der Armee von Samnium den Weg,
+ohne dass die geschwaechten Samniten es haetten hindern koennen, und
+dies genuegte, um den umbrischen Landsturm zu zerstreuen. Der Krieg zog
+sich alsdann wieder nach Mittelitalien. Die Paeligner wurden besiegt,
+ebenso die Marser; wenngleich die uebrigen sabellischen Staemme noch
+dem Namen nach Feinde der Roemer blieben, stand doch allmaehlich
+Samnium von dieser Seite tatsaechlich allein. Aber unerwartet kam ihnen
+Beistand aus dem Tibergebiet. Die Eidgenossenschaft der Herniker, wegen
+ihrer unter den samnitischen Gefangenen vorgefundenen Landsleute von
+den Roemern zur Rede gestellt, erklaerte diesen jetzt den Krieg (448
+306) - mehr wohl aus Verzweiflung, als aus Berechnung. Es schlossen
+auch einige der bedeutendsten hernikischen Gemeinden von vornherein
+sich von der Kriegfuehrung aus; aber Anagnia, weitaus die ansehnlichste
+Hernikerstadt, setzte die Kriegserklaerung durch. Militaerisch ward
+allerdings die augenblickliche Lage der Roemer durch diesen
+unerwarteten Aufstand im Ruecken der mit der Belagerung der Burgen von
+Samnium beschaeftigten Armee in hohem Grade bedenklich. Noch einmal war
+den Samniten das Kriegsglueck guenstig; Sora und Caiatia fielen ihnen
+in die Haende. Allein die Anagniner unterlagen unerwartet schnell den
+von Rom ausgesandten Truppen, und rechtzeitig machten diese auch dem in
+Samnium stehenden Heere Luft; es war eben alles verloren. Die Samniten
+baten um Frieden, indes vergeblich; noch konnte man sich nicht einigen.
+Erst der Feldzug von 449 (305) brachte die letzte Entscheidung. Die
+beiden roemischen Konsularheere drangen, Tiberius Minucius und nach
+dessen Fall Marcus Fulvius von Kampanien aus durch die Bergpaesse,
+Lucius Postumius vom Adriatischen Meere her am Biferno hinauf, in
+Samnium ein, um hier vor der Hauptstadt des Landes, Bovianum, sich die
+Hand zu reichen; ein entscheidender Sieg ward erfochten, der
+samnitische Feldherr Statius Gellius gefangengenommen und Bovianum
+erstuermt. Der Fall des Hauptwaffenplatzes der Landschaft machte dem
+zweiundzwanzigjaehrigen Krieg ein Ende. Die Samniten zogen aus Sora und
+Arpinum ihre Besatzungen heraus und schickten Gesandte nach Rom, den
+Frieden zu erbitten; ihrem Beispiel folgten die sabellischen Staemme,
+die Marser, Marruciner, Paeligner, Frentaner, Vestiner, Picenter. Die
+Bedingungen, die Rom gewaehrte, waren leidlich; Gebietsabtretungen
+wurden zwar einzeln gefordert, zum Beispiel von den Paelignern, allein
+sehr bedeutend scheinen sie nicht gewesen zu sein. Das gleiche Buendnis
+zwischen den sabellischen Staaten und den Roemern wurde erneuert (450
+304).
+
+Vermutlich um dieselbe Zeit und wohl infolge des samnitischen Friedens
+ward auch Friede gemacht zwischen Rom und Tarent. Unmittelbar zwar
+hatten beide Staedte nicht gegeneinander im Felde gestanden; die
+Tarentiner hatten dem langen Kampfe zwischen Rom und Samnium von Anfang
+bis zu Ende untaetig zugesehen und nur im Bunde mit den Sallentinern
+gegen die Bundesgenossen Roms, die Lucaner, die Fehde fortgesetzt. Zwar
+hatten sie in den letzten Jahren des Samnitischen Krieges noch einmal
+Miene gemacht nachdruecklicher aufzutreten. Teils die bedraengte Lage,
+in welche die unaufhoerlichen lucanischen Angriffe sie selbst brachten,
+teils wohl auch das immer naeher sich ihnen aufdraengende Gefuehl, dass
+Samniums voellige Unterdrueckung auch ihre eigene Unabhaengigkeit
+bedrohe, hatten sie bestimmt, trotz der mit Alexander gemachten
+unerfreulichen Erfahrungen abermals einem Condottiere sich
+anzuvertrauen. Es kam auf ihren Ruf der spartanische Prinz Kleonymos
+mit fuenftausend Soeldnern, womit er eine ebenso starke, in Italien
+angeworbene Schar sowie die Zuzuege der Messapier, der kleineren
+Griechenstaedte und vor allem das tarentinische Buergerheer, 22 000
+Mann stark, vereinigte. An der Spitze dieser ansehnlichen Armee
+noetigte er die Lucaner, mit Tarent Frieden zu machen und eine
+samnitisch gesinnte Regierung einzusetzen, wogegen freilich Metapont
+ihnen aufgeopfert ward. Noch standen die Samniten unter Waffen, als
+dies geschah; nichts hinderte den Spartaner, ihnen zu Hilfe zu kommen
+und das Gewicht seines starken Heeres und seiner Kriegskunst fuer die
+Freiheit der italischen Staedte und Voelker in die Waagschale zu
+werfen. Allein Tarent handelte nicht, wie Rom im gleichen Falle
+gehandelt haben wuerde; und Prinz Kleonymos selbst war auch nichts
+weniger als ein Alexander oder ein Pyrrhos. Er beeilte sich nicht,
+einen Krieg zu beginnen, bei dem mehr Schlaege zu erwarten standen als
+Beute, sondern machte lieber mit den Lucanern gemeinschaftliche Sache
+gegen Metapont und liess es in dieser Stadt sich wohl sein, waehrend er
+redete von einem Zug gegen Agathokles von Syrakus und von der Befreiung
+der sizilischen Griechen. Darueber machten denn die Samniten Frieden;
+und als nach dessen Abschluss Rom anfing, sich um den Suedosten der
+Halbinsel ernstlicher zu bekuemmern und zum Beispiel im Jahre 447 (307)
+ein roemischer Heerhaufen das Gebiet der Sallentiner brandschatzte oder
+vielmehr wohl in hoeherem Auftrag rekognoszierte, ging der spartanische
+Condottiere mit seinen Soeldnern zu Schiff und ueberrumpelte die Insel
+Kerkyra, die vortrefflich gelegen war, um von dort aus gegen
+Griechenland und Italien Piratenzuege zu unternehmen. So von ihrem
+Feldherrn im Stich gelassen und zugleich ihrer Bundesgenossen im
+mittleren Italien beraubt, blieb den Tarentinern sowie den mit ihnen
+verbuendeten Italikern, den Lucanern und Sallentinern, jetzt freilich
+nichts uebrig, als mit Rom ein Abkommen nachzusuchen, das auf leidliche
+Bedingungen gewaehrt worden zu sein scheint. Bald nachher (451 303)
+ward sogar ein Einfall des Kleonymos, der im sallentinischen Gebiet
+gelandet war und Uria belagerte, von den Einwohnern mit roemischer
+Hilfe abgeschlagen.
+
+Roms Sieg war vollstaendig; und vollstaendig ward er benutzt. Dass den
+Samniten, den Tarentinern und den ferner wohnenden Voelkerschaften
+ueberhaupt so maessige Bedingungen gestellt wurden, war nicht
+Siegergrossmut, die die Roemer nicht kannten, sondern kluge und klare
+Berechnung. Zunaechst und vor allem kam es darauf an, nicht so sehr das
+suedliche Italien so rasch wie moeglich zur formellen Anerkennung der
+roemischen Suprematie zu zwingen als die Unterwerfung Mittelitaliens,
+zu welcher durch die in Kampanien und Apulien schon waehrend des
+letzten Krieges angelegten Militaerstrassen und Festungen der Grund
+gelegt war, zu ergaenzen und zu vollenden und die noerdlichen und
+suedlichen Italiker dadurch in zwei militaerisch von jeder
+unmittelbaren Beruehrung miteinander abgeschnittene Massen
+auseinanderzusprengen. Darauf zielten denn auch die naechsten
+Unternehmungen der Roemer mit energischer Konsequenz. Vor allen Dingen
+benutzte oder machte man die Gelegenheit, mit den in der
+Tiberlandschaft einstmals mit der roemischen Einzelmacht
+rivalisierenden und noch nicht voellig beseitigten Eidgenossenschaften
+der Aequer und der Herniker aufzuraeumen. In demselben Jahre, in
+welchem der Friede mit Samnium zustande kam (450 304), ueberzog der
+Konsul Publius Sempronius Sophus die Aequer mit Krieg; vierzig
+Ortschaften unterwarfen sich in fuenfzig Tagen; das gesamte Gebiet mit
+Ausnahme des engen und rauhen Bergtals, das noch heute den alten
+Volksnamen traegt (Cicolano), wurde roemischer Besitz und hier am
+Nordrand des Fuciner Sees im Jahre darauf die Festung Alba mit einer
+Besatzung von 6000 Mann gegruendet, fortan die Vormauer gegen die
+streitbaren Marser und die Zwingburg Mittelitaliens; ebenso zwei Jahre
+darauf am oberen Turano, naeher an Rom, Carsioli, beide als
+Bundesgemeinden latinischen Rechts.
+
+Dass von den Hernikern wenigstens Anagnia sich an dem letzten Stadium
+des Samnitischen Krieges beteiligt hatte, gab den erwuenschten Grund,
+das alte Bundesverhaeltnis zu loesen. Das Schicksal der Anagniner war
+natuerlicherweise bei weitem haerter als dasjenige, welches ein
+Menschenalter zuvor den latinischen Gemeinden im gleichen Fall bereitet
+worden war. Sie mussten nicht bloss wie diese das roemische
+Passivbuergerrecht sich gefallen lassen, sondern verloren auch gleich
+den Caeriten die eigene Verwaltung; auf einem Teile ihres Gebiets am
+oberen Trerus (Sacco) wurde ueberdies ein neuer Buergerbezirk sowie
+gleichzeitig ein anderer am unteren Anio eingerichtet (455 299). Man
+bedauerte nur, dass die drei naechst Anagnia bedeutendsten hernikischen
+Gemeinden Aletrium, Verulae und Ferentinum nicht auch abgefallen waren;
+denn da sie die Zumutung, freiwillig in den roemischen Buergerverband
+einzutreten, hoeflich ablehnten und jeder Vorwand, sie dazu zu
+noetigen, mangelte, musste man ihnen wohl nicht bloss die Autonomie,
+sondern selbst das Recht der Tagsatzung und der Ehegemeinschaft auch
+ferner zugestehen und damit noch einen Schatten der alten hernikischen
+Eidgenossenschaft uebrig lassen.
+
+In dem Teil der volskischen Landschaft, welchen bis dahin die Samniten
+im Besitz gehabt, banden aehnliche Ruecksichten nicht. Hier wurden
+Arpinum und Frusino untertaenig und die letztere Stadt eines Drittels
+ihrer Feldmark beraubt, ferner am oberen Liris neben Fregellae die
+schon frueher mit Besatzung belegte Volskerstadt Sora jetzt auf die
+Dauer in eine latinische Festung verwandelt und eine Legion von 4000
+Mann dahin gelegt. So war das alte Volskergebiet vollstaendig
+unterworfen und ging seiner Romanisierung mit raschen Schritten
+entgegen. In die Landschaft, welche Samnium und Etrurien scheidet,
+wurden zwei Militaerstrassen hineingefuehrt und beide durch Festungen
+gesichert. Die noerdliche, aus der spaeter die Flaminische wurde,
+deckte die Tiberlinie; sie fuehrte durch das mit Rom verbuendete
+Ocriculum nach Narnia, wie die Roemer die alte umbrische Feste Nequinum
+umnannten, als sie dort eine Militaerkolonie anlegten (455 299). Die
+suedliche, die spaetere Valerische, lief an den Fuciner See ueber die
+eben erwaehnten Festungen Carsioli und Alba. Die kleinen
+Voelkerschaften, in deren Gebiet diese Anlagen stattfanden, die Umbrer,
+die Nequinum hartnaeckig verteidigten, die Aequer, die noch einmal
+Alba, die Marser, die Carsioli ueberfielen, konnten Rom in seinem Gang
+nicht aufhalten; fast ungehindert schoben jene beiden maechtigen Riegel
+sich zwischen Samnium und Etrurien. Der grossen Strassen- und
+Festungsanlagen zur bleibenden Sicherung Apuliens und vor allem
+Kampaniens wurde schon gedacht; durch sie ward Samnium weiter nach
+Osten und Westen von dem roemischen Festungsnetz umstrickt. Bezeichnend
+fuer die verhaeltnismaessige Schwaeche Etruriens ist es, dass man es
+nicht notwendig fand, die Paesse durch den Ciminischen Wald in gleicher
+Weise durch eine Chaussee und angemessene Festungen zu sichern. Die
+bisherige Grenzfestung Sutrium blieb hier auch ferner der Endpunkt der
+roemischen Militaerlinie und man begnuegte sich damit, die Strasse von
+dort nach Arretium durch die beikommenden Gemeinden in militaerisch
+brauchbarem Stande halten zu lassen ^4.
+
+————————————————————————
+
+^4 Die Operationen in dem Feldzug 537 (217) und bestimmter noch die
+Anlage der Chaussee von Arretium nach Bononia 567 (187) zeigen, dass
+schon vor dieser Zeit die Strasse von Rom nach Arretium instand gesetzt
+worden ist. Allein eine roemische Militaerchaussee kann sie in dieser
+Zeit dennoch nicht gewesen sein, da sie, nach ihrer spaeteren Benennung
+der “Cassischen Strasse” zu schliessen, als via consularis nicht
+frueher angelegt sein kann als 583 (171); denn zwischen Spurius
+Cassius, Konsul 252, 261, 268 (502, 493, 486), an den natuerlich nicht
+gedacht werden darf, und Gaius Cassius Longinus, Konsul 583 (171),
+erscheint kein Cassier in den roemischen Konsuln- und Zensorenlisten.
+
+———————————————————————-
+
+Die hochherzige samnitische Nation begriff es, dass ein solcher Friede
+verderblicher war als der verderblichste Krieg, und, was mehr ist, sie
+handelte danach. Eben fingen in Norditalien die Kelten nach langer
+Waffenruhe wieder an sich zu regen; noch standen ferner daselbst
+einzelne etruskische Gemeinden gegen die Roemer unter den Waffen und es
+wechselten hier kurze Waffenstillstaende mit heftigen, aber erfolglosen
+Gefechten. Noch war ganz Mittelitalien in Gaerung und zum Teil in
+offenem Aufstand; noch waren die Festungen in der Anlage begriffen, der
+Weg zwischen Etrurien und Samnium noch nicht voellig gesperrt.
+Vielleicht war es noch nicht zu spaet, die Freiheit zu retten; aber man
+durfte nicht saeumen: die Schwierigkeit des Angriffs stieg, die Macht
+der Angreifer sank mit jedem Jahre des verlaengerten Friedens. Kaum
+fuenf Jahre hatten die Waffen geruht und noch mussten all die Wunden
+bluten, welche der zweiundzwanzigjaehrige Krieg den Bauernschaften
+Samniums geschlagen hatte, als im Jahre 456 (298) die samnitische
+Eidgenossenschaft den Kampf erneuerte. Den letzten Krieg hatte
+wesentlich Lucaniens Verbindung mit Rom und die dadurch mitveranlasste
+Fernhaltung Tarents zu Gunsten Roms entschieden; dadurch belehrt,
+warfen die Samniten jetzt sich zuvoerderst mit aller Macht auf die
+Lucaner und brachten hier in der Tat ihre Partei ans Ruder und ein
+Buendnis zwischen Samnium und Lucanien zum Abschluss. Natuerlich
+erklaerten die Roemer sofort den Krieg; in Samnium hatte man es nicht
+anders erwartet. Es bezeichnet die Stimmung, dass die samnitische
+Regierung den roemischen Gesandten die Anzeige machte, sie sei nicht
+imstande, fuer ihre Unverletzlichkeit zu buergen, wenn sie samnitisches
+Gebiet betraeten.
+
+Der Krieg begann also von neuem (456 298), und waehrend ein zweites
+Heer in Etrurien focht, durchzog die roemische Hauptarmee Samnium und
+zwang die Lucaner Frieden zu machen und Geiseln nach Rom zu senden. Das
+folgende Jahr konnten beide Konsuln nach Samnium sich wenden; Rullianus
+siegte bei Tifernum, sein treuer Waffengefaehrte Publius Decius Mus bei
+Maleventum, und fuenf Monate hindurch lagerten zwei roemische Heere in
+Feindesland. Es war das moeglich, weil die tuskischen Staaten auf
+eigene Hand mit Rom Friedensverhandlungen angeknuepft hatten. Die
+Samniten, welche von Haus aus in der Vereinigung ganz Italiens gegen
+Rom die einzige Moeglichkeit des Sieges gesehen haben muessen, boten
+das Aeusserste auf, um den drohenden Sonderfrieden zwischen Etrurien
+und Rom abzuwenden; und als endlich ihr Feldherr Gellius Egnatius den
+Etruskern in ihrem eigenen Lande Hilfe zu bringen anbot, verstand sich
+in der Tat der etruskische Bundesrat dazu, auszuharren und noch einmal
+die Entscheidung der Waffen anzurufen. Samnium machte die gewaltigsten
+Anstrengungen, um drei Heere zugleich ins Feld zu stellen, das eine
+bestimmt zur Verteidigung des eigenen Gebiets, das zweite zum Einfall
+in Kampanien, das dritte und staerkste nach Etrurien; und wirklich
+gelangte im Jahre 458 (296) das letzte, gefuehrt von Egnatius selbst,
+durch das marsische und das umbrische Gebiet, deren Bewohner im
+Einverstaendnis waren, ungefaehrdet nach Etrurien. Die Roemer nahmen
+waehrend dessen einige feste Plaetze in Samnium und brachen den
+Einfluss der samnitischen Partei in Lucanien; den Abmarsch der von
+Egnatius gefuehrten Armee wussten sie nicht zu verhindern. Als man in
+Rom die Kunde empfing, dass es den Samniten gelungen sei, all die
+ungeheuren, zur Trennung der suedlichen Italiker von den noerdlichen
+gemachten Anstrengungen zu vereiteln, dass das Eintreffen der
+samnitischen Scharen in Etrurien das Signal zu einer fast allgemeinen
+Schilderhebung gegen Rom geworden sei, dass die etruskischen Gemeinden
+aufs eifrigste arbeiteten, ihre eigenen Mannschaften kriegsfertig zu
+machen und gallische Scharen in Sold zu nehmen, da ward auch in Rom
+jeder Nerv angespannt, Freigelassene und Verheiratete in Kohorten
+formiert - man fuehlte hueben und drueben, dass die Entscheidung
+bevorstand. Das Jahr 458 (296) jedoch verging, wie es scheint, mit
+Ruestungen und Maerschen. Fuer das folgende (459 295) stellten die
+Roemer ihre beiden besten Generale, Publius Decius Mus und den
+hochbejahrten Quintus Fabius Rullianus, an die Spitze der Armee in
+Etrurien, welche mit allen in Kampanien irgend entbehrlichen Truppen
+verstaerkt ward und wenigstens 60000 Mann, darunter ueber ein Drittel
+roemische Vollbuerger, zaehlte; ausserdem ward eine zwiefache Reserve
+gebildet, die erste bei Falerii, die zweite unter den Mauern der
+Hauptstadt. Der Sammelplatz der Italiker war Umbrien, wo die Strassen
+aus dem gallischen, etruskischen und sabellischen Gebiet
+zusammenliefen; nach Umbrien liessen auch die Konsuln teils am linken,
+teils am rechten Ufer des Tiber hinauf ihre Hauptmacht abruecken,
+waehrend zugleich die erste Reserve eine Bewegung gegen Etrurien
+machte, um womoeglich die etruskischen Truppen von dem Platz der
+Entscheidung zur Verteidigung der Heimat abzurufen. Das erste Gefecht
+lief nicht gluecklich fuer die Roemer ab; ihre Vorhut ward von den
+vereinigten Galliern und Samniten in dem Gebiet von Chiusi geschlagen.
+Aber jene Diversion erreichte ihren Zweck; minder hochherzig als die
+Samniten, die durch die Truemmer ihrer Staedte hindurchgezogen waren,
+um auf der rechten Walstatt nicht zu fehlen, entfernte sich auf die
+Nachricht von dem Einfall der roemischen Reserve in Etrurien ein
+grosser Teil der etruskischen Kontingente von der Bundesarmee, und die
+Reihen derselben waren sehr gelichtet, als es am oestlichen Abhang des
+Apennin bei Sentinum zur entscheidenden Schlacht kam. Dennoch war es
+ein heisser Tag. Auf dem rechten Fluegel der Roemer, wo Rullianus mit
+seinen beiden Legionen gegen das samnitische Heer stritt, stand die
+Schlacht lange ohne Entscheidung. Auf dem linken, den Publius Decius
+befehligte, wurde die roemische Reiterei durch die gallischen
+Streitwagen in Verwirrung gebracht, und schon begannen hier auch die
+Legionen zu weichen. Da rief der Konsul den Priester Marcus Livius
+heran und hiess ihn zugleich das Haupt des roemischen Feldherrn und das
+feindliche Heer den unterirdischen Goettern weihen; alsdann in den
+dichtesten Haufen der Gallier sich stuerzend suchte und fand er den
+Tod. Diese heldenmuetige Verzweiflung des hohen Mannes, des geliebten
+Feldherrn, war nicht vergeblich. Die fliehenden Soldaten standen
+wieder, die Tapfersten warfen dem Fuehrer nach sich in die feindlichen
+Reihen, um ihn zu raechen oder mit ihm zu sterben; und eben im rechten
+Augenblicke erschien, von Rullianus gesendet, der Konsular Lucius
+Scipio mit der roemischen Reserve auf dem gefaehrdeten linken Fluegel.
+Die vortreffliche kampanische Reiterei, die den Galliern in die Flanke
+und den Ruecken fiel, gab hier den Ausschlag; die Gallier flohen, und
+endlich wichen auch die Samniten, deren Feldherr Egnatius am Tore des
+Lagers fiel. 9000 Roemer bedeckten die Walstatt; aber der teuer
+erkaufte Sieg war solchen Opfers wert. Das Koalitionsheer loeste sich
+auf und damit die Koalition selbst; Umbrien blieb in roemischer Gewalt,
+die Gallier verliefen sich, der Ueberrest der Samniten, noch immer in
+geschlossener Ordnung, zog durch die Abruzzen ab in die Heimat.
+Kampanien, das die Samniten waehrend des etruskischen Krieges
+ueberschwemmt hatten, ward nach dessen Beendigung mit leichter Muehe
+wieder von den Roemern besetzt. Etrurien bat im folgenden Jahre 460
+(294) um Frieden; Volsinii, Perusia, Arretium und wohl ueberhaupt alle
+dem Bunde gegen Rom beigetretenen Staedte gelobten Waffenruhe auf
+vierhundert Monate. Aber die Samniten dachten anders: sie ruesteten
+sich zur hoffnungslosen Gegenwehr mit jenem Mute freier Maenner, der
+das Glueck zwar nicht zwingen, aber beschaemen kann. Als im Jahre 460
+(294) die beiden Konsularheere in Samnium einrueckten, stiessen sie
+ueberall auf den erbittertsten Widerstand; ja, Marcus Atilius erlitt
+eine Schlappe bei Luceria, und die Samniten konnten in Kampanien
+eindringen und das Gebiet der roemischen Kolonie Interamna am Liris
+verwuesten. Im Jahre darauf lieferten Lucius Papirius Cursor, der Sohn
+des Helden des ersten Samnitischen Krieges, und Spurius Carvilius bei
+Aquilonia eine grosse Feldschlacht gegen das samnitische Heer, dessen
+Kern, die 16 000 Weissroecke, mit heiligem Eide geschworen hatte, den
+Tod der Flucht vorzuziehen. Indes das unerbittliche Schicksal fragt
+nicht nach Schwueren und verzweifeltem Flehen; der Roemer siegte und
+stuermte die Festen, in die die Samniten sich und ihre Habe gefluechtet
+hatten. Selbst nach dieser grossen Niederlage wehrten sich die
+Eidgenossen gegen den immer uebermaechtigeren Feind noch jahrelang mit
+beispielloser Ausdauer in ihren Burgen und Bergen und erfochten noch
+manchen Vorteil im einzelnen; des alten Rullianus erprobter Arm ward
+noch einmal (462 292) gegen sie aufgeboten, und Gavius Pontius,
+vielleicht der Sohn des Siegers von Caudium, erfocht sogar fuer sein
+Volk einen letzten Sieg, den die Roemer niedrig genug an ihm raechten,
+indem sie ihn, als er spaeter gefangen ward, im Kerker hinrichten
+liessen (463 291). Aber nichts regte sich weiter in Italien; denn der
+Krieg, den Falerii 461 (293) begann, verdient kaum diesen Namen. Wohl
+mochte man in Samnium sehnsuechtig die Blicke wenden nach Tarent, das
+allein noch imstande war, Hilfe zu gewaehren; aber sie blieb aus. Es
+waren dieselben Ursachen wie frueher, welche die Untaetigkeit Tarents
+herbeifuehrten: das innere Missregiment und der abermalige Uebertritt
+der Lucaner zur roemischen Partei im Jahre 456 (298); hinzu kam noch
+die nicht ungegruendete Furcht vor Agathokles von Syrakus, der eben
+damals auf dem Gipfel seiner Macht stand und anfing, sich gegen Italien
+zu wenden. Um das Jahr 455 (299) setzte dieser auf Kerkyra sich fest,
+von wo Kleonymos durch Demetrios den Belagerer vertrieben war und
+bedrohte nun vom Adriatischen wie vom Ionischen Meere her die
+Tarentiner. Die Abtretung der Insel an Koenig Pyrrhos von Epeiros im
+Jahre 459 (295) beseitigte allerdings zum grossen Teil die gehegten
+Besorgnisse; allein die kerkyraeischen Angelegenheiten fuhren fort, die
+Tarentiner zu beschaeftigen, wie sie denn im Jahre 464 (290) den Koenig
+Pyrrhos im Besitz der Insel gegen Demetrios schuetzen halfen, und
+ebenso hoerte Agathokles nicht auf, durch seine italische Politik die
+Tarentiner zu beunruhigen. Als er starb (465 289) und mit ihm die Macht
+der Syrakusaner in Italien zugrunde ging, war es zu spaet; Samnium, des
+siebenunddreissigjaehrigen Kampfes muede, hatte das Jahr vorher (464
+290) mit dem roemischen Konsul Manius Curius Dentatus Friede
+geschlossen und der Form nach den Bund mit Rom erneuert. Auch diesmal
+wurden, wie im Frieden von 450 (304) dem tapferen Volke von den Roemern
+keine schimpflichen oder vernichtenden Bedingungen gestellt; nicht
+einmal Gebietsabtretungen scheinen stattgefunden zu haben. Die
+roemische Staatsklugheit zog es vor, auf dem bisher eingehaltenen Wege
+fortzuschreiten, und ehe man an die unmittelbare Eroberung des
+Binnenlandes ging, zunaechst das kampanische und adriatische Litoral
+fest und immer fester an Rom zu knuepfen. Kampanien zwar war laengst
+untertaenig; allein die weitblickende roemische Politik fand es noetig,
+zur Sicherung der kampanischen Kueste dort zwei Strandfestungen
+anzulegen, Minturnae und Sinuessa (459 295), deren neue Buergerschaften
+nach dem fuer Kuestenkolonien feststehenden Grundsatz in das volle
+roemische Buergerrecht eintraten. Energischer noch ward die Ausdehnung
+der roemischen Herrschaft in Mittelitalien gefoerdert. Wie die
+Unterwerfung der Aequer und Herniker die unmittelbare Folge des Ersten
+Samnitischen Krieges war, so schloss sich an das Ende des Zweiten
+diejenige der Sabiner. Derselbe Feldherr, der die Samniten schliesslich
+bezwang, Manius Curius, brach in demselben Jahre (464 290) den kurzen
+und ohnmaechtigen Widerstand derselben und zwang die Sabiner zur
+unbedingten Ergebung. Ein grosser Teil des unterworfenen Gebiets wurde
+von den Siegern unmittelbar in Besitz genommen und an roemische Buerger
+ausgeteilt, den uebrigbleibenden Gemeinden Cures, Reate, Amiternum,
+Nursia das roemische Untertanenrecht (civitas sine suffragio)
+aufgezwungen. Bundesstaedte gleichen Rechts wurden hier nicht
+gegruendet; die Landschaft kam vielmehr unter die unmittelbare
+Herrschaft Roms, die sich also ausdehnte bis zum Apennin und den
+umbrischen Bergen. Aber schon beschraenkte man sich nicht auf das
+Gebiet diesseits der Berge; der letzte Krieg hatte allzu deutlich
+gezeigt, dass die roemische Herrschaft ueber Mittelitalien nur
+gesichert war, wenn sie von Meer zu Meer reichte. Die Festsetzung der
+Roemer jenseits des Apennin beginnt mit der Anlegung der starken
+Festung Hatria (Atri) im Jahre 465 (289), an der noerdlichen Abdachung
+der Abruzzen gegen die picenische Ebene, nicht unmittelbar an der
+Kueste und daher latinischen Rechts, aber dem Meere nah und der
+Schlussstein des gewaltigen, Nord- und Sueditalien trennenden Keils.
+Aehnlicher Art und von noch groesserer Bedeutung war die Gruendung von
+Venusia (463 291), wohin die unerhoerte Zahl von 20000 Kolonisten
+gefuehrt ward; die Stadt, an der Markscheide von Samnium, Apulien und
+Lucanien, auf der grossen Strasse zwischen Tarent und Samnium in einer
+ungemein festen Stellung gegruendet, war bestimmt, die Zwingburg der
+umwohnenden Voelkerschaften zu sein und vor allen Dingen zwischen den
+beiden maechtigsten Feinden Roms im suedlichen Italien die Verbindung
+zu unterbrechen. Ohne Zweifel ward zu gleicher Zeit auch die
+Suedstrasse, die Appius Claudius bis nach Capua gefuehrt hatte, von
+dort weiter bis nach Venusia verlaengert. So erstreckte sich, als die
+Samnitischen Kriege zu Ende gingen, das geschlossene, das heisst fast
+ausschliesslich aus Gemeinden roemischen oder latinischen Rechts
+bestehende Gebiet Roms nordwaerts bis zum Ciminischen Walde, oestlich
+bis in die Abruzzen und an das Adriatische Meer, suedlich bis nach
+Capua, waehrend die beiden vorgeschobenen Posten Luceria und Venusia,
+gegen Osten und Sueden auf den Verbindungslinien der Gegner angelegt,
+dieselben nach allen Richtungen hin isolierten. Rom war nicht mehr
+bloss die erste, sondern bereits die herrschende Macht auf der
+Halbinsel, als gegen das Ende des fuenften Jahrhunderts der Stadt
+diejenigen Nationen, welche die Gunst der Goetter und die eigene
+Tuechtigkeit jede in ihrer Landschaft an die Spitze gerufen hatten, im
+Rat und auf dem Schlachtfeld sich einander zu naehern begannen und, wie
+in Olympia die vorlaeufigen Sieger zu dem zweiten und ernsteren Kampf,
+so auf der groesseren Voelkerringstatt jetzt Karthago, Makedonien und
+Rom sich anschickten zu dem letzten und entscheidenden Wettgang.
+
+
+
+
+KAPITEL VII.
+König Pyrrhos gegen Rom und die Einigung Italiens
+
+
+In der Zeit der unbestrittenen Weltherrschaft Roms pflegten die
+Griechen ihre roemischen Herren damit zu aergern, dass sie als die
+Ursache der roemischen Groesse das Fieber bezeichneten, an welchem
+Alexander von Makedonien den 11. Juni 431 (323) in Babylon verschied.
+Da es nicht allzu troestlich war, das Geschehene zu ueberdenken,
+verweilte man nicht ungern mit den Gedanken bei dem, was haette kommen
+moegen, wenn der grosse Koenig, wie es seine Absicht gewesen sein soll,
+als er starb, sich gegen Westen gewendet und mit seiner Flotte den
+Karthagern das Meer, mit seinen Phalangen den Roemern die Erde streitig
+gemacht haben wuerde. Unmoeglich ist es nicht, dass Alexander mit
+solchen Gedanken sich trug; und man braucht auch nicht, um sie zu
+erklaeren, bloss darauf hinzuweisen, dass ein Autokrat, der
+kriegslustig und mit Soldaten und Schiffen versehen ist, nur schwer die
+Grenze seiner Kriegfuehrung findet. Es war eines griechischen
+Grosskoenigs wuerdig, die Sikelioten gegen Karthago, die Tarentiner
+gegen Rom zu schuetzen und dem Piratenwesen auf beiden Meeren ein Ende
+zu machen; die italischen Gesandtschaften, die in Babylon neben
+zahllosen andern erschienen, der Brettier, Lucaner, Etrusker ^1, boeten
+Gelegenheit genug, die Verhaeltnisse der Halbinsel kennenzulernen und
+Beziehungen dort anzuknuepfen. Karthago mit seinen vielfachen
+Verbindungen im Orient musste den Blick des gewaltigen Mannes notwendig
+auf sich ziehen, und wahrscheinlich lag es in seinen Absichten, die
+nominelle Herrschaft des Perserkoenigs ueber die tyrische Kolonie in
+eine wirkliche umzuwandeln; nicht umsonst fand sich ein aus Karthago
+gesandter Spion in der unmittelbaren Umgebung Alexanders. Indes mochten
+dies Traeume oder Plaene sein, der Koenig starb, ohne mit den
+Angelegenheiten des Westens sich beschaeftigt zu haben, und jene
+Gedanken gingen mit ihm zu Grabe. Nur wenige kurze Jahre hatte ein
+griechischer Mann die ganze intellektuelle Kraft des Hellenentums, die
+ganze materielle Fuelle des Ostens vereinigt in seiner Hand gehalten;
+mit seinem Tode ging zwar das Werk seines Lebens, die Gruendung des
+Hellenismus im Orient, keineswegs zugrunde, wohl aber spaltete sich
+sofort das kaum geeinigte Reich und unter dem steten Hader der
+verschiedenen, aus diesen Truemmern sich bildenden Staaten ward ihrer
+aller weltgeschichtliche Bestimmung, die Propaganda der griechischen
+Kultur im Osten zwar nicht aufgegeben, aber abgeschwaecht und
+verkuemmert. Bei solchen Verhaeltnissen konnten weder die griechischen
+noch die asiatisch-aegyptischen Staaten daran denken, im Okzident
+festen Fuss zu fassen und gegen die Roemer oder die Karthager sich zu
+wenden. Das oestliche und das westliche Staatensystem bestanden
+nebeneinander, ohne zunaechst politisch ineinanderzugreifen; und
+namentlich Rom blieb den Verwicklungen der Diadochenperiode wesentlich
+fremd. Nur Beziehungen oekonomischer Art stellten sich fest; wie denn
+zum Beispiel der rhodische Freistaat, der vornehmste Vertreter einer
+neutralen Handelspolitik in Griechenland und daher der allgemeine
+Vermittler des Verkehrs in einer Zeit ewiger Kriege, um das Jahr 448
+(306) einen Vertrag mit Rom abschloss, natuerlich einen Handelstraktat,
+wie er begreiflich ist zwischen einem Kaufmannsvolk und den Herren der
+caeritischen und kampanischen Kueste. Auch bei der Soeldnerlieferung,
+die von dem allgemeinen Werbeplatz der damaligen Zeit, von Hellas aus
+nach Italien und namentlich nach Tarent ging, wirkten die politischen
+Beziehungen, die zum Beispiel zwischen Tarent und dessen Mutterstadt
+Sparta bestanden, nur in sehr untergeordneter Weise mit; im ganzen
+waren die Werbungen nichts als kaufmaennische Geschaefte, und Sparta,
+obwohl es regelmaessig den Tarentinern zu den italischen Kriegen die
+Hauptleute lieferte, trat mit den Italikern darum so wenig in Fehde wie
+im nordamerikanischen Freiheitskrieg die deutschen Staaten mit der
+Union, deren Gegnern sie ihre Untertanen verkauften.
+
+—————————————————————————-
+
+^1 Die Erzaehlung, dass auch die Roemer Gesandte an Alexander nach
+Babylon geschickt, geht auf das Zeugnis des Kleitarchos zurueck (Plin.
+nat. 3, 5, 57), aus dem die uebrigen, diese Tatsache meldenden Zeugen
+(Aristos und Asklepiades bei Arrian 7, 15, 5; Memnon c. 25) ohne
+Zweifel schoepften. Kleitarchos war allerdings Zeitgenosse dieser
+Ereignisse, aber sein Leben Alexanders nichtsdestoweniger entschieden
+mehr historischer Roman als Geschichte; und bei dem Schweigen der
+zuverlaessigen Biographen (Art. a. a. O.; Liv. 9, 18) und dem voellig
+romanhaften Detail des Berichts, wonach zum Beispiel die Roemer dem
+Alexander einen goldenen Kranz ueberreicht und dieser die zukuenftige
+Groesse Roms vorhergesagt haben soll, wird man nicht umhin koennen,
+diese Erzaehlung zu den vielen anderen durch Kleitarchos in die
+Geschichte eingefuehrten Ausschmueckungen zu stellen.
+
+—————————————————————————-
+
+Nichts anderes als ein abenteuernder Kriegshauptmann war auch Koenig
+Pyrrhos von Epeiros; er war darum nicht minder ein Gluecksritter, dass
+er seinen Stammbaum zurueckfuehrte auf Aeakos und Achilleus und dass
+er, waere er friedlicher gesinnt gewesen, als “Koenig” ueber ein
+kleines Bergvolk unter makedonischer Oberherrlichkeit oder auch
+allenfalls in isolierter Freiheit haette leben und sterben koennen. Man
+hat ihn wohl verglichen mit Alexander von Makedonien; und allerdings
+die Gruendung eines westhellenischen Reiches, dessen Kern Epeiros,
+Grossgriechenland, Sizilien gebildet haetten, das die beiden italischen
+Meere beherrscht und Rom wie Karthago in die Reihe der barbarischen
+Grenzvoelker des hellenistischen Staatensystems, der Kelten und Inder
+gedraengt haben wuerde - dieser Gedanke ist wohl gross und kuehn wie
+derjenige, der den makedonischen Koenig ueber den Hellespont fuehrte.
+Aber nicht bloss der verschiedene Ausgang unterscheidet den oestlichen
+und den westlichen Heerzug. Alexander konnte mit seiner makedonischen
+Armee, in der namentlich der Stab vorzueglich war, dem Grosskoenig
+vollkommen die Spitze bieten; aber der Koenig von Epeiros, das neben
+Makedonien stand etwa wie Hessen neben Preussen, erhielt eine
+nennenswerte Armee nur durch Soeldner und durch Buendnisse, die auf
+zufaelligen politischen Kombinationen beruhten. Alexander trat im
+Perserreich auf als Eroberer, Pyrrhos in Italien als Feldherr einer
+Koalition von Sekundaerstaaten; Alexander hinterliess sein Erbland
+vollkommen gesichert durch die unbedingte Untertaenigkeit Griechenlands
+und das starke, unter Antipater zurueckbleibende Heer, Pyrrhos buergte
+fuer die Integritaet seines eigenen Gebietes nichts als das Wort eines
+zweifelhaften Nachbarn. Fuer beide Eroberer hoerte, wenn ihre Plaene
+gelangen, die Heimat notwendig auf, der Schwerpunkt des neuen Reiches
+zu sein; allein eher noch war es ausfuehrbar, den Sitz der
+makedonischen Militaermonarchie nach Babylon zu verlegen als in Tarent
+oder Syrakus eine Soldatendynastie zu gruenden. Die Demokratie der
+griechischen Republiken, so sehr sie eine ewige Agonie war, liess sich
+in die straffen Formen des Militaerstaats nun einmal nicht
+zurueckzwingen; Philipp wusste wohl, warum er die griechischen
+Republiken seinem Reich nicht einverleibte. Im Orient war ein
+nationaler Widerstand nicht zu erwarten; herrschende und dienende
+Staemme lebten dort seit langem nebeneinander und der Wechsel des
+Despoten war der Masse der Bevoelkerung gleichgueltig oder gar
+erwuenscht. Im Okzident konnten die Roemer, die Samniten, die Karthager
+auch ueberwunden werden; aber kein Eroberer haette es vermocht, die
+Italiker in aegyptische Fellahs zu verwandeln oder aus den roemischen
+Bauern Zinspflichtige hellenischer Barone zu machen. Was man auch ins
+Auge fasst, die eigene Macht, die Bundesgenossen, die Kraefte der
+Gegner - ueberall erscheint der Plan des Makedoniers als eine
+ausfuehrbare, der des Epeiroten als eine unmoegliche Unternehmung;
+jener als die Vollziehung einer grossen geschichtlichen Aufgabe, dieser
+als ein merkwuerdiger Fehlgriff; jener als die Grundlegung zu einem
+neuen Staatensystem und einer neuen Phase der Zivilisation, dieser als
+eine geschichtliche Episode. Alexanders Werk ueberlebte ihn, obwohl der
+Schoepfer zur Unzeit starb; Pyrrhos sah mit eigenen Augen das Scheitern
+aller seiner Plaene, ehe der Tod ihn abrief. Sie beide waren kuehne und
+grosse Naturen, aber Pyrrhos nur der erste Feldherr, Alexander vor
+allem der genialste Staatsmann seiner Zeit; und wenn es die Einsicht in
+das Moegliche und Unmoegliche ist, die den Helden vom Abenteurer
+scheidet, so muss Pyrrhos diesen zugezaehlt und darf seinem groesseren
+Verwandten sowenig zur Seite gestellt werden wie etwa der Connetable
+von Bourbon Ludwig dem Elften.
+
+Und dennoch knuepft sich ein wunderbarer Zauber an den Namen des
+Epiroten, eine eigene Teilnahme, die allerdings zum Teil der
+ritterlichen und liebenswuerdigen Persoenlichkeit desselben, aber mehr
+doch noch dem Umstande gilt, dass er der erste Grieche ist, der den
+Roemern im Kampfe gegenuebertritt. Mit ihm beginnen jene unmittelbaren
+Beziehungen zwischen Rom und Hellas, auf denen die ganze spaetere
+Entfaltung der antiken Zivilisation und ein wesentlicher Teil der
+modernen beruht. Der Kampf zwischen Phalangen und Kohorten, zwischen
+der Soeldnerarmee und der Landwehr, zwischen dem Heerkoenigtum und dem
+Senatorenregiment, zwischen dem individuellen Talent und der nationalen
+Kraft - dieser Kampf zwischen Rom und dem Hellenismus ward zuerst
+durchgefochten in den Schlachten zwischen Pyrrhos und den roemischen
+Feldherren; und wenn auch die unterliegende Partei noch oft nachher
+appelliert hat an neue Entscheidung der Waffen, so hat doch jeder
+spaetere Schlachttag das Urteil lediglich bestaetigt. Wenn aber auf der
+Walstatt wie in der Kurie die Griechen unterliegen, so ist ihr
+Uebergewicht nicht minder entschieden in jedem anderen, nicht
+politischen Wettkampf, und eben schon diese Kaempfe lassen es ahnen,
+dass der Sieg Roms ueber die Hellenen ein anderer sein wird als der
+ueber Gallier und Phoeniker, und dass Aphroditens Zauber erst zu wirken
+beginnt, wenn die Lanze zersplittert und Helm und Schild beiseite
+gelegt ist.
+
+Koenig Pyrrhos war der Sohn des Aeakides, des Herrn der Molosser (um
+Janina), welcher, von Alexander geschont als Verwandter und getreuer
+Lehnsmann, nach dessen Tode in den Strudel der makedonischen
+Familienpolitik hineingerissen ward und darin zuerst sein Reich und
+dann das Leben verlor (441 313). Sein damals sechsjaehriger Sohn ward
+von dem Herrn der illyrischen Taulantier, Glaukias, gerettet und im
+Laufe der Kaempfe um Makedoniens Besitz, noch ein Knabe, von Demetrios
+dem Belagerer wieder zurueckgefuehrt in sein angestammtes Fuerstentum
+(447 307), um es nach wenigen Jahren durch den Einfluss der Gegenpartei
+wieder einzubuessen (um 452 302) und als landfluechtiger Fuerstensohn
+im Gefolge der makedonischen Generale seine militaerische Laufbahn zu
+beginnen. Bald machte seine Persoenlichkeit sich geltend. Unter
+Antigonos machte er dessen letzte Feldzuege mit; der alte Marschall
+Alexanders hatte seine Freude an dem geborenen Soldaten, dem nach dem
+Urteile des ergrauten Feldherrn nur die Jahre fehlten um schon jetzt
+der erste Kriegsmann der Zeit zu sein. Die unglueckliche Schlacht bei
+Ipsos brachte ihn als Geisel nach Alexandreia an den Hof des Gruenders
+der Lagidendynastie, wo er durch sein kuehnes und derbes Wesen, seinen
+alles nicht Militaerische gruendlich verachtenden Soldatensinn nicht
+minder des staatsklugen Koenigs Ptolemaeos Aufmerksamkeit auf sich zog
+als durch seine maennliche Schoenheit, der das wilde Antlitz, der
+gewaltige Tritt keinen Eintrag tat, die der koeniglichen Damen. Eben
+damals gruendete der kuehne Demetrios sich wieder einmal, diesmal in
+Makedonien, ein neues Reich; natuerlich in der Absicht, von dort aus
+die Alexandermonarchie zu erneuern. Es galt, ihn niederzuhalten, ihm
+daheim zu schaffen zu machen; und der Lagide, der solche Feuerseelen,
+wie der epeirotische Juengling eine war, vortrefflich fuer seine feine
+Politik zu nutzen verstand, tat nicht bloss seiner Gemahlin, der
+Koenigin Berenike einen Gefallen, sondern foerderte auch seine eigenen
+Zwecke, indem er dem jungen Fuersten seine Stieftochter, die Prinzessin
+Antigone zur Gemahlin gab und dem geliebten “Sohn” zur Rueckkehr in die
+Heimat seinen Beistand und seinen maechtigen Einfluss lieh (458 296).
+Zurueckgekehrt in sein vaeterliches Reich fiel ihm bald alles zu; die
+tapferen Epeiroten, die Albanesen des Altertums, hingen mit
+angestammter Treue und frischer Begeisterung an dem mutigen Juengling,
+dem “Adler”, wie sie ihn hiessen. In den um die makedonische Thronfolge
+nach Kassanders Tod (457 297) entstandenen Wirren erweiterte der
+Epeirote sein Reich; nach und nach gewann er die Landschaften an dem
+ambrakischen Busen mit der wichtigen Stadt Ambrakia, die Insel Kerkyra,
+ja selbst einen Teil des makedonischen Gebiets, und widerstand mit weit
+geringeren Streitkraeften dem Koenig Demetrios zur Bewunderung der
+Makedonier selbst. Ja, als Demetrios durch seine eigene Torheit in
+Makedonien vom Thron gestuerzt war, trug man dort dem ritterlichen
+Gegner, dem Verwandten der Alexandriden, denselben freiwillig an (467
+287). In der Tat, keiner war wuerdiger als Pyrrhos, das koenigliche
+Diadem Philipps und Alexanders zu tragen. In einer tief versunkenen
+Zeit, in der Fuerstlichkeit und Niedertraechtigkeit gleichbedeutend zu
+werden begannen, leuchtete hell Pyrrhos’ persoenlich unbefleckter und
+sittenreiner Charakter. Fuer die freien Bauern des makedonischen
+Stammlandes, die, obwohl gemindert und verarmt, sich doch fernhielten
+von dem Verfall der Sitten und der Tapferkeit, den das
+Diadochenregiment in Griechenland und Asien herbeifuehrte, schien eben
+Pyrrhos recht eigentlich zum Koenig geschaffen; er, der gleich
+Alexander in seinem Haus, im Freundeskreise allen menschlichen
+Beziehungen sein Herz offen erhielt und das in Makedonien so verhasste
+orientalische Sultanwesen stets von sich abgewehrt hatte; er, der
+gleich Alexander anerkannt der erste Taktiker seiner Zeit war. Aber das
+seltsam ueberspannte makedonische Nationalgefuehl, das den elendesten
+makedonischen Herrn dem tuechtigsten Fremden vorzog, die unvernuenftige
+Widerspenstigkeit der makedonischen Truppen gegen jeden nicht
+makedonischen Fuehrer, welcher der groesste Feldherr aus Alexanders
+Schule, der Kardianer Eumenes erlegen war, bereitete auch der
+Herrschaft des epeirotischen Fuersten ein schnelles Ende. Pyrrhos, der
+die Herrschaft ueber Makedonien mit dem Willen der Makedonier nicht
+fuehren konnte, und zu machtlos, vielleicht auch zu hochherzig war, um
+sich dem Volke gegen dessen Willen aufzudraengen, ueberliess schon nach
+siebenmonatlicher Herrschaft das Land seiner einheimischen
+Missregierung und ging heim zu seinen treuen Epeiroten (467 287). Aber
+der Mann, der Alexanders Krone getragen hatte, der Schwager des
+Demetrios, der Schwiegersohn des Lagiden und des Agathokles von
+Syrakus, der hochgebildete Strategiker, der Memoiren und
+wissenschaftliche Abhandlungen ueber die Kriegskunst schrieb, konnte
+unmoeglich sein Leben darueber beschliessen, dass er zu gesetzter Zeit
+im Jahre die Rechnungen des koeniglichen Viehverwalters durchsah und
+von seinen braven Epeiroten die landueblichen Geschenke an Rindern und
+Schafen entgegennahm, um sich alsdann am Altar des Zeus von ihnen den
+Eid der Treue erneuern zu lassen und selbst den Eid auf die Gesetze zu
+wiederholen und, diesem allen zu mehrerer Bekraeftigung, mit ihnen die
+Nacht hindurch zu zechen. War kein Platz fuer ihn auf dem makedonischen
+Thron, so war ueberhaupt in der Heimat seines Bleibens nicht; er konnte
+der Erste sein und also nicht der Zweite. So wandten sich seine Blicke
+in die Weite. Die Koenige, die um Makedoniens Besitz haderten, obwohl
+sonst in nichts einig, waren gern bereit, gemeinschaftlich zu helfen,
+dass der gefaehrliche Nebenbuhler freiwillig ausscheide; und dass die
+treuen Kriegsgenossen ihm folgen wuerden, wohin er sie fuehrte, dessen
+war er gewiss. Eben damals stellten die italischen Verhaeltnisse sich
+so, dass jetzt wiederum als ausfuehrbar erscheinen konnte, was vierzig
+Jahre frueher Pyrrhos’ Verwandter, seines Vaters Vetter Alexander von
+Epeiros, und eben erst sein Schwiegervater Agathokles beabsichtigt
+hatten; und so entschloss sich Pyrrhos, auf seine makedonischen Plaene
+zu verzichten und im Westen eine neue Herrschaft fuer sich und fuer die
+hellenische Nation zu gruenden.
+
+Die Waffenruhe, die der Friede mit Samnium 464 (290) fuer Italien
+herbeigefuehrt hatte, war von kurzer Dauer; der Anstoss zur Bildung
+einer neuen Ligue gegen die roemische Uebermacht kam diesmal von den
+Lucanern. Dieser Voelkerschaft, die durch ihre Parteinahme fuer Rom die
+Tarentiner waehrend der Samnitischen Kriege gelaehmt und zu deren
+Entscheidung wesentlich beigetragen hatte, waren dafuer von den Roemern
+die Griechenstaedte in ihrem Gebiet preisgegeben worden; und demgemaess
+hatten sie nach abgeschlossenem Frieden in Gemeinschaft mit den
+Brettiern sich daran gemacht, eine nach der anderen zu bezwingen. Die
+Thuriner, wiederholt angegriffen von dem Feldherrn der Lucaner, Stenius
+Statilius, und aufs aeusserste bedraengt, wandten sich, ganz wie einst
+die Kampaner die Hilfe Roms gegen die Samniten in Anspruch genommen
+hatten und ohne Zweifel um den gleichen Preis ihrer Freiheit und
+Selbstaendigkeit, mit der Bitte um Beistand gegen die Lucaner an den
+roemischen Senat. Da das Buendnis mit diesen durch die Anlage der
+Festung Venusia fuer Rom entbehrlich geworden war, gewaehrten die
+Roemer das Begehren der Thuriner und geboten ihren Bundesfreunden von
+der Stadt, die sich den Roemern ergeben habe, abzulassen. Die Lucaner
+und Brettier, also von den maechtigeren Verbuendeten betrogen um den
+Anteil an der gemeinschaftlichen Beute, knuepften Verhandlungen an mit
+der samnitisch-tarentinischen Oppositionspartei, um eine neue Koalition
+der Italiker zustande zu bringen; und als die Roemer sie durch eine
+Gesandtschaft warnen liessen, setzten sie den Gesandten gefangen und
+begannen den Krieg gegen Rom mit einem neuen Angriff auf Thurii (um 469
+285), indem sie zugleich nicht bloss die Samniten und die Tarentiner,
+sondern auch die Norditaliker, die Etrusker, Umbrer, Gallier aufriefen,
+mit ihnen zum Freiheitskampf sich zu vereinigen. In der Tat erhob sich
+der etruskische Bund und dang zahlreiche gallische Haufen; das
+roemische Heer, das der Praetor Lucius Caecilius den treu gebliebenen
+Arretinern zu Hilfe fuehrte, ward unter den Mauern dieser Stadt von den
+senonischen Soeldnern der Etrusker vernichtet, der Feldherr selbst fiel
+mit 13000 seiner Leute (470 284). Die Senonen zaehlten zu Roms
+Bundesgenossen: die Roemer schickten demnach Gesandte an sie, um ueber
+die Stellung von Reislaeufern gegen Rom Klage zu fuehren und die
+unentgeltliche Rueckgabe der Gefangenen zu begehren. Aber auf Befehl
+des Senonenhaeuptlings Britomaris, der den Tod seines Vaters an den
+Roemern zu raechen hatte, erschlugen die Senonen die roemischen Boten
+und ergriffen offen die Partei der Etrusker. Ganz Norditalien,
+Etrusker, Umbrer, Gallier, stand somit gegen Rom in Waffen; es konnten
+grosse Erfolge gewonnen werden, wenn die suedlichen Landschaften diesen
+Augenblick ergriffen und auch diejenigen, die es nicht bereits getan,
+sich gegen Rom erklaerten. In der Tat scheinen die Samniten, immer fuer
+die Freiheit einzustehen willig, den Roemern den Krieg erklaert zu
+haben; aber geschwaecht und von allen Seiten eingeschlossen, wie sie
+waren, konnten sie dem Bunde wenig nuetzen, und Tarent zauderte nach
+seiner Gewohnheit. Waehrend unter den Gegnern Buendnisse verhandelt,
+Subsidientraktate festgesetzt, Soeldner zusammengebracht wurden,
+handelten die Roemer. Zunaechst hatten es die Senonen zu empfinden, wie
+gefaehrlich es sei, die Roemer zu besiegen. Der Konsul Publius
+Cornelius Dolabella rueckte mit einem starken Heer in ihr Gebiet; was
+nicht ueber die Klinge sprang, ward aus dem Lande ausgetrieben und
+dieser Stamm ausgestrichen aus der Reihe der italischen Nationen (471
+283). Bei einem vorzugsweise von seinen Herden lebenden Volke war eine
+derartige massenhafte Austreibung wohl ausfuehrbar; wahrscheinlich
+halfen diese aus Italien vertriebenen Senonen die gallischen Schwaerme
+bilden, die bald nachher das Donaugebiet, Makedonien, Griechenland,
+Kleinasien ueberschwemmten. Die naechsten Nachbarn und Stammgenossen
+der Senonen, die Boier, erschreckt und erbittert durch die furchtbar
+schnell sich vollendende Katastrophe, vereinigten sich augenblicklich
+mit den Etruskern, die noch den Krieg fortfuehrten und deren senonische
+Soeldner jetzt gegen die Roemer nicht mehr als Mietlinge fochten,
+sondern als verzweifelte Raecher der Heimat; ein gewaltiges
+etruskisch-gallisches Heer zog gegen Rom, um fuer die Vernichtung des
+Senonenstammes an der Hauptstadt der Feinde Rache zu nehmen und
+vollstaendiger, als einst der Heerkoenig derselben Senonen es getan,
+Rom von der Erde zu vertilgen. Allein beim Uebergang ueber den Tiber in
+der Naehe des Vadimonischen Sees wurde das vereinigte Heer von den
+Roemern nachdruecklich geschlagen (471 283). Nachdem sie das Jahr
+darauf noch einmal bei Populonia mit nicht besserem Erfolg eine
+Feldschlacht gewagt hatten, liessen die Boier ihre Bundesgenossen im
+Stich und schlossen fuer sich mit den Roemern Frieden (472 282). So war
+das gefaehrlichste Glied der Ligue, das Galliervolk, einzeln
+ueberwunden, ehe noch der Bund sich vollstaendig zusammenfand, und
+dadurch Rom freie Hand gegen Unteritalien gegeben, wo in den Jahren
+469-471 (285-283) der Kampf nicht ernstlich gefuehrt worden war. Hatte
+bis dahin die schwache roemische Armee Muehe gehabt, sich in Thurii
+gegen die Lucaner und Brettier zu behaupten, so erschien jetzt (472
+282) der Konsul Gaius Fabricius Luscinus mit einem starken Heer vor der
+Stadt, befreite dieselbe, schlug die Lucaner in einem grossen Treffen
+und nahm ihren Feldherrn Statilius gefangen. Die kleineren
+nichtdorischen Griechenstaedte, die in den Roemern ihre Retter
+erkannten, fielen ihnen ueberall freiwillig zu; roemische Besatzungen
+blieben zurueck in den wichtigsten Plaetzen, in Lokri, Kroton, Thurii
+und namentlich in Rhegion, auf welche letztere Stadt auch die Karthager
+Absichten zu haben schienen. Ueberall war Rom im entschiedensten
+Vorteil. Die Vernichtung der Senonen hatte den Roemern eine bedeutende
+Strecke des adriatischen Litorals in die Haende gegeben; ohne Zweifel
+im Hinblick auf die unter der Asche glimmende Fehde mit Tarent und die
+schon drohende Invasion der Epeiroten eilte man, sich dieser Kueste
+sowie der Adriatischen See zu versichern. Es ward (um 471 283) eine
+Buergerkolonie gefuehrt nach dem Hafenplatz Sena (Sinigaglia), der
+ehemaligen Hauptstadt des senonischen Bezirks und gleichzeitig segelte
+eine roemische Flotte aus dem Tyrrhenischen Meer in die oestlichen
+Gewaesser, offenbar, um im Adriatischen Meer zu stationieren und dort
+die roemischen Besitzungen zu decken.
+
+Die Tarentiner hatten seit dem Vertrag von 450 (304) mit Rom in Frieden
+gelebt. Sie hatten der langen Agonie der Samniten, der raschen
+Vernichtung der Senonen zugesehen, sich die Gruendung von Venusia,
+Hatria, Sena, die Besetzung von Thurii und Rhegion gefallen lassen,
+ohne Einspruch zu tun. Aber als jetzt die roemische Flotte auf ihrer
+Fahrt vom Tyrrhenischen ins Adriatische Meer in die tarentinischen
+Gewaesser gelangte und im Hafen der befreundeten Stadt vor Anker ging,
+schwoll die langgehegte Erbitterung endlich ueber; die alten Vertraege,
+die den roemischen Kriegsschiffen untersagten, oestlich vom Lakinischen
+Vorgebirg zu fahren, wurden in der Buergerversammlung von den
+Volksmaennern zur Sprache gebracht; wuetend stuerzte der Haufen ueber
+die roemischen Kriegsschiffe her, die, unversehens nach Piratenart
+ueberfallen, nach heftigem Kampfe unterlagen; fuenf Schiffe wurden
+genommen und deren Mannschaft hingerichtet oder in die Knechtschaft
+verkauft, der roemische Admiral selbst war in dem Kampf gefallen. Nur
+der souveraene Unverstand und die souveraene Gewissenlosigkeit der
+Poebelherrschaft erklaert diese schmachvollen Vorgaenge. Jene Vertraege
+gehoerten einer Zeit an, die laengst ueberschritten und verschollen
+war; es ist einleuchtend, dass sie wenigstens seit der Gruendung von
+Hatria und Sena schlechterdings keinen Sinn mehr hatten und dass die
+Roemer im guten Glauben an das bestehende Buendnis in den Golf
+einfuhren - lag es doch gar sehr in ihrem Interesse, wie der weitere
+Verlauf der Dinge zeigt, den Tarentinern durchaus keinen Anlass zur
+Kriegserklaerung darzubieten. Wenn die Staatsmaenner Tarents den Krieg
+an Rom erklaeren wollten, so taten sie bloss, was laengst haette
+geschehen sollen; und wenn sie es vorzogen, die Kriegserklaerung statt
+auf den wirklichen Grund vielmehr auf formalen Vertragsbruch zu
+stuetzen, so liess sich dagegen weiter nichts erinnern, da ja die
+Diplomatie zu allen Zeiten es unter ihrer Wuerde erachtet hat, das
+Einfache einfach zu sagen. Allein dass man, statt den Admiral zur
+Umkehr aufzufordern, die Flotte mit gewaffneter Hand ungewarnt
+ueberfiel, war eine Torheit nicht minder als eine Barbarei, eine jener
+entsetzlichen Barbareien der Zivilisation, wo die Gesittung ploetzlich
+das Steuerruder verliert und die nackte Gemeinheit vor uns hintritt,
+gleichsam um zu warnen vor dem kindischen Glauben, als vermoege die
+Zivilisation aus der Menschennatur die Bestialitaet auszuwurzeln.
+
+Und als waere damit noch nicht genug getan, ueberfielen nach dieser
+Heldentat die Tarentiner Thurii, dessen roemische Besatzung infolge der
+Ueberrumpelung kapitulierte (im Winter 472/73 282/81), und bestraften
+die Thuriner, dieselben, die die tarentinische Politik den Lucanern
+preisgegeben und dadurch gewaltsam zur Ergebung an Rom gedraengt hatte,
+schwer fuer ihren Abfall von der hellenischen Partei zu den Barbaren.
+
+Die Barbaren verfuhren indes mit einer Maessigung, die bei solcher
+Macht und nach solchen Kraenkungen Bewunderung erregt. Es lag im
+Interesse Roms, die tarentinische Neutralitaet so lange wie moeglich
+gelten zu lassen, und die leitenden Maenner im Senat verwarfen deshalb
+den Antrag, den eine Minoritaet in begreiflicher Erbitterung stellte,
+den Tarentinern sofort den Krieg zu erklaeren. Vielmehr wurde die
+Fortdauer des Friedens roemischerseits an die maessigsten Bedingungen
+geknuepft, die sich mit Roms Ehre vertrugen: Entlassung der Gefangenen,
+Rueckgabe von Thurii, Auslieferung der Urheber des Ueberfalls der
+Flotte. Mit diesen Vorschlaegen ging eine roemische Gesandtschaft nach
+Tarent (473 281), waehrend gleichzeitig, ihren Worten Nachdruck zu
+geben, ein roemisches Heer unter dem Konsul Lucius Aemilius in Samnium
+einrueckte. Die Tarentiner konnten, ohne ihrer Unabhaengigkeit etwas zu
+vergeben, diese Bedingungen eingehen, und bei der geringen Kriegslust
+der reichen Kaufstadt durfte man in Rom mit Recht annehmen, dass ein
+Abkommen noch moeglich sei. Allein der Versuch, den Frieden zu
+erhalten, scheiterte - sei es an dem Widerspruch derjenigen Tarentiner,
+die die Notwendigkeit erkannten, den Uebergriffen Roms je eher desto
+lieber mit den Waffen entgegenzutreten, sei es bloss an der
+Unbotmaessigkeit des staedtischen Poebels, der sich mit beliebter
+griechischer Ungezogenheit sogar an der Person des Gesandten in
+unwuerdiger Weise vergriff. Nun rueckte der Konsul in das tarentinische
+Gebiet ein; aber statt sofort die Feindseligkeiten zu eroeffnen, bot er
+noch einmal auf dieselben Bedingungen den Frieden; und da auch dies
+vergeblich war, begann er zwar die Aecker und Landhaeuser zu verwuesten
+und schlug die staedtischen Milizen, aber die vornehmeren Gefangenen
+wurden ohne Loesegeld entlassen und man gab die Hoffnung nicht auf,
+dass der Kriegsdruck der aristokratischen Partei in der Stadt das
+Uebergewicht geben und damit den Frieden herbeifuehren werde. Die
+Ursache dieser Zurueckhaltung war, dass die Roemer die Stadt nicht dem
+Epeirotenkoenig in die Arme treiben wollten. Die Absichten desselben
+auf Italien waren kein Geheimnis mehr. Schon war eine tarentinische
+Gesandtschaft zu Pyrrhos gegangen und unverrichteter Sache
+zurueckgekehrt; der Koenig hatte mehr begehrt, als sie zu bewilligen
+Vollmacht hatte. Man musste sich entscheiden. Dass die Buergerwehr vor
+den Roemern nur wegzulaufen verstand, davon hatte man sich sattsam
+ueberzeugt; es blieb nur die Wahl zwischen Frieden mit Rom, den die
+Roemer unter billigen Bedingungen zu bewilligen fortwaehrend bereit
+waren, und Vertrag mit Pyrrhos auf jede dem Koenig gutduenkende
+Bedingung, das heisst die Wahl zwischen Unterwerfung unter die
+roemische Obermacht oder unter die Tyrannis eines griechischen
+Soldaten. Die Parteien hielten in der Stadt sich fast die Waage;
+endlich blieb die Oberhand der Nationalpartei, wobei ausser dem wohl
+gerechtfertigten Motiv, sich, wenn einmal ueberhaupt einem Herrn,
+lieber einem Griechen als Barbaren zu eigen zu geben, auch noch die
+Furcht der Demagogen mitwirkte, dass Rom trotz seiner jetzigen, durch
+die Umstaende erzwungenen Maessigung bei geeigneter Gelegenheit nicht
+saeumen werde, Rache fuer die von dem Tarentiner Poebel veruebten
+Schaendlichkeiten zu nehmen. Die Stadt schloss also mit Pyrrhos ab. Er
+erhielt den Oberbefehl ueber die Truppen der Tarentiner und der
+uebrigen gegen Rom unter Waffen stehenden Italioten; ferner das Recht,
+in Tarent Besatzung zu halten. Dass die Stadt die Kriegskosten trug,
+versteht sich von selbst. Pyrrhos versprach dagegen, in Italien nicht
+laenger als noetig zu bleiben, vermutlich unter dem stillschweigenden
+Vorbehalt, die Zeit, waehrend welcher er dort noetig sein werde, nach
+eigenem Ermessen festzustellen. Dennoch waere ihm die Beute fast unter
+den Haenden entschluepft. Waehrend die tarentinischen Gesandten - ohne
+Zweifel die Haeupter der Kriegspartei - in Epeiros abwesend waren,
+schlug in der von den Roemern jetzt hart gedraengten Stadt die Stimmung
+um; schon war der Oberbefehl dem Agis, einem roemisch Gesinnten
+uebertragen, als die Rueckkehr der Gesandten mit dem abgeschlossenen
+Traktat in Begleitung von Pyrrhos’ vertrautem Minister Kineas die
+Kriegspartei wieder ans Ruder brachte. Bald fasste eine festere Hand
+die Zuegel und machte dem klaeglichen Schwanken ein Ende. Noch im
+Herbst 473 (281) landete Pyrrhos’ General Milon mit 3000 Epeiroten und
+besetzte die Zitadelle der Stadt; ihm folgte zu Anfang des Jahres 474
+(280) nach einer stuermischen, zahlreiche Opfer fordernden Ueberfahrt
+der Koenig selbst. Er fuehrte nach Tarent ein ansehnliches, aber
+buntgemischtes Heer, teils bestehend aus den Haustruppen, den
+Molossern, Thesprotiern, Chaonern, Ambrakioten, teils aus dem
+makedonischen Fussvolk und der thessalischen Reiterei, die Koenig
+Ptolemaeos von Makedonien vertragsmaessig ihm ueberlassen, teils aus
+aetolischen, akarnanischen, athamanischen Soeldnern; im ganzen zaehlte
+man 20000 Phalangiten, 2000 Bogenschuetzen, 500 Schleuderer, 3000
+Reiter und 20 Elefanten, also nicht viel weniger, als dasjenige Heer
+betragen hatte, mit dem Alexander fuenfzig Jahre zuvor den Hellespont
+ueberschritt.
+
+Die Angelegenheiten der Koalition standen nicht zum besten, als der
+Koenig kam. Zwar hatte der roemische Konsul, sowie er die Soldaten
+Milons anstatt der tarentinischen Miliz sich gegenueber aufziehen sah,
+den Angriff auf Tarent aufgegeben und sich nach Apulien zurueckgezogen;
+aber mit Ausnahme des Gebietes von Tarent beherrschten die Roemer so
+gut wie ganz Italien. Nirgends in Unteritalien hatte die Koalition eine
+Armee im Felde, und auch in Oberitalien hatten die Etrusker, die allein
+noch in Waffen standen, in dem letzten Feldzuge (473 281) nichts als
+Niederlagen erlitten. Die Verbuendeten hatten, ehe der Koenig zu Schiff
+ging, ihm den Oberbefehl ueber ihre saemtlichen Truppen uebertragen und
+ein Heer von 350000 Mann zu Fuss und 20000 Reiter ins Feld stellen zu
+koennen erklaert; zu diesen grossen Worten bildete die Wirklichkeit
+einen unerfreulichen Kontrast. Das Heer, dessen Oberbefehl man Pyrrhos
+uebertragen, war noch erst zu schaffen, und vorlaeufig standen dazu
+hauptsaechlich nur Tarents eigene Hilfsquellen zu Gebot. Der Koenig
+befahl die Anwerbung eines italischen Soeldnerheeres mit tarentinischem
+Gelde und hob die dienstfaehigen Leute aus der Buergerschaft zum
+Kriegsdienst aus. So aber hatten die Tarentiner den Vertrag nicht
+verstanden. Sie hatten gemeint, den Sieg wie eine andere Ware fuer ihr
+Geld sich gekauft zu haben; es war eine Art Kontraktbruch, dass der
+Koenig sie zwingen wollte, sich ihn selber zu erfechten. Je mehr die
+Buergerschaft anfangs nach Milons Eintreffen sich gefreut hatte, des
+laestigen Postendienstes los zu sein, desto unwilliger stellte man
+jetzt sich unter die Fahnen des Koenigs; den Saeumigen musste mit
+Todesstrafe gedroht werden. Jetzt gab der Ausgang bei allen der
+Friedenspartei Recht, und es wurden sogar mit Rom Verbindungen
+angeknuepft oder schienen doch angeknuepft zu werden. Pyrrhos, auf
+solchen Widerstand vorbereitet, behandelte die Stadt fortan wie eine
+eroberte: die Soldaten wurden in die Haeuser einquartiert, die
+Volksversammlungen und die zahlreichen Kraenzchen (συσσίτια)
+suspendiert, das Theater geschlossen, die Promenaden gesperrt, die Tore
+mit epeirotischen Wachen besetzt. Eine Anzahl der fuehrenden Maenner
+wurden als Geiseln ueber das Meer gesandt; andere entzogen sich dem
+gleichen Schicksal durch die Flucht nach Rom. Diese strengen Massregeln
+waren notwendig, da es schlechterdings unmoeglich war, sich in
+irgendeinem Sinn auf die Tarentiner zu verlassen; erst jetzt konnte der
+Koenig, gestuetzt auf den Besitz der wichtigen Stadt, die Operationen
+im Felde beginnen.
+
+Auch in Rom wusste man sehr wohl, welchem Kampf man entgegenging. Um
+vor allem die Treue der Bundesgenossen, das heisst der Untertanen zu
+sichern, erhielten die unzuverlaessigen Staedte Besatzung und wurden
+die Fuehrer der Partei der Unabhaengigkeit, wo es notwendig schien,
+festgesetzt oder hingerichtet, so zum Beispiel eine Anzahl Mitglieder
+des praenestinischen Senats. Fuer den Krieg selbst wurden grosse
+Anstrengungen gemacht; es ward eine Kriegssteuer ausgeschrieben, von
+allen Untertanen und Bundesgenossen das volle Kontingent eingemahnt, ja
+die eigentlich von der Dienstpflicht befreiten Proletarier unter die
+Waffen gerufen. Ein roemisches Heer blieb als Reserve in der
+Hauptstadt. Ein zweites rueckte unter dem Konsul Tiberius Coruncanius
+in Etrurien ein und trieb Volci und Volsinii zu Paaren. Die Hauptmacht
+war natuerlich nach Unteritalien bestimmt; man beschleunigte so viel
+als moeglich ihren Abmarsch, um Pyrrhos noch in der Gegend von Tarent
+zu erreichen und ihn zu hindern, die Samniten und die uebrigen gegen
+Rom in Waffen stehenden sueditalischen Aufgebote mit seinen Truppen zu
+vereinigen. Einen vorlaeufigen Damm gegen das Umsichgreifen des Koenigs
+sollten die roemischen Besatzungen gewaehren, die in den
+Griechenstaedten Unteritaliens lagen. Indes die Meuterei der in Rhegion
+liegenden Truppe - es war eine der aus den kampanischen Untertanen Roms
+ausgehobenen Legionen unter einem kampanischen Hauptmann Decius -
+entriss den Roemern diese wichtige Stadt, ohne sie doch Pyrrhos in die
+Haende zu geben. Wenn einerseits bei diesem Militaeraufstand der
+Nationalhass der Kampaner gegen die Roemer unzweifelhaft mitwirkte, so
+konnte anderseits Pyrrhos, der zu Schirm und Schutz der Hellenen ueber
+das Meer gekommen war, unmoeglich die Truppe in den Bund aufnehmen,
+welche ihre rheginischen Wirte in den Haeusern niedergemacht hatte; und
+so blieb sie fuer sich, im engen Bunde mit ihren Stamm- und
+Frevelgenossen, den Mamertinern, das heisst den kampanischen Soeldnern
+des Agathokles, die das gegenueberliegende Messana in aehnlicher Weise
+gewonnen hatten, und brandschatzte und verheerte auf eigene Rechnung
+die umliegenden Griechenstaedte, so Kroton, wo sie die roemische
+Besatzung niedermachte, und Kaulonia, das sie zerstoerte. Dagegen
+gelang es den Roemern, durch ein schwaches Korps, das an die lucanische
+Grenze rueckte, und durch die Besatzung von Venusia die Lucaner und
+Samniten an der Vereinigung mit Pyrrhos zu hindern, waehrend die
+Hauptmacht, wie es scheint vier Legionen, also mit der entsprechenden
+Zahl von Bundestruppen mindestens 50000 Mann stark, unter dem Konsul
+Publius Laevinus gegen Pyrrhos marschierte. Dieser hatte sich zur
+Deckung der tarentinischen Kolonie Herakleia zwischen dieser Stadt und
+Pandosia ^2 mit seinen eigenen und den tarentinischen Truppen
+aufgestellt (474 280). Die Roemer erzwangen unter Deckung ihrer
+Reiterei den Uebergang ueber den Siris und eroeffneten die Schlacht mit
+einem hitzigen und gluecklichen Reiterangriff; der Koenig, der seine
+Reiter selber fuehrte, stuerzte und die griechischen Reiter, durch das
+Verschwinden des Fuehrers in Verwirrung gebracht, raeumten den
+feindlichen Schwadronen das Feld. Indes Pyrrhos stellte sich an die
+Spitze seines Fussvolks, und von neuem begann ein entscheidenderes
+Treffen. Siebenmal trafen die Legionen und die Phalanx im Stoss
+aufeinander und immer noch stand der Kampf. Da fiel Megakles, einer der
+besten Offiziere des Koenigs, und weil er an diesem heissen Tage die
+Ruestung des Koenigs getragen hatte, glaubte das Heer zum zweitenmal,
+dass der Koenig gefallen sei; die Reihen wurden unsicher, schon meinte
+Laevinus den Sieg in der Hand zu haben und warf seine saemtliche
+Reiterei den Griechen in die Flanke. Aber Pyrrhos, entbloessten Hauptes
+durch die Reihen des Fussvolks schreitend, belebte den sinkenden Mut
+der Seinigen. Gegen die Reiter wurden die bis dahin zurueckgehaltenen
+Elefanten vorgefuehrt; die Pferde scheuten vor ihnen, die Soldaten
+wussten den gewaltigen Tieren nicht beizukommen und wandten sich zur
+Flucht. Die zersprengten Reiterhaufen, die nachsetzenden Elefanten
+loesten endlich auch die geschlossenen Glieder des roemischen
+Fussvolks, und die Elefanten, im Verein mit der trefflichen
+thessalischen Reiterei, richteten ein grosses Blutbad unter den
+Fluechtenden an. Haette nicht ein tapferer roemischer Soldat, Gaius
+Minucius, der erste Hastat der vierten Legion, einen der Elefanten
+verwundet und dadurch die verfolgenden Truppen in Verwirrung gebracht,
+so waere das roemische Heer aufgerieben worden; so gelang es, den Rest
+der roemischen Truppen ueber den Siris zurueckzufuehren. Ihr Verlust
+war gross: 7000 Roemer wurden tot oder verwundet von den Siegern auf
+der Walstatt gefunden, 2000 gefangen eingebracht; die Roemer selbst
+gaben, wohl mit Einschluss der vom Schlachtfeld zurueckgebrachten
+Verwundeten, ihren Verlust an auf 15000 Mann. Aber auch Pyrrhos’ Heer
+hatte nicht viel weniger gelitten; gegen 4000 seiner besten Soldaten
+bedeckten das Schlachtfeld und mehrere seiner tuechtigsten Obersten
+waren gefallen. Erwaegend, dass sein Verlust hauptsaechlich auf die
+altgedienten Leute traf, die bei weitem schwerer zu ersetzen waren als
+die roemische Landwehr, und dass er den Sieg nur der Ueberraschung
+durch den Elefantenangriff verdankte, die sich nicht oft wiederholen
+liess, mag der Koenig wohl, strategischer Kritiker wie er war,
+spaeterhin diesen Sieg einer Niederlage aehnlich genannt haben; wenn er
+auch nicht so toericht war, wie die roemischen Poeten nachher gedichtet
+haben, in der Aufschrift des von ihm in Tarent aufgestellten
+Weihgeschenkes diese Selbstkritik dem Publikum mitzuteilen. Politisch
+kam zunaechst wenig darauf an, welche Opfer der Sieg gekostet hatte;
+vielmehr war der Gewinn der ersten Schlacht gegen die Roemer fuer
+Pyrrhos ein unschaetzbarer Erfolg. Sein Feldherrntalent hatte auch auf
+diesem neuen Schlachtfeld sich glaenzend bewaehrt, und wenn irgend
+etwas, musste der Sieg von Herakleia dem hinsiechenden Bunde der
+Italiker Einigkeit und Energie einhauchen. Aber auch die unmittelbaren
+Ergebnisse des Sieges waren ansehnlich und nachhaltig. Lucanien war
+fuer die Roemer verloren; Laevinus zog die dort stehenden Truppen an
+sich und ging nach Apulien. Die Brettier, Lucaner, Samniten vereinigten
+sich ungehindert mit Pyrrhos. Mit Ausnahme von Rhegion, das unter dem
+Druck der kampanischen Meuterer schmachtete, fielen die Griechenstaedte
+saemtlich dem Koenig zu, ja Lokri lieferte ihm freiwillig die roemische
+Besatzung aus; von ihm waren sie ueberzeugt, und mit Recht, dass er sie
+den Italikern nicht preisgeben werde. Die Sabeller und Griechen also
+traten zu Pyrrhos ueber; aber weiter wirkte der Sieg auch nicht. Unter
+den Latinern zeigte sich keine Neigung, der roemischen Herrschaft, wie
+schwer sie auch lasten mochte, mit Hilfe eines fremden Dynasten sich zu
+entledigen. Venusia, obgleich jetzt rings von Feinden umschlossen,
+hielt unerschuetterlich fest an Rom. Den am Siris Gefangenen, deren
+tapfere Haltung der ritterliche Koenig durch die ehrenvollste
+Behandlung vergalt, bot er nach griechischer Sitte an, in sein Heer
+einzutreten; allein er erfuhr, dass er nicht mit Soeldnern focht,
+sondern mit einem Volke. Nicht einer, weder Roemer noch Latiner, nahm
+bei ihm Dienste.
+
+—————————————————————-
+
+2 Bei dem heutigen Anglona; nicht zu verwechseln mit der bekannteren
+Stadt gleichen Namens in der Gegend von Cosenza.
+
+—————————————————————-
+
+Pyrrhos bot den Roemern Frieden an. Er war ein zu einsichtiger
+Militaer, um das Missliche seiner Stellung zu verkennen, und ein zu
+gewiegter Staatsmann, um nicht denjenigen Augenblick, der ihm die
+guenstigste Stellung gewaehrte, rechtzeitig zum Friedensschluss zu
+benutzen. Jetzt hoffte er unter dem ersten Eindruck der gewaltigen
+Schlacht, es in Rom durchsetzen zu koennen, dass die griechischen
+Staedte in Italien frei wuerden und zwischen ihnen und Rom eine Reihe
+Staaten zweiten und dritten Ranges als abhaengige Verbuendete der neuen
+griechischen Macht ins Leben traeten; denn darauf gingen seine
+Forderungen: Entlassung aller griechischen Staedte - also namentlich
+der kampanischen und lucanischen - aus der roemischen Botmaessigkeit
+und Rueckgabe des den Samniten, Dauniern, Lucanern, Brettiern
+abgenommenen Gebiets, das heisst namentlich Aufgabe von Luceria und
+Venusia. Konnte ein weiterer Kampf mit Rom auch schwerlich vermieden
+werden, so war es doch wuenschenswert, diesen erst zu beginnen, wenn
+die westlichen Hellenen unter einem Herrn vereinigt, Sizilien gewonnen,
+vielleicht Afrika erobert war.
+
+Mit solchen Instruktionen versehen, begab sich Pyrrhos’ vertrauter
+Minister, der Thessalier Kineas, nach Rom. Der gewandte Unterhaendler,
+den seine Zeitgenossen dem Demosthenes verglichen, soweit sich dem
+Staatsmann der Rhetor, dem Volksfuehrer der Herrendiener vergleichen
+laesst, hatte Auftrag, die Achtung, die der Sieger von Herakleia fuer
+seine Besiegten in der Tat empfand, auf alle Weise zur Schau zu tragen,
+den Wunsch des Koenigs, selber nach Rom zu kommen, zu erkennen zu
+geben, durch die im Munde des Feindes so wohlklingende Lob- und durch
+ernste Schmeichelrede, gelegentlich auch durch wohlangebrachte
+Geschenke die Gemueter zu des Koenigs Gunsten zu stimmen, kurz, alle
+Kuenste der Kabinettspolitik, wie sie an den Hoefen von Alexandreia und
+Antiocheia erprobt waren, gegen die Roemer zu versuchen. Der Senat
+schwankte; manchen erschien es der Klugheit gemaess, einen Schritt
+zurueck zu tun und abzuwarten, bis der gefaehrliche Gegner sich weiter
+verwickelt haben oder nicht mehr sein wuerde. Indes der greise und
+blinde Konsular Appius Claudius (Zensor 442 312, Konsul 447, 458 307,
+296), der seit langem sich von den Staatsgeschaeften zurueckgezogen
+hatte, aber in diesem entscheidenden Augenblick sich in den Senat
+fuehren liess, hauchte die ungebrochene Energie einer gewaltigen Natur
+mit seinen Flammenworten dem juengeren Geschlecht in die Seele. Man
+antwortete dem Koenig das stolze Wort, das hier zuerst vernommen und
+seitdem Staatsgrundsatz ward, dass Rom nicht unterhandle, solange
+auswaertige Truppen auf italischem Gebiet staenden, und das Wort wahr
+zu machen, wies man den Gesandten sofort aus der Stadt. Der Zweck der
+Sendung war verfehlt und der gewandte Diplomat, statt mit seiner
+Redekunst Effekt zu machen, hatte vielmehr durch diesen maennlichen
+Ernst nach so schwerer Niederlage sich selber imponieren lassen - er
+erklaerte daheim, dass in dieser Stadt jeder Buerger ihm erschienen sei
+wie ein Koenig; freilich, der Hofmann hatte ein freies Volk zu Gesicht
+bekommen.
+
+Pyrrhos, der waehrend dieser Verhandlungen in Kampanien eingerueckt
+war, brach auf die Nachricht von ihrem Abbruch sogleich auf gegen Rom,
+um den Etruskern die Hand zu reichen, die Bundesgenossen Roms zu
+erschuettern, die Stadt selber zu bedrohen. Aber die Roemer liessen
+sich so wenig schrecken wie gewinnen. Auf den Ruf des Heroldes, “an die
+Stelle der Gefallenen sich einschreiben zu lassen”, hatte gleich nach
+der Schlacht von Herakleia die junge Mannschaft sich scharenweise zur
+Aushebung gedraengt; mit den beiden neugebildeten Legionen und dem aus
+Lucanien zurueckgezogenen Korps folgte Laevinus, staerker als vorher,
+dem Marsch des Koenigs; er deckte gegen denselben Capua und vereitelte
+dessen Versuche, mit Neapel Verbindungen anzuknuepfen. So straff war
+die Haltung der Roemer, dass ausser den unteritalischen Griechen kein
+namhafter Bundesstaat es wagte, vom roemischen Buendnis abzufallen. Da
+wandte Pyrrhos sich gegen Rom selbst. Durch die reiche Landschaft,
+deren bluehenden Zustand er mit Bewunderung schaute, zog er gegen
+Fregellae, das er ueberrumpelte, erzwang den Uebergang ueber den Liris
+und gelangte bis nach Anagnia, das nicht mehr als acht deutsche Meilen
+von Rom entfernt ist. Kein Heer warf sich ihm entgegen; aber ueberall
+schlossen die Staedte Latiums ihm die Tore, und gemessenen Schrittes
+folgte von Kampanien aus Laevinus ihm nach, waehrend von Norden der
+Konsul Tiberius Coruncanius, der soeben mit den Etruskern durch einen
+rechtzeitigen Friedensschluss sich abgefunden hatte, eine zweite
+roemische Armee heranfuehrte und in Rom selbst die Reserve unter dem
+Diktator Gnaeus Domitius Calvinus sich zum Kampfe fertig machte.
+Dagegen war nichts auszurichten; dem Koenig blieb nichts uebrig als
+umzukehren. Eine Zeitlang stand er noch in Kampanien den vereinigten
+Heeren der beiden Konsuln untaetig gegenueber; aber es bot sich keine
+Gelegenheit, einen Hauptschlag auszufuehren. Als der Winter herankam,
+raeumte der Koenig das feindliche Gebiet und verteilte seine Truppen in
+die befreundeten Staedte; er selbst nahm Winterquartier in Tarent.
+Hierauf stellten auch die Roemer ihre Operationen ein; das Heer bezog
+Standquartiere bei Firmum im Picenischen, wo auf Befehl des Senats die
+am Siris geschlagenen Legionen den Winter hindurch zur Strafe unter
+Zelten kampierten.
+
+So endigte der Feldzug des Jahres 474 (280). Der Sonderfriede, den
+Etrurien im entscheidenden Augenblick mit Rom abgeschlossen hatte, und
+des Koenigs unvermuteter Rueckzug, der die hochgespannten Hoffnungen
+der italischen Bundesgenossen gaenzlich taeuschte, wogen zum grossen
+Teil den Eindruck des Sieges von Herakleia auf. Die Italiker
+beschwerten sich ueber die Lasten des Krieges, namentlich ueber die
+schlechte Mannszucht der bei ihnen einquartierten Soeldner, und der
+Koenig, muede des kleinlichen Gezaenks und des unpolitischen wie
+unmilitaerischen Gehabens seiner Bundesgenossen, fing an zu ahnen, dass
+die Aufgabe, die ihm zugefallen war, trotz aller taktischen Erfolge
+politisch unloesbar sein moege. Die Ankunft einer roemischen
+Gesandtschaft, dreier Konsulate, darunter der Sieger von Thurii, Gaius
+Fabricius, liess einen Augenblick wieder die Friedenshoffnungen bei ihm
+erwachen; allein es zeigte sich bald, dass sie nur Vollmacht hatte,
+wegen Loesung oder Auswechselung der Gefangenen zu unterhandeln.
+Pyrrhos schlug diese Forderung ab, allein er entliess zur Feier der
+Saturnalien saemtliche Gefangene auf ihr Ehrenwort; dass sie es hielten
+und dass der roemische Gesandte einen Bestechungsversuch abwies, hat
+man in der Folgezeit in unschicklichster und mehr fuer die Ehrlosigkeit
+der spaeteren als die Ehrenhaftigkeit der frueheren Zeit bezeichnender
+Weise gefeiert.
+
+Mit dem Fruehjahr 475 (279) ergriff Pyrrhos abermals die Offensive und
+rueckte in Apulien ein, wohin das roemische Heer ihm entgegenkam. In
+der Hoffnung durch einen entscheidenden Sieg die roemische Symmachie in
+diesen Landschaften zu erschuettern, bot der Koenig eine zweite
+Schlacht an und die Roemer verweigerten sie nicht. Bei Ausculum (Ascoli
+di Puglia) trafen beide Heere aufeinander. Unter Pyrrhos’ Fahnen
+fochten ausser seinen epeirotischen und makedonischen Truppen die
+italischen Soeldner, die Buergerwehr - die sogenannten Weissschilde -
+von Tarent und die verbuendeten Lucaner, Brettier und Samniten,
+zusammen 70000 Mann zu Fuss, davon 16000 Griechen und Epeiroten, ueber
+8000 Reiter und 19 Elefanten. Mit den Roemern standen an diesem Tage
+die Latiner, Kampaner, Volsker, Sabiner, Umbrer, Marruciner, Paeligner,
+Frentaner und Arpaner; auch sie zaehlten ueber 70000 Mann zu Fuss,
+darunter 20000 roemische Buerger, und 8000 Reiter. Beide Teile hatten
+in ihrem Heerwesen Aenderungen vorgenommen. Pyrrhos, mit scharfem
+Soldatenblick die Vorzuege der roemischen Manipularordnung erkennend,
+hatte auf den Fluegeln die lange Front seiner Phalangen vertauscht mit
+einer der Kohortenstellung nachgebildeten unterbrochenen Aufstellung in
+Faehnlein und, vielleicht nicht minder aus politischen wie aus
+militaerischen Gruenden, zwischen die Abteilungen seiner eigenen Leute
+die tarentinischen und samnitischen Kohorten eingeschoben; im
+Mitteltreffen allein stand die epeirotische Phalanx in geschlossener
+Reihe. Die Roemer fuehrten zur Abwehr der Elefanten eine Art
+Streitwagen heran, aus denen Feuerbecken an eisernen Stangen
+hervorragten und auf denen bewegliche, zum Herablassen eingerichtete
+und in Eisenstachel endende Maste befestigt waren - gewissermassen das
+Vorbild der Enterbruecken, die im Ersten Punischen Krieg eine so grosse
+Rolle spielen sollten.
+
+Nach dem griechischen Schlachtbericht, der minder parteiisch scheint
+als der uns auch vorliegende roemische, waren die Griechen am ersten
+Tage im Nachteil, da sie weder dazu gelangten, an den schroffen und
+sumpfigen Flussufern, wo sie gezwungen wurden, das Gefecht anzunehmen,
+ihre Linie zu entwickeln, noch Reiterei und Elefanten ins Gefecht zu
+bringen. Am zweiten Tage kam dagegen Pyrrhos den Roemern in der
+Besetzung des durchschnittenen Terrains zuvor und erreichte so ohne
+Verlust die Ebene, wo er seine Phalanx ungestoert entfalten konnte.
+Vergeblich stuerzten sich die Roemer verzweifelten Muts mit ihren
+Schwertern auf die Sarissen; die Phalanx stand unerschuetterlich jedem
+Angriff von vorn, doch vermochte auch sie es nicht, die roemischen
+Legionen zum Weichen zu bringen. Erst als die zahlreiche Bedeckung der
+Elefanten die auf den roemischen Streitwagen fechtende Mannschaft durch
+Pfeile und Schleudersteine vertrieben und der Bespannung die Straenge
+zerschnitten hatte und nun die Elefanten gegen die roemische Linie
+anprallten, kam dieselbe ins Schwanken. Das Weichen der
+Bedeckungsmannschaft der roemischen Wagen gab das Signal zur
+allgemeinen Flucht, die indes nicht sehr zahlreiche Opfer kostete, da
+das nahe Lager die Verfolgten aufnahm. Dass waehrend des Haupttreffens
+ein von der roemischen Hauptmacht abgesondertes arpanisches Korps das
+schwach besetzte epeirotische Lager angegriffen und in Brand gesteckt
+habe, meldet nur der roemische Schlachtbericht; wenn es aber auch
+richtig ist, so haben doch die Roemer auf alle Faelle mit Unrecht
+behauptet, dass die Schlacht unentschieden geblieben sei. Beide
+Berichte stimmen vielmehr darin ueberein, dass das roemische Heer ueber
+den Fluss zurueckging und Pyrrhos im Besitz des Schlachtfeldes blieb.
+Die Zahl der Gefallenen war nach dem griechischen Berichte auf
+roemischer Seite 6000, auf griechischer 3505 ^3; unter den Verwundeten
+war der Koenig selbst, dem ein Wurfspiess den Arm durchbohrt hatte,
+waehrend er wie immer im dichtesten Getuemmel kaempfte. Wohl war es ein
+Sieg, den Pyrrhos erfochten hatte, aber es waren unfruchtbare
+Lorbeeren; als Feldherrn wie als Soldaten machte der Sieg dem Koenig
+Ehre, aber seine politischen Zwecke hat er nicht gefoerdert. Pyrrhos
+bedurfte eines glaenzenden Erfolges, der das roemische Heer aufloeste
+und den schwankenden Bundesgenossen die Gelegenheit und den Anstoss zum
+Parteiwechsel gab; da aber die roemische Armee und die roemische
+Eidgenossenschaft ungebrochen geblieben und das griechische Heer, das
+nichts war ohne seinen Feldherrn, durch dessen Verwundung auf laengere
+Zeit angefesselt ward, musste er wohl den Feldzug verloren geben und in
+die Winterquartiere gehen, die der Koenig in Tarent, die Roemer diesmal
+in Apulien nahmen. Immer deutlicher offenbarte es sich, dass
+militaerisch die Hilfsquellen des Koenigs den roemischen ebenso
+nachstanden, wie politisch die lose und widerspenstige Koalition den
+Vergleich nicht aushielt mit der festgegruendeten roemischen Symmachie.
+Wohl konnte das Ueberraschende und Gewaltige in der griechischen
+Kriegfuehrung, das Genie des Feldherrn noch einen Sieg mehr wie die von
+Herakleia und Ausculum erfechten, aber jeder neue Sieg vernutzte die
+Mittel zu weiteren Unternehmungen und es war klar, dass die Roemer
+schon jetzt sich als die Staerkeren fuehlten und den endlichen Sieg mit
+mutiger Geduld erharrten. Dieser Krieg war nicht das feine Kunstspiel,
+wie die griechischen Fuersten es uebten und verstanden; an der vollen
+und gewaltigen Energie der Landwehr zerschellten alle strategischen
+Kombinationen. Pyrrhos fuehlte, wie die Dinge standen; ueberdruessig
+seiner Siege und seine Bundesgenossen verachtend, harrte er nur aus,
+weil die militaerische Ehre ihm vorschrieb, Italien nicht zu verlassen,
+bevor er seine Schutzbefohlenen vor den Barbaren gesichert haben
+wuerde. Es war bei seinem ungeduldigen Naturell vorauszusetzen, dass er
+den ersten Vorwand ergreifen wuerde, um der laestigen Pflicht sich zu
+entledigen; und die Veranlassung, sich von Italien zu entfernen, boten
+bald die sizilischen Angelegenheiten ihm dar.
+
+—————————————————————
+
+^3 Diese Zahlen scheinen glaubwuerdig. Der roemische Bericht gibt, wohl
+an Toten und Verwundeten, fuer jede Seite 15000 Mann an, ein spaeterer
+sogar auf roemischer 5000, auf griechischer 20000 Tote. Es mag das hier
+Platz finden um an einem der seltenen Beispiele, wo Kontrolle moeglich
+ist, die fast ausnahmslose Unglaubwuerdigkeit der Zahlenangaben zu
+zeigen, in denen die Luege bei den Annalisten lawinenartig anschwillt.
+
+—————————————————————
+
+Nach Agathokles’ Tode (465 289) fehlte es den sizilischen Griechen an
+jeder leitenden Macht. Waehrend in den einzelnen hellenischen Staedten
+unfaehige Demagogen und unfaehige Tyrannen einander abloesten, dehnten
+die Karthager, die alten Herren der Westspitze, ihre Herrschaft
+ungestoert aus. Nachdem Akragas ihnen erlegen war, glaubten sie die
+Zeit gekommen, um zu dem seit Jahrhunderten im Auge behaltenen Ziel
+endlich den letzten Schritt zu tun und die ganze Insel unter ihre
+Botmaessigkeit zu bringen: sie wandten sich zum Angriff auf Syrakus.
+Die Stadt, die einst mit ihren Heeren und Flotten Karthago den Besitz
+der Insel streitig gemacht hatte, war durch den inneren Hader und die
+Schwaeche des Regiments so tief herabgekommen, dass sie ihre Rettung
+suchen musste in dem Schutz ihrer Mauern und in auswaertiger Hilfe; und
+niemand konnte diese gewaehren als Koenig Pyrrhos. Pyrrhos war des
+Agathokles Tochtermann, sein Sohn, der damals sechzehnjaehrige
+Alexander, des Agathokles Enkel, beide in jeder Beziehung die
+natuerlichen Erben der hochfliegenden Plaene des Herrn von Syrakus; und
+wenn es mit der Freiheit doch zu Ende war, konnte Syrakus Ersatz darin
+finden, die Hauptstadt eines westhellenischen Reiches zu sein. So
+trugen die Syrakusaner gleich den Tarentinern und unter aehnlichen
+Bedingungen dem Koenig Pyrrhos freiwillig die Herrschaft entgegen (um
+475 279), und durch eine seltene Fuegung der Dinge schien sich alles zu
+vereinigen zum Gelingen der grossartigen, zunaechst auf den Besitz von
+Tarent und Syrakus gebauten Plaene des Epeirotenkoenigs.
+
+Freilich war die naechste Folge von dieser Vereinigung der italischen
+und sizilischen Griechen unter eine Hand, dass auch die Gegner sich
+enger zusammenschlossen. Karthago und Rom verwandelten ihre alten
+Handelsvertraege jetzt in ein Offensiv- und Defensivbuendnis gegen
+Pyrrhos (475 279), dessen Bedingungen dahin lauteten, dass, wenn
+Pyrrhos roemisches oder karthagisches Gebiet betrete, der nicht
+angegriffene Teil dem angegriffenen auf dessen Gebiet Zuzug leisten und
+die Hilfstruppen selbst besolden solle; dass in solchem Falle Karthago
+die Transportschiffe zu stellen und auch mit der Kriegsflotte den
+Roemern beizustehen sich verpflichte, doch solle deren Bemannung nicht
+gehalten sein, zu Lande fuer die Roemer zu fechten; dass endlich beide
+Staaten sich das Wort gaeben, keinen Sonderfrieden mit Pyrrhos zu
+schliessen. Der Zweck des Vertrages war auf roemischer Seite, einen
+Angriff auf Tarent moeglich zu machen und Pyrrhos von der Heimat
+abzuschneiden, was beides ohne Mitwirkung der punischen Flotte nicht
+ausfuehrbar war, auf seiten der Karthager, den Koenig in Italien
+festzuhalten, um ihre Absichten auf Syrakus ungestoert ins Werk setzen
+zu koennen ^4. Es lag also im Interesse beider Maechte, zunaechst sich
+des Meeres zwischen Italien und Sizilien zu versichern. Eine starke
+karthagische Flotte von 120 Segeln unter dem Admiral Mago ging von
+Ostia, wohin Mago sich begeben zu haben scheint, um jenen Vertrag
+abzuschliessen, nach der sizilischen Meerenge. Die Mamertiner, die fuer
+ihre Frevel gegen die griechische Bevoelkerung Messanas die gerechte
+Strafe erwartete, wenn Pyrrhos in Sizilien und Italien ans Regiment
+kam, schlossen sich eng an die Roemer und Karthager und sicherten
+diesen die sizilische Seite des Passes. Gern haetten die Verbuendeten
+auch Rhegion auf der gegenueberliegenden Kueste in ihre Gewalt
+gebracht; allein verzeihen konnte Rom der kampanischen Besatzung
+unmoeglich, und ein Versuch der vereinigten Roemer und Karthager, sich
+der Stadt mit gewaffneter Hand zu bemaechtigen, schlug fehl. Von dort
+segelte die karthagische Flotte nach Syrakus und blockierte die Stadt
+von der Seeseite, waehrend gleichzeitig ein starkes phoenikisches Heer
+die Belagerung zu Lande begann (476 278). Es war hohe Zeit, dass
+Pyrrhos in Syrakus erschien; aber freilich standen in Italien die
+Angelegenheiten keineswegs so, dass er und seine Truppen dort entbehrt
+werden konnten. Die beiden Konsuln des Jahres 476 (278) Gaius Fabricius
+Luscinus und Quintus Aemilius Papus, beide erprobte Generale, hatten
+den neuen Feldzug kraeftig begonnen, und obwohl bisher die Roemerin
+diesem Kriege nur Niederlagen erlitten hatten, waren nicht sie es,
+sondern die Sieger, die sich ermattet fuehlten und den Frieden
+herbeiwuenschten. Pyrrhos machte noch einen Versuch, ein leidliches
+Abkommen zu erlangen. Der Konsul Fabricius hatte dem Koenig einen
+Elenden zugesandt, der ihm den Antrag gemacht, gegen gute Bezahlung den
+Koenig zu vergiften. Zum Dank gab der Koenig nicht bloss alle
+roemischen Gefangenen ohne Loesegeld frei, sondern er fuehlte sich so
+hingerissen von dem Edelsinn seiner tapferen Gegner, dass er zur
+Belohnung ihnen selber einen ungemein billigen und guenstigen Frieden
+antrug. Kineas scheint noch einmal nach Rom gegangen zu sein und
+Karthago ernstlich gefuerchtet zu haben, dass sich Rom zum Frieden
+bequeme. Indes der Senat blieb fest und wiederholte seine fruehere
+Antwort. Wollte der Koenig nicht Syrakus den Karthagern in die Haende
+fallen und damit seinen grossen Plan sich zerstoeren lassen, so blieb
+ihm nichts anderes uebrig, als seine italischen Bundesgenossen
+preiszugeben und sich vorlaeufig auf den Besitz der wichtigsten
+Hafenstaedte, namentlich von Tarent und Lokri, zu beschraenken.
+Vergebens beschworen ihn die Lucaner und Samniten, sie nicht im Stich
+zu lassen; vergebens forderten die Tarentiner ihn auf, entweder seiner
+Feldherrnpflicht nachzukommen oder die Stadt ihnen zurueckzugeben. Den
+Klagen und Vorwuerfen setzte der Koenig Vertroestungen auf kuenftige
+bessere Zeiten oder auch derbe Abweisung entgegen; Milon blieb in
+Tarent zurueck, des Koenigs Sohn Alexander in Lokri und mit der
+Hauptmacht schiffte noch im Fruehjahr 476 (278) sich Pyrrhos in Tarent
+nach Syrakus ein.
+
+————————————————————————————
+
+^4 Die spaeteren Roemer und mit ihnen die neueren geben dem Buendnis
+die Wendung, als haetten die Roemer absichtlich vermieden, die
+karthagische Hilfe in Italien anzunehmen. Das waere unvernuenftig
+gewesen, und die Tatsachen sprechen dagegen. Dass Mago in Ostia nicht
+landete, erklaert sich nicht aus solcher Vorsicht, sondern einfach
+daraus, dass Latium von Pyrrhos ganz und gar nicht bedroht war und
+karthagischen Beistandes also nicht bedurfte; und vor Rhegion kaempften
+die Karthager allerdings fuer Rom.
+
+————————————————————————————
+
+Nach Pyrrhos’ Abzug erhielten die Roemer freie Hand in Italien, wo
+niemand ihnen auf offenem Felde zu widerstehen wagte und die Gegner
+ueberall sich einschlossen in ihre Festen oder in ihre Waelder. Indes
+der Kampf ging nicht so schnell zu Ende, wie man wohl gehofft haben
+mochte, woran teils die Natur dieses Gebirgs- und Belagerungskrieges
+schuld war, teils wohl auch die Erschoepfung der Roemer, von deren
+furchtbaren Verlusten das Sinken der Buergerrolle von 473 (281) auf 479
+(275) um 17000 Koepfe zeugt. Noch im Jahre 476 (278) gelang es dem
+Konsul Gaius Fabricius, die bedeutende tarentinische Pflanzstadt
+Herakleia zu einem Sonderfrieden zu bringen, der ihr unter den
+guenstigsten Bedingungen gewaehrt ward. Im Feldzug von 477 (277) schlug
+man sich in Samnium herum, wo ein leichtsinnig unternommener Angriff
+auf die verschanzten Hoehen den Roemern viele Leute kostete, und wandte
+sich alsdann nach dem suedlichen Italien, wo die Lucaner und Brettier
+geschlagen wurden. Dagegen kam bei einem Versuch, Kroton zu
+ueberrumpeln, Milon von Tarent aus den Roemern zuvor; die epeirotische
+Besatzung machte alsdann sogar einen gluecklichen Ausfall gegen das
+belagernde Heer. Indes gelang es endlich dem Konsul dennoch, dieselbe
+durch eine Kriegslist zum Abmarsch zu bestimmen und der unverteidigten
+Stadt sich zu bemaechtigen (477 277). Wichtiger war es, dass die
+Lokrenser, die frueher die roemische Besatzung dem Koenig ausgeliefert
+hatten, jetzt, den Verrat durch Verrat suehnend, die epeirotische
+erschlugen; womit die ganze Suedkueste in den Haenden der Roemer war
+mit Ausnahme von Rhegion und Tarent. Indes mit diesen Erfolgen war man
+im wesentlichen doch wenig gefoerdert. Unteritalien selbst war laengst
+wehrlos; Pyrrhos aber war nicht bezwungen, solange Tarent in seinen
+Haenden und ihm damit die Moeglichkeit blieb, den Krieg nach Belieben
+wieder zu erneuern, und an die Belagerung dieser Stadt konnten die
+Roemer nicht denken. Selbst davon abgesehen, dass in dem durch Philipp
+von Makedonien und Demetrios den Belagerer umgeschaffenen Festungskrieg
+die Roemer gegen einen erfahrenen und entschlossenen griechischen
+Kommandanten im entschiedensten Nachteil waren, bedurfte es dazu einer
+starken Flotte, und obwohl der karthagische Vertrag den Roemern
+Unterstuetzung zur See verhiess, so standen doch Karthagos eigene
+Angelegenheiten in Sizilien durchaus nicht so, dass es diese haette
+gewaehren koennen.
+
+Pyrrhos’ Landung auf der Insel, welche trotz der karthagischen Flotte
+ungehindert erfolgt war, hatte dort mit einem Schlage die Lage der
+Dinge veraendert. Er hatte Syrakus sofort entsetzt, alle freien
+Griechenstaedte in kurzer Zeit in seiner Hand vereinigt und als Haupt
+der sikeliotischen Konfoederation den Karthagern fast ihre saemtlichen
+Besitzungen entrissen. Kaum vermochten mit Hilfe der damals auf dem
+Mittelmeer ohne Nebenbuhler herrschenden karthagischen Flotte sich die
+Karthager in Lilybaeon, die Mamertiner in Messana, und auch hier unter
+steten Angriffen, zu behaupten. Unter solchen Umstaenden waere in
+Gemaessheit des Vertrags von 475 (279) viel eher Rom im Fall gewesen,
+den Karthagern auf Sizilien Beistand zu leisten, als Karthago mit
+seiner Flotte den Roemern Tarent erobern zu helfen; ueberhaupt aber war
+man eben von keiner Seite sehr geneigt, dem Bundesgenossen die Macht zu
+sichern oder gar zu erweitern. Karthago hatte den Roemern die Hilfe
+erst angeboten, als die wesentliche Gefahr vorueber war; diese
+ihrerseits hatten nichts getan, den Abzug des Koenigs aus Italien, den
+Sturz der karthagischen Macht in Sizilien zu verhindern. Ja in offener
+Verletzung der Vertraege hatte Karthago sogar dem Koenig einen
+Sonderfrieden angetragen und gegen den ungestoerten Besitz von
+Lilybaeon sich erboten, auf die uebrigen sizilischen Besitzungen zu
+verzichten, sogar dem Koenig Geld und Kriegsschiffe zur Verfuegung zu
+stellen, natuerlich zur Ueberfahrt nach Italien und zur Erneuerung des
+Krieges gegen Rom. Indes es war einleuchtend, dass mit dem Besitz von
+Lilybaeon und der Entfernung des Koenigs die Stellung der Karthager auf
+der Insel ungefaehr dieselbe geworden waere, wie sie vor Pyrrhos’
+Landung gewesen war; sich selbst ueberlassen waren die griechischen
+Staedte ohnmaechtig und das verlorene Gebiet leicht wiedergewonnen. So
+schlug Pyrrhos den nach zwei Seiten hin perfiden Antrag aus und ging
+daran, sich selber eine Kriegsflotte zu erbauen. Nur Unverstand und
+Kurzsichtigkeit haben dies spaeter getadelt; es war vielmehr ebenso
+notwendig als mit den Mitteln der Insel leicht durchzufuehren.
+Abgesehen davon, dass der Herr von Ambrakia, Tarent und Syrakus nicht
+ohne Seemacht sein konnte, bedurfte er der Flotte, um Lilybaeon zu
+erobern, um Tarent zu schuetzen, um Karthago daheim anzugreifen, wie es
+Agathokles, Regulus, Scipio vor- und nachher mit so grossem Erfolg
+getan. Nie stand Pyrrhos seinem Ziele naeher als im Sommer 478 (276),
+wo er Karthago gedemuetigt vor sich sah, Sizilien beherrschte und mit
+Tarents Besitz einen festen Fuss in Italien behauptete, und wo die
+neugeschaffene Flotte, die alle diese Erfolge zusammenknuepfen, sichern
+und steigern sollte, zur Abfahrt fertig im Hafen von Syrakus lag.
+
+Die wesentliche Schwaeche von Pyrrhos’ Stellung beruhte auf seiner
+fehlerhaften inneren Politik. Er regierte Sizilien wie er Ptolemaeos
+hatte in Aegypten herrschen sehen; er respektierte die
+Gemeindeverfassungen nicht, setzte seine Vertrauten zu Amtleuten ueber
+die Staedte wann und auf so lange es ihm gefiel, gab anstatt der
+einheimischen Geschworenen seine Hofleute zu Richtern, sprach
+Konfiskationen, Verbannungen, Todesurteile nach Gutduenken aus und
+selbst ueber diejenigen, die seine Ueberkunft nach Sizilien am
+lebhaftesten betrieben hatten, legte Besatzungen in die Staedte und
+beherrschte Sizilien nicht als der Fuehrer des Nationalbundes, sondern
+als Koenig. Mochte er dabei nach orientalisch-hellenistischen Begriffen
+sich ein guter und weiser Regent zu sein duenken und auch wirklich
+sein, so ertrugen doch die Griechen diese Verpflanzung des
+Diadochensystems nach Syrakus mit aller Ungeduld einer in langer
+Freiheitsagonie aller Zucht entwoehnten Nation; sehr bald duenkte das
+karthagische Joch dem toerichten Volk ertraeglicher als das neue
+Soldatenregiment. Die bedeutendsten Staedte knuepften mit den
+Karthagern, ja mit den Mamertinern Verbindungen an; ein starkes
+karthagisches Heer wagte wieder, sich auf der Insel zu zeigen und,
+ueberall von den Griechen unterstuetzt, machte es reissende
+Fortschritte. Zwar in der Schlacht, die Pyrrhos ihm lieferte, war das
+Glueck wie immer mit dem “Adler”; allein es hatte sich bei dieser
+Gelegenheit offenbart, wie die Stimmung auf der Insel war und was
+kommen konnte und musste, wenn der Koenig sich entfernte.
+
+Zu diesem ersten und wesentlichsten Fehler fuegte Pyrrhos einen
+zweiten: er ging mit der Flotte statt nach Lilybaeon nach Tarent.
+Augenscheinlich musste er, eben bei der Gaerung in den Gemuetern der
+Sikelioten, vor allen Dingen erst von dieser Insel die Karthager ganz
+verdraengt und damit den Unzufriedenen den letzten Rueckhalt
+abgeschnitten haben, ehe er nach Italien sich wenden durfte; hier war
+nichts zu versaeumen, denn Tarent war ihm sicher genug und an den
+uebrigen Bundesgenossen, nachdem sie einmal aufgegeben waren, jetzt
+wenig gelegen. Es ist begreiflich, dass sein Soldatensinn ihn trieb,
+den nicht sehr ehrenvollen Abzug vom Jahre 476 (278) durch eine
+glaenzende Wiederkehr auszutilgen und dass ihm das Herz blutete, wenn
+er die Klagen der Lucaner und Samniten vernahm. Allein Aufgaben, wie
+sie Pyrrhos sich gestellt hatte, koennen nur geloest werden von
+eisernen Naturen, die das Mitleid und selbst das Ehrgefuehl zu
+beherrschen vermoegen; und eine solche war Pyrrhos nicht.
+
+Die verhaengnisvolle Einschiffung fand statt gegen das Ende des Jahres
+478 (276). Unterwegs hatte die neue syrakusanische Flotte mit der
+karthagischen ein heftiges Gefecht zu bestehen und buesste darin eine
+betraechtliche Anzahl Schiffe ein. Die Entfernung des Koenigs und die
+Kunde von diesem ersten Unfall genuegten zum Sturz des sikeliotischen
+Reiches; auf sie hin weigerten alle Staedte dem abwesenden Koenig Geld
+und Truppen und der glaenzende Staat brach schneller noch als er
+entstanden war wiederum zusammen, teils weil der Koenig selbst die
+Treue und Liebe, auf der jedes Gemeinwesen ruht, in den Herzen seiner
+Untertanen untergraben hatte, teils weil es dem Volk an der Hingebung
+fehlte, zur Rettung der Nationalitaet auf vielleicht nur kurze Zeit der
+Freiheit zu entsagen. Damit war Pyrrhos’ Unternehmen gescheitert, der
+Plan seines Lebens ohne Aussicht dahin; er ist fortan ein Abenteurer,
+der es fuehlt, dass er viel gewesen und nichts mehr ist, der den Krieg
+nicht mehr als Mittel zum Zwecke fuehrt, sondern, um in wildem
+Wuerfelspiel sich zu betaeuben und womoeglich im Schlachtgetuemmel
+einen Soldatentod zu finden. An der italischen Kueste angelangt, begann
+der Koenig mit einem Versuch, sich Rhegions zu bemaechtigen, aber mit
+Hilfe der Mamertiner schlugen die Kampaner den Angriff ab, und in dem
+hitzigen Gefecht vor der Stadt ward der Koenig selbst verwundet, indem
+er einen feindlichen Offizier vom Pferde hieb. Dagegen ueberrumpelte er
+Lokri, dessen Einwohner die Niedermetzelung der epeirotischen Besatzung
+schwer buessten, und pluenderte den reichen Schatz des
+Persephonetempels daselbst, um seine leere Kasse zu fuellen. So
+gelangte er nach Tarent, angeblich mit 20000 Mann zu Fuss und 3000
+Reitern. Aber es waren nicht mehr die erprobten Veteranen von vordem
+und nicht mehr begruessten die Italiker in ihnen ihre Retter; das
+Vertrauen und die Hoffnung, damit man den Koenig fuenf Jahre zuvor
+empfing, waren gewichen, den Verbuendeten Geld und Mannschaft
+ausgegangen. Den schwer bedraengten Samniten, in deren Gebiet die
+Roemer 478/79 (276/75) ueberwintert hatten, zu Hilfe rueckte der Koenig
+im Fruehjahr 479 (275) ins Feld und zwang bei Benevent auf dem
+Arusinischen Felde den Konsul Manius Curius zur Schlacht, bevor er sich
+mit seinem von Lucanien heranrueckenden Kollegen vereinigen konnte.
+Aber die Heeresabteilung, die den Roemern in die Flanke zu fallen
+bestimmt war, verirrte sich waehrend des Nachtmarsches in den Waeldern
+und blieb im entscheidenden Augenblick aus; und nach heftigem Kampf
+entschieden auch hier wieder die Elefanten die Schlacht, aber diesmal
+fuer die Roemer, indem sie, von den zur Bedeckung des Lagers
+aufgestellten Schuetzen in Verwirrung gebracht, auf ihre eigenen Leute
+sich warfen. Die Sieger besetzten das Lager; in ihre Haende fielen 1300
+Gefangene und vier Elefanten - die ersten, die Rom sah, ausserdem eine
+unermessliche Beute, aus deren Erloes spaeter in Rom der Aquaedukt,
+welcher das Aniowasser von Tibur nach Rom fuehrte, gebaut ward. Ohne
+Truppen, um das Feld zu halten, und ohne Geld sandte Pyrrhos an seine
+Verbuendeten, die ihm zur Ausruestung nach Italien gesteuert hatten,
+die Koenige von Makedonien und Asien; aber auch in der Heimat
+fuerchtete man ihn nicht mehr und schlug die Bitte ab. Verzweifelnd an
+dem Erfolg gegen Rom und erbittert durch diese Weigerungen liess
+Pyrrhos Besatzung in Tarent und ging selber noch im selben Jahre (479
+275) heim nach Griechenland, wo eher noch als bei dem stetigen und
+gemessenen Gang der italischen Verhaeltnisse sich dem verzweifelten
+Spieler eine Aussicht eroeffnen mochte. In der Tat gewann er nicht
+bloss schnell zurueck, was von seinem Reiche war abgerissen worden,
+sondern er griff noch einmal und nicht ohne Erfolg nach der
+makedonischen Krone. Allein an Antigonos Gonatas’ ruhiger und
+umsichtiger Politik und mehr noch an seinem eigenen Ungestuem und der
+Unfaehigkeit, den stolzen Sinn zu zaehmen, scheiterten auch seine
+letzten Plaene; er gewann noch Schlachten, aber keinen dauernden Erfolg
+mehr und fand sein Ende in einem elenden Strassengefecht im
+peloponnesischen Argos (482 272).
+
+In Italien ist der Krieg zu Ende mit der Schlacht bei Benevent; langsam
+verenden die letzten Zuckungen der nationalen Partei. Zwar so lange der
+Kriegsfuerst, dessen maechtiger Arm es gewagt hatte, dem Schicksal in
+die Zuegel zu fallen, noch unter den Lebenden war, hielt er, wenngleich
+abwesend, gegen Rom die feste Burg von Tarent. Mochte auch nach des
+Koenigs Entfernung in der Stadt die Friedenspartei die Oberhand
+gewinnen, Milon, der fuer Pyrrhos darin den Befehl fuehrte, wies ihre
+Anmutungen ab und liess die roemisch gesinnten Staedter in dem Kastell,
+das sie im Gebiet von Tarent sich errichtet hatten, auf ihre eigene
+Hand mit Rom Frieden schliessen, wie es ihnen beliebte, ohne darum
+seine Tore zu oeffnen. Aber als nach Pyrrhos’ Tode eine karthagische
+Flotte in den Hafen einlief und Milon die Buergerschaft im Begriff sah,
+die Stadt an die Karthager auszuliefern, zog er es vor, dem roemischen
+Konsul Lucius Papirius die Burg zu uebergeben (482 272) und damit fuer
+sich und die Seinigen freien Abzug zu erkaufen. Fuer die Roemer war
+dies ein ungeheurer Gluecksfall. Nach den Erfahrungen, die Philipp vor
+Perinth und Byzanz, Demetrios vor Rhodos, Pyrrhos vor Lilybaeon gemacht
+hatten, laesst sich bezweifeln, ob die damalige Strategik ueberhaupt
+imstande war, eine wohlbefestigte und wohlverteidigte und von der See
+her zugaengliche Stadt zur Uebergabe zu zwingen; und welche Wendung
+haetten die Dinge nehmen moegen, wenn Tarent das in Italien fuer die
+Phoeniker geworden waere, was in Sizilien Lilybaeon fuer sie gewesen
+war! Indes das Geschehene war nicht zu aendern. Der karthagische
+Admiral, da er die Burg in den Haenden der Roemer sah, erklaerte, nur
+vor Tarent erschienen zu sein, um dem Vertrage gemaess den
+Bundesgenossen bei der Belagerung der Stadt Hilfe zu leisten, und ging
+unter Segel nach Afrika; und die roemische Gesandtschaft, welche wegen
+der versuchten Okkupation von Tarent Aufklaerung zu fordern und
+Beschwerde zu fuehren nach Karthago gesandt ward, brachte nichts
+zurueck als die feierliche und eidliche Bekraeftigung dieser
+angeblichen bundesfreundlichen Absicht, wobei man denn auch in Rom
+vorlaeufig sich beruhigte. Die Tarentiner erhielten, vermutlich durch
+Vermittlung ihrer Emigrierten, die Autonomie von den Roemern zurueck;
+aber Waffen und Schiffe mussten ausgeliefert und die Mauern
+niedergerissen werden.
+
+In demselben Jahre, in dem Tarent roemisch ward, unterwarfen sich
+endlich auch die Samniten, Lucaner und Brettier, welche letztere die
+Haelfte des eintraeglichen und fuer den Schiffbau wichtigen Silawaldes
+abtreten mussten.
+
+Endlich traf auch die seit zehn Jahren in Rhegion hausende Bande die
+Strafe fuer den gebrochenen Fahneneid wie fuer den Mord der
+rheginischen Buergerschaft und der Besatzung von Kroton. Es war
+zugleich die allgemeine Sache der Hellenen gegen die Barbaren, welche
+Rom hier vertrat; der neue Herr von Syrakus, Hieron, unterstuetzte
+darum auch die Roemer vor Rhegion durch Sendung von Lebensmitteln und
+Zuzug und machte gleichzeitig einen mit der roemischen Expedition gegen
+Rhegion kombinierten Angriff auf deren Stamm- und Schuldgenossen in
+Sizilien, die Mamertiner in Messana. Die Belagerung der letzteren Stadt
+zog sich sehr in die Laenge; dagegen wurde Rhegion, obwohl auch hier
+die Meuterer hartnaeckig und lange sich wehrten, im Jahre 484 (270) von
+den Roemern erstuermt, was von der Besatzung uebrig war, in Rom auf
+offenem Markte gestaeupt und enthauptet, die alten Einwohner aber
+zurueckgerufen und soviel moeglich in ihr Vermoegen wieder eingesetzt.
+So war im Jahre 484 (270) ganz Italien zur Untertaenigkeit gebracht.
+Nur die hartnaeckigsten Gegner Roms, die Samniten, setzten trotz des
+offiziellen Friedensschlusses noch als “Raeuber” den Kampf fort, sodass
+sogar im Jahre 485 (269) noch einmal beide Konsuln gegen sie geschickt
+werden mussten. Aber auch der hochherzigste Volksmut, die tapferste
+Verzweiflung gehen einmal zu Ende; Schwert und Galgen brachten endlich
+auch den samnitischen Bergen die Ruhe.
+
+Zur Sicherung dieser ungeheuren Erwerbungen wurde wiederum eine Reihe
+von Kolonien angelegt: in Lucanien Paestum und Cosa (481 273), als
+Zwingburgen fuer Samnium Beneventum (486 268) und Aesernia (um 491
+263), als Vorposten gegen die Gallier Ariminum (486 268), in Picenum
+Firmum (um 490 264) und die Buergerkolonie Castrum novum; die
+Fortfuehrung der grossen Suedchaussee, welche an der Festung Benevent
+eine neue Zwischenstation zwischen Capua und Venusia erhielt, bis zu
+den Haefen von Tarent und Brundisium und die Kolonisierung des
+letzteren Seeplatzes, den die roemische Politik zum Nebenbuhler und
+Nachfolger des tarentinischen Emporiums sich ausersehen hatte, wurden
+vorbereitet. Die neuen Festungs- und Strassenanlagen veranlassten noch
+einige Kriege mit den kleinen Voelkerschaften, deren Gebiet durch
+dieselben geschmaelert ward, den Picentern (485, 486 269, 268), von
+denen eine Anzahl in die Gegend von Salernum verpflanzt ward, den
+Sallentinern um Brundisium (487, 488 267, 266), den umbrischen
+Sassinaten (487, 488 267, 266), welche letzte nach der Austreibung der
+Senonen das Gebiet von Ariminum besetzt zu haben scheinen. Durch diese
+Anlagen ward die Herrschaft Roms ueber das unteritalische Binnenland
+und die ganze italische Ostkueste vom Ionischen Meer bis zur keltischen
+Grenze ausgedehnt.
+
+Bevor wir die politische Ordnung darstellen, nach der das also
+geeinigte Italien von Rom aus regiert ward, bleibt es noch uebrig, auf
+die Seeverhaeltnisse im vierten und fuenften Jahrhundert einen Blick zu
+werfen. Es waren in dieser Zeit wesentlich Syrakus und Karthago, die um
+die Herrschaft in den westlichen Gewaessern miteinander rangen; im
+ganzen ueberwog trotz der grossen Erfolge, welche Dionysios (348-389
+406-365), Agathokles (437-465 317-289) und Pyrrhos (476-478 278-276)
+voruebergehend zur See erlangten, doch hier Karthago und sank Syrakus
+mehr und mehr zu einer Seemacht zweiten Ranges herab. Mit Etruriens
+Bedeutung zur See war es voellig vorbei; die bisher etruskische Insel
+Korsika kam, wenn nicht gerade in den Besitz, doch unter die maritime
+Suprematie der Karthager. Tarent, das eine Zeitlang noch eine Rolle
+gespielt hatte, ward durch die roemische Okkupation gebrochen. Die
+tapferen Massalioten behaupteten sich wohl in ihren eigenen Gewaessern;
+aber in die Vorgaenge auf den italischen griffen sie nicht wesentlich
+ein. Die uebrigen Seestaedte kamen kaum noch ernstlich in Betracht.
+
+Rom selber entging dem gleichen Schicksal nicht; in seinen eigenen
+Gewaessern herrschten ebenfalls fremde Flotten. Wohl war es Seestadt
+von Haus aus und ist in der Zeit seiner Frische seinen alten
+Traditionen niemals so untreu geworden, dass es die Kriegsmarine
+gaenzlich vernachlaessigt haette, und nie so toericht gewesen, bloss
+Kontinentalmacht sein zu wollen. Latium lieferte zum Schiffbau die
+schoensten Staemme, welche die geruehmten unteritalischen bei weitem
+uebertrafen, und die fortdauernd in Rom unterhaltenen Docks beweisen
+allein schon, dass man dort nie darauf verzichtet hat, eine eigene
+Flotte zu besitzen. Indes waehrend der gefaehrlichen Krisen, welche die
+Vertreibung der Koenige, die inneren Erschuetterungen in der
+roemisch-latinischen Eidgenossenschaft und die ungluecklichen Kriege
+gegen die Etrusker und die Kelten ueber Rom brachten, konnten die
+Roemer sich um den Stand der Dinge auf dem Mittelmeer nur wenig
+bekuemmern, und bei der immer entschiedener hervortretenden Richtung
+der roemischen Politik auf Unterwerfung des italischen Kontinents
+verkuemmerte die Seemacht. Es ist bis zum Ende des vierten Jahrhunderts
+(ca. 350) kaum von latinischen Kriegsschiffen die Rede, ausser dass auf
+einem roemischen das Weihgeschenk aus der veientischen Beute nach
+Delphi gesandt ward (360 394). Die Antiaten freilich fuhren fort, ihren
+Handel mit bewaffneten Schiffen und also auch gelegentlich das
+Piratengewerbe zu betreiben und der “tyrrhenische Korsar” Postumius,
+den Timoleon um 415 (339) aufbrachte, koennte allerdings ein Antiate
+gewesen sein; aber unter den Seemaechten jener Zeit zaehlten sie
+schwerlich mit und waere es der Fall gewesen, so wuerde bei der
+Stellung Antiums zu Rom darin fuer Rom nichts weniger als ein Vorteil
+gelegen haben. Wie weit es um das Jahr 400 (ca. 350) mit dem Verfall
+der roemischen Seemacht gekommen war, zeigt die Auspluenderung der
+latinischen Kuesten durch eine griechische, vermutlich sizilische
+Kriegsflotte im Jahre 405 (349), waehrend zugleich keltische Haufen das
+latinische Land brandschatzend durchzogen. Das Jahr darauf (406 348),
+und ohne Zweifel unter dem unmittelbaren Eindruck dieser bedenklichen
+Ereignisse, schlossen die roemische Gemeinde und die Phoeniker von
+Karthago, beiderseits fuer sich und die abhaengigen Bundesgenossen,
+einen Handels- und Schiffahrtsvertrag, die aelteste roemische Urkunde,
+von der der Text, freilich nur in griechischer Uebersetzung, auf uns
+gekommen ist ^5. Die Roemer mussten darin sich verpflichten, die
+libysche Kueste westlich vom Schoenen Vorgebirge (Cap Bon), Notfaelle
+ausgenommen, nicht zu befahren; dagegen erhielten sie freien Verkehr
+gleich den einheimischen auf Sizilien, soweit dies karthagisch war, und
+in Afrika und Sardinien wenigstens das Recht, gegen den unter Zuziehung
+der karthagischen Beamten festgestellten und von der karthagischen
+Gemeinde garantierten Kaufpreis ihre Waren abzusetzen. Den Karthagern
+scheint wenigstens in Rom, vielleicht in ganz Latium freier Verkehr
+zugestanden zu sein, nur machten sie sich anheischig, die botmaessigen
+latinischen Gemeinden nicht zu vergewaltigen, auch, wenn sie als Feinde
+den latinischen Boden betreten wuerden, dort nicht Nachtquartier zu
+nehmen - also ihre Seeraeuberzuege nicht in das Binnenland auszudehnen
+- noch gar Festungen im latinischen Lande anzulegen. Wahrscheinlich in
+dieselbe Zeit gehoert auch der oben schon erwaehnte Vertrag zwischen
+Rom und Tarent, von dessen Entstehungszeit nur berichtet wird, dass er
+laengere Zeit vor 472 (282) abgeschlossen ward; durch denselben
+verpflichteten sich die Roemer, gegen welche Zusicherungen
+tarentinischerseits wird nicht gesagt, die Gewaesser oestlich vom
+Lakinischen Vorgebirge nicht zu befahren, wodurch sie also voellig vom
+oestlichen Becken des Mittelmeeres ausgeschlossen wurden.
+
+————————————————————-
+
+^5 Die Nachweisung, dass die bei Polybios (3, 22) mitgeteilte Urkunde
+nicht dem Jahre 245 (509), sondern dem Jahre 406 (348) angehoert, ist
+in der Roemischen Chronologie bis auf Caesar. 2. Aufl. Berlin 1859, S.
+320f., gegeben worden.
+
+————————————————————-
+
+Es waren dies Niederlagen so gut wie die an der Allia, und auch der
+roemische Senat scheint sie als solche empfunden und die guenstige
+Wendung, die die italischen Verhaeltnisse bald nach dem Abschluss der
+demuetigenden Vertraege mit Karthago und Tarent fuer Rom nahmen, mit
+aller Energie benutzt zu haben, um die gedrueckte maritime Stellung zu
+verbessern. Die wichtigsten Kuestenstaedte wurden mit roemischen
+Kolonien belegt: der Hafen von Caere, Pyrgi, dessen Kolonisierung
+wahrscheinlich in diese Zeit faellt; ferner an der Westkueste Antium im
+Jahre 415 (339); Tarracina im Jahre 425 (329), die Insel Pontia 441
+(313), womit, da Ardea und Circeii bereits frueher Kolonisten empfangen
+hatten, alle namhaften Seeplaetze im Gebiet der Rutuler und Volsker
+latinische oder Buergerkolonien geworden waren; weiter im Gebiet der
+Aurunker Minturnae und Sinuessa im Jahre 459 (295), im lucanischen
+Paestum und Cosa im Jahre 481 (273), und am adriatischen Litoral Sena
+gallica und Castrum novum um das Jahr 471 (283), Ariminum im Jahre 486
+(268), wozu noch die gleich nach der Beendigung des Pyrrhischen Krieges
+erfolgte Besetzung von Brundisium hinzukommt. In der groesseren Haelfte
+dieser Ortschaften, den Buerger- oder Seekolonien ^6, war die junge
+Mannschaft vom Dienst in den Legionen befreit und lediglich bestimmt,
+die Kuesten zu ueberwachen. Die gleichzeitige wohlueberlegte
+Bevorzugung der unteritalischen Griechen vor ihren sabellischen
+Nachbarn, namentlich der ansehnlichen Gemeinden Neapolis, Rhegion,
+Lokri, Thurii, Herakleia, und deren gleichartige und unter
+gleichartigen Bedingungen gewaehrte Befreiung vom Zuzug zum Landheer
+vollendete das um die Kuesten Italiens gezogene roemische Netz.
+
+————————————————————-
+
+^6 Es waren dies Pyrgi, Ostia, Antium, Tarracina, Minturnae, Sinuessa,
+Sena gallica und Castrum novum.
+
+————————————————————
+
+Aber mit einer staatsmaennischen Sicherheit, von welcher die folgenden
+Generationen haetten lernen koennen, erkannten es die leitenden Maenner
+des roemischen Gemeinwesens, dass alle diese Kuestenbefestigungen und
+Kuestenbewachungen unzulaenglich bleiben mussten, wenn nicht die
+Kriegsmarine des Staats wieder auf einen achtunggebietenden Fuss
+gebracht ward. Einen gewissen Grund dazu legte schon nach der
+Unterwerfung von Antium (416 338) die Abfuehrung der brauchbaren
+Kriegsgaleeren in die roemischen Docks; die gleichzeitige Verfuegung
+indes, dass die Antiaten sich alles Seeverkehrs zu enthalten haetten
+^7, charakterisiert mit schneidender Deutlichkeit, wie ohnmaechtig
+damals die Roemer noch zur See sich fuehlten und wie voellig ihre
+Seepolitik noch aufging in der Okkupierung der Kuestenplaetze. Als
+sodann die sueditalischen Griechenstaedte, zuerst 428 (326) Neapel, in
+die roemische Klientel eintraten, machten die Kriegsschiffe, welche
+jede dieser Staedte sich verpflichtete, den Roemern als bundesmaessige
+Kriegshilfe zu stellen, zu einer roemischen Flotte wenigstens wieder
+einen Anfang. Im Jahre 443 (311) wurden weiter infolge eines eigens
+deswegen gefassten Buergerschaftsschlusses zwei Flottenherren (duoviri
+navales) ernannt, und diese roemische Seemacht wirkte im Samnitischen
+Kriege mit bei der Belagerung von Nuceria. Vielleicht gehoert selbst
+die merkwuerdige Sendung einer roemischen Flotte von 25 Segeln zur
+Gruendung einer Kolonie auf Korsika, welcher Theophrastos in seiner um
+446 (308) geschriebenen Pflanzengeschichte gedenkt, dieser Zeit an. Wie
+wenig aber mit allem dem unmittelbar erreicht war, zeigt der im Jahre
+448 (306) erneuerte Vertrag mit Karthago. Waehrend die Italien und
+Sizilien betreffenden Bestimmungen des Vertrages von 406 (348)
+unveraendert blieben, wurde den Roemern ausser der Befahrung der
+oestlichen Gewaesser jetzt weiter die frueher gestattete des
+Atlantischen Meers, sowie der Handelsverkehr mit den Untertanen
+Karthagos in Sardinien und Afrika, endlich wahrscheinlich auch die
+Festsetzung auf Korsika ^8 untersagt, sodass nur das karthagische
+Sizilien und Karthago selbst ihrem Handel geoeffnet blieben. Man
+erkennt hier die mit der Ausdehnung der roemischen Kuestenherrschaft
+steigende Eifersucht der herrschenden Seemacht: sie zwang die Roemer,
+sich ihrem Prohibitivsystem zu fuegen, sich von den Produktionsplaetzen
+im Okzident und im Orient ausschliessen zu lassen - in diesen
+Zusammenhang gehoert noch die Erzaehlung von der oeffentlichen
+Belohnung des phoenikischen Schiffers, der ein in den Atlantischen
+Ozean ihm nachsteuerndes roemisches Fahrzeug mit Aufopferung seines
+eigenen auf eine Sandbank gefuehrt hatte - und ihre Schiffahrt auf den
+engen Raum des westlichen Mittelmeers vertragsmaessig zu beschraenken,
+um nur ihre Kueste nicht der Pluenderung preiszugeben und die alte und
+wichtige Handelsverbindung mit Sizilien zu sichern. Die Roemer mussten
+sich fuegen; aber sie liessen nicht ab von den Bemuehungen, ihr
+Seewesen aus seiner Ohnmacht zu reissen. Eine durchgreifende Massregel
+in diesem Sinne war die Einsetzung der vier Flottenquaestoren
+(quaestores classici) im Jahre 487 (267), von denen der erste in Ostia,
+dem Seehafen der Stadt Rom, seinen Sitz erhielt, der zweite von Cales,
+damals der Hauptstadt des roemischen Kampaniens, aus die kampanischen
+und grossgriechischen, der dritte von Ariminum aus die
+transapenninischen Haefen zu beaufsichtigen hatte; der Bezirk des
+vierten ist nicht bekannt. Diese neuen staendigen Beamten waren zwar
+nicht allein, aber doch mitbestimmt, die Kuesten zu ueberwachen und zum
+Schutze derselben eine Kriegsmarine zu bilden. Die Absicht des
+roemischen Senats, die Selbstaendigkeit zur See wiederzugewinnen und
+teils die maritimen Verbindungen Tarents abzuschneiden, teils den von
+Epeiros kommenden Flotten das Adriatische Meer zu sperren, teils sich
+von der karthagischen Suprematie zu emanzipieren, liegt deutlich
+zutage. Das schon eroerterte Verhaeltnis zu Karthago waehrend des
+letzten italischen Krieges weist davon die Spuren auf. Zwar zwang
+Koenig Pyrrhos die beiden grossen Staedte noch einmal - es war das
+letzte Mal - zum Abschluss einer Offensivallianz; allein die Lauigkeit
+und Treulosigkeit dieses Buendnisses, die Versuche der Karthager, sich
+in Rhegion und Tarent festzusetzen, die sofortige Besetzung Brundisiums
+durch die Roemer nach Beendigung des Krieges zeigen deutlich, wie sehr
+die beiderseitigen Interessen schon sich einander stiessen.
+
+——————————————————-
+
+^7 Diese Angabe ist ebenso bestimmt (Liv. 8,14: interdictum mari
+Antiati populo est) wie an sich glaubwuerdig; denn Antium war ja nicht
+bloss von Kolonisten, sondern auch noch von der ehemaligen, in der
+Feindschaft gegen Rom aufgenaehrten Buergerschaft bewohnt. Damit im
+Widerspruch stehen freilich die griechischen Berichte, dass Alexander
+der Grosse († 431 323) und Demetrios der Belagerer († 471 283) in Rom
+ueber antiatische Seeraeuber Beschwerde gefuehrt haben sollen. Der
+erste aber ist mit dem ueber die roemische Gesandtschaft nach Babylon
+gleichen Schlages und vielleicht gleicher Quelle. Demetrios dem
+Belagerer sieht es eher aehnlich, dass er die Piraterie im
+Tyrrhenischen Meer, das er nie mit Augen gesehen hat, durch Verordnung
+abschaffte, und undenkbar ist es gerade nicht, dass die Antiaten auch
+als roemische Buerger ihr altes Gewerbe noch trotz des Verbots unter
+der Hand eine Zeitlang fortgesetzt haben; viel wird indes auch auf die
+zweite Erzaehlung nicht zu geben sein.
+
+^8 Nach Servius (Aen. 4, 628) war in den roemisch-karthagischen
+Vertraegen bestimmt, es solle kein Roemer karthagischen, kein Karthager
+roemischen Boden betreten (vielmehr besetzen), Korsika aber zwischen
+beiden neutral bleiben (ut neque Romani ad litora Carthaginiensium
+accederent neque Carthaginienses ad litora Romanorum - Corsica esset
+media inter Romanos et Carthaginienses). Das scheint hierher zu
+gehoeren und die Kolonisierung von Korsika eben durch diesen Vertrag
+verhindert worden zu sein.
+
+————————————————————
+
+Begreiflicherweise suchte Rom sich gegen Karthago auf die hellenischen
+Seestaaten zu stuetzen. Mit Massalia bestand das alte enge
+Freundschaftsverhaeltnis ununterbrochen fort. Das nach Veiis Eroberung
+von Rom nach Delphi gesandte Weihgeschenk ward daselbst in dem
+Schatzhaus der Massalioten aufbewahrt. Nach der Einnahme Roms durch die
+Kelten ward in Massalia fuer die Abgebrannten gesammelt, wobei die
+Stadtkasse voranging; zur Vergeltung gewaehrte dann der roemische Senat
+den massaliotischen Kaufleuten Handelsbeguenstigungen und raeumte bei
+der Feier der Spiele auf dem Markt neben der Senatorentribuene den
+Massalioten einen Ehrenplatz (graecostasis) ein. Eben dahin gehoeren
+die um das Jahr 448 (306) mit Rhodos und nicht lange nachher mit
+Apollonia, einer ansehnlichen Kaufstadt an der epeirotischen Kueste,
+von den Roemern abgeschlossenen Handels- und Freundschaftsvertraege und
+vor allem die fuer Karthago sehr bedenkliche Annaeherung, welche
+unmittelbar nach dem Ende des Pyrrhischen Krieges zwischen Rom und
+Syrakus stattfand.
+
+Wenn also die roemische Seemacht zwar mit der ungeheuren Entwicklung
+der Landmacht auch nicht entfernt Schritt hielt und namentlich die
+eigene Kriegsmarine der Roemer keineswegs war, was sie nach der
+geographischen und kommerziellen Lage des Staates haette sein muessen,
+so fing doch auch sie an, allmaehlich sich aus der voelligen
+Nichtigkeit, zu welcher sie um das Jahr 400 (354) herabgesunken war,
+wieder emporzuarbeiten; und bei den grossen Hilfsquellen Italiens
+mochten wohl die Phoeniker mit besorgten Blicken diese Bestrebungen
+verfolgen.
+
+Die Krise ueber die Herrschaft auf den italischen Gewaessern nahte
+heran; zu Lande war der Kampf entschieden. Zum erstenmal war Italien
+unter der Herrschaft der roemischen Gemeinde zu einem Staat vereinigt.
+Welche politische Befugnisse dabei die roemische Gemeinde den
+saemtlichen uebrigen italischen entzog und in ihren alleinigen Besitz
+nahm, das heisst, welcher staatsrechtliche Begriff mit dieser
+Herrschaft Roms zu verbinden ist, wird nirgends ausdruecklich gesagt,
+und es mangelt selbst, in bezeichnender und klug berechneter Weise,
+fuer diesen Begriff an einem allgemeingueltigen Ausdruck ^9.
+Nachweislich gehoerten dazu nur das Kriegs- und Vertrags- und das
+Muenzrecht, so dass keine italische Gemeinde einem auswaertigen Staat
+Krieg erklaeren oder mit ihm auch nur verhandeln und kein Courantgeld
+schlagen durfte, dagegen jede von der roemischen Gemeinde erlassene
+Kriegserklaerung und jeder von ihr abgeschlossene Staatsvertrag von
+Rechtswegen alle uebrigen italischen Gemeinden mit band und das
+roemische Silbergeld in ganz Italien gesetzlich gangbar ward; und es
+ist wahrscheinlich, dass die formulierten Befugnisse der fuehrenden
+Gemeinde sich nicht weiter erstreckten. Indes notwendig knuepften
+hieran tatsaechlich viel weitergehende Herrschaftsrechte sich an.
+
+—————————————————————-
+
+^9 Die Klausel, dass das abhaengige Volk sich verpflichtet, “die Hoheit
+des roemischen freundlich gelten zu lassen” (maiestatem populi Romani
+comiter conservare), ist allerdings die technische Bezeichnung dieser
+mildesten Untertaenigkeitsform, aber wahrscheinlich erst in bedeutend
+spaeterer Zeit aufgekommen (Cic. Balb. 16, 35). Auch die
+privatrechtliche Bezeichnung der Klientel, so treffend sie eben in
+ihrer Unbestimmtheit das Verhaeltnis bezeichnet (Dig. 49, 15, 7, 1),
+ist schwerlich in aelterer Zeit offiziell auf dasselbe angewendet
+worden.
+
+—————————————————————-
+
+Im einzelnen war das Verhaeltnis, in welchem die Italiker zu der
+fuehrenden Gemeinde standen, ein hoechst ungleiches, und es sind in
+dieser Hinsicht, ausser der roemischen Vollbuergerschaft, drei
+verschiedene Klassen von Untertanen zu unterscheiden. jene selbst vor
+allem ward so weit ausgedehnt, als es irgend moeglich war, ohne den
+Begriff eines staedtischen Gemeinwesens fuer die roemische Kommune
+voellig aufzugeben. Das alte Buergergebiet war bis dahin hauptsaechlich
+durch Einzelassignation in der Weise erweitert worden, dass das
+suedliche Etrurien bis gegen Caere und Falerii, die den Hernikern
+entrissenen Strecken am Sacco und am Anio, der groesste Teil der
+sabinischen Landschaft und grosse Striche der ehemals volskischen,
+besonders die pomptinische Ebene in roemisches Bauernland umgewandelt
+und meistenteils fuer deren Bewohner neue Buergerbezirke eingerichtet
+waren. Dasselbe war sogar schon mit dem von Capua abgetretenen
+Falernerbezirke am Volturnus geschehen. Alle diese ausserhalb Rom
+domizilierten Buerger entbehrten eines eigenen Gemeinwesens und eigener
+Verwaltung; auf dem assignierten Gebiet entstanden hoechstens
+Marktflecken (fora et conciliabula). In nicht viel anderer Lage
+befanden sich die nach den oben erwaehnten sogenannten Seekolonien
+entsandten Buerger, denen gleichfalls das roemische Vollbuergerrecht
+verblieb und deren Selbstverwaltung wenig bedeutete. Gegen den Schluss
+dieser Periode scheint die roemische Gemeinde damit begonnen zu haben,
+den naechstliegenden Passivbuergergemeinden gleicher oder nah
+verwandter Nationalitaet das Vollbuergerrecht zu gewaehren; welches
+wahrscheinlich zuerst fuer Tusculum geschehen ist ^10, ebenso
+vermutlich auch fuer die uebrigen Passivbuergergemeinden im
+eigentlichen Latium, dann am Ausgang dieser Periode (486 268) auf die
+sabinischen Staedte erstreckt ward, die ohne Zweifel damals schon
+wesentlich latinisiert waren und in dem letzten schweren Krieg ihre
+Treue genuegend bewaehrt hatten. Diesen Staedten blieb die nach ihrer
+frueheren Rechtsstellung ihnen zukommende beschraenkte Selbstverwaltung
+auch nach ihrer Aufnahme in den roemischen Buergerverband; mehr aus
+ihnen als aus den Seekolonien haben sich die innerhalb der roemischen
+Vollbuergerschaft bestehenden Sondergemeinwesen und damit im Laufe der
+Zeit die roemische Munizipalordnung herausgebildet. Hiernach wird die
+roemische Vollbuergerschaft am Ende dieser Epoche sich noerdlich bis in
+die Naehe von Caere, oestlich bis an den Apennin, suedlich bis nach
+Tarracina erstreckt haben, obwohl freilich von einer eigentlichen
+Grenze hier nicht die Rede sein kann und teils eine Anzahl
+Bundesstaedte latinischen Rechts, wie Tibur, Praeneste, Signia, Norba,
+Circeii, sich innerhalb dieser Grenzen befanden, teils ausserhalb
+derselben die Bewohner von Minturnae, Sinuessa, des falernischen
+Gebiets, der Stadt Sena Gallica und anderer Ortschaften mehr, ebenfalls
+volles Buergerrecht besassen und roemische Bauernfamilien vereinzelt
+oder in Doerfern vereinigt vermutlich schon jetzt durch ganz Italien
+zerstreut sich fanden.
+
+——————————————————————————
+
+^10 Dass Tusculum, wie es zuerst das Passivbuergerrecht erhielt, so
+auch zuerst dies mit dem Vollbuergerrecht vertauschte, ist an sich
+wahrscheinlich, und vermutlich wird in dieser, nicht in jener Beziehung
+die Stadt von Cicero (Mut. 8, 19) municipium antiquissimum genannt.
+
+——————————————————————————-
+
+Unter den untertaenigen Gemeinden stehen die Passivbuerger (cives sine
+suffragio), abgesehen von dem aktiven und passiven Wahlrecht, in
+Rechten und Pflichten den Vollbuergern gleich. Ihre Rechtsstellung ward
+durch die Beschluesse der roemischen Komitien und die fuer sie vom
+roemischen Praetor erlassenen Normen geregelt, wobei indes ohne Zweifel
+die bisherigen Ordnungen wesentlich zugrunde gelegt wurden. Recht
+sprach fuer sie der roemische Praetor oder dessen jaehrlich in die
+einzelnen Gemeinden entsandte “Stellvertreter” (praefecti). Den besser
+gestellten von ihnen, wie zum Beispiel der Stadt Capua, blieb die
+Selbstverwaltung und damit der Fortgebrauch der Landessprache und die
+eigenen Beamten, welche die Aushebung und die Schatzung besorgten. Den
+Gemeinden schlechteren Rechts, wie zum Beispiel Caere, wurde auch die
+eigene Verwaltung genommen, und es war dies ohne Zweifel die
+drueckendste unter den verschiedenen Formen der Untertaenigkeit. Indes
+zeigt sich, wie oben bemerkt ward, am Ende dieser Periode bereits das
+Bestreben, diese Gemeinden, wenigstens soweit sie faktisch latinisiert
+waren, der Vollbuergerschaft einzuverleiben.
+
+Die bevorzugteste und wichtigste Klasse unter den untertaenigen
+Gemeinden war die der latinischen Staedte, welche an den von Rom inner-
+und selbst schon ausserhalb Italien gegruendeten autonomen Gemeinden,
+den sogenannten latinischen Kolonien ebenso zahlreichen als
+ansehnlichen Zuwachs erhielt und stetig durch neue Gruendungen dieser
+Art sich vermehrte. Diese neuen Stadtgemeinden roemischen Ursprungs,
+aber latinischen Rechts wurden immer mehr die eigentlichen Stuetzen der
+roemischen Herrschaft ueber Italien. Es waren dies nicht mehr
+diejenigen Latiner, mit denen am Regiller See und bei Trifanum
+gestritten worden war - nicht jene alten Glieder des albischen Bundes,
+welche der Gemeinde Rom von Haus aus sich gleich, wo nicht besser
+achteten und welche, wie die gegen Praeneste zu Anfang des Pyrrhischen
+Krieges verfuegten furchtbar strengen Sicherheitsmassregeln und die
+nachweislich lange noch fortzuckenden Reibungen namentlich mit den
+Praenestinern beweisen, die roemische Herrschaft als schweres Joch
+empfanden. Dies alte Latium war wesentlich entweder unter oder in Rom
+aufgegangen und zaehlte nur noch wenige und mit Ausnahme von Praeneste
+und Tibur durchgaengig unbedeutende politisch selbstaendige Gemeinden.
+Das Latium der spaeteren republikanischen Zeit bestand vielmehr fast
+ausschliesslich aus Gemeinden, die von Anbeginn an in Rom ihre Haupt-
+und Mutterstadt verehrt hatten, die inmitten fremdsprachiger und anders
+gearteter Landschaften durch Sprach-, Rechts- und Sittengemeinschaft an
+Rom geknuepft waren, die als kleine Tyrannen der umliegenden Distrikte
+ihrer eigenen Existenz wegen wohl an Rom halten mussten wie die
+Vorposten an der Hauptarmee, die endlich, infolge der steigenden
+materiellen Vorteile des roemischen Buergertums, aus ihrer wenngleich
+beschraenkten Rechtsgleichheit mit den Roemern immer noch einen sehr
+ansehnlichen Gewinn zogen, wie ihnen denn zum Beispiel ein Teil der
+roemischen Domaene zur Sondernutzung ueberwiesen zu werden pflegte und
+die Beteiligung an den Verpachtungen und Verdingungen des Staats ihnen
+wie dem roemischen Buerger offenstand. Voellig blieben allerdings auch
+hier die Konsequenzen der ihnen gewaehrten Selbstaendigkeit nicht aus.
+Venusinische Inschriften aus der Zeit der roemischen Republik und
+kuerzlich zum Vorschein gekommene beneventanische ^11 lehren, dass
+Venusia so gut wie Rom seine Plebs und seine Volkstribune gehabt und
+dass die Oberbeamten von Benevent wenigstens um die Zeit des
+Hannibalischen Krieges den Konsultitel gefuehrt haben. Beide Gemeinden
+gehoeren zu den juengsten unter den latinischen Kolonien aelteren
+Rechts; man sieht, welche Ansprueche um die Mitte des fuenften
+Jahrhunderts in denselben sich regten. Auch diese sogenannten Latiner,
+hervorgegangen aus der roemischen Buergerschaft und in jeder Beziehung
+sich ihr gleich fuehlend, fingen schon an, ihr untergeordnetes
+Bundesrecht unwillig zu empfinden und nach voller Gleichberechtigung zu
+streben. Deswegen war denn der Senat bemueht, diese latinischen
+Gemeinden, wie wichtig sie immer fuer Rom waren, doch nach Moeglichkeit
+in ihren Rechten und Privilegien herabzudruecken und ihre
+bundesgenoessische Stellung in die der Untertaenigkeit insoweit
+umzuwandeln, als dies geschehen konnte, ohne zwischen ihnen und den
+nichtlatinischen Gemeinden Italiens die Scheidewand wegzuziehen. Die
+Aufhebung des Bundes der latinischen Gemeinden selbst sowie ihrer
+ehemaligen vollstaendigen Gleichberechtigung und der Verlust der
+wichtigsten denselben zustaendigen politischen Rechte ist schon
+dargestellt worden; mit der vollendeten Unterwerfung Italiens geschah
+ein weiterer Schritt und wurde der Anfang dazu gemacht, auch die bisher
+nicht angetasteten individuellen Rechte des einzelnen latinischen
+Mannes, vor allem die wichtige Freizuegigkeit, zu beschraenken. Fuer
+die im Jahre 486 (268) gegruendete Gemeinde Ariminum und ebenso fuer
+alle spaeter konstituierten autonomen Gemeinden wurde die Bevorzugung
+vor den uebrigen Untertanen beschraenkt auf die privatrechtliche
+Gleichstellung ihrer und der roemischen Gemeindebuerger im Handel und
+Wandel sowie im Erbrecht ^12. Vermutlich um dieselbe Zeit ward die den
+bisher gegruendeten latinischen Gemeinden gewidmete volle
+Freizuegigkeit, die Befugnis eines jeden ihrer Buerger, durch
+Uebersiedelung nach Rom das volle Buergerrecht daselbst zu gewinnen,
+fuer die spaeter eingerichteten latinischen Pflanzstaedte beschraenkt
+auf diejenigen Personen, welche in ihrer Heimat zu dem hoechsten
+Gemeindeamt gelangt waren; nur diesen blieb es gestattet, ihr
+koloniales Buergerrecht mit dem roemischen zu vertauschen. Es erscheint
+hier deutlich die vollstaendige Umaenderung der Stellung Roms. Solange
+Rom noch, wenn auch die erste, doch nur eine der vielen italischen
+Stadtgemeinden war, wurde der Eintritt selbst in das unbeschraenkte
+roemische Buergerrecht durchgaengig als ein Gewinn fuer die aufnehmende
+Gemeinde betrachtet und die Gewinnung dieses Buergerrechts den
+Nichtbuergern auf alle Weise erleichtert, ja oft als Strafe ihnen
+auferlegt. Seit aber die roemische Gemeinde allein herrschte und die
+uebrigen alle ihr dienten, kehrte das Verhaeltnis sich um: die
+roemische Gemeinde fing an, ihr Buergerrecht eifersuechtig zu bewahren,
+und machte darum der alten vollen Freizuegigkeit ein Ende; obwohl die
+Staatsmaenner dieser Zeit doch einsichtig genug waren, wenigstens den
+Spitzen und Kapazitaeten der hoechstgestellten Untertanengemeinden den
+Eintritt in das roemische Buergerrecht gesetzlich offenzuhalten. Auch
+die Latiner also hatten es zu empfinden, dass Rom, nachdem es
+hauptsaechlich durch sie sich Italien unterworfen hatte, jetzt ihrer
+nicht mehr so wie bisher bedurfte.
+
+———————————————————
+
+^11 V Cervio A. f. cosol dedicavit und lunonei Quiritei sacra. C.
+Falcilius L. f. consol dedicavit.
+
+^12 Nach Ciceros Zeugnis (Caecin. 35) gab Sulla den Volaterranern das
+ehemalige Recht von Ariminum, das heisst, setzt der Redner hinzu, das
+Recht der “zwoelf Kolonien”, welche nicht die roemische Civitaet, aber
+volles Commercium mit den Roemern hatten. Ueber wenige Dinge ist soviel
+verhandelt worden wie ueber die Beziehung dieses Zwoelfstaedterechts;
+und doch liegt dieselbe nicht fern. Es sind in Italien und im
+Cisalpinischen Gallien, abgesehen von einigen frueh wieder
+verschwundenen, im ganzen vierunddreissig latinische Kolonien
+gegruendet worden; die zwoelf juengsten derselben - Ariminum,
+Beneventum, Firmum, Aesernia, Brundisium, Spoletium, Cremona,
+Placentia, Copia, Valentia, Bononia, Aquileia - sind hier gemeint, und
+da Ariminum von ihnen die aelteste und diejenige ist, fuer welche diese
+neue Ordnung zunaechst festgesetzt ward - vielleicht zum Teil deswegen
+mit, weil dies die erste ausserhalb Italien gegruendete roemische
+Kolonie war -, so heisst das Stadtrecht dieser Kolonien richtig das
+ariminensische. Damit ist zugleich erwiesen, was schon aus anderen
+Gruenden die hoechste Wahrscheinlichkeit fuer sich hatte, dass alle
+nach Aquileias Gruendung in Italien (im weiteren Sinn) gestifteten
+Kolonien zu den Buergerkolonien gehoerten.
+
+Den Umfang der Rechtsschmaelerung der juengeren latinischen Staedte im
+Gegensatz zu den aelteren vermoegen wir uebrigens nicht voellig zu
+bestimmen. Wenn die Ehegemeinschaft, wie es nicht unwahrscheinlich,
+aber freilich nichts weniger als ausgemacht ist (oben 1, 116; Diod. p.
+590, 62. Frg. Vat. p. 130 Dind.), ein Bestandteil der urspruenglichen
+bundesgenoessischen Rechtsgleichheit war, so ist sie jedenfalls den
+juengeren nicht mehr zugestanden worden.
+
+————————————————————————-
+
+Das Verhaeltnis endlich der nichtlatinischen Bundesgemeinden unterlag
+selbstverstaendlich den mannigfachsten Normen, wie eben der einzelne
+Bundesvertrag sie festgesetzt hatte. Manche dieser ewigen Buendnisse,
+wie zum Beispiel die der hernikischen Gemeinden, gingen ueber in
+voellige Gleichstellung mit den latinischen. Andere, bei denen dies
+nicht der Fall war, wie die von Neapel, Nola, Herakleia, gewaehrten
+verhaeltnismaessig sehr umfassende Rechte; wieder andere, wie zum
+Beispiel die tarentinischen und die samnitischen Vertraege, moegen sich
+der Zwingherrschaft genaehert haben.
+
+Als allgemeine Regel kann wohl angenommen werden, dass nicht bloss die
+latinische und hernikische, von denen es ueberliefert ist, sondern
+saemtliche italische Voelkergenossenschaften, namentlich auch die
+samnitische und die lucanische, rechtlich aufgeloest oder doch zur
+Bedeutungslosigkeit abgeschwaecht wurden und durchschnittlich keiner
+italischen Gemeinde mit anderen italischen die Verkehrs- oder
+Ehegemeinschaft oder gar das gemeinsame Beratschlagungs- und
+Beschlussfassungsrecht zustand. Ferner wird, wenn auch in verschiedener
+Weise, dafuer gesorgt worden sein, dass die Wehr- und Steuerkraft der
+saemtlichen italischen Gemeinden der fuehrenden zur Disposition stand.
+Wenngleich auch ferner noch die Buergermiliz einer- und die Kontingente
+“latinischen Namens” anderseits als die wesentlichen und integrierenden
+Bestandteile des roemischen Heeres angesehen wurden und ihm somit sein
+nationaler Charakter im ganzen bewahrt blieb, so wurden doch nicht
+bloss die roemischen Passivbuerger zu demselben mit herangezogen,
+sondern ohne Zweifel auch die nichtlatinischen foederierten Gemeinden
+entweder, wie dies mit den griechischen geschah, zur Stellung von
+Kriegsschiffen verpflichtet, oder, wie dies fuer die apulischen,
+sabellischen und etruskischen auf einmal oder allmaehlich verordnet
+worden sein muss, in das Verzeichnis der zuzugpflichtigen Italiker
+(formula togatorum) eingetragen. Durchgaengig scheint dieser Zuzug eben
+wie der der latinischen Gemeinden fest normiert worden zu sein, ohne
+dass doch die fuehrende Gemeinde erforderlichenfalls verhindert gewesen
+waere, mehr zu fordern. Es lag hierin zugleich eine indirekte
+Besteuerung, indem jede Gemeinde verpflichtet war, ihr Kontingent
+selbst auszuruesten und zu besolden. Nicht ohne Absicht wurden darum
+vorzugsweise die kostspieligsten Kriegsleistungen auf die latinischen
+oder nichtlatinischen foederierten Gemeinden gewaelzt, die Kriegsmarine
+zum groessten Teil durch die griechischen Staedte instand gehalten und
+bei dem Rossdienst die Bundesgenossen, spaeterhin wenigstens, in
+dreifach staerkerem Verhaeltnis als die roemische Buergerschaft
+angezogen, waehrend im Fussvolk der alte Satz, dass das
+Bundesgenossenkontingent nicht zahlreicher sein duerfte als das
+Buergerheer, noch lange Zeit wenigstens als Regel in Kraft blieb.
+
+Das System, nach welchem dieser Bau im einzelnen zusammengefuegt und
+zusammengehalten ward, laesst aus den wenigen auf uns gekommenen
+Nachrichten sich nicht mehr feststellen. Selbst das Zahlenverhaeltnis,
+in welchem die drei Klassen der Untertanenschaft zueinander und zu der
+Vollbuergerschaft standen, ist nicht mehr auch nur annaehernd zu
+ermitteln ^13 und ebenso die geographische Verteilung der einzelnen
+Kategorien ueber Italien nur unvollkommen bekannt. Die bei diesem Bau
+zugrunde liegenden leitenden Gedanken liegen dagegen so offen vor, dass
+es kaum noetig ist, sie noch besonders zu entwickeln. Vor allem ward,
+wie gesagt, der unmittelbare Kreis der herrschenden Gemeinde teils
+durch Ansiedelung der Vollbuerger, teils durch Verleihung des
+Passivbuergerrechts soweit ausgedehnt, wie es irgend moeglich war, ohne
+die roemische Gemeinde, die doch eine staedtische war und bleiben
+sollte, vollstaendig zu dezentralisieren. Als das Inkorporationssystem
+bis an und vielleicht schon ueber seine natuerlichen Grenzen ausgedehnt
+war, mussten die weiter hinzutretenden Gemeinden sich in ein
+Untertaenigkeitsverhaeltnis fuegen; denn die reine Hegemonie als
+dauerndes Verhaeltnis ist innerlich unmoeglich. So stellte sich, nicht
+durch willkuerliche Monopolisierung der Herrschaft, sondern durch das
+unvermeidliche Schwergewicht der Verhaeltnisse neben die Klasse der
+herrschenden Buerger die zweite der Untertanen. Unter den Mitteln der
+Herrschaft standen in erster Linie natuerlich die Teilung der
+Beherrschten durch Sprengung der italischen Eidgenossenschaften und
+Einrichtung einer moeglichst grossen Zahl verhaeltnismaessig geringer
+Gemeinden, sowie die Abstufung des Druckes der Herrschaft nach den
+verschiedenen Kategorien der Untertanen. Wie Cato in seinem
+Hausregiment dahin sah, dass die Sklaven sich miteinander nicht allzu
+gut vertragen moechten, und absichtlich Zwistigkeiten und Parteiungen
+unter ihnen naehrte, so hielt es die roemische Gemeinde im grossen; das
+Mittel war nicht schoen, aber wirksam. Nur eine weitere Anwendung
+desselben Mittels war es, wenn in jeder abhaengigen Gemeinde die
+Verfassung nach dem Muster der roemischen umgewandelt und ein Regiment
+der wohlhabenden und angesehenen Familien eingesetzt ward, welches mit
+der Menge in einer natuerlichen mehr oder minder lebhaften Opposition
+stand und durch seine materiellen und kommunalregimentlichen Interessen
+darauf angewiesen war, auf Rom sich zu stuetzen. Das merkwuerdigste
+Beispiel in dieser Beziehung gewaehrt die Behandlung von Capua, welches
+als die einzige italische Stadt, die vielleicht mit Rom zu rivalisieren
+vermochte, von Haus aus mit argwoehnischer Vorsicht behandelt worden zu
+sein scheint. Man verlieh dem kampanischen Adel einen privilegierten
+Gerichtsstand, gesonderte Versammlungsplaetze, ueberhaupt in jeder
+Hinsicht eine Sonderstellung, ja man wies ihm sogar nicht
+unbetraechtliche Pensionen - sechzehnhundert je von jaehrlich 450
+Stateren (etwa 200 Taler) - auf die kampanische Gemeindekasse an. Diese
+kampanischen Ritter waren es, deren Nichtbeteiligung an dem grossen
+latinisch-kampanischen Aufstand 414 (340) zu dessen Scheitern
+wesentlich beitrug und deren tapfere Schwerter im Jahre 459 (295) bei
+Sentinum fuer die Roemer entschieden; wogegen das kampanische Fussvolk
+in Rhegion die erste Truppe war, die im Pyrrhischen Kriege von Rom
+abfiel. Einen anderen merkwuerdigen Beleg fuer die roemische Praxis:
+die staendischen Zwistigkeiten innerhalb der abhaengigen Gemeinden
+durch Beguenstigung der Aristokratie fuer das roemische Interesse
+auszubeuten, gibt die Behandlung, die Volsinii im Jahre 489 (265)
+widerfuhr. Es muessen dort, aehnlich wie in Rom, die Alt- und
+Neubuerger sich gegenuebergestanden und die letzteren auf gesetzlichem
+Wege die politische Gleichberechtigung erlangt haben. Infolge dessen
+wandten die Altbuerger von Volsinii sich an den roemischen Senat mit
+dem Gesuch um Wiederherstellung der alten Verfassung; was die in der
+Stadt herrschende Partei begreiflicherweise als Landesverrat
+betrachtete und die Bittsteller dafuer zur gesetzlichen Strafe zog. Der
+roemische Senat indes nahm Partei fuer die Altbuerger und liess, da die
+Stadt sich nicht gutwillig fuegte, durch militaerische Exekution nicht
+bloss die in anerkannter Wirksamkeit bestehende Gemeindeverfassung von
+Volsinii vernichten, sondern auch durch die Schleifung der alten
+Hauptstadt Etruriens das Herrentum Roms den Italikern in einem Exempel
+von erschreckender Deutlichkeit vor Augen legen.
+
+————————————————————————-
+
+^13 Es ist zu bedauern, dass wir ueber die Zahlenverhaeltnisse nicht
+genuegende Auskunft zu geben imstande sind. Man kann die Zahl der
+waffenfaehigen roemischen Buerger fuer die spaetere Koenigszeit auf
+etwa 20000 veranschlagen. Nun ist aber von Albas Fall bis auf die
+Eroberung von Veii die unmittelbare roemische Mark nicht wesentlich
+erweitert worden; womit es vollkommen uebereinstimmt, dass von der
+ersten Einrichtung der einundzwanzigste Bezirk um das Jahr 259 (495)
+an, worin keine oder doch keine bedeutende Erweiterung der roemischen
+Grenze lag, bis auf das Jahr 367 (387) neue Buergerbezirke nicht
+errichtet wurden. Mag man nun auch die Zunahme durch den Ueberschuss
+der Geborenen ueber die Gestorbenen, durch Einwanderungen und
+Freilassungen noch so reichlich in Anschlag bringen, so ist es doch
+schlechterdings unmoeglich, mit den engen Grenzen eines Gebiets von
+schwerlich 30 Quadratmeilen die ueberlieferten Zensuszahlen in
+Uebereinstimmung zu bringen, nach denen die Zahl der waffenfaehigen
+roemischen Buerger in der zweiten Haelfte des dritten Jahrhunderts
+zwischen 104000 und 150000 schwankt, und im Jahre 362 (392), wofuer
+eine vereinzelte Angabe vorliegt, 152573 betrug. Vielmehr werden diese
+Zahlen mit den 84700 Buergern des Servianischen Zensus auf einer Linie
+stehen und ueberhaupt die ganze bis auf die vier Lustren des Servius
+Tullius hinaufgefuehrte und mit reichlichen Zahlen ausgestattete
+aeltere Zensusliste nichts sein als eine jener scheinbar urkundlichen
+Traditionen, die eben in ganz detaillierten Zahlenangaben sich gefallen
+und sich verraten.
+
+Erst mit der zweiten Haelfte des vierten Jahrhunderts beginnen die
+grossen Gebietserwerbungen, wodurch die Buergerrolle ploetzlich und
+betraechtlich steigen musste. Es ist glaubwuerdig ueberliefert, wie an
+sich glaublich, dass um 416 (338) man 165000 roemische Buerger zaehlte,
+wozu es recht gut stimmt, dass zehn Jahre vorher, als man gegen Latium
+und Gallien die ganze Miliz unter die Waffen rief, das erste Aufgebot
+zehn Legionen, also 50000 Mann betrug. Seit den grossen
+Gebietserweiterungen in Etrurien, Latium und Kampanien zaehlte man im
+fuenften Jahrhundert durchschnittlich 250000, unmittelbar vor dem
+ersten Punischen Kriege 280000 bis 290000 waffenfaehige Buerger. Diese
+Zahlen sind sicher genug, allein aus einem anderen Grunde geschichtlich
+nicht vollstaendig brauchbar: dabei naemlich sind wahrscheinlich die
+roemischen Vollbuerger und die nicht, wie die Kampaner, in eigenen
+Legionen dienenden “Buerger ohne Stimme”, wie zum Beispiel die
+Caeriten, ineinander gerechnet, waehrend doch die letzteren faktisch
+durchaus den Untertanen beigezaehlt werden muessen (Roemische
+Forschungen, Bd. 2, S. 396).
+
+——————————————————————————
+
+Aber der roemische Senat war weise genug, nicht zu uebersehen, dass das
+einzige Mittel, der Gewaltherrschaft Dauer zu geben, die eigene
+Maessigung der Gewalthaber ist. Darum ward den abhaengigen Gemeinden
+die Autonomie gelassen oder verliehen, die einen Schatten von
+Selbstaendigkeit, einen eigenen Anteil an Roms militaerischen und
+politischen Erfolgen und vor allem eine freie Kommunalverfassung in
+sich schloss - so weit die italische Eidgenossenschaft reichte, gab es
+keine Helotengemeinde. Darum verzichtete Rom von vornherein mit einer
+in der Geschichte vielleicht beispiellosen Klarheit und Hochherzigkeit
+auf das gefaehrlichste aller Regierungsrechte, auf das Recht, die
+Untertanen zu besteuern. Hoechstens den abhaengigen keltischen Gauen
+moegen Tribute auferlegt worden sein; soweit die italische
+Eidgenossenschaft reichte, gab es keine zinspflichtige Gemeinde. Darum
+endlich ward die Wehrpflicht zwar wohl auf die Untertanen mit, aber
+doch keineswegs von der herrschenden Buergerschaft abgewaelzt; vielmehr
+wurde wahrscheinlich die letztere nach Verhaeltnis bei weitem staerker
+als die Bundesgenossenschaft und in dieser wahrscheinlich wiederum die
+Gesamtheit der Latiner bei weitem staerker in Anspruch genommen als die
+nichtlatinischen Bundesgemeinden; so dass es eine gewisse Billigkeit
+fuer sich hatte, wenn auch von dem Kriegsgewinn zunaechst Rom und nach
+ihm die Latinerschaft den besten Teil fuer sich nahmen.
+
+Der schwierigen Aufgabe, ueber die Masse der italischen
+zuzugpflichtigen Gemeinden den Ueberblick und die Kontrolle sich zu
+bewahren, genuegte die roemische Zentralverwaltung teils durch die vier
+italischen Quaesturen, teils durch die Ausdehnung der roemischen Zensur
+ueber die saemtlichen abhaengigen Staedte. Die Flottenquaestoren hatten
+neben ihrer naechsten Aufgabe auch von den neugewonnenen Domaenen die
+Einkuenfte zu erheben und die Zuzuege der neuen Bundesgenossen zu
+kontrollieren; sie waren die ersten roemischen Beamten, denen
+gesetzlich Sitz und Sprengel ausserhalb Rom angewiesen ward und
+bildeten zwischen dem roemischen Senat und den italischen Gemeinden die
+notwendige Mittelinstanz. Es hatte ferner, wie die spaetere
+Munizipalverfassung zeigt, in jeder italischen ^14 Gemeinde die
+Oberbehoerde, wie sie immer heissen mochte, jedes vierte oder fuenfte
+Jahr eine Schatzung vorzunehmen; eine Einrichtung, zu der die Anregung
+notwendig von Rom ausgegangen sein muss und welche nur den Zweck gehabt
+haben kann, mit der roemischen Zensur korrespondierend dem Senat den
+Ueberblick ueber die Wehr- und Steuerfaehigkeit des gesamten Italiens
+zu bewahren.
+
+————————————————————————-
+
+^14 Nicht bloss in jeder latinischen: denn die Zensur oder die
+sogenannte Quinquennalitaet kommt bekanntlich auch bei solchen
+Gemeinden vor, deren Verfassung nicht nach dem latinischen Schema
+konstituiert ist.
+
+————————————————————————-
+
+Mit dieser militaerisch-administrativen Einigung der gesamten diesseits
+des Apennin bis hinab zum Iapygischen Vorgebirg und zur Meerenge von
+Rhegion wohnhaften Voelkerschaften haengt endlich auch das Aufkommen
+eines neuen, ihnen allen gemeinsamen Namens zusammen, der “Maenner der
+Toga”, was die aelteste staatsrechtliche roemische, oder der Italiker,
+was die urspruenglich bei den Griechen gebraeuchliche und sodann
+allgemein gangbar gewordene Bezeichnung ist. Die verschiedenen
+Nationen, welche diese Landschaften bewohnten, moegen wohl zuerst sich
+als eine Einheit gefuehlt und zusammengefunden haben teils in dem
+Gegensatz gegen die Hellenen, teils und vor allem in der
+gemeinschaftlichen Abwehr der Kelten; denn mochte auch einmal eine
+italische Gemeinde mit diesen gegen Rom gemeinschaftliche Sache machen
+und die Gelegenheit nutzen, um die Unabhaengigkeit wiederzugewinnen, so
+brach doch auf die Laenge das gesunde Nationalgefuehl notwendig sich
+Bahn. Wie der “gallische Acker” bis in spaete Zeit als der rechtliche
+Gegensatz des italischen erscheint, so sind auch die “Maenner der Toga”
+also genannt worden im Gegensatz zu den keltischen “Hosenmaennern”
+(bracati); und wahrscheinlich hat selbst bei der Zentralisierung des
+italischen Wehrwesens in den Haenden Roms die Abwehr der keltischen
+Einfaelle sowohl als Ursache wie als Vorwand eine wichtige Rolle
+gespielt. Indem die Roemer teils in dem grossen Nationalkampf an die
+Spitze traten, teils die Etrusker, Latiner, Sabeller, Apuler und
+Hellenen innerhalb der sogleich zu bezeichnenden Grenzen gleichmaessig
+noetigten, unter ihren Fahnen zu fechten, erhielt die bis dahin
+schwankende und mehr innerliche Einheit geschlossene und
+staatsrechtliche Festigkeit und ging der Name Italia, der urspruenglich
+und noch bei den griechischen Schriftstellern des fuenften
+Jahrhunderts, zum Beispiel bei Aristoteles, nur dem heutigen Kalabrien
+eignet, ueber auf das gesamte Land der Togatraeger. Die aeltesten
+Grenzen dieser grossen von Rom gefuehrten Wehrgenossenschaft oder des
+neuen Italien reichen am westlichen Litoral bis in die Gegend von
+Livorno unterhalb des Arnus ^15, am oestlichen bis an den Aesis
+oberhalb Ancona; die ausserhalb dieser Grenzen liegenden, von Italikern
+kolonisierten Ortschaften, wie Sena gallica und Ariminum jenseits des
+Apennin, Messana in Sizilien, galten, selbst wenn sie, wie Ariminum,
+Glieder der Eidgenossenschaft oder sogar, wie Sena, roemische
+Buergergemeinden waren, doch als geographisch ausserhalb Italien
+gelegen. Noch weniger konnten die keltischen Gaue des Apennin,
+wenngleich vielleicht schon jetzt einzelne derselben in der Klientel
+von Rom sich befanden, den Togamaennern beigezaehlt werden. Das neue
+Italien war also eine politische Einheit geworden; es war aber auch im
+Zuge, eine nationale zu werden. Bereits hatte die herrschende
+latinische Nationalitaet die Sabiner und Volsker sich assimiliert und
+einzelne latinische Gemeinden ueber ganz Italien verstreut; es war nur
+die Entwicklung dieser Keime, dass spaeter einem jeden zur Tragung des
+latinischen Rockes Befugten auch die latinische Sprache Muttersprache
+war. Dass aber die Roemer schon jetzt dieses Ziel deutlich erkannten,
+zeigt die uebliche Erstreckung des latinischen Namens auf die ganze
+zuzugpflichtige italische Bundesgenossenschaft ^16. Was immer von
+diesem grossartigen politischen Bau sich noch erkennen laesst, daraus
+spricht der hohe politische Verstand seiner namenlosen Baumeister; und
+die ungemeine Festigkeit, welche diese aus so vielen und so
+verschiedenartigen Bestandteilen zusammengefuegte Konfoederation
+spaeterhin unter den schwersten Stoessen bewaehrt hat, drueckte ihrem
+grossen Werke das Siegel des Erfolges auf. Seitdem die Faeden dieses so
+fein wie fest um ganz Italien geschlungenen Netzes in den Haenden der
+roemischen Gemeinde zusammenliefen, war diese eine Grossmacht und trat
+anstatt Tarents, Lucaniens und anderer durch die letzten Kriege aus der
+Reihe der politischen Maechte geloeschter Mittel- und Kleinstaaten in
+das System der Staaten des Mittelmeers ein. Gleichsam die offizielle
+Anerkennung seiner neuen Stellung empfing Rom durch die beiden
+feierlichen Gesandtschaften, die im Jahre 481 (273) von Alexandreia
+nach Rom und wieder von Rom nach Alexandreia gingen, und wenn sie auch
+zunaechst nur die Handelsverbindungen regelten, doch ohne Zweifel schon
+eine politische Verbuendung vorbereiteten. Wie Karthago mit der
+aegyptischen Regierung um Kyrene rang und bald mit der roemischen um
+Sizilien ringen sollte, so stritt Makedonien mit jener um den
+bestimmenden Einfluss in Griechenland, mit dieser demnaechst um die
+Herrschaft der adriatischen Kuesten; es konnte nicht fehlen, dass die
+neuen Kaempfe, die allerorts sich vorbereiteten, ineinander eingriffen
+und dass Rom als Herrin Italiens in den weiten Kreis hineingezogen
+ward, den des grossen Alexanders Siege und Entwuerfe seinen Nachfolgern
+zum Tummelplatz abgesteckt hatten.
+
+————————————————————————-
+
+^15 Diese aelteste Grenze bezeichnen wahrscheinlich die beiden kleinen
+Ortschaften ad fines, wovon die eine noerdlich von Arezzo auf der
+Strasse nach Florenz, die zweite an der Kueste unweit Livorno lag.
+Etwas weiter suedlich von dem letzteren heisst Bach und Tal von Vada
+noch jetzt fiume della fine, valle della fine (Targioni Tozzetti,
+Viaggi. Bd. 4, S. 430).
+
+^16 Im genauen geschaeftlichen Sprachgebrauch geschieht dies freilich
+nicht. Die vollstaendigste Bezeichnung der Italiker findet sich in dem
+Ackergesetz von 643 (111), Zeile 21: [ceivis] Romanus sociumve
+nominisve Latini quibus ex formula togatorum [milites in terra Italia
+imperare solent]; ebenso wird daselbst Zeile 29 vom Latinus der
+peregrinus unterschieden und heisst es im Senatsbeschluss ueber die
+Bacchanalien von 568 (186): ne quis ceivis Romanus neve nominis Latini
+neve socium quisquam. Aber im gewoehnlichen Gebrauch wird von diesen
+drei Gliedern sehr haeufig das zweite oder das dritte weggelassen und
+neben den Roemern bald nur derer Latini nominis, bald nur der socii
+gedacht (W. Weissenborn zu Liv. 22, 50, 6), ohne dass ein Unterschied
+in der Bedeutung waere. Die Bezeichnung homines nominis Latini ac socii
+Italici (Sall. Iug. 40), so korrekt sie an sich ist, ist dem
+offiziellen Sprachgebrauch fremd, der wohl ein Italia, aber nicht
+Italici kennt.
+
+
+
+
+KAPITEL VIII.
+Recht, Religion, Kriegswesen, Volkswirtschaft, Nationalität
+
+
+In der Entwicklung, welche waehrend dieser Epoche dem Recht innerhalb
+der roemischen Gemeinde zuteil ward, ist wohl die wichtigste materielle
+Neuerung die eigentuemliche Sittenkontrolle, welche die Gemeinde selbst
+und in untergeordnetem Grade ihre Beauftragten anfingen, ueber die
+einzelnen Buerger auszuueben. Der Keim dazu ist in dem Rechte des
+Beamten zu suchen, wegen Ordnungswidrigkeiten Vermoegensbussen (multae)
+zu erkennen. Bei allen Bussen von mehr als zwei Schafen und 30 Rindern,
+oder, nachdem durch Gemeindebeschluss vom Jahre 324 (430) die
+Viehbussen in Geld umgesetzt worden waren, von mehr als 3020
+Libralassen (218 Taler), kam bald nach der Vertreibung der Koenige die
+Entscheidung im Wege der Provokation an die Gemeinde, und es erhielt
+damit das Bruchverfahren ein urspruenglich ihm durchaus fremdes
+Gewicht. Unter den vagen Begriff der Ordnungswidrigkeit liess sich
+alles, was man wollte, bringen und durch die hoeheren Stufen der
+Vermoegensbussen alles, was man wollte, erreichen; es war eine
+Milderung, die die Bedenklichkeit dieses arbitraeren Verfahrens weit
+mehr offenbart als beseitigt, dass diese Vermoegensbussen, wo sie nicht
+gesetzlich auf eine bestimmte Summe festgestellt waren, die Haelfte des
+dem Gebuessten gehoerigen Vermoegens nicht erreichen durften. In diesen
+Kreis gehoeren schon die Polizeigesetze, an denen die roemische
+Gemeinde seit aeltester Zeit ueberreich war: die Bestimmungen der
+Zwoelf Tafeln, welche die Salbung der Leiche durch gedungene Leute, die
+Mitgabe von mehr als einem Pfuhl und mehr als drei purpurbesetzten
+Decken sowie von Gold und flatternden Kraenzen, die Verwendung von
+bearbeitetem Holz zum Scheiterhaufen, die Raeucherungen und
+Besprengungen desselben mit Weihrauch und Myrrhenwein untersagten, die
+Zahl der Floetenblaeser im Leichenzug auf hoechstens zehn beschraenkten
+und die Klageweiber und die Begraebnisgelage verboten - gewissermassen
+das aelteste roemische Luxusgesetz; ferner die aus den staendischen
+Kaempfen hervorgegangenen Gesetze gegen den Geldwucher sowohl wie gegen
+Obernutzung der Gemeinweide und unverhaeltnismaessige Aneignung von
+okkupablem Domanialland. Weit bedenklicher aber als diese und aehnliche
+Bruchgesetze, welche doch wenigstens die Kontravention und oft auch das
+Strafmass ein fuer allemal formulierten, war die allgemeine Befugnis
+eines jeden mit Jurisdiktion versehenen Beamten wegen
+Ordnungswidrigkeit eine Busse zu erkennen und, wenn diese das
+Provokationsmass erreichte und der Gebuesste sich nicht in die Strafe
+fuegte, die Sache an die Gemeinde zu bringen. Schon im Laufe des
+fuenften Jahrhunderts ist in diesem Wege wegen sittenlosen
+Lebenswandels sowohl von Maennern wie von Frauen, wegen Kornwucher,
+Zauberei und aehnlicher Dinge gleichsam kriminell verfahren worden. In
+innerlicher Verwandtschaft hiermit steht die gleichfalls in dieser Zeit
+aufkommende Quasijurisdiktion der Zensoren, welche ihre Befugnis, das
+roemische Budget und die Buergerlisten festzustellen, benutzten, teils
+um von sich aus Luxussteuern aufzulegen, welche von den Luxusstrafen
+nur der Form nach sich unterschieden, teils besonders um auf die
+Anzeige anstoessiger Handlungen hin dem tadelhaften Buerger die
+politischen Ehrenrechte zu schmaelern oder zu entziehen. Wie weit schon
+jetzt diese Bevormundung ging, zeigt, dass solche Strafen wegen
+nachlaessiger Bestellung des eigenen Ackers verhaengt wurden, ja dass
+ein Mann wie Publius Cornelius Rufmus (Konsul 464, 477 290, 277) von
+den Zensoren des Jahres 479 (275) aus dem Ratsherrenverzeichnis
+gestrichen ward, weil er silbernes Tafelgeraet zum Werte von 3360
+Sesterzen (240 Taler) besass. Allerdings hatten nach der allgemein fuer
+Beamtenverordnungen gueltigen Regel die Verfuegungen der Zensoren nur
+fuer die Dauer ihrer Zensur, das heisst durchgaengig fuer die naechsten
+fuenf Jahre rechtliche Kraft, und konnten von den naechsten Zensoren
+nach Gefallen erneuert oder nicht erneuert werden; aber
+nichtsdestoweniger war diese zensorische Befugnis von einer so
+ungeheuren Bedeutung, dass infolge dessen die Zensur aus einem Unteramt
+an Rang und Ansehen von allen roemischen Gemeindeaemtern das erste
+ward. Das Senatsregiment ruhte wesentlich auf dieser doppelten, mit
+ebenso ausgedehnter wie arbitraerer Machtvollkommenheit versehenen
+Ober- und Unterpolizei der Gemeinde und der Gemeindebeamten. Dieselbe
+hat wie jedes aehnliche Willkuerregiment viel genuetzt und viel
+geschadet, und es soll dem nicht widersprochen werden, der den Schaden
+fuer ueberwiegend haelt; nur darf es nicht vergessen werden, dass bei
+der allerdings aeusserlichen, aber straffen und energischen
+Sittlichkeit und dem gewaltig angefachten Buergersinn, welche diese
+Zeit recht eigentlich bezeichnen, der eigentlich gemeine Missbrauch
+doch von diesen Institutionen fern blieb und, wenn die individuelle
+Freiheit hauptsaechlich durch sie niedergehalten worden ist, auch die
+gewaltige und oft gewaltsame Aufrechthaltung des Gemeinsinns und der
+guten alten Ordnung und Sitte in der roemischen Gemeinde eben auf
+diesen Institutionen beruhen.
+
+Daneben macht in der roemischen Rechtsentwicklung zwar langsam, aber
+dennoch deutlich genug eine humanisierende und modernisierende Tendenz
+sich geltend. Die meisten Bestimmungen der Zwoelf Tafeln, welche mit
+dem Solonischen Gesetz uebereinkommen und deshalb mit Grund fuer
+materielle Neuerungen gehalten werden duerfen, tragen diesen Stempel;
+so die Sicherung des freien Assoziationsrechts und der Autonomie der
+also entstandenen Vereine; die Vorschrift ueber die Grenzstreifen, die
+dem Abpfluegen wehrte; die Milderung der Strafe des Diebstahls, indem
+der nicht auf frischer Tat ertappte Dieb sich fortan durch Leistung des
+doppelten Ersatzes von dem Bestohlenen loesen konnte. Das Schuldrecht
+ward in aehnlichem Sinn, jedoch erst ueber ein Jahrhundert nachher,
+durch das Poetelische Gesetz gemildert. Die freie Bestimmung ueber das
+Vermoegen, die dem Herrn desselben bei Lebzeiten schon nach aeltestem
+roemischen Recht zugestanden hatte, aber fuer den Todesfall bisher
+geknuepft gewesen war an die Einwilligung der Gemeinde, wurde auch von
+dieser Schranke befreit, indem das Zwoelftafelgesetz oder dessen
+Interpretation dem Privattestament dieselbe Kraft beilegte, welche dem
+von den Kurien bestaetigten zukam; es war dies ein wichtiger Schritt
+zur Sprengung der Geschlechtsgenossenschaften und zur voelligen
+Durchfuehrung der Individualfreiheit im Vermoegensrecht. Die furchtbar
+absolute vaeterliche Gewalt wurde beschraenkt durch die Vorschrift,
+dass der dreimal vom Vater verkaufte Sohn nicht mehr in dessen Gewalt
+zurueckfallen, sondern fortan frei sein solle; woran bald durch eine -
+streng genommen freilich widersinnige - Rechtsdeduktion die
+Moeglichkeit angeknuepft ward, dass sich der Vater freiwillig der
+Herrschaft ueber den Sohn begebe durch Emanzipation. Im Eherecht wurde
+die Zivilehe gestattet; und wenn auch mit der rechten buergerlichen
+ebenso notwendig wie mit der rechten religioesen die volle eheherrliche
+Gewalt verknuepft war, so lag doch in der Zulassung der ohne solche
+Gewalt geschlossenen Verbindung an Ehestatt der erste Anfang zur
+Lockerung der Vollgewalt des Eheherrn. Der Anfang einer gesetzlichen
+Noetigung zum ehelichen Leben ist die Hagestolzensteuer (aes uxorium),
+mit deren Einfuehrung Camillus als Zensor im Jahre 351 (403) seine
+oeffentliche Laufbahn begann.
+
+Durchgreifendere Aenderungen als das Recht selbst erlitt die politisch
+wichtigere und ueberhaupt veraenderlichere Rechtspflegeordnung. Vor
+allen Dingen gehoert dahin die wichtige Beschraenkung der
+oberrichterlichen Gewalt durch die gesetzliche Aufzeichnung des
+Landrechts und die Verpflichtung des Beamten, fortan nicht mehr nach
+dem schwankenden Herkommen, sondern nach dem geschriebenen Buchstaben
+im Zivil- wie im Kriminalverfahren zu entscheiden (303, 304 451, 450).
+Die Einsetzung eines ausschliesslich fuer die Rechtspflege taetigen
+roemischen Oberbeamten im Jahre 387 (367) und die gleichzeitig in Rom
+erfolgte und unter Roms Einfluss in allen latinischen Gemeinden
+nachgeahmte Gruendung einer besonderen Polizeibehoerde erhoehten die
+Schnelligkeit und Sicherheit der Justiz. Diesen Polizeiherren oder den
+Aedilen kam natuerlich zugleich eine gewisse Jurisdiktion zu, insofern
+sie teils fuer die auf offenem Markt abgeschlossenen Verkaeufe, also
+namentlich fuer die Vieh- und Sklavenmaerkte die ordentlichen
+Zivilrichter waren, teils in der Regel sie es waren, welche in dem
+Buss- und Bruechverfahren als Richter erster Instanz oder, was nach
+roemischem Recht dasselbe ist, als oeffentliche Anklaeger fungierten.
+Infolgedessen lag die Handhabung der Bruechgesetze und ueberhaupt das
+ebenso unbestimmte wie politisch wichtige Bruechrecht hauptsaechlich in
+ihrer Hand. Aehnliche, aber untergeordnetere und besonders gegen die
+geringen Leute gerichtete Funktionen standen den zuerst 465 (289)
+ernannten drei Nacht- oder Blutherren (tres viri nocturni oder
+capitales) zu: sie wurden mit der naechtlichen Feuer- und
+Sicherheitspolizei und mit der Aufsicht ueber die Hinrichtungen
+beauftragt, woran sich sehr bald, vielleicht schon von Haus aus eine
+gewisse summarische Gerichtsbarkeit geknuepft hat ^1. Mit der
+steigenden Ausdehnung der roemischen Gemeinde wurde es endlich, teils
+mit Ruecksicht auf die Gerichtspflichtigen, notwendig in den
+entfernteren Ortschaften eigene, wenigstens fuer die geringeren
+Zivilsachen kompetente Richter niederzusetzen, was fuer die
+Passivbuergergemeinden Regel war, aber vielleicht selbst auf die
+entfernteren Vollbuergergemeinden erstreckt ward ^2 - die ersten
+Anfaenge einer neben der eigentlich roemischen sich entwickelnden
+roemisch-munizipalen Jurisdiktion.
+
+————————————————————————-
+
+^1 Die frueher aufgestellte Behauptung, dass diese Dreiherren bereits
+der aeltesten Zeit angehoeren, ist deswegen irrig, weil der aeltesten
+Staatsordnung Beamtenkollegien von ungerader Zahl fremd sind (Roemische
+Chronologie bis auf Caesar. z. Aufl. Berlin 1859, S. 15, A. 12).
+Wahrscheinlich ist die gut beglaubigte Nachricht, dass sie zuerst 465
+(289) ernannt wurden (Liv. ep. 11), einfach festzuhalten und die auch
+sonst bedenkliche Deduktion des Faelschers Licinius Macer (bei Liv. 7,
+46), welche ihrer vor 450 (304) Erwaehnung tut, einfach zu verwerfen.
+Anfaenglich wurden ohne Zweifel, wie dies bei den meisten der spaeteren
+magistratus minores der Fall gewesen ist, die Dreiherren von den
+Oberbeamten ernannt; das papirische Plebiszit, das die Ernennung
+derselben auf die Gemeinde uebertrug (Festus v. sacramentum p. 344 M.),
+ist auf jeden Fall, da es den Praetor nennt, qui inter civis ius dicit,
+erst nach Einsetzung der Fremdenpraetur, also fruehestens gegen die
+Mitte des 6. Jahrhunderts erlassen.
+
+^2 Dahin fuehrt, was Liv. 9, 20 ueber die Reorganisation der Kolonie
+Antium zwanzig Jahre nach ihrer Gruendung berichtet; und es ist an sich
+klar, dass wenn man dem Ostienser recht wohl auferlegen konnte, seine
+Rechtshaendel alle in Rom abzumachen, dies fuer Ortschaften wie Antium
+und Sena sich nicht durchfuehren liess.
+
+————————————————————————
+
+In dem Zivilverfahren, welches indes nach den Begriffen dieser Zeit die
+meisten gegen Mitbuerger begangenen Verbrechen einschloss, wurde die
+wohl schon frueher uebliche Teilung des Verfahrens in Feststellung der
+Rechtsfrage vor dem Magistrat (ius) und Entscheidung derselben durch
+einen vom Magistrat ernannten Privatmann (iudicium) mit Abschaffung des
+Koenigtums gesetzliche Vorschrift; und dieser Trennung hat das
+roemische Privatrecht seine logische und praktische Schaerfe und
+Bestimmtheit wesentlich zu verdanken ^3. Im Eigentumsprozess wurde die
+bisher der unbedingten Willkuer der Beamten anheimgegebene Entscheidung
+ueber den Besitzstand allmaehlich rechtlichen Regeln unterworfen und
+neben dem Eigentums- das Besitzrecht entwickelt, wodurch abermals die
+Magistratsgewalt einen wichtigen Teil ihrer Macht einbuesste. Im
+Kriminalverfahren wurde das Volksgericht, die bisherige Gnaden- zur
+rechtlich gesicherten Appellationsinstanz. War der Angeklagte nach
+Verhoerung (quaestio) von dem Beamten verurteilt und berief sich auf
+die Buergerschaft, so schritt der Magistrat vor dieser zu dem
+Weiterverhoer (anquisitio), und wenn er nach dreimaliger Verhandlung
+vor der Gemeinde seinen Spruch wiederholt hatte, wurde im vierten
+Termin das Urteil von der Buergerschaft bestaetigt oder verworfen.
+Milderung war nicht gestattet. Denselben republikanischen Sinn atmen
+die Saetze, dass das Haus den Buerger schuetze und nur ausserhalb des
+Hauses eine Verhaftung stattfinden koenne; dass die Untersuchungshaft
+zu vermeiden und es jedem angeklagten und noch nicht verurteilten
+Buerger zu gestatten sei, durch Verzicht auf sein Buergerrecht den
+Folgen der Verurteilung, soweit sie nicht das Vermoegen, sondern die
+Person betrafen, sich zu entziehen - Saetze, die allerdings keineswegs
+gesetzlich formuliert wurden und den anklagenden Beamten also nicht
+rechtlich banden, aber doch durch ihren moralischen Druck namentlich
+fuer die Beschraenkung der Todesstrafe von dem groessten Einfluss
+gewesen sind. Indes wenn das roemische Kriminalrecht fuer den starken
+Buergersinn wie fuer die steigende Humanitaet dieser Epoche ein
+merkwuerdiges Zeugnis ablegt, so litt es dagegen praktisch namentlich
+unter den hier besonders schaedlich nachwirkenden staendischen
+Kaempfen. Die aus diesen hervorgegangene konkurrierende
+Kriminaljurisdiktion erster Instanz der saemtlichen Gemeindebeamten war
+die Ursache, dass es in dem roemischen Kriminalverfahren eine feste
+Instruktionsbehoerde und eine ernsthafte Voruntersuchung fortan nicht
+mehr gab; und indem das Kriminalurteil letzter Instanz in den Formen
+und von den Organen der Gesetzgebung gefunden ward, auch seinen
+Ursprung aus dem Gnadenverfahren niemals verleugnete, ueberdies noch
+die Behandlung der polizeilichen Bussen auf das aeusserlich sehr
+aehnliche Kriminalverfahren nachteilig zurueckwirkte, wurde nicht etwa
+missbraeuchlich, sondern gewissermassen verfassungsmaessig die
+Entscheidung in den Kriminalsachen nicht nach festem Gesetz, sondern
+nach dem willkuerlichen Belieben der Richter gefaellt. Auf diesem Wege
+ward das roemische Kriminalverfahren vollstaendig grundsatzlos und zum
+Spielball und Werkzeug der politischen Parteien herabgewuerdigt; was um
+so weniger entschuldigt werden kann, als dies Verfahren zwar
+vorzugsweise fuer eigentliche politische Verbrechen, aber doch auch
+fuer andere, zum Beispiel fuer Mord und Brandstiftung zur Anwendung
+kam. Dazu kam die Schwerfaelligkeit jenes Verfahrens, welche im Verein
+mit der republikanisch hochmuetigen Verachtung des Nichtbuergers es
+verschuldet hat, dass man sich immer mehr gewoehnte, ein summarisches
+Kriminal- oder vielmehr Polizeiverfahren gegen Sklaven und geringe
+Leute neben jenem foermlichen zu dulden. Auch hier ueberschritt der
+leidenschaftliche Streit um die politischen Prozesse die natuerlichen
+Grenzen und fuehrte Institutionen herbei, die wesentlich dazu
+beigetragen haben, die Roemer allmaehlich der Idee einer festen
+sittlichen Rechtsordnung zu entwoehnen.
+
+———————————————————————
+
+^3 Man pflegt die Roemer als das zur Jurisprudenz privilegierte Volk zu
+preisen und ihr vortreffliches Recht als eine mystische Gabe des
+Himmels anzustaunen; vermutlich besonders, um sich die Scham zu
+ersparen ueber die Nichtswuerdigkeit des eigenen Rechtszustandes. Ein
+Blick auf das beispiellos schwankende und unentwickelte roemische
+Kriminalrecht koennte von der Unhaltbarkeit dieser unklaren
+Vorstellungen auch diejenigen ueberzeugen, denen der Satz zu einfach
+scheinen moechte, dass ein gesundes Volk ein gesundes Recht hat und ein
+krankes ein krankes. Abgesehen von allgemeineren staatlichen
+Verhaeltnissen, von welchen die Jurisprudenz eben auch und sie vor
+allem abhaengt, liegen die Ursachen der Trefflichkeit des roemischen
+Zivilrechts hauptsaechlich in zwei Dingen: einmal darin, dass der
+Klaeger und der Beklagte gezwungen wurden, vor allen Dingen die
+Forderung und ebenso die Einwendung in bindender Weise zu motivieren
+und zu formulieren; zweitens darin, dass man fuer die gesetzliche
+Fortbildung des Rechtes ein staendiges Organ bestellte und dies an die
+Praxis unmittelbar anknuepfte. Mit jenem schnitten die Roemer die
+advokatische Rabulisterei, mit diesem die unfaehige Gesetzmacherei ab,
+soweit sich dergleichen abschneiden laesst, und mit beiden zusammen
+genuegten sie, soweit es moeglich ist, den zwei entgegenstehenden
+Forderungen, dass das Recht stets fest und dass es stets zeitgemaess
+sein soll.
+
+———————————————————————
+
+Weniger sind wir imstande, die Weiterbildung der roemischen
+Religionsvorstellungen in dieser Epoche zu verfolgen. Im allgemeinen
+hielt man einfach fest an der einfachen Froemmigkeit der Ahnen und den
+Aber- wie den Unglauben in gleicher Weise fern. Wie lebendig die Idee
+der Vergeistigung alles Irdischen, auf der die roemische Religion
+beruhte, noch am Ende dieser Epoche war, beweist der vermutlich doch
+erst infolge der Einfuehrung des Silbercourants im Jahre 485 (269) neu
+entstandene Gott “Silberich” (Argentinus), der natuerlicherweise des
+aelteren Gottes “Kupferich” (Aesculanus) Sohn war.
+
+Die Beziehungen zum Ausland sind dieselben wie frueher; aber auch hier
+und hier vor allem ist der hellenische Einfluss im Steigen. Erst jetzt
+beginnen den hellenischen Goettern in Rom selber sich Tempel zu
+erheben. Der aelteste war der Tempel der Kastoren, welcher in der
+Schlacht am Regillischen See gelobt und am 15. Juli 269 (485)
+eingeweiht sein soll. Die Sage, welche an denselben sich knuepft, dass
+zwei uebermenschlich schoene und grosse Juenglinge auf dem
+Schlachtfelde in den Reihen der Roemer mitkaempfend und unmittelbar
+nach der Schlacht ihre schweisstriefenden Rosse auf dem roemischen
+Markt am Quell der Juturna traenkend und den grossen Sieg verkuendend
+gesehen worden seien, traegt ein durchaus unroemisches Gepraege und ist
+ohne allen Zweifel der bis in die Einzelheiten gleichartigen Epiphanie
+der Dioskuren in der beruehmten, etwa ein Jahrhundert vorher zwischen
+den Krotoniaten und den Lokrern am Flusse Sagras geschlagenen Schlacht
+in sehr frueher Zeit nachgedichtet. Auch der delphische Apoll wird
+nicht bloss beschickt, wie es ueblich ist, bei allen unter dem Einfluss
+griechischer Kultur stehenden Voelkern, und nicht bloss nach besonderen
+Erfolgen, wie nach der Eroberung von Veii, mit dem Zehnten der Beute
+(360 394) beschenkt, sondern es wird auch ihm ein Tempelinder Stadt
+gebaut (323 431, erneuert 401 353). Dasselbe geschah gegen das Ende
+dieser Periode fuer die Aphrodite (459 295), welche in raetselhafter
+Weise mit der alten roemischen Gartengoettin Venus zusammenfloss ^4,
+und fuer den von Epidauros im Peloponnes erbetenen und feierlich nach
+Rom gefuehrten Asklapios oder Aesculapius (463 291). Einzeln wird in
+schweren Zeitlaeuften Klage vernommen ueber das Eindringen
+auslaendischen Aberglaubens, vermutlich etruskischer Haruspizes (so 326
+428); wo aber dann die Polizei nicht ermangelt, ein billiges Einsehen
+zu tun.
+
+——————————————————————-
+
+^4 In der spaeteren Bedeutung als Aphrodite erscheint die Venus wohl
+zuerst bei der Dedikation des in diesem Jahre geweihten Tempels (Liv.
+10, 31; W. A. Becker, Topographie der Stadt Rom [Becker, Handbuch, 1].
+Leipzig 1843, S. 472).
+
+——————————————————————-
+
+In Etrurien dagegen wird, waehrend die Nation in politischer
+Nichtigkeit und traeger Opulenz stockte und verdarb, das theologische
+Monopol des Adels, der stumpfsinnige Fatalismus, die wueste und
+sinnlose Mystik, die Zeichendeuterei und das Bettelprophetenwesen sich
+allmaehlich zu jener Hoehe entwickelt haben, auf der wir sie spaeter
+dort finden.
+
+In dem Priesterwesen traten unseres Wissens durchgreifende
+Veraenderungen nicht ein. Die verschaerfte Einziehung, welche fuer die
+zur Bestreitung der Kosten des oeffentlichen Gottesdienstes
+angewiesenen Prozessbussen um das Jahr 465 (289) verfuegt wurde, deutet
+auf das Steigen des sakralen Staatsbudgets, wie es die vermehrte Zahl
+der Staatsgoetter und Tempel mit Notwendigkeit mit sich brachte. Unter
+den ueblen Folgen des Staendehaders ist es schon angefuehrt worden,
+dass man den Kollegien der Sachverstaendigen einen unstatthaften
+Einfluss einzuraeumen begann und sich ihrer bediente, um politische
+Akte zu kassieren, wodurch teils der Glaube im Volke erschuettert,
+teils den Pfaffen ein sehr schaedlicher Einfluss auf die oeffentlichen
+Geschaefte zugestanden ward.
+
+Im Kriegswesen trat in dieser Epoche eine vollstaendige Revolution ein.
+Die uralte graecoitalische Heerordnung, welche gleich der homerischen
+auf der Aussonderung der angesehensten und tuechtigsten, in der Regel
+zu Pferde fechtenden Kriegsleute zu einem eigenen Vordertreffen beruht
+haben mag, war in der spaeteren Koenigszeit durch die legio, die
+altdorische Hoplitenphalanx von wahrscheinlich acht Gliedern Tiefe
+ersetzt worden, welche fortan das Schwergewicht des Kampfes uebernahm,
+waehrend die Reiter auf die Fluegel gestellt und, je nach den
+Umstaenden zu Pferde oder abgesessen, hauptsaechlich als Reserve
+verwandt wurden. Aus dieser Herstellung entwickelte sich ungefaehr
+gleichzeitig in Makedonien die Sarissenphalanx und in Italien die
+Manipularordnung, jene durch Verdichtung und Vertiefung, diese durch
+Aufloesung und Vermannigfaltigung der Glieder, zunaechst durch die
+Teilung der alten legio von 8400 in zwei legiones von je 4200 Mann. Die
+alte dorische Phalanx hatte durchaus auf dem Nahgefecht mit dem Schwert
+und vor allem dem Spiess beruht und den Wurfwaffen nur eine beilaeufige
+und untergeordnete Stellung im Treffen eingeraeumt. In der
+Manipularlegion wurde die Stosslanze auf das dritte Treffen beschraenkt
+und den beiden ersten anstatt derselben eine neue und eigentuemlich
+italische Wurfwaffe gegeben, das Pilum, ein fuenftehalb Ellen langes
+viereckiges oder rundes Holz mit drei- oder vierkantiger eiserner
+Spitze, das vielleicht urspruenglich zur Verteidigung der Lagerwaelle
+erfunden worden war, aber bald von dem letzten auf die ersten Glieder
+ueberging und von dem vorrueckenden Gliede auf eine Entfernung von zehn
+bis zwanzig Schritten in die feindlichen Reihen geworfen ward. Zugleich
+gewann das Schwert eine bei weitem groessere Bedeutung als das kurze
+Messer der Phalangiten hatte haben koennen; denn die Wurfspeersalve war
+zunaechst nur bestimmt, dem Angriff mit dem Schwert die Bahn zu
+brechen. Wenn ferner die Phalanx, gleichsam eine einzige gewaltige
+Lanze, auf einmal auf den Feind geworfen werden musste, so wurden in
+der neuen italischen Legion die kleineren, im Phalangensystem wohl auch
+vorhandenen, aber in der Schlachtordnung unaufloeslich fest
+verknuepften Einheiten taktisch voneinander gesondert. Das geschlossene
+Quadrat teilte sich nicht bloss, wie gesagt, in zwei gleich starke
+Haelften, sondern jede von diesen trat weiter in der Tiefrichtung
+auseinander in drei Treffen, das der Hastaten, das der Principes und
+das der Triarier, von ermaessigter, wahrscheinlich in der Regel nur
+vier Glieder betragender Tiefe und loeste in der Frontrichtung sich auf
+in je zehn Haufen (manipuli), so dass zwischen je zwei Treffen und je
+zwei Haufen ein merklicher Zwischenraum blieb. Es war nur eine
+Fortsetzung derselben Individualisierung, wenn der Gesamtkampf auch der
+verkleinerten taktischen Einheit zurueck- und der Einzelkampf in den
+Vordergrund trat, wie dies aus der schon erwaehnten entscheidenden
+Rolle des Handgemenges und Schwertgefechtes deutlich hervorgeht.
+Eigentuemlich entwickelte sich auch das System der Lagerverschanzung;
+der Platz, wo der Heerhaufe wenn auch nur fuer eine einzige Nacht sein
+Lager nahm, ward ohne Ausnahme mit einer regelmaessigen Umwallung
+versehen und gleichsam in eine Festung umgeschaffen. Wenig aenderte
+sich dagegen in der Reiterei, die auch in der Manipularlegion die
+sekundaere Rolle behielt, welche sie neben der Phalanx eingenommen
+hatte. Auch das Offiziersystem blieb in der Hauptsache ungeaendert; nur
+wurden jetzt jeder der zwei Legionen des regelmaessigen Heeres ebenso
+viele Kriegstribune vorgesetzt, wie sie bisher das gesamte Heer
+befehligt hatten, also die Zahl der Stabsoffiziere verdoppelt. Es
+duerfte auch in dieser Zeit sich die scharfe Grenze festgestellt haben
+zwischen den Subalternoffizieren, welche sich ihren Platz an der Spitze
+der Manipel als Gemeine mit dem Schwerte zu gewinnen hatten und in
+regelmaessigem Avancement von den niederen in die hoeheren Manipel
+uebergingen, und den je sechs und sechs den ganzen Legionen
+vorgesetzten Kriegstribunen, fuer welche es kein regelmaessiges
+Avancement gab und zu denen man gewoehnlich Maenner aus der besseren
+Klasse nahm. Namentlich muss es dafuer von Bedeutung geworden sein,
+dass, waehrend frueher die Subaltern- wie die Stabsoffiziere
+gleichmaessig vom Feldherrn ernannt wurden, seit dem Jahre 392 (362)
+ein Teil der letzteren Posten durch Buergerschaftswahl vergeben ward.
+Endlich blieb auch die alte, furchtbar strenge Kriegszucht
+unveraendert. Nach wie vor war es dem Feldherrn gestattet, jedem in
+seinem Lager dienenden Mann den Kopf vor die Fuesse zu legen und den
+Stabsoffizier so gut wie den gemeinen Soldaten mit Ruten auszuhauen;
+auch wurden dergleichen Strafen nicht bloss wegen gemeiner Verbrechen
+erkannt, sondern ebenso, wenn sich ein Offizier gestattet hatte, von
+dem erteilten Befehle abzuweichen, oder wenn eine Abteilung sich hatte
+ueberrumpeln lassen oder vom Schlachtfeld gewichen war. Dagegen bedingt
+die neue Heerordnung eine weit ernstere und laengere militaerische
+Schule als die bisherige phalangitische, worin das Schwergewicht der
+Masse auch die Ungeuebten zusammenhielt. Wenn dennoch kein eigener
+Soldatenstand sich entwickelte, sondern das Heer nach wie vor
+Buergerheer blieb, so ward dies hauptsaechlich dadurch erreicht, dass
+man die bisherige Gliederung der Soldaten nach dem Vermoegen aufgab und
+sie nach dem Dienstalter ordnete. Der roemische Rekrut trat jetzt ein
+unter die leichtbewaffneten, ausserhalb der Linie besonders mit
+Steinschleudern fechtenden “Sprenkler” (rorarii) und avancierte aus
+diesem allmaehlich in das erste und weiter in das zweite Treffen, bis
+endlich die langgedienten und erfahrenen Soldaten in dem an Zahl
+schwaechsten, aber in dem ganzen Heer Ton und Geist angebenden
+Triarierkorps sich zusammenfanden.
+
+Die Vortrefflichkeit dieser Kriegsordnung, welche die naechste Ursache
+der ueberlegenen politischen Stellung der roemischen Gemeinde geworden
+ist, beruht wesentlich auf den drei grossen militaerischen Prinzipien
+der Reserve, der Verbindung des Nah- und Ferngefechts und der
+Verbindung von Offensive und Defensive. Das Reservesystem war schon in
+der aelteren Verwendung der Reiterei angedeutet, hier aber durch die
+Gliederung des Heeres in drei Treffen und die Aufsparung der
+Veteranenkernschar fuer den letzten und entscheidenden Stoss
+vollstaendig entwickelt. Wenn die hellenische Phalanx den Nahkampf, die
+orientalischen mit Bogen und leichten Wurfspeeren bewaffneten
+Reitergeschwader den Fernkampf einseitig ausgebildet hatten, so wurde
+durch die roemische Verbindung des schweren Wurfspiesses mit dem
+Schwerte, wie mit Recht gesagt worden ist, ein aehnlicher Erfolg
+erreicht wie in der modernen Kriegfuehrung durch die Einfuehrung der
+Bajonettflinte; es arbeitete die Wurfspeersalve dem Schwertkampf genau
+in derselben Weise vor wie jetzt die Gewehrsalve dem Angriff mit dem
+Bajonett. Endlich das ausgebildete Lagersystem gestattete es den
+Roemern, die Vorteile des Belagerungs- und des Offensivkrieges
+miteinander zu verbinden und die Schlacht je nach Umstaenden zu
+verweigern oder zu liefern, und im letzteren Fall sie unter den
+Lagerwaellen gleichwie unter den Mauern einer Festung zu schlagen - der
+Roemer, sagt ein roemisches Sprichwort, siegt durch Stillsitzen.
+
+Dass diese neue Kriegsordnung im wesentlichen eine roemische oder
+wenigstens italische Um- und Fortbildung der alten hellenischen
+Phalangentaktik ist, leuchtet ein; wenn gewisse Anfaenge des
+Reservesystems und der Individualisierung der kleineren Heerabteilungen
+schon bei den spaeteren griechischen Strategen, namentlich bei Xenophon
+begegnen, so folgt daraus nur, dass man die Mangelhaftigkeit des alten
+Systems auch hier empfunden, aber doch nicht vermocht hat, sie zu
+beseitigen. Vollstaendig entwickelt erscheint die Manipularlegion im
+Pyrrhischen Kriege; wann und unter welchen Umstaenden und ob sie auf
+einmal oder nach und nach entstanden ist, laesst sich nicht mehr
+nachweisen. Die erste von der aelteren italisch-hellenischen gruendlich
+verschiedene Taktik, die den Roemern gegenuebertrat, war die keltische
+Schwerterphalanx; es ist nicht unmoeglich, dass man durch die
+Gliederung der Armee und die Frontalintervalle der Manipel ihren ersten
+und allein gefaehrlichen Stoss abwehren wollte und abgewehrt hat; und
+damit stimmt es zusammen, wenn in manchen einzelnen Notizen der
+bedeutendste roemische Feldherr der Gallierzeit, Marcus Furius
+Camillus, als Reformator des roemischen Kriegswesens erscheint. Die
+weiteren an den Samnitischen und Pyrrhischen Krieg anknuepfenden
+Ueberlieferungen sind weder hinreichend beglaubigt noch mit Sicherheit
+einzureihen ^5; so wahrscheinlich es auch an sich ist, dass der
+langjaehrige samnitische Bergkrieg auf die individuelle Entwicklung des
+roemischen Soldaten, und der Kampf gegen einen der ersten
+Kriegskuenstler aus der Schule des grossen Alexander auf die
+Verbesserung des Technischen im roemischen Heerwesen nachhaltig
+eingewirkt hat.
+
+—————————————————————-
+
+^5 Nach der roemischen Tradition fuehrten die Roemer urspruenglich
+viereckige Schilde; worauf sie von den Etruskern den runden
+Hoplitenschild (clupeus, αςπίς)von den Samniten den spaeteren
+viereckigen Schild (scutum, θυρεός) und den Wurfspeer (veru) entlehnten
+(Diodor. Vat. fr. p. 54; Sall. Catil. 51, 38; Verg. Aen. 7, 665; Fest.
+v. Samnites p. 327 Mueller und die bei Marquardt, Handbuch, Bd. 3, 2,
+S. 241 angefuehrten). Allein dass der Hoplitenschild, das heisst die
+dorische Phalangentaktik nicht den Etruskern, sondern den Hellenen
+unmittelbar nachgeahmt ward, darf als ausgemacht gelten. Was das Scutum
+anlangt, so wird dieser grosse zylinderfoermig gewoelbte Lederschild
+allerdings wohl an die Stelle des platten kupfernen Clupeus getreten
+sein, als die Phalanx in Manipel auseinandertrat; allein die
+unzweifelhafte Herleitung des Wortes aus dem Griechischen macht
+misstrauisch gegen die Herleitung der Sache von den Samniten. Von den
+Griechen kam den Roemern auch die Schleuder (funda aus σφενδόνη, wie
+fides aus σφίδη, oben). Das Pilum gilt den Alten durchaus als roemische
+Erfindung.
+
+————————————————————
+
+In der Volkswirtschaft war und blieb der Ackerbau die soziale und
+politische Grundlage sowohl der roemischen Gemeinde als des neuen
+italischen Staates. Aus den roemischen Bauern bestand die
+Gemeindeversammlung und das Heer; was sie als Soldaten mit dem Schwerte
+gewonnen hatten, sicherten sie als Kolonisten mit dem Pfluge. Die
+Ueberschuldung des mittleren Grundbesitzes fuehrte die furchtbaren
+inneren Krisen des dritten und vierten Jahrhunderts herbei, an denen
+die junge Republik zugrunde gehen zu muessen schien; die Wiedererhebung
+der latinischen Bauernschaft, welche waehrend des fuenften teils durch
+die massenhaften Landanweisungen und Inkorporationen, teils durch das
+Sinken des Zinsfusses und die steigende Volksmenge Roms bewirkt ward,
+war zugleich Wirkung und Ursache der gewaltigen Machtentwicklung Roms -
+wohl erkannte Pyrrhos’ scharfer Soldatenblick die Ursache des
+politischen und militaerischen Uebergewichts der Roemer in dem
+bluehenden Zustande der roemischen Bauernwirtschaften. Aber auch das
+Aufkommen der Grosswirtschaft in dem roemischen Ackerbau scheint in
+diese Zeit zu fallen. In der aelteren Zeit gab es wohl auch schon einen
+- wenigstens verhaeltnismaessig - grossen Grundbesitz; aber dessen
+Bewirtschaftung war keine Gross-, sondern nur eine vervielfaeltigte
+Kleinwirtschaft (I, 204). Dagegen darf die mit der aelteren
+Wirtschaftsweise zwar nicht unvereinbare, aber doch der spaeteren bei
+weitem angemessenere Bestimmung des Gesetzes vom Jahre 387 (367), dass
+der Grundbesitzer neben den Sklaven eine verhaeltnismaessige Zahl
+freier Leute zu verwenden verbunden sei, wohl als die aelteste Spur der
+spaeteren zentralisierten Gutswirtschaft angesehen werden ^6; und es
+ist bemerkenswert, dass gleich hier bei ihrem ersten Vorkommen dieselbe
+wesentlich auf dem Sklavenhalten ruht. Wie sie aufkam, muss
+dahingestellt bleiben; moeglich ist es, dass die karthagischen
+Pflanzungen auf Sizilien schon den aeltesten roemischen Gutsbesitzern
+als Muster gedient haben und vielleicht steht selbst das Aufkommen des
+Weizens in der Landwirtschaft neben dem Spelt, das Varro um die Zeit
+der Dezemvirn setzt, mit dieser veraenderten Wirtschaftsweise in
+Zusammenhang. Noch weniger laesst sich ermitteln, wie weit diese
+Wirtschaftsweise schon in dieser Epoche um sich gegriffen hat; nur
+daran, dass sie noch nicht Regel gewesen sein und den italischen
+Bauernstand noch nicht absorbiert haben kann, laesst die Geschichte des
+Hannibalischen Krieges keinen Zweifel. Wo sie aber aufkam, vernichtete
+sie die aeltere, auf dem Bittbesitz beruhende Klientel; aehnlich wie
+die heutige Gutswirtschaft grossenteils durch Niederlegung der
+Bauernstellen und Verwandlung der Hufen in Hoffeld entstanden ist. Es
+ist keinem Zweifel unterworfen, dass zu der Bedraengnis des kleinen
+Ackerbauernstandes eben das Einschraenken dieser Ackerklientel hoechst
+wesentlich mitgewirkt hat.
+
+—————————————————————————-
+
+^6 Auch Varro (rust. 1, 2, 9) denkt sich den Urheber des Licinischen
+Ackergesetzes offenbar als Selbstbewirtschafter seiner ausgedehnten
+Laendereien; obgleich uebrigens die Anekdote leicht erfunden sein kann,
+um den Beinamen zu erklaeren.
+
+————————————————————————-
+
+Ueber den inneren Verkehr der Italiker untereinander sind die
+schriftlichen Quellen stumm; einigen Aufschluss geben lediglich die
+Muenzen. Dass in Italien, von den griechischen Staedten und dem
+etruskischen Populonia abgesehen, waehrend der ersten drei Jahrhunderte
+Roms nicht gemuenzt ward und als Tauschmaterial anfangs das Vieh,
+spaeter Kupfer nach dem Gewicht diente, wurde schon gesagt. In die
+gegenwaertige Epoche faellt der Uebergang der Italiker vom Tausch- zum
+Geldsystem, wobei man natuerlich zunaechst auf griechische Muster sich
+hingewiesen sah. Es lag indes in den Verhaeltnissen, dass in
+Mittelitalien statt des Silbers das Kupfer zum Muenzmetall ward und die
+Muenzeinheit sich zunaechst anlehnte an die bisherige Werteinheit, das
+Kupferpfund; womit es zusammenhaengt, dass man die Muenzen goss, statt
+sie zu praegen, denn kein Stempel haette ausgereicht fuer so grosse und
+schwere Stuecke. Doch scheint von Haus aus zwischen Kupfer und Silber
+ein festes Gleichungsverhaeltnis (250 : 1) normiert und die
+Kupfermuenze mit Ruecksicht darauf ausgebracht worden zu sein, so dass
+zum Beispiel in Rom das grosse Kupferstueck, der As, dem Werte nach
+einem Skrupel (= 1/288 Pfund) Silber gleichkam. Geschichtlich
+bemerkenswerter ist es, dass die Muenze in Italien hoechst
+wahrscheinlich von Rom ausgegangen ist und zwar eben von den Dezemvirn,
+die in der Solonischen Gesetzgebung das Vorbild auch zur Regulierung
+des Muenzwesens fanden, und dass sie von Rom aus sich verbreitete ueber
+eine Anzahl latinischer, etruskischer, umbrischer und ostitalischer
+Gemeinden; zum deutlichen Beweise der ueberlegenen Stellung, die Rom
+schon seit dem Anfang des vierten Jahrhunderts in Italien behauptete.
+Wie alle diese Gemeinden formell unabhaengig nebeneinander standen, war
+gesetzlich auch der Muenzfuss durchaus oertlich und jedes Stadtgebiet
+ein eigenes Muenzgebiet; indes lassen sich doch die mittel- und
+norditalischen Kupfermuenzfuesse in drei Gruppen zusammenfassen,
+innerhalb welcher man die Muenzen im gemeinen Verkehr als gleichartig
+behandelt zu haben scheint. Es sind dies teils die Muenzen der
+noerdlich vom Ciminischen Walde gelegenen etruskischen und der
+umbrischen Staedte, teils die Muenzen von Rom und Latium, teils die des
+oestlichen Litorals. Dass die roemischen Muenzen mit dem Silber nach
+dem Gewicht geglichen waren, ist schon bemerkt worden: diejenigen der
+italischen Ostkueste finden wir dagegen in ein bestimmtes Verhaeltnis
+gesetzt zu den Silbermuenzen, die im suedlichen Italien seit alter Zeit
+gangbar waren und deren Fuss sich auch die italischen Einwanderer, zum
+Beispiel die Brettier, Lucaner, Nolaner, ja die latinischen Kolonien
+daselbst wie Cales und Suessa und sogar die Roemer selbst fuer ihre
+unteritalischen Besitzungen aneigneten. Danach wird auch der italische
+Binnenhandel in dieselben Gebiete zerfallen sein, welche unter sich
+verkehrten gleich fremden Voelkern.
+
+Im ueberseeischen Verkehr bestanden die frueher bezeichneten
+sizilisch-latinischen, etruskisch-attischen und
+adriatisch-tarentinischen Handelsbeziehungen auch in dieser Epoche fort
+oder gehoeren ihr vielmehr recht eigentlich an; denn obwohl die
+derartigen, in der Regel ohne Zeitangabe vorkommenden Tatsachen der
+Obersicht wegen schon bei der ersten Periode zusammengefasst worden
+sind, erstrecken sich diese Angaben doch ebensowohl auf die
+gegenwaertige mit. Am deutlichsten sprechen auch hierfuer die Muenzen.
+Wie die Praegung des etruskischen Silbergeldes auf attischen Fuss und
+das Eindringen des italischen und besonders latinischen Kupfers in
+Sizilien fuer die ersten beiden Handelszuege zeugen, so spricht die
+eben erwaehnte Gleichstellung des grossgriechischen Silbergeldes mit
+der picenischen und apulischen Kupfermuenze nebst zahlreichen anderen
+Spuren fuer den regen Verkehr der unteritalischen Griechen, namentlich
+der Tarentiner mit dem ostitalischen Litoral. Dagegen scheint der
+frueher wohl lebhaftere Handel zwischen den Latinern und den
+kampanischen Griechen durch die sabellische Einwanderung gestoert
+worden zu sein und waehrend der ersten hundertundfuenfzig Jahre der
+Republik nicht viel bedeutet zu haben; die Weigerung der Samniten, in
+Capua und Cumae den Roemern in der Hungersnot von 343 (411) mit ihrem
+Getreide zu Hilfe zu kommen, duerfte eine Spur der zwischen Latium und
+Kampanien veraenderten Beziehungen sein, bis im Anfang des fuenften
+Jahrhunderts die roemischen Waffen die alten Verhaeltnisse
+wiederherstellten und steigerten. Im einzelnen mag es noch gestattet
+sein, als eines der seltenen datierten Fakten aus der Geschichte des
+roemischen Verkehrs der Notiz zu gedenken, welche aus der ardeatischen
+Chronik erhalten ist, dass im Jahre 454 (300) der erste Barbier aus
+Sizilien nach Ardea kam, und einen Augenblick bei dem gemalten
+Tongeschirr zu verweilen, das vorzugsweise aus Attika, daneben aus
+Kerkyra und Sizilien nach Lucanien, Kampanien und Etrurien gesandt
+ward, um dort zur Ausschmueckung der Grabgemaecher zu dienen und ueber
+dessen merkantilische Verhaeltnisse wir zufaellig besser als ueber
+irgendeinen anderen ueberseeischen Handelsartikel unterrichtet sind.
+Der Anfang dieser Einfuhr mag um die Zeit der Vertreibung der
+Tarquinier fallen, denn die noch sehr sparsam in Italien vorkommenden
+Gefaesse des aeltesten Stils duerften in der zweiten Haelfte des
+dritten Jahrhunderts der Stadt (500-450) gemalt sein, waehrend die
+zahlreicheren des strengen Stils der ersten (450-400), die des
+vollendet schoenen der zweiten Haelfte des vierten (400-350)
+angehoeren, und die ungeheuren Massen der uebrigen, oft durch Pracht
+und Groesse, aber selten durch vorzuegliche Arbeit sich auszeichnenden
+Vasen im ganzen dem folgenden Jahrhundert (350-250) beizulegen sein
+werden. Es waren allerdings wieder die Hellenen, von denen die Italiker
+diese Sitte der Graeberschmueckung entlehnten; aber wenn die
+bescheidenen Mittel und der feine Takt der Griechen sie bei diesen in
+engen Grenzen hielten, ward sie in Italien mit barbarischer Opulenz und
+barbarischer Verschwendung weit ueber das urspruengliche und
+schickliche Mass ausgedehnt. Aber es ist bezeichnend, dass es in
+Italien lediglich die Laender der hellenischen Halbkultur sind, in
+welchen diese Ueberschwenglichkeit begegnet; wer solche Schrift zu
+lesen versteht, wird in den etruskischen und kampanischen
+Leichenfeldern, den Fundgruben unserer Museen, den redenden Kommentar
+zu den Berichten der Alten ueber die im Reichtum und Uebermut
+erstickende etruskische und kampanische Halbbildung erkennen. Dagegen
+blieb das schlichte samnitische Wesen diesem toerichten Luxus zu allen
+Zeiten fern; in dem Mangel des griechischen Grabgeschirrs tritt ebenso
+fuehlbar wie in dem Mangel einer samnitischen Landesmuenze die geringe
+Entwicklung des Handelsverkehrs und des staedtischen Lebens in dieser
+Landschaft hervor. Noch bemerkenswerter ist es, dass auch Latium,
+obwohl den Griechen nicht minder nahe wie Etrurien und Kampanien und
+mit ihnen im engsten Verkehr, dieser Graeberpracht sich fast ganz
+enthalten hat. Es ist wohl mehr als wahrscheinlich, namentlich wegen
+der ganz abweichenden Beschaffenheit der Graeber in dem einzigen
+Praeneste, dass wir hierin den Einfluss der strengen roemischen
+Sittlichkeit, oder, wenn man lieber will, der straffen roemischen
+Polizei wiederzuerkennen haben. Im engsten Zusammenhange damit stehen
+die bereits erwaehnten Interdikte, welche schon das Zwoelftafelgesetz
+gegen purpurne Bahrtuecher und den Goldschmuck als Totenmitgift
+schleudert, und die Verbannung des silbernen Geraetes mit Ausnahme des
+Salzfasses und der Opferschale aus dem roemischen Hausrat wenigstens
+durch das Sittengesetz und die Furcht vor der zensorischen Ruege; und
+auch in dem Bauwesen werden wir demselben, allem gemeinen wie edlen
+Luxus feindlichen Sinn wiederbegegnen. Indes mochte auch Rom durch
+solche Einwirkung von oben her laenger als Volsinii und Capua eine
+gewisse aeussere Einfachheit bewahren, so werden sein Handel und
+Gewerbe, auf denen ja neben dem Ackerbau seine Bluete von Haus aus
+beruhte, darum noch nicht als unbedeutend gedacht werden duerfen und
+nicht minder den Einfluss der neuen Machtstellung Roms empfunden haben.
+
+Zu der Entwicklung eines eigentlichen staedtischen Mittelstandes, einer
+unabhaengigen Handwerker- und Kaufmannschaft kam es in Rom nicht. Die
+Ursache war neben der frueh eingetretenen unverhaeltnismaessigen
+Zentralisierung des Kapitals vornehmlich die Sklavenwirtschaft. Es war
+im Altertum ueblich und in der Tat eine notwendige Konsequenz der
+Sklaverei, dass die kleineren staedtischen Geschaefte sehr haeufig von
+Sklaven betrieben wurden, welche ihr Herr als Handwerker oder Kaufleute
+etablierte, oder auch von Freigelassenen, fuer welche der Herr nicht
+bloss sehr oft das Geschaeftskapital hergab, sondern von denen er sich
+auch regelmaessig einen Anteil, oft die Haelfte des Geschaeftsgewinns
+ausbedang. Der Kleinbetrieb und der Kleinverkehr in Rom waren ohne
+Zweifel in stetigem Steigen; es finden sich auch Belege dafuer, dass
+die dem grossstaedtischen Luxus dienstbaren Gewerbe anfingen, sich in
+Rom zu konzentrieren - so ist das ficoronische Schmuckkaestchen im
+fuenften Jahrhundert der Stadt von einem praenestinischen Meister
+verfertigt und nach Praeneste verkauft, aber dennoch in Rom gearbeitet
+worden ^7. Allein da der Reinertrag auch des Kleingeschaefts zum
+groessten Teil in die Kassen der grossen Haeuser floss, so kam ein
+industrieller und kommerzieller Mittelstand nicht in entsprechender
+Ausdehnung empor. Ebensowenig sonderten sich die Grosshaendler und
+grossen Industriellen scharf von den grossen Grundbesitzern. Einerseits
+waren die letzteren seit alter zugleich Geschaeftsbetreibende und
+Kapitalisten und in ihren Haenden Hypothekardarlehen, Grosshandel und
+Lieferungen und Arbeiten fuer den Staat vereinigt. Anderseits war es
+bei dem starken sittlichen Akzent, der in dem roemischen Gemeinwesen
+auf den Grundbesitz fiel, und bei seiner politischen
+Alleinberechtigung, welche erst gegen das Ende dieser Epoche einige
+Einschraenkungen erlitt, ohne Zweifel schon in dieser Zeit gewoehnlich,
+dass der glueckliche Spekulant mit einem Teil seiner Kapitalien sich
+ansaessig machte. Es geht auch aus der politischen Bevorzugung der
+ansaessigen Freigelassenen deutlich genug hervor, dass die roemischen
+Staatsmaenner dahin wirkten, auf diesem Wege die gefaehrliche Klasse
+der nicht grundsaessigen Reichen zu vermindern.
+
+———————————————————————————
+
+^7 Die Vermutung, dass der Kuenstler, welcher an diesem Kaestchen fuer
+die Dindia Macolnia in Rom gearbeitet hat, Novius Plautius, ein
+Kampaner, gewesen sei, wird durch die neuerlich gefundenen alten
+praenestinischen Grabsteine widerlegt, auf denen unter andern
+Macolniern und Plautiern auch ein Lucius Magulnius des Plautius Sohn
+(L. Magolnio Pla. f.) vorkommt.
+
+———————————————————————————
+
+Aber wenn auch in Rom weder ein wohlhabender staedtischer Mittelstand
+noch eine streng geschlossene Kapitalistenklasse sich bildete, so war
+das grossstaedtische Wesen doch an sich in unaufhaltsamem Steigen.
+Deutlich weist darauf hin die zunehmende Zahl der in der Hauptstadt
+zusammengedraengten Sklaven, wovon die sehr ernsthafte
+Sklavenverschwoerung des Jahres 335 (419) zeugt, und noch mehr die
+steigende, allmaehlich unbequem und gefaehrlich werdende Menge der
+Freigelassenen, worauf die im Jahre 397 (357) auf die Freilassungen
+gelegte ansehnliche Steuer und die Beschraenkung der politischen Rechte
+der Freigelassenen im Jahre 450 (304) einen sicheren Schluss gestatten.
+Denn es lag nicht bloss in den Verhaeltnissen, dass die grosse
+Majoritaet der freigelassenen Leute sich dem Gewerbe oder dem Handel
+widmen musste, sondern es war auch die Freilassung selbst bei den
+Roemern, wie gesagt, weniger eine Liberalitaet als eine industrielle
+Spekulation, indem der Herr bei dem Anteil an dem Gewerb- oder
+Handelsgewinn des Freigelassenen oft besser seine Rechnung fand als bei
+dem Anrecht auf den ganzen Reinertrag des Sklavengeschaefts. Die
+Zunahme der Freilassungen muss deshalb mit der Steigerung der
+kommerziellen und industriellen Taetigkeit der Roemer notwendig Hand in
+Hand gegangen sein.
+
+Einen aehnlichen Fingerzeig fuer die steigende Bedeutung des
+staedtischen Wesens in Rom gewaehrt die gewaltige Entwicklung der
+staedtischen Polizei. Es gehoert zum grossen Teil wohl schon dieser
+Zeit an, dass die vier Aedilen unter sich die Stadt in vier
+Polizeibezirke teilten und dass fuer die ebenso wichtige wie schwierige
+Instandhaltung des ganz Rom durchziehenden Netzes von kleineren und
+groesseren Abzugskanaelen sowie der oeffentlichen Gebaeude und Plaetze,
+fuer die gehoerige Reinigung und Pflasterung der Strassen, fuer die
+Beseitigung den Einsturz drohender Gebaeude, gefaehrlicher Tiere,
+uebler Gerueche, fuer die Fernhaltung der Wagen ausser in den Abend-
+und Nachtstunden und ueberhaupt fuer die Offenhaltung der
+Kommunikation, fuer die ununterbrochene Versorgung des
+hauptstaedtischen Marktes mit gutem und billigem Getreide, fuer die
+Vernichtung gesundheitsschaedlicher Waren und falscher Masse und
+Gewichte, fuer die besondere Ueberwachung von Baedern, Schenken,
+schlechten Haeusern von den Aedilen Fuersorge getroffen ward.
+
+Im Bauwesen mag wohl die Koenigszeit, namentlich die Epoche der grossen
+Eroberungen, mehr geleistet haben als die ersten zwei Jahrhunderte der
+Republik. Anlagen wie die Tempel auf dem Kapitol und dem Aventin und
+der grosse Spielplatz moegen den sparsamen Vaetern der Stadt ebenso wie
+den fronenden Buergern ein Greuel gewesen sein, und es ist
+bemerkenswert, dass das vielleicht bedeutendste Bauwerk der
+republikanischen Zeit vor den Samnitischen Kriegen, der Cerestempel am
+Circus, ein Werk des Spurius Cassius (261 493) war, welcher in mehr als
+einer Hinsicht wieder in die Traditionen der Koenige zurueckzulenken
+suchte. Auch den Privatluxus hielt die regierende Aristokratie mit
+einer Strenge nieder, wie sie die Koenigsherrschaft bei laengerer Dauer
+sicher nicht entwickelt haben wuerde. Aber auf die Laenge vermochte
+selbst der Senat sich nicht laenger gegen das Schwergewicht der
+Verhaeltnisse zu stemmen. Appius Claudius war es, der in seiner
+epochemachenden Zensur (442 312) das veraltete Bauernsystem des
+Sparschatzsammelns beiseite warf und seine Mitbuerger die oeffentlichen
+Mittel in wuerdiger Weise gebrauchen lehrte. Er begann das grossartige
+System gemeinnuetziger oeffentlicher Bauten, das, wenn irgendetwas,
+Roms militaerische Erfolge auch von dem Gesichtspunkt der
+Voelkerwohlfahrt aus gerechtfertigt hat und noch heute in seinen
+Truemmern Tausenden und Tausenden, welche von roemischer Geschichte nie
+ein Blatt gelesen haben, eine Ahnung gibt von der Groesse Roms. Ihm
+verdankt der roemische Staat die erste grosse Militaerchaussee, die
+roemische Stadt die erste Wasserleitung. Claudius’ Spuren folgend,
+schlang der roemische Senat um Italien jenes Strassen- und
+Festungsnetz, dessen Gruendung frueher beschrieben ward und ohne das,
+wie von den Achaemeniden bis hinab auf den Schoepfer der Simplonstrasse
+die Geschichte aller Militaerstaaten lehrt, keine militaerische
+Hegemonie bestehen kann. Claudius’ Spuren folgend, baute Manius Curius
+aus dem Erloes der Pyrrhischen Beute eine zweite hauptstaedtische
+Wasserleitung (482 272) und oeffnete schon einige Jahre vorher (464
+290) mit dem sabinischen Kriegsgewinn dem Velino, da wo er oberhalb
+Terni in die Nera sich stuerzt, das heute noch von ihm durchflossene
+breitere Bett, um in dem dadurch trockengelegten schoenen Tal von Rieti
+fuer eine grosse Buergeransiedlung Raum und auch fuer sich eine
+bescheidene Hufe zu gewinnen. Solche Werke verdunkelten selbst in den
+Augen verstaendiger Leute die zwecklose Herrlichkeit der hellenischen
+Tempel. Auch das buergerliche Leben wurde jetzt ein anderes. Um die
+Zeit des Pyrrhos begann auf den roemischen Tafeln das Silbergeschirr
+sich zu zeigen ^8 und das Verschwinden der Schindeldaecher in Rom
+datieren die Chronisten von dem Jahre 470 (284). Die neue Hauptstadt
+Italiens legte endlich ihr dorfartiges Ansehen allmaehlich ab und fing
+nun auch an, sich zu schmuecken. Zwar war es noch nicht Sitte, in den
+eroberten Staedten zu Roms Verherrlichung die Tempel ihrer Zierden zu
+berauben; aber dafuer prangten an der Rednerbuehne des Marktes die
+Schnaebel der Galeeren von Antium und an oeffentlichen Festtagen laengs
+der Hallen am Markte die von den Schlachtfeldern Samniums
+heimgebrachten goldbeschlagenen Schilde. Besonders der Ertrag der
+Bruechgelder diente zur Pflasterung der Strassen in und vor der Stadt
+oder zur Errichtung und Ausschmueckung oeffentlicher Gebaeude. Die
+hoelzernen Buden der Fleischer, welche an den beiden Langseiten des
+Marktes sich hinzogen, wichen zuerst an der palatinischen, dann auch an
+der den Carinen zugewandten Seite den steinernen Hallen der
+Geldwechsler; dadurch ward dieser Platz zur roemischen Boerse. Die
+Bildsaeulen der gefeierten Maenner der Vergangenheit, der Koenige,
+Priester und Helden der Sagenzeit, des griechischen Gastfreundes, der
+den Zehnmaennern die Solonischen Gesetze verdolmetscht haben sollte,
+die Ehrensaeulen und Denkmaeler der grossen Buergermeister, welche die
+Veienter, die Latiner, die Samniten ueberwunden hatten, der
+Staatsboten, die in Vollziehung ihres Auftrages umgekommen waren, der
+reichen Frauen, die ueber ihr Vermoegen zu oeffentlichen Zwecken
+verfuegt hatten, ja sogar schon gefeierter griechischer Weisen und
+Helden, wie des Pythagoras und des Alkibiades, wurden auf der Burg oder
+auf dem roemischen Markte aufgestellt. Also ward, nachdem die roemische
+Gemeinde eine Grossmacht geworden war, Rom selber eine Grossstadt.
+
+———————————————————-
+
+^8 Der wegen seines silbernen Tafelgeraets gegen Publius Cornelius
+Rufinus (Konsul 464, 477 290, 277) verhaengten zensorischen Makel wurde
+schon gedacht. Fabius’ befremdliche Angabe (bei Strabon 5, p. 228),
+dass die Roemer zuerst nach der Besiegung der Sabiner sich dem Luxus
+ergeben haetten (αισθέσθαι τού πλόντου), ist offenbar nur eine
+άbersetzung derselben Anekdote ins Historische; denn die Besiegung der
+Sabiner faellt in Rufinus’ erstes Konsulat.
+
+——————————————————-
+
+Endlich trat denn auch Rom als Haupt der roemisch-italischen
+Eidgenossenschaft wie in das hellenistische Staatensystem, so auch in
+das hellenische Geld- und Muenzwesen ein. Bis dahin hatten die
+Gemeinden Nord- und Mittelitaliens mit wenigen Ausnahmen einzig
+Kupfercourant, die sueditalischen Staedte dagegen durchgaengig
+Silbergeld geschlagen und es der Muenzfuesse und Muenzsysteme
+gesetzlich so viele gegeben, als es souveraene Gemeinden in Italien
+gab. Im Jahre 485 (269) wurden alle diese Muenzstaetten auf die
+Praegung von Scheidemuenze beschraenkt, ein allgemeiner, fuer ganz
+Italien geltender Courantfuss eingefuehrt und die Courantpraegung in
+Rom zentralisiert, nur dass Capua seine eigene, zwar unter roemischem
+Namen, aber auf abweichenden Fuss gepraegte Silbermuenze auch ferner
+behielt. Das neue Muenzsystem beruhte auf dem gesetzlichen
+Verhaeltnisse der beiden Metalle, wie dasselbe seit langem feststand;
+die gemeinsame Muenzeinheit war das Stueck von zehn, nicht mehr
+pfuendigen, sondern auf das Drittelpfund reduzierten Assen, der
+Denarius, in Kupfer 3 1/3, in Silber 1/72 eines roemischen Pfundes,
+eine Kleinigkeit mehr als die attische Drachme. Zunaechst herrschte in
+der Praegung noch die Kupfermuenze vor und wahrscheinlich ist der
+aelteste Silberdenar hauptsaechlich fuer Unteritalien und fuer den
+Verkehr mit dem Ausland geschlagen worden. Wie aber der Sieg der Roemer
+ueber Pyrrhos und Tarent und die roemische Gesandtschaft nach
+Alexandreia dem griechischen Staatsmanne dieser Zeit zu denken geben
+mussten, so mochte auch der einsichtige griechische Kaufmann wohl
+nachdenklich diese neuen roemischen Drachmen betrachten, deren flaches,
+unkuenstlerisches und einfoermiges Gepraege neben dem gleichzeitigen
+wunderschoenen der Muenzen des Pyrrhos und der Sikelioten freilich
+duerftig und unansehnlich erscheint, die aber dennoch keineswegs, wie
+die Barbarenmuenzen des Altertums, sklavisch nachgeahmt und in Schrot
+und Korn ungleich sind, sondern mit ihrer selbstaendigen und
+gewissenhaften Praegung von Haus aus jeder griechischen ebenbuertig
+sich an die Seite stellen.
+
+Wenn also von der Entwicklung der Verfassungen, von den Voelkerkaempfen
+um Herrschaft und Freiheit, wie sie Italien und insbesondere Rom von
+der Verbannung des Tarquinischen Geschlechts bis zur Ueberwaeltigung
+der Samniten und der italischen Griechen bewegten, der Blick sich
+wendet zu den stilleren Kreisen des menschlichen Daseins, die die
+Geschichte doch auch beherrscht und durchdringt, so begegnet ihm
+ebenfalls ueberall die Nachwirkung der grossartigen Ereignisse, durch
+welche die roemische Buergerschaft die Fesseln des
+Geschlechterregiments sprengte und die reiche Fuelle der nationalen
+Bildungen Italiens allmaehlich unterging, um ein einziges Volk zu
+bereichern. Durfte auch der Geschichtschreiber es nicht versuchen, den
+grossen Gang der Ereignisse in die grenzenlose Mannigfaltigkeit der
+individuellen Gestaltung hinein zu verfolgen, so ueberschritt er doch
+seine Aufgabe nicht, wenn er, aus der zertruemmerten Ueberlieferung
+einzelne Bruchstuecke ergreifend, hindeutete auf die wichtigsten
+Aenderungen, die in dieser Epoche im italischen Volksleben
+stattgefunden haben. Wenn dabei noch mehr als frueher das roemische in
+den Vordergrund trat, so ist dies nicht bloss in den zufaelligen
+Luecken unserer Ueberlieferung begruendet; vielmehr ist es eine
+wesentliche Folge der veraenderten politischen Stellung Roms, dass die
+latinische Nationalitaet die uebrigen italischen immer mehr verdunkelt.
+Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass in dieser Epoche die
+Nachbarlaender, das suedliche Etrurien, die Sabina, das Volskerland
+sich zu romanisieren anfingen, wovon der fast gaenzliche Mangel von
+Sprachdenkmaelern der alten Landesdialekte und das Vorkommen sehr alter
+roemischer Inschriften in diesen Gegenden Zeugnis ablegt; die Aufnahme
+der Sabiner in das volle Buergerrecht am Ende dieser Periode spricht
+dafuer, dass die Latinisierung Mittelitaliens schon damals das bewusste
+Ziel der roemischen Politik war. Die zahlreich durch ganz Italien
+zerstreuten Einzelassignationen und Kolonialgruendungen sind nicht
+bloss militaerisch, sondern auch sprachlich und national die
+vorgeschobenen Posten des latinischen Stammes. Die Latinisierung der
+Italiker ueberhaupt ward schwerlich schon damals beabsichtigt; im
+Gegenteil scheint der roemische Senat den Gegensatz der latinischen
+gegen die uebrigen Nationalitaeten absichtlich aufrecht erhalten zu
+haben und gestattete zum Beispiel die Einfuehrung des Lateinischen in
+den offiziellen Sprachgebrauch den kampanischen Halbbuergergemeinden
+noch nicht. Indes die Natur der Verhaeltnisse ist staerker als selbst
+die staerkste Regierung; mit dem latinischen Volke gewannen auch dessen
+Sprache und Sitte in Italien zunaechst das Prinzipat und fingen bereits
+an, die uebrigen italischen Nationalitaeten zu untergraben.
+
+Gleichzeitig wurden dieselben von einer anderen Seite und mit einem
+anders begruendeten Uebergewicht angegriffen durch den Hellenismus. Es
+war dies die Epoche, wo das Griechentum seiner geistigen Ueberlegenheit
+ueber die uebrigen Nationen anfing, sich bewusst zu werden und nach
+allen Seiten hin Propaganda zu machen. Auch Italien blieb davon nicht
+unberuehrt. Die merkwuerdigste Erscheinung in dieser Art bietet
+Apulien, das seit dem fuenften Jahrhundert Roms allmaehlich seine
+barbarische Mundart ablegte und sich im stillen hellenisierte. Es
+erfolgte dies aehnlich wie in Makedonien und Epeiros nicht durch
+Kolonisierung, sondern durch Zivilisierung, die mit dem tarentinischen
+Landhandel Hand in Hand gegangen zu sein scheint - wenigstens spricht
+es fuer die letztere Annahme, dass die den Tarentinern befreundeten
+Landschaften der Poediculer und Daunier die Hellenisierung
+vollstaendiger durchfuehrten als die Tarent naeher wohnenden, aber
+bestaendig mit ihm hadernden Sallentiner, und dass die am fruehesten
+graezisierten Staedte, zum Beispiel Arpi, nicht an der Kueste gelegen
+waren. Dass auf Apulien das griechische Wesen staerkeren Einfluss uebte
+als auf irgendeine andere italische Landschaft, erklaert sich teils aus
+seiner Lage, teils aus der geringen Entwicklung einer eigenen
+nationalen Bildung, teils wohl auch aus seiner dem griechischen Stamm
+minder fremd als die uebrigen italischen gegenueberstehenden
+Nationalitaet. Indes ist schon frueher darauf aufmerksam gemacht
+worden, dass auch die suedlichen sabellischen Staemme, obwohl zunaechst
+sie im Verein mit syrakusanischen Tyrannen das hellenische Wesen in
+Grossgriechenland knickten und verdarben, doch zugleich durch die
+Beruehrung und Mischung mit den Griechen teils griechische Sprache
+neben der einheimischen annahmen, wie die Brettier und Nolaner, teils
+wenigstens griechische Schrift und griechische Sitte, wie die Lucaner
+und ein Teil der Kampaner. Etrurien zeigt gleichfalls die Ansaetze
+einer verwandten Entwicklung in den bemerkenswerten dieser Epoche
+angehoerenden Vasenfunden, in denen es mit Kampanien und Lucanien
+rivalisiert; und wenn Latium und Samnium dem Hellenismus
+fernergeblieben sind, so fehlt es doch auch hier nicht an Spuren des
+beginnenden und immer steigenden Einflusses griechischer Bildung. In
+allen Zweigen der roemischen Entwicklung dieser Epoche, in Gesetzgebung
+und Muenzwesen, in der Religion, in der Bildung der Stammsage stossen
+wir auf griechische Spuren, und namentlich seit dem Anfang des fuenften
+Jahrhunderts, das heisst seit der Eroberung Kampaniens, erscheint der
+griechische Einfluss auf das roemische Wesen in raschem und stets
+zunehmendem Wachstum. In das vierte Jahrhundert faellt die Einrichtung
+der auch sprachlich merkwuerdigen “graecostasis”, einer Tribuene auf
+dem roemischen Markt fuer die vornehmen griechischen Fremden, zunaechst
+die Massalioten. Im folgenden fangen die Jahrbuecher an, vornehme
+Roemer mit griechischen Beinamen, wie Philippos oder roemisch Pilipus,
+Philon, Sophos, Hypsaeos aufzuweisen. Griechische Sitten dringen ein;
+so der nichtitalische Gebrauch, Inschriften zur Ehre des Toten auf dem
+Grabmal anzubringen, wovon die Grabschrift des Lucius Scipio, Konsul
+456 (298), das aelteste uns bekannte Beispiel ist; so die gleichfalls
+den Italikern fremde Weise, ohne Gemeindebeschluss an oeffentlichen
+Orten den Vorfahren Ehrendenkmaeler zu errichten, womit der grosse
+Neuerer Appius Claudius den Anfang machte, als er in dem neuen Tempel
+der Bellona Erzschilde mit den Bildern und den Elogien seiner Vorfahren
+aufhaengen liess (442 312); so die im Jahre 461 (293) bei dem
+roemischen Volksfest eingefuehrte Erteilung von Palmzweigen an die
+Wettkaempfer; so vor allem die griechische Tischsitte. Die Weise, bei
+Tische nicht wie ehemals auf Baenken zu sitzen, sondern auf Sofas zu
+liegen; die Verschiebung der Hauptmahlzeit von der Mittag- auf die
+Stunde zwischen zwei und drei Uhr nachmittags nach unserer Rechnung;
+die Trinkmeister bei den Schmaeusen, welche meistens durch Wuerfelung
+aus den Gaesten fuer den Schmaus bestellt werden und nun den
+Tischgenossen vorschreiben, was, wie und wann getrunken werden soll;
+die nach der Reihe von den Gaesten gesungenen Tischlieder, die freilich
+in Rom nicht Skolien, sondern Ahnengesaenge waren - alles dies ist in
+Rom nicht urspruenglich und doch schon in sehr alter Zeit den Griechen
+entlehnt; denn zu Catos Zeit waren diese Gebraeuche bereits gemein, ja
+zum Teil schon wieder abgekommen. Man wird daher ihre Einfuehrung
+spaetestens in diese Zeit zu setzen haben. Charakteristisch ist auch
+die Errichtung der Bildsaeulen des “weisesten und des tapfersten
+Griechen” auf dem roemischen Markt, die waehrend der Samnitischen
+Kriege auf Geheiss des pythischen Apollon stattfand; man waehlte,
+offenbar unter sizilischem oder kampanischem Einfluss, den Pythagoras
+und den Alkibiades, den Heiland und den Hannibal der Westhellenen. Wie
+verbreitet die Kenntnis des Griechischen schon im fuenften Jahrhundert
+unter den vornehmen Roemern war, beweisen die Gesandtschaften der
+Roemer nach Tarent, wo der Redner der Roemer, wenn auch nicht im
+reinsten Griechisch, doch ohne Dolmetsch sprach, und des Kineas nach
+Rom. Es leidet kaum einen Zweifel, dass seit dem fuenften Jahrhundert
+die jungen Roemer, die sich den Staatsgeschaeften widmeten,
+durchgaengig die Kunde der damaligen Welt- und Diplomatensprache sich
+erwarben.
+
+So schritt auf dem geistigen Gebiet der Hellenismus ebenso unaufhaltsam
+vorwaerts, wie der Roemer arbeitete, die Erde sich untertaenig zu
+machen; und die sekundaeren Nationalitaeten, wie die samnitische,
+keltische, etruskische, verloren, von zwei Seiten her bedraengt, immer
+mehr an Ausdehnung wie an innerer Kraft.
+
+Wie aber die beiden grossen Nationen, beide angelangt auf dem
+Hoehepunkt ihrer Entwicklung, in feindlicher wie in freundlicher
+Beruehrung anfangen sich zu durchdringen, tritt zugleich ihre
+Gegensaetzlichkeit, der gaenzliche Mangel alles Individualismus in dem
+italischen und vor allem in dem roemischen Wesen gegenueber der
+unendlichen stammlichen, oertlichen und menschlichen Mannigfaltigkeit
+des Hellenismus in voller Schaerfe hervor. Es gibt keine gewaltigere
+Epoche in der Geschichte Roms als die Epoche von der Einsetzung der
+roemischen Republik bis auf die Unterwerfung Italiens; in ihr wurde das
+Gemeinwesen nach innen wie nach aussen begruendet, in ihr das einige
+Italien erschaffen, in ihr das traditionelle Fundament des Landrechts
+und der Landesgeschichte erzeugt, in ihr das Pilum und der Manipel, der
+Strassen- und Wasserbau, die Guts- und Geldwirtschaft begruendet, in
+ihr die Kapitolinische Woelfin gegossen und das ficoronische Kaestchen
+gezeichnet. Aber die Individualitaeten, welche zu diesem Riesenbau die
+einzelnen Steine herbeigetragen und sie zusammengefuegt haben, sind
+spurlos verschollen und die italischen Voelkerschaften nicht voelliger
+in der roemischen aufgegangen als der einzelne roemische Buerger in der
+roemischen Gemeinde. Wie das Grab in gleicher Weise ueber dem
+bedeutenden wie ueber dem geringen Menschen sich schliesst, so steht
+auch in der roemischen Buergermeisterliste der nichtige Junker
+ununterscheidbar neben dem grossen Staatsmann. Von den wenigen
+Aufzeichnungen, welche aus dieser Zeit bis auf uns gekommen sind, ist
+keine ehrwuerdiger und keine zugleich charakteristischer als die
+Grabschrift des Lucius Cornelius Scipio, der im Jahre 456 (298) Konsul
+war und drei Jahre nachher in der Entscheidungsschlacht bei Sentinum
+mitfocht. Auf dem schoenen Sarkophag in edlem dorischen Stil, der noch
+vor achtzig Jahren den Staub des Besiegers der Samniten einschloss, ist
+der folgende Spruch eingeschrieben:
+
+Corneliús Lucíus - Scípió Barbátus,
+
+Gnaivód patré prognátus, - fórtis vír sapiénsque,
+
+Quoiús fórma vírtu - teí parísuma fúit,
+
+Consól censór aidílis - queí fuít apúd vos,
+
+Taurásiá Cisaúna - Sámnió cépit,
+
+Subigít omné Loucánam - ópsidésque abdoúcit.
+
+Cornelius Lucius - Scipio Barbatus,
+
+Des Vaters Gnaevos Sohn, ein - Mann so klug wie tapfer,
+
+Des Wohlgestalt war seiner - Tugend angemessen,
+
+Der Konsul, Zensor war bei - euch wie auch Aedilis,
+
+Taurasia, Cisauna - nahm er ein in Samnium,
+
+Bezwingt Lucanien ganz und - fuehret weg die Geiseln.
+
+So wie diesem roemischen Staatsmann und Krieger mochte man unzaehligen
+anderen, die an der Spitze des roemischen Gemeinwesens gestanden haben,
+es nachruehmen, dass sie adlige und schoene, tapfere und kluge Maenner
+gewesen; aber weiter war auch nichts von ihnen zu melden. Es ist wohl
+nicht bloss Schuld der Ueberlieferung, dass keiner dieser Cornelier,
+Fabier, Papirier und wie sie weiter heissen, uns in einem menschlich
+bestimmten Bild entgegentritt. Der Senator soll nicht schlechter und
+nicht besser, ueberhaupt nicht anders sein als die Senatoren alle; es
+ist nicht noetig und nicht wuenschenswert, dass ein Buerger die
+uebrigen uebertreffe, weder durch prunkendes Silbergeraet und
+hellenische Bildung noch durch ungemeine Weisheit und Trefflichkeit.
+Jene Ausschreitungen straft der Zensor und fuer diese ist kein Raum in
+der Verfassung. Das Rom dieser Zeit gehoert keinem einzelnen an; die
+Buerger muessen sich alle gleichen, damit jeder einem Koenig gleich
+sei.
+
+Allerdings macht schon jetzt daneben die hellenische
+Individualentwicklung sich geltend; und die Genialitaet und
+Gewaltsamkeit derselben traegt eben wie die entgegengesetzte Richtung
+den vollen Stempel dieser grossen Zeit. Es ist nur ein einziger Mann
+hier zu nennen; aber in ihm ist auch der Fortschrittsgedanke gleichsam
+inkarniert. Appius Claudius (Zensor 442 312; Konsul 447, 458 307, 296),
+der Ururenkel des Dezemvirs, war ein Mann von altem Adel und stolz auf
+die lange Reihe seiner Ahnen; aber dennoch ist er es gewesen, der die
+Beschraenkung des vollen Gemeindebuergerrechts auf die ansaessigen
+Leute gesprengt, der das alte Finanzsystem gebrochen hat. Von Appius
+Claudius datieren nicht bloss die roemischen Wasserleitungen und
+Chausseen, sondern auch die roemische Jurisprudenz, Eloquenz, Poesie
+und Grammatik - die Veroeffentlichung eines Klagspiegels,
+aufgezeichnete Reden und pythagoreische Sprueche, selbst Neuerungen in
+der Orthographie werden ihm beigelegt. Man darf ihn darum noch nicht
+unbedingt einen Demokraten nennen, noch ihn jener Oppositionspartei
+beizaehlen, die in Manius Curius ihren Vertreter fand; in ihm war
+vielmehr der Geist der alten und neuen patrizischen Koenige maechtig,
+der Geist der Tarquinier und der Caesaren, zwischen denen er in dem
+fuenfhundertjaehrigen Interregnum ausserordentlicher Taten und
+gewoehnlicher Maenner die Verbindung macht. Solange Appius Claudius an
+dem oeffentlichen Leben taetigen Anteil nahm, trat er in seiner
+Amtsfuehrung wie in seinem Lebenswandel, keck und ungezogen wie ein
+Athener, nach rechts wie nach links hin Gesetzen und Gebraeuchen
+entgegen; bis dann, nachdem er laengst von der politischen Buehne
+abgetreten war, der blinde Greis wie aus dem Grabe wiederkehrend, in
+der entscheidenden Stunde den Koenig Pyrrhos im Senate ueberwand und
+Roms vollendete Herrschaft ueber Italien zuerst foermlich und feierlich
+aussprach. Aber der geniale Mann kam zu frueh oder zu spaet; die
+Goetter blendeten ihn wegen seiner unzeitigen Weisheit. Nicht das Genie
+des einzelnen herrschte in Rom und durch Rom in Italien, sondern der
+eine unbewegliche, von Geschlecht zu Geschlecht im Senat fortgepflanzte
+politische Gedanke, in dessen leitende Maximen schon die senatorischen
+Knaben sich hineinlebten, indem sie in Begleitung ihrer Vaeter mit zum
+Rate gingen und an der Tuer des Saales der Weisheit derjenigen Maenner
+lauschten, auf deren Stuehlen sie dereinst bestimmt waren zu sitzen. So
+wurden ungeheure Erfolge um ungeheuren Preis erreicht; denn auch der
+Nike folgt ihre Nemesis. Im roemischen Gemeinwesen kommt es auf keinen
+Menschen besonders an, weder auf den Soldaten noch auf den Feldherrn,
+und unter der starren sittlich-polizeilichen Zucht wird jede
+Eigenartigkeit des menschlichen Wesens erstickt. Rom ist gross geworden
+wie kein anderer Staat des Altertums; aber es hat seine Groesse teuer
+bezahlt mit der Aufopferung der anmutigen Mannigfaltigkeit, der
+bequemen Laesslichkeit, der innerlichen Freiheit des hellenischen
+Lebens.
+
+
+
+
+KAPITEL IX.
+Kunst und Wissenschaft
+
+
+Die Entwicklung der Kunst und namentlich der Dichtkunst steht im
+Altertum im engsten Zusammenhang mit der Entwicklung der Volksfeste.
+Das schon in der vorigen Epoche wesentlich unter griechischem Einfluss,
+zunaechst als ausserordentliche Feier, geordnete Dankfest der
+roemischen Gemeinde, die “grossen” oder “roemischen Spiele”, nahm
+waehrend der gegenwaertigen an Dauer wie an Mannigfaltigkeit der
+Belustigungen zu. Urspruenglich beschraenkt auf die Dauer eines Tages
+wurde das Fest nach der gluecklichen Beendigung der drei grossen
+Revolutionen von 245, 260 und 387 (509, 494 und 367) jedesmal um einen
+Tag verlaengert und hatte am Ende dieser Periode also bereits eine
+viertaegige Dauer ^1. Wichtiger noch war es, dass das Fest
+wahrscheinlich mit Einsetzung der von Haus aus mit der Ausrichtung und
+Ueberwachung desselben betrauten kurulischen Aedilitaet (387 367)
+seinen ausserordentlichen Charakter und damit seine Beziehung auf ein
+bestimmtes Feldherrngeluebde verlor und in die Reihe der ordentlichen,
+jaehrlich wiederkehrenden als erstes unter allen eintrat. Indes blieb
+die Regierung beharrlich dabei, das eigentliche Schaufest, namentlich
+das Hauptstueck, das Wagenrennen, nicht mehr als einmal am Schluss des
+Festes stattfinden zu lassen; an den uebrigen Tagen war es wohl
+zunaechst der Menge ueberlassen, sich selber ein Fest zu geben, obwohl
+Musikanten, Taenzer, Seilgaenger, Taschenspieler, Possenreisser und
+dergleichen Leute mehr nicht verfehlt haben werden, gedungen oder nicht
+gedungen, dabei sich einzufinden. Aber um das Jahr 390 (364) trat eine
+wichtige Veraenderung ein, welche mit der vielleicht gleichzeitig
+erfolgten Fixierung und Verlaengerung des Festes in Zusammenhang stehen
+wird: man schlug von Staats wegen waehrend der ersten drei Tage im
+Rennplatz ein Brettergeruest auf und sorgte fuer angemessene
+Vorstellungen auf demselben zur Unterhaltung der Menge. Um indes nicht
+auf diesem Wege zu weit gefuehrt zu werden, wurde fuer die Kosten des
+Festes eine feste Summe von 200000 Assen (14500 Taler) ein fuer allemal
+aus der Staatskasse ausgeworfen und diese ist auch bis auf die
+Punischen Kriege nicht gesteigert worden; den etwaigen Mehrbetrag
+mussten die Aedilen, welche diese Summe zu verwenden hatten, aus ihrer
+Tasche decken und es ist nicht wahrscheinlich, dass sie in dieser Zeit
+oft und betraechtlich vom Eigenen zugeschossen haben. Dass die neue
+Buehne im allgemeinen unter griechischem Einfluss stand, beweist schon
+ihr Name (scaena σκηνή). Sie war zwar zunaechst lediglich fuer
+Spielleute und Possenreisser jeder Art bestimmt, unter denen die
+Taenzer zur Floete, namentlich die damals gefeierten etruskischen, wohl
+noch die vornehmsten sein mochten; indes war nun doch eine oeffentliche
+Buehne in Rom entstanden und bald oeffnete dieselbe sich auch den
+roemischen Dichtern.
+
+———————————————————————————-
+
+^1 Was Dionys (6, 95; vgl. B. G. Niebuhr, Roemische Geschichte. Bd. 2,
+S. 40) und, schoepfend aus einer anderen Dionysischen Stelle, Plutarch
+(Cam. 42) von dem latinischen Fest berichtet, ist, wie ausser anderen
+Gruenden schlagend die Vergleichung der letzteren Stelle mit Liv. 6, 42
+(F. W. Ritschl, Parerga zu Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1,
+S. 313) zeigt, vielmehr von den roemischen Spielen zu verstehen; Dionys
+hat, und zwar nach seiner Gewohnheit im Verkehrten beharrlich, den
+Ausdruck ludi maximi missverstanden.
+
+Uebrigens gab es auch eine Ueberlieferung, wonach der Ursprung des
+Volksfestes, statt wie gewoehnlich auf die Besiegung der Latiner durch
+den ersten Tarquinius, vielmehr auf die Besiegung der Latiner am
+Regiller See zurueckgefuehrt ward (Cic. div. 1, 26, 55; Dion. Hal. 7,
+71). Dass die wichtigen, an der letzten Stelle aus Fabius aufbehaltenen
+Angaben in der Tat auf das gewoehnliche Dankfest und nicht auf eine
+besondere Votivfeierlichkeit gehen, zeigt die ausdrueckliche Hinweisung
+auf die jaehrliche Wiederkehr der Feier und die genau mit der Angabe
+bei dem falschen Asconius (Ps. Ascon. p. 142 Or.) stimmende
+Kostensumme.
+
+—————————————————————————-
+
+Denn an Dichtern fehlte es in Latium nicht. Latinische “Vaganten” oder
+“Baenkelsaenger” (grassatores, spatiatores) zogen von Stadt zu Stadt
+und von Haus zu Haus und trugen ihre Lieder (saturae) mit
+gestikulierendem Tanz zur Floetenbegleitung vor. Das Mass war
+natuerlich das einzige, das es damals gab, das sogenannte saturnische.
+Eine bestimmte Handlung lag den Liedern nicht zugrunde, und ebensowenig
+scheinen sie dialogisiert gewesen zu sein; man wird sich dieselben nach
+dem Muster jener eintoenigen, bald improvisierten, bald rezitierten
+Ballaten und Tarantellen vorstellen duerfen, wie man sie heute noch in
+den roemischen Osterien zu hoeren bekommt. Dergleichen Lieder kamen
+denn auch frueh auf die oeffentliche Buehne und sind allerdings der
+erste Keim des roemischen Theaters geworden. Aber diese Anfaenge der
+Schaubuehne sind in Rom nicht bloss, wie ueberall, bescheiden, sondern
+in bemerkenswerter Weise gleich von vornherein bescholten. Schon die
+Zwoelf Tafeln treten dem ueblen und nichtigen Singsang entgegen, indem
+sie nicht bloss auf Zauber-, sondern selbst auf Spottlieder, die man
+auf einen Mitbuerger verfertigt oder ihm vor der Tuere absingt, schwere
+Kriminalstrafen setzen und die Zuziehung von Klagefrauen bei der
+Bestattung verbieten. Aber weit strenger als durch die gesetzlichen
+Restriktionen ward die beginnende Kunstuebung durch den sittlichen Bann
+getroffen, welchen der philisterhafte Ernst des roemischen Wesens gegen
+diese leichtsinnigen und bezahlten Gewerbe schleuderte. “Das
+Dichterhandwerk”, sagt Cato, “war sonst nicht angesehen; wenn jemand
+damit sich abgab oder bei den Gelagen sich anhaengte, so hiess er ein
+Bummler.” Wer nun aber gar Tanz, Musik und Baenkelgesang fuer Geld
+betrieb, ward bei der immer mehr sich festsetzenden Bescholtenheit
+eines jeden durch Dienstverrichtungen gegen Entgelt gewonnenen
+Lebensunterhalts von einem zwiefachen Makel getroffen. Wenn daher das
+Mitwirken bei den landueblichen maskierten Charakterpossen als ein
+unschuldiger jugendlicher Mutwille betrachtet ward, so galt das
+Auftreten auf der oeffentlichen Buehne fuer Geld und ohne Masken
+geradezu fuer schaendlich, und der Saenger und Dichter stand dabei mit
+dem Seiltaenzer und dem Hanswurst voellig in gleicher Reihe.
+Dergleichen Leute wurden durch die Sittenmeister regelmaessig fuer
+unfaehig erklaert, in dem Buergerheer zu dienen und in der
+Buergerversammlung zu stimmen. Es wurde ferner nicht bloss, was allein
+schon bezeichnend genug ist, die Buehnendirektion betrachtet als zur
+Kompetenz der Stadtpolizei gehoerig, sondern es ward auch der Polizei
+wahrscheinlich schon in dieser Zeit gegen die gewerbmaessigen
+Buehnenkuenstler eine ausserordentliche arbitraere Gewalt eingeraeumt.
+Nicht allein hielten die Polizeiherren nach vollendeter Auffuehrung
+ueber sie Gericht, wobei der Wein fuer die geschickten Leute ebenso
+reichlich floss, wie fuer den Stuemper die Pruegel fielen, sondern es
+waren auch saemtliche staedtische Beamte gesetzlich befugt, ueber jeden
+Schauspieler zu jeder Zeit und an jedem Orte koerperliche Zuechtigung
+und Einsperrung zu verhaengen. Die notwendige Folge davon war, dass
+Tanz, Musik und Poesie, wenigstens soweit sie auf der oeffentlichen
+Buehne sich zeigten, den niedrigsten Klassen der roemischen
+Buergerschaft und vor allem den Fremden in die Haende fielen; und wenn
+in dieser Zeit die Poesie dabei noch ueberhaupt eine zu geringe Rolle
+spielte, als dass fremde Kuenstler mit ihr sich beschaeftigt haetten,
+so darf dagegen die Angabe, dass in Rom die gesamte sakrale und profane
+Musik wesentlich etruskisch, also die alte, einst offenbar
+hochgehaltene latinische Floetenkunst durch die fremdlaendische
+unterdrueckt war, schon fuer diese Zeit gueltig erachtet werden.
+
+Von einer poetischen Literatur ist keine Rede. Weder die Maskenspiele
+noch die Buehnenrezitationen koennen eigentlich feste Texte gehabt
+haben, sondern wurden je nach Beduerfnis regelmaessig von den
+Vortragenden selbst verfertigt. Von schriftstellerischen Arbeiten aus
+dieser Zeit wusste man spaeterhin nichts aufzuzeigen als eine Art
+roemischer ‘Werke und Tage’, eine Unterweisung des Bauern an seinen
+Sohn ^2, und die schon erwaehnten pythagoreischen Gedichte des Appius
+Claudius, den ersten Anfang hellenisierender roemischer Poesie. Uebrig
+geblieben ist von den Dichtungen dieser Epoche nichts als eine und die
+andere Grabschrift im saturnischen Masse.
+
+Wie die Anfaenge der roemischen Schaubuehne so gehoeren auch die
+Anfaenge der roemischen Geschichtschreibung in diese Epoche, sowohl der
+gleichzeitigen Aufzeichnung der merkwuerdigen Ereignisse wie der
+konventionellen Feststellung der Vorgeschichte der roemischen Gemeinde.
+
+Die gleichzeitige Geschichtschreibung knuepft an das Beamtenverzeichnis
+an. Das am weitesten zurueckreichende, das den spaeteren roemischen
+Forschern vorgelegen hat und mittelbar auch uns noch vorliegt, scheint
+aus dem Archiv des kapitolinischen Jupitertempels herzuruehren, da es
+von dem Konsul Marcus Horatius an, der denselben am 13. September
+seines Amtsjahres einweihte, die Namen der jaehrigen Gemeindevorsteher
+auffuehrt, auch auf das unter den Konsuln Publius Servilius und Lucius
+Aebutius (nach der jetzt gangbaren Zaehlung 291 der Stadt 463) bei
+Gelegenheit einer schweren Seuche erfolgte Geloebnis: von da an jedes
+hundertste Jahr in die Wand des kapitolinischen Tempels einen Nagel zu
+schlagen, Ruecksicht nimmt. Spaeterhin sind es die Mass- und
+Schriftgelehrten der Gemeinde, das heisst die Pontifices, welche die
+Namen der jaehrigen Gemeindevorsteher von Amts wegen verzeichnen und
+also mit der aelteren Monat- eine Jahrtafel verbinden; beide werden
+seitdem unter dem - eigentlich nur der Gerichtstagtafel zukommenden -
+Namen der Fasten zusammengefasst. Diese Einrichtung mag nicht lange
+nach der Abschaffung des Koenigtums getroffen sein, da in der Tat, um
+die Reihenfolge der oeffentlichen Akte konstatieren zu koennen, die
+offizielle Verzeichnung der Jahrbeamten dringendes praktisches
+Beduerfnis war; aber wenn es ein so altes offizielles Verzeichnis der
+Gemeindebeamten gegeben hat, so ist dies wahrscheinlich im gallischen
+Brande (364 390) zugrunde gegangen und die Liste des
+Pontifikalkollegiums nachher aus der von dieser Katastrophe nicht
+betroffenen kapitolinischen, so weit diese zurueckreichte, ergaenzt
+worden. Dass das uns vorliegende Vorsteherverzeichnis zwar in den
+Nebensachen, besonders den genealogischen Angaben nach der Hand aus den
+Stammbaeumen des Adels vervollstaendigt worden ist, im wesentlichen
+aber von Anfang an auf gleichzeitige und glaubwuerdige Aufzeichnungen
+zurueckgeht, leidet keinen Zweifel; die Kalenderjahre aber gibt
+dasselbe nur unvollkommen und annaehernd wieder, da die
+Gemeindevorsteher nicht mit dem Neujahr, ja nicht einmal mit einem ein
+fuer allemal festgestellten Tage antraten, sondern aus mancherlei
+Veranlassungen der Antrittstag sich hin und her schob und die haeufig
+zwischen zwei Konsulaten eintretenden Zwischenregierungen in der
+Rechnung nach Amtsjahren ganz ausfielen. Wollte man dennoch nach dieser
+Vorsteherliste die Kalenderjahre zaehlen, so war es noetig, den
+Antritts- und Abgangstag eines jeden Kollegiums nebst den etwaigen
+Interregnen mit anzumerken; und auch dies mag frueh geschehen sein.
+Ausserdem aber wurde die Liste der Jahrbeamten zur Kalenderjahrliste in
+der Weise hergerichtet, dass man durch Akkommodation jedem Kalenderjahr
+ein Beamtenpaar zuteilte und, wo die Liste nicht ausreichte, Fuelljahre
+einlegte, welche in der spaeteren (Varronischen) Tafel mit den Ziffern
+379-383, 421, 430, 445, 453 bezeichnet sind. Vom Jahre 291 (463) ist
+die roemische Liste nachweislich, zwar nicht im einzelnen, wohl aber im
+ganzen, mit dem roemischen Kalender in Uebereinstimmung, also insoweit
+chronologisch sicher, als die Mangelhaftigkeit des Kalenders selbst
+dies verstattet; die jenseits jenes Jahres liegenden 47 Jahrstellen
+entziehen sich der Kontrolle, werden aber wenigstens in der Hauptsache
+gleichfalls richtig sein ^3; was jenseits des Jahres 245 (509) liegt,
+ist chronologisch verschollen.
+
+——————————————————————————-
+
+^2 Erhalten ist davon das Bruchstueck:
+
+Bei trocknem Herbste, nassem - Fruehling, wirst du, Knabe,
+
+Einernten grosse Spelte.
+
+Wir wissen freilich nicht, mit welchem Rechte dieses Gedicht spaeterhin
+als das aelteste roemische galt (Macr. Sat. 5, 20; Fest. v. flaminius
+p. 93 M; Serv. georg. 1, 101; Plin. nat. 17, 2, 14).
+
+^3 Nur die ersten Stellen in der Liste geben Anlass zum Verdacht und
+moegen spaeter hinzugefuegt sein, um die Zahl der Jahre von der
+Koenigsflucht bis zum Stadtbrande auf 120 abzurunden.
+
+————————————————————————
+
+Eine gemeingebraeuchliche Aera hat sich nicht gebildet; doch ist in
+sakralen Verhaeltnissen gezaehlt worden nach dem Einweihungsjahr des
+kapitolinischen Jupitertempels, von wo ab ja auch die Beamtenliste
+lief.
+
+Nahe lag es, neben den Namen der Beamten die wichtigsten unter ihrer
+Amtsfuehrung vorgefallenen Ereignisse anzumerken; und aus solchen, dem
+Beamtenkatalog beigefuegten Nachrichten ist die roemische Chronik, ganz
+wie aus den der Ostertafel beigeschriebenen Notizen die
+mittelalterliche, hervorgegangen. Aber erst spaet kam es zu der
+Anlegung einer foermlichen, die Namen saemtlicher Beamten und die
+merkwuerdigen Ereignisse Jahr fuer Jahr stetig verzeichnenden Chronik
+(liber annalis) durch die Pontifices. Vor der unter dem 5. Juni 351
+(403) angemerkten Sonnenfinsternis, womit wahrscheinlich die vom 20.
+Juni 354 (400) gemeint ist, fand sich in der spaeteren Stadtchronik
+keine Sonnenfinsternis nach Beobachtung verzeichnet; die Zensuszahlen
+derselben fangen erst seit dem Anfang des fuenften Jahrhunderts der
+Stadt an, glaublich zu lauten; die vor dem Volk gefuehrten Busssachen
+und die von Gemeinde wegen gesuehnten Wunderzeichen scheint man erst
+seit der zweiten Haelfte des fuenften Jahrhunderts regelmaessig in die
+Chronik eingetragen zu haben. Allem Anschein nach hat die Einrichtung
+eines geordneten Jahrbuchs und, was sicher damit zusammenhaengt, die
+eben eroerterte Redaktion der aelteren Beamtenliste zum Zweck der
+Jahrzaehlung mittels Einlegung der chronologisch noetigen Fuelljahre in
+der ersten Haelfte des fuenften Jahrhunderts stattgefunden. Aber auch
+nachdem sich die Uebung festgestellt hatte, dass es dem Oberpontifex
+obliege, Kriegslaeufte und Kolonisierungen, Pestilenz und teuere Zeit,
+Finsternisse und Wunder, Todesfaelle der Priester und anderer
+angesehener Maenner, die neuen Gemeindebeschluesse, die Ergebnisse der
+Schatzung Jahr fuer Jahr aufzuschreiben und diese Anzeichnungen in
+seiner Amtwohnung zu bleibendem Gedaechtnis und zu jedermanns Einsicht
+aufzustellen, war man damit von einer wirklichen Geschichtschreibung
+noch weit entfernt. Wie duerftig die gleichzeitige Aufzeichnung noch am
+Schlusse dieser Periode war und wie weiten Spielraum sie der Willkuer
+spaeterer Annalisten gestattete, zeigt mit schneidender Deutlichkeit
+die Vergleichung der Berichte ueber den Feldzug vom Jahre 456 (298) in
+den Jahrbuechern und auf der Grabschrift des Konsuls Scipio ^4. Die
+spaeteren Historiker waren augenscheinlich ausserstande, aus diesen
+Stadtbuchnotizen einen lesbaren und einigermassen zusammenhaengenden
+Bericht zu gestalten; und auch wir wuerden, selbst wenn uns das
+Stadtbuch noch in seiner urspruenglichen Fassung vorlaege, schwerlich
+daraus die Geschichte der Zeit pragmatisch zu schreiben vermoegen.
+Indes gab es solche Stadtchroniken nicht bloss in Rom, sondern jede
+latinische Stadt hat wie ihre Pontifices, so auch ihre Annalen
+besessen, wie dies aus einzelnen Notizen zum Beispiel fuer Ardea,
+Ameria, Interamna am Nar deutlich hervorgeht; und mit der Gesamtheit
+dieser Stadtchroniken haette vielleicht sich etwas Aehnliches erreichen
+lassen, wie es fuer das fruehere Mittelalter durch die Vergleichung der
+verschiedenen Klosterchroniken erreicht worden ist. Leider hat man in
+Rom spaeterhin es vorgezogen, die Luecke vielmehr durch hellenische
+oder hellenisierende Luege zu fuellen.
+
+————————————————————————
+
+^4 1, 470. Nach den Annalen kommandiert Scipio in Etrurien, sein
+Kollege in Samnium und ist Lucanien dies Jahr im Bunde mit Rom; nach
+der Grabschrift erobert Scipio zwei Staedte in Samnium und ganz
+Lucanien.
+
+————————————————————————
+
+Ausser diesen freilich duerftig angelegten und unsicher gehandhabten
+offiziellen Veranstaltungen zur Feststellung der verflossenen Zeiten
+und vergangenen Ereignisse koennen in dieser Epoche kaum Aufzeichnungen
+vorgekommen sein, welche der roemischen Geschichte unmittelbar gedient
+haetten. Von Privatchroniken findet sich keine Spur. Nur liess man sich
+in den vornehmen Haeusern es angelegen sein, die auch rechtlich so
+wichtigen Geschlechtstafeln festzustellen und den Stammbaum zu
+bleibendem Gedaechtnis auf die Wand des Hausflurs zu malen. An diesen
+Listen, die wenigstens auch die Aemter nannten, fand nicht bloss die
+Familientradition einen Halt, sondern es knuepften sich hieran auch
+wohl frueh biographische Aufzeichnungen. Die Gedaechtnisreden, welche
+in Rom bei keiner vornehmen Leiche fehlen durften und regelmaessig von
+dem naechsten Verwandten des Verstorbenen gehalten wurden, bestanden
+wesentlich nicht bloss in der Aufzaehlung der Tugenden und Wuerden des
+Toten, sondern auch in der Aufzaehlung der Taten und Tugenden seiner
+Ahnen; und so gingen auch sie wohl schon in fruehester Zeit
+traditionell von einer Generation auf die andere ueber. Manche
+wertvolle Nachricht mochte hierdurch erhalten, freilich auch manche
+dreiste Verdrehung und Faelschung in die Ueberlieferung eingefuehrt
+werden.
+
+Aber wie die Anfaenge der wirklichen Geschichtschreibung gehoeren
+ebenfalls in diese Zeit die Anfaenge der Aufzeichnung und
+konventionellen Entstellung der Vorgeschichte Roms. Die Quellen dafuer
+waren natuerlich dieselben wie ueberall. Einzelne Namen, wie die der
+Koenige Numa, Ancus, Tullus, denen die Geschlechtsnamen wohl erst
+spaeter zugeteilt worden sind, und einzelne Tatsachen, wie die
+Besiegung der Latiner durch Koenig Tarquinius und die Vertreibung des
+tarquinischen Koenigsgeschlechts mochten in allgemeiner, muendlich
+fortgepflanzter wahrhafter Ueberlieferung fortleben. Anderes lieferte
+die Tradition der adligen Geschlechter, wie zum Beispiel die
+Fabiererzaehlungen mehrfach hervortreten. In anderen Erzaehlungen
+wurden uralte Volksinstitutionen, besonders mit grosser Lebendigkeit
+rechtliche Verhaeltnisse symbolisiert und historisiert; so die
+Heiligkeit der Mauern in der Erzaehlung vom Tode des Remus, die
+Abschaffung der Blutrache in der von dem Ende des Koenigs Tatius, die
+Notwendigkeit der die Pfahlbruecke betreffenden Ordnung in der Sage von
+Horatius Cocles ^5, die Entstehung des Gnadenurteils der Gemeinde in
+der schoenen Erzaehlung von den Horatiern und Curiatiern, die
+Entstehung der Freilassung und des Buergerrechts der Freigelassenen in
+derjenigen von der Tarquinierverschwoerung und dem Sklaven Vindicius.
+Ebendahin gehoert die Geschichte der Stadtgruendung selbst, welche Roms
+Ursprung an Latium und die allgemeine latinische Metropole Alba
+anknuepfen soll. Zu den Beinamen der vornehmen Roemer entstanden
+historische Glossen, wie zum Beispiel Publius Valerius der
+“Volksdiener” (Poplicola) einen ganzen Kreis derartiger Anekdoten um
+sich gesammelt hat, und vor allem knuepften an den heiligen Feigenbaum
+und andere Plaetze und Merkwuerdigkeiten der Stadt sich in grosser
+Menge Kuestererzaehlungen von der Art derjenigen an, aus denen ueber
+ein Jahrtausend spaeter auf demselben Boden die Mirabilia Urbis
+erwuchsen. Eine gewisse Zusammenknuepfung dieser verschiedenen
+Maerchen, die Feststellung der Reihe der sieben Koenige, die ohne
+Zweifel auf der Geschlechterrechnung ruhende Ansetzung ihrer
+Regierungszeit insgesamt auf 240 Jahre ^6 und selbst der Anfang
+offizieller Aufzeichnung dieser Ansetzungen hat wahrscheinlich schon in
+dieser Epoche stattgefunden: die Grundzuege der Erzaehlung und
+namentlich deren Quasichronologie treten in der spaeteren Tradition mit
+so unwandelbarer Festigkeit auf, dass schon darum ihre Fixierung nicht
+in, sondern vor die literarische Epoche Roms gesetzt werden muss. Wenn
+bereits im Jahre 458 (296) die an den Zitzen der Woelfin saugenden
+Zwillinge Romulus und Remus in Erz gegossen an dem heiligen Feigenbaum
+aufgestellt wurden, so muessen die Roemer, die Latium und Samnium
+bezwangen, die Entstehungsgeschichte ihrer Vaterstadt nicht viel anders
+vernommen haben als wir sie bei Livius lesen; sogar die Aboriginer, das
+sind die “Vonanfanganer”, dies naive Rudiment der geschichtlichen
+Spekulation des latinischen Stammes, begegnen schon um 465 (289) bei
+dem sizilischen Schriftsteller Kallias. Es liegt in der Natur der
+Chronik, dass sie zu der Geschichte die Vorgeschichte fuegt und wenn
+nicht bis auf die Entstehung von Himmel und Erde, doch wenigstens bis
+auf die Entstehung der Gemeinde zurueckgefuehrt zu werden verlangt; und
+es ist auch ausdruecklich bezeugt, dass die Tafel der Pontifices das
+Gruendungsjahr Roms angab. Danach darf angenommen werden, dass das
+Pontifikalkollegium, als es in der ersten Haelfte des fuenften
+Jahrhunderts anstatt der bisherigen spaerlichen und in der Regel wohl
+auf die Beamtennamen sich beschraenkenden Aufzeichnungen zu der
+Anlegung einer foermlichen Jahreschronik fortschritt, auch die zu
+Anfang fehlende Geschichte der Koenige Roms und ihres Sturzes
+hinzufuegte und, indem es auf den Einweihungstag des kapitolinischen
+Tempels, den 13. September 245 (509), zugleich die Stiftung der
+Republik setzte, einen freilich nur scheinhaften Zusammenhang zwischen
+der zeitlosen und der annalistischen Erzaehlung herstellte. Dass bei
+dieser aeltesten Aufzeichnung der Urspruenge Roms auch der Hellenismus
+seine Hand im Spiele gehabt hat, ist kaum zu bezweifeln; die
+Spekulation ueber Ur- und spaetere Bevoelkerung, ueber die Prioritaet
+des Hirtenlebens vor dem Ackerbau und die Umwandlung des Menschen
+Romulus in den Gott Quirinus sehen ganz griechisch aus, und selbst die
+Truebung der echt nationalen Gestalten des frommen Numa und der weisen
+Egeria durch die Einmischung fremdlaendischer pythagoreischer
+Urweisheit scheint keineswegs zu den juengsten Bestandteilen der
+roemischen Vorgeschichte zu gehoeren.
+
+———————————————————-
+
+^5 Diese Richtung der Sage erhellt deutlich aus dem aelteren Plinius
+(nat. 36, 15, 100).
+
+^6 Man rechnete, wie es scheint, drei Geschlechter auf ein Jahrhundert
+und rundete die Ziffer 233 1/3 auf 240 ab, aehnlich wie die Epoche
+zwischen der Koenigsflucht und dem Stadtbrand auf 120 Jahre abgerundet
+ward. Wodurch man gerade auf diese Zahlen gefuehrt ward, zeigt zum
+Beispiel die oben eroerterte Feststellung des Flaechenmasses.
+
+———————————————————
+
+Analog diesen Anfaengen der Gemeinde sind auch die Stammbaeume der
+edlen Geschlechter in aehnlicher Weise vervollstaendigt und in
+beliebter heraldischer Manier durchgaengig auf erlauchte Ahnen
+zurueckgefuehrt worden; wie denn zum Beispiel die Aemilier, Calpurnier,
+Pinarier und Pomponier von den vier Soehnen des Numa: Mamercus, Calpus,
+Pinus und Pompo, die Aemilier ueberdies noch von dem Sohne des
+Pythagoras Mamercus, der “Wohlredende” (αιμύλος) genannt, abstammen
+wollten.
+
+Dennoch darf trotz der ueberall hervortretenden hellenischen
+Reminiszenzen diese Vorgeschichte der Gemeinde wie der Geschlechter
+wenigstens relativ eine nationale genannt werden, insofern sie teils in
+Rom entstanden, teils ihre Tendenz zunaechst nicht darauf gerichtet
+ist, eine Bruecke zwischen Rom und Griechenland, sondern eine Bruecke
+zwischen Rom und Latium zu schlagen.
+
+Es war die hellenische Erzaehlung und Dichtung, welche jener anderen
+Aufgabe sich unterzog. Die hellenische Sage zeigt durchgaengig das
+Bestreben, mit der allmaehlich sich erweiternden geographischen Kunde
+Schritt zu halten und mit Hilfe ihrer zahllosen Wander- und
+Schiffergeschichten eine dramatisierte Erdbeschreibung zu gestalten.
+Indes verfaehrt sie dabei selten naiv. Ein Bericht wie der des
+aeltesten Rom erwaehnenden griechischen Geschichtswerkes, der
+sizilischen Geschichte des Antiochos von Syrakus (geschlossen 330 424):
+dass ein Mann namens Sikelos aus Rom nach Italia, das heisst nach der
+brettischen Halbinsel gewandert sei - ein solcher, einfach die
+Stammverwandtschaft der Roemer, Siculer und Brettier historisierender
+und von aller hellenisierenden Faerbung freier Bericht ist eine seltene
+Erscheinung. Im ganzen ist die Sage, und je spaeter desto mehr,
+beherrscht von der Tendenz, die ganze Barbarenwelt darzustellen als von
+den Griechen entweder ausgegangen oder doch unterworfen; und frueh zog
+sie in diesem Sinn ihre Faeden auch ueber den Westen. Fuer Italien sind
+weniger die Herakles- und Argonautensage von Bedeutung geworden, obwohl
+bereits Hekataeos († nach 257 497) die Saeulen des Herakles kennt und
+die Argo aus dem Schwarzen Meer in den Atlantischen Ozean, aus diesem
+in den Nil und zurueck in das Mittelmeer fuehrt, als die an den Fall
+Ilions anknuepfenden Heimfahrten. Mit der ersten aufdaemmernden Kunde
+von Italien beginnt auch Diomedes im Adriatischen, Odysseus im
+Tyrrhenischen Meer zu irren, wie denn wenigstens die letztere
+Lokalisierung schon der Homerischen Fassung der Sage nahe genug lag.
+Bis in die Zeiten Alexanders hinein haben die Landschaften am
+Tyrrhenischen Meer in der hellenischen Fabulierung zum Gebiet der
+Odysseussage gehoert; noch Ephoros, der mit dem Jahre 414 (340)
+schloss, und der sogenannte Skylax (um 418 336) folgen wesentlich
+dieser. Von troischen Seefahrten weiss die ganze aeltere Poesie nichts;
+bei Homer herrscht Aeneas nach Ilions Fall ueber die in der Heimat
+zurueckbleibenden Troer. Erst der grosse Mythenwandler Stesichoros
+(122-201 632-553) fuehrte in seiner ‘Zerstoerung Ilions’ den Aeneas in
+das Westland, um die Fabelwelt seiner Geburts- und seiner Wahlheimat,
+Siziliens und Unteritaliens, durch den Gegensatz der troischen Helden
+gegen die hellenischen poetisch zu bereichern. Von ihm ruehren die
+seitdem feststehenden dichterischen Umrisse dieser Fabel her,
+namentlich die Gruppe des Helden, wie er mit der Gattin und dem
+Soehnchen und dem alten, die Hausgoetter tragenden Vater aus dem
+brennenden Ilion davongeht, und die wichtige Identifizierung der Troer
+mit den sizilischen und italischen Autochthonen, welche besonders in
+dem troischen Trompeter Misenos, dem Eponymos des Misenischen
+Vorgebirges, schon deutlich hervortritt ^7. Den alten Dichter leitete
+dabei das Gefuehl, dass die italischen Barbaren den Hellenen minder
+fern als die uebrigen standen und das Verhaeltnis der Hellenen und der
+Italiker dichterisch angemessen dem der homerischen Achaeer und Troer
+gleich gefasst werden konnte. Bald mischt sich denn diese neue
+Troerfabel mit der aelteren Odysseussage, indem sie zugleich sich
+weiter ueber Italien verbreitet. Nach Hellanikos (schrieb um 350 400)
+kamen Odysseus und Aeneas durch die thrakische und molottische
+(epeirotische) Landschaft nach Italien, wo die mitgefuehrten troischen
+Frauen die Schiffe verbrennen und Aeneas die Stadt Rom gruendet und sie
+nach dem Namen einer dieser Troerinnen benennt; aehnlich, nur minder
+unsinnig, erzaehlte Aristoteles (370-432 384-322), dass ein
+achaeisches, an die latinische Kueste verschlagenes Geschwader von den
+troischen Sklavinnen angezuendet worden und aus den Nachkommen der also
+zum Dableiben genoetigten achaeischen Maenner und ihrer troischen
+Frauen die Latiner hervorgegangen seien. Damit mischten denn auch sich
+Elemente der einheimischen Sage, wovon der rege Verkehr zwischen
+Sizilien und Italien wenigstens gegen das Ende dieser Epoche schon die
+Kunde bis nach Sizilien verbreitet hatte; in der Version von Roms
+Entstehung, welche der Sizilianer Kallias um 465 (289) aufzeichnete,
+sind Odysseus-, Aeneas- und Romulusfabeln ineinandergeflossen ^8. Aber
+der eigentliche Vollender der spaeter gelaeufigen Fassung dieser
+Troerwanderung ist Timaeos von Tauromenion auf Sizilien, der sein
+Geschichtswerk 492 (262) schloss. Er ist es, bei dem Aeneas zuerst
+Lavinium mit dem Heiligtum der troischen Penaten und dann erst Rom
+gruendet; er muss auch schon die Tyrerin Elisa oder Dido in die
+Aeneassage eingeflochten haben, da bei ihm Dido Karthagos Gruenderin
+ist und Rom und Karthago ihm in demselben Jahre erbaut heissen. Den
+Anstoss zu diesen Neuerungen gaben, neben der eben zu der Zeit und an
+dem Orte, wo Timaeos schrieb, sich vorbereitenden Krise zwischen den
+Roemern und den Karthagern, offenbar gewisse nach Sizilien gelangte
+Berichte ueber latinische Sitten und Gebraeuche; im wesentlichen aber
+kann die Erzaehlung nicht von Latium heruebergenommen, sondern nur die
+eigene nichtsnutzige Erfindung der alten “Sammelvettel” gewesen sein.
+Timaeos hatte von dem uralten Tempel der Hausgoetter in Lavinium
+erzaehlen hoeren; aber dass diese den Lavinaten als die von den
+Aeneiaden aus Ilion mitgebrachten Penaten gaelten, hat er ebenso sicher
+von dem Seinigen hinzugetan, wie die scharfsinnige Parallele zwischen
+dem roemischen Oktoberross und dem Trojanischen Pferde und die genaue
+Inventarisierung der lavinischen Heiligtuemer - es waren, sagt der
+wuerdige Gewaehrsmann, Heroldstaebe von Eisen und Kupfer und ein
+toenerner Topf troischer Fabrik! Freilich durften eben die Penaten noch
+Jahrhunderte spaeter durchaus von keinem geschaut werden; aber Timaeos
+war einer von den Historikern, die ueber nichts so genau Bescheid
+wissen als ueber unwissbare Dinge. Nicht mit Unrecht riet Polybios, der
+den Mann kannte, ihm nirgend zu trauen, am wenigsten aber da, wo er -
+wie hier - sich auf urkundliche Beweisstuecke berufe. In der Tat war
+der sizilische Rhetor, der das Grab des Thukydides in Italien zu zeigen
+wusste und der fuer Alexander kein hoeheres Lob fand, als dass er
+schneller mit Asien fertig geworden sei als Isokrates mit seiner
+‘Lobrede’, vollkommen berufen, aus der naiven Dichtung der aelteren
+Zeit den wuesten Brei zu kneten, welchem das Spiel des Zufalls eine so
+seltsame Zelebritaet verliehen hat.
+
+——————————————————————————
+
+^7 Auch die troischen Kolonien” auf Sizilien, die Thukydides,
+Pseudoskylax und andere nennen, sowie die Bezeichnung Capuas als einer
+troischen Gruendung bei Hekataeos werden auf Stesichoros und auf dessen
+Identifizierung der italischen und sizilischen Eingeborenen mit den
+Troern zurueckgehen.
+
+^8 Nach ihm vermaehlte sich eine aus Ilion nach Rom gefluechtete Frau
+Rome oder vielmehr deren gleichnamige Tochter mit dem Koenig der
+Aboriginer Latinos und gebar ihm drei Soehne, Romos, Romylos und
+Telegonos. Der letzte, der ohne Zweifel hier als Gruender von Tusculum
+und Praeneste auftritt, gehoert bekanntlich der Odysseussage an.
+
+—————————————————————————
+
+Inwieweit die hellenische Fabulierung ueber italische Dinge, wie sie
+zunaechst in Sizilien entstand, schon jetzt in Italien selbst Eingang
+gefunden hat, ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Die Anknuepfungen
+an den odysseischen Kreis, welche spaeterhin in den Gruendungssagen von
+Tusculum, Praeneste, Antium, Ardea, Cortona begegnen, werden wohl schon
+in dieser Zeit sich angesponnen haben; und auch der Glaube an die
+Abstammung der Roemer von Troern oder Troerinnen musste schon am
+Schluss dieser Epoche in Rom feststehen, da die erste nachweisliche
+Beruehrung zwischen Rom und dem griechischen Osten die Verwendung des
+Senats fuer die “stammverwandten” Ilier im Jahre 472 (282) ist. Dass
+aber dennoch die Aeneasfabel in Italien verhaeltnismaessig jung ist,
+beweist ihre im Vergleich mit der odysseischen hoechst duerftige
+Lokalisierung; und die Schlussredaktion dieser Erzaehlungen sowie ihre
+Ausgleichung mit der roemischen Ursprungssage gehoert auf jeden Fall
+erst der Folgezeit an.
+
+Waehrend also bei den Hellenen die Geschichtschreibung, oder was so
+genannt ward, sich um die Vorgeschichte Italiens in ihrer Art bemuehte,
+liess sie in einer fuer den gesunkenen Zustand der hellenischen
+Historie ebenso bezeichnenden wie fuer uns empfindlichen Weise die
+gleichzeitige italische Geschichte so gut wie vollstaendig liegen. Kaum
+dass Theopomp von Chios (schloss 418 336) der Einnahme Roms durch die
+Kelten beilaeufig gedachte und Aristoteles, Kleitarchos, Theophrastos,
+Herakleides von Pontos († um 450 300) einzelne Rom betreffende
+Ereignisse gelegentlich erwaehnten; erst mit Hieronymos von Kardia, der
+als Geschichtschreiber des Pyrrhos auch dessen italische Kriege
+erzaehlte, wird die griechische Historiographie zugleich Quelle fuer
+die roemische Geschichte.
+
+Unter den Wissenschaften empfing die Jurisprudenz eine unschaetzbare
+Grundlage durch die Aufzeichnung des Stadtrechts in den Jahren 303, 304
+(451, 450). Dieses unter dem Namen der Zwoelf Tafeln bekannte Weistum
+ist wohl das aelteste roemische Schriftstueck, das den Namen eines
+Buches verdient. Nicht viel juenger mag der Kern der sogenannten
+“koeniglichen Gesetze” sein, das heisst gewisser, vorzugsweise sakraler
+Vorschriften, die auf Herkommen beruhten und wahrscheinlich von dem
+Kollegium der Pontifices, das zur Gesetzgebung nicht, wohl aber zur
+Gesetzweisung befugt war, unter der Form koeniglicher Verordnungen zu
+allgemeiner Kunde gebracht wurden. Ausserdem sind vermutlich schon seit
+dem Anfang dieser Periode wenn nicht die Volks-, so doch die
+wichtigsten Senatsbeschluesse regelmaessig schriftlich verzeichnet
+worden; wie denn ueber deren Aufbewahrung bereits in den fruehesten
+staendischen Kaempfen mitgestritten ward.
+
+Waehrend also die Masse der geschriebenen Rechtsurkunden sich mehrte,
+stellten auch die Grundlagen einer eigentlichen Rechtswissenschaft sich
+fest. Sowohl den jaehrlich wechselnden Beamten als den aus dem Volke
+herausgegriffenen Geschworenen war es Beduerfnis, an sachkundige
+Maenner sich wenden zu koennen, welche den Rechtsgang kannten und nach
+Praezedentien oder in deren Ermangelung nach Gruenden eine Entscheidung
+an die Hand zu geben wussten. Die Pontifices, die es gewohnt waren,
+sowohl wegen der Gerichtstage als wegen aller auf die Goetterverehrung
+bezueglichen Bedenken und Rechtsakte vom Volke angegangen zu werden,
+gaben auch in anderen Rechtspunkten auf Verlangen Ratschlaege und
+Gutachten ab und entwickelten so im Schoss ihres Kollegiums die
+Tradition, die dem roemischen Privatrecht zugrunde liegt, vor allem die
+Formeln der rechten Klage fuer jeden einzelnen Fall. Ein Spiegel, der
+all diese Klagen zusammenfasste, nebst einem Kalender, der die
+Gerichtstage angab, wurde um 450 (300) von Appius Claudius oder von
+dessen Schreiber Gnaeus Flavius dem Volk bekanntgemacht. Indes dieser
+Versuch, die ihrer selbst noch nicht bewusste Wissenschaft zu
+formulieren, steht fuer lange Zeit gaenzlich vereinzelt da. Dass die
+Kunde des Rechtes und die Rechtweisung schon jetzt ein Mittel war, dem
+Volk sich zu empfehlen und zu Staatsaemtern zu gelangen, ist
+begreiflich, wenn auch die Erzaehlung, dass der erste plebejische
+Pontifex Publius Sempronius Sophus (Konsul 450 304) und der erste
+plebejische Oberpontifex Tiberius Coruncanius (Konsul 474 280) diese
+Priesterehren ihrer Rechtskenntnis verdankten, wohl eher Mutmassung
+Spaeterer ist als Ueberlieferung.
+
+Dass die eigentliche Genesis der lateinischen und wohl auch der anderen
+italischen Sprachen vor diese Periode faellt und schon zu Anfang
+derselben die lateinische Sprache im wesentlichen fertig war, zeigen
+die freilich durch ihre halb muendliche Tradition stark modernisierten
+Bruchstuecke der Zwoelf Tafeln, welche wohl eine Anzahl veralteter
+Woerter und schroffer Verbindungen, namentlich infolge der Weglassung
+des unbestimmten Subjekts, aber doch keineswegs, wie das Arvalied,
+wesentliche Schwierigkeiten des Verstaendnisses darbieten und weit mehr
+mit der Sprache Catos als mit der der alten Litaneien uebereinkommen.
+Wenn die Roemer im Anfang des siebenten Jahrhunderts Muehe hatten,
+Urkunden des fuenften zu verstehen, so kam dies ohne Zweifel nur daher,
+dass es damals in Rom noch keine eigentliche Forschung, am wenigsten
+eine Urkundenforschung gab. Dagegen wird in dieser Zeit der beginnenden
+Rechtweisung und Gesetzesredaktion auch der roemische Geschaeftsstil
+zuerst sich festgestellt haben, welcher, wenigstens in seiner
+entwickelten Gestalt, an feststehenden Formeln und Wendungen, endloser
+Aufzaehlung der Einzelheiten und langatmigen Perioden der heutigen
+englischen Gerichtssprache nichts nachgibt und sich dem Eingeweihten
+durch Schaerfe und Bestimmtheit empfiehlt, waehrend der Laie je nach
+Art und Laune mit Ehrfurcht, Ungeduld oder Aerger nichtsverstehend
+zuhoert. Ferner begann in dieser Epoche die rationelle Behandlung der
+einheimischen Sprachen. Um den Anfang derselben drohte, wie wir sahen,
+das sabellische wie das latinische Idiom sich zu barbarisieren und
+griff die Verschleifung der Endungen, die Verdumpfung der Vokale und
+der feineren Konsonanten aehnlich um sich wie im fuenften und sechsten
+Jahrhundert unserer Zeitrechnung innerhalb der romanischen Sprachen.
+Hiergegen trat aber eine Reaktion ein: im Oskischen werden die
+zusammengefallenen Laute d und r, im Lateinischen die
+zusammengefallenen Laute g und k wieder geschieden und jeder mit seinem
+eigenen Zeichen versehen; o und u, fuer die es im oskischen Alphabet
+von Haus aus an gesonderten Zeichen gemangelt hatte und die im
+Lateinischen zwar urspruenglich geschieden waren, aber zusammenzufallen
+drohten, traten wieder auseinander, ja im Oskischen wird sogar das i in
+zwei lautlich und graphisch verschiedene Zeichen aufgeloest; endlich
+schliesst die Schreibung sich der Aussprache wieder genauer an, wie zum
+Beispiel bei den Roemern vielfaeltig s durch r ersetzt ward. Die
+chronologischen Spuren fuehren fuer diese Reaktion auf das fuenfte
+Jahrhundert; das lateinische g zum Beispiel war um das Jahr 300 (450)
+noch nicht, wohl aber um das Jahr 500 (250) vorhanden; der erste des
+Papirischen Geschlechts, der sich Papirius statt Papisius nannte, war
+der Konsul des Jahres 418 (336); die Einfuehrung jenes r anstatt des s
+wird dem Appius Claudius, Zensor 442 (312) beigelegt. Ohne Zweifel
+steht die Zurueckfuehrung einer feineren und schaerferen Aussprache im
+Zusammenhang mit dem steigenden Einfluss der griechischen Zivilisation,
+welcher eben in dieser Zeit sich auf allen Gebieten des italischen
+Wesens bemerklich macht; und wie die Silbermuenzen von Capua und Nola
+weit vollkommener sind als die gleichzeitigen Asse von Ardea und Rom,
+so scheint auch Schrift und Sprache rascher und vollstaendiger sich im
+kampanischen Lande reguliert zu haben als in Latium. Wie wenig trotz
+der darauf gewandten Muehe die roemische Sprache und Schreibweise noch
+am Schlusse dieser Epoche festgestellt war, beweisen die aus dem Ende
+des fuenften Jahrhunderts erhaltenen Inschriften, in denen namentlich
+in der Setzung oder Weglassung von m, d und s im Auslaut und n im
+Inlaut und in der Unterscheidung der Vokale o u und e i die groesste
+Willkuer herrscht ^9; es ist wahrscheinlich, dass gleichzeitig die
+Sabeller hierin schon weiter waren, waehrend die Umbrer von dem
+regenerierenden hellenischen Einfluss nur wenig beruehrt worden sind.
+
+——————————————————————————-
+
+^9 In den beiden Grabschriften des Lucius Scipio, Konsul 456 (298), und
+des gleichnamigen Konsuls vom Jahre 495 (259) fehlen m und d im Auslaut
+der Beugungen regelmaessig, doch findet sich einmal Luciom und einmal
+Gnaivod; es steht nebeneinander im Nominativ Cornelio und filios;
+cosol, cesor und consol censor; aidiles, dedet, ploirume (= plurimi),
+hec (Nom. Sing.) neben aidilis, cepit, quei, hic. Der Rhotazismus ist
+bereits vollstaendig durchgefuehrt; man findet duonoro (= bonorum),
+ploirume, nicht wie im saliarischen Liede foedesum, plusima. Unsere
+inschriftlichen Ueberreste reichen ueberhaupt im allgemeinen nicht
+ueber den Rhotazismus hinauf; von dem aelteren s begegnen nur einzelne
+Spuren, wie noch spaeterhin honos, labos neben honor und labor und die
+aehnlichen Frauenvornamen Maio (maios, maior) und Mino auf neu
+gefundenen Grabschriften von Praeneste.
+
+——————————————————————————
+
+Durch diese Steigerung der Jurisprudenz und Grammatik muss auch der
+elementare Schulunterricht, der an sich wohl schon frueher aufgekommen
+war, eine gewisse Steigerung erfahren haben. Wie Homer das aelteste
+griechische, die Zwoelf Tafeln das aelteste roemische Buch waren, so
+wurden auch beide in ihrer Heimat die wesentliche Grundlage des
+Unterrichts und das Auswendiglernen des juristisch-politischen
+Katechismus ein Hauptstueck der roemischen Kindererziehung. Neben den
+lateinischen “Schreibmeistern” (litteratores) gab es natuerlich, seit
+die Kunde des Griechischen fuer jeden Staats- und Handelsmann
+Beduerfnis war, auch griechische Sprachlehrer (grammatici ^10), teils
+Hofmeister-Sklaven, teils Privatlehrer, die in ihrer Wohnung oder in
+der des Schuelers Anweisung zum Lesen und Sprechen des Griechischen
+erteilten. Dass wie im Kriegswesen und bei der Polizei so auch bei dem
+Unterricht der Stock seine Rolle spielte, versteht sich von selbst ^11.
+Die elementare Stufe indes kann der Unterricht dieser Zeit noch nicht
+ueberstiegen haben; es gab keine irgend wesentliche soziale Abstufung
+zwischen dem unterrichteten und dem nichtunterrichteten Roemer.
+
+Dass die Roemer in den mathematischen und mechanischen Wissenschaften
+zu keiner Zeit sich ausgezeichnet haben, ist bekannt und bewaehrt sich
+auch fuer die gegenwaertige Epoche an dem fast einzigen Faktum, welches
+mit Sicherheit hierhergezogen werden kann, der von den Dezemvirn
+versuchten Regulierung des Kalenders. Sie wollten den bisherigen, auf
+der alten, hoechst unvollkommenen Trieteris beruhenden vertauschen mit
+dem damaligen attischen der Oktaeteris, welcher den Mondmonat von 29½
+Tagen beibehielt, das Sonnenjahr aber statt auf 368¾ a vielmehr auf
+365¼ Tage ansetzte und demnach bei unveraenderter gemeiner Jahrlaenge
+von 354 Tagen nicht, wie frueher, auf je vier Jahre 59, sondern auf je
+acht Jahre 90 Tage einschaltete. In demselben Sinne beabsichtigten die
+roemischen Kalenderverbesserer unter sonstiger Beibehaltung des
+geltenden Kalenders in den zwei Schaltjahren des vierjaehrigen Zyklus
+nicht die Schaltmonate, aber die beiden Februare um je sieben Tage zu
+verkuerzen, also diesen Monat in den Schaltjahren statt zu 29 und 28 zu
+22 und 21 Tagen anzusetzen. Allein mathematische Gedankenlosigkeit und
+theologische Bedenken, namentlich die Ruecksicht auf das eben in die
+betreffenden Februartage fallende Jahrfest des Terminus, zerruetteten
+die beabsichtigte Reform in der Art, dass der Schaltjahrfebruar
+vielmehr 24- und 23taegig ward, also das neue roemische Sonnenjahr in
+der Tat auf 366¼ Tag auskam. Einige Abhilfe fuer die hieraus folgenden
+praktischen Uebelstaende ward darin gefunden, dass, unter Beseitigung
+der bei den jetzt so ungleich gewordenen Monaten nicht mehr anwendbaren
+Rechnung nach Monaten oder Zehnmonaten des Kalenders, man sich
+gewoehnte, wo es auf genauere Bestimmungen ankam, nach Zehnmonatfristen
+eines Sonnenjahrs von 365 Tagen oder dem sogenannten zehnmonatlichen
+Jahre von 304 Tagen zu rechnen. ueberdies kam besonders fuer
+baeuerliche Zwecke der auf das aegyptische 365¼taegige Sonnenjahr von
+Eudoxos (blueht 386 368) gegruendete Bauernkalender auch in Italien
+frueh in Gebrauch.
+
+—————————————————————-
+
+^10 Litterator und grammaticus verhalten sich ungefaehr wie Lehrer und
+Maître; die letztere Benennung kommt nach dem aelteren Sprachgebrauch
+nur dem Lehrer des Griechischen, nicht dem der Muttersprache zu.
+Litteratus ist juenger und bezeichnet nicht den Schulmeister, sondern
+den gebildeten Mann.
+
+^11 Es ist doch wohl ein roemisches Bild, was Plautus (Bacch. 431) als
+ein Stueck der guten alten Kindererziehung anfuehrt:
+
+wenn nun du darauf nach Hause kamst,
+
+In dem Jaeckchen auf dem Schemel sassest du zum Lehrer hin;
+
+Und wenn dann das Buch ihm lesend eine Silbe du gefehlt,
+
+Faerbte deinen Buckel er dir bunt wie einen Kinderlatz.
+
+—————————————————————-
+
+Einen hoeheren Begriff von dem, was auch in diesen Faechern die
+Italiker zu leisten vermochten, gewaehren die Werke der mit den
+mechanischen Wissenschaften eng zusammenhaengenden Bau- und Bildkunst.
+Zwar eigentlich originelle Erscheinungen begegnen auch hier nicht; aber
+wenn durch den Stempel der Entlehnung, welcher der italischen Plastik
+durchgaengig aufgedrueckt ist, das kuenstlerische Interesse an
+derselben sinkt, so heftet das historische sich nur um so lebendiger an
+dieselbe, insofern sie teils von einem sonst verschollenen
+Voelkerverkehr die merkwuerdigsten Zeugnisse bewahrt, teils bei dem so
+gut wie vollstaendigen Untergang der Geschichte der nichtroemischen
+Italiker fast allein uns die verschiedenen Voelkerschaften der
+Halbinsel in lebendiger Taetigkeit nebeneinander darstellt. Neues ist
+hier nicht zu sagen; aber wohl laesst sich mit schaerferer Bestimmtheit
+und auf breiterer Grundlage ausfuehren, was schon oben gezeigt ward,
+dass die griechische Anregung die Etrusker und die Italiker von
+verschiedenen Seiten her maechtig erfasst, und dort eine reichere und
+ueppigere, hier, wo ueberhaupt, eine verstaendigere und innigere Kunst
+ins Leben gerufen hat.
+
+Wie voellig die italische Architektur aller Landschaften schon in ihrer
+aeltesten Periode von hellenischen Elementen durchdrungen ward, ist
+frueher dargestellt worden. Die Stadtmauern, die Wasserbauten, die
+pyramidalisch gedeckten Graeber, der tuscanische Tempel sind nicht oder
+nicht wesentlich verschieden von den aeltesten hellenischen Bauwerken.
+Von einer Weiterbildung der Architektur bei den Etruskern waehrend
+dieser Epoche hat sich keine Spur erhalten; wir begegnen hier weder
+einer wesentlich neuen Rezeption noch einer originellen Schoepfung -
+man muesste denn Prachtgraeber dahin rechnen wollen, wie das von Varro
+beschriebene sogenannte Grabmal des Porsena in Chiusi, das lebhaft an
+die zwecklose und sonderbare Herrlichkeit der aegyptischen Pyramiden
+erinnert.
+
+Auch in Latium bewegte man waehrend der ersten anderthalb Jahrhunderte
+der Republik sich wohl lediglich in den bisherigen Gleisen, und es ist
+schon gesagt worden, dass mit der Einfuehrung der Republik die
+Kunstuebung eher gesunken als gestiegen ist. Es ist aus dieser Zeit
+kaum ein anderes architektonisch bedeutendes latinisches Bauwerk zu
+nennen als der im Jahre 261 (493) in Rom am Circus erbaute Cerestempel,
+der in der Kaiserzeit als Muster des tuscanischen Stiles gilt. Aber
+gegen das Ende dieser Epoche kommt ein neuer Geist in das italische und
+namentlich das roemische Bauwesen: es beginnt der grossartige Bogenbau.
+Zwar sind wir nicht berechtigt, den Bogen und das Gewoelbe fuer
+italische Erfindungen zu erklaeren. Es ist wohl ausgemacht, dass in der
+Epoche der Genesis der hellenischen Architektur die Hellenen den Bogen
+noch nicht kannten und darum fuer ihre Tempel die flache Decke und das
+schraege Dach ausreichen mussten; allein gar wohl kann der Keilschnitt
+eine juengere, aus der rationellen Mechanik hervorgegangene Erfindung
+der Hellenen sein, wie ihn denn die griechische Tradition auf den
+Physiker Demokritos (294-397 460-357) zurueckfuehrt. Mit dieser
+Prioritaet des hellenischen Bogenbaus vor dem roemischen ist auch
+vereinbar, was vielfach und vielleicht mit Recht angenommen wird, dass
+die Gewoelbe an der roemischen Hauptkloake und dasjenige, welches ueber
+das alte, urspruenglich pyramidalisch gedeckte kapitolinische Quellhaus
+spaeterhin gespannt ward, die aeltesten erhaltenen Bauwerke sind, bei
+welchen das Bogenprinzip zur Anwendung gekommen ist; denn es ist mehr
+als wahrscheinlich, dass diese Bogenbauten nicht der Koenigs-, sondern
+der republikanischen Periode angehoeren und in der Koenigszeit man auch
+in Italien nur flache oder ueberkragte Daecher gekannt hat. Allein wie
+man auch ueber die Erfindung des Bogens selbst denken mag, die
+Anwendung im grossen ist ueberall und vor allem in der Baukunst
+wenigstens ebenso bedeutend wie die Aufstellung des Prinzips; und diese
+gebuehrt unbestritten den Roemern. Mit dem fuenften Jahrhundert beginnt
+der wesentlich auf den Bogen gegruendete Tor-, Bruecken- und
+Wasserleitungsbau, der mit dem roemischen Namen fortan unzertrennlich
+verknuepft ist. Verwandt ist hiermit noch die Entwicklung der den
+Griechen fremden, dagegen bei den Roemern vorzugsweise beliebten und
+besonders fuer die ihnen eigentuemlichen Kulte, namentlich den nicht
+griechischen der Vesta, angewendeten Form des Rundtempels und des
+Kuppeldachs ^12.
+
+————————————————————-
+
+^12 Eine Nachbildung der aeltesten Hausform, wie man wohl gemeint hat,
+ist der Rundtempel sicher nicht; vielmehr geht der Hausbau durchaus vom
+Viereck aus. Die spaetere roemische Theologie knuepfte diese Rundform
+an die Vorstellung des Erdballs oder des kugelfoermig die Zentralsonne
+umgebenden Weltalls (Fest. v. rutundam p. 282; Plut. Num. 11; Ov. fast.
+6, 267f.); in der Tat ist dieselbe wohl einfach darauf
+zurueckzufuehren, dass fuer die zum Abhegen und Aufbewahren bestimmte
+Raeumlichkeit als die bequemste wie die sicherste Form stets die
+kreisrunde gegolten hat. Darauf beruhten die runden Schatzhaeuser der
+Hellenen ebenso wie der Rundbau der roemischen Vorratskammer oder des
+Penatentempels; es war natuerlich auch die Feuerstelle - das heisst den
+Altar der Vesta - und die Feuerkammer - das heisst den Vestatempel -
+rund anzulegen, so gut wie dies mit der Zisterne und der Brunnenfassung
+(puteal) geschah. Der Rundbau an sich ist graecoitalisch wie der
+Quadratbau und jener der Kammer eigen, wie dieser dem Wohnhaus; aber
+die architektonische und religioese Entwicklung des einfachen Tholos
+zum Rundtempel mit Pfeilern und Saeulen ist latinisch.
+
+————————————————————
+
+Etwas Aehnliches mag von manchen untergeordneten, aber darum nicht
+unwichtigen Fertigkeiten auf diesem Gebiet gelten. Von Originalitaet
+oder gar von Kunstuebung kann dabei nicht die Rede sein; aber auch aus
+den festgefuegten Steinplatten der roemischen Strassen, aus ihren
+unzerstoerbaren Chausseen, aus den breiten, klingend harten Ziegeln,
+aus dem ewigen Moertel ihrer Gebaeude redet die unverwuestliche
+Soliditaet, die energische Tuechtigkeit des roemischen Wesens.
+
+Wie die tektonischen, und womoeglich noch mehr, sind die bildenden und
+zeichnenden Kuenste auf italischem Boden nicht so sehr durch
+griechische Anregung befruchtet, als aus griechischen Samenkoernern
+gekeimt. Dass dieselben, obwohl erst die juengeren Schwestern der
+Architektur, doch wenigstens in Etrurien schon waehrend der roemischen
+Koenigszeit sich zu entwickeln begannen, wurde bereits bemerkt; ihre
+hauptsaechliche Entfaltung aber gehoert in Etrurien, und um so mehr in
+Latium, dieser Epoche an, wie dies schon daraus mit Evidenz hervorgeht,
+dass in denjenigen Landschaften, welche die Kelten und Samniten den
+Etruskern im Laufe des vierten Jahrhunderts entrissen, von etruskischer
+Kunstuebung fast keine Spur begegnet. Die tuskische Plastik warf sich
+zuerst und hauptsaechlich auf die Arbeit in gebranntem Ton, in Kupfer
+und in Gold, welche Stoffe die reichen Tonlager und Kupfergruben und
+der Handelsverkehr Etruriens den Kuenstlern darboten. Von der
+Schwunghaftigkeit, womit die Tonbildnerei betrieben wurde, zeugen die
+ungeheuren Massen von Reliefplatten und statuarischen Arbeiten aus
+gebranntem Ton, womit Waende, Giebel und Daecher der etruskischen
+Tempel nach Ausweis der noch vorhandenen Ruinen einst verziert waren,
+und der nachweisliche Vertrieb derartiger Arbeiten aus Etrurien nach
+Latium. Der Kupferguss stand nicht dahinter zurueck. Etruskische
+Kuenstler wagten sich an die Verfertigung von kolossalen, bis zu
+fuenfzig Fuss hohen Bronzebildsaeulen, und in Volsinii, dem
+etruskischen Delphi, sollen um das Jahr 489 (265) zweitausend
+Bronzestatuen gestanden haben, wogegen die Steinbildnerei in Etrurien,
+wie wohl ueberall, weit spaeter begann und ausser inneren Ursachen auch
+durch den Mangel eines geeigneten Materials zurueckgehalten ward - die
+lunensischen (carrarischen) Marmorbrueche waren noch nicht eroeffnet.
+Wer den reichen und zierlichen Goldschmuck der suedetruskischen Graeber
+gesehen hat, der wird die Nachricht nicht unglaublich finden, dass die
+tyrrhenischen Goldschalen selbst in Attika geschaetzt wurden. Auch die
+Steinschneidekunst ward, obwohl sie juenger ist, doch auch in Etrurien
+vielfaeltig geuebt. Ebenso abhaengig von den Griechen, uebrigens den
+bildenden Kuenstlern vollkommen ebenbuertig, waren die sowohl in der
+Umrisszeichnung auf Metall wie in der monochromatischen Wandmalerei
+ungemein taetigen etruskischen Zeichner und Maler.
+
+Vergleichen wir hiermit das Gebiet der eigentlichen Italiker, so
+erscheint es zunaechst gegen die etruskische Fuelle fast kunstarm.
+Allein bei genauerer Betrachtung kann man der Wahrnehmung sich nicht
+entziehen, dass sowohl die sabellische wie die latinische Nation weit
+mehr als die etruskische Faehigkeit und Geschick fuer die Kunst gehabt
+haben muessen. Zwar auf eigentlich sabellischem Gebiet, in der Sabina,
+in den Abruzzen, in Samnium, finden sich Kunstwerke so gut wie gar
+nicht und mangeln sogar die Muenzen. Diejenigen sabellischen Staemme
+dagegen, welche an die Kuesten der Tyrrhenischen oder Ionischen See
+gelangten, haben die hellenische Kunst sich nicht bloss wie die
+Etrusker aeusserlich angeeignet, sondern sie mehr oder minder
+vollstaendig bei sich akklimatisiert. Schon in Velitrae, wo wohl allein
+in der einstmaligen Landschaft der Volsker deren Sprache und
+Eigentuemlichkeit spaeterhin sich behauptet haben, haben sich bemalte
+Terrakotten gefunden von lebendiger und eigentuemlicher Behandlung. In
+Unteritalien ist Lucanien zwar in geringem Grade von der hellenischen
+Kunst ergriffen worden; aber in Kampanien wie im brettischen Lande
+haben sich Sabeller und Hellenen wie in Sprache und Nationalitaet so
+auch und vor allem in der Kunst vollstaendig durchdrungen und es stehen
+namentlich die kampanischen und brettischen Muenzen mit den
+gleichzeitigen griechischen so vollstaendig auf einer Linie der
+Kunstbehandlung, dass nur die Aufschrift sie von ihnen unterscheidet.
+Weniger bekannt, aber nicht weniger sicher ist es, dass auch Latium
+wohl an Kunstreichtum und Kunstmasse, aber nicht an Kunstsinn und
+Kunstuebung hinter Etrurien zurueckstand. Offenbar hat die um den
+Anfang des 5. Jahrhunderts erfolgte Festsetzung der Roemer in
+Kampanien, die Verwandlung der Stadt Cales in eine latinische Gemeinde,
+der falernischen Landschaft bei Capua in einen roemischen
+Buergerbezirk, zunaechst die kampanische Kunstuebung den Roemern
+aufgeschlossen. Zwar mangelt bei diesen nicht bloss die in dem ueppigen
+Etrurien fleissig gepflegte Steinschneidekunst voellig und begegnet
+nirgends eine Spur, dass die latinischen Gewerke gleich den
+etruskischen Goldschmieden und Tonarbeitern fuer das Ausland taetig
+gewesen sind. Zwar sind die latinischen Tempel nicht gleich den
+etruskischen mit Bronze- und Tonzierat ueberladen, die latinischen
+Graeber nicht gleich den etruskischen mit Goldschmuck angefuellt worden
+und schillerten die Waende jener nicht wie die der etruskischen von
+bunten Gemaelden. Aber nichtsdestoweniger stellt sich im ganzen die
+Waage nicht zum Vorteil der etruskischen Nation. Die Erfindung des
+Janusbildes, welche wie die Gottheit selbst den Latinern beigelegt
+werden darf, ist nicht ungeschickt, und originellerer Art als die
+irgendeines etruskischen Kunstwerks. Die schoene Gruppe der Woelfin mit
+den Zwillingen lehnt wohl an aehnliche griechische Erfindungen sich an,
+ist aber in dieser Ausfuehrung sicher wenn nicht in Rom, so doch von
+Roemern erfunden; und es ist bemerkenswert, dass sie zuerst auf den von
+den Roemern in und fuer Kampanien gepraegten Silbermuenzen auftritt. In
+dem oben erwaehnten Cales scheint bald nach seiner Gruendung eine
+besondere Gattung figurierten Tongeschirrs erfunden worden zu sein, das
+mit dem Namen der Meister und des Verfertigungsorts bezeichnet und in
+weitem Umfang bis nach Etrurien hinein vertrieben worden ist. Die vor
+kurzem auf dem Esquilin zum Vorschein gekommenen figurierten Altaerchen
+von gebranntem Ton entsprechen in der Darstellung wie in der Ornamentik
+genau den gleichartigen Weihgeschenken der kampanischen Tempel. Indes
+schliesst dies nicht aus, dass auch griechische Meister fuer Rom
+gearbeitet haben. Der Bildner Damophilos, der mit Gorgasos die bemalten
+Tonfiguren fuer den uralten Cerestempel verfertigt hat, scheint kein
+anderer gewesen zu sein als der Lehrer des Zeuxis, Demophilos von
+Himera (um 300 450). Am belehrendsten sind diejenigen Kunstzweige, in
+denen uns teils nach alten Zeugnissen, teils nach eigener Anschauung
+eine vergleichendes Urteil gestattet ist. Von latinischen Arbeiten in
+Stein ist kaum etwas anderes uebrig als der am Ende dieser Periode in
+dorischem Stil gearbeitete Steinsarg des roemischen Konsuls Lucius
+Scipio; aber die edle Einfachheit desselben beschaemt alle aehnlichen
+etruskischen Werke. Aus den etruskischen Graebern sind manche schoene
+Bronzen alten strengen Kunststils, namentlich Helme, Leuchter und
+dergleichen Geraetstuecke erhoben worden; aber welches dieser Werke
+reicht an die im Jahre 458 (296) am ruminalischen Feigenbaum auf dem
+roemischen Markte aus Strafgeldern aufgestellte bronzene Woelfin, noch
+heute den schoensten Schmuck des Kapitols? Und dass auch die
+latinischen Metallgiesser so wenig wie die etruskischen vor grossen
+Aufgaben zurueckschraken, beweist das von Spurius Carvilis (Konsul 461
+293) aus den eingeschmolzenen samnitischen Ruestungen errichtete
+kolossale Erzbild des Jupiter auf dem Kapitol, aus dessen Abfall beim
+Ziselieren die zu den Fuessen des Kolosses stehende Statue des Siegers
+hatte gegossen werden koennen; man sah dieses Jupiterbild bis vom
+Albanischen Berge. Unter den gegossenen Kupfermuenzen gehoeren bei
+weitem die schoensten dem suedlichen Latium an; die roemischen und
+umbrischen sind leidlich, die etruskischen fast bildlos und oft
+wahrhaft barbarisch. Die Wandmalereien, die Gaius Fabius in dem 452 302
+dedizierten Tempel der Wohlfahrt auf dem Kapitol ausfuehrte, erwarben
+in Zeichnung und Faerbung noch das Lob griechisch gebildeter
+Kunstrichter der augusteischen Epoche; und es werden von den
+Kunstenthusiasten der Kaiserzeit wohl auch die caeritischen, aber mit
+noch groesserem Nachdruck die roemischen, lanuvinischen und
+ardeatischen Fresken als Meisterwerke der Malerei gepriesen. Die
+Zeichnung auf Metall, welche in Latium nicht wie in Etrurien die
+Handspiegel, sondern die Toilettenkaestchen mit ihren zierlichen
+Umrissen schmueckte, ward in Latium in weit geringerem Umfang und fast
+nur in Praeneste geuebt; es finden sich vorzuegliche Kunstwerke unter
+den etruskischen Metallspiegeln wie unter den praenestinischen
+Kaestchen, aber es war ein Werk der letzteren Gattung, und zwar ein
+hoechst wahrscheinlich in dieser Epoche in der Werkstatt eines
+praenestinischen Meisters entstandenes Werk ^13, von dem mit Recht
+gesagt werden konnte, dass kaum ein zweites Erzeugnis der Graphik des
+Altertums so wie die ficoronische Cista den Stempel einer in Schoenheit
+und Charakteristik vollendeten und noch vollkommen reinen und ernsten
+Kunst an sich traegt.
+
+—————————————————————————-
+
+^13 Novius Plautius goss vielleicht nur die Fuesse und die
+Deckelgruppe; das Kaestchen selbst kann von einem aelteren Kuenstler
+herruehren, aber, da der Gebrauch dieser Kaestchen sich wesentlich auf
+Praeneste beschraenkt hat, kaum von einem anderen als einem
+praenestinischen.
+
+——————————————————————————
+
+Der allgemeine Stempel der etruskischen Kunstwerke ist teils eine
+gewisse barbarische Ueberschwenglichkeit im Stoff wie im Stil, teils
+der voellige Mangel innerer Entwicklung. Wo der griechische Meister
+fluechtig skizziert, verschwendet der etruskische Schueler schuelerhaft
+den Fleiss; an die Stelle des leichten Materials und der maessigen
+Verhaeltnisse griechischer Werke tritt bei den etruskischen ein
+renommistisches Hervorheben der Groesse und Kostbarkeit oder auch bloss
+der Seltsamkeit des Werkes. Die etruskische Kunst kann nicht
+nachbilden, ohne zu uebertreiben: das Strenge wird ihr hart, das
+Anmutige weichlich, das Schreckliche zum Scheusal, die Ueppigkeit zur
+Zote, und immer deutlicher tritt dies hervor, je mehr die
+urspruengliche Anregung zuruecktritt und die etruskische Kunst sich auf
+sich selber angewiesen findet. Noch auffallender ist das Festhalten an
+den hergebrachten Formen und dem hergebrachten Stil. Sei es, dass die
+anfaengliche freundlichere Beruehrung mit Etrurien hier den Hellenen
+den Samen der Kunst auszustreuen gestattete, eine spaetere Epoche der
+Feindseligkeit aber den juengeren Entwicklungsstadien der griechischen
+Kunst den Eingang in Etrurien erschwerte, sei es, was wahrscheinlicher
+ist, dass die rasch eintretende geistige Erstarrung der Nation die
+Hauptsache dabei tat: die Kunst blieb in Etrurien auf der primitiven
+Stufe, auf welcher sie bei ihrem ersten Eindringen daselbst sich
+befunden hatte, wesentlich stehen - bekanntlich ist dies die Ursache
+gewesen; weshalb die etruskische Kunst, die unentwickelt gebliebene
+Tochter der hellenischen, solange als deren Mutter gegolten hat. Mehr
+noch als das strenge Festhalten des einmal ueberlieferten Stils in den
+aelteren Kunstzweigen beweist die unverhaeltnismaessig elende
+Behandlung der spaeter aufgekommenen, namentlich der Bildhauerei in
+Stein und des Kupfergusses in der Anwendung auf Muenzen, wie rasch aus
+der etruskischen Kunst der Geist entwich. Ebenso belehrend sind die
+gemalten Gefaesse, die in den juengeren etruskischen Grabstaetten in so
+ungeheurer Anzahl sich finden. Waeren dieselben so frueh wie die mit
+Umrissen verzierten Metallplatten oder die bemalten Terrakotten bei den
+Etruskern gangbar geworden, so wuerde man ohne Zweifel auch sie in
+Menge und in wenigstens relativer Guete dort fabrizieren gelernt haben;
+aber in der Epoche, in welcher dieser Luxus emporkam, misslang die
+selbsttaetige Reproduktion vollstaendig, wie die vereinzelten mit
+etruskischen Inschriften versehenen Gefaesse beweisen, und man
+begnuegte sich darum, dieselben zu kaufen, statt sie zu formen.
+
+Aber auch innerhalb Etruriens erscheint ein weiterer bemerkenswerter
+Gegensatzinder kuenstlerischen Entwicklung der suedlichen und der
+noerdlichen Landschaft. Es ist Suedetrurien, hauptsaechlich die Bezirke
+von Caere, Tarquinii, Volci, die die gewaltigen Prunkschaetze besonders
+von Wandgemaelden, Tempeldekorationen, Goldschmuck und gemalten
+Tongefaessen bewahren; das noerdliche Etrurien steht weit dahinter
+zurueck, und es hat zum Beispiel sich kein gemaltes Grab noerdlich von
+Chiusi gefunden. Die suedlichsten etruskischen Staedte Veii, Caere,
+Tarquinii sind es, die der roemischen Tradition als die Ur- und
+Hauptsitze der etruskischen Kunst gelten; die noerdlichste Stadt
+Volaterrae, mit dem groessten Gebiet unter allen etruskischen
+Gemeinden, steht von allen auch der Kunst am fernsten. Wenn in
+Suedetrurien die griechische Halbkultur, so ist in Nordetrurien
+vielmehr die Unkultur zu Hause. Die Ursachen dieses bemerkenswerten
+Gegensatzes moegen teils in der verschiedenartigen, in Suedetrurien
+wahrscheinlich stark mit nicht etruskischen Elementen gemischten
+Nationalitaet, teils in der verschiedenen Maechtigkeit des hellenischen
+Einflusses zu suchen sein, welcher letztere namentlich in Caere sich
+sehr entschieden geltend gemacht haben muss; die Tatsache selbst ist
+nicht zu bezweifeln. Um so mehr musste die fruehe Unterjochung der
+suedlichen Haelfte Etruriens durch die Roemer und die sehr zeitig hier
+beginnende Romanisierung der etruskischen Kunst verderblich werden; was
+Nordetrurien, auf sich allein beschraenkt, kuenstlerisch zu leisten
+vermochte, zeigen die wesentlich ihm angehoerenden Kupfermuenzen.
+
+Wenden wir die Blicke von Etrurien nach Latium, so hat freilich auch
+dies keine neue Kunst geschaffen; es war einer weit spaeteren
+Kulturepoche vorbehalten, aus dem Motiv des Bogens eine neue, von der
+hellenischen Tektonik verschiedene Architektur zu entwickeln und sodann
+mit dieser harmonisch eine neue Bildnerei und Malerei zu entfalten. Die
+latinische Kunst ist nirgend originell und oft gering; aber die frisch
+empfindende und taktvoll waehlende Aneignung des fremden Gutes ist auch
+ein hohes kuenstlerisches Verdienst. Nicht leicht hat die latinische
+Kunst barbarisiert und in ihren besten Erzeugnissen steht sie voellig
+im Niveau der griechischen Technik. Eine gewisse Abhaengigkeit der
+Kunst Latiums wenigstens in ihren frueheren Stadien von der sicher
+aelteren etruskischen soll darum nicht geleugnet werden; es mag Varro
+immerhin mit Recht angenommen haben, dass bis auf die im Cerestempel
+von griechischen Kuenstlern ausgefuehrten nur “tuscanische” Tonbilder
+die roemischen Tempel verzierten; aber dass doch vor allem der
+unmittelbare Einfluss der Griechen die latinische Kunst bestimmt hat,
+ist an sich schon klar und liegt auch in eben diesen Bildwerken sowie
+in den latinischen und roemischen Muenzen deutlich zu Tage. Selbst die
+Anwendung der Metallzeichnung in Etrurien lediglich auf den
+Toilettenspiegel, in Latium lediglich auf den Toilettenkasten deutet
+auf die Verschiedenartigkeit der beiden Landschaften zuteil gewordenen
+Kunstanregung. Es scheint indes nicht gerade Rom gewesen zu sein, wo
+die latinische Kunst ihre frischesten Blueten trieb; die roemischen
+Asse und die roemischen Denare werden von den latinischen Kupfer- und
+den seltenen latinischen Silbermuenzen an Feinheit und Geschmack der
+Arbeit bei weitem uebertroffen und auch die Meisterwerke der Malerei
+und Zeichnung gehoeren vorwiegend Praeneste, Lanuvium, Ardea an. Auch
+stimmt dies vollstaendig zu dem frueher bezeichneten realistischen und
+nuechternen Sinn der roemischen Republik, welcher in dem uebrigen
+Latium sich schwerlich mit gleicher Strenge geltend gemacht haben kann.
+Aber im Lauf des fuenften Jahrhunderts und besonders in der zweiten
+Haelfte desselben regte es denn doch sich maechtig auch in der
+roemischen Kunst. Es war dies die Epoche, in welcher der spaetere
+Bogen- und Strassenbau begann, in welcher Kunstwerke wie die
+Kapitolinische Woelfin entstanden, in welcher ein angesehener Mann aus
+einem altadeligen roemischen Geschlechte den Pinsel ergriff, um einen
+neugebauten Tempel auszuschmuecken und dafuer den Ehrenbeinamen des
+“Malers” empfing. Das ist nicht Zufall. Jede grosse Zeit erfasst den
+ganzen Menschen; und wie starr die roemische Sitte, wie streng die
+roemische Polizei immer war, der Aufschwung, den die roemische
+Buergerschaft als Herrin der Halbinsel oder richtiger gesagt, den das
+zum erstenmal staatlich geeinigte Italien nahm, tritt auch in dem
+Aufschwung der latinischen und besonders der roemischen Kunst ebenso
+deutlich hervor wie in dem Sinken der etruskischen der sittliche und
+politische Verfall der Nation. Wie die gewaltige Volkskraft Latiums die
+schwaecheren Nationen bezwang, so hat sie auch dem Erz und dem Marmor
+ihren unvergaenglichen Stempel aufgedrueckt.
+
+
+
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+
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+Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
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+The Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 2 by Theodor Mommsen
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+This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
+other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
+whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
+the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
+www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
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+Title: Römische Geschichte Book 2
+
+Author: Theodor Mommsen
+
+Release Date: February, 2002 [Etext #3061]
+[Most recently updated: January 15, 2020]
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+Language: German
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+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***
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+<h1>Römische Geschichte </h1>
+
+<h4>Zweites Buch<br/>
+Von der Abschaffung des römischen Königtums bis zur Einigung Italiens
+</h4>
+
+<h2>von Theodor Mommsen</h2>
+
+<hr />
+
+<p>
+The following e-text of Mommsen&rsquo;s Roemische Geschichte contains some
+(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a
+modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek
+words, nor is there any differentiation between the different accents of
+ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.
+</p>
+
+<h2>Contents</h2>
+
+<table summary="" style="margin-left: auto; margin-right: auto">
+
+<tr>
+<td> <a href="#part02"><b>Zweites Buch&mdash;Von der Abschaffung des römischen Königtums bis zur Einigung Italiens</b></a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap01">Kapitel I. Änderung der Verfassung. Beschränkung der Magistratsgewalt.</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap02">Kapitel II. Das Volkstribunat und die Dezemvirn</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap03">Kapitel III. Die Ausgleichung der Stände und die neue Aristokratie</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap04">Kapitel IV. Sturz der etruskischen Macht. Die Kelten.</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap05">Kapitel V. Die Unterwerfung der Latiner und Kampaner unter Rom</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap06">Kapitel VI. Die Italiker gegen Rom</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap07">Kapitel VII. König Pyrrhos gegen Rom und die Einigung Italiens</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap08">Kapitel VIII. Recht, Religion, Kriegswesen, Volkswirtschaft, Nationalität</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap09">Kapitel IX. Kunst und Wissenschaft</a></td>
+</tr>
+
+</table>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="part02"></a>Zweites Buch<br/>
+Von der Abschaffung des römischen Königtums bis zur Einigung Italiens
+</h2>
+
+<p>
+&mdash; δεί ουκ εκπλήττειν τόν συγγράφεα τερατευόμενον διά τής ιστορίας τούς
+εντυγχάνοντας.
+</p>
+
+<p>
+&mdash; der Historiker soll seine Leser nicht durch Schauergeschichten in
+Erschuetterung versetzen.
+</p>
+
+<p class="right">
+Polybios
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap01"></a>KAPITEL I.<br/>
+Änderung der Verfassung. Beschränkung der Magistratsgewalt.</h2>
+
+<p>
+Der strenge Begriff der Einheit und Allgewalt der Gemeinde in allen
+Gemeindeangelegenheiten, dieser Schwerpunkt der italischen Verfassungen, legte
+in die Haende des einzigen, auf Lebenszeit ernannten Vorstehers eine furchtbare
+Gewalt, die wohl der Landesfeind empfand, aber nicht minder schwer der Buerger.
+Missbrauch und Druck konnte nicht ausbleiben, und hiervon die notwendige Folge
+waren Bestrebungen, jene Gewalt zu mindern. Aber das ist das Grossartige in
+diesen roemischen Reformversuchen und Revolutionen, dass man nie unternimmt,
+weder die Gemeinde als solche zu beschraenken noch auch nur sie entsprechender
+Organe zu berauben, dass nie die sogenannten natuerlichen Rechte des einzelnen
+gegen die Gemeinde geltend gemacht werden, sondern dass der ganze Sturm sich
+richtet gegen die Form der Gemeindevertretung. Nicht Begrenzung der Staats-,
+sondern Begrenzung der Beamtenmacht ist der Ruf der roemischen
+Fortschrittspartei von den Zeiten der Tarquinier bis auf die der Gracchen; und
+auch dabei vergisst man nie, dass das Volk nicht regieren, sondern regiert
+werden soll.
+</p>
+
+<p>
+Dieser Kampf bewegt sich innerhalb der Buergerschaft. Ihm zur Seite entwickelt
+sich eine andere Bewegung: der Ruf der Nichtbuerger um politische
+Gleichberechtigung. Dahin gehoeren die Agitationen der Plebejer, der Latiner,
+der Italiker, der Freigelassenen, welche alle, mochten sie Buerger genannt
+werden, wie die Plebejer und die Freigelassenen, oder nicht, wie die Latiner
+und die Italiker, politische Gleichheit entbehrten und begehrten.
+</p>
+
+<p>
+Ein dritter Gegensatz ist noch allgemeinerer Art: der der Vermoegenden und der
+Armen, insbesondere der aus dem Besitz gedraengten oder in demselben
+gefaehrdeten Besitzer. Die rechtlichen und politischen Verhaeltnisse Roms
+veranlassten die Entstehung zahlreicher Bauernwirtschaften teils kleiner
+Eigentuemer, die von der Gnade des Kapital-, teils kleiner Zeitpaechter, die
+von der Gnade des Grundherrn abhingen, und beraubten vielfach einzelne wie
+ganze Gemeinden des Grundbesitzes, ohne die persoenliche Freiheit anzugreifen.
+Dadurch ward das ackerbauende Proletariat schon so frueh maechtig, dass es
+wesentlich in die Schicksale der Gemeinde eingreifen konnte. Das staedtische
+Proletariat gewann erst in weit spaeterer Zeit politische Bedeutung.
+</p>
+
+<p>
+In diesen Gegensaetzen bewegte sich die innere Geschichte Roms und vermutlich
+nicht minder die uns gaenzlich verlorene der uebrigen italischen Gemeinden. Die
+politische Bewegung innerhalb der vollberechtigten Buergerschaft, der Krieg der
+Ausgeschlossenen und der Ausschliessenden, die sozialen Konflikte der
+Besitzenden und der Besitzlosen, so mannigfaltig sie sich durchkreuzen und
+ineinanderschlingen und oft seltsame Allianzen herbeifuehren, sind dennoch
+wesentlich und von Grund aus verschieden.
+</p>
+
+<p>
+Da die Servianische Reform, welche den Insassen in militaerischer Hinsicht dem
+Buerger gleichstellte, mehr aus administrativen Ruecksichten als aus einer
+politischen Parteitendenz hervorgegangen zu sein scheint, so darf als der erste
+dieser Gegensaetze, der zu inneren Krisen und Verfassungsaenderungen fuehrte,
+derjenige betrachtet werden, der auf die Beschraenkung der Magistratur
+hinarbeitet. Der frueheste Erfolg dieser aeltesten roemischen Opposition
+besteht in der Abschaffung der Lebenslaenglichkeit der Gemeindevorsteherschaft,
+das heisst in der Abschaffung des Koenigtums. Wie notwendig diese in der
+natuerlichen Entwicklung der Dinge lag, dafuer ist der schlagendste Beweis,
+dass dieselbe Verfassungsaenderung in dem ganzen Kreise der
+italisch-griechischen Welt in analoger Weise vor sich gegangen ist. Nicht bloss
+in Rom, sondern gerade ebenso bei den uebrigen Latinern sowie bei den
+Sabellern, Etruskern und Apulern, ueberhaupt in saemtlichen italischen
+Gemeinden finden wir, wie in den griechischen, in spaeterer Zeit die alten
+lebenslaenglichen durch Jahresherrscher ersetzt. Fuer den lucanischen Gau ist
+es bezeugt, dass er im Frieden sich demokratisch regierte und nur fuer den
+Krieg die Magistrate einen Koenig, das heisst einen dem roemischen Diktator
+aehnlichen Beamten bestellten; die sabellischen Stadtgemeinden, zum Beispiel
+die von Capua und Pompeii, gehorchten gleichfalls spaeterhin einem jaehrlich
+wechselnden &ldquo;Gemeindebesorger&rdquo; (medix tuticus), und aehnliche
+Institutionen moegen wir auch bei den uebrigen Volks- und Stadtgemeinden
+Italiens voraussetzen. Es bedarf hiernach keiner Erklaerung, aus welchen
+Gruenden in Rom die Konsuln an die Stelle der Koenige getreten sind; der
+Organismus der alten griechischen und italischen Politie entwickelt vielmehr
+die Beschraenkung der lebenslaenglichen Gemeindevorstandschaft auf eine
+kuerzere, meistenteils jaehrige Frist mit einer gewissen Naturnotwendigkeit aus
+sich selber. So einfach indes die Ursache dieser Veraenderung ist, so
+mannigfaltig konnten die Anlaesse sein; man mochte nach dem Tode des
+lebenslaenglichen Herrn beschliessen keinen solchen wieder zu erwaehlen, wie
+nach Romulus&rsquo; Tode der roemische Senat versucht haben soll; oder der Herr
+mochte freiwillig abdanken, was angeblich Koenig Servius Tullius beabsichtigt
+hat; oder das Volk mochte gegen einen tyrannischen Regenten aufstehen und ihn
+vertreiben, wie dies das Ende des roemischen Koenigtums war. Denn mag die
+Geschichte der Vertreibung des letzten Tarquinius, &ldquo;des
+Uebermuetigen&rdquo;, auch noch so sehr in Anekdoten ein- und zur Novelle
+ausgesponnen sein, so ist doch an den Grundzuegen nicht zu zweifeln. Dass der
+Koenig es unterliess den Senat zu befragen und zu ergaenzen, dass er
+Todesurteile und Konfiskationen ohne Zuziehung von Ratmaennern aussprach, dass
+er in seinen Speichern ungeheure Kornvorraete aufhaeufte und den Buergern
+Kriegsarbeit und Handdienste ueber die Gebuehr ansann, bezeichnet die
+Ueberlieferung in glaublicher Weise als die Ursachen der Empoerung; von der
+Erbitterung des Volkes zeugt das foermliche Geloebnis, das dasselbe Mann fuer
+Mann fuer sich und seine Nachkommen ablegte, fortan keinen Koenig mehr zu
+dulden, und der blinde Hass, der seitdem an den Namen des Koenigs sich
+anknuepfte, vor allem aber die Verfuegung, dass der &ldquo;Opferkoenig&rdquo;,
+den man kreieren zu muessen glaubte, damit nicht die Goetter den gewohnten
+Vermittler vermissten, kein weiteres Amt solle bekleiden koennen und also
+dieser zwar der erste, aber auch der ohnmaechtigste Mann im roemischen
+Gemeindewesen ward. Mit dem letzten Koenig wurde sein ganzes Geschlecht
+verbannt - ein Beweis, welche Geschlossenheit damals noch die gentilizischen
+Verbindungen hatten. Die Tarquinier siedelten darauf ueber nach Caere,
+vielleicht ihrer alten Heimat, wo ihr Geschlechtsgrab kuerzlich aufgedeckt
+worden ist. An die Stelle aber des einen lebenslaenglichen traten zwei jaehrige
+Herrscher an die Spitze der roemischen Gemeinde.
+</p>
+
+<p>
+Dies ist alles, was historisch ueber dies wichtige Ereignis als sicher
+angesehen werden kann ^1. Dass in einer grossen weitherrschenden Gemeinde, wie
+die roemische war, die koenigliche Gewalt, namentlich wenn sie durch mehrere
+Generationen bei demselben Geschlechte gewesen, widerstandsfaehiger und der
+Kampf also lebhafter war als in den kleineren Staaten, ist begreiflich; aber
+auf eine Einmischung auswaertiger Staaten in denselben deutet keine sichere
+Spur. Der grosse Krieg mit Etrurien, der uebrigens wohl nur durch
+chronologische Verwirrung in den roemischen Jahrbuechern so nahe an die
+Vertreibung der Tarquinier gerueckt ist, kann nicht als eine Intervention
+Etruriens zu Gunsten eines in Rom beeintraechtigten Landsmannes angesehen
+werden, aus dem sehr zureichenden Grunde, dass die Etrusker trotz des
+vollstaendigen Sieges doch weder das roemische Koenigtum wiederhergestellt noch
+auch nur die Tarquinier zurueckgefuehrt haben.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Die bekannte Fabel richtet groesstenteils sich selbst; zum guten Teil ist
+sie aus Beinamenerklaerung (Brutus, Poplicola, Scaevola) herausgesponnen. Aber
+sogar die scheinbar geschichtlichen Bestandteile derselben zeigen bei genauerer
+Erwaegung sich als erfunden. Dahin gehoert, dass Brutus Reiterhauptmann
+(tribunus celerum) gewesen und als solcher den Volksschluss ueber die
+Vertreibung der Tarquinier beantragt haben soll; denn es ist nach der
+roemischen Verfassung ganz unmoeglich, dass ein blosser Offizier das Recht
+gehabt habe, die Kurien zu berufen. Offenbar ist diese ganze Angabe zum Zweck
+der Herstellung eines Rechtsbodens fuer die roemische Republik ersonnen, und
+recht schlecht ersonnen, indem dabei der tribunus celerum mit dem ganz
+verschiedenen magister equitum verwechselt und dann das dem letzteren kraft
+seines praetorischen Ranges zustehende Recht, die Zenturien zu berufen, auf die
+Kurienversammlung bezogen ward.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Sind wir ueber den historischen Zusammenhang dieses wichtigen Ereignisses im
+Dunkeln, so liegt dagegen zum Glueck klar vor, worin die Verfassungsaenderung
+bestand. Die Koenigsgewalt ward keineswegs abgeschafft, wie schon das beweist,
+dass in der Vakanz nach wie vor der &ldquo;Zwischenkoenig&rdquo; eintrat; es
+traten nur an die Stelle des einen lebenslaenglichen zwei Jahreskoenige, die
+sich Feldherren (praetores) oder Richter (iudices) oder auch bloss Kollegen
+(consules) ^2 nannten. Es sind die Prinzipien der Kollegialitaet und der
+Annuitaet, die die Republik und das Koenigtum unterscheiden und die hier zuerst
+uns entgegentreten.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————
+</p>
+
+<p>
+^2 Consules sind die zusammen Springenden oder Tanzenden, wie praesul der
+Vorspringen exul der Ausspringer (ο εκπεσών), insula der Einsprung, zunaechst
+der ins Meer gefallene Felsblock.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————
+</p>
+
+<p>
+Dasjenige der Kollegialitaet, dem der dritte spaeterhin gangbarste Name der
+Jahreskoenige entlehnt war, erscheint hier in einer ganz eigentuemlichen
+Gestalt. Nicht den beiden Beamten zusammen ward die hoechste Macht uebertragen,
+sondern es hatte und uebte sie jeder Konsul fuer sich so voll und ganz, wie der
+Koenig sie gehabt und geuebt hatte. Es geht dies so weit, dass von den beiden
+Kollegen nicht etwa der eine die Rechtspflege, der andere den Heerbefehl
+uebernahm, sondern sie ebenso gleichzeitig in der Stadt Recht sprachen wie
+zusammen zum Heere abgingen; im Falle der Kollision entschied ein nach Monaten
+oder Tagen bemessener Turnus. Allerdings konnte daneben, wenigstens im
+militaerischen Oberbefehl, eine gewisse Kompetenzteilung wohl von Anfang an
+stattfinden, beispielsweise der eine Konsul gegen die Aequer, der andere gegen
+die Volsker ausruecken; aber sie hatte in keiner Weise bindende Kraft und jedem
+der Kollegen stand es rechtlich frei, in den Amtskreis des andern zu jeder Zeit
+ueberzugreifen. Wo also die hoechste Gewalt der hoechsten Gewalt entgegentrat
+und der eine Kollege das verbot, was der andere befahl, hoben die
+konsularischen Machtworte einander auf. Diese eigentuemlich wenn nicht
+roemische, so doch latinische Institution konkurrierender hoechster Gewalt, die
+im roemischen Gemeinwesen sich im ganzen genommen praktisch bewaehrt hat, zu
+der es aber schwer sein wird, in einem andern groesseren Staat eine Parallele
+zu finden, ist offenbar hervorgegangen aus dem Bestreben, die koenigliche Macht
+in rechtlich ungeschmaelerter Fuelle festzuhalten und darum das Koenigsamt
+nicht etwa zu teilen oder von einem Individuum auf ein Kollegium zu
+uebertragen, sondern lediglich es zu verdoppeln und damit, wo es noetig war, es
+durch sich selber zu vernichten.
+</p>
+
+<p>
+Fuer die Befristung gab das aeltere fuenftaegige Zwischenkoenigtum einen
+rechtlichen Anhalt. Die ordentlichen Gemeindevorsteher wurden verpflichtet,
+nicht laenger als ein Jahr, von dem Tage ihres Amtsantritts an gerechnet ^3, im
+Amte zu bleiben und hoerten, wie der Interrex mit Ablauf der fuenf Tage, so mit
+Ablauf des Jahres vor. Rechts wegen auf, Beamte zu sein. Durch diese Befristung
+des hoechsten Amtes ging die tatsaechliche Unverantwortlichkeit des Koenigs
+fuer den Konsul verloren. Zwar hatte auch der Koenig von jeher in dem
+roemischen Gemeinwesen unter, nicht ueber dem Gesetz gestanden; allein da nach
+roemischer Auffassung der hoechste Richter nicht bei sich selbst belangt werden
+durfte, hatte er wohl ein Verbrechen begehen koennen, aber ein Gericht und eine
+Strafe gab es fuer ihn nicht. Den Konsul dagegen schuetzte, wenn er Mord oder
+Landesverrat beging, sein Amt auch, aber nur, solange es waehrte; nach seinem
+Ruecktritt unterlag er dem gewoehnlichen Strafgericht wie jeder andere Buerger.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^3 Der Antrittstag fiel mit dem Jahresanfang (1. Maerz) nicht zusammen und war
+ueberhaupt nicht fest. Nach diesem richtete sich der Ruecktrittstag,
+ausgenommen, wenn ein Konsul ausdruecklich anstatt eines ausgefallenen gewaehlt
+war (consul suffectus), wo er in die Rechte und also auch in die Frist des
+Ausgefallenen eintrat. Doch sind diese Ersatzkonsuln in aelterer Zeit nur
+vorgekommen, wenn bloss der eine der Konsuln weggefallen war; Kollegien von
+Ersatzkonsuln begegnen erst in der spaeteren Republik. Regelmaessig bestand
+also das Amtsjahr eines Konsuls aus den ungleichen Haelften zweier
+buergerlicher Jahre.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Zu diesen hauptsaechlichen und prinzipiellen Aenderungen kamen andere
+untergeordnete und mehr aeusserliche, aber doch auch teilweise tief
+eingreifende Beschraenkungen hinzu. Das Recht des Koenigs, seine Aecker durch
+Buergerfronden zu bestellen, und das besondere Schutzverhaeltnis, in welchem
+die Insassenschaft zu dem Koenig gestanden haben muss, fielen mit der
+Lebenslaenglichkeit des Amtes von selber.
+</p>
+
+<p>
+Hatte ferner im Kriminalprozess sowie bei Bussen und Leibesstrafen bisher dem
+Koenig nicht bloss Untersuchung und Entscheidung der Sache zugestanden, sondern
+auch die Entscheidung darueber, ob der Verurteilte den Gnadenweg betreten
+duerfe oder nicht, so bestimmte jetzt das Valerische Gesetz (Jahr 245 Roms
+500), dass der Konsul der Provokation des Verurteilten stattgeben muesse, wenn
+auf Todes- oder Leibesstrafe nicht nach Kriegsrecht erkannt war; was durch ein
+spaeteres Gesetz (unbestimmter Zeit, aber vor dem Jahre 303 451 erlassen) auf
+schwere Vermoegensbussen ausgedehnt ward. Zum Zeichen dessen legten die
+konsularischen Liktoren, wo der Konsul als Richter, nicht als Feldherr auftrat,
+die Beile ab, die sie bisher kraft des ihrem Herrn zustehenden Blutbannes
+gefuehrt hatten. Indes drohte dem Beamten, der der Provokation nicht ihren Lauf
+liess, das Gesetz nichts anderes als die Infamie, die nach damaligen
+Verhaeltnissen im wesentlichen nichts war als ein sittlicher Makel und
+hoechstens zur Folge hatte, dass das Zeugnis des Ehrlosen nicht mehr galt. Auch
+hier liegt dieselbe Anschauung zu Grunde, dass es rechtlich unmoeglich ist, die
+alte Koenigsgewalt zu schmaelern und die infolge der Revolution dem Inhaber der
+hoechsten Gemeindegewalt gesetzten Schranken streng genommen nur einen
+tatsaechlichen und sittlichen Wert haben. Wenn also der Konsul innerhalb der
+alten koeniglichen Kompetenz handelt, so kann er damit wohl ein Unrecht, aber
+kein Verbrechen begehen und unterliegt also deswegen dem Strafrichter nicht.
+</p>
+
+<p>
+Eine in der Tendenz aehnliche Beschraenkung fand statt in der
+Zivilgerichtsbarkeit; denn wahrscheinlich wurde den Konsuln gleich mit ihrem
+Eintritt das Recht genommen, einen Rechtshandel unter Privaten nach ihrem
+Ermessen zu entscheiden.
+</p>
+
+<p>
+Die Umgestaltung des Kriminal- wie des Zivilprozesses stand in Verbindung mit
+einer allgemeinen Anordnung hinsichtlich der Uebertragung der Amtsgewalt auf
+Stellvertreter oder Nachfolger. Hatte dem Koenig die Ernennung von
+Stellvertretern unbeschraenkt frei, aber nie fuer ihn ein Zwang dazu bestanden,
+so haben die Konsuln das Recht der Gewaltuebertragung in wesentlich anderer
+Weise geuebt. Zwar die Regel, dass wenn der hoechste Beamte die Stadt verliess,
+er fuer die Rechtspflege daselbst einen Vogt zu bestellen habe, blieb auch fuer
+die Konsuln in Kraft, und nicht einmal die Kollegialitaet ward auf die
+Stellvertretung erstreckt, vielmehr diese Bestellung demjenigen Konsul
+auferlegt, welcher zuletzt die Stadt verliess. Aber das Mandierungsrecht fuer
+die Zeit, wo die Konsuln in der Stadt verweilten, wurde wahrscheinlich gleich
+bei der Einfuehrung dieses Amtes dadurch beschraenkt, dass dem Konsul das
+Mandieren fuer bestimmte Faelle vorgeschrieben, fuer alle Faelle dagegen, wo
+dies nicht geschehen war, untersagt ward. Nach diesem Grundsatz ward, wie
+gesagt, das gesamte Gerichtswesen geordnet. Der Konsul konnte allerdings die
+Kriminalgerichtsbarkeit auch im Kapitalprozess in der Weise ausueben, dass er
+seinen Spruch der Gemeinde vorlegte und diese ihn dann bestaetigte oder
+verwarf; aber er hat dies Recht, soviel wir sehen, nie geuebt, vielleicht bald
+nicht mehr ueben duerfen und vielleicht nur da ein Kriminalurteil gefaellt, wo
+aus irgendeinem Grunde die Berufung an die Gemeinde ausgeschlossen war. Man
+vermied den unmittelbaren Konflikt zwischen dem hoechsten Gemeindebeamten und
+der Gemeinde selbst und ordnete den Kriminalprozess vielmehr in der Weise, dass
+das hoechste Gemeindeamt nur der Idee nach kompetent blieb, aber immer handelte
+durch notwendige, wenn auch von ihm bestellte Vertreter. Es sind dies die
+beiden nicht staendigen Urteilsprecher fuer Empoerung und Hochverrat (duoviri
+perduellionis) und die zwei staendigen Mordspuerer, die quaestores parricidii.
+Aehnliches mag vielleicht in der Koenigszeit da vorgekommen sein, wo der Koenig
+sich in solchen Prozessen vertreten liess; aber die Staendigkeit der letzteren
+Institution und das in beiden durchgefuehrte Kollegialitaetsprinzip gehoeren
+auf jeden Fall der Republik an. Die letztere Einrichtung ist auch insofern von
+grosser Wichtigkeit geworden, als damit zum erstenmal neben die zwei staendigen
+Oberbeamten zwei Gehilfen traten, die jeder Oberbeamte bei seinem Amtsantritt
+ernannte und die folgerecht auch bei seinem Ruecktritt mit ihm abtraten, deren
+Stellung also wie das Oberamt selbst nach den Prinzipien der Staendigkeit, der
+Kollegialitaet und der Annuitaet geordnet war. Es ist das zwar noch nicht die
+niedere Magistratur selbst, wenigstens nicht in dem Sinne, den die Republik mit
+der magistratischen Stellung verbindet, insofern die Kommissarien nicht aus der
+Wahl der Gemeinde hervorgehen; wohl aber ist dies der Ausgangspunkt der spaeter
+so mannigfaltig entwickelten Institution der Unterbeamten geworden.
+</p>
+
+<p>
+In aehnlichem Sinne wurde die Entscheidung im Zivilprozess dem Oberamt
+entzogen, indem das Recht des Koenigs, einen einzelnen Prozess zur Entscheidung
+einem Stellvertreter zu uebertragen, umgewandelt ward in die Pflicht des
+Konsuls, nach Feststellung der Parteilegitimation und des Gegenstandes der
+Klage dieselbe zur Erledigung an einen von ihm auszuwaehlenden und von ihm zu
+instruierenden Privatmann zu verweisen.
+</p>
+
+<p>
+In gleicher Weise wurde den Konsuln die wichtige Verwaltung des Staatsschatzes
+und des Staatsarchivs zwar gelassen, aber doch wahrscheinlich sofort,
+mindestens sehr frueh, ihnen dabei staendige Gehilfen und zwar eben jene
+Quaestoren zugeordnet, welche ihnen freilich in dieser Taetigkeit unbedingt zu
+gehorchen hatten, ohne deren Vorwissen und Mitwirkung aber doch die Konsuln
+nicht handeln konnten. Wo dagegen solche Vorschriften nicht bestanden, musste
+der Gemeindevorstand in der Hauptstadt persoenlich eingreifen; wie denn zum
+Beispiel bei der Einleitung des Prozesses er sich unter keinen Umstaenden
+vertreten lassen kann.
+</p>
+
+<p>
+Diese zwiefache Fesselung des konsularischen Mandierungsrechts bestand fuer das
+staedtische Regiment, zunaechst fuer die Rechtspflege und die Kassenverwaltung.
+Als Oberfeldherr behielt der Konsul dagegen das Uebertragungsrecht aller oder
+einzelner ihm obliegender Geschaefte. Diese verschiedene Behandlung der
+buergerlichen und der militaerischen Gewaltuebertragung ist die Ursache
+geworden, weshalb innerhalb des eigentlichen roemischen Gemeinderegiments
+durchaus keine stellvertretende Amtsgewalt (pro magistratu) moeglich ist und
+rein staedtische Beamte nie durch Nichtbeamte ersetzt, die militaerischen
+Stellvertreter aber (pro consule, pro praetore, pro quaestore) von aller
+Taetigkeit innerhalb der eigentlichen Gemeinde ausgeschlossen werden.
+</p>
+
+<p>
+Das Recht, den Nachfolger zu ernennen, hatte der Koenig nicht gehabt, sondern
+nur der Zwischenkoenig. Der Konsul wurde in dieser Hinsicht dem letzten
+gleichgestellt; fuer den Fall jedoch, dass er es nicht ausgeuebt hatte, trat
+nach wie vor der Zwischenkoenig ein, und die notwendige Kontinuitaet des Amtes
+bestand auch in dem republikanischen Regiment ungeschmaelert fort. Indes wurde
+das Ernennungsrecht wesentlich eingeschraenkt zu Gunsten der Buergerschaft,
+indem der Konsul verpflichtet ward, fuer die von ihm bezeichneten Nachfolger
+die Zustimmung der Gemeinde zu erwirken, weiterhin nur diejenigen zu ernennen,
+die die Gemeinde ihm bezeichnete. Durch dieses bindende Vorschlagsrecht ging
+wohl in gewissem Sinne die Ernennung der ordentlichen hoechsten Beamten
+materiell auf die Gemeinde ueber; doch bestand auch praktisch noch ein sehr
+bedeutender Unterschied zwischen jenem Vorschlags- und dem foermlichen
+Ernennungsrecht. Der wahlleitende Konsul war durchaus nicht blosser
+Wahlvorstand, sondern konnte immer noch, kraft seines alten koeniglichen
+Rechts, zum Beispiel einzelne Kandidaten zurueckweisen und die auf sie
+fallenden Stimmen unbeachtet lassen, anfangs auch noch die Wahl auf eine von
+ihm entworfene Kandidatenliste beschraenken; und was noch wichtiger war, wenn
+das Konsulkollegium durch den gleich zu erwaehnenden Diktator zu ergaenzen war,
+wurde bei dieser Ergaenzung die Gemeinde nicht befragt, sondern der Konsul
+bestellte in dem Fall mit derselben Freiheit den Kollegen, wie einst der
+Zwischenkoenig den Koenig bestellt hatte.
+</p>
+
+<p>
+Die Priesterernennung, die den Koenigen zugestanden hatte, ging nicht ueber auf
+die Konsuln, sondern es trat dafuer bei den Maennerkollegien die
+Selbstergaenzung, bei den Vestalinnen und den Einzelpriestern die Ernennung
+durch das Pontifikalkollegium ein, an welches auch die Ausuebung der gleichsam
+hausherrlichen Gerichtsbarkeit der Gemeinde ueber die Priesterinnen der Vesta
+kam. Um diese fueglich nicht anders als von einem einzelnen vorzunehmenden
+Handlungen vollziehen zu koennen, setzte das Kollegium sich, vermutlich erst um
+diese Zeit, einen Vorstand, den Pontifex maximus. Diese Abtrennung der sakralen
+Obergewalt von der buergerlichen, waehrend auf den schon erwaehnten
+&ldquo;Opferkoenig&rdquo; weder die buergerliche noch die sakrale Macht des
+Koenigtums, sondern lediglich der Titel ueberging, sowie die aus dem sonstigen
+Charakter des roemischen Priestertums entschieden heraustretende, halb
+magistratische Stellung des neuen Oberpriesters ist eine der bezeichnendsten
+und folgenreichsten Eigentuemlichkeiten dieser auf Beschraenkung der
+Beamtengewalt hauptsaechlich im aristokratischen Interesse hinzielenden
+Staatsumwaelzung.
+</p>
+
+<p>
+Dass auch im aeusseren Auftreten der Konsul weit zurueckstand hinter dem mit
+Ehrfurcht und Schrecken umgebenen koeniglichen Amte, dass der Koenigsname und
+die priesterliche Weihe ihm entzogen, seinen Dienern das Beil genommen wurde,
+ist schon gesagt worden; es kommt hinzu, dass der Konsul statt des koeniglichen
+Purpurkleides nur durch den Purpursaum seines Obergewandes von dem
+gewoehnlichen Buerger sich unterschied, und dass, waehrend der Koenig
+oeffentlich vielleicht regelmaessig im Wagen erschien, der Konsul der
+allgemeinen Ordnung sich zu fuegen und gleich jedem anderen Buerger innerhalb
+der Stadt zu Fuss zu gehen gehalten war.
+</p>
+
+<p>
+Indes, diese Beschraenkungen der Amtsgewalt kamen im wesentlichen nur zur
+Anwendung gegen den ordentlichen Gemeindevorstand. Ausserordentlicher Weise
+trat neben und in gewissem Sinn anstatt der beiden von der Gemeinde gewaehlten
+Vorsteher ein einziger ein, der Heermeister (magister populi), gewoehnlich
+bezeichnet als der dictator. Auf die Wahl zum Diktator uebte die Gemeinde
+keinerlei Einfluss, sondern sie ging lediglich aus dem freien Entschluss eines
+der zeitigen Konsuln hervor, den weder der Kollege noch eine andere Behoerde
+hieran hindern konnte; gegen ihn galt die Provokation nur wie gegen den Koenig,
+wenn er freiwillig ihr wich; sowie er ernannt war, waren alle uebrigen Beamten
+von Rechts wegen ihm untertan. Dagegen war der Zeit nach die Amtsdauer des
+Diktators zwiefach begrenzt: einmal insofern er als Amtsgenosse derjenigen
+Konsuln, deren einer ihn ernannt hatte, nicht ueber deren gesetzliche Amtszeit
+hinaus im Amte bleiben durfte; sodann war als absolutes Maximum der Amtsdauer
+dem Diktator eine sechsmonatliche Frist gesetzt. Eine der Diktatur
+eigentuemliche Einrichtung war ferner, dass der &ldquo;Heermeister&rdquo;
+gehalten war, sich sofort einen &ldquo;Reitermeister&rdquo; (magister equitum)
+zu ernennen, welcher als abhaengiger Gehilfe neben ihm, etwa wie der Quaestor
+neben dem Konsul, fungierte und mit ihm vom Amte abtrat - eine Einrichtung, die
+ohne Zweifel damit zusammenhaengt, dass es dem Heermeister, vermutlich als dem
+Fuehrer des Fussvolkes, verfassungsmaessig untersagt war, zu Pferde zu steigen.
+Diesen Bestimmungen zufolge ist die Diktatur wohl aufzufassen als eine mit dem
+Konsulat zugleich entstandene Einrichtung, die den Zweck hatte, insbesondere
+fuer den Kriegsfall die Nachteile der geteilten Gewalt zeitweilig zu beseitigen
+und die koenigliche Gewalt voruebergehend wieder ins Leben zu rufen. Denn im
+Kriege vor allem musste die Gleichberechtigung der Konsuln bedenklich
+erscheinen und nicht bloss bestimmte Zeugnisse, sondern vor allem die aelteste
+Benennung des Beamten selbst und seines Gehilfen wie auch die Begrenzung auf
+die Dauer eines Sommerfeldzugs und der Ausschluss der Provokation sprechen fuer
+die ueberwiegend militaerische Bestimmung der urspruenglichen Diktatur.
+</p>
+
+<p>
+Im ganzen also blieben auch die Konsuln, was die Koenige gewesen waren, oberste
+Verwalter, Richter und Feldherren, und auch in religioeser Hinsicht war es
+nicht der Opferkoenig, der nur, damit der Name vorhanden sei, ernannt ward,
+sondern der Konsul, der fuer die Gemeinde betete und opferte und in ihrem Namen
+den Willen der Goetter mit Hilfe der Sachverstaendigen erforschte. Fuer den
+Notfall hielt man sich ueberdies die Moeglichkeit offen, die volle
+unumschraenkte Koenigsgewalt ohne vorherige Befragung der Gemeinde jeden
+Augenblick wieder ins Leben zu rufen mit Beseitigung der durch die
+Kollegialitaet und durch die besonderen Kompetenzminderungen gezogenen
+Schranken. So wurde die Aufgabe, die koenigliche Autoritaet rechtlich
+festzuhalten und tatsaechlich zu beschraenken, von den namenlosen
+Staatsmaennern, deren Werk diese Revolution war, in echt roemischer Weise
+ebenso scharf wie einfach geloest.
+</p>
+
+<p>
+Die Gemeinde gewann also durch die Aenderung der Verfassung die wichtigsten
+Rechte: das Recht, die Gemeindevorsteher jaehrlich zu bezeichnen und ueber Tod
+und Leben des Buergers in letzter Instanz zu entscheiden. Aber es konnte das
+unmoeglich die bisherige Gemeinde sein, der tatsaechlich zum Adelstande
+gewordene Patriziat. Die Kraft des Volkes war bei der &ldquo;Menge&rdquo;,
+welche namhafte und vermoegende Leute bereits in grosser Zahl in sich schloss.
+Dass diese Menge aus der Gemeindeversammlung ausgeschlossen war, obwohl sie die
+gemeinen Lasten mittrug, mochte ertragen werden, solange die
+Gemeindeversammlung selbst im wesentlichen nicht eingriff in den Gang der
+Staatsmaschine und solange die Koenigsgewalt eben durch ihre hohe und freie
+Stellung den Buergern nicht viel weniger fuerchterlich blieb als den Insassen
+und damit in der Nation die Rechtsgleichheit erhielt. Allein als die Gemeinde
+selbst zu regelmaessigen Wahlen und Entscheidungen berufen, der Vorsteher aber
+faktisch aus ihrem Herrn zum befristeten Auftragnehmer herabgedrueckt ward,
+konnte dies Verhaeltnis nicht laenger aufrecht erhalten werden; am wenigsten
+bei der Neugestaltung des Staates an dem Morgen einer Revolution, die nur durch
+Zusammenwirken der Patrizier und der Insassen hatte durchgesetzt werden
+koennen. Eine Erweiterung dieser Gemeinde war unvermeidlich; und sie ist in der
+umfassendsten Weise erfolgt, indem das gesamte Plebejat, das heisst saemtliche
+Nichtbuerger, die weder Sklaven noch nach Gastrecht lebende Buerger
+auswaertiger Gemeinden waren, in die Buergerschaft aufgenommen wurden. Der
+Kurienversammlung der Altbuerger, die bis dahin rechtlich und tatsaechlich die
+erste Autoritaet im Staate gewesen war, wurden ihre verfassungsmaessigen
+Befugnisse fast gaenzlich entzogen: nur in rein formellen oder in den die
+Geschlechtsverhaeltnisse betreffenden Akten, also hinsichtlich des dem Konsul
+oder dem Diktator nach Antritt ihres Amtes eben wie frueher dem Koenig zu
+leistenden Treugeloebnisses und des fuer die Arrogation und das Testament
+erforderlichen gesetzlichen Dispenses, sollte die Kurienversammlung die
+bisherige Kompetenz behalten, aber in Zukunft keinen eigentlichen politischen
+Schluss mehr vollziehen duerfen. Bald wurden sogar die Plebejer zum Stimmrecht
+auch in den Kurien zugelassen, und es verlor damit die Altbuergerschaft das
+Recht ueberhaupt, zusammenzutreten und zu beschliessen. Die Kurienordnung wurde
+insofern gleichsam entwurzelt, als sie auf der Geschlechterordnung beruhte,
+diese aber in ihrer Reinheit ausschliesslich bei dem Altbuergertum zu finden
+war. Indern die Plebejer in die Kurien aufgenommen wurden, gestattete man
+allerdings auch ihnen rechtlich, was frueher nur faktisch bei ihnen vorgekommen
+sein kann, sich als Familien und Geschlechter zu konstituieren, aber es ist
+bestimmt ueberliefert und auch an sich sehr begreiflich, dass nur ein Teil der
+Plebejer zur gentilizischen Konstituierung vorschritt und also die neue
+Kurienversammlung im Widerspruch mit ihrem urspruenglichen Wesen zahlreiche
+Mitglieder zaehlte, die keinem Geschlecht angehoerten.
+</p>
+
+<p>
+Alle politischen Befugnisse der Gemeindeversammlung, sowohl die Entscheidung
+auf Provokation in dem Kriminalverfahren, das ja ueberwiegend politischer
+Prozess war, als die Ernennung der Magistrate und die Annahme oder Verwerfung
+der Gesetze, wurden auf das versammelte Aufgebot der Waffenpflichtigen
+uebertragen oder ihm neu erworben, so dass die Zenturien zu den gemeinen Lasten
+jetzt auch die gemeinen Rechte empfingen. Damit gelangten die in der
+Servianischen Verfassung gegebenen geringen Anfaenge, wie namentlich das dem
+Heer ueberwiesene Zustimmungsrecht bei der Erklaerung eines Angriffskrieges, zu
+einer solchen Entwicklung, dass die Kurien durch die Zenturienversammlung
+voellig und auf immer verdunkelt wurden und man sich gewoehnte, das souveraene
+Volk in der letzteren zu erblicken. Debatte fand auch in dieser bloss dann
+statt, wenn der vorsitzende Beamte freiwillig selbst sprach oder andere
+sprechen hiess, nur dass bei der Provokation natuerlich beide Teile gehoert
+werden mussten; die einfache Majoritaet der Zenturien entschied.
+</p>
+
+<p>
+Da in der Kurienversammlung die ueberhaupt Stimmberechtigten sich voellig
+gleichstanden, also nach Aufnahme der saemtlichen Plebejer in die Kurien man
+bei der ausgebildeten Demokratie angelangt sein wuerde, so ist es begreiflich,
+dass die politischen Abstimmungen den Kurien entzogen blieben; die
+Zenturienversammlung legte das Schwergewicht zwar nicht in die Haende der
+Adligen, aber doch in die der Vermoegenden, und das wichtige Vorstimmrecht,
+welches oft tatsaechlich entschied, in die der Ritter, das ist der Reichen.
+</p>
+
+<p>
+Nicht in gleicher Weise wie die Gemeinde wurde der Senat durch die Reform der
+Verfassung betroffen. Das bisherige Kollegium der Aeltesten blieb nicht bloss
+ausschliesslich patrizisch, sondern behauptete auch seine wesentlichen
+Befugnisse, das Recht, den Zwischenkoenig zu stellen und die von der Gemeinde
+gefassten Beschluesse als verfassungsmaessige oder verfassungswidrige zu
+bestaetigen oder zu verwerfen. Ja, diese Befugnisse wurden durch die Reform der
+Verfassung noch gesteigert, indem fortan auch die Bestellung der
+Gemeindebeamten wie der Wahl der Gemeinde, so der Bestaetigung oder Verwerfung
+des patrizischen Senats unterlag - nur bei der Provokation ist seine
+Bestaetigung, soviel wir wissen, niemals eingeholt worden, da es sich hier um
+Begnadigung des Schuldigen handelte, und wenn diese von der souveraenen
+Volksversammlung erteilt war, von einer etwaigen Vernichtung dieses Aktes nicht
+fueglich die Rede sein konnte.
+</p>
+
+<p>
+Indes wenngleich durch die Abschaffung des Koenigtums die verfassungsmaessigen
+Rechte des patrizischen Senats eher gemehrt als gemindert wurden, so kam doch
+auch, und zwar der Ueberlieferung zufolge sogleich mit der Abschaffung des
+Koenigtums, fuer diejenigen Angelegenheiten, die im Senat sonst zur Sprache
+kamen und die eine freiere Behandlung zuliessen, eine Erweiterung des Senats
+auf, die auch Plebejer in denselben brachte, und die in ihren Folgen eine
+vollstaendige Umgestaltung der gesamten Koerperschaft herbeigefuehrt hat. Seit
+aeltester Zeit hat der Senat nicht allein und nicht vorzugsweise, aber doch
+auch als Staatsrat fungiert; und wenn es wahrscheinlich schon in der
+Koenigszeit nicht als verfassungswidrig angesehen ward, dass in diesem Fall
+auch Nichtsenatoren an der Versammlung teilnahmen, so wurde jetzt die
+Einrichtung getroffen, dass fuer dergleichen Verhandlungen dem patrizischen
+Senat (Patres) eine Anzahl nicht patrizischer &ldquo;Eingeschriebener&rdquo;
+(conscripti) beigegeben wurden. Eine Gleichstellung war dies freilich in keiner
+Weise: die Plebejer im Senat wurden nicht Senatoren, sondern blieben Mitglieder
+des Ritterstandes, hiessen nicht &ldquo;Vaeter&rdquo;, sondern waren nun auch
+&ldquo;Eingeschriebenen und hatten kein Recht, auf das Abzeichen der
+senatorischen Wuerde, den roten Schuh. Sie blieben ferner nicht bloss unbedingt
+ausgeschlossen von der Ausuebung der dem Senat zustehenden obrigkeitlichen
+Befugnisse (auctoritas), sondern sie mussten auch da, wo es sich bloss um einen
+Ratschlag (consilium) handelte, es sich gefallen lassen, der an die Patrizier
+gerichteten Umfrage schweigend beizuwohnen und nur bei dem Auseinandertreten
+zur Abmehrung ihre Meinung zu erkennen zu geben, &ldquo;mit den Fuessen zu
+stimmen&rdquo; (pedibus in sententiam ire, pedarii), wie der stolze Adel sagte.
+Aber dennoch fanden die Plebejer durch die neue Verfassung ihren Weg nicht
+bloss auf den Markt, sondern auch in das Rathaus, und der erste und schwerste
+Schritt zur Gleichberechtigung war auch hier getan.
+</p>
+
+<p>
+Im uebrigen aenderte sich in den den Senat betreffenden Ordnungen nichts
+Wesentliches. Unter den patrizischen Mitgliedern machte sich bald, namentlich
+bei der Umfrage, ein Rangunterschied dahin geltend, dass diejenigen, welche zu
+dem hoechsten Gemeindeamt demnaechst bezeichnet waren oder dasselbe bereits
+verwaltet hatten, vor den uebrigen in der Liste verzeichnet und bei der
+Abstimmung gefragt wurden, und die Stellung des ersten von ihnen, des Vormanns
+des Rates (princeps senatus), wurde bald ein vielbeneideter Ehrenplatz. Der
+fungierende Konsul dagegen galt als Mitglied des Senats so wenig wie der Koenig
+und seine eigene Stimme zaehlte darum nicht mit. Die Wahlen in den Rat, sowohl
+in den engeren patrizischen wie unter die bloss Eingeschriebenen, erfolgten
+durch die Konsuln eben wie frueher durch die Koenige; nur liegt es in der
+Sache, dass, wenn der Koenig vielleicht auf die Vertretung der einzelnen
+Geschlechter im Rat noch einigermassen Ruecksicht genommen hatte, den Plebejern
+gegenueber, bei denen die Geschlechterordnung nur unvollkommen entwickelt war,
+diese Erwaegung gaenzlich wegfiel und somit ueberhaupt die Beziehung des Senats
+zu der Geschlechterordnung mehr und mehr in Abnahme kam. Von einer
+Beschraenkung der waehlenden Konsuln in der Weise, dass sie nicht ueber eine
+bestimmte Zahl von Plebejern in den Senat haetten aufnehmen duerfen, ist nichts
+bekannt; es bedurfte einer solchen Ordnung auch nicht, da die Konsuln ja selbst
+dem Adel angehoerten. Dagegen ist wahrscheinlich von Haus aus der Konsul seiner
+ganzen Stellung gemaess bei der Bestellung der Senatoren tatsaechlich weit
+weniger frei und weit mehr durch Standesmeinung und Observanz gebunden gewesen
+als der Koenig. Namentlich die Regel, dass die Bekleidung des Konsulats
+notwendig den Eintritt in den Senat auf Lebenszeit herbeifuehre, wenn, was in
+dieser Zeit wohl noch vorkam, der Konsul zur Zeit seiner Erwaehlung noch nicht
+Mitglied desselben war, wird sich wohl sehr frueh gewohnheitsrechtlich
+festgestellt haben. Ebenso scheint es frueh ueblich geworden zu sein, die
+Senatorenstellen nicht sofort nach der Erledigung wieder zu besetzen, sondern
+bei Gelegenheit der Schatzung, also regelmaessig jedes vierte Jahr, die Liste
+des Senats zu revidieren und zu ergaenzen; worin doch auch eine nicht
+unwichtige Beschraenkung der mit der Auswahl betrauten Behoerde enthalten war.
+Die Gesamtzahl der Senatoren blieb wie sie war, und zwar wurden auch die
+Eingeschriebenen in dieselbe eingerechnet; woraus man wohl auch auf das
+numerische Zusammenschwinden des Patriziats zu schliessen berechtigt ist ^4.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^4 Dass die ersten Konsuln 164 Plebejer in den Senat nahmen, ist kaum als
+geschichtliche Tatsache zu betrachten, sondern eher ein Zeugnis dafuer, dass
+die spaeteren roemischen Archaeologen nicht mehr als 136 roemische
+Adelsgeschlechter nachzuweisen vermochten (Roemische Forschungen, Bd. 1, S.
+121).
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Es blieb, wie man sieht, in dem roemischen Gemeinwesen selbst bei Umwandlung
+der Monarchie in die Republik soweit immer moeglich beim alten; soweit eine
+Staatsumwaelzung ueberhaupt konservativ sein kann, ist diese es gewesen und
+keines der konstitutiven Elemente des Gemeinwesens durch sie eigentlich ueber
+den Haufen geworfen worden. Es war das bezeichnend fuer den Charakter der
+gesamten Bewegung. Die Vertreibung der Tarquinier war nicht, wie die
+klaeglichen, tief verfaelschten Berichte sie darstellen, das Werk eines von
+Mitleid und Freiheitsenthusiasmus berauschten Volkes, sondern das Werk zweier
+grosser, bereits im Ringen begriffener und der stetigen Fortdauer ihres Kampfes
+klar sich bewusster politischer Parteien, der Altbuerger und der Insassen,
+welche, wie die englischen Tories und die Whigs im Jahre 1688, durch die
+gemeinsame Gefahr das Gemeinwesen in die Willkuerregierung eines Herrn sich
+umwandeln zu sehen, auf einen Augenblick vereinigt wurden, um dann sofort
+wieder sich zu entzweien. Die Altbuergerschaft konnte ohne die Neubuerger des
+Koenigtums sich nicht entledigen; aber die Neubuerger waren bei weitem nicht
+maechtig genug, um jener mit einem Schlag das Heft aus den Haenden zu winden.
+Solche Transaktionen beschraenken sich notwendigerweise auf das geringste Mass
+gegenseitiger, durch muehsames Abdingen gewonnener Konzessionen und lassen die
+Zukunft entscheiden, wie das Schwergewicht der konstitutiven Elemente weiter
+sich stellen, wie sie ineinandergreifen oder einander entgegenwirken werden.
+Darum verkennt man die Tragweite der ersten roemischen Revolution durchaus,
+wenn man in ihr bloss die unmittelbaren Neuerungen, etwa bloss eine
+Veraenderung in der Dauer der hoechsten Magistratur sieht; die mittelbaren
+Folgen waren auch hier bei weitem die Hauptsache und wohl gewaltiger, als
+selbst ihre Urheber sie ahnten.
+</p>
+
+<p>
+Dies war die Zeit, wo, um es mit einem Worte zu sagen, die roemische
+Buergerschaft im spaeteren Sinne des Wortes entstand. Die Plebejer waren bisher
+Insassen gewesen, welche man wohl zu den Steuern und Lasten mit heranzog, die
+aber dennoch in den Augen des Gesetzes wesentlich nichts waren als geduldete
+Fremdlinge und deren Kreis gegen die eigentlichen Auslaender scharf abzustecken
+kaum noetig scheinen mochte. Jetzt wurden sie als wehrpflichtige Buerger in die
+Listen eingeschrieben; und wenn sie auch der Rechtsgleichheit noch fern
+standen, immer noch die Altbuerger zu den dem Rat der Alten verfassungsmaessig
+zustehenden Autoritaetshandlungen ausschliesslich befugt und zu den
+buergerlichen Aemtern und Priestertuemern ausschliesslich waehlbar, ja sogar
+der buergerlichen Nutzungen, zum Beispiel des Anteils an der Gemeinweide,
+vorzugsweise teilhaft blieben, so war doch der erste und schwerste Schritt zur
+voelligen Ausgleichung geschehen, seit die Plebejer nicht bloss im
+Gemeindeaufgebot dienten, sondern auch in der Gemeindeversammlung und im
+Gemeinderat bei dessen gutachtlicher Befragung stimmten und Haupt und Ruecken
+auch des aermsten Insassen so gut wie des vornehmsten Altbuergers geschuetzt
+ward durch das Provokationsrecht.
+</p>
+
+<p>
+Eine Folge dieser Verschmelzung der Patrizier und Plebejer zu der neuen
+gemeinen roemischen Buergerschaft war die Umwandlung der Altbuergerschaft in
+einen Geschlechtsadel, welcher, seit die Adelschaft auch das Recht verlor, in
+gemeiner Versammlung zu beschliessen, da die Aufnahme neuer Familien in den
+Adel durch Gemeindebeschluss noch weniger zulaessig erschien, jeder, sogar der
+Selbstergaenzung unfaehig war. Unter den Koenigen war dergleichen
+Abgeschlossenheit dem roemischen Adel fremd und die Aufnahme neuer Geschlechter
+nicht allzu selten gewesen; jetzt stellte dieses rechte Kennzeichnen des
+Junkertums sich ein als der sichere Vorbote des bevorstehenden Verlustes seiner
+politischen Vorrechte und seiner ausschliesslichen Geltung in der Gemeinde. Die
+Ausschliessung der Plebejer von allen Gemeindeaemtern und
+Gemeindepriestertuemern, waehrend sie doch zu Offiziers- und Ratsherrenstellen
+zugelassen wurden, und die mit verkehrter Hartnaeckigkeit festgehaltene
+rechtliche Unmoeglichkeit einer Ehe zwischen Altbuergern und Plebejern
+drueckten weiter dem Patriziat von vornherein den Stempel des exklusiven und
+widersinnig privilegierten Adeltums auf.
+</p>
+
+<p>
+Eine zweite Folge der neuen buergerlichen Einigung muss die festere Regulierung
+des Niederlassungsrechts sowohl den latinischen Eidgenossen als anderen Staaten
+gegenueber gewesen sein. Weniger des Stimmrechts in den Zenturien wegen, das ja
+doch nur dem Ansaessigen zukam, als wegen des Provokationsrechts, das dem
+Plebejer, aber nicht dem eine Zeitlang oder auch dauernd in Rom verweilenden
+Auslaender gewaehrt werden sollte, wurde es notwendig, die Bedingungen der
+Erwerbung des plebejischen Rechts genauer zu formulieren und die erweiterte
+Buergerschaft wiederum gegen die jetzigen Nichtbuerger abzuschliessen. Also
+geht auf diese Epoche im Sinne und Geiste des Volkes sowohl die Gehaessigkeit
+des Gegensatzes zwischen Patriziern und Plebejern zurueck wie die scharfe und
+stolze Abgrenzung der cives Romani gegen die Fremdlinge. Aber jener staedtische
+Gegensatz war voruebergehender, dieser politische dauernder Art und das Gefuehl
+der staatlichen Einheit und der beginnenden Grossmacht, das hiermit in die
+Herzen der Nation gepflanzt ward, expansiv genug, um jene kleinlichen
+Unterschiede erst zu untergraben und sodann im allmaechtigen Strom mit sich
+fortzureissen.
+</p>
+
+<p>
+Dies war ferner die Zeit, wo Gesetz und Verordnung sich schieden. Begruendet
+zwar ist der Gegensatz in dem innersten Wesen des roemischen Staates; denn auch
+die roemische Koenigsgewalt stand unter, nicht ueber dem Landrecht. Allein die
+tiefe und praktische Ehrfurcht, welche die Roemer wie jedes andere politisch
+faehige Volk vor dem Prinzip der Autoritaet hegten, erzeugte den merkwuerdigen
+Satz des roemischen Staats- und Privatrechts, dass jeder nicht auf ein Gesetz
+gegruendete Befehl des Beamten wenigstens waehrend der Dauer seines Amtes
+gelte, obwohl er mit diesem wegfiel. Es ist einleuchtend, dass hierbei, solange
+die Vorsteher auf Lebenszeit ernannt wurden, der Unterschied zwischen Gesetz
+und Verordnung tatsaechlich fast verschwinden musste und die legislative
+Taetigkeit der Gemeindeversammlung keine Entwicklung gewinnen konnte. Umgekehrt
+erhielt sie einen weiten Spielraum, seit die Vorsteher jaehrlich wechselten,
+und es war jetzt keineswegs ohne praktische Bedeutung, dass, wenn der Konsul
+bei der Entscheidung eines Prozesses eine rechtliche Nullitaet beging, sein
+Nachfolger eine neue Instruktion der Sache anordnen konnte.
+</p>
+
+<p>
+Dies war endlich die Zeit, wo die buergerliche und die militaerische Gewalt
+sich voneinander sonderten. Dort herrscht das Gesetz, hier das Beil; dort waren
+die konstitutionellen Beschraenkungen der Provokation und der regulierten
+Mandierung massgebend ^5, hier schaltete der Feldherr unumschraenkt wie der
+Koenig. Es stellte sich fest, dass der Feldherr und das Heer als solche die
+eigentliche Stadt regelmaessig nicht betreten durften. Dass organische und auf
+die Dauer wirksame Bestimmungen nur unter der Herrschaft der buergerlichen
+Gewalt getroffen werden konnte, lag nicht im Buchstaben, aber im Geiste der
+Verfassung; es kam freilich vor, dass gelegentlich diesem zuwider der Feldherr
+seine Mannschaft im Lager zur Buergerversammlung berief und rechtlich nichtig
+war ein solcher Beschluss nicht, allein die Sitte missbilligte dieses Verfahren
+und es unterblieb bald, als waere es verboten. Der Gegensatz der Quiriten und
+der Soldaten wurzelte allmaehlich fest und fester in den Gemuetern der Buerger.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^5 Es mag nicht ueberfluessig sein zu bemerken, dass auch das iudicium
+legitimum wie das quod imperio continetur auf dem Imperium des instruierenden
+Beamten beruht und der Unterschied nur darin besteht, dass das Imperium dort
+von der Lex beschraenkt, hier aber frei ist.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Indes, um diese Folgesaetze des neuen Republikanismus zu entwickeln, bedurfte
+es der Zeit; wie lebendig die Nachwelt sie empfand, der Mitwelt mochte die
+Revolution zunaechst in einem andern Lichte erscheinen. Wohl gewannen die
+Nichtbuerger dadurch das Buergerrecht und gewann die neue Buergerschaft in der
+Gemeindeversammlung weitgreifende Befugnisse; aber das Verwerfungsrecht des
+patrizischen Senats, der gleichsam wie ein Oberhaus jenen Komitien in fester
+Geschlossenheit gegenueberstand, hob rechtlich die freie Bewegung derselben
+gerade in den entscheidendsten Dingen auf und war tatsaechlich zwar nicht
+imstande, den ernstlichen Willen der Gesamtheit zu brechen, aber doch, ihn zu
+verzoegern und zu verkuemmern. Schien die Adelschaft, indem sie es aufgab,
+allein die Gemeinde zu sein, nicht allzuviel verloren zu haben, so hatte sie in
+anderen Beziehungen entschieden gewonnen. Der Koenig war freilich Patrizier wie
+der Konsul, und das Recht der Senatorenernennung steht diesem wie jenem zu;
+aber wenn jenen seine Ausnahmestellung ueber Patrizier nicht minder wie ueber
+Plebejer hinausrueckte und wenn er leicht in den Fall kommen konnte, eben gegen
+den Adel sich auf die Menge stuetzen zu muessen, so stand der Konsul, Herrscher
+auf kurze Frist, vorher und nachher aber nichts als einer aus dem Adel, und dem
+adligen Mitbuerger, welchem er heute befahl, morgen gehorchend, keineswegs
+ausserhalb seines Standes und musste der Adlige in ihm weit maechtiger sein als
+der Beamte. Wenn ja dennoch einmal ausnahmsweise ein der Adelsherrschaft
+abgeneigter Patrizier ans Regiment gerufen ward, so ward seine Amtsgewalt teils
+durch die vom schroffen Adelsgeiste durchdrungenen Priesterschaften, teils
+durch den Kollegen gelaehmt und leicht durch die Diktatur suspendiert; und was
+noch wichtiger war, es fehlte ihm das erste Element der politischen Macht, die
+Zeit. Der Vorsteher eines Gemeinwesens, welche Machtfuelle immer ihm
+eingeraeumt werden moege, wird die politische Gewalt nie in die Haende
+bekommen, wenn er nicht auf laengere Zeit an der Spitze der Geschaefte bleibt;
+denn die notwendige Bedingung jeder Herrschaft ist ihre Dauer. Folgeweise
+gewann der lebenslaengliche Gemeinderat, und zwar hauptsaechlich durch seine
+Befugnis, den Beamten in allen Stuecken zu beraten, also nicht der engere
+patrizische, sondern der weitere patrizisch-plebejische, den Jahresherrschern
+gegenueber unvermeidlich einen solchen Einfluss, dass die rechtlichen
+Verhaeltnisse sich geradezu umkehrten, der Gemeinderat wesentlich die
+Regierungsgewalt an sich nahm und der bisherige Regent herabsank zu dessen
+vorsitzendem und ausfuehrendem Praesidenten. Fuer den der Gemeinde zur Annahme
+oder Verwerfung vorzulegenden Antrag erschien die Vorberatung im Gesamtsenat
+und dessen Billigung zwar nicht als konstitutionell notwendig, aber als
+gewohnheitsmaessig geheiligt, und nicht leicht und nicht gern ging man darueber
+hinweg. Fuer wichtige Staatsvertraege, fuer die Verwaltung und Austeilung des
+Gemeindelandes, ueberhaupt fuer jeden Akt, dessen Folgen sich ueber das
+Amtsjahr erstreckten, galt dasselbe, und dem Konsul blieb nichts als die
+Erledigung der laufenden Geschaefte, die Einleitung der Zivilprozesse und das
+Kommando im Kriege. Vor allem folgenreich war die Neuerung, dass es weder dem
+Konsul noch selbst dem sonst unbeschraenkten Diktator gestattet war, den
+gemeinen Schatz anders als mit und durch den Willen des Rates anzugreifen.
+Indem der Senat es den Konsuln zur Pflicht machte, die Verwaltung der
+Gemeindekasse, die der Koenig selbst gefuehrt hatte oder doch hatte fuehren
+koennen, an zwei staendige Unterbeamte abzugeben, welche zwar von den Konsuln
+ernannt wurden und ihnen zu gehorchen hatten, aber begreiflicherweise noch weit
+mehr als die Konsuln selbst vom Senat abhingen, zog er die Leitung des
+Kassenwesens an sich, und es kann dieses Geldbewilligungsrecht des roemischen
+Senats wohl in seinen Wirkungen mit dem Steuerbewilligungsrecht in den heutigen
+konstitutionellen Monarchien zusammengestellt werden.
+</p>
+
+<p>
+Die Folgen ergeben sich von selbst. Die erste und wesentlichste Bedingung jeder
+Adelsherrschaft ist, dass die Machtfuelle im Staat nicht einem Individuum,
+sondern einer Korporation zusteht; jetzt hatte eine ueberwiegend adlige
+Korporation, der Gemeinderat, das Regiment an sich gebracht und war dabei die
+exekutive Gewalt nicht bloss dem Adel geblieben, sondern auch der regierenden
+Korporation voellig unterworfen worden. Zwar sassen im Rat eine betraechtliche
+Anzahl nichtadliger Maenner; aber da sie der Bekleidung von Aemtern, ja sogar
+der Teilnahme an der Debatte unfaehig, also von jedem praktischen Anteil am
+Regiment ausgeschlossen waren, spielten sie notwendigerweise auch im Senat eine
+untergeordnete Rolle und wurden ueberdies durch das oekonomisch wichtige
+Nutzungsrecht der Gemeinweide in pekuniaerer Abhaengigkeit von der Korporation
+gehalten. Das allmaehlich sich bildende Recht der patrizischen Konsuln,
+wenigstens jedes vierte Jahr die Ratsherrenliste zu revidieren und zu
+modifizieren, so nichtig es vermutlich der Adelschaft gegenueber war, konnte
+doch sehr wohl in ihrem Interesse gebraucht und der missliebige Plebejer
+mittels desselben aus dem Senat ferngehalten und sogar wieder ausgeschieden
+werden.
+</p>
+
+<p>
+Es ist darum durchaus wahr, dass die unmittelbare Folge der Revolution die
+Feststellung der Adelsherrschaft gewesen ist; nur ist es nicht die ganze
+Wahrheit. Wenn die Mehrzahl der Mitlebenden meinen mochte, dass die Revolution
+den Plebejern nur eine starrere Despotie gebracht habe, so sehen wir Spaeteren
+in dieser selbst schon die Knospen der jungen Freiheit. Was die Patrizier
+gewannen, ging nicht der Gemeinde verloren, sondern der Beamtengewalt; die
+Gemeinde gewann zwar nur wenige engbeschraenkte Rechte, welche weit minder
+praktisch und handgreiflich waren als die Errungenschaften des Adels, und
+welche nicht einer von Tausend zu schaetzen wissen mochte, aber in ihnen lag
+die Buergschaft der Zukunft. Bisher war politisch die Insassenschaft nichts,
+die Altbuergerschaft alles gewesen; indem jetzt jene zur Gemeinde ward, war die
+Altbuergerschaft ueberwunden; denn wieviel auch noch zu der vollen
+buergerlichen Gleichheit mangeln mochte, es ist die erste Bresche, nicht die
+Besetzung des letzten Postens, die den Fall der Festung entscheidet. Darum
+datierte die roemische Gemeinde mit Recht ihre politische Existenz von dem
+Beginn des Konsulats.
+</p>
+
+<p>
+Indes, wenn die republikanische Revolution trotz der durch sie zunaechst
+begruendeten Junkerherrschaft mit Recht ein Sieg der bisherigen Insassenschaft
+oder der Plebs genannt werden kann, so trug doch auch in der letzteren
+Beziehung die Revolution keineswegs den Charakter, den wir heutzutage als den
+demokratischen zu bezeichnen gewohnt sind. Das rein persoenliche Verdienst ohne
+Unterstuetzung der Geburt und des Reichtums mochte wohl unter der
+Koenigsherrschaft leichter als unter derjenigen des Patriziats zu Einfluss und
+Ansehen gelangen. Damals war der Eintritt in das Patriziat rechtlich keinem
+verschlossen; jetzt war das hoechste Ziel des plebejischen Ehrgeizes die
+Aufnahme in den mundtoten Anhang des Senats. Es lag dabei in der Natur der
+Sache, dass der regierende Herrenstand, soweit er ueberhaupt die Plebejer
+zuliess, nicht unbedingt den tuechtigsten Maennern, sondern vorzugsweise den
+Haeuptern der reichen und angesehenen Plebejerfamilien im Senat neben sich zu
+sitzen gestattete und die also zugelassenen Familien eifersuechtig ueber den
+Besitz der Ratsherrenstellen wachten. Waehrend also innerhalb der alten
+Buergerschaft vollstaendige Rechtsgleichheit bestanden hatte, begann die
+Neubuerger- oder die ehemalige Insassenschaft von Haus aus damit, sich in eine
+Anzahl bevorrechteter Familien. und eine zurueckgesetzte Menge zu scheiden. Die
+Gemeindemacht aber kam in Gemaessheit der Zenturienordnung jetzt an diejenige
+Klasse, welche seit der Servianischen Reform des Heer- und Steuerwesens
+vorzugsweise die buergerlichen Lasten trug, an die Ansaessigen, und zwar
+vorzugsweise weder an die grossen Gutsbesitzer noch an die Instenleute, sondern
+an den mittleren Bauernstand, wobei die Aelteren noch insofern bevorzugt waren,
+als sie, obgleich minder zahlreich, doch ebensoviel Stimmabteilungen innehatten
+wie die Jugend. Indem also der Altbuergerschaft und ihrem Geschlechteradel die
+Axt an die Wurzel und zu einer neuen Buergerschaft der Grund gelegt ward, fiel
+in dieser das Gewicht auf Grundbesitz und Alter und zeigten sich schon die
+ersten Ansaetze zu einem neuen, zunaechst auf dem faktischen Ansehen der
+Familien beruhenden Adel, der kuenftigen Nobilitaet. Der konservative
+Grundcharakter des roemischen Gemeinwesens konnte sich nicht deutlicher
+bezeichnen als dadurch, dass die republikanische Staatsumwaelzung zugleich zu
+der neuen, ebenfalls konservativen und ebenfalls aristokratischen Staatsordnung
+die ersten Linien zog.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap02"></a>KAPITEL II.<br/>
+Das Volkstribunat und die Dezemvirn</h2>
+
+<p>
+Die Altbuergerschaft war durch die neue Gemeindeordnung auf gesetzlichem Wege
+in den vollen Besitz der politischen Macht gelangt. Herrschend durch die zu
+ihrer Dienerin herabgedrueckte Magistratur, vorwiegend im Gemeinderate, im
+Alleinbesitze aller Aemter und Priestertuemer, ausgeruestet mit der
+ausschliesslichen Kunde der goettlichen und menschlichen Dinge und mit der
+ganzen Routine politischer Praxis, einflussreich in der Gemeindeversammlung
+durch den starken Anhang fuegsamer und den einzelnen Familien anhaenglicher
+Leute, endlich befugt, jeden Gemeindebeschluss zu pruefen und zu verwerfen,
+konnten die Patrizier die faktische Herrschaft noch auf lange Zeit sich
+bewahren, eben weil sie rechtzeitig auf die gesetzliche Alleingewalt verzichtet
+hatten. Zwar mussten die Plebejer ihre politische Zuruecksetzung schwer
+empfinden; allein von der rein politischen Opposition hatte der Adel
+unzweifelhaft zunaechst nicht viel zu besorgen, wenn er es verstand, die Menge,
+die nichts verlangt als gerechte Verwaltung und Schutz der materiellen
+Interessen, dem politischen Kampfe fernzuhalten. In der Tat finden wir in der
+ersten Zeit nach der Vertreibung der Koenige verschiedene Massregeln, welche
+bestimmt waren oder doch bestimmt schienen, den gemeinen Mann fuer das
+Adelsregiment besonders von der oekonomischen Seite zu gewinnen: es wurden die
+Hafenzoelle herabgesetzt, bei hohem Stand der Kornpreise grosse Quantitaeten
+Getreide fuer Rechnung des Staats aufgekauft und der Salzhandel zum
+Staatsmonopol gemacht, um den Buergern Korn und Salz zu billigen Preisen
+abgeben zu koennen, endlich das Volksfest um einen Tag verlaengert. In
+denselben Kreis gehoert die schon erwaehnte Vorschrift hinsichtlich der
+Vermoegensbussen, die nicht bloss im allgemeinen dem gefaehrlichen Bruchrecht
+der Beamten Schranken zu setzen bestimmt, sondern auch in bezeichnender Weise
+vorzugsweise auf den Schutz des kleinen Mannes berechnet war. Denn wenn dem
+Beamten untersagt ward, an demselben Tag denselben Mann um mehr als zwei Schafe
+und um mehr als dreissig Rinder ausser mit Gestattung der Provokation zu
+buessen, so kann die Ursache dieser seltsamen Ansaetze wohl nur darin gefunden
+werden, dass fuer den kleinen, nur einige Schafe besitzenden Mann ein anderes
+Maximum noetig schien als fuer den reichen Rinderherdenbesitzer - eine
+Ruecksichtnahme auf Reichtum oder Armut der Gebuessten, von der neuere
+Gesetzgebungen lernen koennten. Allein diese Ordnungen halten sich auf der
+Oberflaeche; die Grundstroemung geht vielmehr nach der entgegengesetzten
+Richtung. Mit der Verfassungsaenderung leitet in den finanziellen und
+oekonomischen Verhaeltnissen Roms eine umfassende Revolution sich ein. Das
+Koenigsregiment hatte wahrscheinlich der Kapitalmacht prinzipiell keinen
+Vorschub getan und die Vermehrung der Bauernstellen nach Kraeften gefoerdert;
+die neue Adelsregierung dagegen scheint von vornherein auf die Zerstoerung der
+Mittelklassen, namentlich des mittleren und kleinen Grundbesitzes, und auf die
+Entwicklung einerseits einer Herrschaft der Grund- und Geldherren, anderseits
+eines ackerbauenden Proletariats ausgegangen zu sein.
+</p>
+
+<p>
+Schon die Minderung der Hafenzoelle, obwohl im allgemeinen eine populaere
+Massregel, kam vorzugsweise dem Grosshandel zugute. Aber ein noch viel
+groesserer Vorschub geschah der Kapitalmacht durch das System der indirekten
+Finanzverwaltung. Es ist schwer zu sagen, worauf dasselbe in seinen letzten
+Gruenden beruht; mag es aber auch an sich bis in die Koenigszeit
+zurueckreichen, so musste doch seit der Einfuehrung des Konsulats teils der
+schnelle Wechsel der roemischen Beamten, teils die Erstreckung der finanziellen
+Taetigkeit des Aerars auf Geschaefte, wie der Ein- und Verkauf von Korn und
+Salz, die Wichtigkeit der vermittelnden Privattaetigkeit steigern und, damit
+den Grund zu jenem Staatspaechtersystem legen, das in seiner Entwicklung fuer
+das roemische Gemeinwesen so folgenreich wie verderblich geworden ist. Der
+Staat gab nach und nach alle seine indirekten Hebungen und alle komplizierteren
+Zahlungen und Verrichtungen in die Haende von Mittelsmaennern, die eine
+Rauschsumme gaben oder empfingen und dann fuer ihre Rechnung wirtschafteten.
+Natuerlich konnten nur bedeutende Kapitalisten und, da der Staat streng auf
+dingliche Sicherheit sah, hauptsaechlich nur grosse Grundbesitzer sich hierbei
+beteiligen, und so erwuchs eine Klasse von Steuerpaechtern und Lieferanten, die
+in dem reissend schnellen Wachstum ihrer Opulenz, in der Gewalt ueber den
+Staat, dem sie zu dienen schienen, und in dem widersinnigen und sterilen
+Fundament ihrer Geldherrschaft den heutigen Boersenspekulanten vollkommen
+vergleichbar sind.
+</p>
+
+<p>
+Aber zunaechst und am empfindlichsten offenbarte sich die vereinbarte Richtung
+der finanziellen Verwaltung in der Behandlung der Gemeindelaendereien, die so
+gut wie geradezu hinarbeitete auf die materielle und moralische Vernichtung der
+Mittelklassen. Die Nutzung der gemeinen Weide und der Staatsdomaenen ueberhaupt
+war ihrer Natur nach ein buergerliches Vorrecht; das formelle Recht schloss den
+Plebejer von der Mitbenutzung des gemeinen Angers aus. Da indes, abgesehen von
+dem Uebergang in das Privateigentum oder der Assignation, das roemische Recht
+feste und gleich dem Eigentum zu respektierende Nutzungsrechte einzelner
+Buerger am Gemeinlande nicht kannte, so hing es, so lange das Gemeinland
+Gemeinland blieb, lediglich von der Willkuer des Koenigs ab den Mitgenuss zu
+gestatten und zu begrenzen, und es ist nicht zu bezweifeln, dass er von diesem
+seinem Recht oder wenigstens seiner Macht haeufig zu Gunsten von Plebejern
+Gebrauch gemacht hat. Aber mit der Einfuehrung der Republik wird der Satz
+wieder scharf betont, dass die Nutzung der Gemeinweide von Rechts wegen bloss
+dem Buerger besten Rechts, das heisst dem Patrizier zusteht; und wenn auch der
+Senat zu Gunsten der reichen in ihm mitvertretenen plebejischen Haeuser nach
+wie vor Ausnahmen zuliess, so wurden doch die kleinen plebejischen
+Ackerbesitzer und die Tageloehner, die eben die Weide am noetigsten brauchten,
+in dem Mitgenuss beeintraechtigt. Es war ferner bisher fuer das auf die gemeine
+Weide aufgetriebene Vieh ein Hutgeld erlegt worden, das zwar maessig genug war,
+um das Recht, auf diese Weide zu treiben, immer noch als Vorrecht erscheinen zu
+lassen, aber doch dem gemeinen Saeckel eine nicht unansehnliche Einnahme
+abwarf. Die patrizischen Quaestoren erhoben dasselbe jetzt saeumig und
+nachsichtig und liessen allmaehlich es ganz schwinden. Bisher hatte man,
+namentlich wenn durch Eroberung neue Domaenen gewonnen waren, regelmaessig
+Landauslegungen angeordnet, bei denen alle aermeren Buerger und Insassen
+beruecksichtigt wurden; nur dasjenige Land, das zum Ackerbau sich nicht
+eignete, ward zu der gemeinen Weide geschlagen. Diese Assignationen wagte man
+zwar nicht ganz zu unterlassen und noch weniger, sie bloss zu Gunsten der
+Reichen vorzunehmen; allein sie wurden seltener und karger und an ihre Stelle
+trat das verderbliche Okkupationssystem, das heisst die Ueberlassung der
+Domaenengueter nicht zum Eigentum oder zur foermlichen Pacht auf bestimmte
+Zeitfrist, sondern zur Sondernutzung bis weiter an den ersten Okkupanten und
+dessen Rechtsnachfolger, sodass dem Staate die Ruecknahme jederzeit freistand
+und der Inhaber die zehnte Garbe oder von Oel und Wein den fuenften Teil des
+Ertrages an die Staatskasse abzuliefern hatte. Es war dies nichts anderes als
+das frueher beschriebene Precarium, angewandt auf Staatsdomaenen und mag,
+namentlich als transitorische Einrichtung bis zur Durchfuehrung der
+Assignation, auch frueher schon bei dem Gemeinlande vorgekommen sein. Jetzt
+indes wurde dieser Okkupationsbesitz nicht bloss dauernd, sondern es griffen
+auch, wie natuerlich, nur die privilegierten Personen oder deren Guenstlinge zu
+und der Zehnte und Fuenfte ward mit derselben Laessigkeit eingetrieben wie das
+Hutgeld. So traf den mittleren und kleinen Grundbesitz ein dreifacher Schlag:
+die gemeinen Buergernutzungen gingen ihm verloren; die Steuerlast stieg
+dadurch, dass die Domanialgefaelle nicht mehr ordentlich in die gemeine Kasse
+flossen; und die Landauslegungen stockten, die fuer das agrikole Proletariat,
+etwa wie heutzutage ein grossartiges und fest reguliertes Emigrationssystem es
+tun wuerde, einen dauernden Abzugskanal gebildet hatten. Dazu kam die
+wahrscheinlich schon jetzt beginnende Grosswirtschaft, welche die kleinen
+Ackerklienten vertrieb und statt deren durch Feldsklaven das Gut nutzte; ein
+Schlag, der schwerer abzuwenden und wohl verderblicher war als alle jene
+politischen Usurpationen zusammengenommen. Die schweren, zum Teil
+ungluecklichen Kriege, die dadurch herbeigefuehrten unerschwinglichen
+Kriegssteuern und Fronden taten das uebrige, um den Besitzer entweder geradezu
+vom Hof zu bringen und ihn zum Knecht, wenn auch nicht zum Sklaven seines
+Schuldherrn zu machen, oder ihn durch Ueberschuldung tatsaechlich zum
+Zeitpaechter seiner Glaeubiger herabzudruecken. Die Kapitalisten, denen hier
+ein neues Gebiet eintraeglicher und muehe- und gefahrloser Spekulation sich
+eroeffnete, vermehrten teils auf diesem Wege ihr Grundeigentum, teils liessen
+sie dem Bauern, dessen Person und Gut das Schuldrecht ihnen in die Haende gab,
+den Namen des Eigentuemers und den faktischen Besitz. Das letztere war wohl das
+Gewoehnlichste wie das Verderblichste; denn mochte damit fuer den einzelnen der
+aeusserste Ruin abgewandt sein, so drohte dagegen diese prekaere, von der Gnade
+des Glaeubigers jederzeit abhaengige Stellung des Bauern, bei der derselbe vom
+Eigentum nichts als die Lasten trug, den ganzen Bauernstand zu demoralisieren
+und politisch zu vernichten. Die Absicht des Gesetzgebers, als er statt der
+hypothekarischen Schuld den sofortigen Uebergang des Eigentums auf den
+Glaeubiger anordnete, der Ueberschuldung zuvorzukommen und die Lasten des
+Staats den wirklichen Inhabern des Grundes und Bodens aufzuwaelzen, ward
+umgangen durch das strenge persoenliche Kreditsystem, das fuer Kaufleute sehr
+zweckmaessig sein mochte, die Bauern aber ruinierte. Hatte die freie
+Teilbarkeit des Bodens schon immer die Gefahr eines ueberschuldeten
+Ackerbauproletariats nahegelegt, so musste unter solchen Verhaeltnissen, wo
+alle Lasten stiegen, alle Abhilfen sich versperrten, die Not und die
+Hoffnungslosigkeit unter der baeuerlichen Mittelklasse mit entsetzlicher
+Raschheit um sich greifen.
+</p>
+
+<p>
+Der Gegensatz der Reichen und Armen, der aus diesen Verhaeltnissen hervorging,
+faellt keineswegs zusammen mit dem der Geschlechter und Plebejer. War auch der
+bei weitem groesste Teil der Patrizier reich beguetert, so fehlte es doch
+natuerlich auch unter den Plebejern nicht an reichen und ansehnlichen Familien,
+und da der Senat, der schon damals vielleicht zur groesseren Haelfte aus
+Plebejern bestand, selbst mit Ausschliessung der patrizischen Magistrate die
+finanzielle Oberleitung an sich genommen hatte, so ist es begreiflich, dass
+alle jene oekonomischen Vorteile, zu denen die politischen Vorrechte des Adels
+missbraucht wurden, den Reichen insgesamt zugute kamen und der Druck auf dem
+gemeinen Mann um so schwerer lastete, als durch den Eintritt in den Senat die
+tuechtigsten und widerstandsfaehigsten Personen aus der Klasse der
+Unterdrueckten uebertraten in die der Unterdruecker.
+</p>
+
+<p>
+Hierdurch aber ward die politische Stellung des Adels auf die Dauer unhaltbar.
+Haette er es ueber sich vermocht, gerecht zu regieren, und den Mittelstand
+geschuetzt, wie es einzelne Konsuln aus seiner Mitte versuchten, ohne bei der
+herabgedrueckten Stellung der Magistratur durchdringen zu koennen, so konnte er
+sich noch lange im Alleinbesitz der Aemter behaupten. Haette er es vermocht,
+die reichen und ansehnlichen Plebejer zu voller Rechtsgleichheit zuzulassen,
+etwa an den Eintritt in den Senat die Gewinnung des Patriziats zu knuepfen, so
+mochten beide noch lange ungestraft regieren und spekulieren. Allein es geschah
+keines von beiden: die Engherzigkeit und Kurzsichtigkeit, die eigentlichen und
+unverlierbaren Privilegien alles echten Junkertums, verleugneten sich auch in
+Rom nicht und zerrissen die maechtige Gemeinde in nutz-, ziel- und ruhmlosem
+Hader.
+</p>
+
+<p>
+Indes die naechste Krise ging nicht von den staendisch Zurueckgesetzten aus,
+sondern von der notleidenden Bauernschaft. Die zurechtgemachten Annalen setzen
+die politische Revolution in das Jahr 244 (510), die soziale in die Jahre 259
+und 260 (495 494); sie scheinen allerdings sich rasch gefolgt zu sein, doch ist
+der Zwischenraum wahrscheinlich laenger gewesen. Die strenge Uebung des
+Schuldrechts - so lautet die Erzaehlung - erregte die Erbitterung der ganzen
+Bauernschaft. Als im Jahre 259 (495) fuer einen gefahrvollen Krieg die
+Aushebung veranstaltet ward, weigerte sich die pflichtige Mannschaft, dem Gebot
+zu folgen. Wie darauf der Konsul Publius Servilius die Anwendung der
+Schuldgesetze vorlaeufig suspendierte und sowohl die schon in Schuldhaft
+sitzenden Leute zu entlassen befahl, als auch den weiteren Lauf der
+Verhaftungen hemmte, stellten die Bauern sich und halfen den Sieg erfechten.
+Heimgekehrt vom Schlachtfeld brachte der Friede, den sie erstritten hatten,
+ihnen ihren Kerker und ihre Ketten wieder; mit erbarmungsloser Strenge wandte
+der zweite Konsul Appius Claudius die Kreditgesetze an und der Kollege, den
+seine frueheren Soldaten um Hilfe anriefen, wagte nicht sich zu widersetzen. Es
+schien, als sei die Kollegialitaet nicht zum Schutz des Volkes eingefuehrt,
+sondern zur Erleichterung des Treubruchs und der Despotie; indes man litt, was
+nicht zu aendern war. Als aber im folgenden Jahr sich der Krieg erneuerte, galt
+das Wort des Konsuls nicht mehr. Erst dem ernannten Diktator Manius Valerius
+fuegten sich die Bauern, teils aus Scheu vor der hoeheren Amtsgewalt, teils im
+Vertrauen auf seinen populaeren Sinn - die Valerier waren eines jener alten
+Adelsgeschlechter, denen das Regiment ein Recht und eine Ehre, nicht eine
+Pfruende duenkte. Der Sieg war wieder bei den roemischen Feldzeichen; aber als
+die Sieger heimkamen und der Diktator seine Reformvorschlaege dem Senat
+vorlegte, scheiterten sie an dem hartnaeckigen Widerstand des Senats. Noch
+stand das Heer beisammen, wie ueblich vor den Toren der Stadt; als die
+Nachricht hinauskam, entlud sich das lange drohende Gewitter - der Korpsgeist
+und die geschlossene militaerische Organisation rissen auch die Verzagten und
+Gleichgueltigen mit fort. Das Heer verliess den Feldherrn und seine Lagerstatt
+und zog, gefuehrt von den Legionskommandanten, den wenigstens grossenteils
+plebejischen Kriegstribunen, in militaerischer Ordnung in die Gegend von
+Crustumeria zwischen Tiber und Anio, wo es einen Huegel besetzte und Miene
+machte, in diesem fruchtbarsten Teil des roemischen Stadtgebiets eine neue
+Plebejerstadt zu gruenden. Dieser Abmarsch tat selbst den hartnaeckigsten
+Pressern auf eine handgreifliche Art dar, dass ein solcher Buergerkrieg auch
+mit ihrem oekonomischen Ruin enden muesse; der Senat gab nach. Der Diktator
+vermittelte das Vertraegnis; die Buerger kehrten zurueck in die Stadtmauern;
+die aeusserliche Einheit ward wiederhergestellt. Das Volk nannte den Manius
+Valerius seitdem &ldquo;den Grossen&rdquo; (maximus) und den Berg jenseits des
+Anio &ldquo;den heiligen&rdquo;. Wohl lag etwas Gewaltiges und Erhebendes in
+dieser ohne feste Leitung unter den zufaellig gegebenen Feldherren von der
+Menge selbst begonnenen und ohne Blutvergiessen durchgefuehrten Revolution, und
+gern und stolz erinnerten sich ihrer die Buerger. Empfunden wurden ihre Folgen
+durch viele Jahrhunderte; ihr entsprang das Volkstribunat.
+</p>
+
+<p>
+Ausser den transitorischen Bestimmungen, namentlich zur Abstellung der
+drueckendsten Schuldnot und zur Versorgung einer Anzahl Landleute durch
+Gruendung verschiedener Kolonien, brachte der Diktator verfassungsmaessig ein
+Gesetz durch, welches er ueberdies noch, ohne Zweifel um den Buergern wegen
+ihres gebrochenen Fahneneides Amnestie zu sichern, von jedem einzelnen
+Gemeindeglied beschwoeren und sodann in einem Gotteshause niederlegen liess
+unter Aufsicht und Verwahrung zweier besonders dazu aus der Plebs bestellter
+Beamten, der beiden &ldquo;Hausherren&rdquo; (aediles). Dies Gesetz stellte den
+zwei patrizischen Konsuln zwei plebejische Tribune zur Seite, welche die nach
+Kurien versammelten Plebejer zu waehlen hatten. Gegen das militaerische
+Imperium, das heisst gegen das der Diktatoren durchaus und gegen das der
+Konsuln ausserhalb der Stadt, vermochte die tribunizische Gewalt nichts; der
+buergerlichen ordentlichen Amtsgewalt aber, wie die Konsuln sie uebten, trat
+die tribunizische unabhaengig gegenueber, ohne dass doch eine Teilung der
+Gewalten stattgefunden haette. Die Tribune erhielten das Recht, welches dem
+Konsul gegen den Konsul und um so mehr gegen den niederen Beamten zustand, das
+heisst das Recht jeden von den Beamten erlassenen Befehl, durch den der davon
+betroffene Buerger sich verletzt hielt, auf dessen Anweisung durch ihren
+rechtzeitig und persoenlich eingelegten Protest zu vernichten und ebenso jeden
+von einem Beamten an die Buergerschaft gerichteten Antrag nach Ermessen zu
+hemmen oder zu kassieren, das ist das Recht der Interzession oder das
+sogenannte tribunizische Veto.
+</p>
+
+<p>
+Es lag also in der tribunizischen Gewalt zunaechst das Recht, die Verwaltung
+und die Rechtspflege willkuerlich zu hemmen, dem Militaerpflichtigen es
+moeglich zu machen, sich straflos der Aushebung zu entziehen, die Klageerhebung
+und die Rechtsvollstreckung gegen den Schuldner, die Einleitung des
+Kriminalprozesses und die Untersuchungshaft des Angeschuldigten zu verhindern
+oder aufzuheben und was dessen mehr war. Damit diese Rechtshilfe nicht durch
+die Abwesenheit der Helfer vereitelt werde, war ferner verordnet, dass der
+Tribun keine Nacht ausserhalb der Stadt zubringen duerfe und Tag und Nacht
+seine Tuer offenstehen muesse. Weiter lag es in der Gewalt des Volkstribunats,
+der Beschlussfassung der Gemeinde, die ja andernfalls kraft ihres souveraenen
+Rechts die von ihr der Plebs verliehenen Privilegien ohne weiteres haette
+zuruecknehmen koennen, durch ein einziges Wort eines einzelnen Tribunen
+Schranken zu setzen.
+</p>
+
+<p>
+Aber diese Rechte waeren wirkungslos gewesen, wenn nicht gegen den, der sich
+nicht daran kehrte, insonderheit gegen den zuwiderhandelnden Magistrat dem
+Volkstribun eine augenblicklich wirkende und unwiderstehliche Zwangsgewalt
+zugestanden haette. Es ward ihm diese in der Form erteilt, dass das
+Zuwiderhandeln gegen den seines Rechts sich bedienenden Tribun, vor allen
+Dingen das Vergreifen an seiner Persoenlichkeit, welche auf dem heiligen Berg
+jeder Plebejer Mann fuer Mann fuer sich und seine Nachkommen geschworen hatte,
+fuer jetzt und alle Zukunft vor jeder Unbill zu schuetzen, ein todeswuerdiges
+Verbrechen sein sollte und die Handhabung dieser Kriminaljustiz nicht den
+Magistraten der Gemeinde, sondern denen der Plebs uebertragen ward. Kraft
+dieses seines Richteramts konnte der Tribun jeden Buerger, vor allem den Konsul
+im Amte, zur Verantwortung ziehen, ihn, wenn er nicht freiwillig sich stellte,
+greifen lassen, ihn in Untersuchungshaft setzen oder Buergschaftstellung ihm
+gestatten und alsdann auf Tod oder Geldbusse erkennen. Zu diesem Zweck standen
+die beiden zugleich bestellten Aedilen des Volkes den Tribunen als Diener und
+Gehilfen zur Seite, zunaechst, um die Verhaftung zu bewirken, weshalb auch
+ihnen dieselbe Unangreifbarkeit durch den Gesamteid der Plebejer versichert
+ward. Ausserdem hatten die Aedilen selbst gleich den Tribunen, aber nur fuer
+die geringeren mit Bussen suehnbaren Sachen, richterliche Befugnis. Ward gegen
+den tribunizischen oder aedilizischen Spruch Berufung eingelegt, so ging diese
+nicht an die Gesamtbuergerschaft, mit der zu verhandeln die Beamten der Plebs
+ueberall nicht befugt waren, sondern an die Gesamtheit der Plebejer, die in
+diesem Fall nach Kurien zusammentrat und durch Stimmenmehrheit endgueltig
+entschied.
+</p>
+
+<p>
+Dies Verfahren war allerdings mehr ein Gewalt- als ein Rechtsakt, zumal wenn es
+gegen einen Nichtplebejer angewandt ward, wie dies doch eben in der Regel der
+Fall sein musste. Es war weder mit dem Buchstaben noch mit dem Geist der
+Verfassung irgend zu vereinigen, dass der Patrizier von Behoerden zur
+Rechenschaft gezogen ward, die nicht der Buergerschaft, sondern einer innerhalb
+der Buergerschaft gebildeten Assoziation vorstanden, und dass er gezwungen
+ward, statt an die Buergerschaft, an eben diese Assoziation zu appellieren.
+Dies war urspruenglich ohne Frage Lynchjustiz; aber die Selbsthilfe vollzog
+sich wohl von jeher in Form Rechtens und wurde seit der gesetzlichen
+Anerkennung des Volkstribunats als rechtlich statthaft betrachtet.
+</p>
+
+<p>
+Der Absicht nach war diese neue Gerichtsbarkeit der Tribune und der Aedilen und
+die daraus hervorgehende Provokationsentscheidung der Plebejerversammlung ohne
+Zweifel ebenso an die Gesetze gebunden wie die Gerichtsbarkeit der Konsuln und
+Quaestoren und der Spruch der Zenturien auf Provokation; die Rechtsbegriffe des
+Verbrechens gegen die Gemeinde und der Ordnungswidrigkeit wurden von der
+Gemeinde und deren Magistraten auf die Plebs und deren Vorsteher uebertragen.
+Indes diese Begriffe waren selbst so wenig fest und deren gesetzliche
+Begrenzung so schwierig, ja unmoeglich, dass die auf diese Kategorien hin
+geuebte Justizpflege schon an sich den Stempel der Willkuer fast unvermeidlich
+an sich trug. Seit nun aber gar in den staendischen Kaempfen die Idee des
+Rechts sich selber getruebt hatte und seit die gesetzlichen Parteifuehrer
+beiderseits mit einer konkurrierenden Gerichtsbarkeit ausgestattet waren,
+musste diese mehr und immer mehr der reinen Willkuerpolizei sich naehern.
+Namentlich traf dieselbe den Beamten. Bisher unterlag derselbe nach roemischem
+Staatsrecht, solange er Beamter war, ueberhaupt keiner Gerichtsbarkeit, und
+wenn er auch nach Niederlegung seines Amtes rechtlich fuer jede seiner
+Handlungen zur Verantwortung hatte gezogen werden koennen, so lag doch die
+Handhabung dieses Rechts in den Haenden seiner Standesgenossen und schliesslich
+der Gesamtgemeinde, zu der diese ebenfalls gehoerten. Jetzt trat in der
+tribunizischen Gerichtsbarkeit eine neue Macht auf, welche einerseits gegen den
+hoechsten Beamten schon waehrend der Amtsfuehrung einschreiten konnte,
+anderseits gegen die adligen Buerger ausschliesslich durch die nicht adligen
+gehandhabt ward, und die um so drueckender war, als weder das Verbrechen noch
+die Strafe gesetzlich formuliert wurden. Der Sache nach ward durch die
+konkurrierende Gerichtsbarkeit der Plebs und der Gemeinde Gut, Leib und Leben
+der Buerger dem willkuerlichen Belieben der Parteiversammlungen preisgegeben.
+</p>
+
+<p>
+In die Ziviljurisdiktion haben die plebejischen Institutionen nur insofern
+eingegriffen, als in den fuer die Plebs so wichtigen Freiheitsprozessen den
+Konsuln die Geschworenenernennung entzogen ward und die Sprueche hier erfolgten
+von den besonders dafuer bestimmten Zehnmaenner-Richtern (iudices decemviri,
+spaeter decemviri litibus iudicandis). An die konkurrierende Jurisdiktion
+schloss sich weiter die Konkurrenz in der gesetzgebenden Initiative. Das Recht,
+die Mitglieder zu versammeln und Beschluesse derselben zu bewirken, stand den
+Tribunen schon insofern zu, als ohne dasselbe ueberhaupt keine Assoziation
+gedacht werden kann. Ihnen aber ward dasselbe in der eminenten Weise verliehen,
+dass das autonomische Versammlungs- und Beschlussrecht der Plebs gesetzlich
+sichergestellt war vor jedem Eingriff der Magistrate der Gemeinde, ja der
+Gemeinde selbst. Allerdings war es die notwendige Vorbedingung der rechtlichen
+Anerkennung der Plebs ueberhaupt, dass die Tribune nicht daran gehindert werden
+konnten, ihre Nachfolger von der Versammlung der Plebs waehlen zu lassen und
+die Bestaetigung ihrer Kriminalsentenz durch dieselbe zu bewirken; und es ward
+ihnen denn dieses Recht auch durch das Icilische Gesetz (262 492) noch
+besonders gewaehrleistet und jedem, der dabei dem Tribun ins Wort falle oder
+das Volk auseinandergehen heisse, eine schwere Strafe gedroht. Dass demnach dem
+Tribun nicht gewehrt werden konnte, auch andere Antraege als die Wahl seines
+Nachfolgers und die Bestaetigung seiner Urteilssprueche zur Abstimmung zu
+bringen, leuchtet ein. Gueltige Volksschluesse waren derartige
+&ldquo;Beliebungen der Menge&rdquo; (plebi scita) zwar eigentlich nicht,
+sondern anfaenglich nicht viel mehr als die Beschluesse unserer heutigen
+Volksversammlungen; allein da der Unterschied zwischen den Komitien des Volkes
+und den Konzilien der Menge denn doch mehr formaler Natur war, ward wenigstens
+von plebejischer Seite die Gueltigkeit derselben als autonomischer
+Festsetzungen der Gemeinde sofort in Anspruch genommen und zum Beispiel gleich
+das Icilische Gesetz auf diesem Wege durchgesetzt.
+</p>
+
+<p>
+So war der Tribun des Volks bestellt, dem einzelnen zu Schirm und Schutz, allen
+zur Leitung und Fuehrung, versehen mit unbeschraenkter richterlicher Gewalt im
+peinlichen Verfahren, um also seinem Befehl Nachdruck geben zu koennen, endlich
+selbst persoenlich fuer unverletzlich (sacrosanctus) erklaert, indem wer sich
+an ihm oder seinem Diener vergriff, nicht bloss den Goettern verfallen galt,
+sondern auch bei den Menschen als nach rechtlich erwiesenem Frevel des Todes
+schuldig.
+</p>
+
+<p>
+Die Tribune der Menge (tribuni plebis) sind hervorgegangen aus den
+Kriegstribunen und fuehren von diesen ihren Namen; rechtlich aber haben sie
+weiter zu ihnen keinerlei Beziehung. Vielmehr stehen der Gewalt nach die
+Volkstribune und die Konsuln sich gleich. Die Appellation vom Konsul an den
+Tribun und das Interzessionsrecht des Tribuns gegen den Konsul ist, wie schon
+gesagt ward, durchaus gleichartig der Appellation vom Konsul an den Konsul und
+der Interzession des einen Konsuls gegen den andern, und beide sind nichts als
+eine Anwendung des allgemeinen Rechtssatzes, dass zwischen zwei
+Gleichberechtigten der Verbietende dem Gebietenden vorgeht. Auch die
+urspruengliche, allerdings bald vermehrte Zahl und die Jahresdauer des Amtes,
+welches fuer die Tribune jedesmal am 10. Dezember wechselte, sind den Tribunen
+mit den Konsuln gemein, ebenso die eigentuemliche Kollegialitaet, die in jedes
+einzelnen Konsuls und in jedes einzelnen Tribunen Hand die volle Machtfuelle
+des Amtes legt und bei Kollisionen innerhalb des Kollegiums nicht die Stimmen
+zaehlt, sondern das Nein dem Ja vorgehen laesst - weshalb, wo der Tribun
+verbietet, das Verbot des einzelnen trotz des Widerspruchs der Kollegen
+genuegt, wo er dagegen anklagt, er durch jeden seiner Kollegen gehemmt werden
+kann. Konsuln und Tribune haben beide volle und konkurrierende
+Kriminaljurisdiktion, wenn auch jene dieselbe mittelbar, diese unmittelbar
+ausueben; wie jenen die beiden Quaestoren, stehen diesen die beiden Aedilen
+hierin zur Seite ^1. Die Konsuln sind notwendig Patrizier, die Tribune
+notwendig Plebejer. Jene haben die vollere Macht, diese die unumschraenktere,
+denn ihrem Verbot und ihrem Gericht fuegt sich der Konsul, nicht aber dem
+Konsul sich der Tribun. So ist die tribunizische Gewalt das Abbild der
+konsularischen; sie ist aber nicht minder ihr Gegenbild. Die Macht der Konsuln
+ist wesentlich positiv, die der Tribune wesentlich negativ. Nur die Konsuln
+sind Magistrate des roemischen Volkes, nicht die Tribune; denn jene erwaehlt
+die gesamte Buergerschaft, diese nur die plebejische Assoziation. Zum Zeichen
+dessen erscheint der Konsul oeffentlich mit dem den Gemeindebeamten zukommenden
+Schmuck und Gefolge, die Tribune aber sitzen auf der Bank anstatt des
+Wagenstuhls und ermangeln der Amtsdiener, des Purpursaumes und ueberhaupt jedes
+Abzeichens der Magistratur; sogar im Gemeinderat hat der Tribun weder den
+Vorsitz noch auch nur den Beisitz. So ist in dieser merkwuerdigen Institution
+dem absoluten Befehlen das absolute Verbieten in der schaerfsten und
+schroffsten Weise gegenuebergestellt; das war die Schlichtung des Haders, dass
+die Zwietracht der Reichen und der Armen gesetzlich festgestellt und geordnet
+ward.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Dass die plebejischen Aedilen in derselben Weise den patrizischen Quaestoren
+nachgebildet sind wie die plebejischen Tribune den patrizischen Konsuln, ist
+deutlich sowohl fuer die Kriminalrechtspflege, wo nur die Tendenz der beiden
+Magistraturen, nicht die Kompetenz verschieden gewesen zu sein scheint, wie
+fuer das Archivgeschaeft. Fuer die Aedilen ist der Cerestempel, was der Tempel
+des Saturnus fuer die Quaestoren, und von jenem haben sie auch den Namen.
+Bezeichnend ist die Vorschrift des Gesetzes von 305 (349) (Liv. 3, 55), dass
+die Senatsbeschluesse dorthin an die Aedilen abgeliefert werden sollen (I,
+300), waehrend dieselben bekanntlich nach altem und spaeter nach Beilegung des
+Staendekampfes wieder ueberwiegendem Gebrauche den Quaestoren zur Aufbewahrung
+in dem Saturnustempel zugestellt wurden.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Aber was war erreicht damit, dass man die Einheit der Gemeinde brach, dass die
+Beamten einer unsteten und von allen Leidenschaften des Augenblicks abhaengigen
+Kontrollbehoerde unterworfen wurden, dass auf den Wink eines einzelnen der auf
+den Gegenthron gehobenen Oppositionshaeupter die Verwaltung im gefaehrlichsten
+Augenblick zum Stocken gebracht werden konnte, dass man die
+Kriminalrechtspflege, indem man alle Beamte dazu konkurrierend
+bevollmaechtigte, gleichsam gesetzlich aus dem Recht in die Politik verwies und
+sie fuer alle Zeiten verdarb? Es ist wohl wahr, dass das Tribunat wenn nicht
+unmittelbar zur politischen Ausgleichung der Staende beigetragen, so doch als
+eine maechtige Waffe in der Hand der Plebejer gedient hat, als diese bald
+darauf die Zulassung zu den Gemeindeaemtern begehrten. Aber die eigentliche
+Bestimmung des Tribunats war dieses nicht. Nicht dem politisch privilegierten
+Stande ward es abgerungen, sondern den reichen Grund- und Kapitalherren; es
+sollte dem gemeinen Mann billige Rechtspflege sichern und eine zweckmaessigere
+Finanzverwaltung herbeifuehren. Diesen Zweck hat es nicht erfuellt und konnte
+es nicht erfuellen. Der Tribun mochte einzelnen Unbilden, einzelnen schreienden
+Haerten steuern; aber der Fehler lag nicht im Unrecht, das man Recht hiess,
+sondern im Rechte, welches ungerecht war: und wie konnte der Tribun die
+ordentliche Rechtspflege regelmaessig hemmen? haette er es gekonnt, so war auch
+damit noch wenig geholfen, wenn nicht die Quellen der Verarmung verstopft
+wurden, die verkehrte Besteuerung, das schlechte Kreditsystem, die heillose
+Okkupation der Domaenen. Aber hieran wagte man sich nicht, offenbar weil die
+reichen Plebejer selbst an diesen Missbraeuchen kein minderes Interesse hatten
+als die Patrizier. So gruendete man diese seltsame Magistratur, deren
+handgreiflicher Beistand dem gemeinen Mann einleuchtete und die doch die
+notwendige oekonomische Reform unmoeglich durchsetzen konnte. Sie ist kein
+Beweis politischer Weisheit, sondern ein schlechtes Kompromiss zwischen dem
+reichen Adel und der fuehrerlosen Menge. Man hat gesagt, das Volkstribunat habe
+Rom vor der Tyrannis bewahrt. Waere dies wahr, so wuerde es wenig bedeuten; die
+Aenderung der Staatsform ist an sich fuer ein Volk kein Unheil, und fuer das
+roemische war es vielmehr ein Unglueck, dass die Monarchie zu spaet eingefuehrt
+ward nach Erschoepfung der physischen und geistigen Kraefte der Nation. Es ist
+aber nicht einmal richtig, wie schon das beweist, dass die italischen Staaten
+ebenso regelmaessig ohne Tyrannis geblieben sind wie sie in den hellenischen
+regelmaessig aufstanden. Der Grund liegt einfach darin, dass die Tyrannis
+ueberall die Folge des allgemeinen Stimmrechts ist und dass die Italiker
+laenger als die Griechen die nicht grundsaessigen Buerger von den
+Gemeindeversammlungen ausschlossen; als Rom hiervon abging, blieb auch die
+Monarchie nicht aus, ja knuepfte eben an an das tribunizische Amt. Dass das
+Volkstribunat auch genuetzt hat, indem es der Opposition gesetzliche Bahnen
+wies und manche Verkehrtheit abwehrte, wird niemand verkennen; aber
+ebensowenig, dass, wo es sich nuetzlich erwies, es fuer ganz andere Dinge
+gebraucht ward, als wofuer man es begruendet hatte. Das verwegene Experiment,
+den Fuehrern der Opposition ein verfassungsmaessiges Veto einzuraeumen und sie
+mit der Macht, es ruecksichtslos geltend zu machen, auszustatten, bleibt ein
+Notbehelf, der den Staat politisch aus den Angeln gehoben und die sozialen
+Missstaende durch nutzlose Palliative hingeschleppt hat.
+</p>
+
+<p>
+Indes man hatte den Buergerkrieg organisiert; er ging seinen Gang. Wie zur
+Schlacht standen die Parteien sich gegenueber, jede unter ihren Fuehrern;
+Beschraenkung der konsularischen, Erweiterung der tribunizischen Gewalt ward
+auf der einen, die Vernichtung des Tribunats auf der andern Seite angestrebt;
+die gesetzlich straflos gemachte Insubordination, die Weigerung, sich zur
+Landesverteidigung zu stellen, die Buss- und Strafklagen namentlich gegen
+Beamte, die die Rechte der Gemeinde verletzt oder auch nur ihr Missfallen
+erregt hatten, waren die Waffen der Plebejer, denen die Junker Gewalt und
+Einverstaendnisse mit den Landesfeinden, gelegentlich auch den Dolch des
+Meuchelmoerders entgegensetzten; auf den Strassen kam es zum Handgemenge und
+hueben und drueben vergriff man sich an der Heiligkeit der Magistratspersonen.
+Viele Buergerfamilien sollen ausgewandert sein und in den benachbarten
+Gemeinden einen friedlicheren Wohnsitz gesucht haben; und man mag es wohl
+glauben. Es zeugt von dem starken Buergersinn im Volk, nicht dass es diese
+Verfassung sich gab, sondern dass es sie ertrug und die Gemeinde trotz der
+heftigsten Kaempfe dennoch zusammenhielt. Das bekannteste Ereignis aus diesen
+Staendekaempfen ist die Geschichte des Gnaeus Marcius, eines tapferen Adligen,
+der von Coriolis Erstuermung den Beinamen trug. Er soll im Jahr 263 (491),
+erbittert ueber die Weigerung der Zenturien, ihm das Konsulat zu uebertragen,
+beantragt haben, wie einige sagen, die Einstellung der Getreideverkaeufe aus
+den Staatsmagazinen, bis das hungernde Volk auf das Tribunat verzichte; wie
+andere berichten, geradezu die Abschaffung des Tribunats. Von den Tribunen auf
+Leib und Leben angeklagt, habe er die Stadt verlassen, indes nur, um
+zurueckzukehren an der Spitze eines volskischen Heeres; jedoch im Begriff,
+.seine Vaterstadt fuer den Landesfeind zu erobern, habe das ernste Wort der
+Mutter sein Gewissen geruehrt und also sei von ihm der erste Verrat durch einen
+zweiten gesuehnt worden und beide durch den Tod. Wieviel darin wahr ist, laesst
+sich nicht entscheiden; aber alt ist die Erzaehlung, aus der die naive
+Impertinenz der roemischen Annalisten eine vaterlaendische Glorie gemacht hat,
+und sie oeffnet den Einblick in die tiefe sittliche und politische
+Schaendlichkeit dieser staendischen Kaempfe. Aehnlichen Schlages ist der
+Ueberfall des Kapitols durch eine Schar politischer Fluechtlinge, gefuehrt von
+dem Sabiner Appius Herdonius im Jahr 294 (460); sie riefen die Sklaven zu den
+Waffen, und erst nach heissem Kampf und mit Hilfe der herbeigeeilten Tusculaner
+ward die roemische Buergerwehr der catilinarischen Bande Meister. Denselben
+Charakter fanatischer Erbitterung tragen andere Ereignisse dieser Zeit, deren
+geschichtliche Bedeutung in den luegenseligen Familienberichten sich nicht mehr
+erfassen laesst; so das Uebergewicht des Fabischen Geschlechtes, das von 269
+bis 275 (485-479) den einen Konsul stellte, und die Reaktion dagegen, die
+Auswanderung der Fabier aus Rom und ihre Vernichtung durch die Etrusker am
+Cremera (277 477). Noch entsetzlicher war die Ermordung des Volkstribuns Gnaeus
+Genucius, der es gewagt hatte, zwei Konsulare zur Rechenschaft zu ziehen und
+der am Morgen des fuer die Anklage anberaumten Tages tot im Bette gefunden ward
+(281 473). Die unmittelbare Folge dieser Untat war das Publilische Gesetz,
+eines der folgenreichsten, das die roemische Geschichte kennt. Zwei der
+wichtigsten Ordnungen, die Einfuehrung der plebejischen Tribusversammlung und
+die wenngleich bedingte Gleichstellung des Plebiszits mit dem foermlichen, von
+der ganzen Gemeinde beschlossenen Gesetz, gehen, jene gewiss, diese
+wahrscheinlich zurueck auf den Antrag des Volkstribunen Volero Publilius vom
+Jahre 283 (471). Die Plebs hatte bis dahin ihre Beschluesse nach Kurien
+gefasst; demnach war in diesen ihren Sonderversammlungen teils ohne Unterschied
+des Vermoegens und der Ansaessigkeit bloss nach Koepfen abgestimmt worden,
+teils hatten, infolge des im Wesen der Kurienversammlung liegenden
+Zusammenstehens der Geschlechtsgenossen, die Klienten der grossen Adelsfamilien
+in der Plebejerversammlung miteinander gestimmt. Der eine wie der andere
+Umstand gab dem Adel vielfache Gelegenheit, Einfluss auf diese Versammlung zu
+ueben und besonders die Wahl der Tribune in seinem Sinne zu lenken; beides fiel
+fortan weg durch die neue Abstimmungsweise nach Quartieren. Deren waren in der
+Servianischen Verfassung zum Zweck der Aushebung vier gebildet worden, die
+Stadt und Land gleichmaessig umfassten (I, 105); spaeterhin - vielleicht im
+Jahr 259 (495) - hatte man das roemische Gebiet in zwanzig Distrikte
+eingeteilt, von denen die ersten vier die Stadt und deren naechste Umgebung
+umfassten, die uebrigen sechzehn mit Zugrundelegung der Geschlechtergaue des
+aeltesten roemischen Ackers aus dem Landgebiet gebildet wurden (I, 51). Zu
+diesen wurde, wahrscheinlich erst infolge des Publilischen Gesetzes und um die
+fuer die Abstimmung wuenschenswerte Ungleichheit der Gesamtzahl der
+Stimmabteilungen herbeizufuehren, als einundzwanzigste Tribus die
+crustuminische hinzugefuegt, die ihren Namen von dem Orte trug, wo die Plebs
+als solche sich konstituiert und das Tribunat gestiftet hatte (I, 282) und
+fortan fanden die Sonderversammlungen der Plebs nicht mehr nach Kurien statt,
+sondern nach Tribus. In diesen Abteilungen, die durchaus auf dem Grundbesitz
+beruhten, stimmten ausschliesslich die ansaessigen Leute, diese jedoch ohne
+Unterschied der Groesse des Grundbesitzes und so, wie sie in Doerfern und
+Weilern zusammen wohnten; es war also diese Tribusversammlung, die im uebrigen
+aeusserlich der nach Kurien geordneten nachgebildet ward, recht eigentlich eine
+Versammlung des unabhaengigen Mittelstandes, von der einerseits die
+Freigelassenen und Klienten der grossen Mehrzahl nach als nicht ansaessige
+Leute ausgeschlossen waren, und in der anderseits der groessere Grundbesitz
+nicht so wie in den Zenturien ueberwog. Eine allgemeine
+Buergerschaftsversammlung war diese &ldquo;Zusammenkunft der Menge&rdquo;
+(concilium plebis) noch weniger als die plebejische Kurienversammlung, da sie
+nicht bloss wie diese die saemtlichen Patrizier, sondern auch die nicht
+grundsaessigen Plebejer ausschloss; aber die Menge war maechtig genug, um es
+durchzusetzen, dass ihr Beschluss dem von den Zenturien gefassten rechtlich
+gleich gelte, falls er vorher vom Gesamtsenat gebilligt worden war. Dass diese
+letzte Bestimmung schon vor Erlass der Zwoelf Tafeln gesetzlich feststand, ist
+gewiss; ob man sie gerade bei Gelegenheit des Publilischen Plebiszits
+eingefuehrt hat, oder ob sie bereits vorher durch irgendeine andere
+verschollene Satzung ins Leben gerufen und auf das Publilische Plebiszit nur
+angewendet worden ist, laesst sich nicht mehr ausmachen. Ebenso bleibt es
+ungewiss, ob durch dies Gesetz die Zahl der Tribune von zwei auf vier vermehrt
+ward oder dies bereits vorher geschehen war.
+</p>
+
+<p>
+Einsichtiger angelegt als alle diese Parteimassregeln war der Versuch des
+Spurius Cassius, die finanzielle Allmacht der Reichen zu brechen und damit den
+eigentlichen Quell des Uebels zu verstopfen. Er war Patrizier, und keiner tat
+es in seinem Stande an Rang und Ruhm ihm zuvor; nach zwei Triumphen, im dritten
+Konsulat (268 486) brachte er an die Buergergemeinde den Antrag, das
+Gemeindeland vermessen zu lassen und es teils zum Besten des oeffentlichen
+Schatzes zu verpachten, teils unter die Beduerftigen zu verteilen; das heisst,
+er versuchte, die Entscheidung ueber die Domaenen dem Senat zu entreissen und,
+gestuetzt auf die Buergerschaft, dem egoistischen Okkupationssystem ein Ende zu
+machen. Er mochte meinen, dass die Auszeichnung seiner Persoenlichkeit, die
+Gerechtigkeit und Weisheit der Massregel durchschlagen werde, selbst in diesen
+Wogen der Leidenschaftlichkeit und der Schwaeche; allein er irrte. Der Adel
+erhob sich wie ein Mann; die reichen Plebejer traten auf seine Seite; der
+gemeine Mann war missvergnuegt, weil Spurius Cassius, wie Bundesrecht und
+Billigkeit geboten, auch den latinischen Eidgenossen bei der Assignation ihr
+Teil geben wollte. Cassius musste sterben; es ist etwas Wahres in der Anklage,
+dass er koenigliche Gewalt sich angemasst habe, denn freilich versuchte er
+gleich den Koenigen, gegen seinen Stand die Gemeinfreien zu schirmen. Sein
+Gesetz ging mit ihm ins Grab, aber das Gespenst desselben stand seitdem den
+Reichen unaufhoerlich vor Augen und wieder und wieder stand es auf gegen sie,
+bis unter den Kaempfen darueber das Gemeinwesen zugrunde ging.
+</p>
+
+<p>
+Da ward noch ein Versuch gemacht, die tribunizische Gewalt dadurch zu
+beseitigen, dass man dem gemeinen Mann die Rechtsgleichheit auf einem
+geregelteren und wirksameren Wege sicherte. Der Volkstribun Gaius Terentilius
+Arsa beantragte im Jahr 292 (462) die Ernennung einer Kommission von fuenf
+Maennern zur Entwerfung eines gemeinen Landrechts, an das die Konsuln
+kuenftighin in ihrer richterlichen Gewalt gebunden sein sollten. Aber der Senat
+weigerte sich, diesem Vorschlag seine Sanktion zu geben, und es vergingen zehn
+Jahre, ehe derselbe zur Ausfuehrung kam - Jahre des heissesten Staendekampfes,
+welche ueberdies vielfach bewegt waren durch Kriege und innere Unruhen; mit
+gleicher Hartnaeckigkeit hinderte die Adelspartei die Zulassung des Gesetzes im
+Senat und ernannte die Gemeinde wieder und wieder dieselben Maenner zu
+Tribunen. Man versuchte durch andere Konzessionen den Angriff zu beseitigen: im
+Jahre 297 (457) ward die Vermehrung der Tribune von vier auf zehn bewilligt -
+freilich ein zweifelhafter Gewinn; im folgenden Jahre durch ein Icilisches
+Plebiszit, das aufgenommen ward unter die beschworenen Privilegien der
+Gemeinde, der Aventin, bisher Tempelhain und unbewohnt, unter die aermeren
+Buerger zu Bauplaetzen erblichen Besitzes aufgeteilt. Die Gemeinde nahm, was
+ihr geboten ward, allein sie hoerte nicht auf, das Landrecht zu fordern.
+Endlich im Jahre 300 (454) kam ein Vergleich zustande; der Senat gab in der
+Hauptsache nach. Die Abfassung des Landrechts wurde beschlossen; es sollten
+dazu ausserordentlicher Weise zehn Maenner von den Zenturien gewaehlt werden,
+welche zugleich als hoechste Beamte anstatt der Konsuln zu fungieren hatten
+(decem viri consulari imperio legibus scribundis), und zu diesem Posten sollten
+nicht bloss Patrizier, sondern auch Plebejer wahlfaehig sein. Diese wurden hier
+zum erstenmal, freilich nur fuer ein ausserordentliches Amt, als waehlbar
+bezeichnet. Es war dies ein grosser Schritt vorwaerts zu der vollen politischen
+Gleichberechtigung, und er war nicht zu teuer damit verkauft, dass das
+Volkstribunat aufgehoben, das Provokationsrecht fuer die Dauer des Dezemvirats
+suspendiert und die Zehnmaenner nur verpflichtet wurden, die beschworenen
+Freiheiten der Gemeinde nicht anzutasten. Vorher indes wurde noch eine
+Gesandtschaft nach Griechenland geschickt um die Solonischen und andere
+griechische Gesetze heimzubringen, und erst nach deren Rueckkehr wurden fuer
+das Jahr 303 (451) die Zehnmaenner gewaehlt. Obwohl es freistand, auch Plebejer
+zu ernennen, so traf doch die Wahl auf lauter Patrizier - so maechtig war
+damals noch der Adel -, und erst als eine abermalige Wahl fuer 304 (450) noetig
+ward, wurden auch einige Plebejer gewaehlt - die ersten nichtadligen Beamten,
+die die roemische Gemeinde gehabt hat.
+</p>
+
+<p>
+Erwaegt man diese Massregeln in ihrem Zusammenhang, so kann kaum ein anderer
+Zweck ihnen untergelegt werden, als die Beschraenkung der konsularischen Gewalt
+durch das geschriebene Gesetz an die Stelle der tribunizischen Hilfe zu setzen.
+Von beiden Seiten musste man sich ueberzeugt haben, dass es nicht so bleiben
+konnte, wie es war, und die Permanenzerklaerung der Anarchie wohl die Gemeinde
+zugrunde richtete, aber in der Tat und Wahrheit dabei fuer niemand etwas
+herauskam. Ernsthafte Leute mussten einsehen, dass das Eingreifen der Tribune
+in die Administration sowie ihre Anklaegertaetigkeit schlechterdings schaedlich
+wirkten und der einzige wirkliche Gewinn, den das Tribunat dem gemeinen Mann
+gebracht hatte, der Schutz gegen parteiische Rechtspflege war, indem es als
+eine Art Kassationsgericht die Willkuer des Magistrats beschraenkte. Ohne
+Zweifel ward, als die Plebejer ein geschriebenes Landrecht begehrten, von den
+Patriziern erwidert, dass dann der tribunizische Rechtsschutz ueberfluessig
+werde; und hierauf scheint von beiden Seiten nachgegeben zu sein. Es ist
+vielleicht nie bestimmt ausgesprochen worden, wie es werden sollte nach
+Abfassung des Landrechts; aber an dem definitiven Verzicht der Plebs auf das
+Tribunat ist nicht zu zweifeln, da dieselbe durch das Dezemvirat in die Lage
+kam, nicht anders als auf ungesetzlichem Wege das Tribunat zurueckgewinnen zu
+koennen. Die der Plebs gegebene Zusage, dass ihre beschworenen Freiheiten nicht
+angetastet werden sollten, kann bezogen werden auf die vom Tribunat
+unabhaengigen Rechte der Plebejer, wie die Provokation und der Besitz des
+Aventin. Die Absicht scheint gewesen zu sein, dass die Zehnmaenner bei ihrem
+Ruecktritt dem Volke vorschlagen sollten, die jetzt nicht mehr nach Willkuer,
+sondern nach geschriebenem Recht urteilenden Konsuln wiederum zu waehlen.
+</p>
+
+<p>
+Der Plan, wenn er bestand, war weise; es kam darauf an, ob die leidenschaftlich
+erbitterten Gemueter hueben und drueben diesen friedlichen Austrag annehmen
+wuerden. Die Dezemvirn des Jahres 303 (451) brachten ihr Gesetz vor das Volk
+und, von diesem bestaetigt, wurde dasselbe, in zehn kupferne Tafeln
+eingegraben, auf dem Markt an der Rednerbuehne vor dem Rathaus angeschlagen. Da
+indes noch ein Nachtrag erforderlich schien, so ernannte man auf das Jahr 304
+(450) wieder Zehnmaenner, die noch zwei Tafeln hinzufuegten; so entstand das
+erste und einzige roemische Landrecht, das Gesetz der Zwoelf Tafeln. Es ging
+aus einem Kompromiss der Parteien hervor und kann schon darum tiefgreifende,
+ueber nebensaechliche und blosse Zweckmaessigkeitsbestimmungen hinausgehende
+Aenderungen des bestehenden Rechts nicht wohl enthalten haben. Sogar im
+Kreditwesen trat keine weitere Milderung ein, als dass ein - wahrscheinlich
+niedriges - Zinsmaximum (10 Prozent) festgestellt und der Wucherer mit schwerer
+Strafe - charakteristisch genug mit einer weit schwereren als der Dieb -
+bedroht ward; der strenge Schuldprozess blieb wenigstens in seinen Hauptzuegen
+ungeaendert. Aenderungen der staendischen Rechte waren begreiflicherweise noch
+weniger beabsichtigt; der Rechtsunterschied zwischen steuerpflichtigen und
+vermoegenslosen Buergern, die Ungueltigkeit der Ehe zwischen Adligen und
+Buergerlichen wurden vielmehr aufs neue im Stadtrecht bestaetigt, ebenso zur
+Beschraenkung der Beamtenwillkuer und zum Schutz des Buergers ausdruecklich
+vorgeschrieben, dass das spaetere Gesetz durchaus dem frueheren vorgehen und
+dass kein Volksschluss gegen einen einzelnen Buerger erlassen werden solle. Am
+bemerkenswertesten ist die Ausschliessung der Provokation an die Tribuskomitien
+in Kapitalsachen, waehrend die an die Zenturien gewaehrleistet ward; was sich
+daraus erklaert, dass die Strafgerichtsbarkeit von der Plebs und ihren
+Vorstehern in der Tat usurpiert war und mit dem Tribunal auch der tribunizische
+Kapitalprozess notwendig fiel, waehrend es vielleicht die Absicht war, den
+aedilizischen Multprozess beizubehalten. Die wesentliche politische Bedeutung
+lag weit weniger in dem Inhalt des Weistums als in der jetzt foermlich
+festgestellten Verpflichtung der Konsuln, nach diesen Prozessformen und diesen
+Rechtsregeln Recht zu sprechen, und in der oeffentlichen Aufstellung des
+Gesetzbuchs, wodurch die Rechtsverwaltung der Kontrolle der Publizitaet
+unterworfen und der Konsul genoetigt ward, allen gleiches und wahrhaft gemeines
+Recht zu sprechen.
+</p>
+
+<p>
+Der Ausgang des Dezemvirats liegt in tiefem Dunkel. Es blieb - so wird
+berichtet - den Zehnmaennern nur noch uebrig, die beiden letzten Tafeln zu
+publizieren und alsdann der ordentlichen Magistratur Platz zu machen. Sie
+zoegerten indes; unter dem Vorwande, dass das Gesetz noch immer nicht fertig
+sei, fuehrten sie selbst nach Ablauf des Amtsjahres ihr Amt weiter, was
+insofern moeglich war, als nach roemischem Staatsrecht die
+ausserordentlicherweise zur Revision der Verfassung berufene Magistratur durch
+die ihr gesetzte Endfrist rechtlich nicht gebunden werden kann. Die gemaessigte
+Fraktion der Aristokratie, die Valerier und Horatier an ihrer Spitze, soll
+versucht haben, im Senat die Abdankung der Dezemvirn zu erzwingen; allein das
+Haupt der Zehnmaenner, Appius Claudius, von Haus aus ein starrer Aristokrat,
+aber jetzt umschlagend zum Demagogen und zum Tyrannen, gewann das Uebergewicht
+im Senat, und auch das Volk fuegte sich. Die Aushebung eines doppelten Heeres
+ward ohne Widerspruch vollzogen und der Krieg gegen die Volsker wie gegen die
+Sabiner begonnen. Da wurde der gewesene Volkstribun Lucius Siccius Dentatus,
+der tapferste Mann in Rom, der in hundertundzwanzig Schlachten gefochten und
+fuenfundvierzig ehrenvolle Narben aufzuzeigen hatte, tot vor dem Lager
+gefunden, meuchlerisch ermordet, wie es hiess, auf Anstiften der Zehnmaenner.
+Die Revolution gaerte in den Gemuetern; zum Ausbruch brachte sie der ungerechte
+Wahrspruch des Appius in dem Prozess um die Freiheit der Tochter des
+Centurionen Lucius Verginius, der Braut des gewesenen Volkstribuns Lucius
+Icilius, welcher Spruch das Maedchen den Ihrigen entriss, um sie unfrei und
+rechtlos zu machen und den Vater bewog, seiner Tochter auf offenem Markt das
+Messer selber in die Brust zu stossen, um sie der gewissen Schande zu
+entreissen. Waehrend das Volk erstarrt ob der unerhoerten Tat die Leiche des
+schoenen Maedchens umstand, befahl der Dezemvir seinen Buetteln, den Vater und
+alsdann den Braeutigam vor seinen Stuhl zu fuehren, um ihm, von dessen Spruch
+keine Berufung galt, sofort Rede zu stehen wegen ihrer Auflehnung gegen seine
+Gewalt. Nun war das Mass voll. Geschuetzt von den brausenden Volksmassen
+entziehen der Vater und der Braeutigam des Maedchens sich den Haeschern des
+Gewaltherrn, und waehrend in Rom der Senat zittert und schwankt, erscheinen die
+beiden mit zahlreichen Zeugen der furchtbaren Tat in den beiden Lagern. Das
+Unerhoerte wird berichtet; vor allen Augen oeffnet sich die Kluft, die der
+mangelnde tribunizische Schutz in der Rechtssicherheit gelassen hat, und was
+die Vaeter getan, wiederholen die Soehne. Abermals verlassen die Heere ihre
+Fuehrer; sie ziehen in kriegerischer Ordnung durch die Stadt und abermals auf
+den heiligen Berg, wo sie abermals ihre Tribune sich ernennen. Immer noch
+weigern die Dezemvirn die Niederlegung ihrer Gewalt; da erscheint das Heer mit
+seinen Tribunen in der Stadt und lagert sich auf dem Aventin. Jetzt endlich, wo
+der Buergerkrieg schon da war und der Strassenkampf stuendlich beginnen konnte,
+jetzt entsagen die Zehnmaenner ihrer angemassten und entehrten Gewalt, und die
+Konsuln Lucius Valerius und Marcus Horatius vermitteln einen zweiten Vergleich,
+durch den das Volkstribunal wieder hergestellt wurde. Die Anklagen gegen die
+Dezemvirn endigten damit, dass die beiden schuldigsten, Appius Claudius und
+Spurius Oppius, im Gefaengnis sich das Leben nahmen, die acht anderen ins Exil
+gingen und der Staat ihr Vermoegen einzog. Weitere gerichtliche Verfolgungen
+hemmte der kluge und gemaessigte Volkstribun Marcus Duilius durch den
+rechtzeitigen Gebrauch seines Veto.
+</p>
+
+<p>
+So lautet die Erzaehlung, wie der Griffel der roemischen Aristokraten sie
+aufgezeichnet hat; unmoeglich aber kann, auch von den Nebenumstaenden
+abgesehen, die grosse Krise, der die Zwoelf Tafeln entsprangen, in solche
+romantische Abenteuerlichkeiten und politische Unbegreiflichkeiten ausgelaufen
+sein. Das Dezemvirat war nach der Abschaffung des Koenigtums und der Einsetzung
+des Volkstribunats der dritte grosse Sieg der Plebs, und die Erbitterung der
+Gegenpartei gegen die Institution wie gegen ihr Haupt Appius Claudius ist
+erklaerlich genug. Die Plebejer hatten damit das passive Wahlrecht zu dem
+hoechsten Gemeindeamt und das gemeine Landrecht errungen; und nicht sie waren
+es, die Ursache hatten, sich gegen die neue Magistratur aufzulehnen und mit
+Waffengewalt das rein patrizische Konsularregiment zu restaurieren. Dies Ziel
+kann nur von der Adelspartei verfolgt worden sein, und wenn die
+patrizisch-plebejischen Dezemvirn den Versuch gemacht haben, sich ueber die
+Zeit hinaus im Amte zu behaupten, so ist sicherlich dagegen in erster Reihe der
+Adel in die Schranken getreten; wobei er freilich nicht versaeumt haben wird
+geltend zu machen, dass ja auch der Plebs ihre verbrieften Rechte geschmaelert,
+insbesondere das Tribunat ihr genommen sei. Gelang es dann dem Adel, die
+Dezemvirn zu beseitigen, so ist es allerdings begreiflich, dass nach deren
+Sturz die Plebs jetzt abermals in Waffen zusammentrat, um die Ergebnisse sowohl
+der frueheren Revolution von 260 wie auch der juengsten Bewegung sich zu
+sichern; und nur als Kompromiss in diesem Konflikt lassen die
+Valerisch-Horatischen Gesetze von 305 (449) sich verstehen. Der Vergleich fiel
+wie natuerlich durchaus zu Gunsten der Plebejer aus und beschraenkte abermals
+in empfindlicher Weise die Gewalt des Adels. Dass das Volkstribunat wieder
+hergestellt, das dem Adel abgedrungene Stadtrecht definitiv festgehalten und
+die Konsuln danach zu richten verpflichtet wurden, versteht sich von selbst.
+Durch das Stadtrecht verloren allerdings die Tribus die angemasste
+Gerichtsbarkeit in Kapitalsachen; allein die Tribune erhielten sie zurueck,
+indem ein Weg gefunden ward, ihnen fuer solche Faelle die Verhandlung mit den
+Zenturien moeglich zu machen. Ueberdies blieb ihnen in dem Recht, auf
+Geldbussen unbeschraenkt zu erkennen und diesen Spruch an die Tribuskomitien zu
+bringen, ein ausreichendes Mittel, die buergerliche Existenz des patrizischen
+Gegners zu vernichten. Es ward ferner auf Antrag der Konsuln von den Zenturien
+beschlossen, dass kuenftig jeder Magistrat, also auch der Diktator bei seiner
+Ernennung verpflichtet werden solle, der Provokation stattzugeben; wer dem
+zuwider einen Beamten ernannte, buesste mit dem Kopfe. Im uebrigen behielt der
+Diktator die bisherige Gewalt und konnte namentlich der Tribun seine
+Amtshandlungen nicht wie die der Konsuln kassieren.
+</p>
+
+<p>
+Eine weitere Beschraenkung der konsularischen Machtfuelle war es, dass die
+Verwaltung der Kriegskasse zwei von der Gemeinde gewaehlten Zahlmeistern
+(quaestores) uebertragen ward, die zuerst fuer 307 (447) ernannt wurden. Die
+Ernennung sowohl der beiden neuen Zahlmeister fuer den Krieg wie auch der
+beiden die Stadtkasse verwaltenden ging jetzt ueber auf die Gemeinde; der
+Konsul behielt statt der Wahl nur die Wahlleitung. Die Versammlung, in der die
+Zahlmeister erwaehlt wurden, war die der saemtlichen patrizisch-plebejischen
+ansaessigen Leute und stimmte nach Quartieren ab; worin ebenfalls eine
+Konzession an die diese Versammlungen weit mehr als die Zenturiatkomitien
+beherrschende plebejische Bauernschaft liegt.
+</p>
+
+<p>
+Folgenreicher noch war es, dass den Tribunen Anteil an den Verhandlungen im
+Senat eingeraeumt ward. Zwar in den Sitzungssaal die Tribune zuzulassen, schien
+dem Senat unter seiner Wuerde; es wurde ihnen eine Bank an die Tuer gesetzt, um
+von da aus den Verhandlungen zu folgen. Das tribunizische Interzessionsrecht
+hatte sich auch auf die Beschluesse des Gesamtsenats erstreckt, seit dieser aus
+einer beratenden zu einer beschliessenden Behoerde geworden war, was wohl
+zuerst eintrat in dem Fall, wo ein Plebiszit fuer die ganze Gemeinde verbindend
+werden sollte; es war natuerlich, dass man seitdem den Tribunen eine gewisse
+Beteiligung an den Verhandlungen in der Kurie einraeumte. Um auch gegen
+Unterschiebung und Verfaelschung von Senatsbeschluessen gesichert zu sein, an
+deren Gueltigkeit ja die der wichtigsten Plebiszite geknuepft war, wurde
+verordnet, dass in Zukunft dieselben nicht bloss bei den patrizischen
+Stadtquaestoren im Saturnus-, sondern ebenfalls bei den plebejischen Aedilen im
+Cerestempel hinterlegt werden sollten. So endigte dieser Kampf, der begonnen
+war, um die Gewalt der Volkstribune zu beseitigen, mit der abermaligen und nun
+definitiven Sanktionierung ihres Rechts, sowohl einzelne Verwaltungsakte auf
+Anrufen des Beschwerten als auch jede Beschlussnahme der konstitutiven
+Staatsgewalten nach Ermessen zu kassieren. Mit den heiligsten Eiden und allem,
+was die Religion Ehrfuerchtiges darbot, und nicht minder mit den foermlichsten
+Gesetzen wurde abermals sowohl die Person der Tribune als die ununterbrochene
+Dauer und die Vollzaehligkeit des Kollegiums gesichert. Es ist seitdem nie
+wieder in Rom ein Versuch gemacht worden, diese Magistratur aufzuheben.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap03"></a>KAPITEL III.<br/>
+Die Ausgleichung der Stände und die neue Aristokratie</h2>
+
+<p>
+Die tribunizischen Bewegungen scheinen vorzugsweise aus den sozialen, nicht aus
+den politischen Missverhaeltnissen hervorgegangen zu sein und es ist guter
+Grund vorhanden zu der Annahme, dass ein Teil der vermoegenden, in den Senat
+aufgenommenen Plebejer denselben nicht minder entgegen war als die Patrizier;
+denn die Privilegien, gegen welche die Bewegung vorzugsweise sich richtete,
+kamen auch ihnen zugute, und wenn sie auch wieder in anderer Beziehung sich
+zurueckgesetzt fanden, so mochte es ihnen doch keineswegs an der Zeit scheinen,
+ihre Ansprueche auf Teilnahme an den Aemtern geltend zu machen, waehrend der
+ganze Senat in seiner finanziellen Sondermacht bedroht war. So erklaert es
+sich, dass waehrend der ersten fuenfzig Jahre der Republik kein Schritt
+geschah, der geradezu auf politische Ausgleichung der Staende hinzielte.
+</p>
+
+<p>
+Allein eine Buergschaft der Dauer trug dieses Buendnis der Patrizier und der
+reichen Plebejer doch keineswegs in sich. Ohne Zweifel hatte ein Teil der
+vornehmen plebejischen Familien von Haus aus der Bewegungspartei sich
+angeschlossen, teils aus Billigkeitsgefuehl gegen ihre Standesgenossen, teils
+infolge des natuerlichen Bundes aller Zurueckgesetzten, teils endlich, weil sie
+begriffen, dass Konzessionen an die Menge auf die Laenge unvermeidlich waren
+und dass sie, richtig benutzt, die Beseitigung der Sonderrechte des Patriziats
+zur Folge haben und damit der plebejischen Aristokratie das entscheidende
+Gewicht im Staate geben wuerden. Wenn diese Ueberzeugung, wie das nicht fehlen
+konnte, in weitere Kreise eindrang und die plebejische Aristokratie an der
+Spitze ihres Standes den Kampf gegen den Geschlechtsadel aufnahm, so hielt sie
+in dem Tribunat den Buergerkrieg gesetzlich in der Hand und konnte mit dem
+sozialen Notstand die Schlachten schlagen, um dem Adel die Friedensbedingungen
+zu diktieren und als Vermittler zwischen beiden Parteien fuer sich den Zutritt
+zu den Aemtern zu erzwingen.
+</p>
+
+<p>
+Ein solcher Wendepunkt in der Stellung der Parteien trat ein nach dem Sturz des
+Dezemvirats. Es war jetzt vollkommen klar geworden, dass das Volkstribunat sich
+nicht beseitigen liess; die plebejische Aristokratie konnte nichts Besseres
+tun, als sich dieses gewaltigen Hebels zu bemaechtigen und sich desselben zur
+Beseitigung der politischen Zuruecksetzung ihres Standes zu bedienen.
+</p>
+
+<p>
+Wie wehrlos der Geschlechtsadel der vereinigten Plebs gegenueberstand, zeigt
+nichts so augenscheinlich, als dass der Fundamentalsatz der exklusiven Partei,
+die Ungueltigkeit der Ehe zwischen Adligen und Buergerlichen, kaum vier Jahre
+nach der Dezemviralrevolution auf den ersten Streich fiel. Im Jahre 309 (445)
+wurde durch das Canuleische Plebiszit verordnet, dass die Ehe zwischen Adligen
+und Buergerlichen als eine rechte roemische gelten und die daraus erzeugten
+Kinder dem Stande des Vaters folgen sollten. Gleichzeitig wurde ferner
+durchgesetzt, dass statt der Konsuln Kriegstribune - es gab deren damals, vor
+der Teilung des Heeres in Legionen, sechs, und danach richtete sich auch die
+Zahl dieser Magistrate - mit konsularischer Gewalt ^1 und konsularischer
+Amtsdauer von den Zenturien gewaehlt werden sollten. Die naechste Ursache war
+militaerischer Art, indem die vielfachen Kriege eine groessere Zahl von
+obersten Feldherren forderten, als die Konsularverfassung sie gewaehrte; aber
+die Aenderung ist von wesentlicher Bedeutung fuer den Staendekampf geworden, ja
+vielleicht jener militaerische Zweck fuer diese Einrichtung mehr der Vorwand
+als der Grund gewesen. Zu Offizierstellen konnte nach altem Recht jeder
+dienstpflichtige Buerger oder Insasse gelangen, und es ward also damit das
+hoechste Amt, nachdem es voruebergehend schon im Dezemvirat den Plebejern
+geoeffnet worden war, jetzt in umfassender Weise saemtlichen freigewordenen
+Buergern gleichmaessig zugaenglich gemacht. Die Frage liegt nahe, welches
+Interesse der Adel dabei haben konnte, da er einmal auf den Alleinbesitz des
+hoechsten Amtes verzichten und in der Sache nachgeben musste, den Plebejern den
+Titel zu versagen und das Konsulat ihnen in dieser wunderlichen Form
+zuzugestehen ^2. Einmal aber knuepften sich an die Bekleidung des hoechsten
+Gemeindeamts mancherlei teils persoenliche, teils erbliche Ehrenrechte: so galt
+die Ehre des Triumphs als rechtlich bedingt durch die Bekleidung des hoechsten
+Gemeindeamts und wurde nie einem Offizier gegeben, der nicht dieses selbst
+verwaltet hatte; so stand es den Nachkommen eines kurulischen Beamten frei, das
+Bild eines solchen Ahnen im Familiensaal auf- und bei geeigneten Veranlassungen
+oeffentlich zur Schau zu stellen, waehrend dies fuer andere Vorfahren nicht
+statthaft war ^3. Es ist ebenso leicht zu erklaeren wie schwer zu
+rechtfertigen, dass der regierende Herrenstand weit eher das Regiment selbst
+als die daran geknuepften Ehrenrechte, namentlich die erblichen, sich entwinden
+liess und darum, als es jenes mit den Plebejern teilen musste, den tatsaechlich
+hoechsten Gemeindebeamten rechtlich nicht als Inhaber des kurulischen Sessels,
+sondern als einfachen Stabsoffizier hinstellte, dessen Auszeichnung eine rein
+persoenliche war. Von groesserer politischer Bedeutung aber als die Versagung
+des Ahnenrechts und der Ehre des Triumphs war es, dass die Ausschliessung der
+im Senat sitzenden Plebejer von der Debatte notwendig fuer diejenigen von ihnen
+fiel, die als designierte oder gewesene Konsuln in die Reihe der vor den
+uebrigen um ihr Gutachten zu fragenden Senatoren eintraten; insofern war es
+allerdings fuer den Adel von grosser Wichtigkeit, den Plebejer nur zu einem
+konsularischen Amt, nicht aber zum Konsulat selbst zuzulassen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Die Annahme, dass rechtlich den patrizischen Konsulartribunen das volle, den
+plebejischen nur das militaerische Imperium zugestanden habe, ruft nicht bloss
+manche Fragen hervor, auf die es keine Antwort gibt, zum Beispiel, was denn
+geschah, wenn, wie dies gesetzlich moeglich war, die Wahl auf lauter Plebejer
+fiel, sondern verstoesst vor allem gegen den Fundamentalsatz des roemischen
+Staatsrechts, dass das Imperium, das heisst das Recht, dem Buerger im Namen der
+Gemeinde zu befehlen, qualitativ unteilbar und ueberhaupt keiner anderen als
+einer raeumlichen Abgrenzung faehig ist. Es gibt einen Stadtrechtsbezirk und
+einen Kriegsrechtsbezirk, in welchem letzteren die Provokation und andere
+stadtrechtliche Bestimmungen nicht massgebend sind; es gibt Beamte, wie zum
+Beispiel die Prokonsuln, welche lediglich in dem letzteren zu funktionieren
+vermoegen; aber es gibt im strengen Rechtssinn keine Beamten mit bloss
+jurisdiktionellem wie keine mit bloss militaerischem Imperium. Der Prokonsul
+ist in seinem Bezirk eben wie der Konsul zugleich Oberfeldherr und Oberrichter
+und befugt, nicht bloss unter Nichtbuergern und Soldaten, sondern auch unter
+Buergern den Prozess zu instruieren. Selbst als mit der Einsetzung der Praetur
+der Begriff der Kompetenz fuer die magistratus maiores aufkommt, hat er mehr
+tatsaechliche als eigentlich rechtliche Geltung: der staedtische Praetor ist
+zwar zunaechst Oberrichter, aber er kann auch wenigstens fuer gewisse Faelle
+die Zenturien berufen und kann ein Heer befehligen; dem Konsul kommt in der
+Stadt zunaechst die Oberverwaltung und der Oberbefehl zu, aber er fungiert doch
+auch bei Emanzipation und Adoption als Gerichtsherr - die qualitative
+Unteilbarkeit des hoechsten Amtes ist also selbst hier noch beiderseits mit
+grosser Schaerfe festgehalten. Es muss also die militaerische wie die
+jurisdiktionelle Amtsgewalt oder, um diese, dem roemischen Recht dieser Zeit
+fremden Abstraktionen beiseite zu lassen, die Amtsgewalt schlechthin den
+plebejischen Konsulartribunen virtuell so gut wie den patrizischen zugestanden
+haben. Aber wohl moegen, wie W. A. Becker (Handbuch, Bd. 2, 2, S. 137) meint,
+aus denselben Gruenden, weshalb spaeterhin neben das gemeinschaftliche Konsulat
+die - tatsaechlich laengere Zeit den Patriziern vorbehaltene - Praetur gestellt
+ward, faktisch schon waehrend des Konsulartribunats die plebejischen Glieder
+des Kollegiums von der Jurisdiktion ferngehalten worden sein und insofern die
+spaetere Kompetenzteilung zwischen Konsuln und Praetoren mittels des
+Konsulartribunats sich vorbereitet haben.
+</p>
+
+<p>
+^2 Die Verteidigung, dass der Adel an der Ausschliessung der Plebejer aus
+religioeser Befangenheit festgehalten habe, verkennt den Grundcharakter der
+roemischen Religion und traegt den modernen Gegensatz zwischen Kirche und Staat
+in das Altertum hinein. Die Zulassung des Nichtbuergers zu einer buergerlich
+religioesen Verrichtung musste freilich dem rechtglaeubigen Roemer als
+suendhaft erscheinen; aber nie hat auch der strengste Orthodoxe bezweifelt,
+dass durch die lediglich und allein vom Staat abhaengige Zulassung in die
+buergerliche Gemeinschaft auch die volle religioese Gleichheit herbeigefuehrt
+werde. All jene Gewissensskrupel, deren Ehrlichkeit an sich nicht beanstandet
+werden soll, waren abgeschnitten, sowie man den Plebejern in Masse rechtzeitig
+das Patriziat zugestand. Nur das etwa kann man zur Entschuldigung des Adels
+geltend machen, dass er, nachdem er bei Abschaffung des Koenigtums den rechten
+Augenblick hierzu versaeumt hatte, spaeter selber nicht mehr imstande war, das
+Versaeumte nachzuholen.
+</p>
+
+<p>
+^3 Ob innerhalb des Patriziats die Unterscheidung dieser &ldquo;kurulischen
+Haeuser&rdquo; von den uebrigen Familien jemals von ernstlicher politischer
+Bedeutung gewesen ist, laesst sich weder mit Sicherheit verneinen noch mit
+Sicherheit bejahen, und ebensowenig wissen wir, ob es in dieser Epoche wirklich
+noch nicht kurulische Patrizierfamilien in einiger Anzahl gab.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Indes trotz dieser kraenkenden Zuruecksetzung waren doch die
+Geschlechterprivilegien, soweit sie politischen Wert hatten, durch die neue
+Institution gesetzlich beseitigt, und wenn der roemische Adel seines Namens
+wert gewesen waere, haette er jetzt den Kampf aufgeben muessen. Allein er hat
+es nicht getan. Wenn auch ein vernuenftiger und gesetzlicher Widerstand fortan
+unmoeglich war, so bot sich doch noch ein weites Feld fuer die tueckische
+Opposition der kleinen Mittel, der Schikanen und der Kniffe; und so wenig
+ehrenhaft und staatsklug dieser Widerstand war, so war er doch in einem
+gewissen Sinne erfolgreich. Er hat allerdings schliesslich dem gemeinen Mann
+Konzessionen verschafft, zu welchen die vereinigte roemische Aristokratie nicht
+leicht gezwungen worden waere; aber er hat es auch vermocht, den Buergerkrieg
+noch um ein Jahrhundert zu verlaengern und jenen Gesetzen zum Trotz das
+Regiment noch mehrere Menschenalter hindurch tatsaechlich im Sonderbesitz des
+Adels zu erhalten.
+</p>
+
+<p>
+Die Mittel, deren der Adel sich bediente, waren so mannigfach wie die
+politische Kuemmerlichkeit ueberhaupt. Statt die Frage ueber die Zulassung oder
+Ausschliessung der Buergerlichen bei den Wahlen ein fuer allemal zu
+entscheiden, raeumte man, was man einraeumen musste, nur fuer die jedesmal
+naechsten Wahlen ein; jaehrlich erneuerte sich also der eitle Kampf, ob
+patrizische Konsuln oder aus beiden Staenden Kriegstribune mit konsularischer
+Gewalt ernannt werden sollten, und unter den Waffen des Adels erwies sich
+diese, den Gegner durch Ermuedung und Langweile zu ueberwinden, keineswegs als
+die unwirksamste.
+</p>
+
+<p>
+Man zersplitterte ferner die bis dahin ungeteilte hoechste Geaalt, um die
+unvermeidliche Niederlage durch Vermehrung der Angriffspunkte in die Laenge zu
+ziehen. So wurde die der Regel nach jedes vierte Jahr stattfindende
+Feststellung des Budgets und der Buerger- und Steuerlisten, welche bisher durch
+die Konsuln bewirkt worden war, schon im Jahre 319 (435) zweien von den
+Zenturien aus dem Adel auf hoechstens achtzehn Monate ernannten Schaetzern
+(censores) uebertragen. Das neue Amt ward allmaehlich zum Palladium der
+Adelspartei, weniger noch wegen seines finanziellen Einflusses als wegen des
+daran sich knuepfenden Rechts, die erledigten Plaetze im Senat und in der
+Ritterschaft zu besetzen und bei der Feststellung der Listen von Senat, Ritter-
+und Buergerschaft einzelne Personen aus denselben zu entfernen; die hohe
+Bedeutung indes und die moralische Machtfuelle, welche spaeterhin der Zensur
+beiwohnt, hat sie in dieser Epoche noch keineswegs besessen.
+</p>
+
+<p>
+Dagegen die im Jahre 333 (421) hinsichtlich der Quaestur getroffene wichtige
+Aenderung glich diesen Erfolg der Adelspartei reichlich wieder aus. Die
+patrizisch-plebejische Quartierversammlung, vielleicht darauf sich stuetzend,
+dass wenigstens die beiden Kriegszahlmeister faktisch mehr Offiziere waren als
+Zivilbeamte und insofern der Plebejer so gut wie zum Militaertribunat auch zur
+Quaestur befaehigt erschien, setzte es durch, dass fuer die Quaestorenwahlen
+auch plebejische Bewerber zugelassen wurden und erwarb damit zum erstenmal zu
+dem aktiven Wahlrecht auch das passive fuer eines der ordentlichen Aemter. Mit
+Recht ward es auf der einen Seite als ein grosser Sieg, auf der anderen als
+eine schwere Niederlage empfunden, dass fortan zu dem Kriegs- wie zu dem
+Stadtzahlmeisteramt der Patrizier und der Plebejer aktiv und passiv gleich
+wahlfaehig waren.
+</p>
+
+<p>
+Trotz der hartnaeckigsten Gegenwehr schritt der Adel doch nur von Verlust zu
+Verlust; die Erbitterung stieg, wie die Macht sank. Er hat es wohl noch
+versucht, die der Gemeinde vertragsmaessig zugesicherten Rechte geradezu
+anzutasten; aber es waren diese Versuche weniger berechnete Parteimanoever als
+Akte einer impotenten Rachsucht. So namentlich der Prozess gegen Maelius, wie
+unsere allerdings wenig zuverlaessige Ueberlieferung ihn berichtet. Spurius
+Maelius, ein reicher Plebejer, verkaufte waehrend schwerer Teuerung (315 439)
+Getreide zu solchen Preisen, dass er den patrizischen Magazinvorsteher
+(praefectus annonae) Gaius Minucius beschaemte und kraenkte. Dieser
+beschuldigte ihn des Strebens nach der koeniglichen Gewalt; mit welchem Recht,
+koennen wir freilich nicht entscheiden, allein es ist kaum glaublich, dass ein
+Mann, der nicht einmal das Tribunat bekleidet hatte, ernstlich an die Tyrannis
+gedacht haben sollte. Indes die Behoerden nahmen die Sache ernsthaft, und auf
+die Menge Roms hat der Zeterruf des Koenigtums stets aehnliche Wirkung geuebt
+wie der Papstzeter auf die englischen Massen. Titus Quinctius Capitolinus, der
+zum sechstenmal Konsul war, ernannte den achtzigjaehrigen Lucius Quinctius
+Cincinnatus zum Diktator ohne Provokation, in offener Auflehnung gegen die
+beschworenen Gesetze. Maelius, vorgeladen, machte Miene, sich dem Befehl zu
+entziehen; da erschlug ihn der Reiterfuehrer des Diktators, Gaius Servilius
+Ahala, mit eigener Hand. Das Haus des Ermordeten ward niedergerissen, das
+Getreide aus seinen Speichern dem Volke umsonst verteilt, und die seinen Tod zu
+raechen drohten, heimlich ueber die Seite gebracht. Dieser schaendliche
+Justizmord, eine Schande mehr noch fuer das leichtglaeubige und blinde Volk als
+fuer die tueckische Junkerpartei, ging ungestraft hin; aber wenn diese gehofft
+hatte, damit das Provokationsrecht zu untergraben, so hatte sie umsonst die
+Gesetze verletzt und umsonst unschuldiges Blut vergossen.
+</p>
+
+<p>
+Wirksamer als alle uebrigen Mittel erwiesen sich dem Adel Wahlintrigen und
+Pfaffentrug. Wie arg jene gewesen sein muessen, zeigt am besten, dass es schon
+322 (432) noetig schien, ein eigenes Gesetz gegen Wahlumtriebe zu erlassen, das
+natuerlich nichts half. Konnte man nicht durch Korruption oder Drohung auf die
+Stimmberechtigten wirken, so taten die Wahldirektoren das uebrige und liessen
+zum Beispiel so viele plebejische Kandidaten zu, dass die Stimmen der
+Opposition sich zersplitterten, oder liessen diejenigen von der Kandidatenliste
+weg, die die Majoritaet zu waehlen beabsichtigte. Ward trotz alledem eine
+unbequeme Wahl durchgesetzt, so wurden die Priester befragt, ob bei derselben
+nicht eine Nichtigkeit in der Voegelschau oder den sonstigen religioesen
+Zeremonien vorgekommen sei; welche diese alsdann zu entdecken nicht
+ermangelten. Unbekuemmert um die Folgen und uneingedenk des weisen Beispiels
+der Ahnen liess man den Satz sich feststellen, dass das Gutachten der
+priesterlichen Sachverstaendigenkollegien ueber Voegelzeichen, Wunder und
+aehnliche Dinge den Beamten von Rechts wegen binde, und es in ihre Macht
+kommen, jeden Staatsakt, sei es die Weihung eines Gotteshauses oder sonst eine
+Verwaltungshandlung, sei es Gesetz oder Wahl, wegen religioeser Nullitaeten zu
+kassieren. Auf diesem Wege wurde es moeglich, dass, obwohl die Waehlbarkeit der
+Plebejer schon im Jahre 333 (421) fuer die Quaestur gesetzlich festgestellt
+worden war und seitdem rechtlich anerkannt blieb, dennoch erst im Jahre 345
+(409) der erste Plebejer zur Quaestur gelangte; aehnlich haben das
+konsularische Kriegstribunat bis zum Jahre 354 (400) fast ausschliesslich
+Patrizier bekleidet. Es zeigte sich, dass die gesetzliche Abschaffung der
+Adelsprivilegien noch keineswegs die plebejische Aristokratie wirklich und
+tatsaechlich dem Geschlechtsadel gleichgestellt hatte. Mancherlei Ursachen
+wirkten dabei zusammen: die zaehe Opposition des Adels liess sich weit leichter
+in einem aufgeregten Moment der Theorie nach ueber den Haufen werfen, als in
+den jaehrlich wiederkehrenden Wahlen dauernd niederhalten; die Hauptursache
+aber war die innere Uneinigkeit der Haeupter der plebejischen Aristokratie und
+der Masse der Bauernschaft. Der Mittelstand, dessen Stimmen in den Komitien
+entschieden, fand sich nicht berufen, die vornehmen Nichtadligen vorzugsweise
+auf den Schild zu heben, solange seine eigenen Forderungen von der plebejischen
+nicht minder wie von der patrizischen Aristokratie zurueckgewiesen wurden.
+</p>
+
+<p>
+Die sozialen Fragen hatten waehrend dieser politischen Kaempfe im ganzen geruht
+oder waren doch mit geringer Energie verhandelt worden. Seitdem die plebejische
+Aristokratie sich des Tribunats zu ihren Zwecken bemaechtigt hatte, war weder
+von der Domaenenangelegenheit noch von der Reform des Kreditwesens ernstlich
+die Rede gewesen; obwohl es weder fehlte an neugewonnenen Laendereien noch an
+verarmenden oder verarmten Bauern. Einzelne Assignationen, namentlich in
+neueroberten Grenzgebieten, erfolgten wohl, so des ardeatischen Gebiets 312
+(442), des labicanischen 336 (418), des veientischen 361 (393), jedoch mehr aus
+militaerischen Gruenden, als um dem Bauer zu helfen, und keineswegs in
+ausreichenden Umfang. Wohl machten einzelne Tribune den Versuch, das Gesetz des
+Cassius wieder aufzunehmen: so stellten Spurius Maecilius und Spurius Metilius
+im Jahre 337 (417) den Antrag auf Aufteilung saemtlicher Staatslaendereien -
+allein sie scheiterten, was charakteristisch fuer die damalige Situation ist,
+an dem Widerstand ihrer eigenen Kollegen, das heisst der plebejischen
+Aristokratie. Auch unter den Patriziern versuchten einige, der gemeinen Not zu
+helfen; allein mit nicht besserem Erfolg als einst Spurius Cassius. Patrizier
+wie dieser, und wie dieser ausgezeichnet durch Kriegsruhm und persoenliche
+Tapferkeit, soll Marcus Manlius, der Retter der Burg waehrend der gallischen
+Belagerung, als Vorkaempfer aufgetreten sein fuer die unterdrueckten Leute, mit
+denen sowohl die Kriegskameradschaft ihn verband wie der bittere Hass gegen
+seinen Rivalen, den gefeierten Feldherrn und optimatischen Parteifuehrer Marcus
+Furius Camillus. Als ein tapferer Offizier ins Schuldgefaengnis abgefuehrt
+werden sollte, trat Manlius fuer ihn ein und loeste mit seinem Gelde ihn aus;
+zugleich bot er seine Grundstuecke zum Verkauf aus, laut erklaerend, dass,
+solange er noch einen Fussbreit Landes besitze, solche Unbill nicht vorkommen
+solle. Das war mehr als genug, um die ganze Regimentspartei, Patrizier wie
+Plebejer, gegen den gefaehrlichen Neuerer zu vereinigen. Der
+Hochverratsprozess, die Anschuldigung der beabsichtigten Erneuerung des
+Koenigtums, wirkte mit dem tueckischen Zauber stereotyp gewordener
+Parteiphrasen auf die blinde Menge; sie selbst verurteilte ihn zum Tode, und
+nichts trug sein Ruhm ihm ein, als dass man das Volk zum Blutgericht an einem
+Ort versammelte, von wo die Stimmenden den Burgfelsen nicht erblickten, den
+stummen Mahner an die Rettung des Vaterlandes aus der hoechsten Gefahr durch
+die Hand desselben Mannes, welchen man jetzt dem Henker ueberlieferte (370
+384).
+</p>
+
+<p>
+Waehrend also die Reformversuche im Keim erstickt wurden, wurde das
+Missverstaendnis immer schreiender, indem einerseits infolge der gluecklichen
+Kriege die Domanialbesitzungen mehr und mehr sich ausdehnten, anderseits in der
+Bauernschaft die Ueberschuldung und Verarmung immer weiter um sich griff,
+namentlich infolge des schweren Veientischen Krieges (348-358 406-396) und der
+Einaescherung der Hauptstadt bei dem gallischen Ueberfall (364 390). Zwar als
+es indem Veientischen Kriege notwendig wurde, die Dienstzeit der Soldaten zu
+verlaengern und sie, statt wie bisher hoechstens nur den Sommer, auch den
+Winter hindurch unter den Waffen zu halten, und als die Bauernschaft, die
+vollstaendige Zerruettung ihrer oekonomischen Lage voraussehend, im Begriff
+war, ihre Einwilligung zu der Kriegserklaerung zu verweigern, entschloss sich
+der Senat zu einer wichtigen Konzession: er uebernahm den Sold, den bisher die
+Distrikte durch Umlage aufgebracht hatten, auf die Staatskasse, das heisst auf
+den Ertrag der indirekten Abgaben und der Domaenen (348 406). Nur fuer den
+Fall, dass die Staatskasse augenblicklich leer sei, wurde des Soldes wegen eine
+allgemeine Umlage (tributum) ausgeschrieben, die indes als gezwungene Anleihe
+betrachtet und von der Gemeinde spaeterhin zurueckgezahlt ward. Die Einrichtung
+war billig und weise; allein da das wesentliche Fundament, eine reelle
+Verwertung der Domaenen zum Besten der Staatskasse, ihr nicht gegeben ward, so
+kamen zu der vermehrten Last des Dienstes noch haeufige Umlagen hinzu, die den
+kleinen Mann darum nicht weniger ruinierten, dass sie offiziell nicht als
+Steuern, sondern als Vorschuesse betrachtet wurden.
+</p>
+
+<p>
+Unter solchen Umstaenden, wo die plebejische Aristokratie sich durch den
+Widerstand des Adels und die Gleichgueltigkeit der Gemeinde tatsaechlich von
+der politischen Gleichberechtigung ausgeschlossen sah und die leidende
+Bauernschaft der geschlossenen Aristokratie ohnmaechtig gegenueberstand, lag es
+nahe, beiden zu helfen durch ein Kompromiss. Zu diesem Ende brachten die
+Volkstribune Gaius Licinius und Lucius Sextius bei der Gemeinde Antraege dahin
+ein: einerseits mit Beseitigung des Konsulatribunats festzustellen, dass
+wenigstens der eine Konsul Plebejer sein muesse, und ferner den Plebejern den
+Zutritt zu dem einen der drei grossen Priesterkollegien, dem auf zehn
+Mitglieder zu vermehrenden der Orakelbewahrer (duoviri, spaeter decemviri
+sacris faciundis, 1, 191) zu eroeffnen; anderseits hinsichtlich der Domaenen
+keinen Buerger auf die Gemeinweide mehr als hundert Rinder und fuenfhundert
+Schafe auftreiben und keinen von dem zur Okkupation freigegebenen Domanialland
+mehr als fuenfhundert Iugera (= 494 preussische Morgen) in Besitz nehmen zu
+lassen, ferner die Gutsbesitzer zu verpflichten, unter ihren Feldarbeitern eine
+zu der Zahl der Ackersklaven im Verhaeltnis stehende Anzahl freier Arbeiter zu
+verwenden, endlich den Schuldnern durch Abzug der gezahlten Zinsen vom Kapital
+und Anordnung von Rueckzahlungsfristen Erleichterung zu verschaffen.
+</p>
+
+<p>
+Die Tendenz dieser Verfuegungen liegt auf der Hand. Sie sollten dem Adel den
+ausschliesslichen Besitz der kurulischen Aemter und der daran geknuepften
+erblichen Auszeichnungen der Nobilitaet entreissen, was man in bezeichnender
+Weise nur dadurch erreichen zu koennen meinte, dass man die Adligen von der
+zweiten Konsulstelle gesetzlich ausschloss. Sie sollten folgeweise die
+plebejischen Mitglieder des Senats aus der untergeordneten Stellung, in der sie
+als stumme Beisitzer sich befanden, insofern befreien, als wenigstens
+diejenigen von ihnen, die das Konsulat bekleidet hatten, damit ein Anrecht
+erwarben, mit den patrizischen Konsularen vor den uebrigen patrizischen
+Senatoren ihr Gutachten abzugeben. Sie sollten ferner dem Adel den
+ausschliesslichen Besitz der geistlichen Wuerden entziehen; wobei man aus
+naheliegenden Ursachen die altlatinischen Priestertuemer der Augurn und
+Pontifices den Altroemern liess, aber sie noetigte, das dritte, juengere und
+einem urspruenglich auslaendischen Kult angehoerige grosse Kollegium mit den
+Neubuergern zu teilen. Sie sollten endlich den geringen Leuten den Mitgenuss
+der gemeinen Buergernutzungen, den leidenden Schuldnern Erleichterung, den
+arbeitslosen Tageloehnern Beschaeftigung verschaffen. Beseitigung der
+Privilegien, buergerliche Gleichheit, soziale Reform - das waren die drei
+grossen Ideen, welche dadurch zur Anerkennung kommen sollten. Vergeblich boten
+die Patrizier gegen diese Gesetzvorschlaege ihre letzten Mittel auf; selbst die
+Diktatur und der alte Kriegsheld Camillus vermochten nur ihre Durchbringung zu
+verzoegern, nicht sie abzuwenden. Gern haette auch das Volk die Vorschlaege
+geteilt; was lag ihm am Konsulat und an dem Orakelbewahreramt, wenn nur die
+Schuldenlast erleichtert und das Gemeinland frei ward! Aber umsonst war die
+plebejische Nobilitaet nicht popular; sie fasste die Antraege in einen einzigen
+Gesetzvorschlag zusammen und nach lang-, angeblich elfjaehrigem Kampfe gab
+endlich der Senat seine Einwilligung und gingen sie im Jahre 387 (367) durch.
+</p>
+
+<p>
+Mit der Wahl des ersten nicht patrizischen Konsuls - sie fiel auf den einen der
+Urheber dieser Reform, den gewesenen Volkstribunen Lucius Sextius Lateranus -
+hoerte der Geschlechtsadel tatsaechlich und rechtlich auf, zu den politischen
+Institutionen Roms zu zaehlen. Wenn nach dem endlichen Durchgang dieser Gesetze
+der bisherige Vorkaempfer der Geschlechter, Marcus Furius Camillus, am Fusse
+des Kapitols auf einer ueber der alten Malstatt der Buergerschaft, dem
+Comitium, erhoehten Flaeche, wo der Senat haeufig zusammenzutreten pflegte, ein
+Heiligtum der Eintracht stiftete, so gibt man gern dem Glauben sich hin, dass
+er in dieser vollendeten Tatsache den Abschluss des nur zu lange
+fortgesponnenen Haders erkannte. Die religioese Weihe der neuen Eintracht der
+Gemeinde war die letzte oeffentliche Handlung des alten Kriegs- und
+Staatsmannes und der wuerdige Beschluss seiner langen und ruhmvollen Laufbahn.
+Er hatte sich auch nicht ganz geirrt; der einsichtigere Teil der Geschlechter
+gab offenbar seitdem die politischen Sonderrechte verloren und war es
+zufrieden, das Regiment mit der plebejischen Aristokratie zu teilen. Indes in
+der Majoritaet der Patrizier verleugnete das unverbesserliche Junkertum sich
+nicht. Kraft des Privilegiums, welches die Vorfechter der Legitimitaet zu allen
+Zeiten in Anspruch genommen haben, den Gesetzen nur da zu gehorchen, wo sie mit
+ihren Parteiinteressen zusammenstimmen, erlaubten sich die roemischen Adligen
+noch verschiedene Male, in offener Verletzung der vorgetragenen Ordnung, zwei
+patrizische Konsuln ernennen zu lassen; wie indes, als Antwort auf eine
+derartige Wahl fuer das Jahr 411 (343), das Jahr darauf die Gemeinde foermlich
+beschloss, die Besetzung beider Konsulstellen mit Nichtpatriziern zu gestatten,
+verstand man die darin liegende Drohung und hat es wohl noch gewuenscht, aber
+nicht wieder gewagt, an die zweite Konsulstelle zu ruehren.
+</p>
+
+<p>
+Ebenso schnitt sich der Adel nur in das eigene Fleisch durch den Versuch, den
+er bei der Durchbringung der Licinischen Gesetze machte, mittels eines
+politischen Kipp- und Wippsystems wenigstens einige Truemmer der alten
+Vorrechte fuer sich zu bergen. Unter dem Vorwande, dass das Recht
+ausschliesslich dem Adel bekannt sei, ward von dem Konsulat, als dies den
+Plebejern eroeffnet werden musste, die Rechtspflege getrennt und dafuer ein
+eigener dritter Konsul, oder, wie er gewoehnlich heisst, ein Praetor bestellt.
+Ebenso kamen die Marktaufsicht und die damit verbundenen Polizeigerichte sowie
+die Ausrichtung des Stadtfestes an zwei neu ernannte Aedilen, die von ihrer
+staendigen Gerichtsbarkeit, zum Unterschied von den plebejischen, die
+Gerichtsstuhl-Aedilen (aediles curules) genannt wurden. Allein die kurulische
+Aedilitaet ward sofort den Plebejern in der Art zugaenglich, dass adlige und
+buergerliche Kurulaedilen Jahr um Jahr abwechselten. Im Jahre 398 (356) wurde
+ferner die Diktatur, wie schon das Jahr vor den Licinischen Gesetzen (386 368),
+das Reiterfuehreramt, im Jahre 403 (351) die Zensur, im Jahre 417 (337) die
+Praetur Plebejern uebertragen und um dieselbe Zeit (415 339) der Adel, wie es
+frueher in Hinsicht des Konsulats geschehen war, auch von der einen
+Zensorstelle gesetzlich ausgeschlossen. Es aenderte nichts, dass wohl noch
+einmal ein patrizischer Augur in der Wahl eines plebejischen Diktators (427
+327) geheime, ungeweihten Augen verborgene Maengel fand und dass der
+patrizische Zensor seinem Kollegen bis zum Schlusse dieser Periode (474 280)
+nicht gestattete, das feierliche Opfer darzubringen, womit die Schatzung
+schloss; dergleichen Schikanen dienten lediglich dazu, die ueble Laune des
+Junkertums zu konstatieren. Ebensowenig aenderten etwa die Quengeleien, welche
+die patrizischen Vorsitzer des Senats nicht verfehlt haben werden, wegen der
+Teilnahme der Plebejer an der Debatte in demselben zu erheben; vielmehr stellte
+die Regel sich fest, dass nicht mehr die patrizischen Mitglieder, sondern die
+zu einem der drei hoechsten ordentlichen Aemter, Konsulat, Praetur und
+kurulischer Aedilitaet gelangten, in dieser Folge und ohne Unterschied des
+Standes zur Abgabe ihres Gutachtens aufzufordern seien, waehrend diejenigen
+Senatoren, die keines dieser Aemter bekleidet hatten, auch jetzt noch bloss an
+der Abmehrung teilnahmen. Das Recht endlich des Patriziersenats, einen
+Beschluss der Gemeinde als verfassungswidrig zu verwerfen, das derselbe
+auszuueben freilich wohl ohnehin selten gewagt haben mochte, ward ihm durch das
+Publilische Gesetz von 415 (339) und durch das nicht vor der Mitte des fuenften
+Jahrhunderts erlassene Maenische in der Art entzogen, dass er veranlasst ward,
+seine etwaigen konstitutionellen Bedenken bereits bei Aufstellung der
+Kandidatenliste oder Einbringung des Gesetzvorschlags geltend zu machen; was
+denn praktisch darauf hinauslief, dass er stets im voraus seine Zustimmung
+aussprach. In dieser Art als rein formales Recht ist die Bestaetigung der
+Volksschluesse dem Adel bis in die letzte Zeit der Republik geblieben.
+</p>
+
+<p>
+Laenger behaupteten begreiflicherweise die Geschlechter ihre religioesen
+Vorrechte; ja an manche derselben, die ohne politische Bedeutung waren, wie
+namentlich an ihre ausschliessliche Waehlbarkeit zu den drei hoechsten
+Flaminaten und dem sacerdotalen Koenigtum sowie in die Genossenschaften der
+Springer, hat man niemals geruehrt. Dagegen waren die beiden Kollegien der
+Pontifices und der Augurn, an welche ein bedeutender Einfluss auf die Gerichte
+und die Komitien sich knuepfte, zu wichtig, als dass diese Sonderbesitz der
+Patrizier haetten bleiben koennen; das Ogulnische Gesetz vom Jahre 454 (300)
+eroeffnete denn auch in diese den Plebejern den Eintritt, indem es die Zahl der
+Pontifices und der Augurn beide von sechs auf neun vermehrte und in beiden
+Kollegien die Stellen zwischen Patriziern und Plebejern gleichmaessig teilte.
+</p>
+
+<p>
+Den letzten Abschluss des zweihundertjaehrigen Haders brachte das durch einen
+gefaehrlichen Volksaufstand hervorgerufene Gesetz des Diktators Q. Hortensius
+(465-468 289-286), das anstatt der frueheren bedingten die unbedingte
+Gleichstellung der Beschluesse der Gesamtgemeinde und derjenigen der Plebs
+aussprach. So hatten sich die Verhaeltnisse umgewandelt, dass derjenige Teil
+der Buergerschaft, der einst allein das Stimmrecht besessen hatte, seitdem bei
+der gewoehnlichen Form der fuer die gesamte Buergerschaft verbindlichen
+Abstimmungen nicht einmal mehr mitgefragt ward.
+</p>
+
+<p>
+Der Kampf zwischen den roemischen Geschlechtern und Gemeinen war damit im
+wesentlichen zu Ende. Wenn der Adel von seinen umfassenden Vorrechten noch den
+tatsaechlichen Besitz der einen Konsul- und der einen Zensorstelle bewahrte, so
+war er dagegen vom Tribunat, der plebejischen Aedilitaet, von der zweiten
+Konsul- und Zensorstelle und von der Teilnahme an den rechtlich den
+Buergerschaftsabstimmungen gleichstehenden Abstimmungen der Plebs gesetzlich
+ausgeschlossen; in gerechter Strafe seines verkehrten und eigensinnigen
+Widerstrebens hatten die ehemaligen patrizischen Vorrechte sich fuer ihn in
+ebenso viele Zuruecksetzungen verwandelt. Indes der roemische Geschlechtsadel
+ging natuerlich darum keineswegs unter, weil er zum leeren Namen geworden war.
+Je weniger der Adel bedeutete und vermochte, desto reiner und ausschliesslicher
+entwickelte sich der junkerhafte Geist. Die Hoffart der &ldquo;Ramner&rdquo;
+hat das letzte ihrer Standesprivilegien um Jahrhunderte ueberlebt; nachdem man
+standhaft gerungen hatte, &ldquo;das Konsulat aus dem plebejischen Kote zu
+ziehen&rdquo;, und sich endlich widerwillig von der Unmoeglichkeit dieser
+Leistung hatte ueberzeugen muessen, trug man wenigstens schroff und verbissen
+sein Adeltum zur Schau. Man darf, um die Geschichte Roms im fuenften und
+sechsten Jahrhundert richtig zu verstehen, dies schmollende Junkertum nicht
+vergessen; es vermochte zwar nichts weiter als sich und andere zu aergern, aber
+dies hat es denn auch nach Vermoegen getan. Einige Jahre nach dem Ogulnischen
+Gesetz (458 296) kam ein bezeichnender Auftritt dieser Art vor: eine
+patrizische Frau, welche an einen vornehmen und zu den hoechsten Wuerden der
+Gemeinde gelangten Plebejer vermaehlt war, wurde dieser Missheirat wegen von
+dem adligen Damenkreise ausgestossen und zu der gemeinsamen Keuschheitsfeier
+nicht zugelassen; was denn zur Folge hatte, dass seitdem in Rom eine besondere
+adlige und eine besondere buergerliche Keuschheitsgoettin verehrt ward. Ohne
+Zweifel kam es auf Velleitaeten dieser Art sehr wenig an und hat auch der
+bessere Teil der Geschlechter sich dieser truebseligen
+Verdriesslichkeitspolitik durchaus enthalten; aber ein Gefuehl des Missbehagens
+liess sie doch auf beiden Seiten zurueck, und wenn der Kampf der Gemeinde gegen
+die Geschlechter an sich eine politische und selbst eine sittliche
+Notwendigkeit war, so haben dagegen diese lange nachzitternden Schwingungen
+desselben, sowohl die zwecklosen Nachhutgefechte nach der entschiedenen
+Schlacht als auch die leeren Rang- und Standeszaenkereien, das oeffentliche und
+private Leben der roemischen Gemeinde ohne Not durchkreuzt und zerruettet.
+</p>
+
+<p>
+Indes nichtsdestoweniger ward der eine Zweck des von den beiden Teilen der
+Plebs im Jahre 387 (367) geschlossenen Kompromisses, die Beseitigung des
+Patriziats, im wesentlichen vollstaendig erreicht. Es fragt sich weiter,
+inwiefern dies auch von den beiden positiven Tendenzen desselben gesagt werden
+kann und ob die neue Ordnung der Dinge in der Tat der sozialen Not gesteuert
+und die politische Gleichheit hergestellt hat. Beides hing eng miteinander
+zusammen; denn wenn die oekonomische Bedraengnis den Mittelstand aufzehrte und
+die Buergerschaft in eine Minderzahl von Reichen und ein notleidendes
+Proletariat aufloeste, so war die buergerliche Gleichheit damit zugleich
+vernichtet und das republikanische Gemeinwesen der Sache nach zerstoert. Die
+Erhaltung und Mehrung des Mittelstandes, namentlich der Bauernschaft, war darum
+fuer jeden patriotischen Staatsmann Roms nicht bloss eine wichtige, sondern von
+allen die wichtigste Aufgabe. Die neu zum Regiment berufenen Plebejer aber
+waren ueberdies noch, da sie zum guten Teil die gewonnenen Rechte dem
+notleidenden und von ihnen Hilfe erhoffenden Proletariat verdankten, politisch
+und sittlich besonders verpflichtet, demselben, soweit es ueberhaupt auf diesem
+Wege moeglich war, durch Regierungsmassregeln zu helfen.
+</p>
+
+<p>
+Betrachten wir zunaechst, inwiefern indem hierher gehoerenden Teil der
+Gesetzgebung von 387 (367) eine ernstliche Abhilfe enthalten war. Dass die
+Bestimmung zu Gunsten der freien Tageloehner ihren Zweck: der Gross- und
+Sklavenwirtschaft zu steuern und den freien Proletariern wenigstens einen Teil
+der Arbeit zu sichern, unmoeglich erreichen konnte, leuchtet ein; aber hier
+konnte auch die Gesetzgebung nicht helfen, ohne an den Fundamenten der
+buergerlichen Ordnung jener Zeit in einer Weise zu ruetteln, die ueber den
+Horizont derselben weit hinausging. In der Domanialfrage dagegen waere es den
+Gesetzgebern moeglich gewesen, Wandel zu schaffen; aber was geschah, reichte
+dazu offenbar nicht aus. Indem die neue Domaenenordnung die Betreibung der
+gemeinen Weide mit schon sehr ansehnlichen Herden und die Okkupation des nicht
+zur Weide ausgelegten Domanialbesitzes bis zu einem hoch gegriffenen
+Maximalsatz gestattete, raeumte sie den Vermoegenden einen bedeutenden und
+vielleicht schon unverhaeltnismaessigen Voranteil an dem Domaenenertrag ein und
+verlieh durch die letztere Anordnung dem Domanialbesitz, obgleich er rechtlich
+zehntpflichtig und beliebig widerruflich blieb, sowie dem Okkupationssystem
+selbst gewissermassen eine gesetzliche Sanktion. Bedenklicher noch war es, dass
+die neue Gesetzgebung weder die bestehenden, offenbar ungenuegenden Anstalten
+zur Eintreibung des Hutgeldes und des Zehnten durch wirksamere Zwangsmassregeln
+ersetzte, noch eine durchgreifende Revision des Domanialbesitzes vorschrieb,
+noch eine mit der Ausfuehrung der neuen Gesetze beauftragte Behoerde einsetzte.
+Die Aufteilung des vorhandenen okkupierten Domaniallandesteils unter die
+Inhaber bis zu einem billigen Maximalsatz, teils unter die eigentumslosen
+Plebejer, beiden aber zu vollem Eigentum, die Abschaffung des
+Okkupationssystems fuer die Zukunft und die Niedersetzung einer zu sofortiger
+Aufteilung kuenftiger neuer Gebietserwerbungen befugten Behoerde waren durch
+die Verhaeltnisse so deutlich geboten, dass es gewiss nicht Mangel an Einsicht
+war, wenn diese durchgreifenden Massregeln unterblieben. Man kann nicht umhin,
+sich daran zu erinnern, dass die plebejische Aristokratie, also eben ein Teil
+der hinsichtlich der Domanialnutzungen tatsaechlich privilegierten Klasse es
+war, welche die neue Ordnung vorgeschlagen hatte, und dass einer ihrer Urheber
+selbst, Gaius Licinius Stolo, unter den ersten wegen Ueberschreitung des
+Ackermaximum Verurteilten sich befand; und nicht umhin, sich die Frage
+vorzulegen, ob die Gesetzgeber ganz ehrlich verfahren und nicht vielmehr der
+wahrhaft gemeinnuetzigen Loesung der leidigen Domanialfrage absichtlich aus dem
+Wege gegangen sind. Damit soll indes nicht in Abrede gestellt werden, dass die
+Bestimmungen der Licinischen Gesetze, wie sie nun waren, dem kleinen Bauern und
+dem Tageloehner wesentlich nuetzen konnten und genuetzt haben. Es muss ferner
+anerkannt werden, dass in der naechsten Zeit nach Erlassung des Gesetzes die
+Behoerden ueber die Maximalsaetze desselben wenigstens vergleichungsweise mit
+Strenge gewacht und die grossen Herdenbesitzer und die Domanialokkupanten
+oftmals zu schweren Bussen verurteilt haben.
+</p>
+
+<p>
+Auch im Steuer- und Kreditwesen wurde in dieser Epoche mit groesserer Energie
+als zu irgendeiner Zeit vor- oder nachher darauf hingearbeitet, soweit
+gesetzliche Massregeln reichten, die Schaeden der Volkswirtschaft zu heilen.
+Die im Jahre 397 (357) verordnete Abgabe von fuenf vom Hundert des Wertes der
+freizulassenden Sklaven war, abgesehen davon, dass sie der nicht
+wuenschenswerten Vermehrung der Freigelassenen einen Hemmschuh anlegte, die
+erste in der Tat auf die Reichen gelegte roemische Steuer. Ebenso suchte man
+dem Kreditwesen aufzuhelfen. Die Wuchergesetze, die schon die Zwoelf Tafeln
+aufgestellt hatten, wurden erneuert und allmaehlich geschaerft, sodass das
+Zinsmaximum sukzessiv von zehn (eingeschaerft im Jahre 397 357) auf fuenf vom
+Hundert (407 347) fuer das zwoelfmonatliche Jahr ermaessigt und endlich (412
+342) das Zinsnehmen ganz verboten ward. Das letztere toerichte Gesetz blieb
+formell in Kraft; vollzogen aber ward es natuerlich nicht, sondern der spaeter
+uebliche Zinsfuss von eins vom Hundert fuer den Monat oder zwoelf vom Hundert
+fuer das buergerliche Gemeinjahr, der nach den Geldverhaeltnissen des Altertums
+ungefaehr damals sein mochte, was nach den heutigen der Zinsfuss von fuenf oder
+sechs vom Hundert ist, wird wohl schon in dieser Zeit sich als das Maximum der
+angemessenen Zinsen festgestellt haben. Fuer hoehere Betraege wird die
+Einklagung versagt und vielleicht auch die gerichtliche Rueckforderung
+gestattet worden sein; ueberdies wurden notorische Wucherer nicht selten vor
+das Volksgericht gezogen und von den Quartieren bereitwillig zu schweren Bussen
+verurteilt. Wichtiger noch war die Aenderung des Schuldprozesses durch das
+Poetelische Gesetz (428 oder 441 326 oder 313); es ward dadurch teils jedem
+Schuldner, der seine Zahlungsfaehigkeit eidlich erhaertete, gestattet, durch
+Abtretung seines Vermoegens seine persoenliche Freiheit sich zu retten, teils
+das bisherige kurze Exekutivverfahren bei der Darlehensschuld abgeschafft und
+festgestellt, dass kein roemischer Buerger anders als auf den Spruch von
+Geschworenen hin in die Knechtschaft abgefuehrt werden koenne.
+</p>
+
+<p>
+Dass alle diese Mittel die bestehenden oekonomischen Missverhaeltnisse wohl hie
+und da lindern, aber nicht beseitigen konnten, leuchtet ein; den fortdauernden
+Notstand zeigt die Niedersetzung einer Bankkommission zur Regulierung der
+Kreditverhaeltnisse und zur Leistung von Vorschuessen aus der Staatskasse im
+Jahre 402 (352), die Anordnung gesetzlicher Terminzahlungen im Jahre 407 (347)
+und vor allen Dingen der gefaehrliche Volksaufstand um das Jahr 467 (287), wo
+das Volk, nachdem es neue Erleichterungen in der Schuldzahlung nicht hatte
+erreichen koennen, hinaus auf das Ianiculum zog und erst ein rechtzeitiger
+Angriff der aeusseren Feinde und die in dem Hortensischen Gesetz enthaltenen
+Zugestaendnisse der Gemeinde den Frieden wiedergaben. Indes ist es sehr
+ungerecht, wenn man jenen ernstlichen Versuchen, der Verarmung des
+Mittelstandes zu steuern, ihre Unzulaenglichkeit entgegenhaelt; die Anwendung
+partialer und palliativer Mittel gegen radikale Leiden fuer nutzlos zu
+erklaeren, weil sie nur zum Teil helfen, ist zwar eines der Evangelien, das der
+Einfalt von der Niedertraechtigkeit nie ohne Erfolg gepredigt wird, aber darum
+nicht minder unverstaendig. Eher liesse sich umgekehrt fragen, ob nicht die
+schlechte Demagogie sich damals schon dieser Angelegenheit bemaechtigt gehabt
+und ob es wirklich so gewaltsamer und gefaehrlicher Mittel bedurft habe, wie
+zum Beispiel die Kuerzung der gezahlten Zinsen am Kapital ist. Unsere Akten
+reichen nicht aus, um hier ueber Recht und Unrecht zu entscheiden; allein klar
+genug erkennen wir, dass der ansaessige Mittelstand immer noch in einer
+bedrohten und bedenklichen oekonomischen Lage sich befand, dass man von oben
+herab vielfach, aber natuerlich vergeblich sich bemuehte, ihm durch
+Prohibitivgesetze und Moratorien zu helfen, dass aber das aristokratische
+Regiment fortdauernd gegen seine eigenen Glieder zu schwach und zu sehr in
+egoistischen Standesinteressen befangen war, um durch das einzige wirksame
+Mittel, das der Regierung zu Gebote stand, durch die voellige und rueckhaltlose
+Beseitigung des Okkupationssystems der Staatslaendereien, dem Mittelstande
+aufzuhelfen und vor allen Dingen die Regierung von dem Vorwurf zu befreien,
+dass sie die gedrueckte Lage der Regierten zu ihrem eigenen Vorteil ausbeute.
+</p>
+
+<p>
+Eine wirksamere Abhilfe, als die Regierung sie gewaehren wollte oder konnte,
+brachten den Mittelklassen die politischen Erfolge der roemischen Gemeinde und
+die allmaehlich sich befestigende Herrschaft der Roemer ueber Italien. Die
+vielen und grossen Kolonien, die zu deren Sicherung gegruendet werden mussten
+und von denen die Hauptmasse im fuenften Jahrhundert ausgefuehrt wurde,
+verschafften dem ackerbauenden Proletariat teils eigene Bauernstellen, teils
+durch den Abfluss auch den Zurueckgebliebenen Erleichterung daheim. Die Zunahme
+der indirekten und ausserordentlichen Einnahmen, ueberhaupt die glaenzende Lage
+der roemischen Finanzen fuehrte nur selten noch die Notwendigkeit herbei, von
+der Bauernschaft in Form der gezwungenen Anleihe Kontribution zu erheben. War
+auch der ehemalige Kleinbesitz wahrscheinlich unrettbar verloren, so musste der
+steigende Durchschnittssatz des roemischen Wohlstandes die bisherigen
+groesseren Grundbesitzer in Bauern verwandeln und auch insofern dem Mittelstand
+neue Glieder zufuehren. Die Okkupationen der Vornehmen warfen sich vorwiegend
+auf die grossen neugewonnenen Landstriche; die Reichtuemer, die durch den Krieg
+und den Verkehr massenhaft nach Rom stroemten, muessen den Zinsfuss
+herabgedrueckt haben; die steigende Bevoelkerung der Hauptstadt kam dem
+Ackerbauer in ganz Latium zugute; ein weises Inkorporationssystem vereinigte
+eine Anzahl angrenzender, frueher untertaeniger Gemeinden mit der roemischen
+und verstaerkte dadurch namentlich den Mittelstand; endlich brachten die
+herrlichen Siege und die gewaltigen Erfolge die Faktionen zum Schweigen, und
+wenn der Notstand der Bauernschaft auch keineswegs beseitigt, noch weniger
+seine Quellen verstopft wurden, so leidet es doch keinen Zweifel, dass am
+Schlusse dieser Periode der roemische Mittelstand im ganzen in einer weit
+minder gedrueckten Lage sich befand als in dem ersten Jahrhundert nach
+Vertreibung der Koenige.
+</p>
+
+<p>
+Endlich, die buergerliche Gleichheit ward durch die Reform vom Jahre 387 (367)
+und deren weitere folgerichtige Entwicklung in gewissem Sinne allerdings
+erreicht oder vielmehr wieder hergestellt. Wie einst, als die Patrizier noch in
+der Tat die Buergerschaft ausmachten, sie untereinander an Rechten und
+Pflichten unbedingt gleichgestanden hatten, so gab es jetzt wieder in der
+erweiterten Buergerschaft dem Gesetze gegenueber keinen willkuerlichen
+Unterschied. Diejenigen Abstufungen freilich, welche die Verschiedenheiten in
+Alter, Einsicht, Bildung und Vermoegen in der buergerlichen Gesellschaft mit
+Notwendigkeit hervorrufen, beherrschten natuerlicherweise auch das
+Gemeindeleben; allein der Geist der Buergerschaft und die Politik der Regierung
+wirkten gleichmaessig dahin, diese Scheidung moeglichst wenig hervortreten zu
+lassen. Das ganze roemische Wesen lief darauf hinaus, die Buerger
+durchschnittlich zu tuechtigen Maennern heranzubilden, geniale Naturen aber
+nicht emporkommen zu lassen. Der Bildungsstand der Roemer hielt mit der
+Machtentwicklung ihrer Gemeinde durchaus nicht Schritt und ward instinktmaessig
+von oben herab mehr zurueckgehalten als gefoerdert. Dass es Reiche und Arme
+gab, liess sich nicht verhindern; aber wie in einer rechten Bauerngemeinde
+fuehrte der Bauer wie der Tageloehner selber den Pflug und galt auch fuer den
+Reichen die gut wirtschaftliche Regel, gleichmaessig sparsam zu leben und vor
+allem kein totes Kapital bei sich hinzulegen - ausser dem Salzfass und dem
+Opferschaelchen sah man Silbergeraet in dieser Zeit in keinem roemischen Hause.
+Es war das nichts Kleines. Man spuert es an den gewaltigen Erfolgen, welche die
+roemische Gemeinde in dem Jahrhundert vom letzten Veientischen bis auf den
+Pyrrhischen Krieg nach aussen hin errang, dass hier das Junkertum der
+Bauernschaft Platz gemacht hatte, dass der Fall des hochadligen Fabiers nicht
+mehr und nicht weniger von der ganzen Gemeinde betrauert worden waere als der
+Fall des plebejischen Deciers von Plebejern und Patriziern betrauert ward, dass
+auch dem reichsten Junker das Konsulat nicht von selber zufiel und ein armer
+Bauersmann aus der Sabina, Manius Curius, den Koenig Pyrrhos in der
+Feldschlacht ueberwinden und aus Italien verjagen konnte, ohne darum
+aufzuhoeren, einfacher sabinischer Stellbesitzer zu sein und sein Brotkorn
+selber zu bauen.
+</p>
+
+<p>
+Indes darf es ueber dieser imponierenden republikanischen Gleichheit nicht
+uebersehen werden, dass dieselbe zum guten Teil nur formaler Art war und aus
+derselben eine sehr entschieden ausgepraegte Aristokratie nicht so sehr
+hervorging als vielmehr darin von vornherein enthalten war. Schon laengst
+hatten die reichen und angesehenen nichtpatrizischen Familien von der Menge
+sich ausgeschieden und im Mitgenuss der senatorischen Rechte, in der Verfolgung
+einer, von der der Menge unterschiedenen und sehr oft ihr entgegenwirkenden
+Politik sich mit dem Patriziat verbuendet. Die Licinischen Gesetze hoben die
+gesetzlichen Unterschiede innerhalb der Aristokratie auf und verwandelten die
+den gemeinen Mann vom Regiment ausschliessende Schranke aus einem
+unabaenderlichen Rechts- in ein nicht unuebersteigliches, aber doch schwer zu
+uebersteigendes tatsaechliches Hindernis. Auf dem einen wie dem anderen Wege
+kam frisches Blut in den roemischen Herrenstand; aber an sich blieb nach wie
+vor das Regiment aristokratisch und auch in dieser Hinsicht die roemische eine
+rechte Bauerngemeinde, in welcher der reiche Vollhufener zwar aeusserlich von
+dem armen Insten sich wenig unterscheidet und auf gleich und gleich mit ihm
+verkehrt, aber nichtsdestoweniger die Aristokratie so allmaechtig regiert, dass
+der Unbemittelte weit eher in der Stadt Buergermeister als in seinem Dorfe
+Schulze wird. Es war wichtig und segensreich, dass nach der neuen Gesetzgebung
+auch der aermste Buerger das hoechste Gemeindeamt bekleiden durfte; aber darum
+war es nichtsdestoweniger nicht bloss eine seltene Ausnahme, dass ein Mann aus
+den unteren Schichten der Bevoelkerung dazu gelangte ^4, sondern es war
+wenigstens gegen den Schluss dieser Periode wahrscheinlich schon nur moeglich
+mittels einer Oppositionswahl. Jedem aristokratischen Regiment tritt von selber
+eine entsprechende Oppositionspartei gegenueber; und da auch die formelle
+Gleichstellung der Staende die Aristokratie nur modifizierte und der neue
+Herrenstand das alte Patriziat nicht bloss beerbte, sondern sich auf denselben
+pfropfte und aufs innigste mit ihm zusammenwuchs, so blieb auch die Opposition
+bestehen und tat in allen und jeden Stuecken das gleiche. Da die Zuruecksetzung
+jetzt nicht mehr die Buergerlichen, sondern den gemeinen Mann traf, so trat die
+neue Opposition von vornherein auf als Vertreterin der geringen Leute und
+namentlich der kleinen Bauern; und wie die neue Aristokratie sich an das
+Patriziat anschloss, so schlangen sich die ersten Regungen dieser neuen
+Opposition mit den letzten Kaempfen gegen die Patrizierprivilegien zusammen.
+Die ersten Namen in der Reihe dieser neuen roemischen Volksfuehrer sind Manius
+Curius (Konsul 464, 479, 480, 290 275, 274; Zensor 481 273) und Gaius Fabricius
+(Konsul 472, 476, 481, 282, 278, 273; Zensor 479 275), beide ahnenlose und
+nichtwohlhabende Maenner, beide - gegen das aristokratische Prinzip, die
+Wiederwahl zu dem hoechsten Gemeindeamt zu beschraenken - jeder dreimal durch
+die Stimmen der Buergerschaft an die Spitze der Gemeinde gerufen, beide als
+Tribune, Konsuln und Zensoren Gegner der patrizischen Privilegien und Vertreter
+des kleinen Bauernstandes gegen die aufkeimende Hoffart der vornehmen Haeuser.
+Die kuenftigen Parteien zeichnen schon sich vor; aber noch schweigt auf beiden
+Seiten vor dem Interesse des Gemeinwohls das der Partei. Der adlige Appius
+Claudius und der Bauer Manius Curius, dazu noch heftige persoenliche Gegner,
+haben durch klugen Rat und kraeftige Tat den Koenig Pyrrhos gemeinsam
+ueberwunden; und wenn Gaius Fabricius den aristokratisch gesinnten und
+aristokratisch lebenden Publius Cornelius Rufinus als Zensor deswegen
+bestrafte, so hielt ihn dies nicht ab, demselben seiner anerkannten
+Feldherrntuechtigkeit wegen zum zweiten Konsulat zu verhelfen. Der Riss war
+wohl schon da; aber noch reichten die Gegner sich ueber ihm die Haende.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^4 Die Armut der Konsulare dieser Epoche, welche in den moralischen
+Anekdotenbuechern der spaeteren Zeit eine grosse Rolle spielt, beruht
+grossenteils auf Missverstaendnis teils des alten sparsamen Wirtschaftens,
+welches sich recht gut mit ansehnlichem Wohlstand vertraegt, teils der alten
+schoenen Sitte, verdiente Maenner aus dem Ertrag von Pfennigkollekten zu
+bestatten, was durchaus keine Armenbeerdigung ist. Auch die autoschediastische
+Beinamenerklaerung, die so viel Plattheiten in die roemische Geschichte
+gebracht hat, hat hierzu ihren Beitrag geliefert (Serranus).
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Die Beendigung der Kaempfe zwischen Alt- und Neubuergern, die
+verschiedenartigen und verhaeltnismaessig erfolgreichen Versuche, dem
+Mittelstande aufzuhelfen, die inmitten der neugewonnenen buergerlichen
+Gleichheit bereits hervortretenden Anfaenge der Bildung einer neuen
+aristokratischen und einer neuen demokratischen Partei sind also dargestellt
+worden. Es bleibt noch uebrig zu schildern, wie unter diesen Veraenderungen das
+neue Regiment sich konstituierte, und wie nach der politischen Beseitigung der
+Adelschaft die drei Elemente des republikanischen Gemeinwesens, Buergerschaft,
+Magistratur und Senat, gegeneinander sich stellten.
+</p>
+
+<p>
+Die Buergerschaft in ihren ordentlichen Versammlungen blieb nach wie vor die
+hoechste Autoritaet im Gemeinwesen und der legale Souveraen; nur wurde
+gesetzlich festgestellt, dass, abgesehen von den ein fuer allemal den Zenturien
+ueberwiesenen Entscheidungen, namentlich den Wahlen der Konsuln und Zensoren,
+die Abstimmung nach Distrikten ebenso gueltig sein solle wie die nach
+Zenturien, was fuer die patrizisch-plebejische Versammlung das
+Valerisch-Horatische Gesetz von 305 (449) einfuehrte und das Publilische von
+415 (339) erweiterte, fuer die plebejische Sonderversammlung aber das
+Hortensische um 467 (287) verordnete. Dass im ganzen dieselben Individuen in
+beiden Versammlungen stimmberechtigt waren, ist schon hervorgehoben worden,
+aber auch, dass, abgesehen von dem Ausschluss der Patrizier von der
+plebejischen Sonderversammlung, auch in der allgemeinen Distriktsversammlung
+alle Stimmberechtigten durchgaengig sich gleichstanden, in den
+Zenturiatkomitien aber die Wirksamkeit des Stimmrechts nach dem Vermoegen des
+Stimmenden sich abstufte, also insofern allerdings die erstere eine
+nivellierende und demokratische Neuerung war. Von weit groesserer Bedeutung war
+es, dass gegen das Ende dieser Periode die uralte Bedingung des Stimmrechts,
+die Ansaessigkeit, zum erstenmal in Frage gestellt zu werden anfing. Appius
+Claudius, der kuehnste Neuerer, den die roemische Geschichte kennt, legte in
+seiner Zensur 442 (312), ohne den Senat oder das Volk zu fragen, die
+Buergerliste so an, dass der nicht grundsaessige Mann in die ihm beliebige
+Tribus und alsdann nach seinem Vermoegen in die entsprechende Zenturie
+aufgenommen ward. Allein diese Aenderung griff zu sehr dem Geiste der Zeit vor,
+um vollstaendig Bestand zu haben. Einer der naechsten Nachfolger des Appius,
+der beruehmte Besieger der Samniten, Quintus Fabius Rullianus, uebernahm es in
+seiner Zensur 450 (304) sie zwar nicht ganz zu beseitigen, aber doch in solche
+Grenzen einzuschliessen, dass den Grundsaessigen und Vermoegenden effektiv die
+Herrschaft in den Buergerversammlungen blieb. Es wies die nicht grundsaessigen
+Leute saemtlich in die vier staedtischen Tribus, die jetzt aus den ersten im
+Range die letzten wurden. Die Landquartiere dagegen, deren Zahl zwischen den
+Jahren 367 (241) und 513 (387) allmaehlich von siebzehn bis auf einunddreissig
+stieg, also die von Haus aus bei weitem ueberwiegende und immer mehr das
+Uebergewicht erhaltende Majoritaet der Stimmabteilungen, wurden den saemtlichen
+ansaessigen Buergern gesetzlich vorbehalten. In den Zenturien blieb es bei der
+Gleichstellung der ansaessigen und nichtansaessigen Buerger, wie Appius sie
+eingefuehrt hatte. Auf diese Weise ward dafuer gesorgt, dass in den
+Tributkomitien die Ansaessigen ueberwogen, waehrend fuer die Zenturiatkomitien
+an sich schon die Vermoegenden den Ausschlag gaben. Durch diese weise und
+gemaessigte Festsetzung eines Mannes, der seiner Kriegstaten wegen wie mehr
+noch wegen dieser seiner Friedenstat mit Recht den Beinamen des Grossen
+(Maximus) erhielt, ward einerseits die Wehrpflicht wie billig auch auf die
+nicht ansaessigen Buerger erstreckt, anderseits dafuer Sorge getragen, dass in
+der Distriktversammlung ihrem Einfluss, insbesondere dem der meistenteils des
+Grundbesitzes entbehrenden gewesenen Sklaven, derjenige Riegel vorgeschoben
+ward, welcher in einem Staat, der Sklaverei zulaesst, ein leider
+unerlaessliches Beduerfnis ist. Ein eigentuemliches Sittengericht, das
+allmaehlich an die Schatzung und die Aufnahme der Buergerliste sich anknuepfte,
+schloss ueberdies aus der Buergerschaft alle notorisch unwuerdigen Individuen
+aus und wahrte dem Buergertum die sittliche und politische Reinheit.
+</p>
+
+<p>
+Die Kompetenz der Komitien zeigt die Tendenz, sich mehr und mehr, aber sehr
+allmaehlich zu erweitern. Schon die Vermehrung der vom Volk zu waehlenden
+Magistrate gehoert gewissermassen hierher; bezeichnend ist es besonders, dass
+seit 392 (362) die Kriegstribune einer Legion, seit 443 (311) je vier in jeder
+der vier ersten Legionen, nicht mehr vom Feldherrn, sondern von der
+Buergerschaft ernannt wurden. In die Administration griff waehrend dieser
+Periode die Buergerschaft im ganzen nicht ein; nur das Recht der
+Kriegserklaerung wurde von ihr, wie billig, mit Nachdruck festgehalten und
+namentlich auch fuer den Fall festgestellt, wo ein an Friedens Statt
+abgeschlossener laengerer Waffenstillstand ablief und zwar nicht rechtlich,
+aber tatsaechlich ein neuer Krieg begann (327 427). Sonst ward eine
+Verwaltungsfrage fast nur dann dem Volke vorgelegt, wenn die regierenden
+Behoerden unter sich in Kollision gerieten und eine derselben die Sache an das
+Volk brachte - so, als den Fuehrern der gemaessigten Partei unter dem Adel,
+Lucius Valerius und Marcus Horatius, im Jahre 305 (449) und dem ersten
+plebejischen Diktator Gaius Marcus Rutilus im Jahre 398 (356) vom Senat die
+verdienten Triumphe nicht zugestanden wurden; als die Konsuln des Jahres 459
+(295) ueber ihre gegenseitige Kompetenz nicht untereinander sich einigen
+konnten; und als der Senat im Jahre 364 (390) die Auslieferung eines
+pflichtvergessenen Gesandten an die Gallier beschloss und ein Konsulartribun
+deswegen an die Gemeinde sich wandte - es war dies der erste Fall, wo ein
+Senatsbeschluss vom Volke kassiert ward, und schwer hat ihn die Gemeinde
+gebuesst. Zuweilen gab auch die Regierung in schwierigen Fragen dem Volk die
+Entscheidung anheim: so zuerst, als Caere, nachdem ihm das Volk den Krieg
+erklaert hatte, ehe dieser wirklich begann, um Frieden bat (401 353); und
+spaeter, als der Senat den demuetig von den Samniten erbetenen Frieden ohne
+weiteres abzuschlagen Bedenken trug (436 318). Erst gegen das Ende dieser
+Periode finden wir ein bedeutend erweitertes Eingreifen der Distriktversammlung
+auch in Verwaltungsangelegenheiten, namentlich Befragung derselben bei
+Friedensschluessen und Buendnissen; es ist wahrscheinlich, dass diese
+zurueckgeht auf das Hortensische Gesetz von 467 (287).
+</p>
+
+<p>
+Indes trotz dieser Erweiterungen der Kompetenz der Buergerversammlungen begann
+der praktische Einfluss derselben auf die Staatsangelegenheiten vielmehr,
+namentlich gegen das Ende dieser Epoche, zu schwinden. Vor allem die Ausdehnung
+der roemischen Grenzen entzog der Urversammlung ihren richtigen Boden. Als
+Versammlung der Gemeindesaessigen konnte sie frueher recht wohl in genuegender
+Vollzaehligkeit sich zusammenfinden und recht wohl missen, was sie wollte, auch
+ohne zu diskutieren; aber die roemische Buergerschaft war jetzt schon weniger
+Gemeinde als Staat. Dass die zusammen Wohnenden auch miteinander stimmten,
+brachte allerdings in die roemischen Komitien, wenigstens, wenn nach Quartieren
+gestimmt ward, einen gewissen inneren Zusammenhang und in die Abstimmung hier
+und da Energie und Selbstaendigkeit; in der Regel aber waren doch die Komitien
+in ihrer Zusammensetzung wie in ihrer Entscheidung teils von der
+Persoenlichkeit des Vorsitzenden und vom Zufall abhaengig, teils den in der
+Hauptstadt domizilierten Buergern in die Haende gegeben. Es ist daher
+vollkommen erklaerlich, dass die. Buergerversammlungen, die in den beiden
+ersten Jahrhunderten. der Republik eine grosse und praktische Wichtigkeit
+haben, allmaehlich beginnen, ein reines Werkzeug in der Hand des vorsitzenden
+Beamten zu werden; freilich ein sehr gefaehrliches, da der zum Vorsitz
+berufenen Beamten so viele waren und jeder Beschluss der Gemeinde galt als der
+legale Ausdruck des Volkswillens in letzter Instanz. An der Erweiterung aber
+der verfassungsmaessigen Rechte der Buergerschaft war insofern nicht viel
+gelegen, als diese weniger als frueher eines eigenen Wollens und Handelns
+faehig war, und als es eine eigentliche Demagogie in Rom noch nicht gab -
+haette eine solche damals bestanden, so wuerde sie versucht haben, nicht die
+Kompetenz der Buergerschaft zu erweitern, sondern die politische Debatte vor
+der Buergerschaft zu entfesseln, waehrend es doch bei den alten Satzungen, dass
+nur der Magistrat die Buerger zur Versammlung zu berufen und dass er jede
+Debatte und jede Amendementsstellung auszuschliessen befugt sei, unveraendert
+sein Bewenden hatte. Zur Zeit machte sich diese beginnende Zerruettung der
+Verfassung hauptsaechlich nur insofern geltend, als die Urversammlungen sich
+wesentlich passiv verhielten und im ganzen in das Regiment weder foerdernd noch
+stoerend eingriffen.
+</p>
+
+<p>
+Was die Beamtengewalt anlangt, so war deren Schmaelerung nicht gerade das Ziel
+der zwischen Alt- und Neubuergern gefuehrten Kaempfe, wohl aber eine ihrer
+wichtigsten Folgen. Bei dem Beginn der staendischen Kaempfe, das heisst des
+Streites um den Besitz der konsularischen Gewalt, war das Konsulat noch die
+einige und unteilbare wesentliche koenigliche Amtsgewalt gewesen und hatte der
+Konsul wie ehemals der Koenig noch alle Unterbeamten nach eigener freier Wahl
+bestellt; an Ende desselben waren die wichtigsten Befugnisse: Gerichtsbarkeit,
+Strassenpolizei, Senatoren- und Ritterwahl, Schatzung und Kassenverwaltung von
+dem Konsulat getrennt und an Beamte uebergegangen, die gleich dem Konsul von
+der Gemeinde ernannt wurden und weit mehr neben als unter ihm standen. Das
+Konsulat, sonst das einzige ordentliche Gemeindeamt, war jetzt nicht mehr
+einmal unbedingt das erste: in der neu sich feststellenden Rang- und
+gewoehnlichen Reihenfolge der Gemeindeaemter stand das Konsulat zwar ueber
+Praetur, Aedilitaet und Quaestur, aber unter dem Einschaetzungsamt, an das
+ausser den wichtigsten finanziellen Geschaeften die Feststellung der Buerger-,
+Ritter- und Senatorenliste und damit eine durchaus willkuerliche sittliche
+Kontrolle ueber die gesamte Gemeinde und jeden einzelnen, geringsten wie
+vornehmsten Buerger gekommen war. Der dem urspruenglichen roemischen
+Staatsrecht mit dem Begriff des Oberamts unvereinbar erscheinende Begriff der
+begrenzten Beamtengewalt oder der Kompetenz brach allmaehlich sich Bahn und
+zerfetzte und zerstoerte den aelteren des einen und unteilbaren Imperium. Einen
+Anfang dazu machte schon die Einsetzung der staendigen Nebenaemter, namentlich
+der Quaestur; vollstaendig durchgefuehrt ward sie durch die Licinischen Gesetze
+(387 367), welche von den drei hoechsten Beamten der Gemeinde die ersten beiden
+fuer Verwaltung und Kriegfuehrung, den dritten fuer die Gerichtsleitung
+bestimmten. Aber man blieb hierbei nicht stehen. Die Konsuln, obwohl sie
+rechtlich durchaus und ueberall konkurrierten, teilten doch natuerlich seit
+aeltester Zeit tatsaechlich die verschiedenen Geschaeftskreise (provinciae)
+unter sich. Urspruenglich war dies lediglich durch freie Vereinbarung oder in
+deren Ermangelung durch Losung geschehen; allmaehlich aber griffen die anderen
+konstitutiven Gewalten im Gemeinwesen in diese faktischen Kompetenzbestimmungen
+ein. Es ward ueblich, dass der Senat Jahr fuer Jahr die Geschaeftskreise
+abgrenzte und sie zwar nicht geradezu unter die konkurrierenden Beamten
+verteilte, aber doch durch Ratschlag und Bitte auch auf die Personenfragen
+entscheidend einwirkte. Aeussersten Falls erlangte der Senat auch wohl einen
+Gemeindebeschluss, der die Kompetenzfrage definitiv entschied; doch hat die
+Regierung diesen bedenklichen Ausweg nur sehr selten angewandt. Ferner wurden
+die wichtigsten Angelegenheiten, wie zum Beispiel die Friedensschluesse, den
+Konsuln entzogen und dieselben genoetigt, hierbei an den Senat zu rekurrieren
+und nach dessen Instruktion zu verfahren. Fuer den aeussersten Fall endlich
+konnte der Senat jederzeit die Konsuln vom Amt suspendieren, indem nach einer
+nie rechtlich festgestellten und nie tatsaechlich verletzten Uebung der
+Eintritt der Diktatur lediglich von dem Beschluss des Senats abhing und die
+Bestimmung der zu ernennenden Person, obwohl verfassungsmaessig bei dem
+ernennenden Konsul, doch der Sache nach in der Regel bei dem Senat stand.
+</p>
+
+<p>
+Laenger als in dem Konsulat blieb in der Diktatur die alte Einheit und
+Rechtsfuelle des Imperium enthalten; obwohl sie natuerlich als
+ausserordentliche Magistratur der Sache nach von Haus aus eine Spezialkompetenz
+hatte, gab es doch rechtlich eine solche fuer den Diktator noch weit weniger
+als fuer den Konsul. Indes auch sie ergriff allmaehlich der neu in das
+roemische Rechtsleben eintretende Kompetenzbegriff. Zuerst 391 (363) begegnet
+ein aus theologischem Skrupel ausdruecklich bloss zur Vollziehung einer
+religioesen Zeremonie ernannter Diktator; und wenn dieser selbst noch, ohne
+Zweifel formell verfassungsmaessig, die ihm gesetzte Kompetenz als nichtig
+behandelte und ihr zum Trotz den Heerbefehl uebernahm, so wiederholte bei den
+spaeteren, gleichartig beschraenkten Ernennungen, die zuerst 403 (351) und
+seitdem sehr haeufig begegnen, diese Opposition der Magistratur sich nicht,
+sondern auch die Diktatoren erachteten fortan durch ihre Spezialkompetenzen
+sich gebunden.
+</p>
+
+<p>
+Endlich lagen in dem 412 (342) erlassenen Verbot der Kumulierung ordentlicher
+kurulischer Aemter und in der gleichzeitigen Vorschrift, dass derselbe Mann
+dasselbe Amt in der Regel nicht vor Ablauf einer zehnjaehrigen Zwischenzeit
+solle verwalten koennen, sowie in der spaeteren Bestimmung, dass das
+tatsaechlich hoechste Amt, die Zensur, ueberhaupt nicht zum zweitenmal
+bekleidet werden duerfe (489 265), weitere sehr empfindliche Beschraenkungen
+der Magistratur. Doch war die Regierung noch stark genug, um ihre Werkzeuge
+nicht zu fuerchten und darum eben die brauchbarsten absichtlich ungenutzt zu
+lassen; tapfere Offiziere wurden sehr haeufig von jenen Vorschriften entbunden
+^5, und es kamen noch Faelle vor, wie der des Quintus Fabius Rullianus, der in
+achtundzwanzig Jahren fuenfmal Konsul war, und des Marcus Valerius Corvus
+(384-483 370-271), welcher, nachdem er sechs Konsulate, das erste im
+dreiundzwanzigsten, das letzte im zweiundsiebzigsten Jahre, verwaltet und drei
+Menschenalter hindurch der Hort der Landsleute und der Schrecken der Feinde
+gewesen war, hundertjaehrig zur Grube fuhr.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^5 Wer die Konsularverzeichnisse vor und nach 412 (342) vergleicht, wird an der
+Existenz des oben erwaehnten Gesetzes ueber die Wiederwahl zum Konsulat nicht
+zweifeln; denn so gewoehnlich vor diesem Jahr die Wiederbekleidung des Amtes
+besonders nach drei bis vier Jahren ist, so haeufig sind nachher die
+Zwischenraeume von zehn Jahren und darueber. Doch finden sich, namentlich
+waehrend der schweren Kriegsjahre 434-443 (320-311), Ausnahmen in sehr grosser
+Zahl. Streng hielt man dagegen an der Unzulaessigkeit der Aemterkumulierung. Es
+findet sich kein sicheres Beispiel der Verbindung zweier der drei ordentlichen
+kurulischen (Liv. 39, 39, 4) Aemter (Konsulat, Praetur, kurulische Aedilitaet),
+wohl aber von anderen Kumulierungen, zum Beispiel der kurulischen Aedilitaet
+und des Reiterfuehreramts (Liv. 23 24, 30); der Praetur und der Zensur (Fast.
+Capitol. a 501); der Praetur und der Diktatur (Liv. 8, 12); des Konsulats und
+der Diktatur (Liv. 8, 12).
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Waehrend also der roemische Beamte immer vollstaendiger und immer bestimmter
+aus dem unbeschraenkten Herrn in den gebundenen Auftragnehmer und
+Geschaeftsfuehrer der Gemeinde sich umwandelte, unterlag die alte
+Gegenmagistratur, das Volkstribunat, gleichzeitig einer gleichartigen mehr
+innerlichen als aeusserlichen Umgestaltung. Dasselbe diente im Gemeinwesen zu
+einem doppelten Zweck. Es war von Haus aus bestimmt gewesen, den Geringen und
+Schwachen. durch eine gewissermassen revolutionaere Hilfsleistung (auxilium)
+gegen den gewalttaetigen Uebermut der Beamten zu schuetzen; es war spaeterhin
+gebraucht worden, um die rechtliche Zuruecksetzung der Buergerlichen und die
+Privilegien des Geschlechtsadels zu beseitigen. Letzteres war erreicht. Der
+urspruengliche Zweck war nicht bloss an sich mehr ein demokratisches Ideal als
+eine politische Moeglichkeit, sondern auch der plebejischen Aristokratie, in
+deren Haenden das Tribunat sich befinden musste und befand, vollkommen ebenso
+verhasst und mit der neuen, aus der Ausgleichung der Staende hervorgegangenen,
+womoeglich noch entschiedener als die bisherige aristokratisch gefaerbten,
+Gemeindeordnung vollkommen ebenso unvertraeglich, wie es dem Geschlechtsadel
+verhasst und mit der patrizischen Konsularverfassung unvertraeglich gewesen
+war. Aber anstatt das Tribunat abzuschaffen, zog man vor, es aus einem
+Ruestzeug der Opposition in ein Regierungsorgan umzuschaffen und zog die
+Volkstribune, die von Haus aus von aller Teilnahme an der Verwaltung
+ausgeschlossen und weder Beamte noch Mitglieder des Senats waren, jetzt hinein
+in den Kreis der regierenden Behoerden. Wenn sie in der Gerichtsbarkeit von
+Anfang an den Konsuln gleichstanden und schon in den ersten Stadien der
+staendischen Kaempfe gleich diesen die legislatorische Initiative erwarben, so
+empfingen sie jetzt auch, wir wissen nicht genau wann, aber vermutlich bei oder
+bald nach der schliesslichen Ausgleichung der Staende, gleiche Stellung mit den
+Konsuln gegenueber der tatsaechlich regierenden Behoerde, dem Senate. Bisher
+hatten sie, auf einer Bank an der Tuer sitzend, der Senatsverhandlung
+beigewohnt, jetzt erhielten sie gleich und neben den uebrigen Beamten ihren
+Platz im Senate selbst und das Recht, bei der Verhandlung das Wort zu
+ergreifen; wenn ihnen das Stimmrecht versagt blieb, so war dies nur eine
+Anwendung des allgemeinen Grundsatzes des roemischen Staatsrechts, dass den Rat
+nur gab, wer zur Tat nicht berufen war und also saemtlichen funktionierenden
+Beamten waehrend ihres Amtsjahrs nur Sitz, nicht Stimme im Gemeinderat zukam.
+Aber es blieb hierbei nicht. Die Tribune empfingen das unterscheidende Vorrecht
+der hoechsten Magistratur, das sonst von den ordentlichen Beamten nur den
+Konsuln und Praetoren zustand: das Recht, den Senat zu versammeln, zu befragen
+und einen Beschluss desselben zu bewirken ^6. Es war das nur in der Ordnung:
+die Haeupter der plebejischen Aristokratie mussten denen der patrizischen im
+Senate gleichgestellt werden, seit das Regiment von dem Gesellschaftsadel
+uebergegangen war auf die vereinigte Aristokratie. Indem dieses urspruenglich
+von aller Teilnahme an der Staatsverwaltung ausgeschlossene
+Oppositionskollegium jetzt, namentlich fuer die eigentlich staedtischen
+Angelegenheiten, eine zweite hoechste Exekutivstelle ward und eines der
+gewoehnlichsten und brauchbarsten Organe der Regierung, dass heisst des Senats,
+um die Buergerschaft zu lenken und vor allem um Ausschreitungen der Beamten zu
+hemmen, wurde es allerdings seinem urspruenglichen Wesen nach absorbiert und
+politisch vernichtet; indes war dieses Verfahren in der Tat durch die
+Notwendigkeit geboten. Wie klar auch die Maengel der roemischen Aristokratie
+zutage liegen und wie entschieden das stetige Wachsen der aristokratischen
+Uebermacht mit der tatsaechlichen Beseitigung des Tribunats zusammenhaengt, so
+kann doch nicht verkannt werden, dass auf die Laenge sich nicht mit einer
+Behoerde regieren liess, welche nicht bloss zwecklos war und fast auf die
+Hinhaltung des leidenden Proletariats durch truegerische Hilfsvorspiegelung
+berechnet, sondern zugleich entschieden revolutionaer und im Besitz einer
+eigentlich anarchischen Befugnis der Hemmung der Beamten-, ja der Staatsgewalt
+selbst. Aber der Glaube an das Ideale, in dem alle Macht wie alle Ohnmacht der
+Demokratie begruendet ist, hatte in den Gemuetern der Roemer aufs engste an das
+Gemeindetribunat sich geheftet, und man braucht nicht erst an Cola Rienzi zu
+erinnern, um einzusehen, dass dasselbe, wie wesenlos immer der daraus fuer die
+Menge entspringende Vorteil war, ohne eine furchtbare Staatsumwaelzung nicht
+beseitigt werden konnte. Darum begnuegte man sich mit echt buergerlicher
+Staatsklugheit, in den moeglichst wenig in die Augen fallenden Formen die Sache
+zu vernichten. Der blosse Name dieser ihrem innersten Kern nach revolutionaeren
+Magistratur blieb immer noch innerhalb des aristokratisch regierten
+Gemeinwesens gegenwaertig ein Widerspruch und fuer die Zukunft, in den Haenden
+einer dereinstigen Umsturzpartei, eine schneidende und gefaehrliche Waffe;
+indes fuer jetzt und noch auf lange hinaus war die Aristokratie so unbedingt
+maechtig und so vollstaendig im Besitz des Tribunats, dass von einer
+kollegialischen Opposition der Tribune gegen den Senat schlechterdings keine
+Spur sich findet und die Regierung der etwa vorkommenden verlorenen
+oppositionellen Regungen einzelner solcher Beamten immer ohne Muehe und in der
+Regel durch das Tribunat selbst Herr ward.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^6 Daher werden die fuer den Senat bestimmten Depeschen adressiert an Konsuln,
+Praetoren, Volkstribune und Senat (Cic. ad fam. 15, 2 und sonst).
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+In der Tat war es der Senat, der die Gemeinde regierte, und fast ohne
+Widerstand seit der Ausgleichung der Staende. Seine Zusammensetzung selbst war
+eine andere geworden. Das freie Schalten der Oberbeamten, wie es nach
+Beseitigung der alten Geschlechtervertretung in dieser Hinsicht stattgefunden
+hatte, hatte schon mit der Abschaffung der lebenslaenglichen
+Gemeindevorstandschaft sehr wesentliche Beschraenkungen erfahren.
+</p>
+
+<p>
+Ein weiterer Schritt zur Emanzipation des Senats von der Beamtengewalt erfolgte
+durch den Uebergang der Feststellung dieser Listen von den hoechsten
+Gemeindebeamten auf eine Unterbehoerde, von den Konsuln auf die Zensoren.
+Allerdings wurde, sei es gleich damals oder bald nachher, auch das Recht des
+mit der Anfertigung der Liste beauftragten Beamten, einzelne Senatoren wegen
+eines ihnen anhaftenden Makels aus derselben wegzulassen und somit aus dem
+Senat auszuschliessen, wo nicht eingefuehrt, doch wenigstens schaerfer
+formuliert ^7 und somit jenes eigentuemliche Sittengericht begruendet, auf dem
+das hohe Ansehen der Zensoren vornehmlich beruht. Allein derartige Ruegen
+konnten, da zumal beide Zensoren darueber einig sein mussten, wohl dazu dienen,
+einzelne der Versammlung nicht zur Ehre gereichende oder dem in ihr
+herrschenden Geist feindliche Persoenlichkeiten zu entfernen, nicht aber sie
+selbst in Abhaengigkeit von der Magistratur versetzen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^7 Diese Befugnis sowie die aehnlichen hinsichtlich der Ritter- und der
+Buergerliste waren wohl nicht foermlich und gesetzlich den Zensoren beigelegt,
+lagen aber tatsaechlich von jeher in ihrer Kompetenz. Das Buergerrecht vergibt
+die Gemeinde, nicht der Zensor aber wem dieser in dem Verzeichnis der
+Stimmberechtigten keine oder eine schlechtere Stelle anweist, der verliert das
+Buergerrecht nicht, kann aber die buergerlichen Befugnisse nicht oder nur an
+dem geringeren Platz ausueben bis zur Anfertigung einer neuen Liste. Ebenso
+verhaelt es sich mit dem Senat: wen der Zensor in seiner Liste auslaesst, der
+scheidet aus demselben, solange die betreffende Liste gueltig bleibt - es kommt
+vor, dass der vorsitzende Beamte sie verwirft und die aeltere Liste wieder in
+Kraft setzt. Offenbar kam also in dieser Hinsicht es nicht so sehr darauf an,
+was den Zensoren gesetzlich freistand, sondern was bei denjenigen Beamten,
+welche nach ihren Listen zu laden hatten, ihre Autoritaet vermochte. Daher
+begreift man, wie diese Befugnis allmaehlich stieg und wie mit der steigenden
+Konsolidierung der Nobilitaet dergleichen Streichungen gleichsam die Form
+richterlicher Entscheidungen annahmen und gleichsam als solche respektiert
+wurden. Hinsichtlich der Feststellung der Senatsliste hat freilich auch ohne
+Zweifel die Bestimmung des Ovinischen Plebiszits wesentlich mitgewirkt, dass
+die Zensoren &ldquo;aus allen Rangklassen die Besten&rdquo; in den Senat nehmen
+sollten.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Entscheidend aber beschraenkte das Ovinische Gesetz, welches etwa um die Mitte
+dieser Periode, wahrscheinlich bald nach den Licinischen Gesetzen durchgegangen
+ist, das Recht der Beamten, den Senat nach ihrem Ermessen zu konstituieren,
+indem es demjenigen, der kurulischer Aedil, Praetor oder Konsul gewesen war,
+sofort vorlaeufig Sitz und Stimme im Senat verlieh und die naechst eintretenden
+Zensoren verpflichtete, diese Expektanten entweder foermlich in die
+Senatorenliste einzuzeichnen oder doch nur aus denjenigen Gruenden, welche auch
+zur Ausstossung des wirklichen Senators genuegten, von der Liste
+auszuschliessen. Freilich reichte die Zahl dieser gewesenen Magistrate bei
+weitem nicht aus, um den Senat auf der normalen Zahl von dreihundert zu halten;
+und unter dieselbe durfte man, besonders da die Senatoren- zugleich
+Geschworenenliste war, ihn nicht herabgehen lassen. So blieb dem zensorischen
+Wahlrecht immer noch ein bedeutender Spielraum; indes nahmen diese, nicht durch
+die Bekleidung eines Amtes, sondern durch die zensorische Wahl erkiesten
+Senatoren - haeufig diejenigen Buerger, die ein nicht kurulisches Gemeindeamt
+verwaltet oder durch persoenliche Tapferkeit sich hervorgetan, einen Feind im
+Gefecht getoetet oder einem Buerger das Leben gerettet hatten - zwar an der
+Abstimmung, aber nicht an der Debatte teil. Der Kern des Senats und derjenige
+Teil desselben, in dem Regierung und Verwaltung sich konzentriert, ruhte also
+nach dem Ovinischen Gesetz im wesentlichen nicht mehr auf der Willkuer eines
+Beamten, sondern mittelbar auf der Wahl durch das Volk; und die roemische
+Gemeinde war auf diesem Wege zwar nicht zu der grossen Institution der Neuzeit,
+dem repraesentativen Volksregimente, aber wohl dieser Institution nahe
+gekommen, waehrend die Gesamtheit der nicht debattierenden Senatoren gewaehrte,
+was bei regierenden Kollegien so notwendig wie schwierig herzustellen ist, eine
+kompakte Masse urteilsfaehiger und urteilsberechtiger, aber schweigender
+Mitglieder.
+</p>
+
+<p>
+Die Kompetenz des Senats wurde formell kaum veraendert. Der Senat huetete sich
+wohl, durch unpopulaere Verfassungsaenderungen oder offenbare
+Verfassungsverletzungen der Opposition und der Ambition Handhaben darzubieten;
+er liess es sogar geschehen, wenn er es auch nicht foerderte, dass die
+Buergerschaftskompetenz im demokratischen Sinne ausgedehnt ward. Aber wenn die
+Buergerschaft den Schein, so erwarb der Senat das Wesen der Macht: einen
+bestimmenden Einfluss auf die Gesetzgebung und die Beamtenwahlen und das
+gesamte Gemeinderegiment.
+</p>
+
+<p>
+Jeder neue Gesetzvorschlag ward zunaechst im Senat vorberaten, und kaum wagte
+es je ein Beamter, ohne oder wider das Gutachten des Senats einen Antrag an die
+Gemeinde zu stellen; geschah es dennoch, so hatte der Senat durch die
+Beamteninterzession und die priesterliche Kassation eine lange Reihe von
+Mitteln in der Hand, um jeden unbequemen Antrag im Keime zu ersticken oder
+nachtraeglich zu beseitigen; und im aeussersten Fall hatte er als oberste
+Verwaltungsbehoerde mit der Ausfuehrung auch die Nichtausfuehrung der
+Gemeindebeschluesse in der Hand. Es nahm der Senat ferner unter
+stillschweigender Zustimmung der Gemeinde das Recht in Anspruch, in dringenden
+Faellen unter Vorbehalt der Ratifikation durch Buergerschaftsbeschluss, von den
+Gesetzen zu entbinden - ein Vorbehalt, der von Haus aus nicht viel bedeutete
+und allmaehlich so vollstaendig zur Formalitaet ward, dass man in spaeterer
+Zeit sich nicht einmal mehr die Muehe gab, den ratifizierenden
+Gemeindebeschluss zu beantragen.
+</p>
+
+<p>
+Was die Wahlen anlangt, so gingen sie, soweit sie den Beamten zustanden und von
+politischer Wichtigkeit waren, tatsaechlich ueber auf den Senat; auf diesem
+Wege erwarb derselbe, wie schon gesagt ward, das Recht, den Diktator zu
+bestellen. Groessere Ruecksicht masste allerdings auf die Gemeinde genommen
+werden: es konnte ihr das Recht nicht entzogen werden, die Gemeindeaemter zu
+vergeben; doch ward, wie gleichfalls schon bemerkt wurde, sorgfaeltig darueber
+gewacht, dass diese Beamtenwahl nicht etwa in die Vergebung bestimmter
+Kompetenzen, namentlich nicht der Oberfeldherrnstellen in bevorstehenden
+Kriegen, uebergehe. Ueberdies brachte teils der neu eingefuehrte
+Kompetenzbegriff, teils das dem Senat tatsaechlich zugestandene Recht, von den
+Gesetzen zu entbinden, einen wichtigen Teil der Aemterbesetzung in die Haende
+des Senats. Von dem Einfluss, den der Senat auf die Feststellung der
+Geschaeftskreise namentlich der Konsuln ausuebte, ist schon die Rede gewesen.
+Von dem Dispensationsrecht war eine der wichtigsten Anwendungen die Entbindung
+des Beamten von der gesetzlichen Befristung seines Amtes, welche zwar, als den
+Grundgesetzen der Gemeinde zuwider, nach roemischen Staatsrecht in dem
+eigentlichen Stadtbezirk nicht vorkommen durfte, aber ausserhalb desselben
+wenigstens insoweit galt, als der Konsul und Praetor, dem die Frist verlaengert
+war, nach Ablauf derselben fortfuhr, &ldquo;an Konsul&rdquo; oder
+&ldquo;Praetor Statt&rdquo; (pro consule, pro praetore) zu fungieren.
+Natuerlich stand dies wichtige, dem Ernennungsrecht wesentlich gleichstehende
+Recht der Fristerstreckung gesetzlich allein der Gemeinde zu und ward
+anfaenglich auch faktisch von ihr gehandhabt; aber doch wurde schon 447 (307)
+und seitdem regelmaessig den Oberfeldherren das Kommando durch blossen
+Senatsbeschluss verlaengert. Dazu kam endlich der uebermaechtige und klug
+vereinigte Einfluss der Aristokratie auf die Wahlen, welcher dieselben nicht
+immer, aber in der Regel auf die der Regierung genehmen Kandidaten lenkte.
+</p>
+
+<p>
+Was schliesslich die Verwaltung anlangt, so hing Krieg, Frieden und Buendnis,
+Kolonialgruendung, Ackerassignation, Bauwesen, ueberhaupt jede Angelegenheit
+von dauernder und durchgreifender Wichtigkeit, und namentlich das gesamte
+Finanzwesen lediglich ab von dem Senat. Er war es, der Jahr fuer Jahr den
+Beamten in der Feststellung ihrer Geschaeftskreise und in der Limitierung der
+einem jeden zur Verfuegung zu stellenden Truppen und Gelder die allgemeine
+Instruktion gab, und an ihn ward von allen Seiten in allen wichtigen Faellen
+rekurriert: keinem Beamten, mit Ausnahme des Konsuls, und keinem Privaten
+durften die Vorsteher der Staatskasse Zahlung anders leisten als nach
+vorgaengigem Senatsbeschluss. Nur in die Besorgung der laufenden
+Angelegenheiten und in die richterliche und militaerische Spezialverwaltung
+mischte das hoechste Regierungskollegium sich nicht ein; es war zu viel
+politischer Sinn und Takt in der roemischen Aristokratie, um die Leitung des
+Gemeinwesens in eine Bevormundung des einzelnen Beamten und das Werkzeug in
+eine Maschine verwandeln zu wollen.
+</p>
+
+<p>
+Dass dies neue Regiment des Senats bei aller Schonung der bestehenden Formen
+eine vollstaendige Umwaelzung des alten Gemeinwesens in sich schloss, leuchtet
+ein; dass die freie Taetigkeit der Buergerschaft stockte und erstarrte und die
+Beamten zu Sitzungspraesidenten und ausfuehrenden Kommissarien herabsanken,
+dass ein durchaus nur beratendes Kollegium die Erbschaft beider
+verfassungsmaessiger Gewalten tat und, wenn auch in den bescheidensten Formen,
+die Zentralregierung der Gemeinde ward, war revolutionaer und usurpatorisch.
+Indes wenn jede Revolution und jede Usurpation durch die ausschliessliche
+Faehigkeit zum Regimente vor dem Richterstuhl der Geschichte gerechtfertigt
+erscheint, so muss auch ihr strenges Urteil es anerkennen, dass diese
+Koerperschaft ihre grosse Aufgabe zeitig begriffen und wuerdig erfuellt hat.
+Berufen nicht durch den eitlen Zufall der Geburt, sondern wesentlich durch die
+freie Wahl der Nation; bestaetigt von vier zu vier Jahren durch das strenge
+Sittengericht der wuerdigsten Maenner; auf Lebenszeit im Amte und nicht
+abhaengig von dem Ablauf des Mandats oder von der schwankenden Meinung des
+Volkes; in sich einig und geschlossen seit der Ausgleichung der Staende; alles
+in sich schliessend, was das Volk besass von politischer Intelligenz und
+praktischer Staatskunde; unumschraenkt verfuegend in allen finanziellen Fragen
+und in der Leitung der auswaertigen Politik; die Exekutive vollkommen
+beherrschend durch deren kurze Dauer und durch die dem Senat nach der
+Beseitigung des staendischen Haders dienstbar gewordene tribunizische
+Interzession, war der roemische Senat der edelste Ausdruck der Nation und in
+Konsequenz und Staatsklugheit, in Einigkeit und Vaterlandsliebe, in Machtfuelle
+und sicherem Mut die erste politische Koerperschaft aller Zeiten - auch jetzt
+noch &ldquo;eine Versammlung von Koenigen&rdquo;, die es verstand, mit
+republikanischer Hingebung despotische Energie zu verbinden. Nie ist ein Staat
+nach aussen fester und wuerdiger vertreten worden als Rom in seiner guten Zeit
+durch seinen Senat. In der inneren Verwaltung ist es allerdings nicht zu
+verkennen, dass die im Senat vorzugsweise vertretene Geld- und
+Grundaristokratie in den ihre Sonderinteressen betreffenden Angelegenheiten
+parteiisch verfuhr und dass die Klugheit und die Energie der Koerperschaft hier
+haeufig von ihr nicht zum Heil des Staates gebraucht worden sind. Indes der
+grosse, in schweren Kaempfen festgestellte Grundsatz, dass jeder roemische
+Buerger gleich vor dem Gesetz sei in Rechten und Pflichten, und die daraus sich
+ergebende Eroeffnung der politischen Laufbahn, das heisst des Eintritts in den
+Senat fuer jedermann, erhielten neben dem Glanz der militaerischen und
+politischen Erfolge die staatliche und nationale Eintracht und nahmen dem
+Unterschied der Staende jene Erbitterung und Gehaessigkeit, die den Kampf der
+Patrizier und Plebejer bezeichnen; und da die glueckliche Wendung der aeusseren
+Politik es mit sich brachte, dass laenger als ein Jahrhundert die Reichen
+Spielraum fuer sich fanden, ohne den Mittelstand unterdruecken zu muessen, so
+hat das roemische Volk in seinem Senat laengere Zeit, als es einem Volke
+verstattet zu sein pflegt, das grossartigste aller Menschenwerke durchzufuehren
+vermocht, eine weise und glueckliche Selbstregierung.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap04"></a>KAPITEL IV.<br/>
+Sturz der etruskischen Macht. Die Kelten.</h2>
+
+<p>
+Nachdem die Entwicklung der roemischen Verfassung waehrend der zwei ersten
+Jahrhunderte der Republik dargestellt ist, ruft uns die aeussere Geschichte
+Roms und Italiens wieder zurueck in den Anfang dieser Epoche. Um diese Zeit,
+als die Tarquinier aus Rom vertrieben wurden, stand die etruskische Macht auf
+ihrem Hoehepunkt. Die Herrschaft auf der Tyrrhenischen See besassen
+unbestritten die Tusker und die mit ihnen eng verbuendeten Karthager. Wenn auch
+Massalia unter steten und schweren Kaempfen sich behauptete, so waren dagegen
+die Haefen Kampaniens und der volskischen Landschaft und seit der Schlacht von
+Alalia auch Korsika im Besitz der Etrusker. In Sardinien gruendeten durch die
+vollstaendige Eroberung der Insel (um 260 500) die Soehne des karthagischen
+Feldherrn Mago die Groesse zugleich ihres Hauses und ihrer Stadt, und in
+Sizilien behaupteten die Phoeniker waehrend der inneren Fehden der hellenischen
+Kolonien ohne wesentliche Anfechtung den Besitz der Westhaelfte. Nicht minder
+beherrschten die Schiffe der Etrusker das Adriatische Meer, und selbst in den
+oestlichen Gewaessern waren ihre Kaper gefuerchtet.
+</p>
+
+<p>
+Auch zu Lande schien ihre Macht im Steigen. Den Besitz der latinischen
+Landschaft zu gewinnen, war fuer Etrurien, das von den volskischen in seiner
+Klientel stehenden Staedten und von seinen kampanischen Besitzungen allein
+durch die Latiner geschieden war, von der entscheidendsten Wichtigkeit. Bisher
+hatte das feste Bollwerk der roemischen Macht Latium ausreichend beschirmt und
+die Tibergrenze mit Erfolg gegen Etrurien behauptet. Allein als der gesamte
+tuskische Bund, die Verwirrung und die Schwaeche des roemischen Staats nach der
+Vertreibung der Tarquinier benutzend, jetzt unter dem Koenig Lars Porsena von
+Clusium seinen Angriff maechtiger als zuvor erneuerte, fand er nicht ferner den
+gewohnten Widerstand; Rom kapitulierte und trat im Frieden (angeblich 247 507)
+nicht bloss alle Besitzungen am rechten Tiberufer an die naechstliegenden
+tuskischen Gemeinden ab und gab also die ausschliessliche Herrschaft ueber den
+Strom auf, sondern lieferte auch dem Sieger seine saemtlichen Waffen aus und
+gelobte, fortan des Eisens nur zur Pflugschar sich zu bedienen. Es schien, als
+sei die Einigung Italiens unter tuskischer Suprematie nicht mehr fern.
+</p>
+
+<p>
+Allein die Unterjochung, womit die Koalition der etruskischen und karthagischen
+Nation die Griechen wie die Italiker bedroht, ward gluecklich abgewendet durch
+das Zusammenhalten der durch Stammverwandtschaft wie durch die gemeinsame
+Gefahr aufeinander angewiesenen Voelker. Zunaechst fand das etruskische Heer,
+das nach Roms Fall in Latium eingedrungen war, vor den Mauern von Aricia die
+Grenze seiner Siegesbahn durch die rechtzeitige Hilfe der den Aricinern zur
+Hilfe herbeigeeilten Kymaeer (248 506). Wir wissen nicht, wie der Krieg
+endigte, und namentlich nicht, ob Rom schon damals den verderblichen und
+schimpflichen Frieden zerriss; gewiss ist nur, dass die Tusker auch diesmal auf
+dem linken Tiberufer sich dauernd zu behaupten nicht vermochten.
+</p>
+
+<p>
+Bald ward die hellenische Nation zu einem noch umfassenderen und noch
+entscheidenderen Kampf gegen die Barbaren des Westens wie des Ostens genoetigt.
+Es war um die Zeit der Perserkriege. Die Stellung der Tyrier zu dem Grosskoenig
+fuehrte auch Karthago in die Bahnen der persischen Politik - wie denn selbst
+ein Buendnis zwischen den Karthagern und Xerxes glaubwuerdig ueberliefert ist -
+und mit den Karthagern die Etrusker. Es war eine der grossartigsten politischen
+Kombinationen, die gleichzeitig die asiatischen Scharen auf Griechenland, die
+phoenikischen auf Sizilien warf, um mit einem Schlag die Freiheit und die
+Zivilisation vom Angesicht der Erde zu vertilgen. Der Sieg blieb den Hellenen.
+Die Schlacht bei Salamis (274 der Stadt 480) rettete und raechte das
+eigentliche Hellas; und an demselben Tag - so wird erzaehlt - besiegten die
+Herren von Syrakus und Akragas, Gelon und Theron, das ungeheure Heer des
+karthagischen Feldherrn Hamilkar, Magos Sohn, bei Himera so vollstaendig, dass
+der Krieg damit zu Ende war und die Phoeniker, die damals noch keineswegs den
+Plan verfolgten, ganz Sizilien fuer eigene Rechnung sich zu unterwerfen,
+zurueckkehrten zu ihrer bisherigen defensiven Politik. Noch sind von den
+grossen Silberstuecken erhalten, welche aus dem Schmuck der Gemahlin Gelons,
+Damareta, und anderer edler Syrakusanerinnen fuer diesen Feldzug geschlagen
+wurden, und die spaeteste Zeit gedachte dankbar des milden und tapferen Koenigs
+von Syrakus und des herrlichen, von Simonides gefeierten Sieges.
+</p>
+
+<p>
+Die naechste Folge der Demuetigung Karthagos war der Sturz der Seeherrschaft
+ihrer etruskischen Verbuendeten. Schon Anaxilas, der Herr von Rhegion und
+Zankte, hatte ihren Kapern die sizilische Meerenge durch eine stehende Flotte
+gesperrt (um 272 482); einen entscheidenden Sieg erfochten bald darauf die
+Kymaeer und Hieron von Syrakus bei Kyme (280 474) ueber die tyrrhenische
+Flotte, der die Karthager vergeblich Hilfe zu bringen versuchten. Das ist der
+Sieg, welchen Pindaros in der ersten pythischen Ode feiert, und noch ist der
+Etruskerhelm vorhanden, den Hieron nach Olympia sandte mit der Aufschrift:
+&ldquo;Hiaron des Deinomenes Sohn und die Syrakosier dem Zeus Tyrrhanisches von
+Kyma&rdquo; ^1.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Fιάρον ο Διομένεος καί τοί Συρακόσιοι τοί Δί' Τύραν' από Κύμας.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Waehrend diese ungemeinen Erfolge gegen Karthager und Etrusker Syrakus an die
+Spitze der sizilischen Griechenstaedte brachten, erhob unter den italischen
+Hellenen, nachdem um die Zeit der Vertreibung der Koenige aus Rom (243 511) das
+achaeische Sybaris untergegangen war, das dorische Tarent sich unbestritten zu
+der ersten Stelle; die furchtbare Niederlage der Tarentiner durch die Iapyger
+(280 474), die schwerste, die bis dahin ein Griechenheer erlitten hatte,
+entfesselte nur, aehnlich wie der Persersturm in Hellas, die ganze Gewalt des
+Volksgeistes in energisch demokratischer Entwicklung. Von jetzt an spielen
+nicht mehr die Karthager und die Etrusker die erste Rolle in den italischen
+Gewaessern, sondern im Adriatischen und Ionischen Meer die Tarentiner, im
+Tyrrhenischen die Massalioten und die Syrakusaner, und namentlich die letzteren
+beschraenkten mehr und mehr das etruskische Korsarenwesen. Schon Hieron hatte
+nach dem Siege bei Kyme die Insel Aenaria (Ischia) besetzt und damit die
+Verbindung zwischen den kampanischen und den noerdlichen Etruskern
+unterbrochen. Um das Jahr 302 (452) wurde von Syrakus, um der tuskischen
+Piraterie gruendlich zu steuern, eine eigene Expedition ausgesandt, die die
+Insel Korsika und die etruskische Kueste verheerte und die Insel Aethalia
+(Elba) besetzte. Ward man auch nicht voellig Herr ueber die
+etruskisch-karthagischen Piraten - wie denn das Kaperwesen zum Beispiel in
+Antium bis in den Anfang des fuenften Jahrhunderts der Stadt fortgedauert zu
+haben scheint -, so war doch das maechtige Syrakus ein starkes Bollwerk gegen
+die verbuendeten Tusker und Phoeniker. Einen Augenblick freilich schien es, als
+muesse die syrakusische Macht gebrochen werden durch die Athener, deren Seezug
+gegen Syrakus im Lauf des Peloponnesischen Krieges (339-341 415-413) die
+Etrusker, die alten Handelsfreunde Athens, mit drei Fuenfzigruderern
+unterstuetzten. Allein der Sieg blieb, wie bekannt, im Westen wie im Osten den
+Dorern. Nach dem schmaehlichen Scheitern der attischen Expedition ward Syrakus
+so unbestritten die erste griechische Seemacht, dass die Maenner, die dort an
+der Spitze des Staates standen, die Herrschaft ueber Sizilien und Unteritalien
+und ueber beide Meere Italiens ins Auge fassten; wogegen anderseits die
+Karthager, die ihre Herrschaft in Sizilien jetzt ernstlich bedroht sahen, auch
+auf ihrer Seite die Ueberwaeltigung der Syrakusaner und die Unterwerfung der
+ganzen Insel zum Ziel ihrer Politik nehmen mussten und nahmen. Der Verfall der
+sizilischen Mittelstaaten, die Steigerung der karthagischen Macht auf der
+Insel, die zunaechst aus diesen Kaempfen hervorgingen, koennen hier nicht
+erzaehlt werden; was Etrurien anlangt, so fuehrte gegen dies der neue Herr von
+Syrakus, Dionysios (reg. 348-387 406-367), die empfindlichsten Schlaege. Der
+weitstrebende Koenig gruendete seine neue Kolonialmacht vor allem in dem
+italischen Ostmeer, dessen noerdlichere Gewaesser jetzt zum erstenmal einer
+griechischen Seemacht untertan wurden. Um das Jahr 367 (387) besetzte und
+kolonisierte Dionysios an der illyrischen Kueste den Hafen Lissos und die Insel
+Issa, an der italischen die Landungsplaetze Ankon, Numana und Atria; das
+Andenken an die syrakusanische Herrschaft in dieser entlegenen Gegend bewahrten
+nicht bloss die &ldquo;Graeben des Philistos&rdquo;, ein ohne Zweifel von dem
+bekannten Geschichtschreiber und Freunde des Dionysios, der die Jahre seiner
+Verbannung (368 386f.) in Atria verlebte, angelegter Kanal an der Pomuendung;
+auch die veraenderte Benennung des italischen Ostmeers selbst, wofuer seitdem
+anstatt der aelteren Benennung des Ionischen Busens die heute noch gangbare des
+&ldquo;Meeres von Hadria&rdquo; vorkommt, geht wahrscheinlich auf diese
+Ereignisse zurueck ^2. Aber nicht zufrieden mit diesen Angriffen auf die
+Besitzungen und Handelsverbindungen der Etrusker im Ostmeer, griff Dionysios
+durch die Erstuermung und Pluenderung der reichen caeritischen Hafenstadt Pygri
+(369 385 die etruskische Macht in ihrem innersten Kern an. Sie hat denn auch
+sich nicht wieder erholt. Als nach Dionysios&rsquo; Tode die inneren Unruhen in
+Syrakus den Karthagern freiere Bahn machten und deren Flotte wieder im
+Tyrrhenischen Meer das Uebergewicht bekam, das sie seitdem mit kurzen
+Unterbrechungen behauptete, lastete dieses nicht minder schwer auf den
+Etruskern wie auf den Griechen; so dass sogar, als im Jahre 444 (310)
+Agathokles von Syrakus zum Krieg mit Karthago ruestete, achtzehn tuskische
+Kriegsschiffe zu ihm stiessen. Die Etrusker mochten fuer Korsika fuerchten, das
+sie wahrscheinlich damals noch behaupteten; die alte tuskisch-phoenikische
+Symmachie, die noch zu Aristoteles&rsquo; Zeit (370-432 384-322) bestand, ward
+damit gesprengt, aber die Schwaeche der Etrusker zur See nicht wieder
+aufgehoben.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^2 Hekataeos († nach 257 497, Rom) und noch Herodot (270 bis nach 345 484-409)
+kennen den Hatrias nur als das Podelta und das dasselbe bespuelende Meer (K. O.
+Mueller, Die Etrusker. Breslau 1828. Bd. 1, S. 140; GGM 1, p. 23). In weiterer
+Bedeutung findet sich die Benennung des Hadriatischen Meeres zuerst bei dem
+sogenannten Skylax um 418 der Stadt (336).
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Dieser rasche Zusammensturz der etruskischen Seemacht wuerde unerklaerlich
+sein, wenn nicht gegen die Etrusker zu eben der Zeit, wo die sizilischen
+Griechen sie zur See angriffen, auch zu Lande von allen Seiten her die
+schwersten Schlaege gefallen waeren. Um die Zeit der Schlachten von Salamis,
+Himera und Kyme ward, dem Berichte der roemischen Annalen zufolge, zwischen Rom
+und Veii ein vieljaehriger und heftiger Krieg gefuehrt (271-280 483-474). Die
+Roemer erlitten in demselben schwere Niederlagen; im Andenken geblieben ist die
+Katastrophe der Fabier (277 477), die infolge der inneren Krisen sich
+freiwillig aus der Hauptstadt verbannt und die Verteidigung der Grenze gegen
+Etrurien uebernommen hatten, hier aber am Bache Cremera bis auf den letzten
+waffenfaehigen Mann niedergehauen wurden. Allein der Waffenstillstand auf 400
+Monate, der anstatt Friedens den Krieg beendigte, fiel fuer die Roemer insofern
+guenstig aus, als er wenigstens den Status quo der Koenigszeit
+wiederherstellte; die Etrusker verzichteten auf Fidenae und den am rechten
+Tiberufer gewonnenen Distrikt. Es ist nicht auszumachen, inwieweit dieser
+roemisch-etruskische Krieg mit dem hellenisch-persischen und dem
+sizilisch-karthagischen in unmittelbaren Zusammenhange stand; aber moegen die
+Roemer die Verbuendeten der Sieger von Salamis und von Himera gewesen sein oder
+nicht, die Interessen wie die Folgen trafen jedenfalls zusammen.
+</p>
+
+<p>
+Wie die Latiner warfen auch die Samniten sich auf die Etrusker; und kaum war
+deren kampanische Niederlassung durch die Folgen des Treffens bei Kyme vom
+Mutterlande abgeschnitten worden, als sie auch schon nicht mehr imstande war,
+den Angriffen der sabellischen Bergvoelker zu widerstehen. Die Hauptstadt Capua
+fiel 330 (424) und die tuskische Bevoelkerung ward hier bald nach der Eroberung
+von den Samniten ausgerottet oder verjagt. Freilich hatten auch die
+kampanischen Griechen, vereinzelt und geschwaecht, unter derselben Invasion
+schwer zu leiden; Kyme selbst ward 334 (420) von den Sabellern erobert. Dennoch
+behaupteten die Griechen sich namentlich in Neapolis, vielleicht mit Hilfe der
+Syrakusaner, waehrend der etruskische Name in Kampanien aus der Geschichte
+verschwindet; kaum dass einzelne etruskische Gemeinden eine kuemmerliche und
+verlorene Existenz sich dort fristeten.
+</p>
+
+<p>
+Aber noch folgenreichere Ereignisse traten um dieselbe Zeit im noerdlichen
+Italien ein. Eine neue Nation pochte an die Pforten der Alpen: es waren die
+Kelten; und ihr erster Andrang traf die Etrusker.
+</p>
+
+<p>
+Die keltische, auch galatische oder gallische Nation hat von der
+gemeinschaftlichen Mutter eine andere Ausstattung empfangen als die italische,
+die germanische und die hellenische Schwester. Es fehlt ihr bei manchen
+tuechtigen und noch mehr glaenzenden Eigenschaften die tiefe sittliche und
+staatliche Anlage, auf welche alles Gute und Grosse in der menschlichen
+Entwicklung sich gruendet. Es galt, sagt Cicero, als schimpflich fuer den
+freien Kelten, das Feld mit eigenen Haenden zu bestellen. Dem Ackerbau zogen
+sie das Hirtenleben vor und trieben selbst in den fruchtbaren Poebenen
+vorzugsweise die Schweinezucht, von dem Fleisch ihrer Herden sich naehrend und
+in den Eichenwaeldern mit ihnen Tag und Nacht verweilend. Die Anhaenglichkeit
+an die eigene Scholle, wie sie den Italikern und den Germanen eigen ist, fehlt
+bei den Kelten; wogegen sie es lieben, in den Staedten und Flecken zusammen zu
+siedeln und diese bei ihnen frueher, wie es scheint, als in Italien Ausdehnung
+und Bedeutung gewonnen haben. Ihre buergerliche Verfassung ist unvollkommen;
+nicht bloss wird die nationale Einheit nur durch ein schwaches Band vertreten,
+was ja in gleicher Weise von allen Nationen anfaenglich gilt, sondern es
+mangelt auch in den einzelnen Gemeinden an Eintracht und festem Regiment, an
+ernstem Buergersinn und folgerechtem Streben. Die einzige Ordnung, der sie sich
+schicken, ist die militaerische, in der die Bande der Disziplin dem einzelnen
+die schwere Muehe abnehmen, sich selber zu bezwingen. &ldquo;Die
+hervorstehenden Eigenschaften der keltischen Rasse&rdquo;, sagt ihr
+Geschichtschreiber Thierry, &ldquo;sind die persoenliche Tapferkeit, in der sie
+es allen Voelkern zuvortun; ein freier, stuermischer, jedem Eindruck
+zugaenglicher Sinn; viel Intelligenz, aber daneben die aeusserste
+Beweglichkeit, Mangel an Ausdauer, Widerstreben gegen Zucht und Ordnung,
+Prahlsucht und ewige Zwietracht, die Folge der grenzenlosen Eitelkeit.&rdquo;
+Kuerzer sagt ungefaehr dasselbe der alte Cato: &ldquo;auf zwei Dinge geben die
+Kelten viel: auf das Fechten und auf den Esprit&rdquo; ^3. Solche Eigenschaften
+guter Soldaten und schlechter Buerger erklaeren die geschichtliche Tatsache,
+dass die Kelten alle Staaten erschuettert und keinen gegruendet haben. Ueberall
+finden wir sie bereit zu wandern, das heisst zu marschieren; dem Grundstueck
+die bewegliche Habe vorziehend, allem anderen aber das Gold; das Waffenwerk
+betreibend als geordnetes Raubwesen oder gar als Handwerk um Lohn und
+allerdings mit solchem Erfolge, dass selbst der roemische Geschichtschreiber
+Sallustius im Waffenwerk den Kelten den Preis vor den Roemern zugesteht. Es
+sind die rechten Lanzknechte des Altertums, wie die Bilder und Beschreibungen
+sie uns darstellen: grosse, nicht sehnige Koerper, mit zottigem Haupthaar und
+langem Schnauzbart - recht im Gegensatz zu Griechen und Roemern, die das Haupt
+und die Oberlippe schoren -, in bunten gestickten Gewaendern, die beim Kampf
+nicht selten abgeworfen wurden, mit dem breiten Goldring um den Hals, unbehelmt
+und ohne Wurfwaffen jeder Art, aber dafuer mit ungeheurem Schild nebst dem
+langen schlechtgestaehlten Schwert, dem Dolch und der Lanze, alle diese Waffen
+mit Gold geziert, wie sie denn die Metalle nicht ungeschickt zu bearbeiten
+verstanden. Zum Renommieren dient alles, selbst die Wunde, die oft
+nachtraeglich erweitert wird, um mit der breiteren Schmarre zu prunken.
+Gewoehnlich fechten sie zu Fuss, einzelne Schwaerme aber auch zu Pferde, wo
+dann jedem Freien zwei gleichfalls berittene Knappen folgen; Streitwagen finden
+sich frueh wie bei den Libyern und den Hellenen in aeltester Zeit. Mancher Zug
+erinnert an das Ritterwesen des Mittelalters; am meisten die den Roemern und
+Griechen fremde Sitte des Zweikampfes. Nicht bloss im Kriege pflegten sie den
+einzelnen Feind, nachdem sie ihn zuvor mit Worten und Gebaerden verhoehnt
+hatten, zum Kampfe zu fordern; auch im Frieden fochten sie gegeneinander in
+glaenzender Ruestung auf Leben und Tod. Dass die Zechgelage hernach nicht
+fehlten, versteht sich. So fuehrten sie unter eigener oder fremder Fahne ein
+unstetes Soldatenleben, das sie von Irland und Spanien bis nach Kleinasien
+zerstreute unter steten Kaempfen und sogenannten Heldentaten; aber was sie auch
+begannen, es zerrann wie der Schnee im Fruehling, und nirgends ist ein grosser
+Staat, nirgends eine eigene Kultur von ihnen geschaffen worden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^3 Pleraque Gallia duas res industriosissime persequitur: rem militarem et
+argute loqui. (Cato or. frg. 2, 2).
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+So schildern uns die Alten diese Nation; ueber ihre Herkunft laesst sich nur
+mutmassen. Demselben Schoss entsprungen, aus dem auch die hellenischen,
+italischen und germanischen Voelkerschaften hervorgingen, sind die Kelten ohne
+Zweifel gleich diesen aus dem oestlichen Mutterland in Europa eingerueckt, wo
+sie in fruehester Zeit das Westmeer erreichten und in dem heutigen Frankreich
+ihre Hauptsitze begruendeten ^4, gegen Norden hin uebersiedelnd auf die
+britannischen Inseln, gegen Sueden die Pyrenaeen ueberschreitend und mit den
+iberischen Voelkerschaften um den Besitz der Halbinsel ringend. An den Alpen
+indes stroemte ihre erste grosse Wanderung vorbei und erst von den westlichen
+Laendern aus begannen sie in kleineren Massen und in entgegengesetzter Richtung
+jene Zuege, die sie ueber die Alpen und den Haemus, ja ueber den Bosporus
+fuehrten und durch die sie der Schrecken der saemtlichen zivilisierten Nationen
+des Altertums geworden und durch manche Jahrhunderte geblieben sind, bis
+Caesars Siege und die von Augustus geordnete Grenzverteidigung ihre Macht fuer
+immer brachen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^4 Neuerdings ist von kundigen Sprachforschern behauptet worden, dass die
+Verwandtschaft der Kelten und der Italiker naeher sei, als selbst die der
+letzteren und der Hellenen, das heisst, dass derjenige Ast des grossen Baumes,
+von dem die west- und suedeuropaeischen Voelkerschaften indogermanischen
+Stammes entsprungen sind, zunaechst sich in Griechen und Italokelten und
+betraechtlich spaeter die letzteren sich wieder in Italiker und Kelten
+gespalten haetten. Geographisch ist diese Aufstellung sehr annehmbar, und auch
+die geschichtlich vorliegenden Tatsachen lassen sich vielleicht damit ebenfalls
+in Einklang bringen da, was bisher als graecoitalische Zivilisation angesehen
+worden ist, fueglich graecokeltoitalisch gewesen sein kann - wissen wir doch
+ueber die aelteste keltische Kulturstufe in der Tat nichts. Die sprachliche
+Untersuchung scheint indes noch nicht so weit gediehen zu sein, dass ihre
+Ergebnisse in die aelteste Voelkergeschichte eingereiht werden duerften.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die einheimische Wandersage, die hauptsaechlich Livius uns erhalten hat,
+berichtet von diesen spaeteren ruecklaeufigen Zuegen folgendermassen ^5. Die
+gallische Eidgenossenschaft, an deren Spitze damals wie noch zu Caesars Zeit
+der Gau der Biturigen (um Bourges) stand, habe unter dem Koenig Ambiatus zwei
+grosse Heeresschwaerme entsendet, gefuehrt von den beiden Neffen des Koenigs,
+und es sei der eine derselben, Sigovesus, ueber den Rhein in der Richtung auf
+den Schwarzwald zu vorgedrungen, der zweite, Bellovesus, ueber die Graischen
+Alpen (den Kleinen St. Bernhard) in das Potal hinabgestiegen. Von jenem stamme
+die gallische Niederlassung an der mittleren Donau, von diesem die aelteste
+keltische Ansiedlung in der heutigen Lombardei, der Gau der Insubrer mit dem
+Hauptort Mediolanum (Mailand). Bald sei ein zweiter Schwarm gefolgt, der den
+Gau der Cenomaner mit den Staedten Brixia (Brescia) und Verona begruendet habe.
+Unaufhoerlich stroemte es fortan ueber die Alpen in das schoene ebene Land; die
+keltischen Staemme samt den von ihnen aufgetriebenen und fortgerissenen
+ligurischen entrissen den Etruskern einen Platz nach dem andern, bis das ganze
+linke Poufer in ihren Haenden war. Nach dem Fall der reichen etruskischen Stadt
+Melpum (vermutlich in der Gegend von Mailand), zu deren Bezwingung sich die
+schon im Potal ansaessigen Kelten mit neugekommenen Staemmen vereinigt hatten
+(358? 396), gingen diese letzteren hinueber auf das rechte Ufer des Flusses und
+begannen die Umbrer und Etrusker in ihren uralten Sitzen zu bedraengen. Es
+waren dies vornehmlich die angeblich auf einer anderen Strasse, ueber den
+Poeninischen Berg (Grossen St. Bernhard) in Italien eingedrungenen Boier; sie
+siedelten sich an in der heutigen Romagna, wo die alte Etruskerstadt Felsina,
+von den neuen Herren Bononia umgenannt, ihre Hauptstadt wurde. Endlich kamen
+die Senonen, der letzte groessere Keltenstamm, der ueber die Alpen gelangt ist;
+er nahm seine Sitze an der Kueste des Adriatischen Meeres von Rimini bis
+Ancona. Aber einzelne Haufen keltischer Ansiedler muessen sogar bis tief nach
+Umbrien hinein, ja bis an die Grenze des eigentlichen Etrurien vorgedrungen
+sein; denn noch bei Todi am oberen Tiber haben sich Steinschriften in
+keltischer Sprache gefunden. Enger und enger zogen sich nach Norden und Osten
+hin die Grenzen Etruriens zusammen, und um die Mitte des vierten Jahrhunderts
+sah die tuskische Nation sich schon wesentlich auf dasjenige Gebiet
+beschraenkt, das seitdem ihren Namen getragen hat und heute noch traegt.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^5 Die Sage ueberliefern Livius (5, 34) und Iustin (24, 4) und auch Caesar
+(Gall. 6, 24) hat sie im Sinn gehabt. Die Verknuepfung indes der Wanderung des
+Bellovesus mit der Gruendung von Massalia, wodurch jene chronologisch auf die
+Mitte des zweiten Jahrhunderts der Stadt bestimmt wird, gehoert unzweifelhaft
+nicht der einheimischen, natuerlich zeitlosen Sage an, sondern der spaeteren
+chronologisierenden Forschung und verdient keinen Glauben. Einzelne Einfaelle
+und Einwanderungen moegen sehr frueh stattgefunden haben; aber das gewaltige
+Umsichgreifen der Kelten in Norditalien kann nicht vor die Zeit des Sinkens der
+etruskischen Macht, das heisst nicht vor die zweite Haelfte des dritten
+Jahrhunderts der Stadt gesetzt werden.
+</p>
+
+<p>
+Ebenso ist, nach der einsichtigen Ausfuehrung von Wickham und Cramer, nicht
+daran zu zweifeln, dass der Zug des Bellovesus wie der des Hannibal nicht ueber
+die Kottischen Alpen (Mont Genèvre) und durch das Gebiet der Tauriner, sondern
+ueber die Graischen (den Kleinen St. Bernhard) und durch das der Salasser ging;
+den Namen des Berges gibt Livius wohl nicht nach der Sage, sondern nach seiner
+Vermutung an. Ob die italischen Boier aufgrund einer echten Sagenreminiszenz
+oder nur aufgrund eines angenommenen Zusammenhangs mit den noerdlich von der
+Donau wohnhaften Boiern durch den oestlichen Pass der Poeninischen Alpen
+gefuehrt werden, muss dahingestellt bleiben.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Unter diesen, wie auf Verabredung gemeinschaftlichen Angriffen der
+verschiedensten Voelker, der Syrakusaner, Latiner, Samniten und vor allem der
+Kelten brach die eben noch so gewaltig und so ploetzlich in Latium und
+Kampanien und auf beiden italischen Meeren um sich greifende etruskische Nation
+noch gewaltsamer und noch ploetzlicher zusammen. Der Verlust der Seeherrschaft,
+die Bewaeltigung der kampanischen Etrusker gehoert derselben Epoche an, wo die
+Insubrer und Cenomaner am Po sich niederliessen; und eben um diese Zeit ging
+auch die durch Porsena wenige Jahrzehnte zuvor aufs tiefste gedemuetigte und
+fast geknechtete roemische Buergerschaft zuerst angreifend gegen Etrurien vor.
+Im Waffenstillstand mit Veii von 280 (474) hatte sie das Verlorene
+wiedergewonnen und im wesentlichen den Zustand wiederhergestellt, wie er zu der
+Zeit der Koenige zwischen beiden Nationen bestanden hatte. Als er im Jahre 309
+(445) ablief, begann zwar die Fehde aufs neue; aber es waren Grenzgefechte und
+Beutezuege, die fuer beide Teile ohne wesentliches Resultat verliefen. Etrurien
+stand noch zu maechtig da, als dass Rom einen ernstlichen Angriff haette
+unternehmen koennen. Erst der Abfall der Fidenaten, die die roemische Besatzung
+vertrieben, die Gesandten ermordeten und sich dem Koenig der Veienter, Lars
+Tolumnius, unterwarfen, veranlasste einen bedeutenderen Krieg, welcher
+gluecklich fuer die Roemer ablief: der Koenig Tolumnius fiel im Gefecht von der
+Hand des roemischen Konsuls Aulus Cornelius Cossus (326? 428), Fidenae ward
+genommen und 329 (425) ein neuer Stillstandsvertrag auf 200 Monate
+abgeschlossen. Waehrend desselben steigerte sich Etruriens Bedraengnis mehr und
+mehr und naeherten sich die keltischen Waffen schon den bisher noch verschonten
+Ansiedlungen am rechten Ufer des Po. Als der Waffenstillstand Ende 346 (408)
+abgelaufen war, entschlossen sich die Roemer auch ihrerseits zu einem
+Eroberungskrieg gegen Etrurien, der jetzt nicht bloss gegen, sondern um Veii
+gefuehrt ward.
+</p>
+
+<p>
+Die Geschichte des Krieges gegen die Veienter, Capenaten und Falisker und der
+Belagerung Veiis, die gleich der trojanischen zehn Jahre gewaehrt haben soll,
+ist wenig beglaubigt. Sage und Dichtung haben sich dieser Ereignisse
+bemaechtigt, und mit Recht; denn gekaempft ward hier mit bis dahin unerhoerter
+Anstrengung um einen bis dahin unerhoerten Kampfpreis. Es war das erstemal,
+dass ein roemisches Heer Sommer und Winter, Jahr aus Jahr ein im Felde blieb,
+bis das vorgesteckte Ziel erreicht war; das erstemal, dass die Gemeinde aus
+Staatsmitteln dem Aufgebot Sold zahlte. Aber es war auch das erstemal, dass die
+Roemer es versuchten, sich eine stammfremde Nation zu unterwerfen und ihre
+Waffen ueber die alte Nordgrenze der latinischen Landschaft hinuebertrugen. Der
+Kampf war gewaltig, der Ausgang kaum zweifelhaft. Die Roemer fanden
+Unterstuetzung bei den Latinern und den Hernikern, denen der Sturz des
+gefuerchteten Nachbarn fast nicht minder Genugtuung und Foerderung gewaehrte
+als den Roemern selbst; waehrend Veii von seiner Nation verlassen dastand und
+nur die naechsten Staedte, Capena, Falerii, auch Tarquinii, ihm Zuzug
+leisteten. Die gleichzeitigen Angriffe der Kelten wuerden diese Nichtteilnahme
+der noerdlichen Gemeinden allein schon genuegend erklaeren; es wird indes
+erzaehlt und es ist kein Grund es zu bezweifeln, dass zunaechst innere
+Parteiungen in dem etruskischen Staedtebund, namentlich die Opposition der
+aristokratischen Regierungen der uebrigen Staedte gegen das von den Veientern
+beibehaltene oder wiederhergestellte Koenigsregiment, jene Untaetigkeit der
+uebrigen Etrusker herbeigefuehrt haben. Haette die etruskische Nation sich an
+dem Kampf beteiligen koennen oder wollen, so wuerde die roemische Gemeinde kaum
+imstande gewesen sein, die bei der damaligen hoechst unentwickelten
+Belagerungskunst riesenhafte Aufgabe der Bezwingung einer grossen und festen
+Stadt zu Ende zu fuehren; vereinzelt aber und verlassen wie sie war, unterlag
+die Stadt (358 396) nach tapferer Gegenwehr dem ausharrenden Heldengeist des
+Marcus Furius Camillus, welcher zuerst seinem Volke die glaenzende Bahn der
+auslaendischen Eroberungen auftat. Von dem Jubel, den der grosse Erfolg in Rom
+erregte, ist ein Nachklang die in den Festspielen Roms bis in spaete Zeit
+fortgepflanzte Sitte des &ldquo;Veienterverkaufs&rdquo;, wobei unter den zur
+Versteigerung gebrachten parodischen Beutestuecken der aergste alte Krueppel,
+den man auftreiben konnte, im Purpurmantel und Goldschmuck den Beschluss machte
+als &ldquo;Koenig der Veienter&rdquo;. Die Stadt ward zerstoert, der Boden
+verwuenscht zu ewiger Oede. Falerii und Capena eilten, Frieden zu machen; das
+maechtige Volsinii, das in bundesmaessiger Halbheit waehrend Veiis Agonie
+geruht hatte und nach der Einnahme zu den Waffen griff, bequemte nach wenigen
+Jahren (363 391) sich gleichfalls zum Frieden. Es mag eine wehmuetige Sage
+sein, dass die beiden Vormauern der etruskischen Nation, Melpum und Veii, an
+demselben Tage jenes den Kelten, dieses den Roemern unterlagen; aber es liegt
+in ihr auf jeden Fall eine tiefe geschichtliche Wahrheit. Der doppelte Angriff
+von Norden und Sueden und der Fall der beiden Grenzfesten war der Anfang des
+Endes der grossen etruskischen Nation.
+</p>
+
+<p>
+Indes einen Augenblick schien es, als sollten die beiden Voelkerschaften, durch
+deren Zusammenwirken Etrurien sich in seiner Existenz bedroht sah, vielmehr
+untereinander sich aufreiben und auch Roms neu aufbluehende Macht von den
+fremden Barbaren zertreten werden. Diese Wendung der Dinge, die dem
+natuerlichen Lauf der Politik widersprach, beschworen ueber die Roemer der
+eigene Uebermut und die eigene Kurzsichtigkeit herauf.
+</p>
+
+<p>
+Die keltischen Scharen, die nach Melpums Fall ueber den Fluss gesetzt waren,
+ueberfluteten mit reissender Geschwindigkeit das noerdliche Italien, nicht
+bloss das offene Gebiet am rechten Ufer des Padus und laengs des Adriatischen
+Meeres, sondern auch das eigentliche Etrurien diesseits des Apennin. Wenige
+Jahre nachher (363 391) ward schon das im Herzen Etruriens gelegene Clusium
+(Chiusi an der Grenze von Toskana und dem Kirchenstaat) von den keltischen
+Senonen belagert; und so gedemuetigt waren die Etrusker, dass die bedraengte
+tuskische Stadt die Zerstoerer Veiis um Hilfe anrief. Es waere vielleicht weise
+gewesen, dieselbe zu gewaehren und zugleich die Gallier durch die Waffen und
+die Etrusker durch den gewaehrten Schutz in Abhaengigkeit von Rom zu bringen;
+allein eine solche weitblickende Intervention, die die Roemer genoetigt haben
+wuerde, einen ernsten Kampf an der tuskischen Nordgrenze zu beginnen, lag
+jenseits des Horizonts ihrer damaligen Politik. So blieb nichts uebrig, als
+sich jeder Einmischung zu enthalten. Allein toerichterweise schlug man die
+Hilfstruppen ab und schickte Gesandte; und noch toerichter meinten diese, den
+Kelten durch grosse Worte imponieren und, als dies fehlschlug, gegen Barbaren
+ungestraft das Voelkerrecht verletzen zu koennen: sie nahmen in den Reihen der
+Clusiner teil an einem Gefecht und der eine von ihnen stach darin einen
+gallischen Befehlshaber vom Pferde. Die Barbaren verfuhren in diesem Fall mit
+Maessigung und Einsicht. Sie sandten zunaechst an die roemische Gemeinde, um
+die Auslieferung der Frevler am Voelkerrecht zu fordern, und der Senat war
+bereit, dem billigen Begehren sich zu fuegen. Allein in der Masse ueberwog das
+Mitleid gegen die Landsleute die Gerechtigkeit gegen die Fremden; die
+Genugtuung ward von der Buergerschaft verweigert, ja nach einigen Berichten
+ernannte man die tapferen Vorkaempfer fuer das Vaterland sogar zur
+Konsulartribunen fuer das Jahr 364 (390) ^6, das in den roemischen Annalen so
+verhaengnisvoll werden sollte. Da brach der Brennus, das heisst der Heerkoenig
+der Gallier, die Belagerung von Clusium ab und der ganze Keltenschwarm - die
+Zahl wird auf 70000 Koepfe angegeben - wandte sich gegen Rom. Solche Zuege in
+unbekannte und ferne Gegenden waren den Galliern gelaeufig, die unbekuemmert um
+Deckung und Rueckzug als bewaffnete Auswandererscharen marschierten; in Rom
+aber ahnte man offenbar nicht, welche Gefahr in diesem so ploetzlichen und so
+gewaltigen Ueberfall lag. Erst als die Gallier im Anmarsch auf Rom waren,
+ueberschritt eine roemische Heeresmacht den Tiber und vertrat ihnen den Weg.
+Keine drei deutsche Meilen von den Toren, gegenueber der Muendung des Baches
+Allia in den Tiberfluss, trafen die Heere aufeinander und kam es am 18. Juli
+364 (390) zur Schlacht. Auch jetzt noch ging man, nicht wie gegen ein Heer,
+sondern wie gegen Raeuber, uebermuetig und tolldreist in den Kampf unter
+unerprobten Feldherren - Camillus hatte infolge des Staendehaders von den
+Geschaeften sich zurueckgezogen. Waren es doch Wilde, gegen die man fechten
+sollte; was bedurfte es des Lagers, der Sicherung des Rueckzugs? Aber die
+Wilden waren Maenner von todverachtendem Mut und ihre Fechtweise den Italikern
+so neu wie schrecklich; die blossen Schwerter in der Faust stuerzten die Kelten
+im rasenden Anprall sich auf die roemische Phalanx und rannten sie im ersten
+Stosse ueber den Haufen. Die Niederlage war vollstaendig; von den Roemern, die
+den Fluss im Ruecken gefochten hatten, fand ein grosser Teil bei dem Versuch,
+denselben zu ueberschreiten, seinen Untergang; was sich rettete, warf sich
+seitwaerts nach dem nahen Veii. Die siegreichen Kelten standen zwischen dem
+Rest des geschlagenen Heeres und der Hauptstadt. Diese war rettungslos dem
+Feinde preisgegeben; die geringe dort zurueckgebliebene oder dorthin
+gefluechtete Mannschaft reichte nicht aus, um die Mauern zu besetzen, und drei
+Tage nach der Schlacht zogen die Sieger durch die offenen Tore in Rom ein.
+Haetten sie es am ersten getan, wie sie es konnten, so war nicht bloss die
+Stadt, sondern auch der Staat verloren; die kurze Zwischenzeit machte es
+moeglich, die Heiligtuemer zu fluechten oder zu vergraben und, was wichtiger
+war, die Burg zu besetzen und notduerftig mit Lebensmitteln zu versehen. Was
+die Waffen nicht tragen konnte, liess man nicht auf die Burg - man hatte kein
+Brot fuer alle. Die Menge der Wehrlosen verlief sich in die Nachbarstaedte;
+aber manche, vor allem eine Anzahl angesehener Greise, mochten den Untergang
+der Stadt nicht ueberleben und erwarteten in ihren Haeusern den Tod durch das
+Schwert der Barbaren. Sie kamen, mordeten und pluenderten, was an Menschen und
+Gut sich vorfand und zuendeten schliesslich vor den Augen der roemischen
+Besatzung auf dem Kapitol die Stadt an allen Ecken an. Aber die
+Belagerungskunst verstanden sie nicht und die Blockade des steilen Burgfelsens
+war langwierig und schwierig, da die Lebensmittel fuer den grossen
+Heeresschwarm nur durch bewaffnete Streifpartien sich herbeischaffen liessen
+und diesen die benachbarten latinischen Buergerschaften, namentlich die
+Ardeaten, haeufig mit Mut und Glueck sich entgegenwarfen. Dennoch harrten die
+Kelten mit einer unter ihren Verhaeltnissen beispiellosen Energie sieben Monate
+unter dem Felsen aus und schon begannen der Besatzung, die der Ueberrumpelung
+in einer dunkeln Nacht nur durch das Schnattern der Heiligen Gaense im
+kapitolinischen Tempel und das zufaellige Erwachen des tapferen Marcus Manlius
+entgangen war, die Lebensmittel auf die Neige zu geben, als den Kelten ein
+Einfall der Veneter in das neu gewonnene senonische Gebiet am Padus gemeldet
+ward und sie bewog, das ihnen fuer den Abzug gebotene Loesegeld anzunehmen. Das
+hoehnische Hinwerfen des gallischen Schwertes, dass es aufgewogen werde vom
+roemischen Golde, bezeichnete sehr richtig die Lage der Dinge. Das Eisen der
+Barbaren hatte gesiegt, aber sie verkauften ihren Sieg und gaben ihn damit
+verloren.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^6 Dies ist nach der gangbaren Gleichung 390 v. Chr.; in der Tat aber fiel die
+Einnahme Roms Ol. 98, 1 = 388 v. Chr. und ist nur durch die zerruettete
+roemische Jahrzaehlung verschoben.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Die fuerchterliche Katastrophe der Niederlage und des Brandes, der 18. Juli und
+der Bach der Allia, der Platz, wo die Heiligtuemer vergraben gewesen und wo die
+Ueberrumpelung der Burg war abgeschlagen worden - all die Einzelheiten dieses
+unerhoerten Ereignisses gingen ueber von der Erinnerung der Zeitgenossen in die
+Phantasie der Nachwelt, und noch wir begreifen es kaum, dass wirklich schon
+zwei Jahrtausende verflossen sind, seit jene welthistorischen Gaense sich
+wachsamer bewiesen als die aufgestellten Posten. Und doch - mochte in Rom
+verordnet werden, dass in Zukunft bei einem Einfall der Kelten keines der
+gesetzlichen Privilegien vom Kriegsdienst befreien solle; mochte man dort
+rechnen nach den Jahren von der Eroberung der Stadt; mochte diese Begebenheit
+widerhallen in der ganzen damaligen zivilisierten Welt und ihren Weg finden bis
+in die griechischen Annalen: die Schlacht an der Allia mit ihren Resultaten ist
+dennoch kaum den folgenreichen geschichtlichen Begebenheiten beizuzaehlen. Sie
+aendert eben nichts in den politischen Verhaeltnissen. Wie die Gallier wieder
+abgezogen sind mit ihrem Golde, das nur eine spaet und schlecht erfundene
+Erzaehlung den Helden Camillus wieder nach Rom zurueckbringen laesst; wie die
+Fluechtigen sich wieder heimgefunden haben, der wahnsinnige Gedanke einiger
+mattherziger Klugheitspolitiker, die Buergerschaft nach Veii ueberzusiedeln,
+durch Camillus&rsquo; hochsinnige Gegenrede beseitigt ist, die Haeuser eilig
+und unordentlich - die engen und krummen Strassen Roms schrieben von dieser
+Zeit sich her - sich aus den Truemmern erheben, steht auch Rom wieder da in
+seiner alten gebietenden Stellung; ja es ist nicht unwahrscheinlich, dass
+dieses Ereignis wesentlich, wenn auch nicht im ersten Augenblick, dazu
+beigetragen hat, dem Gegensatz zwischen Etrurien und Rom seine Schaerfe zu
+nehmen und vor allem zwischen Latium und Rom die Bande der Einigkeit fester zu
+knuepfen. Der Kampf der Gallier und Roemer ist, ungleich dem zwischen Rom und
+Etrurien oder Rom und Samnium, nicht ein Zusammenstoss zweier politischer
+Maechte, die einander bedingen und bestimmen; er ist den Naturkatastrophen
+vergleichbar, nach denen der Organismus, wenn er nicht zerstoert wird, sofort
+wieder sich ins gleiche setzt. Die Gallier sind noch oft wiedergekehrt nach
+Latium; so im Jahre 387 (367), wo Camillus sie bei Alba schlug - der letzte
+Sieg des greisen Helden, der sechsmal konsularischer Kriegstribun, fuenfmal
+Diktator gewesen und viermal triumphierend auf das Kapitol gezogen war; im
+Jahre 393 (361), wo der Diktator Titus Quinctius Pennus ihnen gegenueber keine
+volle Meile von der Stadt an der Aniobruecke lagerte, aber ehe es noch zum
+Kampfe gekommen war, der gallische Schwarm nach Kampanien weiterzog; im Jahre
+394 (360), wo der Diktator Quintus Servilius Ahala vor dem Collinischen Tor mit
+den aus Kampanien heimkehrenden Scharen stritt; im Jahre 396 (358), wo ihnen
+der Diktator Gaius Sulpicius Peticus eine nachdrueckliche Niederlage
+beibrachte; im Jahre 404 (350), wo sie sogar den Winter ueber auf dem Albaner
+Berg kampierten und sich mit den griechischen Piraten an der Kueste um den Raub
+schlugen, bis Lucius Furius Camillus, der Sohn des beruehmten Feldherrn, im
+folgenden Jahr sie vertrieb - ein Ereignis, von dem der Zeitgenosse Aristoteles
+(370-432 384-322) in Athen vernahm. Allein diese Raubzuege, wie schreckhaft und
+beschwerlich sie sein mochten, waren mehr Ungluecksfaelle als politische
+Ereignisse und das wesentlichste Resultat derselben, dass die Roemer sich
+selbst und dem Auslande in immer weiteren Kreisen als das Bollwerk der
+zivilisierten Nationen Italiens gegen den Anstoss der gefuerchteten Barbaren
+erschienen - eine Auffassung, die ihre spaetere Weltstellung mehr als man meint
+gefoerdert hat.
+</p>
+
+<p>
+Die Tusker, die den Angriff der Kelten auf Rom benutzt hatten, um Veii zu
+berennen, hatten nichts ausgerichtet, da sie mit ungenuegenden Kraeften
+erschienen waren; kaum waren die Barbaren abgezogen, als der schwere Arm
+Latiums sie mit unvermindertem Gewicht traf. Nach wiederholten Niederlagen der
+Etrusker blieb das ganze suedliche Etrurien bis zu den Ciminischen Huegeln in
+den Haenden der Roemer, welche in den Gebieten von Veii, Capena und Falerii
+vier neue Buergerbezirke einrichteten (367 387) und die Nordgrenze sicherten
+durch die Anlage der Festungen Sutrium (371 383) und Nepete (381 373). Mit
+raschen Schritten ging dieser fruchtbare und mit roemischen Kolonisten bedeckte
+Landstrich der vollstaendigen Romanisierung entgegen. Um 396 (358) versuchten
+zwar die naechstliegenden etruskischen Staedte Tarquinii, Caere, Falerii sich
+gegen die roemischen Uebergriffe aufzulehnen, und wie tief die Erbitterung war,
+die dieselben in Etrurien erweckt hatten, zeigt die Niedermetzlung der
+saemtlichen, im ersten Feldzug gemachten roemischen Gefangenen,
+dreihundertundsieben an der Zahl, auf dem Marktplatz von Tarquinii; allein es
+war die Erbitterung der Ohnmacht. Im Frieden (403 351) musste Caere, das, als
+den Roemern zunaechst gelegen, am schwersten buesste, die halbe Landmark an Rom
+abtreten und mit dem geschmaelerten Gebiet, das ihm blieb, aus dem etruskischen
+Bunde aus- und in das Untertanenverhaeltnis zu Rom treten, welches inzwischen
+zunaechst fuer einzelne latinische Gemeinden aufgekommen war. Es schien indes
+nicht ratsam, dieser entfernteren und von der roemischen stammverschiedenen
+Gemeinde diejenige kommunale Selbstaendigkeit zu belassen, welche den
+untertaenigen Gemeinden Latiums noch verblieben war; man gab der caeritischen
+Gemeinde das roemische Buergerrecht nicht bloss ohne aktives und passives
+Wahlrecht in Rom, sondern auch unter Entziehung der Selbstverwaltung, so dass
+an die Stelle der eigenen Beamten bei der Rechtspflege und Schatzung die
+roemischen traten und am Orte selbst ein Vertreter (praefectus) des roemischen
+Praetors die Verwaltung leitete - eine hier zuerst begegnende staatsrechtliche
+Form der Untertaenigkeit, wodurch der bisher selbstaendige Staat in eine
+rechtlich fortbestehende, aber jeder eigenen Bewegung beraubte Gemeinde
+umgewandelt ward. Nicht lange nachher (411 343) trat auch Falerii, das seine
+urspruengliche latinische Nationalitaet auch unter der Tuskerherrschaft sich
+bewahrt hatte, aus dem etruskischen Bunde aus und in ewigen Bund mit Rom; damit
+war ganz Suedetrurien in der einen oder anderen Form der roemischen Suprematie
+unterworfen. Tarquinii und wohl das noerdliche Etrurien ueberhaupt begnuegte
+man sich, durch einen Friedensvertrag auf 400 Monate fuer lange Zeit zu fesseln
+(403 351).
+</p>
+
+<p>
+Auch im noerdlichen Italien ordneten sich allmaehlich die durch und gegen
+einander stuermenden Voelker wieder in dauernder Weise und in festere Grenzen.
+Die Zuege ueber die Alpen hoerten auf, zum Teil wohl infolge der verzweifelten
+Verteidigung der Etrusker in ihrer beschraenkteren Heimat und der ernstlichen
+Gegenwehr der maechtigen Roemer, zum Teil wohl auch infolge uns unbekannter
+Veraenderungen im Norden der Alpen. Zwischen Alpen und Apenninen bis hinab an
+die Abruzzen waren jetzt die Kelten im allgemeinen die herrschende Nation und
+namentlich die Herren des ebenen Landes und der reichen Weiden; aber bei ihrer
+schlaffen und oberflaechlichen Ansiedlungsweise wurzelte ihre Herrschaft nicht
+tief in der neu gewonnenen Landschaft und gestaltete sich keineswegs zum
+ausschliesslichen Besitz. Wie es in den Alpen stand und wie hier keltische
+Ansiedler mit aelteren etruskischen oder andersartigen Staemmen sich
+vermischten, gestattet unsere ungenuegende Kunde ueber die Nationalitaet der
+spaeteren Alpenvoelker nicht auszumachen; nur die Raeter in dem heutigen
+Graubuenden und Tirol duerfen als ein wahrscheinlich etruskischer Stamm
+bezeichnet werden. Die Taeler des Apennin behielten die Umbrer, den
+nordoestlichen Teil des Potals die anderssprachigen Veneter im Besitz; in den
+westlichen Bergen behaupteten sich ligurisch: Staemme, die bis Pisa und Arezzo
+hinab wohnten und das eigentliche Keltenland von Etrurien schieden. Nur in dem
+mittleren Flachland hausten die Kelten, noerdlich vom Po die Insubrer und
+Cenomaner, suedlich die Boier, an der adriatischen Kueste von Ariminum bis
+Ankon, in der sogenannten &ldquo;Gallierlandschaft&rdquo; (ager Gallicus) die
+Senonen, kleinerer Voelkerschaften zu geschweigen. Aber selbst hier muessen die
+etruskischem Ansiedlungen zum Teil wenigstens fortbestanden haben, etwa wie
+Ephesos und Milet griechisch blieben unter persischer Oberherrlichkeit. Mantua
+wenigstens, das durch seine Insellage geschuetzt war, war noch in der
+Kaiserzeit eine tuskische Stadt und auch in Atria am Po, wo zahlreiche
+Vasenfunde gemacht sind, scheint das etruskische Wesen fortbestanden zu haben;
+noch die unter dem Namen des Skylax bekannte, um 418 (336) abgefasste
+Kuestenbeschreibung nennt die Gegend von Atria und Spina tuskisches Land. Nur
+so erklaert sich auch, wie etruskische Korsaren bis weit ins fuenfte
+Jahrhundert hinein das Adriatische Meer unsicher machen konnten, und weshalb
+nicht bloss Dionysios von Syrakus die Kuesten desselben mit Kolonien bedeckte,
+sondern selbst Athen noch um 429 (325), wie eine kuerzlich entdeckte
+merkwuerdige Urkunde lehrt, zum Schutz der Kauffahrer gegen die tyrrhenischen
+Kaper die Anlage einer Kolonie im Adriatischen Meere beschloss.
+</p>
+
+<p>
+Aber mochte hier mehr oder weniger von etruskischem Wesen sich behaupten, es
+waren das einzelne Truemmer und Splitter der frueheren Machtentwicklung; der
+etruskischen Nation kam nicht mehr zugute, was hier im friedlichen Verkehr oder
+im Seekrieg von einzelnen noch etwa erreicht ward. Dagegen gingen
+wahrscheinlich von diesen halbfreien Etruskern die Anfaenge derjenigen
+Zivilisation aus, die wir spaeterhin bei den Kelten und ueberhaupt den
+Alpenvoelkern finden. Schon dass die Keltenschwaerme in den lombardischen
+Ebenen, mit dem sogenannten Skylax zu reden, das Kriegerleben aufgaben und sich
+bleibend ansaessig machten, gehoert zum Teil hierher; aber auch die Anfaenge
+der Handwerke und Kuenste und das Alphabet sind den lombardischen Kelten, ja
+den Alpenvoelkern bis in die heutige Steiermark hinein durch die Etrusker
+zugekommen.
+</p>
+
+<p>
+Also blieben nach dem Verlust der Besitzungen in Kampanien und der ganzen
+Landschaft noerdlich vom Apennin und suedlich vom Ciminischen Walde den
+Etruskern nur sehr beschraenkte Grenzen: die Zeiten der Macht und des
+Aufstrebens waren fuer sie auf immer vorueber. In engster Wechselwirkung mit
+diesem aeusseren Sinken steht der innere Verfall der Nation, zu dem die Keime
+freilich wohl schon weit frueher gelegt worden waren. Die griechischen
+Schriftsteller dieser Zeit sind voll von Schilderungen der masslosen Ueppigkeit
+des etruskischen Lebens: unteritalische Dichter des fuenften Jahrhunderts der
+Stadt preisen den tyrrhenischen Wein und die gleichzeitigen Geschichtschreiber
+Timaeos und Theopomp entwerfen Bilder von der etruskischen Weiberzucht und der
+etruskischen Tafel, welche der aergsten byzantinischen und franzoesischen
+Sittenlosigkeit nichts nachgeben. Wie wenig beglaubigt das einzelne in diesen
+Berichten auch ist, so scheint doch mindestens die Angabe begruendet zu sein,
+dass die abscheuliche Lustbarkeit der Fechterspiele, der Krebsschaden des
+spaeteren Rom und ueberhaupt der letzten Epoche des Altertums, zuerst bei den
+Etruskern aufgekommen ist; und jedenfalls lassen sie im ganzen keinen Zweifel
+an der tiefen Entartung der Nation. Auch die politischen Zustaende derselben
+sind davon durchdrungen. So weit unsere duerftige Kunde reicht, finden wir
+aristokratische Tendenzen vorwiegend, in aehnlicher Weise wie gleichzeitig in
+Rom, aber schroffer und verderblicher. Die Abschaffung des Koenigtums, die um
+die Zeit der Belagerung Veiis schon in allen Staaten Etruriens durchgefuehrt
+gewesen zu sein scheint, rief in den einzelnen Staedten ein Patrizierregiment
+hervor, das durch das lose eidgenossenschaftliche Band sich nur wenig
+beschraenkt sah. Selten nur gelang es, selbst zur Landesverteidigung alle
+etruskischen Staedte zu vereinigen, und Volsiniis nominelle Hegemonie haelt
+nicht den entferntesten Vergleich aus mit der gewaltigen Kraft, die durch Roms
+Fuehrung die latinische Nation empfing. Der Kampf gegen die ausschliessliche
+Berechtigung der Altbuerger zu allen Gemeindestellen und allen
+Gemeindenutzungen, der auch den roemischen Staat haette verderben muessen, wenn
+nicht die aeusseren Erfolge es moeglich gemacht haetten, die Ansprueche der
+gedrueckten Proletarier auf Kosten fremder Voelker einigermassen zu befriedigen
+und dem Ehrgeiz andere Bahnen zu oeffnen - dieser Kampf gegen das politische
+und was in Etrurien besonders hervortritt, gegen das priesterliche Monopol der
+Adelsgeschlechter muss Etrurien staatlich, oekonomisch und sittlich zugrunde
+gerichtet haben. Ungeheure Vermoegen, namentlich an Grundbesitz, konzentrierten
+sich in den Haenden von wenigen Adligen, waehrend die Massen verarmten; die
+sozialen Umwaelzungen, die hieraus entstanden, erhoehten die Not, der sie
+abhelfen sollten, und bei der Ohnmacht der Zentralgewalt blieb zuletzt den
+bedraengten Aristokraten, zum Beispiel in Arretium 453 (301), in Volsinii 488
+(266) nichts uebrig, als die Roemer zu Hilfe zu rufen, die denn zwar der
+Unordnung, aber zugleich auch dem Rest von Unabhaengigkeit ein Ende machten.
+Die Kraft des Volkes war gebrochen seit dem Tage von Veii und Melpum; es wurden
+wohl einige Male noch ernstliche Versuche gemacht, sich der roemischen
+Oberherrschaft zu entziehen, aber wenn es geschah, kam die Anregung dazu den
+Etruskern von aussen, von einen andern italischen Stamm, den Samniten.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap05"></a>KAPITEL V.<br/>
+Die Unterwerfung der Latiner und Kampaner unter Rom</h2>
+
+<p>
+Das grosse Werk der Koenigszeit war Roms Herrschaft ueber Latium in der Form
+der Hegemonie. Dass die Umwandlung der roemischen Verfassung sowohl auf das
+Verhaeltnis der roemischen Gemeinde zu Latium wie auf die innere Ordnung der
+latinischen Gemeinden selbst nicht ohne maechtige Rueckwirkung bleiben konnte,
+leuchtet an sich ein und geht auch aus der Ueberlieferung hervor; von den
+Schwankungen, in welche durch die Revolution in Rom die roemisch-latinische
+Eidgenossenschaft geriet, zeugt die in ungewoehnlich lebhaften Farben
+schillernde Sage von dem Siege am Regiller See, den der Diktator oder Konsul
+Aulus Postumius (255? 258? 499 496) mit Hilfe der Dioskuren ueber die Latiner
+gewonnen haben soll, und bestimmter die Erneuerung des ewigen Bundes zwischen
+Rom und Latium durch Spurius Cassius in seinem zweiten Konsulat (261 493).
+Indes geben diese Erzaehlungen eben ueber die Hauptsache, das Rechtsverhaeltnis
+der neuen roemischen Republik zu der latinischen Eidgenossenschaft, am
+wenigsten Aufschluss; und was wir sonst ueber dasselbe wissen, ist zeitlos
+ueberliefert und kann nur nach ungefaehrer Wahrscheinlichkeit hier eingereiht
+werden.
+</p>
+
+<p>
+Es liegt im Wesen der Hegemonie, dass sie durch das blosse innere Schwergewicht
+der Verhaeltnisse allmaehlich in die Herrschaft uebergeht; auch die roemische
+ueber Latium hat davon keine Ausnahme gemacht. Sie war begruendet auf die
+wesentliche Rechtsgleichheit des roemischen Staates und der latinischen
+Eidgenossenschaft; aber wenigstens im Kriegswesen und in der Behandlung der
+gemachten Eroberungen trug dies Verhaeltnis des Einheitsstaates einer- und des
+Staatenbundes anderseits die Hegemonie der Sache nach in sich. Nach der
+urspruenglichen Bundesverfassung war wahrscheinlich das Recht zu Krieg und
+Vertrag mit auswaertigen Staaten, also die volle staatliche Selbstbestimmung
+sowohl Rom wie den einzelnen Staedten des latinischen Bundes gewahrt, und es
+stellte auch wohl bei gemeinschaftlicher Kriegfuehrung Rom wie Latium das
+gleiche Kontingent, in der Regel jedes ein &ldquo;Heer&rdquo; von 8400 Mann ^1;
+aber den Oberbefehl fuehrte der roemische Feldherr, welcher dann die
+Stabsoffiziere, also die Teilfuehrer (tribuni militum), nach eigener Wahl
+ernannte. Im Falle des Sieges wurden die bewegliche Beute wie das eroberte Land
+zwischen Rom und der Eidgenossenschaft geteilt, und wenn man in dem eroberten
+Gebiet Festungen anzulegen beschloss, so wurde nicht bloss deren Besatzung und
+Bevoelkerung teils aus roemischen, teils aus eidgenoessischen Aussendlingen
+gebildet, sondern auch die neugegruendete Gemeinde als souveraener Bundesstaat
+in die latinische Eidgenossenschaft aufgenommen und mit Sitz und Stimme auf der
+latinischen Tagsatzung ausgestattet.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Die urspruengliche Gleichheit der beiden Armeen geht schon aus Liv. 1, 52;
+8, 8, 14 und Dion. Hal. 8, 15, am deutlichsten aber aus Polyb. 6, 26 hervor.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Diese Bestimmungen werden wahrscheinlich schon in der Koenigszeit, sicher in
+der republikanischen Epoche sich mehr und mehr zu Ungunsten der
+Eidgenossenschaft verschoben und Roms Hegemonie weiter entwickelt haben. Am
+fruehesten fiel ohne Zweifel weg das Kriegs- und Vertragsrecht der
+Eidgenossenschaft gegenueber dem Ausland ^2; Krieg und Vertrag kam ein fuer
+allemal an Rom. Die Stabsoffiziere fuer die latinischen Truppen muessen in
+aelterer Zeit wohl ebenfalls Latiner gewesen sein; spaeter wurden dazu wo nicht
+ausschliesslich, doch vorwiegend roemische Buerger genommen ^3. Dagegen wurde
+nach wie vor der latinischen Eidgenossenschaft insgesamt kein staerkeres
+Kontingent zugemutet als das von der roemischen Gemeinde gestellte war; und
+ebenso war der roemische Oberfeldherr gehalten, die latinischen Kontingente
+nicht zu zersplittern, sondern den von jeder Gemeinde gesandten Zuzug als
+besondere Heerabteilung unter dem von der Gemeinde bestellten Anfuehrer ^4
+zusammenzuhalten. Das Anrecht der latinischen Eidgenossenschaft auf einen
+Anteil an der beweglichen Beute wie an dem eroberten Lande blieb formell
+bestehen; aber der Sache nach ist der wesentliche Kriegsertrag ohne Zweifel
+schon in frueher Zeit an den fuehrenden Staat gekommen. Selbst bei der Anlegung
+der Bundesfestungen oder der sogenannten latinischen Kolonien waren in der
+Regel vermutlich die meisten und nicht selten alle Ansiedler Roemer; und wenn
+auch dieselben durch die Uebersiedelung aus roemischen Buergern Buerger einer
+eidgenoessischen Gemeinde wurden, so blieb doch wohl der neugepflanzten
+Ortschaft haeufig eine ueberwiegende und fuer die Eidgenossenschaft
+gefaehrliche Anhaenglichkeit an die wirkliche Mutterstadt.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^2 Dass in den spaeteren Bundesvertraegen zwischen Rom und Latium es den
+latinischen Gemeinden untersagt war ihre Kontingente von sich aus zu
+mobilisieren und allein ins Feld zu senden, sagt ausdruecklich Dionysios (8,
+15).
+</p>
+
+<p>
+^3 Diese latinischen Stabsoffiziere sind die zwoelf praefecti sociorum, welche
+spaeterhin, als die alte Phalanx sich in die spaeteren Legionen und alae
+aufgeloest hatte, ebenso je sechs und sechs den beiden alae der
+Bundesgenossenkontingente vorstehen, wie die zwoelf Kriegstribunen des
+roemischen Heeres je sechs und sechs den beiden Legionen. Dass der Konsul jene
+wie urspruenglich auch diese ernennt, sagt Polyb. 6 26, 5. Da nun nach dem
+alten Rechtssatz, dass jeder Heerespflichtige Offizier werden kann, es
+gesetzlich dem Heerfuehrer gestattet war, einen Latiner zum Fuehrer einer
+roemischen wie umgekehrt einen Roemer zum Fuehrer einer latinischen Legion zu
+bestellen, so fuehrte dies praktisch dazu, dass die tribuni militum durchaus
+und die praefecti sociorum wenigstens in der Regel Roemer waren.
+</p>
+
+<p>
+^4 Dies sind die decuriones turmarum und praefecti cohortium (Polyb. 6, 21, 5;
+Liv. 25, 14; Sall. Iug. 69 und sonst). Natuerlich wurden, wie die roemischen
+Konsuln von Rechts wegen, in der Regel auch tatsaechlich Oberfeldherren waren,
+vielleicht durchaus, mindestens sehr haeufig auch in den abhaengigen Staedten
+die Gemeindevorsteher an die Spitze der Gemeindekontingente gestellt (Liv. 23,
+19; Orelli 7022); wie denn selbst der gewoehnliche Name der latinischen
+Obrigkeiten (praetores) sie als Offiziere bezeichnet.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Die Rechte dagegen, welche die Bundesvertraege dem einzelnen Buerger einer der
+verbuendeten Gemeinden in jeder Bundesstadt zusicherten, wurden nicht
+beschraenkt. Es gehoerten dahin namentlich die volle Rechtsgleichheit in Erwerb
+von Grundbesitz und beweglicher Habe, in Handel und Wandel, Ehe und Testament,
+und die unbeschraenkte Freizuegigkeit, sodass der in einer Bundesstadt
+verbuergerte Mann nicht bloss in jeder andern sich niederzulassen rechtlich
+befugt war, sondern auch daselbst als Rechtsgenosse (municeps) mit Ausnahme der
+passiven Wahlfaehigkeit an allen privaten und politischen Rechten und Pflichten
+teilnahm, sogar wenigstens in der nach Distrikten berufenen Gemeindeversammlung
+in einer freilich beschraenkten Weise zu stimmen befugt war ^5.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^5 Es wurde ein solcher Insasse nicht wie der wirkliche Mitbuerger einem ein
+fuer allemal bestimmten Stimmbezirk zugeteilt, sondern vor jeder einzelnen
+Abstimmung nach Stimmbezirken der, in dem die Insassen diesmal zu stimmen
+hatten, durch das Los festgestellt. Der Sache nach kam dies wohl darauf hinaus,
+dass in der roemischen Tribusversammlung den Latinern eine Stimme eingeraeumt
+ward. Da der Platz in irgendeiner Tribus die Vorbedingung des ordentlichen
+Zenturiatstimmrechts war, so muss, wenn die Insassen auch in der
+Zenturienversammlung mitgestimmt haben, was wir nicht wissen, fuer diese eine
+aehnliche Losung festgesetzt gewesen sein. An den Kurien werden sie gleich den
+Plebejern teilgenommen haben.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+So etwa mag in der ersten republikanischen Zeit das Verhaeltnis der roemischen
+Gemeinde zu der latinischen Eidgenossenschaft beschaffen gewesen sein, ohne
+dass sich ausmachen liesse, was darin auf aeltere Satzungen und was auf die
+Buendnisrevision von 261 (493) zurueckgeht.
+</p>
+
+<p>
+Mit etwas groesserer Sicherheit darf die Umgestaltung der Ordnungen der
+einzelnen zu der latinischen Eidgenossenschaft gehoerigen Gemeinden nach dem
+Muster der roemischen Konsularverfassung als Neuerung bezeichnet und in diesen
+Zusammenhang gestellt werden. Denn obgleich die verschiedenen Gemeinden zu der
+Abschaffung des Koenigtums an sich recht wohl voneinander unabhaengig gelangt
+sein koennen, so verraet doch die gleichartige Benennung der neuen
+Jahreskoenige in der roemischen und den uebrigen Gemeindeverfassungen von
+Latium sowie die weitgreifende Anwendung des so eigentuemlichen
+Kollegialitaetsprinzips ^6 augenscheinlich einen aeusseren Zusammenhang; irgend
+einmal nach der Vertreibung der Tarquinier aus Rom muessen durchaus die
+latinischen Gemeindeordnungen nach dem Schema der Konsularverfassung revidiert
+worden sein. Es kann nun freilich diese Ausgleichung der latinischen
+Verfassungen mit derjenigen der fuehrenden Stadt moeglicherweise erst einer
+spaeteren Epoche angehoeren; indes spricht die innere Wahrscheinlichkeit
+vielmehr dafuer, dass der roemische Adel, nachdem er bei sich die Abschaffung
+des lebenslaenglichen Koenigtums bewirkt hatte, dieselbe Verfassungsaenderung
+auch den Gemeinden der latinischen Eidgenossenschaft angesonnen und, trotz des
+ernsten und den Bestand des roemisch-latinischen Bundes selbst in Frage
+stellenden Widerstandes, welchen teils die vertriebenen Tarquinier, teils die
+koeniglichen Geschlechter und koeniglich gesinnten Parteien der uebrigen
+Gemeinden Latiums geleistet zu haben scheinen, schliesslich in ganz Latium die
+Adelsherrschaft eingefuehrt hat. Die eben in diese Zeit fallende gewaltige
+Machtentwicklung Etruriens, die stetigen Angriffe der Veienter, der Heereszug
+des Porsena moegen wesentlich dazu beigetragen haben, die latinische Nation bei
+der einmal festgestellten Form der Einigung, das heisst bei der fortwaehrenden
+Anerkennung der Oberherrlichkeit Roms festzuhalten und dem zuliebe eine ohne
+Zweifel auch im Schosse der latinischen Gemeinden vielfach vorbereitete
+Verfassungsaenderung, ja vielleicht selbst eine Steigerung der hegemonischen
+Rechte sich gefallen zu lassen.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^6 Regelmaessig stehen bekanntlich die latinischen Gemeinden unter zwei
+Praetoren. Daneben kommen in einer Reihe von Gemeinden auch Einzelbeamte vor,
+welche dann den Diktatortitel fuehren - so in Alba (Orelli-Henzen 2293),
+Tusculum, Lanuvium (Cic. Mil. 10, 27;17, 45; Ascon. Mil. p. 32 Orelli, Orelli
+2786, 5157, 6086), Compitum (Orelli 3324), Nomentum (Orelli 208, 6138, 7032;
+vgl. W. Henzen in Bullettino dell&rsquo; Istituto 1858, S. 169) und Aricia
+(Orelli 1455). Dazu kommt der aehnliche Diktator in der civitas sine suffragio
+Caere (Orelli 3787, 5772; auch Garrucci, Diss. arch. Bd. 1, S. 31, obwohl irrig
+nach Sutrium gesetzt); ferner die gleichnamigen Beamten von Fidenae (Orelli
+112). Alle diese Aemter oder aus Aemtern hervorgegangenen Priestertuemer (der
+Diktator von Caere ist zu erklaeren nach Liv. 9, 43: Anagninis - magistratibus
+praeter quam sacrorum curatione interdictum) sind jaehrig (Orelli 208). Auch
+der Bericht Macers und der aus ihm schoepfenden Annalisten, dass Alba schon zur
+Zeit seines Falls nicht mehr unter Koenigen, sondern unter Jahresdiktatoren
+gestanden habe (Dion. Hal. 5, 74; Plut. Rom. 27; Liv. 1, 23), ist vermutlich
+bloss eine Folgerung aus der ihm bekannten Institution der ohne Zweifel gleich
+der nomentanischen jaehrigen sacerdotalen albanischen Diktatur, bei welcher
+Darstellung ueberdies die demokratische Parteistellung ihres Urhebers mit im
+Spiel gewesen sein wird. Es steht dahin, ob der Schluss gueltig ist und nicht,
+auch wenn Alba zur Zeit seiner Aufloesung unter lebenslaenglichen Herrschern
+stand, die Abschaffung des Koenigtums in Rom nachtraeglich die Verwandlung der
+albanischen Diktatur in ein Jahramt herbeifuehren konnte.
+</p>
+
+<p>
+All diese latinischen Magistraturen kommen in der Sache wie besonders auch in
+den Namen wesentlich mit der in Rom durch die Revolution festgestellten Ordnung
+in einer Weise ueberein, die durch die blosse Gleichartigkeit der politischen
+Grundverhaeltnisse nicht genuegend erklaert wird.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die dauernd geeinigte Nation vermochte es, ihre Machtstellung nach allen Seiten
+hin nicht bloss zu behaupten, sondern auch zu erweitern. Dass die Etrusker nur
+kurze Zeit im Besitze der Suprematie ueber Latium blieben und die Verhaeltnisse
+hier bald wieder in die Lage zurueckkamen, welche sie in der Koenigszeit gehabt
+hatten, wurde schon dargestellt; zu einer eigentlichen Erweiterung der
+roemischen Grenzen kam es aber nach dieser Seite hin erst mehr als ein
+Jahrhundert nach der Vertreibung der Koenige aus Rom.
+</p>
+
+<p>
+Mit den Sabinern, die das Mittelgebirge von den Grenzen der Umbrer bis hinab zu
+der Gegend zwischen Tiber und Anio einnahmen und die in der Epoche, in welche
+die Anfaenge Roms fallen, bis nach Latium selbst kaempfend und erobernd
+vordrangen, haben spaeterhin die Roemer trotz der unmittelbaren Nachbarschaft
+sich verhaeltnismaessig wenig beruehrt. Die schwache Teilnahme derselben an dem
+verzweifelten Widerstand der oestlichen und suedlichen Nachbarvoelker geht
+selbst aus den Berichten der Jahrbuecher noch hervor und, was wichtiger ist, es
+begegnen hier keine Zwingburgen, wie sie namentlich in dem volskischen Gebiet
+so zahlreich angelegt worden sind. Vielleicht haengt dies damit zusammen, dass
+die sabinischen Scharen wahrscheinlich eben um diese Zeit sich ueber
+Unteritalien ergossen; gelockt von den anmutigen Sitzen am Tifernus und
+Volturnus scheinen sie wenig in die Kaempfe eingegriffen zu haben, deren
+Schauplatz das Gebiet suedlich vom Tiber war.
+</p>
+
+<p>
+Bei weitem heftiger und dauernder war der Widerstand der Aequer, die, oestlich
+von Rom bis in die Taeler des Turano und Salto und am Nordrande des Fuciner
+Sees sitzend, mit den Sabinern und Marsern grenzten ^7, und der Volsker, welche
+suedlich von den um Ardea sesshaften Rutulern und den suedwaerts bis Cora sich
+erstreckenden Latinern die Kueste bis nahe an die Muendung des Lirisflusses
+nebst den vorliegenden Inseln und im Innern das ganze Stromgebiet des Liris
+besassen. Die mit diesen beiden Voelkern sich jaehrlich erneuernden Fehden, die
+in der roemischen Chronik so berichtet werden, dass der unbedeutendste
+Streifzug von dem folgenreichen Kriege kaum unterschieden und der historische
+Zusammenhang gaenzlich beiseite gelassen wird, sollen hier nicht erzaehlt
+werden; es genuegt hinzuweisen auf die dauernden Erfolge. Deutlich erkennen
+wir, dass es den Roemern und Latinern vor allem darauf ankam, die Aequer von
+den Volskern zu trennen und der Kommunikationen Herr zu werden; in der Gegend
+zwischen dem Suedabhang des Albaner Gebirges, den volskischen Bergen und den
+Pomptinischen Suempfen scheinen ueberdies die Latiner und die Volsker zunaechst
+sich beruehrt und selbst gemischt durcheinander gesessen zu haben ^8. In dieser
+Gegend haben die Latiner die ersten Schritte getan ueber ihre Landesgrenze
+hinaus und sind Bundesfestungen im Fremdland, sogenannte latinische Kolonien
+zuerst angelegt worden, in der Ebene Velitrae (angeblich um 260 494) unter dem
+Albaner Gebirge selbst und Suessa in der pomptinischen Niederung, in den Bergen
+Norba (angeblich 262 492) und Signia (angeblich verstaerkt 259 495), welche
+beide auf den Verbindungspunkten zwischen der aequischen und volskischen
+Landschaft liegen. Vollstaendiger noch ward der Zweck erreicht durch den
+Beitritt der Herniker zu dem Bunde der Latiner und Roemer (268 486), welcher
+die Volsker vollstaendig isolierte und dem Bunde eine Vormauer gewaehrte gegen
+die suedlich und oestlich wohnenden sabellischen Staemme; man begreift es,
+weshalb dem kleinen Volk volle Gleichheit mit den beiden anderen in Rat und
+Beuteanteil zugestanden ward. Die schwaecheren Aequer waren seitdem wenig
+gefaehrlich; es genuegte, von Zeit zu Zeit einen Pluenderzug gegen sie zu
+unternehmen. Auch die Rutuler, welche in der Kuestenebene suedlich mit Latium
+grenzten, unterlagen frueh; ihre Stadt Ardea wurde schon im Jahre 312 (442) in
+eine latinische Kolonie umgewandelt ^9. Ernstlicher widerstanden die Volsker.
+Der erste namhafte Erfolg, den nach den oben erwaehnten die Roemer ihnen
+abgewannen, ist, merkwuerdig genug, die Gruendung von Circeii im Jahre 361
+(393), das, solange Antium und Tarracina noch frei waren, nur zu Wasser mit
+Latium in Verbindung gestanden haben kann. Antium zu besetzen, ward oft
+versucht und gelang auch voruebergehend 287 (467); aber 295 (459) machte die
+Stadt sich wieder frei, und erst nach dem gallischen Brande erhielten infolge
+eines heftigen dreizehnjaehrigen Krieges (365-377 389-377) die Roemer die
+entschiedene Oberhand im antiatischen und pomptinischen Gebiet. Satricum,
+unweit Antium, wurde im Jahre 369 (385) mit einer latinischen Kolonie belegt,
+nicht lange nachher wahrscheinlich Antium selbst sowie Tarracina ^10, das
+pomptinische Gebiet ward durch die Anlage der Festung Setia (372 382,
+verstaerkt 375 379) gesichert und in den Jahren 371 f. (383) in Ackerlose und
+Buergerbezirke verteilt. Seitdem haben die Volsker wohl noch sich empoert, aber
+keine Kriege mehr gegen Rom gefuehrt.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^7 Die Landschaft der Aequer umfasst nicht bloss das Tal des Anio oberhalb von
+Tibur und das Gebiet der spaeteren latinischen Kolonien Carsioli (am oberen
+Turano) und Alba (am Fuciner See), sondern auch den Bezirk des spaeteren
+Municipiums der Aequiculi welche nichts sind als derjenige Rest der Aequer,
+welchem nach der Unterwerfung durch die Roemer und nach der Assignierung des
+groessten Teils des Gebiets an roemische oder latinische Kolonisten die
+munizipale Selbstaendigkeit verblieb.
+</p>
+
+<p>
+^8 Allem Anschein nach ist Velitrae, obwohl in der Ebene gelegen, urspruenglich
+volskisch und also latinische Kolonie, Cora dagegen auf dem Volskergebirge
+urspruenglich latinisch.
+</p>
+
+<p>
+^9 Nicht lange nachher muss die Gruendung des Dianahains im Walde von Aricia
+erfolgt sein, welche nach Catos Bericht (orig. p. 12 Jordan) ein tusculanischer
+Diktator vollzog fuer die Stadtgemeinden des alten Latiums Tusculum, Aricia,
+Lanuvium, Laurentum, Cora und Tibur und die beiden latinischen Kolonien (welche
+deshalb an der letzten Stelle stehen) Suessa Pometia und Ardea (populus
+Ardeatis Rutulus). Das Fehlen Praenestes und der kleineren Gemeinden des alten
+Latium zeigt, wie es auch in der Sache liegt, dass nicht saemtliche Gemeinden
+des damaligen Latinischen Bundes sich an der Weihung beteiligten. Dass sie vor
+372 (382) faellt, beweist das Auftreten von Pometia und das Verzeichnis stimmt
+voellig zu dem, was anderweitig ueber den Bestand des Bundes kurz nach dem
+Zutritt von Ardea sich ermitteln laesst.
+</p>
+
+<p>
+Den ueberlieferten Jahreszahlen der Gruendungen darf mehr als den meisten der
+aeltesten Ueberlieferungen Glauben beigemessen werden, da die den italischen
+Staedten gemeinsame Jahreszaehlung ab urbe condita allem Anschein nach das
+Gruendungsjahr der Kolonien durch unmittelbare Ueberlieferung bewahrt hat.
+</p>
+
+<p>
+^10 Als latinische Gemeinden erscheinen beide in dem sogenannten Cassischen
+Verzeichnis um 372 (382) nicht, wohl aber in dem karthagischen Vertrag vom
+Jahre 406 (348); in der Zwischenzeit also sind die Staedte latinische Kolonien
+geworden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Aber je entschiedenere Erfolge der Bund der Roemer, Latiner und Herniker gegen
+die Etrusker, Aequer, Volsker und Rutuler davontrug, desto mehr entwich aus ihm
+die Eintracht. Die Ursache lag zum Teil wohl in der frueher dargestellten, aus
+den bestehenden Verhaeltnissen mit innerer Notwendigkeit sich entwickelnden,
+aber darum nicht weniger schwer auf Latium lastenden Steigerung der
+hegemonischen Gewalt Roms, zum Teil in einzelnen gehaessigen Ungerechtigkeiten
+der fuehrenden Gemeinde. Dahin gehoeren vornehmlich der schmaehliche
+Schiedsspruch zwischen den Aricinern und den Rutulern in Ardea 308 (446), wo
+die Roemer, angerufen zu kompromissarischer Entscheidung ueber ein zwischen den
+beiden Gemeinden streitiges Grenzgebiet, dasselbe fuer sich nahmen, und als
+ueber diesen Spruch in Ardea innere Streitigkeiten entstanden, das Volk zu den
+Volskern sich schlagen wollte, waehrend der Adel an Rom festhielt, die noch
+schaendlichere Ausnutzung dieses Haders zu der schon erwaehnten Aussendung
+roemischer Kolonisten in die reiche Stadt, unter die die Laendereien der
+Anhaenger der antiroemischen Partei ausgeteilt wurden (312 442). Hauptsaechlich
+indes war die Ursache, weshalb der Bund sich innerlich aufloeste, eben die
+Niederwerfung der gemeinschaftlichen Feinde; die Schonung von der einen, die
+Hingebung von der anderen Seite hatte ein Ende, seitdem man gegenseitig des
+anderen nicht mehr meinte zu beduerfen. Zum offenen Bruche zwischen den
+Latinern und Hernikern einer- und den Roemern anderseits gab die naechste
+Veranlassung teils die Einnahme Roms durch die Kelten und dessen dadurch
+herbeigefuehrte augenblickliche Schwaeche, teils die definitive Besetzung und
+Aufteilung des pomptinischen Gebiets; bald standen die bisherigen Verbuendeten
+gegeneinander im Felde. Schon hatten latinische Freiwillige in grosser Anzahl
+an dem letzten Verzweiflungskampf der Antiaten teilgenommen; jetzt mussten die
+namhaftesten latinischen Staedte: Lanuvium (371 383), Praeneste (372-374, 400
+382-380, 354), Tusculum (373 381), Tibur (394, 400 360, 354) und selbst
+einzelne der im Volskerland von dem roemisch-latinischen Bunde angelegten
+Festungen wie Velitrae und Circeii mit den Waffen bezwungen werden, ja die
+Tiburtiner scheuten sich sogar nicht, mit den eben einmal wieder einrueckenden
+gallischen Scharen gemeinschaftliche Sache gegen Rom zu machen. Zum
+gemeinschaftlichen Aufstand kam es indes nicht und ohne viel Muehe bemeisterte
+Rom die einzelnen Staedte; Tusculum ward sogar (373 381) genoetigt, seine
+politische Selbstaendigkeit aufzugeben und in den roemischen Buergerverband als
+untertaenige Gemeinde (civitas sine suffragio) einzutreten, so dass die Stadt
+ihre Mauern und eine wenn auch beschraenkte Selbstverwaltung, darum auch eigene
+Beamten und eine eigene Buergerversammlung behielt, dagegen aber ihre Buerger
+als roemische das aktive und passive Wahlrecht entbehrten - der erste Fall,
+dass eine ganze Buergerschaft dem roemischen Gemeinwesen als abhaengige
+Gemeinde einverleibt wurde.
+</p>
+
+<p>
+Ernster war der Kampf gegen die Herniker (392-396 362-358), in dem der erste
+der Plebs angehoerige konsularische Oberfeldherr Lucius Genucius fiel; allein
+auch hier siegten die Roemer. Die Krise endigte damit, dass die Vertraege
+zwischen Rom und der latinischen wie der hernikischen Eidgenossenschaft im
+Jahre 396 (358) erneuert wurden. Der genauere Inhalt derselben ist nicht
+bekannt, aber offenbar fuegten beide Eidgenossenschaften abermals und
+wahrscheinlich unter haerteren Bedingungen sich der roemischen Hegemonie. Die
+in demselben Jahr erfolgte Einrichtung zweier neuer Buergerbezirke im
+pomptinischen Gebiet zeigt deutlich die gewaltig vordringende roemische Macht.
+</p>
+
+<p>
+In offenbarem Zusammenhang mit dieser Krise in dem Verhaeltnis zwischen Rom und
+Latium steht die um das Jahr 370 (384) erfolgte Schliessung der latinischen
+Eidgenossenschaft ^11, obwohl es nicht sicher zu bestimmen ist, ob sie Folge
+oder, wie wahrscheinlicher, Ursache der eben geschilderten Auflehnung Latiums
+gegen Rom war. Nach dem bisherigen Recht war jede von Rom und Latium
+gegruendete souveraene Stadt unter die am Bundesfest und Bundestag
+teilberechtigten Kommunen eingetreten, wogegen umgekehrt jede einer anderen
+Stadt inkorporierte und also staatlich vernichtete Gemeinde aus der Reihe der
+Bundesglieder gestrichen ward. Dabei ward indes nach latinischer Art die einmal
+feststehende Zahl von dreissig foederierten Gemeinden in der Art festgehalten,
+dass von den teilnehmenden Staedten nie mehr und nie weniger als dreissig
+stimmberechtigt waren und eine Anzahl spaeter eingetretener oder auch ihrer
+Geringfuegigkeit oder begangener Vergehen wegen zurueckgesetzter Gemeinden des
+Stimmrechts entbehrten. Hiernach war der Bestand der Eidgenossenschaft um das
+Jahr 370 (384) folgender Art. Von altlatinischen Ortschaften waren, ausser
+einigen jetzt verschollenen oder doch der Lage nach unbekannten, noch autonom
+und stimmberechtigt zwischen Tiber und Anio Nomentum, zwischen dem Anio und dem
+Albaner Gebirg Tibur, Gabii, Scaptia, Labici ^12, Pedum und Praeneste, am
+Albaner Gebirg Corbio, Tusculum, Bovillae, Aricia, Corioli und Lanuvium, in den
+volskischen Bergen Cora, endlich in der Kuestenebene Laurentum. Dazu kamen die
+von Rom und dem latinischen Bunde angelegten Kolonien: Ardea im ehemaligen
+Rutulergebiet und in dem der Volsker Satricum, Velitrae, Norba, Signia, Setia
+und Circeii. Ausserdem hatten siebzehn andere Ortschaften, deren Namen nicht
+sicher bekannt sind, das Recht der Teilnahme am Latinerfest ohne Stimmrecht.
+Auf diesem Bestande von siebenundvierzig teil- und dreissig stimmberechtigten
+Orten blieb die latinische Eidgenossenschaft seitdem unabaenderlich stehen;
+weder sind die spaeter gegruendeten latinischen Gemeinden, wie Sutrium, Nepete,
+Antium, Tarracina, Cales, unter dieselben eingereiht, noch die spaeter der
+Autonomie entkleideten latinischen Gemeinden, wie Tusculum und Lanuvium, aus
+dem Verzeichnis gestrichen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^11 In dem von Dionysios (5, 61) mitgeteilten Verzeichnis der dreissig
+latinischen Bundesstaedte, dem einzigen, das wir besitzen, werden genannt die
+Ardeaten, Ariciner, Bovillaner, Bubentaner (unbekannter Lage), Corner (vielmehr
+Coraner), Carventaner (unbekannter Lage), Circeienser, Coriolaner, Corbinter,
+Cabaner (vielleicht die Cabenser am Albaner Berg, Bullettino dell&rsquo;
+Istituto 1861, S. 205), Fortineer (unbekannt), Gabiner, Laurenter, Lanuviner,
+Lavinaten, Labicaner, Nomentaner, Norbaner, Praenestiner, Pedaner,
+Querquetulaner (unbekannter Lage), Satricaner, Scaptiner, Senner, Tiburtiner,
+Tusculaner, Tellenier (unbekannter Lage), Toleriner (unbekannter Lage) und
+Veliterner. Die gelegentlichen Erwaehnungen teilnahmeberechtigter Gemeinden,
+wie von Ardea (Liv. 32, 1), Laurentum (Liv. 37, 3), Lanuvium (Liv. 41, 16),
+Bovillae, Gabii, Labici (Cic. Planc. 9, 23) stimmen mit diesem Verzeichnis.
+Dionysios teilt es bei Gelegenheit der Kriegserklaerung Latiums gegen Rom im
+Jahre 256 (498) mit, und es lag darum nahe, wie dies Niebuhr getan, dies
+Verzeichnis als der bekannten Bundeserneuerung vom Jahre 261 (493) entlehnt zu
+betrachten. Allein da in diesem nach dem latinischen Alphabet geordneten
+Verzeichnis der Buchstabe g an der Stelle erscheint, die er zur Zeit der Zwoelf
+Tafeln sicher noch nicht hatte und schwerlich vor dem fuenften Jahrhundert
+bekommen hat (mein Die unteritalischen Dialekte. Leipzig 1850, S. 33), so muss
+dasselbe einer viel juengeren Quelle entnommen sein; und es ist bei weitem die
+einfachste Annahme, darin das Verzeichnis derjenigen Orte zu erkennen die
+spaeterhin als die ordentlichen Glieder der latinischen Eidgenossenschaft
+betrachtet wurden und die Dionysios, seiner pragmatisierenden Gewohnheit
+gemaess, als deren urspruenglichen Bestand auffuehrt. Es erscheint in dem
+Verzeichnis, wie es zu erwarten war, keine einzige nichtlatinische Gemeinde;
+dasselbe zaehlt lediglich urspruenglich latinische oder mit latinischen
+Kolonien belegte Orte auf - Corbio und Corioli wird niemand als Ausnahme
+geltend machen. Vergleicht man nun mit diesem Register das der latinischen
+Kolonien so sind bis zum Jahre 372 (382) gegruendet worden Suessa Pometia,
+Velitrae, Norba, Signia, Ardea, Circeii (361 393), Satricum (369 385), Sutrium
+(371 383), Nepete (371), Setia (372 382). Von den letzten drei ungefaehr
+gleichzeitigen koennen sehr wohl die beiden etruskischen etwas spaeter datieren
+als Setia, da ja die Gruendung jeder Stadt eine gewisse Zeitdauer in Anspruch
+nahm und unsere Liste von kleineren Ungenauigkeiten nicht frei sein kann. Nimmt
+man dies an, so enthaelt das Verzeichnis saemtliche bis zum Jahre 372 (382)
+ausgefuehrte Kolonien einschliesslich der beiden bald nachher aus dem
+Verzeichnis gestrichenen Satricum, zerstoert 377 (377), und Velitrae, des
+latinischen Rechts entkleidet 416 (338); es fehlen nur Suessa Pometia, ohne
+Zweifel als vor dem Jahre 372 (382) zerstoert, und Signia, wahrscheinlich weil
+im Text des Dionysios, der nur neunundzwanzig Namen nennt, hinter ΣΗΤΙΝΩΝ
+ausgefallen ist ΣΙΓΝΙΝΩΝ. Im vollkommenen Einklang hiermit mangeln in diesem
+Verzeichnis ebenso alle nach dem Jahre 372 (382) gegruendeten latinischen
+Kolonien wie alle Orte, die wie Ostia, Antemnae, Alba vor dem Jahre 370 (384)
+der roemischen Gemeinde inkorporiert wurden, wogegen die spaeter einverleibten,
+wie Tusculum, Lanuvium, Velitrae, in demselben stehen geblieben sind.
+</p>
+
+<p>
+Was das von Plinius mitgeteilte Verzeichnis von zweiunddreissig zu
+Plinius&rsquo; Zeit untergegangenen, ehemals am Albanischen Fest beteiligten
+Ortschaften betrifft, so bleiben nach Abzug von sieben, die auch bei Dionysios
+stehen (denn die Cusuetaner des Plinius scheinen die Dionysischen Carventaner
+zu sein) noch fuenfundzwanzig, meistenteils ganz unbekannte Ortschaften ohne
+Zweifel teils jene siebzehn nicht stimmenden Gemeinden, groesstenteils wohl
+eben die aeltesten, spaeter zurueckgestellten Glieder der albanischen
+Festgenossenschaft, teils eine Anzahl anderer untergegangener oder
+ausgestossener Bundesglieder, zu welchen letzteren vor allem der alte, auch von
+Plinius genannte Vorort Alba gehoert.
+</p>
+
+<p>
+^12 Allerdings berichtet Livius (4, 47), dass Labici im Jahre 336 (418) Kolonie
+geworden sei. Allein abgesehen davon, dass Diodor (13, 6) hierueber schweigt,
+kann Labici weder eine Buergerkolonie geworden sein, da die Stadt teils nicht
+an der Kueste lag, teils auch spaeter noch im Besitz der Autonomie erscheint,
+noch eine latinische, da es kein einziges zweites Beispiel einer im
+urspruenglichen Latium angelegten latinischen Kolonie gibt noch nach dem Wesen
+dieser Gruendungen geben kann. Hoechst wahrscheinlich ist hier wie anderswo, da
+zumal als verteiltes Ackermass zwei Iugera genannt werden, die gemeine Buerger-
+mit der kolonialen Assignation verwechselt worden.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Mit dieser Schliessung der Eidgenossenschaft haengt auch die geographische
+Fixierung des Umfanges von Latium zusammen. Solange die latinische
+Eidgenossenschaft noch offen war, hatte auch die Grenze von Latium mit der
+Anlage neuer Bundesstaedte sich vorgeschoben; aber wie die juengeren
+latinischen Kolonien keinen Anteil am Albaner Fest erhielten, galten sie auch
+geographisch nicht als Teil von Latium - darum werden wohl Ardea und Circeii,
+nicht aber Sutrium und Tarracina zur Landschaft Latium gerechnet.
+</p>
+
+<p>
+Aber nicht bloss wurden die nach 370 (384) mit latinischem Recht ausgestatteten
+Orte von der eidgenoessischen Gemeinschaft ferngehalten, sondern es wurden
+dieselben auch privatrechtlich insofern voneinander isoliert, als die Verkehrs-
+und wahrscheinlich auch die Ehegemeinschaft (commercium et conubium) einer
+jeden von diesen Gemeinden zwar mit der roemischen, nicht aber mit den uebrigen
+latinischen gestattet ward, so dass also zum Beispiel der Buerger von Sutrium
+wohl in Rom, aber nicht in Praeneste einen Acker zu vollem Eigentum besitzen
+und wohl von einer Roemerin, nicht aber von einer Tiburtinerin rechte Kinder
+gewinnen konnte ^13.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^13 Diese Beschraenkung der alten vollen latinischen Rechtsgemeinschaft
+begegnet zwar zuerst in der Vertragserneuerung von 416 (338) (Liv. 8, 14); da
+indes das Isolierungssystem, von dem dieselbe ein wesentlicher Teil ist, zuerst
+fuer die nach 370 (384) ausgefuehrten latinischen Kolonien begann und 416 (338)
+nur generalisiert ward, so war diese Neuerung hier zu erwaehnen.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Wenn ferner bisher innerhalb der Eidgenossenschaft eine ziemlich freie Bewegung
+gestattet worden war und zum Beispiel die sechs altlatinischen Gemeinden
+Aricia, Tusculum, Tibur, Lanuvium, Cora und Laurentum und die zwei
+neulatinischen Ardea und Suessa Pometia der aricinischen Diana ein Heiligtum
+gemeinschaftlich hatten stiften duerfen, so findet von aehnlichen der
+roemischen Hegemonie Gefahr drohenden Sonderkonfoederationen, ohne Zweifel
+nicht zufaellig, in spaeterer Zeit sich kein weiteres Beispiel.
+</p>
+
+<p>
+Ebenso wird man die weitere Umgestaltung der latinischen Gemeindeverfassungen
+und ihre voellige Ausgleichung mit der Verfassung Roms dieser Epoche
+zuschreiben duerfen; denn wenn als notwendiger Bestandteil der latinischen
+Magistratur neben den beiden Praetoren spaeterhin die beiden mit der Markt- und
+Strassenpolizei und der dazu gehoerigen Rechtspflege betrauten Aedilen
+erscheinen, so hat diese offenbar gleichzeitig und auf Anregung der fuehrenden
+Macht in allen Bundesgemeinden erfolgte Einsetzung staedtischer
+Polizeibehoerden sicher nicht vor der in das Jahr 387 (367) fallenden
+Einrichtung der kurulischen Aedilitaet in Rom, aber wahrscheinlich auch eben um
+diese Zeit stattgefunden. Ohne Zweifel war diese Anordnung nur das Glied einer
+Kette von bevormundenden und die bundesgenoessischen Gemeindeordnungen im
+polizeilich-aristokratischen Sinne umgestaltenden Massregeln.
+</p>
+
+<p>
+Offenbar fuehlte Rom nach dem Fall von Veii und der Eroberung des pomptinischen
+Gebietes sich maechtig genug, um die Zuegel der Hegemonie straffer anzuziehen
+und die saemtlichen latinischen Staedte in eine so abhaengige Stellung zu
+bringen, dass sie faktisch vollstaendig untertaenig wurden. In dieser Zeit (406
+348) verpflichteten sich die Karthager in dem mit Rom abgeschlossenen
+Handelsvertrag, den Latinern, die Rom botmaessig seien, namentlich den
+Seestaedten Ardea, Antium, Circeii, Tarracina, keinen Schaden zuzufuegen;
+wuerde aber eine der latinischen Staedte vom roemischen Buendnis abgefallen
+sein, so sollten die Phoeniker dieselbe angreifen duerfen, indes, wenn sie sie
+etwa erobern wuerden, gehalten sein, sie nicht zu schleifen, sondern sie den
+Roemern zu ueberliefern. Hier liegt es vor, durch welche Ketten die roemische
+Gemeinde ihre Schutzstaedte an sich band und was eine Stadt, die der
+einheimischen Schutzherrschaft sich entzog, dadurch einbuesste und wagte.
+</p>
+
+<p>
+Zwar blieb auch jetzt noch wenn nicht der hernikischen, doch wenigstens der
+latinischen Eidgenossenschaft ihr formelles Anrecht auf den dritten Teil von
+Kriegsgewinn und wohl noch mancher andere Ueberrest der ehemaligen
+Rechtsgleichheit; aber was nachweislich verloren ging, war wichtig genug, um
+die Erbitterung begreiflich zu machen, welche in dieser Zeit unter den Latinern
+gegen Rom herrschte. Nicht bloss fochten ueberall, wo Heere gegen Rom im Felde
+standen, latinische Reislaeufer zahlreich unter der fremden Fahne gegen ihre
+fuehrende Gemeinde; sondern im Jahre 405 (349) beschloss sogar die latinische
+Bundesversammlung, den Roemern den Zuzug zu verweigern. Allen Anzeichen nach
+stand eine abermalige Schilderhebung der gesamten latinischen
+Bundesgenossenschaft in nicht ferner Zeit bevor; und eben jetzt drohte ein
+Zusammenstoss mit einer anderen italischen Nation, die wohl imstande war, der
+vereinigten Macht des latinischen Stammes ebenbuertig zu begegnen. Nach der
+Niederwerfung der noerdlichen Volsker stand den Roemern im Sueden zunaechst
+kein bedeutender Gegner gegenueber; unaufhaltsam naeherten ihre Legionen sich
+dem Liris. Im Jahre 397 (357) ward gluecklich gekaempft mit den Privernaten,
+409 (345) Sora am oberen Liris besetzt. Schon standen also die roemischen Heere
+an der Grenze der Samniten, und das Freundschaftsbuendnis, das im Jahre 400
+(354) die beiden tapfersten und maechtigsten italischen Nationen miteinander
+schlossen, war das sichere Vorzeichen des herannahenden und mit der Krise
+innerhalb der latinischen Nation in drohender Weise sich verschlingenden
+Kampfes um die Oberherrschaft Italiens.
+</p>
+
+<p>
+Die samnitische Nation, die, als man in Rom die Tarquinier austrieb, ohne
+Zweifel schon seit laengerer Zeit im Besitz des zwischen der apulischen und der
+kampanischen Ebene aufsteigenden und beide beherrschenden Huegellandes gewesen
+war, war bisher auf der einen Seite durch die Daunier - Arpis Macht und Bluete
+faellt in diese Zeit -, auf der andern durch die Griechen und Etrusker an
+weiterem Vordringen gehindert worden. Aber der Sturz der etruskischen Macht um
+das Ende des dritten (450), das Sinken der griechischen Kolonien im Laufe des
+vierten Jahrhunderts (450-350) machten gegen Westen und Sueden ihnen Luft und
+ein samnitischer Schwarm nach dem andern zog jetzt bis an, ja ueber die
+sueditalischen Meere. Zuerst erschienen sie in der Ebene am Golf, wo der Name
+der Kampaner seit dem Anfang des vierten Jahrhunderts vernommen wird; die
+Etrusker wurden hier erdrueckt, die Griechen beschraenkt, jenen Capua (330
+424), diesen Kyme (334 420) entrissen. Um dieselbe Zeit, vielleicht schon
+frueher, zeigen sich in Grossgriechenland die Lucaner, die im Anfang des
+vierten Jahrhunderts mit Terinaeern und Thurinern im Kampf liegen und geraume
+Zeit vor 364 (390) in dem griechischen Laos sich festsetzten. Um diese Zeit
+betrug ihr Aufgebot 30000 Mann zu Fuss und 4000 Reiter. Gegen das Ende des
+vierten Jahrhunderts ist zuerst die Rede von der gesonderten Eidgenossenschaft
+der Brettier ^14, die, ungleich den andern sabellischen Staemmen, nicht als
+Kolonie, sondern im Kampf von den Lucanern sich losgemacht und mit vielen
+fremdartigen Elementen sich gemischt hatten. Wohl suchten die unteritalischen
+Griechen sich des Andranges der Barbaren zu erwehren; der Achaeische
+Staedtebund ward 361 (393) rekonstituiert und festgesetzt, dass, wenn eine der
+verbuendeten Staedte von Lucanern angegriffen werde, alle Zuzug leisten und die
+Fuehrer der ausbleibenden Heerhaufen Todesstrafe leiden sollten. Aber selbst
+die Einigung Grossgriechenlands half nicht mehr, da der Herr von Syrakus, der
+aeltere Dionysios, mit den Italikern gegen seine Landsleute gemeinschaftliche
+Sache machte. Waehrend Dionysios den grossgriechischen Flotten die Herrschaft
+ueber die italischen Meere entriss, ward von den Italikern eine Griechenstadt
+nach der andern besetzt oder vernichtet; in unglaublich kurzer Zeit war der
+bluehende Staedtering zerstoert oder veroedet. Nur wenigen griechischen Orten,
+wie zum Beispiel Neapel, gelang es muehsam und mehr durch Vertraege als durch
+Waffengewalt, wenigstens ihr Dasein und ihre Nationalitaet zu bewahren;
+durchaus unabhaengig und maechtig blieb allein Tarent, das durch seine
+entferntere Lage und durch seine in steten Kaempfen mit den Messapiern
+unterhaltene Schlagfertigkeit sich aufrecht hielt, wenngleich auch diese Stadt
+bestaendig mit den Lucanern um ihre Existenz zu fechten hatte und genoetigt
+war, in oder griechischen Heimat Buendnisse und Soeldner zu suchen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^14 Der Name selbst ist uralt, ja der aelteste einheimische Name der Bewohner
+des heutigen Kalabrien (Antiochos fr. 5 Mueller). Die bekannte Ableitung ist
+ohne Zweifel erfunden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Um die Zeit, wo Veii und die pomptinische Ebene roemisch wurden, hatten die
+samnitischen Scharen bereits ganz Unteritalien inne mit Ausnahme weniger und
+unter sich nicht zusammenhaengender griechischer Pflanzstaedte und der
+apulisch-messapischen Kueste. Die um 418 (336) abgefasste griechische
+Kuestenbeschreibung setzt die eigentlichen Samniten mit ihren &ldquo;fuenf
+Zungen&rdquo; von einem Meer zum andern an und am Tyrrhenischen neben sie in
+noerdlicher Richtung die Kampaner, in suedlicher die Lucaner, unter denen hier
+wie oefter die Brettier mitbegriffen sind und denen bereits die ganze Kueste
+von Paestum am Tyrrhenischen bis nach Thurii am Ionischen Meer zugeteilt wird.
+In der Tat, wer miteinander vergleicht, was die beiden grossen Nationen
+Italiens, die latinische und die samnitische, errungen hatten, bevor sie sich
+beruehrten, dem erscheint die Eroberungsbahn der letzteren bei weitem
+ausgedehnter und glaenzender als die der Roemer. Aber der Charakter der
+Eroberungen war ein wesentlich verschiedener. Von dem festen staedtischen
+Mittelpunkt aus, den Latium im Rom besass, dehnt die Herrschaft dieses Stammes
+langsam nach allen Seiten sich aus, zwar in verhaeltnismaessig engen Grenzen,
+aber festen Fuss fassend, wo sie hintritt, teils durch Gruendung von
+befestigten Staedten roemischer Art mit abhaengigem Bundesrecht, teils durch
+Romanisierung des eroberten Gebiets. Anders in Samnium. Es gibt hier keine
+einzelne fuehrende Gemeinde und darum auch keine Eroberungspolitik. Waehrend
+die Eroberung des veientischen und pomptinischen Gebietes fuer Rom eine
+wirkliche Machterweiterung war, wurde Samnium durch die Entstehung der
+kampanischen Staedte, der lucanischen, der brettischen Eidgenossenschaft eher
+geschwaecht als gestaerkt; denn jeder Schwarm, der neue Sitze gesucht und
+gefunden hatte, ging fortan fuer sich seine Wege. Die samnitischen Scharen
+erfuellen einen unverhaeltnismaessig weiten Raum, den sie ganz sich eigen zu
+machen keineswegs bedacht sind; die groesseren Griechenstaedte, Tarent, Thurii,
+Kroton, Metapont, Herakleia, Rhegion, Neapel, wenngleich geschwaecht und
+oefters abhaengig, bestehen fort, ja selbst auf dem platten Lande und in den
+kleineren Staedten werden die Hellenen geduldet, und Kyme zum Beispiel,
+Poseidonia, Laos, Hipponion blieben, wie die erwaehnte Kuestenbeschreibung und
+die Muenzen lehren, auch unter samnitischer Herrschaft noch Griechenstaedte. So
+entstanden gemischte Bevoelkerungen, wie denn namentlich die zwiesprachigen
+Brettier ausser samnitischen auch hellenische Elemente und selbst wohl
+Ueberreste der alten Autochthonen in sich aufnahmen; aber auch in Lucanien und
+Kampanien muessen in minderem Grade aehnliche Mischungen stattgefunden haben.
+Dem gefaehrlichen Zauber der hellenischen Kultur konnte auch die samnitische
+Nation sich nicht entziehen, am wenigsten in Kampanien, wo Neapel frueh mit den
+Einwanderern sich auf freundlichen Verkehr stellte und wo der Himmel selbst die
+Barbaren humanisierte. Nola, Nuceria, Teanum, obwohl rein samnitischer
+Bevoelkerung, nahmen griechische Weise und griechische Stadtverfassung an, wie
+denn auch die heimische Gauverfassung unter den veraenderten Verhaeltnissen
+unmoeglich fortbestehen konnte. Die kampanischen Samnitenstaedte begannen
+Muenzen zu schlagen, zum Teil mit griechischer Aufschrift; Capua ward durch
+Handel und Ackerbau der Groesse nach die zweite Stadt Italiens, die erste an
+Ueppigkeit und Reichtum. Die tiefe Entsittlichung, worin den Berichten der
+Alten zufolge diese Stadt es allen uebrigen italischen zuvorgetan hat, spiegelt
+sich namentlich in dem Werbewesen und in den Fechterspielen, die beide vor
+allem in Capua zur Bluete gelangt sind. Nirgends fanden die Werber so
+zahlreichen Zulauf wie in dieser Metropole der entsittlichten Zivilisation;
+waehrend Capua selbst sich vor den Angriffen der nachdraengenden Samniten nicht
+zu bergen wusste, stroemte die streitbare kampanische Jugend unter
+selbstgewaehlten Condottieren massenweise namentlich nach Sizilien. Wie tief
+diese Landknechtfahrten in die Geschicke Italiens eingriffen, wird spaeter noch
+darzustellen sein; fuer die kampanische Weise sind sie ebenso bezeichnend wie
+die Fechterspiele, die gleichfalls in Capua zwar nicht ihre Entstehung, aber
+ihre Ausbildung empfingen. Hier traten sogar waehrend des Gastmahls
+Fechterpaare auf und ward deren Zahl je nach dem Rang der geladenen Gaeste
+abgemessen. Diese Entartung der bedeutendsten samnitischen Stadt, die wohl ohne
+Zweifel auch mit dem hier noch nachwirkenden etruskischen Wesen eng
+zusammenhaengt, musste fuer die ganze Nation verhaengnisvoll werden; wenn auch
+der kampanische Adel es verstand, mit dem tiefsten Sittenverfall ritterliche
+Tapferkeit und hohe Geistesbildung zu verbinden, so konnte er doch fuer seine
+Nation nimmermehr werden, was die roemische Nobilitaet fuer die latinische war.
+Aehnlich wie auf die Kampaner, wenn auch in minderer Staerke, wirkte der
+hellenische Einfluss auf die Lucaner und Brettier. Die Graeberfunde in all
+diesen Gegenden beweisen, wie die griechische Kunst daselbst mit barbarischem
+Luxus gepflegt ward; der reiche Gold- und Bernsteinschmuck, das prachtvolle
+gemalte Geschirr, wie wir sie jetzt den Haeusern der Toten entheben, lassen
+ahnen, wie weit man hier schon sich entfernt hatte von der alten Sitte der
+Vaeter. Andere Spuren bewahrt die Schrift; die altnationale aus dem Norden
+mitgebrachte ward von den Lucanern und Brettiern aufgegeben und mit der
+griechischen vertauscht, waehrend in Kampanien das nationale Alphabet und wohl
+auch die Sprache unter dem bildenden Einfluss der griechischen sich
+selbstaendig entwickelte zu groesserer Klarheit und Feinheit. Es begegnen sogar
+einzelne Spuren des Einflusses griechischer Philosophie.
+</p>
+
+<p>
+Nur das eigentliche Samnitenland blieb unberuehrt von diesen Neuerungen, die,
+so schoen und natuerlich sie teilweise sein mochten, doch maechtig dazu
+beitrugen, das von Haus aus schon lose Band der nationalen Einheit immer mehr
+zu lockern. Durch den Einfluss des hellenischen Wesens kam ein tiefer Riss in
+den samnitischen Stamm. Die gesitteten &ldquo;Philhellenen&rdquo; Kampaniens
+gewoehnten sich, gleich den Hellenen selbst, vor den rauheren Staemmen der
+Berge zu zittern, die ihrerseits nicht aufhoerten, in Kampanien einzudringen
+und die entarteten aelteren Ansiedler zu beunruhigen. Rom war ein geschlossener
+Staat, der ueber die Kraft von ganz Latium verfuegte; die Untertanen mochten
+murren, aber sie gehorchten. Der samnitische Stamm war zerfahren und
+zersplittert, und die Eidgenossenschaft im eigentlichen Samnium hatte sich zwar
+die Sitten und die Tapferkeit der Vaeter ungeschmaelert bewahrt, war aber auch
+darueber mit den uebrigen samnitischen Voelker- und Buergerschaften voellig
+zerfallen.
+</p>
+
+<p>
+In der Tat war es dieser Zwist zwischen den Samniten der Ebene und den Samniten
+der Gebirge, der die Roemer ueber den Liris fuehrte. Die Sidiciner in Teanum,
+die Kampaner in Capua suchten gegen die eigenen Landsleute, die mit immer neuen
+Schwaermen ihr Gebiet brandschatzten und darin sich festzusetzen drohten, Hilfe
+bei den Roemern (411 343). Als das begehrte Buendnis verweigert ward, bot die
+kampanische Gesandtschaft die Unterwerfung der Stadt unter die Oberherrlichkeit
+Roms an, und solcher Lockung vermochten die Roemer nicht zu widerstehen.
+Roemische Gesandte gingen zu den Samniten, ihnen den neuen Erwerb anzuzeigen
+und sie aufzufordern, das Gebiet der befreundeten Macht zu respektieren. Wie
+die Ereignisse weiter verliefen, ist im einzelnen nicht mehr zu ermitteln ^15;
+wir sehen nur, dass zwischen Rom und Samnium, sei es nach einem Feldzug, sei es
+ohne vorhergehenden Krieg, ein Abkommen zustande kam, wodurch die Roemer freie
+Hand erhielten gegen Capua, die Samniten gegen Teanum und die Volsker am oberen
+Liris. Dass die Samniten sich dazu verstanden, erklaert sich aus den gewaltigen
+Anstrengungen, die eben um diese Zeit die Tarentiner machten, sich der
+sabellischen Nachbarn zu entledigen; aber auch die Roemer hatten guten Grund,
+sich mit den Samniten so schnell wie moeglich abzufinden, denn der
+bevorstehende Uebergang der suedlich an Latium angrenzenden Landschaft in
+roemischen Besitz verwandelte die laengst unter den Latinern bestehende Gaerung
+in offene Empoerung. Alle urspruenglich latinischen Staedte, selbst die in den
+roemischen Buergerverband aufgenommenen Tusculaner ergriffen die Waffen gegen
+Rom, mit einziger Ausnahme der Laurenter, waehrend dagegen von den ausserhalb
+der Grenzen Latiums gegruendeten Kolonien nur die alten Volskerstaedte
+Velitrae, Antium und Tarracina sich an der Auflehnung beteiligten. Dass die
+Capuaner, ungeachtet der eben erst freiwillig den Roemern angetragenen
+Unterwerfung, dennoch die erste Gelegenheit, der roemischen Herrschaft wieder
+ledig zu werden, bereitwillig ergriffen und, trotz des Widerstandes der an dem
+Vertrag mit Rom festhaltenden Optimatenpartei, die Gemeinde gemeinschaftliche
+Sache mit der latinischen Eidgenossenschaft machte, ist erklaerlich; wogegen
+die noch selbstaendigen Volskerstaedte, wie Fundi und Formiae, und die Herniker
+sich gleich der kampanischen Aristokratie an diesem Aufstande nicht
+beteiligten. Die Lage der Roemer war bedenklich; die Legionen, die ueber den
+Liris gegangen waren und Kampanien besetzt hatten, waren durch den Aufstand der
+Latiner von der Heimat abgeschnitten und nur ein Sieg konnte sie retten. Bei
+Trifanum (zwischen Minturnae, Suessa und Sinuessa) ward die entscheidende
+Schlacht geliefert (414 340): der Konsul Titus Manlius Imperiosus Torquatus
+erfocht ueber die vereinigten Latiner und Kampaner einen vollstaendigen Sieg.
+In den beiden folgenden Jahren wurden die einzelnen Staedte, soweit sie noch
+Widerstand leisteten, durch Kapitulation oder Sturm bezwungen und die ganze
+Landschaft zur Unterwerfung gebracht.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^15 Vielleicht kein Abschnitt der roemischen Annalen ist aerger entstellt als
+die Erzaehlung des ersten samnitisch-latinischen Krieges, wie sie bei Livius,
+Dionysios, Appian steht oder stand. Sie lautet etwa folgendermassen. Nachdem
+411 (343) beide Konsuln in Kampanien eingerueckt waren, erfocht zuerst der
+Konsul Marcus Valerius Corvus am Berge Gaurus ueber die Samniten einen schweren
+und blutigen Sieg; alsdann auch der Kollege Aulus Cornelius Cossus, nachdem er
+der Vernichtung in einem Engpass durch Hingebung einer von dem Kriegstribun
+Publius Decius gefuehrten Abteilung entgangen war. Die dritte und entscheidende
+Schlacht ward am Eingang der Caudinischen Paesse bei Suessula von den beiden
+Konsuln geschlagen; die Samniten wurden vollstaendig ueberwunden - man las
+vierzigtausend ihrer Schilde auf dem Schlachtfelde auf - und zum Frieden
+genoetigt, in welchem die Roemer Capua, das sich ihnen zu eigen gegeben,
+behielten, Teanum dagegen den Samniten ueberliessen (413 341). Glueckwuensche
+kamen von allen Seiten, selbst von Karthago. Die Latiner, die den Zuzug
+verweigert hatten und gegen Rom zu ruesten schienen, wandten ihre Waffen statt
+gegen Rom vielmehr gegen die Paeligner, waehrend die Roemer zunaechst durch
+eine Militaerverschwoerung der in Kampanien zurueckgelassenen Besatzung (412
+342), dann durch die Einnahme von Privernum (413 341) und den Krieg gegen die
+Antiaten beschaeftigt waren. Nun aber wechseln ploetzlich und seltsam die
+Parteiverhaeltnisse. Die Latiner, die umsonst das roemische Buergerrecht und
+Anteil am Konsulat gefordert hatten, erhoben sich gegen Rom in Gemeinschaft mit
+den Sidicinern, die vergeblich den Roemern die Unterwerfung angetragen hatten
+und vor den Samniten sich nicht zu retten wussten, und mit den Kampanern, die
+der roemischen Herrschaft bereits muede waren. Nur die Laurenter in Latium und
+die kampanischen Ritter hielten zu den Roemern, welche ihrerseits
+Unterstuetzung fanden bei den Paelignern und den Samniten. Das latinische Heer
+ueberfiel Samnium; das roemisch-samnitische schlug, nachdem es an den Fuciner
+See und von da an Latium vorueber in Kampanien einmarschiert war, die
+Entscheidungsschlacht gegen die vereinigten Latiner und Kampaner am Vesuv,
+welche der Konsul Titus Manlius Imperiosus, nachdem er selbst durch die
+Hinrichtung seines eigenen, gegen den Lagerbefehl siegenden Sohnes die
+schwankende Heereszucht wiederhergestellt und sein Kollege Publius Decius Mus
+die Goetter versoehnt hatte durch seinen Opfertod, endlich mit Aufbietung der
+letzten Reserve gewann. Aber erst eine zweite Schlacht, die der Konsul Manlius
+den Latinern und Kampanern bei Trifanum lieferte, machte dem Krieg ein Ende;
+Latium und Capua unterwarfen sich und wurden um einen Teil ihres Gebietes
+gestraft.
+</p>
+
+<p>
+Einsichtigen und ehrlichen Lesern wird es nicht entgehen, dass dieser Bericht
+von Unmoeglichkeiten aller Art wimmelt. Dahin gehoert das Kriegfuehren der
+Antiaten nach der Dedition von 377 (377) (Liv. 6, 33); der selbstaendige
+Feldzug der Latiner gegen die Paeligner im schneidenden Widerspruch zu den
+Bestimmungen der Vertraege zwischen Rom und Latium; der unerhoerte Marsch des
+roemischen Heeres durch das marsische und samnitische Gebiet nach Capua,
+waehrend ganz Latium gegen Rom in Waffen stand; um nicht zu reden von dem
+ebenso verwirrten wie sentimentalen Bericht ueber den Militaeraufstand von 412
+(342) und den Geschichtchen von dem gezwungenen Anfuehrer desselben, dem lahmen
+Titus Quinctius, dem roemischen Goetz von Berlichingen. Vielleicht noch
+bedenklicher sind die Wiederholungen; so ist die Erzaehlung von dem
+Kriegstribun Publius Decius nachgebildet der mutigen Tat des Marcus Calpurnius
+Flamma, oder wie er sonst hiess, im Ersten Punischen Kriege; so kehrt die
+Eroberung Privernums durch Gaius Plautius wieder im Jahre 425 (329), und nur
+diese zweite ist in den Triumphalfasten verzeichnet; so der Opfertod des
+Publius Decius bekanntlich bei dem Sohne desselben 459 (295). Ueberhaupt
+verraet in diesem Abschnitt die ganze Darstellung eine andere Zeit und eine
+andere Hand als die sonstigen glaubwuerdigeren annalistischen Berichte; die
+Erzaehlung ist voll von ausgefuehrten Schlachtgemaelden; von eingewebten
+Anekdoten, wie zum Beispiel der von dem setinischen Praetor, der auf den Stufen
+des Rathauses den Hals bricht, weil er dreist genug gewesen war, das Konsulat
+zu begehren, und den mannigfaltigen aus dem Beinamen des Titus Manlius
+herausgesponnenen; von ausfuehrlichen und zum Teil bedenklichen
+archaeologischen Digressionen, wohin zum Beispiel die Geschichte der Legion
+(von der die hoechst wahrscheinlich apokryphe Notiz ueber die aus Roemern und
+Latinern gemischten Manipel des zweiten Tarquinius bei Liv. 1, 52 offenbar ein
+zweites Bruchstueck ist), die verkehrte Auffassung des Vertrages zwischen Capua
+und Rom (meine Geschichte des roemischen Muenzwesens. Breslau 1860, S. 334, A.
+122), die Devotionsformulare, der kampanische Denar, das laurentische Buendnis,
+die bina iugera bei der Assignation gehoeren. Unter solchen Umstaenden
+erscheint es von grossem Gewicht, dass Diodoros, der anderen und oft aelteren
+Berichten folgt, von all diesen Ereignissen schlechterdings nichts kennt als
+die letzte Schlacht bei Trifanum; welche auch in der Tat schlecht passt zu der
+uebrigen Erzaehlung, die nach poetischer Gerechtigkeit schliessen sollte mit
+dem Tode des Decius.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die Folge des Sieges war die Aufloesung des latinischen Bundes. Derselbe wurde
+aus einer selbstaendigen politischen Konfoederation in eine bloss religioese
+Festgenossenschaft umgewandelt; die altverbrieften Rechte der Eidgenossenschaft
+auf ein Maximum der Truppenaushebung und einen Anteil an dem Kriegsgewinn
+gingen damit als solche zu Grunde, und was derart spaeter noch vorkam, traegt
+den Charakter der Gnadenbewilligung. An die Stelle des einen Vertrages zwischen
+Rom einer- und der latinischen Eidgenossenschaft anderseits traten im besten
+Fall ewige Buendnisse zwischen Rom und den einzelnen eidgenoessischen Orten. Zu
+diesem Vertragsverhaeltnis wurden von den altlatinischen Orten ausser Laurentum
+auch Tibur und Praeneste zugelassen, welche indes Stuecke ihres Gebiets an Rom
+abtreten mussten. Gleiches Recht erhielten die ausserhalb Latium gegruendeten
+Gemeinden latinischen Rechts, soweit sie sich nicht an dem Kriege beteiligt
+hatten. Die Isolierung der Gemeinden gegeneinander, welche fuer die nach dem
+Jahre 370 (384) gegruendeten Orte bereits frueher festgestellt worden war, ward
+also auf die gesamte Nation erstreckt. Im uebrigen blieben den einzelnen Orten
+die bisherigen Gerechtsame und ihre Autonomie. Die uebrigen altlatinischen
+Gemeinden sowie die abgefallenen Kolonien verloren saemtlich die
+Selbstaendigkeit und traten in einer oder der anderen Form in den roemischen
+Buergerverband ein. Die beiden wichtigsten Kuestenstaedte Antium (416 338) und
+Tarracina (425 329) wurden, nach dem Muster von Ostia, mit roemischen
+Vollbuergern besetzt und auf eine engbegrenzte kommunale Selbstaendigkeit
+beschraenkt, die bisherigen Buerger zu Gunsten der roemischen Kolonisten ihres
+Grundeigentums grossenteils beraubt und, soweit sie es behielten, ebenfalls in
+den Vollbuergerverband aufgenommen. Lanuvium, Aricia, Nomentum, Pedum wurden
+roemische Buergergemeinden mit beschraenkter Selbstverwaltung nach dem Muster
+von Tusculum (l, 360). Velitraes Mauern wurden niedergerissen, der Senat in
+Masse ausgewiesen und im roemischen Etrurien interniert, die Stadt
+wahrscheinlich als untertaenige Gemeinde nach caeritischem Recht konstituiert.
+Von dem gewonnenen Acker wurde ein Teil, zum Beispiel die Laendereien der
+veliternischen Ratsmitglieder, an roemische Buerger verteilt; mit diesen
+Einzelassignationen haengt die Errichtung zweier neuer Buergerbezirke im Jahre
+422 (332) zusammen. Wie tief man in Rom die ungeheure Bedeutung des gewonnenen
+Erfolges empfand, zeigt die Ehrensaeule, die man dem siegreichen Buergermeister
+des Jahres 416 (338), Gaius Maenius, auf dem roemischen Markte errichtete, und
+die Schmueckung der Rednertribuene auf demselben mit den Schnaebeln der
+unbrauchbar befundenen antiatischen Galeeren.
+</p>
+
+<p>
+In gleicher Weise ward in dem suedlichen volskischen und dem kampanischen
+Gebiet die roemische Herrschaft durchgefuehrt und befestigt. Fundi, Formiae,
+Capua, Kyme und eine Anzahl kleinerer Staedte wurden abhaengige roemische
+Gemeinden mit Selbstverwaltung; um das vor allem wichtige Capua zu sichern,
+erweiterte man kuenstlich die Spaltung zwischen Adel und Gemeinde, revidierte
+die Gemeindeverfassung im roemischen Interesse und kontrollierte die
+staedtische Verwaltung durch jaehrlich nach Kampanien gesandte roemische
+Beamte. Dieselbe Behandlung widerfuhr einige Jahre darauf dem volskischen
+Privernum, dessen Buerger, unterstuetzt von dem kuehnen fundanischen
+Parteigaenger Vitruvius Vaccus, die Ehre hatten, fuer die Freiheit dieser
+Landschaft den letzten Kampf zu kaempfen - er endigte mit der Erstuermung der
+Stadt (425 329) und der Hinrichtung des Vaccus im roemischen Kerker. Um eine
+eigene roemische Bevoelkerung in diesen Gegenden emporzubringen, teilte man von
+den im Krieg gewonnenen Laendereien, namentlich im privernatischen und im
+falernischen Gebiet, so zahlreiche Ackerlose an roemische Buerger aus, dass
+wenige Jahre nachher (436 318) auch dort zwei neue Buergerbezirke errichtet
+werden konnten. Die Anlegung zweier Festungen als Kolonien latinischen Rechts
+sicherte schliesslich das neu gewonnene Land. Es waren dies Cales (420 334)
+mitten in der kampanischen Ebene, von wo aus Teanum und Capua beobachtet werden
+konnten, und Fregellae (426 328), das den Uebergang ueber den Liris
+beherrschte. Beide Kolonien waren ungewoehnlich stark und gelangten schnell zur
+Bluete, trotz der Hindernisse, welche die Sidiciner der Gruendung von Cales,
+die Samniten der von Fregellae in den Weg legten. Auch nach Sora ward eine
+roemische Besatzung verlegt, worueber die Samniten, denen dieser Bezirk
+vertragsmaessig ueberlassen worden war, sich mit Grund, aber vergeblich
+beschwerten. Ungeirrt ging Rom seinem Ziel entgegen, seine energische und
+grossartige Staatskunst mehr als auf dem Schlachtfelde offenbarend in der
+Sicherung der gewonnenen Landschaft, die es politisch und militaerisch mit
+einem unzerreissbaren Netze umflocht.
+</p>
+
+<p>
+Dass die Samniten das bedrohliche Vorschreiten der Roemer nicht gern sahen,
+versteht sich; sie warfen ihnen auch wohl Hindernisse in den Weg, aber
+versaeumten es doch jetzt, wo es vielleicht noch Zeit war, mit der von den
+Umstaenden geforderten Energie ihnen die neue Eroberungsbahn zu verlegen. Zwar
+Teanum scheinen sie nach dem Vertrag mit Rom eingenommen und stark besetzt zu
+haben; denn waehrend die Stadt frueher Hilfe gegen Samnium in Capua und Rom
+nachsucht, erscheint sie in den spaeteren Kaempfen als die Vormauer der
+samnitischen Macht gegen Westen. Aber am oberen Liris breiteten sie wohl
+erobernd und zerstoerend sich aus, versaeumten es aber, hier auf die Dauer sich
+festzusetzen. So zerstoerten sie die Volskerstadt Fregellae, wodurch nur die
+Anlage der eben erwaehnten roemischen Kolonie daselbst erleichtert ward, und
+schreckten zwei andere Volskerstaedte, Fabrateria (Ceccano) und Luca
+(unbekannter Lage), so, dass dieselben, Capuas Beispiel folgend, sich (424 330)
+den Roemern zu eigen gaben. Die samnitische Eidgenossenschaft gestattete, dass
+die roemische Eroberung Kampaniens eine vollendete Tatsache geworden war, bevor
+sie sich ernstlich derselben widersetzte; wovon der Grund allerdings zum Teil
+in den gleichzeitigen Fehden der samnitischen Nation mit den italischen
+Hellenen, aber zum Teil doch auch in der schlaffen und zerfahrenen Politik der
+Eidgenossenschaft zu suchen ist.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap06"></a>KAPITEL VI.<br/>
+Die Italiker gegen Rom</h2>
+
+<p>
+Waehrend die Roemer am Liris und Volturnus fochten, bewegten den Suedosten der
+Halbinsel andere Kaempfe. Die reiche tarentinische Kaufmannsrepublik, immer
+ernstlicher bedroht von den lucanischen und messapischen Haufen und ihren
+eigenen Schwertern mit Recht misstrauend, gewann fuer gute Worte und besseres
+Geld die Bandenfuehrer der Heimat. Der Spartanerkoenig Archidamos, der mit
+einem starken Haufen den Stammgenossen zu Hilfe gekommen war, erlag an
+demselben Tage, wo Philipp bei Chaeroneia siegte, den Lucanern (416 338); wie
+die frommen Griechen meinten, zur Strafe dafuer, dass er und seine Leute
+neunzehn Jahre frueher teilgenommen hatten an der Pluenderung des delphischen
+Heiligtums. Seinen Platz nahm ein maechtigerer Feldhauptmann ein, Alexander der
+Molosser, Bruder der Olympias, der Mutter Alexanders des Grossen. Mit den
+mitgebrachten Scharen vereinigte er unter seinen Fahnen die Zuzuege der
+Griechenstaedte, namentlich der Tarentiner und Metapontiner; ferner die
+Poediculer (um Rubi, jetzt Ruvo), die gleich den Griechen sich von der
+sabellischen Nation bedroht sahen; endlich sogar die lucanischen Verbannten
+selbst, deren betraechtliche Zahl auf heftige innere Unruhen in dieser
+Eidgenossenschaft schliessen laesst. So sah er sich bald dem Feinde ueberlegen.
+Consentia (Cosenza), der Bundessitz, wie es scheint, der in Grossgriechenland
+angesiedelten Sabeller, fiel in seine Haende. Umsonst kommen die Samniten den
+Lucanern zu Hilfe; Alexander schlaegt ihre vereinigte Streitmacht bei Paestum,
+er bezwingt die Daunier um Sipontum, die Messapier auf der suedoestlichen
+Halbinsel; schon gebietet er von Meer zu Meer und ist im Begriff, den Roemern
+die Hand zu reichen und mit ihnen gemeinschaftlich die Samniten in ihren
+Stammsitzen anzugreifen. Aber so unerwartete Erfolge waren den Tarentiner
+Kaufleuten unerwuenscht und erschreckend; es kam zum Kriege zwischen ihnen und
+ihrem Feldhauptmann, der als gedungener Soeldner erschienen war und nun sich
+anliess, als wolle er im Westen ein hellenisches Reich begruenden gleichwie
+sein Neffe im Osten. Alexander war anfangs im Vorteil: er entriss den
+Tarentinern Herakleia, stellte Thurii wieder her und scheint die uebrigen
+italischen Griechen aufgerufen zu haben, sich unter seinem Schutz gegen die
+Tarentiner zu vereinigen, indem er zugleich es versuchte, zwischen ihnen und
+den sabellischen Voelkerschaften den Frieden zu vermitteln. Allein seine
+grossartigen Entwuerfe fanden nur schwache Unterstuetzung bei den entarteten
+und entmutigten Griechen und der notgedrungene Parteiwechsel entfremdete ihm
+seinen bisherigen lucanischen Anhang; bei Pandosia fiel er von der Hand eines
+lucanischen Emigrierten (422 332) ^1. Mit seinem Tode kehrten im wesentlichen
+die alten Zustaende wieder zurueck. Die griechischen Staedte sahen sich
+wiederum vereinzelt und wiederum lediglich darauf angewiesen, sich jede, so gut
+es gehen mochte, zu schuetzen durch Vertrag oder Tributzahlung oder auch durch
+auswaertige Hilfe, wie zum Beispiel Kroton um 430 (324) mit Hilfe von Syrakus
+die Brettier zurueckschlug. Die samnitischen Staemme erhielten aufs neue das
+Uebergewicht und konnten, unbekuemmert um die Griechen, wieder ihre Blicke nach
+Kampanien und Latium wenden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Es wird nicht ueberfluessig sein, daran zu erinnern, dass, was ueber
+Archidamos und Alexander bekannt ist, aus griechischen Jahrbuechern herruehrt
+und der Synchronismus dieser und der roemischen fuer die gegenwaertige Epoche
+noch bloss approximativ festgestellt ist. Man huete sich daher, den im
+allgemeinen unverkennbaren Zusammenhang der west- und der ostitalischen
+Ereignisse zu sehr ins einzelne verfolgen zu wollen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Hier aber war in der kurzen Zwischenzeit ein ungeheurer Umschwung eingetreten.
+Die latinische Eidgenossenschaft war gesprengt und zertruemmert, der letzte
+Widerstand der Volsker gebrochen, die kampanische Landschaft, die reichste und
+schoenste der Halbinsel, im unbestrittenen und wohlbefestigten Besitz der
+Roemer, die zweite Stadt Italiens in roemischer Klientel. Waehrend die Griechen
+und Samniten miteinander rangen, hatte Rom fast unbestritten sich zu einer
+Machtstellung emporgeschwungen, die zu erschuettern kein einzelnes Volk der
+Halbinsel die Mittel mehr besass und die alle zugleich mit roemischer
+Unterjochung bedrohte. Eine gemeinsame Anstrengung der jedes fuer sich Rom
+nicht gewachsenen Voelker konnte vielleicht die Ketten noch sprengen, ehe sie
+voellig sich befestigten; aber die Klarheit, der Mut, die Hingebung, wie eine
+solche Koalition unzaehliger, bisher grossenteils feindlich oder doch fremd
+sich gegenueberstehender Volks- und Stadtgemeinden sie erforderte, fanden sich
+nicht oder doch erst, als es bereits zu spaet war.
+</p>
+
+<p>
+Nach dem Sturz der etruskischen Macht, nach der Schwaechung der griechischen
+Republiken war naechst Rom unzweifelhaft die bedeutendste Macht in Italien die
+samnitische Eidgenossenschaft und zugleich diejenige, die von den roemischen
+Uebergriffen am naechsten und unmittelbarsten bedroht war. Ihr also kam es zu,
+in dem Kampf um die Freiheit und die Nationalitaet, den die Italiker gegen Rom
+zu fuehren hatten, die erste Stelle und die schwerste Last zu uebernehmen. Sie
+durfte rechnen auf den Beistand der kleinen sabellischen Voelkerschaften, der
+Vestiner, Frentaner, Marruciner und anderer kleinerer Gaue, die in baeuerlicher
+Abgeschiedenheit zwischen ihren Bergen wohnten, aber nicht taub waren, wenn der
+Aufruf eines verwandten Stammes sie mahnte, zur Verteidigung der gemeinsamen
+Gueter die Waffen zu ergreifen. Wichtiger waere der Beistand der kampanischen
+und grossgriechischen Hellenen, namentlich der Tarentiner, und der maechtigen
+Lucaner und Brettier gewesen; allein teils die Schlaffheit und Fahrigkeit der
+in Tarent herrschenden Demagogen und die Verwicklung der Stadt in die
+sizilischen Angelegenheiten, teils die innere Zerrissenheit der lucanischen
+Eidgenossenschaft, teils und vor allem die seit Jahrhunderten bestehende tiefe
+Verfehdung der unteritalischen Hellenen mit ihren lucanischen Bedraengern
+liessen kaum hoffen, dass Tarent und Lucanien gemeinschaftlich sich den
+Samniten anschliessen wuerden. Von den Sabinern und den Marsern als den
+naechsten und seit langem in friedlichem Verhaeltnis mit Rom lebenden Nachbarn
+der Roemer war wenig mehr zu erwarten als schlaffe Teilnahme oder Neutralitaet;
+die Apuler, die alten und erbitterten Gegner der Sabeller, waren die
+natuerlichen Verbuendeten der Roemer. Dass dagegen die fernen Etrusker, wenn
+ein erster Erfolg errungen war, dem Bunde sich anschliessen wuerden, liess sich
+erwarten, und selbst ein Aufstand in Latium und dem Volsker- und Hernikerland
+lag nicht ausser der Berechnung. Vor allen Dingen aber mussten die Samniten,
+die italischen Aetoler, in denen die nationale Kraft noch ungebrochen lebte,
+vertrauen auf die eigene Kraft, auf die Ausdauer im ungleichen Kampf, welche
+den uebrigen Voelkern Zeit gab zu edler Scham, zu gefasster Ueberlegung, zum
+Sammeln der Kraefte; ein einziger gluecklicher Erfolg konnte alsdann die
+Kriegs- und Aufruhrsflammen rings um Rom entzuenden. Die Geschichte darf dem
+edlen Volke das Zeugnis nicht versagen, dass es seine Pflicht begriffen und
+getan hat.
+</p>
+
+<p>
+Mehrere Jahre schon waehrte der Hader zwischen Rom und Samnium infolge der
+bestaendigen Uebergriffe, die die Roemer sich am Liris erlaubten und unter
+denen die Gruendung von Fregellae 426 (328) der letzte und wichtigste war. Zum
+Ausbruch des Kampfes aber gaben die Veranlassung die kampanischen Griechen.
+Seitdem Cumae und Capua roemisch geworden waren, lag den Roemern nichts so nahe
+wie die Unterwerfung der Griechenstadt Neapolis, die auch die griechischen
+Inseln im Golf beherrschte, innerhalb des roemischen Machtgebiets die einzige
+noch nicht unterworfene Stadt. Die Tarentiner und Samniten, unterrichtet von
+dem Plane der Roemer, sich der Stadt zu bemaechtigen, beschlossen, ihnen
+zuvorzukommen; und wenn die Tarentiner nicht sowohl zu fern als zu schlaff
+waren, um diesen Plan auszufuehren, so warfen die Samniten in der Tat eine
+starke Besatzung hinein. Sofort erklaerten die Roemer dem Namen nach den
+Neapoliten, in der Tat den Samniten den Krieg (427 327) und begannen die
+Belagerung von Neapolis. Nachdem dieselbe eine Weile gewaehrt hatte, wurden die
+kampanischen Griechen des gestoerten Handels und der fremden Besatzung muede;
+und die Roemer, deren ganzes Bestreben darauf gerichtet war, von der Koalition,
+deren Bildung bevorstand, die Staaten zweiten und dritten Ranges durch
+Sondervertraege fernzuhalten, beeilten sich, sowie sich die Griechen auf
+Unterhandlungen einliessen, ihnen die guenstigsten Bedingungen zu bieten: volle
+Rechtsgleichheit und Befreiung vom Landdienst, gleiches Buendnis und ewigen
+Frieden. Daraufhin ward, nachdem die Neapoliten sich der Besatzung durch List
+entledigt hatten, der Vertrag abgeschlossen (428 326).
+</p>
+
+<p>
+Im Anfang dieses Krieges hielten die sabellischen Staedte suedlich vom
+Volturnus, Nola, Nuceria, Herculaneum, Pompeii, es mit Samnium; allein teils
+ihre sehr ausgesetzte Lage, teils die Machinationen der Roemer, welche die
+optimatische Partei in diesen Staedten durch alle Hebel der List und des
+Eigennutzes auf ihre Seite zu ziehen versuchten und dabei an Capuas Vorgang
+einen maechtigen Fuersprecher fanden, bewirkten, dass diese Staedte nicht lange
+nach dem Fall von Neapolis sich entweder fuer Rom oder doch neutral erklaerten.
+</p>
+
+<p>
+Ein noch wichtigerer Erfolg gelang den Roemern in Lucanien. Das Volk war auch
+hier mit richtigem Instinkt fuer den Anschluss an die Samniten; da aber das
+Buendnis mit den Samniten auch Frieden mit Tarent nach sich zog und ein grosser
+Teil der regierenden Herren Lucaniens nicht gemeint war, die eintraeglichen
+Pluenderzuege einzustellen, so gelang es den Roemern, mit Lucanien ein Buendnis
+abzuschliessen, das unschaetzbar war, weil dadurch den Tarentinern zu schaffen
+gemacht wurde und also die ganze Macht Roms gegen Samnium verwendbar blieb.
+</p>
+
+<p>
+So stand Samnium nach allen Seiten hin allein; kaum dass einige der oestlichen
+Bergdistrikte ihm Zuzug sandten. Mit dem Jahre 428 (326) begann der Krieg im
+samnitischen Lande selbst; einige Staedte an der kampanischen Grenze, Rufrae
+(zwischen Venafrum und Teanum) und Allifae, wurden von den Roemern besetzt. In
+den folgenden Jahren durchzogen die roemischen Heere fechtend und pluendernd
+Samnium bis in das vestinische Gebiet hinein, ja bis nach Apulien, wo man sie
+mit offenen Armen empfing, ueberall im entschiedensten Vorteil. Der Mut der
+Samniten war gebrochen; sie sandten die roemischen Gefangenen zurueck und mit
+ihnen die Leiche des Fuehrers der Kriegspartei, Brutulus Papius, welcher den
+roemischen Henkern zuvorgekommen war, nachdem die samnitische Volksgemeinde
+beschlossen hatte, den Frieden von dem Feinde zu erbitten und durch die
+Auslieferung ihres tapfersten Feldherrn sich leidlichere Bedingungen zu
+erwirken. Aber als die demuetige, fast flehentliche Bitte bei der roemischen
+Volksgemeinde keine Erhoerung fand (432 322), ruesteten sich die Samniten unter
+ihrem neuen Feldherrn Gavius Pontius zur aeussersten und verzweifelten
+Gegenwehr. Das roemische Heer, das unter den beiden Konsuln des folgenden
+Jahres (433 321), Spurius Postumius und Titus Veturius, bei Calatia (zwischen
+Caserta und Maddaloni) gelagert war, erhielt die durch die Aussage zahlreicher
+Gefangenen bestaetigte Nachricht, dass die Samniten Luceria eng eingeschlossen
+haetten und die wichtige Stadt, an der der Besitz Apuliens hing, in grosser
+Gefahr schwebe. Eilig brach man auf. Wollte man zu rechter Zeit anlangen, so
+konnte kein anderer Weg eingeschlagen werden als mitten durch das feindliche
+Gebiet, da wo spaeter als Fortsetzung der Appischen Strasse die roemische
+Chaussee von Capua ueber Benevent nach Apulien angelegt ward. Dieser Weg
+fuehrte zwischen den heutigen Orten Arpaja und Montesarchio (Caudium) durch
+einen feuchten Wiesengrund, der rings von hohen und steilen Waldhuegeln
+umschlossen und nur durch tiefe Einschnitte beim Ein- und Austritt zugaenglich
+war. Hier hatten die Samniten verdeckt sich aufgestellt. Die Roemer, ohne
+Hindernis in das Tal eingetreten, fanden den Ausweg durch Verhaue gesperrt und
+stark besetzt; zurueckmarschierend erblickten sie den Eingang in aehnlicher
+Weise geschlossen und gleichzeitig kroenten die Bergraender rings im Kreise
+sich mit den samnitischen Kohorten. Zu spaet begriffen sie, dass sie sich durch
+eine Kriegslist hatten taeuschen lassen und dass die Samniten nicht bei Luceria
+sie erwarteten, sondern in dem verhaengnisvollen Pass von Caudium. Man schlug
+sich, aber ohne Hoffnung auf Erfolg und ohne ernstliches Ziel; das roemische
+Heer war gaenzlich unfaehig zu manoevrieren und ohne Kampf vollstaendig
+ueberwunden. Die roemischen Generale Boten die Kapitulation an. Nur toerichte
+Rhetorik laesst dem samnitischen Feldherrn die Wahl bloss zwischen Entlassung
+und Niedermetzelung der roemischen Armee; er konnte nichts Besseres tun als die
+angebotene Kapitulation annehmen und das feindliche Heer, die gesamte
+augenblicklich aktive Streitmacht der roemischen Gemeinde mit beiden
+hoechstkommandierenden Feldherren, gefangen machen; worauf ihm dann der Weg
+nach Kampanien und Latium offenstand und unter den damaligen Verhaeltnissen, wo
+die Volsker und Herniker und der groesste Teil der Latiner ihn mit offenen
+Armen empfangen haben wuerden, Roms politische Existenz ernstlich gefaehrdet
+war. Allein statt diesen Weg einzuschlagen und eine Militaerkonvention zu
+schliessen, dachte Gavius Pontius durch einen billigen Frieden gleich den
+ganzen Hader beendigen zu koennen; sei es, dass er die unverstaendige
+Friedenssehnsucht der Eidgenossen teilte, der das Jahr zuvor Brutulus Papius
+zum Opfer gefallen war, sei es, dass er nicht imstande war, der kriegsmueden
+Partei zu wehren, dass sie den beispiellosen Sieg ihm verdarb. Die gestellten
+Bedingungen waren maessig genug: Rom solle die vertragswidrig angelegten
+Festungen - Cales und Fregellae - schleifen und den gleichen Bund mit Samnium
+erneuern. Nachdem die roemischen Feldherren dieselben eingegangen waren und
+fuer die getreuliche Ausfuehrung sechshundert aus der Reiterei erlesene Geiseln
+gestellt, ueberdies ihr und ihrer saemtlichen Stabsoffiziere Eideswort dafuer
+verpfaendet hatten, wurde das roemische Heer entlassen, unverletzt, aber
+entehrt; denn das siegestrunkene samnitische Heer gewann es nicht ueber sich,
+den gehassten Feinden die schimpfliche Form der Waffenstreckung und des Abzuges
+unter dem Galgen durch zu erlassen.
+</p>
+
+<p>
+Allein der roemische Senat, unbekuemmert um den Eid der Offiziere und um das
+Schicksal der Geiseln, kassierte den Vertrag und begnuegte sich diejenigen, die
+ihn abgeschlossen hatten, als persoenlich fuer dessen Erfuellung verantwortlich
+dem Feinde auszuliefern. Es kann der unparteiischen Geschichte wenig darauf
+ankommen, ob die roemische Advokaten- und Pfaffenkasuistik hierbei den
+Buchstaben des Rechts gewahrt oder der Beschluss des roemischen Senats
+denselben verletzt hat; menschlich und politisch betrachtet trifft die Roemer
+hier kein Tadel. Es ist ziemlich gleichgueltig, ob nach formellem roemischen
+Staatsrecht der kommandierende General befugt oder nicht befugt war, ohne
+vorbehaltene Ratifikation der Buergerschaft Frieden zu schliessen; dem Geiste
+und der Uebung der Verfassung nach stand es vollkommen Fest, dass in Rom jeder
+nicht rein militaerische Staatsvertrag zur Kompetenz der buergerlichen Gewalten
+gehoerte und ein Feldherr, der ohne Auftrag von Rat und Buergerschaft Frieden
+schloss, mehr tat, als er tun durfte. Es war ein groesserer Fehler des
+samnitischen Feldherrn, den roemischen die Wahl zu stellen zwischen Rettung
+ihres Heeres und Ueberschreitung ihrer Vollmacht, als der roemischen, dass sie
+nicht die Seelengroesse hatten, die letztere Anmutung unbedingt
+zurueckzuweisen; und dass der roemische Senat einen solchen Vertrag verwarf,
+war recht und notwendig. Kein grosses Volk gibt, was es besitzt, anders hin als
+unter dem Druck der aeussersten Notwendigkeit; alle Abtretungsvertraege sind
+Anerkenntnisse einer solchen, nicht sittliche Verpflichtungen. Wenn jede Nation
+mit Recht ihre Ehre darein setzt, schimpfliche Vertraege mit den Waffen zu
+zerreissen, wie kann ihr dann die Ehre gebieten, an einem Vertrage gleich dem
+Caudinischen, zu dem ein ungluecklicher Feldherr moralisch genoetigt worden
+ist, geduldig festzuhalten, wenn die frische Schande brennt und die Kraft
+ungebrochen dasteht?
+</p>
+
+<p>
+So brachte der Friedensvertrag von Caudium nicht die Ruhe, die die
+Friedensenthusiasten in Samnium toerichterweise davon erhofft hatten, sondern
+nur Krieg und wieder Krieg, mit gesteigerter Erbitterung auf beiden Seiten
+durch die verscherzte Gelegenheit, das gebrochene feierliche Wort, die
+geschaendete Waffenehre, die preisgegebenen Kameraden. Die ausgelieferten
+roemischen Offiziere wurden von den Samniten nicht angenommen, teils weil sie
+zu gross dachten, um an diesen Ungluecklichen ihre Rache zu ueben, teils weil
+sie damit den Roemern wuerden zugestanden haben, dass das Buendnis nur die
+Schwoerenden verpflichtet habe, nicht den roemischen Staat. Hochherzig
+verschonten sie sogar die Geiseln, deren Leben nach Kriegsrecht verwirkt war,
+und wandten sich vielmehr sogleich zum Waffenkampf. Luceria ward von ihnen
+besetzt, Fregellae ueberfallen und erstuermt (434 320), bevor die Roemer die
+aufgeloeste Armee wieder reorganisiert hatten; was man haette erreichen
+koennen, wenn man den Vorteil nicht haette aus den Haenden fahren lassen, zeigt
+der Uebertritt der Satricaner ^2 zu den Samniten. Aber Rom war nur
+augenblicklich gelaehmt, nicht geschwaecht; voll Scham und Erbitterung bot man
+dort auf, was man an Mannschaft und Mitteln vermochte und stellte den
+erprobtesten, als Soldat wie als Feldherr gleich ausgezeichneten Fuehrer Lucius
+Papirius Cursor an die Spitze des neugebildeten Heeres. Dasselbe teilte sich;
+die eine Haelfte zog durch die Sabina und das adriatische Litoral vor Luceria,
+die andere ebendahin durch Samnium selbst, indem die letztere das samnitische
+Heer unter gluecklichen Gefechten vor sich her trieb. Man traf wieder zusammen
+unter den Mauern von Luceria, dessen Belagerung um so eifriger betrieben ward,
+als dort die roemischen Reiter gefangen sassen; die Apuler, namentlich die
+Arpaner, leisteten dabei den Roemern wichtigen Beistand, vorzueglich durch
+Beschaffung der Zufuhr. Nachdem die Samniten zum Entsatz der Stadt eine
+Schlacht geliefert und verloren hatten, ergab sich Luceria den Roemern (435
+319): Papirius genoss die doppelte Freude, die verlorengegebenen Kameraden zu
+befreien und der samnitischen Besatzung von Luceria die Galgen von Caudium zu
+vergelten. In den folgenden Jahren (435-437 319-317) ward der Krieg nicht so
+sehr in Samnium gefuehrt ^3 als in den benachbarten Landschaften. Zuerst
+zuechtigten die Roemer die samnitischen Verbuendeten in dem apulischen und
+frentanischen Gebiet und schlossen mit den apulischen Teanensern und den
+Canusinern neue Bundesvertraege ab. Gleichzeitig ward Satricum zur
+Botmaessigkeit zurueckgebracht und schwer fuer seinen Abfall bestraft. Alsdann
+zog der Krieg sich nach Kampanien, wo die Roemer die Grenzstadt gegen Samnium
+Saticula (vielleicht S. Agata de&rsquo; Goti) eroberten (438 316). Jetzt aber
+schien hier das Kriegsglueck sich wieder gegen sie wenden zu wollen. Die
+Samniten zogen die Nuceriner (438 316) und bald darauf die Nolaner auf ihre
+Seite; am oberen Liris vertrieben die Soraner selbst die roemische Besatzung
+(439 315); eine Erhebung der Ausonen bereitete sich vor und bedrohte das
+wichtige Cales; selbst in Capua regten sich lebhaft die antiroemisch Gesinnten.
+Ein samnitisches Heer rueckte in Kampanien ein und lagerte vor der Stadt, in
+der Hoffnung, durch seine Naehe der Nationalpartei das Uebergewicht zu geben
+(440 314). Allein Sora ward von den Roemern sofort angegriffen und, nachdem die
+samnitische Entsatzarmee geschlagen war (440 314), wieder genommen. Die
+Bewegungen unter den Ausonen wurden mit grausamer Strenge unterdrueckt, ehe der
+Aufstand recht zum Ausbruch kam, und gleichzeitig ein eigener Diktator ernannt,
+um die politischen Prozesse gegen die Fuehrer der samnitischen Partei in Capua
+einzuleiten und abzuurteilen, so dass die namhaftesten derselben, um dem
+roemischen Henker zu entgehen, freiwillig den Tod nahmen (440 314). Das
+samnitische Heer vor Capua ward geschlagen und zum Abzug aus Kampanien
+gezwungen; die Roemer, dem Feinde auf den Fersen folgend, ueberschritten den
+Matese und lagerten im Winter 440 (314) vor der Hauptstadt Samniums Bovianum.
+Nola war von den Verbuendeten preisgegeben; die Roemer waren einsichtig genug,
+durch den guenstigsten, dem neapolitanischen aehnlichen Bundesvertrag die Stadt
+fuer immer von der samnitischen Partei zu trennen (441 313). Fregellae, das
+seit der caudinischen Katastrophe in den Haenden der antiroemischen Partei und
+deren Hauptburg in der Landschaft am Liris gewesen war, fiel endlich auch, im
+achten Jahre nach der Einnahme durch die Samniten (441 313); zweihundert der
+Buerger, die vornehmsten der nationalen Partei, wurden nach Rom gefuehrt und
+dort zum warnenden Beispiel fuer die ueberall sich regenden Patrioten auf
+offenem Markte enthauptet.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^2 Es sind dies nicht die Einwohner von Satricum bei Antium, sondern die einer
+anderen volskischen, damals als roemische Buergergemeinde ohne Stimmrecht
+konstituierten Stadt bei Arpinum.
+</p>
+
+<p>
+^3 Dass zwischen den Roemern und Samniten 436, 437 (318, 317) ein foermlicher
+zweijaehriger Waffenstillstand bestanden habe, ist mehr als unwahrscheinlich.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Hiermit waren Apulien und Kampanien in den Haenden der Roemer. Zur endlichen
+Sicherstellung und bleibenden Beherrschung des eroberten Gebietes wurden in den
+Jahren 440 bis 442 (314 bis 312) in demselben eine Anzahl neuer Festungen
+gegruendet: Luceria in Apulien, wohin seiner isolierten und ausgesetzten Lage
+wegen eine halbe Legion als bleibende Besatzung gesandt ward, ferner Pontiae
+(die Ponzainseln) zur Sicherung der kampanischen Gewaesser, Saticula an der
+kampanisch-samnitischen Grenze als Vormauer gegen Samnium, endlich Interamna
+(bei Monte Cassino) und Suessa Aurunca (Sessa) auf der Strasse von Rom nach
+Capua. Besatzungen kamen ausserdem nach Caiatia (Cajazzo), Sora und anderen
+militaerisch wichtigen Plaetzen. Die grosse Militaerstrasse von Rom nach Capua,
+die der Zensor Appius Claudius 442 (312) chaussieren und den dazu
+erforderlichen Damm durch die Pontinischen Suempfe ziehen liess, vollendete die
+Sicherung Kampaniens. Immer vollstaendiger entwickelten sich die Absichten der
+Roemer; es galt die Unterwerfung Italiens, das durch das roemische Festungs-
+und Strassennetz von Jahr zu Jahr enger umstrickt ward. Von beiden Seiten schon
+waren die Samniten von den Roemern umsponnen; schon schnitt die Linie von Rom
+nach Luceria Nord- und Sueditalien voneinander ab, wie einst die Festungen
+Norba und Signia die Volsker und Aequer getrennt hatten; und wie damals auf die
+Herniker, stuetzte Rom sich jetzt auf die Arpaner. Die Italiker mussten
+erkennen, dass es um ihrer aller Freiheit geschehen war, wenn Samnium unterlag,
+und dass es die allerhoechste Zeit war, dem tapferen Bergvolk, das nun schon
+fuenfzehn Jahre allein den ungleichen Kampf gegen die Roemer kaempfte, endlich
+mit gesamter Kraft zu Hilfe zu kommen.
+</p>
+
+<p>
+Die naechsten Bundesgenossen der Samniten waeren die Tarentiner gewesen; allein
+es gehoert zu dem ueber Samnium und ueber Italien ueberhaupt waltenden
+Verhaengnis, dass in diesem zukunftbestimmenden Augenblick die Entscheidung in
+den Haenden dieser italischen Athener lag. Seit die urspruenglich nach alter
+dorischer Art streng aristokratische Verfassung Tarents in die vollstaendigste
+Demokratie uebergegangen war, hatte in dieser hauptsaechlich von Schiffern,
+Fischern und Fabrikanten bewohnten Stadt ein unglaublich reges Leben sich
+entwickelt; Sinn und Tun der mehr reichen als vornehmen Bevoelkerung wehrte
+allen Ernst des Lebens in dem witzig und geistreich quirlenden Tagestreiben von
+sich ab und schwankte zwischen dem grossartigsten Wagemut und der genialsten
+Erhebung und zwischen schandbarem Leichtsinn und kindischer Schwindelei. Es
+wird auch in diesem Zusammenhang, wo ueber das Sein oder Nichtsein hochbegabter
+und altberuehmter Nationen die ernsten Lose fallen, nicht unstatthaft sein,
+daran zu erinnern, dass Platon, der etwa sechzig Jahre vor dieser Zeit (389)
+nach Tarent kam, seinem eigenen Zeugnis zufolge am Dionysienfest die ganze
+Stadt berauscht sah, und dass das parodische Possenspiel, die sogenannte
+&ldquo;lustige Tragoedie&rdquo; eben um die Zeit des grossen samnitischen
+Krieges in Tarent geschaffen ward. Zu dieser Lotterwirtschaft und Lotterpoesie
+der Tarentiner Eleganten und Literaten liefert die Ergaenzung die unstete,
+uebermuetige und kurzsichtige Politik der Tarentiner Demagogen, welche
+regelmaessig da sich beteiligten, wo sie nichts zu schaffen hatten, und da
+ausblieben, wo ihr naechstes Interesse sie hinrief. Sie hatten, als nach der
+caudinischen Katastrophe Roemer und Samniten sich in Apulien gegenueberstanden,
+Gesandte dorthin geschickt, die beiden Parteien geboten, die Waffen
+niederzulegen (434 320). Diese diplomatische Intervention in dem italischen
+Entscheidungskampf konnte verstaendigerweise nichts sein als die Ankuendigung,
+dass Tarent aus seiner bisherigen Passivitaet jetzt endlich herauszutreten
+entschlossen sei. Grund genug hatte es wahrlich dazu, wie schwierig und
+gefaehrlich es auch fuer Tarent selbst war, in diesen Krieg verwickelt zu
+werden: denn die demokratische Machtentwicklung des Staates hatte sich
+lediglich auf die Flotte geworfen, und waehrend diese, gestuetzt auf die starke
+Handelsmarine Tarents, unter den grossgriechischen Seemaechten den ersten Rang
+einnahm, bestand die Landmacht, auf die es jetzt ankam, wesentlich aus
+gemieteten Soeldnern und war in tiefem Verfall. Unter diesen Umstaenden war es
+fuer die tarentinische Republik keine leichte Aufgabe, an dem Kampf zwischen
+Rom und Samnium sich zu beteiligen, auch abgesehen von der wenigstens
+beschwerlichen Fehde, in welche die roemische Politik die Tarentiner mit den
+Lucanern zu verwickeln gewusst hatte. Indes bei kraeftigem Willen waren diese
+Schwierigkeiten wohl zu ueberwinden; und beide streitende Teile fassten die
+Aufforderung der tarentinischen Gesandten, mit dem Kampf einzuhalten, in diesem
+Sinne auf. Die Samniten als die Schwaecheren zeigten sich bereit, derselben
+nachzukommen; die Roemer antworteten durch die Aufsteckung des Zeichens zur
+Schlacht. Vernunft und Ehre geboten den Tarentinern, dem herrischen Gebot ihrer
+Gesandten jetzt die Kriegserklaerung gegen Rom auf dem Fusse folgen zu lassen;
+allein in Tarent war eben weder diese noch jene am Regimente und man hatte dort
+bloss mit sehr ernsthaften Dingen sehr kindisch gespielt. Die Kriegserklaerung
+gegen Rom erfolgte nicht; statt dessen unterstuetzte man lieber gegen
+Agathokles von Syrakus, der frueher in tarentinischen Diensten gestanden hatte
+und in Ungnade entlassen worden war, die oligarchische Staedtepartei in
+Sizilien und sandte, dem Beispiel Spartas folgend, eine Flotte nach der Insel,
+die in der kampanischen See bessere Dienste getan haben wuerde (440 314).
+</p>
+
+<p>
+Energischer handelten die nord- und mittelitalischen Voelker, die namentlich
+durch die Anlegung der Festung Luceria aufgeruettelt worden zu sein scheinen.
+Zuerst (443 311) schlugen die Etrusker los, deren Waffenstillstandsvertrag von
+403 (351) schon einige Jahre frueher zu Ende gegangen war. Die roemische
+Grenzfestung Sutrium hatte eine zweijaehrige Belagerung auszuhalten, und in den
+heftigen Gefechten, die unter ihren Mauern geliefert wurden, zogen die Roemer
+in der Regel den kuerzeren, bis der Konsul des Jahres 444 (310), Quintus Fabius
+Rullianus, ein in den Samnitenkriegen erprobter Fuehrer, nicht bloss im
+roemischen Etrurien das Uebergewicht der roemischen Waffen wiederherstellte,
+sondern auch kuehn eindrang in das eigentliche, durch die Verschiedenheit der
+Sprache und die geringen Kommunikationen den Roemern bis dahin fast unbekannt
+gebliebene etruskische Land. Der Zug ueber den noch von keinem roemischen Heer
+ueberschrittenen Ciminischen Wald und die Pluenderung des reichen, lange von
+Kriegsnot verschont gebliebenen Gebiets brachte ganz Etrurien in Waffen; die
+roemische Regierung, welche die tollkuehne Expedition ernstlich missbilligte
+und die Ueberschreitung der Grenze dem verwegenen Fuehrer zu spaet untersagt
+hatte, raffte, um dem erwarteten Ansturm der gesamten etruskischen Macht zu
+begegnen, in schleunigster Eile neue Legionen zusammen. Allein ein
+rechtzeitiger und entscheidender Sieg des Rullianus, die lange im Andenken des
+Volkes fortlebende Schlacht am Vadimonischen See, machte aus dem unvorsichtigen
+Beginnen eine gefeierte Heldentat und brach den Widerstand der Etrusker.
+Ungleich den Samniten, die nun schon seit achtzehn Jahren den ungleichen Kampf
+fochten, bequemten sich schon nach der ersten Niederlage drei der maechtigsten
+etruskischen Staedte, Perusia, Cortona und Arretium, zu einem Sonderfrieden auf
+dreihundert (444 310) und, nachdem im folgenden Jahre die Roemer noch einmal
+bei Perusia die uebrigen Etrusker besiegt hatten, auch die Tarquinienser zu
+einem Frieden auf vierhundert Monate (446 308); worauf auch die uebrigen
+Staedte vom Kampfe abstanden und in Etrurien vorlaeufig Waffenruhe eintrat.
+</p>
+
+<p>
+Waehrend dieser Ereignisse hatte auch in Samnium der Krieg nicht geruht. Der
+Feldzug von 443 (311) beschraenkte sich gleich den bisherigen auf die
+Belagerung und Erstuermung einzelner samnitischer Plaetze; aber im naechsten
+Jahre nahm der Krieg eine lebhaftere Wendung. Rullianus&rsquo; gefaehrliche
+Lage in Etrurien und die ueber die Vernichtung der roemischen Nordarmee
+verbreiteten Geruechte ermutigten die Samniten zu neuen Anstrengungen; der
+roemische Konsul Gaius Marcius Rutilus wurde von ihnen besiegt und selber
+schwer verwundet. Aber der Umschwung der Dinge in Etrurien zerstoerte die neu
+aufleuchtenden Hoffnungen. Wieder trat Lucius Papirius Cursor an die Spitze der
+gegen die Samniten gesandten roemischen Truppen, und wieder blieb er Sieger in
+einer grossen und entscheidenden Schlacht (445 309), zu der die Eidgenossen
+ihre letzten Kraefte angestrengt hatten; der Kern ihrer Armee, die Buntroecke
+mit den Gold-, die Weissroecke mit den Silberschilden wurden hier aufgerieben
+und die glaenzenden Ruestungen derselben schmueckten seitdem bei festlichen
+Gelegenheiten die Budenreihen laengs des roemischen Marktes. Immer hoeher stieg
+die Not, immer hoffnungsloser ward der Kampf. Im folgenden Jahre (446 308)
+legten die Etrusker die Waffen nieder; in ebendemselben ergab die letzte Stadt
+Kampaniens, die noch zu den Samniten hielt, Nuceria, zu Wasser und zu Lande
+gleichzeitig angegriffen, unter guenstigen Bedingungen sich den Roemern. Zwar
+fanden die Samniten neue Bundesgenossen an den Umbrern im noerdlichen, an den
+Marsern und Paelignern im mittleren Italien, ja selbst von den Hernikern traten
+zahlreiche Freiwillige in ihre Reihen; allein was mit entscheidendem Gewicht
+gegen Rom in die Waagschale haette fallen koennen, wenn die Etrusker noch unter
+Waffen gestanden haetten, vermehrte jetzt bloss die Erfolge des roemischen
+Sieges, ohne denselben ernstlich zu erschweren. Den Umbrern, die Miene machten,
+einen Zug nach Rom zu unternehmen, verlegte Rullianus am oberen Tiber mit der
+Armee von Samnium den Weg, ohne dass die geschwaechten Samniten es haetten
+hindern koennen, und dies genuegte, um den umbrischen Landsturm zu zerstreuen.
+Der Krieg zog sich alsdann wieder nach Mittelitalien. Die Paeligner wurden
+besiegt, ebenso die Marser; wenngleich die uebrigen sabellischen Staemme noch
+dem Namen nach Feinde der Roemer blieben, stand doch allmaehlich Samnium von
+dieser Seite tatsaechlich allein. Aber unerwartet kam ihnen Beistand aus dem
+Tibergebiet. Die Eidgenossenschaft der Herniker, wegen ihrer unter den
+samnitischen Gefangenen vorgefundenen Landsleute von den Roemern zur Rede
+gestellt, erklaerte diesen jetzt den Krieg (448 306) - mehr wohl aus
+Verzweiflung, als aus Berechnung. Es schlossen auch einige der bedeutendsten
+hernikischen Gemeinden von vornherein sich von der Kriegfuehrung aus; aber
+Anagnia, weitaus die ansehnlichste Hernikerstadt, setzte die Kriegserklaerung
+durch. Militaerisch ward allerdings die augenblickliche Lage der Roemer durch
+diesen unerwarteten Aufstand im Ruecken der mit der Belagerung der Burgen von
+Samnium beschaeftigten Armee in hohem Grade bedenklich. Noch einmal war den
+Samniten das Kriegsglueck guenstig; Sora und Caiatia fielen ihnen in die
+Haende. Allein die Anagniner unterlagen unerwartet schnell den von Rom
+ausgesandten Truppen, und rechtzeitig machten diese auch dem in Samnium
+stehenden Heere Luft; es war eben alles verloren. Die Samniten baten um
+Frieden, indes vergeblich; noch konnte man sich nicht einigen. Erst der Feldzug
+von 449 (305) brachte die letzte Entscheidung. Die beiden roemischen
+Konsularheere drangen, Tiberius Minucius und nach dessen Fall Marcus Fulvius
+von Kampanien aus durch die Bergpaesse, Lucius Postumius vom Adriatischen Meere
+her am Biferno hinauf, in Samnium ein, um hier vor der Hauptstadt des Landes,
+Bovianum, sich die Hand zu reichen; ein entscheidender Sieg ward erfochten, der
+samnitische Feldherr Statius Gellius gefangengenommen und Bovianum erstuermt.
+Der Fall des Hauptwaffenplatzes der Landschaft machte dem
+zweiundzwanzigjaehrigen Krieg ein Ende. Die Samniten zogen aus Sora und Arpinum
+ihre Besatzungen heraus und schickten Gesandte nach Rom, den Frieden zu
+erbitten; ihrem Beispiel folgten die sabellischen Staemme, die Marser,
+Marruciner, Paeligner, Frentaner, Vestiner, Picenter. Die Bedingungen, die Rom
+gewaehrte, waren leidlich; Gebietsabtretungen wurden zwar einzeln gefordert,
+zum Beispiel von den Paelignern, allein sehr bedeutend scheinen sie nicht
+gewesen zu sein. Das gleiche Buendnis zwischen den sabellischen Staaten und den
+Roemern wurde erneuert (450 304).
+</p>
+
+<p>
+Vermutlich um dieselbe Zeit und wohl infolge des samnitischen Friedens ward
+auch Friede gemacht zwischen Rom und Tarent. Unmittelbar zwar hatten beide
+Staedte nicht gegeneinander im Felde gestanden; die Tarentiner hatten dem
+langen Kampfe zwischen Rom und Samnium von Anfang bis zu Ende untaetig
+zugesehen und nur im Bunde mit den Sallentinern gegen die Bundesgenossen Roms,
+die Lucaner, die Fehde fortgesetzt. Zwar hatten sie in den letzten Jahren des
+Samnitischen Krieges noch einmal Miene gemacht nachdruecklicher aufzutreten.
+Teils die bedraengte Lage, in welche die unaufhoerlichen lucanischen Angriffe
+sie selbst brachten, teils wohl auch das immer naeher sich ihnen aufdraengende
+Gefuehl, dass Samniums voellige Unterdrueckung auch ihre eigene Unabhaengigkeit
+bedrohe, hatten sie bestimmt, trotz der mit Alexander gemachten unerfreulichen
+Erfahrungen abermals einem Condottiere sich anzuvertrauen. Es kam auf ihren Ruf
+der spartanische Prinz Kleonymos mit fuenftausend Soeldnern, womit er eine
+ebenso starke, in Italien angeworbene Schar sowie die Zuzuege der Messapier,
+der kleineren Griechenstaedte und vor allem das tarentinische Buergerheer, 22
+000 Mann stark, vereinigte. An der Spitze dieser ansehnlichen Armee noetigte er
+die Lucaner, mit Tarent Frieden zu machen und eine samnitisch gesinnte
+Regierung einzusetzen, wogegen freilich Metapont ihnen aufgeopfert ward. Noch
+standen die Samniten unter Waffen, als dies geschah; nichts hinderte den
+Spartaner, ihnen zu Hilfe zu kommen und das Gewicht seines starken Heeres und
+seiner Kriegskunst fuer die Freiheit der italischen Staedte und Voelker in die
+Waagschale zu werfen. Allein Tarent handelte nicht, wie Rom im gleichen Falle
+gehandelt haben wuerde; und Prinz Kleonymos selbst war auch nichts weniger als
+ein Alexander oder ein Pyrrhos. Er beeilte sich nicht, einen Krieg zu beginnen,
+bei dem mehr Schlaege zu erwarten standen als Beute, sondern machte lieber mit
+den Lucanern gemeinschaftliche Sache gegen Metapont und liess es in dieser
+Stadt sich wohl sein, waehrend er redete von einem Zug gegen Agathokles von
+Syrakus und von der Befreiung der sizilischen Griechen. Darueber machten denn
+die Samniten Frieden; und als nach dessen Abschluss Rom anfing, sich um den
+Suedosten der Halbinsel ernstlicher zu bekuemmern und zum Beispiel im Jahre 447
+(307) ein roemischer Heerhaufen das Gebiet der Sallentiner brandschatzte oder
+vielmehr wohl in hoeherem Auftrag rekognoszierte, ging der spartanische
+Condottiere mit seinen Soeldnern zu Schiff und ueberrumpelte die Insel Kerkyra,
+die vortrefflich gelegen war, um von dort aus gegen Griechenland und Italien
+Piratenzuege zu unternehmen. So von ihrem Feldherrn im Stich gelassen und
+zugleich ihrer Bundesgenossen im mittleren Italien beraubt, blieb den
+Tarentinern sowie den mit ihnen verbuendeten Italikern, den Lucanern und
+Sallentinern, jetzt freilich nichts uebrig, als mit Rom ein Abkommen
+nachzusuchen, das auf leidliche Bedingungen gewaehrt worden zu sein scheint.
+Bald nachher (451 303) ward sogar ein Einfall des Kleonymos, der im
+sallentinischen Gebiet gelandet war und Uria belagerte, von den Einwohnern mit
+roemischer Hilfe abgeschlagen.
+</p>
+
+<p>
+Roms Sieg war vollstaendig; und vollstaendig ward er benutzt. Dass den
+Samniten, den Tarentinern und den ferner wohnenden Voelkerschaften ueberhaupt
+so maessige Bedingungen gestellt wurden, war nicht Siegergrossmut, die die
+Roemer nicht kannten, sondern kluge und klare Berechnung. Zunaechst und vor
+allem kam es darauf an, nicht so sehr das suedliche Italien so rasch wie
+moeglich zur formellen Anerkennung der roemischen Suprematie zu zwingen als die
+Unterwerfung Mittelitaliens, zu welcher durch die in Kampanien und Apulien
+schon waehrend des letzten Krieges angelegten Militaerstrassen und Festungen
+der Grund gelegt war, zu ergaenzen und zu vollenden und die noerdlichen und
+suedlichen Italiker dadurch in zwei militaerisch von jeder unmittelbaren
+Beruehrung miteinander abgeschnittene Massen auseinanderzusprengen. Darauf
+zielten denn auch die naechsten Unternehmungen der Roemer mit energischer
+Konsequenz. Vor allen Dingen benutzte oder machte man die Gelegenheit, mit den
+in der Tiberlandschaft einstmals mit der roemischen Einzelmacht rivalisierenden
+und noch nicht voellig beseitigten Eidgenossenschaften der Aequer und der
+Herniker aufzuraeumen. In demselben Jahre, in welchem der Friede mit Samnium
+zustande kam (450 304), ueberzog der Konsul Publius Sempronius Sophus die
+Aequer mit Krieg; vierzig Ortschaften unterwarfen sich in fuenfzig Tagen; das
+gesamte Gebiet mit Ausnahme des engen und rauhen Bergtals, das noch heute den
+alten Volksnamen traegt (Cicolano), wurde roemischer Besitz und hier am
+Nordrand des Fuciner Sees im Jahre darauf die Festung Alba mit einer Besatzung
+von 6000 Mann gegruendet, fortan die Vormauer gegen die streitbaren Marser und
+die Zwingburg Mittelitaliens; ebenso zwei Jahre darauf am oberen Turano, naeher
+an Rom, Carsioli, beide als Bundesgemeinden latinischen Rechts.
+</p>
+
+<p>
+Dass von den Hernikern wenigstens Anagnia sich an dem letzten Stadium des
+Samnitischen Krieges beteiligt hatte, gab den erwuenschten Grund, das alte
+Bundesverhaeltnis zu loesen. Das Schicksal der Anagniner war natuerlicherweise
+bei weitem haerter als dasjenige, welches ein Menschenalter zuvor den
+latinischen Gemeinden im gleichen Fall bereitet worden war. Sie mussten nicht
+bloss wie diese das roemische Passivbuergerrecht sich gefallen lassen, sondern
+verloren auch gleich den Caeriten die eigene Verwaltung; auf einem Teile ihres
+Gebiets am oberen Trerus (Sacco) wurde ueberdies ein neuer Buergerbezirk sowie
+gleichzeitig ein anderer am unteren Anio eingerichtet (455 299). Man bedauerte
+nur, dass die drei naechst Anagnia bedeutendsten hernikischen Gemeinden
+Aletrium, Verulae und Ferentinum nicht auch abgefallen waren; denn da sie die
+Zumutung, freiwillig in den roemischen Buergerverband einzutreten, hoeflich
+ablehnten und jeder Vorwand, sie dazu zu noetigen, mangelte, musste man ihnen
+wohl nicht bloss die Autonomie, sondern selbst das Recht der Tagsatzung und der
+Ehegemeinschaft auch ferner zugestehen und damit noch einen Schatten der alten
+hernikischen Eidgenossenschaft uebrig lassen.
+</p>
+
+<p>
+In dem Teil der volskischen Landschaft, welchen bis dahin die Samniten im
+Besitz gehabt, banden aehnliche Ruecksichten nicht. Hier wurden Arpinum und
+Frusino untertaenig und die letztere Stadt eines Drittels ihrer Feldmark
+beraubt, ferner am oberen Liris neben Fregellae die schon frueher mit Besatzung
+belegte Volskerstadt Sora jetzt auf die Dauer in eine latinische Festung
+verwandelt und eine Legion von 4000 Mann dahin gelegt. So war das alte
+Volskergebiet vollstaendig unterworfen und ging seiner Romanisierung mit
+raschen Schritten entgegen. In die Landschaft, welche Samnium und Etrurien
+scheidet, wurden zwei Militaerstrassen hineingefuehrt und beide durch Festungen
+gesichert. Die noerdliche, aus der spaeter die Flaminische wurde, deckte die
+Tiberlinie; sie fuehrte durch das mit Rom verbuendete Ocriculum nach Narnia,
+wie die Roemer die alte umbrische Feste Nequinum umnannten, als sie dort eine
+Militaerkolonie anlegten (455 299). Die suedliche, die spaetere Valerische,
+lief an den Fuciner See ueber die eben erwaehnten Festungen Carsioli und Alba.
+Die kleinen Voelkerschaften, in deren Gebiet diese Anlagen stattfanden, die
+Umbrer, die Nequinum hartnaeckig verteidigten, die Aequer, die noch einmal
+Alba, die Marser, die Carsioli ueberfielen, konnten Rom in seinem Gang nicht
+aufhalten; fast ungehindert schoben jene beiden maechtigen Riegel sich zwischen
+Samnium und Etrurien. Der grossen Strassen- und Festungsanlagen zur bleibenden
+Sicherung Apuliens und vor allem Kampaniens wurde schon gedacht; durch sie ward
+Samnium weiter nach Osten und Westen von dem roemischen Festungsnetz umstrickt.
+Bezeichnend fuer die verhaeltnismaessige Schwaeche Etruriens ist es, dass man
+es nicht notwendig fand, die Paesse durch den Ciminischen Wald in gleicher
+Weise durch eine Chaussee und angemessene Festungen zu sichern. Die bisherige
+Grenzfestung Sutrium blieb hier auch ferner der Endpunkt der roemischen
+Militaerlinie und man begnuegte sich damit, die Strasse von dort nach Arretium
+durch die beikommenden Gemeinden in militaerisch brauchbarem Stande halten zu
+lassen ^4.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^4 Die Operationen in dem Feldzug 537 (217) und bestimmter noch die Anlage der
+Chaussee von Arretium nach Bononia 567 (187) zeigen, dass schon vor dieser Zeit
+die Strasse von Rom nach Arretium instand gesetzt worden ist. Allein eine
+roemische Militaerchaussee kann sie in dieser Zeit dennoch nicht gewesen sein,
+da sie, nach ihrer spaeteren Benennung der &ldquo;Cassischen Strasse&rdquo; zu
+schliessen, als via consularis nicht frueher angelegt sein kann als 583 (171);
+denn zwischen Spurius Cassius, Konsul 252, 261, 268 (502, 493, 486), an den
+natuerlich nicht gedacht werden darf, und Gaius Cassius Longinus, Konsul 583
+(171), erscheint kein Cassier in den roemischen Konsuln- und Zensorenlisten.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die hochherzige samnitische Nation begriff es, dass ein solcher Friede
+verderblicher war als der verderblichste Krieg, und, was mehr ist, sie handelte
+danach. Eben fingen in Norditalien die Kelten nach langer Waffenruhe wieder an
+sich zu regen; noch standen ferner daselbst einzelne etruskische Gemeinden
+gegen die Roemer unter den Waffen und es wechselten hier kurze
+Waffenstillstaende mit heftigen, aber erfolglosen Gefechten. Noch war ganz
+Mittelitalien in Gaerung und zum Teil in offenem Aufstand; noch waren die
+Festungen in der Anlage begriffen, der Weg zwischen Etrurien und Samnium noch
+nicht voellig gesperrt. Vielleicht war es noch nicht zu spaet, die Freiheit zu
+retten; aber man durfte nicht saeumen: die Schwierigkeit des Angriffs stieg,
+die Macht der Angreifer sank mit jedem Jahre des verlaengerten Friedens. Kaum
+fuenf Jahre hatten die Waffen geruht und noch mussten all die Wunden bluten,
+welche der zweiundzwanzigjaehrige Krieg den Bauernschaften Samniums geschlagen
+hatte, als im Jahre 456 (298) die samnitische Eidgenossenschaft den Kampf
+erneuerte. Den letzten Krieg hatte wesentlich Lucaniens Verbindung mit Rom und
+die dadurch mitveranlasste Fernhaltung Tarents zu Gunsten Roms entschieden;
+dadurch belehrt, warfen die Samniten jetzt sich zuvoerderst mit aller Macht auf
+die Lucaner und brachten hier in der Tat ihre Partei ans Ruder und ein Buendnis
+zwischen Samnium und Lucanien zum Abschluss. Natuerlich erklaerten die Roemer
+sofort den Krieg; in Samnium hatte man es nicht anders erwartet. Es bezeichnet
+die Stimmung, dass die samnitische Regierung den roemischen Gesandten die
+Anzeige machte, sie sei nicht imstande, fuer ihre Unverletzlichkeit zu buergen,
+wenn sie samnitisches Gebiet betraeten.
+</p>
+
+<p>
+Der Krieg begann also von neuem (456 298), und waehrend ein zweites Heer in
+Etrurien focht, durchzog die roemische Hauptarmee Samnium und zwang die Lucaner
+Frieden zu machen und Geiseln nach Rom zu senden. Das folgende Jahr konnten
+beide Konsuln nach Samnium sich wenden; Rullianus siegte bei Tifernum, sein
+treuer Waffengefaehrte Publius Decius Mus bei Maleventum, und fuenf Monate
+hindurch lagerten zwei roemische Heere in Feindesland. Es war das moeglich,
+weil die tuskischen Staaten auf eigene Hand mit Rom Friedensverhandlungen
+angeknuepft hatten. Die Samniten, welche von Haus aus in der Vereinigung ganz
+Italiens gegen Rom die einzige Moeglichkeit des Sieges gesehen haben muessen,
+boten das Aeusserste auf, um den drohenden Sonderfrieden zwischen Etrurien und
+Rom abzuwenden; und als endlich ihr Feldherr Gellius Egnatius den Etruskern in
+ihrem eigenen Lande Hilfe zu bringen anbot, verstand sich in der Tat der
+etruskische Bundesrat dazu, auszuharren und noch einmal die Entscheidung der
+Waffen anzurufen. Samnium machte die gewaltigsten Anstrengungen, um drei Heere
+zugleich ins Feld zu stellen, das eine bestimmt zur Verteidigung des eigenen
+Gebiets, das zweite zum Einfall in Kampanien, das dritte und staerkste nach
+Etrurien; und wirklich gelangte im Jahre 458 (296) das letzte, gefuehrt von
+Egnatius selbst, durch das marsische und das umbrische Gebiet, deren Bewohner
+im Einverstaendnis waren, ungefaehrdet nach Etrurien. Die Roemer nahmen
+waehrend dessen einige feste Plaetze in Samnium und brachen den Einfluss der
+samnitischen Partei in Lucanien; den Abmarsch der von Egnatius gefuehrten Armee
+wussten sie nicht zu verhindern. Als man in Rom die Kunde empfing, dass es den
+Samniten gelungen sei, all die ungeheuren, zur Trennung der suedlichen Italiker
+von den noerdlichen gemachten Anstrengungen zu vereiteln, dass das Eintreffen
+der samnitischen Scharen in Etrurien das Signal zu einer fast allgemeinen
+Schilderhebung gegen Rom geworden sei, dass die etruskischen Gemeinden aufs
+eifrigste arbeiteten, ihre eigenen Mannschaften kriegsfertig zu machen und
+gallische Scharen in Sold zu nehmen, da ward auch in Rom jeder Nerv angespannt,
+Freigelassene und Verheiratete in Kohorten formiert - man fuehlte hueben und
+drueben, dass die Entscheidung bevorstand. Das Jahr 458 (296) jedoch verging,
+wie es scheint, mit Ruestungen und Maerschen. Fuer das folgende (459 295)
+stellten die Roemer ihre beiden besten Generale, Publius Decius Mus und den
+hochbejahrten Quintus Fabius Rullianus, an die Spitze der Armee in Etrurien,
+welche mit allen in Kampanien irgend entbehrlichen Truppen verstaerkt ward und
+wenigstens 60000 Mann, darunter ueber ein Drittel roemische Vollbuerger,
+zaehlte; ausserdem ward eine zwiefache Reserve gebildet, die erste bei Falerii,
+die zweite unter den Mauern der Hauptstadt. Der Sammelplatz der Italiker war
+Umbrien, wo die Strassen aus dem gallischen, etruskischen und sabellischen
+Gebiet zusammenliefen; nach Umbrien liessen auch die Konsuln teils am linken,
+teils am rechten Ufer des Tiber hinauf ihre Hauptmacht abruecken, waehrend
+zugleich die erste Reserve eine Bewegung gegen Etrurien machte, um womoeglich
+die etruskischen Truppen von dem Platz der Entscheidung zur Verteidigung der
+Heimat abzurufen. Das erste Gefecht lief nicht gluecklich fuer die Roemer ab;
+ihre Vorhut ward von den vereinigten Galliern und Samniten in dem Gebiet von
+Chiusi geschlagen. Aber jene Diversion erreichte ihren Zweck; minder hochherzig
+als die Samniten, die durch die Truemmer ihrer Staedte hindurchgezogen waren,
+um auf der rechten Walstatt nicht zu fehlen, entfernte sich auf die Nachricht
+von dem Einfall der roemischen Reserve in Etrurien ein grosser Teil der
+etruskischen Kontingente von der Bundesarmee, und die Reihen derselben waren
+sehr gelichtet, als es am oestlichen Abhang des Apennin bei Sentinum zur
+entscheidenden Schlacht kam. Dennoch war es ein heisser Tag. Auf dem rechten
+Fluegel der Roemer, wo Rullianus mit seinen beiden Legionen gegen das
+samnitische Heer stritt, stand die Schlacht lange ohne Entscheidung. Auf dem
+linken, den Publius Decius befehligte, wurde die roemische Reiterei durch die
+gallischen Streitwagen in Verwirrung gebracht, und schon begannen hier auch die
+Legionen zu weichen. Da rief der Konsul den Priester Marcus Livius heran und
+hiess ihn zugleich das Haupt des roemischen Feldherrn und das feindliche Heer
+den unterirdischen Goettern weihen; alsdann in den dichtesten Haufen der
+Gallier sich stuerzend suchte und fand er den Tod. Diese heldenmuetige
+Verzweiflung des hohen Mannes, des geliebten Feldherrn, war nicht vergeblich.
+Die fliehenden Soldaten standen wieder, die Tapfersten warfen dem Fuehrer nach
+sich in die feindlichen Reihen, um ihn zu raechen oder mit ihm zu sterben; und
+eben im rechten Augenblicke erschien, von Rullianus gesendet, der Konsular
+Lucius Scipio mit der roemischen Reserve auf dem gefaehrdeten linken Fluegel.
+Die vortreffliche kampanische Reiterei, die den Galliern in die Flanke und den
+Ruecken fiel, gab hier den Ausschlag; die Gallier flohen, und endlich wichen
+auch die Samniten, deren Feldherr Egnatius am Tore des Lagers fiel. 9000 Roemer
+bedeckten die Walstatt; aber der teuer erkaufte Sieg war solchen Opfers wert.
+Das Koalitionsheer loeste sich auf und damit die Koalition selbst; Umbrien
+blieb in roemischer Gewalt, die Gallier verliefen sich, der Ueberrest der
+Samniten, noch immer in geschlossener Ordnung, zog durch die Abruzzen ab in die
+Heimat. Kampanien, das die Samniten waehrend des etruskischen Krieges
+ueberschwemmt hatten, ward nach dessen Beendigung mit leichter Muehe wieder von
+den Roemern besetzt. Etrurien bat im folgenden Jahre 460 (294) um Frieden;
+Volsinii, Perusia, Arretium und wohl ueberhaupt alle dem Bunde gegen Rom
+beigetretenen Staedte gelobten Waffenruhe auf vierhundert Monate. Aber die
+Samniten dachten anders: sie ruesteten sich zur hoffnungslosen Gegenwehr mit
+jenem Mute freier Maenner, der das Glueck zwar nicht zwingen, aber beschaemen
+kann. Als im Jahre 460 (294) die beiden Konsularheere in Samnium einrueckten,
+stiessen sie ueberall auf den erbittertsten Widerstand; ja, Marcus Atilius
+erlitt eine Schlappe bei Luceria, und die Samniten konnten in Kampanien
+eindringen und das Gebiet der roemischen Kolonie Interamna am Liris verwuesten.
+Im Jahre darauf lieferten Lucius Papirius Cursor, der Sohn des Helden des
+ersten Samnitischen Krieges, und Spurius Carvilius bei Aquilonia eine grosse
+Feldschlacht gegen das samnitische Heer, dessen Kern, die 16 000 Weissroecke,
+mit heiligem Eide geschworen hatte, den Tod der Flucht vorzuziehen. Indes das
+unerbittliche Schicksal fragt nicht nach Schwueren und verzweifeltem Flehen;
+der Roemer siegte und stuermte die Festen, in die die Samniten sich und ihre
+Habe gefluechtet hatten. Selbst nach dieser grossen Niederlage wehrten sich die
+Eidgenossen gegen den immer uebermaechtigeren Feind noch jahrelang mit
+beispielloser Ausdauer in ihren Burgen und Bergen und erfochten noch manchen
+Vorteil im einzelnen; des alten Rullianus erprobter Arm ward noch einmal (462
+292) gegen sie aufgeboten, und Gavius Pontius, vielleicht der Sohn des Siegers
+von Caudium, erfocht sogar fuer sein Volk einen letzten Sieg, den die Roemer
+niedrig genug an ihm raechten, indem sie ihn, als er spaeter gefangen ward, im
+Kerker hinrichten liessen (463 291). Aber nichts regte sich weiter in Italien;
+denn der Krieg, den Falerii 461 (293) begann, verdient kaum diesen Namen. Wohl
+mochte man in Samnium sehnsuechtig die Blicke wenden nach Tarent, das allein
+noch imstande war, Hilfe zu gewaehren; aber sie blieb aus. Es waren dieselben
+Ursachen wie frueher, welche die Untaetigkeit Tarents herbeifuehrten: das
+innere Missregiment und der abermalige Uebertritt der Lucaner zur roemischen
+Partei im Jahre 456 (298); hinzu kam noch die nicht ungegruendete Furcht vor
+Agathokles von Syrakus, der eben damals auf dem Gipfel seiner Macht stand und
+anfing, sich gegen Italien zu wenden. Um das Jahr 455 (299) setzte dieser auf
+Kerkyra sich fest, von wo Kleonymos durch Demetrios den Belagerer vertrieben
+war und bedrohte nun vom Adriatischen wie vom Ionischen Meere her die
+Tarentiner. Die Abtretung der Insel an Koenig Pyrrhos von Epeiros im Jahre 459
+(295) beseitigte allerdings zum grossen Teil die gehegten Besorgnisse; allein
+die kerkyraeischen Angelegenheiten fuhren fort, die Tarentiner zu
+beschaeftigen, wie sie denn im Jahre 464 (290) den Koenig Pyrrhos im Besitz der
+Insel gegen Demetrios schuetzen halfen, und ebenso hoerte Agathokles nicht auf,
+durch seine italische Politik die Tarentiner zu beunruhigen. Als er starb (465
+289) und mit ihm die Macht der Syrakusaner in Italien zugrunde ging, war es zu
+spaet; Samnium, des siebenunddreissigjaehrigen Kampfes muede, hatte das Jahr
+vorher (464 290) mit dem roemischen Konsul Manius Curius Dentatus Friede
+geschlossen und der Form nach den Bund mit Rom erneuert. Auch diesmal wurden,
+wie im Frieden von 450 (304) dem tapferen Volke von den Roemern keine
+schimpflichen oder vernichtenden Bedingungen gestellt; nicht einmal
+Gebietsabtretungen scheinen stattgefunden zu haben. Die roemische
+Staatsklugheit zog es vor, auf dem bisher eingehaltenen Wege fortzuschreiten,
+und ehe man an die unmittelbare Eroberung des Binnenlandes ging, zunaechst das
+kampanische und adriatische Litoral fest und immer fester an Rom zu knuepfen.
+Kampanien zwar war laengst untertaenig; allein die weitblickende roemische
+Politik fand es noetig, zur Sicherung der kampanischen Kueste dort zwei
+Strandfestungen anzulegen, Minturnae und Sinuessa (459 295), deren neue
+Buergerschaften nach dem fuer Kuestenkolonien feststehenden Grundsatz in das
+volle roemische Buergerrecht eintraten. Energischer noch ward die Ausdehnung
+der roemischen Herrschaft in Mittelitalien gefoerdert. Wie die Unterwerfung der
+Aequer und Herniker die unmittelbare Folge des Ersten Samnitischen Krieges war,
+so schloss sich an das Ende des Zweiten diejenige der Sabiner. Derselbe
+Feldherr, der die Samniten schliesslich bezwang, Manius Curius, brach in
+demselben Jahre (464 290) den kurzen und ohnmaechtigen Widerstand derselben und
+zwang die Sabiner zur unbedingten Ergebung. Ein grosser Teil des unterworfenen
+Gebiets wurde von den Siegern unmittelbar in Besitz genommen und an roemische
+Buerger ausgeteilt, den uebrigbleibenden Gemeinden Cures, Reate, Amiternum,
+Nursia das roemische Untertanenrecht (civitas sine suffragio) aufgezwungen.
+Bundesstaedte gleichen Rechts wurden hier nicht gegruendet; die Landschaft kam
+vielmehr unter die unmittelbare Herrschaft Roms, die sich also ausdehnte bis
+zum Apennin und den umbrischen Bergen. Aber schon beschraenkte man sich nicht
+auf das Gebiet diesseits der Berge; der letzte Krieg hatte allzu deutlich
+gezeigt, dass die roemische Herrschaft ueber Mittelitalien nur gesichert war,
+wenn sie von Meer zu Meer reichte. Die Festsetzung der Roemer jenseits des
+Apennin beginnt mit der Anlegung der starken Festung Hatria (Atri) im Jahre 465
+(289), an der noerdlichen Abdachung der Abruzzen gegen die picenische Ebene,
+nicht unmittelbar an der Kueste und daher latinischen Rechts, aber dem Meere
+nah und der Schlussstein des gewaltigen, Nord- und Sueditalien trennenden
+Keils. Aehnlicher Art und von noch groesserer Bedeutung war die Gruendung von
+Venusia (463 291), wohin die unerhoerte Zahl von 20000 Kolonisten gefuehrt
+ward; die Stadt, an der Markscheide von Samnium, Apulien und Lucanien, auf der
+grossen Strasse zwischen Tarent und Samnium in einer ungemein festen Stellung
+gegruendet, war bestimmt, die Zwingburg der umwohnenden Voelkerschaften zu sein
+und vor allen Dingen zwischen den beiden maechtigsten Feinden Roms im
+suedlichen Italien die Verbindung zu unterbrechen. Ohne Zweifel ward zu
+gleicher Zeit auch die Suedstrasse, die Appius Claudius bis nach Capua gefuehrt
+hatte, von dort weiter bis nach Venusia verlaengert. So erstreckte sich, als
+die Samnitischen Kriege zu Ende gingen, das geschlossene, das heisst fast
+ausschliesslich aus Gemeinden roemischen oder latinischen Rechts bestehende
+Gebiet Roms nordwaerts bis zum Ciminischen Walde, oestlich bis in die Abruzzen
+und an das Adriatische Meer, suedlich bis nach Capua, waehrend die beiden
+vorgeschobenen Posten Luceria und Venusia, gegen Osten und Sueden auf den
+Verbindungslinien der Gegner angelegt, dieselben nach allen Richtungen hin
+isolierten. Rom war nicht mehr bloss die erste, sondern bereits die herrschende
+Macht auf der Halbinsel, als gegen das Ende des fuenften Jahrhunderts der Stadt
+diejenigen Nationen, welche die Gunst der Goetter und die eigene Tuechtigkeit
+jede in ihrer Landschaft an die Spitze gerufen hatten, im Rat und auf dem
+Schlachtfeld sich einander zu naehern begannen und, wie in Olympia die
+vorlaeufigen Sieger zu dem zweiten und ernsteren Kampf, so auf der groesseren
+Voelkerringstatt jetzt Karthago, Makedonien und Rom sich anschickten zu dem
+letzten und entscheidenden Wettgang.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap07"></a>KAPITEL VII.<br/>
+König Pyrrhos gegen Rom und die Einigung Italiens</h2>
+
+<p>
+In der Zeit der unbestrittenen Weltherrschaft Roms pflegten die Griechen ihre
+roemischen Herren damit zu aergern, dass sie als die Ursache der roemischen
+Groesse das Fieber bezeichneten, an welchem Alexander von Makedonien den 11.
+Juni 431 (323) in Babylon verschied. Da es nicht allzu troestlich war, das
+Geschehene zu ueberdenken, verweilte man nicht ungern mit den Gedanken bei dem,
+was haette kommen moegen, wenn der grosse Koenig, wie es seine Absicht gewesen
+sein soll, als er starb, sich gegen Westen gewendet und mit seiner Flotte den
+Karthagern das Meer, mit seinen Phalangen den Roemern die Erde streitig gemacht
+haben wuerde. Unmoeglich ist es nicht, dass Alexander mit solchen Gedanken sich
+trug; und man braucht auch nicht, um sie zu erklaeren, bloss darauf
+hinzuweisen, dass ein Autokrat, der kriegslustig und mit Soldaten und Schiffen
+versehen ist, nur schwer die Grenze seiner Kriegfuehrung findet. Es war eines
+griechischen Grosskoenigs wuerdig, die Sikelioten gegen Karthago, die
+Tarentiner gegen Rom zu schuetzen und dem Piratenwesen auf beiden Meeren ein
+Ende zu machen; die italischen Gesandtschaften, die in Babylon neben zahllosen
+andern erschienen, der Brettier, Lucaner, Etrusker ^1, boeten Gelegenheit
+genug, die Verhaeltnisse der Halbinsel kennenzulernen und Beziehungen dort
+anzuknuepfen. Karthago mit seinen vielfachen Verbindungen im Orient musste den
+Blick des gewaltigen Mannes notwendig auf sich ziehen, und wahrscheinlich lag
+es in seinen Absichten, die nominelle Herrschaft des Perserkoenigs ueber die
+tyrische Kolonie in eine wirkliche umzuwandeln; nicht umsonst fand sich ein aus
+Karthago gesandter Spion in der unmittelbaren Umgebung Alexanders. Indes
+mochten dies Traeume oder Plaene sein, der Koenig starb, ohne mit den
+Angelegenheiten des Westens sich beschaeftigt zu haben, und jene Gedanken
+gingen mit ihm zu Grabe. Nur wenige kurze Jahre hatte ein griechischer Mann die
+ganze intellektuelle Kraft des Hellenentums, die ganze materielle Fuelle des
+Ostens vereinigt in seiner Hand gehalten; mit seinem Tode ging zwar das Werk
+seines Lebens, die Gruendung des Hellenismus im Orient, keineswegs zugrunde,
+wohl aber spaltete sich sofort das kaum geeinigte Reich und unter dem steten
+Hader der verschiedenen, aus diesen Truemmern sich bildenden Staaten ward ihrer
+aller weltgeschichtliche Bestimmung, die Propaganda der griechischen Kultur im
+Osten zwar nicht aufgegeben, aber abgeschwaecht und verkuemmert. Bei solchen
+Verhaeltnissen konnten weder die griechischen noch die asiatisch-aegyptischen
+Staaten daran denken, im Okzident festen Fuss zu fassen und gegen die Roemer
+oder die Karthager sich zu wenden. Das oestliche und das westliche
+Staatensystem bestanden nebeneinander, ohne zunaechst politisch
+ineinanderzugreifen; und namentlich Rom blieb den Verwicklungen der
+Diadochenperiode wesentlich fremd. Nur Beziehungen oekonomischer Art stellten
+sich fest; wie denn zum Beispiel der rhodische Freistaat, der vornehmste
+Vertreter einer neutralen Handelspolitik in Griechenland und daher der
+allgemeine Vermittler des Verkehrs in einer Zeit ewiger Kriege, um das Jahr 448
+(306) einen Vertrag mit Rom abschloss, natuerlich einen Handelstraktat, wie er
+begreiflich ist zwischen einem Kaufmannsvolk und den Herren der caeritischen
+und kampanischen Kueste. Auch bei der Soeldnerlieferung, die von dem
+allgemeinen Werbeplatz der damaligen Zeit, von Hellas aus nach Italien und
+namentlich nach Tarent ging, wirkten die politischen Beziehungen, die zum
+Beispiel zwischen Tarent und dessen Mutterstadt Sparta bestanden, nur in sehr
+untergeordneter Weise mit; im ganzen waren die Werbungen nichts als
+kaufmaennische Geschaefte, und Sparta, obwohl es regelmaessig den Tarentinern
+zu den italischen Kriegen die Hauptleute lieferte, trat mit den Italikern darum
+so wenig in Fehde wie im nordamerikanischen Freiheitskrieg die deutschen
+Staaten mit der Union, deren Gegnern sie ihre Untertanen verkauften.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Die Erzaehlung, dass auch die Roemer Gesandte an Alexander nach Babylon
+geschickt, geht auf das Zeugnis des Kleitarchos zurueck (Plin. nat. 3, 5, 57),
+aus dem die uebrigen, diese Tatsache meldenden Zeugen (Aristos und Asklepiades
+bei Arrian 7, 15, 5; Memnon c. 25) ohne Zweifel schoepften. Kleitarchos war
+allerdings Zeitgenosse dieser Ereignisse, aber sein Leben Alexanders
+nichtsdestoweniger entschieden mehr historischer Roman als Geschichte; und bei
+dem Schweigen der zuverlaessigen Biographen (Art. a. a. O.; Liv. 9, 18) und dem
+voellig romanhaften Detail des Berichts, wonach zum Beispiel die Roemer dem
+Alexander einen goldenen Kranz ueberreicht und dieser die zukuenftige Groesse
+Roms vorhergesagt haben soll, wird man nicht umhin koennen, diese Erzaehlung zu
+den vielen anderen durch Kleitarchos in die Geschichte eingefuehrten
+Ausschmueckungen zu stellen.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Nichts anderes als ein abenteuernder Kriegshauptmann war auch Koenig Pyrrhos
+von Epeiros; er war darum nicht minder ein Gluecksritter, dass er seinen
+Stammbaum zurueckfuehrte auf Aeakos und Achilleus und dass er, waere er
+friedlicher gesinnt gewesen, als &ldquo;Koenig&rdquo; ueber ein kleines
+Bergvolk unter makedonischer Oberherrlichkeit oder auch allenfalls in
+isolierter Freiheit haette leben und sterben koennen. Man hat ihn wohl
+verglichen mit Alexander von Makedonien; und allerdings die Gruendung eines
+westhellenischen Reiches, dessen Kern Epeiros, Grossgriechenland, Sizilien
+gebildet haetten, das die beiden italischen Meere beherrscht und Rom wie
+Karthago in die Reihe der barbarischen Grenzvoelker des hellenistischen
+Staatensystems, der Kelten und Inder gedraengt haben wuerde - dieser Gedanke
+ist wohl gross und kuehn wie derjenige, der den makedonischen Koenig ueber den
+Hellespont fuehrte. Aber nicht bloss der verschiedene Ausgang unterscheidet den
+oestlichen und den westlichen Heerzug. Alexander konnte mit seiner
+makedonischen Armee, in der namentlich der Stab vorzueglich war, dem
+Grosskoenig vollkommen die Spitze bieten; aber der Koenig von Epeiros, das
+neben Makedonien stand etwa wie Hessen neben Preussen, erhielt eine
+nennenswerte Armee nur durch Soeldner und durch Buendnisse, die auf zufaelligen
+politischen Kombinationen beruhten. Alexander trat im Perserreich auf als
+Eroberer, Pyrrhos in Italien als Feldherr einer Koalition von Sekundaerstaaten;
+Alexander hinterliess sein Erbland vollkommen gesichert durch die unbedingte
+Untertaenigkeit Griechenlands und das starke, unter Antipater zurueckbleibende
+Heer, Pyrrhos buergte fuer die Integritaet seines eigenen Gebietes nichts als
+das Wort eines zweifelhaften Nachbarn. Fuer beide Eroberer hoerte, wenn ihre
+Plaene gelangen, die Heimat notwendig auf, der Schwerpunkt des neuen Reiches zu
+sein; allein eher noch war es ausfuehrbar, den Sitz der makedonischen
+Militaermonarchie nach Babylon zu verlegen als in Tarent oder Syrakus eine
+Soldatendynastie zu gruenden. Die Demokratie der griechischen Republiken, so
+sehr sie eine ewige Agonie war, liess sich in die straffen Formen des
+Militaerstaats nun einmal nicht zurueckzwingen; Philipp wusste wohl, warum er
+die griechischen Republiken seinem Reich nicht einverleibte. Im Orient war ein
+nationaler Widerstand nicht zu erwarten; herrschende und dienende Staemme
+lebten dort seit langem nebeneinander und der Wechsel des Despoten war der
+Masse der Bevoelkerung gleichgueltig oder gar erwuenscht. Im Okzident konnten
+die Roemer, die Samniten, die Karthager auch ueberwunden werden; aber kein
+Eroberer haette es vermocht, die Italiker in aegyptische Fellahs zu verwandeln
+oder aus den roemischen Bauern Zinspflichtige hellenischer Barone zu machen.
+Was man auch ins Auge fasst, die eigene Macht, die Bundesgenossen, die Kraefte
+der Gegner - ueberall erscheint der Plan des Makedoniers als eine ausfuehrbare,
+der des Epeiroten als eine unmoegliche Unternehmung; jener als die Vollziehung
+einer grossen geschichtlichen Aufgabe, dieser als ein merkwuerdiger Fehlgriff;
+jener als die Grundlegung zu einem neuen Staatensystem und einer neuen Phase
+der Zivilisation, dieser als eine geschichtliche Episode. Alexanders Werk
+ueberlebte ihn, obwohl der Schoepfer zur Unzeit starb; Pyrrhos sah mit eigenen
+Augen das Scheitern aller seiner Plaene, ehe der Tod ihn abrief. Sie beide
+waren kuehne und grosse Naturen, aber Pyrrhos nur der erste Feldherr, Alexander
+vor allem der genialste Staatsmann seiner Zeit; und wenn es die Einsicht in das
+Moegliche und Unmoegliche ist, die den Helden vom Abenteurer scheidet, so muss
+Pyrrhos diesen zugezaehlt und darf seinem groesseren Verwandten sowenig zur
+Seite gestellt werden wie etwa der Connetable von Bourbon Ludwig dem Elften.
+</p>
+
+<p>
+Und dennoch knuepft sich ein wunderbarer Zauber an den Namen des Epiroten, eine
+eigene Teilnahme, die allerdings zum Teil der ritterlichen und liebenswuerdigen
+Persoenlichkeit desselben, aber mehr doch noch dem Umstande gilt, dass er der
+erste Grieche ist, der den Roemern im Kampfe gegenuebertritt. Mit ihm beginnen
+jene unmittelbaren Beziehungen zwischen Rom und Hellas, auf denen die ganze
+spaetere Entfaltung der antiken Zivilisation und ein wesentlicher Teil der
+modernen beruht. Der Kampf zwischen Phalangen und Kohorten, zwischen der
+Soeldnerarmee und der Landwehr, zwischen dem Heerkoenigtum und dem
+Senatorenregiment, zwischen dem individuellen Talent und der nationalen Kraft -
+dieser Kampf zwischen Rom und dem Hellenismus ward zuerst durchgefochten in den
+Schlachten zwischen Pyrrhos und den roemischen Feldherren; und wenn auch die
+unterliegende Partei noch oft nachher appelliert hat an neue Entscheidung der
+Waffen, so hat doch jeder spaetere Schlachttag das Urteil lediglich bestaetigt.
+Wenn aber auf der Walstatt wie in der Kurie die Griechen unterliegen, so ist
+ihr Uebergewicht nicht minder entschieden in jedem anderen, nicht politischen
+Wettkampf, und eben schon diese Kaempfe lassen es ahnen, dass der Sieg Roms
+ueber die Hellenen ein anderer sein wird als der ueber Gallier und Phoeniker,
+und dass Aphroditens Zauber erst zu wirken beginnt, wenn die Lanze zersplittert
+und Helm und Schild beiseite gelegt ist.
+</p>
+
+<p>
+Koenig Pyrrhos war der Sohn des Aeakides, des Herrn der Molosser (um Janina),
+welcher, von Alexander geschont als Verwandter und getreuer Lehnsmann, nach
+dessen Tode in den Strudel der makedonischen Familienpolitik hineingerissen
+ward und darin zuerst sein Reich und dann das Leben verlor (441 313). Sein
+damals sechsjaehriger Sohn ward von dem Herrn der illyrischen Taulantier,
+Glaukias, gerettet und im Laufe der Kaempfe um Makedoniens Besitz, noch ein
+Knabe, von Demetrios dem Belagerer wieder zurueckgefuehrt in sein angestammtes
+Fuerstentum (447 307), um es nach wenigen Jahren durch den Einfluss der
+Gegenpartei wieder einzubuessen (um 452 302) und als landfluechtiger
+Fuerstensohn im Gefolge der makedonischen Generale seine militaerische Laufbahn
+zu beginnen. Bald machte seine Persoenlichkeit sich geltend. Unter Antigonos
+machte er dessen letzte Feldzuege mit; der alte Marschall Alexanders hatte
+seine Freude an dem geborenen Soldaten, dem nach dem Urteile des ergrauten
+Feldherrn nur die Jahre fehlten um schon jetzt der erste Kriegsmann der Zeit zu
+sein. Die unglueckliche Schlacht bei Ipsos brachte ihn als Geisel nach
+Alexandreia an den Hof des Gruenders der Lagidendynastie, wo er durch sein
+kuehnes und derbes Wesen, seinen alles nicht Militaerische gruendlich
+verachtenden Soldatensinn nicht minder des staatsklugen Koenigs Ptolemaeos
+Aufmerksamkeit auf sich zog als durch seine maennliche Schoenheit, der das
+wilde Antlitz, der gewaltige Tritt keinen Eintrag tat, die der koeniglichen
+Damen. Eben damals gruendete der kuehne Demetrios sich wieder einmal, diesmal
+in Makedonien, ein neues Reich; natuerlich in der Absicht, von dort aus die
+Alexandermonarchie zu erneuern. Es galt, ihn niederzuhalten, ihm daheim zu
+schaffen zu machen; und der Lagide, der solche Feuerseelen, wie der
+epeirotische Juengling eine war, vortrefflich fuer seine feine Politik zu
+nutzen verstand, tat nicht bloss seiner Gemahlin, der Koenigin Berenike einen
+Gefallen, sondern foerderte auch seine eigenen Zwecke, indem er dem jungen
+Fuersten seine Stieftochter, die Prinzessin Antigone zur Gemahlin gab und dem
+geliebten &ldquo;Sohn&rdquo; zur Rueckkehr in die Heimat seinen Beistand und
+seinen maechtigen Einfluss lieh (458 296). Zurueckgekehrt in sein vaeterliches
+Reich fiel ihm bald alles zu; die tapferen Epeiroten, die Albanesen des
+Altertums, hingen mit angestammter Treue und frischer Begeisterung an dem
+mutigen Juengling, dem &ldquo;Adler&rdquo;, wie sie ihn hiessen. In den um die
+makedonische Thronfolge nach Kassanders Tod (457 297) entstandenen Wirren
+erweiterte der Epeirote sein Reich; nach und nach gewann er die Landschaften an
+dem ambrakischen Busen mit der wichtigen Stadt Ambrakia, die Insel Kerkyra, ja
+selbst einen Teil des makedonischen Gebiets, und widerstand mit weit geringeren
+Streitkraeften dem Koenig Demetrios zur Bewunderung der Makedonier selbst. Ja,
+als Demetrios durch seine eigene Torheit in Makedonien vom Thron gestuerzt war,
+trug man dort dem ritterlichen Gegner, dem Verwandten der Alexandriden,
+denselben freiwillig an (467 287). In der Tat, keiner war wuerdiger als
+Pyrrhos, das koenigliche Diadem Philipps und Alexanders zu tragen. In einer
+tief versunkenen Zeit, in der Fuerstlichkeit und Niedertraechtigkeit
+gleichbedeutend zu werden begannen, leuchtete hell Pyrrhos&rsquo; persoenlich
+unbefleckter und sittenreiner Charakter. Fuer die freien Bauern des
+makedonischen Stammlandes, die, obwohl gemindert und verarmt, sich doch
+fernhielten von dem Verfall der Sitten und der Tapferkeit, den das
+Diadochenregiment in Griechenland und Asien herbeifuehrte, schien eben Pyrrhos
+recht eigentlich zum Koenig geschaffen; er, der gleich Alexander in seinem
+Haus, im Freundeskreise allen menschlichen Beziehungen sein Herz offen erhielt
+und das in Makedonien so verhasste orientalische Sultanwesen stets von sich
+abgewehrt hatte; er, der gleich Alexander anerkannt der erste Taktiker seiner
+Zeit war. Aber das seltsam ueberspannte makedonische Nationalgefuehl, das den
+elendesten makedonischen Herrn dem tuechtigsten Fremden vorzog, die
+unvernuenftige Widerspenstigkeit der makedonischen Truppen gegen jeden nicht
+makedonischen Fuehrer, welcher der groesste Feldherr aus Alexanders Schule, der
+Kardianer Eumenes erlegen war, bereitete auch der Herrschaft des epeirotischen
+Fuersten ein schnelles Ende. Pyrrhos, der die Herrschaft ueber Makedonien mit
+dem Willen der Makedonier nicht fuehren konnte, und zu machtlos, vielleicht
+auch zu hochherzig war, um sich dem Volke gegen dessen Willen aufzudraengen,
+ueberliess schon nach siebenmonatlicher Herrschaft das Land seiner
+einheimischen Missregierung und ging heim zu seinen treuen Epeiroten (467 287).
+Aber der Mann, der Alexanders Krone getragen hatte, der Schwager des Demetrios,
+der Schwiegersohn des Lagiden und des Agathokles von Syrakus, der hochgebildete
+Strategiker, der Memoiren und wissenschaftliche Abhandlungen ueber die
+Kriegskunst schrieb, konnte unmoeglich sein Leben darueber beschliessen, dass
+er zu gesetzter Zeit im Jahre die Rechnungen des koeniglichen Viehverwalters
+durchsah und von seinen braven Epeiroten die landueblichen Geschenke an Rindern
+und Schafen entgegennahm, um sich alsdann am Altar des Zeus von ihnen den Eid
+der Treue erneuern zu lassen und selbst den Eid auf die Gesetze zu wiederholen
+und, diesem allen zu mehrerer Bekraeftigung, mit ihnen die Nacht hindurch zu
+zechen. War kein Platz fuer ihn auf dem makedonischen Thron, so war ueberhaupt
+in der Heimat seines Bleibens nicht; er konnte der Erste sein und also nicht
+der Zweite. So wandten sich seine Blicke in die Weite. Die Koenige, die um
+Makedoniens Besitz haderten, obwohl sonst in nichts einig, waren gern bereit,
+gemeinschaftlich zu helfen, dass der gefaehrliche Nebenbuhler freiwillig
+ausscheide; und dass die treuen Kriegsgenossen ihm folgen wuerden, wohin er sie
+fuehrte, dessen war er gewiss. Eben damals stellten die italischen
+Verhaeltnisse sich so, dass jetzt wiederum als ausfuehrbar erscheinen konnte,
+was vierzig Jahre frueher Pyrrhos&rsquo; Verwandter, seines Vaters Vetter
+Alexander von Epeiros, und eben erst sein Schwiegervater Agathokles
+beabsichtigt hatten; und so entschloss sich Pyrrhos, auf seine makedonischen
+Plaene zu verzichten und im Westen eine neue Herrschaft fuer sich und fuer die
+hellenische Nation zu gruenden.
+</p>
+
+<p>
+Die Waffenruhe, die der Friede mit Samnium 464 (290) fuer Italien
+herbeigefuehrt hatte, war von kurzer Dauer; der Anstoss zur Bildung einer neuen
+Ligue gegen die roemische Uebermacht kam diesmal von den Lucanern. Dieser
+Voelkerschaft, die durch ihre Parteinahme fuer Rom die Tarentiner waehrend der
+Samnitischen Kriege gelaehmt und zu deren Entscheidung wesentlich beigetragen
+hatte, waren dafuer von den Roemern die Griechenstaedte in ihrem Gebiet
+preisgegeben worden; und demgemaess hatten sie nach abgeschlossenem Frieden in
+Gemeinschaft mit den Brettiern sich daran gemacht, eine nach der anderen zu
+bezwingen. Die Thuriner, wiederholt angegriffen von dem Feldherrn der Lucaner,
+Stenius Statilius, und aufs aeusserste bedraengt, wandten sich, ganz wie einst
+die Kampaner die Hilfe Roms gegen die Samniten in Anspruch genommen hatten und
+ohne Zweifel um den gleichen Preis ihrer Freiheit und Selbstaendigkeit, mit der
+Bitte um Beistand gegen die Lucaner an den roemischen Senat. Da das Buendnis
+mit diesen durch die Anlage der Festung Venusia fuer Rom entbehrlich geworden
+war, gewaehrten die Roemer das Begehren der Thuriner und geboten ihren
+Bundesfreunden von der Stadt, die sich den Roemern ergeben habe, abzulassen.
+Die Lucaner und Brettier, also von den maechtigeren Verbuendeten betrogen um
+den Anteil an der gemeinschaftlichen Beute, knuepften Verhandlungen an mit der
+samnitisch-tarentinischen Oppositionspartei, um eine neue Koalition der
+Italiker zustande zu bringen; und als die Roemer sie durch eine Gesandtschaft
+warnen liessen, setzten sie den Gesandten gefangen und begannen den Krieg gegen
+Rom mit einem neuen Angriff auf Thurii (um 469 285), indem sie zugleich nicht
+bloss die Samniten und die Tarentiner, sondern auch die Norditaliker, die
+Etrusker, Umbrer, Gallier aufriefen, mit ihnen zum Freiheitskampf sich zu
+vereinigen. In der Tat erhob sich der etruskische Bund und dang zahlreiche
+gallische Haufen; das roemische Heer, das der Praetor Lucius Caecilius den treu
+gebliebenen Arretinern zu Hilfe fuehrte, ward unter den Mauern dieser Stadt von
+den senonischen Soeldnern der Etrusker vernichtet, der Feldherr selbst fiel mit
+13000 seiner Leute (470 284). Die Senonen zaehlten zu Roms Bundesgenossen: die
+Roemer schickten demnach Gesandte an sie, um ueber die Stellung von
+Reislaeufern gegen Rom Klage zu fuehren und die unentgeltliche Rueckgabe der
+Gefangenen zu begehren. Aber auf Befehl des Senonenhaeuptlings Britomaris, der
+den Tod seines Vaters an den Roemern zu raechen hatte, erschlugen die Senonen
+die roemischen Boten und ergriffen offen die Partei der Etrusker. Ganz
+Norditalien, Etrusker, Umbrer, Gallier, stand somit gegen Rom in Waffen; es
+konnten grosse Erfolge gewonnen werden, wenn die suedlichen Landschaften diesen
+Augenblick ergriffen und auch diejenigen, die es nicht bereits getan, sich
+gegen Rom erklaerten. In der Tat scheinen die Samniten, immer fuer die Freiheit
+einzustehen willig, den Roemern den Krieg erklaert zu haben; aber geschwaecht
+und von allen Seiten eingeschlossen, wie sie waren, konnten sie dem Bunde wenig
+nuetzen, und Tarent zauderte nach seiner Gewohnheit. Waehrend unter den Gegnern
+Buendnisse verhandelt, Subsidientraktate festgesetzt, Soeldner zusammengebracht
+wurden, handelten die Roemer. Zunaechst hatten es die Senonen zu empfinden, wie
+gefaehrlich es sei, die Roemer zu besiegen. Der Konsul Publius Cornelius
+Dolabella rueckte mit einem starken Heer in ihr Gebiet; was nicht ueber die
+Klinge sprang, ward aus dem Lande ausgetrieben und dieser Stamm ausgestrichen
+aus der Reihe der italischen Nationen (471 283). Bei einem vorzugsweise von
+seinen Herden lebenden Volke war eine derartige massenhafte Austreibung wohl
+ausfuehrbar; wahrscheinlich halfen diese aus Italien vertriebenen Senonen die
+gallischen Schwaerme bilden, die bald nachher das Donaugebiet, Makedonien,
+Griechenland, Kleinasien ueberschwemmten. Die naechsten Nachbarn und
+Stammgenossen der Senonen, die Boier, erschreckt und erbittert durch die
+furchtbar schnell sich vollendende Katastrophe, vereinigten sich augenblicklich
+mit den Etruskern, die noch den Krieg fortfuehrten und deren senonische
+Soeldner jetzt gegen die Roemer nicht mehr als Mietlinge fochten, sondern als
+verzweifelte Raecher der Heimat; ein gewaltiges etruskisch-gallisches Heer zog
+gegen Rom, um fuer die Vernichtung des Senonenstammes an der Hauptstadt der
+Feinde Rache zu nehmen und vollstaendiger, als einst der Heerkoenig derselben
+Senonen es getan, Rom von der Erde zu vertilgen. Allein beim Uebergang ueber
+den Tiber in der Naehe des Vadimonischen Sees wurde das vereinigte Heer von den
+Roemern nachdruecklich geschlagen (471 283). Nachdem sie das Jahr darauf noch
+einmal bei Populonia mit nicht besserem Erfolg eine Feldschlacht gewagt hatten,
+liessen die Boier ihre Bundesgenossen im Stich und schlossen fuer sich mit den
+Roemern Frieden (472 282). So war das gefaehrlichste Glied der Ligue, das
+Galliervolk, einzeln ueberwunden, ehe noch der Bund sich vollstaendig
+zusammenfand, und dadurch Rom freie Hand gegen Unteritalien gegeben, wo in den
+Jahren 469-471 (285-283) der Kampf nicht ernstlich gefuehrt worden war. Hatte
+bis dahin die schwache roemische Armee Muehe gehabt, sich in Thurii gegen die
+Lucaner und Brettier zu behaupten, so erschien jetzt (472 282) der Konsul Gaius
+Fabricius Luscinus mit einem starken Heer vor der Stadt, befreite dieselbe,
+schlug die Lucaner in einem grossen Treffen und nahm ihren Feldherrn Statilius
+gefangen. Die kleineren nichtdorischen Griechenstaedte, die in den Roemern ihre
+Retter erkannten, fielen ihnen ueberall freiwillig zu; roemische Besatzungen
+blieben zurueck in den wichtigsten Plaetzen, in Lokri, Kroton, Thurii und
+namentlich in Rhegion, auf welche letztere Stadt auch die Karthager Absichten
+zu haben schienen. Ueberall war Rom im entschiedensten Vorteil. Die Vernichtung
+der Senonen hatte den Roemern eine bedeutende Strecke des adriatischen Litorals
+in die Haende gegeben; ohne Zweifel im Hinblick auf die unter der Asche
+glimmende Fehde mit Tarent und die schon drohende Invasion der Epeiroten eilte
+man, sich dieser Kueste sowie der Adriatischen See zu versichern. Es ward (um
+471 283) eine Buergerkolonie gefuehrt nach dem Hafenplatz Sena (Sinigaglia),
+der ehemaligen Hauptstadt des senonischen Bezirks und gleichzeitig segelte eine
+roemische Flotte aus dem Tyrrhenischen Meer in die oestlichen Gewaesser,
+offenbar, um im Adriatischen Meer zu stationieren und dort die roemischen
+Besitzungen zu decken.
+</p>
+
+<p>
+Die Tarentiner hatten seit dem Vertrag von 450 (304) mit Rom in Frieden gelebt.
+Sie hatten der langen Agonie der Samniten, der raschen Vernichtung der Senonen
+zugesehen, sich die Gruendung von Venusia, Hatria, Sena, die Besetzung von
+Thurii und Rhegion gefallen lassen, ohne Einspruch zu tun. Aber als jetzt die
+roemische Flotte auf ihrer Fahrt vom Tyrrhenischen ins Adriatische Meer in die
+tarentinischen Gewaesser gelangte und im Hafen der befreundeten Stadt vor Anker
+ging, schwoll die langgehegte Erbitterung endlich ueber; die alten Vertraege,
+die den roemischen Kriegsschiffen untersagten, oestlich vom Lakinischen
+Vorgebirg zu fahren, wurden in der Buergerversammlung von den Volksmaennern zur
+Sprache gebracht; wuetend stuerzte der Haufen ueber die roemischen
+Kriegsschiffe her, die, unversehens nach Piratenart ueberfallen, nach heftigem
+Kampfe unterlagen; fuenf Schiffe wurden genommen und deren Mannschaft
+hingerichtet oder in die Knechtschaft verkauft, der roemische Admiral selbst
+war in dem Kampf gefallen. Nur der souveraene Unverstand und die souveraene
+Gewissenlosigkeit der Poebelherrschaft erklaert diese schmachvollen Vorgaenge.
+Jene Vertraege gehoerten einer Zeit an, die laengst ueberschritten und
+verschollen war; es ist einleuchtend, dass sie wenigstens seit der Gruendung
+von Hatria und Sena schlechterdings keinen Sinn mehr hatten und dass die Roemer
+im guten Glauben an das bestehende Buendnis in den Golf einfuhren - lag es doch
+gar sehr in ihrem Interesse, wie der weitere Verlauf der Dinge zeigt, den
+Tarentinern durchaus keinen Anlass zur Kriegserklaerung darzubieten. Wenn die
+Staatsmaenner Tarents den Krieg an Rom erklaeren wollten, so taten sie bloss,
+was laengst haette geschehen sollen; und wenn sie es vorzogen, die
+Kriegserklaerung statt auf den wirklichen Grund vielmehr auf formalen
+Vertragsbruch zu stuetzen, so liess sich dagegen weiter nichts erinnern, da ja
+die Diplomatie zu allen Zeiten es unter ihrer Wuerde erachtet hat, das Einfache
+einfach zu sagen. Allein dass man, statt den Admiral zur Umkehr aufzufordern,
+die Flotte mit gewaffneter Hand ungewarnt ueberfiel, war eine Torheit nicht
+minder als eine Barbarei, eine jener entsetzlichen Barbareien der Zivilisation,
+wo die Gesittung ploetzlich das Steuerruder verliert und die nackte Gemeinheit
+vor uns hintritt, gleichsam um zu warnen vor dem kindischen Glauben, als
+vermoege die Zivilisation aus der Menschennatur die Bestialitaet auszuwurzeln.
+</p>
+
+<p>
+Und als waere damit noch nicht genug getan, ueberfielen nach dieser Heldentat
+die Tarentiner Thurii, dessen roemische Besatzung infolge der Ueberrumpelung
+kapitulierte (im Winter 472/73 282/81), und bestraften die Thuriner, dieselben,
+die die tarentinische Politik den Lucanern preisgegeben und dadurch gewaltsam
+zur Ergebung an Rom gedraengt hatte, schwer fuer ihren Abfall von der
+hellenischen Partei zu den Barbaren.
+</p>
+
+<p>
+Die Barbaren verfuhren indes mit einer Maessigung, die bei solcher Macht und
+nach solchen Kraenkungen Bewunderung erregt. Es lag im Interesse Roms, die
+tarentinische Neutralitaet so lange wie moeglich gelten zu lassen, und die
+leitenden Maenner im Senat verwarfen deshalb den Antrag, den eine Minoritaet in
+begreiflicher Erbitterung stellte, den Tarentinern sofort den Krieg zu
+erklaeren. Vielmehr wurde die Fortdauer des Friedens roemischerseits an die
+maessigsten Bedingungen geknuepft, die sich mit Roms Ehre vertrugen: Entlassung
+der Gefangenen, Rueckgabe von Thurii, Auslieferung der Urheber des Ueberfalls
+der Flotte. Mit diesen Vorschlaegen ging eine roemische Gesandtschaft nach
+Tarent (473 281), waehrend gleichzeitig, ihren Worten Nachdruck zu geben, ein
+roemisches Heer unter dem Konsul Lucius Aemilius in Samnium einrueckte. Die
+Tarentiner konnten, ohne ihrer Unabhaengigkeit etwas zu vergeben, diese
+Bedingungen eingehen, und bei der geringen Kriegslust der reichen Kaufstadt
+durfte man in Rom mit Recht annehmen, dass ein Abkommen noch moeglich sei.
+Allein der Versuch, den Frieden zu erhalten, scheiterte - sei es an dem
+Widerspruch derjenigen Tarentiner, die die Notwendigkeit erkannten, den
+Uebergriffen Roms je eher desto lieber mit den Waffen entgegenzutreten, sei es
+bloss an der Unbotmaessigkeit des staedtischen Poebels, der sich mit beliebter
+griechischer Ungezogenheit sogar an der Person des Gesandten in unwuerdiger
+Weise vergriff. Nun rueckte der Konsul in das tarentinische Gebiet ein; aber
+statt sofort die Feindseligkeiten zu eroeffnen, bot er noch einmal auf
+dieselben Bedingungen den Frieden; und da auch dies vergeblich war, begann er
+zwar die Aecker und Landhaeuser zu verwuesten und schlug die staedtischen
+Milizen, aber die vornehmeren Gefangenen wurden ohne Loesegeld entlassen und
+man gab die Hoffnung nicht auf, dass der Kriegsdruck der aristokratischen
+Partei in der Stadt das Uebergewicht geben und damit den Frieden herbeifuehren
+werde. Die Ursache dieser Zurueckhaltung war, dass die Roemer die Stadt nicht
+dem Epeirotenkoenig in die Arme treiben wollten. Die Absichten desselben auf
+Italien waren kein Geheimnis mehr. Schon war eine tarentinische Gesandtschaft
+zu Pyrrhos gegangen und unverrichteter Sache zurueckgekehrt; der Koenig hatte
+mehr begehrt, als sie zu bewilligen Vollmacht hatte. Man musste sich
+entscheiden. Dass die Buergerwehr vor den Roemern nur wegzulaufen verstand,
+davon hatte man sich sattsam ueberzeugt; es blieb nur die Wahl zwischen Frieden
+mit Rom, den die Roemer unter billigen Bedingungen zu bewilligen fortwaehrend
+bereit waren, und Vertrag mit Pyrrhos auf jede dem Koenig gutduenkende
+Bedingung, das heisst die Wahl zwischen Unterwerfung unter die roemische
+Obermacht oder unter die Tyrannis eines griechischen Soldaten. Die Parteien
+hielten in der Stadt sich fast die Waage; endlich blieb die Oberhand der
+Nationalpartei, wobei ausser dem wohl gerechtfertigten Motiv, sich, wenn einmal
+ueberhaupt einem Herrn, lieber einem Griechen als Barbaren zu eigen zu geben,
+auch noch die Furcht der Demagogen mitwirkte, dass Rom trotz seiner jetzigen,
+durch die Umstaende erzwungenen Maessigung bei geeigneter Gelegenheit nicht
+saeumen werde, Rache fuer die von dem Tarentiner Poebel veruebten
+Schaendlichkeiten zu nehmen. Die Stadt schloss also mit Pyrrhos ab. Er erhielt
+den Oberbefehl ueber die Truppen der Tarentiner und der uebrigen gegen Rom
+unter Waffen stehenden Italioten; ferner das Recht, in Tarent Besatzung zu
+halten. Dass die Stadt die Kriegskosten trug, versteht sich von selbst. Pyrrhos
+versprach dagegen, in Italien nicht laenger als noetig zu bleiben, vermutlich
+unter dem stillschweigenden Vorbehalt, die Zeit, waehrend welcher er dort
+noetig sein werde, nach eigenem Ermessen festzustellen. Dennoch waere ihm die
+Beute fast unter den Haenden entschluepft. Waehrend die tarentinischen
+Gesandten - ohne Zweifel die Haeupter der Kriegspartei - in Epeiros abwesend
+waren, schlug in der von den Roemern jetzt hart gedraengten Stadt die Stimmung
+um; schon war der Oberbefehl dem Agis, einem roemisch Gesinnten uebertragen,
+als die Rueckkehr der Gesandten mit dem abgeschlossenen Traktat in Begleitung
+von Pyrrhos&rsquo; vertrautem Minister Kineas die Kriegspartei wieder ans Ruder
+brachte. Bald fasste eine festere Hand die Zuegel und machte dem klaeglichen
+Schwanken ein Ende. Noch im Herbst 473 (281) landete Pyrrhos&rsquo; General
+Milon mit 3000 Epeiroten und besetzte die Zitadelle der Stadt; ihm folgte zu
+Anfang des Jahres 474 (280) nach einer stuermischen, zahlreiche Opfer
+fordernden Ueberfahrt der Koenig selbst. Er fuehrte nach Tarent ein
+ansehnliches, aber buntgemischtes Heer, teils bestehend aus den Haustruppen,
+den Molossern, Thesprotiern, Chaonern, Ambrakioten, teils aus dem makedonischen
+Fussvolk und der thessalischen Reiterei, die Koenig Ptolemaeos von Makedonien
+vertragsmaessig ihm ueberlassen, teils aus aetolischen, akarnanischen,
+athamanischen Soeldnern; im ganzen zaehlte man 20000 Phalangiten, 2000
+Bogenschuetzen, 500 Schleuderer, 3000 Reiter und 20 Elefanten, also nicht viel
+weniger, als dasjenige Heer betragen hatte, mit dem Alexander fuenfzig Jahre
+zuvor den Hellespont ueberschritt.
+</p>
+
+<p>
+Die Angelegenheiten der Koalition standen nicht zum besten, als der Koenig kam.
+Zwar hatte der roemische Konsul, sowie er die Soldaten Milons anstatt der
+tarentinischen Miliz sich gegenueber aufziehen sah, den Angriff auf Tarent
+aufgegeben und sich nach Apulien zurueckgezogen; aber mit Ausnahme des Gebietes
+von Tarent beherrschten die Roemer so gut wie ganz Italien. Nirgends in
+Unteritalien hatte die Koalition eine Armee im Felde, und auch in Oberitalien
+hatten die Etrusker, die allein noch in Waffen standen, in dem letzten Feldzuge
+(473 281) nichts als Niederlagen erlitten. Die Verbuendeten hatten, ehe der
+Koenig zu Schiff ging, ihm den Oberbefehl ueber ihre saemtlichen Truppen
+uebertragen und ein Heer von 350000 Mann zu Fuss und 20000 Reiter ins Feld
+stellen zu koennen erklaert; zu diesen grossen Worten bildete die Wirklichkeit
+einen unerfreulichen Kontrast. Das Heer, dessen Oberbefehl man Pyrrhos
+uebertragen, war noch erst zu schaffen, und vorlaeufig standen dazu
+hauptsaechlich nur Tarents eigene Hilfsquellen zu Gebot. Der Koenig befahl die
+Anwerbung eines italischen Soeldnerheeres mit tarentinischem Gelde und hob die
+dienstfaehigen Leute aus der Buergerschaft zum Kriegsdienst aus. So aber hatten
+die Tarentiner den Vertrag nicht verstanden. Sie hatten gemeint, den Sieg wie
+eine andere Ware fuer ihr Geld sich gekauft zu haben; es war eine Art
+Kontraktbruch, dass der Koenig sie zwingen wollte, sich ihn selber zu
+erfechten. Je mehr die Buergerschaft anfangs nach Milons Eintreffen sich
+gefreut hatte, des laestigen Postendienstes los zu sein, desto unwilliger
+stellte man jetzt sich unter die Fahnen des Koenigs; den Saeumigen musste mit
+Todesstrafe gedroht werden. Jetzt gab der Ausgang bei allen der Friedenspartei
+Recht, und es wurden sogar mit Rom Verbindungen angeknuepft oder schienen doch
+angeknuepft zu werden. Pyrrhos, auf solchen Widerstand vorbereitet, behandelte
+die Stadt fortan wie eine eroberte: die Soldaten wurden in die Haeuser
+einquartiert, die Volksversammlungen und die zahlreichen Kraenzchen (συσσίτια)
+suspendiert, das Theater geschlossen, die Promenaden gesperrt, die Tore mit
+epeirotischen Wachen besetzt. Eine Anzahl der fuehrenden Maenner wurden als
+Geiseln ueber das Meer gesandt; andere entzogen sich dem gleichen Schicksal
+durch die Flucht nach Rom. Diese strengen Massregeln waren notwendig, da es
+schlechterdings unmoeglich war, sich in irgendeinem Sinn auf die Tarentiner zu
+verlassen; erst jetzt konnte der Koenig, gestuetzt auf den Besitz der wichtigen
+Stadt, die Operationen im Felde beginnen.
+</p>
+
+<p>
+Auch in Rom wusste man sehr wohl, welchem Kampf man entgegenging. Um vor allem
+die Treue der Bundesgenossen, das heisst der Untertanen zu sichern, erhielten
+die unzuverlaessigen Staedte Besatzung und wurden die Fuehrer der Partei der
+Unabhaengigkeit, wo es notwendig schien, festgesetzt oder hingerichtet, so zum
+Beispiel eine Anzahl Mitglieder des praenestinischen Senats. Fuer den Krieg
+selbst wurden grosse Anstrengungen gemacht; es ward eine Kriegssteuer
+ausgeschrieben, von allen Untertanen und Bundesgenossen das volle Kontingent
+eingemahnt, ja die eigentlich von der Dienstpflicht befreiten Proletarier unter
+die Waffen gerufen. Ein roemisches Heer blieb als Reserve in der Hauptstadt.
+Ein zweites rueckte unter dem Konsul Tiberius Coruncanius in Etrurien ein und
+trieb Volci und Volsinii zu Paaren. Die Hauptmacht war natuerlich nach
+Unteritalien bestimmt; man beschleunigte so viel als moeglich ihren Abmarsch,
+um Pyrrhos noch in der Gegend von Tarent zu erreichen und ihn zu hindern, die
+Samniten und die uebrigen gegen Rom in Waffen stehenden sueditalischen
+Aufgebote mit seinen Truppen zu vereinigen. Einen vorlaeufigen Damm gegen das
+Umsichgreifen des Koenigs sollten die roemischen Besatzungen gewaehren, die in
+den Griechenstaedten Unteritaliens lagen. Indes die Meuterei der in Rhegion
+liegenden Truppe - es war eine der aus den kampanischen Untertanen Roms
+ausgehobenen Legionen unter einem kampanischen Hauptmann Decius - entriss den
+Roemern diese wichtige Stadt, ohne sie doch Pyrrhos in die Haende zu geben.
+Wenn einerseits bei diesem Militaeraufstand der Nationalhass der Kampaner gegen
+die Roemer unzweifelhaft mitwirkte, so konnte anderseits Pyrrhos, der zu Schirm
+und Schutz der Hellenen ueber das Meer gekommen war, unmoeglich die Truppe in
+den Bund aufnehmen, welche ihre rheginischen Wirte in den Haeusern
+niedergemacht hatte; und so blieb sie fuer sich, im engen Bunde mit ihren
+Stamm- und Frevelgenossen, den Mamertinern, das heisst den kampanischen
+Soeldnern des Agathokles, die das gegenueberliegende Messana in aehnlicher
+Weise gewonnen hatten, und brandschatzte und verheerte auf eigene Rechnung die
+umliegenden Griechenstaedte, so Kroton, wo sie die roemische Besatzung
+niedermachte, und Kaulonia, das sie zerstoerte. Dagegen gelang es den Roemern,
+durch ein schwaches Korps, das an die lucanische Grenze rueckte, und durch die
+Besatzung von Venusia die Lucaner und Samniten an der Vereinigung mit Pyrrhos
+zu hindern, waehrend die Hauptmacht, wie es scheint vier Legionen, also mit der
+entsprechenden Zahl von Bundestruppen mindestens 50000 Mann stark, unter dem
+Konsul Publius Laevinus gegen Pyrrhos marschierte. Dieser hatte sich zur
+Deckung der tarentinischen Kolonie Herakleia zwischen dieser Stadt und Pandosia
+^2 mit seinen eigenen und den tarentinischen Truppen aufgestellt (474 280). Die
+Roemer erzwangen unter Deckung ihrer Reiterei den Uebergang ueber den Siris und
+eroeffneten die Schlacht mit einem hitzigen und gluecklichen Reiterangriff; der
+Koenig, der seine Reiter selber fuehrte, stuerzte und die griechischen Reiter,
+durch das Verschwinden des Fuehrers in Verwirrung gebracht, raeumten den
+feindlichen Schwadronen das Feld. Indes Pyrrhos stellte sich an die Spitze
+seines Fussvolks, und von neuem begann ein entscheidenderes Treffen. Siebenmal
+trafen die Legionen und die Phalanx im Stoss aufeinander und immer noch stand
+der Kampf. Da fiel Megakles, einer der besten Offiziere des Koenigs, und weil
+er an diesem heissen Tage die Ruestung des Koenigs getragen hatte, glaubte das
+Heer zum zweitenmal, dass der Koenig gefallen sei; die Reihen wurden unsicher,
+schon meinte Laevinus den Sieg in der Hand zu haben und warf seine saemtliche
+Reiterei den Griechen in die Flanke. Aber Pyrrhos, entbloessten Hauptes durch
+die Reihen des Fussvolks schreitend, belebte den sinkenden Mut der Seinigen.
+Gegen die Reiter wurden die bis dahin zurueckgehaltenen Elefanten vorgefuehrt;
+die Pferde scheuten vor ihnen, die Soldaten wussten den gewaltigen Tieren nicht
+beizukommen und wandten sich zur Flucht. Die zersprengten Reiterhaufen, die
+nachsetzenden Elefanten loesten endlich auch die geschlossenen Glieder des
+roemischen Fussvolks, und die Elefanten, im Verein mit der trefflichen
+thessalischen Reiterei, richteten ein grosses Blutbad unter den Fluechtenden
+an. Haette nicht ein tapferer roemischer Soldat, Gaius Minucius, der erste
+Hastat der vierten Legion, einen der Elefanten verwundet und dadurch die
+verfolgenden Truppen in Verwirrung gebracht, so waere das roemische Heer
+aufgerieben worden; so gelang es, den Rest der roemischen Truppen ueber den
+Siris zurueckzufuehren. Ihr Verlust war gross: 7000 Roemer wurden tot oder
+verwundet von den Siegern auf der Walstatt gefunden, 2000 gefangen eingebracht;
+die Roemer selbst gaben, wohl mit Einschluss der vom Schlachtfeld
+zurueckgebrachten Verwundeten, ihren Verlust an auf 15000 Mann. Aber auch
+Pyrrhos&rsquo; Heer hatte nicht viel weniger gelitten; gegen 4000 seiner besten
+Soldaten bedeckten das Schlachtfeld und mehrere seiner tuechtigsten Obersten
+waren gefallen. Erwaegend, dass sein Verlust hauptsaechlich auf die
+altgedienten Leute traf, die bei weitem schwerer zu ersetzen waren als die
+roemische Landwehr, und dass er den Sieg nur der Ueberraschung durch den
+Elefantenangriff verdankte, die sich nicht oft wiederholen liess, mag der
+Koenig wohl, strategischer Kritiker wie er war, spaeterhin diesen Sieg einer
+Niederlage aehnlich genannt haben; wenn er auch nicht so toericht war, wie die
+roemischen Poeten nachher gedichtet haben, in der Aufschrift des von ihm in
+Tarent aufgestellten Weihgeschenkes diese Selbstkritik dem Publikum
+mitzuteilen. Politisch kam zunaechst wenig darauf an, welche Opfer der Sieg
+gekostet hatte; vielmehr war der Gewinn der ersten Schlacht gegen die Roemer
+fuer Pyrrhos ein unschaetzbarer Erfolg. Sein Feldherrntalent hatte auch auf
+diesem neuen Schlachtfeld sich glaenzend bewaehrt, und wenn irgend etwas,
+musste der Sieg von Herakleia dem hinsiechenden Bunde der Italiker Einigkeit
+und Energie einhauchen. Aber auch die unmittelbaren Ergebnisse des Sieges waren
+ansehnlich und nachhaltig. Lucanien war fuer die Roemer verloren; Laevinus zog
+die dort stehenden Truppen an sich und ging nach Apulien. Die Brettier,
+Lucaner, Samniten vereinigten sich ungehindert mit Pyrrhos. Mit Ausnahme von
+Rhegion, das unter dem Druck der kampanischen Meuterer schmachtete, fielen die
+Griechenstaedte saemtlich dem Koenig zu, ja Lokri lieferte ihm freiwillig die
+roemische Besatzung aus; von ihm waren sie ueberzeugt, und mit Recht, dass er
+sie den Italikern nicht preisgeben werde. Die Sabeller und Griechen also traten
+zu Pyrrhos ueber; aber weiter wirkte der Sieg auch nicht. Unter den Latinern
+zeigte sich keine Neigung, der roemischen Herrschaft, wie schwer sie auch
+lasten mochte, mit Hilfe eines fremden Dynasten sich zu entledigen. Venusia,
+obgleich jetzt rings von Feinden umschlossen, hielt unerschuetterlich fest an
+Rom. Den am Siris Gefangenen, deren tapfere Haltung der ritterliche Koenig
+durch die ehrenvollste Behandlung vergalt, bot er nach griechischer Sitte an,
+in sein Heer einzutreten; allein er erfuhr, dass er nicht mit Soeldnern focht,
+sondern mit einem Volke. Nicht einer, weder Roemer noch Latiner, nahm bei ihm
+Dienste.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+2 Bei dem heutigen Anglona; nicht zu verwechseln mit der bekannteren Stadt
+gleichen Namens in der Gegend von Cosenza.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Pyrrhos bot den Roemern Frieden an. Er war ein zu einsichtiger Militaer, um das
+Missliche seiner Stellung zu verkennen, und ein zu gewiegter Staatsmann, um
+nicht denjenigen Augenblick, der ihm die guenstigste Stellung gewaehrte,
+rechtzeitig zum Friedensschluss zu benutzen. Jetzt hoffte er unter dem ersten
+Eindruck der gewaltigen Schlacht, es in Rom durchsetzen zu koennen, dass die
+griechischen Staedte in Italien frei wuerden und zwischen ihnen und Rom eine
+Reihe Staaten zweiten und dritten Ranges als abhaengige Verbuendete der neuen
+griechischen Macht ins Leben traeten; denn darauf gingen seine Forderungen:
+Entlassung aller griechischen Staedte - also namentlich der kampanischen und
+lucanischen - aus der roemischen Botmaessigkeit und Rueckgabe des den Samniten,
+Dauniern, Lucanern, Brettiern abgenommenen Gebiets, das heisst namentlich
+Aufgabe von Luceria und Venusia. Konnte ein weiterer Kampf mit Rom auch
+schwerlich vermieden werden, so war es doch wuenschenswert, diesen erst zu
+beginnen, wenn die westlichen Hellenen unter einem Herrn vereinigt, Sizilien
+gewonnen, vielleicht Afrika erobert war.
+</p>
+
+<p>
+Mit solchen Instruktionen versehen, begab sich Pyrrhos&rsquo; vertrauter
+Minister, der Thessalier Kineas, nach Rom. Der gewandte Unterhaendler, den
+seine Zeitgenossen dem Demosthenes verglichen, soweit sich dem Staatsmann der
+Rhetor, dem Volksfuehrer der Herrendiener vergleichen laesst, hatte Auftrag,
+die Achtung, die der Sieger von Herakleia fuer seine Besiegten in der Tat
+empfand, auf alle Weise zur Schau zu tragen, den Wunsch des Koenigs, selber
+nach Rom zu kommen, zu erkennen zu geben, durch die im Munde des Feindes so
+wohlklingende Lob- und durch ernste Schmeichelrede, gelegentlich auch durch
+wohlangebrachte Geschenke die Gemueter zu des Koenigs Gunsten zu stimmen, kurz,
+alle Kuenste der Kabinettspolitik, wie sie an den Hoefen von Alexandreia und
+Antiocheia erprobt waren, gegen die Roemer zu versuchen. Der Senat schwankte;
+manchen erschien es der Klugheit gemaess, einen Schritt zurueck zu tun und
+abzuwarten, bis der gefaehrliche Gegner sich weiter verwickelt haben oder nicht
+mehr sein wuerde. Indes der greise und blinde Konsular Appius Claudius (Zensor
+442 312, Konsul 447, 458 307, 296), der seit langem sich von den
+Staatsgeschaeften zurueckgezogen hatte, aber in diesem entscheidenden
+Augenblick sich in den Senat fuehren liess, hauchte die ungebrochene Energie
+einer gewaltigen Natur mit seinen Flammenworten dem juengeren Geschlecht in die
+Seele. Man antwortete dem Koenig das stolze Wort, das hier zuerst vernommen und
+seitdem Staatsgrundsatz ward, dass Rom nicht unterhandle, solange auswaertige
+Truppen auf italischem Gebiet staenden, und das Wort wahr zu machen, wies man
+den Gesandten sofort aus der Stadt. Der Zweck der Sendung war verfehlt und der
+gewandte Diplomat, statt mit seiner Redekunst Effekt zu machen, hatte vielmehr
+durch diesen maennlichen Ernst nach so schwerer Niederlage sich selber
+imponieren lassen - er erklaerte daheim, dass in dieser Stadt jeder Buerger ihm
+erschienen sei wie ein Koenig; freilich, der Hofmann hatte ein freies Volk zu
+Gesicht bekommen.
+</p>
+
+<p>
+Pyrrhos, der waehrend dieser Verhandlungen in Kampanien eingerueckt war, brach
+auf die Nachricht von ihrem Abbruch sogleich auf gegen Rom, um den Etruskern
+die Hand zu reichen, die Bundesgenossen Roms zu erschuettern, die Stadt selber
+zu bedrohen. Aber die Roemer liessen sich so wenig schrecken wie gewinnen. Auf
+den Ruf des Heroldes, &ldquo;an die Stelle der Gefallenen sich einschreiben zu
+lassen&rdquo;, hatte gleich nach der Schlacht von Herakleia die junge
+Mannschaft sich scharenweise zur Aushebung gedraengt; mit den beiden
+neugebildeten Legionen und dem aus Lucanien zurueckgezogenen Korps folgte
+Laevinus, staerker als vorher, dem Marsch des Koenigs; er deckte gegen
+denselben Capua und vereitelte dessen Versuche, mit Neapel Verbindungen
+anzuknuepfen. So straff war die Haltung der Roemer, dass ausser den
+unteritalischen Griechen kein namhafter Bundesstaat es wagte, vom roemischen
+Buendnis abzufallen. Da wandte Pyrrhos sich gegen Rom selbst. Durch die reiche
+Landschaft, deren bluehenden Zustand er mit Bewunderung schaute, zog er gegen
+Fregellae, das er ueberrumpelte, erzwang den Uebergang ueber den Liris und
+gelangte bis nach Anagnia, das nicht mehr als acht deutsche Meilen von Rom
+entfernt ist. Kein Heer warf sich ihm entgegen; aber ueberall schlossen die
+Staedte Latiums ihm die Tore, und gemessenen Schrittes folgte von Kampanien aus
+Laevinus ihm nach, waehrend von Norden der Konsul Tiberius Coruncanius, der
+soeben mit den Etruskern durch einen rechtzeitigen Friedensschluss sich
+abgefunden hatte, eine zweite roemische Armee heranfuehrte und in Rom selbst
+die Reserve unter dem Diktator Gnaeus Domitius Calvinus sich zum Kampfe fertig
+machte. Dagegen war nichts auszurichten; dem Koenig blieb nichts uebrig als
+umzukehren. Eine Zeitlang stand er noch in Kampanien den vereinigten Heeren der
+beiden Konsuln untaetig gegenueber; aber es bot sich keine Gelegenheit, einen
+Hauptschlag auszufuehren. Als der Winter herankam, raeumte der Koenig das
+feindliche Gebiet und verteilte seine Truppen in die befreundeten Staedte; er
+selbst nahm Winterquartier in Tarent. Hierauf stellten auch die Roemer ihre
+Operationen ein; das Heer bezog Standquartiere bei Firmum im Picenischen, wo
+auf Befehl des Senats die am Siris geschlagenen Legionen den Winter hindurch
+zur Strafe unter Zelten kampierten.
+</p>
+
+<p>
+So endigte der Feldzug des Jahres 474 (280). Der Sonderfriede, den Etrurien im
+entscheidenden Augenblick mit Rom abgeschlossen hatte, und des Koenigs
+unvermuteter Rueckzug, der die hochgespannten Hoffnungen der italischen
+Bundesgenossen gaenzlich taeuschte, wogen zum grossen Teil den Eindruck des
+Sieges von Herakleia auf. Die Italiker beschwerten sich ueber die Lasten des
+Krieges, namentlich ueber die schlechte Mannszucht der bei ihnen einquartierten
+Soeldner, und der Koenig, muede des kleinlichen Gezaenks und des unpolitischen
+wie unmilitaerischen Gehabens seiner Bundesgenossen, fing an zu ahnen, dass die
+Aufgabe, die ihm zugefallen war, trotz aller taktischen Erfolge politisch
+unloesbar sein moege. Die Ankunft einer roemischen Gesandtschaft, dreier
+Konsulate, darunter der Sieger von Thurii, Gaius Fabricius, liess einen
+Augenblick wieder die Friedenshoffnungen bei ihm erwachen; allein es zeigte
+sich bald, dass sie nur Vollmacht hatte, wegen Loesung oder Auswechselung der
+Gefangenen zu unterhandeln. Pyrrhos schlug diese Forderung ab, allein er
+entliess zur Feier der Saturnalien saemtliche Gefangene auf ihr Ehrenwort; dass
+sie es hielten und dass der roemische Gesandte einen Bestechungsversuch abwies,
+hat man in der Folgezeit in unschicklichster und mehr fuer die Ehrlosigkeit der
+spaeteren als die Ehrenhaftigkeit der frueheren Zeit bezeichnender Weise
+gefeiert.
+</p>
+
+<p>
+Mit dem Fruehjahr 475 (279) ergriff Pyrrhos abermals die Offensive und rueckte
+in Apulien ein, wohin das roemische Heer ihm entgegenkam. In der Hoffnung durch
+einen entscheidenden Sieg die roemische Symmachie in diesen Landschaften zu
+erschuettern, bot der Koenig eine zweite Schlacht an und die Roemer
+verweigerten sie nicht. Bei Ausculum (Ascoli di Puglia) trafen beide Heere
+aufeinander. Unter Pyrrhos&rsquo; Fahnen fochten ausser seinen epeirotischen
+und makedonischen Truppen die italischen Soeldner, die Buergerwehr - die
+sogenannten Weissschilde - von Tarent und die verbuendeten Lucaner, Brettier
+und Samniten, zusammen 70000 Mann zu Fuss, davon 16000 Griechen und Epeiroten,
+ueber 8000 Reiter und 19 Elefanten. Mit den Roemern standen an diesem Tage die
+Latiner, Kampaner, Volsker, Sabiner, Umbrer, Marruciner, Paeligner, Frentaner
+und Arpaner; auch sie zaehlten ueber 70000 Mann zu Fuss, darunter 20000
+roemische Buerger, und 8000 Reiter. Beide Teile hatten in ihrem Heerwesen
+Aenderungen vorgenommen. Pyrrhos, mit scharfem Soldatenblick die Vorzuege der
+roemischen Manipularordnung erkennend, hatte auf den Fluegeln die lange Front
+seiner Phalangen vertauscht mit einer der Kohortenstellung nachgebildeten
+unterbrochenen Aufstellung in Faehnlein und, vielleicht nicht minder aus
+politischen wie aus militaerischen Gruenden, zwischen die Abteilungen seiner
+eigenen Leute die tarentinischen und samnitischen Kohorten eingeschoben; im
+Mitteltreffen allein stand die epeirotische Phalanx in geschlossener Reihe. Die
+Roemer fuehrten zur Abwehr der Elefanten eine Art Streitwagen heran, aus denen
+Feuerbecken an eisernen Stangen hervorragten und auf denen bewegliche, zum
+Herablassen eingerichtete und in Eisenstachel endende Maste befestigt waren -
+gewissermassen das Vorbild der Enterbruecken, die im Ersten Punischen Krieg
+eine so grosse Rolle spielen sollten.
+</p>
+
+<p>
+Nach dem griechischen Schlachtbericht, der minder parteiisch scheint als der
+uns auch vorliegende roemische, waren die Griechen am ersten Tage im Nachteil,
+da sie weder dazu gelangten, an den schroffen und sumpfigen Flussufern, wo sie
+gezwungen wurden, das Gefecht anzunehmen, ihre Linie zu entwickeln, noch
+Reiterei und Elefanten ins Gefecht zu bringen. Am zweiten Tage kam dagegen
+Pyrrhos den Roemern in der Besetzung des durchschnittenen Terrains zuvor und
+erreichte so ohne Verlust die Ebene, wo er seine Phalanx ungestoert entfalten
+konnte. Vergeblich stuerzten sich die Roemer verzweifelten Muts mit ihren
+Schwertern auf die Sarissen; die Phalanx stand unerschuetterlich jedem Angriff
+von vorn, doch vermochte auch sie es nicht, die roemischen Legionen zum Weichen
+zu bringen. Erst als die zahlreiche Bedeckung der Elefanten die auf den
+roemischen Streitwagen fechtende Mannschaft durch Pfeile und Schleudersteine
+vertrieben und der Bespannung die Straenge zerschnitten hatte und nun die
+Elefanten gegen die roemische Linie anprallten, kam dieselbe ins Schwanken. Das
+Weichen der Bedeckungsmannschaft der roemischen Wagen gab das Signal zur
+allgemeinen Flucht, die indes nicht sehr zahlreiche Opfer kostete, da das nahe
+Lager die Verfolgten aufnahm. Dass waehrend des Haupttreffens ein von der
+roemischen Hauptmacht abgesondertes arpanisches Korps das schwach besetzte
+epeirotische Lager angegriffen und in Brand gesteckt habe, meldet nur der
+roemische Schlachtbericht; wenn es aber auch richtig ist, so haben doch die
+Roemer auf alle Faelle mit Unrecht behauptet, dass die Schlacht unentschieden
+geblieben sei. Beide Berichte stimmen vielmehr darin ueberein, dass das
+roemische Heer ueber den Fluss zurueckging und Pyrrhos im Besitz des
+Schlachtfeldes blieb. Die Zahl der Gefallenen war nach dem griechischen
+Berichte auf roemischer Seite 6000, auf griechischer 3505 ^3; unter den
+Verwundeten war der Koenig selbst, dem ein Wurfspiess den Arm durchbohrt hatte,
+waehrend er wie immer im dichtesten Getuemmel kaempfte. Wohl war es ein Sieg,
+den Pyrrhos erfochten hatte, aber es waren unfruchtbare Lorbeeren; als
+Feldherrn wie als Soldaten machte der Sieg dem Koenig Ehre, aber seine
+politischen Zwecke hat er nicht gefoerdert. Pyrrhos bedurfte eines glaenzenden
+Erfolges, der das roemische Heer aufloeste und den schwankenden Bundesgenossen
+die Gelegenheit und den Anstoss zum Parteiwechsel gab; da aber die roemische
+Armee und die roemische Eidgenossenschaft ungebrochen geblieben und das
+griechische Heer, das nichts war ohne seinen Feldherrn, durch dessen Verwundung
+auf laengere Zeit angefesselt ward, musste er wohl den Feldzug verloren geben
+und in die Winterquartiere gehen, die der Koenig in Tarent, die Roemer diesmal
+in Apulien nahmen. Immer deutlicher offenbarte es sich, dass militaerisch die
+Hilfsquellen des Koenigs den roemischen ebenso nachstanden, wie politisch die
+lose und widerspenstige Koalition den Vergleich nicht aushielt mit der
+festgegruendeten roemischen Symmachie. Wohl konnte das Ueberraschende und
+Gewaltige in der griechischen Kriegfuehrung, das Genie des Feldherrn noch einen
+Sieg mehr wie die von Herakleia und Ausculum erfechten, aber jeder neue Sieg
+vernutzte die Mittel zu weiteren Unternehmungen und es war klar, dass die
+Roemer schon jetzt sich als die Staerkeren fuehlten und den endlichen Sieg mit
+mutiger Geduld erharrten. Dieser Krieg war nicht das feine Kunstspiel, wie die
+griechischen Fuersten es uebten und verstanden; an der vollen und gewaltigen
+Energie der Landwehr zerschellten alle strategischen Kombinationen. Pyrrhos
+fuehlte, wie die Dinge standen; ueberdruessig seiner Siege und seine
+Bundesgenossen verachtend, harrte er nur aus, weil die militaerische Ehre ihm
+vorschrieb, Italien nicht zu verlassen, bevor er seine Schutzbefohlenen vor den
+Barbaren gesichert haben wuerde. Es war bei seinem ungeduldigen Naturell
+vorauszusetzen, dass er den ersten Vorwand ergreifen wuerde, um der laestigen
+Pflicht sich zu entledigen; und die Veranlassung, sich von Italien zu
+entfernen, boten bald die sizilischen Angelegenheiten ihm dar.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^3 Diese Zahlen scheinen glaubwuerdig. Der roemische Bericht gibt, wohl an
+Toten und Verwundeten, fuer jede Seite 15000 Mann an, ein spaeterer sogar auf
+roemischer 5000, auf griechischer 20000 Tote. Es mag das hier Platz finden um
+an einem der seltenen Beispiele, wo Kontrolle moeglich ist, die fast
+ausnahmslose Unglaubwuerdigkeit der Zahlenangaben zu zeigen, in denen die Luege
+bei den Annalisten lawinenartig anschwillt.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Nach Agathokles&rsquo; Tode (465 289) fehlte es den sizilischen Griechen an
+jeder leitenden Macht. Waehrend in den einzelnen hellenischen Staedten
+unfaehige Demagogen und unfaehige Tyrannen einander abloesten, dehnten die
+Karthager, die alten Herren der Westspitze, ihre Herrschaft ungestoert aus.
+Nachdem Akragas ihnen erlegen war, glaubten sie die Zeit gekommen, um zu dem
+seit Jahrhunderten im Auge behaltenen Ziel endlich den letzten Schritt zu tun
+und die ganze Insel unter ihre Botmaessigkeit zu bringen: sie wandten sich zum
+Angriff auf Syrakus. Die Stadt, die einst mit ihren Heeren und Flotten Karthago
+den Besitz der Insel streitig gemacht hatte, war durch den inneren Hader und
+die Schwaeche des Regiments so tief herabgekommen, dass sie ihre Rettung suchen
+musste in dem Schutz ihrer Mauern und in auswaertiger Hilfe; und niemand konnte
+diese gewaehren als Koenig Pyrrhos. Pyrrhos war des Agathokles Tochtermann,
+sein Sohn, der damals sechzehnjaehrige Alexander, des Agathokles Enkel, beide
+in jeder Beziehung die natuerlichen Erben der hochfliegenden Plaene des Herrn
+von Syrakus; und wenn es mit der Freiheit doch zu Ende war, konnte Syrakus
+Ersatz darin finden, die Hauptstadt eines westhellenischen Reiches zu sein. So
+trugen die Syrakusaner gleich den Tarentinern und unter aehnlichen Bedingungen
+dem Koenig Pyrrhos freiwillig die Herrschaft entgegen (um 475 279), und durch
+eine seltene Fuegung der Dinge schien sich alles zu vereinigen zum Gelingen der
+grossartigen, zunaechst auf den Besitz von Tarent und Syrakus gebauten Plaene
+des Epeirotenkoenigs.
+</p>
+
+<p>
+Freilich war die naechste Folge von dieser Vereinigung der italischen und
+sizilischen Griechen unter eine Hand, dass auch die Gegner sich enger
+zusammenschlossen. Karthago und Rom verwandelten ihre alten Handelsvertraege
+jetzt in ein Offensiv- und Defensivbuendnis gegen Pyrrhos (475 279), dessen
+Bedingungen dahin lauteten, dass, wenn Pyrrhos roemisches oder karthagisches
+Gebiet betrete, der nicht angegriffene Teil dem angegriffenen auf dessen Gebiet
+Zuzug leisten und die Hilfstruppen selbst besolden solle; dass in solchem Falle
+Karthago die Transportschiffe zu stellen und auch mit der Kriegsflotte den
+Roemern beizustehen sich verpflichte, doch solle deren Bemannung nicht gehalten
+sein, zu Lande fuer die Roemer zu fechten; dass endlich beide Staaten sich das
+Wort gaeben, keinen Sonderfrieden mit Pyrrhos zu schliessen. Der Zweck des
+Vertrages war auf roemischer Seite, einen Angriff auf Tarent moeglich zu machen
+und Pyrrhos von der Heimat abzuschneiden, was beides ohne Mitwirkung der
+punischen Flotte nicht ausfuehrbar war, auf seiten der Karthager, den Koenig in
+Italien festzuhalten, um ihre Absichten auf Syrakus ungestoert ins Werk setzen
+zu koennen ^4. Es lag also im Interesse beider Maechte, zunaechst sich des
+Meeres zwischen Italien und Sizilien zu versichern. Eine starke karthagische
+Flotte von 120 Segeln unter dem Admiral Mago ging von Ostia, wohin Mago sich
+begeben zu haben scheint, um jenen Vertrag abzuschliessen, nach der sizilischen
+Meerenge. Die Mamertiner, die fuer ihre Frevel gegen die griechische
+Bevoelkerung Messanas die gerechte Strafe erwartete, wenn Pyrrhos in Sizilien
+und Italien ans Regiment kam, schlossen sich eng an die Roemer und Karthager
+und sicherten diesen die sizilische Seite des Passes. Gern haetten die
+Verbuendeten auch Rhegion auf der gegenueberliegenden Kueste in ihre Gewalt
+gebracht; allein verzeihen konnte Rom der kampanischen Besatzung unmoeglich,
+und ein Versuch der vereinigten Roemer und Karthager, sich der Stadt mit
+gewaffneter Hand zu bemaechtigen, schlug fehl. Von dort segelte die
+karthagische Flotte nach Syrakus und blockierte die Stadt von der Seeseite,
+waehrend gleichzeitig ein starkes phoenikisches Heer die Belagerung zu Lande
+begann (476 278). Es war hohe Zeit, dass Pyrrhos in Syrakus erschien; aber
+freilich standen in Italien die Angelegenheiten keineswegs so, dass er und
+seine Truppen dort entbehrt werden konnten. Die beiden Konsuln des Jahres 476
+(278) Gaius Fabricius Luscinus und Quintus Aemilius Papus, beide erprobte
+Generale, hatten den neuen Feldzug kraeftig begonnen, und obwohl bisher die
+Roemerin diesem Kriege nur Niederlagen erlitten hatten, waren nicht sie es,
+sondern die Sieger, die sich ermattet fuehlten und den Frieden
+herbeiwuenschten. Pyrrhos machte noch einen Versuch, ein leidliches Abkommen zu
+erlangen. Der Konsul Fabricius hatte dem Koenig einen Elenden zugesandt, der
+ihm den Antrag gemacht, gegen gute Bezahlung den Koenig zu vergiften. Zum Dank
+gab der Koenig nicht bloss alle roemischen Gefangenen ohne Loesegeld frei,
+sondern er fuehlte sich so hingerissen von dem Edelsinn seiner tapferen Gegner,
+dass er zur Belohnung ihnen selber einen ungemein billigen und guenstigen
+Frieden antrug. Kineas scheint noch einmal nach Rom gegangen zu sein und
+Karthago ernstlich gefuerchtet zu haben, dass sich Rom zum Frieden bequeme.
+Indes der Senat blieb fest und wiederholte seine fruehere Antwort. Wollte der
+Koenig nicht Syrakus den Karthagern in die Haende fallen und damit seinen
+grossen Plan sich zerstoeren lassen, so blieb ihm nichts anderes uebrig, als
+seine italischen Bundesgenossen preiszugeben und sich vorlaeufig auf den Besitz
+der wichtigsten Hafenstaedte, namentlich von Tarent und Lokri, zu beschraenken.
+Vergebens beschworen ihn die Lucaner und Samniten, sie nicht im Stich zu
+lassen; vergebens forderten die Tarentiner ihn auf, entweder seiner
+Feldherrnpflicht nachzukommen oder die Stadt ihnen zurueckzugeben. Den Klagen
+und Vorwuerfen setzte der Koenig Vertroestungen auf kuenftige bessere Zeiten
+oder auch derbe Abweisung entgegen; Milon blieb in Tarent zurueck, des Koenigs
+Sohn Alexander in Lokri und mit der Hauptmacht schiffte noch im Fruehjahr 476
+(278) sich Pyrrhos in Tarent nach Syrakus ein.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^4 Die spaeteren Roemer und mit ihnen die neueren geben dem Buendnis die
+Wendung, als haetten die Roemer absichtlich vermieden, die karthagische Hilfe
+in Italien anzunehmen. Das waere unvernuenftig gewesen, und die Tatsachen
+sprechen dagegen. Dass Mago in Ostia nicht landete, erklaert sich nicht aus
+solcher Vorsicht, sondern einfach daraus, dass Latium von Pyrrhos ganz und gar
+nicht bedroht war und karthagischen Beistandes also nicht bedurfte; und vor
+Rhegion kaempften die Karthager allerdings fuer Rom.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Nach Pyrrhos&rsquo; Abzug erhielten die Roemer freie Hand in Italien, wo
+niemand ihnen auf offenem Felde zu widerstehen wagte und die Gegner ueberall
+sich einschlossen in ihre Festen oder in ihre Waelder. Indes der Kampf ging
+nicht so schnell zu Ende, wie man wohl gehofft haben mochte, woran teils die
+Natur dieses Gebirgs- und Belagerungskrieges schuld war, teils wohl auch die
+Erschoepfung der Roemer, von deren furchtbaren Verlusten das Sinken der
+Buergerrolle von 473 (281) auf 479 (275) um 17000 Koepfe zeugt. Noch im Jahre
+476 (278) gelang es dem Konsul Gaius Fabricius, die bedeutende tarentinische
+Pflanzstadt Herakleia zu einem Sonderfrieden zu bringen, der ihr unter den
+guenstigsten Bedingungen gewaehrt ward. Im Feldzug von 477 (277) schlug man
+sich in Samnium herum, wo ein leichtsinnig unternommener Angriff auf die
+verschanzten Hoehen den Roemern viele Leute kostete, und wandte sich alsdann
+nach dem suedlichen Italien, wo die Lucaner und Brettier geschlagen wurden.
+Dagegen kam bei einem Versuch, Kroton zu ueberrumpeln, Milon von Tarent aus den
+Roemern zuvor; die epeirotische Besatzung machte alsdann sogar einen
+gluecklichen Ausfall gegen das belagernde Heer. Indes gelang es endlich dem
+Konsul dennoch, dieselbe durch eine Kriegslist zum Abmarsch zu bestimmen und
+der unverteidigten Stadt sich zu bemaechtigen (477 277). Wichtiger war es, dass
+die Lokrenser, die frueher die roemische Besatzung dem Koenig ausgeliefert
+hatten, jetzt, den Verrat durch Verrat suehnend, die epeirotische erschlugen;
+womit die ganze Suedkueste in den Haenden der Roemer war mit Ausnahme von
+Rhegion und Tarent. Indes mit diesen Erfolgen war man im wesentlichen doch
+wenig gefoerdert. Unteritalien selbst war laengst wehrlos; Pyrrhos aber war
+nicht bezwungen, solange Tarent in seinen Haenden und ihm damit die
+Moeglichkeit blieb, den Krieg nach Belieben wieder zu erneuern, und an die
+Belagerung dieser Stadt konnten die Roemer nicht denken. Selbst davon
+abgesehen, dass in dem durch Philipp von Makedonien und Demetrios den Belagerer
+umgeschaffenen Festungskrieg die Roemer gegen einen erfahrenen und
+entschlossenen griechischen Kommandanten im entschiedensten Nachteil waren,
+bedurfte es dazu einer starken Flotte, und obwohl der karthagische Vertrag den
+Roemern Unterstuetzung zur See verhiess, so standen doch Karthagos eigene
+Angelegenheiten in Sizilien durchaus nicht so, dass es diese haette gewaehren
+koennen.
+</p>
+
+<p>
+Pyrrhos&rsquo; Landung auf der Insel, welche trotz der karthagischen Flotte
+ungehindert erfolgt war, hatte dort mit einem Schlage die Lage der Dinge
+veraendert. Er hatte Syrakus sofort entsetzt, alle freien Griechenstaedte in
+kurzer Zeit in seiner Hand vereinigt und als Haupt der sikeliotischen
+Konfoederation den Karthagern fast ihre saemtlichen Besitzungen entrissen. Kaum
+vermochten mit Hilfe der damals auf dem Mittelmeer ohne Nebenbuhler
+herrschenden karthagischen Flotte sich die Karthager in Lilybaeon, die
+Mamertiner in Messana, und auch hier unter steten Angriffen, zu behaupten.
+Unter solchen Umstaenden waere in Gemaessheit des Vertrags von 475 (279) viel
+eher Rom im Fall gewesen, den Karthagern auf Sizilien Beistand zu leisten, als
+Karthago mit seiner Flotte den Roemern Tarent erobern zu helfen; ueberhaupt
+aber war man eben von keiner Seite sehr geneigt, dem Bundesgenossen die Macht
+zu sichern oder gar zu erweitern. Karthago hatte den Roemern die Hilfe erst
+angeboten, als die wesentliche Gefahr vorueber war; diese ihrerseits hatten
+nichts getan, den Abzug des Koenigs aus Italien, den Sturz der karthagischen
+Macht in Sizilien zu verhindern. Ja in offener Verletzung der Vertraege hatte
+Karthago sogar dem Koenig einen Sonderfrieden angetragen und gegen den
+ungestoerten Besitz von Lilybaeon sich erboten, auf die uebrigen sizilischen
+Besitzungen zu verzichten, sogar dem Koenig Geld und Kriegsschiffe zur
+Verfuegung zu stellen, natuerlich zur Ueberfahrt nach Italien und zur
+Erneuerung des Krieges gegen Rom. Indes es war einleuchtend, dass mit dem
+Besitz von Lilybaeon und der Entfernung des Koenigs die Stellung der Karthager
+auf der Insel ungefaehr dieselbe geworden waere, wie sie vor Pyrrhos&rsquo;
+Landung gewesen war; sich selbst ueberlassen waren die griechischen Staedte
+ohnmaechtig und das verlorene Gebiet leicht wiedergewonnen. So schlug Pyrrhos
+den nach zwei Seiten hin perfiden Antrag aus und ging daran, sich selber eine
+Kriegsflotte zu erbauen. Nur Unverstand und Kurzsichtigkeit haben dies spaeter
+getadelt; es war vielmehr ebenso notwendig als mit den Mitteln der Insel leicht
+durchzufuehren. Abgesehen davon, dass der Herr von Ambrakia, Tarent und Syrakus
+nicht ohne Seemacht sein konnte, bedurfte er der Flotte, um Lilybaeon zu
+erobern, um Tarent zu schuetzen, um Karthago daheim anzugreifen, wie es
+Agathokles, Regulus, Scipio vor- und nachher mit so grossem Erfolg getan. Nie
+stand Pyrrhos seinem Ziele naeher als im Sommer 478 (276), wo er Karthago
+gedemuetigt vor sich sah, Sizilien beherrschte und mit Tarents Besitz einen
+festen Fuss in Italien behauptete, und wo die neugeschaffene Flotte, die alle
+diese Erfolge zusammenknuepfen, sichern und steigern sollte, zur Abfahrt fertig
+im Hafen von Syrakus lag.
+</p>
+
+<p>
+Die wesentliche Schwaeche von Pyrrhos&rsquo; Stellung beruhte auf seiner
+fehlerhaften inneren Politik. Er regierte Sizilien wie er Ptolemaeos hatte in
+Aegypten herrschen sehen; er respektierte die Gemeindeverfassungen nicht,
+setzte seine Vertrauten zu Amtleuten ueber die Staedte wann und auf so lange es
+ihm gefiel, gab anstatt der einheimischen Geschworenen seine Hofleute zu
+Richtern, sprach Konfiskationen, Verbannungen, Todesurteile nach Gutduenken aus
+und selbst ueber diejenigen, die seine Ueberkunft nach Sizilien am lebhaftesten
+betrieben hatten, legte Besatzungen in die Staedte und beherrschte Sizilien
+nicht als der Fuehrer des Nationalbundes, sondern als Koenig. Mochte er dabei
+nach orientalisch-hellenistischen Begriffen sich ein guter und weiser Regent zu
+sein duenken und auch wirklich sein, so ertrugen doch die Griechen diese
+Verpflanzung des Diadochensystems nach Syrakus mit aller Ungeduld einer in
+langer Freiheitsagonie aller Zucht entwoehnten Nation; sehr bald duenkte das
+karthagische Joch dem toerichten Volk ertraeglicher als das neue
+Soldatenregiment. Die bedeutendsten Staedte knuepften mit den Karthagern, ja
+mit den Mamertinern Verbindungen an; ein starkes karthagisches Heer wagte
+wieder, sich auf der Insel zu zeigen und, ueberall von den Griechen
+unterstuetzt, machte es reissende Fortschritte. Zwar in der Schlacht, die
+Pyrrhos ihm lieferte, war das Glueck wie immer mit dem &ldquo;Adler&rdquo;;
+allein es hatte sich bei dieser Gelegenheit offenbart, wie die Stimmung auf der
+Insel war und was kommen konnte und musste, wenn der Koenig sich entfernte.
+</p>
+
+<p>
+Zu diesem ersten und wesentlichsten Fehler fuegte Pyrrhos einen zweiten: er
+ging mit der Flotte statt nach Lilybaeon nach Tarent. Augenscheinlich musste
+er, eben bei der Gaerung in den Gemuetern der Sikelioten, vor allen Dingen erst
+von dieser Insel die Karthager ganz verdraengt und damit den Unzufriedenen den
+letzten Rueckhalt abgeschnitten haben, ehe er nach Italien sich wenden durfte;
+hier war nichts zu versaeumen, denn Tarent war ihm sicher genug und an den
+uebrigen Bundesgenossen, nachdem sie einmal aufgegeben waren, jetzt wenig
+gelegen. Es ist begreiflich, dass sein Soldatensinn ihn trieb, den nicht sehr
+ehrenvollen Abzug vom Jahre 476 (278) durch eine glaenzende Wiederkehr
+auszutilgen und dass ihm das Herz blutete, wenn er die Klagen der Lucaner und
+Samniten vernahm. Allein Aufgaben, wie sie Pyrrhos sich gestellt hatte, koennen
+nur geloest werden von eisernen Naturen, die das Mitleid und selbst das
+Ehrgefuehl zu beherrschen vermoegen; und eine solche war Pyrrhos nicht.
+</p>
+
+<p>
+Die verhaengnisvolle Einschiffung fand statt gegen das Ende des Jahres 478
+(276). Unterwegs hatte die neue syrakusanische Flotte mit der karthagischen ein
+heftiges Gefecht zu bestehen und buesste darin eine betraechtliche Anzahl
+Schiffe ein. Die Entfernung des Koenigs und die Kunde von diesem ersten Unfall
+genuegten zum Sturz des sikeliotischen Reiches; auf sie hin weigerten alle
+Staedte dem abwesenden Koenig Geld und Truppen und der glaenzende Staat brach
+schneller noch als er entstanden war wiederum zusammen, teils weil der Koenig
+selbst die Treue und Liebe, auf der jedes Gemeinwesen ruht, in den Herzen
+seiner Untertanen untergraben hatte, teils weil es dem Volk an der Hingebung
+fehlte, zur Rettung der Nationalitaet auf vielleicht nur kurze Zeit der
+Freiheit zu entsagen. Damit war Pyrrhos&rsquo; Unternehmen gescheitert, der
+Plan seines Lebens ohne Aussicht dahin; er ist fortan ein Abenteurer, der es
+fuehlt, dass er viel gewesen und nichts mehr ist, der den Krieg nicht mehr als
+Mittel zum Zwecke fuehrt, sondern, um in wildem Wuerfelspiel sich zu betaeuben
+und womoeglich im Schlachtgetuemmel einen Soldatentod zu finden. An der
+italischen Kueste angelangt, begann der Koenig mit einem Versuch, sich Rhegions
+zu bemaechtigen, aber mit Hilfe der Mamertiner schlugen die Kampaner den
+Angriff ab, und in dem hitzigen Gefecht vor der Stadt ward der Koenig selbst
+verwundet, indem er einen feindlichen Offizier vom Pferde hieb. Dagegen
+ueberrumpelte er Lokri, dessen Einwohner die Niedermetzelung der epeirotischen
+Besatzung schwer buessten, und pluenderte den reichen Schatz des
+Persephonetempels daselbst, um seine leere Kasse zu fuellen. So gelangte er
+nach Tarent, angeblich mit 20000 Mann zu Fuss und 3000 Reitern. Aber es waren
+nicht mehr die erprobten Veteranen von vordem und nicht mehr begruessten die
+Italiker in ihnen ihre Retter; das Vertrauen und die Hoffnung, damit man den
+Koenig fuenf Jahre zuvor empfing, waren gewichen, den Verbuendeten Geld und
+Mannschaft ausgegangen. Den schwer bedraengten Samniten, in deren Gebiet die
+Roemer 478/79 (276/75) ueberwintert hatten, zu Hilfe rueckte der Koenig im
+Fruehjahr 479 (275) ins Feld und zwang bei Benevent auf dem Arusinischen Felde
+den Konsul Manius Curius zur Schlacht, bevor er sich mit seinem von Lucanien
+heranrueckenden Kollegen vereinigen konnte. Aber die Heeresabteilung, die den
+Roemern in die Flanke zu fallen bestimmt war, verirrte sich waehrend des
+Nachtmarsches in den Waeldern und blieb im entscheidenden Augenblick aus; und
+nach heftigem Kampf entschieden auch hier wieder die Elefanten die Schlacht,
+aber diesmal fuer die Roemer, indem sie, von den zur Bedeckung des Lagers
+aufgestellten Schuetzen in Verwirrung gebracht, auf ihre eigenen Leute sich
+warfen. Die Sieger besetzten das Lager; in ihre Haende fielen 1300 Gefangene
+und vier Elefanten - die ersten, die Rom sah, ausserdem eine unermessliche
+Beute, aus deren Erloes spaeter in Rom der Aquaedukt, welcher das Aniowasser
+von Tibur nach Rom fuehrte, gebaut ward. Ohne Truppen, um das Feld zu halten,
+und ohne Geld sandte Pyrrhos an seine Verbuendeten, die ihm zur Ausruestung
+nach Italien gesteuert hatten, die Koenige von Makedonien und Asien; aber auch
+in der Heimat fuerchtete man ihn nicht mehr und schlug die Bitte ab.
+Verzweifelnd an dem Erfolg gegen Rom und erbittert durch diese Weigerungen
+liess Pyrrhos Besatzung in Tarent und ging selber noch im selben Jahre (479
+275) heim nach Griechenland, wo eher noch als bei dem stetigen und gemessenen
+Gang der italischen Verhaeltnisse sich dem verzweifelten Spieler eine Aussicht
+eroeffnen mochte. In der Tat gewann er nicht bloss schnell zurueck, was von
+seinem Reiche war abgerissen worden, sondern er griff noch einmal und nicht
+ohne Erfolg nach der makedonischen Krone. Allein an Antigonos Gonatas&rsquo;
+ruhiger und umsichtiger Politik und mehr noch an seinem eigenen Ungestuem und
+der Unfaehigkeit, den stolzen Sinn zu zaehmen, scheiterten auch seine letzten
+Plaene; er gewann noch Schlachten, aber keinen dauernden Erfolg mehr und fand
+sein Ende in einem elenden Strassengefecht im peloponnesischen Argos (482 272).
+</p>
+
+<p>
+In Italien ist der Krieg zu Ende mit der Schlacht bei Benevent; langsam
+verenden die letzten Zuckungen der nationalen Partei. Zwar so lange der
+Kriegsfuerst, dessen maechtiger Arm es gewagt hatte, dem Schicksal in die
+Zuegel zu fallen, noch unter den Lebenden war, hielt er, wenngleich abwesend,
+gegen Rom die feste Burg von Tarent. Mochte auch nach des Koenigs Entfernung in
+der Stadt die Friedenspartei die Oberhand gewinnen, Milon, der fuer Pyrrhos
+darin den Befehl fuehrte, wies ihre Anmutungen ab und liess die roemisch
+gesinnten Staedter in dem Kastell, das sie im Gebiet von Tarent sich errichtet
+hatten, auf ihre eigene Hand mit Rom Frieden schliessen, wie es ihnen beliebte,
+ohne darum seine Tore zu oeffnen. Aber als nach Pyrrhos&rsquo; Tode eine
+karthagische Flotte in den Hafen einlief und Milon die Buergerschaft im Begriff
+sah, die Stadt an die Karthager auszuliefern, zog er es vor, dem roemischen
+Konsul Lucius Papirius die Burg zu uebergeben (482 272) und damit fuer sich und
+die Seinigen freien Abzug zu erkaufen. Fuer die Roemer war dies ein ungeheurer
+Gluecksfall. Nach den Erfahrungen, die Philipp vor Perinth und Byzanz,
+Demetrios vor Rhodos, Pyrrhos vor Lilybaeon gemacht hatten, laesst sich
+bezweifeln, ob die damalige Strategik ueberhaupt imstande war, eine
+wohlbefestigte und wohlverteidigte und von der See her zugaengliche Stadt zur
+Uebergabe zu zwingen; und welche Wendung haetten die Dinge nehmen moegen, wenn
+Tarent das in Italien fuer die Phoeniker geworden waere, was in Sizilien
+Lilybaeon fuer sie gewesen war! Indes das Geschehene war nicht zu aendern. Der
+karthagische Admiral, da er die Burg in den Haenden der Roemer sah, erklaerte,
+nur vor Tarent erschienen zu sein, um dem Vertrage gemaess den Bundesgenossen
+bei der Belagerung der Stadt Hilfe zu leisten, und ging unter Segel nach
+Afrika; und die roemische Gesandtschaft, welche wegen der versuchten Okkupation
+von Tarent Aufklaerung zu fordern und Beschwerde zu fuehren nach Karthago
+gesandt ward, brachte nichts zurueck als die feierliche und eidliche
+Bekraeftigung dieser angeblichen bundesfreundlichen Absicht, wobei man denn
+auch in Rom vorlaeufig sich beruhigte. Die Tarentiner erhielten, vermutlich
+durch Vermittlung ihrer Emigrierten, die Autonomie von den Roemern zurueck;
+aber Waffen und Schiffe mussten ausgeliefert und die Mauern niedergerissen
+werden.
+</p>
+
+<p>
+In demselben Jahre, in dem Tarent roemisch ward, unterwarfen sich endlich auch
+die Samniten, Lucaner und Brettier, welche letztere die Haelfte des
+eintraeglichen und fuer den Schiffbau wichtigen Silawaldes abtreten mussten.
+</p>
+
+<p>
+Endlich traf auch die seit zehn Jahren in Rhegion hausende Bande die Strafe
+fuer den gebrochenen Fahneneid wie fuer den Mord der rheginischen Buergerschaft
+und der Besatzung von Kroton. Es war zugleich die allgemeine Sache der Hellenen
+gegen die Barbaren, welche Rom hier vertrat; der neue Herr von Syrakus, Hieron,
+unterstuetzte darum auch die Roemer vor Rhegion durch Sendung von Lebensmitteln
+und Zuzug und machte gleichzeitig einen mit der roemischen Expedition gegen
+Rhegion kombinierten Angriff auf deren Stamm- und Schuldgenossen in Sizilien,
+die Mamertiner in Messana. Die Belagerung der letzteren Stadt zog sich sehr in
+die Laenge; dagegen wurde Rhegion, obwohl auch hier die Meuterer hartnaeckig
+und lange sich wehrten, im Jahre 484 (270) von den Roemern erstuermt, was von
+der Besatzung uebrig war, in Rom auf offenem Markte gestaeupt und enthauptet,
+die alten Einwohner aber zurueckgerufen und soviel moeglich in ihr Vermoegen
+wieder eingesetzt. So war im Jahre 484 (270) ganz Italien zur Untertaenigkeit
+gebracht. Nur die hartnaeckigsten Gegner Roms, die Samniten, setzten trotz des
+offiziellen Friedensschlusses noch als &ldquo;Raeuber&rdquo; den Kampf fort,
+sodass sogar im Jahre 485 (269) noch einmal beide Konsuln gegen sie geschickt
+werden mussten. Aber auch der hochherzigste Volksmut, die tapferste
+Verzweiflung gehen einmal zu Ende; Schwert und Galgen brachten endlich auch den
+samnitischen Bergen die Ruhe.
+</p>
+
+<p>
+Zur Sicherung dieser ungeheuren Erwerbungen wurde wiederum eine Reihe von
+Kolonien angelegt: in Lucanien Paestum und Cosa (481 273), als Zwingburgen fuer
+Samnium Beneventum (486 268) und Aesernia (um 491 263), als Vorposten gegen die
+Gallier Ariminum (486 268), in Picenum Firmum (um 490 264) und die
+Buergerkolonie Castrum novum; die Fortfuehrung der grossen Suedchaussee, welche
+an der Festung Benevent eine neue Zwischenstation zwischen Capua und Venusia
+erhielt, bis zu den Haefen von Tarent und Brundisium und die Kolonisierung des
+letzteren Seeplatzes, den die roemische Politik zum Nebenbuhler und Nachfolger
+des tarentinischen Emporiums sich ausersehen hatte, wurden vorbereitet. Die
+neuen Festungs- und Strassenanlagen veranlassten noch einige Kriege mit den
+kleinen Voelkerschaften, deren Gebiet durch dieselben geschmaelert ward, den
+Picentern (485, 486 269, 268), von denen eine Anzahl in die Gegend von Salernum
+verpflanzt ward, den Sallentinern um Brundisium (487, 488 267, 266), den
+umbrischen Sassinaten (487, 488 267, 266), welche letzte nach der Austreibung
+der Senonen das Gebiet von Ariminum besetzt zu haben scheinen. Durch diese
+Anlagen ward die Herrschaft Roms ueber das unteritalische Binnenland und die
+ganze italische Ostkueste vom Ionischen Meer bis zur keltischen Grenze
+ausgedehnt.
+</p>
+
+<p>
+Bevor wir die politische Ordnung darstellen, nach der das also geeinigte
+Italien von Rom aus regiert ward, bleibt es noch uebrig, auf die
+Seeverhaeltnisse im vierten und fuenften Jahrhundert einen Blick zu werfen. Es
+waren in dieser Zeit wesentlich Syrakus und Karthago, die um die Herrschaft in
+den westlichen Gewaessern miteinander rangen; im ganzen ueberwog trotz der
+grossen Erfolge, welche Dionysios (348-389 406-365), Agathokles (437-465
+317-289) und Pyrrhos (476-478 278-276) voruebergehend zur See erlangten, doch
+hier Karthago und sank Syrakus mehr und mehr zu einer Seemacht zweiten Ranges
+herab. Mit Etruriens Bedeutung zur See war es voellig vorbei; die bisher
+etruskische Insel Korsika kam, wenn nicht gerade in den Besitz, doch unter die
+maritime Suprematie der Karthager. Tarent, das eine Zeitlang noch eine Rolle
+gespielt hatte, ward durch die roemische Okkupation gebrochen. Die tapferen
+Massalioten behaupteten sich wohl in ihren eigenen Gewaessern; aber in die
+Vorgaenge auf den italischen griffen sie nicht wesentlich ein. Die uebrigen
+Seestaedte kamen kaum noch ernstlich in Betracht.
+</p>
+
+<p>
+Rom selber entging dem gleichen Schicksal nicht; in seinen eigenen Gewaessern
+herrschten ebenfalls fremde Flotten. Wohl war es Seestadt von Haus aus und ist
+in der Zeit seiner Frische seinen alten Traditionen niemals so untreu geworden,
+dass es die Kriegsmarine gaenzlich vernachlaessigt haette, und nie so toericht
+gewesen, bloss Kontinentalmacht sein zu wollen. Latium lieferte zum Schiffbau
+die schoensten Staemme, welche die geruehmten unteritalischen bei weitem
+uebertrafen, und die fortdauernd in Rom unterhaltenen Docks beweisen allein
+schon, dass man dort nie darauf verzichtet hat, eine eigene Flotte zu besitzen.
+Indes waehrend der gefaehrlichen Krisen, welche die Vertreibung der Koenige,
+die inneren Erschuetterungen in der roemisch-latinischen Eidgenossenschaft und
+die ungluecklichen Kriege gegen die Etrusker und die Kelten ueber Rom brachten,
+konnten die Roemer sich um den Stand der Dinge auf dem Mittelmeer nur wenig
+bekuemmern, und bei der immer entschiedener hervortretenden Richtung der
+roemischen Politik auf Unterwerfung des italischen Kontinents verkuemmerte die
+Seemacht. Es ist bis zum Ende des vierten Jahrhunderts (ca. 350) kaum von
+latinischen Kriegsschiffen die Rede, ausser dass auf einem roemischen das
+Weihgeschenk aus der veientischen Beute nach Delphi gesandt ward (360 394). Die
+Antiaten freilich fuhren fort, ihren Handel mit bewaffneten Schiffen und also
+auch gelegentlich das Piratengewerbe zu betreiben und der &ldquo;tyrrhenische
+Korsar&rdquo; Postumius, den Timoleon um 415 (339) aufbrachte, koennte
+allerdings ein Antiate gewesen sein; aber unter den Seemaechten jener Zeit
+zaehlten sie schwerlich mit und waere es der Fall gewesen, so wuerde bei der
+Stellung Antiums zu Rom darin fuer Rom nichts weniger als ein Vorteil gelegen
+haben. Wie weit es um das Jahr 400 (ca. 350) mit dem Verfall der roemischen
+Seemacht gekommen war, zeigt die Auspluenderung der latinischen Kuesten durch
+eine griechische, vermutlich sizilische Kriegsflotte im Jahre 405 (349),
+waehrend zugleich keltische Haufen das latinische Land brandschatzend
+durchzogen. Das Jahr darauf (406 348), und ohne Zweifel unter dem unmittelbaren
+Eindruck dieser bedenklichen Ereignisse, schlossen die roemische Gemeinde und
+die Phoeniker von Karthago, beiderseits fuer sich und die abhaengigen
+Bundesgenossen, einen Handels- und Schiffahrtsvertrag, die aelteste roemische
+Urkunde, von der der Text, freilich nur in griechischer Uebersetzung, auf uns
+gekommen ist ^5. Die Roemer mussten darin sich verpflichten, die libysche
+Kueste westlich vom Schoenen Vorgebirge (Cap Bon), Notfaelle ausgenommen, nicht
+zu befahren; dagegen erhielten sie freien Verkehr gleich den einheimischen auf
+Sizilien, soweit dies karthagisch war, und in Afrika und Sardinien wenigstens
+das Recht, gegen den unter Zuziehung der karthagischen Beamten festgestellten
+und von der karthagischen Gemeinde garantierten Kaufpreis ihre Waren
+abzusetzen. Den Karthagern scheint wenigstens in Rom, vielleicht in ganz Latium
+freier Verkehr zugestanden zu sein, nur machten sie sich anheischig, die
+botmaessigen latinischen Gemeinden nicht zu vergewaltigen, auch, wenn sie als
+Feinde den latinischen Boden betreten wuerden, dort nicht Nachtquartier zu
+nehmen - also ihre Seeraeuberzuege nicht in das Binnenland auszudehnen - noch
+gar Festungen im latinischen Lande anzulegen. Wahrscheinlich in dieselbe Zeit
+gehoert auch der oben schon erwaehnte Vertrag zwischen Rom und Tarent, von
+dessen Entstehungszeit nur berichtet wird, dass er laengere Zeit vor 472 (282)
+abgeschlossen ward; durch denselben verpflichteten sich die Roemer, gegen
+welche Zusicherungen tarentinischerseits wird nicht gesagt, die Gewaesser
+oestlich vom Lakinischen Vorgebirge nicht zu befahren, wodurch sie also voellig
+vom oestlichen Becken des Mittelmeeres ausgeschlossen wurden.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^5 Die Nachweisung, dass die bei Polybios (3, 22) mitgeteilte Urkunde nicht dem
+Jahre 245 (509), sondern dem Jahre 406 (348) angehoert, ist in der Roemischen
+Chronologie bis auf Caesar. 2. Aufl. Berlin 1859, S. 320f., gegeben worden.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Es waren dies Niederlagen so gut wie die an der Allia, und auch der roemische
+Senat scheint sie als solche empfunden und die guenstige Wendung, die die
+italischen Verhaeltnisse bald nach dem Abschluss der demuetigenden Vertraege
+mit Karthago und Tarent fuer Rom nahmen, mit aller Energie benutzt zu haben, um
+die gedrueckte maritime Stellung zu verbessern. Die wichtigsten Kuestenstaedte
+wurden mit roemischen Kolonien belegt: der Hafen von Caere, Pyrgi, dessen
+Kolonisierung wahrscheinlich in diese Zeit faellt; ferner an der Westkueste
+Antium im Jahre 415 (339); Tarracina im Jahre 425 (329), die Insel Pontia 441
+(313), womit, da Ardea und Circeii bereits frueher Kolonisten empfangen hatten,
+alle namhaften Seeplaetze im Gebiet der Rutuler und Volsker latinische oder
+Buergerkolonien geworden waren; weiter im Gebiet der Aurunker Minturnae und
+Sinuessa im Jahre 459 (295), im lucanischen Paestum und Cosa im Jahre 481
+(273), und am adriatischen Litoral Sena gallica und Castrum novum um das Jahr
+471 (283), Ariminum im Jahre 486 (268), wozu noch die gleich nach der
+Beendigung des Pyrrhischen Krieges erfolgte Besetzung von Brundisium
+hinzukommt. In der groesseren Haelfte dieser Ortschaften, den Buerger- oder
+Seekolonien ^6, war die junge Mannschaft vom Dienst in den Legionen befreit und
+lediglich bestimmt, die Kuesten zu ueberwachen. Die gleichzeitige
+wohlueberlegte Bevorzugung der unteritalischen Griechen vor ihren sabellischen
+Nachbarn, namentlich der ansehnlichen Gemeinden Neapolis, Rhegion, Lokri,
+Thurii, Herakleia, und deren gleichartige und unter gleichartigen Bedingungen
+gewaehrte Befreiung vom Zuzug zum Landheer vollendete das um die Kuesten
+Italiens gezogene roemische Netz.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^6 Es waren dies Pyrgi, Ostia, Antium, Tarracina, Minturnae, Sinuessa, Sena
+gallica und Castrum novum.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Aber mit einer staatsmaennischen Sicherheit, von welcher die folgenden
+Generationen haetten lernen koennen, erkannten es die leitenden Maenner des
+roemischen Gemeinwesens, dass alle diese Kuestenbefestigungen und
+Kuestenbewachungen unzulaenglich bleiben mussten, wenn nicht die Kriegsmarine
+des Staats wieder auf einen achtunggebietenden Fuss gebracht ward. Einen
+gewissen Grund dazu legte schon nach der Unterwerfung von Antium (416 338) die
+Abfuehrung der brauchbaren Kriegsgaleeren in die roemischen Docks; die
+gleichzeitige Verfuegung indes, dass die Antiaten sich alles Seeverkehrs zu
+enthalten haetten ^7, charakterisiert mit schneidender Deutlichkeit, wie
+ohnmaechtig damals die Roemer noch zur See sich fuehlten und wie voellig ihre
+Seepolitik noch aufging in der Okkupierung der Kuestenplaetze. Als sodann die
+sueditalischen Griechenstaedte, zuerst 428 (326) Neapel, in die roemische
+Klientel eintraten, machten die Kriegsschiffe, welche jede dieser Staedte sich
+verpflichtete, den Roemern als bundesmaessige Kriegshilfe zu stellen, zu einer
+roemischen Flotte wenigstens wieder einen Anfang. Im Jahre 443 (311) wurden
+weiter infolge eines eigens deswegen gefassten Buergerschaftsschlusses zwei
+Flottenherren (duoviri navales) ernannt, und diese roemische Seemacht wirkte im
+Samnitischen Kriege mit bei der Belagerung von Nuceria. Vielleicht gehoert
+selbst die merkwuerdige Sendung einer roemischen Flotte von 25 Segeln zur
+Gruendung einer Kolonie auf Korsika, welcher Theophrastos in seiner um 446
+(308) geschriebenen Pflanzengeschichte gedenkt, dieser Zeit an. Wie wenig aber
+mit allem dem unmittelbar erreicht war, zeigt der im Jahre 448 (306) erneuerte
+Vertrag mit Karthago. Waehrend die Italien und Sizilien betreffenden
+Bestimmungen des Vertrages von 406 (348) unveraendert blieben, wurde den
+Roemern ausser der Befahrung der oestlichen Gewaesser jetzt weiter die frueher
+gestattete des Atlantischen Meers, sowie der Handelsverkehr mit den Untertanen
+Karthagos in Sardinien und Afrika, endlich wahrscheinlich auch die Festsetzung
+auf Korsika ^8 untersagt, sodass nur das karthagische Sizilien und Karthago
+selbst ihrem Handel geoeffnet blieben. Man erkennt hier die mit der Ausdehnung
+der roemischen Kuestenherrschaft steigende Eifersucht der herrschenden
+Seemacht: sie zwang die Roemer, sich ihrem Prohibitivsystem zu fuegen, sich von
+den Produktionsplaetzen im Okzident und im Orient ausschliessen zu lassen - in
+diesen Zusammenhang gehoert noch die Erzaehlung von der oeffentlichen Belohnung
+des phoenikischen Schiffers, der ein in den Atlantischen Ozean ihm
+nachsteuerndes roemisches Fahrzeug mit Aufopferung seines eigenen auf eine
+Sandbank gefuehrt hatte - und ihre Schiffahrt auf den engen Raum des westlichen
+Mittelmeers vertragsmaessig zu beschraenken, um nur ihre Kueste nicht der
+Pluenderung preiszugeben und die alte und wichtige Handelsverbindung mit
+Sizilien zu sichern. Die Roemer mussten sich fuegen; aber sie liessen nicht ab
+von den Bemuehungen, ihr Seewesen aus seiner Ohnmacht zu reissen. Eine
+durchgreifende Massregel in diesem Sinne war die Einsetzung der vier
+Flottenquaestoren (quaestores classici) im Jahre 487 (267), von denen der erste
+in Ostia, dem Seehafen der Stadt Rom, seinen Sitz erhielt, der zweite von
+Cales, damals der Hauptstadt des roemischen Kampaniens, aus die kampanischen
+und grossgriechischen, der dritte von Ariminum aus die transapenninischen
+Haefen zu beaufsichtigen hatte; der Bezirk des vierten ist nicht bekannt. Diese
+neuen staendigen Beamten waren zwar nicht allein, aber doch mitbestimmt, die
+Kuesten zu ueberwachen und zum Schutze derselben eine Kriegsmarine zu bilden.
+Die Absicht des roemischen Senats, die Selbstaendigkeit zur See
+wiederzugewinnen und teils die maritimen Verbindungen Tarents abzuschneiden,
+teils den von Epeiros kommenden Flotten das Adriatische Meer zu sperren, teils
+sich von der karthagischen Suprematie zu emanzipieren, liegt deutlich zutage.
+Das schon eroerterte Verhaeltnis zu Karthago waehrend des letzten italischen
+Krieges weist davon die Spuren auf. Zwar zwang Koenig Pyrrhos die beiden
+grossen Staedte noch einmal - es war das letzte Mal - zum Abschluss einer
+Offensivallianz; allein die Lauigkeit und Treulosigkeit dieses Buendnisses, die
+Versuche der Karthager, sich in Rhegion und Tarent festzusetzen, die sofortige
+Besetzung Brundisiums durch die Roemer nach Beendigung des Krieges zeigen
+deutlich, wie sehr die beiderseitigen Interessen schon sich einander stiessen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^7 Diese Angabe ist ebenso bestimmt (Liv. 8,14: interdictum mari Antiati populo
+est) wie an sich glaubwuerdig; denn Antium war ja nicht bloss von Kolonisten,
+sondern auch noch von der ehemaligen, in der Feindschaft gegen Rom
+aufgenaehrten Buergerschaft bewohnt. Damit im Widerspruch stehen freilich die
+griechischen Berichte, dass Alexander der Grosse († 431 323) und Demetrios der
+Belagerer († 471 283) in Rom ueber antiatische Seeraeuber Beschwerde gefuehrt
+haben sollen. Der erste aber ist mit dem ueber die roemische Gesandtschaft nach
+Babylon gleichen Schlages und vielleicht gleicher Quelle. Demetrios dem
+Belagerer sieht es eher aehnlich, dass er die Piraterie im Tyrrhenischen Meer,
+das er nie mit Augen gesehen hat, durch Verordnung abschaffte, und undenkbar
+ist es gerade nicht, dass die Antiaten auch als roemische Buerger ihr altes
+Gewerbe noch trotz des Verbots unter der Hand eine Zeitlang fortgesetzt haben;
+viel wird indes auch auf die zweite Erzaehlung nicht zu geben sein.
+</p>
+
+<p>
+^8 Nach Servius (Aen. 4, 628) war in den roemisch-karthagischen Vertraegen
+bestimmt, es solle kein Roemer karthagischen, kein Karthager roemischen Boden
+betreten (vielmehr besetzen), Korsika aber zwischen beiden neutral bleiben (ut
+neque Romani ad litora Carthaginiensium accederent neque Carthaginienses ad
+litora Romanorum - Corsica esset media inter Romanos et Carthaginienses). Das
+scheint hierher zu gehoeren und die Kolonisierung von Korsika eben durch diesen
+Vertrag verhindert worden zu sein.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Begreiflicherweise suchte Rom sich gegen Karthago auf die hellenischen
+Seestaaten zu stuetzen. Mit Massalia bestand das alte enge
+Freundschaftsverhaeltnis ununterbrochen fort. Das nach Veiis Eroberung von Rom
+nach Delphi gesandte Weihgeschenk ward daselbst in dem Schatzhaus der
+Massalioten aufbewahrt. Nach der Einnahme Roms durch die Kelten ward in
+Massalia fuer die Abgebrannten gesammelt, wobei die Stadtkasse voranging; zur
+Vergeltung gewaehrte dann der roemische Senat den massaliotischen Kaufleuten
+Handelsbeguenstigungen und raeumte bei der Feier der Spiele auf dem Markt neben
+der Senatorentribuene den Massalioten einen Ehrenplatz (graecostasis) ein. Eben
+dahin gehoeren die um das Jahr 448 (306) mit Rhodos und nicht lange nachher mit
+Apollonia, einer ansehnlichen Kaufstadt an der epeirotischen Kueste, von den
+Roemern abgeschlossenen Handels- und Freundschaftsvertraege und vor allem die
+fuer Karthago sehr bedenkliche Annaeherung, welche unmittelbar nach dem Ende
+des Pyrrhischen Krieges zwischen Rom und Syrakus stattfand.
+</p>
+
+<p>
+Wenn also die roemische Seemacht zwar mit der ungeheuren Entwicklung der
+Landmacht auch nicht entfernt Schritt hielt und namentlich die eigene
+Kriegsmarine der Roemer keineswegs war, was sie nach der geographischen und
+kommerziellen Lage des Staates haette sein muessen, so fing doch auch sie an,
+allmaehlich sich aus der voelligen Nichtigkeit, zu welcher sie um das Jahr 400
+(354) herabgesunken war, wieder emporzuarbeiten; und bei den grossen
+Hilfsquellen Italiens mochten wohl die Phoeniker mit besorgten Blicken diese
+Bestrebungen verfolgen.
+</p>
+
+<p>
+Die Krise ueber die Herrschaft auf den italischen Gewaessern nahte heran; zu
+Lande war der Kampf entschieden. Zum erstenmal war Italien unter der Herrschaft
+der roemischen Gemeinde zu einem Staat vereinigt. Welche politische Befugnisse
+dabei die roemische Gemeinde den saemtlichen uebrigen italischen entzog und in
+ihren alleinigen Besitz nahm, das heisst, welcher staatsrechtliche Begriff mit
+dieser Herrschaft Roms zu verbinden ist, wird nirgends ausdruecklich gesagt,
+und es mangelt selbst, in bezeichnender und klug berechneter Weise, fuer diesen
+Begriff an einem allgemeingueltigen Ausdruck ^9. Nachweislich gehoerten dazu
+nur das Kriegs- und Vertrags- und das Muenzrecht, so dass keine italische
+Gemeinde einem auswaertigen Staat Krieg erklaeren oder mit ihm auch nur
+verhandeln und kein Courantgeld schlagen durfte, dagegen jede von der
+roemischen Gemeinde erlassene Kriegserklaerung und jeder von ihr abgeschlossene
+Staatsvertrag von Rechtswegen alle uebrigen italischen Gemeinden mit band und
+das roemische Silbergeld in ganz Italien gesetzlich gangbar ward; und es ist
+wahrscheinlich, dass die formulierten Befugnisse der fuehrenden Gemeinde sich
+nicht weiter erstreckten. Indes notwendig knuepften hieran tatsaechlich viel
+weitergehende Herrschaftsrechte sich an.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^9 Die Klausel, dass das abhaengige Volk sich verpflichtet, &ldquo;die Hoheit
+des roemischen freundlich gelten zu lassen&rdquo; (maiestatem populi Romani
+comiter conservare), ist allerdings die technische Bezeichnung dieser mildesten
+Untertaenigkeitsform, aber wahrscheinlich erst in bedeutend spaeterer Zeit
+aufgekommen (Cic. Balb. 16, 35). Auch die privatrechtliche Bezeichnung der
+Klientel, so treffend sie eben in ihrer Unbestimmtheit das Verhaeltnis
+bezeichnet (Dig. 49, 15, 7, 1), ist schwerlich in aelterer Zeit offiziell auf
+dasselbe angewendet worden.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Im einzelnen war das Verhaeltnis, in welchem die Italiker zu der fuehrenden
+Gemeinde standen, ein hoechst ungleiches, und es sind in dieser Hinsicht,
+ausser der roemischen Vollbuergerschaft, drei verschiedene Klassen von
+Untertanen zu unterscheiden. jene selbst vor allem ward so weit ausgedehnt, als
+es irgend moeglich war, ohne den Begriff eines staedtischen Gemeinwesens fuer
+die roemische Kommune voellig aufzugeben. Das alte Buergergebiet war bis dahin
+hauptsaechlich durch Einzelassignation in der Weise erweitert worden, dass das
+suedliche Etrurien bis gegen Caere und Falerii, die den Hernikern entrissenen
+Strecken am Sacco und am Anio, der groesste Teil der sabinischen Landschaft und
+grosse Striche der ehemals volskischen, besonders die pomptinische Ebene in
+roemisches Bauernland umgewandelt und meistenteils fuer deren Bewohner neue
+Buergerbezirke eingerichtet waren. Dasselbe war sogar schon mit dem von Capua
+abgetretenen Falernerbezirke am Volturnus geschehen. Alle diese ausserhalb Rom
+domizilierten Buerger entbehrten eines eigenen Gemeinwesens und eigener
+Verwaltung; auf dem assignierten Gebiet entstanden hoechstens Marktflecken
+(fora et conciliabula). In nicht viel anderer Lage befanden sich die nach den
+oben erwaehnten sogenannten Seekolonien entsandten Buerger, denen gleichfalls
+das roemische Vollbuergerrecht verblieb und deren Selbstverwaltung wenig
+bedeutete. Gegen den Schluss dieser Periode scheint die roemische Gemeinde
+damit begonnen zu haben, den naechstliegenden Passivbuergergemeinden gleicher
+oder nah verwandter Nationalitaet das Vollbuergerrecht zu gewaehren; welches
+wahrscheinlich zuerst fuer Tusculum geschehen ist ^10, ebenso vermutlich auch
+fuer die uebrigen Passivbuergergemeinden im eigentlichen Latium, dann am
+Ausgang dieser Periode (486 268) auf die sabinischen Staedte erstreckt ward,
+die ohne Zweifel damals schon wesentlich latinisiert waren und in dem letzten
+schweren Krieg ihre Treue genuegend bewaehrt hatten. Diesen Staedten blieb die
+nach ihrer frueheren Rechtsstellung ihnen zukommende beschraenkte
+Selbstverwaltung auch nach ihrer Aufnahme in den roemischen Buergerverband;
+mehr aus ihnen als aus den Seekolonien haben sich die innerhalb der roemischen
+Vollbuergerschaft bestehenden Sondergemeinwesen und damit im Laufe der Zeit die
+roemische Munizipalordnung herausgebildet. Hiernach wird die roemische
+Vollbuergerschaft am Ende dieser Epoche sich noerdlich bis in die Naehe von
+Caere, oestlich bis an den Apennin, suedlich bis nach Tarracina erstreckt
+haben, obwohl freilich von einer eigentlichen Grenze hier nicht die Rede sein
+kann und teils eine Anzahl Bundesstaedte latinischen Rechts, wie Tibur,
+Praeneste, Signia, Norba, Circeii, sich innerhalb dieser Grenzen befanden,
+teils ausserhalb derselben die Bewohner von Minturnae, Sinuessa, des
+falernischen Gebiets, der Stadt Sena Gallica und anderer Ortschaften mehr,
+ebenfalls volles Buergerrecht besassen und roemische Bauernfamilien vereinzelt
+oder in Doerfern vereinigt vermutlich schon jetzt durch ganz Italien zerstreut
+sich fanden.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^10 Dass Tusculum, wie es zuerst das Passivbuergerrecht erhielt, so auch zuerst
+dies mit dem Vollbuergerrecht vertauschte, ist an sich wahrscheinlich, und
+vermutlich wird in dieser, nicht in jener Beziehung die Stadt von Cicero (Mut.
+8, 19) municipium antiquissimum genannt.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Unter den untertaenigen Gemeinden stehen die Passivbuerger (cives sine
+suffragio), abgesehen von dem aktiven und passiven Wahlrecht, in Rechten und
+Pflichten den Vollbuergern gleich. Ihre Rechtsstellung ward durch die
+Beschluesse der roemischen Komitien und die fuer sie vom roemischen Praetor
+erlassenen Normen geregelt, wobei indes ohne Zweifel die bisherigen Ordnungen
+wesentlich zugrunde gelegt wurden. Recht sprach fuer sie der roemische Praetor
+oder dessen jaehrlich in die einzelnen Gemeinden entsandte
+&ldquo;Stellvertreter&rdquo; (praefecti). Den besser gestellten von ihnen, wie
+zum Beispiel der Stadt Capua, blieb die Selbstverwaltung und damit der
+Fortgebrauch der Landessprache und die eigenen Beamten, welche die Aushebung
+und die Schatzung besorgten. Den Gemeinden schlechteren Rechts, wie zum
+Beispiel Caere, wurde auch die eigene Verwaltung genommen, und es war dies ohne
+Zweifel die drueckendste unter den verschiedenen Formen der Untertaenigkeit.
+Indes zeigt sich, wie oben bemerkt ward, am Ende dieser Periode bereits das
+Bestreben, diese Gemeinden, wenigstens soweit sie faktisch latinisiert waren,
+der Vollbuergerschaft einzuverleiben.
+</p>
+
+<p>
+Die bevorzugteste und wichtigste Klasse unter den untertaenigen Gemeinden war
+die der latinischen Staedte, welche an den von Rom inner- und selbst schon
+ausserhalb Italien gegruendeten autonomen Gemeinden, den sogenannten
+latinischen Kolonien ebenso zahlreichen als ansehnlichen Zuwachs erhielt und
+stetig durch neue Gruendungen dieser Art sich vermehrte. Diese neuen
+Stadtgemeinden roemischen Ursprungs, aber latinischen Rechts wurden immer mehr
+die eigentlichen Stuetzen der roemischen Herrschaft ueber Italien. Es waren
+dies nicht mehr diejenigen Latiner, mit denen am Regiller See und bei Trifanum
+gestritten worden war - nicht jene alten Glieder des albischen Bundes, welche
+der Gemeinde Rom von Haus aus sich gleich, wo nicht besser achteten und welche,
+wie die gegen Praeneste zu Anfang des Pyrrhischen Krieges verfuegten furchtbar
+strengen Sicherheitsmassregeln und die nachweislich lange noch fortzuckenden
+Reibungen namentlich mit den Praenestinern beweisen, die roemische Herrschaft
+als schweres Joch empfanden. Dies alte Latium war wesentlich entweder unter
+oder in Rom aufgegangen und zaehlte nur noch wenige und mit Ausnahme von
+Praeneste und Tibur durchgaengig unbedeutende politisch selbstaendige
+Gemeinden. Das Latium der spaeteren republikanischen Zeit bestand vielmehr fast
+ausschliesslich aus Gemeinden, die von Anbeginn an in Rom ihre Haupt- und
+Mutterstadt verehrt hatten, die inmitten fremdsprachiger und anders gearteter
+Landschaften durch Sprach-, Rechts- und Sittengemeinschaft an Rom geknuepft
+waren, die als kleine Tyrannen der umliegenden Distrikte ihrer eigenen Existenz
+wegen wohl an Rom halten mussten wie die Vorposten an der Hauptarmee, die
+endlich, infolge der steigenden materiellen Vorteile des roemischen
+Buergertums, aus ihrer wenngleich beschraenkten Rechtsgleichheit mit den
+Roemern immer noch einen sehr ansehnlichen Gewinn zogen, wie ihnen denn zum
+Beispiel ein Teil der roemischen Domaene zur Sondernutzung ueberwiesen zu
+werden pflegte und die Beteiligung an den Verpachtungen und Verdingungen des
+Staats ihnen wie dem roemischen Buerger offenstand. Voellig blieben allerdings
+auch hier die Konsequenzen der ihnen gewaehrten Selbstaendigkeit nicht aus.
+Venusinische Inschriften aus der Zeit der roemischen Republik und kuerzlich zum
+Vorschein gekommene beneventanische ^11 lehren, dass Venusia so gut wie Rom
+seine Plebs und seine Volkstribune gehabt und dass die Oberbeamten von Benevent
+wenigstens um die Zeit des Hannibalischen Krieges den Konsultitel gefuehrt
+haben. Beide Gemeinden gehoeren zu den juengsten unter den latinischen Kolonien
+aelteren Rechts; man sieht, welche Ansprueche um die Mitte des fuenften
+Jahrhunderts in denselben sich regten. Auch diese sogenannten Latiner,
+hervorgegangen aus der roemischen Buergerschaft und in jeder Beziehung sich ihr
+gleich fuehlend, fingen schon an, ihr untergeordnetes Bundesrecht unwillig zu
+empfinden und nach voller Gleichberechtigung zu streben. Deswegen war denn der
+Senat bemueht, diese latinischen Gemeinden, wie wichtig sie immer fuer Rom
+waren, doch nach Moeglichkeit in ihren Rechten und Privilegien herabzudruecken
+und ihre bundesgenoessische Stellung in die der Untertaenigkeit insoweit
+umzuwandeln, als dies geschehen konnte, ohne zwischen ihnen und den
+nichtlatinischen Gemeinden Italiens die Scheidewand wegzuziehen. Die Aufhebung
+des Bundes der latinischen Gemeinden selbst sowie ihrer ehemaligen
+vollstaendigen Gleichberechtigung und der Verlust der wichtigsten denselben
+zustaendigen politischen Rechte ist schon dargestellt worden; mit der
+vollendeten Unterwerfung Italiens geschah ein weiterer Schritt und wurde der
+Anfang dazu gemacht, auch die bisher nicht angetasteten individuellen Rechte
+des einzelnen latinischen Mannes, vor allem die wichtige Freizuegigkeit, zu
+beschraenken. Fuer die im Jahre 486 (268) gegruendete Gemeinde Ariminum und
+ebenso fuer alle spaeter konstituierten autonomen Gemeinden wurde die
+Bevorzugung vor den uebrigen Untertanen beschraenkt auf die privatrechtliche
+Gleichstellung ihrer und der roemischen Gemeindebuerger im Handel und Wandel
+sowie im Erbrecht ^12. Vermutlich um dieselbe Zeit ward die den bisher
+gegruendeten latinischen Gemeinden gewidmete volle Freizuegigkeit, die Befugnis
+eines jeden ihrer Buerger, durch Uebersiedelung nach Rom das volle Buergerrecht
+daselbst zu gewinnen, fuer die spaeter eingerichteten latinischen Pflanzstaedte
+beschraenkt auf diejenigen Personen, welche in ihrer Heimat zu dem hoechsten
+Gemeindeamt gelangt waren; nur diesen blieb es gestattet, ihr koloniales
+Buergerrecht mit dem roemischen zu vertauschen. Es erscheint hier deutlich die
+vollstaendige Umaenderung der Stellung Roms. Solange Rom noch, wenn auch die
+erste, doch nur eine der vielen italischen Stadtgemeinden war, wurde der
+Eintritt selbst in das unbeschraenkte roemische Buergerrecht durchgaengig als
+ein Gewinn fuer die aufnehmende Gemeinde betrachtet und die Gewinnung dieses
+Buergerrechts den Nichtbuergern auf alle Weise erleichtert, ja oft als Strafe
+ihnen auferlegt. Seit aber die roemische Gemeinde allein herrschte und die
+uebrigen alle ihr dienten, kehrte das Verhaeltnis sich um: die roemische
+Gemeinde fing an, ihr Buergerrecht eifersuechtig zu bewahren, und machte darum
+der alten vollen Freizuegigkeit ein Ende; obwohl die Staatsmaenner dieser Zeit
+doch einsichtig genug waren, wenigstens den Spitzen und Kapazitaeten der
+hoechstgestellten Untertanengemeinden den Eintritt in das roemische
+Buergerrecht gesetzlich offenzuhalten. Auch die Latiner also hatten es zu
+empfinden, dass Rom, nachdem es hauptsaechlich durch sie sich Italien
+unterworfen hatte, jetzt ihrer nicht mehr so wie bisher bedurfte.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————
+</p>
+
+<p>
+^11 V Cervio A. f. cosol dedicavit und lunonei Quiritei sacra. C. Falcilius L.
+f. consol dedicavit.
+</p>
+
+<p>
+^12 Nach Ciceros Zeugnis (Caecin. 35) gab Sulla den Volaterranern das ehemalige
+Recht von Ariminum, das heisst, setzt der Redner hinzu, das Recht der
+&ldquo;zwoelf Kolonien&rdquo;, welche nicht die roemische Civitaet, aber volles
+Commercium mit den Roemern hatten. Ueber wenige Dinge ist soviel verhandelt
+worden wie ueber die Beziehung dieses Zwoelfstaedterechts; und doch liegt
+dieselbe nicht fern. Es sind in Italien und im Cisalpinischen Gallien,
+abgesehen von einigen frueh wieder verschwundenen, im ganzen vierunddreissig
+latinische Kolonien gegruendet worden; die zwoelf juengsten derselben -
+Ariminum, Beneventum, Firmum, Aesernia, Brundisium, Spoletium, Cremona,
+Placentia, Copia, Valentia, Bononia, Aquileia - sind hier gemeint, und da
+Ariminum von ihnen die aelteste und diejenige ist, fuer welche diese neue
+Ordnung zunaechst festgesetzt ward - vielleicht zum Teil deswegen mit, weil
+dies die erste ausserhalb Italien gegruendete roemische Kolonie war -, so
+heisst das Stadtrecht dieser Kolonien richtig das ariminensische. Damit ist
+zugleich erwiesen, was schon aus anderen Gruenden die hoechste
+Wahrscheinlichkeit fuer sich hatte, dass alle nach Aquileias Gruendung in
+Italien (im weiteren Sinn) gestifteten Kolonien zu den Buergerkolonien
+gehoerten.
+</p>
+
+<p>
+Den Umfang der Rechtsschmaelerung der juengeren latinischen Staedte im
+Gegensatz zu den aelteren vermoegen wir uebrigens nicht voellig zu bestimmen.
+Wenn die Ehegemeinschaft, wie es nicht unwahrscheinlich, aber freilich nichts
+weniger als ausgemacht ist (oben 1, 116; Diod. p. 590, 62. Frg. Vat. p. 130
+Dind.), ein Bestandteil der urspruenglichen bundesgenoessischen
+Rechtsgleichheit war, so ist sie jedenfalls den juengeren nicht mehr
+zugestanden worden.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Das Verhaeltnis endlich der nichtlatinischen Bundesgemeinden unterlag
+selbstverstaendlich den mannigfachsten Normen, wie eben der einzelne
+Bundesvertrag sie festgesetzt hatte. Manche dieser ewigen Buendnisse, wie zum
+Beispiel die der hernikischen Gemeinden, gingen ueber in voellige
+Gleichstellung mit den latinischen. Andere, bei denen dies nicht der Fall war,
+wie die von Neapel, Nola, Herakleia, gewaehrten verhaeltnismaessig sehr
+umfassende Rechte; wieder andere, wie zum Beispiel die tarentinischen und die
+samnitischen Vertraege, moegen sich der Zwingherrschaft genaehert haben.
+</p>
+
+<p>
+Als allgemeine Regel kann wohl angenommen werden, dass nicht bloss die
+latinische und hernikische, von denen es ueberliefert ist, sondern saemtliche
+italische Voelkergenossenschaften, namentlich auch die samnitische und die
+lucanische, rechtlich aufgeloest oder doch zur Bedeutungslosigkeit
+abgeschwaecht wurden und durchschnittlich keiner italischen Gemeinde mit
+anderen italischen die Verkehrs- oder Ehegemeinschaft oder gar das gemeinsame
+Beratschlagungs- und Beschlussfassungsrecht zustand. Ferner wird, wenn auch in
+verschiedener Weise, dafuer gesorgt worden sein, dass die Wehr- und Steuerkraft
+der saemtlichen italischen Gemeinden der fuehrenden zur Disposition stand.
+Wenngleich auch ferner noch die Buergermiliz einer- und die Kontingente
+&ldquo;latinischen Namens&rdquo; anderseits als die wesentlichen und
+integrierenden Bestandteile des roemischen Heeres angesehen wurden und ihm
+somit sein nationaler Charakter im ganzen bewahrt blieb, so wurden doch nicht
+bloss die roemischen Passivbuerger zu demselben mit herangezogen, sondern ohne
+Zweifel auch die nichtlatinischen foederierten Gemeinden entweder, wie dies mit
+den griechischen geschah, zur Stellung von Kriegsschiffen verpflichtet, oder,
+wie dies fuer die apulischen, sabellischen und etruskischen auf einmal oder
+allmaehlich verordnet worden sein muss, in das Verzeichnis der zuzugpflichtigen
+Italiker (formula togatorum) eingetragen. Durchgaengig scheint dieser Zuzug
+eben wie der der latinischen Gemeinden fest normiert worden zu sein, ohne dass
+doch die fuehrende Gemeinde erforderlichenfalls verhindert gewesen waere, mehr
+zu fordern. Es lag hierin zugleich eine indirekte Besteuerung, indem jede
+Gemeinde verpflichtet war, ihr Kontingent selbst auszuruesten und zu besolden.
+Nicht ohne Absicht wurden darum vorzugsweise die kostspieligsten
+Kriegsleistungen auf die latinischen oder nichtlatinischen foederierten
+Gemeinden gewaelzt, die Kriegsmarine zum groessten Teil durch die griechischen
+Staedte instand gehalten und bei dem Rossdienst die Bundesgenossen, spaeterhin
+wenigstens, in dreifach staerkerem Verhaeltnis als die roemische Buergerschaft
+angezogen, waehrend im Fussvolk der alte Satz, dass das
+Bundesgenossenkontingent nicht zahlreicher sein duerfte als das Buergerheer,
+noch lange Zeit wenigstens als Regel in Kraft blieb.
+</p>
+
+<p>
+Das System, nach welchem dieser Bau im einzelnen zusammengefuegt und
+zusammengehalten ward, laesst aus den wenigen auf uns gekommenen Nachrichten
+sich nicht mehr feststellen. Selbst das Zahlenverhaeltnis, in welchem die drei
+Klassen der Untertanenschaft zueinander und zu der Vollbuergerschaft standen,
+ist nicht mehr auch nur annaehernd zu ermitteln ^13 und ebenso die
+geographische Verteilung der einzelnen Kategorien ueber Italien nur
+unvollkommen bekannt. Die bei diesem Bau zugrunde liegenden leitenden Gedanken
+liegen dagegen so offen vor, dass es kaum noetig ist, sie noch besonders zu
+entwickeln. Vor allem ward, wie gesagt, der unmittelbare Kreis der herrschenden
+Gemeinde teils durch Ansiedelung der Vollbuerger, teils durch Verleihung des
+Passivbuergerrechts soweit ausgedehnt, wie es irgend moeglich war, ohne die
+roemische Gemeinde, die doch eine staedtische war und bleiben sollte,
+vollstaendig zu dezentralisieren. Als das Inkorporationssystem bis an und
+vielleicht schon ueber seine natuerlichen Grenzen ausgedehnt war, mussten die
+weiter hinzutretenden Gemeinden sich in ein Untertaenigkeitsverhaeltnis fuegen;
+denn die reine Hegemonie als dauerndes Verhaeltnis ist innerlich unmoeglich. So
+stellte sich, nicht durch willkuerliche Monopolisierung der Herrschaft, sondern
+durch das unvermeidliche Schwergewicht der Verhaeltnisse neben die Klasse der
+herrschenden Buerger die zweite der Untertanen. Unter den Mitteln der
+Herrschaft standen in erster Linie natuerlich die Teilung der Beherrschten
+durch Sprengung der italischen Eidgenossenschaften und Einrichtung einer
+moeglichst grossen Zahl verhaeltnismaessig geringer Gemeinden, sowie die
+Abstufung des Druckes der Herrschaft nach den verschiedenen Kategorien der
+Untertanen. Wie Cato in seinem Hausregiment dahin sah, dass die Sklaven sich
+miteinander nicht allzu gut vertragen moechten, und absichtlich Zwistigkeiten
+und Parteiungen unter ihnen naehrte, so hielt es die roemische Gemeinde im
+grossen; das Mittel war nicht schoen, aber wirksam. Nur eine weitere Anwendung
+desselben Mittels war es, wenn in jeder abhaengigen Gemeinde die Verfassung
+nach dem Muster der roemischen umgewandelt und ein Regiment der wohlhabenden
+und angesehenen Familien eingesetzt ward, welches mit der Menge in einer
+natuerlichen mehr oder minder lebhaften Opposition stand und durch seine
+materiellen und kommunalregimentlichen Interessen darauf angewiesen war, auf
+Rom sich zu stuetzen. Das merkwuerdigste Beispiel in dieser Beziehung gewaehrt
+die Behandlung von Capua, welches als die einzige italische Stadt, die
+vielleicht mit Rom zu rivalisieren vermochte, von Haus aus mit argwoehnischer
+Vorsicht behandelt worden zu sein scheint. Man verlieh dem kampanischen Adel
+einen privilegierten Gerichtsstand, gesonderte Versammlungsplaetze, ueberhaupt
+in jeder Hinsicht eine Sonderstellung, ja man wies ihm sogar nicht
+unbetraechtliche Pensionen - sechzehnhundert je von jaehrlich 450 Stateren
+(etwa 200 Taler) - auf die kampanische Gemeindekasse an. Diese kampanischen
+Ritter waren es, deren Nichtbeteiligung an dem grossen latinisch-kampanischen
+Aufstand 414 (340) zu dessen Scheitern wesentlich beitrug und deren tapfere
+Schwerter im Jahre 459 (295) bei Sentinum fuer die Roemer entschieden; wogegen
+das kampanische Fussvolk in Rhegion die erste Truppe war, die im Pyrrhischen
+Kriege von Rom abfiel. Einen anderen merkwuerdigen Beleg fuer die roemische
+Praxis: die staendischen Zwistigkeiten innerhalb der abhaengigen Gemeinden
+durch Beguenstigung der Aristokratie fuer das roemische Interesse auszubeuten,
+gibt die Behandlung, die Volsinii im Jahre 489 (265) widerfuhr. Es muessen
+dort, aehnlich wie in Rom, die Alt- und Neubuerger sich gegenuebergestanden und
+die letzteren auf gesetzlichem Wege die politische Gleichberechtigung erlangt
+haben. Infolge dessen wandten die Altbuerger von Volsinii sich an den
+roemischen Senat mit dem Gesuch um Wiederherstellung der alten Verfassung; was
+die in der Stadt herrschende Partei begreiflicherweise als Landesverrat
+betrachtete und die Bittsteller dafuer zur gesetzlichen Strafe zog. Der
+roemische Senat indes nahm Partei fuer die Altbuerger und liess, da die Stadt
+sich nicht gutwillig fuegte, durch militaerische Exekution nicht bloss die in
+anerkannter Wirksamkeit bestehende Gemeindeverfassung von Volsinii vernichten,
+sondern auch durch die Schleifung der alten Hauptstadt Etruriens das Herrentum
+Roms den Italikern in einem Exempel von erschreckender Deutlichkeit vor Augen
+legen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^13 Es ist zu bedauern, dass wir ueber die Zahlenverhaeltnisse nicht genuegende
+Auskunft zu geben imstande sind. Man kann die Zahl der waffenfaehigen
+roemischen Buerger fuer die spaetere Koenigszeit auf etwa 20000 veranschlagen.
+Nun ist aber von Albas Fall bis auf die Eroberung von Veii die unmittelbare
+roemische Mark nicht wesentlich erweitert worden; womit es vollkommen
+uebereinstimmt, dass von der ersten Einrichtung der einundzwanzigste Bezirk um
+das Jahr 259 (495) an, worin keine oder doch keine bedeutende Erweiterung der
+roemischen Grenze lag, bis auf das Jahr 367 (387) neue Buergerbezirke nicht
+errichtet wurden. Mag man nun auch die Zunahme durch den Ueberschuss der
+Geborenen ueber die Gestorbenen, durch Einwanderungen und Freilassungen noch so
+reichlich in Anschlag bringen, so ist es doch schlechterdings unmoeglich, mit
+den engen Grenzen eines Gebiets von schwerlich 30 Quadratmeilen die
+ueberlieferten Zensuszahlen in Uebereinstimmung zu bringen, nach denen die Zahl
+der waffenfaehigen roemischen Buerger in der zweiten Haelfte des dritten
+Jahrhunderts zwischen 104000 und 150000 schwankt, und im Jahre 362 (392),
+wofuer eine vereinzelte Angabe vorliegt, 152573 betrug. Vielmehr werden diese
+Zahlen mit den 84700 Buergern des Servianischen Zensus auf einer Linie stehen
+und ueberhaupt die ganze bis auf die vier Lustren des Servius Tullius
+hinaufgefuehrte und mit reichlichen Zahlen ausgestattete aeltere Zensusliste
+nichts sein als eine jener scheinbar urkundlichen Traditionen, die eben in ganz
+detaillierten Zahlenangaben sich gefallen und sich verraten.
+</p>
+
+<p>
+Erst mit der zweiten Haelfte des vierten Jahrhunderts beginnen die grossen
+Gebietserwerbungen, wodurch die Buergerrolle ploetzlich und betraechtlich
+steigen musste. Es ist glaubwuerdig ueberliefert, wie an sich glaublich, dass
+um 416 (338) man 165000 roemische Buerger zaehlte, wozu es recht gut stimmt,
+dass zehn Jahre vorher, als man gegen Latium und Gallien die ganze Miliz unter
+die Waffen rief, das erste Aufgebot zehn Legionen, also 50000 Mann betrug. Seit
+den grossen Gebietserweiterungen in Etrurien, Latium und Kampanien zaehlte man
+im fuenften Jahrhundert durchschnittlich 250000, unmittelbar vor dem ersten
+Punischen Kriege 280000 bis 290000 waffenfaehige Buerger. Diese Zahlen sind
+sicher genug, allein aus einem anderen Grunde geschichtlich nicht vollstaendig
+brauchbar: dabei naemlich sind wahrscheinlich die roemischen Vollbuerger und
+die nicht, wie die Kampaner, in eigenen Legionen dienenden &ldquo;Buerger ohne
+Stimme&rdquo;, wie zum Beispiel die Caeriten, ineinander gerechnet, waehrend
+doch die letzteren faktisch durchaus den Untertanen beigezaehlt werden muessen
+(Roemische Forschungen, Bd. 2, S. 396).
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Aber der roemische Senat war weise genug, nicht zu uebersehen, dass das einzige
+Mittel, der Gewaltherrschaft Dauer zu geben, die eigene Maessigung der
+Gewalthaber ist. Darum ward den abhaengigen Gemeinden die Autonomie gelassen
+oder verliehen, die einen Schatten von Selbstaendigkeit, einen eigenen Anteil
+an Roms militaerischen und politischen Erfolgen und vor allem eine freie
+Kommunalverfassung in sich schloss - so weit die italische Eidgenossenschaft
+reichte, gab es keine Helotengemeinde. Darum verzichtete Rom von vornherein mit
+einer in der Geschichte vielleicht beispiellosen Klarheit und Hochherzigkeit
+auf das gefaehrlichste aller Regierungsrechte, auf das Recht, die Untertanen zu
+besteuern. Hoechstens den abhaengigen keltischen Gauen moegen Tribute auferlegt
+worden sein; soweit die italische Eidgenossenschaft reichte, gab es keine
+zinspflichtige Gemeinde. Darum endlich ward die Wehrpflicht zwar wohl auf die
+Untertanen mit, aber doch keineswegs von der herrschenden Buergerschaft
+abgewaelzt; vielmehr wurde wahrscheinlich die letztere nach Verhaeltnis bei
+weitem staerker als die Bundesgenossenschaft und in dieser wahrscheinlich
+wiederum die Gesamtheit der Latiner bei weitem staerker in Anspruch genommen
+als die nichtlatinischen Bundesgemeinden; so dass es eine gewisse Billigkeit
+fuer sich hatte, wenn auch von dem Kriegsgewinn zunaechst Rom und nach ihm die
+Latinerschaft den besten Teil fuer sich nahmen.
+</p>
+
+<p>
+Der schwierigen Aufgabe, ueber die Masse der italischen zuzugpflichtigen
+Gemeinden den Ueberblick und die Kontrolle sich zu bewahren, genuegte die
+roemische Zentralverwaltung teils durch die vier italischen Quaesturen, teils
+durch die Ausdehnung der roemischen Zensur ueber die saemtlichen abhaengigen
+Staedte. Die Flottenquaestoren hatten neben ihrer naechsten Aufgabe auch von
+den neugewonnenen Domaenen die Einkuenfte zu erheben und die Zuzuege der neuen
+Bundesgenossen zu kontrollieren; sie waren die ersten roemischen Beamten, denen
+gesetzlich Sitz und Sprengel ausserhalb Rom angewiesen ward und bildeten
+zwischen dem roemischen Senat und den italischen Gemeinden die notwendige
+Mittelinstanz. Es hatte ferner, wie die spaetere Munizipalverfassung zeigt, in
+jeder italischen ^14 Gemeinde die Oberbehoerde, wie sie immer heissen mochte,
+jedes vierte oder fuenfte Jahr eine Schatzung vorzunehmen; eine Einrichtung, zu
+der die Anregung notwendig von Rom ausgegangen sein muss und welche nur den
+Zweck gehabt haben kann, mit der roemischen Zensur korrespondierend dem Senat
+den Ueberblick ueber die Wehr- und Steuerfaehigkeit des gesamten Italiens zu
+bewahren.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^14 Nicht bloss in jeder latinischen: denn die Zensur oder die sogenannte
+Quinquennalitaet kommt bekanntlich auch bei solchen Gemeinden vor, deren
+Verfassung nicht nach dem latinischen Schema konstituiert ist.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Mit dieser militaerisch-administrativen Einigung der gesamten diesseits des
+Apennin bis hinab zum Iapygischen Vorgebirg und zur Meerenge von Rhegion
+wohnhaften Voelkerschaften haengt endlich auch das Aufkommen eines neuen, ihnen
+allen gemeinsamen Namens zusammen, der &ldquo;Maenner der Toga&rdquo;, was die
+aelteste staatsrechtliche roemische, oder der Italiker, was die urspruenglich
+bei den Griechen gebraeuchliche und sodann allgemein gangbar gewordene
+Bezeichnung ist. Die verschiedenen Nationen, welche diese Landschaften
+bewohnten, moegen wohl zuerst sich als eine Einheit gefuehlt und
+zusammengefunden haben teils in dem Gegensatz gegen die Hellenen, teils und vor
+allem in der gemeinschaftlichen Abwehr der Kelten; denn mochte auch einmal eine
+italische Gemeinde mit diesen gegen Rom gemeinschaftliche Sache machen und die
+Gelegenheit nutzen, um die Unabhaengigkeit wiederzugewinnen, so brach doch auf
+die Laenge das gesunde Nationalgefuehl notwendig sich Bahn. Wie der
+&ldquo;gallische Acker&rdquo; bis in spaete Zeit als der rechtliche Gegensatz
+des italischen erscheint, so sind auch die &ldquo;Maenner der Toga&rdquo; also
+genannt worden im Gegensatz zu den keltischen &ldquo;Hosenmaennern&rdquo;
+(bracati); und wahrscheinlich hat selbst bei der Zentralisierung des italischen
+Wehrwesens in den Haenden Roms die Abwehr der keltischen Einfaelle sowohl als
+Ursache wie als Vorwand eine wichtige Rolle gespielt. Indem die Roemer teils in
+dem grossen Nationalkampf an die Spitze traten, teils die Etrusker, Latiner,
+Sabeller, Apuler und Hellenen innerhalb der sogleich zu bezeichnenden Grenzen
+gleichmaessig noetigten, unter ihren Fahnen zu fechten, erhielt die bis dahin
+schwankende und mehr innerliche Einheit geschlossene und staatsrechtliche
+Festigkeit und ging der Name Italia, der urspruenglich und noch bei den
+griechischen Schriftstellern des fuenften Jahrhunderts, zum Beispiel bei
+Aristoteles, nur dem heutigen Kalabrien eignet, ueber auf das gesamte Land der
+Togatraeger. Die aeltesten Grenzen dieser grossen von Rom gefuehrten
+Wehrgenossenschaft oder des neuen Italien reichen am westlichen Litoral bis in
+die Gegend von Livorno unterhalb des Arnus ^15, am oestlichen bis an den Aesis
+oberhalb Ancona; die ausserhalb dieser Grenzen liegenden, von Italikern
+kolonisierten Ortschaften, wie Sena gallica und Ariminum jenseits des Apennin,
+Messana in Sizilien, galten, selbst wenn sie, wie Ariminum, Glieder der
+Eidgenossenschaft oder sogar, wie Sena, roemische Buergergemeinden waren, doch
+als geographisch ausserhalb Italien gelegen. Noch weniger konnten die
+keltischen Gaue des Apennin, wenngleich vielleicht schon jetzt einzelne
+derselben in der Klientel von Rom sich befanden, den Togamaennern beigezaehlt
+werden. Das neue Italien war also eine politische Einheit geworden; es war aber
+auch im Zuge, eine nationale zu werden. Bereits hatte die herrschende
+latinische Nationalitaet die Sabiner und Volsker sich assimiliert und einzelne
+latinische Gemeinden ueber ganz Italien verstreut; es war nur die Entwicklung
+dieser Keime, dass spaeter einem jeden zur Tragung des latinischen Rockes
+Befugten auch die latinische Sprache Muttersprache war. Dass aber die Roemer
+schon jetzt dieses Ziel deutlich erkannten, zeigt die uebliche Erstreckung des
+latinischen Namens auf die ganze zuzugpflichtige italische Bundesgenossenschaft
+^16. Was immer von diesem grossartigen politischen Bau sich noch erkennen
+laesst, daraus spricht der hohe politische Verstand seiner namenlosen
+Baumeister; und die ungemeine Festigkeit, welche diese aus so vielen und so
+verschiedenartigen Bestandteilen zusammengefuegte Konfoederation spaeterhin
+unter den schwersten Stoessen bewaehrt hat, drueckte ihrem grossen Werke das
+Siegel des Erfolges auf. Seitdem die Faeden dieses so fein wie fest um ganz
+Italien geschlungenen Netzes in den Haenden der roemischen Gemeinde
+zusammenliefen, war diese eine Grossmacht und trat anstatt Tarents, Lucaniens
+und anderer durch die letzten Kriege aus der Reihe der politischen Maechte
+geloeschter Mittel- und Kleinstaaten in das System der Staaten des Mittelmeers
+ein. Gleichsam die offizielle Anerkennung seiner neuen Stellung empfing Rom
+durch die beiden feierlichen Gesandtschaften, die im Jahre 481 (273) von
+Alexandreia nach Rom und wieder von Rom nach Alexandreia gingen, und wenn sie
+auch zunaechst nur die Handelsverbindungen regelten, doch ohne Zweifel schon
+eine politische Verbuendung vorbereiteten. Wie Karthago mit der aegyptischen
+Regierung um Kyrene rang und bald mit der roemischen um Sizilien ringen sollte,
+so stritt Makedonien mit jener um den bestimmenden Einfluss in Griechenland,
+mit dieser demnaechst um die Herrschaft der adriatischen Kuesten; es konnte
+nicht fehlen, dass die neuen Kaempfe, die allerorts sich vorbereiteten,
+ineinander eingriffen und dass Rom als Herrin Italiens in den weiten Kreis
+hineingezogen ward, den des grossen Alexanders Siege und Entwuerfe seinen
+Nachfolgern zum Tummelplatz abgesteckt hatten.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^15 Diese aelteste Grenze bezeichnen wahrscheinlich die beiden kleinen
+Ortschaften ad fines, wovon die eine noerdlich von Arezzo auf der Strasse nach
+Florenz, die zweite an der Kueste unweit Livorno lag. Etwas weiter suedlich von
+dem letzteren heisst Bach und Tal von Vada noch jetzt fiume della fine, valle
+della fine (Targioni Tozzetti, Viaggi. Bd. 4, S. 430).
+</p>
+
+<p>
+^16 Im genauen geschaeftlichen Sprachgebrauch geschieht dies freilich nicht.
+Die vollstaendigste Bezeichnung der Italiker findet sich in dem Ackergesetz von
+643 (111), Zeile 21: [ceivis] Romanus sociumve nominisve Latini quibus ex
+formula togatorum [milites in terra Italia imperare solent]; ebenso wird
+daselbst Zeile 29 vom Latinus der peregrinus unterschieden und heisst es im
+Senatsbeschluss ueber die Bacchanalien von 568 (186): ne quis ceivis Romanus
+neve nominis Latini neve socium quisquam. Aber im gewoehnlichen Gebrauch wird
+von diesen drei Gliedern sehr haeufig das zweite oder das dritte weggelassen
+und neben den Roemern bald nur derer Latini nominis, bald nur der socii gedacht
+(W. Weissenborn zu Liv. 22, 50, 6), ohne dass ein Unterschied in der Bedeutung
+waere. Die Bezeichnung homines nominis Latini ac socii Italici (Sall. Iug. 40),
+so korrekt sie an sich ist, ist dem offiziellen Sprachgebrauch fremd, der wohl
+ein Italia, aber nicht Italici kennt.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap08"></a>KAPITEL VIII.<br/>
+Recht, Religion, Kriegswesen, Volkswirtschaft, Nationalität</h2>
+
+<p>
+In der Entwicklung, welche waehrend dieser Epoche dem Recht innerhalb der
+roemischen Gemeinde zuteil ward, ist wohl die wichtigste materielle Neuerung
+die eigentuemliche Sittenkontrolle, welche die Gemeinde selbst und in
+untergeordnetem Grade ihre Beauftragten anfingen, ueber die einzelnen Buerger
+auszuueben. Der Keim dazu ist in dem Rechte des Beamten zu suchen, wegen
+Ordnungswidrigkeiten Vermoegensbussen (multae) zu erkennen. Bei allen Bussen
+von mehr als zwei Schafen und 30 Rindern, oder, nachdem durch Gemeindebeschluss
+vom Jahre 324 (430) die Viehbussen in Geld umgesetzt worden waren, von mehr als
+3020 Libralassen (218 Taler), kam bald nach der Vertreibung der Koenige die
+Entscheidung im Wege der Provokation an die Gemeinde, und es erhielt damit das
+Bruchverfahren ein urspruenglich ihm durchaus fremdes Gewicht. Unter den vagen
+Begriff der Ordnungswidrigkeit liess sich alles, was man wollte, bringen und
+durch die hoeheren Stufen der Vermoegensbussen alles, was man wollte,
+erreichen; es war eine Milderung, die die Bedenklichkeit dieses arbitraeren
+Verfahrens weit mehr offenbart als beseitigt, dass diese Vermoegensbussen, wo
+sie nicht gesetzlich auf eine bestimmte Summe festgestellt waren, die Haelfte
+des dem Gebuessten gehoerigen Vermoegens nicht erreichen durften. In diesen
+Kreis gehoeren schon die Polizeigesetze, an denen die roemische Gemeinde seit
+aeltester Zeit ueberreich war: die Bestimmungen der Zwoelf Tafeln, welche die
+Salbung der Leiche durch gedungene Leute, die Mitgabe von mehr als einem Pfuhl
+und mehr als drei purpurbesetzten Decken sowie von Gold und flatternden
+Kraenzen, die Verwendung von bearbeitetem Holz zum Scheiterhaufen, die
+Raeucherungen und Besprengungen desselben mit Weihrauch und Myrrhenwein
+untersagten, die Zahl der Floetenblaeser im Leichenzug auf hoechstens zehn
+beschraenkten und die Klageweiber und die Begraebnisgelage verboten -
+gewissermassen das aelteste roemische Luxusgesetz; ferner die aus den
+staendischen Kaempfen hervorgegangenen Gesetze gegen den Geldwucher sowohl wie
+gegen Obernutzung der Gemeinweide und unverhaeltnismaessige Aneignung von
+okkupablem Domanialland. Weit bedenklicher aber als diese und aehnliche
+Bruchgesetze, welche doch wenigstens die Kontravention und oft auch das
+Strafmass ein fuer allemal formulierten, war die allgemeine Befugnis eines
+jeden mit Jurisdiktion versehenen Beamten wegen Ordnungswidrigkeit eine Busse
+zu erkennen und, wenn diese das Provokationsmass erreichte und der Gebuesste
+sich nicht in die Strafe fuegte, die Sache an die Gemeinde zu bringen. Schon im
+Laufe des fuenften Jahrhunderts ist in diesem Wege wegen sittenlosen
+Lebenswandels sowohl von Maennern wie von Frauen, wegen Kornwucher, Zauberei
+und aehnlicher Dinge gleichsam kriminell verfahren worden. In innerlicher
+Verwandtschaft hiermit steht die gleichfalls in dieser Zeit aufkommende
+Quasijurisdiktion der Zensoren, welche ihre Befugnis, das roemische Budget und
+die Buergerlisten festzustellen, benutzten, teils um von sich aus Luxussteuern
+aufzulegen, welche von den Luxusstrafen nur der Form nach sich unterschieden,
+teils besonders um auf die Anzeige anstoessiger Handlungen hin dem tadelhaften
+Buerger die politischen Ehrenrechte zu schmaelern oder zu entziehen. Wie weit
+schon jetzt diese Bevormundung ging, zeigt, dass solche Strafen wegen
+nachlaessiger Bestellung des eigenen Ackers verhaengt wurden, ja dass ein Mann
+wie Publius Cornelius Rufmus (Konsul 464, 477 290, 277) von den Zensoren des
+Jahres 479 (275) aus dem Ratsherrenverzeichnis gestrichen ward, weil er
+silbernes Tafelgeraet zum Werte von 3360 Sesterzen (240 Taler) besass.
+Allerdings hatten nach der allgemein fuer Beamtenverordnungen gueltigen Regel
+die Verfuegungen der Zensoren nur fuer die Dauer ihrer Zensur, das heisst
+durchgaengig fuer die naechsten fuenf Jahre rechtliche Kraft, und konnten von
+den naechsten Zensoren nach Gefallen erneuert oder nicht erneuert werden; aber
+nichtsdestoweniger war diese zensorische Befugnis von einer so ungeheuren
+Bedeutung, dass infolge dessen die Zensur aus einem Unteramt an Rang und
+Ansehen von allen roemischen Gemeindeaemtern das erste ward. Das Senatsregiment
+ruhte wesentlich auf dieser doppelten, mit ebenso ausgedehnter wie arbitraerer
+Machtvollkommenheit versehenen Ober- und Unterpolizei der Gemeinde und der
+Gemeindebeamten. Dieselbe hat wie jedes aehnliche Willkuerregiment viel
+genuetzt und viel geschadet, und es soll dem nicht widersprochen werden, der
+den Schaden fuer ueberwiegend haelt; nur darf es nicht vergessen werden, dass
+bei der allerdings aeusserlichen, aber straffen und energischen Sittlichkeit
+und dem gewaltig angefachten Buergersinn, welche diese Zeit recht eigentlich
+bezeichnen, der eigentlich gemeine Missbrauch doch von diesen Institutionen
+fern blieb und, wenn die individuelle Freiheit hauptsaechlich durch sie
+niedergehalten worden ist, auch die gewaltige und oft gewaltsame
+Aufrechthaltung des Gemeinsinns und der guten alten Ordnung und Sitte in der
+roemischen Gemeinde eben auf diesen Institutionen beruhen.
+</p>
+
+<p>
+Daneben macht in der roemischen Rechtsentwicklung zwar langsam, aber dennoch
+deutlich genug eine humanisierende und modernisierende Tendenz sich geltend.
+Die meisten Bestimmungen der Zwoelf Tafeln, welche mit dem Solonischen Gesetz
+uebereinkommen und deshalb mit Grund fuer materielle Neuerungen gehalten werden
+duerfen, tragen diesen Stempel; so die Sicherung des freien Assoziationsrechts
+und der Autonomie der also entstandenen Vereine; die Vorschrift ueber die
+Grenzstreifen, die dem Abpfluegen wehrte; die Milderung der Strafe des
+Diebstahls, indem der nicht auf frischer Tat ertappte Dieb sich fortan durch
+Leistung des doppelten Ersatzes von dem Bestohlenen loesen konnte. Das
+Schuldrecht ward in aehnlichem Sinn, jedoch erst ueber ein Jahrhundert nachher,
+durch das Poetelische Gesetz gemildert. Die freie Bestimmung ueber das
+Vermoegen, die dem Herrn desselben bei Lebzeiten schon nach aeltestem
+roemischen Recht zugestanden hatte, aber fuer den Todesfall bisher geknuepft
+gewesen war an die Einwilligung der Gemeinde, wurde auch von dieser Schranke
+befreit, indem das Zwoelftafelgesetz oder dessen Interpretation dem
+Privattestament dieselbe Kraft beilegte, welche dem von den Kurien bestaetigten
+zukam; es war dies ein wichtiger Schritt zur Sprengung der
+Geschlechtsgenossenschaften und zur voelligen Durchfuehrung der
+Individualfreiheit im Vermoegensrecht. Die furchtbar absolute vaeterliche
+Gewalt wurde beschraenkt durch die Vorschrift, dass der dreimal vom Vater
+verkaufte Sohn nicht mehr in dessen Gewalt zurueckfallen, sondern fortan frei
+sein solle; woran bald durch eine - streng genommen freilich widersinnige -
+Rechtsdeduktion die Moeglichkeit angeknuepft ward, dass sich der Vater
+freiwillig der Herrschaft ueber den Sohn begebe durch Emanzipation. Im Eherecht
+wurde die Zivilehe gestattet; und wenn auch mit der rechten buergerlichen
+ebenso notwendig wie mit der rechten religioesen die volle eheherrliche Gewalt
+verknuepft war, so lag doch in der Zulassung der ohne solche Gewalt
+geschlossenen Verbindung an Ehestatt der erste Anfang zur Lockerung der
+Vollgewalt des Eheherrn. Der Anfang einer gesetzlichen Noetigung zum ehelichen
+Leben ist die Hagestolzensteuer (aes uxorium), mit deren Einfuehrung Camillus
+als Zensor im Jahre 351 (403) seine oeffentliche Laufbahn begann.
+</p>
+
+<p>
+Durchgreifendere Aenderungen als das Recht selbst erlitt die politisch
+wichtigere und ueberhaupt veraenderlichere Rechtspflegeordnung. Vor allen
+Dingen gehoert dahin die wichtige Beschraenkung der oberrichterlichen Gewalt
+durch die gesetzliche Aufzeichnung des Landrechts und die Verpflichtung des
+Beamten, fortan nicht mehr nach dem schwankenden Herkommen, sondern nach dem
+geschriebenen Buchstaben im Zivil- wie im Kriminalverfahren zu entscheiden
+(303, 304 451, 450). Die Einsetzung eines ausschliesslich fuer die Rechtspflege
+taetigen roemischen Oberbeamten im Jahre 387 (367) und die gleichzeitig in Rom
+erfolgte und unter Roms Einfluss in allen latinischen Gemeinden nachgeahmte
+Gruendung einer besonderen Polizeibehoerde erhoehten die Schnelligkeit und
+Sicherheit der Justiz. Diesen Polizeiherren oder den Aedilen kam natuerlich
+zugleich eine gewisse Jurisdiktion zu, insofern sie teils fuer die auf offenem
+Markt abgeschlossenen Verkaeufe, also namentlich fuer die Vieh- und
+Sklavenmaerkte die ordentlichen Zivilrichter waren, teils in der Regel sie es
+waren, welche in dem Buss- und Bruechverfahren als Richter erster Instanz oder,
+was nach roemischem Recht dasselbe ist, als oeffentliche Anklaeger fungierten.
+Infolgedessen lag die Handhabung der Bruechgesetze und ueberhaupt das ebenso
+unbestimmte wie politisch wichtige Bruechrecht hauptsaechlich in ihrer Hand.
+Aehnliche, aber untergeordnetere und besonders gegen die geringen Leute
+gerichtete Funktionen standen den zuerst 465 (289) ernannten drei Nacht- oder
+Blutherren (tres viri nocturni oder capitales) zu: sie wurden mit der
+naechtlichen Feuer- und Sicherheitspolizei und mit der Aufsicht ueber die
+Hinrichtungen beauftragt, woran sich sehr bald, vielleicht schon von Haus aus
+eine gewisse summarische Gerichtsbarkeit geknuepft hat ^1. Mit der steigenden
+Ausdehnung der roemischen Gemeinde wurde es endlich, teils mit Ruecksicht auf
+die Gerichtspflichtigen, notwendig in den entfernteren Ortschaften eigene,
+wenigstens fuer die geringeren Zivilsachen kompetente Richter niederzusetzen,
+was fuer die Passivbuergergemeinden Regel war, aber vielleicht selbst auf die
+entfernteren Vollbuergergemeinden erstreckt ward ^2 - die ersten Anfaenge einer
+neben der eigentlich roemischen sich entwickelnden roemisch-munizipalen
+Jurisdiktion.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Die frueher aufgestellte Behauptung, dass diese Dreiherren bereits der
+aeltesten Zeit angehoeren, ist deswegen irrig, weil der aeltesten Staatsordnung
+Beamtenkollegien von ungerader Zahl fremd sind (Roemische Chronologie bis auf
+Caesar. z. Aufl. Berlin 1859, S. 15, A. 12). Wahrscheinlich ist die gut
+beglaubigte Nachricht, dass sie zuerst 465 (289) ernannt wurden (Liv. ep. 11),
+einfach festzuhalten und die auch sonst bedenkliche Deduktion des Faelschers
+Licinius Macer (bei Liv. 7, 46), welche ihrer vor 450 (304) Erwaehnung tut,
+einfach zu verwerfen. Anfaenglich wurden ohne Zweifel, wie dies bei den meisten
+der spaeteren magistratus minores der Fall gewesen ist, die Dreiherren von den
+Oberbeamten ernannt; das papirische Plebiszit, das die Ernennung derselben auf
+die Gemeinde uebertrug (Festus v. sacramentum p. 344 M.), ist auf jeden Fall,
+da es den Praetor nennt, qui inter civis ius dicit, erst nach Einsetzung der
+Fremdenpraetur, also fruehestens gegen die Mitte des 6. Jahrhunderts erlassen.
+</p>
+
+<p>
+^2 Dahin fuehrt, was Liv. 9, 20 ueber die Reorganisation der Kolonie Antium
+zwanzig Jahre nach ihrer Gruendung berichtet; und es ist an sich klar, dass
+wenn man dem Ostienser recht wohl auferlegen konnte, seine Rechtshaendel alle
+in Rom abzumachen, dies fuer Ortschaften wie Antium und Sena sich nicht
+durchfuehren liess.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+In dem Zivilverfahren, welches indes nach den Begriffen dieser Zeit die meisten
+gegen Mitbuerger begangenen Verbrechen einschloss, wurde die wohl schon frueher
+uebliche Teilung des Verfahrens in Feststellung der Rechtsfrage vor dem
+Magistrat (ius) und Entscheidung derselben durch einen vom Magistrat ernannten
+Privatmann (iudicium) mit Abschaffung des Koenigtums gesetzliche Vorschrift;
+und dieser Trennung hat das roemische Privatrecht seine logische und praktische
+Schaerfe und Bestimmtheit wesentlich zu verdanken ^3. Im Eigentumsprozess wurde
+die bisher der unbedingten Willkuer der Beamten anheimgegebene Entscheidung
+ueber den Besitzstand allmaehlich rechtlichen Regeln unterworfen und neben dem
+Eigentums- das Besitzrecht entwickelt, wodurch abermals die Magistratsgewalt
+einen wichtigen Teil ihrer Macht einbuesste. Im Kriminalverfahren wurde das
+Volksgericht, die bisherige Gnaden- zur rechtlich gesicherten
+Appellationsinstanz. War der Angeklagte nach Verhoerung (quaestio) von dem
+Beamten verurteilt und berief sich auf die Buergerschaft, so schritt der
+Magistrat vor dieser zu dem Weiterverhoer (anquisitio), und wenn er nach
+dreimaliger Verhandlung vor der Gemeinde seinen Spruch wiederholt hatte, wurde
+im vierten Termin das Urteil von der Buergerschaft bestaetigt oder verworfen.
+Milderung war nicht gestattet. Denselben republikanischen Sinn atmen die
+Saetze, dass das Haus den Buerger schuetze und nur ausserhalb des Hauses eine
+Verhaftung stattfinden koenne; dass die Untersuchungshaft zu vermeiden und es
+jedem angeklagten und noch nicht verurteilten Buerger zu gestatten sei, durch
+Verzicht auf sein Buergerrecht den Folgen der Verurteilung, soweit sie nicht
+das Vermoegen, sondern die Person betrafen, sich zu entziehen - Saetze, die
+allerdings keineswegs gesetzlich formuliert wurden und den anklagenden Beamten
+also nicht rechtlich banden, aber doch durch ihren moralischen Druck namentlich
+fuer die Beschraenkung der Todesstrafe von dem groessten Einfluss gewesen sind.
+Indes wenn das roemische Kriminalrecht fuer den starken Buergersinn wie fuer
+die steigende Humanitaet dieser Epoche ein merkwuerdiges Zeugnis ablegt, so
+litt es dagegen praktisch namentlich unter den hier besonders schaedlich
+nachwirkenden staendischen Kaempfen. Die aus diesen hervorgegangene
+konkurrierende Kriminaljurisdiktion erster Instanz der saemtlichen
+Gemeindebeamten war die Ursache, dass es in dem roemischen Kriminalverfahren
+eine feste Instruktionsbehoerde und eine ernsthafte Voruntersuchung fortan
+nicht mehr gab; und indem das Kriminalurteil letzter Instanz in den Formen und
+von den Organen der Gesetzgebung gefunden ward, auch seinen Ursprung aus dem
+Gnadenverfahren niemals verleugnete, ueberdies noch die Behandlung der
+polizeilichen Bussen auf das aeusserlich sehr aehnliche Kriminalverfahren
+nachteilig zurueckwirkte, wurde nicht etwa missbraeuchlich, sondern
+gewissermassen verfassungsmaessig die Entscheidung in den Kriminalsachen nicht
+nach festem Gesetz, sondern nach dem willkuerlichen Belieben der Richter
+gefaellt. Auf diesem Wege ward das roemische Kriminalverfahren vollstaendig
+grundsatzlos und zum Spielball und Werkzeug der politischen Parteien
+herabgewuerdigt; was um so weniger entschuldigt werden kann, als dies Verfahren
+zwar vorzugsweise fuer eigentliche politische Verbrechen, aber doch auch fuer
+andere, zum Beispiel fuer Mord und Brandstiftung zur Anwendung kam. Dazu kam
+die Schwerfaelligkeit jenes Verfahrens, welche im Verein mit der republikanisch
+hochmuetigen Verachtung des Nichtbuergers es verschuldet hat, dass man sich
+immer mehr gewoehnte, ein summarisches Kriminal- oder vielmehr Polizeiverfahren
+gegen Sklaven und geringe Leute neben jenem foermlichen zu dulden. Auch hier
+ueberschritt der leidenschaftliche Streit um die politischen Prozesse die
+natuerlichen Grenzen und fuehrte Institutionen herbei, die wesentlich dazu
+beigetragen haben, die Roemer allmaehlich der Idee einer festen sittlichen
+Rechtsordnung zu entwoehnen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^3 Man pflegt die Roemer als das zur Jurisprudenz privilegierte Volk zu preisen
+und ihr vortreffliches Recht als eine mystische Gabe des Himmels anzustaunen;
+vermutlich besonders, um sich die Scham zu ersparen ueber die Nichtswuerdigkeit
+des eigenen Rechtszustandes. Ein Blick auf das beispiellos schwankende und
+unentwickelte roemische Kriminalrecht koennte von der Unhaltbarkeit dieser
+unklaren Vorstellungen auch diejenigen ueberzeugen, denen der Satz zu einfach
+scheinen moechte, dass ein gesundes Volk ein gesundes Recht hat und ein krankes
+ein krankes. Abgesehen von allgemeineren staatlichen Verhaeltnissen, von
+welchen die Jurisprudenz eben auch und sie vor allem abhaengt, liegen die
+Ursachen der Trefflichkeit des roemischen Zivilrechts hauptsaechlich in zwei
+Dingen: einmal darin, dass der Klaeger und der Beklagte gezwungen wurden, vor
+allen Dingen die Forderung und ebenso die Einwendung in bindender Weise zu
+motivieren und zu formulieren; zweitens darin, dass man fuer die gesetzliche
+Fortbildung des Rechtes ein staendiges Organ bestellte und dies an die Praxis
+unmittelbar anknuepfte. Mit jenem schnitten die Roemer die advokatische
+Rabulisterei, mit diesem die unfaehige Gesetzmacherei ab, soweit sich
+dergleichen abschneiden laesst, und mit beiden zusammen genuegten sie, soweit
+es moeglich ist, den zwei entgegenstehenden Forderungen, dass das Recht stets
+fest und dass es stets zeitgemaess sein soll.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Weniger sind wir imstande, die Weiterbildung der roemischen
+Religionsvorstellungen in dieser Epoche zu verfolgen. Im allgemeinen hielt man
+einfach fest an der einfachen Froemmigkeit der Ahnen und den Aber- wie den
+Unglauben in gleicher Weise fern. Wie lebendig die Idee der Vergeistigung alles
+Irdischen, auf der die roemische Religion beruhte, noch am Ende dieser Epoche
+war, beweist der vermutlich doch erst infolge der Einfuehrung des
+Silbercourants im Jahre 485 (269) neu entstandene Gott &ldquo;Silberich&rdquo;
+(Argentinus), der natuerlicherweise des aelteren Gottes &ldquo;Kupferich&rdquo;
+(Aesculanus) Sohn war.
+</p>
+
+<p>
+Die Beziehungen zum Ausland sind dieselben wie frueher; aber auch hier und hier
+vor allem ist der hellenische Einfluss im Steigen. Erst jetzt beginnen den
+hellenischen Goettern in Rom selber sich Tempel zu erheben. Der aelteste war
+der Tempel der Kastoren, welcher in der Schlacht am Regillischen See gelobt und
+am 15. Juli 269 (485) eingeweiht sein soll. Die Sage, welche an denselben sich
+knuepft, dass zwei uebermenschlich schoene und grosse Juenglinge auf dem
+Schlachtfelde in den Reihen der Roemer mitkaempfend und unmittelbar nach der
+Schlacht ihre schweisstriefenden Rosse auf dem roemischen Markt am Quell der
+Juturna traenkend und den grossen Sieg verkuendend gesehen worden seien, traegt
+ein durchaus unroemisches Gepraege und ist ohne allen Zweifel der bis in die
+Einzelheiten gleichartigen Epiphanie der Dioskuren in der beruehmten, etwa ein
+Jahrhundert vorher zwischen den Krotoniaten und den Lokrern am Flusse Sagras
+geschlagenen Schlacht in sehr frueher Zeit nachgedichtet. Auch der delphische
+Apoll wird nicht bloss beschickt, wie es ueblich ist, bei allen unter dem
+Einfluss griechischer Kultur stehenden Voelkern, und nicht bloss nach
+besonderen Erfolgen, wie nach der Eroberung von Veii, mit dem Zehnten der Beute
+(360 394) beschenkt, sondern es wird auch ihm ein Tempelinder Stadt gebaut (323
+431, erneuert 401 353). Dasselbe geschah gegen das Ende dieser Periode fuer die
+Aphrodite (459 295), welche in raetselhafter Weise mit der alten roemischen
+Gartengoettin Venus zusammenfloss ^4, und fuer den von Epidauros im Peloponnes
+erbetenen und feierlich nach Rom gefuehrten Asklapios oder Aesculapius (463
+291). Einzeln wird in schweren Zeitlaeuften Klage vernommen ueber das
+Eindringen auslaendischen Aberglaubens, vermutlich etruskischer Haruspizes (so
+326 428); wo aber dann die Polizei nicht ermangelt, ein billiges Einsehen zu
+tun.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^4 In der spaeteren Bedeutung als Aphrodite erscheint die Venus wohl zuerst bei
+der Dedikation des in diesem Jahre geweihten Tempels (Liv. 10, 31; W. A.
+Becker, Topographie der Stadt Rom [Becker, Handbuch, 1]. Leipzig 1843, S. 472).
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+In Etrurien dagegen wird, waehrend die Nation in politischer Nichtigkeit und
+traeger Opulenz stockte und verdarb, das theologische Monopol des Adels, der
+stumpfsinnige Fatalismus, die wueste und sinnlose Mystik, die Zeichendeuterei
+und das Bettelprophetenwesen sich allmaehlich zu jener Hoehe entwickelt haben,
+auf der wir sie spaeter dort finden.
+</p>
+
+<p>
+In dem Priesterwesen traten unseres Wissens durchgreifende Veraenderungen nicht
+ein. Die verschaerfte Einziehung, welche fuer die zur Bestreitung der Kosten
+des oeffentlichen Gottesdienstes angewiesenen Prozessbussen um das Jahr 465
+(289) verfuegt wurde, deutet auf das Steigen des sakralen Staatsbudgets, wie es
+die vermehrte Zahl der Staatsgoetter und Tempel mit Notwendigkeit mit sich
+brachte. Unter den ueblen Folgen des Staendehaders ist es schon angefuehrt
+worden, dass man den Kollegien der Sachverstaendigen einen unstatthaften
+Einfluss einzuraeumen begann und sich ihrer bediente, um politische Akte zu
+kassieren, wodurch teils der Glaube im Volke erschuettert, teils den Pfaffen
+ein sehr schaedlicher Einfluss auf die oeffentlichen Geschaefte zugestanden
+ward.
+</p>
+
+<p>
+Im Kriegswesen trat in dieser Epoche eine vollstaendige Revolution ein. Die
+uralte graecoitalische Heerordnung, welche gleich der homerischen auf der
+Aussonderung der angesehensten und tuechtigsten, in der Regel zu Pferde
+fechtenden Kriegsleute zu einem eigenen Vordertreffen beruht haben mag, war in
+der spaeteren Koenigszeit durch die legio, die altdorische Hoplitenphalanx von
+wahrscheinlich acht Gliedern Tiefe ersetzt worden, welche fortan das
+Schwergewicht des Kampfes uebernahm, waehrend die Reiter auf die Fluegel
+gestellt und, je nach den Umstaenden zu Pferde oder abgesessen, hauptsaechlich
+als Reserve verwandt wurden. Aus dieser Herstellung entwickelte sich ungefaehr
+gleichzeitig in Makedonien die Sarissenphalanx und in Italien die
+Manipularordnung, jene durch Verdichtung und Vertiefung, diese durch Aufloesung
+und Vermannigfaltigung der Glieder, zunaechst durch die Teilung der alten legio
+von 8400 in zwei legiones von je 4200 Mann. Die alte dorische Phalanx hatte
+durchaus auf dem Nahgefecht mit dem Schwert und vor allem dem Spiess beruht und
+den Wurfwaffen nur eine beilaeufige und untergeordnete Stellung im Treffen
+eingeraeumt. In der Manipularlegion wurde die Stosslanze auf das dritte Treffen
+beschraenkt und den beiden ersten anstatt derselben eine neue und eigentuemlich
+italische Wurfwaffe gegeben, das Pilum, ein fuenftehalb Ellen langes
+viereckiges oder rundes Holz mit drei- oder vierkantiger eiserner Spitze, das
+vielleicht urspruenglich zur Verteidigung der Lagerwaelle erfunden worden war,
+aber bald von dem letzten auf die ersten Glieder ueberging und von dem
+vorrueckenden Gliede auf eine Entfernung von zehn bis zwanzig Schritten in die
+feindlichen Reihen geworfen ward. Zugleich gewann das Schwert eine bei weitem
+groessere Bedeutung als das kurze Messer der Phalangiten hatte haben koennen;
+denn die Wurfspeersalve war zunaechst nur bestimmt, dem Angriff mit dem Schwert
+die Bahn zu brechen. Wenn ferner die Phalanx, gleichsam eine einzige gewaltige
+Lanze, auf einmal auf den Feind geworfen werden musste, so wurden in der neuen
+italischen Legion die kleineren, im Phalangensystem wohl auch vorhandenen, aber
+in der Schlachtordnung unaufloeslich fest verknuepften Einheiten taktisch
+voneinander gesondert. Das geschlossene Quadrat teilte sich nicht bloss, wie
+gesagt, in zwei gleich starke Haelften, sondern jede von diesen trat weiter in
+der Tiefrichtung auseinander in drei Treffen, das der Hastaten, das der
+Principes und das der Triarier, von ermaessigter, wahrscheinlich in der Regel
+nur vier Glieder betragender Tiefe und loeste in der Frontrichtung sich auf in
+je zehn Haufen (manipuli), so dass zwischen je zwei Treffen und je zwei Haufen
+ein merklicher Zwischenraum blieb. Es war nur eine Fortsetzung derselben
+Individualisierung, wenn der Gesamtkampf auch der verkleinerten taktischen
+Einheit zurueck- und der Einzelkampf in den Vordergrund trat, wie dies aus der
+schon erwaehnten entscheidenden Rolle des Handgemenges und Schwertgefechtes
+deutlich hervorgeht. Eigentuemlich entwickelte sich auch das System der
+Lagerverschanzung; der Platz, wo der Heerhaufe wenn auch nur fuer eine einzige
+Nacht sein Lager nahm, ward ohne Ausnahme mit einer regelmaessigen Umwallung
+versehen und gleichsam in eine Festung umgeschaffen. Wenig aenderte sich
+dagegen in der Reiterei, die auch in der Manipularlegion die sekundaere Rolle
+behielt, welche sie neben der Phalanx eingenommen hatte. Auch das
+Offiziersystem blieb in der Hauptsache ungeaendert; nur wurden jetzt jeder der
+zwei Legionen des regelmaessigen Heeres ebenso viele Kriegstribune vorgesetzt,
+wie sie bisher das gesamte Heer befehligt hatten, also die Zahl der
+Stabsoffiziere verdoppelt. Es duerfte auch in dieser Zeit sich die scharfe
+Grenze festgestellt haben zwischen den Subalternoffizieren, welche sich ihren
+Platz an der Spitze der Manipel als Gemeine mit dem Schwerte zu gewinnen hatten
+und in regelmaessigem Avancement von den niederen in die hoeheren Manipel
+uebergingen, und den je sechs und sechs den ganzen Legionen vorgesetzten
+Kriegstribunen, fuer welche es kein regelmaessiges Avancement gab und zu denen
+man gewoehnlich Maenner aus der besseren Klasse nahm. Namentlich muss es dafuer
+von Bedeutung geworden sein, dass, waehrend frueher die Subaltern- wie die
+Stabsoffiziere gleichmaessig vom Feldherrn ernannt wurden, seit dem Jahre 392
+(362) ein Teil der letzteren Posten durch Buergerschaftswahl vergeben ward.
+Endlich blieb auch die alte, furchtbar strenge Kriegszucht unveraendert. Nach
+wie vor war es dem Feldherrn gestattet, jedem in seinem Lager dienenden Mann
+den Kopf vor die Fuesse zu legen und den Stabsoffizier so gut wie den gemeinen
+Soldaten mit Ruten auszuhauen; auch wurden dergleichen Strafen nicht bloss
+wegen gemeiner Verbrechen erkannt, sondern ebenso, wenn sich ein Offizier
+gestattet hatte, von dem erteilten Befehle abzuweichen, oder wenn eine
+Abteilung sich hatte ueberrumpeln lassen oder vom Schlachtfeld gewichen war.
+Dagegen bedingt die neue Heerordnung eine weit ernstere und laengere
+militaerische Schule als die bisherige phalangitische, worin das Schwergewicht
+der Masse auch die Ungeuebten zusammenhielt. Wenn dennoch kein eigener
+Soldatenstand sich entwickelte, sondern das Heer nach wie vor Buergerheer
+blieb, so ward dies hauptsaechlich dadurch erreicht, dass man die bisherige
+Gliederung der Soldaten nach dem Vermoegen aufgab und sie nach dem Dienstalter
+ordnete. Der roemische Rekrut trat jetzt ein unter die leichtbewaffneten,
+ausserhalb der Linie besonders mit Steinschleudern fechtenden
+&ldquo;Sprenkler&rdquo; (rorarii) und avancierte aus diesem allmaehlich in das
+erste und weiter in das zweite Treffen, bis endlich die langgedienten und
+erfahrenen Soldaten in dem an Zahl schwaechsten, aber in dem ganzen Heer Ton
+und Geist angebenden Triarierkorps sich zusammenfanden.
+</p>
+
+<p>
+Die Vortrefflichkeit dieser Kriegsordnung, welche die naechste Ursache der
+ueberlegenen politischen Stellung der roemischen Gemeinde geworden ist, beruht
+wesentlich auf den drei grossen militaerischen Prinzipien der Reserve, der
+Verbindung des Nah- und Ferngefechts und der Verbindung von Offensive und
+Defensive. Das Reservesystem war schon in der aelteren Verwendung der Reiterei
+angedeutet, hier aber durch die Gliederung des Heeres in drei Treffen und die
+Aufsparung der Veteranenkernschar fuer den letzten und entscheidenden Stoss
+vollstaendig entwickelt. Wenn die hellenische Phalanx den Nahkampf, die
+orientalischen mit Bogen und leichten Wurfspeeren bewaffneten Reitergeschwader
+den Fernkampf einseitig ausgebildet hatten, so wurde durch die roemische
+Verbindung des schweren Wurfspiesses mit dem Schwerte, wie mit Recht gesagt
+worden ist, ein aehnlicher Erfolg erreicht wie in der modernen Kriegfuehrung
+durch die Einfuehrung der Bajonettflinte; es arbeitete die Wurfspeersalve dem
+Schwertkampf genau in derselben Weise vor wie jetzt die Gewehrsalve dem Angriff
+mit dem Bajonett. Endlich das ausgebildete Lagersystem gestattete es den
+Roemern, die Vorteile des Belagerungs- und des Offensivkrieges miteinander zu
+verbinden und die Schlacht je nach Umstaenden zu verweigern oder zu liefern,
+und im letzteren Fall sie unter den Lagerwaellen gleichwie unter den Mauern
+einer Festung zu schlagen - der Roemer, sagt ein roemisches Sprichwort, siegt
+durch Stillsitzen.
+</p>
+
+<p>
+Dass diese neue Kriegsordnung im wesentlichen eine roemische oder wenigstens
+italische Um- und Fortbildung der alten hellenischen Phalangentaktik ist,
+leuchtet ein; wenn gewisse Anfaenge des Reservesystems und der
+Individualisierung der kleineren Heerabteilungen schon bei den spaeteren
+griechischen Strategen, namentlich bei Xenophon begegnen, so folgt daraus nur,
+dass man die Mangelhaftigkeit des alten Systems auch hier empfunden, aber doch
+nicht vermocht hat, sie zu beseitigen. Vollstaendig entwickelt erscheint die
+Manipularlegion im Pyrrhischen Kriege; wann und unter welchen Umstaenden und ob
+sie auf einmal oder nach und nach entstanden ist, laesst sich nicht mehr
+nachweisen. Die erste von der aelteren italisch-hellenischen gruendlich
+verschiedene Taktik, die den Roemern gegenuebertrat, war die keltische
+Schwerterphalanx; es ist nicht unmoeglich, dass man durch die Gliederung der
+Armee und die Frontalintervalle der Manipel ihren ersten und allein
+gefaehrlichen Stoss abwehren wollte und abgewehrt hat; und damit stimmt es
+zusammen, wenn in manchen einzelnen Notizen der bedeutendste roemische Feldherr
+der Gallierzeit, Marcus Furius Camillus, als Reformator des roemischen
+Kriegswesens erscheint. Die weiteren an den Samnitischen und Pyrrhischen Krieg
+anknuepfenden Ueberlieferungen sind weder hinreichend beglaubigt noch mit
+Sicherheit einzureihen ^5; so wahrscheinlich es auch an sich ist, dass der
+langjaehrige samnitische Bergkrieg auf die individuelle Entwicklung des
+roemischen Soldaten, und der Kampf gegen einen der ersten Kriegskuenstler aus
+der Schule des grossen Alexander auf die Verbesserung des Technischen im
+roemischen Heerwesen nachhaltig eingewirkt hat.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^5 Nach der roemischen Tradition fuehrten die Roemer urspruenglich viereckige
+Schilde; worauf sie von den Etruskern den runden Hoplitenschild (clupeus,
+αςπίς)von den Samniten den spaeteren viereckigen Schild (scutum, θυρεός) und
+den Wurfspeer (veru) entlehnten (Diodor. Vat. fr. p. 54; Sall. Catil. 51, 38;
+Verg. Aen. 7, 665; Fest. v. Samnites p. 327 Mueller und die bei Marquardt,
+Handbuch, Bd. 3, 2, S. 241 angefuehrten). Allein dass der Hoplitenschild, das
+heisst die dorische Phalangentaktik nicht den Etruskern, sondern den Hellenen
+unmittelbar nachgeahmt ward, darf als ausgemacht gelten. Was das Scutum
+anlangt, so wird dieser grosse zylinderfoermig gewoelbte Lederschild allerdings
+wohl an die Stelle des platten kupfernen Clupeus getreten sein, als die Phalanx
+in Manipel auseinandertrat; allein die unzweifelhafte Herleitung des Wortes aus
+dem Griechischen macht misstrauisch gegen die Herleitung der Sache von den
+Samniten. Von den Griechen kam den Roemern auch die Schleuder (funda aus
+σφενδόνη, wie fides aus σφίδη, oben). Das Pilum gilt den Alten durchaus als
+roemische Erfindung.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+In der Volkswirtschaft war und blieb der Ackerbau die soziale und politische
+Grundlage sowohl der roemischen Gemeinde als des neuen italischen Staates. Aus
+den roemischen Bauern bestand die Gemeindeversammlung und das Heer; was sie als
+Soldaten mit dem Schwerte gewonnen hatten, sicherten sie als Kolonisten mit dem
+Pfluge. Die Ueberschuldung des mittleren Grundbesitzes fuehrte die furchtbaren
+inneren Krisen des dritten und vierten Jahrhunderts herbei, an denen die junge
+Republik zugrunde gehen zu muessen schien; die Wiedererhebung der latinischen
+Bauernschaft, welche waehrend des fuenften teils durch die massenhaften
+Landanweisungen und Inkorporationen, teils durch das Sinken des Zinsfusses und
+die steigende Volksmenge Roms bewirkt ward, war zugleich Wirkung und Ursache
+der gewaltigen Machtentwicklung Roms - wohl erkannte Pyrrhos&rsquo; scharfer
+Soldatenblick die Ursache des politischen und militaerischen Uebergewichts der
+Roemer in dem bluehenden Zustande der roemischen Bauernwirtschaften. Aber auch
+das Aufkommen der Grosswirtschaft in dem roemischen Ackerbau scheint in diese
+Zeit zu fallen. In der aelteren Zeit gab es wohl auch schon einen - wenigstens
+verhaeltnismaessig - grossen Grundbesitz; aber dessen Bewirtschaftung war keine
+Gross-, sondern nur eine vervielfaeltigte Kleinwirtschaft (I, 204). Dagegen
+darf die mit der aelteren Wirtschaftsweise zwar nicht unvereinbare, aber doch
+der spaeteren bei weitem angemessenere Bestimmung des Gesetzes vom Jahre 387
+(367), dass der Grundbesitzer neben den Sklaven eine verhaeltnismaessige Zahl
+freier Leute zu verwenden verbunden sei, wohl als die aelteste Spur der
+spaeteren zentralisierten Gutswirtschaft angesehen werden ^6; und es ist
+bemerkenswert, dass gleich hier bei ihrem ersten Vorkommen dieselbe wesentlich
+auf dem Sklavenhalten ruht. Wie sie aufkam, muss dahingestellt bleiben;
+moeglich ist es, dass die karthagischen Pflanzungen auf Sizilien schon den
+aeltesten roemischen Gutsbesitzern als Muster gedient haben und vielleicht
+steht selbst das Aufkommen des Weizens in der Landwirtschaft neben dem Spelt,
+das Varro um die Zeit der Dezemvirn setzt, mit dieser veraenderten
+Wirtschaftsweise in Zusammenhang. Noch weniger laesst sich ermitteln, wie weit
+diese Wirtschaftsweise schon in dieser Epoche um sich gegriffen hat; nur daran,
+dass sie noch nicht Regel gewesen sein und den italischen Bauernstand noch
+nicht absorbiert haben kann, laesst die Geschichte des Hannibalischen Krieges
+keinen Zweifel. Wo sie aber aufkam, vernichtete sie die aeltere, auf dem
+Bittbesitz beruhende Klientel; aehnlich wie die heutige Gutswirtschaft
+grossenteils durch Niederlegung der Bauernstellen und Verwandlung der Hufen in
+Hoffeld entstanden ist. Es ist keinem Zweifel unterworfen, dass zu der
+Bedraengnis des kleinen Ackerbauernstandes eben das Einschraenken dieser
+Ackerklientel hoechst wesentlich mitgewirkt hat.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^6 Auch Varro (rust. 1, 2, 9) denkt sich den Urheber des Licinischen
+Ackergesetzes offenbar als Selbstbewirtschafter seiner ausgedehnten
+Laendereien; obgleich uebrigens die Anekdote leicht erfunden sein kann, um den
+Beinamen zu erklaeren.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Ueber den inneren Verkehr der Italiker untereinander sind die schriftlichen
+Quellen stumm; einigen Aufschluss geben lediglich die Muenzen. Dass in Italien,
+von den griechischen Staedten und dem etruskischen Populonia abgesehen,
+waehrend der ersten drei Jahrhunderte Roms nicht gemuenzt ward und als
+Tauschmaterial anfangs das Vieh, spaeter Kupfer nach dem Gewicht diente, wurde
+schon gesagt. In die gegenwaertige Epoche faellt der Uebergang der Italiker vom
+Tausch- zum Geldsystem, wobei man natuerlich zunaechst auf griechische Muster
+sich hingewiesen sah. Es lag indes in den Verhaeltnissen, dass in Mittelitalien
+statt des Silbers das Kupfer zum Muenzmetall ward und die Muenzeinheit sich
+zunaechst anlehnte an die bisherige Werteinheit, das Kupferpfund; womit es
+zusammenhaengt, dass man die Muenzen goss, statt sie zu praegen, denn kein
+Stempel haette ausgereicht fuer so grosse und schwere Stuecke. Doch scheint von
+Haus aus zwischen Kupfer und Silber ein festes Gleichungsverhaeltnis (250 : 1)
+normiert und die Kupfermuenze mit Ruecksicht darauf ausgebracht worden zu sein,
+so dass zum Beispiel in Rom das grosse Kupferstueck, der As, dem Werte nach
+einem Skrupel (= 1/288 Pfund) Silber gleichkam. Geschichtlich bemerkenswerter
+ist es, dass die Muenze in Italien hoechst wahrscheinlich von Rom ausgegangen
+ist und zwar eben von den Dezemvirn, die in der Solonischen Gesetzgebung das
+Vorbild auch zur Regulierung des Muenzwesens fanden, und dass sie von Rom aus
+sich verbreitete ueber eine Anzahl latinischer, etruskischer, umbrischer und
+ostitalischer Gemeinden; zum deutlichen Beweise der ueberlegenen Stellung, die
+Rom schon seit dem Anfang des vierten Jahrhunderts in Italien behauptete. Wie
+alle diese Gemeinden formell unabhaengig nebeneinander standen, war gesetzlich
+auch der Muenzfuss durchaus oertlich und jedes Stadtgebiet ein eigenes
+Muenzgebiet; indes lassen sich doch die mittel- und norditalischen
+Kupfermuenzfuesse in drei Gruppen zusammenfassen, innerhalb welcher man die
+Muenzen im gemeinen Verkehr als gleichartig behandelt zu haben scheint. Es sind
+dies teils die Muenzen der noerdlich vom Ciminischen Walde gelegenen
+etruskischen und der umbrischen Staedte, teils die Muenzen von Rom und Latium,
+teils die des oestlichen Litorals. Dass die roemischen Muenzen mit dem Silber
+nach dem Gewicht geglichen waren, ist schon bemerkt worden: diejenigen der
+italischen Ostkueste finden wir dagegen in ein bestimmtes Verhaeltnis gesetzt
+zu den Silbermuenzen, die im suedlichen Italien seit alter Zeit gangbar waren
+und deren Fuss sich auch die italischen Einwanderer, zum Beispiel die Brettier,
+Lucaner, Nolaner, ja die latinischen Kolonien daselbst wie Cales und Suessa und
+sogar die Roemer selbst fuer ihre unteritalischen Besitzungen aneigneten.
+Danach wird auch der italische Binnenhandel in dieselben Gebiete zerfallen
+sein, welche unter sich verkehrten gleich fremden Voelkern.
+</p>
+
+<p>
+Im ueberseeischen Verkehr bestanden die frueher bezeichneten
+sizilisch-latinischen, etruskisch-attischen und adriatisch-tarentinischen
+Handelsbeziehungen auch in dieser Epoche fort oder gehoeren ihr vielmehr recht
+eigentlich an; denn obwohl die derartigen, in der Regel ohne Zeitangabe
+vorkommenden Tatsachen der Obersicht wegen schon bei der ersten Periode
+zusammengefasst worden sind, erstrecken sich diese Angaben doch ebensowohl auf
+die gegenwaertige mit. Am deutlichsten sprechen auch hierfuer die Muenzen. Wie
+die Praegung des etruskischen Silbergeldes auf attischen Fuss und das
+Eindringen des italischen und besonders latinischen Kupfers in Sizilien fuer
+die ersten beiden Handelszuege zeugen, so spricht die eben erwaehnte
+Gleichstellung des grossgriechischen Silbergeldes mit der picenischen und
+apulischen Kupfermuenze nebst zahlreichen anderen Spuren fuer den regen Verkehr
+der unteritalischen Griechen, namentlich der Tarentiner mit dem ostitalischen
+Litoral. Dagegen scheint der frueher wohl lebhaftere Handel zwischen den
+Latinern und den kampanischen Griechen durch die sabellische Einwanderung
+gestoert worden zu sein und waehrend der ersten hundertundfuenfzig Jahre der
+Republik nicht viel bedeutet zu haben; die Weigerung der Samniten, in Capua und
+Cumae den Roemern in der Hungersnot von 343 (411) mit ihrem Getreide zu Hilfe
+zu kommen, duerfte eine Spur der zwischen Latium und Kampanien veraenderten
+Beziehungen sein, bis im Anfang des fuenften Jahrhunderts die roemischen Waffen
+die alten Verhaeltnisse wiederherstellten und steigerten. Im einzelnen mag es
+noch gestattet sein, als eines der seltenen datierten Fakten aus der Geschichte
+des roemischen Verkehrs der Notiz zu gedenken, welche aus der ardeatischen
+Chronik erhalten ist, dass im Jahre 454 (300) der erste Barbier aus Sizilien
+nach Ardea kam, und einen Augenblick bei dem gemalten Tongeschirr zu verweilen,
+das vorzugsweise aus Attika, daneben aus Kerkyra und Sizilien nach Lucanien,
+Kampanien und Etrurien gesandt ward, um dort zur Ausschmueckung der
+Grabgemaecher zu dienen und ueber dessen merkantilische Verhaeltnisse wir
+zufaellig besser als ueber irgendeinen anderen ueberseeischen Handelsartikel
+unterrichtet sind. Der Anfang dieser Einfuhr mag um die Zeit der Vertreibung
+der Tarquinier fallen, denn die noch sehr sparsam in Italien vorkommenden
+Gefaesse des aeltesten Stils duerften in der zweiten Haelfte des dritten
+Jahrhunderts der Stadt (500-450) gemalt sein, waehrend die zahlreicheren des
+strengen Stils der ersten (450-400), die des vollendet schoenen der zweiten
+Haelfte des vierten (400-350) angehoeren, und die ungeheuren Massen der
+uebrigen, oft durch Pracht und Groesse, aber selten durch vorzuegliche Arbeit
+sich auszeichnenden Vasen im ganzen dem folgenden Jahrhundert (350-250)
+beizulegen sein werden. Es waren allerdings wieder die Hellenen, von denen die
+Italiker diese Sitte der Graeberschmueckung entlehnten; aber wenn die
+bescheidenen Mittel und der feine Takt der Griechen sie bei diesen in engen
+Grenzen hielten, ward sie in Italien mit barbarischer Opulenz und barbarischer
+Verschwendung weit ueber das urspruengliche und schickliche Mass ausgedehnt.
+Aber es ist bezeichnend, dass es in Italien lediglich die Laender der
+hellenischen Halbkultur sind, in welchen diese Ueberschwenglichkeit begegnet;
+wer solche Schrift zu lesen versteht, wird in den etruskischen und kampanischen
+Leichenfeldern, den Fundgruben unserer Museen, den redenden Kommentar zu den
+Berichten der Alten ueber die im Reichtum und Uebermut erstickende etruskische
+und kampanische Halbbildung erkennen. Dagegen blieb das schlichte samnitische
+Wesen diesem toerichten Luxus zu allen Zeiten fern; in dem Mangel des
+griechischen Grabgeschirrs tritt ebenso fuehlbar wie in dem Mangel einer
+samnitischen Landesmuenze die geringe Entwicklung des Handelsverkehrs und des
+staedtischen Lebens in dieser Landschaft hervor. Noch bemerkenswerter ist es,
+dass auch Latium, obwohl den Griechen nicht minder nahe wie Etrurien und
+Kampanien und mit ihnen im engsten Verkehr, dieser Graeberpracht sich fast ganz
+enthalten hat. Es ist wohl mehr als wahrscheinlich, namentlich wegen der ganz
+abweichenden Beschaffenheit der Graeber in dem einzigen Praeneste, dass wir
+hierin den Einfluss der strengen roemischen Sittlichkeit, oder, wenn man lieber
+will, der straffen roemischen Polizei wiederzuerkennen haben. Im engsten
+Zusammenhange damit stehen die bereits erwaehnten Interdikte, welche schon das
+Zwoelftafelgesetz gegen purpurne Bahrtuecher und den Goldschmuck als
+Totenmitgift schleudert, und die Verbannung des silbernen Geraetes mit Ausnahme
+des Salzfasses und der Opferschale aus dem roemischen Hausrat wenigstens durch
+das Sittengesetz und die Furcht vor der zensorischen Ruege; und auch in dem
+Bauwesen werden wir demselben, allem gemeinen wie edlen Luxus feindlichen Sinn
+wiederbegegnen. Indes mochte auch Rom durch solche Einwirkung von oben her
+laenger als Volsinii und Capua eine gewisse aeussere Einfachheit bewahren, so
+werden sein Handel und Gewerbe, auf denen ja neben dem Ackerbau seine Bluete
+von Haus aus beruhte, darum noch nicht als unbedeutend gedacht werden duerfen
+und nicht minder den Einfluss der neuen Machtstellung Roms empfunden haben.
+</p>
+
+<p>
+Zu der Entwicklung eines eigentlichen staedtischen Mittelstandes, einer
+unabhaengigen Handwerker- und Kaufmannschaft kam es in Rom nicht. Die Ursache
+war neben der frueh eingetretenen unverhaeltnismaessigen Zentralisierung des
+Kapitals vornehmlich die Sklavenwirtschaft. Es war im Altertum ueblich und in
+der Tat eine notwendige Konsequenz der Sklaverei, dass die kleineren
+staedtischen Geschaefte sehr haeufig von Sklaven betrieben wurden, welche ihr
+Herr als Handwerker oder Kaufleute etablierte, oder auch von Freigelassenen,
+fuer welche der Herr nicht bloss sehr oft das Geschaeftskapital hergab, sondern
+von denen er sich auch regelmaessig einen Anteil, oft die Haelfte des
+Geschaeftsgewinns ausbedang. Der Kleinbetrieb und der Kleinverkehr in Rom waren
+ohne Zweifel in stetigem Steigen; es finden sich auch Belege dafuer, dass die
+dem grossstaedtischen Luxus dienstbaren Gewerbe anfingen, sich in Rom zu
+konzentrieren - so ist das ficoronische Schmuckkaestchen im fuenften
+Jahrhundert der Stadt von einem praenestinischen Meister verfertigt und nach
+Praeneste verkauft, aber dennoch in Rom gearbeitet worden ^7. Allein da der
+Reinertrag auch des Kleingeschaefts zum groessten Teil in die Kassen der
+grossen Haeuser floss, so kam ein industrieller und kommerzieller Mittelstand
+nicht in entsprechender Ausdehnung empor. Ebensowenig sonderten sich die
+Grosshaendler und grossen Industriellen scharf von den grossen Grundbesitzern.
+Einerseits waren die letzteren seit alter zugleich Geschaeftsbetreibende und
+Kapitalisten und in ihren Haenden Hypothekardarlehen, Grosshandel und
+Lieferungen und Arbeiten fuer den Staat vereinigt. Anderseits war es bei dem
+starken sittlichen Akzent, der in dem roemischen Gemeinwesen auf den
+Grundbesitz fiel, und bei seiner politischen Alleinberechtigung, welche erst
+gegen das Ende dieser Epoche einige Einschraenkungen erlitt, ohne Zweifel schon
+in dieser Zeit gewoehnlich, dass der glueckliche Spekulant mit einem Teil
+seiner Kapitalien sich ansaessig machte. Es geht auch aus der politischen
+Bevorzugung der ansaessigen Freigelassenen deutlich genug hervor, dass die
+roemischen Staatsmaenner dahin wirkten, auf diesem Wege die gefaehrliche Klasse
+der nicht grundsaessigen Reichen zu vermindern.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^7 Die Vermutung, dass der Kuenstler, welcher an diesem Kaestchen fuer die
+Dindia Macolnia in Rom gearbeitet hat, Novius Plautius, ein Kampaner, gewesen
+sei, wird durch die neuerlich gefundenen alten praenestinischen Grabsteine
+widerlegt, auf denen unter andern Macolniern und Plautiern auch ein Lucius
+Magulnius des Plautius Sohn (L. Magolnio Pla. f.) vorkommt.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Aber wenn auch in Rom weder ein wohlhabender staedtischer Mittelstand noch eine
+streng geschlossene Kapitalistenklasse sich bildete, so war das
+grossstaedtische Wesen doch an sich in unaufhaltsamem Steigen. Deutlich weist
+darauf hin die zunehmende Zahl der in der Hauptstadt zusammengedraengten
+Sklaven, wovon die sehr ernsthafte Sklavenverschwoerung des Jahres 335 (419)
+zeugt, und noch mehr die steigende, allmaehlich unbequem und gefaehrlich
+werdende Menge der Freigelassenen, worauf die im Jahre 397 (357) auf die
+Freilassungen gelegte ansehnliche Steuer und die Beschraenkung der politischen
+Rechte der Freigelassenen im Jahre 450 (304) einen sicheren Schluss gestatten.
+Denn es lag nicht bloss in den Verhaeltnissen, dass die grosse Majoritaet der
+freigelassenen Leute sich dem Gewerbe oder dem Handel widmen musste, sondern es
+war auch die Freilassung selbst bei den Roemern, wie gesagt, weniger eine
+Liberalitaet als eine industrielle Spekulation, indem der Herr bei dem Anteil
+an dem Gewerb- oder Handelsgewinn des Freigelassenen oft besser seine Rechnung
+fand als bei dem Anrecht auf den ganzen Reinertrag des Sklavengeschaefts. Die
+Zunahme der Freilassungen muss deshalb mit der Steigerung der kommerziellen und
+industriellen Taetigkeit der Roemer notwendig Hand in Hand gegangen sein.
+</p>
+
+<p>
+Einen aehnlichen Fingerzeig fuer die steigende Bedeutung des staedtischen
+Wesens in Rom gewaehrt die gewaltige Entwicklung der staedtischen Polizei. Es
+gehoert zum grossen Teil wohl schon dieser Zeit an, dass die vier Aedilen unter
+sich die Stadt in vier Polizeibezirke teilten und dass fuer die ebenso wichtige
+wie schwierige Instandhaltung des ganz Rom durchziehenden Netzes von kleineren
+und groesseren Abzugskanaelen sowie der oeffentlichen Gebaeude und Plaetze,
+fuer die gehoerige Reinigung und Pflasterung der Strassen, fuer die Beseitigung
+den Einsturz drohender Gebaeude, gefaehrlicher Tiere, uebler Gerueche, fuer die
+Fernhaltung der Wagen ausser in den Abend- und Nachtstunden und ueberhaupt fuer
+die Offenhaltung der Kommunikation, fuer die ununterbrochene Versorgung des
+hauptstaedtischen Marktes mit gutem und billigem Getreide, fuer die Vernichtung
+gesundheitsschaedlicher Waren und falscher Masse und Gewichte, fuer die
+besondere Ueberwachung von Baedern, Schenken, schlechten Haeusern von den
+Aedilen Fuersorge getroffen ward.
+</p>
+
+<p>
+Im Bauwesen mag wohl die Koenigszeit, namentlich die Epoche der grossen
+Eroberungen, mehr geleistet haben als die ersten zwei Jahrhunderte der
+Republik. Anlagen wie die Tempel auf dem Kapitol und dem Aventin und der grosse
+Spielplatz moegen den sparsamen Vaetern der Stadt ebenso wie den fronenden
+Buergern ein Greuel gewesen sein, und es ist bemerkenswert, dass das vielleicht
+bedeutendste Bauwerk der republikanischen Zeit vor den Samnitischen Kriegen,
+der Cerestempel am Circus, ein Werk des Spurius Cassius (261 493) war, welcher
+in mehr als einer Hinsicht wieder in die Traditionen der Koenige
+zurueckzulenken suchte. Auch den Privatluxus hielt die regierende Aristokratie
+mit einer Strenge nieder, wie sie die Koenigsherrschaft bei laengerer Dauer
+sicher nicht entwickelt haben wuerde. Aber auf die Laenge vermochte selbst der
+Senat sich nicht laenger gegen das Schwergewicht der Verhaeltnisse zu stemmen.
+Appius Claudius war es, der in seiner epochemachenden Zensur (442 312) das
+veraltete Bauernsystem des Sparschatzsammelns beiseite warf und seine
+Mitbuerger die oeffentlichen Mittel in wuerdiger Weise gebrauchen lehrte. Er
+begann das grossartige System gemeinnuetziger oeffentlicher Bauten, das, wenn
+irgendetwas, Roms militaerische Erfolge auch von dem Gesichtspunkt der
+Voelkerwohlfahrt aus gerechtfertigt hat und noch heute in seinen Truemmern
+Tausenden und Tausenden, welche von roemischer Geschichte nie ein Blatt gelesen
+haben, eine Ahnung gibt von der Groesse Roms. Ihm verdankt der roemische Staat
+die erste grosse Militaerchaussee, die roemische Stadt die erste Wasserleitung.
+Claudius&rsquo; Spuren folgend, schlang der roemische Senat um Italien jenes
+Strassen- und Festungsnetz, dessen Gruendung frueher beschrieben ward und ohne
+das, wie von den Achaemeniden bis hinab auf den Schoepfer der Simplonstrasse
+die Geschichte aller Militaerstaaten lehrt, keine militaerische Hegemonie
+bestehen kann. Claudius&rsquo; Spuren folgend, baute Manius Curius aus dem
+Erloes der Pyrrhischen Beute eine zweite hauptstaedtische Wasserleitung (482
+272) und oeffnete schon einige Jahre vorher (464 290) mit dem sabinischen
+Kriegsgewinn dem Velino, da wo er oberhalb Terni in die Nera sich stuerzt, das
+heute noch von ihm durchflossene breitere Bett, um in dem dadurch
+trockengelegten schoenen Tal von Rieti fuer eine grosse Buergeransiedlung Raum
+und auch fuer sich eine bescheidene Hufe zu gewinnen. Solche Werke verdunkelten
+selbst in den Augen verstaendiger Leute die zwecklose Herrlichkeit der
+hellenischen Tempel. Auch das buergerliche Leben wurde jetzt ein anderes. Um
+die Zeit des Pyrrhos begann auf den roemischen Tafeln das Silbergeschirr sich
+zu zeigen ^8 und das Verschwinden der Schindeldaecher in Rom datieren die
+Chronisten von dem Jahre 470 (284). Die neue Hauptstadt Italiens legte endlich
+ihr dorfartiges Ansehen allmaehlich ab und fing nun auch an, sich zu
+schmuecken. Zwar war es noch nicht Sitte, in den eroberten Staedten zu Roms
+Verherrlichung die Tempel ihrer Zierden zu berauben; aber dafuer prangten an
+der Rednerbuehne des Marktes die Schnaebel der Galeeren von Antium und an
+oeffentlichen Festtagen laengs der Hallen am Markte die von den Schlachtfeldern
+Samniums heimgebrachten goldbeschlagenen Schilde. Besonders der Ertrag der
+Bruechgelder diente zur Pflasterung der Strassen in und vor der Stadt oder zur
+Errichtung und Ausschmueckung oeffentlicher Gebaeude. Die hoelzernen Buden der
+Fleischer, welche an den beiden Langseiten des Marktes sich hinzogen, wichen
+zuerst an der palatinischen, dann auch an der den Carinen zugewandten Seite den
+steinernen Hallen der Geldwechsler; dadurch ward dieser Platz zur roemischen
+Boerse. Die Bildsaeulen der gefeierten Maenner der Vergangenheit, der Koenige,
+Priester und Helden der Sagenzeit, des griechischen Gastfreundes, der den
+Zehnmaennern die Solonischen Gesetze verdolmetscht haben sollte, die
+Ehrensaeulen und Denkmaeler der grossen Buergermeister, welche die Veienter,
+die Latiner, die Samniten ueberwunden hatten, der Staatsboten, die in
+Vollziehung ihres Auftrages umgekommen waren, der reichen Frauen, die ueber ihr
+Vermoegen zu oeffentlichen Zwecken verfuegt hatten, ja sogar schon gefeierter
+griechischer Weisen und Helden, wie des Pythagoras und des Alkibiades, wurden
+auf der Burg oder auf dem roemischen Markte aufgestellt. Also ward, nachdem die
+roemische Gemeinde eine Grossmacht geworden war, Rom selber eine Grossstadt.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^8 Der wegen seines silbernen Tafelgeraets gegen Publius Cornelius Rufinus
+(Konsul 464, 477 290, 277) verhaengten zensorischen Makel wurde schon gedacht.
+Fabius&rsquo; befremdliche Angabe (bei Strabon 5, p. 228), dass die Roemer
+zuerst nach der Besiegung der Sabiner sich dem Luxus ergeben haetten (αισθέσθαι
+τού πλόντου), ist offenbar nur eine άbersetzung derselben Anekdote ins
+Historische; denn die Besiegung der Sabiner faellt in Rufinus&rsquo; erstes
+Konsulat.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Endlich trat denn auch Rom als Haupt der roemisch-italischen Eidgenossenschaft
+wie in das hellenistische Staatensystem, so auch in das hellenische Geld- und
+Muenzwesen ein. Bis dahin hatten die Gemeinden Nord- und Mittelitaliens mit
+wenigen Ausnahmen einzig Kupfercourant, die sueditalischen Staedte dagegen
+durchgaengig Silbergeld geschlagen und es der Muenzfuesse und Muenzsysteme
+gesetzlich so viele gegeben, als es souveraene Gemeinden in Italien gab. Im
+Jahre 485 (269) wurden alle diese Muenzstaetten auf die Praegung von
+Scheidemuenze beschraenkt, ein allgemeiner, fuer ganz Italien geltender
+Courantfuss eingefuehrt und die Courantpraegung in Rom zentralisiert, nur dass
+Capua seine eigene, zwar unter roemischem Namen, aber auf abweichenden Fuss
+gepraegte Silbermuenze auch ferner behielt. Das neue Muenzsystem beruhte auf
+dem gesetzlichen Verhaeltnisse der beiden Metalle, wie dasselbe seit langem
+feststand; die gemeinsame Muenzeinheit war das Stueck von zehn, nicht mehr
+pfuendigen, sondern auf das Drittelpfund reduzierten Assen, der Denarius, in
+Kupfer 3 1/3, in Silber 1/72 eines roemischen Pfundes, eine Kleinigkeit mehr
+als die attische Drachme. Zunaechst herrschte in der Praegung noch die
+Kupfermuenze vor und wahrscheinlich ist der aelteste Silberdenar hauptsaechlich
+fuer Unteritalien und fuer den Verkehr mit dem Ausland geschlagen worden. Wie
+aber der Sieg der Roemer ueber Pyrrhos und Tarent und die roemische
+Gesandtschaft nach Alexandreia dem griechischen Staatsmanne dieser Zeit zu
+denken geben mussten, so mochte auch der einsichtige griechische Kaufmann wohl
+nachdenklich diese neuen roemischen Drachmen betrachten, deren flaches,
+unkuenstlerisches und einfoermiges Gepraege neben dem gleichzeitigen
+wunderschoenen der Muenzen des Pyrrhos und der Sikelioten freilich duerftig und
+unansehnlich erscheint, die aber dennoch keineswegs, wie die Barbarenmuenzen
+des Altertums, sklavisch nachgeahmt und in Schrot und Korn ungleich sind,
+sondern mit ihrer selbstaendigen und gewissenhaften Praegung von Haus aus jeder
+griechischen ebenbuertig sich an die Seite stellen.
+</p>
+
+<p>
+Wenn also von der Entwicklung der Verfassungen, von den Voelkerkaempfen um
+Herrschaft und Freiheit, wie sie Italien und insbesondere Rom von der
+Verbannung des Tarquinischen Geschlechts bis zur Ueberwaeltigung der Samniten
+und der italischen Griechen bewegten, der Blick sich wendet zu den stilleren
+Kreisen des menschlichen Daseins, die die Geschichte doch auch beherrscht und
+durchdringt, so begegnet ihm ebenfalls ueberall die Nachwirkung der
+grossartigen Ereignisse, durch welche die roemische Buergerschaft die Fesseln
+des Geschlechterregiments sprengte und die reiche Fuelle der nationalen
+Bildungen Italiens allmaehlich unterging, um ein einziges Volk zu bereichern.
+Durfte auch der Geschichtschreiber es nicht versuchen, den grossen Gang der
+Ereignisse in die grenzenlose Mannigfaltigkeit der individuellen Gestaltung
+hinein zu verfolgen, so ueberschritt er doch seine Aufgabe nicht, wenn er, aus
+der zertruemmerten Ueberlieferung einzelne Bruchstuecke ergreifend, hindeutete
+auf die wichtigsten Aenderungen, die in dieser Epoche im italischen Volksleben
+stattgefunden haben. Wenn dabei noch mehr als frueher das roemische in den
+Vordergrund trat, so ist dies nicht bloss in den zufaelligen Luecken unserer
+Ueberlieferung begruendet; vielmehr ist es eine wesentliche Folge der
+veraenderten politischen Stellung Roms, dass die latinische Nationalitaet die
+uebrigen italischen immer mehr verdunkelt. Es ist schon darauf hingewiesen
+worden, dass in dieser Epoche die Nachbarlaender, das suedliche Etrurien, die
+Sabina, das Volskerland sich zu romanisieren anfingen, wovon der fast
+gaenzliche Mangel von Sprachdenkmaelern der alten Landesdialekte und das
+Vorkommen sehr alter roemischer Inschriften in diesen Gegenden Zeugnis ablegt;
+die Aufnahme der Sabiner in das volle Buergerrecht am Ende dieser Periode
+spricht dafuer, dass die Latinisierung Mittelitaliens schon damals das bewusste
+Ziel der roemischen Politik war. Die zahlreich durch ganz Italien zerstreuten
+Einzelassignationen und Kolonialgruendungen sind nicht bloss militaerisch,
+sondern auch sprachlich und national die vorgeschobenen Posten des latinischen
+Stammes. Die Latinisierung der Italiker ueberhaupt ward schwerlich schon damals
+beabsichtigt; im Gegenteil scheint der roemische Senat den Gegensatz der
+latinischen gegen die uebrigen Nationalitaeten absichtlich aufrecht erhalten zu
+haben und gestattete zum Beispiel die Einfuehrung des Lateinischen in den
+offiziellen Sprachgebrauch den kampanischen Halbbuergergemeinden noch nicht.
+Indes die Natur der Verhaeltnisse ist staerker als selbst die staerkste
+Regierung; mit dem latinischen Volke gewannen auch dessen Sprache und Sitte in
+Italien zunaechst das Prinzipat und fingen bereits an, die uebrigen italischen
+Nationalitaeten zu untergraben.
+</p>
+
+<p>
+Gleichzeitig wurden dieselben von einer anderen Seite und mit einem anders
+begruendeten Uebergewicht angegriffen durch den Hellenismus. Es war dies die
+Epoche, wo das Griechentum seiner geistigen Ueberlegenheit ueber die uebrigen
+Nationen anfing, sich bewusst zu werden und nach allen Seiten hin Propaganda zu
+machen. Auch Italien blieb davon nicht unberuehrt. Die merkwuerdigste
+Erscheinung in dieser Art bietet Apulien, das seit dem fuenften Jahrhundert
+Roms allmaehlich seine barbarische Mundart ablegte und sich im stillen
+hellenisierte. Es erfolgte dies aehnlich wie in Makedonien und Epeiros nicht
+durch Kolonisierung, sondern durch Zivilisierung, die mit dem tarentinischen
+Landhandel Hand in Hand gegangen zu sein scheint - wenigstens spricht es fuer
+die letztere Annahme, dass die den Tarentinern befreundeten Landschaften der
+Poediculer und Daunier die Hellenisierung vollstaendiger durchfuehrten als die
+Tarent naeher wohnenden, aber bestaendig mit ihm hadernden Sallentiner, und
+dass die am fruehesten graezisierten Staedte, zum Beispiel Arpi, nicht an der
+Kueste gelegen waren. Dass auf Apulien das griechische Wesen staerkeren
+Einfluss uebte als auf irgendeine andere italische Landschaft, erklaert sich
+teils aus seiner Lage, teils aus der geringen Entwicklung einer eigenen
+nationalen Bildung, teils wohl auch aus seiner dem griechischen Stamm minder
+fremd als die uebrigen italischen gegenueberstehenden Nationalitaet. Indes ist
+schon frueher darauf aufmerksam gemacht worden, dass auch die suedlichen
+sabellischen Staemme, obwohl zunaechst sie im Verein mit syrakusanischen
+Tyrannen das hellenische Wesen in Grossgriechenland knickten und verdarben,
+doch zugleich durch die Beruehrung und Mischung mit den Griechen teils
+griechische Sprache neben der einheimischen annahmen, wie die Brettier und
+Nolaner, teils wenigstens griechische Schrift und griechische Sitte, wie die
+Lucaner und ein Teil der Kampaner. Etrurien zeigt gleichfalls die Ansaetze
+einer verwandten Entwicklung in den bemerkenswerten dieser Epoche angehoerenden
+Vasenfunden, in denen es mit Kampanien und Lucanien rivalisiert; und wenn
+Latium und Samnium dem Hellenismus fernergeblieben sind, so fehlt es doch auch
+hier nicht an Spuren des beginnenden und immer steigenden Einflusses
+griechischer Bildung. In allen Zweigen der roemischen Entwicklung dieser
+Epoche, in Gesetzgebung und Muenzwesen, in der Religion, in der Bildung der
+Stammsage stossen wir auf griechische Spuren, und namentlich seit dem Anfang
+des fuenften Jahrhunderts, das heisst seit der Eroberung Kampaniens, erscheint
+der griechische Einfluss auf das roemische Wesen in raschem und stets
+zunehmendem Wachstum. In das vierte Jahrhundert faellt die Einrichtung der auch
+sprachlich merkwuerdigen &ldquo;graecostasis&rdquo;, einer Tribuene auf dem
+roemischen Markt fuer die vornehmen griechischen Fremden, zunaechst die
+Massalioten. Im folgenden fangen die Jahrbuecher an, vornehme Roemer mit
+griechischen Beinamen, wie Philippos oder roemisch Pilipus, Philon, Sophos,
+Hypsaeos aufzuweisen. Griechische Sitten dringen ein; so der nichtitalische
+Gebrauch, Inschriften zur Ehre des Toten auf dem Grabmal anzubringen, wovon die
+Grabschrift des Lucius Scipio, Konsul 456 (298), das aelteste uns bekannte
+Beispiel ist; so die gleichfalls den Italikern fremde Weise, ohne
+Gemeindebeschluss an oeffentlichen Orten den Vorfahren Ehrendenkmaeler zu
+errichten, womit der grosse Neuerer Appius Claudius den Anfang machte, als er
+in dem neuen Tempel der Bellona Erzschilde mit den Bildern und den Elogien
+seiner Vorfahren aufhaengen liess (442 312); so die im Jahre 461 (293) bei dem
+roemischen Volksfest eingefuehrte Erteilung von Palmzweigen an die
+Wettkaempfer; so vor allem die griechische Tischsitte. Die Weise, bei Tische
+nicht wie ehemals auf Baenken zu sitzen, sondern auf Sofas zu liegen; die
+Verschiebung der Hauptmahlzeit von der Mittag- auf die Stunde zwischen zwei und
+drei Uhr nachmittags nach unserer Rechnung; die Trinkmeister bei den
+Schmaeusen, welche meistens durch Wuerfelung aus den Gaesten fuer den Schmaus
+bestellt werden und nun den Tischgenossen vorschreiben, was, wie und wann
+getrunken werden soll; die nach der Reihe von den Gaesten gesungenen
+Tischlieder, die freilich in Rom nicht Skolien, sondern Ahnengesaenge waren -
+alles dies ist in Rom nicht urspruenglich und doch schon in sehr alter Zeit den
+Griechen entlehnt; denn zu Catos Zeit waren diese Gebraeuche bereits gemein, ja
+zum Teil schon wieder abgekommen. Man wird daher ihre Einfuehrung spaetestens
+in diese Zeit zu setzen haben. Charakteristisch ist auch die Errichtung der
+Bildsaeulen des &ldquo;weisesten und des tapfersten Griechen&rdquo; auf dem
+roemischen Markt, die waehrend der Samnitischen Kriege auf Geheiss des
+pythischen Apollon stattfand; man waehlte, offenbar unter sizilischem oder
+kampanischem Einfluss, den Pythagoras und den Alkibiades, den Heiland und den
+Hannibal der Westhellenen. Wie verbreitet die Kenntnis des Griechischen schon
+im fuenften Jahrhundert unter den vornehmen Roemern war, beweisen die
+Gesandtschaften der Roemer nach Tarent, wo der Redner der Roemer, wenn auch
+nicht im reinsten Griechisch, doch ohne Dolmetsch sprach, und des Kineas nach
+Rom. Es leidet kaum einen Zweifel, dass seit dem fuenften Jahrhundert die
+jungen Roemer, die sich den Staatsgeschaeften widmeten, durchgaengig die Kunde
+der damaligen Welt- und Diplomatensprache sich erwarben.
+</p>
+
+<p>
+So schritt auf dem geistigen Gebiet der Hellenismus ebenso unaufhaltsam
+vorwaerts, wie der Roemer arbeitete, die Erde sich untertaenig zu machen; und
+die sekundaeren Nationalitaeten, wie die samnitische, keltische, etruskische,
+verloren, von zwei Seiten her bedraengt, immer mehr an Ausdehnung wie an
+innerer Kraft.
+</p>
+
+<p>
+Wie aber die beiden grossen Nationen, beide angelangt auf dem Hoehepunkt ihrer
+Entwicklung, in feindlicher wie in freundlicher Beruehrung anfangen sich zu
+durchdringen, tritt zugleich ihre Gegensaetzlichkeit, der gaenzliche Mangel
+alles Individualismus in dem italischen und vor allem in dem roemischen Wesen
+gegenueber der unendlichen stammlichen, oertlichen und menschlichen
+Mannigfaltigkeit des Hellenismus in voller Schaerfe hervor. Es gibt keine
+gewaltigere Epoche in der Geschichte Roms als die Epoche von der Einsetzung der
+roemischen Republik bis auf die Unterwerfung Italiens; in ihr wurde das
+Gemeinwesen nach innen wie nach aussen begruendet, in ihr das einige Italien
+erschaffen, in ihr das traditionelle Fundament des Landrechts und der
+Landesgeschichte erzeugt, in ihr das Pilum und der Manipel, der Strassen- und
+Wasserbau, die Guts- und Geldwirtschaft begruendet, in ihr die Kapitolinische
+Woelfin gegossen und das ficoronische Kaestchen gezeichnet. Aber die
+Individualitaeten, welche zu diesem Riesenbau die einzelnen Steine
+herbeigetragen und sie zusammengefuegt haben, sind spurlos verschollen und die
+italischen Voelkerschaften nicht voelliger in der roemischen aufgegangen als
+der einzelne roemische Buerger in der roemischen Gemeinde. Wie das Grab in
+gleicher Weise ueber dem bedeutenden wie ueber dem geringen Menschen sich
+schliesst, so steht auch in der roemischen Buergermeisterliste der nichtige
+Junker ununterscheidbar neben dem grossen Staatsmann. Von den wenigen
+Aufzeichnungen, welche aus dieser Zeit bis auf uns gekommen sind, ist keine
+ehrwuerdiger und keine zugleich charakteristischer als die Grabschrift des
+Lucius Cornelius Scipio, der im Jahre 456 (298) Konsul war und drei Jahre
+nachher in der Entscheidungsschlacht bei Sentinum mitfocht. Auf dem schoenen
+Sarkophag in edlem dorischen Stil, der noch vor achtzig Jahren den Staub des
+Besiegers der Samniten einschloss, ist der folgende Spruch eingeschrieben:
+</p>
+
+<p>
+Corneliús Lucíus - Scípió Barbátus,
+</p>
+
+<p>
+Gnaivód patré prognátus, - fórtis vír sapiénsque,
+</p>
+
+<p>
+Quoiús fórma vírtu - teí parísuma fúit,
+</p>
+
+<p>
+Consól censór aidílis - queí fuít apúd vos,
+</p>
+
+<p>
+Taurásiá Cisaúna - Sámnió cépit,
+</p>
+
+<p>
+Subigít omné Loucánam - ópsidésque abdoúcit.
+</p>
+
+<p>
+Cornelius Lucius - Scipio Barbatus,
+</p>
+
+<p>
+Des Vaters Gnaevos Sohn, ein - Mann so klug wie tapfer,
+</p>
+
+<p>
+Des Wohlgestalt war seiner - Tugend angemessen,
+</p>
+
+<p>
+Der Konsul, Zensor war bei - euch wie auch Aedilis,
+</p>
+
+<p>
+Taurasia, Cisauna - nahm er ein in Samnium,
+</p>
+
+<p>
+Bezwingt Lucanien ganz und - fuehret weg die Geiseln.
+</p>
+
+<p>
+So wie diesem roemischen Staatsmann und Krieger mochte man unzaehligen anderen,
+die an der Spitze des roemischen Gemeinwesens gestanden haben, es nachruehmen,
+dass sie adlige und schoene, tapfere und kluge Maenner gewesen; aber weiter war
+auch nichts von ihnen zu melden. Es ist wohl nicht bloss Schuld der
+Ueberlieferung, dass keiner dieser Cornelier, Fabier, Papirier und wie sie
+weiter heissen, uns in einem menschlich bestimmten Bild entgegentritt. Der
+Senator soll nicht schlechter und nicht besser, ueberhaupt nicht anders sein
+als die Senatoren alle; es ist nicht noetig und nicht wuenschenswert, dass ein
+Buerger die uebrigen uebertreffe, weder durch prunkendes Silbergeraet und
+hellenische Bildung noch durch ungemeine Weisheit und Trefflichkeit. Jene
+Ausschreitungen straft der Zensor und fuer diese ist kein Raum in der
+Verfassung. Das Rom dieser Zeit gehoert keinem einzelnen an; die Buerger
+muessen sich alle gleichen, damit jeder einem Koenig gleich sei.
+</p>
+
+<p>
+Allerdings macht schon jetzt daneben die hellenische Individualentwicklung sich
+geltend; und die Genialitaet und Gewaltsamkeit derselben traegt eben wie die
+entgegengesetzte Richtung den vollen Stempel dieser grossen Zeit. Es ist nur
+ein einziger Mann hier zu nennen; aber in ihm ist auch der Fortschrittsgedanke
+gleichsam inkarniert. Appius Claudius (Zensor 442 312; Konsul 447, 458 307,
+296), der Ururenkel des Dezemvirs, war ein Mann von altem Adel und stolz auf
+die lange Reihe seiner Ahnen; aber dennoch ist er es gewesen, der die
+Beschraenkung des vollen Gemeindebuergerrechts auf die ansaessigen Leute
+gesprengt, der das alte Finanzsystem gebrochen hat. Von Appius Claudius
+datieren nicht bloss die roemischen Wasserleitungen und Chausseen, sondern auch
+die roemische Jurisprudenz, Eloquenz, Poesie und Grammatik - die
+Veroeffentlichung eines Klagspiegels, aufgezeichnete Reden und pythagoreische
+Sprueche, selbst Neuerungen in der Orthographie werden ihm beigelegt. Man darf
+ihn darum noch nicht unbedingt einen Demokraten nennen, noch ihn jener
+Oppositionspartei beizaehlen, die in Manius Curius ihren Vertreter fand; in ihm
+war vielmehr der Geist der alten und neuen patrizischen Koenige maechtig, der
+Geist der Tarquinier und der Caesaren, zwischen denen er in dem
+fuenfhundertjaehrigen Interregnum ausserordentlicher Taten und gewoehnlicher
+Maenner die Verbindung macht. Solange Appius Claudius an dem oeffentlichen
+Leben taetigen Anteil nahm, trat er in seiner Amtsfuehrung wie in seinem
+Lebenswandel, keck und ungezogen wie ein Athener, nach rechts wie nach links
+hin Gesetzen und Gebraeuchen entgegen; bis dann, nachdem er laengst von der
+politischen Buehne abgetreten war, der blinde Greis wie aus dem Grabe
+wiederkehrend, in der entscheidenden Stunde den Koenig Pyrrhos im Senate
+ueberwand und Roms vollendete Herrschaft ueber Italien zuerst foermlich und
+feierlich aussprach. Aber der geniale Mann kam zu frueh oder zu spaet; die
+Goetter blendeten ihn wegen seiner unzeitigen Weisheit. Nicht das Genie des
+einzelnen herrschte in Rom und durch Rom in Italien, sondern der eine
+unbewegliche, von Geschlecht zu Geschlecht im Senat fortgepflanzte politische
+Gedanke, in dessen leitende Maximen schon die senatorischen Knaben sich
+hineinlebten, indem sie in Begleitung ihrer Vaeter mit zum Rate gingen und an
+der Tuer des Saales der Weisheit derjenigen Maenner lauschten, auf deren
+Stuehlen sie dereinst bestimmt waren zu sitzen. So wurden ungeheure Erfolge um
+ungeheuren Preis erreicht; denn auch der Nike folgt ihre Nemesis. Im roemischen
+Gemeinwesen kommt es auf keinen Menschen besonders an, weder auf den Soldaten
+noch auf den Feldherrn, und unter der starren sittlich-polizeilichen Zucht wird
+jede Eigenartigkeit des menschlichen Wesens erstickt. Rom ist gross geworden
+wie kein anderer Staat des Altertums; aber es hat seine Groesse teuer bezahlt
+mit der Aufopferung der anmutigen Mannigfaltigkeit, der bequemen Laesslichkeit,
+der innerlichen Freiheit des hellenischen Lebens.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap09"></a>KAPITEL IX.<br/>
+Kunst und Wissenschaft</h2>
+
+<p>
+Die Entwicklung der Kunst und namentlich der Dichtkunst steht im Altertum im
+engsten Zusammenhang mit der Entwicklung der Volksfeste. Das schon in der
+vorigen Epoche wesentlich unter griechischem Einfluss, zunaechst als
+ausserordentliche Feier, geordnete Dankfest der roemischen Gemeinde, die
+&ldquo;grossen&rdquo; oder &ldquo;roemischen Spiele&rdquo;, nahm waehrend der
+gegenwaertigen an Dauer wie an Mannigfaltigkeit der Belustigungen zu.
+Urspruenglich beschraenkt auf die Dauer eines Tages wurde das Fest nach der
+gluecklichen Beendigung der drei grossen Revolutionen von 245, 260 und 387
+(509, 494 und 367) jedesmal um einen Tag verlaengert und hatte am Ende dieser
+Periode also bereits eine viertaegige Dauer ^1. Wichtiger noch war es, dass das
+Fest wahrscheinlich mit Einsetzung der von Haus aus mit der Ausrichtung und
+Ueberwachung desselben betrauten kurulischen Aedilitaet (387 367) seinen
+ausserordentlichen Charakter und damit seine Beziehung auf ein bestimmtes
+Feldherrngeluebde verlor und in die Reihe der ordentlichen, jaehrlich
+wiederkehrenden als erstes unter allen eintrat. Indes blieb die Regierung
+beharrlich dabei, das eigentliche Schaufest, namentlich das Hauptstueck, das
+Wagenrennen, nicht mehr als einmal am Schluss des Festes stattfinden zu lassen;
+an den uebrigen Tagen war es wohl zunaechst der Menge ueberlassen, sich selber
+ein Fest zu geben, obwohl Musikanten, Taenzer, Seilgaenger, Taschenspieler,
+Possenreisser und dergleichen Leute mehr nicht verfehlt haben werden, gedungen
+oder nicht gedungen, dabei sich einzufinden. Aber um das Jahr 390 (364) trat
+eine wichtige Veraenderung ein, welche mit der vielleicht gleichzeitig
+erfolgten Fixierung und Verlaengerung des Festes in Zusammenhang stehen wird:
+man schlug von Staats wegen waehrend der ersten drei Tage im Rennplatz ein
+Brettergeruest auf und sorgte fuer angemessene Vorstellungen auf demselben zur
+Unterhaltung der Menge. Um indes nicht auf diesem Wege zu weit gefuehrt zu
+werden, wurde fuer die Kosten des Festes eine feste Summe von 200000 Assen
+(14500 Taler) ein fuer allemal aus der Staatskasse ausgeworfen und diese ist
+auch bis auf die Punischen Kriege nicht gesteigert worden; den etwaigen
+Mehrbetrag mussten die Aedilen, welche diese Summe zu verwenden hatten, aus
+ihrer Tasche decken und es ist nicht wahrscheinlich, dass sie in dieser Zeit
+oft und betraechtlich vom Eigenen zugeschossen haben. Dass die neue Buehne im
+allgemeinen unter griechischem Einfluss stand, beweist schon ihr Name (scaena
+σκηνή). Sie war zwar zunaechst lediglich fuer Spielleute und Possenreisser
+jeder Art bestimmt, unter denen die Taenzer zur Floete, namentlich die damals
+gefeierten etruskischen, wohl noch die vornehmsten sein mochten; indes war nun
+doch eine oeffentliche Buehne in Rom entstanden und bald oeffnete dieselbe sich
+auch den roemischen Dichtern.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Was Dionys (6, 95; vgl. B. G. Niebuhr, Roemische Geschichte. Bd. 2, S. 40)
+und, schoepfend aus einer anderen Dionysischen Stelle, Plutarch (Cam. 42) von
+dem latinischen Fest berichtet, ist, wie ausser anderen Gruenden schlagend die
+Vergleichung der letzteren Stelle mit Liv. 6, 42 (F. W. Ritschl, Parerga zu
+Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 313) zeigt, vielmehr von den
+roemischen Spielen zu verstehen; Dionys hat, und zwar nach seiner Gewohnheit im
+Verkehrten beharrlich, den Ausdruck ludi maximi missverstanden.
+</p>
+
+<p>
+Uebrigens gab es auch eine Ueberlieferung, wonach der Ursprung des Volksfestes,
+statt wie gewoehnlich auf die Besiegung der Latiner durch den ersten
+Tarquinius, vielmehr auf die Besiegung der Latiner am Regiller See
+zurueckgefuehrt ward (Cic. div. 1, 26, 55; Dion. Hal. 7, 71). Dass die
+wichtigen, an der letzten Stelle aus Fabius aufbehaltenen Angaben in der Tat
+auf das gewoehnliche Dankfest und nicht auf eine besondere Votivfeierlichkeit
+gehen, zeigt die ausdrueckliche Hinweisung auf die jaehrliche Wiederkehr der
+Feier und die genau mit der Angabe bei dem falschen Asconius (Ps. Ascon. p. 142
+Or.) stimmende Kostensumme.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Denn an Dichtern fehlte es in Latium nicht. Latinische &ldquo;Vaganten&rdquo;
+oder &ldquo;Baenkelsaenger&rdquo; (grassatores, spatiatores) zogen von Stadt zu
+Stadt und von Haus zu Haus und trugen ihre Lieder (saturae) mit
+gestikulierendem Tanz zur Floetenbegleitung vor. Das Mass war natuerlich das
+einzige, das es damals gab, das sogenannte saturnische. Eine bestimmte Handlung
+lag den Liedern nicht zugrunde, und ebensowenig scheinen sie dialogisiert
+gewesen zu sein; man wird sich dieselben nach dem Muster jener eintoenigen,
+bald improvisierten, bald rezitierten Ballaten und Tarantellen vorstellen
+duerfen, wie man sie heute noch in den roemischen Osterien zu hoeren bekommt.
+Dergleichen Lieder kamen denn auch frueh auf die oeffentliche Buehne und sind
+allerdings der erste Keim des roemischen Theaters geworden. Aber diese Anfaenge
+der Schaubuehne sind in Rom nicht bloss, wie ueberall, bescheiden, sondern in
+bemerkenswerter Weise gleich von vornherein bescholten. Schon die Zwoelf Tafeln
+treten dem ueblen und nichtigen Singsang entgegen, indem sie nicht bloss auf
+Zauber-, sondern selbst auf Spottlieder, die man auf einen Mitbuerger
+verfertigt oder ihm vor der Tuere absingt, schwere Kriminalstrafen setzen und
+die Zuziehung von Klagefrauen bei der Bestattung verbieten. Aber weit strenger
+als durch die gesetzlichen Restriktionen ward die beginnende Kunstuebung durch
+den sittlichen Bann getroffen, welchen der philisterhafte Ernst des roemischen
+Wesens gegen diese leichtsinnigen und bezahlten Gewerbe schleuderte. &ldquo;Das
+Dichterhandwerk&rdquo;, sagt Cato, &ldquo;war sonst nicht angesehen; wenn
+jemand damit sich abgab oder bei den Gelagen sich anhaengte, so hiess er ein
+Bummler.&rdquo; Wer nun aber gar Tanz, Musik und Baenkelgesang fuer Geld
+betrieb, ward bei der immer mehr sich festsetzenden Bescholtenheit eines jeden
+durch Dienstverrichtungen gegen Entgelt gewonnenen Lebensunterhalts von einem
+zwiefachen Makel getroffen. Wenn daher das Mitwirken bei den landueblichen
+maskierten Charakterpossen als ein unschuldiger jugendlicher Mutwille
+betrachtet ward, so galt das Auftreten auf der oeffentlichen Buehne fuer Geld
+und ohne Masken geradezu fuer schaendlich, und der Saenger und Dichter stand
+dabei mit dem Seiltaenzer und dem Hanswurst voellig in gleicher Reihe.
+Dergleichen Leute wurden durch die Sittenmeister regelmaessig fuer unfaehig
+erklaert, in dem Buergerheer zu dienen und in der Buergerversammlung zu
+stimmen. Es wurde ferner nicht bloss, was allein schon bezeichnend genug ist,
+die Buehnendirektion betrachtet als zur Kompetenz der Stadtpolizei gehoerig,
+sondern es ward auch der Polizei wahrscheinlich schon in dieser Zeit gegen die
+gewerbmaessigen Buehnenkuenstler eine ausserordentliche arbitraere Gewalt
+eingeraeumt. Nicht allein hielten die Polizeiherren nach vollendeter
+Auffuehrung ueber sie Gericht, wobei der Wein fuer die geschickten Leute ebenso
+reichlich floss, wie fuer den Stuemper die Pruegel fielen, sondern es waren
+auch saemtliche staedtische Beamte gesetzlich befugt, ueber jeden Schauspieler
+zu jeder Zeit und an jedem Orte koerperliche Zuechtigung und Einsperrung zu
+verhaengen. Die notwendige Folge davon war, dass Tanz, Musik und Poesie,
+wenigstens soweit sie auf der oeffentlichen Buehne sich zeigten, den
+niedrigsten Klassen der roemischen Buergerschaft und vor allem den Fremden in
+die Haende fielen; und wenn in dieser Zeit die Poesie dabei noch ueberhaupt
+eine zu geringe Rolle spielte, als dass fremde Kuenstler mit ihr sich
+beschaeftigt haetten, so darf dagegen die Angabe, dass in Rom die gesamte
+sakrale und profane Musik wesentlich etruskisch, also die alte, einst offenbar
+hochgehaltene latinische Floetenkunst durch die fremdlaendische unterdrueckt
+war, schon fuer diese Zeit gueltig erachtet werden.
+</p>
+
+<p>
+Von einer poetischen Literatur ist keine Rede. Weder die Maskenspiele noch die
+Buehnenrezitationen koennen eigentlich feste Texte gehabt haben, sondern wurden
+je nach Beduerfnis regelmaessig von den Vortragenden selbst verfertigt. Von
+schriftstellerischen Arbeiten aus dieser Zeit wusste man spaeterhin nichts
+aufzuzeigen als eine Art roemischer &lsquo;Werke und Tage&rsquo;, eine
+Unterweisung des Bauern an seinen Sohn ^2, und die schon erwaehnten
+pythagoreischen Gedichte des Appius Claudius, den ersten Anfang
+hellenisierender roemischer Poesie. Uebrig geblieben ist von den Dichtungen
+dieser Epoche nichts als eine und die andere Grabschrift im saturnischen Masse.
+</p>
+
+<p>
+Wie die Anfaenge der roemischen Schaubuehne so gehoeren auch die Anfaenge der
+roemischen Geschichtschreibung in diese Epoche, sowohl der gleichzeitigen
+Aufzeichnung der merkwuerdigen Ereignisse wie der konventionellen Feststellung
+der Vorgeschichte der roemischen Gemeinde.
+</p>
+
+<p>
+Die gleichzeitige Geschichtschreibung knuepft an das Beamtenverzeichnis an. Das
+am weitesten zurueckreichende, das den spaeteren roemischen Forschern
+vorgelegen hat und mittelbar auch uns noch vorliegt, scheint aus dem Archiv des
+kapitolinischen Jupitertempels herzuruehren, da es von dem Konsul Marcus
+Horatius an, der denselben am 13. September seines Amtsjahres einweihte, die
+Namen der jaehrigen Gemeindevorsteher auffuehrt, auch auf das unter den Konsuln
+Publius Servilius und Lucius Aebutius (nach der jetzt gangbaren Zaehlung 291
+der Stadt 463) bei Gelegenheit einer schweren Seuche erfolgte Geloebnis: von da
+an jedes hundertste Jahr in die Wand des kapitolinischen Tempels einen Nagel zu
+schlagen, Ruecksicht nimmt. Spaeterhin sind es die Mass- und Schriftgelehrten
+der Gemeinde, das heisst die Pontifices, welche die Namen der jaehrigen
+Gemeindevorsteher von Amts wegen verzeichnen und also mit der aelteren Monat-
+eine Jahrtafel verbinden; beide werden seitdem unter dem - eigentlich nur der
+Gerichtstagtafel zukommenden - Namen der Fasten zusammengefasst. Diese
+Einrichtung mag nicht lange nach der Abschaffung des Koenigtums getroffen sein,
+da in der Tat, um die Reihenfolge der oeffentlichen Akte konstatieren zu
+koennen, die offizielle Verzeichnung der Jahrbeamten dringendes praktisches
+Beduerfnis war; aber wenn es ein so altes offizielles Verzeichnis der
+Gemeindebeamten gegeben hat, so ist dies wahrscheinlich im gallischen Brande
+(364 390) zugrunde gegangen und die Liste des Pontifikalkollegiums nachher aus
+der von dieser Katastrophe nicht betroffenen kapitolinischen, so weit diese
+zurueckreichte, ergaenzt worden. Dass das uns vorliegende Vorsteherverzeichnis
+zwar in den Nebensachen, besonders den genealogischen Angaben nach der Hand aus
+den Stammbaeumen des Adels vervollstaendigt worden ist, im wesentlichen aber
+von Anfang an auf gleichzeitige und glaubwuerdige Aufzeichnungen zurueckgeht,
+leidet keinen Zweifel; die Kalenderjahre aber gibt dasselbe nur unvollkommen
+und annaehernd wieder, da die Gemeindevorsteher nicht mit dem Neujahr, ja nicht
+einmal mit einem ein fuer allemal festgestellten Tage antraten, sondern aus
+mancherlei Veranlassungen der Antrittstag sich hin und her schob und die
+haeufig zwischen zwei Konsulaten eintretenden Zwischenregierungen in der
+Rechnung nach Amtsjahren ganz ausfielen. Wollte man dennoch nach dieser
+Vorsteherliste die Kalenderjahre zaehlen, so war es noetig, den Antritts- und
+Abgangstag eines jeden Kollegiums nebst den etwaigen Interregnen mit
+anzumerken; und auch dies mag frueh geschehen sein. Ausserdem aber wurde die
+Liste der Jahrbeamten zur Kalenderjahrliste in der Weise hergerichtet, dass man
+durch Akkommodation jedem Kalenderjahr ein Beamtenpaar zuteilte und, wo die
+Liste nicht ausreichte, Fuelljahre einlegte, welche in der spaeteren
+(Varronischen) Tafel mit den Ziffern 379-383, 421, 430, 445, 453 bezeichnet
+sind. Vom Jahre 291 (463) ist die roemische Liste nachweislich, zwar nicht im
+einzelnen, wohl aber im ganzen, mit dem roemischen Kalender in
+Uebereinstimmung, also insoweit chronologisch sicher, als die Mangelhaftigkeit
+des Kalenders selbst dies verstattet; die jenseits jenes Jahres liegenden 47
+Jahrstellen entziehen sich der Kontrolle, werden aber wenigstens in der
+Hauptsache gleichfalls richtig sein ^3; was jenseits des Jahres 245 (509)
+liegt, ist chronologisch verschollen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^2 Erhalten ist davon das Bruchstueck:
+</p>
+
+<p>
+Bei trocknem Herbste, nassem - Fruehling, wirst du, Knabe,
+</p>
+
+<p>
+Einernten grosse Spelte.
+</p>
+
+<p>
+Wir wissen freilich nicht, mit welchem Rechte dieses Gedicht spaeterhin als das
+aelteste roemische galt (Macr. Sat. 5, 20; Fest. v. flaminius p. 93 M; Serv.
+georg. 1, 101; Plin. nat. 17, 2, 14).
+</p>
+
+<p>
+^3 Nur die ersten Stellen in der Liste geben Anlass zum Verdacht und moegen
+spaeter hinzugefuegt sein, um die Zahl der Jahre von der Koenigsflucht bis zum
+Stadtbrande auf 120 abzurunden.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Eine gemeingebraeuchliche Aera hat sich nicht gebildet; doch ist in sakralen
+Verhaeltnissen gezaehlt worden nach dem Einweihungsjahr des kapitolinischen
+Jupitertempels, von wo ab ja auch die Beamtenliste lief.
+</p>
+
+<p>
+Nahe lag es, neben den Namen der Beamten die wichtigsten unter ihrer
+Amtsfuehrung vorgefallenen Ereignisse anzumerken; und aus solchen, dem
+Beamtenkatalog beigefuegten Nachrichten ist die roemische Chronik, ganz wie aus
+den der Ostertafel beigeschriebenen Notizen die mittelalterliche,
+hervorgegangen. Aber erst spaet kam es zu der Anlegung einer foermlichen, die
+Namen saemtlicher Beamten und die merkwuerdigen Ereignisse Jahr fuer Jahr
+stetig verzeichnenden Chronik (liber annalis) durch die Pontifices. Vor der
+unter dem 5. Juni 351 (403) angemerkten Sonnenfinsternis, womit wahrscheinlich
+die vom 20. Juni 354 (400) gemeint ist, fand sich in der spaeteren Stadtchronik
+keine Sonnenfinsternis nach Beobachtung verzeichnet; die Zensuszahlen derselben
+fangen erst seit dem Anfang des fuenften Jahrhunderts der Stadt an, glaublich
+zu lauten; die vor dem Volk gefuehrten Busssachen und die von Gemeinde wegen
+gesuehnten Wunderzeichen scheint man erst seit der zweiten Haelfte des fuenften
+Jahrhunderts regelmaessig in die Chronik eingetragen zu haben. Allem Anschein
+nach hat die Einrichtung eines geordneten Jahrbuchs und, was sicher damit
+zusammenhaengt, die eben eroerterte Redaktion der aelteren Beamtenliste zum
+Zweck der Jahrzaehlung mittels Einlegung der chronologisch noetigen Fuelljahre
+in der ersten Haelfte des fuenften Jahrhunderts stattgefunden. Aber auch
+nachdem sich die Uebung festgestellt hatte, dass es dem Oberpontifex obliege,
+Kriegslaeufte und Kolonisierungen, Pestilenz und teuere Zeit, Finsternisse und
+Wunder, Todesfaelle der Priester und anderer angesehener Maenner, die neuen
+Gemeindebeschluesse, die Ergebnisse der Schatzung Jahr fuer Jahr aufzuschreiben
+und diese Anzeichnungen in seiner Amtwohnung zu bleibendem Gedaechtnis und zu
+jedermanns Einsicht aufzustellen, war man damit von einer wirklichen
+Geschichtschreibung noch weit entfernt. Wie duerftig die gleichzeitige
+Aufzeichnung noch am Schlusse dieser Periode war und wie weiten Spielraum sie
+der Willkuer spaeterer Annalisten gestattete, zeigt mit schneidender
+Deutlichkeit die Vergleichung der Berichte ueber den Feldzug vom Jahre 456
+(298) in den Jahrbuechern und auf der Grabschrift des Konsuls Scipio ^4. Die
+spaeteren Historiker waren augenscheinlich ausserstande, aus diesen
+Stadtbuchnotizen einen lesbaren und einigermassen zusammenhaengenden Bericht zu
+gestalten; und auch wir wuerden, selbst wenn uns das Stadtbuch noch in seiner
+urspruenglichen Fassung vorlaege, schwerlich daraus die Geschichte der Zeit
+pragmatisch zu schreiben vermoegen. Indes gab es solche Stadtchroniken nicht
+bloss in Rom, sondern jede latinische Stadt hat wie ihre Pontifices, so auch
+ihre Annalen besessen, wie dies aus einzelnen Notizen zum Beispiel fuer Ardea,
+Ameria, Interamna am Nar deutlich hervorgeht; und mit der Gesamtheit dieser
+Stadtchroniken haette vielleicht sich etwas Aehnliches erreichen lassen, wie es
+fuer das fruehere Mittelalter durch die Vergleichung der verschiedenen
+Klosterchroniken erreicht worden ist. Leider hat man in Rom spaeterhin es
+vorgezogen, die Luecke vielmehr durch hellenische oder hellenisierende Luege zu
+fuellen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^4 1, 470. Nach den Annalen kommandiert Scipio in Etrurien, sein Kollege in
+Samnium und ist Lucanien dies Jahr im Bunde mit Rom; nach der Grabschrift
+erobert Scipio zwei Staedte in Samnium und ganz Lucanien.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Ausser diesen freilich duerftig angelegten und unsicher gehandhabten
+offiziellen Veranstaltungen zur Feststellung der verflossenen Zeiten und
+vergangenen Ereignisse koennen in dieser Epoche kaum Aufzeichnungen vorgekommen
+sein, welche der roemischen Geschichte unmittelbar gedient haetten. Von
+Privatchroniken findet sich keine Spur. Nur liess man sich in den vornehmen
+Haeusern es angelegen sein, die auch rechtlich so wichtigen Geschlechtstafeln
+festzustellen und den Stammbaum zu bleibendem Gedaechtnis auf die Wand des
+Hausflurs zu malen. An diesen Listen, die wenigstens auch die Aemter nannten,
+fand nicht bloss die Familientradition einen Halt, sondern es knuepften sich
+hieran auch wohl frueh biographische Aufzeichnungen. Die Gedaechtnisreden,
+welche in Rom bei keiner vornehmen Leiche fehlen durften und regelmaessig von
+dem naechsten Verwandten des Verstorbenen gehalten wurden, bestanden wesentlich
+nicht bloss in der Aufzaehlung der Tugenden und Wuerden des Toten, sondern auch
+in der Aufzaehlung der Taten und Tugenden seiner Ahnen; und so gingen auch sie
+wohl schon in fruehester Zeit traditionell von einer Generation auf die andere
+ueber. Manche wertvolle Nachricht mochte hierdurch erhalten, freilich auch
+manche dreiste Verdrehung und Faelschung in die Ueberlieferung eingefuehrt
+werden.
+</p>
+
+<p>
+Aber wie die Anfaenge der wirklichen Geschichtschreibung gehoeren ebenfalls in
+diese Zeit die Anfaenge der Aufzeichnung und konventionellen Entstellung der
+Vorgeschichte Roms. Die Quellen dafuer waren natuerlich dieselben wie ueberall.
+Einzelne Namen, wie die der Koenige Numa, Ancus, Tullus, denen die
+Geschlechtsnamen wohl erst spaeter zugeteilt worden sind, und einzelne
+Tatsachen, wie die Besiegung der Latiner durch Koenig Tarquinius und die
+Vertreibung des tarquinischen Koenigsgeschlechts mochten in allgemeiner,
+muendlich fortgepflanzter wahrhafter Ueberlieferung fortleben. Anderes lieferte
+die Tradition der adligen Geschlechter, wie zum Beispiel die Fabiererzaehlungen
+mehrfach hervortreten. In anderen Erzaehlungen wurden uralte
+Volksinstitutionen, besonders mit grosser Lebendigkeit rechtliche Verhaeltnisse
+symbolisiert und historisiert; so die Heiligkeit der Mauern in der Erzaehlung
+vom Tode des Remus, die Abschaffung der Blutrache in der von dem Ende des
+Koenigs Tatius, die Notwendigkeit der die Pfahlbruecke betreffenden Ordnung in
+der Sage von Horatius Cocles ^5, die Entstehung des Gnadenurteils der Gemeinde
+in der schoenen Erzaehlung von den Horatiern und Curiatiern, die Entstehung der
+Freilassung und des Buergerrechts der Freigelassenen in derjenigen von der
+Tarquinierverschwoerung und dem Sklaven Vindicius. Ebendahin gehoert die
+Geschichte der Stadtgruendung selbst, welche Roms Ursprung an Latium und die
+allgemeine latinische Metropole Alba anknuepfen soll. Zu den Beinamen der
+vornehmen Roemer entstanden historische Glossen, wie zum Beispiel Publius
+Valerius der &ldquo;Volksdiener&rdquo; (Poplicola) einen ganzen Kreis
+derartiger Anekdoten um sich gesammelt hat, und vor allem knuepften an den
+heiligen Feigenbaum und andere Plaetze und Merkwuerdigkeiten der Stadt sich in
+grosser Menge Kuestererzaehlungen von der Art derjenigen an, aus denen ueber
+ein Jahrtausend spaeter auf demselben Boden die Mirabilia Urbis erwuchsen. Eine
+gewisse Zusammenknuepfung dieser verschiedenen Maerchen, die Feststellung der
+Reihe der sieben Koenige, die ohne Zweifel auf der Geschlechterrechnung ruhende
+Ansetzung ihrer Regierungszeit insgesamt auf 240 Jahre ^6 und selbst der Anfang
+offizieller Aufzeichnung dieser Ansetzungen hat wahrscheinlich schon in dieser
+Epoche stattgefunden: die Grundzuege der Erzaehlung und namentlich deren
+Quasichronologie treten in der spaeteren Tradition mit so unwandelbarer
+Festigkeit auf, dass schon darum ihre Fixierung nicht in, sondern vor die
+literarische Epoche Roms gesetzt werden muss. Wenn bereits im Jahre 458 (296)
+die an den Zitzen der Woelfin saugenden Zwillinge Romulus und Remus in Erz
+gegossen an dem heiligen Feigenbaum aufgestellt wurden, so muessen die Roemer,
+die Latium und Samnium bezwangen, die Entstehungsgeschichte ihrer Vaterstadt
+nicht viel anders vernommen haben als wir sie bei Livius lesen; sogar die
+Aboriginer, das sind die &ldquo;Vonanfanganer&rdquo;, dies naive Rudiment der
+geschichtlichen Spekulation des latinischen Stammes, begegnen schon um 465
+(289) bei dem sizilischen Schriftsteller Kallias. Es liegt in der Natur der
+Chronik, dass sie zu der Geschichte die Vorgeschichte fuegt und wenn nicht bis
+auf die Entstehung von Himmel und Erde, doch wenigstens bis auf die Entstehung
+der Gemeinde zurueckgefuehrt zu werden verlangt; und es ist auch ausdruecklich
+bezeugt, dass die Tafel der Pontifices das Gruendungsjahr Roms angab. Danach
+darf angenommen werden, dass das Pontifikalkollegium, als es in der ersten
+Haelfte des fuenften Jahrhunderts anstatt der bisherigen spaerlichen und in der
+Regel wohl auf die Beamtennamen sich beschraenkenden Aufzeichnungen zu der
+Anlegung einer foermlichen Jahreschronik fortschritt, auch die zu Anfang
+fehlende Geschichte der Koenige Roms und ihres Sturzes hinzufuegte und, indem
+es auf den Einweihungstag des kapitolinischen Tempels, den 13. September 245
+(509), zugleich die Stiftung der Republik setzte, einen freilich nur
+scheinhaften Zusammenhang zwischen der zeitlosen und der annalistischen
+Erzaehlung herstellte. Dass bei dieser aeltesten Aufzeichnung der Urspruenge
+Roms auch der Hellenismus seine Hand im Spiele gehabt hat, ist kaum zu
+bezweifeln; die Spekulation ueber Ur- und spaetere Bevoelkerung, ueber die
+Prioritaet des Hirtenlebens vor dem Ackerbau und die Umwandlung des Menschen
+Romulus in den Gott Quirinus sehen ganz griechisch aus, und selbst die Truebung
+der echt nationalen Gestalten des frommen Numa und der weisen Egeria durch die
+Einmischung fremdlaendischer pythagoreischer Urweisheit scheint keineswegs zu
+den juengsten Bestandteilen der roemischen Vorgeschichte zu gehoeren.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^5 Diese Richtung der Sage erhellt deutlich aus dem aelteren Plinius (nat. 36,
+15, 100).
+</p>
+
+<p>
+^6 Man rechnete, wie es scheint, drei Geschlechter auf ein Jahrhundert und
+rundete die Ziffer 233 1/3 auf 240 ab, aehnlich wie die Epoche zwischen der
+Koenigsflucht und dem Stadtbrand auf 120 Jahre abgerundet ward. Wodurch man
+gerade auf diese Zahlen gefuehrt ward, zeigt zum Beispiel die oben eroerterte
+Feststellung des Flaechenmasses.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————
+</p>
+
+<p>
+Analog diesen Anfaengen der Gemeinde sind auch die Stammbaeume der edlen
+Geschlechter in aehnlicher Weise vervollstaendigt und in beliebter heraldischer
+Manier durchgaengig auf erlauchte Ahnen zurueckgefuehrt worden; wie denn zum
+Beispiel die Aemilier, Calpurnier, Pinarier und Pomponier von den vier Soehnen
+des Numa: Mamercus, Calpus, Pinus und Pompo, die Aemilier ueberdies noch von
+dem Sohne des Pythagoras Mamercus, der &ldquo;Wohlredende&rdquo; (αιμύλος)
+genannt, abstammen wollten.
+</p>
+
+<p>
+Dennoch darf trotz der ueberall hervortretenden hellenischen Reminiszenzen
+diese Vorgeschichte der Gemeinde wie der Geschlechter wenigstens relativ eine
+nationale genannt werden, insofern sie teils in Rom entstanden, teils ihre
+Tendenz zunaechst nicht darauf gerichtet ist, eine Bruecke zwischen Rom und
+Griechenland, sondern eine Bruecke zwischen Rom und Latium zu schlagen.
+</p>
+
+<p>
+Es war die hellenische Erzaehlung und Dichtung, welche jener anderen Aufgabe
+sich unterzog. Die hellenische Sage zeigt durchgaengig das Bestreben, mit der
+allmaehlich sich erweiternden geographischen Kunde Schritt zu halten und mit
+Hilfe ihrer zahllosen Wander- und Schiffergeschichten eine dramatisierte
+Erdbeschreibung zu gestalten. Indes verfaehrt sie dabei selten naiv. Ein
+Bericht wie der des aeltesten Rom erwaehnenden griechischen Geschichtswerkes,
+der sizilischen Geschichte des Antiochos von Syrakus (geschlossen 330 424):
+dass ein Mann namens Sikelos aus Rom nach Italia, das heisst nach der
+brettischen Halbinsel gewandert sei - ein solcher, einfach die
+Stammverwandtschaft der Roemer, Siculer und Brettier historisierender und von
+aller hellenisierenden Faerbung freier Bericht ist eine seltene Erscheinung. Im
+ganzen ist die Sage, und je spaeter desto mehr, beherrscht von der Tendenz, die
+ganze Barbarenwelt darzustellen als von den Griechen entweder ausgegangen oder
+doch unterworfen; und frueh zog sie in diesem Sinn ihre Faeden auch ueber den
+Westen. Fuer Italien sind weniger die Herakles- und Argonautensage von
+Bedeutung geworden, obwohl bereits Hekataeos († nach 257 497) die Saeulen des
+Herakles kennt und die Argo aus dem Schwarzen Meer in den Atlantischen Ozean,
+aus diesem in den Nil und zurueck in das Mittelmeer fuehrt, als die an den Fall
+Ilions anknuepfenden Heimfahrten. Mit der ersten aufdaemmernden Kunde von
+Italien beginnt auch Diomedes im Adriatischen, Odysseus im Tyrrhenischen Meer
+zu irren, wie denn wenigstens die letztere Lokalisierung schon der Homerischen
+Fassung der Sage nahe genug lag. Bis in die Zeiten Alexanders hinein haben die
+Landschaften am Tyrrhenischen Meer in der hellenischen Fabulierung zum Gebiet
+der Odysseussage gehoert; noch Ephoros, der mit dem Jahre 414 (340) schloss,
+und der sogenannte Skylax (um 418 336) folgen wesentlich dieser. Von troischen
+Seefahrten weiss die ganze aeltere Poesie nichts; bei Homer herrscht Aeneas
+nach Ilions Fall ueber die in der Heimat zurueckbleibenden Troer. Erst der
+grosse Mythenwandler Stesichoros (122-201 632-553) fuehrte in seiner
+&lsquo;Zerstoerung Ilions&rsquo; den Aeneas in das Westland, um die Fabelwelt
+seiner Geburts- und seiner Wahlheimat, Siziliens und Unteritaliens, durch den
+Gegensatz der troischen Helden gegen die hellenischen poetisch zu bereichern.
+Von ihm ruehren die seitdem feststehenden dichterischen Umrisse dieser Fabel
+her, namentlich die Gruppe des Helden, wie er mit der Gattin und dem Soehnchen
+und dem alten, die Hausgoetter tragenden Vater aus dem brennenden Ilion
+davongeht, und die wichtige Identifizierung der Troer mit den sizilischen und
+italischen Autochthonen, welche besonders in dem troischen Trompeter Misenos,
+dem Eponymos des Misenischen Vorgebirges, schon deutlich hervortritt ^7. Den
+alten Dichter leitete dabei das Gefuehl, dass die italischen Barbaren den
+Hellenen minder fern als die uebrigen standen und das Verhaeltnis der Hellenen
+und der Italiker dichterisch angemessen dem der homerischen Achaeer und Troer
+gleich gefasst werden konnte. Bald mischt sich denn diese neue Troerfabel mit
+der aelteren Odysseussage, indem sie zugleich sich weiter ueber Italien
+verbreitet. Nach Hellanikos (schrieb um 350 400) kamen Odysseus und Aeneas
+durch die thrakische und molottische (epeirotische) Landschaft nach Italien, wo
+die mitgefuehrten troischen Frauen die Schiffe verbrennen und Aeneas die Stadt
+Rom gruendet und sie nach dem Namen einer dieser Troerinnen benennt; aehnlich,
+nur minder unsinnig, erzaehlte Aristoteles (370-432 384-322), dass ein
+achaeisches, an die latinische Kueste verschlagenes Geschwader von den
+troischen Sklavinnen angezuendet worden und aus den Nachkommen der also zum
+Dableiben genoetigten achaeischen Maenner und ihrer troischen Frauen die
+Latiner hervorgegangen seien. Damit mischten denn auch sich Elemente der
+einheimischen Sage, wovon der rege Verkehr zwischen Sizilien und Italien
+wenigstens gegen das Ende dieser Epoche schon die Kunde bis nach Sizilien
+verbreitet hatte; in der Version von Roms Entstehung, welche der Sizilianer
+Kallias um 465 (289) aufzeichnete, sind Odysseus-, Aeneas- und Romulusfabeln
+ineinandergeflossen ^8. Aber der eigentliche Vollender der spaeter gelaeufigen
+Fassung dieser Troerwanderung ist Timaeos von Tauromenion auf Sizilien, der
+sein Geschichtswerk 492 (262) schloss. Er ist es, bei dem Aeneas zuerst
+Lavinium mit dem Heiligtum der troischen Penaten und dann erst Rom gruendet; er
+muss auch schon die Tyrerin Elisa oder Dido in die Aeneassage eingeflochten
+haben, da bei ihm Dido Karthagos Gruenderin ist und Rom und Karthago ihm in
+demselben Jahre erbaut heissen. Den Anstoss zu diesen Neuerungen gaben, neben
+der eben zu der Zeit und an dem Orte, wo Timaeos schrieb, sich vorbereitenden
+Krise zwischen den Roemern und den Karthagern, offenbar gewisse nach Sizilien
+gelangte Berichte ueber latinische Sitten und Gebraeuche; im wesentlichen aber
+kann die Erzaehlung nicht von Latium heruebergenommen, sondern nur die eigene
+nichtsnutzige Erfindung der alten &ldquo;Sammelvettel&rdquo; gewesen sein.
+Timaeos hatte von dem uralten Tempel der Hausgoetter in Lavinium erzaehlen
+hoeren; aber dass diese den Lavinaten als die von den Aeneiaden aus Ilion
+mitgebrachten Penaten gaelten, hat er ebenso sicher von dem Seinigen
+hinzugetan, wie die scharfsinnige Parallele zwischen dem roemischen Oktoberross
+und dem Trojanischen Pferde und die genaue Inventarisierung der lavinischen
+Heiligtuemer - es waren, sagt der wuerdige Gewaehrsmann, Heroldstaebe von Eisen
+und Kupfer und ein toenerner Topf troischer Fabrik! Freilich durften eben die
+Penaten noch Jahrhunderte spaeter durchaus von keinem geschaut werden; aber
+Timaeos war einer von den Historikern, die ueber nichts so genau Bescheid
+wissen als ueber unwissbare Dinge. Nicht mit Unrecht riet Polybios, der den
+Mann kannte, ihm nirgend zu trauen, am wenigsten aber da, wo er - wie hier -
+sich auf urkundliche Beweisstuecke berufe. In der Tat war der sizilische
+Rhetor, der das Grab des Thukydides in Italien zu zeigen wusste und der fuer
+Alexander kein hoeheres Lob fand, als dass er schneller mit Asien fertig
+geworden sei als Isokrates mit seiner &lsquo;Lobrede&rsquo;, vollkommen
+berufen, aus der naiven Dichtung der aelteren Zeit den wuesten Brei zu kneten,
+welchem das Spiel des Zufalls eine so seltsame Zelebritaet verliehen hat.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^7 Auch die troischen Kolonien&rdquo; auf Sizilien, die Thukydides,
+Pseudoskylax und andere nennen, sowie die Bezeichnung Capuas als einer
+troischen Gruendung bei Hekataeos werden auf Stesichoros und auf dessen
+Identifizierung der italischen und sizilischen Eingeborenen mit den Troern
+zurueckgehen.
+</p>
+
+<p>
+^8 Nach ihm vermaehlte sich eine aus Ilion nach Rom gefluechtete Frau Rome oder
+vielmehr deren gleichnamige Tochter mit dem Koenig der Aboriginer Latinos und
+gebar ihm drei Soehne, Romos, Romylos und Telegonos. Der letzte, der ohne
+Zweifel hier als Gruender von Tusculum und Praeneste auftritt, gehoert
+bekanntlich der Odysseussage an.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Inwieweit die hellenische Fabulierung ueber italische Dinge, wie sie zunaechst
+in Sizilien entstand, schon jetzt in Italien selbst Eingang gefunden hat, ist
+nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Die Anknuepfungen an den odysseischen Kreis,
+welche spaeterhin in den Gruendungssagen von Tusculum, Praeneste, Antium,
+Ardea, Cortona begegnen, werden wohl schon in dieser Zeit sich angesponnen
+haben; und auch der Glaube an die Abstammung der Roemer von Troern oder
+Troerinnen musste schon am Schluss dieser Epoche in Rom feststehen, da die
+erste nachweisliche Beruehrung zwischen Rom und dem griechischen Osten die
+Verwendung des Senats fuer die &ldquo;stammverwandten&rdquo; Ilier im Jahre 472
+(282) ist. Dass aber dennoch die Aeneasfabel in Italien verhaeltnismaessig jung
+ist, beweist ihre im Vergleich mit der odysseischen hoechst duerftige
+Lokalisierung; und die Schlussredaktion dieser Erzaehlungen sowie ihre
+Ausgleichung mit der roemischen Ursprungssage gehoert auf jeden Fall erst der
+Folgezeit an.
+</p>
+
+<p>
+Waehrend also bei den Hellenen die Geschichtschreibung, oder was so genannt
+ward, sich um die Vorgeschichte Italiens in ihrer Art bemuehte, liess sie in
+einer fuer den gesunkenen Zustand der hellenischen Historie ebenso
+bezeichnenden wie fuer uns empfindlichen Weise die gleichzeitige italische
+Geschichte so gut wie vollstaendig liegen. Kaum dass Theopomp von Chios
+(schloss 418 336) der Einnahme Roms durch die Kelten beilaeufig gedachte und
+Aristoteles, Kleitarchos, Theophrastos, Herakleides von Pontos († um 450 300)
+einzelne Rom betreffende Ereignisse gelegentlich erwaehnten; erst mit
+Hieronymos von Kardia, der als Geschichtschreiber des Pyrrhos auch dessen
+italische Kriege erzaehlte, wird die griechische Historiographie zugleich
+Quelle fuer die roemische Geschichte.
+</p>
+
+<p>
+Unter den Wissenschaften empfing die Jurisprudenz eine unschaetzbare Grundlage
+durch die Aufzeichnung des Stadtrechts in den Jahren 303, 304 (451, 450).
+Dieses unter dem Namen der Zwoelf Tafeln bekannte Weistum ist wohl das aelteste
+roemische Schriftstueck, das den Namen eines Buches verdient. Nicht viel
+juenger mag der Kern der sogenannten &ldquo;koeniglichen Gesetze&rdquo; sein,
+das heisst gewisser, vorzugsweise sakraler Vorschriften, die auf Herkommen
+beruhten und wahrscheinlich von dem Kollegium der Pontifices, das zur
+Gesetzgebung nicht, wohl aber zur Gesetzweisung befugt war, unter der Form
+koeniglicher Verordnungen zu allgemeiner Kunde gebracht wurden. Ausserdem sind
+vermutlich schon seit dem Anfang dieser Periode wenn nicht die Volks-, so doch
+die wichtigsten Senatsbeschluesse regelmaessig schriftlich verzeichnet worden;
+wie denn ueber deren Aufbewahrung bereits in den fruehesten staendischen
+Kaempfen mitgestritten ward.
+</p>
+
+<p>
+Waehrend also die Masse der geschriebenen Rechtsurkunden sich mehrte, stellten
+auch die Grundlagen einer eigentlichen Rechtswissenschaft sich fest. Sowohl den
+jaehrlich wechselnden Beamten als den aus dem Volke herausgegriffenen
+Geschworenen war es Beduerfnis, an sachkundige Maenner sich wenden zu koennen,
+welche den Rechtsgang kannten und nach Praezedentien oder in deren Ermangelung
+nach Gruenden eine Entscheidung an die Hand zu geben wussten. Die Pontifices,
+die es gewohnt waren, sowohl wegen der Gerichtstage als wegen aller auf die
+Goetterverehrung bezueglichen Bedenken und Rechtsakte vom Volke angegangen zu
+werden, gaben auch in anderen Rechtspunkten auf Verlangen Ratschlaege und
+Gutachten ab und entwickelten so im Schoss ihres Kollegiums die Tradition, die
+dem roemischen Privatrecht zugrunde liegt, vor allem die Formeln der rechten
+Klage fuer jeden einzelnen Fall. Ein Spiegel, der all diese Klagen
+zusammenfasste, nebst einem Kalender, der die Gerichtstage angab, wurde um 450
+(300) von Appius Claudius oder von dessen Schreiber Gnaeus Flavius dem Volk
+bekanntgemacht. Indes dieser Versuch, die ihrer selbst noch nicht bewusste
+Wissenschaft zu formulieren, steht fuer lange Zeit gaenzlich vereinzelt da.
+Dass die Kunde des Rechtes und die Rechtweisung schon jetzt ein Mittel war, dem
+Volk sich zu empfehlen und zu Staatsaemtern zu gelangen, ist begreiflich, wenn
+auch die Erzaehlung, dass der erste plebejische Pontifex Publius Sempronius
+Sophus (Konsul 450 304) und der erste plebejische Oberpontifex Tiberius
+Coruncanius (Konsul 474 280) diese Priesterehren ihrer Rechtskenntnis
+verdankten, wohl eher Mutmassung Spaeterer ist als Ueberlieferung.
+</p>
+
+<p>
+Dass die eigentliche Genesis der lateinischen und wohl auch der anderen
+italischen Sprachen vor diese Periode faellt und schon zu Anfang derselben die
+lateinische Sprache im wesentlichen fertig war, zeigen die freilich durch ihre
+halb muendliche Tradition stark modernisierten Bruchstuecke der Zwoelf Tafeln,
+welche wohl eine Anzahl veralteter Woerter und schroffer Verbindungen,
+namentlich infolge der Weglassung des unbestimmten Subjekts, aber doch
+keineswegs, wie das Arvalied, wesentliche Schwierigkeiten des Verstaendnisses
+darbieten und weit mehr mit der Sprache Catos als mit der der alten Litaneien
+uebereinkommen. Wenn die Roemer im Anfang des siebenten Jahrhunderts Muehe
+hatten, Urkunden des fuenften zu verstehen, so kam dies ohne Zweifel nur daher,
+dass es damals in Rom noch keine eigentliche Forschung, am wenigsten eine
+Urkundenforschung gab. Dagegen wird in dieser Zeit der beginnenden Rechtweisung
+und Gesetzesredaktion auch der roemische Geschaeftsstil zuerst sich
+festgestellt haben, welcher, wenigstens in seiner entwickelten Gestalt, an
+feststehenden Formeln und Wendungen, endloser Aufzaehlung der Einzelheiten und
+langatmigen Perioden der heutigen englischen Gerichtssprache nichts nachgibt
+und sich dem Eingeweihten durch Schaerfe und Bestimmtheit empfiehlt, waehrend
+der Laie je nach Art und Laune mit Ehrfurcht, Ungeduld oder Aerger
+nichtsverstehend zuhoert. Ferner begann in dieser Epoche die rationelle
+Behandlung der einheimischen Sprachen. Um den Anfang derselben drohte, wie wir
+sahen, das sabellische wie das latinische Idiom sich zu barbarisieren und griff
+die Verschleifung der Endungen, die Verdumpfung der Vokale und der feineren
+Konsonanten aehnlich um sich wie im fuenften und sechsten Jahrhundert unserer
+Zeitrechnung innerhalb der romanischen Sprachen. Hiergegen trat aber eine
+Reaktion ein: im Oskischen werden die zusammengefallenen Laute d und r, im
+Lateinischen die zusammengefallenen Laute g und k wieder geschieden und jeder
+mit seinem eigenen Zeichen versehen; o und u, fuer die es im oskischen Alphabet
+von Haus aus an gesonderten Zeichen gemangelt hatte und die im Lateinischen
+zwar urspruenglich geschieden waren, aber zusammenzufallen drohten, traten
+wieder auseinander, ja im Oskischen wird sogar das i in zwei lautlich und
+graphisch verschiedene Zeichen aufgeloest; endlich schliesst die Schreibung
+sich der Aussprache wieder genauer an, wie zum Beispiel bei den Roemern
+vielfaeltig s durch r ersetzt ward. Die chronologischen Spuren fuehren fuer
+diese Reaktion auf das fuenfte Jahrhundert; das lateinische g zum Beispiel war
+um das Jahr 300 (450) noch nicht, wohl aber um das Jahr 500 (250) vorhanden;
+der erste des Papirischen Geschlechts, der sich Papirius statt Papisius nannte,
+war der Konsul des Jahres 418 (336); die Einfuehrung jenes r anstatt des s wird
+dem Appius Claudius, Zensor 442 (312) beigelegt. Ohne Zweifel steht die
+Zurueckfuehrung einer feineren und schaerferen Aussprache im Zusammenhang mit
+dem steigenden Einfluss der griechischen Zivilisation, welcher eben in dieser
+Zeit sich auf allen Gebieten des italischen Wesens bemerklich macht; und wie
+die Silbermuenzen von Capua und Nola weit vollkommener sind als die
+gleichzeitigen Asse von Ardea und Rom, so scheint auch Schrift und Sprache
+rascher und vollstaendiger sich im kampanischen Lande reguliert zu haben als in
+Latium. Wie wenig trotz der darauf gewandten Muehe die roemische Sprache und
+Schreibweise noch am Schlusse dieser Epoche festgestellt war, beweisen die aus
+dem Ende des fuenften Jahrhunderts erhaltenen Inschriften, in denen namentlich
+in der Setzung oder Weglassung von m, d und s im Auslaut und n im Inlaut und in
+der Unterscheidung der Vokale o u und e i die groesste Willkuer herrscht ^9; es
+ist wahrscheinlich, dass gleichzeitig die Sabeller hierin schon weiter waren,
+waehrend die Umbrer von dem regenerierenden hellenischen Einfluss nur wenig
+beruehrt worden sind.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^9 In den beiden Grabschriften des Lucius Scipio, Konsul 456 (298), und des
+gleichnamigen Konsuls vom Jahre 495 (259) fehlen m und d im Auslaut der
+Beugungen regelmaessig, doch findet sich einmal Luciom und einmal Gnaivod; es
+steht nebeneinander im Nominativ Cornelio und filios; cosol, cesor und consol
+censor; aidiles, dedet, ploirume (= plurimi), hec (Nom. Sing.) neben aidilis,
+cepit, quei, hic. Der Rhotazismus ist bereits vollstaendig durchgefuehrt; man
+findet duonoro (= bonorum), ploirume, nicht wie im saliarischen Liede foedesum,
+plusima. Unsere inschriftlichen Ueberreste reichen ueberhaupt im allgemeinen
+nicht ueber den Rhotazismus hinauf; von dem aelteren s begegnen nur einzelne
+Spuren, wie noch spaeterhin honos, labos neben honor und labor und die
+aehnlichen Frauenvornamen Maio (maios, maior) und Mino auf neu gefundenen
+Grabschriften von Praeneste.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Durch diese Steigerung der Jurisprudenz und Grammatik muss auch der elementare
+Schulunterricht, der an sich wohl schon frueher aufgekommen war, eine gewisse
+Steigerung erfahren haben. Wie Homer das aelteste griechische, die Zwoelf
+Tafeln das aelteste roemische Buch waren, so wurden auch beide in ihrer Heimat
+die wesentliche Grundlage des Unterrichts und das Auswendiglernen des
+juristisch-politischen Katechismus ein Hauptstueck der roemischen
+Kindererziehung. Neben den lateinischen &ldquo;Schreibmeistern&rdquo;
+(litteratores) gab es natuerlich, seit die Kunde des Griechischen fuer jeden
+Staats- und Handelsmann Beduerfnis war, auch griechische Sprachlehrer
+(grammatici ^10), teils Hofmeister-Sklaven, teils Privatlehrer, die in ihrer
+Wohnung oder in der des Schuelers Anweisung zum Lesen und Sprechen des
+Griechischen erteilten. Dass wie im Kriegswesen und bei der Polizei so auch bei
+dem Unterricht der Stock seine Rolle spielte, versteht sich von selbst ^11. Die
+elementare Stufe indes kann der Unterricht dieser Zeit noch nicht ueberstiegen
+haben; es gab keine irgend wesentliche soziale Abstufung zwischen dem
+unterrichteten und dem nichtunterrichteten Roemer.
+</p>
+
+<p>
+Dass die Roemer in den mathematischen und mechanischen Wissenschaften zu keiner
+Zeit sich ausgezeichnet haben, ist bekannt und bewaehrt sich auch fuer die
+gegenwaertige Epoche an dem fast einzigen Faktum, welches mit Sicherheit
+hierhergezogen werden kann, der von den Dezemvirn versuchten Regulierung des
+Kalenders. Sie wollten den bisherigen, auf der alten, hoechst unvollkommenen
+Trieteris beruhenden vertauschen mit dem damaligen attischen der Oktaeteris,
+welcher den Mondmonat von 29½ Tagen beibehielt, das Sonnenjahr aber statt auf
+368¾ a vielmehr auf 365¼ Tage ansetzte und demnach bei unveraenderter gemeiner
+Jahrlaenge von 354 Tagen nicht, wie frueher, auf je vier Jahre 59, sondern auf
+je acht Jahre 90 Tage einschaltete. In demselben Sinne beabsichtigten die
+roemischen Kalenderverbesserer unter sonstiger Beibehaltung des geltenden
+Kalenders in den zwei Schaltjahren des vierjaehrigen Zyklus nicht die
+Schaltmonate, aber die beiden Februare um je sieben Tage zu verkuerzen, also
+diesen Monat in den Schaltjahren statt zu 29 und 28 zu 22 und 21 Tagen
+anzusetzen. Allein mathematische Gedankenlosigkeit und theologische Bedenken,
+namentlich die Ruecksicht auf das eben in die betreffenden Februartage fallende
+Jahrfest des Terminus, zerruetteten die beabsichtigte Reform in der Art, dass
+der Schaltjahrfebruar vielmehr 24- und 23taegig ward, also das neue roemische
+Sonnenjahr in der Tat auf 366¼ Tag auskam. Einige Abhilfe fuer die hieraus
+folgenden praktischen Uebelstaende ward darin gefunden, dass, unter Beseitigung
+der bei den jetzt so ungleich gewordenen Monaten nicht mehr anwendbaren
+Rechnung nach Monaten oder Zehnmonaten des Kalenders, man sich gewoehnte, wo es
+auf genauere Bestimmungen ankam, nach Zehnmonatfristen eines Sonnenjahrs von
+365 Tagen oder dem sogenannten zehnmonatlichen Jahre von 304 Tagen zu rechnen.
+ueberdies kam besonders fuer baeuerliche Zwecke der auf das aegyptische
+365¼taegige Sonnenjahr von Eudoxos (blueht 386 368) gegruendete Bauernkalender
+auch in Italien frueh in Gebrauch.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^10 Litterator und grammaticus verhalten sich ungefaehr wie Lehrer und Maître;
+die letztere Benennung kommt nach dem aelteren Sprachgebrauch nur dem Lehrer
+des Griechischen, nicht dem der Muttersprache zu. Litteratus ist juenger und
+bezeichnet nicht den Schulmeister, sondern den gebildeten Mann.
+</p>
+
+<p>
+^11 Es ist doch wohl ein roemisches Bild, was Plautus (Bacch. 431) als ein
+Stueck der guten alten Kindererziehung anfuehrt:
+</p>
+
+<p>
+wenn nun du darauf nach Hause kamst,
+</p>
+
+<p>
+In dem Jaeckchen auf dem Schemel sassest du zum Lehrer hin;
+</p>
+
+<p>
+Und wenn dann das Buch ihm lesend eine Silbe du gefehlt,
+</p>
+
+<p>
+Faerbte deinen Buckel er dir bunt wie einen Kinderlatz.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Einen hoeheren Begriff von dem, was auch in diesen Faechern die Italiker zu
+leisten vermochten, gewaehren die Werke der mit den mechanischen Wissenschaften
+eng zusammenhaengenden Bau- und Bildkunst. Zwar eigentlich originelle
+Erscheinungen begegnen auch hier nicht; aber wenn durch den Stempel der
+Entlehnung, welcher der italischen Plastik durchgaengig aufgedrueckt ist, das
+kuenstlerische Interesse an derselben sinkt, so heftet das historische sich nur
+um so lebendiger an dieselbe, insofern sie teils von einem sonst verschollenen
+Voelkerverkehr die merkwuerdigsten Zeugnisse bewahrt, teils bei dem so gut wie
+vollstaendigen Untergang der Geschichte der nichtroemischen Italiker fast
+allein uns die verschiedenen Voelkerschaften der Halbinsel in lebendiger
+Taetigkeit nebeneinander darstellt. Neues ist hier nicht zu sagen; aber wohl
+laesst sich mit schaerferer Bestimmtheit und auf breiterer Grundlage
+ausfuehren, was schon oben gezeigt ward, dass die griechische Anregung die
+Etrusker und die Italiker von verschiedenen Seiten her maechtig erfasst, und
+dort eine reichere und ueppigere, hier, wo ueberhaupt, eine verstaendigere und
+innigere Kunst ins Leben gerufen hat.
+</p>
+
+<p>
+Wie voellig die italische Architektur aller Landschaften schon in ihrer
+aeltesten Periode von hellenischen Elementen durchdrungen ward, ist frueher
+dargestellt worden. Die Stadtmauern, die Wasserbauten, die pyramidalisch
+gedeckten Graeber, der tuscanische Tempel sind nicht oder nicht wesentlich
+verschieden von den aeltesten hellenischen Bauwerken. Von einer Weiterbildung
+der Architektur bei den Etruskern waehrend dieser Epoche hat sich keine Spur
+erhalten; wir begegnen hier weder einer wesentlich neuen Rezeption noch einer
+originellen Schoepfung - man muesste denn Prachtgraeber dahin rechnen wollen,
+wie das von Varro beschriebene sogenannte Grabmal des Porsena in Chiusi, das
+lebhaft an die zwecklose und sonderbare Herrlichkeit der aegyptischen Pyramiden
+erinnert.
+</p>
+
+<p>
+Auch in Latium bewegte man waehrend der ersten anderthalb Jahrhunderte der
+Republik sich wohl lediglich in den bisherigen Gleisen, und es ist schon gesagt
+worden, dass mit der Einfuehrung der Republik die Kunstuebung eher gesunken als
+gestiegen ist. Es ist aus dieser Zeit kaum ein anderes architektonisch
+bedeutendes latinisches Bauwerk zu nennen als der im Jahre 261 (493) in Rom am
+Circus erbaute Cerestempel, der in der Kaiserzeit als Muster des tuscanischen
+Stiles gilt. Aber gegen das Ende dieser Epoche kommt ein neuer Geist in das
+italische und namentlich das roemische Bauwesen: es beginnt der grossartige
+Bogenbau. Zwar sind wir nicht berechtigt, den Bogen und das Gewoelbe fuer
+italische Erfindungen zu erklaeren. Es ist wohl ausgemacht, dass in der Epoche
+der Genesis der hellenischen Architektur die Hellenen den Bogen noch nicht
+kannten und darum fuer ihre Tempel die flache Decke und das schraege Dach
+ausreichen mussten; allein gar wohl kann der Keilschnitt eine juengere, aus der
+rationellen Mechanik hervorgegangene Erfindung der Hellenen sein, wie ihn denn
+die griechische Tradition auf den Physiker Demokritos (294-397 460-357)
+zurueckfuehrt. Mit dieser Prioritaet des hellenischen Bogenbaus vor dem
+roemischen ist auch vereinbar, was vielfach und vielleicht mit Recht angenommen
+wird, dass die Gewoelbe an der roemischen Hauptkloake und dasjenige, welches
+ueber das alte, urspruenglich pyramidalisch gedeckte kapitolinische Quellhaus
+spaeterhin gespannt ward, die aeltesten erhaltenen Bauwerke sind, bei welchen
+das Bogenprinzip zur Anwendung gekommen ist; denn es ist mehr als
+wahrscheinlich, dass diese Bogenbauten nicht der Koenigs-, sondern der
+republikanischen Periode angehoeren und in der Koenigszeit man auch in Italien
+nur flache oder ueberkragte Daecher gekannt hat. Allein wie man auch ueber die
+Erfindung des Bogens selbst denken mag, die Anwendung im grossen ist ueberall
+und vor allem in der Baukunst wenigstens ebenso bedeutend wie die Aufstellung
+des Prinzips; und diese gebuehrt unbestritten den Roemern. Mit dem fuenften
+Jahrhundert beginnt der wesentlich auf den Bogen gegruendete Tor-, Bruecken-
+und Wasserleitungsbau, der mit dem roemischen Namen fortan unzertrennlich
+verknuepft ist. Verwandt ist hiermit noch die Entwicklung der den Griechen
+fremden, dagegen bei den Roemern vorzugsweise beliebten und besonders fuer die
+ihnen eigentuemlichen Kulte, namentlich den nicht griechischen der Vesta,
+angewendeten Form des Rundtempels und des Kuppeldachs ^12.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^12 Eine Nachbildung der aeltesten Hausform, wie man wohl gemeint hat, ist der
+Rundtempel sicher nicht; vielmehr geht der Hausbau durchaus vom Viereck aus.
+Die spaetere roemische Theologie knuepfte diese Rundform an die Vorstellung des
+Erdballs oder des kugelfoermig die Zentralsonne umgebenden Weltalls (Fest. v.
+rutundam p. 282; Plut. Num. 11; Ov. fast. 6, 267f.); in der Tat ist dieselbe
+wohl einfach darauf zurueckzufuehren, dass fuer die zum Abhegen und Aufbewahren
+bestimmte Raeumlichkeit als die bequemste wie die sicherste Form stets die
+kreisrunde gegolten hat. Darauf beruhten die runden Schatzhaeuser der Hellenen
+ebenso wie der Rundbau der roemischen Vorratskammer oder des Penatentempels; es
+war natuerlich auch die Feuerstelle - das heisst den Altar der Vesta - und die
+Feuerkammer - das heisst den Vestatempel - rund anzulegen, so gut wie dies mit
+der Zisterne und der Brunnenfassung (puteal) geschah. Der Rundbau an sich ist
+graecoitalisch wie der Quadratbau und jener der Kammer eigen, wie dieser dem
+Wohnhaus; aber die architektonische und religioese Entwicklung des einfachen
+Tholos zum Rundtempel mit Pfeilern und Saeulen ist latinisch.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Etwas Aehnliches mag von manchen untergeordneten, aber darum nicht unwichtigen
+Fertigkeiten auf diesem Gebiet gelten. Von Originalitaet oder gar von
+Kunstuebung kann dabei nicht die Rede sein; aber auch aus den festgefuegten
+Steinplatten der roemischen Strassen, aus ihren unzerstoerbaren Chausseen, aus
+den breiten, klingend harten Ziegeln, aus dem ewigen Moertel ihrer Gebaeude
+redet die unverwuestliche Soliditaet, die energische Tuechtigkeit des
+roemischen Wesens.
+</p>
+
+<p>
+Wie die tektonischen, und womoeglich noch mehr, sind die bildenden und
+zeichnenden Kuenste auf italischem Boden nicht so sehr durch griechische
+Anregung befruchtet, als aus griechischen Samenkoernern gekeimt. Dass
+dieselben, obwohl erst die juengeren Schwestern der Architektur, doch
+wenigstens in Etrurien schon waehrend der roemischen Koenigszeit sich zu
+entwickeln begannen, wurde bereits bemerkt; ihre hauptsaechliche Entfaltung
+aber gehoert in Etrurien, und um so mehr in Latium, dieser Epoche an, wie dies
+schon daraus mit Evidenz hervorgeht, dass in denjenigen Landschaften, welche
+die Kelten und Samniten den Etruskern im Laufe des vierten Jahrhunderts
+entrissen, von etruskischer Kunstuebung fast keine Spur begegnet. Die tuskische
+Plastik warf sich zuerst und hauptsaechlich auf die Arbeit in gebranntem Ton,
+in Kupfer und in Gold, welche Stoffe die reichen Tonlager und Kupfergruben und
+der Handelsverkehr Etruriens den Kuenstlern darboten. Von der
+Schwunghaftigkeit, womit die Tonbildnerei betrieben wurde, zeugen die
+ungeheuren Massen von Reliefplatten und statuarischen Arbeiten aus gebranntem
+Ton, womit Waende, Giebel und Daecher der etruskischen Tempel nach Ausweis der
+noch vorhandenen Ruinen einst verziert waren, und der nachweisliche Vertrieb
+derartiger Arbeiten aus Etrurien nach Latium. Der Kupferguss stand nicht
+dahinter zurueck. Etruskische Kuenstler wagten sich an die Verfertigung von
+kolossalen, bis zu fuenfzig Fuss hohen Bronzebildsaeulen, und in Volsinii, dem
+etruskischen Delphi, sollen um das Jahr 489 (265) zweitausend Bronzestatuen
+gestanden haben, wogegen die Steinbildnerei in Etrurien, wie wohl ueberall,
+weit spaeter begann und ausser inneren Ursachen auch durch den Mangel eines
+geeigneten Materials zurueckgehalten ward - die lunensischen (carrarischen)
+Marmorbrueche waren noch nicht eroeffnet. Wer den reichen und zierlichen
+Goldschmuck der suedetruskischen Graeber gesehen hat, der wird die Nachricht
+nicht unglaublich finden, dass die tyrrhenischen Goldschalen selbst in Attika
+geschaetzt wurden. Auch die Steinschneidekunst ward, obwohl sie juenger ist,
+doch auch in Etrurien vielfaeltig geuebt. Ebenso abhaengig von den Griechen,
+uebrigens den bildenden Kuenstlern vollkommen ebenbuertig, waren die sowohl in
+der Umrisszeichnung auf Metall wie in der monochromatischen Wandmalerei
+ungemein taetigen etruskischen Zeichner und Maler.
+</p>
+
+<p>
+Vergleichen wir hiermit das Gebiet der eigentlichen Italiker, so erscheint es
+zunaechst gegen die etruskische Fuelle fast kunstarm. Allein bei genauerer
+Betrachtung kann man der Wahrnehmung sich nicht entziehen, dass sowohl die
+sabellische wie die latinische Nation weit mehr als die etruskische Faehigkeit
+und Geschick fuer die Kunst gehabt haben muessen. Zwar auf eigentlich
+sabellischem Gebiet, in der Sabina, in den Abruzzen, in Samnium, finden sich
+Kunstwerke so gut wie gar nicht und mangeln sogar die Muenzen. Diejenigen
+sabellischen Staemme dagegen, welche an die Kuesten der Tyrrhenischen oder
+Ionischen See gelangten, haben die hellenische Kunst sich nicht bloss wie die
+Etrusker aeusserlich angeeignet, sondern sie mehr oder minder vollstaendig bei
+sich akklimatisiert. Schon in Velitrae, wo wohl allein in der einstmaligen
+Landschaft der Volsker deren Sprache und Eigentuemlichkeit spaeterhin sich
+behauptet haben, haben sich bemalte Terrakotten gefunden von lebendiger und
+eigentuemlicher Behandlung. In Unteritalien ist Lucanien zwar in geringem Grade
+von der hellenischen Kunst ergriffen worden; aber in Kampanien wie im
+brettischen Lande haben sich Sabeller und Hellenen wie in Sprache und
+Nationalitaet so auch und vor allem in der Kunst vollstaendig durchdrungen und
+es stehen namentlich die kampanischen und brettischen Muenzen mit den
+gleichzeitigen griechischen so vollstaendig auf einer Linie der
+Kunstbehandlung, dass nur die Aufschrift sie von ihnen unterscheidet. Weniger
+bekannt, aber nicht weniger sicher ist es, dass auch Latium wohl an
+Kunstreichtum und Kunstmasse, aber nicht an Kunstsinn und Kunstuebung hinter
+Etrurien zurueckstand. Offenbar hat die um den Anfang des 5. Jahrhunderts
+erfolgte Festsetzung der Roemer in Kampanien, die Verwandlung der Stadt Cales
+in eine latinische Gemeinde, der falernischen Landschaft bei Capua in einen
+roemischen Buergerbezirk, zunaechst die kampanische Kunstuebung den Roemern
+aufgeschlossen. Zwar mangelt bei diesen nicht bloss die in dem ueppigen
+Etrurien fleissig gepflegte Steinschneidekunst voellig und begegnet nirgends
+eine Spur, dass die latinischen Gewerke gleich den etruskischen Goldschmieden
+und Tonarbeitern fuer das Ausland taetig gewesen sind. Zwar sind die
+latinischen Tempel nicht gleich den etruskischen mit Bronze- und Tonzierat
+ueberladen, die latinischen Graeber nicht gleich den etruskischen mit
+Goldschmuck angefuellt worden und schillerten die Waende jener nicht wie die
+der etruskischen von bunten Gemaelden. Aber nichtsdestoweniger stellt sich im
+ganzen die Waage nicht zum Vorteil der etruskischen Nation. Die Erfindung des
+Janusbildes, welche wie die Gottheit selbst den Latinern beigelegt werden darf,
+ist nicht ungeschickt, und originellerer Art als die irgendeines etruskischen
+Kunstwerks. Die schoene Gruppe der Woelfin mit den Zwillingen lehnt wohl an
+aehnliche griechische Erfindungen sich an, ist aber in dieser Ausfuehrung
+sicher wenn nicht in Rom, so doch von Roemern erfunden; und es ist
+bemerkenswert, dass sie zuerst auf den von den Roemern in und fuer Kampanien
+gepraegten Silbermuenzen auftritt. In dem oben erwaehnten Cales scheint bald
+nach seiner Gruendung eine besondere Gattung figurierten Tongeschirrs erfunden
+worden zu sein, das mit dem Namen der Meister und des Verfertigungsorts
+bezeichnet und in weitem Umfang bis nach Etrurien hinein vertrieben worden ist.
+Die vor kurzem auf dem Esquilin zum Vorschein gekommenen figurierten Altaerchen
+von gebranntem Ton entsprechen in der Darstellung wie in der Ornamentik genau
+den gleichartigen Weihgeschenken der kampanischen Tempel. Indes schliesst dies
+nicht aus, dass auch griechische Meister fuer Rom gearbeitet haben. Der Bildner
+Damophilos, der mit Gorgasos die bemalten Tonfiguren fuer den uralten
+Cerestempel verfertigt hat, scheint kein anderer gewesen zu sein als der Lehrer
+des Zeuxis, Demophilos von Himera (um 300 450). Am belehrendsten sind
+diejenigen Kunstzweige, in denen uns teils nach alten Zeugnissen, teils nach
+eigener Anschauung eine vergleichendes Urteil gestattet ist. Von latinischen
+Arbeiten in Stein ist kaum etwas anderes uebrig als der am Ende dieser Periode
+in dorischem Stil gearbeitete Steinsarg des roemischen Konsuls Lucius Scipio;
+aber die edle Einfachheit desselben beschaemt alle aehnlichen etruskischen
+Werke. Aus den etruskischen Graebern sind manche schoene Bronzen alten strengen
+Kunststils, namentlich Helme, Leuchter und dergleichen Geraetstuecke erhoben
+worden; aber welches dieser Werke reicht an die im Jahre 458 (296) am
+ruminalischen Feigenbaum auf dem roemischen Markte aus Strafgeldern
+aufgestellte bronzene Woelfin, noch heute den schoensten Schmuck des Kapitols?
+Und dass auch die latinischen Metallgiesser so wenig wie die etruskischen vor
+grossen Aufgaben zurueckschraken, beweist das von Spurius Carvilis (Konsul 461
+293) aus den eingeschmolzenen samnitischen Ruestungen errichtete kolossale
+Erzbild des Jupiter auf dem Kapitol, aus dessen Abfall beim Ziselieren die zu
+den Fuessen des Kolosses stehende Statue des Siegers hatte gegossen werden
+koennen; man sah dieses Jupiterbild bis vom Albanischen Berge. Unter den
+gegossenen Kupfermuenzen gehoeren bei weitem die schoensten dem suedlichen
+Latium an; die roemischen und umbrischen sind leidlich, die etruskischen fast
+bildlos und oft wahrhaft barbarisch. Die Wandmalereien, die Gaius Fabius in dem
+452 302 dedizierten Tempel der Wohlfahrt auf dem Kapitol ausfuehrte, erwarben
+in Zeichnung und Faerbung noch das Lob griechisch gebildeter Kunstrichter der
+augusteischen Epoche; und es werden von den Kunstenthusiasten der Kaiserzeit
+wohl auch die caeritischen, aber mit noch groesserem Nachdruck die roemischen,
+lanuvinischen und ardeatischen Fresken als Meisterwerke der Malerei gepriesen.
+Die Zeichnung auf Metall, welche in Latium nicht wie in Etrurien die
+Handspiegel, sondern die Toilettenkaestchen mit ihren zierlichen Umrissen
+schmueckte, ward in Latium in weit geringerem Umfang und fast nur in Praeneste
+geuebt; es finden sich vorzuegliche Kunstwerke unter den etruskischen
+Metallspiegeln wie unter den praenestinischen Kaestchen, aber es war ein Werk
+der letzteren Gattung, und zwar ein hoechst wahrscheinlich in dieser Epoche in
+der Werkstatt eines praenestinischen Meisters entstandenes Werk ^13, von dem
+mit Recht gesagt werden konnte, dass kaum ein zweites Erzeugnis der Graphik des
+Altertums so wie die ficoronische Cista den Stempel einer in Schoenheit und
+Charakteristik vollendeten und noch vollkommen reinen und ernsten Kunst an sich
+traegt.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^13 Novius Plautius goss vielleicht nur die Fuesse und die Deckelgruppe; das
+Kaestchen selbst kann von einem aelteren Kuenstler herruehren, aber, da der
+Gebrauch dieser Kaestchen sich wesentlich auf Praeneste beschraenkt hat, kaum
+von einem anderen als einem praenestinischen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Der allgemeine Stempel der etruskischen Kunstwerke ist teils eine gewisse
+barbarische Ueberschwenglichkeit im Stoff wie im Stil, teils der voellige
+Mangel innerer Entwicklung. Wo der griechische Meister fluechtig skizziert,
+verschwendet der etruskische Schueler schuelerhaft den Fleiss; an die Stelle
+des leichten Materials und der maessigen Verhaeltnisse griechischer Werke tritt
+bei den etruskischen ein renommistisches Hervorheben der Groesse und
+Kostbarkeit oder auch bloss der Seltsamkeit des Werkes. Die etruskische Kunst
+kann nicht nachbilden, ohne zu uebertreiben: das Strenge wird ihr hart, das
+Anmutige weichlich, das Schreckliche zum Scheusal, die Ueppigkeit zur Zote, und
+immer deutlicher tritt dies hervor, je mehr die urspruengliche Anregung
+zuruecktritt und die etruskische Kunst sich auf sich selber angewiesen findet.
+Noch auffallender ist das Festhalten an den hergebrachten Formen und dem
+hergebrachten Stil. Sei es, dass die anfaengliche freundlichere Beruehrung mit
+Etrurien hier den Hellenen den Samen der Kunst auszustreuen gestattete, eine
+spaetere Epoche der Feindseligkeit aber den juengeren Entwicklungsstadien der
+griechischen Kunst den Eingang in Etrurien erschwerte, sei es, was
+wahrscheinlicher ist, dass die rasch eintretende geistige Erstarrung der Nation
+die Hauptsache dabei tat: die Kunst blieb in Etrurien auf der primitiven Stufe,
+auf welcher sie bei ihrem ersten Eindringen daselbst sich befunden hatte,
+wesentlich stehen - bekanntlich ist dies die Ursache gewesen; weshalb die
+etruskische Kunst, die unentwickelt gebliebene Tochter der hellenischen,
+solange als deren Mutter gegolten hat. Mehr noch als das strenge Festhalten des
+einmal ueberlieferten Stils in den aelteren Kunstzweigen beweist die
+unverhaeltnismaessig elende Behandlung der spaeter aufgekommenen, namentlich
+der Bildhauerei in Stein und des Kupfergusses in der Anwendung auf Muenzen, wie
+rasch aus der etruskischen Kunst der Geist entwich. Ebenso belehrend sind die
+gemalten Gefaesse, die in den juengeren etruskischen Grabstaetten in so
+ungeheurer Anzahl sich finden. Waeren dieselben so frueh wie die mit Umrissen
+verzierten Metallplatten oder die bemalten Terrakotten bei den Etruskern
+gangbar geworden, so wuerde man ohne Zweifel auch sie in Menge und in
+wenigstens relativer Guete dort fabrizieren gelernt haben; aber in der Epoche,
+in welcher dieser Luxus emporkam, misslang die selbsttaetige Reproduktion
+vollstaendig, wie die vereinzelten mit etruskischen Inschriften versehenen
+Gefaesse beweisen, und man begnuegte sich darum, dieselben zu kaufen, statt sie
+zu formen.
+</p>
+
+<p>
+Aber auch innerhalb Etruriens erscheint ein weiterer bemerkenswerter
+Gegensatzinder kuenstlerischen Entwicklung der suedlichen und der noerdlichen
+Landschaft. Es ist Suedetrurien, hauptsaechlich die Bezirke von Caere,
+Tarquinii, Volci, die die gewaltigen Prunkschaetze besonders von Wandgemaelden,
+Tempeldekorationen, Goldschmuck und gemalten Tongefaessen bewahren; das
+noerdliche Etrurien steht weit dahinter zurueck, und es hat zum Beispiel sich
+kein gemaltes Grab noerdlich von Chiusi gefunden. Die suedlichsten etruskischen
+Staedte Veii, Caere, Tarquinii sind es, die der roemischen Tradition als die
+Ur- und Hauptsitze der etruskischen Kunst gelten; die noerdlichste Stadt
+Volaterrae, mit dem groessten Gebiet unter allen etruskischen Gemeinden, steht
+von allen auch der Kunst am fernsten. Wenn in Suedetrurien die griechische
+Halbkultur, so ist in Nordetrurien vielmehr die Unkultur zu Hause. Die Ursachen
+dieses bemerkenswerten Gegensatzes moegen teils in der verschiedenartigen, in
+Suedetrurien wahrscheinlich stark mit nicht etruskischen Elementen gemischten
+Nationalitaet, teils in der verschiedenen Maechtigkeit des hellenischen
+Einflusses zu suchen sein, welcher letztere namentlich in Caere sich sehr
+entschieden geltend gemacht haben muss; die Tatsache selbst ist nicht zu
+bezweifeln. Um so mehr musste die fruehe Unterjochung der suedlichen Haelfte
+Etruriens durch die Roemer und die sehr zeitig hier beginnende Romanisierung
+der etruskischen Kunst verderblich werden; was Nordetrurien, auf sich allein
+beschraenkt, kuenstlerisch zu leisten vermochte, zeigen die wesentlich ihm
+angehoerenden Kupfermuenzen.
+</p>
+
+<p>
+Wenden wir die Blicke von Etrurien nach Latium, so hat freilich auch dies keine
+neue Kunst geschaffen; es war einer weit spaeteren Kulturepoche vorbehalten,
+aus dem Motiv des Bogens eine neue, von der hellenischen Tektonik verschiedene
+Architektur zu entwickeln und sodann mit dieser harmonisch eine neue Bildnerei
+und Malerei zu entfalten. Die latinische Kunst ist nirgend originell und oft
+gering; aber die frisch empfindende und taktvoll waehlende Aneignung des
+fremden Gutes ist auch ein hohes kuenstlerisches Verdienst. Nicht leicht hat
+die latinische Kunst barbarisiert und in ihren besten Erzeugnissen steht sie
+voellig im Niveau der griechischen Technik. Eine gewisse Abhaengigkeit der
+Kunst Latiums wenigstens in ihren frueheren Stadien von der sicher aelteren
+etruskischen soll darum nicht geleugnet werden; es mag Varro immerhin mit Recht
+angenommen haben, dass bis auf die im Cerestempel von griechischen Kuenstlern
+ausgefuehrten nur &ldquo;tuscanische&rdquo; Tonbilder die roemischen Tempel
+verzierten; aber dass doch vor allem der unmittelbare Einfluss der Griechen die
+latinische Kunst bestimmt hat, ist an sich schon klar und liegt auch in eben
+diesen Bildwerken sowie in den latinischen und roemischen Muenzen deutlich zu
+Tage. Selbst die Anwendung der Metallzeichnung in Etrurien lediglich auf den
+Toilettenspiegel, in Latium lediglich auf den Toilettenkasten deutet auf die
+Verschiedenartigkeit der beiden Landschaften zuteil gewordenen Kunstanregung.
+Es scheint indes nicht gerade Rom gewesen zu sein, wo die latinische Kunst ihre
+frischesten Blueten trieb; die roemischen Asse und die roemischen Denare werden
+von den latinischen Kupfer- und den seltenen latinischen Silbermuenzen an
+Feinheit und Geschmack der Arbeit bei weitem uebertroffen und auch die
+Meisterwerke der Malerei und Zeichnung gehoeren vorwiegend Praeneste, Lanuvium,
+Ardea an. Auch stimmt dies vollstaendig zu dem frueher bezeichneten
+realistischen und nuechternen Sinn der roemischen Republik, welcher in dem
+uebrigen Latium sich schwerlich mit gleicher Strenge geltend gemacht haben
+kann. Aber im Lauf des fuenften Jahrhunderts und besonders in der zweiten
+Haelfte desselben regte es denn doch sich maechtig auch in der roemischen
+Kunst. Es war dies die Epoche, in welcher der spaetere Bogen- und Strassenbau
+begann, in welcher Kunstwerke wie die Kapitolinische Woelfin entstanden, in
+welcher ein angesehener Mann aus einem altadeligen roemischen Geschlechte den
+Pinsel ergriff, um einen neugebauten Tempel auszuschmuecken und dafuer den
+Ehrenbeinamen des &ldquo;Malers&rdquo; empfing. Das ist nicht Zufall. Jede
+grosse Zeit erfasst den ganzen Menschen; und wie starr die roemische Sitte, wie
+streng die roemische Polizei immer war, der Aufschwung, den die roemische
+Buergerschaft als Herrin der Halbinsel oder richtiger gesagt, den das zum
+erstenmal staatlich geeinigte Italien nahm, tritt auch in dem Aufschwung der
+latinischen und besonders der roemischen Kunst ebenso deutlich hervor wie in
+dem Sinken der etruskischen der sittliche und politische Verfall der Nation.
+Wie die gewaltige Volkskraft Latiums die schwaecheren Nationen bezwang, so hat
+sie auch dem Erz und dem Marmor ihren unvergaenglichen Stempel aufgedrueckt.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<pre>
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 2 by Theodor Mommsen
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***
+
+***** This file should be named 3061-h.htm or 3061-h.zip *****
+This and all associated files of various formats will be found in:
+ http://www.gutenberg.org/3/0/6/3061/
+
+Updated editions will replace the previous one--the old editions will
+be renamed.
+
+Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
+law means that no one owns a United States copyright in these works,
+so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
+States without permission and without paying copyright
+royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
+of this license, apply to copying and distributing Project
+Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm
+concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
+and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive
+specific permission. If you do not charge anything for copies of this
+eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook
+for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
+performances and research. They may be modified and printed and given
+away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks
+not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the
+trademark license, especially commercial redistribution.
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+START: FULL LICENSE
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+THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
+PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK
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+To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
+distribution of electronic works, by using or distributing this work
+(or any other work associated in any way with the phrase "Project
+Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full
+Project Gutenberg-tm License available with this file or online at
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+Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project
+Gutenberg-tm electronic works
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+1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
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+Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound
+by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the
+person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph
+1.E.8.
+
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+used on or associated in any way with an electronic work by people who
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+things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
+even without complying with the full terms of this agreement. See
+paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
+Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
+agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm
+electronic works. See paragraph 1.E below.
+
+1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the
+Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
+of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
+works in the collection are in the public domain in the United
+States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
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+with the defective work may elect to provide a replacement copy in
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+or entity providing it to you may choose to give you a second
+opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
+the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
+without further opportunities to fix the problem.
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+LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
+
+1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
+warranties or the exclusion or limitation of certain types of
+damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
+violates the law of the state applicable to this agreement, the
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+electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
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+or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
+additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
+Defect you cause.
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+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of
+computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
+exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
+from people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
+generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
+Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
+www.gutenberg.org
+
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
+U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
+mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
+volunteers and employees are scattered throughout numerous
+locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
+Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
+date contact information can be found at the Foundation's web site and
+official page at www.gutenberg.org/contact
+
+For additional contact information:
+
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
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+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
+DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
+state visit www.gutenberg.org/donate
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including checks, online payments and credit card donations. To
+donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.
+
+Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
+Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
+freely shared with anyone. For forty years, he produced and
+distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
+volunteer support.
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
+the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
+necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
+edition.
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search
+facility: www.gutenberg.org
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
+subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
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+</pre>
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+</html>
diff --git a/3061.txt b/3061.txt
new file mode 100644
index 0000000..cd59c82
--- /dev/null
+++ b/3061.txt
@@ -0,0 +1,9401 @@
+The Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 2 by Theodor
+Mommsen (#2 in our series by Theodor Mommsen)
+
+Copyright laws are changing all over the world, be sure to check the
+laws for your country before redistributing these files!!!
+
+Please take a look at the important information in this header. We
+encourage you to keep this file on your own disk, keeping an electronic
+path open for the next readers.
+
+Please do not remove this.
+
+This should be the first thing seen when anyone opens the book. Do not
+change or edit it without written permission. The words are carefully
+chosen to provide users with the information they need about what they
+can legally do with the texts.
+
+
+**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts**
+
+**Etexts Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971**
+
+*These Etexts Prepared By Hundreds of Volunteers and Donations*
+
+Information on contacting Project Gutenberg to get Etexts, and further
+information is included below. We need your donations.
+
+Presently, contributions are only being solicited from people in: Texas,
+Nevada, Idaho, Montana, Wyoming, Colorado, South Dakota, Iowa, Indiana,
+and Vermont. As the requirements for other states are met, additions
+to this list will be made and fund raising will begin in the additional
+states. These donations should be made to:
+
+Project Gutenberg Literary Archive Foundation PMB 113 1739 University
+Ave. Oxford, MS 38655
+
+
+Title: Rmische Geschichte Book 2
+
+Author: Theodor Mommsen
+
+Release Date: February, 2002 [Etext #3061] [Yes, we are about one year
+ahead of schedule]
+
+Edition: 10
+
+Language: German
+
+The Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 2 by Theodor
+Mommsen ******This file should be named 3061.txt or 3061.zip******
+
+
+Thanks to KGSchon for preparing this etext.
+
+Project Gutenberg Etexts are usually created from multiple editions,
+all of which are in the Public Domain in the United States, unless a
+copyright notice is included. Therefore, we usually do NOT keep any of
+these books in compliance with any particular paper edition.
+
+We are now trying to release all our books one year in advance of the
+official release dates, leaving time for better editing. Please be
+encouraged to send us error messages even years after the official
+publication date.
+
+Please note: neither this list nor its contents are final till midnight
+of the last day of the month of any such announcement. The official
+release date of all Project Gutenberg Etexts is at Midnight, Central
+Time, of the last day of the stated month. A preliminary version may
+often be posted for suggestion, comment and editing by those who wish to
+do so.
+
+Most people start at our sites at: https://gutenberg.org
+http://promo.net/pg
+
+
+Those of you who want to download any Etext before announcement can surf
+to them as follows, and just download by date; this is also a good way
+to get them instantly upon announcement, as the indexes our cataloguers
+produce obviously take a while after an announcement goes out in the
+Project Gutenberg Newsletter.
+
+http://www.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext02 or
+ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext02
+
+Or /etext01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90
+
+Just search by the first five letters of the filename you want, as it
+appears in our Newsletters.
+
+
+Information about Project Gutenberg (one page)
+
+We produce about two million dollars for each hour we work. The time
+it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours to get
+any etext selected, entered, proofread, edited, copyright searched and
+analyzed, the copyright letters written, etc. This projected audience
+is one hundred million readers. If our value per text is nominally
+estimated at one dollar then we produce $2 million dollars per hour this
+year as we release fifty new Etext files per month, or 500 more Etexts
+in 2000 for a total of 3000+ If they reach just 1-2% of the world's
+population then the total should reach over 300 billion Etexts given
+away by year's end.
+
+The Goal of Project Gutenberg is to Give Away One Trillion Etext Files
+by December 31, 2001. [10,000 x 100,000,000 = 1 Trillion] This is ten
+thousand titles each to one hundred million readers, which is only about
+4% of the present number of computer users.
+
+At our revised rates of production, we will reach only one-third of that
+goal by the end of 2001, or about 3,333 Etexts unless we manage to get
+some real funding.
+
+Something is needed to create a future for Project Gutenberg for the
+next 100 years.
+
+We need your donations more than ever!
+
+Presently, contributions are only being solicited from people in: Texas,
+Nevada, Idaho, Montana, Wyoming, Colorado, South Dakota, Iowa, Indiana,
+and Vermont. As the requirements for other states are met, additions
+to this list will be made and fund raising will begin in the additional
+states.
+
+All donations should be made to the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation and will be tax deductible to the extent permitted by law.
+
+Mail to:
+
+Project Gutenberg Literary Archive Foundation PMB 113 1739 University
+Avenue Oxford, MS 38655 [USA]
+
+We are working with the Project Gutenberg Literary Archive Foundation to
+build more stable support and ensure the future of Project Gutenberg.
+
+We need your donations more than ever!
+
+You can get up to date donation information at:
+
+https://www.gutenberg.org/donation.html
+
+
+***
+
+You can always email directly to:
+
+Michael S. Hart <hart@pobox.com>
+
+hart@pobox.com forwards to hart@prairienet.org and archive.org if your
+mail bounces from archive.org, I will still see it, if it bounces from
+prairienet.org, better resend later on. . . .
+
+We would prefer to send you this information by email.
+
+
+Example command-line FTP session:
+
+ftp ftp.ibiblio.org login: anonymous password: your@login cd
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+*END THE SMALL PRINT! FOR PUBLIC DOMAIN ETEXTS*Ver.04.07.00*END*
+
+
+
+
+The following e-text of Mommsen's Roemische Geschichte contains some
+(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations
+is a modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked
+in Greek words, nor is there any differentiation between the different
+accents of ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.
+
+Theodor Mommsen Roemische Geschichte
+
+Zweites Buch Von der Abschaffung des roemischen Koenigtums bis zur
+Einigung Italiens
+
+- dei oyk ekpl/e/ttein ton syggraphea terateyomenon dia t/e/s istorias
+to?s entygchanontas. - der Historiker soll seine Leser nicht durch
+Schauergeschichten in Erschuetterung versetzen. Polybios 1. Kapitel
+Aenderung der Verfassung Beschraenkung der Magistratsgewalt Der
+strenge Begriff der Einheit und Allgewalt der Gemeinde in allen
+Gemeindeangelegenheiten, dieser Schwerpunkt der italischen Verfassungen,
+legte in die Haende des einzigen, auf Lebenszeit ernannten Vorstehers
+eine furchtbare Gewalt, die wohl der Landesfeind empfand, aber nicht
+minder schwer der Buerger. Missbrauch und Druck konnte nicht ausbleiben,
+und hiervon die notwendige Folge waren Bestrebungen, jene Gewalt
+zu mindern. Aber das ist das Grossartige in diesen roemischen
+Reformversuchen und Revolutionen, dass man nie unternimmt, weder die
+Gemeinde als solche zu beschraenken noch auch nur sie entsprechender
+Organe zu berauben, dass nie die sogenannten natuerlichen Rechte des
+einzelnen gegen die Gemeinde geltend gemacht werden, sondern dass der
+ganze Sturm sich richtet gegen die Form der Gemeindevertretung. Nicht
+Begrenzung der Staats-, sondern Begrenzung der Beamtenmacht ist der Ruf
+der roemischen Fortschrittspartei von den Zeiten der Tarquinier bis auf
+die der Gracchen; und auch dabei vergisst man nie, dass das Volk
+nicht regieren, sondern regiert werden soll. Dieser Kampf bewegt sich
+innerhalb der Buergerschaft. Ihm zur Seite entwickelt sich eine andere
+Bewegung: der Ruf der Nichtbuerger um politische Gleichberechtigung.
+Dahin gehoeren die Agitationen der Plebejer, der Latiner, der Italiker,
+der Freigelassenen, welche alle, mochten sie Buerger genannt werden, wie
+die Plebejer und die Freigelassenen, oder nicht, wie die Latiner und die
+Italiker, politische Gleichheit entbehrten und begehrten. Ein dritter
+Gegensatz ist noch allgemeinerer Art: der der Vermoegenden und der
+Armen, insbesondere der aus dem Besitz gedraengten oder in demselben
+gefaehrdeten Besitzer. Die rechtlichen und politischen Verhaeltnisse
+Roms veranlassten die Entstehung zahlreicher Bauernwirtschaften teils
+kleiner Eigentuemer, die von der Gnade des Kapital-, teils kleiner
+Zeitpaechter, die von der Gnade des Grundherrn abhingen, und beraubten
+vielfach einzelne wie ganze Gemeinden des Grundbesitzes, ohne die
+persoenliche Freiheit anzugreifen. Dadurch ward das ackerbauende
+Proletariat schon so frueh maechtig, dass es wesentlich in die
+Schicksale der Gemeinde eingreifen konnte. Das staedtische Proletariat
+gewann erst in weit spaeterer Zeit politische Bedeutung. In diesen
+Gegensaetzen bewegte sich die innere Geschichte Roms und vermutlich
+nicht minder die uns gaenzlich verlorene der uebrigen italischen
+Gemeinden. Die politische Bewegung innerhalb der vollberechtigten
+Buergerschaft, der Krieg der Ausgeschlossenen und der Ausschliessenden,
+die sozialen Konflikte der Besitzenden und der Besitzlosen, so
+mannigfaltig sie sich durchkreuzen und ineinanderschlingen und oft
+seltsame Allianzen herbeifuehren, sind dennoch wesentlich und von Grund
+aus verschieden. Da die Servianische Reform, welche den Insassen
+in militaerischer Hinsicht dem Buerger gleichstellte, mehr aus
+administrativen Ruecksichten als aus einer politischen Parteitendenz
+hervorgegangen zu sein scheint, so darf als der erste dieser
+Gegensaetze, der zu inneren Krisen und Verfassungsaenderungen fuehrte,
+derjenige betrachtet werden, der auf die Beschraenkung der Magistratur
+hinarbeitet. Der frueheste Erfolg dieser aeltesten roemischen
+Opposition besteht in der Abschaffung der Lebenslaenglichkeit der
+Gemeindevorsteherschaft, das heisst in der Abschaffung des Koenigtums.
+Wie notwendig diese in der natuerlichen Entwicklung der Dinge lag,
+dafuer ist der schlagendste Beweis, dass dieselbe Verfassungsaenderung
+in dem ganzen Kreise der italisch-griechischen Welt in analoger Weise
+vor sich gegangen ist. Nicht bloss in Rom, sondern gerade ebenso bei
+den uebrigen Latinern sowie bei den Sabellern, Etruskern und Apulern,
+ueberhaupt in saemtlichen italischen Gemeinden finden wir, wie in
+den griechischen, in spaeterer Zeit die alten lebenslaenglichen durch
+Jahresherrscher ersetzt. Fuer den lucanischen Gau ist es bezeugt, dass
+er im Frieden sich demokratisch regierte und nur fuer den Krieg die
+Magistrate einen Koenig, das heisst einen dem roemischen Diktator
+aehnlichen Beamten bestellten; die sabellischen Stadtgemeinden, zum
+Beispiel die von Capua und Pompeii, gehorchten gleichfalls spaeterhin
+einem jaehrlich wechselnden "Gemeindebesorger" (medix tuticus), und
+aehnliche Institutionen moegen wir auch bei den uebrigen Volks-
+und Stadtgemeinden Italiens voraussetzen. Es bedarf hiernach keiner
+Erklaerung, aus welchen Gruenden in Rom die Konsuln an die Stelle
+der Koenige getreten sind; der Organismus der alten griechischen
+und italischen Politie entwickelt vielmehr die Beschraenkung der
+lebenslaenglichen Gemeindevorstandschaft auf eine kuerzere, meistenteils
+jaehrige Frist mit einer gewissen Naturnotwendigkeit aus sich selber.
+So einfach indes die Ursache dieser Veraenderung ist, so
+mannigfaltig konnten die Anlaesse sein; man mochte nach dem Tode des
+lebenslaenglichen Herrn beschliessen keinen solchen wieder zu erwaehlen,
+wie nach Romulus' Tode der roemische Senat versucht haben soll; oder der
+Herr mochte freiwillig abdanken, was angeblich Koenig Servius Tullius
+beabsichtigt hat; oder das Volk mochte gegen einen tyrannischen
+Regenten aufstehen und ihn vertreiben, wie dies das Ende des roemischen
+Koenigtums war. Denn mag die Geschichte der Vertreibung des letzten
+Tarquinius, "des Uebermuetigen", auch noch so sehr in Anekdoten ein- und
+zur Novelle ausgesponnen sein, so ist doch an den Grundzuegen nicht zu
+zweifeln. Dass der Koenig es unterliess den Senat zu befragen und zu
+ergaenzen, dass er Todesurteile und Konfiskationen ohne Zuziehung
+von Ratmaennern aussprach, dass er in seinen Speichern ungeheure
+Kornvorraete aufhaeufte und den Buergern Kriegsarbeit und Handdienste
+ueber die Gebuehr ansann, bezeichnet die Ueberlieferung in glaublicher
+Weise als die Ursachen der Empoerung; von der Erbitterung des Volkes
+zeugt das foermliche Geloebnis, das dasselbe Mann fuer Mann fuer sich
+und seine Nachkommen ablegte, fortan keinen Koenig mehr zu dulden, und
+der blinde Hass, der seitdem an den Namen des Koenigs sich anknuepfte,
+vor allem aber die Verfuegung, dass der "Opferkoenig", den man kreieren
+zu muessen glaubte, damit nicht die Goetter den gewohnten Vermittler
+vermissten, kein weiteres Amt solle bekleiden koennen und also dieser
+zwar der erste, aber auch der ohnmaechtigste Mann im roemischen
+Gemeindewesen ward. Mit dem letzten Koenig wurde sein ganzes Geschlecht
+verbannt - ein Beweis, welche Geschlossenheit damals noch die
+gentilizischen Verbindungen hatten. Die Tarquinier siedelten darauf
+ueber nach Caere, vielleicht ihrer alten Heimat, wo ihr Geschlechtsgrab
+kuerzlich aufgedeckt worden ist. An die Stelle aber des einen
+lebenslaenglichen traten zwei jaehrige Herrscher an die Spitze der
+roemischen Gemeinde. Dies ist alles, was historisch ueber dies wichtige
+Ereignis als sicher angesehen werden kann ^1. Dass in einer grossen
+weitherrschenden Gemeinde, wie die roemische war, die koenigliche
+Gewalt, namentlich wenn sie durch mehrere Generationen bei demselben
+Geschlechte gewesen, widerstandsfaehiger und der Kampf also lebhafter
+war als in den kleineren Staaten, ist begreiflich; aber auf eine
+Einmischung auswaertiger Staaten in denselben deutet keine sichere
+Spur. Der grosse Krieg mit Etrurien, der uebrigens wohl nur durch
+chronologische Verwirrung in den roemischen Jahrbuechern so nahe an
+die Vertreibung der Tarquinier gerueckt ist, kann nicht als eine
+Intervention Etruriens zu Gunsten eines in Rom beeintraechtigten
+Landsmannes angesehen werden, aus dem sehr zureichenden Grunde, dass
+die Etrusker trotz des vollstaendigen Sieges doch weder das roemische
+Koenigtum wiederhergestellt noch auch nur die Tarquinier zurueckgefuehrt
+haben. ---------------------------------------------- ^1 Die bekannte
+Fabel richtet groesstenteils sich selbst; zum guten Teil ist sie aus
+Beinamenerklaerung (Brutus, Poplicola, Scaevola) herausgesponnen. Aber
+sogar die scheinbar geschichtlichen Bestandteile derselben zeigen
+bei genauerer Erwaegung sich als erfunden. Dahin gehoert, dass
+Brutus Reiterhauptmann (tribunus celerum) gewesen und als solcher den
+Volksschluss ueber die Vertreibung der Tarquinier beantragt haben soll;
+denn es ist nach der roemischen Verfassung ganz unmoeglich, dass ein
+blosser Offizier das Recht gehabt habe, die Kurien zu berufen. Offenbar
+ist diese ganze Angabe zum Zweck der Herstellung eines Rechtsbodens
+fuer die roemische Republik ersonnen, und recht schlecht ersonnen, indem
+dabei der tribunus celerum mit dem ganz verschiedenen magister equitum
+verwechselt und dann das dem letzteren kraft seines praetorischen Ranges
+zustehende Recht, die Zenturien zu berufen, auf die Kurienversammlung
+bezogen ward. ---------------------------------------------- Sind wir
+ueber den historischen Zusammenhang dieses wichtigen Ereignisses
+im Dunkeln, so liegt dagegen zum Glueck klar vor, worin die
+Verfassungsaenderung bestand. Die Koenigsgewalt ward keineswegs
+abgeschafft, wie schon das beweist, dass in der Vakanz nach wie vor
+der "Zwischenkoenig" eintrat; es traten nur an die Stelle des einen
+lebenslaenglichen zwei Jahreskoenige, die sich Feldherren (praetores)
+oder Richter (iudices) oder auch bloss Kollegen (consules) ^2 nannten.
+Es sind die Prinzipien der Kollegialitaet und der Annuitaet, die
+die Republik und das Koenigtum unterscheiden und die hier zuerst uns
+entgegentreten. ------------------------------------ ^2 Consules sind
+die zusammen Springenden oder Tanzenden, wie praesul der Vorspringen
+exul der Ausspringer (o ekpes/o/n), insula der Einsprung, zunaechst
+der ins Meer gefallene Felsblock. ------------------------------------
+Dasjenige der Kollegialitaet, dem der dritte spaeterhin gangbarste
+Name der Jahreskoenige entlehnt war, erscheint hier in einer ganz
+eigentuemlichen Gestalt. Nicht den beiden Beamten zusammen ward die
+hoechste Macht uebertragen, sondern es hatte und uebte sie jeder Konsul
+fuer sich so voll und ganz, wie der Koenig sie gehabt und geuebt hatte.
+Es geht dies so weit, dass von den beiden Kollegen nicht etwa der eine
+die Rechtspflege, der andere den Heerbefehl uebernahm, sondern sie
+ebenso gleichzeitig in der Stadt Recht sprachen wie zusammen zum Heere
+abgingen; im Falle der Kollision entschied ein nach Monaten oder
+Tagen bemessener Turnus. Allerdings konnte daneben, wenigstens im
+militaerischen Oberbefehl, eine gewisse Kompetenzteilung wohl von Anfang
+an stattfinden, beispielsweise der eine Konsul gegen die Aequer, der
+andere gegen die Volsker ausruecken; aber sie hatte in keiner Weise
+bindende Kraft und jedem der Kollegen stand es rechtlich frei, in den
+Amtskreis des andern zu jeder Zeit ueberzugreifen. Wo also die hoechste
+Gewalt der hoechsten Gewalt entgegentrat und der eine Kollege das
+verbot, was der andere befahl, hoben die konsularischen Machtworte
+einander auf. Diese eigentuemlich wenn nicht roemische, so doch
+latinische Institution konkurrierender hoechster Gewalt, die im
+roemischen Gemeinwesen sich im ganzen genommen praktisch bewaehrt hat,
+zu der es aber schwer sein wird, in einem andern groesseren Staat eine
+Parallele zu finden, ist offenbar hervorgegangen aus dem Bestreben, die
+koenigliche Macht in rechtlich ungeschmaelerter Fuelle festzuhalten und
+darum das Koenigsamt nicht etwa zu teilen oder von einem Individuum auf
+ein Kollegium zu uebertragen, sondern lediglich es zu verdoppeln und
+damit, wo es noetig war, es durch sich selber zu vernichten. Fuer
+die Befristung gab das aeltere fuenftaegige Zwischenkoenigtum
+einen rechtlichen Anhalt. Die ordentlichen Gemeindevorsteher
+wurden verpflichtet, nicht laenger als ein Jahr, von dem Tage ihres
+Amtsantritts an gerechnet ^3, im Amte zu bleiben und hoerten, wie der
+Interrex mit Ablauf der fuenf Tage, so mit Ablauf des Jahres vor. Rechts
+wegen auf, Beamte zu sein. Durch diese Befristung des hoechsten Amtes
+ging die tatsaechliche Unverantwortlichkeit des Koenigs fuer den
+Konsul verloren. Zwar hatte auch der Koenig von jeher in dem roemischen
+Gemeinwesen unter, nicht ueber dem Gesetz gestanden; allein da nach
+roemischer Auffassung der hoechste Richter nicht bei sich selbst belangt
+werden durfte, hatte er wohl ein Verbrechen begehen koennen, aber
+ein Gericht und eine Strafe gab es fuer ihn nicht. Den Konsul dagegen
+schuetzte, wenn er Mord oder Landesverrat beging, sein Amt auch,
+aber nur, solange es waehrte; nach seinem Ruecktritt unterlag er
+dem gewoehnlichen Strafgericht wie jeder andere Buerger.
+--------------------------------------------------- ^3 Der Antrittstag
+fiel mit dem Jahresanfang (1. Maerz) nicht zusammen und war ueberhaupt
+nicht fest. Nach diesem richtete sich der Ruecktrittstag, ausgenommen,
+wenn ein Konsul ausdruecklich anstatt eines ausgefallenen gewaehlt war
+(consul suffectus), wo er in die Rechte und also auch in die Frist des
+Ausgefallenen eintrat. Doch sind diese Ersatzkonsuln in aelterer Zeit
+nur vorgekommen, wenn bloss der eine der Konsuln weggefallen war;
+Kollegien von Ersatzkonsuln begegnen erst in der spaeteren Republik.
+Regelmaessig bestand also das Amtsjahr eines Konsuls aus den
+ungleichen Haelften zweier buergerlicher Jahre.
+-------------------------------------------------- Zu diesen
+hauptsaechlichen und prinzipiellen Aenderungen kamen andere
+untergeordnete und mehr aeusserliche, aber doch auch teilweise tief
+eingreifende Beschraenkungen hinzu. Das Recht des Koenigs, seine Aecker
+durch Buergerfronden zu bestellen, und das besondere Schutzverhaeltnis,
+in welchem die Insassenschaft zu dem Koenig gestanden haben muss,
+fielen mit der Lebenslaenglichkeit des Amtes von selber. Hatte ferner
+im Kriminalprozess sowie bei Bussen und Leibesstrafen bisher dem Koenig
+nicht bloss Untersuchung und Entscheidung der Sache zugestanden,
+sondern auch die Entscheidung darueber, ob der Verurteilte den Gnadenweg
+betreten duerfe oder nicht, so bestimmte jetzt das Valerische Gesetz
+(Jahr 245 Roms 500), dass der Konsul der Provokation des Verurteilten
+stattgeben muesse, wenn auf Todes- oder Leibesstrafe nicht nach
+Kriegsrecht erkannt war; was durch ein spaeteres Gesetz (unbestimmter
+Zeit, aber vor dem Jahre 303 451 erlassen) auf schwere Vermoegensbussen
+ausgedehnt ward. Zum Zeichen dessen legten die konsularischen Liktoren,
+wo der Konsul als Richter, nicht als Feldherr auftrat, die Beile ab, die
+sie bisher kraft des ihrem Herrn zustehenden Blutbannes gefuehrt hatten.
+Indes drohte dem Beamten, der der Provokation nicht ihren Lauf
+liess, das Gesetz nichts anderes als die Infamie, die nach damaligen
+Verhaeltnissen im wesentlichen nichts war als ein sittlicher Makel und
+hoechstens zur Folge hatte, dass das Zeugnis des Ehrlosen nicht mehr
+galt. Auch hier liegt dieselbe Anschauung zu Grunde, dass es rechtlich
+unmoeglich ist, die alte Koenigsgewalt zu schmaelern und die infolge der
+Revolution dem Inhaber der hoechsten Gemeindegewalt gesetzten Schranken
+streng genommen nur einen tatsaechlichen und sittlichen Wert haben. Wenn
+also der Konsul innerhalb der alten koeniglichen Kompetenz handelt,
+so kann er damit wohl ein Unrecht, aber kein Verbrechen begehen und
+unterliegt also deswegen dem Strafrichter nicht. Eine in der Tendenz
+aehnliche Beschraenkung fand statt in der Zivilgerichtsbarkeit; denn
+wahrscheinlich wurde den Konsuln gleich mit ihrem Eintritt das Recht
+genommen, einen Rechtshandel unter Privaten nach ihrem Ermessen zu
+entscheiden. Die Umgestaltung des Kriminal- wie des Zivilprozesses
+stand in Verbindung mit einer allgemeinen Anordnung hinsichtlich der
+Uebertragung der Amtsgewalt auf Stellvertreter oder Nachfolger. Hatte
+dem Koenig die Ernennung von Stellvertretern unbeschraenkt frei, aber
+nie fuer ihn ein Zwang dazu bestanden, so haben die Konsuln das Recht
+der Gewaltuebertragung in wesentlich anderer Weise geuebt. Zwar die
+Regel, dass wenn der hoechste Beamte die Stadt verliess, er fuer die
+Rechtspflege daselbst einen Vogt zu bestellen habe, blieb auch fuer
+die Konsuln in Kraft, und nicht einmal die Kollegialitaet ward auf die
+Stellvertretung erstreckt, vielmehr diese Bestellung demjenigen Konsul
+auferlegt, welcher zuletzt die Stadt verliess. Aber das Mandierungsrecht
+fuer die Zeit, wo die Konsuln in der Stadt verweilten, wurde
+wahrscheinlich gleich bei der Einfuehrung dieses Amtes dadurch
+beschraenkt, dass dem Konsul das Mandieren fuer bestimmte Faelle
+vorgeschrieben, fuer alle Faelle dagegen, wo dies nicht geschehen war,
+untersagt ward. Nach diesem Grundsatz ward, wie gesagt, das
+gesamte Gerichtswesen geordnet. Der Konsul konnte allerdings die
+Kriminalgerichtsbarkeit auch im Kapitalprozess in der Weise ausueben,
+dass er seinen Spruch der Gemeinde vorlegte und diese ihn dann
+bestaetigte oder verwarf; aber er hat dies Recht, soviel wir sehen, nie
+geuebt, vielleicht bald nicht mehr ueben duerfen und vielleicht nur da
+ein Kriminalurteil gefaellt, wo aus irgendeinem Grunde die Berufung an
+die Gemeinde ausgeschlossen war. Man vermied den unmittelbaren Konflikt
+zwischen dem hoechsten Gemeindebeamten und der Gemeinde selbst und
+ordnete den Kriminalprozess vielmehr in der Weise, dass das hoechste
+Gemeindeamt nur der Idee nach kompetent blieb, aber immer handelte durch
+notwendige, wenn auch von ihm bestellte Vertreter. Es sind dies die
+beiden nicht staendigen Urteilsprecher fuer Empoerung und Hochverrat
+(duoviri perduellionis) und die zwei staendigen Mordspuerer, die
+quaestores parricidii. Aehnliches mag vielleicht in der Koenigszeit
+da vorgekommen sein, wo der Koenig sich in solchen Prozessen vertreten
+liess; aber die Staendigkeit der letzteren Institution und das in
+beiden durchgefuehrte Kollegialitaetsprinzip gehoeren auf jeden Fall
+der Republik an. Die letztere Einrichtung ist auch insofern von grosser
+Wichtigkeit geworden, als damit zum erstenmal neben die zwei staendigen
+Oberbeamten zwei Gehilfen traten, die jeder Oberbeamte bei seinem
+Amtsantritt ernannte und die folgerecht auch bei seinem Ruecktritt
+mit ihm abtraten, deren Stellung also wie das Oberamt selbst nach
+den Prinzipien der Staendigkeit, der Kollegialitaet und der Annuitaet
+geordnet war. Es ist das zwar noch nicht die niedere Magistratur selbst,
+wenigstens nicht in dem Sinne, den die Republik mit der magistratischen
+Stellung verbindet, insofern die Kommissarien nicht aus der Wahl der
+Gemeinde hervorgehen; wohl aber ist dies der Ausgangspunkt der spaeter
+so mannigfaltig entwickelten Institution der Unterbeamten geworden.
+In aehnlichem Sinne wurde die Entscheidung im Zivilprozess dem Oberamt
+entzogen, indem das Recht des Koenigs, einen einzelnen Prozess zur
+Entscheidung einem Stellvertreter zu uebertragen, umgewandelt ward in
+die Pflicht des Konsuls, nach Feststellung der Parteilegitimation und
+des Gegenstandes der Klage dieselbe zur Erledigung an einen von ihm
+auszuwaehlenden und von ihm zu instruierenden Privatmann zu verweisen.
+In gleicher Weise wurde den Konsuln die wichtige Verwaltung des
+Staatsschatzes und des Staatsarchivs zwar gelassen, aber doch
+wahrscheinlich sofort, mindestens sehr frueh, ihnen dabei staendige
+Gehilfen und zwar eben jene Quaestoren zugeordnet, welche ihnen freilich
+in dieser Taetigkeit unbedingt zu gehorchen hatten, ohne deren Vorwissen
+und Mitwirkung aber doch die Konsuln nicht handeln konnten. Wo dagegen
+solche Vorschriften nicht bestanden, musste der Gemeindevorstand in
+der Hauptstadt persoenlich eingreifen; wie denn zum Beispiel bei der
+Einleitung des Prozesses er sich unter keinen Umstaenden vertreten
+lassen kann. Diese zwiefache Fesselung des konsularischen
+Mandierungsrechts bestand fuer das staedtische Regiment, zunaechst fuer
+die Rechtspflege und die Kassenverwaltung. Als Oberfeldherr behielt
+der Konsul dagegen das Uebertragungsrecht aller oder einzelner ihm
+obliegender Geschaefte. Diese verschiedene Behandlung der buergerlichen
+und der militaerischen Gewaltuebertragung ist die Ursache geworden,
+weshalb innerhalb des eigentlichen roemischen Gemeinderegiments durchaus
+keine stellvertretende Amtsgewalt (pro magistratu) moeglich ist und rein
+staedtische Beamte nie durch Nichtbeamte ersetzt, die militaerischen
+Stellvertreter aber (pro consule, pro praetore, pro quaestore) von aller
+Taetigkeit innerhalb der eigentlichen Gemeinde ausgeschlossen werden.
+Das Recht, den Nachfolger zu ernennen, hatte der Koenig nicht gehabt,
+sondern nur der Zwischenkoenig. Der Konsul wurde in dieser Hinsicht dem
+letzten gleichgestellt; fuer den Fall jedoch, dass er es nicht ausgeuebt
+hatte, trat nach wie vor der Zwischenkoenig ein, und die notwendige
+Kontinuitaet des Amtes bestand auch in dem republikanischen Regiment
+ungeschmaelert fort. Indes wurde das Ernennungsrecht wesentlich
+eingeschraenkt zu Gunsten der Buergerschaft, indem der Konsul
+verpflichtet ward, fuer die von ihm bezeichneten Nachfolger die
+Zustimmung der Gemeinde zu erwirken, weiterhin nur diejenigen zu
+ernennen, die die Gemeinde ihm bezeichnete. Durch dieses bindende
+Vorschlagsrecht ging wohl in gewissem Sinne die Ernennung der
+ordentlichen hoechsten Beamten materiell auf die Gemeinde ueber; doch
+bestand auch praktisch noch ein sehr bedeutender Unterschied zwischen
+jenem Vorschlags- und dem foermlichen Ernennungsrecht. Der wahlleitende
+Konsul war durchaus nicht blosser Wahlvorstand, sondern konnte immer
+noch, kraft seines alten koeniglichen Rechts, zum Beispiel einzelne
+Kandidaten zurueckweisen und die auf sie fallenden Stimmen unbeachtet
+lassen, anfangs auch noch die Wahl auf eine von ihm entworfene
+Kandidatenliste beschraenken; und was noch wichtiger war, wenn das
+Konsulkollegium durch den gleich zu erwaehnenden Diktator zu ergaenzen
+war, wurde bei dieser Ergaenzung die Gemeinde nicht befragt, sondern der
+Konsul bestellte in dem Fall mit derselben Freiheit den Kollegen,
+wie einst der Zwischenkoenig den Koenig bestellt hatte. Die
+Priesterernennung, die den Koenigen zugestanden hatte, ging nicht ueber
+auf die Konsuln, sondern es trat dafuer bei den Maennerkollegien die
+Selbstergaenzung, bei den Vestalinnen und den Einzelpriestern die
+Ernennung durch das Pontifikalkollegium ein, an welches auch die
+Ausuebung der gleichsam hausherrlichen Gerichtsbarkeit der Gemeinde
+ueber die Priesterinnen der Vesta kam. Um diese fueglich nicht anders
+als von einem einzelnen vorzunehmenden Handlungen vollziehen zu
+koennen, setzte das Kollegium sich, vermutlich erst um diese Zeit, einen
+Vorstand, den Pontifex maximus. Diese Abtrennung der sakralen Obergewalt
+von der buergerlichen, waehrend auf den schon erwaehnten "Opferkoenig"
+weder die buergerliche noch die sakrale Macht des Koenigtums, sondern
+lediglich der Titel ueberging, sowie die aus dem sonstigen Charakter des
+roemischen Priestertums entschieden heraustretende, halb magistratische
+Stellung des neuen Oberpriesters ist eine der bezeichnendsten und
+folgenreichsten Eigentuemlichkeiten dieser auf Beschraenkung der
+Beamtengewalt hauptsaechlich im aristokratischen Interesse hinzielenden
+Staatsumwaelzung. Dass auch im aeusseren Auftreten der Konsul
+weit zurueckstand hinter dem mit Ehrfurcht und Schrecken umgebenen
+koeniglichen Amte, dass der Koenigsname und die priesterliche Weihe
+ihm entzogen, seinen Dienern das Beil genommen wurde, ist schon
+gesagt worden; es kommt hinzu, dass der Konsul statt des koeniglichen
+Purpurkleides nur durch den Purpursaum seines Obergewandes von dem
+gewoehnlichen Buerger sich unterschied, und dass, waehrend der Koenig
+oeffentlich vielleicht regelmaessig im Wagen erschien, der Konsul der
+allgemeinen Ordnung sich zu fuegen und gleich jedem anderen Buerger
+innerhalb der Stadt zu Fuss zu gehen gehalten war. Indes, diese
+Beschraenkungen der Amtsgewalt kamen im wesentlichen nur zur Anwendung
+gegen den ordentlichen Gemeindevorstand. Ausserordentlicher Weise
+trat neben und in gewissem Sinn anstatt der beiden von der Gemeinde
+gewaehlten Vorsteher ein einziger ein, der Heermeister (magister
+populi), gewoehnlich bezeichnet als der dictator. Auf die Wahl zum
+Diktator uebte die Gemeinde keinerlei Einfluss, sondern sie ging
+lediglich aus dem freien Entschluss eines der zeitigen Konsuln hervor,
+den weder der Kollege noch eine andere Behoerde hieran hindern konnte;
+gegen ihn galt die Provokation nur wie gegen den Koenig, wenn er
+freiwillig ihr wich; sowie er ernannt war, waren alle uebrigen Beamten
+von Rechts wegen ihm untertan. Dagegen war der Zeit nach die Amtsdauer
+des Diktators zwiefach begrenzt: einmal insofern er als Amtsgenosse
+derjenigen Konsuln, deren einer ihn ernannt hatte, nicht ueber deren
+gesetzliche Amtszeit hinaus im Amte bleiben durfte; sodann war als
+absolutes Maximum der Amtsdauer dem Diktator eine sechsmonatliche Frist
+gesetzt. Eine der Diktatur eigentuemliche Einrichtung war ferner,
+dass der "Heermeister" gehalten war, sich sofort einen "Reitermeister"
+(magister equitum) zu ernennen, welcher als abhaengiger Gehilfe neben
+ihm, etwa wie der Quaestor neben dem Konsul, fungierte und mit ihm vom
+Amte abtrat - eine Einrichtung, die ohne Zweifel damit zusammenhaengt,
+dass es dem Heermeister, vermutlich als dem Fuehrer des Fussvolkes,
+verfassungsmaessig untersagt war, zu Pferde zu steigen. Diesen
+Bestimmungen zufolge ist die Diktatur wohl aufzufassen als eine mit
+dem Konsulat zugleich entstandene Einrichtung, die den Zweck hatte,
+insbesondere fuer den Kriegsfall die Nachteile der geteilten Gewalt
+zeitweilig zu beseitigen und die koenigliche Gewalt voruebergehend
+wieder ins Leben zu rufen. Denn im Kriege vor allem musste die
+Gleichberechtigung der Konsuln bedenklich erscheinen und nicht bloss
+bestimmte Zeugnisse, sondern vor allem die aelteste Benennung des
+Beamten selbst und seines Gehilfen wie auch die Begrenzung auf die Dauer
+eines Sommerfeldzugs und der Ausschluss der Provokation sprechen fuer
+die ueberwiegend militaerische Bestimmung der urspruenglichen Diktatur.
+Im ganzen also blieben auch die Konsuln, was die Koenige gewesen waren,
+oberste Verwalter, Richter und Feldherren, und auch in religioeser
+Hinsicht war es nicht der Opferkoenig, der nur, damit der Name vorhanden
+sei, ernannt ward, sondern der Konsul, der fuer die Gemeinde betete
+und opferte und in ihrem Namen den Willen der Goetter mit Hilfe der
+Sachverstaendigen erforschte. Fuer den Notfall hielt man sich ueberdies
+die Moeglichkeit offen, die volle unumschraenkte Koenigsgewalt ohne
+vorherige Befragung der Gemeinde jeden Augenblick wieder ins Leben
+zu rufen mit Beseitigung der durch die Kollegialitaet und durch die
+besonderen Kompetenzminderungen gezogenen Schranken. So wurde die
+Aufgabe, die koenigliche Autoritaet rechtlich festzuhalten und
+tatsaechlich zu beschraenken, von den namenlosen Staatsmaennern, deren
+Werk diese Revolution war, in echt roemischer Weise ebenso scharf
+wie einfach geloest. Die Gemeinde gewann also durch die Aenderung der
+Verfassung die wichtigsten Rechte: das Recht, die Gemeindevorsteher
+jaehrlich zu bezeichnen und ueber Tod und Leben des Buergers in letzter
+Instanz zu entscheiden. Aber es konnte das unmoeglich die bisherige
+Gemeinde sein, der tatsaechlich zum Adelstande gewordene Patriziat. Die
+Kraft des Volkes war bei der "Menge", welche namhafte und vermoegende
+Leute bereits in grosser Zahl in sich schloss. Dass diese Menge aus der
+Gemeindeversammlung ausgeschlossen war, obwohl sie die gemeinen Lasten
+mittrug, mochte ertragen werden, solange die Gemeindeversammlung selbst
+im wesentlichen nicht eingriff in den Gang der Staatsmaschine und
+solange die Koenigsgewalt eben durch ihre hohe und freie Stellung den
+Buergern nicht viel weniger fuerchterlich blieb als den Insassen
+und damit in der Nation die Rechtsgleichheit erhielt. Allein als die
+Gemeinde selbst zu regelmaessigen Wahlen und Entscheidungen berufen, der
+Vorsteher aber faktisch aus ihrem Herrn zum befristeten Auftragnehmer
+herabgedrueckt ward, konnte dies Verhaeltnis nicht laenger aufrecht
+erhalten werden; am wenigsten bei der Neugestaltung des Staates an dem
+Morgen einer Revolution, die nur durch Zusammenwirken der Patrizier und
+der Insassen hatte durchgesetzt werden koennen. Eine Erweiterung dieser
+Gemeinde war unvermeidlich; und sie ist in der umfassendsten Weise
+erfolgt, indem das gesamte Plebejat, das heisst saemtliche Nichtbuerger,
+die weder Sklaven noch nach Gastrecht lebende Buerger auswaertiger
+Gemeinden waren, in die Buergerschaft aufgenommen wurden. Der
+Kurienversammlung der Altbuerger, die bis dahin rechtlich und
+tatsaechlich die erste Autoritaet im Staate gewesen war, wurden ihre
+verfassungsmaessigen Befugnisse fast gaenzlich entzogen: nur in rein
+formellen oder in den die Geschlechtsverhaeltnisse betreffenden Akten,
+also hinsichtlich des dem Konsul oder dem Diktator nach Antritt ihres
+Amtes eben wie frueher dem Koenig zu leistenden Treugeloebnisses und
+des fuer die Arrogation und das Testament erforderlichen gesetzlichen
+Dispenses, sollte die Kurienversammlung die bisherige Kompetenz
+behalten, aber in Zukunft keinen eigentlichen politischen Schluss mehr
+vollziehen duerfen. Bald wurden sogar die Plebejer zum Stimmrecht auch
+in den Kurien zugelassen, und es verlor damit die Altbuergerschaft
+das Recht ueberhaupt, zusammenzutreten und zu beschliessen. Die
+Kurienordnung wurde insofern gleichsam entwurzelt, als sie auf
+der Geschlechterordnung beruhte, diese aber in ihrer Reinheit
+ausschliesslich bei dem Altbuergertum zu finden war. Indern die Plebejer
+in die Kurien aufgenommen wurden, gestattete man allerdings auch ihnen
+rechtlich, was frueher nur faktisch bei ihnen vorgekommen sein kann,
+sich als Familien und Geschlechter zu konstituieren, aber es ist
+bestimmt ueberliefert und auch an sich sehr begreiflich, dass nur ein
+Teil der Plebejer zur gentilizischen Konstituierung vorschritt und also
+die neue Kurienversammlung im Widerspruch mit ihrem urspruenglichen
+Wesen zahlreiche Mitglieder zaehlte, die keinem Geschlecht angehoerten.
+Alle politischen Befugnisse der Gemeindeversammlung, sowohl die
+Entscheidung auf Provokation in dem Kriminalverfahren, das ja
+ueberwiegend politischer Prozess war, als die Ernennung der Magistrate
+und die Annahme oder Verwerfung der Gesetze, wurden auf das versammelte
+Aufgebot der Waffenpflichtigen uebertragen oder ihm neu erworben, so
+dass die Zenturien zu den gemeinen Lasten jetzt auch die gemeinen Rechte
+empfingen. Damit gelangten die in der Servianischen Verfassung
+gegebenen geringen Anfaenge, wie namentlich das dem Heer ueberwiesene
+Zustimmungsrecht bei der Erklaerung eines Angriffskrieges, zu einer
+solchen Entwicklung, dass die Kurien durch die Zenturienversammlung
+voellig und auf immer verdunkelt wurden und man sich gewoehnte, das
+souveraene Volk in der letzteren zu erblicken. Debatte fand auch in
+dieser bloss dann statt, wenn der vorsitzende Beamte freiwillig
+selbst sprach oder andere sprechen hiess, nur dass bei der Provokation
+natuerlich beide Teile gehoert werden mussten; die einfache Majoritaet
+der Zenturien entschied. Da in der Kurienversammlung die ueberhaupt
+Stimmberechtigten sich voellig gleichstanden, also nach Aufnahme der
+saemtlichen Plebejer in die Kurien man bei der ausgebildeten Demokratie
+angelangt sein wuerde, so ist es begreiflich, dass die politischen
+Abstimmungen den Kurien entzogen blieben; die Zenturienversammlung legte
+das Schwergewicht zwar nicht in die Haende der Adligen, aber doch in
+die der Vermoegenden, und das wichtige Vorstimmrecht, welches oft
+tatsaechlich entschied, in die der Ritter, das ist der Reichen. Nicht
+in gleicher Weise wie die Gemeinde wurde der Senat durch die Reform der
+Verfassung betroffen. Das bisherige Kollegium der Aeltesten blieb
+nicht bloss ausschliesslich patrizisch, sondern behauptete auch seine
+wesentlichen Befugnisse, das Recht, den Zwischenkoenig zu stellen und
+die von der Gemeinde gefassten Beschluesse als verfassungsmaessige
+oder verfassungswidrige zu bestaetigen oder zu verwerfen. Ja, diese
+Befugnisse wurden durch die Reform der Verfassung noch gesteigert,
+indem fortan auch die Bestellung der Gemeindebeamten wie der Wahl der
+Gemeinde, so der Bestaetigung oder Verwerfung des patrizischen Senats
+unterlag - nur bei der Provokation ist seine Bestaetigung, soviel wir
+wissen, niemals eingeholt worden, da es sich hier um Begnadigung des
+Schuldigen handelte, und wenn diese von der souveraenen Volksversammlung
+erteilt war, von einer etwaigen Vernichtung dieses Aktes nicht fueglich
+die Rede sein konnte. Indes wenngleich durch die Abschaffung des
+Koenigtums die verfassungsmaessigen Rechte des patrizischen Senats
+eher gemehrt als gemindert wurden, so kam doch auch, und zwar der
+Ueberlieferung zufolge sogleich mit der Abschaffung des Koenigtums, fuer
+diejenigen Angelegenheiten, die im Senat sonst zur Sprache kamen und die
+eine freiere Behandlung zuliessen, eine Erweiterung des Senats auf,
+die auch Plebejer in denselben brachte, und die in ihren Folgen eine
+vollstaendige Umgestaltung der gesamten Koerperschaft herbeigefuehrt
+hat. Seit aeltester Zeit hat der Senat nicht allein und nicht
+vorzugsweise, aber doch auch als Staatsrat fungiert; und wenn es
+wahrscheinlich schon in der Koenigszeit nicht als verfassungswidrig
+angesehen ward, dass in diesem Fall auch Nichtsenatoren an der
+Versammlung teilnahmen, so wurde jetzt die Einrichtung getroffen, dass
+fuer dergleichen Verhandlungen dem patrizischen Senat (Patres) eine
+Anzahl nicht patrizischer "Eingeschriebener" (conscripti) beigegeben
+wurden. Eine Gleichstellung war dies freilich in keiner Weise: die
+Plebejer im Senat wurden nicht Senatoren, sondern blieben Mitglieder
+des Ritterstandes, hiessen nicht "Vaeter", sondern waren nun auch
+"Eingeschriebenen und hatten kein Recht, auf das Abzeichen der
+senatorischen Wuerde, den roten Schuh. Sie blieben ferner nicht bloss
+unbedingt ausgeschlossen von der Ausuebung der dem Senat zustehenden
+obrigkeitlichen Befugnisse (auctoritas), sondern sie mussten auch da, wo
+es sich bloss um einen Ratschlag (consilium) handelte, es sich gefallen
+lassen, der an die Patrizier gerichteten Umfrage schweigend beizuwohnen
+und nur bei dem Auseinandertreten zur Abmehrung ihre Meinung zu erkennen
+zu geben, "mit den Fuessen zu stimmen" (pedibus in sententiam ire,
+pedarii), wie der stolze Adel sagte. Aber dennoch fanden die Plebejer
+durch die neue Verfassung ihren Weg nicht bloss auf den Markt,
+sondern auch in das Rathaus, und der erste und schwerste Schritt zur
+Gleichberechtigung war auch hier getan. Im uebrigen aenderte sich in
+den den Senat betreffenden Ordnungen nichts Wesentliches. Unter den
+patrizischen Mitgliedern machte sich bald, namentlich bei der Umfrage,
+ein Rangunterschied dahin geltend, dass diejenigen, welche zu dem
+hoechsten Gemeindeamt demnaechst bezeichnet waren oder dasselbe bereits
+verwaltet hatten, vor den uebrigen in der Liste verzeichnet und bei der
+Abstimmung gefragt wurden, und die Stellung des ersten von ihnen, des
+Vormanns des Rates (princeps senatus), wurde bald ein vielbeneideter
+Ehrenplatz. Der fungierende Konsul dagegen galt als Mitglied des Senats
+so wenig wie der Koenig und seine eigene Stimme zaehlte darum nicht mit.
+Die Wahlen in den Rat, sowohl in den engeren patrizischen wie unter die
+bloss Eingeschriebenen, erfolgten durch die Konsuln eben wie frueher
+durch die Koenige; nur liegt es in der Sache, dass, wenn der Koenig
+vielleicht auf die Vertretung der einzelnen Geschlechter im Rat noch
+einigermassen Ruecksicht genommen hatte, den Plebejern gegenueber, bei
+denen die Geschlechterordnung nur unvollkommen entwickelt war, diese
+Erwaegung gaenzlich wegfiel und somit ueberhaupt die Beziehung des
+Senats zu der Geschlechterordnung mehr und mehr in Abnahme kam. Von
+einer Beschraenkung der waehlenden Konsuln in der Weise, dass sie nicht
+ueber eine bestimmte Zahl von Plebejern in den Senat haetten aufnehmen
+duerfen, ist nichts bekannt; es bedurfte einer solchen Ordnung auch
+nicht, da die Konsuln ja selbst dem Adel angehoerten. Dagegen ist
+wahrscheinlich von Haus aus der Konsul seiner ganzen Stellung gemaess
+bei der Bestellung der Senatoren tatsaechlich weit weniger frei und weit
+mehr durch Standesmeinung und Observanz gebunden gewesen als der Koenig.
+Namentlich die Regel, dass die Bekleidung des Konsulats notwendig den
+Eintritt in den Senat auf Lebenszeit herbeifuehre, wenn, was in dieser
+Zeit wohl noch vorkam, der Konsul zur Zeit seiner Erwaehlung noch nicht
+Mitglied desselben war, wird sich wohl sehr frueh gewohnheitsrechtlich
+festgestellt haben. Ebenso scheint es frueh ueblich geworden zu
+sein, die Senatorenstellen nicht sofort nach der Erledigung wieder zu
+besetzen, sondern bei Gelegenheit der Schatzung, also regelmaessig jedes
+vierte Jahr, die Liste des Senats zu revidieren und zu ergaenzen;
+worin doch auch eine nicht unwichtige Beschraenkung der mit der Auswahl
+betrauten Behoerde enthalten war. Die Gesamtzahl der Senatoren blieb
+wie sie war, und zwar wurden auch die Eingeschriebenen in dieselbe
+eingerechnet; woraus man wohl auch auf das numerische
+Zusammenschwinden des Patriziats zu schliessen berechtigt ist ^4.
+----------------------------------------- ^4 Dass die ersten Konsuln 164
+Plebejer in den Senat nahmen, ist kaum als geschichtliche Tatsache
+zu betrachten, sondern eher ein Zeugnis dafuer, dass die spaeteren
+roemischen Archaeologen nicht mehr als 136 roemische Adelsgeschlechter
+nachzuweisen vermochten (Roemische Forschungen, Bd. 1, S. 121).
+------------------------------------------- Es blieb, wie man sieht, in
+dem roemischen Gemeinwesen selbst bei Umwandlung der Monarchie in die
+Republik soweit immer moeglich beim alten; soweit eine Staatsumwaelzung
+ueberhaupt konservativ sein kann, ist diese es gewesen und keines der
+konstitutiven Elemente des Gemeinwesens durch sie eigentlich ueber den
+Haufen geworfen worden. Es war das bezeichnend fuer den Charakter der
+gesamten Bewegung. Die Vertreibung der Tarquinier war nicht, wie die
+klaeglichen, tief verfaelschten Berichte sie darstellen, das Werk eines
+von Mitleid und Freiheitsenthusiasmus berauschten Volkes, sondern das
+Werk zweier grosser, bereits im Ringen begriffener und der stetigen
+Fortdauer ihres Kampfes klar sich bewusster politischer Parteien, der
+Altbuerger und der Insassen, welche, wie die englischen Tories und die
+Whigs im Jahre 1688, durch die gemeinsame Gefahr das Gemeinwesen in
+die Willkuerregierung eines Herrn sich umwandeln zu sehen, auf einen
+Augenblick vereinigt wurden, um dann sofort wieder sich zu entzweien.
+Die Altbuergerschaft konnte ohne die Neubuerger des Koenigtums sich
+nicht entledigen; aber die Neubuerger waren bei weitem nicht maechtig
+genug, um jener mit einem Schlag das Heft aus den Haenden zu winden.
+Solche Transaktionen beschraenken sich notwendigerweise auf das
+geringste Mass gegenseitiger, durch muehsames Abdingen gewonnener
+Konzessionen und lassen die Zukunft entscheiden, wie das
+Schwergewicht der konstitutiven Elemente weiter sich stellen, wie sie
+ineinandergreifen oder einander entgegenwirken werden. Darum verkennt
+man die Tragweite der ersten roemischen Revolution durchaus, wenn man in
+ihr bloss die unmittelbaren Neuerungen, etwa bloss eine Veraenderung in
+der Dauer der hoechsten Magistratur sieht; die mittelbaren Folgen waren
+auch hier bei weitem die Hauptsache und wohl gewaltiger, als selbst
+ihre Urheber sie ahnten. Dies war die Zeit, wo, um es mit einem Worte
+zu sagen, die roemische Buergerschaft im spaeteren Sinne des Wortes
+entstand. Die Plebejer waren bisher Insassen gewesen, welche man wohl zu
+den Steuern und Lasten mit heranzog, die aber dennoch in den Augen des
+Gesetzes wesentlich nichts waren als geduldete Fremdlinge und deren
+Kreis gegen die eigentlichen Auslaender scharf abzustecken kaum noetig
+scheinen mochte. Jetzt wurden sie als wehrpflichtige Buerger in die
+Listen eingeschrieben; und wenn sie auch der Rechtsgleichheit noch
+fern standen, immer noch die Altbuerger zu den dem Rat der Alten
+verfassungsmaessig zustehenden Autoritaetshandlungen ausschliesslich
+befugt und zu den buergerlichen Aemtern und Priestertuemern
+ausschliesslich waehlbar, ja sogar der buergerlichen Nutzungen, zum
+Beispiel des Anteils an der Gemeinweide, vorzugsweise teilhaft blieben,
+so war doch der erste und schwerste Schritt zur voelligen Ausgleichung
+geschehen, seit die Plebejer nicht bloss im Gemeindeaufgebot dienten,
+sondern auch in der Gemeindeversammlung und im Gemeinderat bei dessen
+gutachtlicher Befragung stimmten und Haupt und Ruecken auch des aermsten
+Insassen so gut wie des vornehmsten Altbuergers geschuetzt ward durch
+das Provokationsrecht. Eine Folge dieser Verschmelzung der Patrizier
+und Plebejer zu der neuen gemeinen roemischen Buergerschaft war die
+Umwandlung der Altbuergerschaft in einen Geschlechtsadel, welcher,
+seit die Adelschaft auch das Recht verlor, in gemeiner Versammlung
+zu beschliessen, da die Aufnahme neuer Familien in den Adel durch
+Gemeindebeschluss noch weniger zulaessig erschien, jeder, sogar der
+Selbstergaenzung unfaehig war. Unter den Koenigen war dergleichen
+Abgeschlossenheit dem roemischen Adel fremd und die Aufnahme neuer
+Geschlechter nicht allzu selten gewesen; jetzt stellte dieses rechte
+Kennzeichnen des Junkertums sich ein als der sichere Vorbote des
+bevorstehenden Verlustes seiner politischen Vorrechte und seiner
+ausschliesslichen Geltung in der Gemeinde. Die Ausschliessung der
+Plebejer von allen Gemeindeaemtern und Gemeindepriestertuemern, waehrend
+sie doch zu Offiziers- und Ratsherrenstellen zugelassen wurden, und die
+mit verkehrter Hartnaeckigkeit festgehaltene rechtliche Unmoeglichkeit
+einer Ehe zwischen Altbuergern und Plebejern drueckten weiter dem
+Patriziat von vornherein den Stempel des exklusiven und widersinnig
+privilegierten Adeltums auf. Eine zweite Folge der neuen buergerlichen
+Einigung muss die festere Regulierung des Niederlassungsrechts sowohl
+den latinischen Eidgenossen als anderen Staaten gegenueber gewesen sein.
+Weniger des Stimmrechts in den Zenturien wegen, das ja doch nur dem
+Ansaessigen zukam, als wegen des Provokationsrechts, das dem Plebejer,
+aber nicht dem eine Zeitlang oder auch dauernd in Rom verweilenden
+Auslaender gewaehrt werden sollte, wurde es notwendig, die Bedingungen
+der Erwerbung des plebejischen Rechts genauer zu formulieren und die
+erweiterte Buergerschaft wiederum gegen die jetzigen Nichtbuerger
+abzuschliessen. Also geht auf diese Epoche im Sinne und Geiste des
+Volkes sowohl die Gehaessigkeit des Gegensatzes zwischen Patriziern und
+Plebejern zurueck wie die scharfe und stolze Abgrenzung der cives
+Romani gegen die Fremdlinge. Aber jener staedtische Gegensatz war
+voruebergehender, dieser politische dauernder Art und das Gefuehl der
+staatlichen Einheit und der beginnenden Grossmacht, das hiermit in die
+Herzen der Nation gepflanzt ward, expansiv genug, um jene kleinlichen
+Unterschiede erst zu untergraben und sodann im allmaechtigen Strom mit
+sich fortzureissen. Dies war ferner die Zeit, wo Gesetz und Verordnung
+sich schieden. Begruendet zwar ist der Gegensatz in dem innersten Wesen
+des roemischen Staates; denn auch die roemische Koenigsgewalt stand
+unter, nicht ueber dem Landrecht. Allein die tiefe und praktische
+Ehrfurcht, welche die Roemer wie jedes andere politisch faehige Volk vor
+dem Prinzip der Autoritaet hegten, erzeugte den merkwuerdigen Satz des
+roemischen Staats- und Privatrechts, dass jeder nicht auf ein Gesetz
+gegruendete Befehl des Beamten wenigstens waehrend der Dauer seines
+Amtes gelte, obwohl er mit diesem wegfiel. Es ist einleuchtend, dass
+hierbei, solange die Vorsteher auf Lebenszeit ernannt wurden,
+der Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung tatsaechlich
+fast verschwinden musste und die legislative Taetigkeit der
+Gemeindeversammlung keine Entwicklung gewinnen konnte. Umgekehrt erhielt
+sie einen weiten Spielraum, seit die Vorsteher jaehrlich wechselten, und
+es war jetzt keineswegs ohne praktische Bedeutung, dass, wenn der Konsul
+bei der Entscheidung eines Prozesses eine rechtliche Nullitaet beging,
+sein Nachfolger eine neue Instruktion der Sache anordnen konnte. Dies
+war endlich die Zeit, wo die buergerliche und die militaerische Gewalt
+sich voneinander sonderten. Dort herrscht das Gesetz, hier das Beil;
+dort waren die konstitutionellen Beschraenkungen der Provokation und
+der regulierten Mandierung massgebend ^5, hier schaltete der Feldherr
+unumschraenkt wie der Koenig. Es stellte sich fest, dass der Feldherr
+und das Heer als solche die eigentliche Stadt regelmaessig nicht
+betreten durften. Dass organische und auf die Dauer wirksame
+Bestimmungen nur unter der Herrschaft der buergerlichen Gewalt getroffen
+werden konnte, lag nicht im Buchstaben, aber im Geiste der Verfassung;
+es kam freilich vor, dass gelegentlich diesem zuwider der Feldherr seine
+Mannschaft im Lager zur Buergerversammlung berief und rechtlich nichtig
+war ein solcher Beschluss nicht, allein die Sitte missbilligte dieses
+Verfahren und es unterblieb bald, als waere es verboten. Der Gegensatz
+der Quiriten und der Soldaten wurzelte allmaehlich fest und fester
+in den Gemuetern der Buerger.
+------------------------------------------------------ ^5 Es mag nicht
+ueberfluessig sein zu bemerken, dass auch das iudicium legitimum wie
+das quod imperio continetur auf dem Imperium des instruierenden Beamten
+beruht und der Unterschied nur darin besteht, dass das Imperium dort
+von der Lex beschraenkt, hier aber frei ist.
+------------------------------------------------------ Indes, um diese
+Folgesaetze des neuen Republikanismus zu entwickeln, bedurfte es der
+Zeit; wie lebendig die Nachwelt sie empfand, der Mitwelt mochte die
+Revolution zunaechst in einem andern Lichte erscheinen. Wohl gewannen
+die Nichtbuerger dadurch das Buergerrecht und gewann die neue
+Buergerschaft in der Gemeindeversammlung weitgreifende Befugnisse; aber
+das Verwerfungsrecht des patrizischen Senats, der gleichsam wie ein
+Oberhaus jenen Komitien in fester Geschlossenheit gegenueberstand, hob
+rechtlich die freie Bewegung derselben gerade in den entscheidendsten
+Dingen auf und war tatsaechlich zwar nicht imstande, den ernstlichen
+Willen der Gesamtheit zu brechen, aber doch, ihn zu verzoegern und zu
+verkuemmern. Schien die Adelschaft, indem sie es aufgab, allein die
+Gemeinde zu sein, nicht allzuviel verloren zu haben, so hatte sie
+in anderen Beziehungen entschieden gewonnen. Der Koenig war freilich
+Patrizier wie der Konsul, und das Recht der Senatorenernennung steht
+diesem wie jenem zu; aber wenn jenen seine Ausnahmestellung ueber
+Patrizier nicht minder wie ueber Plebejer hinausrueckte und wenn er
+leicht in den Fall kommen konnte, eben gegen den Adel sich auf die Menge
+stuetzen zu muessen, so stand der Konsul, Herrscher auf kurze Frist,
+vorher und nachher aber nichts als einer aus dem Adel, und dem adligen
+Mitbuerger, welchem er heute befahl, morgen gehorchend, keineswegs
+ausserhalb seines Standes und musste der Adlige in ihm weit maechtiger
+sein als der Beamte. Wenn ja dennoch einmal ausnahmsweise ein der
+Adelsherrschaft abgeneigter Patrizier ans Regiment gerufen ward, so
+ward seine Amtsgewalt teils durch die vom schroffen Adelsgeiste
+durchdrungenen Priesterschaften, teils durch den Kollegen gelaehmt und
+leicht durch die Diktatur suspendiert; und was noch wichtiger war,
+es fehlte ihm das erste Element der politischen Macht, die Zeit. Der
+Vorsteher eines Gemeinwesens, welche Machtfuelle immer ihm eingeraeumt
+werden moege, wird die politische Gewalt nie in die Haende bekommen,
+wenn er nicht auf laengere Zeit an der Spitze der Geschaefte bleibt;
+denn die notwendige Bedingung jeder Herrschaft ist ihre Dauer.
+Folgeweise gewann der lebenslaengliche Gemeinderat, und zwar
+hauptsaechlich durch seine Befugnis, den Beamten in allen Stuecken
+zu beraten, also nicht der engere patrizische, sondern der weitere
+patrizisch-plebejische, den Jahresherrschern gegenueber unvermeidlich
+einen solchen Einfluss, dass die rechtlichen Verhaeltnisse sich geradezu
+umkehrten, der Gemeinderat wesentlich die Regierungsgewalt an sich
+nahm und der bisherige Regent herabsank zu dessen vorsitzendem und
+ausfuehrendem Praesidenten. Fuer den der Gemeinde zur Annahme oder
+Verwerfung vorzulegenden Antrag erschien die Vorberatung im Gesamtsenat
+und dessen Billigung zwar nicht als konstitutionell notwendig, aber als
+gewohnheitsmaessig geheiligt, und nicht leicht und nicht gern ging man
+darueber hinweg. Fuer wichtige Staatsvertraege, fuer die Verwaltung und
+Austeilung des Gemeindelandes, ueberhaupt fuer jeden Akt, dessen Folgen
+sich ueber das Amtsjahr erstreckten, galt dasselbe, und dem Konsul blieb
+nichts als die Erledigung der laufenden Geschaefte, die Einleitung der
+Zivilprozesse und das Kommando im Kriege. Vor allem folgenreich war die
+Neuerung, dass es weder dem Konsul noch selbst dem sonst unbeschraenkten
+Diktator gestattet war, den gemeinen Schatz anders als mit und durch den
+Willen des Rates anzugreifen. Indem der Senat es den Konsuln zur Pflicht
+machte, die Verwaltung der Gemeindekasse, die der Koenig selbst gefuehrt
+hatte oder doch hatte fuehren koennen, an zwei staendige Unterbeamte
+abzugeben, welche zwar von den Konsuln ernannt wurden und ihnen zu
+gehorchen hatten, aber begreiflicherweise noch weit mehr als die Konsuln
+selbst vom Senat abhingen, zog er die Leitung des Kassenwesens an sich,
+und es kann dieses Geldbewilligungsrecht des roemischen Senats wohl
+in seinen Wirkungen mit dem Steuerbewilligungsrecht in den heutigen
+konstitutionellen Monarchien zusammengestellt werden. Die Folgen
+ergeben sich von selbst. Die erste und wesentlichste Bedingung
+jeder Adelsherrschaft ist, dass die Machtfuelle im Staat nicht einem
+Individuum, sondern einer Korporation zusteht; jetzt hatte eine
+ueberwiegend adlige Korporation, der Gemeinderat, das Regiment an
+sich gebracht und war dabei die exekutive Gewalt nicht bloss dem Adel
+geblieben, sondern auch der regierenden Korporation voellig unterworfen
+worden. Zwar sassen im Rat eine betraechtliche Anzahl nichtadliger
+Maenner; aber da sie der Bekleidung von Aemtern, ja sogar der Teilnahme
+an der Debatte unfaehig, also von jedem praktischen Anteil am Regiment
+ausgeschlossen waren, spielten sie notwendigerweise auch im Senat eine
+untergeordnete Rolle und wurden ueberdies durch das oekonomisch wichtige
+Nutzungsrecht der Gemeinweide in pekuniaerer Abhaengigkeit von
+der Korporation gehalten. Das allmaehlich sich bildende Recht der
+patrizischen Konsuln, wenigstens jedes vierte Jahr die Ratsherrenliste
+zu revidieren und zu modifizieren, so nichtig es vermutlich der
+Adelschaft gegenueber war, konnte doch sehr wohl in ihrem Interesse
+gebraucht und der missliebige Plebejer mittels desselben aus dem
+Senat ferngehalten und sogar wieder ausgeschieden werden. Es ist
+darum durchaus wahr, dass die unmittelbare Folge der Revolution die
+Feststellung der Adelsherrschaft gewesen ist; nur ist es nicht die ganze
+Wahrheit. Wenn die Mehrzahl der Mitlebenden meinen mochte, dass die
+Revolution den Plebejern nur eine starrere Despotie gebracht habe,
+so sehen wir Spaeteren in dieser selbst schon die Knospen der jungen
+Freiheit. Was die Patrizier gewannen, ging nicht der Gemeinde verloren,
+sondern der Beamtengewalt; die Gemeinde gewann zwar nur wenige
+engbeschraenkte Rechte, welche weit minder praktisch und handgreiflich
+waren als die Errungenschaften des Adels, und welche nicht einer von
+Tausend zu schaetzen wissen mochte, aber in ihnen lag die Buergschaft
+der Zukunft. Bisher war politisch die Insassenschaft nichts, die
+Altbuergerschaft alles gewesen; indem jetzt jene zur Gemeinde ward, war
+die Altbuergerschaft ueberwunden; denn wieviel auch noch zu der vollen
+buergerlichen Gleichheit mangeln mochte, es ist die erste Bresche, nicht
+die Besetzung des letzten Postens, die den Fall der Festung entscheidet.
+Darum datierte die roemische Gemeinde mit Recht ihre politische Existenz
+von dem Beginn des Konsulats. Indes, wenn die republikanische Revolution
+trotz der durch sie zunaechst begruendeten Junkerherrschaft mit Recht
+ein Sieg der bisherigen Insassenschaft oder der Plebs genannt werden
+kann, so trug doch auch in der letzteren Beziehung die Revolution
+keineswegs den Charakter, den wir heutzutage als den demokratischen
+zu bezeichnen gewohnt sind. Das rein persoenliche Verdienst ohne
+Unterstuetzung der Geburt und des Reichtums mochte wohl unter der
+Koenigsherrschaft leichter als unter derjenigen des Patriziats zu
+Einfluss und Ansehen gelangen. Damals war der Eintritt in das Patriziat
+rechtlich keinem verschlossen; jetzt war das hoechste Ziel des
+plebejischen Ehrgeizes die Aufnahme in den mundtoten Anhang des Senats.
+Es lag dabei in der Natur der Sache, dass der regierende Herrenstand,
+soweit er ueberhaupt die Plebejer zuliess, nicht unbedingt den
+tuechtigsten Maennern, sondern vorzugsweise den Haeuptern der reichen
+und angesehenen Plebejerfamilien im Senat neben sich zu sitzen
+gestattete und die also zugelassenen Familien eifersuechtig ueber den
+Besitz der Ratsherrenstellen wachten. Waehrend also innerhalb der alten
+Buergerschaft vollstaendige Rechtsgleichheit bestanden hatte, begann die
+Neubuerger- oder die ehemalige Insassenschaft von Haus aus damit, sich
+in eine Anzahl bevorrechteter Familien. und eine zurueckgesetzte
+Menge zu scheiden. Die Gemeindemacht aber kam in Gemaessheit
+der Zenturienordnung jetzt an diejenige Klasse, welche seit der
+Servianischen Reform des Heer- und Steuerwesens vorzugsweise die
+buergerlichen Lasten trug, an die Ansaessigen, und zwar vorzugsweise
+weder an die grossen Gutsbesitzer noch an die Instenleute, sondern an
+den mittleren Bauernstand, wobei die Aelteren noch insofern
+bevorzugt waren, als sie, obgleich minder zahlreich, doch ebensoviel
+Stimmabteilungen innehatten wie die Jugend. Indem also der
+Altbuergerschaft und ihrem Geschlechteradel die Axt an die Wurzel und
+zu einer neuen Buergerschaft der Grund gelegt ward, fiel in dieser das
+Gewicht auf Grundbesitz und Alter und zeigten sich schon die ersten
+Ansaetze zu einem neuen, zunaechst auf dem faktischen Ansehen der
+Familien beruhenden Adel, der kuenftigen Nobilitaet. Der konservative
+Grundcharakter des roemischen Gemeinwesens konnte sich nicht deutlicher
+bezeichnen als dadurch, dass die republikanische Staatsumwaelzung
+zugleich zu der neuen, ebenfalls konservativen und ebenfalls
+aristokratischen Staatsordnung die ersten Linien zog. 2. Kapitel Das
+Volkstribunat und die Dezemvirn Die Altbuergerschaft war durch die
+neue Gemeindeordnung auf gesetzlichem Wege in den vollen Besitz der
+politischen Macht gelangt. Herrschend durch die zu ihrer Dienerin
+herabgedrueckte Magistratur, vorwiegend im Gemeinderate, im
+Alleinbesitze aller Aemter und Priestertuemer, ausgeruestet mit der
+ausschliesslichen Kunde der goettlichen und menschlichen Dinge und
+mit der ganzen Routine politischer Praxis, einflussreich in der
+Gemeindeversammlung durch den starken Anhang fuegsamer und den einzelnen
+Familien anhaenglicher Leute, endlich befugt, jeden Gemeindebeschluss zu
+pruefen und zu verwerfen, konnten die Patrizier die faktische Herrschaft
+noch auf lange Zeit sich bewahren, eben weil sie rechtzeitig auf die
+gesetzliche Alleingewalt verzichtet hatten. Zwar mussten die Plebejer
+ihre politische Zuruecksetzung schwer empfinden; allein von der rein
+politischen Opposition hatte der Adel unzweifelhaft zunaechst nicht viel
+zu besorgen, wenn er es verstand, die Menge, die nichts verlangt
+als gerechte Verwaltung und Schutz der materiellen Interessen, dem
+politischen Kampfe fernzuhalten. In der Tat finden wir in der ersten
+Zeit nach der Vertreibung der Koenige verschiedene Massregeln, welche
+bestimmt waren oder doch bestimmt schienen, den gemeinen Mann fuer das
+Adelsregiment besonders von der oekonomischen Seite zu gewinnen: es
+wurden die Hafenzoelle herabgesetzt, bei hohem Stand der Kornpreise
+grosse Quantitaeten Getreide fuer Rechnung des Staats aufgekauft und der
+Salzhandel zum Staatsmonopol gemacht, um den Buergern Korn und Salz zu
+billigen Preisen abgeben zu koennen, endlich das Volksfest um einen Tag
+verlaengert. In denselben Kreis gehoert die schon erwaehnte Vorschrift
+hinsichtlich der Vermoegensbussen, die nicht bloss im allgemeinen dem
+gefaehrlichen Bruchrecht der Beamten Schranken zu setzen bestimmt,
+sondern auch in bezeichnender Weise vorzugsweise auf den Schutz des
+kleinen Mannes berechnet war. Denn wenn dem Beamten untersagt ward, an
+demselben Tag denselben Mann um mehr als zwei Schafe und um mehr als
+dreissig Rinder ausser mit Gestattung der Provokation zu buessen, so
+kann die Ursache dieser seltsamen Ansaetze wohl nur darin gefunden
+werden, dass fuer den kleinen, nur einige Schafe besitzenden Mann ein
+anderes Maximum noetig schien als fuer den reichen Rinderherdenbesitzer
+- eine Ruecksichtnahme auf Reichtum oder Armut der Gebuessten, von der
+neuere Gesetzgebungen lernen koennten. Allein diese Ordnungen halten
+sich auf der Oberflaeche; die Grundstroemung geht vielmehr nach der
+entgegengesetzten Richtung. Mit der Verfassungsaenderung leitet in
+den finanziellen und oekonomischen Verhaeltnissen Roms eine umfassende
+Revolution sich ein. Das Koenigsregiment hatte wahrscheinlich der
+Kapitalmacht prinzipiell keinen Vorschub getan und die Vermehrung der
+Bauernstellen nach Kraeften gefoerdert; die neue Adelsregierung dagegen
+scheint von vornherein auf die Zerstoerung der Mittelklassen, namentlich
+des mittleren und kleinen Grundbesitzes, und auf die Entwicklung
+einerseits einer Herrschaft der Grund- und Geldherren, anderseits eines
+ackerbauenden Proletariats ausgegangen zu sein. Schon die Minderung
+der Hafenzoelle, obwohl im allgemeinen eine populaere Massregel, kam
+vorzugsweise dem Grosshandel zugute. Aber ein noch viel groesserer
+Vorschub geschah der Kapitalmacht durch das System der indirekten
+Finanzverwaltung. Es ist schwer zu sagen, worauf dasselbe in seinen
+letzten Gruenden beruht; mag es aber auch an sich bis in die Koenigszeit
+zurueckreichen, so musste doch seit der Einfuehrung des Konsulats teils
+der schnelle Wechsel der roemischen Beamten, teils die Erstreckung der
+finanziellen Taetigkeit des Aerars auf Geschaefte, wie der Ein-
+und Verkauf von Korn und Salz, die Wichtigkeit der vermittelnden
+Privattaetigkeit steigern und, damit den Grund zu jenem
+Staatspaechtersystem legen, das in seiner Entwicklung fuer das roemische
+Gemeinwesen so folgenreich wie verderblich geworden ist. Der Staat gab
+nach und nach alle seine indirekten Hebungen und alle komplizierteren
+Zahlungen und Verrichtungen in die Haende von Mittelsmaennern, die
+eine Rauschsumme gaben oder empfingen und dann fuer ihre Rechnung
+wirtschafteten. Natuerlich konnten nur bedeutende Kapitalisten und, da
+der Staat streng auf dingliche Sicherheit sah, hauptsaechlich nur grosse
+Grundbesitzer sich hierbei beteiligen, und so erwuchs eine Klasse von
+Steuerpaechtern und Lieferanten, die in dem reissend schnellen Wachstum
+ihrer Opulenz, in der Gewalt ueber den Staat, dem sie zu dienen
+schienen, und in dem widersinnigen und sterilen Fundament ihrer
+Geldherrschaft den heutigen Boersenspekulanten vollkommen vergleichbar
+sind. Aber zunaechst und am empfindlichsten offenbarte sich die
+vereinbarte Richtung der finanziellen Verwaltung in der Behandlung
+der Gemeindelaendereien, die so gut wie geradezu hinarbeitete auf die
+materielle und moralische Vernichtung der Mittelklassen. Die Nutzung der
+gemeinen Weide und der Staatsdomaenen ueberhaupt war ihrer Natur nach
+ein buergerliches Vorrecht; das formelle Recht schloss den Plebejer von
+der Mitbenutzung des gemeinen Angers aus. Da indes, abgesehen von dem
+Uebergang in das Privateigentum oder der Assignation, das roemische
+Recht feste und gleich dem Eigentum zu respektierende Nutzungsrechte
+einzelner Buerger am Gemeinlande nicht kannte, so hing es, so lange das
+Gemeinland Gemeinland blieb, lediglich von der Willkuer des Koenigs
+ab den Mitgenuss zu gestatten und zu begrenzen, und es ist nicht zu
+bezweifeln, dass er von diesem seinem Recht oder wenigstens seiner Macht
+haeufig zu Gunsten von Plebejern Gebrauch gemacht hat. Aber mit der
+Einfuehrung der Republik wird der Satz wieder scharf betont, dass
+die Nutzung der Gemeinweide von Rechts wegen bloss dem Buerger besten
+Rechts, das heisst dem Patrizier zusteht; und wenn auch der Senat zu
+Gunsten der reichen in ihm mitvertretenen plebejischen Haeuser nach
+wie vor Ausnahmen zuliess, so wurden doch die kleinen plebejischen
+Ackerbesitzer und die Tageloehner, die eben die Weide am noetigsten
+brauchten, in dem Mitgenuss beeintraechtigt. Es war ferner bisher fuer
+das auf die gemeine Weide aufgetriebene Vieh ein Hutgeld erlegt worden,
+das zwar maessig genug war, um das Recht, auf diese Weide zu treiben,
+immer noch als Vorrecht erscheinen zu lassen, aber doch dem gemeinen
+Saeckel eine nicht unansehnliche Einnahme abwarf. Die patrizischen
+Quaestoren erhoben dasselbe jetzt saeumig und nachsichtig und liessen
+allmaehlich es ganz schwinden. Bisher hatte man, namentlich wenn durch
+Eroberung neue Domaenen gewonnen waren, regelmaessig Landauslegungen
+angeordnet, bei denen alle aermeren Buerger und Insassen beruecksichtigt
+wurden; nur dasjenige Land, das zum Ackerbau sich nicht eignete, ward zu
+der gemeinen Weide geschlagen. Diese Assignationen wagte man zwar nicht
+ganz zu unterlassen und noch weniger, sie bloss zu Gunsten der Reichen
+vorzunehmen; allein sie wurden seltener und karger und an ihre Stelle
+trat das verderbliche Okkupationssystem, das heisst die Ueberlassung
+der Domaenengueter nicht zum Eigentum oder zur foermlichen Pacht auf
+bestimmte Zeitfrist, sondern zur Sondernutzung bis weiter an den ersten
+Okkupanten und dessen Rechtsnachfolger, sodass dem Staate die Ruecknahme
+jederzeit freistand und der Inhaber die zehnte Garbe oder von Oel und
+Wein den fuenften Teil des Ertrages an die Staatskasse abzuliefern
+hatte. Es war dies nichts anderes als das frueher beschriebene
+Precarium, angewandt auf Staatsdomaenen und mag, namentlich als
+transitorische Einrichtung bis zur Durchfuehrung der Assignation, auch
+frueher schon bei dem Gemeinlande vorgekommen sein. Jetzt indes wurde
+dieser Okkupationsbesitz nicht bloss dauernd, sondern es griffen auch,
+wie natuerlich, nur die privilegierten Personen oder deren Guenstlinge
+zu und der Zehnte und Fuenfte ward mit derselben Laessigkeit
+eingetrieben wie das Hutgeld. So traf den mittleren und kleinen
+Grundbesitz ein dreifacher Schlag: die gemeinen Buergernutzungen gingen
+ihm verloren; die Steuerlast stieg dadurch, dass die Domanialgefaelle
+nicht mehr ordentlich in die gemeine Kasse flossen; und die
+Landauslegungen stockten, die fuer das agrikole Proletariat, etwa wie
+heutzutage ein grossartiges und fest reguliertes Emigrationssystem es
+tun wuerde, einen dauernden Abzugskanal gebildet hatten. Dazu kam
+die wahrscheinlich schon jetzt beginnende Grosswirtschaft, welche die
+kleinen Ackerklienten vertrieb und statt deren durch Feldsklaven das Gut
+nutzte; ein Schlag, der schwerer abzuwenden und wohl verderblicher war
+als alle jene politischen Usurpationen zusammengenommen. Die
+schweren, zum Teil ungluecklichen Kriege, die dadurch herbeigefuehrten
+unerschwinglichen Kriegssteuern und Fronden taten das uebrige, um den
+Besitzer entweder geradezu vom Hof zu bringen und ihn zum Knecht, wenn
+auch nicht zum Sklaven seines Schuldherrn zu machen, oder ihn durch
+Ueberschuldung tatsaechlich zum Zeitpaechter seiner Glaeubiger
+herabzudruecken. Die Kapitalisten, denen hier ein neues Gebiet
+eintraeglicher und muehe- und gefahrloser Spekulation sich eroeffnete,
+vermehrten teils auf diesem Wege ihr Grundeigentum, teils liessen sie
+dem Bauern, dessen Person und Gut das Schuldrecht ihnen in die Haende
+gab, den Namen des Eigentuemers und den faktischen Besitz. Das letztere
+war wohl das Gewoehnlichste wie das Verderblichste; denn mochte damit
+fuer den einzelnen der aeusserste Ruin abgewandt sein, so drohte dagegen
+diese prekaere, von der Gnade des Glaeubigers jederzeit abhaengige
+Stellung des Bauern, bei der derselbe vom Eigentum nichts als die
+Lasten trug, den ganzen Bauernstand zu demoralisieren und politisch
+zu vernichten. Die Absicht des Gesetzgebers, als er statt der
+hypothekarischen Schuld den sofortigen Uebergang des Eigentums auf den
+Glaeubiger anordnete, der Ueberschuldung zuvorzukommen und die Lasten
+des Staats den wirklichen Inhabern des Grundes und Bodens aufzuwaelzen,
+ward umgangen durch das strenge persoenliche Kreditsystem, das fuer
+Kaufleute sehr zweckmaessig sein mochte, die Bauern aber ruinierte.
+Hatte die freie Teilbarkeit des Bodens schon immer die Gefahr eines
+ueberschuldeten Ackerbauproletariats nahegelegt, so musste unter solchen
+Verhaeltnissen, wo alle Lasten stiegen, alle Abhilfen sich versperrten,
+die Not und die Hoffnungslosigkeit unter der baeuerlichen Mittelklasse
+mit entsetzlicher Raschheit um sich greifen. Der Gegensatz der Reichen
+und Armen, der aus diesen Verhaeltnissen hervorging, faellt keineswegs
+zusammen mit dem der Geschlechter und Plebejer. War auch der bei
+weitem groesste Teil der Patrizier reich beguetert, so fehlte es doch
+natuerlich auch unter den Plebejern nicht an reichen und ansehnlichen
+Familien, und da der Senat, der schon damals vielleicht zur groesseren
+Haelfte aus Plebejern bestand, selbst mit Ausschliessung der
+patrizischen Magistrate die finanzielle Oberleitung an sich genommen
+hatte, so ist es begreiflich, dass alle jene oekonomischen Vorteile,
+zu denen die politischen Vorrechte des Adels missbraucht wurden, den
+Reichen insgesamt zugute kamen und der Druck auf dem gemeinen Mann um so
+schwerer lastete, als durch den Eintritt in den Senat die tuechtigsten
+und widerstandsfaehigsten Personen aus der Klasse der Unterdrueckten
+uebertraten in die der Unterdruecker. Hierdurch aber ward die politische
+Stellung des Adels auf die Dauer unhaltbar. Haette er es ueber sich
+vermocht, gerecht zu regieren, und den Mittelstand geschuetzt, wie
+es einzelne Konsuln aus seiner Mitte versuchten, ohne bei der
+herabgedrueckten Stellung der Magistratur durchdringen zu koennen, so
+konnte er sich noch lange im Alleinbesitz der Aemter behaupten.
+Haette er es vermocht, die reichen und ansehnlichen Plebejer zu voller
+Rechtsgleichheit zuzulassen, etwa an den Eintritt in den Senat die
+Gewinnung des Patriziats zu knuepfen, so mochten beide noch lange
+ungestraft regieren und spekulieren. Allein es geschah keines von
+beiden: die Engherzigkeit und Kurzsichtigkeit, die eigentlichen und
+unverlierbaren Privilegien alles echten Junkertums, verleugneten sich
+auch in Rom nicht und zerrissen die maechtige Gemeinde in nutz-,
+ziel- und ruhmlosem Hader. Indes die naechste Krise ging nicht von
+den staendisch Zurueckgesetzten aus, sondern von der notleidenden
+Bauernschaft. Die zurechtgemachten Annalen setzen die politische
+Revolution in das Jahr 244 (510), die soziale in die Jahre 259 und 260
+(495 494); sie scheinen allerdings sich rasch gefolgt zu sein, doch ist
+der Zwischenraum wahrscheinlich laenger gewesen. Die strenge Uebung des
+Schuldrechts - so lautet die Erzaehlung - erregte die Erbitterung der
+ganzen Bauernschaft. Als im Jahre 259 (495) fuer einen gefahrvollen
+Krieg die Aushebung veranstaltet ward, weigerte sich die pflichtige
+Mannschaft, dem Gebot zu folgen. Wie darauf der Konsul Publius Servilius
+die Anwendung der Schuldgesetze vorlaeufig suspendierte und sowohl die
+schon in Schuldhaft sitzenden Leute zu entlassen befahl, als auch den
+weiteren Lauf der Verhaftungen hemmte, stellten die Bauern sich und
+halfen den Sieg erfechten. Heimgekehrt vom Schlachtfeld brachte der
+Friede, den sie erstritten hatten, ihnen ihren Kerker und ihre Ketten
+wieder; mit erbarmungsloser Strenge wandte der zweite Konsul Appius
+Claudius die Kreditgesetze an und der Kollege, den seine frueheren
+Soldaten um Hilfe anriefen, wagte nicht sich zu widersetzen. Es schien,
+als sei die Kollegialitaet nicht zum Schutz des Volkes eingefuehrt,
+sondern zur Erleichterung des Treubruchs und der Despotie; indes man
+litt, was nicht zu aendern war. Als aber im folgenden Jahr sich
+der Krieg erneuerte, galt das Wort des Konsuls nicht mehr. Erst dem
+ernannten Diktator Manius Valerius fuegten sich die Bauern, teils
+aus Scheu vor der hoeheren Amtsgewalt, teils im Vertrauen auf
+seinen populaeren Sinn - die Valerier waren eines jener alten
+Adelsgeschlechter, denen das Regiment ein Recht und eine Ehre,
+nicht eine Pfruende duenkte. Der Sieg war wieder bei den roemischen
+Feldzeichen; aber als die Sieger heimkamen und der Diktator seine
+Reformvorschlaege dem Senat vorlegte, scheiterten sie an dem
+hartnaeckigen Widerstand des Senats. Noch stand das Heer beisammen, wie
+ueblich vor den Toren der Stadt; als die Nachricht hinauskam, entlud
+sich das lange drohende Gewitter - der Korpsgeist und die geschlossene
+militaerische Organisation rissen auch die Verzagten und Gleichgueltigen
+mit fort. Das Heer verliess den Feldherrn und seine Lagerstatt und
+zog, gefuehrt von den Legionskommandanten, den wenigstens grossenteils
+plebejischen Kriegstribunen, in militaerischer Ordnung in die Gegend
+von Crustumeria zwischen Tiber und Anio, wo es einen Huegel besetzte und
+Miene machte, in diesem fruchtbarsten Teil des roemischen Stadtgebiets
+eine neue Plebejerstadt zu gruenden. Dieser Abmarsch tat selbst den
+hartnaeckigsten Pressern auf eine handgreifliche Art dar, dass ein
+solcher Buergerkrieg auch mit ihrem oekonomischen Ruin enden muesse; der
+Senat gab nach. Der Diktator vermittelte das Vertraegnis; die Buerger
+kehrten zurueck in die Stadtmauern; die aeusserliche Einheit ward
+wiederhergestellt. Das Volk nannte den Manius Valerius seitdem "den
+Grossen" (maximus) und den Berg jenseits des Anio "den heiligen". Wohl
+lag etwas Gewaltiges und Erhebendes in dieser ohne feste Leitung unter
+den zufaellig gegebenen Feldherren von der Menge selbst begonnenen
+und ohne Blutvergiessen durchgefuehrten Revolution, und gern und stolz
+erinnerten sich ihrer die Buerger. Empfunden wurden ihre Folgen
+durch viele Jahrhunderte; ihr entsprang das Volkstribunat. Ausser
+den transitorischen Bestimmungen, namentlich zur Abstellung der
+drueckendsten Schuldnot und zur Versorgung einer Anzahl Landleute
+durch Gruendung verschiedener Kolonien, brachte der Diktator
+verfassungsmaessig ein Gesetz durch, welches er ueberdies noch, ohne
+Zweifel um den Buergern wegen ihres gebrochenen Fahneneides Amnestie
+zu sichern, von jedem einzelnen Gemeindeglied beschwoeren und sodann in
+einem Gotteshause niederlegen liess unter Aufsicht und Verwahrung zweier
+besonders dazu aus der Plebs bestellter Beamten, der beiden "Hausherren"
+(aediles). Dies Gesetz stellte den zwei patrizischen Konsuln zwei
+plebejische Tribune zur Seite, welche die nach Kurien versammelten
+Plebejer zu waehlen hatten. Gegen das militaerische Imperium, das heisst
+gegen das der Diktatoren durchaus und gegen das der Konsuln ausserhalb
+der Stadt, vermochte die tribunizische Gewalt nichts; der buergerlichen
+ordentlichen Amtsgewalt aber, wie die Konsuln sie uebten, trat die
+tribunizische unabhaengig gegenueber, ohne dass doch eine Teilung der
+Gewalten stattgefunden haette. Die Tribune erhielten das Recht, welches
+dem Konsul gegen den Konsul und um so mehr gegen den niederen Beamten
+zustand, das heisst das Recht jeden von den Beamten erlassenen Befehl,
+durch den der davon betroffene Buerger sich verletzt hielt, auf dessen
+Anweisung durch ihren rechtzeitig und persoenlich eingelegten Protest
+zu vernichten und ebenso jeden von einem Beamten an die Buergerschaft
+gerichteten Antrag nach Ermessen zu hemmen oder zu kassieren, das ist
+das Recht der Interzession oder das sogenannte tribunizische Veto.
+Es lag also in der tribunizischen Gewalt zunaechst das Recht,
+die Verwaltung und die Rechtspflege willkuerlich zu hemmen, dem
+Militaerpflichtigen es moeglich zu machen, sich straflos der Aushebung
+zu entziehen, die Klageerhebung und die Rechtsvollstreckung gegen
+den Schuldner, die Einleitung des Kriminalprozesses und die
+Untersuchungshaft des Angeschuldigten zu verhindern oder aufzuheben und
+was dessen mehr war. Damit diese Rechtshilfe nicht durch die Abwesenheit
+der Helfer vereitelt werde, war ferner verordnet, dass der Tribun keine
+Nacht ausserhalb der Stadt zubringen duerfe und Tag und Nacht seine Tuer
+offenstehen muesse. Weiter lag es in der Gewalt des Volkstribunats,
+der Beschlussfassung der Gemeinde, die ja andernfalls kraft ihres
+souveraenen Rechts die von ihr der Plebs verliehenen Privilegien ohne
+weiteres haette zuruecknehmen koennen, durch ein einziges Wort eines
+einzelnen Tribunen Schranken zu setzen. Aber diese Rechte waeren
+wirkungslos gewesen, wenn nicht gegen den, der sich nicht daran kehrte,
+insonderheit gegen den zuwiderhandelnden Magistrat dem Volkstribun eine
+augenblicklich wirkende und unwiderstehliche Zwangsgewalt zugestanden
+haette. Es ward ihm diese in der Form erteilt, dass das Zuwiderhandeln
+gegen den seines Rechts sich bedienenden Tribun, vor allen Dingen das
+Vergreifen an seiner Persoenlichkeit, welche auf dem heiligen Berg jeder
+Plebejer Mann fuer Mann fuer sich und seine Nachkommen geschworen
+hatte, fuer jetzt und alle Zukunft vor jeder Unbill zu schuetzen,
+ein todeswuerdiges Verbrechen sein sollte und die Handhabung dieser
+Kriminaljustiz nicht den Magistraten der Gemeinde, sondern denen der
+Plebs uebertragen ward. Kraft dieses seines Richteramts konnte der
+Tribun jeden Buerger, vor allem den Konsul im Amte, zur Verantwortung
+ziehen, ihn, wenn er nicht freiwillig sich stellte, greifen lassen, ihn
+in Untersuchungshaft setzen oder Buergschaftstellung ihm gestatten und
+alsdann auf Tod oder Geldbusse erkennen. Zu diesem Zweck standen die
+beiden zugleich bestellten Aedilen des Volkes den Tribunen als Diener
+und Gehilfen zur Seite, zunaechst, um die Verhaftung zu bewirken,
+weshalb auch ihnen dieselbe Unangreifbarkeit durch den Gesamteid der
+Plebejer versichert ward. Ausserdem hatten die Aedilen selbst gleich
+den Tribunen, aber nur fuer die geringeren mit Bussen suehnbaren Sachen,
+richterliche Befugnis. Ward gegen den tribunizischen oder
+aedilizischen Spruch Berufung eingelegt, so ging diese nicht an die
+Gesamtbuergerschaft, mit der zu verhandeln die Beamten der Plebs
+ueberall nicht befugt waren, sondern an die Gesamtheit der Plebejer,
+die in diesem Fall nach Kurien zusammentrat und durch Stimmenmehrheit
+endgueltig entschied. Dies Verfahren war allerdings mehr ein Gewalt- als
+ein Rechtsakt, zumal wenn es gegen einen Nichtplebejer angewandt ward,
+wie dies doch eben in der Regel der Fall sein musste. Es war weder mit
+dem Buchstaben noch mit dem Geist der Verfassung irgend zu vereinigen,
+dass der Patrizier von Behoerden zur Rechenschaft gezogen ward, die
+nicht der Buergerschaft, sondern einer innerhalb der Buergerschaft
+gebildeten Assoziation vorstanden, und dass er gezwungen ward, statt an
+die Buergerschaft, an eben diese Assoziation zu appellieren. Dies war
+urspruenglich ohne Frage Lynchjustiz; aber die Selbsthilfe vollzog
+sich wohl von jeher in Form Rechtens und wurde seit der gesetzlichen
+Anerkennung des Volkstribunats als rechtlich statthaft betrachtet. Der
+Absicht nach war diese neue Gerichtsbarkeit der Tribune und der
+Aedilen und die daraus hervorgehende Provokationsentscheidung der
+Plebejerversammlung ohne Zweifel ebenso an die Gesetze gebunden wie die
+Gerichtsbarkeit der Konsuln und Quaestoren und der Spruch der Zenturien
+auf Provokation; die Rechtsbegriffe des Verbrechens gegen die Gemeinde
+und der Ordnungswidrigkeit wurden von der Gemeinde und deren Magistraten
+auf die Plebs und deren Vorsteher uebertragen. Indes diese Begriffe
+waren selbst so wenig fest und deren gesetzliche Begrenzung so
+schwierig, ja unmoeglich, dass die auf diese Kategorien hin geuebte
+Justizpflege schon an sich den Stempel der Willkuer fast unvermeidlich
+an sich trug. Seit nun aber gar in den staendischen Kaempfen die
+Idee des Rechts sich selber getruebt hatte und seit die gesetzlichen
+Parteifuehrer beiderseits mit einer konkurrierenden Gerichtsbarkeit
+ausgestattet waren, musste diese mehr und immer mehr der reinen
+Willkuerpolizei sich naehern. Namentlich traf dieselbe den Beamten.
+Bisher unterlag derselbe nach roemischem Staatsrecht, solange er
+Beamter war, ueberhaupt keiner Gerichtsbarkeit, und wenn er auch nach
+Niederlegung seines Amtes rechtlich fuer jede seiner Handlungen zur
+Verantwortung hatte gezogen werden koennen, so lag doch die Handhabung
+dieses Rechts in den Haenden seiner Standesgenossen und schliesslich
+der Gesamtgemeinde, zu der diese ebenfalls gehoerten. Jetzt trat in der
+tribunizischen Gerichtsbarkeit eine neue Macht auf, welche einerseits
+gegen den hoechsten Beamten schon waehrend der Amtsfuehrung einschreiten
+konnte, anderseits gegen die adligen Buerger ausschliesslich durch die
+nicht adligen gehandhabt ward, und die um so drueckender war, als weder
+das Verbrechen noch die Strafe gesetzlich formuliert wurden. Der Sache
+nach ward durch die konkurrierende Gerichtsbarkeit der Plebs und der
+Gemeinde Gut, Leib und Leben der Buerger dem willkuerlichen Belieben
+der Parteiversammlungen preisgegeben. In die Ziviljurisdiktion haben die
+plebejischen Institutionen nur insofern eingegriffen, als in den
+fuer die Plebs so wichtigen Freiheitsprozessen den Konsuln die
+Geschworenenernennung entzogen ward und die Sprueche hier erfolgten von
+den besonders dafuer bestimmten Zehnmaenner-Richtern (iudices
+decemviri, spaeter decemviri litibus iudicandis). An die konkurrierende
+Jurisdiktion schloss sich weiter die Konkurrenz in der gesetzgebenden
+Initiative. Das Recht, die Mitglieder zu versammeln und Beschluesse
+derselben zu bewirken, stand den Tribunen schon insofern zu, als ohne
+dasselbe ueberhaupt keine Assoziation gedacht werden kann. Ihnen aber
+ward dasselbe in der eminenten Weise verliehen, dass das autonomische
+Versammlungs- und Beschlussrecht der Plebs gesetzlich sichergestellt war
+vor jedem Eingriff der Magistrate der Gemeinde, ja der Gemeinde
+selbst. Allerdings war es die notwendige Vorbedingung der rechtlichen
+Anerkennung der Plebs ueberhaupt, dass die Tribune nicht daran gehindert
+werden konnten, ihre Nachfolger von der Versammlung der Plebs waehlen
+zu lassen und die Bestaetigung ihrer Kriminalsentenz durch dieselbe zu
+bewirken; und es ward ihnen denn dieses Recht auch durch das Icilische
+Gesetz (262 492) noch besonders gewaehrleistet und jedem, der dabei
+dem Tribun ins Wort falle oder das Volk auseinandergehen heisse, eine
+schwere Strafe gedroht. Dass demnach dem Tribun nicht gewehrt werden
+konnte, auch andere Antraege als die Wahl seines Nachfolgers und die
+Bestaetigung seiner Urteilssprueche zur Abstimmung zu bringen, leuchtet
+ein. Gueltige Volksschluesse waren derartige "Beliebungen der Menge"
+(plebi scita) zwar eigentlich nicht, sondern anfaenglich nicht viel mehr
+als die Beschluesse unserer heutigen Volksversammlungen; allein da der
+Unterschied zwischen den Komitien des Volkes und den Konzilien der Menge
+denn doch mehr formaler Natur war, ward wenigstens von plebejischer
+Seite die Gueltigkeit derselben als autonomischer Festsetzungen der
+Gemeinde sofort in Anspruch genommen und zum Beispiel gleich das
+Icilische Gesetz auf diesem Wege durchgesetzt. So war der Tribun des
+Volks bestellt, dem einzelnen zu Schirm und Schutz, allen zur Leitung
+und Fuehrung, versehen mit unbeschraenkter richterlicher Gewalt im
+peinlichen Verfahren, um also seinem Befehl Nachdruck geben zu koennen,
+endlich selbst persoenlich fuer unverletzlich (sacrosanctus) erklaert,
+indem wer sich an ihm oder seinem Diener vergriff, nicht bloss den
+Goettern verfallen galt, sondern auch bei den Menschen als nach
+rechtlich erwiesenem Frevel des Todes schuldig. Die Tribune der Menge
+(tribuni plebis) sind hervorgegangen aus den Kriegstribunen und fuehren
+von diesen ihren Namen; rechtlich aber haben sie weiter zu ihnen
+keinerlei Beziehung. Vielmehr stehen der Gewalt nach die Volkstribune
+und die Konsuln sich gleich. Die Appellation vom Konsul an den Tribun
+und das Interzessionsrecht des Tribuns gegen den Konsul ist, wie schon
+gesagt ward, durchaus gleichartig der Appellation vom Konsul an den
+Konsul und der Interzession des einen Konsuls gegen den andern, und
+beide sind nichts als eine Anwendung des allgemeinen Rechtssatzes,
+dass zwischen zwei Gleichberechtigten der Verbietende dem Gebietenden
+vorgeht. Auch die urspruengliche, allerdings bald vermehrte Zahl und die
+Jahresdauer des Amtes, welches fuer die Tribune jedesmal am 10.
+Dezember wechselte, sind den Tribunen mit den Konsuln gemein, ebenso
+die eigentuemliche Kollegialitaet, die in jedes einzelnen Konsuls und in
+jedes einzelnen Tribunen Hand die volle Machtfuelle des Amtes legt
+und bei Kollisionen innerhalb des Kollegiums nicht die Stimmen zaehlt,
+sondern das Nein dem Ja vorgehen laesst - weshalb, wo der Tribun
+verbietet, das Verbot des einzelnen trotz des Widerspruchs der Kollegen
+genuegt, wo er dagegen anklagt, er durch jeden seiner Kollegen gehemmt
+werden kann. Konsuln und Tribune haben beide volle und konkurrierende
+Kriminaljurisdiktion, wenn auch jene dieselbe mittelbar, diese
+unmittelbar ausueben; wie jenen die beiden Quaestoren, stehen diesen
+die beiden Aedilen hierin zur Seite ^1. Die Konsuln sind notwendig
+Patrizier, die Tribune notwendig Plebejer. Jene haben die vollere Macht,
+diese die unumschraenktere, denn ihrem Verbot und ihrem Gericht fuegt
+sich der Konsul, nicht aber dem Konsul sich der Tribun. So ist die
+tribunizische Gewalt das Abbild der konsularischen; sie ist aber nicht
+minder ihr Gegenbild. Die Macht der Konsuln ist wesentlich positiv,
+die der Tribune wesentlich negativ. Nur die Konsuln sind Magistrate des
+roemischen Volkes, nicht die Tribune; denn jene erwaehlt die gesamte
+Buergerschaft, diese nur die plebejische Assoziation. Zum Zeichen dessen
+erscheint der Konsul oeffentlich mit dem den Gemeindebeamten zukommenden
+Schmuck und Gefolge, die Tribune aber sitzen auf der Bank anstatt
+des Wagenstuhls und ermangeln der Amtsdiener, des Purpursaumes und
+ueberhaupt jedes Abzeichens der Magistratur; sogar im Gemeinderat hat
+der Tribun weder den Vorsitz noch auch nur den Beisitz. So ist in dieser
+merkwuerdigen Institution dem absoluten Befehlen das absolute Verbieten
+in der schaerfsten und schroffsten Weise gegenuebergestellt; das war die
+Schlichtung des Haders, dass die Zwietracht der Reichen und der
+Armen gesetzlich festgestellt und geordnet ward.
+--------------------------------------------------- ^1 Dass die
+plebejischen Aedilen in derselben Weise den patrizischen Quaestoren
+nachgebildet sind wie die plebejischen Tribune den patrizischen Konsuln,
+ist deutlich sowohl fuer die Kriminalrechtspflege, wo nur die Tendenz
+der beiden Magistraturen, nicht die Kompetenz verschieden gewesen zu
+sein scheint, wie fuer das Archivgeschaeft. Fuer die Aedilen ist der
+Cerestempel, was der Tempel des Saturnus fuer die Quaestoren, und von
+jenem haben sie auch den Namen. Bezeichnend ist die Vorschrift des
+Gesetzes von 305 (349) (Liv. 3, 55), dass die Senatsbeschluesse dorthin
+an die Aedilen abgeliefert werden sollen (I, 300), waehrend dieselben
+bekanntlich nach altem und spaeter nach Beilegung des Staendekampfes
+wieder ueberwiegendem Gebrauche den Quaestoren zur Aufbewahrung in
+dem Saturnustempel zugestellt wurden.
+------------------------------------------------- Aber was war erreicht
+damit, dass man die Einheit der Gemeinde brach, dass die Beamten einer
+unsteten und von allen Leidenschaften des Augenblicks abhaengigen
+Kontrollbehoerde unterworfen wurden, dass auf den Wink eines einzelnen
+der auf den Gegenthron gehobenen Oppositionshaeupter die Verwaltung im
+gefaehrlichsten Augenblick zum Stocken gebracht werden konnte, dass
+man die Kriminalrechtspflege, indem man alle Beamte dazu konkurrierend
+bevollmaechtigte, gleichsam gesetzlich aus dem Recht in die Politik
+verwies und sie fuer alle Zeiten verdarb? Es ist wohl wahr, dass das
+Tribunat wenn nicht unmittelbar zur politischen Ausgleichung der Staende
+beigetragen, so doch als eine maechtige Waffe in der Hand der Plebejer
+gedient hat, als diese bald darauf die Zulassung zu den Gemeindeaemtern
+begehrten. Aber die eigentliche Bestimmung des Tribunats war dieses
+nicht. Nicht dem politisch privilegierten Stande ward es abgerungen,
+sondern den reichen Grund- und Kapitalherren; es sollte dem
+gemeinen Mann billige Rechtspflege sichern und eine zweckmaessigere
+Finanzverwaltung herbeifuehren. Diesen Zweck hat es nicht erfuellt
+und konnte es nicht erfuellen. Der Tribun mochte einzelnen Unbilden,
+einzelnen schreienden Haerten steuern; aber der Fehler lag nicht im
+Unrecht, das man Recht hiess, sondern im Rechte, welches ungerecht war:
+und wie konnte der Tribun die ordentliche Rechtspflege regelmaessig
+hemmen? haette er es gekonnt, so war auch damit noch wenig geholfen,
+wenn nicht die Quellen der Verarmung verstopft wurden, die verkehrte
+Besteuerung, das schlechte Kreditsystem, die heillose Okkupation der
+Domaenen. Aber hieran wagte man sich nicht, offenbar weil die reichen
+Plebejer selbst an diesen Missbraeuchen kein minderes Interesse hatten
+als die Patrizier. So gruendete man diese seltsame Magistratur, deren
+handgreiflicher Beistand dem gemeinen Mann einleuchtete und die doch die
+notwendige oekonomische Reform unmoeglich durchsetzen konnte. Sie ist
+kein Beweis politischer Weisheit, sondern ein schlechtes Kompromiss
+zwischen dem reichen Adel und der fuehrerlosen Menge. Man hat gesagt,
+das Volkstribunat habe Rom vor der Tyrannis bewahrt. Waere dies wahr, so
+wuerde es wenig bedeuten; die Aenderung der Staatsform ist an sich
+fuer ein Volk kein Unheil, und fuer das roemische war es vielmehr ein
+Unglueck, dass die Monarchie zu spaet eingefuehrt ward nach Erschoepfung
+der physischen und geistigen Kraefte der Nation. Es ist aber nicht
+einmal richtig, wie schon das beweist, dass die italischen Staaten
+ebenso regelmaessig ohne Tyrannis geblieben sind wie sie in den
+hellenischen regelmaessig aufstanden. Der Grund liegt einfach darin,
+dass die Tyrannis ueberall die Folge des allgemeinen Stimmrechts ist
+und dass die Italiker laenger als die Griechen die nicht grundsaessigen
+Buerger von den Gemeindeversammlungen ausschlossen; als Rom hiervon
+abging, blieb auch die Monarchie nicht aus, ja knuepfte eben an an das
+tribunizische Amt. Dass das Volkstribunat auch genuetzt hat, indem es
+der Opposition gesetzliche Bahnen wies und manche Verkehrtheit abwehrte,
+wird niemand verkennen; aber ebensowenig, dass, wo es sich nuetzlich
+erwies, es fuer ganz andere Dinge gebraucht ward, als wofuer man es
+begruendet hatte. Das verwegene Experiment, den Fuehrern der Opposition
+ein verfassungsmaessiges Veto einzuraeumen und sie mit der Macht, es
+ruecksichtslos geltend zu machen, auszustatten, bleibt ein Notbehelf,
+der den Staat politisch aus den Angeln gehoben und die sozialen
+Missstaende durch nutzlose Palliative hingeschleppt hat. Indes man hatte
+den Buergerkrieg organisiert; er ging seinen Gang. Wie zur Schlacht
+standen die Parteien sich gegenueber, jede unter ihren Fuehrern;
+Beschraenkung der konsularischen, Erweiterung der tribunizischen Gewalt
+ward auf der einen, die Vernichtung des Tribunats auf der andern Seite
+angestrebt; die gesetzlich straflos gemachte Insubordination, die
+Weigerung, sich zur Landesverteidigung zu stellen, die Buss- und
+Strafklagen namentlich gegen Beamte, die die Rechte der Gemeinde
+verletzt oder auch nur ihr Missfallen erregt hatten, waren die Waffen
+der Plebejer, denen die Junker Gewalt und Einverstaendnisse mit
+den Landesfeinden, gelegentlich auch den Dolch des Meuchelmoerders
+entgegensetzten; auf den Strassen kam es zum Handgemenge und hueben
+und drueben vergriff man sich an der Heiligkeit der Magistratspersonen.
+Viele Buergerfamilien sollen ausgewandert sein und in den benachbarten
+Gemeinden einen friedlicheren Wohnsitz gesucht haben; und man mag es
+wohl glauben. Es zeugt von dem starken Buergersinn im Volk, nicht
+dass es diese Verfassung sich gab, sondern dass es sie ertrug und
+die Gemeinde trotz der heftigsten Kaempfe dennoch zusammenhielt. Das
+bekannteste Ereignis aus diesen Staendekaempfen ist die Geschichte des
+Gnaeus Marcius, eines tapferen Adligen, der von Coriolis Erstuermung den
+Beinamen trug. Er soll im Jahr 263 (491), erbittert ueber die Weigerung
+der Zenturien, ihm das Konsulat zu uebertragen, beantragt haben,
+wie einige sagen, die Einstellung der Getreideverkaeufe aus den
+Staatsmagazinen, bis das hungernde Volk auf das Tribunat verzichte;
+wie andere berichten, geradezu die Abschaffung des Tribunats. Von den
+Tribunen auf Leib und Leben angeklagt, habe er die Stadt verlassen,
+indes nur, um zurueckzukehren an der Spitze eines volskischen Heeres;
+jedoch im Begriff, .seine Vaterstadt fuer den Landesfeind zu erobern,
+habe das ernste Wort der Mutter sein Gewissen geruehrt und also sei von
+ihm der erste Verrat durch einen zweiten gesuehnt worden und beide durch
+den Tod. Wieviel darin wahr ist, laesst sich nicht entscheiden; aber
+alt ist die Erzaehlung, aus der die naive Impertinenz der roemischen
+Annalisten eine vaterlaendische Glorie gemacht hat, und sie oeffnet den
+Einblick in die tiefe sittliche und politische Schaendlichkeit dieser
+staendischen Kaempfe. Aehnlichen Schlages ist der Ueberfall des Kapitols
+durch eine Schar politischer Fluechtlinge, gefuehrt von dem Sabiner
+Appius Herdonius im Jahr 294 (460); sie riefen die Sklaven zu den
+Waffen, und erst nach heissem Kampf und mit Hilfe der herbeigeeilten
+Tusculaner ward die roemische Buergerwehr der catilinarischen Bande
+Meister. Denselben Charakter fanatischer Erbitterung tragen andere
+Ereignisse dieser Zeit, deren geschichtliche Bedeutung in den
+luegenseligen Familienberichten sich nicht mehr erfassen laesst; so das
+Uebergewicht des Fabischen Geschlechtes, das von 269 bis 275 (485-479)
+den einen Konsul stellte, und die Reaktion dagegen, die Auswanderung der
+Fabier aus Rom und ihre Vernichtung durch die Etrusker am Cremera (277
+477). Noch entsetzlicher war die Ermordung des Volkstribuns Gnaeus
+Genucius, der es gewagt hatte, zwei Konsulare zur Rechenschaft zu ziehen
+und der am Morgen des fuer die Anklage anberaumten Tages tot im Bette
+gefunden ward (281 473). Die unmittelbare Folge dieser Untat war
+das Publilische Gesetz, eines der folgenreichsten, das die roemische
+Geschichte kennt. Zwei der wichtigsten Ordnungen, die Einfuehrung
+der plebejischen Tribusversammlung und die wenngleich bedingte
+Gleichstellung des Plebiszits mit dem foermlichen, von der ganzen
+Gemeinde beschlossenen Gesetz, gehen, jene gewiss, diese wahrscheinlich
+zurueck auf den Antrag des Volkstribunen Volero Publilius vom Jahre 283
+(471). Die Plebs hatte bis dahin ihre Beschluesse nach Kurien gefasst;
+demnach war in diesen ihren Sonderversammlungen teils ohne Unterschied
+des Vermoegens und der Ansaessigkeit bloss nach Koepfen abgestimmt
+worden, teils hatten, infolge des im Wesen der Kurienversammlung
+liegenden Zusammenstehens der Geschlechtsgenossen, die Klienten der
+grossen Adelsfamilien in der Plebejerversammlung miteinander gestimmt.
+Der eine wie der andere Umstand gab dem Adel vielfache Gelegenheit,
+Einfluss auf diese Versammlung zu ueben und besonders die Wahl der
+Tribune in seinem Sinne zu lenken; beides fiel fortan weg durch die
+neue Abstimmungsweise nach Quartieren. Deren waren in der Servianischen
+Verfassung zum Zweck der Aushebung vier gebildet worden, die Stadt und
+Land gleichmaessig umfassten (I, 105); spaeterhin - vielleicht im
+Jahr 259 (495) - hatte man das roemische Gebiet in zwanzig Distrikte
+eingeteilt, von denen die ersten vier die Stadt und deren naechste
+Umgebung umfassten, die uebrigen sechzehn mit Zugrundelegung der
+Geschlechtergaue des aeltesten roemischen Ackers aus dem Landgebiet
+gebildet wurden (I, 51). Zu diesen wurde, wahrscheinlich erst infolge
+des Publilischen Gesetzes und um die fuer die Abstimmung wuenschenswerte
+Ungleichheit der Gesamtzahl der Stimmabteilungen herbeizufuehren, als
+einundzwanzigste Tribus die crustuminische hinzugefuegt, die ihren Namen
+von dem Orte trug, wo die Plebs als solche sich konstituiert und
+das Tribunat gestiftet hatte (I, 282) und fortan fanden die
+Sonderversammlungen der Plebs nicht mehr nach Kurien statt, sondern
+nach Tribus. In diesen Abteilungen, die durchaus auf dem Grundbesitz
+beruhten, stimmten ausschliesslich die ansaessigen Leute, diese jedoch
+ohne Unterschied der Groesse des Grundbesitzes und so, wie sie
+in Doerfern und Weilern zusammen wohnten; es war also diese
+Tribusversammlung, die im uebrigen aeusserlich der nach Kurien
+geordneten nachgebildet ward, recht eigentlich eine Versammlung des
+unabhaengigen Mittelstandes, von der einerseits die Freigelassenen
+und Klienten der grossen Mehrzahl nach als nicht ansaessige Leute
+ausgeschlossen waren, und in der anderseits der groessere
+Grundbesitz nicht so wie in den Zenturien ueberwog. Eine allgemeine
+Buergerschaftsversammlung war diese "Zusammenkunft der Menge" (concilium
+plebis) noch weniger als die plebejische Kurienversammlung, da sie
+nicht bloss wie diese die saemtlichen Patrizier, sondern auch die nicht
+grundsaessigen Plebejer ausschloss; aber die Menge war maechtig genug,
+um es durchzusetzen, dass ihr Beschluss dem von den Zenturien gefassten
+rechtlich gleich gelte, falls er vorher vom Gesamtsenat gebilligt worden
+war. Dass diese letzte Bestimmung schon vor Erlass der Zwoelf Tafeln
+gesetzlich feststand, ist gewiss; ob man sie gerade bei Gelegenheit
+des Publilischen Plebiszits eingefuehrt hat, oder ob sie bereits vorher
+durch irgendeine andere verschollene Satzung ins Leben gerufen und auf
+das Publilische Plebiszit nur angewendet worden ist, laesst sich nicht
+mehr ausmachen. Ebenso bleibt es ungewiss, ob durch dies Gesetz die Zahl
+der Tribune von zwei auf vier vermehrt ward oder dies bereits vorher
+geschehen war. Einsichtiger angelegt als alle diese Parteimassregeln war
+der Versuch des Spurius Cassius, die finanzielle Allmacht der Reichen
+zu brechen und damit den eigentlichen Quell des Uebels zu verstopfen. Er
+war Patrizier, und keiner tat es in seinem Stande an Rang und Ruhm ihm
+zuvor; nach zwei Triumphen, im dritten Konsulat (268 486) brachte er an
+die Buergergemeinde den Antrag, das Gemeindeland vermessen zu lassen
+und es teils zum Besten des oeffentlichen Schatzes zu verpachten, teils
+unter die Beduerftigen zu verteilen; das heisst, er versuchte, die
+Entscheidung ueber die Domaenen dem Senat zu entreissen und, gestuetzt
+auf die Buergerschaft, dem egoistischen Okkupationssystem ein Ende zu
+machen. Er mochte meinen, dass die Auszeichnung seiner Persoenlichkeit,
+die Gerechtigkeit und Weisheit der Massregel durchschlagen werde, selbst
+in diesen Wogen der Leidenschaftlichkeit und der Schwaeche; allein er
+irrte. Der Adel erhob sich wie ein Mann; die reichen Plebejer traten auf
+seine Seite; der gemeine Mann war missvergnuegt, weil Spurius Cassius,
+wie Bundesrecht und Billigkeit geboten, auch den latinischen Eidgenossen
+bei der Assignation ihr Teil geben wollte. Cassius musste sterben;
+es ist etwas Wahres in der Anklage, dass er koenigliche Gewalt sich
+angemasst habe, denn freilich versuchte er gleich den Koenigen, gegen
+seinen Stand die Gemeinfreien zu schirmen. Sein Gesetz ging mit ihm
+ins Grab, aber das Gespenst desselben stand seitdem den Reichen
+unaufhoerlich vor Augen und wieder und wieder stand es auf gegen sie,
+bis unter den Kaempfen darueber das Gemeinwesen zugrunde ging. Da
+ward noch ein Versuch gemacht, die tribunizische Gewalt dadurch zu
+beseitigen, dass man dem gemeinen Mann die Rechtsgleichheit auf einem
+geregelteren und wirksameren Wege sicherte. Der Volkstribun Gaius
+Terentilius Arsa beantragte im Jahr 292 (462) die Ernennung einer
+Kommission von fuenf Maennern zur Entwerfung eines gemeinen Landrechts,
+an das die Konsuln kuenftighin in ihrer richterlichen Gewalt gebunden
+sein sollten. Aber der Senat weigerte sich, diesem Vorschlag seine
+Sanktion zu geben, und es vergingen zehn Jahre, ehe derselbe zur
+Ausfuehrung kam - Jahre des heissesten Staendekampfes, welche ueberdies
+vielfach bewegt waren durch Kriege und innere Unruhen; mit gleicher
+Hartnaeckigkeit hinderte die Adelspartei die Zulassung des Gesetzes im
+Senat und ernannte die Gemeinde wieder und wieder dieselben Maenner
+zu Tribunen. Man versuchte durch andere Konzessionen den Angriff zu
+beseitigen: im Jahre 297 (457) ward die Vermehrung der Tribune von vier
+auf zehn bewilligt - freilich ein zweifelhafter Gewinn; im folgenden
+Jahre durch ein Icilisches Plebiszit, das aufgenommen ward unter die
+beschworenen Privilegien der Gemeinde, der Aventin, bisher Tempelhain
+und unbewohnt, unter die aermeren Buerger zu Bauplaetzen erblichen
+Besitzes aufgeteilt. Die Gemeinde nahm, was ihr geboten ward, allein sie
+hoerte nicht auf, das Landrecht zu fordern. Endlich im Jahre 300 (454)
+kam ein Vergleich zustande; der Senat gab in der Hauptsache nach.
+Die Abfassung des Landrechts wurde beschlossen; es sollten dazu
+ausserordentlicher Weise zehn Maenner von den Zenturien gewaehlt werden,
+welche zugleich als hoechste Beamte anstatt der Konsuln zu fungieren
+hatten (decem viri consulari imperio legibus scribundis), und zu diesem
+Posten sollten nicht bloss Patrizier, sondern auch Plebejer wahlfaehig
+sein. Diese wurden hier zum erstenmal, freilich nur fuer ein
+ausserordentliches Amt, als waehlbar bezeichnet. Es war dies ein grosser
+Schritt vorwaerts zu der vollen politischen Gleichberechtigung, und er
+war nicht zu teuer damit verkauft, dass das Volkstribunat aufgehoben,
+das Provokationsrecht fuer die Dauer des Dezemvirats suspendiert und
+die Zehnmaenner nur verpflichtet wurden, die beschworenen Freiheiten der
+Gemeinde nicht anzutasten. Vorher indes wurde noch eine Gesandtschaft
+nach Griechenland geschickt um die Solonischen und andere griechische
+Gesetze heimzubringen, und erst nach deren Rueckkehr wurden fuer das
+Jahr 303 (451) die Zehnmaenner gewaehlt. Obwohl es freistand, auch
+Plebejer zu ernennen, so traf doch die Wahl auf lauter Patrizier - so
+maechtig war damals noch der Adel -, und erst als eine abermalige Wahl
+fuer 304 (450) noetig ward, wurden auch einige Plebejer gewaehlt - die
+ersten nichtadligen Beamten, die die roemische Gemeinde gehabt hat.
+Erwaegt man diese Massregeln in ihrem Zusammenhang, so kann kaum ein
+anderer Zweck ihnen untergelegt werden, als die Beschraenkung der
+konsularischen Gewalt durch das geschriebene Gesetz an die Stelle
+der tribunizischen Hilfe zu setzen. Von beiden Seiten musste man sich
+ueberzeugt haben, dass es nicht so bleiben konnte, wie es war, und die
+Permanenzerklaerung der Anarchie wohl die Gemeinde zugrunde richtete,
+aber in der Tat und Wahrheit dabei fuer niemand etwas herauskam.
+Ernsthafte Leute mussten einsehen, dass das Eingreifen der Tribune
+in die Administration sowie ihre Anklaegertaetigkeit schlechterdings
+schaedlich wirkten und der einzige wirkliche Gewinn, den das Tribunat
+dem gemeinen Mann gebracht hatte, der Schutz gegen parteiische
+Rechtspflege war, indem es als eine Art Kassationsgericht die Willkuer
+des Magistrats beschraenkte. Ohne Zweifel ward, als die Plebejer ein
+geschriebenes Landrecht begehrten, von den Patriziern erwidert, dass
+dann der tribunizische Rechtsschutz ueberfluessig werde; und hierauf
+scheint von beiden Seiten nachgegeben zu sein. Es ist vielleicht nie
+bestimmt ausgesprochen worden, wie es werden sollte nach Abfassung des
+Landrechts; aber an dem definitiven Verzicht der Plebs auf das Tribunat
+ist nicht zu zweifeln, da dieselbe durch das Dezemvirat in die Lage kam,
+nicht anders als auf ungesetzlichem Wege das Tribunat zurueckgewinnen
+zu koennen. Die der Plebs gegebene Zusage, dass ihre beschworenen
+Freiheiten nicht angetastet werden sollten, kann bezogen werden auf die
+vom Tribunat unabhaengigen Rechte der Plebejer, wie die Provokation und
+der Besitz des Aventin. Die Absicht scheint gewesen zu sein, dass die
+Zehnmaenner bei ihrem Ruecktritt dem Volke vorschlagen sollten, die
+jetzt nicht mehr nach Willkuer, sondern nach geschriebenem Recht
+urteilenden Konsuln wiederum zu waehlen. Der Plan, wenn er bestand, war
+weise; es kam darauf an, ob die leidenschaftlich erbitterten Gemueter
+hueben und drueben diesen friedlichen Austrag annehmen wuerden. Die
+Dezemvirn des Jahres 303 (451) brachten ihr Gesetz vor das Volk und, von
+diesem bestaetigt, wurde dasselbe, in zehn kupferne Tafeln eingegraben,
+auf dem Markt an der Rednerbuehne vor dem Rathaus angeschlagen. Da indes
+noch ein Nachtrag erforderlich schien, so ernannte man auf das Jahr 304
+(450) wieder Zehnmaenner, die noch zwei Tafeln hinzufuegten; so entstand
+das erste und einzige roemische Landrecht, das Gesetz der Zwoelf Tafeln.
+Es ging aus einem Kompromiss der Parteien hervor und kann schon
+darum tiefgreifende, ueber nebensaechliche und blosse
+Zweckmaessigkeitsbestimmungen hinausgehende Aenderungen des bestehenden
+Rechts nicht wohl enthalten haben. Sogar im Kreditwesen trat keine
+weitere Milderung ein, als dass ein - wahrscheinlich niedriges -
+Zinsmaximum (10 Prozent) festgestellt und der Wucherer mit schwerer
+Strafe - charakteristisch genug mit einer weit schwereren als der Dieb
+- bedroht ward; der strenge Schuldprozess blieb wenigstens in seinen
+Hauptzuegen ungeaendert. Aenderungen der staendischen Rechte waren
+begreiflicherweise noch weniger beabsichtigt; der Rechtsunterschied
+zwischen steuerpflichtigen und vermoegenslosen Buergern, die
+Ungueltigkeit der Ehe zwischen Adligen und Buergerlichen wurden vielmehr
+aufs neue im Stadtrecht bestaetigt, ebenso zur Beschraenkung
+der Beamtenwillkuer und zum Schutz des Buergers ausdruecklich
+vorgeschrieben, dass das spaetere Gesetz durchaus dem frueheren vorgehen
+und dass kein Volksschluss gegen einen einzelnen Buerger erlassen werden
+solle. Am bemerkenswertesten ist die Ausschliessung der Provokation
+an die Tribuskomitien in Kapitalsachen, waehrend die an die
+Zenturien gewaehrleistet ward; was sich daraus erklaert, dass die
+Strafgerichtsbarkeit von der Plebs und ihren Vorstehern in der Tat
+usurpiert war und mit dem Tribunal auch der tribunizische Kapitalprozess
+notwendig fiel, waehrend es vielleicht die Absicht war, den
+aedilizischen Multprozess beizubehalten. Die wesentliche politische
+Bedeutung lag weit weniger in dem Inhalt des Weistums als in der
+jetzt foermlich festgestellten Verpflichtung der Konsuln, nach diesen
+Prozessformen und diesen Rechtsregeln Recht zu sprechen, und in der
+oeffentlichen Aufstellung des Gesetzbuchs, wodurch die Rechtsverwaltung
+der Kontrolle der Publizitaet unterworfen und der Konsul genoetigt ward,
+allen gleiches und wahrhaft gemeines Recht zu sprechen. Der Ausgang des
+Dezemvirats liegt in tiefem Dunkel. Es blieb - so wird berichtet - den
+Zehnmaennern nur noch uebrig, die beiden letzten Tafeln zu publizieren
+und alsdann der ordentlichen Magistratur Platz zu machen. Sie zoegerten
+indes; unter dem Vorwande, dass das Gesetz noch immer nicht fertig
+sei, fuehrten sie selbst nach Ablauf des Amtsjahres ihr Amt weiter,
+was insofern moeglich war, als nach roemischem Staatsrecht die
+ausserordentlicherweise zur Revision der Verfassung berufene Magistratur
+durch die ihr gesetzte Endfrist rechtlich nicht gebunden werden kann.
+Die gemaessigte Fraktion der Aristokratie, die Valerier und Horatier an
+ihrer Spitze, soll versucht haben, im Senat die Abdankung der Dezemvirn
+zu erzwingen; allein das Haupt der Zehnmaenner, Appius Claudius, von
+Haus aus ein starrer Aristokrat, aber jetzt umschlagend zum Demagogen
+und zum Tyrannen, gewann das Uebergewicht im Senat, und auch das Volk
+fuegte sich. Die Aushebung eines doppelten Heeres ward ohne Widerspruch
+vollzogen und der Krieg gegen die Volsker wie gegen die Sabiner
+begonnen. Da wurde der gewesene Volkstribun Lucius Siccius Dentatus, der
+tapferste Mann in Rom, der in hundertundzwanzig Schlachten gefochten und
+fuenfundvierzig ehrenvolle Narben aufzuzeigen hatte, tot vor dem
+Lager gefunden, meuchlerisch ermordet, wie es hiess, auf Anstiften
+der Zehnmaenner. Die Revolution gaerte in den Gemuetern; zum Ausbruch
+brachte sie der ungerechte Wahrspruch des Appius in dem Prozess um die
+Freiheit der Tochter des Centurionen Lucius Verginius, der Braut des
+gewesenen Volkstribuns Lucius Icilius, welcher Spruch das Maedchen den
+Ihrigen entriss, um sie unfrei und rechtlos zu machen und den Vater
+bewog, seiner Tochter auf offenem Markt das Messer selber in die Brust
+zu stossen, um sie der gewissen Schande zu entreissen. Waehrend das
+Volk erstarrt ob der unerhoerten Tat die Leiche des schoenen Maedchens
+umstand, befahl der Dezemvir seinen Buetteln, den Vater und alsdann den
+Braeutigam vor seinen Stuhl zu fuehren, um ihm, von dessen Spruch keine
+Berufung galt, sofort Rede zu stehen wegen ihrer Auflehnung gegen seine
+Gewalt. Nun war das Mass voll. Geschuetzt von den brausenden Volksmassen
+entziehen der Vater und der Braeutigam des Maedchens sich den Haeschern
+des Gewaltherrn, und waehrend in Rom der Senat zittert und schwankt,
+erscheinen die beiden mit zahlreichen Zeugen der furchtbaren Tat in den
+beiden Lagern. Das Unerhoerte wird berichtet; vor allen Augen
+oeffnet sich die Kluft, die der mangelnde tribunizische Schutz in der
+Rechtssicherheit gelassen hat, und was die Vaeter getan, wiederholen
+die Soehne. Abermals verlassen die Heere ihre Fuehrer; sie ziehen in
+kriegerischer Ordnung durch die Stadt und abermals auf den heiligen
+Berg, wo sie abermals ihre Tribune sich ernennen. Immer noch weigern
+die Dezemvirn die Niederlegung ihrer Gewalt; da erscheint das Heer mit
+seinen Tribunen in der Stadt und lagert sich auf dem Aventin. Jetzt
+endlich, wo der Buergerkrieg schon da war und der Strassenkampf
+stuendlich beginnen konnte, jetzt entsagen die Zehnmaenner ihrer
+angemassten und entehrten Gewalt, und die Konsuln Lucius Valerius
+und Marcus Horatius vermitteln einen zweiten Vergleich, durch den das
+Volkstribunal wieder hergestellt wurde. Die Anklagen gegen die Dezemvirn
+endigten damit, dass die beiden schuldigsten, Appius Claudius und
+Spurius Oppius, im Gefaengnis sich das Leben nahmen, die acht anderen
+ins Exil gingen und der Staat ihr Vermoegen einzog. Weitere gerichtliche
+Verfolgungen hemmte der kluge und gemaessigte Volkstribun Marcus Duilius
+durch den rechtzeitigen Gebrauch seines Veto. So lautet die Erzaehlung,
+wie der Griffel der roemischen Aristokraten sie aufgezeichnet hat;
+unmoeglich aber kann, auch von den Nebenumstaenden abgesehen, die
+grosse Krise, der die Zwoelf Tafeln entsprangen, in solche romantische
+Abenteuerlichkeiten und politische Unbegreiflichkeiten ausgelaufen
+sein. Das Dezemvirat war nach der Abschaffung des Koenigtums und der
+Einsetzung des Volkstribunats der dritte grosse Sieg der Plebs, und die
+Erbitterung der Gegenpartei gegen die Institution wie gegen ihr Haupt
+Appius Claudius ist erklaerlich genug. Die Plebejer hatten damit das
+passive Wahlrecht zu dem hoechsten Gemeindeamt und das gemeine Landrecht
+errungen; und nicht sie waren es, die Ursache hatten, sich gegen die
+neue Magistratur aufzulehnen und mit Waffengewalt das rein patrizische
+Konsularregiment zu restaurieren. Dies Ziel kann nur von der Adelspartei
+verfolgt worden sein, und wenn die patrizisch- plebejischen Dezemvirn
+den Versuch gemacht haben, sich ueber die Zeit hinaus im Amte zu
+behaupten, so ist sicherlich dagegen in erster Reihe der Adel in die
+Schranken getreten; wobei er freilich nicht versaeumt haben wird geltend
+zu machen, dass ja auch der Plebs ihre verbrieften Rechte geschmaelert,
+insbesondere das Tribunat ihr genommen sei. Gelang es dann dem Adel,
+die Dezemvirn zu beseitigen, so ist es allerdings begreiflich, dass
+nach deren Sturz die Plebs jetzt abermals in Waffen zusammentrat, um
+die Ergebnisse sowohl der frueheren Revolution von 260 wie auch der
+juengsten Bewegung sich zu sichern; und nur als Kompromiss in diesem
+Konflikt lassen die Valerisch-Horatischen Gesetze von 305 (449) sich
+verstehen. Der Vergleich fiel wie natuerlich durchaus zu Gunsten der
+Plebejer aus und beschraenkte abermals in empfindlicher Weise die Gewalt
+des Adels. Dass das Volkstribunat wieder hergestellt, das dem Adel
+abgedrungene Stadtrecht definitiv festgehalten und die Konsuln danach
+zu richten verpflichtet wurden, versteht sich von selbst. Durch das
+Stadtrecht verloren allerdings die Tribus die angemasste Gerichtsbarkeit
+in Kapitalsachen; allein die Tribune erhielten sie zurueck, indem ein
+Weg gefunden ward, ihnen fuer solche Faelle die Verhandlung mit den
+Zenturien moeglich zu machen. Ueberdies blieb ihnen in dem Recht,
+auf Geldbussen unbeschraenkt zu erkennen und diesen Spruch an die
+Tribuskomitien zu bringen, ein ausreichendes Mittel, die buergerliche
+Existenz des patrizischen Gegners zu vernichten. Es ward ferner auf
+Antrag der Konsuln von den Zenturien beschlossen, dass kuenftig jeder
+Magistrat, also auch der Diktator bei seiner Ernennung verpflichtet
+werden solle, der Provokation stattzugeben; wer dem zuwider einen
+Beamten ernannte, buesste mit dem Kopfe. Im uebrigen behielt der
+Diktator die bisherige Gewalt und konnte namentlich der Tribun seine
+Amtshandlungen nicht wie die der Konsuln kassieren. Eine weitere
+Beschraenkung der konsularischen Machtfuelle war es, dass die
+Verwaltung der Kriegskasse zwei von der Gemeinde gewaehlten Zahlmeistern
+(quaestores) uebertragen ward, die zuerst fuer 307 (447) ernannt wurden.
+Die Ernennung sowohl der beiden neuen Zahlmeister fuer den Krieg wie
+auch der beiden die Stadtkasse verwaltenden ging jetzt ueber auf die
+Gemeinde; der Konsul behielt statt der Wahl nur die Wahlleitung.
+Die Versammlung, in der die Zahlmeister erwaehlt wurden, war die der
+saemtlichen patrizisch-plebejischen ansaessigen Leute und stimmte
+nach Quartieren ab; worin ebenfalls eine Konzession an die diese
+Versammlungen weit mehr als die Zenturiatkomitien beherrschende
+plebejische Bauernschaft liegt. Folgenreicher noch war es, dass den
+Tribunen Anteil an den Verhandlungen im Senat eingeraeumt ward. Zwar in
+den Sitzungssaal die Tribune zuzulassen, schien dem Senat unter seiner
+Wuerde; es wurde ihnen eine Bank an die Tuer gesetzt, um von da aus den
+Verhandlungen zu folgen. Das tribunizische Interzessionsrecht hatte sich
+auch auf die Beschluesse des Gesamtsenats erstreckt, seit dieser aus
+einer beratenden zu einer beschliessenden Behoerde geworden war,
+was wohl zuerst eintrat in dem Fall, wo ein Plebiszit fuer die ganze
+Gemeinde verbindend werden sollte; es war natuerlich, dass man seitdem
+den Tribunen eine gewisse Beteiligung an den Verhandlungen in der
+Kurie einraeumte. Um auch gegen Unterschiebung und Verfaelschung von
+Senatsbeschluessen gesichert zu sein, an deren Gueltigkeit ja die der
+wichtigsten Plebiszite geknuepft war, wurde verordnet, dass in Zukunft
+dieselben nicht bloss bei den patrizischen Stadtquaestoren im Saturnus-,
+sondern ebenfalls bei den plebejischen Aedilen im Cerestempel hinterlegt
+werden sollten. So endigte dieser Kampf, der begonnen war, um die Gewalt
+der Volkstribune zu beseitigen, mit der abermaligen und nun definitiven
+Sanktionierung ihres Rechts, sowohl einzelne Verwaltungsakte auf
+Anrufen des Beschwerten als auch jede Beschlussnahme der konstitutiven
+Staatsgewalten nach Ermessen zu kassieren. Mit den heiligsten Eiden und
+allem, was die Religion Ehrfuerchtiges darbot, und nicht minder mit den
+foermlichsten Gesetzen wurde abermals sowohl die Person der Tribune
+als die ununterbrochene Dauer und die Vollzaehligkeit des Kollegiums
+gesichert. Es ist seitdem nie wieder in Rom ein Versuch gemacht worden,
+diese Magistratur aufzuheben. 3. Kapitel Die Ausgleichung der Staende
+und die neue Aristokratie Die tribunizischen Bewegungen scheinen
+vorzugsweise aus den sozialen, nicht aus den politischen
+Missverhaeltnissen hervorgegangen zu sein und es ist guter Grund
+vorhanden zu der Annahme, dass ein Teil der vermoegenden, in den Senat
+aufgenommenen Plebejer denselben nicht minder entgegen war als die
+Patrizier; denn die Privilegien, gegen welche die Bewegung vorzugsweise
+sich richtete, kamen auch ihnen zugute, und wenn sie auch wieder in
+anderer Beziehung sich zurueckgesetzt fanden, so mochte es ihnen doch
+keineswegs an der Zeit scheinen, ihre Ansprueche auf Teilnahme an
+den Aemtern geltend zu machen, waehrend der ganze Senat in seiner
+finanziellen Sondermacht bedroht war. So erklaert es sich, dass waehrend
+der ersten fuenfzig Jahre der Republik kein Schritt geschah, der
+geradezu auf politische Ausgleichung der Staende hinzielte. Allein eine
+Buergschaft der Dauer trug dieses Buendnis der Patrizier und der reichen
+Plebejer doch keineswegs in sich. Ohne Zweifel hatte ein Teil der
+vornehmen plebejischen Familien von Haus aus der Bewegungspartei sich
+angeschlossen, teils aus Billigkeitsgefuehl gegen ihre Standesgenossen,
+teils infolge des natuerlichen Bundes aller Zurueckgesetzten, teils
+endlich, weil sie begriffen, dass Konzessionen an die Menge auf
+die Laenge unvermeidlich waren und dass sie, richtig benutzt, die
+Beseitigung der Sonderrechte des Patriziats zur Folge haben und damit
+der plebejischen Aristokratie das entscheidende Gewicht im Staate
+geben wuerden. Wenn diese Ueberzeugung, wie das nicht fehlen konnte, in
+weitere Kreise eindrang und die plebejische Aristokratie an der Spitze
+ihres Standes den Kampf gegen den Geschlechtsadel aufnahm, so hielt sie
+in dem Tribunat den Buergerkrieg gesetzlich in der Hand und konnte
+mit dem sozialen Notstand die Schlachten schlagen, um dem Adel die
+Friedensbedingungen zu diktieren und als Vermittler zwischen beiden
+Parteien fuer sich den Zutritt zu den Aemtern zu erzwingen. Ein solcher
+Wendepunkt in der Stellung der Parteien trat ein nach dem Sturz
+des Dezemvirats. Es war jetzt vollkommen klar geworden, dass das
+Volkstribunat sich nicht beseitigen liess; die plebejische Aristokratie
+konnte nichts Besseres tun, als sich dieses gewaltigen Hebels zu
+bemaechtigen und sich desselben zur Beseitigung der politischen
+Zuruecksetzung ihres Standes zu bedienen. Wie wehrlos der
+Geschlechtsadel der vereinigten Plebs gegenueberstand, zeigt nichts so
+augenscheinlich, als dass der Fundamentalsatz der exklusiven Partei,
+die Ungueltigkeit der Ehe zwischen Adligen und Buergerlichen, kaum vier
+Jahre nach der Dezemviralrevolution auf den ersten Streich fiel. Im
+Jahre 309 (445) wurde durch das Canuleische Plebiszit verordnet, dass
+die Ehe zwischen Adligen und Buergerlichen als eine rechte roemische
+gelten und die daraus erzeugten Kinder dem Stande des Vaters folgen
+sollten. Gleichzeitig wurde ferner durchgesetzt, dass statt der Konsuln
+Kriegstribune - es gab deren damals, vor der Teilung des Heeres
+in Legionen, sechs, und danach richtete sich auch die Zahl dieser
+Magistrate - mit konsularischer Gewalt ^1 und konsularischer Amtsdauer
+von den Zenturien gewaehlt werden sollten. Die naechste Ursache war
+militaerischer Art, indem die vielfachen Kriege eine groessere Zahl von
+obersten Feldherren forderten, als die Konsularverfassung sie gewaehrte;
+aber die Aenderung ist von wesentlicher Bedeutung fuer den Staendekampf
+geworden, ja vielleicht jener militaerische Zweck fuer diese Einrichtung
+mehr der Vorwand als der Grund gewesen. Zu Offizierstellen konnte nach
+altem Recht jeder dienstpflichtige Buerger oder Insasse gelangen, und
+es ward also damit das hoechste Amt, nachdem es voruebergehend schon
+im Dezemvirat den Plebejern geoeffnet worden war, jetzt in umfassender
+Weise saemtlichen freigewordenen Buergern gleichmaessig zugaenglich
+gemacht. Die Frage liegt nahe, welches Interesse der Adel dabei haben
+konnte, da er einmal auf den Alleinbesitz des hoechsten Amtes verzichten
+und in der Sache nachgeben musste, den Plebejern den Titel zu versagen
+und das Konsulat ihnen in dieser wunderlichen Form zuzugestehen ^2.
+Einmal aber knuepften sich an die Bekleidung des hoechsten Gemeindeamts
+mancherlei teils persoenliche, teils erbliche Ehrenrechte: so galt
+die Ehre des Triumphs als rechtlich bedingt durch die Bekleidung des
+hoechsten Gemeindeamts und wurde nie einem Offizier gegeben, der
+nicht dieses selbst verwaltet hatte; so stand es den Nachkommen eines
+kurulischen Beamten frei, das Bild eines solchen Ahnen im Familiensaal
+auf- und bei geeigneten Veranlassungen oeffentlich zur Schau zu stellen,
+waehrend dies fuer andere Vorfahren nicht statthaft war ^3. Es ist
+ebenso leicht zu erklaeren wie schwer zu rechtfertigen, dass der
+regierende Herrenstand weit eher das Regiment selbst als die daran
+geknuepften Ehrenrechte, namentlich die erblichen, sich entwinden
+liess und darum, als es jenes mit den Plebejern teilen musste, den
+tatsaechlich hoechsten Gemeindebeamten rechtlich nicht als Inhaber des
+kurulischen Sessels, sondern als einfachen Stabsoffizier hinstellte,
+dessen Auszeichnung eine rein persoenliche war. Von groesserer
+politischer Bedeutung aber als die Versagung des Ahnenrechts und der
+Ehre des Triumphs war es, dass die Ausschliessung der im Senat sitzenden
+Plebejer von der Debatte notwendig fuer diejenigen von ihnen fiel, die
+als designierte oder gewesene Konsuln in die Reihe der vor den uebrigen
+um ihr Gutachten zu fragenden Senatoren eintraten; insofern war es
+allerdings fuer den Adel von grosser Wichtigkeit, den Plebejer nur zu
+einem konsularischen Amt, nicht aber zum Konsulat selbst zuzulassen.
+--------------------------------------------- ^1 Die Annahme, dass
+rechtlich den patrizischen Konsulartribunen das volle, den plebejischen
+nur das militaerische Imperium zugestanden habe, ruft nicht bloss manche
+Fragen hervor, auf die es keine Antwort gibt, zum Beispiel, was denn
+geschah, wenn, wie dies gesetzlich moeglich war, die Wahl auf lauter
+Plebejer fiel, sondern verstoesst vor allem gegen den Fundamentalsatz
+des roemischen Staatsrechts, dass das Imperium, das heisst das Recht,
+dem Buerger im Namen der Gemeinde zu befehlen, qualitativ unteilbar und
+ueberhaupt keiner anderen als einer raeumlichen Abgrenzung faehig ist.
+Es gibt einen Stadtrechtsbezirk und einen Kriegsrechtsbezirk, in welchem
+letzteren die Provokation und andere stadtrechtliche Bestimmungen nicht
+massgebend sind; es gibt Beamte, wie zum Beispiel die Prokonsuln, welche
+lediglich in dem letzteren zu funktionieren vermoegen; aber es gibt im
+strengen Rechtssinn keine Beamten mit bloss jurisdiktionellem wie keine
+mit bloss militaerischem Imperium. Der Prokonsul ist in seinem Bezirk
+eben wie der Konsul zugleich Oberfeldherr und Oberrichter und befugt,
+nicht bloss unter Nichtbuergern und Soldaten, sondern auch unter
+Buergern den Prozess zu instruieren. Selbst als mit der Einsetzung der
+Praetur der Begriff der Kompetenz fuer die magistratus maiores aufkommt,
+hat er mehr tatsaechliche als eigentlich rechtliche Geltung: der
+staedtische Praetor ist zwar zunaechst Oberrichter, aber er kann auch
+wenigstens fuer gewisse Faelle die Zenturien berufen und kann ein Heer
+befehligen; dem Konsul kommt in der Stadt zunaechst die Oberverwaltung
+und der Oberbefehl zu, aber er fungiert doch auch bei Emanzipation und
+Adoption als Gerichtsherr - die qualitative Unteilbarkeit des hoechsten
+Amtes ist also selbst hier noch beiderseits mit grosser Schaerfe
+festgehalten. Es muss also die militaerische wie die jurisdiktionelle
+Amtsgewalt oder, um diese, dem roemischen Recht dieser Zeit fremden
+Abstraktionen beiseite zu lassen, die Amtsgewalt schlechthin den
+plebejischen Konsulartribunen virtuell so gut wie den patrizischen
+zugestanden haben. Aber wohl moegen, wie W. A. Becker (Handbuch, Bd. 2,
+2, S. 137) meint, aus denselben Gruenden, weshalb spaeterhin neben
+das gemeinschaftliche Konsulat die - tatsaechlich laengere Zeit den
+Patriziern vorbehaltene - Praetur gestellt ward, faktisch schon waehrend
+des Konsulartribunats die plebejischen Glieder des Kollegiums von
+der Jurisdiktion ferngehalten worden sein und insofern die spaetere
+Kompetenzteilung zwischen Konsuln und Praetoren mittels des
+Konsulartribunats sich vorbereitet haben. ^2 Die Verteidigung, dass der
+Adel an der Ausschliessung der Plebejer aus religioeser Befangenheit
+festgehalten habe, verkennt den Grundcharakter der roemischen Religion
+und traegt den modernen Gegensatz zwischen Kirche und Staat in das
+Altertum hinein. Die Zulassung des Nichtbuergers zu einer buergerlich
+religioesen Verrichtung musste freilich dem rechtglaeubigen Roemer
+als suendhaft erscheinen; aber nie hat auch der strengste Orthodoxe
+bezweifelt, dass durch die lediglich und allein vom Staat abhaengige
+Zulassung in die buergerliche Gemeinschaft auch die volle religioese
+Gleichheit herbeigefuehrt werde. All jene Gewissensskrupel, deren
+Ehrlichkeit an sich nicht beanstandet werden soll, waren abgeschnitten,
+sowie man den Plebejern in Masse rechtzeitig das Patriziat zugestand.
+Nur das etwa kann man zur Entschuldigung des Adels geltend machen, dass
+er, nachdem er bei Abschaffung des Koenigtums den rechten Augenblick
+hierzu versaeumt hatte, spaeter selber nicht mehr imstande war,
+das Versaeumte nachzuholen. ^3 Ob innerhalb des Patriziats die
+Unterscheidung dieser "kurulischen Haeuser" von den uebrigen Familien
+jemals von ernstlicher politischer Bedeutung gewesen ist, laesst
+sich weder mit Sicherheit verneinen noch mit Sicherheit bejahen, und
+ebensowenig wissen wir, ob es in dieser Epoche wirklich noch
+nicht kurulische Patrizierfamilien in einiger Anzahl gab.
+------------------------------------------------- Indes trotz dieser
+kraenkenden Zuruecksetzung waren doch die Geschlechterprivilegien,
+soweit sie politischen Wert hatten, durch die neue Institution
+gesetzlich beseitigt, und wenn der roemische Adel seines Namens wert
+gewesen waere, haette er jetzt den Kampf aufgeben muessen. Allein er hat
+es nicht getan. Wenn auch ein vernuenftiger und gesetzlicher Widerstand
+fortan unmoeglich war, so bot sich doch noch ein weites Feld fuer die
+tueckische Opposition der kleinen Mittel, der Schikanen und der Kniffe;
+und so wenig ehrenhaft und staatsklug dieser Widerstand war, so war er
+doch in einem gewissen Sinne erfolgreich. Er hat allerdings schliesslich
+dem gemeinen Mann Konzessionen verschafft, zu welchen die vereinigte
+roemische Aristokratie nicht leicht gezwungen worden waere; aber er
+hat es auch vermocht, den Buergerkrieg noch um ein Jahrhundert zu
+verlaengern und jenen Gesetzen zum Trotz das Regiment noch mehrere
+Menschenalter hindurch tatsaechlich im Sonderbesitz des Adels zu
+erhalten. Die Mittel, deren der Adel sich bediente, waren so mannigfach
+wie die politische Kuemmerlichkeit ueberhaupt. Statt die Frage ueber die
+Zulassung oder Ausschliessung der Buergerlichen bei den Wahlen ein fuer
+allemal zu entscheiden, raeumte man, was man einraeumen musste, nur fuer
+die jedesmal naechsten Wahlen ein; jaehrlich erneuerte sich also
+der eitle Kampf, ob patrizische Konsuln oder aus beiden Staenden
+Kriegstribune mit konsularischer Gewalt ernannt werden sollten, und
+unter den Waffen des Adels erwies sich diese, den Gegner durch Ermuedung
+und Langweile zu ueberwinden, keineswegs als die unwirksamste. Man
+zersplitterte ferner die bis dahin ungeteilte hoechste Geaalt, um die
+unvermeidliche Niederlage durch Vermehrung der Angriffspunkte in
+die Laenge zu ziehen. So wurde die der Regel nach jedes vierte
+Jahr stattfindende Feststellung des Budgets und der Buerger- und
+Steuerlisten, welche bisher durch die Konsuln bewirkt worden war, schon
+im Jahre 319 (435) zweien von den Zenturien aus dem Adel auf hoechstens
+achtzehn Monate ernannten Schaetzern (censores) uebertragen. Das neue
+Amt ward allmaehlich zum Palladium der Adelspartei, weniger noch wegen
+seines finanziellen Einflusses als wegen des daran sich knuepfenden
+Rechts, die erledigten Plaetze im Senat und in der Ritterschaft zu
+besetzen und bei der Feststellung der Listen von Senat, Ritter- und
+Buergerschaft einzelne Personen aus denselben zu entfernen; die hohe
+Bedeutung indes und die moralische Machtfuelle, welche spaeterhin der
+Zensur beiwohnt, hat sie in dieser Epoche noch keineswegs besessen.
+Dagegen die im Jahre 333 (421) hinsichtlich der Quaestur getroffene
+wichtige Aenderung glich diesen Erfolg der Adelspartei reichlich wieder
+aus. Die patrizisch-plebejische Quartierversammlung, vielleicht darauf
+sich stuetzend, dass wenigstens die beiden Kriegszahlmeister faktisch
+mehr Offiziere waren als Zivilbeamte und insofern der Plebejer so gut
+wie zum Militaertribunat auch zur Quaestur befaehigt erschien, setzte
+es durch, dass fuer die Quaestorenwahlen auch plebejische Bewerber
+zugelassen wurden und erwarb damit zum erstenmal zu dem aktiven
+Wahlrecht auch das passive fuer eines der ordentlichen Aemter. Mit Recht
+ward es auf der einen Seite als ein grosser Sieg, auf der anderen als
+eine schwere Niederlage empfunden, dass fortan zu dem Kriegs- wie zu
+dem Stadtzahlmeisteramt der Patrizier und der Plebejer aktiv und passiv
+gleich wahlfaehig waren. Trotz der hartnaeckigsten Gegenwehr schritt
+der Adel doch nur von Verlust zu Verlust; die Erbitterung stieg, wie
+die Macht sank. Er hat es wohl noch versucht, die der Gemeinde
+vertragsmaessig zugesicherten Rechte geradezu anzutasten; aber es
+waren diese Versuche weniger berechnete Parteimanoever als Akte einer
+impotenten Rachsucht. So namentlich der Prozess gegen Maelius, wie
+unsere allerdings wenig zuverlaessige Ueberlieferung ihn berichtet.
+Spurius Maelius, ein reicher Plebejer, verkaufte waehrend schwerer
+Teuerung (315 439) Getreide zu solchen Preisen, dass er den patrizischen
+Magazinvorsteher (praefectus annonae) Gaius Minucius beschaemte und
+kraenkte. Dieser beschuldigte ihn des Strebens nach der koeniglichen
+Gewalt; mit welchem Recht, koennen wir freilich nicht entscheiden,
+allein es ist kaum glaublich, dass ein Mann, der nicht einmal das
+Tribunat bekleidet hatte, ernstlich an die Tyrannis gedacht haben
+sollte. Indes die Behoerden nahmen die Sache ernsthaft, und auf die
+Menge Roms hat der Zeterruf des Koenigtums stets aehnliche Wirkung
+geuebt wie der Papstzeter auf die englischen Massen. Titus
+Quinctius Capitolinus, der zum sechstenmal Konsul war, ernannte
+den achtzigjaehrigen Lucius Quinctius Cincinnatus zum Diktator ohne
+Provokation, in offener Auflehnung gegen die beschworenen Gesetze.
+Maelius, vorgeladen, machte Miene, sich dem Befehl zu entziehen; da
+erschlug ihn der Reiterfuehrer des Diktators, Gaius Servilius Ahala, mit
+eigener Hand. Das Haus des Ermordeten ward niedergerissen, das Getreide
+aus seinen Speichern dem Volke umsonst verteilt, und die seinen Tod zu
+raechen drohten, heimlich ueber die Seite gebracht. Dieser schaendliche
+Justizmord, eine Schande mehr noch fuer das leichtglaeubige und blinde
+Volk als fuer die tueckische Junkerpartei, ging ungestraft hin; aber
+wenn diese gehofft hatte, damit das Provokationsrecht zu untergraben,
+so hatte sie umsonst die Gesetze verletzt und umsonst unschuldiges Blut
+vergossen. Wirksamer als alle uebrigen Mittel erwiesen sich dem Adel
+Wahlintrigen und Pfaffentrug. Wie arg jene gewesen sein muessen, zeigt
+am besten, dass es schon 322 (432) noetig schien, ein eigenes Gesetz
+gegen Wahlumtriebe zu erlassen, das natuerlich nichts half. Konnte man
+nicht durch Korruption oder Drohung auf die Stimmberechtigten wirken, so
+taten die Wahldirektoren das uebrige und liessen zum Beispiel so
+viele plebejische Kandidaten zu, dass die Stimmen der Opposition sich
+zersplitterten, oder liessen diejenigen von der Kandidatenliste weg,
+die die Majoritaet zu waehlen beabsichtigte. Ward trotz alledem eine
+unbequeme Wahl durchgesetzt, so wurden die Priester befragt, ob bei
+derselben nicht eine Nichtigkeit in der Voegelschau oder den sonstigen
+religioesen Zeremonien vorgekommen sei; welche diese alsdann zu
+entdecken nicht ermangelten. Unbekuemmert um die Folgen und uneingedenk
+des weisen Beispiels der Ahnen liess man den Satz sich feststellen,
+dass das Gutachten der priesterlichen Sachverstaendigenkollegien ueber
+Voegelzeichen, Wunder und aehnliche Dinge den Beamten von Rechts wegen
+binde, und es in ihre Macht kommen, jeden Staatsakt, sei es die Weihung
+eines Gotteshauses oder sonst eine Verwaltungshandlung, sei es Gesetz
+oder Wahl, wegen religioeser Nullitaeten zu kassieren. Auf diesem Wege
+wurde es moeglich, dass, obwohl die Waehlbarkeit der Plebejer schon im
+Jahre 333 (421) fuer die Quaestur gesetzlich festgestellt worden war und
+seitdem rechtlich anerkannt blieb, dennoch erst im Jahre 345 (409) der
+erste Plebejer zur Quaestur gelangte; aehnlich haben das konsularische
+Kriegstribunat bis zum Jahre 354 (400) fast ausschliesslich Patrizier
+bekleidet. Es zeigte sich, dass die gesetzliche Abschaffung der
+Adelsprivilegien noch keineswegs die plebejische Aristokratie wirklich
+und tatsaechlich dem Geschlechtsadel gleichgestellt hatte. Mancherlei
+Ursachen wirkten dabei zusammen: die zaehe Opposition des Adels liess
+sich weit leichter in einem aufgeregten Moment der Theorie nach ueber
+den Haufen werfen, als in den jaehrlich wiederkehrenden Wahlen dauernd
+niederhalten; die Hauptursache aber war die innere Uneinigkeit der
+Haeupter der plebejischen Aristokratie und der Masse der Bauernschaft.
+Der Mittelstand, dessen Stimmen in den Komitien entschieden, fand sich
+nicht berufen, die vornehmen Nichtadligen vorzugsweise auf den Schild
+zu heben, solange seine eigenen Forderungen von der plebejischen nicht
+minder wie von der patrizischen Aristokratie zurueckgewiesen wurden.
+Die sozialen Fragen hatten waehrend dieser politischen Kaempfe im ganzen
+geruht oder waren doch mit geringer Energie verhandelt worden. Seitdem
+die plebejische Aristokratie sich des Tribunats zu ihren Zwecken
+bemaechtigt hatte, war weder von der Domaenenangelegenheit noch von
+der Reform des Kreditwesens ernstlich die Rede gewesen; obwohl es weder
+fehlte an neugewonnenen Laendereien noch an verarmenden oder
+verarmten Bauern. Einzelne Assignationen, namentlich in neueroberten
+Grenzgebieten, erfolgten wohl, so des ardeatischen Gebiets 312 (442),
+des labicanischen 336 (418), des veientischen 361 (393), jedoch mehr aus
+militaerischen Gruenden, als um dem Bauer zu helfen, und keineswegs in
+ausreichenden Umfang. Wohl machten einzelne Tribune den Versuch, das
+Gesetz des Cassius wieder aufzunehmen: so stellten Spurius Maecilius
+und Spurius Metilius im Jahre 337 (417) den Antrag auf Aufteilung
+saemtlicher Staatslaendereien - allein sie scheiterten, was
+charakteristisch fuer die damalige Situation ist, an dem Widerstand
+ihrer eigenen Kollegen, das heisst der plebejischen Aristokratie. Auch
+unter den Patriziern versuchten einige, der gemeinen Not zu helfen;
+allein mit nicht besserem Erfolg als einst Spurius Cassius. Patrizier
+wie dieser, und wie dieser ausgezeichnet durch Kriegsruhm und
+persoenliche Tapferkeit, soll Marcus Manlius, der Retter der Burg
+waehrend der gallischen Belagerung, als Vorkaempfer aufgetreten sein
+fuer die unterdrueckten Leute, mit denen sowohl die Kriegskameradschaft
+ihn verband wie der bittere Hass gegen seinen Rivalen, den gefeierten
+Feldherrn und optimatischen Parteifuehrer Marcus Furius Camillus. Als
+ein tapferer Offizier ins Schuldgefaengnis abgefuehrt werden sollte,
+trat Manlius fuer ihn ein und loeste mit seinem Gelde ihn aus; zugleich
+bot er seine Grundstuecke zum Verkauf aus, laut erklaerend, dass,
+solange er noch einen Fussbreit Landes besitze, solche Unbill nicht
+vorkommen solle. Das war mehr als genug, um die ganze Regimentspartei,
+Patrizier wie Plebejer, gegen den gefaehrlichen Neuerer zu vereinigen.
+Der Hochverratsprozess, die Anschuldigung der beabsichtigten Erneuerung
+des Koenigtums, wirkte mit dem tueckischen Zauber stereotyp gewordener
+Parteiphrasen auf die blinde Menge; sie selbst verurteilte ihn zum Tode,
+und nichts trug sein Ruhm ihm ein, als dass man das Volk zum Blutgericht
+an einem Ort versammelte, von wo die Stimmenden den Burgfelsen nicht
+erblickten, den stummen Mahner an die Rettung des Vaterlandes aus der
+hoechsten Gefahr durch die Hand desselben Mannes, welchen man jetzt dem
+Henker ueberlieferte (370 384). Waehrend also die Reformversuche im Keim
+erstickt wurden, wurde das Missverstaendnis immer schreiender, indem
+einerseits infolge der gluecklichen Kriege die Domanialbesitzungen
+mehr und mehr sich ausdehnten, anderseits in der Bauernschaft die
+Ueberschuldung und Verarmung immer weiter um sich griff, namentlich
+infolge des schweren Veientischen Krieges (348-358 406-396) und der
+Einaescherung der Hauptstadt bei dem gallischen Ueberfall (364 390).
+Zwar als es indem Veientischen Kriege notwendig wurde, die Dienstzeit
+der Soldaten zu verlaengern und sie, statt wie bisher hoechstens nur den
+Sommer, auch den Winter hindurch unter den Waffen zu halten, und als
+die Bauernschaft, die vollstaendige Zerruettung ihrer oekonomischen Lage
+voraussehend, im Begriff war, ihre Einwilligung zu der Kriegserklaerung
+zu verweigern, entschloss sich der Senat zu einer wichtigen Konzession:
+er uebernahm den Sold, den bisher die Distrikte durch Umlage aufgebracht
+hatten, auf die Staatskasse, das heisst auf den Ertrag der indirekten
+Abgaben und der Domaenen (348 406). Nur fuer den Fall, dass die
+Staatskasse augenblicklich leer sei, wurde des Soldes wegen eine
+allgemeine Umlage (tributum) ausgeschrieben, die indes als gezwungene
+Anleihe betrachtet und von der Gemeinde spaeterhin zurueckgezahlt
+ward. Die Einrichtung war billig und weise; allein da das wesentliche
+Fundament, eine reelle Verwertung der Domaenen zum Besten der
+Staatskasse, ihr nicht gegeben ward, so kamen zu der vermehrten Last des
+Dienstes noch haeufige Umlagen hinzu, die den kleinen Mann darum nicht
+weniger ruinierten, dass sie offiziell nicht als Steuern, sondern
+als Vorschuesse betrachtet wurden. Unter solchen Umstaenden, wo die
+plebejische Aristokratie sich durch den Widerstand des Adels und
+die Gleichgueltigkeit der Gemeinde tatsaechlich von der politischen
+Gleichberechtigung ausgeschlossen sah und die leidende Bauernschaft der
+geschlossenen Aristokratie ohnmaechtig gegenueberstand, lag es nahe,
+beiden zu helfen durch ein Kompromiss. Zu diesem Ende brachten die
+Volkstribune Gaius Licinius und Lucius Sextius bei der Gemeinde
+Antraege dahin ein: einerseits mit Beseitigung des Konsulatribunats
+festzustellen, dass wenigstens der eine Konsul Plebejer sein muesse,
+und ferner den Plebejern den Zutritt zu dem einen der drei grossen
+Priesterkollegien, dem auf zehn Mitglieder zu vermehrenden der
+Orakelbewahrer (duoviri, spaeter decemviri sacris faciundis, 1, 191) zu
+eroeffnen; anderseits hinsichtlich der Domaenen keinen Buerger auf die
+Gemeinweide mehr als hundert Rinder und fuenfhundert Schafe auftreiben
+und keinen von dem zur Okkupation freigegebenen Domanialland mehr als
+fuenfhundert Iugera (= 494 preussische Morgen) in Besitz nehmen
+zu lassen, ferner die Gutsbesitzer zu verpflichten, unter ihren
+Feldarbeitern eine zu der Zahl der Ackersklaven im Verhaeltnis stehende
+Anzahl freier Arbeiter zu verwenden, endlich den Schuldnern durch Abzug
+der gezahlten Zinsen vom Kapital und Anordnung von Rueckzahlungsfristen
+Erleichterung zu verschaffen. Die Tendenz dieser Verfuegungen liegt
+auf der Hand. Sie sollten dem Adel den ausschliesslichen Besitz der
+kurulischen Aemter und der daran geknuepften erblichen Auszeichnungen
+der Nobilitaet entreissen, was man in bezeichnender Weise nur dadurch
+erreichen zu koennen meinte, dass man die Adligen von der zweiten
+Konsulstelle gesetzlich ausschloss. Sie sollten folgeweise die
+plebejischen Mitglieder des Senats aus der untergeordneten Stellung,
+in der sie als stumme Beisitzer sich befanden, insofern befreien, als
+wenigstens diejenigen von ihnen, die das Konsulat bekleidet hatten,
+damit ein Anrecht erwarben, mit den patrizischen Konsularen vor den
+uebrigen patrizischen Senatoren ihr Gutachten abzugeben. Sie sollten
+ferner dem Adel den ausschliesslichen Besitz der geistlichen Wuerden
+entziehen; wobei man aus naheliegenden Ursachen die altlatinischen
+Priestertuemer der Augurn und Pontifices den Altroemern liess, aber sie
+noetigte, das dritte, juengere und einem urspruenglich auslaendischen
+Kult angehoerige grosse Kollegium mit den Neubuergern zu teilen.
+Sie sollten endlich den geringen Leuten den Mitgenuss der gemeinen
+Buergernutzungen, den leidenden Schuldnern Erleichterung, den
+arbeitslosen Tageloehnern Beschaeftigung verschaffen. Beseitigung der
+Privilegien, buergerliche Gleichheit, soziale Reform - das waren die
+drei grossen Ideen, welche dadurch zur Anerkennung kommen sollten.
+Vergeblich boten die Patrizier gegen diese Gesetzvorschlaege ihre
+letzten Mittel auf; selbst die Diktatur und der alte Kriegsheld Camillus
+vermochten nur ihre Durchbringung zu verzoegern, nicht sie abzuwenden.
+Gern haette auch das Volk die Vorschlaege geteilt; was lag ihm am
+Konsulat und an dem Orakelbewahreramt, wenn nur die Schuldenlast
+erleichtert und das Gemeinland frei ward! Aber umsonst war die
+plebejische Nobilitaet nicht popular; sie fasste die Antraege in einen
+einzigen Gesetzvorschlag zusammen und nach lang-, angeblich elfjaehrigem
+Kampfe gab endlich der Senat seine Einwilligung und gingen sie im Jahre
+387 (367) durch. Mit der Wahl des ersten nicht patrizischen Konsuls
+- sie fiel auf den einen der Urheber dieser Reform, den gewesenen
+Volkstribunen Lucius Sextius Lateranus - hoerte der Geschlechtsadel
+tatsaechlich und rechtlich auf, zu den politischen Institutionen Roms zu
+zaehlen. Wenn nach dem endlichen Durchgang dieser Gesetze der bisherige
+Vorkaempfer der Geschlechter, Marcus Furius Camillus, am Fusse des
+Kapitols auf einer ueber der alten Malstatt der Buergerschaft, dem
+Comitium, erhoehten Flaeche, wo der Senat haeufig zusammenzutreten
+pflegte, ein Heiligtum der Eintracht stiftete, so gibt man gern dem
+Glauben sich hin, dass er in dieser vollendeten Tatsache den Abschluss
+des nur zu lange fortgesponnenen Haders erkannte. Die religioese Weihe
+der neuen Eintracht der Gemeinde war die letzte oeffentliche Handlung
+des alten Kriegs- und Staatsmannes und der wuerdige Beschluss seiner
+langen und ruhmvollen Laufbahn. Er hatte sich auch nicht ganz geirrt;
+der einsichtigere Teil der Geschlechter gab offenbar seitdem die
+politischen Sonderrechte verloren und war es zufrieden, das Regiment
+mit der plebejischen Aristokratie zu teilen. Indes in der Majoritaet der
+Patrizier verleugnete das unverbesserliche Junkertum sich nicht. Kraft
+des Privilegiums, welches die Vorfechter der Legitimitaet zu allen
+Zeiten in Anspruch genommen haben, den Gesetzen nur da zu gehorchen,
+wo sie mit ihren Parteiinteressen zusammenstimmen, erlaubten sich die
+roemischen Adligen noch verschiedene Male, in offener Verletzung der
+vorgetragenen Ordnung, zwei patrizische Konsuln ernennen zu lassen; wie
+indes, als Antwort auf eine derartige Wahl fuer das Jahr 411 (343),
+das Jahr darauf die Gemeinde foermlich beschloss, die Besetzung beider
+Konsulstellen mit Nichtpatriziern zu gestatten, verstand man die darin
+liegende Drohung und hat es wohl noch gewuenscht, aber nicht wieder
+gewagt, an die zweite Konsulstelle zu ruehren. Ebenso schnitt sich
+der Adel nur in das eigene Fleisch durch den Versuch, den er bei der
+Durchbringung der Licinischen Gesetze machte, mittels eines politischen
+Kipp- und Wippsystems wenigstens einige Truemmer der alten Vorrechte
+fuer sich zu bergen. Unter dem Vorwande, dass das Recht ausschliesslich
+dem Adel bekannt sei, ward von dem Konsulat, als dies den Plebejern
+eroeffnet werden musste, die Rechtspflege getrennt und dafuer ein
+eigener dritter Konsul, oder, wie er gewoehnlich heisst, ein Praetor
+bestellt. Ebenso kamen die Marktaufsicht und die damit verbundenen
+Polizeigerichte sowie die Ausrichtung des Stadtfestes an zwei neu
+ernannte Aedilen, die von ihrer staendigen Gerichtsbarkeit, zum
+Unterschied von den plebejischen, die Gerichtsstuhl-Aedilen (aediles
+curules) genannt wurden. Allein die kurulische Aedilitaet ward sofort
+den Plebejern in der Art zugaenglich, dass adlige und buergerliche
+Kurulaedilen Jahr um Jahr abwechselten. Im Jahre 398 (356) wurde ferner
+die Diktatur, wie schon das Jahr vor den Licinischen Gesetzen (386 368),
+das Reiterfuehreramt, im Jahre 403 (351) die Zensur, im Jahre 417 (337)
+die Praetur Plebejern uebertragen und um dieselbe Zeit (415 339) der
+Adel, wie es frueher in Hinsicht des Konsulats geschehen war, auch von
+der einen Zensorstelle gesetzlich ausgeschlossen. Es aenderte nichts,
+dass wohl noch einmal ein patrizischer Augur in der Wahl eines
+plebejischen Diktators (427 327) geheime, ungeweihten Augen verborgene
+Maengel fand und dass der patrizische Zensor seinem Kollegen bis zum
+Schlusse dieser Periode (474 280) nicht gestattete, das feierliche Opfer
+darzubringen, womit die Schatzung schloss; dergleichen Schikanen
+dienten lediglich dazu, die ueble Laune des Junkertums zu konstatieren.
+Ebensowenig aenderten etwa die Quengeleien, welche die patrizischen
+Vorsitzer des Senats nicht verfehlt haben werden, wegen der Teilnahme
+der Plebejer an der Debatte in demselben zu erheben; vielmehr stellte
+die Regel sich fest, dass nicht mehr die patrizischen Mitglieder,
+sondern die zu einem der drei hoechsten ordentlichen Aemter, Konsulat,
+Praetur und kurulischer Aedilitaet gelangten, in dieser Folge und ohne
+Unterschied des Standes zur Abgabe ihres Gutachtens aufzufordern seien,
+waehrend diejenigen Senatoren, die keines dieser Aemter bekleidet
+hatten, auch jetzt noch bloss an der Abmehrung teilnahmen. Das
+Recht endlich des Patriziersenats, einen Beschluss der Gemeinde als
+verfassungswidrig zu verwerfen, das derselbe auszuueben freilich wohl
+ohnehin selten gewagt haben mochte, ward ihm durch das Publilische
+Gesetz von 415 (339) und durch das nicht vor der Mitte des fuenften
+Jahrhunderts erlassene Maenische in der Art entzogen, dass er veranlasst
+ward, seine etwaigen konstitutionellen Bedenken bereits bei Aufstellung
+der Kandidatenliste oder Einbringung des Gesetzvorschlags geltend zu
+machen; was denn praktisch darauf hinauslief, dass er stets im voraus
+seine Zustimmung aussprach. In dieser Art als rein formales Recht ist
+die Bestaetigung der Volksschluesse dem Adel bis in die letzte Zeit
+der Republik geblieben. Laenger behaupteten begreiflicherweise die
+Geschlechter ihre religioesen Vorrechte; ja an manche derselben, die
+ohne politische Bedeutung waren, wie namentlich an ihre ausschliessliche
+Waehlbarkeit zu den drei hoechsten Flaminaten und dem sacerdotalen
+Koenigtum sowie in die Genossenschaften der Springer, hat man niemals
+geruehrt. Dagegen waren die beiden Kollegien der Pontifices und der
+Augurn, an welche ein bedeutender Einfluss auf die Gerichte und die
+Komitien sich knuepfte, zu wichtig, als dass diese Sonderbesitz der
+Patrizier haetten bleiben koennen; das Ogulnische Gesetz vom Jahre 454
+(300) eroeffnete denn auch in diese den Plebejern den Eintritt, indem
+es die Zahl der Pontifices und der Augurn beide von sechs auf neun
+vermehrte und in beiden Kollegien die Stellen zwischen Patriziern
+und Plebejern gleichmaessig teilte. Den letzten Abschluss des
+zweihundertjaehrigen Haders brachte das durch einen gefaehrlichen
+Volksaufstand hervorgerufene Gesetz des Diktators Q. Hortensius
+(465-468 289-286), das anstatt der frueheren bedingten die unbedingte
+Gleichstellung der Beschluesse der Gesamtgemeinde und derjenigen der
+Plebs aussprach. So hatten sich die Verhaeltnisse umgewandelt, dass
+derjenige Teil der Buergerschaft, der einst allein das Stimmrecht
+besessen hatte, seitdem bei der gewoehnlichen Form der fuer die gesamte
+Buergerschaft verbindlichen Abstimmungen nicht einmal mehr mitgefragt
+ward. Der Kampf zwischen den roemischen Geschlechtern und Gemeinen war
+damit im wesentlichen zu Ende. Wenn der Adel von seinen umfassenden
+Vorrechten noch den tatsaechlichen Besitz der einen Konsul- und der
+einen Zensorstelle bewahrte, so war er dagegen vom Tribunat, der
+plebejischen Aedilitaet, von der zweiten Konsul- und Zensorstelle
+und von der Teilnahme an den rechtlich den Buergerschaftsabstimmungen
+gleichstehenden Abstimmungen der Plebs gesetzlich ausgeschlossen; in
+gerechter Strafe seines verkehrten und eigensinnigen Widerstrebens
+hatten die ehemaligen patrizischen Vorrechte sich fuer ihn in ebenso
+viele Zuruecksetzungen verwandelt. Indes der roemische Geschlechtsadel
+ging natuerlich darum keineswegs unter, weil er zum leeren Namen
+geworden war. Je weniger der Adel bedeutete und vermochte, desto reiner
+und ausschliesslicher entwickelte sich der junkerhafte Geist. Die
+Hoffart der "Ramner" hat das letzte ihrer Standesprivilegien um
+Jahrhunderte ueberlebt; nachdem man standhaft gerungen hatte, "das
+Konsulat aus dem plebejischen Kote zu ziehen", und sich endlich
+widerwillig von der Unmoeglichkeit dieser Leistung hatte ueberzeugen
+muessen, trug man wenigstens schroff und verbissen sein Adeltum zur
+Schau. Man darf, um die Geschichte Roms im fuenften und sechsten
+Jahrhundert richtig zu verstehen, dies schmollende Junkertum nicht
+vergessen; es vermochte zwar nichts weiter als sich und andere zu
+aergern, aber dies hat es denn auch nach Vermoegen getan. Einige Jahre
+nach dem Ogulnischen Gesetz (458 296) kam ein bezeichnender Auftritt
+dieser Art vor: eine patrizische Frau, welche an einen vornehmen und
+zu den hoechsten Wuerden der Gemeinde gelangten Plebejer vermaehlt war,
+wurde dieser Missheirat wegen von dem adligen Damenkreise ausgestossen
+und zu der gemeinsamen Keuschheitsfeier nicht zugelassen; was denn
+zur Folge hatte, dass seitdem in Rom eine besondere adlige und eine
+besondere buergerliche Keuschheitsgoettin verehrt ward. Ohne Zweifel kam
+es auf Velleitaeten dieser Art sehr wenig an und hat auch der bessere
+Teil der Geschlechter sich dieser truebseligen Verdriesslichkeitspolitik
+durchaus enthalten; aber ein Gefuehl des Missbehagens liess sie doch
+auf beiden Seiten zurueck, und wenn der Kampf der Gemeinde gegen
+die Geschlechter an sich eine politische und selbst eine sittliche
+Notwendigkeit war, so haben dagegen diese lange nachzitternden
+Schwingungen desselben, sowohl die zwecklosen Nachhutgefechte nach der
+entschiedenen Schlacht als auch die leeren Rang- und Standeszaenkereien,
+das oeffentliche und private Leben der roemischen Gemeinde ohne Not
+durchkreuzt und zerruettet. Indes nichtsdestoweniger ward der eine Zweck
+des von den beiden Teilen der Plebs im Jahre 387 (367) geschlossenen
+Kompromisses, die Beseitigung des Patriziats, im wesentlichen
+vollstaendig erreicht. Es fragt sich weiter, inwiefern dies auch von den
+beiden positiven Tendenzen desselben gesagt werden kann und ob die
+neue Ordnung der Dinge in der Tat der sozialen Not gesteuert und die
+politische Gleichheit hergestellt hat. Beides hing eng miteinander
+zusammen; denn wenn die oekonomische Bedraengnis den Mittelstand
+aufzehrte und die Buergerschaft in eine Minderzahl von Reichen und ein
+notleidendes Proletariat aufloeste, so war die buergerliche Gleichheit
+damit zugleich vernichtet und das republikanische Gemeinwesen der Sache
+nach zerstoert. Die Erhaltung und Mehrung des Mittelstandes, namentlich
+der Bauernschaft, war darum fuer jeden patriotischen Staatsmann Roms
+nicht bloss eine wichtige, sondern von allen die wichtigste Aufgabe. Die
+neu zum Regiment berufenen Plebejer aber waren ueberdies noch, da sie
+zum guten Teil die gewonnenen Rechte dem notleidenden und von ihnen
+Hilfe erhoffenden Proletariat verdankten, politisch und sittlich
+besonders verpflichtet, demselben, soweit es ueberhaupt auf diesem
+Wege moeglich war, durch Regierungsmassregeln zu helfen. Betrachten wir
+zunaechst, inwiefern indem hierher gehoerenden Teil der Gesetzgebung von
+387 (367) eine ernstliche Abhilfe enthalten war. Dass die Bestimmung
+zu Gunsten der freien Tageloehner ihren Zweck: der Gross- und
+Sklavenwirtschaft zu steuern und den freien Proletariern wenigstens
+einen Teil der Arbeit zu sichern, unmoeglich erreichen konnte, leuchtet
+ein; aber hier konnte auch die Gesetzgebung nicht helfen, ohne an den
+Fundamenten der buergerlichen Ordnung jener Zeit in einer Weise zu
+ruetteln, die ueber den Horizont derselben weit hinausging. In der
+Domanialfrage dagegen waere es den Gesetzgebern moeglich gewesen, Wandel
+zu schaffen; aber was geschah, reichte dazu offenbar nicht aus. Indem
+die neue Domaenenordnung die Betreibung der gemeinen Weide mit schon
+sehr ansehnlichen Herden und die Okkupation des nicht zur Weide
+ausgelegten Domanialbesitzes bis zu einem hoch gegriffenen Maximalsatz
+gestattete, raeumte sie den Vermoegenden einen bedeutenden und
+vielleicht schon unverhaeltnismaessigen Voranteil an dem Domaenenertrag
+ein und verlieh durch die letztere Anordnung dem Domanialbesitz,
+obgleich er rechtlich zehntpflichtig und beliebig widerruflich blieb,
+sowie dem Okkupationssystem selbst gewissermassen eine gesetzliche
+Sanktion. Bedenklicher noch war es, dass die neue Gesetzgebung weder
+die bestehenden, offenbar ungenuegenden Anstalten zur Eintreibung des
+Hutgeldes und des Zehnten durch wirksamere Zwangsmassregeln ersetzte,
+noch eine durchgreifende Revision des Domanialbesitzes vorschrieb,
+noch eine mit der Ausfuehrung der neuen Gesetze beauftragte
+Behoerde einsetzte. Die Aufteilung des vorhandenen okkupierten
+Domaniallandesteils unter die Inhaber bis zu einem billigen Maximalsatz,
+teils unter die eigentumslosen Plebejer, beiden aber zu vollem Eigentum,
+die Abschaffung des Okkupationssystems fuer die Zukunft und die
+Niedersetzung einer zu sofortiger Aufteilung kuenftiger neuer
+Gebietserwerbungen befugten Behoerde waren durch die Verhaeltnisse so
+deutlich geboten, dass es gewiss nicht Mangel an Einsicht war, wenn
+diese durchgreifenden Massregeln unterblieben. Man kann nicht umhin,
+sich daran zu erinnern, dass die plebejische Aristokratie, also eben ein
+Teil der hinsichtlich der Domanialnutzungen tatsaechlich privilegierten
+Klasse es war, welche die neue Ordnung vorgeschlagen hatte, und dass
+einer ihrer Urheber selbst, Gaius Licinius Stolo, unter den ersten wegen
+Ueberschreitung des Ackermaximum Verurteilten sich befand; und nicht
+umhin, sich die Frage vorzulegen, ob die Gesetzgeber ganz ehrlich
+verfahren und nicht vielmehr der wahrhaft gemeinnuetzigen Loesung der
+leidigen Domanialfrage absichtlich aus dem Wege gegangen sind. Damit
+soll indes nicht in Abrede gestellt werden, dass die Bestimmungen der
+Licinischen Gesetze, wie sie nun waren, dem kleinen Bauern und dem
+Tageloehner wesentlich nuetzen konnten und genuetzt haben. Es muss
+ferner anerkannt werden, dass in der naechsten Zeit nach Erlassung des
+Gesetzes die Behoerden ueber die Maximalsaetze desselben wenigstens
+vergleichungsweise mit Strenge gewacht und die grossen Herdenbesitzer
+und die Domanialokkupanten oftmals zu schweren Bussen verurteilt haben.
+Auch im Steuer- und Kreditwesen wurde in dieser Epoche mit groesserer
+Energie als zu irgendeiner Zeit vor- oder nachher darauf hingearbeitet,
+soweit gesetzliche Massregeln reichten, die Schaeden der Volkswirtschaft
+zu heilen. Die im Jahre 397 (357) verordnete Abgabe von fuenf vom
+Hundert des Wertes der freizulassenden Sklaven war, abgesehen davon,
+dass sie der nicht wuenschenswerten Vermehrung der Freigelassenen
+einen Hemmschuh anlegte, die erste in der Tat auf die Reichen gelegte
+roemische Steuer. Ebenso suchte man dem Kreditwesen aufzuhelfen. Die
+Wuchergesetze, die schon die Zwoelf Tafeln aufgestellt hatten, wurden
+erneuert und allmaehlich geschaerft, sodass das Zinsmaximum sukzessiv
+von zehn (eingeschaerft im Jahre 397 357) auf fuenf vom Hundert (407
+347) fuer das zwoelfmonatliche Jahr ermaessigt und endlich (412 342)
+das Zinsnehmen ganz verboten ward. Das letztere toerichte Gesetz blieb
+formell in Kraft; vollzogen aber ward es natuerlich nicht, sondern
+der spaeter uebliche Zinsfuss von eins vom Hundert fuer den Monat
+oder zwoelf vom Hundert fuer das buergerliche Gemeinjahr, der nach den
+Geldverhaeltnissen des Altertums ungefaehr damals sein mochte, was nach
+den heutigen der Zinsfuss von fuenf oder sechs vom Hundert ist, wird
+wohl schon in dieser Zeit sich als das Maximum der angemessenen Zinsen
+festgestellt haben. Fuer hoehere Betraege wird die Einklagung versagt
+und vielleicht auch die gerichtliche Rueckforderung gestattet worden
+sein; ueberdies wurden notorische Wucherer nicht selten vor das
+Volksgericht gezogen und von den Quartieren bereitwillig zu schweren
+Bussen verurteilt. Wichtiger noch war die Aenderung des Schuldprozesses
+durch das Poetelische Gesetz (428 oder 441 326 oder 313); es ward
+dadurch teils jedem Schuldner, der seine Zahlungsfaehigkeit eidlich
+erhaertete, gestattet, durch Abtretung seines Vermoegens seine
+persoenliche Freiheit sich zu retten, teils das bisherige kurze
+Exekutivverfahren bei der Darlehensschuld abgeschafft und festgestellt,
+dass kein roemischer Buerger anders als auf den Spruch von Geschworenen
+hin in die Knechtschaft abgefuehrt werden koenne. Dass alle diese Mittel
+die bestehenden oekonomischen Missverhaeltnisse wohl hie und da lindern,
+aber nicht beseitigen konnten, leuchtet ein; den fortdauernden Notstand
+zeigt die Niedersetzung einer Bankkommission zur Regulierung der
+Kreditverhaeltnisse und zur Leistung von Vorschuessen aus der
+Staatskasse im Jahre 402 (352), die Anordnung gesetzlicher
+Terminzahlungen im Jahre 407 (347) und vor allen Dingen der gefaehrliche
+Volksaufstand um das Jahr 467 (287), wo das Volk, nachdem es neue
+Erleichterungen in der Schuldzahlung nicht hatte erreichen koennen,
+hinaus auf das Ianiculum zog und erst ein rechtzeitiger Angriff der
+aeusseren Feinde und die in dem Hortensischen Gesetz enthaltenen
+Zugestaendnisse der Gemeinde den Frieden wiedergaben. Indes ist es
+sehr ungerecht, wenn man jenen ernstlichen Versuchen, der Verarmung
+des Mittelstandes zu steuern, ihre Unzulaenglichkeit entgegenhaelt; die
+Anwendung partialer und palliativer Mittel gegen radikale Leiden fuer
+nutzlos zu erklaeren, weil sie nur zum Teil helfen, ist zwar eines der
+Evangelien, das der Einfalt von der Niedertraechtigkeit nie ohne Erfolg
+gepredigt wird, aber darum nicht minder unverstaendig. Eher liesse sich
+umgekehrt fragen, ob nicht die schlechte Demagogie sich damals
+schon dieser Angelegenheit bemaechtigt gehabt und ob es wirklich so
+gewaltsamer und gefaehrlicher Mittel bedurft habe, wie zum Beispiel die
+Kuerzung der gezahlten Zinsen am Kapital ist. Unsere Akten reichen nicht
+aus, um hier ueber Recht und Unrecht zu entscheiden; allein klar genug
+erkennen wir, dass der ansaessige Mittelstand immer noch in einer
+bedrohten und bedenklichen oekonomischen Lage sich befand, dass man von
+oben herab vielfach, aber natuerlich vergeblich sich bemuehte, ihm
+durch Prohibitivgesetze und Moratorien zu helfen, dass aber das
+aristokratische Regiment fortdauernd gegen seine eigenen Glieder zu
+schwach und zu sehr in egoistischen Standesinteressen befangen war, um
+durch das einzige wirksame Mittel, das der Regierung zu Gebote stand,
+durch die voellige und rueckhaltlose Beseitigung des Okkupationssystems
+der Staatslaendereien, dem Mittelstande aufzuhelfen und vor allen Dingen
+die Regierung von dem Vorwurf zu befreien, dass sie die gedrueckte
+Lage der Regierten zu ihrem eigenen Vorteil ausbeute. Eine wirksamere
+Abhilfe, als die Regierung sie gewaehren wollte oder konnte, brachten
+den Mittelklassen die politischen Erfolge der roemischen Gemeinde und
+die allmaehlich sich befestigende Herrschaft der Roemer ueber Italien.
+Die vielen und grossen Kolonien, die zu deren Sicherung gegruendet
+werden mussten und von denen die Hauptmasse im fuenften Jahrhundert
+ausgefuehrt wurde, verschafften dem ackerbauenden Proletariat
+teils eigene Bauernstellen, teils durch den Abfluss auch den
+Zurueckgebliebenen Erleichterung daheim. Die Zunahme der indirekten
+und ausserordentlichen Einnahmen, ueberhaupt die glaenzende Lage der
+roemischen Finanzen fuehrte nur selten noch die Notwendigkeit herbei,
+von der Bauernschaft in Form der gezwungenen Anleihe Kontribution zu
+erheben. War auch der ehemalige Kleinbesitz wahrscheinlich unrettbar
+verloren, so musste der steigende Durchschnittssatz des roemischen
+Wohlstandes die bisherigen groesseren Grundbesitzer in Bauern
+verwandeln und auch insofern dem Mittelstand neue Glieder zufuehren.
+Die Okkupationen der Vornehmen warfen sich vorwiegend auf die grossen
+neugewonnenen Landstriche; die Reichtuemer, die durch den Krieg und
+den Verkehr massenhaft nach Rom stroemten, muessen den Zinsfuss
+herabgedrueckt haben; die steigende Bevoelkerung der Hauptstadt kam
+dem Ackerbauer in ganz Latium zugute; ein weises Inkorporationssystem
+vereinigte eine Anzahl angrenzender, frueher untertaeniger Gemeinden
+mit der roemischen und verstaerkte dadurch namentlich den Mittelstand;
+endlich brachten die herrlichen Siege und die gewaltigen Erfolge die
+Faktionen zum Schweigen, und wenn der Notstand der Bauernschaft auch
+keineswegs beseitigt, noch weniger seine Quellen verstopft wurden,
+so leidet es doch keinen Zweifel, dass am Schlusse dieser Periode der
+roemische Mittelstand im ganzen in einer weit minder gedrueckten Lage
+sich befand als in dem ersten Jahrhundert nach Vertreibung der Koenige.
+Endlich, die buergerliche Gleichheit ward durch die Reform vom Jahre
+387 (367) und deren weitere folgerichtige Entwicklung in gewissem Sinne
+allerdings erreicht oder vielmehr wieder hergestellt. Wie einst, als
+die Patrizier noch in der Tat die Buergerschaft ausmachten, sie
+untereinander an Rechten und Pflichten unbedingt gleichgestanden hatten,
+so gab es jetzt wieder in der erweiterten Buergerschaft dem Gesetze
+gegenueber keinen willkuerlichen Unterschied. Diejenigen Abstufungen
+freilich, welche die Verschiedenheiten in Alter, Einsicht, Bildung
+und Vermoegen in der buergerlichen Gesellschaft mit Notwendigkeit
+hervorrufen, beherrschten natuerlicherweise auch das Gemeindeleben;
+allein der Geist der Buergerschaft und die Politik der Regierung wirkten
+gleichmaessig dahin, diese Scheidung moeglichst wenig hervortreten
+zu lassen. Das ganze roemische Wesen lief darauf hinaus, die Buerger
+durchschnittlich zu tuechtigen Maennern heranzubilden, geniale Naturen
+aber nicht emporkommen zu lassen. Der Bildungsstand der Roemer hielt
+mit der Machtentwicklung ihrer Gemeinde durchaus nicht Schritt und ward
+instinktmaessig von oben herab mehr zurueckgehalten als gefoerdert. Dass
+es Reiche und Arme gab, liess sich nicht verhindern; aber wie in einer
+rechten Bauerngemeinde fuehrte der Bauer wie der Tageloehner selber
+den Pflug und galt auch fuer den Reichen die gut wirtschaftliche Regel,
+gleichmaessig sparsam zu leben und vor allem kein totes Kapital bei
+sich hinzulegen - ausser dem Salzfass und dem Opferschaelchen sah man
+Silbergeraet in dieser Zeit in keinem roemischen Hause. Es war das
+nichts Kleines. Man spuert es an den gewaltigen Erfolgen, welche die
+roemische Gemeinde in dem Jahrhundert vom letzten Veientischen bis auf
+den Pyrrhischen Krieg nach aussen hin errang, dass hier das Junkertum
+der Bauernschaft Platz gemacht hatte, dass der Fall des hochadligen
+Fabiers nicht mehr und nicht weniger von der ganzen Gemeinde betrauert
+worden waere als der Fall des plebejischen Deciers von Plebejern und
+Patriziern betrauert ward, dass auch dem reichsten Junker das Konsulat
+nicht von selber zufiel und ein armer Bauersmann aus der Sabina, Manius
+Curius, den Koenig Pyrrhos in der Feldschlacht ueberwinden und aus
+Italien verjagen konnte, ohne darum aufzuhoeren, einfacher sabinischer
+Stellbesitzer zu sein und sein Brotkorn selber zu bauen. Indes darf es
+ueber dieser imponierenden republikanischen Gleichheit nicht uebersehen
+werden, dass dieselbe zum guten Teil nur formaler Art war und aus
+derselben eine sehr entschieden ausgepraegte Aristokratie nicht so
+sehr hervorging als vielmehr darin von vornherein enthalten war. Schon
+laengst hatten die reichen und angesehenen nichtpatrizischen Familien
+von der Menge sich ausgeschieden und im Mitgenuss der senatorischen
+Rechte, in der Verfolgung einer, von der der Menge unterschiedenen
+und sehr oft ihr entgegenwirkenden Politik sich mit dem Patriziat
+verbuendet. Die Licinischen Gesetze hoben die gesetzlichen Unterschiede
+innerhalb der Aristokratie auf und verwandelten die den gemeinen Mann
+vom Regiment ausschliessende Schranke aus einem unabaenderlichen Rechts-
+in ein nicht unuebersteigliches, aber doch schwer zu uebersteigendes
+tatsaechliches Hindernis. Auf dem einen wie dem anderen Wege kam
+frisches Blut in den roemischen Herrenstand; aber an sich blieb nach
+wie vor das Regiment aristokratisch und auch in dieser Hinsicht die
+roemische eine rechte Bauerngemeinde, in welcher der reiche Vollhufener
+zwar aeusserlich von dem armen Insten sich wenig unterscheidet und
+auf gleich und gleich mit ihm verkehrt, aber nichtsdestoweniger die
+Aristokratie so allmaechtig regiert, dass der Unbemittelte weit eher
+in der Stadt Buergermeister als in seinem Dorfe Schulze wird. Es war
+wichtig und segensreich, dass nach der neuen Gesetzgebung auch der
+aermste Buerger das hoechste Gemeindeamt bekleiden durfte; aber darum
+war es nichtsdestoweniger nicht bloss eine seltene Ausnahme, dass
+ein Mann aus den unteren Schichten der Bevoelkerung dazu gelangte
+^4, sondern es war wenigstens gegen den Schluss dieser Periode
+wahrscheinlich schon nur moeglich mittels einer Oppositionswahl.
+Jedem aristokratischen Regiment tritt von selber eine entsprechende
+Oppositionspartei gegenueber; und da auch die formelle Gleichstellung
+der Staende die Aristokratie nur modifizierte und der neue Herrenstand
+das alte Patriziat nicht bloss beerbte, sondern sich auf denselben
+pfropfte und aufs innigste mit ihm zusammenwuchs, so blieb auch die
+Opposition bestehen und tat in allen und jeden Stuecken das gleiche.
+Da die Zuruecksetzung jetzt nicht mehr die Buergerlichen, sondern den
+gemeinen Mann traf, so trat die neue Opposition von vornherein auf als
+Vertreterin der geringen Leute und namentlich der kleinen Bauern; und
+wie die neue Aristokratie sich an das Patriziat anschloss, so schlangen
+sich die ersten Regungen dieser neuen Opposition mit den letzten
+Kaempfen gegen die Patrizierprivilegien zusammen. Die ersten Namen
+in der Reihe dieser neuen roemischen Volksfuehrer sind Manius Curius
+(Konsul 464, 479, 480, 290 275, 274; Zensor 481 273) und Gaius Fabricius
+(Konsul 472, 476, 481, 282, 278, 273; Zensor 479 275), beide ahnenlose
+und nichtwohlhabende Maenner, beide - gegen das aristokratische Prinzip,
+die Wiederwahl zu dem hoechsten Gemeindeamt zu beschraenken - jeder
+dreimal durch die Stimmen der Buergerschaft an die Spitze der Gemeinde
+gerufen, beide als Tribune, Konsuln und Zensoren Gegner der patrizischen
+Privilegien und Vertreter des kleinen Bauernstandes gegen die
+aufkeimende Hoffart der vornehmen Haeuser. Die kuenftigen Parteien
+zeichnen schon sich vor; aber noch schweigt auf beiden Seiten vor dem
+Interesse des Gemeinwohls das der Partei. Der adlige Appius Claudius und
+der Bauer Manius Curius, dazu noch heftige persoenliche Gegner,
+haben durch klugen Rat und kraeftige Tat den Koenig Pyrrhos gemeinsam
+ueberwunden; und wenn Gaius Fabricius den aristokratisch gesinnten und
+aristokratisch lebenden Publius Cornelius Rufinus als Zensor deswegen
+bestrafte, so hielt ihn dies nicht ab, demselben seiner anerkannten
+Feldherrntuechtigkeit wegen zum zweiten Konsulat zu verhelfen. Der Riss
+war wohl schon da; aber noch reichten die Gegner sich ueber ihm die
+Haende. ------------------------------------------- ^4 Die Armut der
+Konsulare dieser Epoche, welche in den moralischen Anekdotenbuechern
+der spaeteren Zeit eine grosse Rolle spielt, beruht grossenteils auf
+Missverstaendnis teils des alten sparsamen Wirtschaftens, welches sich
+recht gut mit ansehnlichem Wohlstand vertraegt, teils der alten
+schoenen Sitte, verdiente Maenner aus dem Ertrag von Pfennigkollekten
+zu bestatten, was durchaus keine Armenbeerdigung ist. Auch die
+autoschediastische Beinamenerklaerung, die so viel Plattheiten in die
+roemische Geschichte gebracht hat, hat hierzu ihren Beitrag geliefert
+(Serranus). ------------------------------------------ Die Beendigung
+der Kaempfe zwischen Alt- und Neubuergern, die verschiedenartigen und
+verhaeltnismaessig erfolgreichen Versuche, dem Mittelstande aufzuhelfen,
+die inmitten der neugewonnenen buergerlichen Gleichheit bereits
+hervortretenden Anfaenge der Bildung einer neuen aristokratischen und
+einer neuen demokratischen Partei sind also dargestellt worden. Es
+bleibt noch uebrig zu schildern, wie unter diesen Veraenderungen
+das neue Regiment sich konstituierte, und wie nach der politischen
+Beseitigung der Adelschaft die drei Elemente des republikanischen
+Gemeinwesens, Buergerschaft, Magistratur und Senat, gegeneinander sich
+stellten. Die Buergerschaft in ihren ordentlichen Versammlungen blieb
+nach wie vor die hoechste Autoritaet im Gemeinwesen und der legale
+Souveraen; nur wurde gesetzlich festgestellt, dass, abgesehen von den
+ein fuer allemal den Zenturien ueberwiesenen Entscheidungen, namentlich
+den Wahlen der Konsuln und Zensoren, die Abstimmung nach Distrikten
+ebenso gueltig sein solle wie die nach Zenturien, was fuer die
+patrizisch-plebejische Versammlung das Valerisch-Horatische Gesetz von
+305 (449) einfuehrte und das Publilische von 415 (339) erweiterte, fuer
+die plebejische Sonderversammlung aber das Hortensische um 467 (287)
+verordnete. Dass im ganzen dieselben Individuen in beiden Versammlungen
+stimmberechtigt waren, ist schon hervorgehoben worden, aber auch,
+dass, abgesehen von dem Ausschluss der Patrizier von der plebejischen
+Sonderversammlung, auch in der allgemeinen Distriktsversammlung
+alle Stimmberechtigten durchgaengig sich gleichstanden, in den
+Zenturiatkomitien aber die Wirksamkeit des Stimmrechts nach dem
+Vermoegen des Stimmenden sich abstufte, also insofern allerdings die
+erstere eine nivellierende und demokratische Neuerung war. Von weit
+groesserer Bedeutung war es, dass gegen das Ende dieser Periode die
+uralte Bedingung des Stimmrechts, die Ansaessigkeit, zum erstenmal in
+Frage gestellt zu werden anfing. Appius Claudius, der kuehnste Neuerer,
+den die roemische Geschichte kennt, legte in seiner Zensur 442 (312),
+ohne den Senat oder das Volk zu fragen, die Buergerliste so an, dass der
+nicht grundsaessige Mann in die ihm beliebige Tribus und alsdann nach
+seinem Vermoegen in die entsprechende Zenturie aufgenommen ward. Allein
+diese Aenderung griff zu sehr dem Geiste der Zeit vor, um vollstaendig
+Bestand zu haben. Einer der naechsten Nachfolger des Appius, der
+beruehmte Besieger der Samniten, Quintus Fabius Rullianus, uebernahm es
+in seiner Zensur 450 (304) sie zwar nicht ganz zu beseitigen, aber
+doch in solche Grenzen einzuschliessen, dass den Grundsaessigen und
+Vermoegenden effektiv die Herrschaft in den Buergerversammlungen
+blieb. Es wies die nicht grundsaessigen Leute saemtlich in die vier
+staedtischen Tribus, die jetzt aus den ersten im Range die letzten
+wurden. Die Landquartiere dagegen, deren Zahl zwischen den Jahren 367
+(241) und 513 (387) allmaehlich von siebzehn bis auf einunddreissig
+stieg, also die von Haus aus bei weitem ueberwiegende und immer mehr
+das Uebergewicht erhaltende Majoritaet der Stimmabteilungen, wurden
+den saemtlichen ansaessigen Buergern gesetzlich vorbehalten. In
+den Zenturien blieb es bei der Gleichstellung der ansaessigen und
+nichtansaessigen Buerger, wie Appius sie eingefuehrt hatte. Auf diese
+Weise ward dafuer gesorgt, dass in den Tributkomitien die Ansaessigen
+ueberwogen, waehrend fuer die Zenturiatkomitien an sich schon die
+Vermoegenden den Ausschlag gaben. Durch diese weise und gemaessigte
+Festsetzung eines Mannes, der seiner Kriegstaten wegen wie mehr noch
+wegen dieser seiner Friedenstat mit Recht den Beinamen des Grossen
+(Maximus) erhielt, ward einerseits die Wehrpflicht wie billig auch
+auf die nicht ansaessigen Buerger erstreckt, anderseits dafuer Sorge
+getragen, dass in der Distriktversammlung ihrem Einfluss, insbesondere
+dem der meistenteils des Grundbesitzes entbehrenden gewesenen Sklaven,
+derjenige Riegel vorgeschoben ward, welcher in einem Staat, der
+Sklaverei zulaesst, ein leider unerlaessliches Beduerfnis ist. Ein
+eigentuemliches Sittengericht, das allmaehlich an die Schatzung und die
+Aufnahme der Buergerliste sich anknuepfte, schloss ueberdies aus der
+Buergerschaft alle notorisch unwuerdigen Individuen aus und wahrte dem
+Buergertum die sittliche und politische Reinheit. Die Kompetenz der
+Komitien zeigt die Tendenz, sich mehr und mehr, aber sehr allmaehlich
+zu erweitern. Schon die Vermehrung der vom Volk zu waehlenden Magistrate
+gehoert gewissermassen hierher; bezeichnend ist es besonders, dass seit
+392 (362) die Kriegstribune einer Legion, seit 443 (311) je vier in
+jeder der vier ersten Legionen, nicht mehr vom Feldherrn, sondern von
+der Buergerschaft ernannt wurden. In die Administration griff waehrend
+dieser Periode die Buergerschaft im ganzen nicht ein; nur das Recht der
+Kriegserklaerung wurde von ihr, wie billig, mit Nachdruck festgehalten
+und namentlich auch fuer den Fall festgestellt, wo ein an Friedens
+Statt abgeschlossener laengerer Waffenstillstand ablief und zwar nicht
+rechtlich, aber tatsaechlich ein neuer Krieg begann (327 427). Sonst
+ward eine Verwaltungsfrage fast nur dann dem Volke vorgelegt, wenn
+die regierenden Behoerden unter sich in Kollision gerieten und eine
+derselben die Sache an das Volk brachte - so, als den Fuehrern der
+gemaessigten Partei unter dem Adel, Lucius Valerius und Marcus Horatius,
+im Jahre 305 (449) und dem ersten plebejischen Diktator Gaius Marcus
+Rutilus im Jahre 398 (356) vom Senat die verdienten Triumphe nicht
+zugestanden wurden; als die Konsuln des Jahres 459 (295) ueber ihre
+gegenseitige Kompetenz nicht untereinander sich einigen konnten; und als
+der Senat im Jahre 364 (390) die Auslieferung eines pflichtvergessenen
+Gesandten an die Gallier beschloss und ein Konsulartribun deswegen
+an die Gemeinde sich wandte - es war dies der erste Fall, wo ein
+Senatsbeschluss vom Volke kassiert ward, und schwer hat ihn die Gemeinde
+gebuesst. Zuweilen gab auch die Regierung in schwierigen Fragen dem Volk
+die Entscheidung anheim: so zuerst, als Caere, nachdem ihm das Volk den
+Krieg erklaert hatte, ehe dieser wirklich begann, um Frieden bat (401
+353); und spaeter, als der Senat den demuetig von den Samniten erbetenen
+Frieden ohne weiteres abzuschlagen Bedenken trug (436 318). Erst gegen
+das Ende dieser Periode finden wir ein bedeutend erweitertes Eingreifen
+der Distriktversammlung auch in Verwaltungsangelegenheiten, namentlich
+Befragung derselben bei Friedensschluessen und Buendnissen; es ist
+wahrscheinlich, dass diese zurueckgeht auf das Hortensische Gesetz
+von 467 (287). Indes trotz dieser Erweiterungen der Kompetenz der
+Buergerversammlungen begann der praktische Einfluss derselben auf die
+Staatsangelegenheiten vielmehr, namentlich gegen das Ende dieser Epoche,
+zu schwinden. Vor allem die Ausdehnung der roemischen Grenzen entzog
+der Urversammlung ihren richtigen Boden. Als Versammlung der
+Gemeindesaessigen konnte sie frueher recht wohl in genuegender
+Vollzaehligkeit sich zusammenfinden und recht wohl missen, was sie
+wollte, auch ohne zu diskutieren; aber die roemische Buergerschaft war
+jetzt schon weniger Gemeinde als Staat. Dass die zusammen Wohnenden auch
+miteinander stimmten, brachte allerdings in die roemischen Komitien,
+wenigstens, wenn nach Quartieren gestimmt ward, einen gewissen
+inneren Zusammenhang und in die Abstimmung hier und da Energie und
+Selbstaendigkeit; in der Regel aber waren doch die Komitien in ihrer
+Zusammensetzung wie in ihrer Entscheidung teils von der Persoenlichkeit
+des Vorsitzenden und vom Zufall abhaengig, teils den in der Hauptstadt
+domizilierten Buergern in die Haende gegeben. Es ist daher vollkommen
+erklaerlich, dass die. Buergerversammlungen, die in den beiden ersten
+Jahrhunderten. der Republik eine grosse und praktische Wichtigkeit
+haben, allmaehlich beginnen, ein reines Werkzeug in der Hand des
+vorsitzenden Beamten zu werden; freilich ein sehr gefaehrliches, da der
+zum Vorsitz berufenen Beamten so viele waren und jeder Beschluss der
+Gemeinde galt als der legale Ausdruck des Volkswillens in letzter
+Instanz. An der Erweiterung aber der verfassungsmaessigen Rechte der
+Buergerschaft war insofern nicht viel gelegen, als diese weniger als
+frueher eines eigenen Wollens und Handelns faehig war, und als es eine
+eigentliche Demagogie in Rom noch nicht gab - haette eine solche
+damals bestanden, so wuerde sie versucht haben, nicht die Kompetenz
+der Buergerschaft zu erweitern, sondern die politische Debatte vor der
+Buergerschaft zu entfesseln, waehrend es doch bei den alten Satzungen,
+dass nur der Magistrat die Buerger zur Versammlung zu berufen und dass
+er jede Debatte und jede Amendementsstellung auszuschliessen befugt sei,
+unveraendert sein Bewenden hatte. Zur Zeit machte sich diese beginnende
+Zerruettung der Verfassung hauptsaechlich nur insofern geltend, als die
+Urversammlungen sich wesentlich passiv verhielten und im ganzen in das
+Regiment weder foerdernd noch stoerend eingriffen. Was die Beamtengewalt
+anlangt, so war deren Schmaelerung nicht gerade das Ziel der zwischen
+Alt- und Neubuergern gefuehrten Kaempfe, wohl aber eine ihrer
+wichtigsten Folgen. Bei dem Beginn der staendischen Kaempfe, das heisst
+des Streites um den Besitz der konsularischen Gewalt, war das Konsulat
+noch die einige und unteilbare wesentliche koenigliche Amtsgewalt
+gewesen und hatte der Konsul wie ehemals der Koenig noch alle
+Unterbeamten nach eigener freier Wahl bestellt; an Ende desselben waren
+die wichtigsten Befugnisse: Gerichtsbarkeit, Strassenpolizei, Senatoren-
+und Ritterwahl, Schatzung und Kassenverwaltung von dem Konsulat getrennt
+und an Beamte uebergegangen, die gleich dem Konsul von der Gemeinde
+ernannt wurden und weit mehr neben als unter ihm standen. Das Konsulat,
+sonst das einzige ordentliche Gemeindeamt, war jetzt nicht mehr
+einmal unbedingt das erste: in der neu sich feststellenden Rang- und
+gewoehnlichen Reihenfolge der Gemeindeaemter stand das Konsulat
+zwar ueber Praetur, Aedilitaet und Quaestur, aber unter dem
+Einschaetzungsamt, an das ausser den wichtigsten finanziellen
+Geschaeften die Feststellung der Buerger-, Ritter- und Senatorenliste
+und damit eine durchaus willkuerliche sittliche Kontrolle ueber die
+gesamte Gemeinde und jeden einzelnen, geringsten wie vornehmsten Buerger
+gekommen war. Der dem urspruenglichen roemischen Staatsrecht mit dem
+Begriff des Oberamts unvereinbar erscheinende Begriff der begrenzten
+Beamtengewalt oder der Kompetenz brach allmaehlich sich Bahn und
+zerfetzte und zerstoerte den aelteren des einen und unteilbaren
+Imperium. Einen Anfang dazu machte schon die Einsetzung der staendigen
+Nebenaemter, namentlich der Quaestur; vollstaendig durchgefuehrt
+ward sie durch die Licinischen Gesetze (387 367), welche von den drei
+hoechsten Beamten der Gemeinde die ersten beiden fuer Verwaltung und
+Kriegfuehrung, den dritten fuer die Gerichtsleitung bestimmten. Aber man
+blieb hierbei nicht stehen. Die Konsuln, obwohl sie rechtlich durchaus
+und ueberall konkurrierten, teilten doch natuerlich seit aeltester Zeit
+tatsaechlich die verschiedenen Geschaeftskreise (provinciae) unter sich.
+Urspruenglich war dies lediglich durch freie Vereinbarung oder in deren
+Ermangelung durch Losung geschehen; allmaehlich aber griffen die
+anderen konstitutiven Gewalten im Gemeinwesen in diese faktischen
+Kompetenzbestimmungen ein. Es ward ueblich, dass der Senat Jahr fuer
+Jahr die Geschaeftskreise abgrenzte und sie zwar nicht geradezu unter
+die konkurrierenden Beamten verteilte, aber doch durch Ratschlag und
+Bitte auch auf die Personenfragen entscheidend einwirkte. Aeussersten
+Falls erlangte der Senat auch wohl einen Gemeindebeschluss, der die
+Kompetenzfrage definitiv entschied; doch hat die Regierung diesen
+bedenklichen Ausweg nur sehr selten angewandt. Ferner wurden die
+wichtigsten Angelegenheiten, wie zum Beispiel die Friedensschluesse,
+den Konsuln entzogen und dieselben genoetigt, hierbei an den Senat
+zu rekurrieren und nach dessen Instruktion zu verfahren. Fuer den
+aeussersten Fall endlich konnte der Senat jederzeit die Konsuln vom
+Amt suspendieren, indem nach einer nie rechtlich festgestellten und nie
+tatsaechlich verletzten Uebung der Eintritt der Diktatur lediglich von
+dem Beschluss des Senats abhing und die Bestimmung der zu ernennenden
+Person, obwohl verfassungsmaessig bei dem ernennenden Konsul, doch der
+Sache nach in der Regel bei dem Senat stand. Laenger als in dem Konsulat
+blieb in der Diktatur die alte Einheit und Rechtsfuelle des Imperium
+enthalten; obwohl sie natuerlich als ausserordentliche Magistratur
+der Sache nach von Haus aus eine Spezialkompetenz hatte, gab es doch
+rechtlich eine solche fuer den Diktator noch weit weniger als fuer den
+Konsul. Indes auch sie ergriff allmaehlich der neu in das roemische
+Rechtsleben eintretende Kompetenzbegriff. Zuerst 391 (363) begegnet
+ein aus theologischem Skrupel ausdruecklich bloss zur Vollziehung einer
+religioesen Zeremonie ernannter Diktator; und wenn dieser selbst noch,
+ohne Zweifel formell verfassungsmaessig, die ihm gesetzte Kompetenz
+als nichtig behandelte und ihr zum Trotz den Heerbefehl uebernahm, so
+wiederholte bei den spaeteren, gleichartig beschraenkten Ernennungen,
+die zuerst 403 (351) und seitdem sehr haeufig begegnen, diese Opposition
+der Magistratur sich nicht, sondern auch die Diktatoren erachteten
+fortan durch ihre Spezialkompetenzen sich gebunden. Endlich lagen in
+dem 412 (342) erlassenen Verbot der Kumulierung ordentlicher kurulischer
+Aemter und in der gleichzeitigen Vorschrift, dass derselbe Mann dasselbe
+Amt in der Regel nicht vor Ablauf einer zehnjaehrigen Zwischenzeit
+solle verwalten koennen, sowie in der spaeteren Bestimmung, dass das
+tatsaechlich hoechste Amt, die Zensur, ueberhaupt nicht zum zweitenmal
+bekleidet werden duerfe (489 265), weitere sehr empfindliche
+Beschraenkungen der Magistratur. Doch war die Regierung noch stark
+genug, um ihre Werkzeuge nicht zu fuerchten und darum eben die
+brauchbarsten absichtlich ungenutzt zu lassen; tapfere Offiziere wurden
+sehr haeufig von jenen Vorschriften entbunden ^5, und es kamen noch
+Faelle vor, wie der des Quintus Fabius Rullianus, der in achtundzwanzig
+Jahren fuenfmal Konsul war, und des Marcus Valerius Corvus (384-
+483 370-271), welcher, nachdem er sechs Konsulate, das erste im
+dreiundzwanzigsten, das letzte im zweiundsiebzigsten Jahre, verwaltet
+und drei Menschenalter hindurch der Hort der Landsleute und der
+Schrecken der Feinde gewesen war, hundertjaehrig zur Grube fuhr.
+------------------------------------------------- ^5 Wer die
+Konsularverzeichnisse vor und nach 412 (342) vergleicht, wird an der
+Existenz des oben erwaehnten Gesetzes ueber die Wiederwahl zum Konsulat
+nicht zweifeln; denn so gewoehnlich vor diesem Jahr die Wiederbekleidung
+des Amtes besonders nach drei bis vier Jahren ist, so haeufig sind
+nachher die Zwischenraeume von zehn Jahren und darueber. Doch finden
+sich, namentlich waehrend der schweren Kriegsjahre 434-443 (320-311),
+Ausnahmen in sehr grosser Zahl. Streng hielt man dagegen an der
+Unzulaessigkeit der Aemterkumulierung. Es findet sich kein sicheres
+Beispiel der Verbindung zweier der drei ordentlichen kurulischen (Liv.
+39, 39, 4) Aemter (Konsulat, Praetur, kurulische Aedilitaet), wohl aber
+von anderen Kumulierungen, zum Beispiel der kurulischen Aedilitaet
+und des Reiterfuehreramts (Liv. 23 24, 30); der Praetur und der Zensur
+(Fast. Capitol. a 501); der Praetur und der Diktatur (Liv. 8, 12);
+des Konsulats und der Diktatur (Liv. 8, 12).
+------------------------------------------------- Waehrend also der
+roemische Beamte immer vollstaendiger und immer bestimmter aus
+dem unbeschraenkten Herrn in den gebundenen Auftragnehmer und
+Geschaeftsfuehrer der Gemeinde sich umwandelte, unterlag die alte
+Gegenmagistratur, das Volkstribunat, gleichzeitig einer gleichartigen
+mehr innerlichen als aeusserlichen Umgestaltung. Dasselbe diente im
+Gemeinwesen zu einem doppelten Zweck. Es war von Haus aus bestimmt
+gewesen, den Geringen und Schwachen. durch eine gewissermassen
+revolutionaere Hilfsleistung (auxilium) gegen den gewalttaetigen
+Uebermut der Beamten zu schuetzen; es war spaeterhin gebraucht worden,
+um die rechtliche Zuruecksetzung der Buergerlichen und die Privilegien
+des Geschlechtsadels zu beseitigen. Letzteres war erreicht. Der
+urspruengliche Zweck war nicht bloss an sich mehr ein demokratisches
+Ideal als eine politische Moeglichkeit, sondern auch der plebejischen
+Aristokratie, in deren Haenden das Tribunat sich befinden musste
+und befand, vollkommen ebenso verhasst und mit der neuen, aus der
+Ausgleichung der Staende hervorgegangenen, womoeglich noch entschiedener
+als die bisherige aristokratisch gefaerbten, Gemeindeordnung vollkommen
+ebenso unvertraeglich, wie es dem Geschlechtsadel verhasst und mit der
+patrizischen Konsularverfassung unvertraeglich gewesen war. Aber anstatt
+das Tribunat abzuschaffen, zog man vor, es aus einem Ruestzeug der
+Opposition in ein Regierungsorgan umzuschaffen und zog die Volkstribune,
+die von Haus aus von aller Teilnahme an der Verwaltung ausgeschlossen
+und weder Beamte noch Mitglieder des Senats waren, jetzt hinein in den
+Kreis der regierenden Behoerden. Wenn sie in der Gerichtsbarkeit von
+Anfang an den Konsuln gleichstanden und schon in den ersten Stadien
+der staendischen Kaempfe gleich diesen die legislatorische Initiative
+erwarben, so empfingen sie jetzt auch, wir wissen nicht genau wann,
+aber vermutlich bei oder bald nach der schliesslichen Ausgleichung der
+Staende, gleiche Stellung mit den Konsuln gegenueber der tatsaechlich
+regierenden Behoerde, dem Senate. Bisher hatten sie, auf einer Bank an
+der Tuer sitzend, der Senatsverhandlung beigewohnt, jetzt erhielten sie
+gleich und neben den uebrigen Beamten ihren Platz im Senate selbst und
+das Recht, bei der Verhandlung das Wort zu ergreifen; wenn ihnen das
+Stimmrecht versagt blieb, so war dies nur eine Anwendung des allgemeinen
+Grundsatzes des roemischen Staatsrechts, dass den Rat nur gab, wer zur
+Tat nicht berufen war und also saemtlichen funktionierenden Beamten
+waehrend ihres Amtsjahrs nur Sitz, nicht Stimme im Gemeinderat zukam.
+Aber es blieb hierbei nicht. Die Tribune empfingen das unterscheidende
+Vorrecht der hoechsten Magistratur, das sonst von den ordentlichen
+Beamten nur den Konsuln und Praetoren zustand: das Recht, den Senat zu
+versammeln, zu befragen und einen Beschluss desselben zu bewirken ^6. Es
+war das nur in der Ordnung: die Haeupter der plebejischen Aristokratie
+mussten denen der patrizischen im Senate gleichgestellt werden, seit das
+Regiment von dem Gesellschaftsadel uebergegangen war auf die vereinigte
+Aristokratie. Indem dieses urspruenglich von aller Teilnahme an der
+Staatsverwaltung ausgeschlossene Oppositionskollegium jetzt, namentlich
+fuer die eigentlich staedtischen Angelegenheiten, eine zweite hoechste
+Exekutivstelle ward und eines der gewoehnlichsten und brauchbarsten
+Organe der Regierung, dass heisst des Senats, um die Buergerschaft zu
+lenken und vor allem um Ausschreitungen der Beamten zu hemmen, wurde es
+allerdings seinem urspruenglichen Wesen nach absorbiert und
+politisch vernichtet; indes war dieses Verfahren in der Tat durch
+die Notwendigkeit geboten. Wie klar auch die Maengel der roemischen
+Aristokratie zutage liegen und wie entschieden das stetige Wachsen
+der aristokratischen Uebermacht mit der tatsaechlichen Beseitigung des
+Tribunats zusammenhaengt, so kann doch nicht verkannt werden, dass auf
+die Laenge sich nicht mit einer Behoerde regieren liess, welche
+nicht bloss zwecklos war und fast auf die Hinhaltung des leidenden
+Proletariats durch truegerische Hilfsvorspiegelung berechnet, sondern
+zugleich entschieden revolutionaer und im Besitz einer eigentlich
+anarchischen Befugnis der Hemmung der Beamten-, ja der Staatsgewalt
+selbst. Aber der Glaube an das Ideale, in dem alle Macht wie alle
+Ohnmacht der Demokratie begruendet ist, hatte in den Gemuetern der
+Roemer aufs engste an das Gemeindetribunat sich geheftet, und man
+braucht nicht erst an Cola Rienzi zu erinnern, um einzusehen, dass
+dasselbe, wie wesenlos immer der daraus fuer die Menge entspringende
+Vorteil war, ohne eine furchtbare Staatsumwaelzung nicht beseitigt
+werden konnte. Darum begnuegte man sich mit echt buergerlicher
+Staatsklugheit, in den moeglichst wenig in die Augen fallenden Formen
+die Sache zu vernichten. Der blosse Name dieser ihrem innersten
+Kern nach revolutionaeren Magistratur blieb immer noch innerhalb des
+aristokratisch regierten Gemeinwesens gegenwaertig ein Widerspruch und
+fuer die Zukunft, in den Haenden einer dereinstigen Umsturzpartei, eine
+schneidende und gefaehrliche Waffe; indes fuer jetzt und noch auf lange
+hinaus war die Aristokratie so unbedingt maechtig und so vollstaendig
+im Besitz des Tribunats, dass von einer kollegialischen Opposition der
+Tribune gegen den Senat schlechterdings keine Spur sich findet und die
+Regierung der etwa vorkommenden verlorenen oppositionellen Regungen
+einzelner solcher Beamten immer ohne Muehe und in der Regel durch
+das Tribunat selbst Herr ward.
+------------------------------------------------- ^6 Daher werden die
+fuer den Senat bestimmten Depeschen adressiert an Konsuln,
+Praetoren, Volkstribune und Senat (Cic. ad fam. 15, 2 und sonst).
+------------------------------------------------- In der Tat war es
+der Senat, der die Gemeinde regierte, und fast ohne Widerstand seit der
+Ausgleichung der Staende. Seine Zusammensetzung selbst war eine andere
+geworden. Das freie Schalten der Oberbeamten, wie es nach Beseitigung
+der alten Geschlechtervertretung in dieser Hinsicht stattgefunden
+hatte, hatte schon mit der Abschaffung der lebenslaenglichen
+Gemeindevorstandschaft sehr wesentliche Beschraenkungen erfahren. Ein
+weiterer Schritt zur Emanzipation des Senats von der Beamtengewalt
+erfolgte durch den Uebergang der Feststellung dieser Listen von den
+hoechsten Gemeindebeamten auf eine Unterbehoerde, von den Konsuln auf
+die Zensoren. Allerdings wurde, sei es gleich damals oder bald nachher,
+auch das Recht des mit der Anfertigung der Liste beauftragten Beamten,
+einzelne Senatoren wegen eines ihnen anhaftenden Makels aus derselben
+wegzulassen und somit aus dem Senat auszuschliessen, wo nicht
+eingefuehrt, doch wenigstens schaerfer formuliert ^7 und somit jenes
+eigentuemliche Sittengericht begruendet, auf dem das hohe Ansehen der
+Zensoren vornehmlich beruht. Allein derartige Ruegen konnten, da zumal
+beide Zensoren darueber einig sein mussten, wohl dazu dienen, einzelne
+der Versammlung nicht zur Ehre gereichende oder dem in ihr herrschenden
+Geist feindliche Persoenlichkeiten zu entfernen, nicht aber sie
+selbst in Abhaengigkeit von der Magistratur versetzen.
+------------------------------------------------- ^7 Diese Befugnis
+sowie die aehnlichen hinsichtlich der Ritter- und der Buergerliste waren
+wohl nicht foermlich und gesetzlich den Zensoren beigelegt, lagen aber
+tatsaechlich von jeher in ihrer Kompetenz. Das Buergerrecht vergibt
+die Gemeinde, nicht der Zensor aber wem dieser in dem Verzeichnis
+der Stimmberechtigten keine oder eine schlechtere Stelle anweist, der
+verliert das Buergerrecht nicht, kann aber die buergerlichen Befugnisse
+nicht oder nur an dem geringeren Platz ausueben bis zur Anfertigung
+einer neuen Liste. Ebenso verhaelt es sich mit dem Senat: wen der Zensor
+in seiner Liste auslaesst, der scheidet aus demselben, solange die
+betreffende Liste gueltig bleibt - es kommt vor, dass der vorsitzende
+Beamte sie verwirft und die aeltere Liste wieder in Kraft setzt.
+Offenbar kam also in dieser Hinsicht es nicht so sehr darauf an, was
+den Zensoren gesetzlich freistand, sondern was bei denjenigen Beamten,
+welche nach ihren Listen zu laden hatten, ihre Autoritaet vermochte.
+Daher begreift man, wie diese Befugnis allmaehlich stieg und wie mit
+der steigenden Konsolidierung der Nobilitaet dergleichen Streichungen
+gleichsam die Form richterlicher Entscheidungen annahmen und gleichsam
+als solche respektiert wurden. Hinsichtlich der Feststellung der
+Senatsliste hat freilich auch ohne Zweifel die Bestimmung des Ovinischen
+Plebiszits wesentlich mitgewirkt, dass die Zensoren "aus
+allen Rangklassen die Besten" in den Senat nehmen sollten.
+---------------------------------------------- Entscheidend aber
+beschraenkte das Ovinische Gesetz, welches etwa um die Mitte dieser
+Periode, wahrscheinlich bald nach den Licinischen Gesetzen durchgegangen
+ist, das Recht der Beamten, den Senat nach ihrem Ermessen zu
+konstituieren, indem es demjenigen, der kurulischer Aedil, Praetor oder
+Konsul gewesen war, sofort vorlaeufig Sitz und Stimme im Senat verlieh
+und die naechst eintretenden Zensoren verpflichtete, diese Expektanten
+entweder foermlich in die Senatorenliste einzuzeichnen oder doch nur aus
+denjenigen Gruenden, welche auch zur Ausstossung des wirklichen Senators
+genuegten, von der Liste auszuschliessen. Freilich reichte die Zahl
+dieser gewesenen Magistrate bei weitem nicht aus, um den Senat auf der
+normalen Zahl von dreihundert zu halten; und unter dieselbe durfte man,
+besonders da die Senatoren- zugleich Geschworenenliste war, ihn nicht
+herabgehen lassen. So blieb dem zensorischen Wahlrecht immer noch ein
+bedeutender Spielraum; indes nahmen diese, nicht durch die Bekleidung
+eines Amtes, sondern durch die zensorische Wahl erkiesten Senatoren
+- haeufig diejenigen Buerger, die ein nicht kurulisches Gemeindeamt
+verwaltet oder durch persoenliche Tapferkeit sich hervorgetan, einen
+Feind im Gefecht getoetet oder einem Buerger das Leben gerettet hatten
+- zwar an der Abstimmung, aber nicht an der Debatte teil. Der Kern des
+Senats und derjenige Teil desselben, in dem Regierung und Verwaltung
+sich konzentriert, ruhte also nach dem Ovinischen Gesetz im wesentlichen
+nicht mehr auf der Willkuer eines Beamten, sondern mittelbar auf der
+Wahl durch das Volk; und die roemische Gemeinde war auf diesem Wege
+zwar nicht zu der grossen Institution der Neuzeit, dem repraesentativen
+Volksregimente, aber wohl dieser Institution nahe gekommen, waehrend
+die Gesamtheit der nicht debattierenden Senatoren gewaehrte, was bei
+regierenden Kollegien so notwendig wie schwierig herzustellen ist, eine
+kompakte Masse urteilsfaehiger und urteilsberechtiger, aber schweigender
+Mitglieder. Die Kompetenz des Senats wurde formell kaum veraendert. Der
+Senat huetete sich wohl, durch unpopulaere Verfassungsaenderungen
+oder offenbare Verfassungsverletzungen der Opposition und der Ambition
+Handhaben darzubieten; er liess es sogar geschehen, wenn er es auch
+nicht foerderte, dass die Buergerschaftskompetenz im demokratischen
+Sinne ausgedehnt ward. Aber wenn die Buergerschaft den Schein, so erwarb
+der Senat das Wesen der Macht: einen bestimmenden Einfluss auf die
+Gesetzgebung und die Beamtenwahlen und das gesamte Gemeinderegiment.
+Jeder neue Gesetzvorschlag ward zunaechst im Senat vorberaten, und kaum
+wagte es je ein Beamter, ohne oder wider das Gutachten des Senats einen
+Antrag an die Gemeinde zu stellen; geschah es dennoch, so hatte der
+Senat durch die Beamteninterzession und die priesterliche Kassation eine
+lange Reihe von Mitteln in der Hand, um jeden unbequemen Antrag im Keime
+zu ersticken oder nachtraeglich zu beseitigen; und im aeussersten Fall
+hatte er als oberste Verwaltungsbehoerde mit der Ausfuehrung auch die
+Nichtausfuehrung der Gemeindebeschluesse in der Hand. Es nahm der Senat
+ferner unter stillschweigender Zustimmung der Gemeinde das Recht in
+Anspruch, in dringenden Faellen unter Vorbehalt der Ratifikation durch
+Buergerschaftsbeschluss, von den Gesetzen zu entbinden - ein Vorbehalt,
+der von Haus aus nicht viel bedeutete und allmaehlich so vollstaendig
+zur Formalitaet ward, dass man in spaeterer Zeit sich nicht einmal mehr
+die Muehe gab, den ratifizierenden Gemeindebeschluss zu beantragen. Was
+die Wahlen anlangt, so gingen sie, soweit sie den Beamten zustanden und
+von politischer Wichtigkeit waren, tatsaechlich ueber auf den Senat;
+auf diesem Wege erwarb derselbe, wie schon gesagt ward, das Recht, den
+Diktator zu bestellen. Groessere Ruecksicht masste allerdings auf die
+Gemeinde genommen werden: es konnte ihr das Recht nicht entzogen werden,
+die Gemeindeaemter zu vergeben; doch ward, wie gleichfalls schon bemerkt
+wurde, sorgfaeltig darueber gewacht, dass diese Beamtenwahl nicht
+etwa in die Vergebung bestimmter Kompetenzen, namentlich nicht der
+Oberfeldherrnstellen in bevorstehenden Kriegen, uebergehe. Ueberdies
+brachte teils der neu eingefuehrte Kompetenzbegriff, teils das dem Senat
+tatsaechlich zugestandene Recht, von den Gesetzen zu entbinden, einen
+wichtigen Teil der Aemterbesetzung in die Haende des Senats. Von dem
+Einfluss, den der Senat auf die Feststellung der Geschaeftskreise
+namentlich der Konsuln ausuebte, ist schon die Rede gewesen. Von dem
+Dispensationsrecht war eine der wichtigsten Anwendungen die Entbindung
+des Beamten von der gesetzlichen Befristung seines Amtes, welche zwar,
+als den Grundgesetzen der Gemeinde zuwider, nach roemischen Staatsrecht
+in dem eigentlichen Stadtbezirk nicht vorkommen durfte, aber ausserhalb
+desselben wenigstens insoweit galt, als der Konsul und Praetor, dem die
+Frist verlaengert war, nach Ablauf derselben fortfuhr, "an Konsul" oder
+"Praetor Statt" (pro consule, pro praetore) zu fungieren. Natuerlich
+stand dies wichtige, dem Ernennungsrecht wesentlich gleichstehende
+Recht der Fristerstreckung gesetzlich allein der Gemeinde zu und ward
+anfaenglich auch faktisch von ihr gehandhabt; aber doch wurde schon 447
+(307) und seitdem regelmaessig den Oberfeldherren das Kommando durch
+blossen Senatsbeschluss verlaengert. Dazu kam endlich der uebermaechtige
+und klug vereinigte Einfluss der Aristokratie auf die Wahlen, welcher
+dieselben nicht immer, aber in der Regel auf die der Regierung genehmen
+Kandidaten lenkte. Was schliesslich die Verwaltung anlangt, so hing
+Krieg, Frieden und Buendnis, Kolonialgruendung, Ackerassignation,
+Bauwesen, ueberhaupt jede Angelegenheit von dauernder und
+durchgreifender Wichtigkeit, und namentlich das gesamte Finanzwesen
+lediglich ab von dem Senat. Er war es, der Jahr fuer Jahr den Beamten in
+der Feststellung ihrer Geschaeftskreise und in der Limitierung der einem
+jeden zur Verfuegung zu stellenden Truppen und Gelder die allgemeine
+Instruktion gab, und an ihn ward von allen Seiten in allen wichtigen
+Faellen rekurriert: keinem Beamten, mit Ausnahme des Konsuls, und keinem
+Privaten durften die Vorsteher der Staatskasse Zahlung anders leisten
+als nach vorgaengigem Senatsbeschluss. Nur in die Besorgung der
+laufenden Angelegenheiten und in die richterliche und militaerische
+Spezialverwaltung mischte das hoechste Regierungskollegium sich
+nicht ein; es war zu viel politischer Sinn und Takt in der roemischen
+Aristokratie, um die Leitung des Gemeinwesens in eine Bevormundung
+des einzelnen Beamten und das Werkzeug in eine Maschine verwandeln
+zu wollen. Dass dies neue Regiment des Senats bei aller Schonung der
+bestehenden Formen eine vollstaendige Umwaelzung des alten Gemeinwesens
+in sich schloss, leuchtet ein; dass die freie Taetigkeit
+der Buergerschaft stockte und erstarrte und die Beamten zu
+Sitzungspraesidenten und ausfuehrenden Kommissarien herabsanken,
+dass ein durchaus nur beratendes Kollegium die Erbschaft beider
+verfassungsmaessiger Gewalten tat und, wenn auch in den bescheidensten
+Formen, die Zentralregierung der Gemeinde ward, war revolutionaer und
+usurpatorisch. Indes wenn jede Revolution und jede Usurpation durch
+die ausschliessliche Faehigkeit zum Regimente vor dem Richterstuhl der
+Geschichte gerechtfertigt erscheint, so muss auch ihr strenges Urteil
+es anerkennen, dass diese Koerperschaft ihre grosse Aufgabe zeitig
+begriffen und wuerdig erfuellt hat. Berufen nicht durch den eitlen
+Zufall der Geburt, sondern wesentlich durch die freie Wahl der Nation;
+bestaetigt von vier zu vier Jahren durch das strenge Sittengericht der
+wuerdigsten Maenner; auf Lebenszeit im Amte und nicht abhaengig von dem
+Ablauf des Mandats oder von der schwankenden Meinung des Volkes; in sich
+einig und geschlossen seit der Ausgleichung der Staende; alles in
+sich schliessend, was das Volk besass von politischer Intelligenz und
+praktischer Staatskunde; unumschraenkt verfuegend in allen finanziellen
+Fragen und in der Leitung der auswaertigen Politik; die Exekutive
+vollkommen beherrschend durch deren kurze Dauer und durch die dem
+Senat nach der Beseitigung des staendischen Haders dienstbar gewordene
+tribunizische Interzession, war der roemische Senat der edelste Ausdruck
+der Nation und in Konsequenz und Staatsklugheit, in Einigkeit und
+Vaterlandsliebe, in Machtfuelle und sicherem Mut die erste politische
+Koerperschaft aller Zeiten - auch jetzt noch "eine Versammlung von
+Koenigen", die es verstand, mit republikanischer Hingebung despotische
+Energie zu verbinden. Nie ist ein Staat nach aussen fester und wuerdiger
+vertreten worden als Rom in seiner guten Zeit durch seinen Senat. In
+der inneren Verwaltung ist es allerdings nicht zu verkennen, dass die
+im Senat vorzugsweise vertretene Geld- und Grundaristokratie in den ihre
+Sonderinteressen betreffenden Angelegenheiten parteiisch verfuhr und
+dass die Klugheit und die Energie der Koerperschaft hier haeufig von ihr
+nicht zum Heil des Staates gebraucht worden sind. Indes der grosse, in
+schweren Kaempfen festgestellte Grundsatz, dass jeder roemische Buerger
+gleich vor dem Gesetz sei in Rechten und Pflichten, und die daraus sich
+ergebende Eroeffnung der politischen Laufbahn, das heisst des
+Eintritts in den Senat fuer jedermann, erhielten neben dem Glanz der
+militaerischen und politischen Erfolge die staatliche und nationale
+Eintracht und nahmen dem Unterschied der Staende jene Erbitterung und
+Gehaessigkeit, die den Kampf der Patrizier und Plebejer bezeichnen; und
+da die glueckliche Wendung der aeusseren Politik es mit sich brachte,
+dass laenger als ein Jahrhundert die Reichen Spielraum fuer sich fanden,
+ohne den Mittelstand unterdruecken zu muessen, so hat das roemische Volk
+in seinem Senat laengere Zeit, als es einem Volke verstattet zu sein
+pflegt, das grossartigste aller Menschenwerke durchzufuehren vermocht,
+eine weise und glueckliche Selbstregierung. 4. Kapitel Sturz der
+etruskischen Macht Die Kelten Nachdem die Entwicklung der roemischen
+Verfassung waehrend der zwei ersten Jahrhunderte der Republik
+dargestellt ist, ruft uns die aeussere Geschichte Roms und Italiens
+wieder zurueck in den Anfang dieser Epoche. Um diese Zeit, als die
+Tarquinier aus Rom vertrieben wurden, stand die etruskische Macht auf
+ihrem Hoehepunkt. Die Herrschaft auf der Tyrrhenischen See besassen
+unbestritten die Tusker und die mit ihnen eng verbuendeten Karthager.
+Wenn auch Massalia unter steten und schweren Kaempfen sich behauptete,
+so waren dagegen die Haefen Kampaniens und der volskischen Landschaft
+und seit der Schlacht von Alalia auch Korsika im Besitz der Etrusker. In
+Sardinien gruendeten durch die vollstaendige Eroberung der Insel (um 260
+500) die Soehne des karthagischen Feldherrn Mago die Groesse zugleich
+ihres Hauses und ihrer Stadt, und in Sizilien behaupteten die Phoeniker
+waehrend der inneren Fehden der hellenischen Kolonien ohne wesentliche
+Anfechtung den Besitz der Westhaelfte. Nicht minder beherrschten die
+Schiffe der Etrusker das Adriatische Meer, und selbst in den oestlichen
+Gewaessern waren ihre Kaper gefuerchtet. Auch zu Lande schien ihre Macht
+im Steigen. Den Besitz der latinischen Landschaft zu gewinnen, war fuer
+Etrurien, das von den volskischen in seiner Klientel stehenden Staedten
+und von seinen kampanischen Besitzungen allein durch die Latiner
+geschieden war, von der entscheidendsten Wichtigkeit. Bisher hatte das
+feste Bollwerk der roemischen Macht Latium ausreichend beschirmt und die
+Tibergrenze mit Erfolg gegen Etrurien behauptet. Allein als der gesamte
+tuskische Bund, die Verwirrung und die Schwaeche des roemischen Staats
+nach der Vertreibung der Tarquinier benutzend, jetzt unter dem Koenig
+Lars Porsena von Clusium seinen Angriff maechtiger als zuvor erneuerte,
+fand er nicht ferner den gewohnten Widerstand; Rom kapitulierte und trat
+im Frieden (angeblich 247 507) nicht bloss alle Besitzungen am rechten
+Tiberufer an die naechstliegenden tuskischen Gemeinden ab und gab also
+die ausschliessliche Herrschaft ueber den Strom auf, sondern lieferte
+auch dem Sieger seine saemtlichen Waffen aus und gelobte, fortan des
+Eisens nur zur Pflugschar sich zu bedienen. Es schien, als sei die
+Einigung Italiens unter tuskischer Suprematie nicht mehr fern. Allein
+die Unterjochung, womit die Koalition der etruskischen und karthagischen
+Nation die Griechen wie die Italiker bedroht, ward gluecklich abgewendet
+durch das Zusammenhalten der durch Stammverwandtschaft wie durch die
+gemeinsame Gefahr aufeinander angewiesenen Voelker. Zunaechst fand das
+etruskische Heer, das nach Roms Fall in Latium eingedrungen war, vor den
+Mauern von Aricia die Grenze seiner Siegesbahn durch die rechtzeitige
+Hilfe der den Aricinern zur Hilfe herbeigeeilten Kymaeer (248 506). Wir
+wissen nicht, wie der Krieg endigte, und namentlich nicht, ob Rom schon
+damals den verderblichen und schimpflichen Frieden zerriss; gewiss ist
+nur, dass die Tusker auch diesmal auf dem linken Tiberufer sich dauernd
+zu behaupten nicht vermochten. Bald ward die hellenische Nation zu einem
+noch umfassenderen und noch entscheidenderen Kampf gegen die
+Barbaren des Westens wie des Ostens genoetigt. Es war um die Zeit der
+Perserkriege. Die Stellung der Tyrier zu dem Grosskoenig fuehrte auch
+Karthago in die Bahnen der persischen Politik - wie denn selbst ein
+Buendnis zwischen den Karthagern und Xerxes glaubwuerdig ueberliefert
+ist - und mit den Karthagern die Etrusker. Es war eine der
+grossartigsten politischen Kombinationen, die gleichzeitig die
+asiatischen Scharen auf Griechenland, die phoenikischen auf Sizilien
+warf, um mit einem Schlag die Freiheit und die Zivilisation vom
+Angesicht der Erde zu vertilgen. Der Sieg blieb den Hellenen. Die
+Schlacht bei Salamis (274 der Stadt 480) rettete und raechte das
+eigentliche Hellas; und an demselben Tag - so wird erzaehlt - besiegten
+die Herren von Syrakus und Akragas, Gelon und Theron, das ungeheure
+Heer des karthagischen Feldherrn Hamilkar, Magos Sohn, bei Himera so
+vollstaendig, dass der Krieg damit zu Ende war und die Phoeniker, die
+damals noch keineswegs den Plan verfolgten, ganz Sizilien fuer eigene
+Rechnung sich zu unterwerfen, zurueckkehrten zu ihrer bisherigen
+defensiven Politik. Noch sind von den grossen Silberstuecken erhalten,
+welche aus dem Schmuck der Gemahlin Gelons, Damareta, und anderer
+edler Syrakusanerinnen fuer diesen Feldzug geschlagen wurden, und die
+spaeteste Zeit gedachte dankbar des milden und tapferen Koenigs von
+Syrakus und des herrlichen, von Simonides gefeierten Sieges. Die
+naechste Folge der Demuetigung Karthagos war der Sturz der Seeherrschaft
+ihrer etruskischen Verbuendeten. Schon Anaxilas, der Herr von Rhegion
+und Zankte, hatte ihren Kapern die sizilische Meerenge durch eine
+stehende Flotte gesperrt (um 272 482); einen entscheidenden Sieg
+erfochten bald darauf die Kymaeer und Hieron von Syrakus bei Kyme (280
+474) ueber die tyrrhenische Flotte, der die Karthager vergeblich Hilfe
+zu bringen versuchten. Das ist der Sieg, welchen Pindaros in der ersten
+pythischen Ode feiert, und noch ist der Etruskerhelm vorhanden, den
+Hieron nach Olympia sandte mit der Aufschrift: "Hiaron des Deinomenes
+Sohn und die Syrakosier dem Zeus Tyrrhanisches von Kyma" ^1.
+----------------------------------------------- ^1 Fiaron o
+Diomeneos kai toi Syrakosioi toi Di' T?ran' apo K?mas.
+----------------------------------------------- Waehrend diese
+ungemeinen Erfolge gegen Karthager und Etrusker Syrakus an die Spitze
+der sizilischen Griechenstaedte brachten, erhob unter den italischen
+Hellenen, nachdem um die Zeit der Vertreibung der Koenige aus Rom (243
+511) das achaeische Sybaris untergegangen war, das dorische Tarent
+sich unbestritten zu der ersten Stelle; die furchtbare Niederlage der
+Tarentiner durch die Iapyger (280 474), die schwerste, die bis dahin
+ein Griechenheer erlitten hatte, entfesselte nur, aehnlich wie der
+Persersturm in Hellas, die ganze Gewalt des Volksgeistes in energisch
+demokratischer Entwicklung. Von jetzt an spielen nicht mehr die
+Karthager und die Etrusker die erste Rolle in den italischen Gewaessern,
+sondern im Adriatischen und Ionischen Meer die Tarentiner, im
+Tyrrhenischen die Massalioten und die Syrakusaner, und namentlich die
+letzteren beschraenkten mehr und mehr das etruskische Korsarenwesen.
+Schon Hieron hatte nach dem Siege bei Kyme die Insel Aenaria (Ischia)
+besetzt und damit die Verbindung zwischen den kampanischen und den
+noerdlichen Etruskern unterbrochen. Um das Jahr 302 (452) wurde von
+Syrakus, um der tuskischen Piraterie gruendlich zu steuern, eine eigene
+Expedition ausgesandt, die die Insel Korsika und die etruskische Kueste
+verheerte und die Insel Aethalia (Elba) besetzte. Ward man auch nicht
+voellig Herr ueber die etruskisch-karthagischen Piraten - wie denn
+das Kaperwesen zum Beispiel in Antium bis in den Anfang des fuenften
+Jahrhunderts der Stadt fortgedauert zu haben scheint -, so war doch das
+maechtige Syrakus ein starkes Bollwerk gegen die verbuendeten Tusker
+und Phoeniker. Einen Augenblick freilich schien es, als muesse die
+syrakusische Macht gebrochen werden durch die Athener, deren Seezug
+gegen Syrakus im Lauf des Peloponnesischen Krieges (339-341 415-413)
+die Etrusker, die alten Handelsfreunde Athens, mit drei Fuenfzigruderern
+unterstuetzten. Allein der Sieg blieb, wie bekannt, im Westen wie
+im Osten den Dorern. Nach dem schmaehlichen Scheitern der attischen
+Expedition ward Syrakus so unbestritten die erste griechische Seemacht,
+dass die Maenner, die dort an der Spitze des Staates standen, die
+Herrschaft ueber Sizilien und Unteritalien und ueber beide Meere
+Italiens ins Auge fassten; wogegen anderseits die Karthager, die ihre
+Herrschaft in Sizilien jetzt ernstlich bedroht sahen, auch auf ihrer
+Seite die Ueberwaeltigung der Syrakusaner und die Unterwerfung der
+ganzen Insel zum Ziel ihrer Politik nehmen mussten und nahmen. Der
+Verfall der sizilischen Mittelstaaten, die Steigerung der karthagischen
+Macht auf der Insel, die zunaechst aus diesen Kaempfen hervorgingen,
+koennen hier nicht erzaehlt werden; was Etrurien anlangt, so fuehrte
+gegen dies der neue Herr von Syrakus, Dionysios (reg. 348-387 406-367),
+die empfindlichsten Schlaege. Der weitstrebende Koenig gruendete
+seine neue Kolonialmacht vor allem in dem italischen Ostmeer, dessen
+noerdlichere Gewaesser jetzt zum erstenmal einer griechischen Seemacht
+untertan wurden. Um das Jahr 367 (387) besetzte und kolonisierte
+Dionysios an der illyrischen Kueste den Hafen Lissos und die Insel
+Issa, an der italischen die Landungsplaetze Ankon, Numana und Atria; das
+Andenken an die syrakusanische Herrschaft in dieser entlegenen Gegend
+bewahrten nicht bloss die "Graeben des Philistos", ein ohne Zweifel
+von dem bekannten Geschichtschreiber und Freunde des Dionysios, der die
+Jahre seiner Verbannung (368 386f.) in Atria verlebte, angelegter
+Kanal an der Pomuendung; auch die veraenderte Benennung des italischen
+Ostmeers selbst, wofuer seitdem anstatt der aelteren Benennung des
+Ionischen Busens die heute noch gangbare des "Meeres von Hadria"
+vorkommt, geht wahrscheinlich auf diese Ereignisse zurueck ^2.
+Aber nicht zufrieden mit diesen Angriffen auf die Besitzungen und
+Handelsverbindungen der Etrusker im Ostmeer, griff Dionysios durch die
+Erstuermung und Pluenderung der reichen caeritischen Hafenstadt Pygri
+(369 385 die etruskische Macht in ihrem innersten Kern an. Sie hat denn
+auch sich nicht wieder erholt. Als nach Dionysios' Tode die inneren
+Unruhen in Syrakus den Karthagern freiere Bahn machten und deren Flotte
+wieder im Tyrrhenischen Meer das Uebergewicht bekam, das sie seitdem mit
+kurzen Unterbrechungen behauptete, lastete dieses nicht minder schwer
+auf den Etruskern wie auf den Griechen; so dass sogar, als im Jahre 444
+(310) Agathokles von Syrakus zum Krieg mit Karthago ruestete, achtzehn
+tuskische Kriegsschiffe zu ihm stiessen. Die Etrusker mochten fuer
+Korsika fuerchten, das sie wahrscheinlich damals noch behaupteten; die
+alte tuskisch-phoenikische Symmachie, die noch zu Aristoteles' Zeit
+(370-432 384-322) bestand, ward damit gesprengt, aber die Schwaeche
+der Etrusker zur See nicht wieder aufgehoben.
+------------------------------------------------------- ^2 Hekataeos (+
+nach 257 497, Rom) und noch Herodot (270 bis nach 345 484- 409) kennen
+den Hatrias nur als das Podelta und das dasselbe bespuelende Meer (K.
+O. Mueller, Die Etrusker. Breslau 1828. Bd. 1, S. 140; GGM 1, p. 23).
+In weiterer Bedeutung findet sich die Benennung des Hadriatischen
+Meeres zuerst bei dem sogenannten Skylax um 418 der Stadt (336).
+-------------------------------------------------------- Dieser rasche
+Zusammensturz der etruskischen Seemacht wuerde unerklaerlich sein, wenn
+nicht gegen die Etrusker zu eben der Zeit, wo die sizilischen Griechen
+sie zur See angriffen, auch zu Lande von allen Seiten her die schwersten
+Schlaege gefallen waeren. Um die Zeit der Schlachten von Salamis, Himera
+und Kyme ward, dem Berichte der roemischen Annalen zufolge, zwischen
+Rom und Veii ein vieljaehriger und heftiger Krieg gefuehrt (271-280
+483-474). Die Roemer erlitten in demselben schwere Niederlagen; im
+Andenken geblieben ist die Katastrophe der Fabier (277 477), die infolge
+der inneren Krisen sich freiwillig aus der Hauptstadt verbannt und die
+Verteidigung der Grenze gegen Etrurien uebernommen hatten, hier aber
+am Bache Cremera bis auf den letzten waffenfaehigen Mann niedergehauen
+wurden. Allein der Waffenstillstand auf 400 Monate, der anstatt Friedens
+den Krieg beendigte, fiel fuer die Roemer insofern guenstig aus, als er
+wenigstens den Status quo der Koenigszeit wiederherstellte; die Etrusker
+verzichteten auf Fidenae und den am rechten Tiberufer
+gewonnenen Distrikt. Es ist nicht auszumachen, inwieweit dieser
+roemisch-etruskische Krieg mit dem hellenisch-persischen und dem
+sizilisch-karthagischen in unmittelbaren Zusammenhange stand; aber
+moegen die Roemer die Verbuendeten der Sieger von Salamis und von Himera
+gewesen sein oder nicht, die Interessen wie die Folgen trafen jedenfalls
+zusammen. Wie die Latiner warfen auch die Samniten sich auf die
+Etrusker; und kaum war deren kampanische Niederlassung durch die Folgen
+des Treffens bei Kyme vom Mutterlande abgeschnitten worden, als sie
+auch schon nicht mehr imstande war, den Angriffen der sabellischen
+Bergvoelker zu widerstehen. Die Hauptstadt Capua fiel 330 (424) und
+die tuskische Bevoelkerung ward hier bald nach der Eroberung von den
+Samniten ausgerottet oder verjagt. Freilich hatten auch die kampanischen
+Griechen, vereinzelt und geschwaecht, unter derselben Invasion schwer
+zu leiden; Kyme selbst ward 334 (420) von den Sabellern erobert. Dennoch
+behaupteten die Griechen sich namentlich in Neapolis, vielleicht mit
+Hilfe der Syrakusaner, waehrend der etruskische Name in Kampanien aus
+der Geschichte verschwindet; kaum dass einzelne etruskische Gemeinden
+eine kuemmerliche und verlorene Existenz sich dort fristeten. Aber noch
+folgenreichere Ereignisse traten um dieselbe Zeit im noerdlichen Italien
+ein. Eine neue Nation pochte an die Pforten der Alpen: es waren die
+Kelten; und ihr erster Andrang traf die Etrusker. Die keltische, auch
+galatische oder gallische Nation hat von der gemeinschaftlichen Mutter
+eine andere Ausstattung empfangen als die italische, die germanische und
+die hellenische Schwester. Es fehlt ihr bei manchen tuechtigen und
+noch mehr glaenzenden Eigenschaften die tiefe sittliche und staatliche
+Anlage, auf welche alles Gute und Grosse in der menschlichen Entwicklung
+sich gruendet. Es galt, sagt Cicero, als schimpflich fuer den freien
+Kelten, das Feld mit eigenen Haenden zu bestellen. Dem Ackerbau zogen
+sie das Hirtenleben vor und trieben selbst in den fruchtbaren Poebenen
+vorzugsweise die Schweinezucht, von dem Fleisch ihrer Herden sich
+naehrend und in den Eichenwaeldern mit ihnen Tag und Nacht verweilend.
+Die Anhaenglichkeit an die eigene Scholle, wie sie den Italikern und den
+Germanen eigen ist, fehlt bei den Kelten; wogegen sie es lieben, in den
+Staedten und Flecken zusammen zu siedeln und diese bei ihnen frueher,
+wie es scheint, als in Italien Ausdehnung und Bedeutung gewonnen haben.
+Ihre buergerliche Verfassung ist unvollkommen; nicht bloss wird die
+nationale Einheit nur durch ein schwaches Band vertreten, was ja in
+gleicher Weise von allen Nationen anfaenglich gilt, sondern es mangelt
+auch in den einzelnen Gemeinden an Eintracht und festem Regiment, an
+ernstem Buergersinn und folgerechtem Streben. Die einzige Ordnung, der
+sie sich schicken, ist die militaerische, in der die Bande der Disziplin
+dem einzelnen die schwere Muehe abnehmen, sich selber zu bezwingen.
+"Die hervorstehenden Eigenschaften der keltischen Rasse", sagt ihr
+Geschichtschreiber Thierry, "sind die persoenliche Tapferkeit, in der
+sie es allen Voelkern zuvortun; ein freier, stuermischer, jedem Eindruck
+zugaenglicher Sinn; viel Intelligenz, aber daneben die aeusserste
+Beweglichkeit, Mangel an Ausdauer, Widerstreben gegen Zucht und Ordnung,
+Prahlsucht und ewige Zwietracht, die Folge der grenzenlosen Eitelkeit."
+Kuerzer sagt ungefaehr dasselbe der alte Cato: "auf zwei Dinge geben
+die Kelten viel: auf das Fechten und auf den Esprit" ^3. Solche
+Eigenschaften guter Soldaten und schlechter Buerger erklaeren die
+geschichtliche Tatsache, dass die Kelten alle Staaten erschuettert und
+keinen gegruendet haben. Ueberall finden wir sie bereit zu wandern, das
+heisst zu marschieren; dem Grundstueck die bewegliche Habe vorziehend,
+allem anderen aber das Gold; das Waffenwerk betreibend als geordnetes
+Raubwesen oder gar als Handwerk um Lohn und allerdings mit solchem
+Erfolge, dass selbst der roemische Geschichtschreiber Sallustius im
+Waffenwerk den Kelten den Preis vor den Roemern zugesteht. Es sind die
+rechten Lanzknechte des Altertums, wie die Bilder und Beschreibungen sie
+uns darstellen: grosse, nicht sehnige Koerper, mit zottigem Haupthaar
+und langem Schnauzbart - recht im Gegensatz zu Griechen und Roemern, die
+das Haupt und die Oberlippe schoren -, in bunten gestickten Gewaendern,
+die beim Kampf nicht selten abgeworfen wurden, mit dem breiten Goldring
+um den Hals, unbehelmt und ohne Wurfwaffen jeder Art, aber dafuer mit
+ungeheurem Schild nebst dem langen schlechtgestaehlten Schwert, dem
+Dolch und der Lanze, alle diese Waffen mit Gold geziert, wie sie denn
+die Metalle nicht ungeschickt zu bearbeiten verstanden. Zum Renommieren
+dient alles, selbst die Wunde, die oft nachtraeglich erweitert wird, um
+mit der breiteren Schmarre zu prunken. Gewoehnlich fechten sie zu
+Fuss, einzelne Schwaerme aber auch zu Pferde, wo dann jedem Freien zwei
+gleichfalls berittene Knappen folgen; Streitwagen finden sich frueh wie
+bei den Libyern und den Hellenen in aeltester Zeit. Mancher Zug erinnert
+an das Ritterwesen des Mittelalters; am meisten die den Roemern und
+Griechen fremde Sitte des Zweikampfes. Nicht bloss im Kriege pflegten
+sie den einzelnen Feind, nachdem sie ihn zuvor mit Worten und Gebaerden
+verhoehnt hatten, zum Kampfe zu fordern; auch im Frieden fochten sie
+gegeneinander in glaenzender Ruestung auf Leben und Tod. Dass die
+Zechgelage hernach nicht fehlten, versteht sich. So fuehrten sie unter
+eigener oder fremder Fahne ein unstetes Soldatenleben, das sie von
+Irland und Spanien bis nach Kleinasien zerstreute unter steten Kaempfen
+und sogenannten Heldentaten; aber was sie auch begannen, es zerrann wie
+der Schnee im Fruehling, und nirgends ist ein grosser Staat,
+nirgends eine eigene Kultur von ihnen geschaffen worden.
+------------------------------------------------------- ^3 Pleraque
+Gallia duas res industriosissime persequitur: rem militarem et
+argute loqui. (Cato or. frg. 2, 2).
+------------------------------------------------------- So schildern uns
+die Alten diese Nation; ueber ihre Herkunft laesst sich nur mutmassen.
+Demselben Schoss entsprungen, aus dem auch die hellenischen, italischen
+und germanischen Voelkerschaften hervorgingen, sind die Kelten
+ohne Zweifel gleich diesen aus dem oestlichen Mutterland in Europa
+eingerueckt, wo sie in fruehester Zeit das Westmeer erreichten und in
+dem heutigen Frankreich ihre Hauptsitze begruendeten ^4, gegen Norden
+hin uebersiedelnd auf die britannischen Inseln, gegen Sueden die
+Pyrenaeen ueberschreitend und mit den iberischen Voelkerschaften um den
+Besitz der Halbinsel ringend. An den Alpen indes stroemte ihre erste
+grosse Wanderung vorbei und erst von den westlichen Laendern aus
+begannen sie in kleineren Massen und in entgegengesetzter Richtung jene
+Zuege, die sie ueber die Alpen und den Haemus, ja ueber den Bosporus
+fuehrten und durch die sie der Schrecken der saemtlichen zivilisierten
+Nationen des Altertums geworden und durch manche Jahrhunderte geblieben
+sind, bis Caesars Siege und die von Augustus geordnete
+Grenzverteidigung ihre Macht fuer immer brachen.
+-------------------------------------------------------- ^4
+Neuerdings ist von kundigen Sprachforschern behauptet worden, dass die
+Verwandtschaft der Kelten und der Italiker naeher sei, als selbst die
+der letzteren und der Hellenen, das heisst, dass derjenige Ast des
+grossen Baumes, von dem die west- und suedeuropaeischen Voelkerschaften
+indogermanischen Stammes entsprungen sind, zunaechst sich in Griechen
+und Italokelten und betraechtlich spaeter die letzteren sich wieder
+in Italiker und Kelten gespalten haetten. Geographisch ist diese
+Aufstellung sehr annehmbar, und auch die geschichtlich vorliegenden
+Tatsachen lassen sich vielleicht damit ebenfalls in Einklang bringen
+da, was bisher als graecoitalische Zivilisation angesehen worden ist,
+fueglich graecokeltoitalisch gewesen sein kann - wissen wir doch ueber
+die aelteste keltische Kulturstufe in der Tat nichts. Die sprachliche
+Untersuchung scheint indes noch nicht so weit gediehen zu sein, dass
+ihre Ergebnisse in die aelteste Voelkergeschichte eingereiht werden
+duerften. ------------------------------------------------------- Die
+einheimische Wandersage, die hauptsaechlich Livius uns erhalten hat,
+berichtet von diesen spaeteren ruecklaeufigen Zuegen folgendermassen
+^5. Die gallische Eidgenossenschaft, an deren Spitze damals wie noch zu
+Caesars Zeit der Gau der Biturigen (um Bourges) stand, habe unter dem
+Koenig Ambiatus zwei grosse Heeresschwaerme entsendet, gefuehrt von den
+beiden Neffen des Koenigs, und es sei der eine derselben, Sigovesus,
+ueber den Rhein in der Richtung auf den Schwarzwald zu vorgedrungen, der
+zweite, Bellovesus, ueber die Graischen Alpen (den Kleinen St.
+Bernhard) in das Potal hinabgestiegen. Von jenem stamme die gallische
+Niederlassung an der mittleren Donau, von diesem die aelteste keltische
+Ansiedlung in der heutigen Lombardei, der Gau der Insubrer mit dem
+Hauptort Mediolanum (Mailand). Bald sei ein zweiter Schwarm gefolgt,
+der den Gau der Cenomaner mit den Staedten Brixia (Brescia) und Verona
+begruendet habe. Unaufhoerlich stroemte es fortan ueber die Alpen in
+das schoene ebene Land; die keltischen Staemme samt den von ihnen
+aufgetriebenen und fortgerissenen ligurischen entrissen den Etruskern
+einen Platz nach dem andern, bis das ganze linke Poufer in ihren Haenden
+war. Nach dem Fall der reichen etruskischen Stadt Melpum (vermutlich
+in der Gegend von Mailand), zu deren Bezwingung sich die schon im Potal
+ansaessigen Kelten mit neugekommenen Staemmen vereinigt hatten (358?
+396), gingen diese letzteren hinueber auf das rechte Ufer des Flusses
+und begannen die Umbrer und Etrusker in ihren uralten Sitzen zu
+bedraengen. Es waren dies vornehmlich die angeblich auf einer anderen
+Strasse, ueber den Poeninischen Berg (Grossen St. Bernhard) in Italien
+eingedrungenen Boier; sie siedelten sich an in der heutigen Romagna, wo
+die alte Etruskerstadt Felsina, von den neuen Herren Bononia umgenannt,
+ihre Hauptstadt wurde. Endlich kamen die Senonen, der letzte groessere
+Keltenstamm, der ueber die Alpen gelangt ist; er nahm seine Sitze an
+der Kueste des Adriatischen Meeres von Rimini bis Ancona. Aber einzelne
+Haufen keltischer Ansiedler muessen sogar bis tief nach Umbrien hinein,
+ja bis an die Grenze des eigentlichen Etrurien vorgedrungen sein; denn
+noch bei Todi am oberen Tiber haben sich Steinschriften in keltischer
+Sprache gefunden. Enger und enger zogen sich nach Norden und Osten
+hin die Grenzen Etruriens zusammen, und um die Mitte des vierten
+Jahrhunderts sah die tuskische Nation sich schon wesentlich auf
+dasjenige Gebiet beschraenkt, das seitdem ihren Namen getragen hat und
+heute noch traegt. ------------------------------------------- ^5 Die
+Sage ueberliefern Livius (5, 34) und Iustin (24, 4) und auch Caesar
+(Gall. 6, 24) hat sie im Sinn gehabt. Die Verknuepfung indes der
+Wanderung des Bellovesus mit der Gruendung von Massalia, wodurch jene
+chronologisch auf die Mitte des zweiten Jahrhunderts der Stadt bestimmt
+wird, gehoert unzweifelhaft nicht der einheimischen, natuerlich
+zeitlosen Sage an, sondern der spaeteren chronologisierenden Forschung
+und verdient keinen Glauben. Einzelne Einfaelle und Einwanderungen
+moegen sehr frueh stattgefunden haben; aber das gewaltige Umsichgreifen
+der Kelten in Norditalien kann nicht vor die Zeit des Sinkens der
+etruskischen Macht, das heisst nicht vor die zweite Haelfte des dritten
+Jahrhunderts der Stadt gesetzt werden. Ebenso ist, nach der einsichtigen
+Ausfuehrung von Wickham und Cramer, nicht daran zu zweifeln, dass der
+Zug des Bellovesus wie der des Hannibal nicht ueber die Kottischen Alpen
+(Mont Genevre) und durch das Gebiet der Tauriner, sondern ueber die
+Graischen (den Kleinen St. Bernhard) und durch das der Salasser ging;
+den Namen des Berges gibt Livius wohl nicht nach der Sage, sondern
+nach seiner Vermutung an. Ob die italischen Boier aufgrund einer echten
+Sagenreminiszenz oder nur aufgrund eines angenommenen Zusammenhangs mit
+den noerdlich von der Donau wohnhaften Boiern durch den oestlichen Pass
+der Poeninischen Alpen gefuehrt werden, muss dahingestellt bleiben.
+------------------------------------------------- Unter diesen, wie auf
+Verabredung gemeinschaftlichen Angriffen der verschiedensten Voelker,
+der Syrakusaner, Latiner, Samniten und vor allem der Kelten brach die
+eben noch so gewaltig und so ploetzlich in Latium und Kampanien und
+auf beiden italischen Meeren um sich greifende etruskische Nation
+noch gewaltsamer und noch ploetzlicher zusammen. Der Verlust der
+Seeherrschaft, die Bewaeltigung der kampanischen Etrusker gehoert
+derselben Epoche an, wo die Insubrer und Cenomaner am Po sich
+niederliessen; und eben um diese Zeit ging auch die durch Porsena
+wenige Jahrzehnte zuvor aufs tiefste gedemuetigte und fast geknechtete
+roemische Buergerschaft zuerst angreifend gegen Etrurien vor. Im
+Waffenstillstand mit Veii von 280 (474) hatte sie das Verlorene
+wiedergewonnen und im wesentlichen den Zustand wiederhergestellt, wie er
+zu der Zeit der Koenige zwischen beiden Nationen bestanden hatte. Als
+er im Jahre 309 (445) ablief, begann zwar die Fehde aufs neue; aber
+es waren Grenzgefechte und Beutezuege, die fuer beide Teile ohne
+wesentliches Resultat verliefen. Etrurien stand noch zu maechtig da, als
+dass Rom einen ernstlichen Angriff haette unternehmen koennen. Erst
+der Abfall der Fidenaten, die die roemische Besatzung vertrieben, die
+Gesandten ermordeten und sich dem Koenig der Veienter, Lars Tolumnius,
+unterwarfen, veranlasste einen bedeutenderen Krieg, welcher gluecklich
+fuer die Roemer ablief: der Koenig Tolumnius fiel im Gefecht von der
+Hand des roemischen Konsuls Aulus Cornelius Cossus (326? 428), Fidenae
+ward genommen und 329 (425) ein neuer Stillstandsvertrag auf 200 Monate
+abgeschlossen. Waehrend desselben steigerte sich Etruriens Bedraengnis
+mehr und mehr und naeherten sich die keltischen Waffen schon den
+bisher noch verschonten Ansiedlungen am rechten Ufer des Po. Als der
+Waffenstillstand Ende 346 (408) abgelaufen war, entschlossen sich die
+Roemer auch ihrerseits zu einem Eroberungskrieg gegen Etrurien, der
+jetzt nicht bloss gegen, sondern um Veii gefuehrt ward. Die Geschichte
+des Krieges gegen die Veienter, Capenaten und Falisker und der
+Belagerung Veiis, die gleich der trojanischen zehn Jahre gewaehrt
+haben soll, ist wenig beglaubigt. Sage und Dichtung haben sich dieser
+Ereignisse bemaechtigt, und mit Recht; denn gekaempft ward hier mit bis
+dahin unerhoerter Anstrengung um einen bis dahin unerhoerten Kampfpreis.
+Es war das erstemal, dass ein roemisches Heer Sommer und Winter, Jahr
+aus Jahr ein im Felde blieb, bis das vorgesteckte Ziel erreicht war; das
+erstemal, dass die Gemeinde aus Staatsmitteln dem Aufgebot Sold zahlte.
+Aber es war auch das erstemal, dass die Roemer es versuchten, sich
+eine stammfremde Nation zu unterwerfen und ihre Waffen ueber die alte
+Nordgrenze der latinischen Landschaft hinuebertrugen. Der Kampf war
+gewaltig, der Ausgang kaum zweifelhaft. Die Roemer fanden Unterstuetzung
+bei den Latinern und den Hernikern, denen der Sturz des gefuerchteten
+Nachbarn fast nicht minder Genugtuung und Foerderung gewaehrte als den
+Roemern selbst; waehrend Veii von seiner Nation verlassen dastand und
+nur die naechsten Staedte, Capena, Falerii, auch Tarquinii, ihm
+Zuzug leisteten. Die gleichzeitigen Angriffe der Kelten wuerden
+diese Nichtteilnahme der noerdlichen Gemeinden allein schon genuegend
+erklaeren; es wird indes erzaehlt und es ist kein Grund es zu
+bezweifeln, dass zunaechst innere Parteiungen in dem etruskischen
+Staedtebund, namentlich die Opposition der aristokratischen Regierungen
+der uebrigen Staedte gegen das von den Veientern beibehaltene oder
+wiederhergestellte Koenigsregiment, jene Untaetigkeit der uebrigen
+Etrusker herbeigefuehrt haben. Haette die etruskische Nation sich an dem
+Kampf beteiligen koennen oder wollen, so wuerde die roemische Gemeinde
+kaum imstande gewesen sein, die bei der damaligen hoechst unentwickelten
+Belagerungskunst riesenhafte Aufgabe der Bezwingung einer grossen und
+festen Stadt zu Ende zu fuehren; vereinzelt aber und verlassen wie
+sie war, unterlag die Stadt (358 396) nach tapferer Gegenwehr dem
+ausharrenden Heldengeist des Marcus Furius Camillus, welcher zuerst
+seinem Volke die glaenzende Bahn der auslaendischen Eroberungen auftat.
+Von dem Jubel, den der grosse Erfolg in Rom erregte, ist ein Nachklang
+die in den Festspielen Roms bis in spaete Zeit fortgepflanzte Sitte
+des "Veienterverkaufs", wobei unter den zur Versteigerung gebrachten
+parodischen Beutestuecken der aergste alte Krueppel, den man auftreiben
+konnte, im Purpurmantel und Goldschmuck den Beschluss machte als "Koenig
+der Veienter". Die Stadt ward zerstoert, der Boden verwuenscht zu
+ewiger Oede. Falerii und Capena eilten, Frieden zu machen; das maechtige
+Volsinii, das in bundesmaessiger Halbheit waehrend Veiis Agonie geruht
+hatte und nach der Einnahme zu den Waffen griff, bequemte nach wenigen
+Jahren (363 391) sich gleichfalls zum Frieden. Es mag eine wehmuetige
+Sage sein, dass die beiden Vormauern der etruskischen Nation, Melpum und
+Veii, an demselben Tage jenes den Kelten, dieses den Roemern unterlagen;
+aber es liegt in ihr auf jeden Fall eine tiefe geschichtliche Wahrheit.
+Der doppelte Angriff von Norden und Sueden und der Fall der beiden
+Grenzfesten war der Anfang des Endes der grossen etruskischen
+Nation. Indes einen Augenblick schien es, als sollten die beiden
+Voelkerschaften, durch deren Zusammenwirken Etrurien sich in seiner
+Existenz bedroht sah, vielmehr untereinander sich aufreiben und auch
+Roms neu aufbluehende Macht von den fremden Barbaren zertreten
+werden. Diese Wendung der Dinge, die dem natuerlichen Lauf der Politik
+widersprach, beschworen ueber die Roemer der eigene Uebermut und die
+eigene Kurzsichtigkeit herauf. Die keltischen Scharen, die nach Melpums
+Fall ueber den Fluss gesetzt waren, ueberfluteten mit reissender
+Geschwindigkeit das noerdliche Italien, nicht bloss das offene Gebiet am
+rechten Ufer des Padus und laengs des Adriatischen Meeres, sondern auch
+das eigentliche Etrurien diesseits des Apennin. Wenige Jahre nachher
+(363 391) ward schon das im Herzen Etruriens gelegene Clusium (Chiusi an
+der Grenze von Toskana und dem Kirchenstaat) von den keltischen Senonen
+belagert; und so gedemuetigt waren die Etrusker, dass die bedraengte
+tuskische Stadt die Zerstoerer Veiis um Hilfe anrief. Es waere
+vielleicht weise gewesen, dieselbe zu gewaehren und zugleich die
+Gallier durch die Waffen und die Etrusker durch den gewaehrten Schutz
+in Abhaengigkeit von Rom zu bringen; allein eine solche weitblickende
+Intervention, die die Roemer genoetigt haben wuerde, einen ernsten Kampf
+an der tuskischen Nordgrenze zu beginnen, lag jenseits des Horizonts
+ihrer damaligen Politik. So blieb nichts uebrig, als sich jeder
+Einmischung zu enthalten. Allein toerichterweise schlug man die
+Hilfstruppen ab und schickte Gesandte; und noch toerichter meinten
+diese, den Kelten durch grosse Worte imponieren und, als dies
+fehlschlug, gegen Barbaren ungestraft das Voelkerrecht verletzen zu
+koennen: sie nahmen in den Reihen der Clusiner teil an einem Gefecht und
+der eine von ihnen stach darin einen gallischen Befehlshaber vom Pferde.
+Die Barbaren verfuhren in diesem Fall mit Maessigung und Einsicht. Sie
+sandten zunaechst an die roemische Gemeinde, um die Auslieferung der
+Frevler am Voelkerrecht zu fordern, und der Senat war bereit, dem
+billigen Begehren sich zu fuegen. Allein in der Masse ueberwog das
+Mitleid gegen die Landsleute die Gerechtigkeit gegen die Fremden;
+die Genugtuung ward von der Buergerschaft verweigert, ja nach einigen
+Berichten ernannte man die tapferen Vorkaempfer fuer das Vaterland sogar
+zur Konsulartribunen fuer das Jahr 364 (390) ^6, das in den roemischen
+Annalen so verhaengnisvoll werden sollte. Da brach der Brennus, das
+heisst der Heerkoenig der Gallier, die Belagerung von Clusium ab und der
+ganze Keltenschwarm - die Zahl wird auf 70000 Koepfe angegeben - wandte
+sich gegen Rom. Solche Zuege in unbekannte und ferne Gegenden waren
+den Galliern gelaeufig, die unbekuemmert um Deckung und Rueckzug als
+bewaffnete Auswandererscharen marschierten; in Rom aber ahnte man
+offenbar nicht, welche Gefahr in diesem so ploetzlichen und so
+gewaltigen Ueberfall lag. Erst als die Gallier im Anmarsch auf Rom
+waren, ueberschritt eine roemische Heeresmacht den Tiber und vertrat
+ihnen den Weg. Keine drei deutsche Meilen von den Toren, gegenueber
+der Muendung des Baches Allia in den Tiberfluss, trafen die Heere
+aufeinander und kam es am 18. Juli 364 (390) zur Schlacht. Auch jetzt
+noch ging man, nicht wie gegen ein Heer, sondern wie gegen Raeuber,
+uebermuetig und tolldreist in den Kampf unter unerprobten Feldherren
+- Camillus hatte infolge des Staendehaders von den Geschaeften sich
+zurueckgezogen. Waren es doch Wilde, gegen die man fechten sollte; was
+bedurfte es des Lagers, der Sicherung des Rueckzugs? Aber die Wilden
+waren Maenner von todverachtendem Mut und ihre Fechtweise den Italikern
+so neu wie schrecklich; die blossen Schwerter in der Faust stuerzten die
+Kelten im rasenden Anprall sich auf die roemische Phalanx und rannten
+sie im ersten Stosse ueber den Haufen. Die Niederlage war vollstaendig;
+von den Roemern, die den Fluss im Ruecken gefochten hatten, fand ein
+grosser Teil bei dem Versuch, denselben zu ueberschreiten, seinen
+Untergang; was sich rettete, warf sich seitwaerts nach dem nahen Veii.
+Die siegreichen Kelten standen zwischen dem Rest des geschlagenen Heeres
+und der Hauptstadt. Diese war rettungslos dem Feinde preisgegeben; die
+geringe dort zurueckgebliebene oder dorthin gefluechtete Mannschaft
+reichte nicht aus, um die Mauern zu besetzen, und drei Tage nach der
+Schlacht zogen die Sieger durch die offenen Tore in Rom ein. Haetten sie
+es am ersten getan, wie sie es konnten, so war nicht bloss die Stadt,
+sondern auch der Staat verloren; die kurze Zwischenzeit machte es
+moeglich, die Heiligtuemer zu fluechten oder zu vergraben und, was
+wichtiger war, die Burg zu besetzen und notduerftig mit Lebensmitteln
+zu versehen. Was die Waffen nicht tragen konnte, liess man nicht auf die
+Burg - man hatte kein Brot fuer alle. Die Menge der Wehrlosen verlief
+sich in die Nachbarstaedte; aber manche, vor allem eine Anzahl
+angesehener Greise, mochten den Untergang der Stadt nicht ueberleben und
+erwarteten in ihren Haeusern den Tod durch das Schwert der Barbaren. Sie
+kamen, mordeten und pluenderten, was an Menschen und Gut sich vorfand
+und zuendeten schliesslich vor den Augen der roemischen Besatzung auf
+dem Kapitol die Stadt an allen Ecken an. Aber die Belagerungskunst
+verstanden sie nicht und die Blockade des steilen Burgfelsens war
+langwierig und schwierig, da die Lebensmittel fuer den grossen
+Heeresschwarm nur durch bewaffnete Streifpartien sich herbeischaffen
+liessen und diesen die benachbarten latinischen Buergerschaften,
+namentlich die Ardeaten, haeufig mit Mut und Glueck sich entgegenwarfen.
+Dennoch harrten die Kelten mit einer unter ihren Verhaeltnissen
+beispiellosen Energie sieben Monate unter dem Felsen aus und schon
+begannen der Besatzung, die der Ueberrumpelung in einer dunkeln Nacht
+nur durch das Schnattern der Heiligen Gaense im kapitolinischen Tempel
+und das zufaellige Erwachen des tapferen Marcus Manlius entgangen war,
+die Lebensmittel auf die Neige zu geben, als den Kelten ein Einfall der
+Veneter in das neu gewonnene senonische Gebiet am Padus gemeldet ward
+und sie bewog, das ihnen fuer den Abzug gebotene Loesegeld anzunehmen.
+Das hoehnische Hinwerfen des gallischen Schwertes, dass es aufgewogen
+werde vom roemischen Golde, bezeichnete sehr richtig die Lage der Dinge.
+Das Eisen der Barbaren hatte gesiegt, aber sie verkauften ihren Sieg
+und gaben ihn damit verloren.
+------------------------------------------------------ ^6 Dies ist nach
+der gangbaren Gleichung 390 v. Chr.; in der Tat aber fiel die Einnahme
+Roms Ol. 98, 1 = 388 v. Chr. und ist nur durch die zerruettete
+roemische Jahrzaehlung verschoben.
+------------------------------------------------------ Die
+fuerchterliche Katastrophe der Niederlage und des Brandes, der 18. Juli
+und der Bach der Allia, der Platz, wo die Heiligtuemer vergraben gewesen
+und wo die Ueberrumpelung der Burg war abgeschlagen worden - all
+die Einzelheiten dieses unerhoerten Ereignisses gingen ueber von der
+Erinnerung der Zeitgenossen in die Phantasie der Nachwelt, und noch
+wir begreifen es kaum, dass wirklich schon zwei Jahrtausende verflossen
+sind, seit jene welthistorischen Gaense sich wachsamer bewiesen als die
+aufgestellten Posten. Und doch - mochte in Rom verordnet werden, dass in
+Zukunft bei einem Einfall der Kelten keines der gesetzlichen Privilegien
+vom Kriegsdienst befreien solle; mochte man dort rechnen nach den Jahren
+von der Eroberung der Stadt; mochte diese Begebenheit widerhallen in
+der ganzen damaligen zivilisierten Welt und ihren Weg finden bis in die
+griechischen Annalen: die Schlacht an der Allia mit ihren Resultaten
+ist dennoch kaum den folgenreichen geschichtlichen Begebenheiten
+beizuzaehlen. Sie aendert eben nichts in den politischen Verhaeltnissen.
+Wie die Gallier wieder abgezogen sind mit ihrem Golde, das nur eine
+spaet und schlecht erfundene Erzaehlung den Helden Camillus wieder nach
+Rom zurueckbringen laesst; wie die Fluechtigen sich wieder heimgefunden
+haben, der wahnsinnige Gedanke einiger mattherziger Klugheitspolitiker,
+die Buergerschaft nach Veii ueberzusiedeln, durch Camillus' hochsinnige
+Gegenrede beseitigt ist, die Haeuser eilig und unordentlich - die engen
+und krummen Strassen Roms schrieben von dieser Zeit sich her - sich
+aus den Truemmern erheben, steht auch Rom wieder da in seiner alten
+gebietenden Stellung; ja es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieses
+Ereignis wesentlich, wenn auch nicht im ersten Augenblick, dazu
+beigetragen hat, dem Gegensatz zwischen Etrurien und Rom seine Schaerfe
+zu nehmen und vor allem zwischen Latium und Rom die Bande der Einigkeit
+fester zu knuepfen. Der Kampf der Gallier und Roemer ist, ungleich dem
+zwischen Rom und Etrurien oder Rom und Samnium, nicht ein Zusammenstoss
+zweier politischer Maechte, die einander bedingen und bestimmen; er ist
+den Naturkatastrophen vergleichbar, nach denen der Organismus, wenn er
+nicht zerstoert wird, sofort wieder sich ins gleiche setzt. Die Gallier
+sind noch oft wiedergekehrt nach Latium; so im Jahre 387 (367), wo
+Camillus sie bei Alba schlug - der letzte Sieg des greisen Helden, der
+sechsmal konsularischer Kriegstribun, fuenfmal Diktator gewesen und
+viermal triumphierend auf das Kapitol gezogen war; im Jahre 393 (361),
+wo der Diktator Titus Quinctius Pennus ihnen gegenueber keine volle
+Meile von der Stadt an der Aniobruecke lagerte, aber ehe es noch zum
+Kampfe gekommen war, der gallische Schwarm nach Kampanien weiterzog;
+im Jahre 394 (360), wo der Diktator Quintus Servilius Ahala vor dem
+Collinischen Tor mit den aus Kampanien heimkehrenden Scharen stritt;
+im Jahre 396 (358), wo ihnen der Diktator Gaius Sulpicius Peticus eine
+nachdrueckliche Niederlage beibrachte; im Jahre 404 (350), wo sie
+sogar den Winter ueber auf dem Albaner Berg kampierten und sich mit
+den griechischen Piraten an der Kueste um den Raub schlugen, bis Lucius
+Furius Camillus, der Sohn des beruehmten Feldherrn, im folgenden
+Jahr sie vertrieb - ein Ereignis, von dem der Zeitgenosse Aristoteles
+(370-432 384-322) in Athen vernahm. Allein diese Raubzuege,
+wie schreckhaft und beschwerlich sie sein mochten, waren mehr
+Ungluecksfaelle als politische Ereignisse und das wesentlichste Resultat
+derselben, dass die Roemer sich selbst und dem Auslande in immer
+weiteren Kreisen als das Bollwerk der zivilisierten Nationen Italiens
+gegen den Anstoss der gefuerchteten Barbaren erschienen - eine
+Auffassung, die ihre spaetere Weltstellung mehr als man meint gefoerdert
+hat. Die Tusker, die den Angriff der Kelten auf Rom benutzt hatten, um
+Veii zu berennen, hatten nichts ausgerichtet, da sie mit ungenuegenden
+Kraeften erschienen waren; kaum waren die Barbaren abgezogen, als
+der schwere Arm Latiums sie mit unvermindertem Gewicht traf. Nach
+wiederholten Niederlagen der Etrusker blieb das ganze suedliche Etrurien
+bis zu den Ciminischen Huegeln in den Haenden der Roemer, welche in
+den Gebieten von Veii, Capena und Falerii vier neue Buergerbezirke
+einrichteten (367 387) und die Nordgrenze sicherten durch die Anlage der
+Festungen Sutrium (371 383) und Nepete (381 373). Mit raschen Schritten
+ging dieser fruchtbare und mit roemischen Kolonisten bedeckte Landstrich
+der vollstaendigen Romanisierung entgegen. Um 396 (358) versuchten zwar
+die naechstliegenden etruskischen Staedte Tarquinii, Caere, Falerii
+sich gegen die roemischen Uebergriffe aufzulehnen, und wie tief die
+Erbitterung war, die dieselben in Etrurien erweckt hatten, zeigt die
+Niedermetzlung der saemtlichen, im ersten Feldzug gemachten roemischen
+Gefangenen, dreihundertundsieben an der Zahl, auf dem Marktplatz von
+Tarquinii; allein es war die Erbitterung der Ohnmacht. Im Frieden (403
+351) musste Caere, das, als den Roemern zunaechst gelegen, am schwersten
+buesste, die halbe Landmark an Rom abtreten und mit dem geschmaelerten
+Gebiet, das ihm blieb, aus dem etruskischen Bunde aus- und in das
+Untertanenverhaeltnis zu Rom treten, welches inzwischen zunaechst fuer
+einzelne latinische Gemeinden aufgekommen war. Es schien indes nicht
+ratsam, dieser entfernteren und von der roemischen stammverschiedenen
+Gemeinde diejenige kommunale Selbstaendigkeit zu belassen, welche
+den untertaenigen Gemeinden Latiums noch verblieben war; man gab der
+caeritischen Gemeinde das roemische Buergerrecht nicht bloss ohne
+aktives und passives Wahlrecht in Rom, sondern auch unter Entziehung
+der Selbstverwaltung, so dass an die Stelle der eigenen Beamten bei der
+Rechtspflege und Schatzung die roemischen traten und am Orte selbst ein
+Vertreter (praefectus) des roemischen Praetors die Verwaltung leitete -
+eine hier zuerst begegnende staatsrechtliche Form der Untertaenigkeit,
+wodurch der bisher selbstaendige Staat in eine rechtlich fortbestehende,
+aber jeder eigenen Bewegung beraubte Gemeinde umgewandelt ward. Nicht
+lange nachher (411 343) trat auch Falerii, das seine urspruengliche
+latinische Nationalitaet auch unter der Tuskerherrschaft sich bewahrt
+hatte, aus dem etruskischen Bunde aus und in ewigen Bund mit Rom; damit
+war ganz Suedetrurien in der einen oder anderen Form der roemischen
+Suprematie unterworfen. Tarquinii und wohl das noerdliche Etrurien
+ueberhaupt begnuegte man sich, durch einen Friedensvertrag auf 400
+Monate fuer lange Zeit zu fesseln (403 351). Auch im noerdlichen Italien
+ordneten sich allmaehlich die durch und gegen einander stuermenden
+Voelker wieder in dauernder Weise und in festere Grenzen. Die Zuege
+ueber die Alpen hoerten auf, zum Teil wohl infolge der verzweifelten
+Verteidigung der Etrusker in ihrer beschraenkteren Heimat und der
+ernstlichen Gegenwehr der maechtigen Roemer, zum Teil wohl auch infolge
+uns unbekannter Veraenderungen im Norden der Alpen. Zwischen Alpen
+und Apenninen bis hinab an die Abruzzen waren jetzt die Kelten im
+allgemeinen die herrschende Nation und namentlich die Herren des
+ebenen Landes und der reichen Weiden; aber bei ihrer schlaffen und
+oberflaechlichen Ansiedlungsweise wurzelte ihre Herrschaft nicht tief
+in der neu gewonnenen Landschaft und gestaltete sich keineswegs zum
+ausschliesslichen Besitz. Wie es in den Alpen stand und wie hier
+keltische Ansiedler mit aelteren etruskischen oder andersartigen
+Staemmen sich vermischten, gestattet unsere ungenuegende Kunde ueber
+die Nationalitaet der spaeteren Alpenvoelker nicht auszumachen; nur
+die Raeter in dem heutigen Graubuenden und Tirol duerfen als ein
+wahrscheinlich etruskischer Stamm bezeichnet werden. Die Taeler des
+Apennin behielten die Umbrer, den nordoestlichen Teil des Potals die
+anderssprachigen Veneter im Besitz; in den westlichen Bergen behaupteten
+sich ligurisch: Staemme, die bis Pisa und Arezzo hinab wohnten und
+das eigentliche Keltenland von Etrurien schieden. Nur in dem mittleren
+Flachland hausten die Kelten, noerdlich vom Po die Insubrer und
+Cenomaner, suedlich die Boier, an der adriatischen Kueste von Ariminum
+bis Ankon, in der sogenannten "Gallierlandschaft" (ager Gallicus) die
+Senonen, kleinerer Voelkerschaften zu geschweigen. Aber selbst hier
+muessen die etruskischem Ansiedlungen zum Teil wenigstens fortbestanden
+haben, etwa wie Ephesos und Milet griechisch blieben unter persischer
+Oberherrlichkeit. Mantua wenigstens, das durch seine Insellage
+geschuetzt war, war noch in der Kaiserzeit eine tuskische Stadt und
+auch in Atria am Po, wo zahlreiche Vasenfunde gemacht sind, scheint das
+etruskische Wesen fortbestanden zu haben; noch die unter dem Namen des
+Skylax bekannte, um 418 (336) abgefasste Kuestenbeschreibung nennt die
+Gegend von Atria und Spina tuskisches Land. Nur so erklaert sich auch,
+wie etruskische Korsaren bis weit ins fuenfte Jahrhundert hinein das
+Adriatische Meer unsicher machen konnten, und weshalb nicht bloss
+Dionysios von Syrakus die Kuesten desselben mit Kolonien bedeckte,
+sondern selbst Athen noch um 429 (325), wie eine kuerzlich entdeckte
+merkwuerdige Urkunde lehrt, zum Schutz der Kauffahrer gegen die
+tyrrhenischen Kaper die Anlage einer Kolonie im Adriatischen Meere
+beschloss. Aber mochte hier mehr oder weniger von etruskischem Wesen
+sich behaupten, es waren das einzelne Truemmer und Splitter der
+frueheren Machtentwicklung; der etruskischen Nation kam nicht mehr
+zugute, was hier im friedlichen Verkehr oder im Seekrieg von einzelnen
+noch etwa erreicht ward. Dagegen gingen wahrscheinlich von diesen
+halbfreien Etruskern die Anfaenge derjenigen Zivilisation aus, die wir
+spaeterhin bei den Kelten und ueberhaupt den Alpenvoelkern finden.
+Schon dass die Keltenschwaerme in den lombardischen Ebenen, mit dem
+sogenannten Skylax zu reden, das Kriegerleben aufgaben und sich bleibend
+ansaessig machten, gehoert zum Teil hierher; aber auch die Anfaenge der
+Handwerke und Kuenste und das Alphabet sind den lombardischen Kelten,
+ja den Alpenvoelkern bis in die heutige Steiermark hinein durch die
+Etrusker zugekommen. Also blieben nach dem Verlust der Besitzungen in
+Kampanien und der ganzen Landschaft noerdlich vom Apennin und suedlich
+vom Ciminischen Walde den Etruskern nur sehr beschraenkte Grenzen: die
+Zeiten der Macht und des Aufstrebens waren fuer sie auf immer vorueber.
+In engster Wechselwirkung mit diesem aeusseren Sinken steht der innere
+Verfall der Nation, zu dem die Keime freilich wohl schon weit frueher
+gelegt worden waren. Die griechischen Schriftsteller dieser Zeit sind
+voll von Schilderungen der masslosen Ueppigkeit des etruskischen Lebens:
+unteritalische Dichter des fuenften Jahrhunderts der Stadt preisen den
+tyrrhenischen Wein und die gleichzeitigen Geschichtschreiber Timaeos
+und Theopomp entwerfen Bilder von der etruskischen Weiberzucht und
+der etruskischen Tafel, welche der aergsten byzantinischen und
+franzoesischen Sittenlosigkeit nichts nachgeben. Wie wenig beglaubigt
+das einzelne in diesen Berichten auch ist, so scheint doch mindestens
+die Angabe begruendet zu sein, dass die abscheuliche Lustbarkeit der
+Fechterspiele, der Krebsschaden des spaeteren Rom und ueberhaupt der
+letzten Epoche des Altertums, zuerst bei den Etruskern aufgekommen
+ist; und jedenfalls lassen sie im ganzen keinen Zweifel an der tiefen
+Entartung der Nation. Auch die politischen Zustaende derselben sind
+davon durchdrungen. So weit unsere duerftige Kunde reicht, finden
+wir aristokratische Tendenzen vorwiegend, in aehnlicher Weise wie
+gleichzeitig in Rom, aber schroffer und verderblicher. Die Abschaffung
+des Koenigtums, die um die Zeit der Belagerung Veiis schon in allen
+Staaten Etruriens durchgefuehrt gewesen zu sein scheint, rief in den
+einzelnen Staedten ein Patrizierregiment hervor, das durch das lose
+eidgenossenschaftliche Band sich nur wenig beschraenkt sah. Selten nur
+gelang es, selbst zur Landesverteidigung alle etruskischen Staedte
+zu vereinigen, und Volsiniis nominelle Hegemonie haelt nicht den
+entferntesten Vergleich aus mit der gewaltigen Kraft, die durch
+Roms Fuehrung die latinische Nation empfing. Der Kampf gegen die
+ausschliessliche Berechtigung der Altbuerger zu allen Gemeindestellen
+und allen Gemeindenutzungen, der auch den roemischen Staat haette
+verderben muessen, wenn nicht die aeusseren Erfolge es moeglich gemacht
+haetten, die Ansprueche der gedrueckten Proletarier auf Kosten fremder
+Voelker einigermassen zu befriedigen und dem Ehrgeiz andere Bahnen
+zu oeffnen - dieser Kampf gegen das politische und was in Etrurien
+besonders hervortritt, gegen das priesterliche Monopol der
+Adelsgeschlechter muss Etrurien staatlich, oekonomisch und sittlich
+zugrunde gerichtet haben. Ungeheure Vermoegen, namentlich an
+Grundbesitz, konzentrierten sich in den Haenden von wenigen Adligen,
+waehrend die Massen verarmten; die sozialen Umwaelzungen, die hieraus
+entstanden, erhoehten die Not, der sie abhelfen sollten, und bei der
+Ohnmacht der Zentralgewalt blieb zuletzt den bedraengten Aristokraten,
+zum Beispiel in Arretium 453 (301), in Volsinii 488 (266) nichts uebrig,
+als die Roemer zu Hilfe zu rufen, die denn zwar der Unordnung, aber
+zugleich auch dem Rest von Unabhaengigkeit ein Ende machten. Die Kraft
+des Volkes war gebrochen seit dem Tage von Veii und Melpum; es wurden
+wohl einige Male noch ernstliche Versuche gemacht, sich der roemischen
+Oberherrschaft zu entziehen, aber wenn es geschah, kam die Anregung
+dazu den Etruskern von aussen, von einen andern italischen Stamm, den
+Samniten. 5. Kapitel Die Unterwerfung der Latiner und Kampaner unter Rom
+Das grosse Werk der Koenigszeit war Roms Herrschaft ueber Latium in der
+Form der Hegemonie. Dass die Umwandlung der roemischen Verfassung sowohl
+auf das Verhaeltnis der roemischen Gemeinde zu Latium wie auf die
+innere Ordnung der latinischen Gemeinden selbst nicht ohne maechtige
+Rueckwirkung bleiben konnte, leuchtet an sich ein und geht auch aus
+der Ueberlieferung hervor; von den Schwankungen, in welche durch die
+Revolution in Rom die roemisch-latinische Eidgenossenschaft geriet,
+zeugt die in ungewoehnlich lebhaften Farben schillernde Sage von dem
+Siege am Regiller See, den der Diktator oder Konsul Aulus Postumius
+(255? 258? 499 496) mit Hilfe der Dioskuren ueber die Latiner gewonnen
+haben soll, und bestimmter die Erneuerung des ewigen Bundes zwischen Rom
+und Latium durch Spurius Cassius in seinem zweiten Konsulat (261
+493). Indes geben diese Erzaehlungen eben ueber die Hauptsache, das
+Rechtsverhaeltnis der neuen roemischen Republik zu der latinischen
+Eidgenossenschaft, am wenigsten Aufschluss; und was wir sonst ueber
+dasselbe wissen, ist zeitlos ueberliefert und kann nur nach ungefaehrer
+Wahrscheinlichkeit hier eingereiht werden. Es liegt im Wesen der
+Hegemonie, dass sie durch das blosse innere Schwergewicht der
+Verhaeltnisse allmaehlich in die Herrschaft uebergeht; auch die
+roemische ueber Latium hat davon keine Ausnahme gemacht. Sie war
+begruendet auf die wesentliche Rechtsgleichheit des roemischen Staates
+und der latinischen Eidgenossenschaft; aber wenigstens im Kriegswesen
+und in der Behandlung der gemachten Eroberungen trug dies Verhaeltnis
+des Einheitsstaates einer- und des Staatenbundes anderseits
+die Hegemonie der Sache nach in sich. Nach der urspruenglichen
+Bundesverfassung war wahrscheinlich das Recht zu Krieg und Vertrag mit
+auswaertigen Staaten, also die volle staatliche Selbstbestimmung sowohl
+Rom wie den einzelnen Staedten des latinischen Bundes gewahrt, und es
+stellte auch wohl bei gemeinschaftlicher Kriegfuehrung Rom wie Latium
+das gleiche Kontingent, in der Regel jedes ein "Heer" von 8400 Mann ^1;
+aber den Oberbefehl fuehrte der roemische Feldherr, welcher dann die
+Stabsoffiziere, also die Teilfuehrer (tribuni militum), nach eigener
+Wahl ernannte. Im Falle des Sieges wurden die bewegliche Beute wie das
+eroberte Land zwischen Rom und der Eidgenossenschaft geteilt, und wenn
+man in dem eroberten Gebiet Festungen anzulegen beschloss, so wurde
+nicht bloss deren Besatzung und Bevoelkerung teils aus roemischen,
+teils aus eidgenoessischen Aussendlingen gebildet, sondern auch die
+neugegruendete Gemeinde als souveraener Bundesstaat in die latinische
+Eidgenossenschaft aufgenommen und mit Sitz und Stimme auf
+der latinischen Tagsatzung ausgestattet.
+------------------------------------------------------- ^1 Die
+urspruengliche Gleichheit der beiden Armeen geht schon aus Liv. 1, 52;
+8, 8, 14 und Dion. Hal. 8, 15, am deutlichsten aber aus Polyb. 6, 26
+hervor. ------------------------------------------------------- Diese
+Bestimmungen werden wahrscheinlich schon in der Koenigszeit, sicher
+in der republikanischen Epoche sich mehr und mehr zu Ungunsten der
+Eidgenossenschaft verschoben und Roms Hegemonie weiter entwickelt haben.
+Am fruehesten fiel ohne Zweifel weg das Kriegs- und Vertragsrecht der
+Eidgenossenschaft gegenueber dem Ausland ^2; Krieg und Vertrag kam ein
+fuer allemal an Rom. Die Stabsoffiziere fuer die latinischen Truppen
+muessen in aelterer Zeit wohl ebenfalls Latiner gewesen sein; spaeter
+wurden dazu wo nicht ausschliesslich, doch vorwiegend roemische
+Buerger genommen ^3. Dagegen wurde nach wie vor der latinischen
+Eidgenossenschaft insgesamt kein staerkeres Kontingent zugemutet als das
+von der roemischen Gemeinde gestellte war; und ebenso war der
+roemische Oberfeldherr gehalten, die latinischen Kontingente nicht
+zu zersplittern, sondern den von jeder Gemeinde gesandten Zuzug als
+besondere Heerabteilung unter dem von der Gemeinde bestellten Anfuehrer
+^4 zusammenzuhalten. Das Anrecht der latinischen Eidgenossenschaft auf
+einen Anteil an der beweglichen Beute wie an dem eroberten Lande blieb
+formell bestehen; aber der Sache nach ist der wesentliche Kriegsertrag
+ohne Zweifel schon in frueher Zeit an den fuehrenden Staat gekommen.
+Selbst bei der Anlegung der Bundesfestungen oder der sogenannten
+latinischen Kolonien waren in der Regel vermutlich die meisten und
+nicht selten alle Ansiedler Roemer; und wenn auch dieselben durch die
+Uebersiedelung aus roemischen Buergern Buerger einer eidgenoessischen
+Gemeinde wurden, so blieb doch wohl der neugepflanzten Ortschaft
+haeufig eine ueberwiegende und fuer die Eidgenossenschaft
+gefaehrliche Anhaenglichkeit an die wirkliche Mutterstadt.
+----------------------------------------------- ^2 Dass in den spaeteren
+Bundesvertraegen zwischen Rom und Latium es den latinischen Gemeinden
+untersagt war ihre Kontingente von sich aus zu mobilisieren und allein
+ins Feld zu senden, sagt ausdruecklich Dionysios (8, 15). ^3 Diese
+latinischen Stabsoffiziere sind die zwoelf praefecti sociorum, welche
+spaeterhin, als die alte Phalanx sich in die spaeteren Legionen und
+alae aufgeloest hatte, ebenso je sechs und sechs den beiden alae der
+Bundesgenossenkontingente vorstehen, wie die zwoelf Kriegstribunen
+des roemischen Heeres je sechs und sechs den beiden Legionen. Dass der
+Konsul jene wie urspruenglich auch diese ernennt, sagt Polyb. 6 26, 5.
+Da nun nach dem alten Rechtssatz, dass jeder Heerespflichtige Offizier
+werden kann, es gesetzlich dem Heerfuehrer gestattet war, einen Latiner
+zum Fuehrer einer roemischen wie umgekehrt einen Roemer zum Fuehrer
+einer latinischen Legion zu bestellen, so fuehrte dies praktisch dazu,
+dass die tribuni militum durchaus und die praefecti sociorum wenigstens
+in der Regel Roemer waren. ^4 Dies sind die decuriones turmarum und
+praefecti cohortium (Polyb. 6, 21, 5; Liv. 25, 14; Sall. Iug. 69 und
+sonst). Natuerlich wurden, wie die roemischen Konsuln von Rechts
+wegen, in der Regel auch tatsaechlich Oberfeldherren waren, vielleicht
+durchaus, mindestens sehr haeufig auch in den abhaengigen Staedten die
+Gemeindevorsteher an die Spitze der Gemeindekontingente gestellt
+(Liv. 23, 19; Orelli 7022); wie denn selbst der gewoehnliche Name
+der latinischen Obrigkeiten (praetores) sie als Offiziere bezeichnet.
+---------------------------------------------- Die Rechte dagegen,
+welche die Bundesvertraege dem einzelnen Buerger einer der verbuendeten
+Gemeinden in jeder Bundesstadt zusicherten, wurden nicht beschraenkt.
+Es gehoerten dahin namentlich die volle Rechtsgleichheit in Erwerb
+von Grundbesitz und beweglicher Habe, in Handel und Wandel, Ehe und
+Testament, und die unbeschraenkte Freizuegigkeit, sodass der in
+einer Bundesstadt verbuergerte Mann nicht bloss in jeder andern
+sich niederzulassen rechtlich befugt war, sondern auch daselbst als
+Rechtsgenosse (municeps) mit Ausnahme der passiven Wahlfaehigkeit an
+allen privaten und politischen Rechten und Pflichten teilnahm, sogar
+wenigstens in der nach Distrikten berufenen Gemeindeversammlung in
+einer freilich beschraenkten Weise zu stimmen befugt war ^5.
+--------------------------------------------- ^5 Es wurde ein solcher
+Insasse nicht wie der wirkliche Mitbuerger einem ein fuer allemal
+bestimmten Stimmbezirk zugeteilt, sondern vor jeder einzelnen Abstimmung
+nach Stimmbezirken der, in dem die Insassen diesmal zu stimmen hatten,
+durch das Los festgestellt. Der Sache nach kam dies wohl darauf hinaus,
+dass in der roemischen Tribusversammlung den Latinern eine Stimme
+eingeraeumt ward. Da der Platz in irgendeiner Tribus die Vorbedingung
+des ordentlichen Zenturiatstimmrechts war, so muss, wenn die Insassen
+auch in der Zenturienversammlung mitgestimmt haben, was wir nicht
+wissen, fuer diese eine aehnliche Losung festgesetzt gewesen sein.
+An den Kurien werden sie gleich den Plebejern teilgenommen haben.
+------------------------------------------- So etwa mag in der ersten
+republikanischen Zeit das Verhaeltnis der roemischen Gemeinde zu der
+latinischen Eidgenossenschaft beschaffen gewesen sein, ohne dass sich
+ausmachen liesse, was darin auf aeltere Satzungen und was auf die
+Buendnisrevision von 261 (493) zurueckgeht. Mit etwas groesserer
+Sicherheit darf die Umgestaltung der Ordnungen der einzelnen zu der
+latinischen Eidgenossenschaft gehoerigen Gemeinden nach dem Muster der
+roemischen Konsularverfassung als Neuerung bezeichnet und in diesen
+Zusammenhang gestellt werden. Denn obgleich die verschiedenen Gemeinden
+zu der Abschaffung des Koenigtums an sich recht wohl voneinander
+unabhaengig gelangt sein koennen, so verraet doch die gleichartige
+Benennung der neuen Jahreskoenige in der roemischen und den uebrigen
+Gemeindeverfassungen von Latium sowie die weitgreifende Anwendung des
+so eigentuemlichen Kollegialitaetsprinzips ^6 augenscheinlich einen
+aeusseren Zusammenhang; irgend einmal nach der Vertreibung der
+Tarquinier aus Rom muessen durchaus die latinischen Gemeindeordnungen
+nach dem Schema der Konsularverfassung revidiert worden sein. Es
+kann nun freilich diese Ausgleichung der latinischen Verfassungen mit
+derjenigen der fuehrenden Stadt moeglicherweise erst einer spaeteren
+Epoche angehoeren; indes spricht die innere Wahrscheinlichkeit vielmehr
+dafuer, dass der roemische Adel, nachdem er bei sich die Abschaffung
+des lebenslaenglichen Koenigtums bewirkt hatte, dieselbe
+Verfassungsaenderung auch den Gemeinden der latinischen
+Eidgenossenschaft angesonnen und, trotz des ernsten und den Bestand des
+roemisch-latinischen Bundes selbst in Frage stellenden Widerstandes,
+welchen teils die vertriebenen Tarquinier, teils die koeniglichen
+Geschlechter und koeniglich gesinnten Parteien der uebrigen Gemeinden
+Latiums geleistet zu haben scheinen, schliesslich in ganz Latium
+die Adelsherrschaft eingefuehrt hat. Die eben in diese Zeit fallende
+gewaltige Machtentwicklung Etruriens, die stetigen Angriffe der
+Veienter, der Heereszug des Porsena moegen wesentlich dazu beigetragen
+haben, die latinische Nation bei der einmal festgestellten Form
+der Einigung, das heisst bei der fortwaehrenden Anerkennung der
+Oberherrlichkeit Roms festzuhalten und dem zuliebe eine ohne Zweifel
+auch im Schosse der latinischen Gemeinden vielfach vorbereitete
+Verfassungsaenderung, ja vielleicht selbst eine Steigerung
+der hegemonischen Rechte sich gefallen zu lassen.
+------------------------------------------ ^6 Regelmaessig stehen
+bekanntlich die latinischen Gemeinden unter zwei Praetoren. Daneben
+kommen in einer Reihe von Gemeinden auch Einzelbeamte vor, welche dann
+den Diktatortitel fuehren - so in Alba (Orelli-Henzen 2293), Tusculum,
+Lanuvium (Cic. Mil. 10, 27;17, 45; Ascon. Mil. p. 32 Orelli, Orelli
+2786, 5157, 6086), Compitum (Orelli 3324), Nomentum (Orelli 208, 6138,
+7032; vgl. W. Henzen in Bullettino dell' Istituto 1858, S. 169) und
+Aricia (Orelli 1455). Dazu kommt der aehnliche Diktator in der civitas
+sine suffragio Caere (Orelli 3787, 5772; auch Garrucci, Diss. arch. Bd.
+1, S. 31, obwohl irrig nach Sutrium gesetzt); ferner die gleichnamigen
+Beamten von Fidenae (Orelli 112). Alle diese Aemter oder aus Aemtern
+hervorgegangenen Priestertuemer (der Diktator von Caere ist zu erklaeren
+nach Liv. 9, 43: Anagninis - magistratibus praeter quam sacrorum
+curatione interdictum) sind jaehrig (Orelli 208). Auch der Bericht
+Macers und der aus ihm schoepfenden Annalisten, dass Alba schon zur Zeit
+seines Falls nicht mehr unter Koenigen, sondern unter Jahresdiktatoren
+gestanden habe (Dion. Hal. 5, 74; Plut. Rom. 27; Liv. 1, 23), ist
+vermutlich bloss eine Folgerung aus der ihm bekannten Institution
+der ohne Zweifel gleich der nomentanischen jaehrigen sacerdotalen
+albanischen Diktatur, bei welcher Darstellung ueberdies die
+demokratische Parteistellung ihres Urhebers mit im Spiel gewesen sein
+wird. Es steht dahin, ob der Schluss gueltig ist und nicht, auch wenn
+Alba zur Zeit seiner Aufloesung unter lebenslaenglichen Herrschern
+stand, die Abschaffung des Koenigtums in Rom nachtraeglich die
+Verwandlung der albanischen Diktatur in ein Jahramt herbeifuehren
+konnte. All diese latinischen Magistraturen kommen in der Sache
+wie besonders auch in den Namen wesentlich mit der in Rom durch die
+Revolution festgestellten Ordnung in einer Weise ueberein, die durch
+die blosse Gleichartigkeit der politischen Grundverhaeltnisse nicht
+genuegend erklaert wird. ----------------------------------------- Die
+dauernd geeinigte Nation vermochte es, ihre Machtstellung nach allen
+Seiten hin nicht bloss zu behaupten, sondern auch zu erweitern. Dass die
+Etrusker nur kurze Zeit im Besitze der Suprematie ueber Latium blieben
+und die Verhaeltnisse hier bald wieder in die Lage zurueckkamen, welche
+sie in der Koenigszeit gehabt hatten, wurde schon dargestellt; zu einer
+eigentlichen Erweiterung der roemischen Grenzen kam es aber nach dieser
+Seite hin erst mehr als ein Jahrhundert nach der Vertreibung der Koenige
+aus Rom. Mit den Sabinern, die das Mittelgebirge von den Grenzen der
+Umbrer bis hinab zu der Gegend zwischen Tiber und Anio einnahmen und
+die in der Epoche, in welche die Anfaenge Roms fallen, bis nach Latium
+selbst kaempfend und erobernd vordrangen, haben spaeterhin die Roemer
+trotz der unmittelbaren Nachbarschaft sich verhaeltnismaessig wenig
+beruehrt. Die schwache Teilnahme derselben an dem verzweifelten
+Widerstand der oestlichen und suedlichen Nachbarvoelker geht selbst aus
+den Berichten der Jahrbuecher noch hervor und, was wichtiger ist, es
+begegnen hier keine Zwingburgen, wie sie namentlich in dem volskischen
+Gebiet so zahlreich angelegt worden sind. Vielleicht haengt dies damit
+zusammen, dass die sabinischen Scharen wahrscheinlich eben um diese Zeit
+sich ueber Unteritalien ergossen; gelockt von den anmutigen Sitzen am
+Tifernus und Volturnus scheinen sie wenig in die Kaempfe eingegriffen
+zu haben, deren Schauplatz das Gebiet suedlich vom Tiber war. Bei weitem
+heftiger und dauernder war der Widerstand der Aequer, die, oestlich von
+Rom bis in die Taeler des Turano und Salto und am Nordrande des Fuciner
+Sees sitzend, mit den Sabinern und Marsern grenzten ^7, und der Volsker,
+welche suedlich von den um Ardea sesshaften Rutulern und den suedwaerts
+bis Cora sich erstreckenden Latinern die Kueste bis nahe an die Muendung
+des Lirisflusses nebst den vorliegenden Inseln und im Innern das ganze
+Stromgebiet des Liris besassen. Die mit diesen beiden Voelkern sich
+jaehrlich erneuernden Fehden, die in der roemischen Chronik so berichtet
+werden, dass der unbedeutendste Streifzug von dem folgenreichen Kriege
+kaum unterschieden und der historische Zusammenhang gaenzlich beiseite
+gelassen wird, sollen hier nicht erzaehlt werden; es genuegt hinzuweisen
+auf die dauernden Erfolge. Deutlich erkennen wir, dass es den Roemern
+und Latinern vor allem darauf ankam, die Aequer von den Volskern zu
+trennen und der Kommunikationen Herr zu werden; in der Gegend zwischen
+dem Suedabhang des Albaner Gebirges, den volskischen Bergen und den
+Pomptinischen Suempfen scheinen ueberdies die Latiner und die Volsker
+zunaechst sich beruehrt und selbst gemischt durcheinander gesessen zu
+haben ^8. In dieser Gegend haben die Latiner die ersten Schritte getan
+ueber ihre Landesgrenze hinaus und sind Bundesfestungen im Fremdland,
+sogenannte latinische Kolonien zuerst angelegt worden, in der Ebene
+Velitrae (angeblich um 260 494) unter dem Albaner Gebirge selbst und
+Suessa in der pomptinischen Niederung, in den Bergen Norba (angeblich
+262 492) und Signia (angeblich verstaerkt 259 495), welche beide auf den
+Verbindungspunkten zwischen der aequischen und volskischen Landschaft
+liegen. Vollstaendiger noch ward der Zweck erreicht durch den Beitritt
+der Herniker zu dem Bunde der Latiner und Roemer (268 486), welcher die
+Volsker vollstaendig isolierte und dem Bunde eine Vormauer gewaehrte
+gegen die suedlich und oestlich wohnenden sabellischen Staemme; man
+begreift es, weshalb dem kleinen Volk volle Gleichheit mit den beiden
+anderen in Rat und Beuteanteil zugestanden ward. Die schwaecheren Aequer
+waren seitdem wenig gefaehrlich; es genuegte, von Zeit zu Zeit einen
+Pluenderzug gegen sie zu unternehmen. Auch die Rutuler, welche in der
+Kuestenebene suedlich mit Latium grenzten, unterlagen frueh; ihre
+Stadt Ardea wurde schon im Jahre 312 (442) in eine latinische Kolonie
+umgewandelt ^9. Ernstlicher widerstanden die Volsker. Der erste namhafte
+Erfolg, den nach den oben erwaehnten die Roemer ihnen abgewannen, ist,
+merkwuerdig genug, die Gruendung von Circeii im Jahre 361 (393), das,
+solange Antium und Tarracina noch frei waren, nur zu Wasser mit Latium
+in Verbindung gestanden haben kann. Antium zu besetzen, ward oft
+versucht und gelang auch voruebergehend 287 (467); aber 295 (459)
+machte die Stadt sich wieder frei, und erst nach dem gallischen Brande
+erhielten infolge eines heftigen dreizehnjaehrigen Krieges (365-377
+389-377) die Roemer die entschiedene Oberhand im antiatischen und
+pomptinischen Gebiet. Satricum, unweit Antium, wurde im Jahre 369 (385)
+mit einer latinischen Kolonie belegt, nicht lange nachher wahrscheinlich
+Antium selbst sowie Tarracina ^10, das pomptinische Gebiet ward durch
+die Anlage der Festung Setia (372 382, verstaerkt 375 379) gesichert
+und in den Jahren 371 f. (383) in Ackerlose und Buergerbezirke verteilt.
+Seitdem haben die Volsker wohl noch sich empoert, aber keine Kriege mehr
+gegen Rom gefuehrt. ------------------------------------------ ^7 Die
+Landschaft der Aequer umfasst nicht bloss das Tal des Anio oberhalb von
+Tibur und das Gebiet der spaeteren latinischen Kolonien Carsioli (am
+oberen Turano) und Alba (am Fuciner See), sondern auch den Bezirk des
+spaeteren Municipiums der Aequiculi welche nichts sind als derjenige
+Rest der Aequer, welchem nach der Unterwerfung durch die Roemer und
+nach der Assignierung des groessten Teils des Gebiets an roemische oder
+latinische Kolonisten die munizipale Selbstaendigkeit verblieb. ^8 Allem
+Anschein nach ist Velitrae, obwohl in der Ebene gelegen, urspruenglich
+volskisch und also latinische Kolonie, Cora dagegen auf dem
+Volskergebirge urspruenglich latinisch. ^9 Nicht lange nachher muss die
+Gruendung des Dianahains im Walde von Aricia erfolgt sein, welche nach
+Catos Bericht (orig. p. 12 Jordan) ein tusculanischer Diktator vollzog
+fuer die Stadtgemeinden des alten Latiums Tusculum, Aricia, Lanuvium,
+Laurentum, Cora und Tibur und die beiden latinischen Kolonien (welche
+deshalb an der letzten Stelle stehen) Suessa Pometia und Ardea (populus
+Ardeatis Rutulus). Das Fehlen Praenestes und der kleineren Gemeinden
+des alten Latium zeigt, wie es auch in der Sache liegt, dass nicht
+saemtliche Gemeinden des damaligen Latinischen Bundes sich an der
+Weihung beteiligten. Dass sie vor 372 (382) faellt, beweist das
+Auftreten von Pometia und das Verzeichnis stimmt voellig zu dem, was
+anderweitig ueber den Bestand des Bundes kurz nach dem Zutritt von Ardea
+sich ermitteln laesst. Den ueberlieferten Jahreszahlen der Gruendungen
+darf mehr als den meisten der aeltesten Ueberlieferungen Glauben
+beigemessen werden, da die den italischen Staedten gemeinsame
+Jahreszaehlung ab urbe condita allem Anschein nach das Gruendungsjahr
+der Kolonien durch unmittelbare Ueberlieferung bewahrt hat. ^10 Als
+latinische Gemeinden erscheinen beide in dem sogenannten Cassischen
+Verzeichnis um 372 (382) nicht, wohl aber in dem karthagischen
+Vertrag vom Jahre 406 (348); in der Zwischenzeit also sind die
+Staedte latinische Kolonien geworden.
+---------------------------------------------- Aber je entschiedenere
+Erfolge der Bund der Roemer, Latiner und Herniker gegen die Etrusker,
+Aequer, Volsker und Rutuler davontrug, desto mehr entwich aus ihm die
+Eintracht. Die Ursache lag zum Teil wohl in der frueher dargestellten,
+aus den bestehenden Verhaeltnissen mit innerer Notwendigkeit sich
+entwickelnden, aber darum nicht weniger schwer auf Latium lastenden
+Steigerung der hegemonischen Gewalt Roms, zum Teil in einzelnen
+gehaessigen Ungerechtigkeiten der fuehrenden Gemeinde. Dahin gehoeren
+vornehmlich der schmaehliche Schiedsspruch zwischen den Aricinern
+und den Rutulern in Ardea 308 (446), wo die Roemer, angerufen zu
+kompromissarischer Entscheidung ueber ein zwischen den beiden Gemeinden
+streitiges Grenzgebiet, dasselbe fuer sich nahmen, und als ueber diesen
+Spruch in Ardea innere Streitigkeiten entstanden, das Volk zu den
+Volskern sich schlagen wollte, waehrend der Adel an Rom festhielt, die
+noch schaendlichere Ausnutzung dieses Haders zu der schon erwaehnten
+Aussendung roemischer Kolonisten in die reiche Stadt, unter die die
+Laendereien der Anhaenger der antiroemischen Partei ausgeteilt wurden
+(312 442). Hauptsaechlich indes war die Ursache, weshalb der Bund sich
+innerlich aufloeste, eben die Niederwerfung der gemeinschaftlichen
+Feinde; die Schonung von der einen, die Hingebung von der anderen Seite
+hatte ein Ende, seitdem man gegenseitig des anderen nicht mehr meinte zu
+beduerfen. Zum offenen Bruche zwischen den Latinern und Hernikern einer-
+und den Roemern anderseits gab die naechste Veranlassung teils die
+Einnahme Roms durch die Kelten und dessen dadurch herbeigefuehrte
+augenblickliche Schwaeche, teils die definitive Besetzung und Aufteilung
+des pomptinischen Gebiets; bald standen die bisherigen Verbuendeten
+gegeneinander im Felde. Schon hatten latinische Freiwillige in grosser
+Anzahl an dem letzten Verzweiflungskampf der Antiaten teilgenommen;
+jetzt mussten die namhaftesten latinischen Staedte: Lanuvium (371 383),
+Praeneste (372-374, 400 382-380, 354), Tusculum (373 381), Tibur
+(394, 400 360, 354) und selbst einzelne der im Volskerland von dem
+roemisch-latinischen Bunde angelegten Festungen wie Velitrae und Circeii
+mit den Waffen bezwungen werden, ja die Tiburtiner scheuten sich sogar
+nicht, mit den eben einmal wieder einrueckenden gallischen Scharen
+gemeinschaftliche Sache gegen Rom zu machen. Zum gemeinschaftlichen
+Aufstand kam es indes nicht und ohne viel Muehe bemeisterte Rom die
+einzelnen Staedte; Tusculum ward sogar (373 381) genoetigt, seine
+politische Selbstaendigkeit aufzugeben und in den roemischen
+Buergerverband als untertaenige Gemeinde (civitas sine suffragio)
+einzutreten, so dass die Stadt ihre Mauern und eine wenn auch
+beschraenkte Selbstverwaltung, darum auch eigene Beamten und eine eigene
+Buergerversammlung behielt, dagegen aber ihre Buerger als roemische
+das aktive und passive Wahlrecht entbehrten - der erste Fall, dass eine
+ganze Buergerschaft dem roemischen Gemeinwesen als abhaengige Gemeinde
+einverleibt wurde. Ernster war der Kampf gegen die Herniker (392-396
+362-358), in dem der erste der Plebs angehoerige konsularische
+Oberfeldherr Lucius Genucius fiel; allein auch hier siegten die Roemer.
+Die Krise endigte damit, dass die Vertraege zwischen Rom und der
+latinischen wie der hernikischen Eidgenossenschaft im Jahre 396 (358)
+erneuert wurden. Der genauere Inhalt derselben ist nicht bekannt, aber
+offenbar fuegten beide Eidgenossenschaften abermals und wahrscheinlich
+unter haerteren Bedingungen sich der roemischen Hegemonie. Die in
+demselben Jahr erfolgte Einrichtung zweier neuer Buergerbezirke im
+pomptinischen Gebiet zeigt deutlich die gewaltig vordringende roemische
+Macht. In offenbarem Zusammenhang mit dieser Krise in dem Verhaeltnis
+zwischen Rom und Latium steht die um das Jahr 370 (384) erfolgte
+Schliessung der latinischen Eidgenossenschaft ^11, obwohl es nicht
+sicher zu bestimmen ist, ob sie Folge oder, wie wahrscheinlicher,
+Ursache der eben geschilderten Auflehnung Latiums gegen Rom war. Nach
+dem bisherigen Recht war jede von Rom und Latium gegruendete souveraene
+Stadt unter die am Bundesfest und Bundestag teilberechtigten Kommunen
+eingetreten, wogegen umgekehrt jede einer anderen Stadt inkorporierte
+und also staatlich vernichtete Gemeinde aus der Reihe der Bundesglieder
+gestrichen ward. Dabei ward indes nach latinischer Art die einmal
+feststehende Zahl von dreissig foederierten Gemeinden in der Art
+festgehalten, dass von den teilnehmenden Staedten nie mehr und nie
+weniger als dreissig stimmberechtigt waren und eine Anzahl spaeter
+eingetretener oder auch ihrer Geringfuegigkeit oder begangener Vergehen
+wegen zurueckgesetzter Gemeinden des Stimmrechts entbehrten. Hiernach
+war der Bestand der Eidgenossenschaft um das Jahr 370 (384) folgender
+Art. Von altlatinischen Ortschaften waren, ausser einigen jetzt
+verschollenen oder doch der Lage nach unbekannten, noch autonom und
+stimmberechtigt zwischen Tiber und Anio Nomentum, zwischen dem Anio
+und dem Albaner Gebirg Tibur, Gabii, Scaptia, Labici ^12, Pedum und
+Praeneste, am Albaner Gebirg Corbio, Tusculum, Bovillae, Aricia,
+Corioli und Lanuvium, in den volskischen Bergen Cora, endlich in der
+Kuestenebene Laurentum. Dazu kamen die von Rom und dem latinischen Bunde
+angelegten Kolonien: Ardea im ehemaligen Rutulergebiet und in dem der
+Volsker Satricum, Velitrae, Norba, Signia, Setia und Circeii. Ausserdem
+hatten siebzehn andere Ortschaften, deren Namen nicht sicher bekannt
+sind, das Recht der Teilnahme am Latinerfest ohne Stimmrecht. Auf diesem
+Bestande von siebenundvierzig teil- und dreissig stimmberechtigten Orten
+blieb die latinische Eidgenossenschaft seitdem unabaenderlich stehen;
+weder sind die spaeter gegruendeten latinischen Gemeinden, wie Sutrium,
+Nepete, Antium, Tarracina, Cales, unter dieselben eingereiht, noch die
+spaeter der Autonomie entkleideten latinischen Gemeinden, wie
+Tusculum und Lanuvium, aus dem Verzeichnis gestrichen.
+----------------------------------------- ^11 In dem von Dionysios (5,
+61) mitgeteilten Verzeichnis der dreissig latinischen Bundesstaedte,
+dem einzigen, das wir besitzen, werden genannt die Ardeaten, Ariciner,
+Bovillaner, Bubentaner (unbekannter Lage), Corner (vielmehr Coraner),
+Carventaner (unbekannter Lage), Circeienser, Coriolaner, Corbinter,
+Cabaner (vielleicht die Cabenser am Albaner Berg, Bullettino dell'
+Istituto 1861, S. 205), Fortineer (unbekannt), Gabiner, Laurenter,
+Lanuviner, Lavinaten, Labicaner, Nomentaner, Norbaner, Praenestiner,
+Pedaner, Querquetulaner (unbekannter Lage), Satricaner, Scaptiner,
+Senner, Tiburtiner, Tusculaner, Tellenier (unbekannter Lage), Toleriner
+(unbekannter Lage) und Veliterner. Die gelegentlichen Erwaehnungen
+teilnahmeberechtigter Gemeinden, wie von Ardea (Liv. 32, 1), Laurentum
+(Liv. 37, 3), Lanuvium (Liv. 41, 16), Bovillae, Gabii, Labici (Cic.
+Planc. 9, 23) stimmen mit diesem Verzeichnis. Dionysios teilt es bei
+Gelegenheit der Kriegserklaerung Latiums gegen Rom im Jahre 256 (498)
+mit, und es lag darum nahe, wie dies Niebuhr getan, dies Verzeichnis
+als der bekannten Bundeserneuerung vom Jahre 261 (493) entlehnt zu
+betrachten. Allein da in diesem nach dem latinischen Alphabet geordneten
+Verzeichnis der Buchstabe g an der Stelle erscheint, die er zur Zeit der
+Zwoelf Tafeln sicher noch nicht hatte und schwerlich vor dem fuenften
+Jahrhundert bekommen hat (mein Die unteritalischen Dialekte. Leipzig
+1850, S. 33), so muss dasselbe einer viel juengeren Quelle entnommen
+sein; und es ist bei weitem die einfachste Annahme, darin das
+Verzeichnis derjenigen Orte zu erkennen die spaeterhin als die
+ordentlichen Glieder der latinischen Eidgenossenschaft betrachtet wurden
+und die Dionysios, seiner pragmatisierenden Gewohnheit gemaess,
+als deren urspruenglichen Bestand auffuehrt. Es erscheint in dem
+Verzeichnis, wie es zu erwarten war, keine einzige nichtlatinische
+Gemeinde; dasselbe zaehlt lediglich urspruenglich latinische oder mit
+latinischen Kolonien belegte Orte auf - Corbio und Corioli wird niemand
+als Ausnahme geltend machen. Vergleicht man nun mit diesem Register
+das der latinischen Kolonien so sind bis zum Jahre 372 (382) gegruendet
+worden Suessa Pometia, Velitrae, Norba, Signia, Ardea, Circeii (361
+393), Satricum (369 385), Sutrium (371 383), Nepete (371), Setia (372
+382). Von den letzten drei ungefaehr gleichzeitigen koennen sehr wohl
+die beiden etruskischen etwas spaeter datieren als Setia, da ja die
+Gruendung jeder Stadt eine gewisse Zeitdauer in Anspruch nahm und unsere
+Liste von kleineren Ungenauigkeiten nicht frei sein kann. Nimmt man
+dies an, so enthaelt das Verzeichnis saemtliche bis zum Jahre 372 (382)
+ausgefuehrte Kolonien einschliesslich der beiden bald nachher aus dem
+Verzeichnis gestrichenen Satricum, zerstoert 377 (377), und Velitrae,
+des latinischen Rechts entkleidet 416 (338); es fehlen nur Suessa
+Pometia, ohne Zweifel als vor dem Jahre 372 (382) zerstoert, und Signia,
+wahrscheinlich weil im Text des Dionysios, der nur neunundzwanzig Namen
+nennt, hinter S/E/TIN/O/N ausgefallen ist SIGNIN/O/N. Im vollkommenen
+Einklang hiermit mangeln in diesem Verzeichnis ebenso alle nach dem
+Jahre 372 (382) gegruendeten latinischen Kolonien wie alle Orte, die wie
+Ostia, Antemnae, Alba vor dem Jahre 370 (384) der roemischen Gemeinde
+inkorporiert wurden, wogegen die spaeter einverleibten, wie Tusculum,
+Lanuvium, Velitrae, in demselben stehen geblieben sind. Was das von
+Plinius mitgeteilte Verzeichnis von zweiunddreissig zu Plinius' Zeit
+untergegangenen, ehemals am Albanischen Fest beteiligten Ortschaften
+betrifft, so bleiben nach Abzug von sieben, die auch bei Dionysios
+stehen (denn die Cusuetaner des Plinius scheinen die Dionysischen
+Carventaner zu sein) noch fuenfundzwanzig, meistenteils ganz unbekannte
+Ortschaften ohne Zweifel teils jene siebzehn nicht stimmenden Gemeinden,
+groesstenteils wohl eben die aeltesten, spaeter zurueckgestellten
+Glieder der albanischen Festgenossenschaft, teils eine Anzahl anderer
+untergegangener oder ausgestossener Bundesglieder, zu welchen letzteren
+vor allem der alte, auch von Plinius genannte Vorort Alba gehoert. ^12
+Allerdings berichtet Livius (4, 47), dass Labici im Jahre 336 (418)
+Kolonie geworden sei. Allein abgesehen davon, dass Diodor (13, 6)
+hierueber schweigt, kann Labici weder eine Buergerkolonie geworden sein,
+da die Stadt teils nicht an der Kueste lag, teils auch spaeter noch
+im Besitz der Autonomie erscheint, noch eine latinische, da es kein
+einziges zweites Beispiel einer im urspruenglichen Latium angelegten
+latinischen Kolonie gibt noch nach dem Wesen dieser Gruendungen geben
+kann. Hoechst wahrscheinlich ist hier wie anderswo, da zumal als
+verteiltes Ackermass zwei Iugera genannt werden, die gemeine
+Buerger- mit der kolonialen Assignation verwechselt worden.
+------------------------------------------- Mit dieser Schliessung der
+Eidgenossenschaft haengt auch die geographische Fixierung des Umfanges
+von Latium zusammen. Solange die latinische Eidgenossenschaft noch offen
+war, hatte auch die Grenze von Latium mit der Anlage neuer Bundesstaedte
+sich vorgeschoben; aber wie die juengeren latinischen Kolonien keinen
+Anteil am Albaner Fest erhielten, galten sie auch geographisch nicht
+als Teil von Latium - darum werden wohl Ardea und Circeii, nicht aber
+Sutrium und Tarracina zur Landschaft Latium gerechnet. Aber nicht bloss
+wurden die nach 370 (384) mit latinischem Recht ausgestatteten Orte
+von der eidgenoessischen Gemeinschaft ferngehalten, sondern es wurden
+dieselben auch privatrechtlich insofern voneinander isoliert, als die
+Verkehrs- und wahrscheinlich auch die Ehegemeinschaft (commercium et
+conubium) einer jeden von diesen Gemeinden zwar mit der roemischen,
+nicht aber mit den uebrigen latinischen gestattet ward, so dass also zum
+Beispiel der Buerger von Sutrium wohl in Rom, aber nicht in Praeneste
+einen Acker zu vollem Eigentum besitzen und wohl von einer Roemerin,
+nicht aber von einer Tiburtinerin rechte Kinder gewinnen konnte ^13.
+------------------------------------------------------ ^13 Diese
+Beschraenkung der alten vollen latinischen Rechtsgemeinschaft begegnet
+zwar zuerst in der Vertragserneuerung von 416 (338) (Liv. 8, 14); da
+indes das Isolierungssystem, von dem dieselbe ein wesentlicher Teil ist,
+zuerst fuer die nach 370 (384) ausgefuehrten latinischen Kolonien begann
+und 416 (338) nur generalisiert ward, so war diese Neuerung hier zu
+erwaehnen. ------------------------------------------- Wenn ferner
+bisher innerhalb der Eidgenossenschaft eine ziemlich freie Bewegung
+gestattet worden war und zum Beispiel die sechs altlatinischen Gemeinden
+Aricia, Tusculum, Tibur, Lanuvium, Cora und Laurentum und die zwei
+neulatinischen Ardea und Suessa Pometia der aricinischen Diana ein
+Heiligtum gemeinschaftlich hatten stiften duerfen, so findet
+von aehnlichen der roemischen Hegemonie Gefahr drohenden
+Sonderkonfoederationen, ohne Zweifel nicht zufaellig, in spaeterer Zeit
+sich kein weiteres Beispiel. Ebenso wird man die weitere Umgestaltung
+der latinischen Gemeindeverfassungen und ihre voellige Ausgleichung mit
+der Verfassung Roms dieser Epoche zuschreiben duerfen; denn wenn als
+notwendiger Bestandteil der latinischen Magistratur neben den beiden
+Praetoren spaeterhin die beiden mit der Markt- und Strassenpolizei und
+der dazu gehoerigen Rechtspflege betrauten Aedilen erscheinen, so hat
+diese offenbar gleichzeitig und auf Anregung der fuehrenden Macht in
+allen Bundesgemeinden erfolgte Einsetzung staedtischer Polizeibehoerden
+sicher nicht vor der in das Jahr 387 (367) fallenden Einrichtung der
+kurulischen Aedilitaet in Rom, aber wahrscheinlich auch eben um diese
+Zeit stattgefunden. Ohne Zweifel war diese Anordnung nur das Glied einer
+Kette von bevormundenden und die bundesgenoessischen Gemeindeordnungen
+im polizeilich-aristokratischen Sinne umgestaltenden Massregeln.
+Offenbar fuehlte Rom nach dem Fall von Veii und der Eroberung des
+pomptinischen Gebietes sich maechtig genug, um die Zuegel der Hegemonie
+straffer anzuziehen und die saemtlichen latinischen Staedte in eine
+so abhaengige Stellung zu bringen, dass sie faktisch vollstaendig
+untertaenig wurden. In dieser Zeit (406 348) verpflichteten sich die
+Karthager in dem mit Rom abgeschlossenen Handelsvertrag, den Latinern,
+die Rom botmaessig seien, namentlich den Seestaedten Ardea, Antium,
+Circeii, Tarracina, keinen Schaden zuzufuegen; wuerde aber eine der
+latinischen Staedte vom roemischen Buendnis abgefallen sein, so sollten
+die Phoeniker dieselbe angreifen duerfen, indes, wenn sie sie etwa
+erobern wuerden, gehalten sein, sie nicht zu schleifen, sondern sie
+den Roemern zu ueberliefern. Hier liegt es vor, durch welche Ketten die
+roemische Gemeinde ihre Schutzstaedte an sich band und was eine Stadt,
+die der einheimischen Schutzherrschaft sich entzog, dadurch einbuesste
+und wagte. Zwar blieb auch jetzt noch wenn nicht der hernikischen, doch
+wenigstens der latinischen Eidgenossenschaft ihr formelles Anrecht auf
+den dritten Teil von Kriegsgewinn und wohl noch mancher andere Ueberrest
+der ehemaligen Rechtsgleichheit; aber was nachweislich verloren ging,
+war wichtig genug, um die Erbitterung begreiflich zu machen, welche in
+dieser Zeit unter den Latinern gegen Rom herrschte. Nicht bloss fochten
+ueberall, wo Heere gegen Rom im Felde standen, latinische Reislaeufer
+zahlreich unter der fremden Fahne gegen ihre fuehrende Gemeinde; sondern
+im Jahre 405 (349) beschloss sogar die latinische Bundesversammlung,
+den Roemern den Zuzug zu verweigern. Allen Anzeichen nach stand eine
+abermalige Schilderhebung der gesamten latinischen Bundesgenossenschaft
+in nicht ferner Zeit bevor; und eben jetzt drohte ein Zusammenstoss mit
+einer anderen italischen Nation, die wohl imstande war, der vereinigten
+Macht des latinischen Stammes ebenbuertig zu begegnen. Nach der
+Niederwerfung der noerdlichen Volsker stand den Roemern im Sueden
+zunaechst kein bedeutender Gegner gegenueber; unaufhaltsam naeherten
+ihre Legionen sich dem Liris. Im Jahre 397 (357) ward gluecklich
+gekaempft mit den Privernaten, 409 (345) Sora am oberen Liris besetzt.
+Schon standen also die roemischen Heere an der Grenze der Samniten, und
+das Freundschaftsbuendnis, das im Jahre 400 (354) die beiden tapfersten
+und maechtigsten italischen Nationen miteinander schlossen, war das
+sichere Vorzeichen des herannahenden und mit der Krise innerhalb der
+latinischen Nation in drohender Weise sich verschlingenden Kampfes um
+die Oberherrschaft Italiens. Die samnitische Nation, die, als man in
+Rom die Tarquinier austrieb, ohne Zweifel schon seit laengerer Zeit
+im Besitz des zwischen der apulischen und der kampanischen Ebene
+aufsteigenden und beide beherrschenden Huegellandes gewesen war, war
+bisher auf der einen Seite durch die Daunier - Arpis Macht und Bluete
+faellt in diese Zeit -, auf der andern durch die Griechen und Etrusker
+an weiterem Vordringen gehindert worden. Aber der Sturz der etruskischen
+Macht um das Ende des dritten (450), das Sinken der griechischen
+Kolonien im Laufe des vierten Jahrhunderts (450-350) machten gegen
+Westen und Sueden ihnen Luft und ein samnitischer Schwarm nach dem
+andern zog jetzt bis an, ja ueber die sueditalischen Meere. Zuerst
+erschienen sie in der Ebene am Golf, wo der Name der Kampaner seit dem
+Anfang des vierten Jahrhunderts vernommen wird; die Etrusker wurden hier
+erdrueckt, die Griechen beschraenkt, jenen Capua (330 424), diesen Kyme
+(334 420) entrissen. Um dieselbe Zeit, vielleicht schon frueher,
+zeigen sich in Grossgriechenland die Lucaner, die im Anfang des vierten
+Jahrhunderts mit Terinaeern und Thurinern im Kampf liegen und geraume
+Zeit vor 364 (390) in dem griechischen Laos sich festsetzten. Um diese
+Zeit betrug ihr Aufgebot 30000 Mann zu Fuss und 4000 Reiter. Gegen das
+Ende des vierten Jahrhunderts ist zuerst die Rede von der gesonderten
+Eidgenossenschaft der Brettier ^14, die, ungleich den andern
+sabellischen Staemmen, nicht als Kolonie, sondern im Kampf von den
+Lucanern sich losgemacht und mit vielen fremdartigen Elementen sich
+gemischt hatten. Wohl suchten die unteritalischen Griechen sich des
+Andranges der Barbaren zu erwehren; der Achaeische Staedtebund ward 361
+(393) rekonstituiert und festgesetzt, dass, wenn eine der verbuendeten
+Staedte von Lucanern angegriffen werde, alle Zuzug leisten und die
+Fuehrer der ausbleibenden Heerhaufen Todesstrafe leiden sollten. Aber
+selbst die Einigung Grossgriechenlands half nicht mehr, da der Herr von
+Syrakus, der aeltere Dionysios, mit den Italikern gegen seine Landsleute
+gemeinschaftliche Sache machte. Waehrend Dionysios den grossgriechischen
+Flotten die Herrschaft ueber die italischen Meere entriss, ward von den
+Italikern eine Griechenstadt nach der andern besetzt oder vernichtet;
+in unglaublich kurzer Zeit war der bluehende Staedtering zerstoert
+oder veroedet. Nur wenigen griechischen Orten, wie zum Beispiel Neapel,
+gelang es muehsam und mehr durch Vertraege als durch Waffengewalt,
+wenigstens ihr Dasein und ihre Nationalitaet zu bewahren; durchaus
+unabhaengig und maechtig blieb allein Tarent, das durch seine
+entferntere Lage und durch seine in steten Kaempfen mit den Messapiern
+unterhaltene Schlagfertigkeit sich aufrecht hielt, wenngleich auch diese
+Stadt bestaendig mit den Lucanern um ihre Existenz zu fechten hatte und
+genoetigt war, in oder griechischen Heimat Buendnisse und Soeldner zu
+suchen. ---------------------------------------------- ^14 Der Name
+selbst ist uralt, ja der aelteste einheimische Name der Bewohner des
+heutigen Kalabrien (Antiochos fr. 5 Mueller). Die bekannte Ableitung ist
+ohne Zweifel erfunden. -----------------------------------------------
+Um die Zeit, wo Veii und die pomptinische Ebene roemisch wurden, hatten
+die samnitischen Scharen bereits ganz Unteritalien inne mit Ausnahme
+weniger und unter sich nicht zusammenhaengender griechischer
+Pflanzstaedte und der apulisch- messapischen Kueste. Die um 418 (336)
+abgefasste griechische Kuestenbeschreibung setzt die eigentlichen
+Samniten mit ihren "fuenf Zungen" von einem Meer zum andern an und
+am Tyrrhenischen neben sie in noerdlicher Richtung die Kampaner,
+in suedlicher die Lucaner, unter denen hier wie oefter die Brettier
+mitbegriffen sind und denen bereits die ganze Kueste von Paestum am
+Tyrrhenischen bis nach Thurii am Ionischen Meer zugeteilt wird. In
+der Tat, wer miteinander vergleicht, was die beiden grossen Nationen
+Italiens, die latinische und die samnitische, errungen hatten, bevor
+sie sich beruehrten, dem erscheint die Eroberungsbahn der letzteren
+bei weitem ausgedehnter und glaenzender als die der Roemer. Aber der
+Charakter der Eroberungen war ein wesentlich verschiedener. Von dem
+festen staedtischen Mittelpunkt aus, den Latium im Rom besass, dehnt die
+Herrschaft dieses Stammes langsam nach allen Seiten sich aus, zwar
+in verhaeltnismaessig engen Grenzen, aber festen Fuss fassend, wo sie
+hintritt, teils durch Gruendung von befestigten Staedten roemischer Art
+mit abhaengigem Bundesrecht, teils durch Romanisierung des eroberten
+Gebiets. Anders in Samnium. Es gibt hier keine einzelne fuehrende
+Gemeinde und darum auch keine Eroberungspolitik. Waehrend die Eroberung
+des veientischen und pomptinischen Gebietes fuer Rom eine wirkliche
+Machterweiterung war, wurde Samnium durch die Entstehung der
+kampanischen Staedte, der lucanischen, der brettischen Eidgenossenschaft
+eher geschwaecht als gestaerkt; denn jeder Schwarm, der neue Sitze
+gesucht und gefunden hatte, ging fortan fuer sich seine Wege. Die
+samnitischen Scharen erfuellen einen unverhaeltnismaessig weiten
+Raum, den sie ganz sich eigen zu machen keineswegs bedacht sind; die
+groesseren Griechenstaedte, Tarent, Thurii, Kroton, Metapont, Herakleia,
+Rhegion, Neapel, wenngleich geschwaecht und oefters abhaengig, bestehen
+fort, ja selbst auf dem platten Lande und in den kleineren Staedten
+werden die Hellenen geduldet, und Kyme zum Beispiel, Poseidonia, Laos,
+Hipponion blieben, wie die erwaehnte Kuestenbeschreibung und die Muenzen
+lehren, auch unter samnitischer Herrschaft noch Griechenstaedte.
+So entstanden gemischte Bevoelkerungen, wie denn namentlich die
+zwiesprachigen Brettier ausser samnitischen auch hellenische Elemente
+und selbst wohl Ueberreste der alten Autochthonen in sich aufnahmen;
+aber auch in Lucanien und Kampanien muessen in minderem Grade
+aehnliche Mischungen stattgefunden haben. Dem gefaehrlichen Zauber
+der hellenischen Kultur konnte auch die samnitische Nation sich
+nicht entziehen, am wenigsten in Kampanien, wo Neapel frueh mit den
+Einwanderern sich auf freundlichen Verkehr stellte und wo der Himmel
+selbst die Barbaren humanisierte. Nola, Nuceria, Teanum, obwohl rein
+samnitischer Bevoelkerung, nahmen griechische Weise und griechische
+Stadtverfassung an, wie denn auch die heimische Gauverfassung unter
+den veraenderten Verhaeltnissen unmoeglich fortbestehen konnte. Die
+kampanischen Samnitenstaedte begannen Muenzen zu schlagen, zum Teil
+mit griechischer Aufschrift; Capua ward durch Handel und Ackerbau der
+Groesse nach die zweite Stadt Italiens, die erste an Ueppigkeit und
+Reichtum. Die tiefe Entsittlichung, worin den Berichten der Alten
+zufolge diese Stadt es allen uebrigen italischen zuvorgetan hat,
+spiegelt sich namentlich in dem Werbewesen und in den Fechterspielen,
+die beide vor allem in Capua zur Bluete gelangt sind. Nirgends
+fanden die Werber so zahlreichen Zulauf wie in dieser Metropole
+der entsittlichten Zivilisation; waehrend Capua selbst sich vor den
+Angriffen der nachdraengenden Samniten nicht zu bergen wusste, stroemte
+die streitbare kampanische Jugend unter selbstgewaehlten Condottieren
+massenweise namentlich nach Sizilien. Wie tief diese Landknechtfahrten
+in die Geschicke Italiens eingriffen, wird spaeter noch darzustellen
+sein; fuer die kampanische Weise sind sie ebenso bezeichnend wie die
+Fechterspiele, die gleichfalls in Capua zwar nicht ihre Entstehung,
+aber ihre Ausbildung empfingen. Hier traten sogar waehrend des Gastmahls
+Fechterpaare auf und ward deren Zahl je nach dem Rang der geladenen
+Gaeste abgemessen. Diese Entartung der bedeutendsten samnitischen Stadt,
+die wohl ohne Zweifel auch mit dem hier noch nachwirkenden etruskischen
+Wesen eng zusammenhaengt, musste fuer die ganze Nation verhaengnisvoll
+werden; wenn auch der kampanische Adel es verstand, mit dem tiefsten
+Sittenverfall ritterliche Tapferkeit und hohe Geistesbildung zu
+verbinden, so konnte er doch fuer seine Nation nimmermehr werden, was
+die roemische Nobilitaet fuer die latinische war. Aehnlich wie auf die
+Kampaner, wenn auch in minderer Staerke, wirkte der hellenische Einfluss
+auf die Lucaner und Brettier. Die Graeberfunde in all diesen Gegenden
+beweisen, wie die griechische Kunst daselbst mit barbarischem Luxus
+gepflegt ward; der reiche Gold- und Bernsteinschmuck, das prachtvolle
+gemalte Geschirr, wie wir sie jetzt den Haeusern der Toten entheben,
+lassen ahnen, wie weit man hier schon sich entfernt hatte von der alten
+Sitte der Vaeter. Andere Spuren bewahrt die Schrift; die altnationale
+aus dem Norden mitgebrachte ward von den Lucanern und Brettiern
+aufgegeben und mit der griechischen vertauscht, waehrend in Kampanien
+das nationale Alphabet und wohl auch die Sprache unter dem bildenden
+Einfluss der griechischen sich selbstaendig entwickelte zu groesserer
+Klarheit und Feinheit. Es begegnen sogar einzelne Spuren des Einflusses
+griechischer Philosophie. Nur das eigentliche Samnitenland blieb
+unberuehrt von diesen Neuerungen, die, so schoen und natuerlich sie
+teilweise sein mochten, doch maechtig dazu beitrugen, das von Haus aus
+schon lose Band der nationalen Einheit immer mehr zu lockern. Durch den
+Einfluss des hellenischen Wesens kam ein tiefer Riss in den samnitischen
+Stamm. Die gesitteten "Philhellenen" Kampaniens gewoehnten sich, gleich
+den Hellenen selbst, vor den rauheren Staemmen der Berge zu zittern,
+die ihrerseits nicht aufhoerten, in Kampanien einzudringen und die
+entarteten aelteren Ansiedler zu beunruhigen. Rom war ein geschlossener
+Staat, der ueber die Kraft von ganz Latium verfuegte; die Untertanen
+mochten murren, aber sie gehorchten. Der samnitische Stamm war zerfahren
+und zersplittert, und die Eidgenossenschaft im eigentlichen Samnium
+hatte sich zwar die Sitten und die Tapferkeit der Vaeter ungeschmaelert
+bewahrt, war aber auch darueber mit den uebrigen samnitischen Voelker-
+und Buergerschaften voellig zerfallen. In der Tat war es dieser Zwist
+zwischen den Samniten der Ebene und den Samniten der Gebirge, der die
+Roemer ueber den Liris fuehrte. Die Sidiciner in Teanum, die Kampaner
+in Capua suchten gegen die eigenen Landsleute, die mit immer neuen
+Schwaermen ihr Gebiet brandschatzten und darin sich festzusetzen
+drohten, Hilfe bei den Roemern (411 343). Als das begehrte Buendnis
+verweigert ward, bot die kampanische Gesandtschaft die Unterwerfung der
+Stadt unter die Oberherrlichkeit Roms an, und solcher Lockung vermochten
+die Roemer nicht zu widerstehen. Roemische Gesandte gingen zu den
+Samniten, ihnen den neuen Erwerb anzuzeigen und sie aufzufordern, das
+Gebiet der befreundeten Macht zu respektieren. Wie die Ereignisse weiter
+verliefen, ist im einzelnen nicht mehr zu ermitteln ^15; wir sehen nur,
+dass zwischen Rom und Samnium, sei es nach einem Feldzug, sei es ohne
+vorhergehenden Krieg, ein Abkommen zustande kam, wodurch die Roemer
+freie Hand erhielten gegen Capua, die Samniten gegen Teanum und die
+Volsker am oberen Liris. Dass die Samniten sich dazu verstanden,
+erklaert sich aus den gewaltigen Anstrengungen, die eben um diese Zeit
+die Tarentiner machten, sich der sabellischen Nachbarn zu entledigen;
+aber auch die Roemer hatten guten Grund, sich mit den Samniten so
+schnell wie moeglich abzufinden, denn der bevorstehende Uebergang
+der suedlich an Latium angrenzenden Landschaft in roemischen Besitz
+verwandelte die laengst unter den Latinern bestehende Gaerung in offene
+Empoerung. Alle urspruenglich latinischen Staedte, selbst die in den
+roemischen Buergerverband aufgenommenen Tusculaner ergriffen die Waffen
+gegen Rom, mit einziger Ausnahme der Laurenter, waehrend dagegen von
+den ausserhalb der Grenzen Latiums gegruendeten Kolonien nur die alten
+Volskerstaedte Velitrae, Antium und Tarracina sich an der Auflehnung
+beteiligten. Dass die Capuaner, ungeachtet der eben erst freiwillig den
+Roemern angetragenen Unterwerfung, dennoch die erste Gelegenheit, der
+roemischen Herrschaft wieder ledig zu werden, bereitwillig ergriffen
+und, trotz des Widerstandes der an dem Vertrag mit Rom festhaltenden
+Optimatenpartei, die Gemeinde gemeinschaftliche Sache mit der
+latinischen Eidgenossenschaft machte, ist erklaerlich; wogegen die noch
+selbstaendigen Volskerstaedte, wie Fundi und Formiae, und die Herniker
+sich gleich der kampanischen Aristokratie an diesem Aufstande nicht
+beteiligten. Die Lage der Roemer war bedenklich; die Legionen, die ueber
+den Liris gegangen waren und Kampanien besetzt hatten, waren durch
+den Aufstand der Latiner von der Heimat abgeschnitten und nur ein
+Sieg konnte sie retten. Bei Trifanum (zwischen Minturnae, Suessa und
+Sinuessa) ward die entscheidende Schlacht geliefert (414 340): der
+Konsul Titus Manlius Imperiosus Torquatus erfocht ueber die vereinigten
+Latiner und Kampaner einen vollstaendigen Sieg. In den beiden folgenden
+Jahren wurden die einzelnen Staedte, soweit sie noch Widerstand
+leisteten, durch Kapitulation oder Sturm bezwungen und die
+ganze Landschaft zur Unterwerfung gebracht.
+--------------------------------------------------- ^15 Vielleicht kein
+Abschnitt der roemischen Annalen ist aerger entstellt als die Erzaehlung
+des ersten samnitisch-latinischen Krieges, wie sie bei Livius,
+Dionysios, Appian steht oder stand. Sie lautet etwa folgendermassen.
+Nachdem 411 (343) beide Konsuln in Kampanien eingerueckt waren, erfocht
+zuerst der Konsul Marcus Valerius Corvus am Berge Gaurus ueber die
+Samniten einen schweren und blutigen Sieg; alsdann auch der Kollege
+Aulus Cornelius Cossus, nachdem er der Vernichtung in einem Engpass
+durch Hingebung einer von dem Kriegstribun Publius Decius gefuehrten
+Abteilung entgangen war. Die dritte und entscheidende Schlacht ward
+am Eingang der Caudinischen Paesse bei Suessula von den beiden Konsuln
+geschlagen; die Samniten wurden vollstaendig ueberwunden - man las
+vierzigtausend ihrer Schilde auf dem Schlachtfelde auf - und zum Frieden
+genoetigt, in welchem die Roemer Capua, das sich ihnen zu eigen
+gegeben, behielten, Teanum dagegen den Samniten ueberliessen (413 341).
+Glueckwuensche kamen von allen Seiten, selbst von Karthago. Die Latiner,
+die den Zuzug verweigert hatten und gegen Rom zu ruesten schienen,
+wandten ihre Waffen statt gegen Rom vielmehr gegen die Paeligner,
+waehrend die Roemer zunaechst durch eine Militaerverschwoerung der in
+Kampanien zurueckgelassenen Besatzung (412 342), dann durch die Einnahme
+von Privernum (413 341) und den Krieg gegen die Antiaten beschaeftigt
+waren. Nun aber wechseln ploetzlich und seltsam die Parteiverhaeltnisse.
+Die Latiner, die umsonst das roemische Buergerrecht und Anteil am
+Konsulat gefordert hatten, erhoben sich gegen Rom in Gemeinschaft mit
+den Sidicinern, die vergeblich den Roemern die Unterwerfung angetragen
+hatten und vor den Samniten sich nicht zu retten wussten, und mit den
+Kampanern, die der roemischen Herrschaft bereits muede waren. Nur die
+Laurenter in Latium und die kampanischen Ritter hielten zu den Roemern,
+welche ihrerseits Unterstuetzung fanden bei den Paelignern und
+den Samniten. Das latinische Heer ueberfiel Samnium; das
+roemisch-samnitische schlug, nachdem es an den Fuciner See und von da
+an Latium vorueber in Kampanien einmarschiert war, die
+Entscheidungsschlacht gegen die vereinigten Latiner und Kampaner am
+Vesuv, welche der Konsul Titus Manlius Imperiosus, nachdem er selbst
+durch die Hinrichtung seines eigenen, gegen den Lagerbefehl siegenden
+Sohnes die schwankende Heereszucht wiederhergestellt und sein Kollege
+Publius Decius Mus die Goetter versoehnt hatte durch seinen Opfertod,
+endlich mit Aufbietung der letzten Reserve gewann. Aber erst eine zweite
+Schlacht, die der Konsul Manlius den Latinern und Kampanern bei Trifanum
+lieferte, machte dem Krieg ein Ende; Latium und Capua unterwarfen sich
+und wurden um einen Teil ihres Gebietes gestraft. Einsichtigen und
+ehrlichen Lesern wird es nicht entgehen, dass dieser Bericht von
+Unmoeglichkeiten aller Art wimmelt. Dahin gehoert das Kriegfuehren der
+Antiaten nach der Dedition von 377 (377) (Liv. 6, 33); der selbstaendige
+Feldzug der Latiner gegen die Paeligner im schneidenden Widerspruch zu
+den Bestimmungen der Vertraege zwischen Rom und Latium; der unerhoerte
+Marsch des roemischen Heeres durch das marsische und samnitische Gebiet
+nach Capua, waehrend ganz Latium gegen Rom in Waffen stand; um nicht
+zu reden von dem ebenso verwirrten wie sentimentalen Bericht ueber den
+Militaeraufstand von 412 (342) und den Geschichtchen von dem gezwungenen
+Anfuehrer desselben, dem lahmen Titus Quinctius, dem roemischen Goetz
+von Berlichingen. Vielleicht noch bedenklicher sind die Wiederholungen;
+so ist die Erzaehlung von dem Kriegstribun Publius Decius nachgebildet
+der mutigen Tat des Marcus Calpurnius Flamma, oder wie er sonst hiess,
+im Ersten Punischen Kriege; so kehrt die Eroberung Privernums durch
+Gaius Plautius wieder im Jahre 425 (329), und nur diese zweite ist in
+den Triumphalfasten verzeichnet; so der Opfertod des Publius Decius
+bekanntlich bei dem Sohne desselben 459 (295). Ueberhaupt verraet in
+diesem Abschnitt die ganze Darstellung eine andere Zeit und eine andere
+Hand als die sonstigen glaubwuerdigeren annalistischen Berichte; die
+Erzaehlung ist voll von ausgefuehrten Schlachtgemaelden; von eingewebten
+Anekdoten, wie zum Beispiel der von dem setinischen Praetor, der auf den
+Stufen des Rathauses den Hals bricht, weil er dreist genug gewesen war,
+das Konsulat zu begehren, und den mannigfaltigen aus dem Beinamen
+des Titus Manlius herausgesponnenen; von ausfuehrlichen und zum Teil
+bedenklichen archaeologischen Digressionen, wohin zum Beispiel die
+Geschichte der Legion (von der die hoechst wahrscheinlich apokryphe
+Notiz ueber die aus Roemern und Latinern gemischten Manipel des zweiten
+Tarquinius bei Liv. 1, 52 offenbar ein zweites Bruchstueck ist),
+die verkehrte Auffassung des Vertrages zwischen Capua und Rom (meine
+Geschichte des roemischen Muenzwesens. Breslau 1860, S. 334, A.
+122), die Devotionsformulare, der kampanische Denar, das laurentische
+Buendnis, die bina iugera bei der Assignation gehoeren. Unter solchen
+Umstaenden erscheint es von grossem Gewicht, dass Diodoros, der
+anderen und oft aelteren Berichten folgt, von all diesen Ereignissen
+schlechterdings nichts kennt als die letzte Schlacht bei Trifanum;
+welche auch in der Tat schlecht passt zu der uebrigen Erzaehlung, die
+nach poetischer Gerechtigkeit schliessen sollte mit dem Tode des Decius.
+--------------------------------------------- Die Folge des Sieges
+war die Aufloesung des latinischen Bundes. Derselbe wurde aus einer
+selbstaendigen politischen Konfoederation in eine bloss religioese
+Festgenossenschaft umgewandelt; die altverbrieften Rechte der
+Eidgenossenschaft auf ein Maximum der Truppenaushebung und einen Anteil
+an dem Kriegsgewinn gingen damit als solche zu Grunde, und was derart
+spaeter noch vorkam, traegt den Charakter der Gnadenbewilligung. An
+die Stelle des einen Vertrages zwischen Rom einer- und der latinischen
+Eidgenossenschaft anderseits traten im besten Fall ewige Buendnisse
+zwischen Rom und den einzelnen eidgenoessischen Orten. Zu diesem
+Vertragsverhaeltnis wurden von den altlatinischen Orten ausser Laurentum
+auch Tibur und Praeneste zugelassen, welche indes Stuecke ihres Gebiets
+an Rom abtreten mussten. Gleiches Recht erhielten die ausserhalb Latium
+gegruendeten Gemeinden latinischen Rechts, soweit sie sich nicht an dem
+Kriege beteiligt hatten. Die Isolierung der Gemeinden gegeneinander,
+welche fuer die nach dem Jahre 370 (384) gegruendeten Orte bereits
+frueher festgestellt worden war, ward also auf die gesamte Nation
+erstreckt. Im uebrigen blieben den einzelnen Orten die bisherigen
+Gerechtsame und ihre Autonomie. Die uebrigen altlatinischen Gemeinden
+sowie die abgefallenen Kolonien verloren saemtlich die Selbstaendigkeit
+und traten in einer oder der anderen Form in den roemischen
+Buergerverband ein. Die beiden wichtigsten Kuestenstaedte Antium (416
+338) und Tarracina (425 329) wurden, nach dem Muster von Ostia, mit
+roemischen Vollbuergern besetzt und auf eine engbegrenzte kommunale
+Selbstaendigkeit beschraenkt, die bisherigen Buerger zu Gunsten der
+roemischen Kolonisten ihres Grundeigentums grossenteils beraubt
+und, soweit sie es behielten, ebenfalls in den Vollbuergerverband
+aufgenommen. Lanuvium, Aricia, Nomentum, Pedum wurden roemische
+Buergergemeinden mit beschraenkter Selbstverwaltung nach dem Muster von
+Tusculum (l, 360). Velitraes Mauern wurden niedergerissen, der Senat
+in Masse ausgewiesen und im roemischen Etrurien interniert, die Stadt
+wahrscheinlich als untertaenige Gemeinde nach caeritischem Recht
+konstituiert. Von dem gewonnenen Acker wurde ein Teil, zum Beispiel
+die Laendereien der veliternischen Ratsmitglieder, an roemische Buerger
+verteilt; mit diesen Einzelassignationen haengt die Errichtung zweier
+neuer Buergerbezirke im Jahre 422 (332) zusammen. Wie tief man in Rom
+die ungeheure Bedeutung des gewonnenen Erfolges empfand, zeigt die
+Ehrensaeule, die man dem siegreichen Buergermeister des Jahres 416
+(338), Gaius Maenius, auf dem roemischen Markte errichtete, und die
+Schmueckung der Rednertribuene auf demselben mit den Schnaebeln der
+unbrauchbar befundenen antiatischen Galeeren. In gleicher Weise ward
+in dem suedlichen volskischen und dem kampanischen Gebiet die roemische
+Herrschaft durchgefuehrt und befestigt. Fundi, Formiae, Capua, Kyme und
+eine Anzahl kleinerer Staedte wurden abhaengige roemische Gemeinden mit
+Selbstverwaltung; um das vor allem wichtige Capua zu sichern, erweiterte
+man kuenstlich die Spaltung zwischen Adel und Gemeinde, revidierte
+die Gemeindeverfassung im roemischen Interesse und kontrollierte die
+staedtische Verwaltung durch jaehrlich nach Kampanien gesandte
+roemische Beamte. Dieselbe Behandlung widerfuhr einige Jahre darauf
+dem volskischen Privernum, dessen Buerger, unterstuetzt von dem kuehnen
+fundanischen Parteigaenger Vitruvius Vaccus, die Ehre hatten, fuer die
+Freiheit dieser Landschaft den letzten Kampf zu kaempfen - er endigte
+mit der Erstuermung der Stadt (425 329) und der Hinrichtung des Vaccus
+im roemischen Kerker. Um eine eigene roemische Bevoelkerung in diesen
+Gegenden emporzubringen, teilte man von den im Krieg gewonnenen
+Laendereien, namentlich im privernatischen und im falernischen Gebiet,
+so zahlreiche Ackerlose an roemische Buerger aus, dass wenige Jahre
+nachher (436 318) auch dort zwei neue Buergerbezirke errichtet werden
+konnten. Die Anlegung zweier Festungen als Kolonien latinischen Rechts
+sicherte schliesslich das neu gewonnene Land. Es waren dies Cales (420
+334) mitten in der kampanischen Ebene, von wo aus Teanum und Capua
+beobachtet werden konnten, und Fregellae (426 328), das den Uebergang
+ueber den Liris beherrschte. Beide Kolonien waren ungewoehnlich stark
+und gelangten schnell zur Bluete, trotz der Hindernisse, welche die
+Sidiciner der Gruendung von Cales, die Samniten der von Fregellae in
+den Weg legten. Auch nach Sora ward eine roemische Besatzung verlegt,
+worueber die Samniten, denen dieser Bezirk vertragsmaessig ueberlassen
+worden war, sich mit Grund, aber vergeblich beschwerten. Ungeirrt ging
+Rom seinem Ziel entgegen, seine energische und grossartige Staatskunst
+mehr als auf dem Schlachtfelde offenbarend in der Sicherung der
+gewonnenen Landschaft, die es politisch und militaerisch mit einem
+unzerreissbaren Netze umflocht. Dass die Samniten das bedrohliche
+Vorschreiten der Roemer nicht gern sahen, versteht sich; sie warfen
+ihnen auch wohl Hindernisse in den Weg, aber versaeumten es doch jetzt,
+wo es vielleicht noch Zeit war, mit der von den Umstaenden geforderten
+Energie ihnen die neue Eroberungsbahn zu verlegen. Zwar Teanum scheinen
+sie nach dem Vertrag mit Rom eingenommen und stark besetzt zu haben;
+denn waehrend die Stadt frueher Hilfe gegen Samnium in Capua und Rom
+nachsucht, erscheint sie in den spaeteren Kaempfen als die Vormauer der
+samnitischen Macht gegen Westen. Aber am oberen Liris breiteten sie wohl
+erobernd und zerstoerend sich aus, versaeumten es aber, hier auf die
+Dauer sich festzusetzen. So zerstoerten sie die Volskerstadt Fregellae,
+wodurch nur die Anlage der eben erwaehnten roemischen Kolonie daselbst
+erleichtert ward, und schreckten zwei andere Volskerstaedte, Fabrateria
+(Ceccano) und Luca (unbekannter Lage), so, dass dieselben, Capuas
+Beispiel folgend, sich (424 330) den Roemern zu eigen gaben. Die
+samnitische Eidgenossenschaft gestattete, dass die roemische Eroberung
+Kampaniens eine vollendete Tatsache geworden war, bevor sie sich
+ernstlich derselben widersetzte; wovon der Grund allerdings zum Teil
+in den gleichzeitigen Fehden der samnitischen Nation mit den italischen
+Hellenen, aber zum Teil doch auch in der schlaffen und zerfahrenen
+Politik der Eidgenossenschaft zu suchen ist. 6. Kapitel Die Italiker
+gegen Rom Waehrend die Roemer am Liris und Volturnus fochten, bewegten
+den Suedosten der Halbinsel andere Kaempfe. Die reiche tarentinische
+Kaufmannsrepublik, immer ernstlicher bedroht von den lucanischen und
+messapischen Haufen und ihren eigenen Schwertern mit Recht misstrauend,
+gewann fuer gute Worte und besseres Geld die Bandenfuehrer der Heimat.
+Der Spartanerkoenig Archidamos, der mit einem starken Haufen den
+Stammgenossen zu Hilfe gekommen war, erlag an demselben Tage, wo Philipp
+bei Chaeroneia siegte, den Lucanern (416 338); wie die frommen Griechen
+meinten, zur Strafe dafuer, dass er und seine Leute neunzehn Jahre
+frueher teilgenommen hatten an der Pluenderung des delphischen
+Heiligtums. Seinen Platz nahm ein maechtigerer Feldhauptmann ein,
+Alexander der Molosser, Bruder der Olympias, der Mutter Alexanders des
+Grossen. Mit den mitgebrachten Scharen vereinigte er unter seinen
+Fahnen die Zuzuege der Griechenstaedte, namentlich der Tarentiner und
+Metapontiner; ferner die Poediculer (um Rubi, jetzt Ruvo), die gleich
+den Griechen sich von der sabellischen Nation bedroht sahen; endlich
+sogar die lucanischen Verbannten selbst, deren betraechtliche Zahl auf
+heftige innere Unruhen in dieser Eidgenossenschaft schliessen laesst.
+So sah er sich bald dem Feinde ueberlegen. Consentia (Cosenza), der
+Bundessitz, wie es scheint, der in Grossgriechenland angesiedelten
+Sabeller, fiel in seine Haende. Umsonst kommen die Samniten den Lucanern
+zu Hilfe; Alexander schlaegt ihre vereinigte Streitmacht bei Paestum, er
+bezwingt die Daunier um Sipontum, die Messapier auf der suedoestlichen
+Halbinsel; schon gebietet er von Meer zu Meer und ist im Begriff, den
+Roemern die Hand zu reichen und mit ihnen gemeinschaftlich die Samniten
+in ihren Stammsitzen anzugreifen. Aber so unerwartete Erfolge waren den
+Tarentiner Kaufleuten unerwuenscht und erschreckend; es kam zum Kriege
+zwischen ihnen und ihrem Feldhauptmann, der als gedungener Soeldner
+erschienen war und nun sich anliess, als wolle er im Westen ein
+hellenisches Reich begruenden gleichwie sein Neffe im Osten. Alexander
+war anfangs im Vorteil: er entriss den Tarentinern Herakleia, stellte
+Thurii wieder her und scheint die uebrigen italischen Griechen
+aufgerufen zu haben, sich unter seinem Schutz gegen die Tarentiner
+zu vereinigen, indem er zugleich es versuchte, zwischen ihnen und den
+sabellischen Voelkerschaften den Frieden zu vermitteln. Allein seine
+grossartigen Entwuerfe fanden nur schwache Unterstuetzung bei den
+entarteten und entmutigten Griechen und der notgedrungene Parteiwechsel
+entfremdete ihm seinen bisherigen lucanischen Anhang; bei Pandosia fiel
+er von der Hand eines lucanischen Emigrierten (422 332) ^1. Mit seinem
+Tode kehrten im wesentlichen die alten Zustaende wieder zurueck.
+Die griechischen Staedte sahen sich wiederum vereinzelt und wiederum
+lediglich darauf angewiesen, sich jede, so gut es gehen mochte, zu
+schuetzen durch Vertrag oder Tributzahlung oder auch durch auswaertige
+Hilfe, wie zum Beispiel Kroton um 430 (324) mit Hilfe von Syrakus die
+Brettier zurueckschlug. Die samnitischen Staemme erhielten aufs neue
+das Uebergewicht und konnten, unbekuemmert um die Griechen, wieder
+ihre Blicke nach Kampanien und Latium wenden.
+---------------------------------------------- ^1 Es wird nicht
+ueberfluessig sein, daran zu erinnern, dass, was ueber Archidamos und
+Alexander bekannt ist, aus griechischen Jahrbuechern herruehrt und der
+Synchronismus dieser und der roemischen fuer die gegenwaertige Epoche
+noch bloss approximativ festgestellt ist. Man huete sich daher, den im
+allgemeinen unverkennbaren Zusammenhang der west- und der
+ostitalischen Ereignisse zu sehr ins einzelne verfolgen zu wollen.
+---------------------------------------------- Hier aber war in der
+kurzen Zwischenzeit ein ungeheurer Umschwung eingetreten. Die latinische
+Eidgenossenschaft war gesprengt und zertruemmert, der letzte Widerstand
+der Volsker gebrochen, die kampanische Landschaft, die reichste und
+schoenste der Halbinsel, im unbestrittenen und wohlbefestigten Besitz
+der Roemer, die zweite Stadt Italiens in roemischer Klientel.
+Waehrend die Griechen und Samniten miteinander rangen, hatte Rom fast
+unbestritten sich zu einer Machtstellung emporgeschwungen, die zu
+erschuettern kein einzelnes Volk der Halbinsel die Mittel mehr besass
+und die alle zugleich mit roemischer Unterjochung bedrohte. Eine
+gemeinsame Anstrengung der jedes fuer sich Rom nicht gewachsenen
+Voelker konnte vielleicht die Ketten noch sprengen, ehe sie voellig sich
+befestigten; aber die Klarheit, der Mut, die Hingebung, wie eine solche
+Koalition unzaehliger, bisher grossenteils feindlich oder doch fremd
+sich gegenueberstehender Volks- und Stadtgemeinden sie erforderte,
+fanden sich nicht oder doch erst, als es bereits zu spaet war. Nach
+dem Sturz der etruskischen Macht, nach der Schwaechung der griechischen
+Republiken war naechst Rom unzweifelhaft die bedeutendste Macht in
+Italien die samnitische Eidgenossenschaft und zugleich diejenige, die
+von den roemischen Uebergriffen am naechsten und unmittelbarsten
+bedroht war. Ihr also kam es zu, in dem Kampf um die Freiheit und die
+Nationalitaet, den die Italiker gegen Rom zu fuehren hatten, die erste
+Stelle und die schwerste Last zu uebernehmen. Sie durfte rechnen auf
+den Beistand der kleinen sabellischen Voelkerschaften, der Vestiner,
+Frentaner, Marruciner und anderer kleinerer Gaue, die in baeuerlicher
+Abgeschiedenheit zwischen ihren Bergen wohnten, aber nicht taub waren,
+wenn der Aufruf eines verwandten Stammes sie mahnte, zur Verteidigung
+der gemeinsamen Gueter die Waffen zu ergreifen. Wichtiger waere der
+Beistand der kampanischen und grossgriechischen Hellenen, namentlich
+der Tarentiner, und der maechtigen Lucaner und Brettier gewesen;
+allein teils die Schlaffheit und Fahrigkeit der in Tarent herrschenden
+Demagogen und die Verwicklung der Stadt in die sizilischen
+Angelegenheiten, teils die innere Zerrissenheit der lucanischen
+Eidgenossenschaft, teils und vor allem die seit Jahrhunderten bestehende
+tiefe Verfehdung der unteritalischen Hellenen mit ihren lucanischen
+Bedraengern liessen kaum hoffen, dass Tarent und Lucanien
+gemeinschaftlich sich den Samniten anschliessen wuerden. Von den
+Sabinern und den Marsern als den naechsten und seit langem in
+friedlichem Verhaeltnis mit Rom lebenden Nachbarn der Roemer war wenig
+mehr zu erwarten als schlaffe Teilnahme oder Neutralitaet; die Apuler,
+die alten und erbitterten Gegner der Sabeller, waren die natuerlichen
+Verbuendeten der Roemer. Dass dagegen die fernen Etrusker, wenn ein
+erster Erfolg errungen war, dem Bunde sich anschliessen wuerden, liess
+sich erwarten, und selbst ein Aufstand in Latium und dem Volsker- und
+Hernikerland lag nicht ausser der Berechnung. Vor allen Dingen aber
+mussten die Samniten, die italischen Aetoler, in denen die nationale
+Kraft noch ungebrochen lebte, vertrauen auf die eigene Kraft, auf die
+Ausdauer im ungleichen Kampf, welche den uebrigen Voelkern Zeit gab
+zu edler Scham, zu gefasster Ueberlegung, zum Sammeln der Kraefte;
+ein einziger gluecklicher Erfolg konnte alsdann die Kriegs- und
+Aufruhrsflammen rings um Rom entzuenden. Die Geschichte darf dem edlen
+Volke das Zeugnis nicht versagen, dass es seine Pflicht begriffen
+und getan hat. Mehrere Jahre schon waehrte der Hader zwischen Rom und
+Samnium infolge der bestaendigen Uebergriffe, die die Roemer sich am
+Liris erlaubten und unter denen die Gruendung von Fregellae 426 (328)
+der letzte und wichtigste war. Zum Ausbruch des Kampfes aber gaben die
+Veranlassung die kampanischen Griechen. Seitdem Cumae und Capua roemisch
+geworden waren, lag den Roemern nichts so nahe wie die Unterwerfung
+der Griechenstadt Neapolis, die auch die griechischen Inseln im Golf
+beherrschte, innerhalb des roemischen Machtgebiets die einzige noch
+nicht unterworfene Stadt. Die Tarentiner und Samniten, unterrichtet von
+dem Plane der Roemer, sich der Stadt zu bemaechtigen, beschlossen,
+ihnen zuvorzukommen; und wenn die Tarentiner nicht sowohl zu fern als
+zu schlaff waren, um diesen Plan auszufuehren, so warfen die Samniten in
+der Tat eine starke Besatzung hinein. Sofort erklaerten die Roemer dem
+Namen nach den Neapoliten, in der Tat den Samniten den Krieg (427 327)
+und begannen die Belagerung von Neapolis. Nachdem dieselbe eine Weile
+gewaehrt hatte, wurden die kampanischen Griechen des gestoerten Handels
+und der fremden Besatzung muede; und die Roemer, deren ganzes Bestreben
+darauf gerichtet war, von der Koalition, deren Bildung bevorstand, die
+Staaten zweiten und dritten Ranges durch Sondervertraege fernzuhalten,
+beeilten sich, sowie sich die Griechen auf Unterhandlungen einliessen,
+ihnen die guenstigsten Bedingungen zu bieten: volle Rechtsgleichheit
+und Befreiung vom Landdienst, gleiches Buendnis und ewigen Frieden.
+Daraufhin ward, nachdem die Neapoliten sich der Besatzung durch List
+entledigt hatten, der Vertrag abgeschlossen (428 326). Im Anfang dieses
+Krieges hielten die sabellischen Staedte suedlich vom Volturnus, Nola,
+Nuceria, Herculaneum, Pompeii, es mit Samnium; allein teils ihre
+sehr ausgesetzte Lage, teils die Machinationen der Roemer, welche die
+optimatische Partei in diesen Staedten durch alle Hebel der List und
+des Eigennutzes auf ihre Seite zu ziehen versuchten und dabei an Capuas
+Vorgang einen maechtigen Fuersprecher fanden, bewirkten, dass diese
+Staedte nicht lange nach dem Fall von Neapolis sich entweder fuer Rom
+oder doch neutral erklaerten. Ein noch wichtigerer Erfolg gelang den
+Roemern in Lucanien. Das Volk war auch hier mit richtigem Instinkt fuer
+den Anschluss an die Samniten; da aber das Buendnis mit den Samniten
+auch Frieden mit Tarent nach sich zog und ein grosser Teil der
+regierenden Herren Lucaniens nicht gemeint war, die eintraeglichen
+Pluenderzuege einzustellen, so gelang es den Roemern, mit Lucanien
+ein Buendnis abzuschliessen, das unschaetzbar war, weil dadurch den
+Tarentinern zu schaffen gemacht wurde und also die ganze Macht Roms
+gegen Samnium verwendbar blieb. So stand Samnium nach allen Seiten hin
+allein; kaum dass einige der oestlichen Bergdistrikte ihm Zuzug sandten.
+Mit dem Jahre 428 (326) begann der Krieg im samnitischen Lande selbst;
+einige Staedte an der kampanischen Grenze, Rufrae (zwischen Venafrum und
+Teanum) und Allifae, wurden von den Roemern besetzt. In den folgenden
+Jahren durchzogen die roemischen Heere fechtend und pluendernd Samnium
+bis in das vestinische Gebiet hinein, ja bis nach Apulien, wo man sie
+mit offenen Armen empfing, ueberall im entschiedensten Vorteil. Der
+Mut der Samniten war gebrochen; sie sandten die roemischen Gefangenen
+zurueck und mit ihnen die Leiche des Fuehrers der Kriegspartei, Brutulus
+Papius, welcher den roemischen Henkern zuvorgekommen war, nachdem die
+samnitische Volksgemeinde beschlossen hatte, den Frieden von dem Feinde
+zu erbitten und durch die Auslieferung ihres tapfersten Feldherrn
+sich leidlichere Bedingungen zu erwirken. Aber als die demuetige, fast
+flehentliche Bitte bei der roemischen Volksgemeinde keine Erhoerung
+fand (432 322), ruesteten sich die Samniten unter ihrem neuen Feldherrn
+Gavius Pontius zur aeussersten und verzweifelten Gegenwehr. Das
+roemische Heer, das unter den beiden Konsuln des folgenden Jahres
+(433 321), Spurius Postumius und Titus Veturius, bei Calatia (zwischen
+Caserta und Maddaloni) gelagert war, erhielt die durch die Aussage
+zahlreicher Gefangenen bestaetigte Nachricht, dass die Samniten Luceria
+eng eingeschlossen haetten und die wichtige Stadt, an der der Besitz
+Apuliens hing, in grosser Gefahr schwebe. Eilig brach man auf. Wollte
+man zu rechter Zeit anlangen, so konnte kein anderer Weg eingeschlagen
+werden als mitten durch das feindliche Gebiet, da wo spaeter als
+Fortsetzung der Appischen Strasse die roemische Chaussee von Capua ueber
+Benevent nach Apulien angelegt ward. Dieser Weg fuehrte zwischen den
+heutigen Orten Arpaja und Montesarchio (Caudium) durch einen feuchten
+Wiesengrund, der rings von hohen und steilen Waldhuegeln umschlossen und
+nur durch tiefe Einschnitte beim Ein- und Austritt zugaenglich war.
+Hier hatten die Samniten verdeckt sich aufgestellt. Die Roemer, ohne
+Hindernis in das Tal eingetreten, fanden den Ausweg durch Verhaue
+gesperrt und stark besetzt; zurueckmarschierend erblickten sie den
+Eingang in aehnlicher Weise geschlossen und gleichzeitig kroenten die
+Bergraender rings im Kreise sich mit den samnitischen Kohorten. Zu spaet
+begriffen sie, dass sie sich durch eine Kriegslist hatten taeuschen
+lassen und dass die Samniten nicht bei Luceria sie erwarteten, sondern
+in dem verhaengnisvollen Pass von Caudium. Man schlug sich, aber ohne
+Hoffnung auf Erfolg und ohne ernstliches Ziel; das roemische Heer
+war gaenzlich unfaehig zu manoevrieren und ohne Kampf vollstaendig
+ueberwunden. Die roemischen Generale Boten die Kapitulation an. Nur
+toerichte Rhetorik laesst dem samnitischen Feldherrn die Wahl bloss
+zwischen Entlassung und Niedermetzelung der roemischen Armee; er konnte
+nichts Besseres tun als die angebotene Kapitulation annehmen und das
+feindliche Heer, die gesamte augenblicklich aktive Streitmacht der
+roemischen Gemeinde mit beiden hoechstkommandierenden Feldherren,
+gefangen machen; worauf ihm dann der Weg nach Kampanien und Latium
+offenstand und unter den damaligen Verhaeltnissen, wo die Volsker
+und Herniker und der groesste Teil der Latiner ihn mit offenen Armen
+empfangen haben wuerden, Roms politische Existenz ernstlich gefaehrdet
+war. Allein statt diesen Weg einzuschlagen und eine Militaerkonvention
+zu schliessen, dachte Gavius Pontius durch einen billigen Frieden
+gleich den ganzen Hader beendigen zu koennen; sei es, dass er die
+unverstaendige Friedenssehnsucht der Eidgenossen teilte, der das Jahr
+zuvor Brutulus Papius zum Opfer gefallen war, sei es, dass er
+nicht imstande war, der kriegsmueden Partei zu wehren, dass sie den
+beispiellosen Sieg ihm verdarb. Die gestellten Bedingungen waren maessig
+genug: Rom solle die vertragswidrig angelegten Festungen - Cales und
+Fregellae - schleifen und den gleichen Bund mit Samnium erneuern.
+Nachdem die roemischen Feldherren dieselben eingegangen waren und fuer
+die getreuliche Ausfuehrung sechshundert aus der Reiterei erlesene
+Geiseln gestellt, ueberdies ihr und ihrer saemtlichen Stabsoffiziere
+Eideswort dafuer verpfaendet hatten, wurde das roemische Heer entlassen,
+unverletzt, aber entehrt; denn das siegestrunkene samnitische Heer
+gewann es nicht ueber sich, den gehassten Feinden die schimpfliche Form
+der Waffenstreckung und des Abzuges unter dem Galgen durch zu erlassen.
+Allein der roemische Senat, unbekuemmert um den Eid der Offiziere und
+um das Schicksal der Geiseln, kassierte den Vertrag und begnuegte sich
+diejenigen, die ihn abgeschlossen hatten, als persoenlich fuer
+dessen Erfuellung verantwortlich dem Feinde auszuliefern. Es kann
+der unparteiischen Geschichte wenig darauf ankommen, ob die roemische
+Advokaten- und Pfaffenkasuistik hierbei den Buchstaben des Rechts
+gewahrt oder der Beschluss des roemischen Senats denselben verletzt hat;
+menschlich und politisch betrachtet trifft die Roemer hier kein Tadel.
+Es ist ziemlich gleichgueltig, ob nach formellem roemischen Staatsrecht
+der kommandierende General befugt oder nicht befugt war, ohne
+vorbehaltene Ratifikation der Buergerschaft Frieden zu schliessen; dem
+Geiste und der Uebung der Verfassung nach stand es vollkommen Fest, dass
+in Rom jeder nicht rein militaerische Staatsvertrag zur Kompetenz der
+buergerlichen Gewalten gehoerte und ein Feldherr, der ohne Auftrag von
+Rat und Buergerschaft Frieden schloss, mehr tat, als er tun durfte. Es
+war ein groesserer Fehler des samnitischen Feldherrn, den roemischen die
+Wahl zu stellen zwischen Rettung ihres Heeres und Ueberschreitung ihrer
+Vollmacht, als der roemischen, dass sie nicht die Seelengroesse hatten,
+die letztere Anmutung unbedingt zurueckzuweisen; und dass der roemische
+Senat einen solchen Vertrag verwarf, war recht und notwendig. Kein
+grosses Volk gibt, was es besitzt, anders hin als unter dem Druck der
+aeussersten Notwendigkeit; alle Abtretungsvertraege sind Anerkenntnisse
+einer solchen, nicht sittliche Verpflichtungen. Wenn jede Nation mit
+Recht ihre Ehre darein setzt, schimpfliche Vertraege mit den Waffen
+zu zerreissen, wie kann ihr dann die Ehre gebieten, an einem Vertrage
+gleich dem Caudinischen, zu dem ein ungluecklicher Feldherr moralisch
+genoetigt worden ist, geduldig festzuhalten, wenn die frische Schande
+brennt und die Kraft ungebrochen dasteht? So brachte der Friedensvertrag
+von Caudium nicht die Ruhe, die die Friedensenthusiasten in Samnium
+toerichterweise davon erhofft hatten, sondern nur Krieg und wieder
+Krieg, mit gesteigerter Erbitterung auf beiden Seiten durch die
+verscherzte Gelegenheit, das gebrochene feierliche Wort, die
+geschaendete Waffenehre, die preisgegebenen Kameraden. Die
+ausgelieferten roemischen Offiziere wurden von den Samniten nicht
+angenommen, teils weil sie zu gross dachten, um an diesen Ungluecklichen
+ihre Rache zu ueben, teils weil sie damit den Roemern wuerden
+zugestanden haben, dass das Buendnis nur die Schwoerenden verpflichtet
+habe, nicht den roemischen Staat. Hochherzig verschonten sie sogar die
+Geiseln, deren Leben nach Kriegsrecht verwirkt war, und wandten sich
+vielmehr sogleich zum Waffenkampf. Luceria ward von ihnen besetzt,
+Fregellae ueberfallen und erstuermt (434 320), bevor die Roemer die
+aufgeloeste Armee wieder reorganisiert hatten; was man haette erreichen
+koennen, wenn man den Vorteil nicht haette aus den Haenden fahren
+lassen, zeigt der Uebertritt der Satricaner ^2 zu den Samniten. Aber
+Rom war nur augenblicklich gelaehmt, nicht geschwaecht; voll Scham
+und Erbitterung bot man dort auf, was man an Mannschaft und Mitteln
+vermochte und stellte den erprobtesten, als Soldat wie als Feldherr
+gleich ausgezeichneten Fuehrer Lucius Papirius Cursor an die Spitze des
+neugebildeten Heeres. Dasselbe teilte sich; die eine Haelfte zog durch
+die Sabina und das adriatische Litoral vor Luceria, die andere ebendahin
+durch Samnium selbst, indem die letztere das samnitische Heer unter
+gluecklichen Gefechten vor sich her trieb. Man traf wieder zusammen
+unter den Mauern von Luceria, dessen Belagerung um so eifriger betrieben
+ward, als dort die roemischen Reiter gefangen sassen; die Apuler,
+namentlich die Arpaner, leisteten dabei den Roemern wichtigen Beistand,
+vorzueglich durch Beschaffung der Zufuhr. Nachdem die Samniten zum
+Entsatz der Stadt eine Schlacht geliefert und verloren hatten, ergab
+sich Luceria den Roemern (435 319): Papirius genoss die doppelte
+Freude, die verlorengegebenen Kameraden zu befreien und der samnitischen
+Besatzung von Luceria die Galgen von Caudium zu vergelten. In den
+folgenden Jahren (435-437 319-317) ward der Krieg nicht so sehr in
+Samnium gefuehrt ^3 als in den benachbarten Landschaften. Zuerst
+zuechtigten die Roemer die samnitischen Verbuendeten in dem apulischen
+und frentanischen Gebiet und schlossen mit den apulischen Teanensern und
+den Canusinern neue Bundesvertraege ab. Gleichzeitig ward Satricum zur
+Botmaessigkeit zurueckgebracht und schwer fuer seinen Abfall bestraft.
+Alsdann zog der Krieg sich nach Kampanien, wo die Roemer die Grenzstadt
+gegen Samnium Saticula (vielleicht S. Agata de' Goti) eroberten (438
+316). Jetzt aber schien hier das Kriegsglueck sich wieder gegen sie
+wenden zu wollen. Die Samniten zogen die Nuceriner (438 316) und bald
+darauf die Nolaner auf ihre Seite; am oberen Liris vertrieben die
+Soraner selbst die roemische Besatzung (439 315); eine Erhebung der
+Ausonen bereitete sich vor und bedrohte das wichtige Cales; selbst in
+Capua regten sich lebhaft die antiroemisch Gesinnten. Ein samnitisches
+Heer rueckte in Kampanien ein und lagerte vor der Stadt, in der
+Hoffnung, durch seine Naehe der Nationalpartei das Uebergewicht zu geben
+(440 314). Allein Sora ward von den Roemern sofort angegriffen und,
+nachdem die samnitische Entsatzarmee geschlagen war (440 314), wieder
+genommen. Die Bewegungen unter den Ausonen wurden mit grausamer Strenge
+unterdrueckt, ehe der Aufstand recht zum Ausbruch kam, und gleichzeitig
+ein eigener Diktator ernannt, um die politischen Prozesse gegen die
+Fuehrer der samnitischen Partei in Capua einzuleiten und abzuurteilen,
+so dass die namhaftesten derselben, um dem roemischen Henker zu
+entgehen, freiwillig den Tod nahmen (440 314). Das samnitische Heer vor
+Capua ward geschlagen und zum Abzug aus Kampanien gezwungen; die
+Roemer, dem Feinde auf den Fersen folgend, ueberschritten den Matese und
+lagerten im Winter 440 (314) vor der Hauptstadt Samniums Bovianum.
+Nola war von den Verbuendeten preisgegeben; die Roemer waren einsichtig
+genug, durch den guenstigsten, dem neapolitanischen aehnlichen
+Bundesvertrag die Stadt fuer immer von der samnitischen Partei zu
+trennen (441 313). Fregellae, das seit der caudinischen Katastrophe
+in den Haenden der antiroemischen Partei und deren Hauptburg in der
+Landschaft am Liris gewesen war, fiel endlich auch, im achten Jahre nach
+der Einnahme durch die Samniten (441 313); zweihundert der Buerger, die
+vornehmsten der nationalen Partei, wurden nach Rom gefuehrt und dort zum
+warnenden Beispiel fuer die ueberall sich regenden Patrioten auf offenem
+Markte enthauptet. --------------------------------------- ^2 Es sind
+dies nicht die Einwohner von Satricum bei Antium, sondern die einer
+anderen volskischen, damals als roemische Buergergemeinde ohne
+Stimmrecht konstituierten Stadt bei Arpinum. ^3 Dass zwischen den
+Roemern und Samniten 436, 437 (318, 317) ein foermlicher zweijaehriger
+Waffenstillstand bestanden habe, ist mehr als unwahrscheinlich.
+--------------------------------------- Hiermit waren Apulien und
+Kampanien in den Haenden der Roemer. Zur endlichen Sicherstellung und
+bleibenden Beherrschung des eroberten Gebietes wurden in den Jahren
+440 bis 442 (314 bis 312) in demselben eine Anzahl neuer Festungen
+gegruendet: Luceria in Apulien, wohin seiner isolierten und ausgesetzten
+Lage wegen eine halbe Legion als bleibende Besatzung gesandt ward,
+ferner Pontiae (die Ponzainseln) zur Sicherung der kampanischen
+Gewaesser, Saticula an der kampanisch-samnitischen Grenze als Vormauer
+gegen Samnium, endlich Interamna (bei Monte Cassino) und Suessa Aurunca
+(Sessa) auf der Strasse von Rom nach Capua. Besatzungen kamen ausserdem
+nach Caiatia (Cajazzo), Sora und anderen militaerisch wichtigen
+Plaetzen. Die grosse Militaerstrasse von Rom nach Capua, die der Zensor
+Appius Claudius 442 (312) chaussieren und den dazu erforderlichen Damm
+durch die Pontinischen Suempfe ziehen liess, vollendete die Sicherung
+Kampaniens. Immer vollstaendiger entwickelten sich die Absichten der
+Roemer; es galt die Unterwerfung Italiens, das durch das roemische
+Festungs- und Strassennetz von Jahr zu Jahr enger umstrickt ward. Von
+beiden Seiten schon waren die Samniten von den Roemern umsponnen; schon
+schnitt die Linie von Rom nach Luceria Nord- und Sueditalien voneinander
+ab, wie einst die Festungen Norba und Signia die Volsker und Aequer
+getrennt hatten; und wie damals auf die Herniker, stuetzte Rom sich
+jetzt auf die Arpaner. Die Italiker mussten erkennen, dass es um ihrer
+aller Freiheit geschehen war, wenn Samnium unterlag, und dass es die
+allerhoechste Zeit war, dem tapferen Bergvolk, das nun schon fuenfzehn
+Jahre allein den ungleichen Kampf gegen die Roemer kaempfte, endlich
+mit gesamter Kraft zu Hilfe zu kommen. Die naechsten Bundesgenossen der
+Samniten waeren die Tarentiner gewesen; allein es gehoert zu dem ueber
+Samnium und ueber Italien ueberhaupt waltenden Verhaengnis, dass in
+diesem zukunftbestimmenden Augenblick die Entscheidung in den Haenden
+dieser italischen Athener lag. Seit die urspruenglich nach alter
+dorischer Art streng aristokratische Verfassung Tarents in die
+vollstaendigste Demokratie uebergegangen war, hatte in dieser
+hauptsaechlich von Schiffern, Fischern und Fabrikanten bewohnten Stadt
+ein unglaublich reges Leben sich entwickelt; Sinn und Tun der mehr
+reichen als vornehmen Bevoelkerung wehrte allen Ernst des Lebens in dem
+witzig und geistreich quirlenden Tagestreiben von sich ab und schwankte
+zwischen dem grossartigsten Wagemut und der genialsten Erhebung und
+zwischen schandbarem Leichtsinn und kindischer Schwindelei. Es wird auch
+in diesem Zusammenhang, wo ueber das Sein oder Nichtsein hochbegabter
+und altberuehmter Nationen die ernsten Lose fallen, nicht unstatthaft
+sein, daran zu erinnern, dass Platon, der etwa sechzig Jahre vor
+dieser Zeit (389) nach Tarent kam, seinem eigenen Zeugnis zufolge am
+Dionysienfest die ganze Stadt berauscht sah, und dass das parodische
+Possenspiel, die sogenannte "lustige Tragoedie" eben um die Zeit des
+grossen samnitischen Krieges in Tarent geschaffen ward. Zu dieser
+Lotterwirtschaft und Lotterpoesie der Tarentiner Eleganten und Literaten
+liefert die Ergaenzung die unstete, uebermuetige und kurzsichtige
+Politik der Tarentiner Demagogen, welche regelmaessig da sich
+beteiligten, wo sie nichts zu schaffen hatten, und da ausblieben, wo ihr
+naechstes Interesse sie hinrief. Sie hatten, als nach der caudinischen
+Katastrophe Roemer und Samniten sich in Apulien gegenueberstanden,
+Gesandte dorthin geschickt, die beiden Parteien geboten, die Waffen
+niederzulegen (434 320). Diese diplomatische Intervention in dem
+italischen Entscheidungskampf konnte verstaendigerweise nichts sein als
+die Ankuendigung, dass Tarent aus seiner bisherigen Passivitaet jetzt
+endlich herauszutreten entschlossen sei. Grund genug hatte es wahrlich
+dazu, wie schwierig und gefaehrlich es auch fuer Tarent selbst war,
+in diesen Krieg verwickelt zu werden: denn die demokratische
+Machtentwicklung des Staates hatte sich lediglich auf die Flotte
+geworfen, und waehrend diese, gestuetzt auf die starke Handelsmarine
+Tarents, unter den grossgriechischen Seemaechten den ersten Rang
+einnahm, bestand die Landmacht, auf die es jetzt ankam, wesentlich aus
+gemieteten Soeldnern und war in tiefem Verfall. Unter diesen Umstaenden
+war es fuer die tarentinische Republik keine leichte Aufgabe, an dem
+Kampf zwischen Rom und Samnium sich zu beteiligen, auch abgesehen von
+der wenigstens beschwerlichen Fehde, in welche die roemische Politik
+die Tarentiner mit den Lucanern zu verwickeln gewusst hatte. Indes bei
+kraeftigem Willen waren diese Schwierigkeiten wohl zu ueberwinden;
+und beide streitende Teile fassten die Aufforderung der tarentinischen
+Gesandten, mit dem Kampf einzuhalten, in diesem Sinne auf. Die Samniten
+als die Schwaecheren zeigten sich bereit, derselben nachzukommen; die
+Roemer antworteten durch die Aufsteckung des Zeichens zur Schlacht.
+Vernunft und Ehre geboten den Tarentinern, dem herrischen Gebot ihrer
+Gesandten jetzt die Kriegserklaerung gegen Rom auf dem Fusse folgen zu
+lassen; allein in Tarent war eben weder diese noch jene am Regimente und
+man hatte dort bloss mit sehr ernsthaften Dingen sehr kindisch
+gespielt. Die Kriegserklaerung gegen Rom erfolgte nicht; statt dessen
+unterstuetzte man lieber gegen Agathokles von Syrakus, der frueher in
+tarentinischen Diensten gestanden hatte und in Ungnade entlassen
+worden war, die oligarchische Staedtepartei in Sizilien und sandte,
+dem Beispiel Spartas folgend, eine Flotte nach der Insel, die in
+der kampanischen See bessere Dienste getan haben wuerde (440 314).
+Energischer handelten die nord- und mittelitalischen Voelker, die
+namentlich durch die Anlegung der Festung Luceria aufgeruettelt worden
+zu sein scheinen. Zuerst (443 311) schlugen die Etrusker los, deren
+Waffenstillstandsvertrag von 403 (351) schon einige Jahre frueher
+zu Ende gegangen war. Die roemische Grenzfestung Sutrium hatte eine
+zweijaehrige Belagerung auszuhalten, und in den heftigen Gefechten, die
+unter ihren Mauern geliefert wurden, zogen die Roemer in der Regel
+den kuerzeren, bis der Konsul des Jahres 444 (310), Quintus Fabius
+Rullianus, ein in den Samnitenkriegen erprobter Fuehrer, nicht bloss
+im roemischen Etrurien das Uebergewicht der roemischen Waffen
+wiederherstellte, sondern auch kuehn eindrang in das eigentliche, durch
+die Verschiedenheit der Sprache und die geringen Kommunikationen den
+Roemern bis dahin fast unbekannt gebliebene etruskische Land. Der Zug
+ueber den noch von keinem roemischen Heer ueberschrittenen Ciminischen
+Wald und die Pluenderung des reichen, lange von Kriegsnot verschont
+gebliebenen Gebiets brachte ganz Etrurien in Waffen; die roemische
+Regierung, welche die tollkuehne Expedition ernstlich missbilligte und
+die Ueberschreitung der Grenze dem verwegenen Fuehrer zu spaet untersagt
+hatte, raffte, um dem erwarteten Ansturm der gesamten etruskischen Macht
+zu begegnen, in schleunigster Eile neue Legionen zusammen. Allein
+ein rechtzeitiger und entscheidender Sieg des Rullianus, die lange im
+Andenken des Volkes fortlebende Schlacht am Vadimonischen See, machte
+aus dem unvorsichtigen Beginnen eine gefeierte Heldentat und brach
+den Widerstand der Etrusker. Ungleich den Samniten, die nun schon seit
+achtzehn Jahren den ungleichen Kampf fochten, bequemten sich schon
+nach der ersten Niederlage drei der maechtigsten etruskischen Staedte,
+Perusia, Cortona und Arretium, zu einem Sonderfrieden auf dreihundert
+(444 310) und, nachdem im folgenden Jahre die Roemer noch einmal bei
+Perusia die uebrigen Etrusker besiegt hatten, auch die Tarquinienser zu
+einem Frieden auf vierhundert Monate (446 308); worauf auch die uebrigen
+Staedte vom Kampfe abstanden und in Etrurien vorlaeufig Waffenruhe
+eintrat. Waehrend dieser Ereignisse hatte auch in Samnium der Krieg
+nicht geruht. Der Feldzug von 443 (311) beschraenkte sich gleich den
+bisherigen auf die Belagerung und Erstuermung einzelner samnitischer
+Plaetze; aber im naechsten Jahre nahm der Krieg eine lebhaftere Wendung.
+Rullianus' gefaehrliche Lage in Etrurien und die ueber die Vernichtung
+der roemischen Nordarmee verbreiteten Geruechte ermutigten die Samniten
+zu neuen Anstrengungen; der roemische Konsul Gaius Marcius Rutilus wurde
+von ihnen besiegt und selber schwer verwundet. Aber der Umschwung der
+Dinge in Etrurien zerstoerte die neu aufleuchtenden Hoffnungen. Wieder
+trat Lucius Papirius Cursor an die Spitze der gegen die Samniten
+gesandten roemischen Truppen, und wieder blieb er Sieger in einer
+grossen und entscheidenden Schlacht (445 309), zu der die Eidgenossen
+ihre letzten Kraefte angestrengt hatten; der Kern ihrer Armee, die
+Buntroecke mit den Gold-, die Weissroecke mit den Silberschilden wurden
+hier aufgerieben und die glaenzenden Ruestungen derselben schmueckten
+seitdem bei festlichen Gelegenheiten die Budenreihen laengs des
+roemischen Marktes. Immer hoeher stieg die Not, immer hoffnungsloser
+ward der Kampf. Im folgenden Jahre (446 308) legten die Etrusker die
+Waffen nieder; in ebendemselben ergab die letzte Stadt Kampaniens, die
+noch zu den Samniten hielt, Nuceria, zu Wasser und zu Lande gleichzeitig
+angegriffen, unter guenstigen Bedingungen sich den Roemern. Zwar fanden
+die Samniten neue Bundesgenossen an den Umbrern im noerdlichen, an den
+Marsern und Paelignern im mittleren Italien, ja selbst von den
+Hernikern traten zahlreiche Freiwillige in ihre Reihen; allein was
+mit entscheidendem Gewicht gegen Rom in die Waagschale haette fallen
+koennen, wenn die Etrusker noch unter Waffen gestanden haetten,
+vermehrte jetzt bloss die Erfolge des roemischen Sieges, ohne denselben
+ernstlich zu erschweren. Den Umbrern, die Miene machten, einen Zug nach
+Rom zu unternehmen, verlegte Rullianus am oberen Tiber mit der Armee von
+Samnium den Weg, ohne dass die geschwaechten Samniten es haetten hindern
+koennen, und dies genuegte, um den umbrischen Landsturm zu zerstreuen.
+Der Krieg zog sich alsdann wieder nach Mittelitalien. Die Paeligner
+wurden besiegt, ebenso die Marser; wenngleich die uebrigen sabellischen
+Staemme noch dem Namen nach Feinde der Roemer blieben, stand doch
+allmaehlich Samnium von dieser Seite tatsaechlich allein. Aber
+unerwartet kam ihnen Beistand aus dem Tibergebiet. Die Eidgenossenschaft
+der Herniker, wegen ihrer unter den samnitischen Gefangenen
+vorgefundenen Landsleute von den Roemern zur Rede gestellt, erklaerte
+diesen jetzt den Krieg (448 306) - mehr wohl aus Verzweiflung, als aus
+Berechnung. Es schlossen auch einige der bedeutendsten hernikischen
+Gemeinden von vornherein sich von der Kriegfuehrung aus; aber Anagnia,
+weitaus die ansehnlichste Hernikerstadt, setzte die Kriegserklaerung
+durch. Militaerisch ward allerdings die augenblickliche Lage der Roemer
+durch diesen unerwarteten Aufstand im Ruecken der mit der Belagerung der
+Burgen von Samnium beschaeftigten Armee in hohem Grade bedenklich. Noch
+einmal war den Samniten das Kriegsglueck guenstig; Sora und Caiatia
+fielen ihnen in die Haende. Allein die Anagniner unterlagen unerwartet
+schnell den von Rom ausgesandten Truppen, und rechtzeitig machten diese
+auch dem in Samnium stehenden Heere Luft; es war eben alles verloren.
+Die Samniten baten um Frieden, indes vergeblich; noch konnte man
+sich nicht einigen. Erst der Feldzug von 449 (305) brachte die letzte
+Entscheidung. Die beiden roemischen Konsularheere drangen, Tiberius
+Minucius und nach dessen Fall Marcus Fulvius von Kampanien aus durch
+die Bergpaesse, Lucius Postumius vom Adriatischen Meere her am Biferno
+hinauf, in Samnium ein, um hier vor der Hauptstadt des Landes, Bovianum,
+sich die Hand zu reichen; ein entscheidender Sieg ward erfochten, der
+samnitische Feldherr Statius Gellius gefangengenommen und Bovianum
+erstuermt. Der Fall des Hauptwaffenplatzes der Landschaft machte dem
+zweiundzwanzigjaehrigen Krieg ein Ende. Die Samniten zogen aus Sora und
+Arpinum ihre Besatzungen heraus und schickten Gesandte nach Rom, den
+Frieden zu erbitten; ihrem Beispiel folgten die sabellischen Staemme,
+die Marser, Marruciner, Paeligner, Frentaner, Vestiner, Picenter. Die
+Bedingungen, die Rom gewaehrte, waren leidlich; Gebietsabtretungen
+wurden zwar einzeln gefordert, zum Beispiel von den Paelignern, allein
+sehr bedeutend scheinen sie nicht gewesen zu sein. Das gleiche Buendnis
+zwischen den sabellischen Staaten und den Roemern wurde erneuert (450
+304). Vermutlich um dieselbe Zeit und wohl infolge des samnitischen
+Friedens ward auch Friede gemacht zwischen Rom und Tarent. Unmittelbar
+zwar hatten beide Staedte nicht gegeneinander im Felde gestanden; die
+Tarentiner hatten dem langen Kampfe zwischen Rom und Samnium von Anfang
+bis zu Ende untaetig zugesehen und nur im Bunde mit den Sallentinern
+gegen die Bundesgenossen Roms, die Lucaner, die Fehde fortgesetzt. Zwar
+hatten sie in den letzten Jahren des Samnitischen Krieges noch einmal
+Miene gemacht nachdruecklicher aufzutreten. Teils die bedraengte Lage,
+in welche die unaufhoerlichen lucanischen Angriffe sie selbst brachten,
+teils wohl auch das immer naeher sich ihnen aufdraengende Gefuehl,
+dass Samniums voellige Unterdrueckung auch ihre eigene Unabhaengigkeit
+bedrohe, hatten sie bestimmt, trotz der mit Alexander gemachten
+unerfreulichen Erfahrungen abermals einem Condottiere sich
+anzuvertrauen. Es kam auf ihren Ruf der spartanische Prinz Kleonymos
+mit fuenftausend Soeldnern, womit er eine ebenso starke, in Italien
+angeworbene Schar sowie die Zuzuege der Messapier, der kleineren
+Griechenstaedte und vor allem das tarentinische Buergerheer, 22 000 Mann
+stark, vereinigte. An der Spitze dieser ansehnlichen Armee noetigte er
+die Lucaner, mit Tarent Frieden zu machen und eine samnitisch gesinnte
+Regierung einzusetzen, wogegen freilich Metapont ihnen aufgeopfert
+ward. Noch standen die Samniten unter Waffen, als dies geschah; nichts
+hinderte den Spartaner, ihnen zu Hilfe zu kommen und das Gewicht seines
+starken Heeres und seiner Kriegskunst fuer die Freiheit der italischen
+Staedte und Voelker in die Waagschale zu werfen. Allein Tarent handelte
+nicht, wie Rom im gleichen Falle gehandelt haben wuerde; und Prinz
+Kleonymos selbst war auch nichts weniger als ein Alexander oder ein
+Pyrrhos. Er beeilte sich nicht, einen Krieg zu beginnen, bei dem mehr
+Schlaege zu erwarten standen als Beute, sondern machte lieber mit den
+Lucanern gemeinschaftliche Sache gegen Metapont und liess es in dieser
+Stadt sich wohl sein, waehrend er redete von einem Zug gegen Agathokles
+von Syrakus und von der Befreiung der sizilischen Griechen. Darueber
+machten denn die Samniten Frieden; und als nach dessen Abschluss Rom
+anfing, sich um den Suedosten der Halbinsel ernstlicher zu bekuemmern
+und zum Beispiel im Jahre 447 (307) ein roemischer Heerhaufen das Gebiet
+der Sallentiner brandschatzte oder vielmehr wohl in hoeherem Auftrag
+rekognoszierte, ging der spartanische Condottiere mit seinen Soeldnern
+zu Schiff und ueberrumpelte die Insel Kerkyra, die vortrefflich gelegen
+war, um von dort aus gegen Griechenland und Italien Piratenzuege zu
+unternehmen. So von ihrem Feldherrn im Stich gelassen und zugleich ihrer
+Bundesgenossen im mittleren Italien beraubt, blieb den Tarentinern sowie
+den mit ihnen verbuendeten Italikern, den Lucanern und Sallentinern,
+jetzt freilich nichts uebrig, als mit Rom ein Abkommen nachzusuchen, das
+auf leidliche Bedingungen gewaehrt worden zu sein scheint. Bald nachher
+(451 303) ward sogar ein Einfall des Kleonymos, der im sallentinischen
+Gebiet gelandet war und Uria belagerte, von den Einwohnern mit
+roemischer Hilfe abgeschlagen. Roms Sieg war vollstaendig; und
+vollstaendig ward er benutzt. Dass den Samniten, den Tarentinern und
+den ferner wohnenden Voelkerschaften ueberhaupt so maessige Bedingungen
+gestellt wurden, war nicht Siegergrossmut, die die Roemer nicht kannten,
+sondern kluge und klare Berechnung. Zunaechst und vor allem kam es
+darauf an, nicht so sehr das suedliche Italien so rasch wie moeglich
+zur formellen Anerkennung der roemischen Suprematie zu zwingen als
+die Unterwerfung Mittelitaliens, zu welcher durch die in Kampanien und
+Apulien schon waehrend des letzten Krieges angelegten Militaerstrassen
+und Festungen der Grund gelegt war, zu ergaenzen und zu vollenden und
+die noerdlichen und suedlichen Italiker dadurch in zwei militaerisch
+von jeder unmittelbaren Beruehrung miteinander abgeschnittene
+Massen auseinanderzusprengen. Darauf zielten denn auch die naechsten
+Unternehmungen der Roemer mit energischer Konsequenz. Vor allen Dingen
+benutzte oder machte man die Gelegenheit, mit den in der Tiberlandschaft
+einstmals mit der roemischen Einzelmacht rivalisierenden und noch nicht
+voellig beseitigten Eidgenossenschaften der Aequer und der Herniker
+aufzuraeumen. In demselben Jahre, in welchem der Friede mit Samnium
+zustande kam (450 304), ueberzog der Konsul Publius Sempronius Sophus
+die Aequer mit Krieg; vierzig Ortschaften unterwarfen sich in fuenfzig
+Tagen; das gesamte Gebiet mit Ausnahme des engen und rauhen Bergtals,
+das noch heute den alten Volksnamen traegt (Cicolano), wurde roemischer
+Besitz und hier am Nordrand des Fuciner Sees im Jahre darauf die Festung
+Alba mit einer Besatzung von 6000 Mann gegruendet, fortan die Vormauer
+gegen die streitbaren Marser und die Zwingburg Mittelitaliens; ebenso
+zwei Jahre darauf am oberen Turano, naeher an Rom, Carsioli, beide als
+Bundesgemeinden latinischen Rechts. Dass von den Hernikern wenigstens
+Anagnia sich an dem letzten Stadium des Samnitischen Krieges beteiligt
+hatte, gab den erwuenschten Grund, das alte Bundesverhaeltnis zu loesen.
+Das Schicksal der Anagniner war natuerlicherweise bei weitem haerter als
+dasjenige, welches ein Menschenalter zuvor den latinischen Gemeinden im
+gleichen Fall bereitet worden war. Sie mussten nicht bloss wie diese das
+roemische Passivbuergerrecht sich gefallen lassen, sondern verloren auch
+gleich den Caeriten die eigene Verwaltung; auf einem Teile ihres Gebiets
+am oberen Trerus (Sacco) wurde ueberdies ein neuer Buergerbezirk sowie
+gleichzeitig ein anderer am unteren Anio eingerichtet (455 299). Man
+bedauerte nur, dass die drei naechst Anagnia bedeutendsten hernikischen
+Gemeinden Aletrium, Verulae und Ferentinum nicht auch abgefallen waren;
+denn da sie die Zumutung, freiwillig in den roemischen Buergerverband
+einzutreten, hoeflich ablehnten und jeder Vorwand, sie dazu zu noetigen,
+mangelte, musste man ihnen wohl nicht bloss die Autonomie, sondern
+selbst das Recht der Tagsatzung und der Ehegemeinschaft auch ferner
+zugestehen und damit noch einen Schatten der alten hernikischen
+Eidgenossenschaft uebrig lassen. In dem Teil der volskischen Landschaft,
+welchen bis dahin die Samniten im Besitz gehabt, banden aehnliche
+Ruecksichten nicht. Hier wurden Arpinum und Frusino untertaenig und die
+letztere Stadt eines Drittels ihrer Feldmark beraubt, ferner am
+oberen Liris neben Fregellae die schon frueher mit Besatzung belegte
+Volskerstadt Sora jetzt auf die Dauer in eine latinische Festung
+verwandelt und eine Legion von 4000 Mann dahin gelegt. So war das alte
+Volskergebiet vollstaendig unterworfen und ging seiner Romanisierung
+mit raschen Schritten entgegen. In die Landschaft, welche Samnium und
+Etrurien scheidet, wurden zwei Militaerstrassen hineingefuehrt und
+beide durch Festungen gesichert. Die noerdliche, aus der spaeter die
+Flaminische wurde, deckte die Tiberlinie; sie fuehrte durch das mit Rom
+verbuendete Ocriculum nach Narnia, wie die Roemer die alte umbrische
+Feste Nequinum umnannten, als sie dort eine Militaerkolonie anlegten
+(455 299). Die suedliche, die spaetere Valerische, lief an den Fuciner
+See ueber die eben erwaehnten Festungen Carsioli und Alba. Die kleinen
+Voelkerschaften, in deren Gebiet diese Anlagen stattfanden, die Umbrer,
+die Nequinum hartnaeckig verteidigten, die Aequer, die noch einmal Alba,
+die Marser, die Carsioli ueberfielen, konnten Rom in seinem Gang nicht
+aufhalten; fast ungehindert schoben jene beiden maechtigen Riegel sich
+zwischen Samnium und Etrurien. Der grossen Strassen- und Festungsanlagen
+zur bleibenden Sicherung Apuliens und vor allem Kampaniens wurde schon
+gedacht; durch sie ward Samnium weiter nach Osten und Westen von
+dem roemischen Festungsnetz umstrickt. Bezeichnend fuer die
+verhaeltnismaessige Schwaeche Etruriens ist es, dass man es nicht
+notwendig fand, die Paesse durch den Ciminischen Wald in gleicher Weise
+durch eine Chaussee und angemessene Festungen zu sichern. Die bisherige
+Grenzfestung Sutrium blieb hier auch ferner der Endpunkt der roemischen
+Militaerlinie und man begnuegte sich damit, die Strasse von dort nach
+Arretium durch die beikommenden Gemeinden in militaerisch
+brauchbarem Stande halten zu lassen ^4.
+------------------------------------------------ ^4 Die Operationen in
+dem Feldzug 537 (217) und bestimmter noch die Anlage der Chaussee von
+Arretium nach Bononia 567 (187) zeigen, dass schon vor dieser Zeit die
+Strasse von Rom nach Arretium instand gesetzt worden ist. Allein eine
+roemische Militaerchaussee kann sie in dieser Zeit dennoch nicht gewesen
+sein, da sie, nach ihrer spaeteren Benennung der "Cassischen Strasse" zu
+schliessen, als via consularis nicht frueher angelegt sein kann als 583
+(171); denn zwischen Spurius Cassius, Konsul 252, 261, 268 (502, 493,
+486), an den natuerlich nicht gedacht werden darf, und Gaius Cassius
+Longinus, Konsul 583 (171), erscheint kein Cassier in den
+roemischen Konsuln- und Zensorenlisten.
+----------------------------------------------- Die hochherzige
+samnitische Nation begriff es, dass ein solcher Friede verderblicher war
+als der verderblichste Krieg, und, was mehr ist, sie handelte danach.
+Eben fingen in Norditalien die Kelten nach langer Waffenruhe wieder
+an sich zu regen; noch standen ferner daselbst einzelne etruskische
+Gemeinden gegen die Roemer unter den Waffen und es wechselten hier kurze
+Waffenstillstaende mit heftigen, aber erfolglosen Gefechten. Noch war
+ganz Mittelitalien in Gaerung und zum Teil in offenem Aufstand; noch
+waren die Festungen in der Anlage begriffen, der Weg zwischen Etrurien
+und Samnium noch nicht voellig gesperrt. Vielleicht war es noch nicht
+zu spaet, die Freiheit zu retten; aber man durfte nicht saeumen: die
+Schwierigkeit des Angriffs stieg, die Macht der Angreifer sank mit jedem
+Jahre des verlaengerten Friedens. Kaum fuenf Jahre hatten die
+Waffen geruht und noch mussten all die Wunden bluten, welche der
+zweiundzwanzigjaehrige Krieg den Bauernschaften Samniums geschlagen
+hatte, als im Jahre 456 (298) die samnitische Eidgenossenschaft den
+Kampf erneuerte. Den letzten Krieg hatte wesentlich Lucaniens Verbindung
+mit Rom und die dadurch mitveranlasste Fernhaltung Tarents zu Gunsten
+Roms entschieden; dadurch belehrt, warfen die Samniten jetzt sich
+zuvoerderst mit aller Macht auf die Lucaner und brachten hier in der Tat
+ihre Partei ans Ruder und ein Buendnis zwischen Samnium und Lucanien zum
+Abschluss. Natuerlich erklaerten die Roemer sofort den Krieg; in Samnium
+hatte man es nicht anders erwartet. Es bezeichnet die Stimmung, dass die
+samnitische Regierung den roemischen Gesandten die Anzeige machte, sie
+sei nicht imstande, fuer ihre Unverletzlichkeit zu buergen, wenn sie
+samnitisches Gebiet betraeten. Der Krieg begann also von neuem (456
+298), und waehrend ein zweites Heer in Etrurien focht, durchzog die
+roemische Hauptarmee Samnium und zwang die Lucaner Frieden zu machen und
+Geiseln nach Rom zu senden. Das folgende Jahr konnten beide Konsuln
+nach Samnium sich wenden; Rullianus siegte bei Tifernum, sein treuer
+Waffengefaehrte Publius Decius Mus bei Maleventum, und fuenf Monate
+hindurch lagerten zwei roemische Heere in Feindesland. Es war
+das moeglich, weil die tuskischen Staaten auf eigene Hand mit Rom
+Friedensverhandlungen angeknuepft hatten. Die Samniten, welche von Haus
+aus in der Vereinigung ganz Italiens gegen Rom die einzige Moeglichkeit
+des Sieges gesehen haben muessen, boten das Aeusserste auf, um den
+drohenden Sonderfrieden zwischen Etrurien und Rom abzuwenden; und als
+endlich ihr Feldherr Gellius Egnatius den Etruskern in ihrem eigenen
+Lande Hilfe zu bringen anbot, verstand sich in der Tat der etruskische
+Bundesrat dazu, auszuharren und noch einmal die Entscheidung der Waffen
+anzurufen. Samnium machte die gewaltigsten Anstrengungen, um drei Heere
+zugleich ins Feld zu stellen, das eine bestimmt zur Verteidigung des
+eigenen Gebiets, das zweite zum Einfall in Kampanien, das dritte und
+staerkste nach Etrurien; und wirklich gelangte im Jahre 458 (296)
+das letzte, gefuehrt von Egnatius selbst, durch das marsische und das
+umbrische Gebiet, deren Bewohner im Einverstaendnis waren, ungefaehrdet
+nach Etrurien. Die Roemer nahmen waehrend dessen einige feste Plaetze
+in Samnium und brachen den Einfluss der samnitischen Partei in Lucanien;
+den Abmarsch der von Egnatius gefuehrten Armee wussten sie nicht zu
+verhindern. Als man in Rom die Kunde empfing, dass es den Samniten
+gelungen sei, all die ungeheuren, zur Trennung der suedlichen Italiker
+von den noerdlichen gemachten Anstrengungen zu vereiteln, dass das
+Eintreffen der samnitischen Scharen in Etrurien das Signal zu einer fast
+allgemeinen Schilderhebung gegen Rom geworden sei, dass die etruskischen
+Gemeinden aufs eifrigste arbeiteten, ihre eigenen Mannschaften
+kriegsfertig zu machen und gallische Scharen in Sold zu nehmen, da ward
+auch in Rom jeder Nerv angespannt, Freigelassene und Verheiratete
+in Kohorten formiert - man fuehlte hueben und drueben, dass die
+Entscheidung bevorstand. Das Jahr 458 (296) jedoch verging, wie es
+scheint, mit Ruestungen und Maerschen. Fuer das folgende (459 295)
+stellten die Roemer ihre beiden besten Generale, Publius Decius Mus und
+den hochbejahrten Quintus Fabius Rullianus, an die Spitze der Armee in
+Etrurien, welche mit allen in Kampanien irgend entbehrlichen Truppen
+verstaerkt ward und wenigstens 60000 Mann, darunter ueber ein Drittel
+roemische Vollbuerger, zaehlte; ausserdem ward eine zwiefache Reserve
+gebildet, die erste bei Falerii, die zweite unter den Mauern der
+Hauptstadt. Der Sammelplatz der Italiker war Umbrien, wo die Strassen
+aus dem gallischen, etruskischen und sabellischen Gebiet zusammenliefen;
+nach Umbrien liessen auch die Konsuln teils am linken, teils am rechten
+Ufer des Tiber hinauf ihre Hauptmacht abruecken, waehrend zugleich die
+erste Reserve eine Bewegung gegen Etrurien machte, um womoeglich die
+etruskischen Truppen von dem Platz der Entscheidung zur Verteidigung
+der Heimat abzurufen. Das erste Gefecht lief nicht gluecklich fuer die
+Roemer ab; ihre Vorhut ward von den vereinigten Galliern und Samniten
+in dem Gebiet von Chiusi geschlagen. Aber jene Diversion erreichte ihren
+Zweck; minder hochherzig als die Samniten, die durch die Truemmer ihrer
+Staedte hindurchgezogen waren, um auf der rechten Walstatt nicht zu
+fehlen, entfernte sich auf die Nachricht von dem Einfall der roemischen
+Reserve in Etrurien ein grosser Teil der etruskischen Kontingente von
+der Bundesarmee, und die Reihen derselben waren sehr gelichtet, als
+es am oestlichen Abhang des Apennin bei Sentinum zur entscheidenden
+Schlacht kam. Dennoch war es ein heisser Tag. Auf dem rechten
+Fluegel der Roemer, wo Rullianus mit seinen beiden Legionen gegen das
+samnitische Heer stritt, stand die Schlacht lange ohne Entscheidung. Auf
+dem linken, den Publius Decius befehligte, wurde die roemische Reiterei
+durch die gallischen Streitwagen in Verwirrung gebracht, und schon
+begannen hier auch die Legionen zu weichen. Da rief der Konsul den
+Priester Marcus Livius heran und hiess ihn zugleich das Haupt des
+roemischen Feldherrn und das feindliche Heer den unterirdischen Goettern
+weihen; alsdann in den dichtesten Haufen der Gallier sich stuerzend
+suchte und fand er den Tod. Diese heldenmuetige Verzweiflung des hohen
+Mannes, des geliebten Feldherrn, war nicht vergeblich. Die fliehenden
+Soldaten standen wieder, die Tapfersten warfen dem Fuehrer nach sich in
+die feindlichen Reihen, um ihn zu raechen oder mit ihm zu sterben;
+und eben im rechten Augenblicke erschien, von Rullianus gesendet, der
+Konsular Lucius Scipio mit der roemischen Reserve auf dem gefaehrdeten
+linken Fluegel. Die vortreffliche kampanische Reiterei, die den Galliern
+in die Flanke und den Ruecken fiel, gab hier den Ausschlag; die Gallier
+flohen, und endlich wichen auch die Samniten, deren Feldherr Egnatius am
+Tore des Lagers fiel. 9000 Roemer bedeckten die Walstatt; aber der teuer
+erkaufte Sieg war solchen Opfers wert. Das Koalitionsheer loeste sich
+auf und damit die Koalition selbst; Umbrien blieb in roemischer Gewalt,
+die Gallier verliefen sich, der Ueberrest der Samniten, noch immer
+in geschlossener Ordnung, zog durch die Abruzzen ab in die Heimat.
+Kampanien, das die Samniten waehrend des etruskischen Krieges
+ueberschwemmt hatten, ward nach dessen Beendigung mit leichter Muehe
+wieder von den Roemern besetzt. Etrurien bat im folgenden Jahre 460
+(294) um Frieden; Volsinii, Perusia, Arretium und wohl ueberhaupt
+alle dem Bunde gegen Rom beigetretenen Staedte gelobten Waffenruhe auf
+vierhundert Monate. Aber die Samniten dachten anders: sie ruesteten
+sich zur hoffnungslosen Gegenwehr mit jenem Mute freier Maenner, der das
+Glueck zwar nicht zwingen, aber beschaemen kann. Als im Jahre 460 (294)
+die beiden Konsularheere in Samnium einrueckten, stiessen sie ueberall
+auf den erbittertsten Widerstand; ja, Marcus Atilius erlitt eine
+Schlappe bei Luceria, und die Samniten konnten in Kampanien eindringen
+und das Gebiet der roemischen Kolonie Interamna am Liris verwuesten. Im
+Jahre darauf lieferten Lucius Papirius Cursor, der Sohn des Helden des
+ersten Samnitischen Krieges, und Spurius Carvilius bei Aquilonia eine
+grosse Feldschlacht gegen das samnitische Heer, dessen Kern, die 16
+000 Weissroecke, mit heiligem Eide geschworen hatte, den Tod der
+Flucht vorzuziehen. Indes das unerbittliche Schicksal fragt nicht nach
+Schwueren und verzweifeltem Flehen; der Roemer siegte und stuermte
+die Festen, in die die Samniten sich und ihre Habe gefluechtet hatten.
+Selbst nach dieser grossen Niederlage wehrten sich die Eidgenossen
+gegen den immer uebermaechtigeren Feind noch jahrelang mit beispielloser
+Ausdauer in ihren Burgen und Bergen und erfochten noch manchen Vorteil
+im einzelnen; des alten Rullianus erprobter Arm ward noch einmal (462
+292) gegen sie aufgeboten, und Gavius Pontius, vielleicht der Sohn des
+Siegers von Caudium, erfocht sogar fuer sein Volk einen letzten Sieg,
+den die Roemer niedrig genug an ihm raechten, indem sie ihn, als er
+spaeter gefangen ward, im Kerker hinrichten liessen (463 291). Aber
+nichts regte sich weiter in Italien; denn der Krieg, den Falerii 461
+(293) begann, verdient kaum diesen Namen. Wohl mochte man in Samnium
+sehnsuechtig die Blicke wenden nach Tarent, das allein noch imstande
+war, Hilfe zu gewaehren; aber sie blieb aus. Es waren dieselben Ursachen
+wie frueher, welche die Untaetigkeit Tarents herbeifuehrten: das innere
+Missregiment und der abermalige Uebertritt der Lucaner zur roemischen
+Partei im Jahre 456 (298); hinzu kam noch die nicht ungegruendete Furcht
+vor Agathokles von Syrakus, der eben damals auf dem Gipfel seiner Macht
+stand und anfing, sich gegen Italien zu wenden. Um das Jahr 455 (299)
+setzte dieser auf Kerkyra sich fest, von wo Kleonymos durch Demetrios
+den Belagerer vertrieben war und bedrohte nun vom Adriatischen wie vom
+Ionischen Meere her die Tarentiner. Die Abtretung der Insel an Koenig
+Pyrrhos von Epeiros im Jahre 459 (295) beseitigte allerdings zum grossen
+Teil die gehegten Besorgnisse; allein die kerkyraeischen Angelegenheiten
+fuhren fort, die Tarentiner zu beschaeftigen, wie sie denn im Jahre 464
+(290) den Koenig Pyrrhos im Besitz der Insel gegen Demetrios schuetzen
+halfen, und ebenso hoerte Agathokles nicht auf, durch seine italische
+Politik die Tarentiner zu beunruhigen. Als er starb (465 289) und mit
+ihm die Macht der Syrakusaner in Italien zugrunde ging, war es zu spaet;
+Samnium, des siebenunddreissigjaehrigen Kampfes muede, hatte das Jahr
+vorher (464 290) mit dem roemischen Konsul Manius Curius Dentatus Friede
+geschlossen und der Form nach den Bund mit Rom erneuert. Auch diesmal
+wurden, wie im Frieden von 450 (304) dem tapferen Volke von den Roemern
+keine schimpflichen oder vernichtenden Bedingungen gestellt; nicht
+einmal Gebietsabtretungen scheinen stattgefunden zu haben. Die
+roemische Staatsklugheit zog es vor, auf dem bisher eingehaltenen
+Wege fortzuschreiten, und ehe man an die unmittelbare Eroberung des
+Binnenlandes ging, zunaechst das kampanische und adriatische Litoral
+fest und immer fester an Rom zu knuepfen. Kampanien zwar war laengst
+untertaenig; allein die weitblickende roemische Politik fand es
+noetig, zur Sicherung der kampanischen Kueste dort zwei Strandfestungen
+anzulegen, Minturnae und Sinuessa (459 295), deren neue Buergerschaften
+nach dem fuer Kuestenkolonien feststehenden Grundsatz in das volle
+roemische Buergerrecht eintraten. Energischer noch ward die Ausdehnung
+der roemischen Herrschaft in Mittelitalien gefoerdert. Wie die
+Unterwerfung der Aequer und Herniker die unmittelbare Folge des Ersten
+Samnitischen Krieges war, so schloss sich an das Ende des Zweiten
+diejenige der Sabiner. Derselbe Feldherr, der die Samniten schliesslich
+bezwang, Manius Curius, brach in demselben Jahre (464 290) den kurzen
+und ohnmaechtigen Widerstand derselben und zwang die Sabiner zur
+unbedingten Ergebung. Ein grosser Teil des unterworfenen Gebiets wurde
+von den Siegern unmittelbar in Besitz genommen und an roemische Buerger
+ausgeteilt, den uebrigbleibenden Gemeinden Cures, Reate, Amiternum,
+Nursia das roemische Untertanenrecht (civitas sine suffragio)
+aufgezwungen. Bundesstaedte gleichen Rechts wurden hier nicht
+gegruendet; die Landschaft kam vielmehr unter die unmittelbare
+Herrschaft Roms, die sich also ausdehnte bis zum Apennin und den
+umbrischen Bergen. Aber schon beschraenkte man sich nicht auf das Gebiet
+diesseits der Berge; der letzte Krieg hatte allzu deutlich gezeigt, dass
+die roemische Herrschaft ueber Mittelitalien nur gesichert war, wenn
+sie von Meer zu Meer reichte. Die Festsetzung der Roemer jenseits des
+Apennin beginnt mit der Anlegung der starken Festung Hatria (Atri) im
+Jahre 465 (289), an der noerdlichen Abdachung der Abruzzen gegen die
+picenische Ebene, nicht unmittelbar an der Kueste und daher latinischen
+Rechts, aber dem Meere nah und der Schlussstein des gewaltigen, Nord-
+und Sueditalien trennenden Keils. Aehnlicher Art und von noch groesserer
+Bedeutung war die Gruendung von Venusia (463 291), wohin die unerhoerte
+Zahl von 20000 Kolonisten gefuehrt ward; die Stadt, an der Markscheide
+von Samnium, Apulien und Lucanien, auf der grossen Strasse zwischen
+Tarent und Samnium in einer ungemein festen Stellung gegruendet, war
+bestimmt, die Zwingburg der umwohnenden Voelkerschaften zu sein und vor
+allen Dingen zwischen den beiden maechtigsten Feinden Roms im suedlichen
+Italien die Verbindung zu unterbrechen. Ohne Zweifel ward zu gleicher
+Zeit auch die Suedstrasse, die Appius Claudius bis nach Capua gefuehrt
+hatte, von dort weiter bis nach Venusia verlaengert. So erstreckte sich,
+als die Samnitischen Kriege zu Ende gingen, das geschlossene, das heisst
+fast ausschliesslich aus Gemeinden roemischen oder latinischen Rechts
+bestehende Gebiet Roms nordwaerts bis zum Ciminischen Walde, oestlich
+bis in die Abruzzen und an das Adriatische Meer, suedlich bis nach
+Capua, waehrend die beiden vorgeschobenen Posten Luceria und Venusia,
+gegen Osten und Sueden auf den Verbindungslinien der Gegner angelegt,
+dieselben nach allen Richtungen hin isolierten. Rom war nicht mehr bloss
+die erste, sondern bereits die herrschende Macht auf der Halbinsel, als
+gegen das Ende des fuenften Jahrhunderts der Stadt diejenigen Nationen,
+welche die Gunst der Goetter und die eigene Tuechtigkeit jede in ihrer
+Landschaft an die Spitze gerufen hatten, im Rat und auf dem Schlachtfeld
+sich einander zu naehern begannen und, wie in Olympia die vorlaeufigen
+Sieger zu dem zweiten und ernsteren Kampf, so auf der groesseren
+Voelkerringstatt jetzt Karthago, Makedonien und Rom sich anschickten zu
+dem letzten und entscheidenden Wettgang. 7. Kapitel Koenig Pyrrhos
+gegen Rom und die Einigung Italiens In der Zeit der unbestrittenen
+Weltherrschaft Roms pflegten die Griechen ihre roemischen Herren damit
+zu aergern, dass sie als die Ursache der roemischen Groesse das Fieber
+bezeichneten, an welchem Alexander von Makedonien den 11. Juni 431 (323)
+in Babylon verschied. Da es nicht allzu troestlich war, das Geschehene
+zu ueberdenken, verweilte man nicht ungern mit den Gedanken bei dem,
+was haette kommen moegen, wenn der grosse Koenig, wie es seine Absicht
+gewesen sein soll, als er starb, sich gegen Westen gewendet und mit
+seiner Flotte den Karthagern das Meer, mit seinen Phalangen den Roemern
+die Erde streitig gemacht haben wuerde. Unmoeglich ist es nicht, dass
+Alexander mit solchen Gedanken sich trug; und man braucht auch nicht,
+um sie zu erklaeren, bloss darauf hinzuweisen, dass ein Autokrat, der
+kriegslustig und mit Soldaten und Schiffen versehen ist, nur schwer
+die Grenze seiner Kriegfuehrung findet. Es war eines griechischen
+Grosskoenigs wuerdig, die Sikelioten gegen Karthago, die Tarentiner
+gegen Rom zu schuetzen und dem Piratenwesen auf beiden Meeren ein
+Ende zu machen; die italischen Gesandtschaften, die in Babylon neben
+zahllosen andern erschienen, der Brettier, Lucaner, Etrusker ^1, boeten
+Gelegenheit genug, die Verhaeltnisse der Halbinsel kennenzulernen
+und Beziehungen dort anzuknuepfen. Karthago mit seinen vielfachen
+Verbindungen im Orient musste den Blick des gewaltigen Mannes notwendig
+auf sich ziehen, und wahrscheinlich lag es in seinen Absichten, die
+nominelle Herrschaft des Perserkoenigs ueber die tyrische Kolonie in
+eine wirkliche umzuwandeln; nicht umsonst fand sich ein aus Karthago
+gesandter Spion in der unmittelbaren Umgebung Alexanders. Indes
+mochten dies Traeume oder Plaene sein, der Koenig starb, ohne mit
+den Angelegenheiten des Westens sich beschaeftigt zu haben, und jene
+Gedanken gingen mit ihm zu Grabe. Nur wenige kurze Jahre hatte ein
+griechischer Mann die ganze intellektuelle Kraft des Hellenentums, die
+ganze materielle Fuelle des Ostens vereinigt in seiner Hand gehalten;
+mit seinem Tode ging zwar das Werk seines Lebens, die Gruendung des
+Hellenismus im Orient, keineswegs zugrunde, wohl aber spaltete
+sich sofort das kaum geeinigte Reich und unter dem steten Hader der
+verschiedenen, aus diesen Truemmern sich bildenden Staaten ward ihrer
+aller weltgeschichtliche Bestimmung, die Propaganda der griechischen
+Kultur im Osten zwar nicht aufgegeben, aber abgeschwaecht und
+verkuemmert. Bei solchen Verhaeltnissen konnten weder die griechischen
+noch die asiatisch-aegyptischen Staaten daran denken, im Okzident festen
+Fuss zu fassen und gegen die Roemer oder die Karthager sich zu wenden.
+Das oestliche und das westliche Staatensystem bestanden nebeneinander,
+ohne zunaechst politisch ineinanderzugreifen; und namentlich Rom blieb
+den Verwicklungen der Diadochenperiode wesentlich fremd. Nur Beziehungen
+oekonomischer Art stellten sich fest; wie denn zum Beispiel der
+rhodische Freistaat, der vornehmste Vertreter einer neutralen
+Handelspolitik in Griechenland und daher der allgemeine Vermittler
+des Verkehrs in einer Zeit ewiger Kriege, um das Jahr 448 (306) einen
+Vertrag mit Rom abschloss, natuerlich einen Handelstraktat, wie
+er begreiflich ist zwischen einem Kaufmannsvolk und den Herren der
+caeritischen und kampanischen Kueste. Auch bei der Soeldnerlieferung,
+die von dem allgemeinen Werbeplatz der damaligen Zeit, von Hellas aus
+nach Italien und namentlich nach Tarent ging, wirkten die politischen
+Beziehungen, die zum Beispiel zwischen Tarent und dessen Mutterstadt
+Sparta bestanden, nur in sehr untergeordneter Weise mit; im ganzen waren
+die Werbungen nichts als kaufmaennische Geschaefte, und Sparta, obwohl
+es regelmaessig den Tarentinern zu den italischen Kriegen die Hauptleute
+lieferte, trat mit den Italikern darum so wenig in Fehde wie im
+nordamerikanischen Freiheitskrieg die deutschen Staaten mit der
+Union, deren Gegnern sie ihre Untertanen verkauften.
+--------------------------------------------------- ^1 Die Erzaehlung,
+dass auch die Roemer Gesandte an Alexander nach Babylon geschickt, geht
+auf das Zeugnis des Kleitarchos zurueck (Plin. nat. 3, 5, 57), aus dem
+die uebrigen, diese Tatsache meldenden Zeugen (Aristos und Asklepiades
+bei Arrian 7, 15, 5; Memnon c. 25) ohne Zweifel schoepften. Kleitarchos
+war allerdings Zeitgenosse dieser Ereignisse, aber sein Leben Alexanders
+nichtsdestoweniger entschieden mehr historischer Roman als Geschichte;
+und bei dem Schweigen der zuverlaessigen Biographen (Art. a. a. O.;
+Liv. 9, 18) und dem voellig romanhaften Detail des Berichts, wonach zum
+Beispiel die Roemer dem Alexander einen goldenen Kranz ueberreicht und
+dieser die zukuenftige Groesse Roms vorhergesagt haben soll, wird
+man nicht umhin koennen, diese Erzaehlung zu den vielen anderen durch
+Kleitarchos in die Geschichte eingefuehrten Ausschmueckungen zu stellen.
+--------------------------------------------------- Nichts anderes als
+ein abenteuernder Kriegshauptmann war auch Koenig Pyrrhos von Epeiros;
+er war darum nicht minder ein Gluecksritter, dass er seinen Stammbaum
+zurueckfuehrte auf Aeakos und Achilleus und dass er, waere er
+friedlicher gesinnt gewesen, als "Koenig" ueber ein kleines Bergvolk
+unter makedonischer Oberherrlichkeit oder auch allenfalls in isolierter
+Freiheit haette leben und sterben koennen. Man hat ihn wohl verglichen
+mit Alexander von Makedonien; und allerdings die Gruendung eines
+westhellenischen Reiches, dessen Kern Epeiros, Grossgriechenland,
+Sizilien gebildet haetten, das die beiden italischen Meere beherrscht
+und Rom wie Karthago in die Reihe der barbarischen Grenzvoelker des
+hellenistischen Staatensystems, der Kelten und Inder gedraengt haben
+wuerde - dieser Gedanke ist wohl gross und kuehn wie derjenige, der den
+makedonischen Koenig ueber den Hellespont fuehrte. Aber nicht bloss der
+verschiedene Ausgang unterscheidet den oestlichen und den westlichen
+Heerzug. Alexander konnte mit seiner makedonischen Armee, in der
+namentlich der Stab vorzueglich war, dem Grosskoenig vollkommen die
+Spitze bieten; aber der Koenig von Epeiros, das neben Makedonien stand
+etwa wie Hessen neben Preussen, erhielt eine nennenswerte Armee nur
+durch Soeldner und durch Buendnisse, die auf zufaelligen politischen
+Kombinationen beruhten. Alexander trat im Perserreich auf als Eroberer,
+Pyrrhos in Italien als Feldherr einer Koalition von Sekundaerstaaten;
+Alexander hinterliess sein Erbland vollkommen gesichert durch die
+unbedingte Untertaenigkeit Griechenlands und das starke, unter Antipater
+zurueckbleibende Heer, Pyrrhos buergte fuer die Integritaet seines
+eigenen Gebietes nichts als das Wort eines zweifelhaften Nachbarn. Fuer
+beide Eroberer hoerte, wenn ihre Plaene gelangen, die Heimat notwendig
+auf, der Schwerpunkt des neuen Reiches zu sein; allein eher noch war es
+ausfuehrbar, den Sitz der makedonischen Militaermonarchie nach Babylon
+zu verlegen als in Tarent oder Syrakus eine Soldatendynastie zu
+gruenden. Die Demokratie der griechischen Republiken, so sehr sie eine
+ewige Agonie war, liess sich in die straffen Formen des Militaerstaats
+nun einmal nicht zurueckzwingen; Philipp wusste wohl, warum er die
+griechischen Republiken seinem Reich nicht einverleibte. Im Orient war
+ein nationaler Widerstand nicht zu erwarten; herrschende und dienende
+Staemme lebten dort seit langem nebeneinander und der Wechsel des
+Despoten war der Masse der Bevoelkerung gleichgueltig oder gar
+erwuenscht. Im Okzident konnten die Roemer, die Samniten, die Karthager
+auch ueberwunden werden; aber kein Eroberer haette es vermocht, die
+Italiker in aegyptische Fellahs zu verwandeln oder aus den roemischen
+Bauern Zinspflichtige hellenischer Barone zu machen. Was man auch ins
+Auge fasst, die eigene Macht, die Bundesgenossen, die Kraefte der Gegner
+- ueberall erscheint der Plan des Makedoniers als eine ausfuehrbare,
+der des Epeiroten als eine unmoegliche Unternehmung; jener als die
+Vollziehung einer grossen geschichtlichen Aufgabe, dieser als ein
+merkwuerdiger Fehlgriff; jener als die Grundlegung zu einem neuen
+Staatensystem und einer neuen Phase der Zivilisation, dieser als eine
+geschichtliche Episode. Alexanders Werk ueberlebte ihn, obwohl der
+Schoepfer zur Unzeit starb; Pyrrhos sah mit eigenen Augen das Scheitern
+aller seiner Plaene, ehe der Tod ihn abrief. Sie beide waren kuehne und
+grosse Naturen, aber Pyrrhos nur der erste Feldherr, Alexander vor allem
+der genialste Staatsmann seiner Zeit; und wenn es die Einsicht in das
+Moegliche und Unmoegliche ist, die den Helden vom Abenteurer scheidet,
+so muss Pyrrhos diesen zugezaehlt und darf seinem groesseren Verwandten
+sowenig zur Seite gestellt werden wie etwa der Connetable von Bourbon
+Ludwig dem Elften. Und dennoch knuepft sich ein wunderbarer Zauber an
+den Namen des Epiroten, eine eigene Teilnahme, die allerdings zum Teil
+der ritterlichen und liebenswuerdigen Persoenlichkeit desselben, aber
+mehr doch noch dem Umstande gilt, dass er der erste Grieche ist, der den
+Roemern im Kampfe gegenuebertritt. Mit ihm beginnen jene unmittelbaren
+Beziehungen zwischen Rom und Hellas, auf denen die ganze spaetere
+Entfaltung der antiken Zivilisation und ein wesentlicher Teil der
+modernen beruht. Der Kampf zwischen Phalangen und Kohorten, zwischen
+der Soeldnerarmee und der Landwehr, zwischen dem Heerkoenigtum und dem
+Senatorenregiment, zwischen dem individuellen Talent und der nationalen
+Kraft - dieser Kampf zwischen Rom und dem Hellenismus ward zuerst
+durchgefochten in den Schlachten zwischen Pyrrhos und den roemischen
+Feldherren; und wenn auch die unterliegende Partei noch oft nachher
+appelliert hat an neue Entscheidung der Waffen, so hat doch jeder
+spaetere Schlachttag das Urteil lediglich bestaetigt. Wenn aber auf
+der Walstatt wie in der Kurie die Griechen unterliegen, so ist
+ihr Uebergewicht nicht minder entschieden in jedem anderen, nicht
+politischen Wettkampf, und eben schon diese Kaempfe lassen es ahnen,
+dass der Sieg Roms ueber die Hellenen ein anderer sein wird als der
+ueber Gallier und Phoeniker, und dass Aphroditens Zauber erst zu wirken
+beginnt, wenn die Lanze zersplittert und Helm und Schild beiseite gelegt
+ist. Koenig Pyrrhos war der Sohn des Aeakides, des Herrn der Molosser
+(um Janina), welcher, von Alexander geschont als Verwandter und
+getreuer Lehnsmann, nach dessen Tode in den Strudel der makedonischen
+Familienpolitik hineingerissen ward und darin zuerst sein Reich und dann
+das Leben verlor (441 313). Sein damals sechsjaehriger Sohn ward von dem
+Herrn der illyrischen Taulantier, Glaukias, gerettet und im Laufe
+der Kaempfe um Makedoniens Besitz, noch ein Knabe, von Demetrios dem
+Belagerer wieder zurueckgefuehrt in sein angestammtes Fuerstentum (447
+307), um es nach wenigen Jahren durch den Einfluss der Gegenpartei
+wieder einzubuessen (um 452 302) und als landfluechtiger Fuerstensohn
+im Gefolge der makedonischen Generale seine militaerische Laufbahn
+zu beginnen. Bald machte seine Persoenlichkeit sich geltend. Unter
+Antigonos machte er dessen letzte Feldzuege mit; der alte Marschall
+Alexanders hatte seine Freude an dem geborenen Soldaten, dem nach dem
+Urteile des ergrauten Feldherrn nur die Jahre fehlten um schon jetzt der
+erste Kriegsmann der Zeit zu sein. Die unglueckliche Schlacht bei Ipsos
+brachte ihn als Geisel nach Alexandreia an den Hof des Gruenders der
+Lagidendynastie, wo er durch sein kuehnes und derbes Wesen, seinen alles
+nicht Militaerische gruendlich verachtenden Soldatensinn nicht minder
+des staatsklugen Koenigs Ptolemaeos Aufmerksamkeit auf sich zog als
+durch seine maennliche Schoenheit, der das wilde Antlitz, der gewaltige
+Tritt keinen Eintrag tat, die der koeniglichen Damen. Eben damals
+gruendete der kuehne Demetrios sich wieder einmal, diesmal in
+Makedonien, ein neues Reich; natuerlich in der Absicht, von dort aus die
+Alexandermonarchie zu erneuern. Es galt, ihn niederzuhalten, ihm daheim
+zu schaffen zu machen; und der Lagide, der solche Feuerseelen, wie der
+epeirotische Juengling eine war, vortrefflich fuer seine feine Politik
+zu nutzen verstand, tat nicht bloss seiner Gemahlin, der Koenigin
+Berenike einen Gefallen, sondern foerderte auch seine eigenen Zwecke,
+indem er dem jungen Fuersten seine Stieftochter, die Prinzessin Antigone
+zur Gemahlin gab und dem geliebten "Sohn" zur Rueckkehr in die
+Heimat seinen Beistand und seinen maechtigen Einfluss lieh (458 296).
+Zurueckgekehrt in sein vaeterliches Reich fiel ihm bald alles zu; die
+tapferen Epeiroten, die Albanesen des Altertums, hingen mit angestammter
+Treue und frischer Begeisterung an dem mutigen Juengling, dem "Adler",
+wie sie ihn hiessen. In den um die makedonische Thronfolge nach
+Kassanders Tod (457 297) entstandenen Wirren erweiterte der Epeirote
+sein Reich; nach und nach gewann er die Landschaften an dem ambrakischen
+Busen mit der wichtigen Stadt Ambrakia, die Insel Kerkyra, ja selbst
+einen Teil des makedonischen Gebiets, und widerstand mit weit geringeren
+Streitkraeften dem Koenig Demetrios zur Bewunderung der Makedonier
+selbst. Ja, als Demetrios durch seine eigene Torheit in Makedonien
+vom Thron gestuerzt war, trug man dort dem ritterlichen Gegner, dem
+Verwandten der Alexandriden, denselben freiwillig an (467 287). In der
+Tat, keiner war wuerdiger als Pyrrhos, das koenigliche Diadem Philipps
+und Alexanders zu tragen. In einer tief versunkenen Zeit, in der
+Fuerstlichkeit und Niedertraechtigkeit gleichbedeutend zu werden
+begannen, leuchtete hell Pyrrhos' persoenlich unbefleckter und
+sittenreiner Charakter. Fuer die freien Bauern des makedonischen
+Stammlandes, die, obwohl gemindert und verarmt, sich doch fernhielten
+von dem Verfall der Sitten und der Tapferkeit, den das Diadochenregiment
+in Griechenland und Asien herbeifuehrte, schien eben Pyrrhos recht
+eigentlich zum Koenig geschaffen; er, der gleich Alexander in seinem
+Haus, im Freundeskreise allen menschlichen Beziehungen sein Herz offen
+erhielt und das in Makedonien so verhasste orientalische Sultanwesen
+stets von sich abgewehrt hatte; er, der gleich Alexander anerkannt
+der erste Taktiker seiner Zeit war. Aber das seltsam ueberspannte
+makedonische Nationalgefuehl, das den elendesten makedonischen Herrn dem
+tuechtigsten Fremden vorzog, die unvernuenftige Widerspenstigkeit der
+makedonischen Truppen gegen jeden nicht makedonischen Fuehrer, welcher
+der groesste Feldherr aus Alexanders Schule, der Kardianer Eumenes
+erlegen war, bereitete auch der Herrschaft des epeirotischen Fuersten
+ein schnelles Ende. Pyrrhos, der die Herrschaft ueber Makedonien mit dem
+Willen der Makedonier nicht fuehren konnte, und zu machtlos, vielleicht
+auch zu hochherzig war, um sich dem Volke gegen dessen Willen
+aufzudraengen, ueberliess schon nach siebenmonatlicher Herrschaft das
+Land seiner einheimischen Missregierung und ging heim zu seinen treuen
+Epeiroten (467 287). Aber der Mann, der Alexanders Krone getragen
+hatte, der Schwager des Demetrios, der Schwiegersohn des Lagiden und des
+Agathokles von Syrakus, der hochgebildete Strategiker, der Memoiren und
+wissenschaftliche Abhandlungen ueber die Kriegskunst schrieb, konnte
+unmoeglich sein Leben darueber beschliessen, dass er zu gesetzter Zeit
+im Jahre die Rechnungen des koeniglichen Viehverwalters durchsah und
+von seinen braven Epeiroten die landueblichen Geschenke an Rindern und
+Schafen entgegennahm, um sich alsdann am Altar des Zeus von ihnen den
+Eid der Treue erneuern zu lassen und selbst den Eid auf die Gesetze zu
+wiederholen und, diesem allen zu mehrerer Bekraeftigung, mit ihnen die
+Nacht hindurch zu zechen. War kein Platz fuer ihn auf dem makedonischen
+Thron, so war ueberhaupt in der Heimat seines Bleibens nicht; er konnte
+der Erste sein und also nicht der Zweite. So wandten sich seine Blicke
+in die Weite. Die Koenige, die um Makedoniens Besitz haderten, obwohl
+sonst in nichts einig, waren gern bereit, gemeinschaftlich zu helfen,
+dass der gefaehrliche Nebenbuhler freiwillig ausscheide; und dass die
+treuen Kriegsgenossen ihm folgen wuerden, wohin er sie fuehrte, dessen
+war er gewiss. Eben damals stellten die italischen Verhaeltnisse sich
+so, dass jetzt wiederum als ausfuehrbar erscheinen konnte, was vierzig
+Jahre frueher Pyrrhos' Verwandter, seines Vaters Vetter Alexander von
+Epeiros, und eben erst sein Schwiegervater Agathokles beabsichtigt
+hatten; und so entschloss sich Pyrrhos, auf seine makedonischen Plaene
+zu verzichten und im Westen eine neue Herrschaft fuer sich und fuer
+die hellenische Nation zu gruenden. Die Waffenruhe, die der Friede mit
+Samnium 464 (290) fuer Italien herbeigefuehrt hatte, war von kurzer
+Dauer; der Anstoss zur Bildung einer neuen Ligue gegen die roemische
+Uebermacht kam diesmal von den Lucanern. Dieser Voelkerschaft, die
+durch ihre Parteinahme fuer Rom die Tarentiner waehrend der Samnitischen
+Kriege gelaehmt und zu deren Entscheidung wesentlich beigetragen
+hatte, waren dafuer von den Roemern die Griechenstaedte in ihrem Gebiet
+preisgegeben worden; und demgemaess hatten sie nach abgeschlossenem
+Frieden in Gemeinschaft mit den Brettiern sich daran gemacht, eine nach
+der anderen zu bezwingen. Die Thuriner, wiederholt angegriffen von dem
+Feldherrn der Lucaner, Stenius Statilius, und aufs aeusserste bedraengt,
+wandten sich, ganz wie einst die Kampaner die Hilfe Roms gegen die
+Samniten in Anspruch genommen hatten und ohne Zweifel um den gleichen
+Preis ihrer Freiheit und Selbstaendigkeit, mit der Bitte um Beistand
+gegen die Lucaner an den roemischen Senat. Da das Buendnis mit diesen
+durch die Anlage der Festung Venusia fuer Rom entbehrlich geworden
+war, gewaehrten die Roemer das Begehren der Thuriner und geboten
+ihren Bundesfreunden von der Stadt, die sich den Roemern ergeben
+habe, abzulassen. Die Lucaner und Brettier, also von den maechtigeren
+Verbuendeten betrogen um den Anteil an der gemeinschaftlichen
+Beute, knuepften Verhandlungen an mit der samnitisch- tarentinischen
+Oppositionspartei, um eine neue Koalition der Italiker zustande zu
+bringen; und als die Roemer sie durch eine Gesandtschaft warnen liessen,
+setzten sie den Gesandten gefangen und begannen den Krieg gegen Rom mit
+einem neuen Angriff auf Thurii (um 469 285), indem sie zugleich nicht
+bloss die Samniten und die Tarentiner, sondern auch die Norditaliker,
+die Etrusker, Umbrer, Gallier aufriefen, mit ihnen zum Freiheitskampf
+sich zu vereinigen. In der Tat erhob sich der etruskische Bund und dang
+zahlreiche gallische Haufen; das roemische Heer, das der Praetor Lucius
+Caecilius den treu gebliebenen Arretinern zu Hilfe fuehrte, ward unter
+den Mauern dieser Stadt von den senonischen Soeldnern der Etrusker
+vernichtet, der Feldherr selbst fiel mit 13000 seiner Leute (470 284).
+Die Senonen zaehlten zu Roms Bundesgenossen: die Roemer schickten
+demnach Gesandte an sie, um ueber die Stellung von Reislaeufern gegen
+Rom Klage zu fuehren und die unentgeltliche Rueckgabe der Gefangenen zu
+begehren. Aber auf Befehl des Senonenhaeuptlings Britomaris, der den Tod
+seines Vaters an den Roemern zu raechen hatte, erschlugen die Senonen
+die roemischen Boten und ergriffen offen die Partei der Etrusker. Ganz
+Norditalien, Etrusker, Umbrer, Gallier, stand somit gegen Rom in
+Waffen; es konnten grosse Erfolge gewonnen werden, wenn die suedlichen
+Landschaften diesen Augenblick ergriffen und auch diejenigen, die es
+nicht bereits getan, sich gegen Rom erklaerten. In der Tat scheinen die
+Samniten, immer fuer die Freiheit einzustehen willig, den Roemern
+den Krieg erklaert zu haben; aber geschwaecht und von allen Seiten
+eingeschlossen, wie sie waren, konnten sie dem Bunde wenig nuetzen,
+und Tarent zauderte nach seiner Gewohnheit. Waehrend unter den
+Gegnern Buendnisse verhandelt, Subsidientraktate festgesetzt, Soeldner
+zusammengebracht wurden, handelten die Roemer. Zunaechst hatten es die
+Senonen zu empfinden, wie gefaehrlich es sei, die Roemer zu besiegen.
+Der Konsul Publius Cornelius Dolabella rueckte mit einem starken Heer
+in ihr Gebiet; was nicht ueber die Klinge sprang, ward aus dem Lande
+ausgetrieben und dieser Stamm ausgestrichen aus der Reihe der italischen
+Nationen (471 283). Bei einem vorzugsweise von seinen Herden lebenden
+Volke war eine derartige massenhafte Austreibung wohl ausfuehrbar;
+wahrscheinlich halfen diese aus Italien vertriebenen Senonen die
+gallischen Schwaerme bilden, die bald nachher das Donaugebiet,
+Makedonien, Griechenland, Kleinasien ueberschwemmten. Die naechsten
+Nachbarn und Stammgenossen der Senonen, die Boier, erschreckt und
+erbittert durch die furchtbar schnell sich vollendende Katastrophe,
+vereinigten sich augenblicklich mit den Etruskern, die noch den Krieg
+fortfuehrten und deren senonische Soeldner jetzt gegen die Roemer nicht
+mehr als Mietlinge fochten, sondern als verzweifelte Raecher der Heimat;
+ein gewaltiges etruskisch-gallisches Heer zog gegen Rom, um fuer die
+Vernichtung des Senonenstammes an der Hauptstadt der Feinde Rache zu
+nehmen und vollstaendiger, als einst der Heerkoenig derselben Senonen
+es getan, Rom von der Erde zu vertilgen. Allein beim Uebergang ueber den
+Tiber in der Naehe des Vadimonischen Sees wurde das vereinigte Heer von
+den Roemern nachdruecklich geschlagen (471 283). Nachdem sie das
+Jahr darauf noch einmal bei Populonia mit nicht besserem Erfolg eine
+Feldschlacht gewagt hatten, liessen die Boier ihre Bundesgenossen im
+Stich und schlossen fuer sich mit den Roemern Frieden (472 282). So
+war das gefaehrlichste Glied der Ligue, das Galliervolk, einzeln
+ueberwunden, ehe noch der Bund sich vollstaendig zusammenfand, und
+dadurch Rom freie Hand gegen Unteritalien gegeben, wo in den Jahren
+469-471 (285-283) der Kampf nicht ernstlich gefuehrt worden war. Hatte
+bis dahin die schwache roemische Armee Muehe gehabt, sich in Thurii
+gegen die Lucaner und Brettier zu behaupten, so erschien jetzt (472
+282) der Konsul Gaius Fabricius Luscinus mit einem starken Heer vor der
+Stadt, befreite dieselbe, schlug die Lucaner in einem grossen
+Treffen und nahm ihren Feldherrn Statilius gefangen. Die kleineren
+nichtdorischen Griechenstaedte, die in den Roemern ihre Retter
+erkannten, fielen ihnen ueberall freiwillig zu; roemische Besatzungen
+blieben zurueck in den wichtigsten Plaetzen, in Lokri, Kroton, Thurii
+und namentlich in Rhegion, auf welche letztere Stadt auch die Karthager
+Absichten zu haben schienen. Ueberall war Rom im entschiedensten
+Vorteil. Die Vernichtung der Senonen hatte den Roemern eine bedeutende
+Strecke des adriatischen Litorals in die Haende gegeben; ohne Zweifel
+im Hinblick auf die unter der Asche glimmende Fehde mit Tarent und die
+schon drohende Invasion der Epeiroten eilte man, sich dieser Kueste
+sowie der Adriatischen See zu versichern. Es ward (um 471 283) eine
+Buergerkolonie gefuehrt nach dem Hafenplatz Sena (Sinigaglia), der
+ehemaligen Hauptstadt des senonischen Bezirks und gleichzeitig segelte
+eine roemische Flotte aus dem Tyrrhenischen Meer in die oestlichen
+Gewaesser, offenbar, um im Adriatischen Meer zu stationieren und dort
+die roemischen Besitzungen zu decken. Die Tarentiner hatten seit dem
+Vertrag von 450 (304) mit Rom in Frieden gelebt. Sie hatten der langen
+Agonie der Samniten, der raschen Vernichtung der Senonen zugesehen, sich
+die Gruendung von Venusia, Hatria, Sena, die Besetzung von Thurii und
+Rhegion gefallen lassen, ohne Einspruch zu tun. Aber als jetzt die
+roemische Flotte auf ihrer Fahrt vom Tyrrhenischen ins Adriatische Meer
+in die tarentinischen Gewaesser gelangte und im Hafen der befreundeten
+Stadt vor Anker ging, schwoll die langgehegte Erbitterung endlich ueber;
+die alten Vertraege, die den roemischen Kriegsschiffen untersagten,
+oestlich vom Lakinischen Vorgebirg zu fahren, wurden in der
+Buergerversammlung von den Volksmaennern zur Sprache gebracht; wuetend
+stuerzte der Haufen ueber die roemischen Kriegsschiffe her, die,
+unversehens nach Piratenart ueberfallen, nach heftigem Kampfe
+unterlagen; fuenf Schiffe wurden genommen und deren Mannschaft
+hingerichtet oder in die Knechtschaft verkauft, der roemische Admiral
+selbst war in dem Kampf gefallen. Nur der souveraene Unverstand und
+die souveraene Gewissenlosigkeit der Poebelherrschaft erklaert diese
+schmachvollen Vorgaenge. Jene Vertraege gehoerten einer Zeit an, die
+laengst ueberschritten und verschollen war; es ist einleuchtend, dass
+sie wenigstens seit der Gruendung von Hatria und Sena schlechterdings
+keinen Sinn mehr hatten und dass die Roemer im guten Glauben an das
+bestehende Buendnis in den Golf einfuhren - lag es doch gar sehr
+in ihrem Interesse, wie der weitere Verlauf der Dinge zeigt, den
+Tarentinern durchaus keinen Anlass zur Kriegserklaerung darzubieten.
+Wenn die Staatsmaenner Tarents den Krieg an Rom erklaeren wollten, so
+taten sie bloss, was laengst haette geschehen sollen; und wenn sie es
+vorzogen, die Kriegserklaerung statt auf den wirklichen Grund vielmehr
+auf formalen Vertragsbruch zu stuetzen, so liess sich dagegen weiter
+nichts erinnern, da ja die Diplomatie zu allen Zeiten es unter ihrer
+Wuerde erachtet hat, das Einfache einfach zu sagen. Allein dass man,
+statt den Admiral zur Umkehr aufzufordern, die Flotte mit gewaffneter
+Hand ungewarnt ueberfiel, war eine Torheit nicht minder als eine
+Barbarei, eine jener entsetzlichen Barbareien der Zivilisation, wo die
+Gesittung ploetzlich das Steuerruder verliert und die nackte Gemeinheit
+vor uns hintritt, gleichsam um zu warnen vor dem kindischen Glauben,
+als vermoege die Zivilisation aus der Menschennatur die Bestialitaet
+auszuwurzeln. Und als waere damit noch nicht genug getan, ueberfielen
+nach dieser Heldentat die Tarentiner Thurii, dessen roemische Besatzung
+infolge der Ueberrumpelung kapitulierte (im Winter 472/73 282/81), und
+bestraften die Thuriner, dieselben, die die tarentinische Politik
+den Lucanern preisgegeben und dadurch gewaltsam zur Ergebung an Rom
+gedraengt hatte, schwer fuer ihren Abfall von der hellenischen Partei zu
+den Barbaren. Die Barbaren verfuhren indes mit einer Maessigung, die bei
+solcher Macht und nach solchen Kraenkungen Bewunderung erregt. Es lag
+im Interesse Roms, die tarentinische Neutralitaet so lange wie moeglich
+gelten zu lassen, und die leitenden Maenner im Senat verwarfen deshalb
+den Antrag, den eine Minoritaet in begreiflicher Erbitterung stellte,
+den Tarentinern sofort den Krieg zu erklaeren. Vielmehr wurde die
+Fortdauer des Friedens roemischerseits an die maessigsten Bedingungen
+geknuepft, die sich mit Roms Ehre vertrugen: Entlassung der Gefangenen,
+Rueckgabe von Thurii, Auslieferung der Urheber des Ueberfalls der
+Flotte. Mit diesen Vorschlaegen ging eine roemische Gesandtschaft nach
+Tarent (473 281), waehrend gleichzeitig, ihren Worten Nachdruck zu
+geben, ein roemisches Heer unter dem Konsul Lucius Aemilius in Samnium
+einrueckte. Die Tarentiner konnten, ohne ihrer Unabhaengigkeit etwas zu
+vergeben, diese Bedingungen eingehen, und bei der geringen Kriegslust
+der reichen Kaufstadt durfte man in Rom mit Recht annehmen, dass ein
+Abkommen noch moeglich sei. Allein der Versuch, den Frieden zu erhalten,
+scheiterte - sei es an dem Widerspruch derjenigen Tarentiner, die die
+Notwendigkeit erkannten, den Uebergriffen Roms je eher desto lieber mit
+den Waffen entgegenzutreten, sei es bloss an der Unbotmaessigkeit des
+staedtischen Poebels, der sich mit beliebter griechischer Ungezogenheit
+sogar an der Person des Gesandten in unwuerdiger Weise vergriff. Nun
+rueckte der Konsul in das tarentinische Gebiet ein; aber statt sofort
+die Feindseligkeiten zu eroeffnen, bot er noch einmal auf dieselben
+Bedingungen den Frieden; und da auch dies vergeblich war, begann er zwar
+die Aecker und Landhaeuser zu verwuesten und schlug die staedtischen
+Milizen, aber die vornehmeren Gefangenen wurden ohne Loesegeld
+entlassen und man gab die Hoffnung nicht auf, dass der Kriegsdruck der
+aristokratischen Partei in der Stadt das Uebergewicht geben und damit
+den Frieden herbeifuehren werde. Die Ursache dieser Zurueckhaltung war,
+dass die Roemer die Stadt nicht dem Epeirotenkoenig in die Arme treiben
+wollten. Die Absichten desselben auf Italien waren kein Geheimnis mehr.
+Schon war eine tarentinische Gesandtschaft zu Pyrrhos gegangen und
+unverrichteter Sache zurueckgekehrt; der Koenig hatte mehr begehrt, als
+sie zu bewilligen Vollmacht hatte. Man musste sich entscheiden. Dass die
+Buergerwehr vor den Roemern nur wegzulaufen verstand, davon hatte man
+sich sattsam ueberzeugt; es blieb nur die Wahl zwischen Frieden mit Rom,
+den die Roemer unter billigen Bedingungen zu bewilligen fortwaehrend
+bereit waren, und Vertrag mit Pyrrhos auf jede dem Koenig gutduenkende
+Bedingung, das heisst die Wahl zwischen Unterwerfung unter die roemische
+Obermacht oder unter die Tyrannis eines griechischen Soldaten. Die
+Parteien hielten in der Stadt sich fast die Waage; endlich blieb die
+Oberhand der Nationalpartei, wobei ausser dem wohl gerechtfertigten
+Motiv, sich, wenn einmal ueberhaupt einem Herrn, lieber einem Griechen
+als Barbaren zu eigen zu geben, auch noch die Furcht der Demagogen
+mitwirkte, dass Rom trotz seiner jetzigen, durch die Umstaende
+erzwungenen Maessigung bei geeigneter Gelegenheit nicht saeumen werde,
+Rache fuer die von dem Tarentiner Poebel veruebten Schaendlichkeiten zu
+nehmen. Die Stadt schloss also mit Pyrrhos ab. Er erhielt den Oberbefehl
+ueber die Truppen der Tarentiner und der uebrigen gegen Rom unter Waffen
+stehenden Italioten; ferner das Recht, in Tarent Besatzung zu halten.
+Dass die Stadt die Kriegskosten trug, versteht sich von selbst. Pyrrhos
+versprach dagegen, in Italien nicht laenger als noetig zu bleiben,
+vermutlich unter dem stillschweigenden Vorbehalt, die Zeit, waehrend
+welcher er dort noetig sein werde, nach eigenem Ermessen festzustellen.
+Dennoch waere ihm die Beute fast unter den Haenden entschluepft.
+Waehrend die tarentinischen Gesandten - ohne Zweifel die Haeupter der
+Kriegspartei - in Epeiros abwesend waren, schlug in der von den Roemern
+jetzt hart gedraengten Stadt die Stimmung um; schon war der Oberbefehl
+dem Agis, einem roemisch Gesinnten uebertragen, als die Rueckkehr der
+Gesandten mit dem abgeschlossenen Traktat in Begleitung von Pyrrhos'
+vertrautem Minister Kineas die Kriegspartei wieder ans Ruder brachte.
+Bald fasste eine festere Hand die Zuegel und machte dem klaeglichen
+Schwanken ein Ende. Noch im Herbst 473 (281) landete Pyrrhos' General
+Milon mit 3000 Epeiroten und besetzte die Zitadelle der Stadt;
+ihm folgte zu Anfang des Jahres 474 (280) nach einer stuermischen,
+zahlreiche Opfer fordernden Ueberfahrt der Koenig selbst. Er fuehrte
+nach Tarent ein ansehnliches, aber buntgemischtes Heer, teils bestehend
+aus den Haustruppen, den Molossern, Thesprotiern, Chaonern, Ambrakioten,
+teils aus dem makedonischen Fussvolk und der thessalischen Reiterei, die
+Koenig Ptolemaeos von Makedonien vertragsmaessig ihm ueberlassen, teils
+aus aetolischen, akarnanischen, athamanischen Soeldnern; im ganzen
+zaehlte man 20000 Phalangiten, 2000 Bogenschuetzen, 500 Schleuderer,
+3000 Reiter und 20 Elefanten, also nicht viel weniger, als dasjenige
+Heer betragen hatte, mit dem Alexander fuenfzig Jahre zuvor den
+Hellespont ueberschritt. Die Angelegenheiten der Koalition standen nicht
+zum besten, als der Koenig kam. Zwar hatte der roemische Konsul, sowie
+er die Soldaten Milons anstatt der tarentinischen Miliz sich gegenueber
+aufziehen sah, den Angriff auf Tarent aufgegeben und sich nach Apulien
+zurueckgezogen; aber mit Ausnahme des Gebietes von Tarent beherrschten
+die Roemer so gut wie ganz Italien. Nirgends in Unteritalien hatte
+die Koalition eine Armee im Felde, und auch in Oberitalien hatten die
+Etrusker, die allein noch in Waffen standen, in dem letzten Feldzuge
+(473 281) nichts als Niederlagen erlitten. Die Verbuendeten hatten, ehe
+der Koenig zu Schiff ging, ihm den Oberbefehl ueber ihre saemtlichen
+Truppen uebertragen und ein Heer von 350000 Mann zu Fuss und 20000
+Reiter ins Feld stellen zu koennen erklaert; zu diesen grossen Worten
+bildete die Wirklichkeit einen unerfreulichen Kontrast. Das Heer, dessen
+Oberbefehl man Pyrrhos uebertragen, war noch erst zu schaffen, und
+vorlaeufig standen dazu hauptsaechlich nur Tarents eigene Hilfsquellen
+zu Gebot. Der Koenig befahl die Anwerbung eines italischen
+Soeldnerheeres mit tarentinischem Gelde und hob die dienstfaehigen
+Leute aus der Buergerschaft zum Kriegsdienst aus. So aber hatten die
+Tarentiner den Vertrag nicht verstanden. Sie hatten gemeint, den Sieg
+wie eine andere Ware fuer ihr Geld sich gekauft zu haben; es war eine
+Art Kontraktbruch, dass der Koenig sie zwingen wollte, sich ihn selber
+zu erfechten. Je mehr die Buergerschaft anfangs nach Milons Eintreffen
+sich gefreut hatte, des laestigen Postendienstes los zu sein, desto
+unwilliger stellte man jetzt sich unter die Fahnen des Koenigs; den
+Saeumigen musste mit Todesstrafe gedroht werden. Jetzt gab der Ausgang
+bei allen der Friedenspartei Recht, und es wurden sogar mit Rom
+Verbindungen angeknuepft oder schienen doch angeknuepft zu werden.
+Pyrrhos, auf solchen Widerstand vorbereitet, behandelte die Stadt fortan
+wie eine eroberte: die Soldaten wurden in die Haeuser einquartiert,
+die Volksversammlungen und die zahlreichen Kraenzchen (syssitia)
+suspendiert, das Theater geschlossen, die Promenaden gesperrt, die Tore
+mit epeirotischen Wachen besetzt. Eine Anzahl der fuehrenden Maenner
+wurden als Geiseln ueber das Meer gesandt; andere entzogen sich dem
+gleichen Schicksal durch die Flucht nach Rom. Diese strengen Massregeln
+waren notwendig, da es schlechterdings unmoeglich war, sich in
+irgendeinem Sinn auf die Tarentiner zu verlassen; erst jetzt konnte der
+Koenig, gestuetzt auf den Besitz der wichtigen Stadt, die Operationen
+im Felde beginnen. Auch in Rom wusste man sehr wohl, welchem Kampf man
+entgegenging. Um vor allem die Treue der Bundesgenossen, das heisst der
+Untertanen zu sichern, erhielten die unzuverlaessigen Staedte Besatzung
+und wurden die Fuehrer der Partei der Unabhaengigkeit, wo es notwendig
+schien, festgesetzt oder hingerichtet, so zum Beispiel eine Anzahl
+Mitglieder des praenestinischen Senats. Fuer den Krieg selbst wurden
+grosse Anstrengungen gemacht; es ward eine Kriegssteuer ausgeschrieben,
+von allen Untertanen und Bundesgenossen das volle Kontingent eingemahnt,
+ja die eigentlich von der Dienstpflicht befreiten Proletarier unter die
+Waffen gerufen. Ein roemisches Heer blieb als Reserve in der Hauptstadt.
+Ein zweites rueckte unter dem Konsul Tiberius Coruncanius in Etrurien
+ein und trieb Volci und Volsinii zu Paaren. Die Hauptmacht war
+natuerlich nach Unteritalien bestimmt; man beschleunigte so viel als
+moeglich ihren Abmarsch, um Pyrrhos noch in der Gegend von Tarent zu
+erreichen und ihn zu hindern, die Samniten und die uebrigen gegen Rom
+in Waffen stehenden sueditalischen Aufgebote mit seinen Truppen zu
+vereinigen. Einen vorlaeufigen Damm gegen das Umsichgreifen des
+Koenigs sollten die roemischen Besatzungen gewaehren, die in den
+Griechenstaedten Unteritaliens lagen. Indes die Meuterei der in Rhegion
+liegenden Truppe - es war eine der aus den kampanischen Untertanen
+Roms ausgehobenen Legionen unter einem kampanischen Hauptmann Decius -
+entriss den Roemern diese wichtige Stadt, ohne sie doch Pyrrhos in
+die Haende zu geben. Wenn einerseits bei diesem Militaeraufstand der
+Nationalhass der Kampaner gegen die Roemer unzweifelhaft mitwirkte, so
+konnte anderseits Pyrrhos, der zu Schirm und Schutz der Hellenen ueber
+das Meer gekommen war, unmoeglich die Truppe in den Bund aufnehmen,
+welche ihre rheginischen Wirte in den Haeusern niedergemacht hatte;
+und so blieb sie fuer sich, im engen Bunde mit ihren Stamm- und
+Frevelgenossen, den Mamertinern, das heisst den kampanischen Soeldnern
+des Agathokles, die das gegenueberliegende Messana in aehnlicher Weise
+gewonnen hatten, und brandschatzte und verheerte auf eigene Rechnung die
+umliegenden Griechenstaedte, so Kroton, wo sie die roemische Besatzung
+niedermachte, und Kaulonia, das sie zerstoerte. Dagegen gelang es
+den Roemern, durch ein schwaches Korps, das an die lucanische Grenze
+rueckte, und durch die Besatzung von Venusia die Lucaner und Samniten an
+der Vereinigung mit Pyrrhos zu hindern, waehrend die Hauptmacht, wie
+es scheint vier Legionen, also mit der entsprechenden Zahl von
+Bundestruppen mindestens 50000 Mann stark, unter dem Konsul Publius
+Laevinus gegen Pyrrhos marschierte. Dieser hatte sich zur Deckung der
+tarentinischen Kolonie Herakleia zwischen dieser Stadt und Pandosia ^2
+mit seinen eigenen und den tarentinischen Truppen aufgestellt (474 280).
+Die Roemer erzwangen unter Deckung ihrer Reiterei den Uebergang
+ueber den Siris und eroeffneten die Schlacht mit einem hitzigen und
+gluecklichen Reiterangriff; der Koenig, der seine Reiter selber fuehrte,
+stuerzte und die griechischen Reiter, durch das Verschwinden des
+Fuehrers in Verwirrung gebracht, raeumten den feindlichen Schwadronen
+das Feld. Indes Pyrrhos stellte sich an die Spitze seines Fussvolks,
+und von neuem begann ein entscheidenderes Treffen. Siebenmal trafen die
+Legionen und die Phalanx im Stoss aufeinander und immer noch stand der
+Kampf. Da fiel Megakles, einer der besten Offiziere des Koenigs, und
+weil er an diesem heissen Tage die Ruestung des Koenigs getragen hatte,
+glaubte das Heer zum zweitenmal, dass der Koenig gefallen sei; die
+Reihen wurden unsicher, schon meinte Laevinus den Sieg in der Hand zu
+haben und warf seine saemtliche Reiterei den Griechen in die Flanke.
+Aber Pyrrhos, entbloessten Hauptes durch die Reihen des Fussvolks
+schreitend, belebte den sinkenden Mut der Seinigen. Gegen die Reiter
+wurden die bis dahin zurueckgehaltenen Elefanten vorgefuehrt; die Pferde
+scheuten vor ihnen, die Soldaten wussten den gewaltigen Tieren nicht
+beizukommen und wandten sich zur Flucht. Die zersprengten Reiterhaufen,
+die nachsetzenden Elefanten loesten endlich auch die geschlossenen
+Glieder des roemischen Fussvolks, und die Elefanten, im Verein mit der
+trefflichen thessalischen Reiterei, richteten ein grosses Blutbad unter
+den Fluechtenden an. Haette nicht ein tapferer roemischer Soldat, Gaius
+Minucius, der erste Hastat der vierten Legion, einen der Elefanten
+verwundet und dadurch die verfolgenden Truppen in Verwirrung gebracht,
+so waere das roemische Heer aufgerieben worden; so gelang es, den Rest
+der roemischen Truppen ueber den Siris zurueckzufuehren. Ihr Verlust
+war gross: 7000 Roemer wurden tot oder verwundet von den Siegern auf der
+Walstatt gefunden, 2000 gefangen eingebracht; die Roemer selbst gaben,
+wohl mit Einschluss der vom Schlachtfeld zurueckgebrachten Verwundeten,
+ihren Verlust an auf 15000 Mann. Aber auch Pyrrhos' Heer hatte nicht
+viel weniger gelitten; gegen 4000 seiner besten Soldaten bedeckten das
+Schlachtfeld und mehrere seiner tuechtigsten Obersten waren gefallen.
+Erwaegend, dass sein Verlust hauptsaechlich auf die altgedienten Leute
+traf, die bei weitem schwerer zu ersetzen waren als die roemische
+Landwehr, und dass er den Sieg nur der Ueberraschung durch den
+Elefantenangriff verdankte, die sich nicht oft wiederholen liess, mag
+der Koenig wohl, strategischer Kritiker wie er war, spaeterhin diesen
+Sieg einer Niederlage aehnlich genannt haben; wenn er auch nicht so
+toericht war, wie die roemischen Poeten nachher gedichtet haben, in
+der Aufschrift des von ihm in Tarent aufgestellten Weihgeschenkes diese
+Selbstkritik dem Publikum mitzuteilen. Politisch kam zunaechst wenig
+darauf an, welche Opfer der Sieg gekostet hatte; vielmehr war der Gewinn
+der ersten Schlacht gegen die Roemer fuer Pyrrhos ein unschaetzbarer
+Erfolg. Sein Feldherrntalent hatte auch auf diesem neuen Schlachtfeld
+sich glaenzend bewaehrt, und wenn irgend etwas, musste der Sieg von
+Herakleia dem hinsiechenden Bunde der Italiker Einigkeit und Energie
+einhauchen. Aber auch die unmittelbaren Ergebnisse des Sieges waren
+ansehnlich und nachhaltig. Lucanien war fuer die Roemer verloren;
+Laevinus zog die dort stehenden Truppen an sich und ging nach Apulien.
+Die Brettier, Lucaner, Samniten vereinigten sich ungehindert mit
+Pyrrhos. Mit Ausnahme von Rhegion, das unter dem Druck der kampanischen
+Meuterer schmachtete, fielen die Griechenstaedte saemtlich dem Koenig
+zu, ja Lokri lieferte ihm freiwillig die roemische Besatzung aus; von
+ihm waren sie ueberzeugt, und mit Recht, dass er sie den Italikern
+nicht preisgeben werde. Die Sabeller und Griechen also traten zu Pyrrhos
+ueber; aber weiter wirkte der Sieg auch nicht. Unter den Latinern zeigte
+sich keine Neigung, der roemischen Herrschaft, wie schwer sie auch
+lasten mochte, mit Hilfe eines fremden Dynasten sich zu entledigen.
+Venusia, obgleich jetzt rings von Feinden umschlossen, hielt
+unerschuetterlich fest an Rom. Den am Siris Gefangenen, deren tapfere
+Haltung der ritterliche Koenig durch die ehrenvollste Behandlung
+vergalt, bot er nach griechischer Sitte an, in sein Heer einzutreten;
+allein er erfuhr, dass er nicht mit Soeldnern focht, sondern mit einem
+Volke. Nicht einer, weder Roemer noch Latiner, nahm bei ihm Dienste.
+------------------------------------------- 2 Bei dem heutigen Anglona;
+nicht zu verwechseln mit der bekannteren Stadt gleichen Namens in der
+Gegend von Cosenza. ------------------------------------------- Pyrrhos
+bot den Roemern Frieden an. Er war ein zu einsichtiger Militaer, um das
+Missliche seiner Stellung zu verkennen, und ein zu gewiegter Staatsmann,
+um nicht denjenigen Augenblick, der ihm die guenstigste Stellung
+gewaehrte, rechtzeitig zum Friedensschluss zu benutzen. Jetzt hoffte er
+unter dem ersten Eindruck der gewaltigen Schlacht, es in Rom durchsetzen
+zu koennen, dass die griechischen Staedte in Italien frei wuerden und
+zwischen ihnen und Rom eine Reihe Staaten zweiten und dritten Ranges als
+abhaengige Verbuendete der neuen griechischen Macht ins Leben traeten;
+denn darauf gingen seine Forderungen: Entlassung aller griechischen
+Staedte - also namentlich der kampanischen und lucanischen - aus der
+roemischen Botmaessigkeit und Rueckgabe des den Samniten, Dauniern,
+Lucanern, Brettiern abgenommenen Gebiets, das heisst namentlich
+Aufgabe von Luceria und Venusia. Konnte ein weiterer Kampf mit Rom auch
+schwerlich vermieden werden, so war es doch wuenschenswert, diesen erst
+zu beginnen, wenn die westlichen Hellenen unter einem Herrn vereinigt,
+Sizilien gewonnen, vielleicht Afrika erobert war. Mit solchen
+Instruktionen versehen, begab sich Pyrrhos' vertrauter Minister, der
+Thessalier Kineas, nach Rom. Der gewandte Unterhaendler, den seine
+Zeitgenossen dem Demosthenes verglichen, soweit sich dem Staatsmann
+der Rhetor, dem Volksfuehrer der Herrendiener vergleichen laesst, hatte
+Auftrag, die Achtung, die der Sieger von Herakleia fuer seine Besiegten
+in der Tat empfand, auf alle Weise zur Schau zu tragen, den Wunsch des
+Koenigs, selber nach Rom zu kommen, zu erkennen zu geben, durch die im
+Munde des Feindes so wohlklingende Lob- und durch ernste Schmeichelrede,
+gelegentlich auch durch wohlangebrachte Geschenke die Gemueter zu des
+Koenigs Gunsten zu stimmen, kurz, alle Kuenste der Kabinettspolitik, wie
+sie an den Hoefen von Alexandreia und Antiocheia erprobt waren, gegen
+die Roemer zu versuchen. Der Senat schwankte; manchen erschien es der
+Klugheit gemaess, einen Schritt zurueck zu tun und abzuwarten, bis der
+gefaehrliche Gegner sich weiter verwickelt haben oder nicht mehr sein
+wuerde. Indes der greise und blinde Konsular Appius Claudius (Zensor
+442 312, Konsul 447, 458 307, 296), der seit langem sich von den
+Staatsgeschaeften zurueckgezogen hatte, aber in diesem entscheidenden
+Augenblick sich in den Senat fuehren liess, hauchte die ungebrochene
+Energie einer gewaltigen Natur mit seinen Flammenworten dem juengeren
+Geschlecht in die Seele. Man antwortete dem Koenig das stolze Wort, das
+hier zuerst vernommen und seitdem Staatsgrundsatz ward, dass Rom nicht
+unterhandle, solange auswaertige Truppen auf italischem Gebiet staenden,
+und das Wort wahr zu machen, wies man den Gesandten sofort aus der
+Stadt. Der Zweck der Sendung war verfehlt und der gewandte Diplomat,
+statt mit seiner Redekunst Effekt zu machen, hatte vielmehr durch diesen
+maennlichen Ernst nach so schwerer Niederlage sich selber imponieren
+lassen - er erklaerte daheim, dass in dieser Stadt jeder Buerger ihm
+erschienen sei wie ein Koenig; freilich, der Hofmann hatte ein freies
+Volk zu Gesicht bekommen. Pyrrhos, der waehrend dieser Verhandlungen
+in Kampanien eingerueckt war, brach auf die Nachricht von ihrem Abbruch
+sogleich auf gegen Rom, um den Etruskern die Hand zu reichen, die
+Bundesgenossen Roms zu erschuettern, die Stadt selber zu bedrohen. Aber
+die Roemer liessen sich so wenig schrecken wie gewinnen. Auf den Ruf des
+Heroldes, "an die Stelle der Gefallenen sich einschreiben zu lassen",
+hatte gleich nach der Schlacht von Herakleia die junge Mannschaft sich
+scharenweise zur Aushebung gedraengt; mit den beiden neugebildeten
+Legionen und dem aus Lucanien zurueckgezogenen Korps folgte Laevinus,
+staerker als vorher, dem Marsch des Koenigs; er deckte gegen denselben
+Capua und vereitelte dessen Versuche, mit Neapel Verbindungen
+anzuknuepfen. So straff war die Haltung der Roemer, dass ausser den
+unteritalischen Griechen kein namhafter Bundesstaat es wagte, vom
+roemischen Buendnis abzufallen. Da wandte Pyrrhos sich gegen Rom selbst.
+Durch die reiche Landschaft, deren bluehenden Zustand er mit Bewunderung
+schaute, zog er gegen Fregellae, das er ueberrumpelte, erzwang den
+Uebergang ueber den Liris und gelangte bis nach Anagnia, das nicht mehr
+als acht deutsche Meilen von Rom entfernt ist. Kein Heer warf sich ihm
+entgegen; aber ueberall schlossen die Staedte Latiums ihm die Tore,
+und gemessenen Schrittes folgte von Kampanien aus Laevinus ihm nach,
+waehrend von Norden der Konsul Tiberius Coruncanius, der soeben mit
+den Etruskern durch einen rechtzeitigen Friedensschluss sich abgefunden
+hatte, eine zweite roemische Armee heranfuehrte und in Rom selbst die
+Reserve unter dem Diktator Gnaeus Domitius Calvinus sich zum Kampfe
+fertig machte. Dagegen war nichts auszurichten; dem Koenig blieb nichts
+uebrig als umzukehren. Eine Zeitlang stand er noch in Kampanien den
+vereinigten Heeren der beiden Konsuln untaetig gegenueber; aber es bot
+sich keine Gelegenheit, einen Hauptschlag auszufuehren. Als der Winter
+herankam, raeumte der Koenig das feindliche Gebiet und verteilte seine
+Truppen in die befreundeten Staedte; er selbst nahm Winterquartier in
+Tarent. Hierauf stellten auch die Roemer ihre Operationen ein; das Heer
+bezog Standquartiere bei Firmum im Picenischen, wo auf Befehl des Senats
+die am Siris geschlagenen Legionen den Winter hindurch zur Strafe unter
+Zelten kampierten. So endigte der Feldzug des Jahres 474 (280).
+Der Sonderfriede, den Etrurien im entscheidenden Augenblick mit Rom
+abgeschlossen hatte, und des Koenigs unvermuteter Rueckzug, der die
+hochgespannten Hoffnungen der italischen Bundesgenossen gaenzlich
+taeuschte, wogen zum grossen Teil den Eindruck des Sieges von Herakleia
+auf. Die Italiker beschwerten sich ueber die Lasten des Krieges,
+namentlich ueber die schlechte Mannszucht der bei ihnen einquartierten
+Soeldner, und der Koenig, muede des kleinlichen Gezaenks und des
+unpolitischen wie unmilitaerischen Gehabens seiner Bundesgenossen,
+fing an zu ahnen, dass die Aufgabe, die ihm zugefallen war, trotz aller
+taktischen Erfolge politisch unloesbar sein moege. Die Ankunft einer
+roemischen Gesandtschaft, dreier Konsulate, darunter der Sieger
+von Thurii, Gaius Fabricius, liess einen Augenblick wieder die
+Friedenshoffnungen bei ihm erwachen; allein es zeigte sich bald, dass
+sie nur Vollmacht hatte, wegen Loesung oder Auswechselung der Gefangenen
+zu unterhandeln. Pyrrhos schlug diese Forderung ab, allein er entliess
+zur Feier der Saturnalien saemtliche Gefangene auf ihr Ehrenwort; dass
+sie es hielten und dass der roemische Gesandte einen Bestechungsversuch
+abwies, hat man in der Folgezeit in unschicklichster und mehr fuer die
+Ehrlosigkeit der spaeteren als die Ehrenhaftigkeit der frueheren Zeit
+bezeichnender Weise gefeiert. Mit dem Fruehjahr 475 (279) ergriff
+Pyrrhos abermals die Offensive und rueckte in Apulien ein, wohin
+das roemische Heer ihm entgegenkam. In der Hoffnung durch einen
+entscheidenden Sieg die roemische Symmachie in diesen Landschaften zu
+erschuettern, bot der Koenig eine zweite Schlacht an und die Roemer
+verweigerten sie nicht. Bei Ausculum (Ascoli di Puglia) trafen
+beide Heere aufeinander. Unter Pyrrhos' Fahnen fochten ausser seinen
+epeirotischen und makedonischen Truppen die italischen Soeldner,
+die Buergerwehr - die sogenannten Weissschilde - von Tarent und die
+verbuendeten Lucaner, Brettier und Samniten, zusammen 70000 Mann zu
+Fuss, davon 16000 Griechen und Epeiroten, ueber 8000 Reiter und 19
+Elefanten. Mit den Roemern standen an diesem Tage die Latiner, Kampaner,
+Volsker, Sabiner, Umbrer, Marruciner, Paeligner, Frentaner und Arpaner;
+auch sie zaehlten ueber 70000 Mann zu Fuss, darunter 20000 roemische
+Buerger, und 8000 Reiter. Beide Teile hatten in ihrem Heerwesen
+Aenderungen vorgenommen. Pyrrhos, mit scharfem Soldatenblick die
+Vorzuege der roemischen Manipularordnung erkennend, hatte auf den
+Fluegeln die lange Front seiner Phalangen vertauscht mit einer der
+Kohortenstellung nachgebildeten unterbrochenen Aufstellung in Faehnlein
+und, vielleicht nicht minder aus politischen wie aus militaerischen
+Gruenden, zwischen die Abteilungen seiner eigenen Leute die
+tarentinischen und samnitischen Kohorten eingeschoben; im Mitteltreffen
+allein stand die epeirotische Phalanx in geschlossener Reihe. Die Roemer
+fuehrten zur Abwehr der Elefanten eine Art Streitwagen heran, aus denen
+Feuerbecken an eisernen Stangen hervorragten und auf denen bewegliche,
+zum Herablassen eingerichtete und in Eisenstachel endende Maste
+befestigt waren - gewissermassen das Vorbild der Enterbruecken, die im
+Ersten Punischen Krieg eine so grosse Rolle spielen sollten. Nach dem
+griechischen Schlachtbericht, der minder parteiisch scheint als der
+uns auch vorliegende roemische, waren die Griechen am ersten Tage im
+Nachteil, da sie weder dazu gelangten, an den schroffen und sumpfigen
+Flussufern, wo sie gezwungen wurden, das Gefecht anzunehmen, ihre Linie
+zu entwickeln, noch Reiterei und Elefanten ins Gefecht zu bringen.
+Am zweiten Tage kam dagegen Pyrrhos den Roemern in der Besetzung des
+durchschnittenen Terrains zuvor und erreichte so ohne Verlust die Ebene,
+wo er seine Phalanx ungestoert entfalten konnte. Vergeblich stuerzten
+sich die Roemer verzweifelten Muts mit ihren Schwertern auf die
+Sarissen; die Phalanx stand unerschuetterlich jedem Angriff von vorn,
+doch vermochte auch sie es nicht, die roemischen Legionen zum Weichen
+zu bringen. Erst als die zahlreiche Bedeckung der Elefanten die auf
+den roemischen Streitwagen fechtende Mannschaft durch Pfeile und
+Schleudersteine vertrieben und der Bespannung die Straenge zerschnitten
+hatte und nun die Elefanten gegen die roemische Linie anprallten,
+kam dieselbe ins Schwanken. Das Weichen der Bedeckungsmannschaft der
+roemischen Wagen gab das Signal zur allgemeinen Flucht, die indes nicht
+sehr zahlreiche Opfer kostete, da das nahe Lager die Verfolgten aufnahm.
+Dass waehrend des Haupttreffens ein von der roemischen Hauptmacht
+abgesondertes arpanisches Korps das schwach besetzte epeirotische
+Lager angegriffen und in Brand gesteckt habe, meldet nur der roemische
+Schlachtbericht; wenn es aber auch richtig ist, so haben doch die Roemer
+auf alle Faelle mit Unrecht behauptet, dass die Schlacht unentschieden
+geblieben sei. Beide Berichte stimmen vielmehr darin ueberein, dass das
+roemische Heer ueber den Fluss zurueckging und Pyrrhos im Besitz des
+Schlachtfeldes blieb. Die Zahl der Gefallenen war nach dem griechischen
+Berichte auf roemischer Seite 6000, auf griechischer 3505 ^3; unter den
+Verwundeten war der Koenig selbst, dem ein Wurfspiess den Arm durchbohrt
+hatte, waehrend er wie immer im dichtesten Getuemmel kaempfte. Wohl war
+es ein Sieg, den Pyrrhos erfochten hatte, aber es waren unfruchtbare
+Lorbeeren; als Feldherrn wie als Soldaten machte der Sieg dem Koenig
+Ehre, aber seine politischen Zwecke hat er nicht gefoerdert. Pyrrhos
+bedurfte eines glaenzenden Erfolges, der das roemische Heer aufloeste
+und den schwankenden Bundesgenossen die Gelegenheit und den Anstoss
+zum Parteiwechsel gab; da aber die roemische Armee und die roemische
+Eidgenossenschaft ungebrochen geblieben und das griechische Heer, das
+nichts war ohne seinen Feldherrn, durch dessen Verwundung auf laengere
+Zeit angefesselt ward, musste er wohl den Feldzug verloren geben und in
+die Winterquartiere gehen, die der Koenig in Tarent, die Roemer
+diesmal in Apulien nahmen. Immer deutlicher offenbarte es sich,
+dass militaerisch die Hilfsquellen des Koenigs den roemischen ebenso
+nachstanden, wie politisch die lose und widerspenstige Koalition den
+Vergleich nicht aushielt mit der festgegruendeten roemischen Symmachie.
+Wohl konnte das Ueberraschende und Gewaltige in der griechischen
+Kriegfuehrung, das Genie des Feldherrn noch einen Sieg mehr wie die von
+Herakleia und Ausculum erfechten, aber jeder neue Sieg vernutzte die
+Mittel zu weiteren Unternehmungen und es war klar, dass die Roemer
+schon jetzt sich als die Staerkeren fuehlten und den endlichen Sieg mit
+mutiger Geduld erharrten. Dieser Krieg war nicht das feine Kunstspiel,
+wie die griechischen Fuersten es uebten und verstanden; an der vollen
+und gewaltigen Energie der Landwehr zerschellten alle strategischen
+Kombinationen. Pyrrhos fuehlte, wie die Dinge standen; ueberdruessig
+seiner Siege und seine Bundesgenossen verachtend, harrte er nur aus,
+weil die militaerische Ehre ihm vorschrieb, Italien nicht zu verlassen,
+bevor er seine Schutzbefohlenen vor den Barbaren gesichert haben wuerde.
+Es war bei seinem ungeduldigen Naturell vorauszusetzen, dass er den
+ersten Vorwand ergreifen wuerde, um der laestigen Pflicht sich zu
+entledigen; und die Veranlassung, sich von Italien zu entfernen,
+boten bald die sizilischen Angelegenheiten ihm dar.
+------------------------------------------ ^3 Diese Zahlen scheinen
+glaubwuerdig. Der roemische Bericht gibt, wohl an Toten und Verwundeten,
+fuer jede Seite 15000 Mann an, ein spaeterer sogar auf roemischer 5000,
+auf griechischer 20000 Tote. Es mag das hier Platz finden um an einem
+der seltenen Beispiele, wo Kontrolle moeglich ist, die fast ausnahmslose
+Unglaubwuerdigkeit der Zahlenangaben zu zeigen, in denen die Luege
+bei den Annalisten lawinenartig anschwillt.
+------------------------------------------ Nach Agathokles' Tode (465
+289) fehlte es den sizilischen Griechen an jeder leitenden Macht.
+Waehrend in den einzelnen hellenischen Staedten unfaehige Demagogen und
+unfaehige Tyrannen einander abloesten, dehnten die Karthager, die alten
+Herren der Westspitze, ihre Herrschaft ungestoert aus. Nachdem Akragas
+ihnen erlegen war, glaubten sie die Zeit gekommen, um zu dem seit
+Jahrhunderten im Auge behaltenen Ziel endlich den letzten Schritt zu tun
+und die ganze Insel unter ihre Botmaessigkeit zu bringen: sie wandten
+sich zum Angriff auf Syrakus. Die Stadt, die einst mit ihren Heeren und
+Flotten Karthago den Besitz der Insel streitig gemacht hatte, war durch
+den inneren Hader und die Schwaeche des Regiments so tief herabgekommen,
+dass sie ihre Rettung suchen musste in dem Schutz ihrer Mauern und
+in auswaertiger Hilfe; und niemand konnte diese gewaehren als Koenig
+Pyrrhos. Pyrrhos war des Agathokles Tochtermann, sein Sohn, der damals
+sechzehnjaehrige Alexander, des Agathokles Enkel, beide in jeder
+Beziehung die natuerlichen Erben der hochfliegenden Plaene des Herrn von
+Syrakus; und wenn es mit der Freiheit doch zu Ende war, konnte Syrakus
+Ersatz darin finden, die Hauptstadt eines westhellenischen Reiches
+zu sein. So trugen die Syrakusaner gleich den Tarentinern und unter
+aehnlichen Bedingungen dem Koenig Pyrrhos freiwillig die Herrschaft
+entgegen (um 475 279), und durch eine seltene Fuegung der Dinge schien
+sich alles zu vereinigen zum Gelingen der grossartigen, zunaechst auf
+den Besitz von Tarent und Syrakus gebauten Plaene des Epeirotenkoenigs.
+Freilich war die naechste Folge von dieser Vereinigung der italischen
+und sizilischen Griechen unter eine Hand, dass auch die Gegner sich
+enger zusammenschlossen. Karthago und Rom verwandelten ihre alten
+Handelsvertraege jetzt in ein Offensiv- und Defensivbuendnis gegen
+Pyrrhos (475 279), dessen Bedingungen dahin lauteten, dass, wenn Pyrrhos
+roemisches oder karthagisches Gebiet betrete, der nicht angegriffene
+Teil dem angegriffenen auf dessen Gebiet Zuzug leisten und die
+Hilfstruppen selbst besolden solle; dass in solchem Falle Karthago die
+Transportschiffe zu stellen und auch mit der Kriegsflotte den Roemern
+beizustehen sich verpflichte, doch solle deren Bemannung nicht gehalten
+sein, zu Lande fuer die Roemer zu fechten; dass endlich beide Staaten
+sich das Wort gaeben, keinen Sonderfrieden mit Pyrrhos zu schliessen.
+Der Zweck des Vertrages war auf roemischer Seite, einen Angriff auf
+Tarent moeglich zu machen und Pyrrhos von der Heimat abzuschneiden, was
+beides ohne Mitwirkung der punischen Flotte nicht ausfuehrbar war,
+auf seiten der Karthager, den Koenig in Italien festzuhalten, um ihre
+Absichten auf Syrakus ungestoert ins Werk setzen zu koennen ^4. Es lag
+also im Interesse beider Maechte, zunaechst sich des Meeres zwischen
+Italien und Sizilien zu versichern. Eine starke karthagische Flotte
+von 120 Segeln unter dem Admiral Mago ging von Ostia, wohin Mago sich
+begeben zu haben scheint, um jenen Vertrag abzuschliessen, nach der
+sizilischen Meerenge. Die Mamertiner, die fuer ihre Frevel gegen die
+griechische Bevoelkerung Messanas die gerechte Strafe erwartete, wenn
+Pyrrhos in Sizilien und Italien ans Regiment kam, schlossen sich eng an
+die Roemer und Karthager und sicherten diesen die sizilische Seite
+des Passes. Gern haetten die Verbuendeten auch Rhegion auf der
+gegenueberliegenden Kueste in ihre Gewalt gebracht; allein verzeihen
+konnte Rom der kampanischen Besatzung unmoeglich, und ein Versuch der
+vereinigten Roemer und Karthager, sich der Stadt mit gewaffneter Hand zu
+bemaechtigen, schlug fehl. Von dort segelte die karthagische Flotte nach
+Syrakus und blockierte die Stadt von der Seeseite, waehrend gleichzeitig
+ein starkes phoenikisches Heer die Belagerung zu Lande begann (476
+278). Es war hohe Zeit, dass Pyrrhos in Syrakus erschien; aber freilich
+standen in Italien die Angelegenheiten keineswegs so, dass er und seine
+Truppen dort entbehrt werden konnten. Die beiden Konsuln des Jahres
+476 (278) Gaius Fabricius Luscinus und Quintus Aemilius Papus, beide
+erprobte Generale, hatten den neuen Feldzug kraeftig begonnen, und
+obwohl bisher die Roemerin diesem Kriege nur Niederlagen erlitten
+hatten, waren nicht sie es, sondern die Sieger, die sich ermattet
+fuehlten und den Frieden herbeiwuenschten. Pyrrhos machte noch einen
+Versuch, ein leidliches Abkommen zu erlangen. Der Konsul Fabricius hatte
+dem Koenig einen Elenden zugesandt, der ihm den Antrag gemacht, gegen
+gute Bezahlung den Koenig zu vergiften. Zum Dank gab der Koenig nicht
+bloss alle roemischen Gefangenen ohne Loesegeld frei, sondern er fuehlte
+sich so hingerissen von dem Edelsinn seiner tapferen Gegner, dass er zur
+Belohnung ihnen selber einen ungemein billigen und guenstigen Frieden
+antrug. Kineas scheint noch einmal nach Rom gegangen zu sein und
+Karthago ernstlich gefuerchtet zu haben, dass sich Rom zum Frieden
+bequeme. Indes der Senat blieb fest und wiederholte seine fruehere
+Antwort. Wollte der Koenig nicht Syrakus den Karthagern in die Haende
+fallen und damit seinen grossen Plan sich zerstoeren lassen, so
+blieb ihm nichts anderes uebrig, als seine italischen Bundesgenossen
+preiszugeben und sich vorlaeufig auf den Besitz der wichtigsten
+Hafenstaedte, namentlich von Tarent und Lokri, zu beschraenken.
+Vergebens beschworen ihn die Lucaner und Samniten, sie nicht im Stich
+zu lassen; vergebens forderten die Tarentiner ihn auf, entweder seiner
+Feldherrnpflicht nachzukommen oder die Stadt ihnen zurueckzugeben. Den
+Klagen und Vorwuerfen setzte der Koenig Vertroestungen auf kuenftige
+bessere Zeiten oder auch derbe Abweisung entgegen; Milon blieb in Tarent
+zurueck, des Koenigs Sohn Alexander in Lokri und mit der Hauptmacht
+schiffte noch im Fruehjahr 476 (278) sich Pyrrhos in Tarent nach Syrakus
+ein. -------------------------------------------------------- ^4 Die
+spaeteren Roemer und mit ihnen die neueren geben dem Buendnis die
+Wendung, als haetten die Roemer absichtlich vermieden, die karthagische
+Hilfe in Italien anzunehmen. Das waere unvernuenftig gewesen, und die
+Tatsachen sprechen dagegen. Dass Mago in Ostia nicht landete, erklaert
+sich nicht aus solcher Vorsicht, sondern einfach daraus, dass Latium von
+Pyrrhos ganz und gar nicht bedroht war und karthagischen Beistandes also
+nicht bedurfte; und vor Rhegion kaempften die Karthager allerdings
+fuer Rom. -------------------------------------------------------- Nach
+Pyrrhos' Abzug erhielten die Roemer freie Hand in Italien, wo niemand
+ihnen auf offenem Felde zu widerstehen wagte und die Gegner ueberall
+sich einschlossen in ihre Festen oder in ihre Waelder. Indes der Kampf
+ging nicht so schnell zu Ende, wie man wohl gehofft haben mochte, woran
+teils die Natur dieses Gebirgs- und Belagerungskrieges schuld war, teils
+wohl auch die Erschoepfung der Roemer, von deren furchtbaren Verlusten
+das Sinken der Buergerrolle von 473 (281) auf 479 (275) um 17000 Koepfe
+zeugt. Noch im Jahre 476 (278) gelang es dem Konsul Gaius Fabricius, die
+bedeutende tarentinische Pflanzstadt Herakleia zu einem Sonderfrieden
+zu bringen, der ihr unter den guenstigsten Bedingungen gewaehrt ward.
+Im Feldzug von 477 (277) schlug man sich in Samnium herum, wo ein
+leichtsinnig unternommener Angriff auf die verschanzten Hoehen den
+Roemern viele Leute kostete, und wandte sich alsdann nach dem suedlichen
+Italien, wo die Lucaner und Brettier geschlagen wurden. Dagegen kam bei
+einem Versuch, Kroton zu ueberrumpeln, Milon von Tarent aus den
+Roemern zuvor; die epeirotische Besatzung machte alsdann sogar einen
+gluecklichen Ausfall gegen das belagernde Heer. Indes gelang es endlich
+dem Konsul dennoch, dieselbe durch eine Kriegslist zum Abmarsch zu
+bestimmen und der unverteidigten Stadt sich zu bemaechtigen (477
+277). Wichtiger war es, dass die Lokrenser, die frueher die roemische
+Besatzung dem Koenig ausgeliefert hatten, jetzt, den Verrat durch Verrat
+suehnend, die epeirotische erschlugen; womit die ganze Suedkueste in den
+Haenden der Roemer war mit Ausnahme von Rhegion und Tarent. Indes
+mit diesen Erfolgen war man im wesentlichen doch wenig gefoerdert.
+Unteritalien selbst war laengst wehrlos; Pyrrhos aber war nicht
+bezwungen, solange Tarent in seinen Haenden und ihm damit die
+Moeglichkeit blieb, den Krieg nach Belieben wieder zu erneuern, und
+an die Belagerung dieser Stadt konnten die Roemer nicht denken. Selbst
+davon abgesehen, dass in dem durch Philipp von Makedonien und Demetrios
+den Belagerer umgeschaffenen Festungskrieg die Roemer gegen
+einen erfahrenen und entschlossenen griechischen Kommandanten im
+entschiedensten Nachteil waren, bedurfte es dazu einer starken Flotte,
+und obwohl der karthagische Vertrag den Roemern Unterstuetzung zur See
+verhiess, so standen doch Karthagos eigene Angelegenheiten in Sizilien
+durchaus nicht so, dass es diese haette gewaehren koennen. Pyrrhos'
+Landung auf der Insel, welche trotz der karthagischen Flotte ungehindert
+erfolgt war, hatte dort mit einem Schlage die Lage der Dinge veraendert.
+Er hatte Syrakus sofort entsetzt, alle freien Griechenstaedte in
+kurzer Zeit in seiner Hand vereinigt und als Haupt der sikeliotischen
+Konfoederation den Karthagern fast ihre saemtlichen Besitzungen
+entrissen. Kaum vermochten mit Hilfe der damals auf dem Mittelmeer ohne
+Nebenbuhler herrschenden karthagischen Flotte sich die Karthager
+in Lilybaeon, die Mamertiner in Messana, und auch hier unter steten
+Angriffen, zu behaupten. Unter solchen Umstaenden waere in Gemaessheit
+des Vertrags von 475 (279) viel eher Rom im Fall gewesen, den Karthagern
+auf Sizilien Beistand zu leisten, als Karthago mit seiner Flotte den
+Roemern Tarent erobern zu helfen; ueberhaupt aber war man eben von
+keiner Seite sehr geneigt, dem Bundesgenossen die Macht zu sichern oder
+gar zu erweitern. Karthago hatte den Roemern die Hilfe erst angeboten,
+als die wesentliche Gefahr vorueber war; diese ihrerseits hatten nichts
+getan, den Abzug des Koenigs aus Italien, den Sturz der karthagischen
+Macht in Sizilien zu verhindern. Ja in offener Verletzung der Vertraege
+hatte Karthago sogar dem Koenig einen Sonderfrieden angetragen und gegen
+den ungestoerten Besitz von Lilybaeon sich erboten, auf die uebrigen
+sizilischen Besitzungen zu verzichten, sogar dem Koenig Geld und
+Kriegsschiffe zur Verfuegung zu stellen, natuerlich zur Ueberfahrt
+nach Italien und zur Erneuerung des Krieges gegen Rom. Indes es war
+einleuchtend, dass mit dem Besitz von Lilybaeon und der Entfernung des
+Koenigs die Stellung der Karthager auf der Insel ungefaehr dieselbe
+geworden waere, wie sie vor Pyrrhos' Landung gewesen war; sich selbst
+ueberlassen waren die griechischen Staedte ohnmaechtig und das verlorene
+Gebiet leicht wiedergewonnen. So schlug Pyrrhos den nach zwei Seiten
+hin perfiden Antrag aus und ging daran, sich selber eine Kriegsflotte zu
+erbauen. Nur Unverstand und Kurzsichtigkeit haben dies spaeter getadelt;
+es war vielmehr ebenso notwendig als mit den Mitteln der Insel leicht
+durchzufuehren. Abgesehen davon, dass der Herr von Ambrakia, Tarent
+und Syrakus nicht ohne Seemacht sein konnte, bedurfte er der Flotte,
+um Lilybaeon zu erobern, um Tarent zu schuetzen, um Karthago daheim
+anzugreifen, wie es Agathokles, Regulus, Scipio vor- und nachher mit
+so grossem Erfolg getan. Nie stand Pyrrhos seinem Ziele naeher als im
+Sommer 478 (276), wo er Karthago gedemuetigt vor sich sah, Sizilien
+beherrschte und mit Tarents Besitz einen festen Fuss in Italien
+behauptete, und wo die neugeschaffene Flotte, die alle diese Erfolge
+zusammenknuepfen, sichern und steigern sollte, zur Abfahrt fertig im
+Hafen von Syrakus lag. Die wesentliche Schwaeche von Pyrrhos' Stellung
+beruhte auf seiner fehlerhaften inneren Politik. Er regierte Sizilien
+wie er Ptolemaeos hatte in Aegypten herrschen sehen; er respektierte die
+Gemeindeverfassungen nicht, setzte seine Vertrauten zu Amtleuten
+ueber die Staedte wann und auf so lange es ihm gefiel, gab anstatt
+der einheimischen Geschworenen seine Hofleute zu Richtern, sprach
+Konfiskationen, Verbannungen, Todesurteile nach Gutduenken aus
+und selbst ueber diejenigen, die seine Ueberkunft nach Sizilien am
+lebhaftesten betrieben hatten, legte Besatzungen in die Staedte und
+beherrschte Sizilien nicht als der Fuehrer des Nationalbundes, sondern
+als Koenig. Mochte er dabei nach orientalisch-hellenistischen Begriffen
+sich ein guter und weiser Regent zu sein duenken und auch wirklich sein,
+so ertrugen doch die Griechen diese Verpflanzung des Diadochensystems
+nach Syrakus mit aller Ungeduld einer in langer Freiheitsagonie aller
+Zucht entwoehnten Nation; sehr bald duenkte das karthagische Joch
+dem toerichten Volk ertraeglicher als das neue Soldatenregiment.
+Die bedeutendsten Staedte knuepften mit den Karthagern, ja mit den
+Mamertinern Verbindungen an; ein starkes karthagisches Heer wagte
+wieder, sich auf der Insel zu zeigen und, ueberall von den Griechen
+unterstuetzt, machte es reissende Fortschritte. Zwar in der Schlacht,
+die Pyrrhos ihm lieferte, war das Glueck wie immer mit dem "Adler";
+allein es hatte sich bei dieser Gelegenheit offenbart, wie die Stimmung
+auf der Insel war und was kommen konnte und musste, wenn der Koenig sich
+entfernte. Zu diesem ersten und wesentlichsten Fehler fuegte Pyrrhos
+einen zweiten: er ging mit der Flotte statt nach Lilybaeon nach Tarent.
+Augenscheinlich musste er, eben bei der Gaerung in den Gemuetern der
+Sikelioten, vor allen Dingen erst von dieser Insel die Karthager
+ganz verdraengt und damit den Unzufriedenen den letzten Rueckhalt
+abgeschnitten haben, ehe er nach Italien sich wenden durfte; hier
+war nichts zu versaeumen, denn Tarent war ihm sicher genug und an den
+uebrigen Bundesgenossen, nachdem sie einmal aufgegeben waren, jetzt
+wenig gelegen. Es ist begreiflich, dass sein Soldatensinn ihn trieb, den
+nicht sehr ehrenvollen Abzug vom Jahre 476 (278) durch eine glaenzende
+Wiederkehr auszutilgen und dass ihm das Herz blutete, wenn er die Klagen
+der Lucaner und Samniten vernahm. Allein Aufgaben, wie sie Pyrrhos sich
+gestellt hatte, koennen nur geloest werden von eisernen Naturen, die
+das Mitleid und selbst das Ehrgefuehl zu beherrschen vermoegen; und eine
+solche war Pyrrhos nicht. Die verhaengnisvolle Einschiffung fand
+statt gegen das Ende des Jahres 478 (276). Unterwegs hatte die neue
+syrakusanische Flotte mit der karthagischen ein heftiges Gefecht zu
+bestehen und buesste darin eine betraechtliche Anzahl Schiffe ein. Die
+Entfernung des Koenigs und die Kunde von diesem ersten Unfall genuegten
+zum Sturz des sikeliotischen Reiches; auf sie hin weigerten alle Staedte
+dem abwesenden Koenig Geld und Truppen und der glaenzende Staat brach
+schneller noch als er entstanden war wiederum zusammen, teils weil der
+Koenig selbst die Treue und Liebe, auf der jedes Gemeinwesen ruht, in
+den Herzen seiner Untertanen untergraben hatte, teils weil es dem Volk
+an der Hingebung fehlte, zur Rettung der Nationalitaet auf vielleicht
+nur kurze Zeit der Freiheit zu entsagen. Damit war Pyrrhos' Unternehmen
+gescheitert, der Plan seines Lebens ohne Aussicht dahin; er ist fortan
+ein Abenteurer, der es fuehlt, dass er viel gewesen und nichts mehr ist,
+der den Krieg nicht mehr als Mittel zum Zwecke fuehrt, sondern, um
+in wildem Wuerfelspiel sich zu betaeuben und womoeglich im
+Schlachtgetuemmel einen Soldatentod zu finden. An der italischen
+Kueste angelangt, begann der Koenig mit einem Versuch, sich Rhegions zu
+bemaechtigen, aber mit Hilfe der Mamertiner schlugen die Kampaner den
+Angriff ab, und in dem hitzigen Gefecht vor der Stadt ward der Koenig
+selbst verwundet, indem er einen feindlichen Offizier vom Pferde hieb.
+Dagegen ueberrumpelte er Lokri, dessen Einwohner die Niedermetzelung
+der epeirotischen Besatzung schwer buessten, und pluenderte den reichen
+Schatz des Persephonetempels daselbst, um seine leere Kasse zu fuellen.
+So gelangte er nach Tarent, angeblich mit 20000 Mann zu Fuss und 3000
+Reitern. Aber es waren nicht mehr die erprobten Veteranen von vordem und
+nicht mehr begruessten die Italiker in ihnen ihre Retter; das Vertrauen
+und die Hoffnung, damit man den Koenig fuenf Jahre zuvor empfing, waren
+gewichen, den Verbuendeten Geld und Mannschaft ausgegangen. Den schwer
+bedraengten Samniten, in deren Gebiet die Roemer 478/79 (276/75)
+ueberwintert hatten, zu Hilfe rueckte der Koenig im Fruehjahr 479 (275)
+ins Feld und zwang bei Benevent auf dem Arusinischen Felde den Konsul
+Manius Curius zur Schlacht, bevor er sich mit seinem von Lucanien
+heranrueckenden Kollegen vereinigen konnte. Aber die Heeresabteilung,
+die den Roemern in die Flanke zu fallen bestimmt war, verirrte sich
+waehrend des Nachtmarsches in den Waeldern und blieb im entscheidenden
+Augenblick aus; und nach heftigem Kampf entschieden auch hier wieder die
+Elefanten die Schlacht, aber diesmal fuer die Roemer, indem sie, von den
+zur Bedeckung des Lagers aufgestellten Schuetzen in Verwirrung gebracht,
+auf ihre eigenen Leute sich warfen. Die Sieger besetzten das Lager; in
+ihre Haende fielen 1300 Gefangene und vier Elefanten - die ersten, die
+Rom sah, ausserdem eine unermessliche Beute, aus deren Erloes spaeter
+in Rom der Aquaedukt, welcher das Aniowasser von Tibur nach Rom fuehrte,
+gebaut ward. Ohne Truppen, um das Feld zu halten, und ohne Geld sandte
+Pyrrhos an seine Verbuendeten, die ihm zur Ausruestung nach Italien
+gesteuert hatten, die Koenige von Makedonien und Asien; aber auch in
+der Heimat fuerchtete man ihn nicht mehr und schlug die Bitte ab.
+Verzweifelnd an dem Erfolg gegen Rom und erbittert durch diese
+Weigerungen liess Pyrrhos Besatzung in Tarent und ging selber noch im
+selben Jahre (479 275) heim nach Griechenland, wo eher noch als bei
+dem stetigen und gemessenen Gang der italischen Verhaeltnisse sich dem
+verzweifelten Spieler eine Aussicht eroeffnen mochte. In der Tat gewann
+er nicht bloss schnell zurueck, was von seinem Reiche war abgerissen
+worden, sondern er griff noch einmal und nicht ohne Erfolg nach
+der makedonischen Krone. Allein an Antigonos Gonatas' ruhiger und
+umsichtiger Politik und mehr noch an seinem eigenen Ungestuem und
+der Unfaehigkeit, den stolzen Sinn zu zaehmen, scheiterten auch seine
+letzten Plaene; er gewann noch Schlachten, aber keinen dauernden
+Erfolg mehr und fand sein Ende in einem elenden Strassengefecht im
+peloponnesischen Argos (482 272). In Italien ist der Krieg zu Ende mit
+der Schlacht bei Benevent; langsam verenden die letzten Zuckungen der
+nationalen Partei. Zwar so lange der Kriegsfuerst, dessen maechtiger Arm
+es gewagt hatte, dem Schicksal in die Zuegel zu fallen, noch unter den
+Lebenden war, hielt er, wenngleich abwesend, gegen Rom die feste Burg
+von Tarent. Mochte auch nach des Koenigs Entfernung in der Stadt die
+Friedenspartei die Oberhand gewinnen, Milon, der fuer Pyrrhos darin den
+Befehl fuehrte, wies ihre Anmutungen ab und liess die roemisch gesinnten
+Staedter in dem Kastell, das sie im Gebiet von Tarent sich errichtet
+hatten, auf ihre eigene Hand mit Rom Frieden schliessen, wie es ihnen
+beliebte, ohne darum seine Tore zu oeffnen. Aber als nach Pyrrhos'
+Tode eine karthagische Flotte in den Hafen einlief und Milon die
+Buergerschaft im Begriff sah, die Stadt an die Karthager auszuliefern,
+zog er es vor, dem roemischen Konsul Lucius Papirius die Burg zu
+uebergeben (482 272) und damit fuer sich und die Seinigen freien Abzug
+zu erkaufen. Fuer die Roemer war dies ein ungeheurer Gluecksfall. Nach
+den Erfahrungen, die Philipp vor Perinth und Byzanz, Demetrios vor
+Rhodos, Pyrrhos vor Lilybaeon gemacht hatten, laesst sich bezweifeln, ob
+die damalige Strategik ueberhaupt imstande war, eine wohlbefestigte und
+wohlverteidigte und von der See her zugaengliche Stadt zur Uebergabe zu
+zwingen; und welche Wendung haetten die Dinge nehmen moegen, wenn
+Tarent das in Italien fuer die Phoeniker geworden waere, was in Sizilien
+Lilybaeon fuer sie gewesen war! Indes das Geschehene war nicht zu
+aendern. Der karthagische Admiral, da er die Burg in den Haenden
+der Roemer sah, erklaerte, nur vor Tarent erschienen zu sein, um dem
+Vertrage gemaess den Bundesgenossen bei der Belagerung der Stadt
+Hilfe zu leisten, und ging unter Segel nach Afrika; und die roemische
+Gesandtschaft, welche wegen der versuchten Okkupation von Tarent
+Aufklaerung zu fordern und Beschwerde zu fuehren nach Karthago
+gesandt ward, brachte nichts zurueck als die feierliche und eidliche
+Bekraeftigung dieser angeblichen bundesfreundlichen Absicht, wobei man
+denn auch in Rom vorlaeufig sich beruhigte. Die Tarentiner erhielten,
+vermutlich durch Vermittlung ihrer Emigrierten, die Autonomie von den
+Roemern zurueck; aber Waffen und Schiffe mussten ausgeliefert und die
+Mauern niedergerissen werden. In demselben Jahre, in dem Tarent roemisch
+ward, unterwarfen sich endlich auch die Samniten, Lucaner und Brettier,
+welche letztere die Haelfte des eintraeglichen und fuer den Schiffbau
+wichtigen Silawaldes abtreten mussten. Endlich traf auch die seit
+zehn Jahren in Rhegion hausende Bande die Strafe fuer den gebrochenen
+Fahneneid wie fuer den Mord der rheginischen Buergerschaft und der
+Besatzung von Kroton. Es war zugleich die allgemeine Sache der Hellenen
+gegen die Barbaren, welche Rom hier vertrat; der neue Herr von Syrakus,
+Hieron, unterstuetzte darum auch die Roemer vor Rhegion durch Sendung
+von Lebensmitteln und Zuzug und machte gleichzeitig einen mit der
+roemischen Expedition gegen Rhegion kombinierten Angriff auf deren
+Stamm- und Schuldgenossen in Sizilien, die Mamertiner in Messana. Die
+Belagerung der letzteren Stadt zog sich sehr in die Laenge; dagegen
+wurde Rhegion, obwohl auch hier die Meuterer hartnaeckig und lange
+sich wehrten, im Jahre 484 (270) von den Roemern erstuermt, was von
+der Besatzung uebrig war, in Rom auf offenem Markte gestaeupt und
+enthauptet, die alten Einwohner aber zurueckgerufen und soviel moeglich
+in ihr Vermoegen wieder eingesetzt. So war im Jahre 484 (270) ganz
+Italien zur Untertaenigkeit gebracht. Nur die hartnaeckigsten Gegner
+Roms, die Samniten, setzten trotz des offiziellen Friedensschlusses
+noch als "Raeuber" den Kampf fort, sodass sogar im Jahre 485 (269) noch
+einmal beide Konsuln gegen sie geschickt werden mussten. Aber auch der
+hochherzigste Volksmut, die tapferste Verzweiflung gehen einmal zu Ende;
+Schwert und Galgen brachten endlich auch den samnitischen Bergen die
+Ruhe. Zur Sicherung dieser ungeheuren Erwerbungen wurde wiederum eine
+Reihe von Kolonien angelegt: in Lucanien Paestum und Cosa (481 273), als
+Zwingburgen fuer Samnium Beneventum (486 268) und Aesernia (um 491 263),
+als Vorposten gegen die Gallier Ariminum (486 268), in Picenum Firmum
+(um 490 264) und die Buergerkolonie Castrum novum; die Fortfuehrung
+der grossen Suedchaussee, welche an der Festung Benevent eine neue
+Zwischenstation zwischen Capua und Venusia erhielt, bis zu den
+Haefen von Tarent und Brundisium und die Kolonisierung des letzteren
+Seeplatzes, den die roemische Politik zum Nebenbuhler und Nachfolger des
+tarentinischen Emporiums sich ausersehen hatte, wurden vorbereitet. Die
+neuen Festungs- und Strassenanlagen veranlassten noch einige Kriege mit
+den kleinen Voelkerschaften, deren Gebiet durch dieselben geschmaelert
+ward, den Picentern (485, 486 269, 268), von denen eine Anzahl in die
+Gegend von Salernum verpflanzt ward, den Sallentinern um Brundisium
+(487, 488 267, 266), den umbrischen Sassinaten (487, 488 267, 266),
+welche letzte nach der Austreibung der Senonen das Gebiet von Ariminum
+besetzt zu haben scheinen. Durch diese Anlagen ward die Herrschaft Roms
+ueber das unteritalische Binnenland und die ganze italische Ostkueste
+vom Ionischen Meer bis zur keltischen Grenze ausgedehnt. Bevor wir die
+politische Ordnung darstellen, nach der das also geeinigte Italien von
+Rom aus regiert ward, bleibt es noch uebrig, auf die Seeverhaeltnisse
+im vierten und fuenften Jahrhundert einen Blick zu werfen. Es waren in
+dieser Zeit wesentlich Syrakus und Karthago, die um die Herrschaft in
+den westlichen Gewaessern miteinander rangen; im ganzen ueberwog trotz
+der grossen Erfolge, welche Dionysios (348-389 406-365), Agathokles
+(437-465 317- 289) und Pyrrhos (476-478 278-276) voruebergehend zur See
+erlangten, doch hier Karthago und sank Syrakus mehr und mehr zu einer
+Seemacht zweiten Ranges herab. Mit Etruriens Bedeutung zur See war es
+voellig vorbei; die bisher etruskische Insel Korsika kam, wenn nicht
+gerade in den Besitz, doch unter die maritime Suprematie der Karthager.
+Tarent, das eine Zeitlang noch eine Rolle gespielt hatte, ward durch
+die roemische Okkupation gebrochen. Die tapferen Massalioten behaupteten
+sich wohl in ihren eigenen Gewaessern; aber in die Vorgaenge auf den
+italischen griffen sie nicht wesentlich ein. Die uebrigen Seestaedte
+kamen kaum noch ernstlich in Betracht. Rom selber entging dem gleichen
+Schicksal nicht; in seinen eigenen Gewaessern herrschten ebenfalls
+fremde Flotten. Wohl war es Seestadt von Haus aus und ist in der Zeit
+seiner Frische seinen alten Traditionen niemals so untreu geworden,
+dass es die Kriegsmarine gaenzlich vernachlaessigt haette, und nie so
+toericht gewesen, bloss Kontinentalmacht sein zu wollen. Latium
+lieferte zum Schiffbau die schoensten Staemme, welche die geruehmten
+unteritalischen bei weitem uebertrafen, und die fortdauernd in Rom
+unterhaltenen Docks beweisen allein schon, dass man dort nie darauf
+verzichtet hat, eine eigene Flotte zu besitzen. Indes waehrend der
+gefaehrlichen Krisen, welche die Vertreibung der Koenige, die inneren
+Erschuetterungen in der roemisch-latinischen Eidgenossenschaft und
+die ungluecklichen Kriege gegen die Etrusker und die Kelten ueber
+Rom brachten, konnten die Roemer sich um den Stand der Dinge auf
+dem Mittelmeer nur wenig bekuemmern, und bei der immer entschiedener
+hervortretenden Richtung der roemischen Politik auf Unterwerfung des
+italischen Kontinents verkuemmerte die Seemacht. Es ist bis zum Ende des
+vierten Jahrhunderts (ca. 350) kaum von latinischen Kriegsschiffen
+die Rede, ausser dass auf einem roemischen das Weihgeschenk aus der
+veientischen Beute nach Delphi gesandt ward (360 394). Die Antiaten
+freilich fuhren fort, ihren Handel mit bewaffneten Schiffen und also
+auch gelegentlich das Piratengewerbe zu betreiben und der "tyrrhenische
+Korsar" Postumius, den Timoleon um 415 (339) aufbrachte, koennte
+allerdings ein Antiate gewesen sein; aber unter den Seemaechten jener
+Zeit zaehlten sie schwerlich mit und waere es der Fall gewesen, so
+wuerde bei der Stellung Antiums zu Rom darin fuer Rom nichts weniger als
+ein Vorteil gelegen haben. Wie weit es um das Jahr 400 (ca. 350) mit dem
+Verfall der roemischen Seemacht gekommen war, zeigt die Auspluenderung
+der latinischen Kuesten durch eine griechische, vermutlich sizilische
+Kriegsflotte im Jahre 405 (349), waehrend zugleich keltische Haufen das
+latinische Land brandschatzend durchzogen. Das Jahr darauf (406 348),
+und ohne Zweifel unter dem unmittelbaren Eindruck dieser bedenklichen
+Ereignisse, schlossen die roemische Gemeinde und die Phoeniker von
+Karthago, beiderseits fuer sich und die abhaengigen Bundesgenossen,
+einen Handels- und Schiffahrtsvertrag, die aelteste roemische Urkunde,
+von der der Text, freilich nur in griechischer Uebersetzung, auf
+uns gekommen ist ^5. Die Roemer mussten darin sich verpflichten, die
+libysche Kueste westlich vom Schoenen Vorgebirge (Cap Bon), Notfaelle
+ausgenommen, nicht zu befahren; dagegen erhielten sie freien Verkehr
+gleich den einheimischen auf Sizilien, soweit dies karthagisch war, und
+in Afrika und Sardinien wenigstens das Recht, gegen den unter Zuziehung
+der karthagischen Beamten festgestellten und von der karthagischen
+Gemeinde garantierten Kaufpreis ihre Waren abzusetzen. Den Karthagern
+scheint wenigstens in Rom, vielleicht in ganz Latium freier Verkehr
+zugestanden zu sein, nur machten sie sich anheischig, die botmaessigen
+latinischen Gemeinden nicht zu vergewaltigen, auch, wenn sie als Feinde
+den latinischen Boden betreten wuerden, dort nicht Nachtquartier zu
+nehmen - also ihre Seeraeuberzuege nicht in das Binnenland auszudehnen
+- noch gar Festungen im latinischen Lande anzulegen. Wahrscheinlich in
+dieselbe Zeit gehoert auch der oben schon erwaehnte Vertrag zwischen
+Rom und Tarent, von dessen Entstehungszeit nur berichtet wird, dass
+er laengere Zeit vor 472 (282) abgeschlossen ward; durch denselben
+verpflichteten sich die Roemer, gegen welche Zusicherungen
+tarentinischerseits wird nicht gesagt, die Gewaesser oestlich vom
+Lakinischen Vorgebirge nicht zu befahren, wodurch sie also voellig
+vom oestlichen Becken des Mittelmeeres ausgeschlossen wurden.
+----------------------------------------- ^5 Die Nachweisung, dass die
+bei Polybios (3, 22) mitgeteilte Urkunde nicht dem Jahre 245 (509),
+sondern dem Jahre 406 (348) angehoert, ist in der Roemischen Chronologie
+bis auf Caesar. 2. Aufl. Berlin 1859, S. 320f., gegeben worden.
+----------------------------------------- Es waren dies Niederlagen so
+gut wie die an der Allia, und auch der roemische Senat scheint sie
+als solche empfunden und die guenstige Wendung, die die italischen
+Verhaeltnisse bald nach dem Abschluss der demuetigenden Vertraege mit
+Karthago und Tarent fuer Rom nahmen, mit aller Energie benutzt zu haben,
+um die gedrueckte maritime Stellung zu verbessern. Die wichtigsten
+Kuestenstaedte wurden mit roemischen Kolonien belegt: der Hafen von
+Caere, Pyrgi, dessen Kolonisierung wahrscheinlich in diese Zeit faellt;
+ferner an der Westkueste Antium im Jahre 415 (339); Tarracina im Jahre
+425 (329), die Insel Pontia 441 (313), womit, da Ardea und Circeii
+bereits frueher Kolonisten empfangen hatten, alle namhaften Seeplaetze
+im Gebiet der Rutuler und Volsker latinische oder Buergerkolonien
+geworden waren; weiter im Gebiet der Aurunker Minturnae und Sinuessa im
+Jahre 459 (295), im lucanischen Paestum und Cosa im Jahre 481 (273), und
+am adriatischen Litoral Sena gallica und Castrum novum um das Jahr
+471 (283), Ariminum im Jahre 486 (268), wozu noch die gleich nach der
+Beendigung des Pyrrhischen Krieges erfolgte Besetzung von Brundisium
+hinzukommt. In der groesseren Haelfte dieser Ortschaften, den Buerger-
+oder Seekolonien ^6, war die junge Mannschaft vom Dienst in den
+Legionen befreit und lediglich bestimmt, die Kuesten zu ueberwachen. Die
+gleichzeitige wohlueberlegte Bevorzugung der unteritalischen Griechen
+vor ihren sabellischen Nachbarn, namentlich der ansehnlichen Gemeinden
+Neapolis, Rhegion, Lokri, Thurii, Herakleia, und deren gleichartige
+und unter gleichartigen Bedingungen gewaehrte Befreiung vom Zuzug zum
+Landheer vollendete das um die Kuesten Italiens gezogene roemische Netz.
+----------------------------------------- ^6 Es waren dies Pyrgi, Ostia,
+Antium, Tarracina, Minturnae, Sinuessa, Sena gallica und Castrum
+novum. ---------------------------------------- Aber mit einer
+staatsmaennischen Sicherheit, von welcher die folgenden Generationen
+haetten lernen koennen, erkannten es die leitenden Maenner des
+roemischen Gemeinwesens, dass alle diese Kuestenbefestigungen und
+Kuestenbewachungen unzulaenglich bleiben mussten, wenn nicht die
+Kriegsmarine des Staats wieder auf einen achtunggebietenden Fuss
+gebracht ward. Einen gewissen Grund dazu legte schon nach der
+Unterwerfung von Antium (416 338) die Abfuehrung der brauchbaren
+Kriegsgaleeren in die roemischen Docks; die gleichzeitige Verfuegung
+indes, dass die Antiaten sich alles Seeverkehrs zu enthalten haetten ^7,
+charakterisiert mit schneidender Deutlichkeit, wie ohnmaechtig damals
+die Roemer noch zur See sich fuehlten und wie voellig ihre Seepolitik
+noch aufging in der Okkupierung der Kuestenplaetze. Als sodann die
+sueditalischen Griechenstaedte, zuerst 428 (326) Neapel, in die
+roemische Klientel eintraten, machten die Kriegsschiffe, welche jede
+dieser Staedte sich verpflichtete, den Roemern als bundesmaessige
+Kriegshilfe zu stellen, zu einer roemischen Flotte wenigstens wieder
+einen Anfang. Im Jahre 443 (311) wurden weiter infolge eines eigens
+deswegen gefassten Buergerschaftsschlusses zwei Flottenherren (duoviri
+navales) ernannt, und diese roemische Seemacht wirkte im Samnitischen
+Kriege mit bei der Belagerung von Nuceria. Vielleicht gehoert selbst die
+merkwuerdige Sendung einer roemischen Flotte von 25 Segeln zur Gruendung
+einer Kolonie auf Korsika, welcher Theophrastos in seiner um 446 (308)
+geschriebenen Pflanzengeschichte gedenkt, dieser Zeit an. Wie wenig aber
+mit allem dem unmittelbar erreicht war, zeigt der im Jahre 448 (306)
+erneuerte Vertrag mit Karthago. Waehrend die Italien und Sizilien
+betreffenden Bestimmungen des Vertrages von 406 (348) unveraendert
+blieben, wurde den Roemern ausser der Befahrung der oestlichen Gewaesser
+jetzt weiter die frueher gestattete des Atlantischen Meers, sowie der
+Handelsverkehr mit den Untertanen Karthagos in Sardinien und Afrika,
+endlich wahrscheinlich auch die Festsetzung auf Korsika ^8 untersagt,
+sodass nur das karthagische Sizilien und Karthago selbst ihrem
+Handel geoeffnet blieben. Man erkennt hier die mit der Ausdehnung der
+roemischen Kuestenherrschaft steigende Eifersucht der herrschenden
+Seemacht: sie zwang die Roemer, sich ihrem Prohibitivsystem zu fuegen,
+sich von den Produktionsplaetzen im Okzident und im Orient ausschliessen
+zu lassen - in diesen Zusammenhang gehoert noch die Erzaehlung von der
+oeffentlichen Belohnung des phoenikischen Schiffers, der ein in
+den Atlantischen Ozean ihm nachsteuerndes roemisches Fahrzeug mit
+Aufopferung seines eigenen auf eine Sandbank gefuehrt hatte - und ihre
+Schiffahrt auf den engen Raum des westlichen Mittelmeers vertragsmaessig
+zu beschraenken, um nur ihre Kueste nicht der Pluenderung preiszugeben
+und die alte und wichtige Handelsverbindung mit Sizilien zu sichern.
+Die Roemer mussten sich fuegen; aber sie liessen nicht ab von den
+Bemuehungen, ihr Seewesen aus seiner Ohnmacht zu reissen. Eine
+durchgreifende Massregel in diesem Sinne war die Einsetzung der vier
+Flottenquaestoren (quaestores classici) im Jahre 487 (267), von denen
+der erste in Ostia, dem Seehafen der Stadt Rom, seinen Sitz erhielt, der
+zweite von Cales, damals der Hauptstadt des roemischen Kampaniens, aus
+die kampanischen und grossgriechischen, der dritte von Ariminum aus
+die transapenninischen Haefen zu beaufsichtigen hatte; der Bezirk des
+vierten ist nicht bekannt. Diese neuen staendigen Beamten waren zwar
+nicht allein, aber doch mitbestimmt, die Kuesten zu ueberwachen und
+zum Schutze derselben eine Kriegsmarine zu bilden. Die Absicht des
+roemischen Senats, die Selbstaendigkeit zur See wiederzugewinnen und
+teils die maritimen Verbindungen Tarents abzuschneiden, teils den von
+Epeiros kommenden Flotten das Adriatische Meer zu sperren, teils sich
+von der karthagischen Suprematie zu emanzipieren, liegt deutlich zutage.
+Das schon eroerterte Verhaeltnis zu Karthago waehrend des letzten
+italischen Krieges weist davon die Spuren auf. Zwar zwang Koenig Pyrrhos
+die beiden grossen Staedte noch einmal - es war das letzte Mal - zum
+Abschluss einer Offensivallianz; allein die Lauigkeit und Treulosigkeit
+dieses Buendnisses, die Versuche der Karthager, sich in Rhegion und
+Tarent festzusetzen, die sofortige Besetzung Brundisiums durch die
+Roemer nach Beendigung des Krieges zeigen deutlich, wie sehr
+die beiderseitigen Interessen schon sich einander stiessen.
+------------------------------------- ^7 Diese Angabe ist ebenso
+bestimmt (Liv. 8,14: interdictum mari Antiati populo est) wie an sich
+glaubwuerdig; denn Antium war ja nicht bloss von Kolonisten, sondern
+auch noch von der ehemaligen, in der Feindschaft gegen Rom aufgenaehrten
+Buergerschaft bewohnt. Damit im Widerspruch stehen freilich die
+griechischen Berichte, dass Alexander der Grosse (+ 431 323) und
+Demetrios der Belagerer (+ 471 283) in Rom ueber antiatische Seeraeuber
+Beschwerde gefuehrt haben sollen. Der erste aber ist mit dem ueber die
+roemische Gesandtschaft nach Babylon gleichen Schlages und vielleicht
+gleicher Quelle. Demetrios dem Belagerer sieht es eher aehnlich, dass er
+die Piraterie im Tyrrhenischen Meer, das er nie mit Augen gesehen hat,
+durch Verordnung abschaffte, und undenkbar ist es gerade nicht, dass
+die Antiaten auch als roemische Buerger ihr altes Gewerbe noch trotz des
+Verbots unter der Hand eine Zeitlang fortgesetzt haben; viel wird indes
+auch auf die zweite Erzaehlung nicht zu geben sein. ^8 Nach Servius
+(Aen. 4, 628) war in den roemisch-karthagischen Vertraegen bestimmt,
+es solle kein Roemer karthagischen, kein Karthager roemischen Boden
+betreten (vielmehr besetzen), Korsika aber zwischen beiden neutral
+bleiben (ut neque Romani ad litora Carthaginiensium accederent neque
+Carthaginienses ad litora Romanorum - Corsica esset media inter
+Romanos et Carthaginienses). Das scheint hierher zu gehoeren und die
+Kolonisierung von Korsika eben durch diesen Vertrag verhindert worden zu
+sein. ---------------------------------------- Begreiflicherweise suchte
+Rom sich gegen Karthago auf die hellenischen Seestaaten zu stuetzen. Mit
+Massalia bestand das alte enge Freundschaftsverhaeltnis ununterbrochen
+fort. Das nach Veiis Eroberung von Rom nach Delphi gesandte Weihgeschenk
+ward daselbst in dem Schatzhaus der Massalioten aufbewahrt. Nach der
+Einnahme Roms durch die Kelten ward in Massalia fuer die Abgebrannten
+gesammelt, wobei die Stadtkasse voranging; zur Vergeltung gewaehrte
+dann der roemische Senat den massaliotischen Kaufleuten
+Handelsbeguenstigungen und raeumte bei der Feier der Spiele auf dem
+Markt neben der Senatorentribuene den Massalioten einen Ehrenplatz
+(graecostasis) ein. Eben dahin gehoeren die um das Jahr 448 (306)
+mit Rhodos und nicht lange nachher mit Apollonia, einer ansehnlichen
+Kaufstadt an der epeirotischen Kueste, von den Roemern abgeschlossenen
+Handels- und Freundschaftsvertraege und vor allem die fuer Karthago
+sehr bedenkliche Annaeherung, welche unmittelbar nach dem Ende des
+Pyrrhischen Krieges zwischen Rom und Syrakus stattfand. Wenn also die
+roemische Seemacht zwar mit der ungeheuren Entwicklung der Landmacht
+auch nicht entfernt Schritt hielt und namentlich die eigene Kriegsmarine
+der Roemer keineswegs war, was sie nach der geographischen und
+kommerziellen Lage des Staates haette sein muessen, so fing doch auch
+sie an, allmaehlich sich aus der voelligen Nichtigkeit, zu welcher sie
+um das Jahr 400 (354) herabgesunken war, wieder emporzuarbeiten; und
+bei den grossen Hilfsquellen Italiens mochten wohl die Phoeniker mit
+besorgten Blicken diese Bestrebungen verfolgen. Die Krise ueber die
+Herrschaft auf den italischen Gewaessern nahte heran; zu Lande war der
+Kampf entschieden. Zum erstenmal war Italien unter der Herrschaft
+der roemischen Gemeinde zu einem Staat vereinigt. Welche politische
+Befugnisse dabei die roemische Gemeinde den saemtlichen uebrigen
+italischen entzog und in ihren alleinigen Besitz nahm, das heisst,
+welcher staatsrechtliche Begriff mit dieser Herrschaft Roms zu verbinden
+ist, wird nirgends ausdruecklich gesagt, und es mangelt selbst, in
+bezeichnender und klug berechneter Weise, fuer diesen Begriff an einem
+allgemeingueltigen Ausdruck ^9. Nachweislich gehoerten dazu nur das
+Kriegs- und Vertrags- und das Muenzrecht, so dass keine italische
+Gemeinde einem auswaertigen Staat Krieg erklaeren oder mit ihm auch nur
+verhandeln und kein Courantgeld schlagen durfte, dagegen jede von
+der roemischen Gemeinde erlassene Kriegserklaerung und jeder von ihr
+abgeschlossene Staatsvertrag von Rechtswegen alle uebrigen italischen
+Gemeinden mit band und das roemische Silbergeld in ganz Italien
+gesetzlich gangbar ward; und es ist wahrscheinlich, dass die
+formulierten Befugnisse der fuehrenden Gemeinde sich nicht weiter
+erstreckten. Indes notwendig knuepften hieran tatsaechlich
+viel weitergehende Herrschaftsrechte sich an.
+------------------------------------------- ^9 Die Klausel, dass das
+abhaengige Volk sich verpflichtet, "die Hoheit des roemischen freundlich
+gelten zu lassen" (maiestatem populi Romani comiter conservare),
+ist allerdings die technische Bezeichnung dieser mildesten
+Untertaenigkeitsform, aber wahrscheinlich erst in bedeutend spaeterer
+Zeit aufgekommen (Cic. Balb. 16, 35). Auch die privatrechtliche
+Bezeichnung der Klientel, so treffend sie eben in ihrer Unbestimmtheit
+das Verhaeltnis bezeichnet (Dig. 49, 15, 7, 1), ist schwerlich
+in aelterer Zeit offiziell auf dasselbe angewendet worden.
+------------------------------------------- Im einzelnen war das
+Verhaeltnis, in welchem die Italiker zu der fuehrenden Gemeinde standen,
+ein hoechst ungleiches, und es sind in dieser Hinsicht, ausser der
+roemischen Vollbuergerschaft, drei verschiedene Klassen von Untertanen
+zu unterscheiden. jene selbst vor allem ward so weit ausgedehnt, als es
+irgend moeglich war, ohne den Begriff eines staedtischen Gemeinwesens
+fuer die roemische Kommune voellig aufzugeben. Das alte Buergergebiet
+war bis dahin hauptsaechlich durch Einzelassignation in der Weise
+erweitert worden, dass das suedliche Etrurien bis gegen Caere und
+Falerii, die den Hernikern entrissenen Strecken am Sacco und am Anio,
+der groesste Teil der sabinischen Landschaft und grosse Striche der
+ehemals volskischen, besonders die pomptinische Ebene in roemisches
+Bauernland umgewandelt und meistenteils fuer deren Bewohner neue
+Buergerbezirke eingerichtet waren. Dasselbe war sogar schon mit dem von
+Capua abgetretenen Falernerbezirke am Volturnus geschehen. Alle
+diese ausserhalb Rom domizilierten Buerger entbehrten eines eigenen
+Gemeinwesens und eigener Verwaltung; auf dem assignierten Gebiet
+entstanden hoechstens Marktflecken (fora et conciliabula). In nicht
+viel anderer Lage befanden sich die nach den oben erwaehnten sogenannten
+Seekolonien entsandten Buerger, denen gleichfalls das roemische
+Vollbuergerrecht verblieb und deren Selbstverwaltung wenig bedeutete.
+Gegen den Schluss dieser Periode scheint die roemische Gemeinde damit
+begonnen zu haben, den naechstliegenden Passivbuergergemeinden gleicher
+oder nah verwandter Nationalitaet das Vollbuergerrecht zu gewaehren;
+welches wahrscheinlich zuerst fuer Tusculum geschehen ist ^10, ebenso
+vermutlich auch fuer die uebrigen Passivbuergergemeinden im eigentlichen
+Latium, dann am Ausgang dieser Periode (486 268) auf die sabinischen
+Staedte erstreckt ward, die ohne Zweifel damals schon wesentlich
+latinisiert waren und in dem letzten schweren Krieg ihre Treue genuegend
+bewaehrt hatten. Diesen Staedten blieb die nach ihrer frueheren
+Rechtsstellung ihnen zukommende beschraenkte Selbstverwaltung auch nach
+ihrer Aufnahme in den roemischen Buergerverband; mehr aus ihnen als
+aus den Seekolonien haben sich die innerhalb der roemischen
+Vollbuergerschaft bestehenden Sondergemeinwesen und damit im Laufe der
+Zeit die roemische Munizipalordnung herausgebildet. Hiernach wird die
+roemische Vollbuergerschaft am Ende dieser Epoche sich noerdlich bis
+in die Naehe von Caere, oestlich bis an den Apennin, suedlich bis nach
+Tarracina erstreckt haben, obwohl freilich von einer eigentlichen
+Grenze hier nicht die Rede sein kann und teils eine Anzahl Bundesstaedte
+latinischen Rechts, wie Tibur, Praeneste, Signia, Norba, Circeii,
+sich innerhalb dieser Grenzen befanden, teils ausserhalb derselben die
+Bewohner von Minturnae, Sinuessa, des falernischen Gebiets, der Stadt
+Sena Gallica und anderer Ortschaften mehr, ebenfalls volles Buergerrecht
+besassen und roemische Bauernfamilien vereinzelt oder in Doerfern
+vereinigt vermutlich schon jetzt durch ganz Italien zerstreut sich
+fanden. ---------------------------------------------------- ^10 Dass
+Tusculum, wie es zuerst das Passivbuergerrecht erhielt, so auch zuerst
+dies mit dem Vollbuergerrecht vertauschte, ist an sich wahrscheinlich,
+und vermutlich wird in dieser, nicht in jener Beziehung die Stadt
+von Cicero (Mut. 8, 19) municipium antiquissimum genannt.
+----------------------------------------------------- Unter den
+untertaenigen Gemeinden stehen die Passivbuerger (cives sine suffragio),
+abgesehen von dem aktiven und passiven Wahlrecht, in Rechten und
+Pflichten den Vollbuergern gleich. Ihre Rechtsstellung ward durch die
+Beschluesse der roemischen Komitien und die fuer sie vom roemischen
+Praetor erlassenen Normen geregelt, wobei indes ohne Zweifel die
+bisherigen Ordnungen wesentlich zugrunde gelegt wurden. Recht sprach
+fuer sie der roemische Praetor oder dessen jaehrlich in die einzelnen
+Gemeinden entsandte "Stellvertreter" (praefecti). Den besser gestellten
+von ihnen, wie zum Beispiel der Stadt Capua, blieb die Selbstverwaltung
+und damit der Fortgebrauch der Landessprache und die eigenen Beamten,
+welche die Aushebung und die Schatzung besorgten. Den Gemeinden
+schlechteren Rechts, wie zum Beispiel Caere, wurde auch die eigene
+Verwaltung genommen, und es war dies ohne Zweifel die drueckendste unter
+den verschiedenen Formen der Untertaenigkeit. Indes zeigt sich, wie
+oben bemerkt ward, am Ende dieser Periode bereits das Bestreben,
+diese Gemeinden, wenigstens soweit sie faktisch latinisiert waren,
+der Vollbuergerschaft einzuverleiben. Die bevorzugteste und wichtigste
+Klasse unter den untertaenigen Gemeinden war die der latinischen
+Staedte, welche an den von Rom inner- und selbst schon ausserhalb
+Italien gegruendeten autonomen Gemeinden, den sogenannten latinischen
+Kolonien ebenso zahlreichen als ansehnlichen Zuwachs erhielt und
+stetig durch neue Gruendungen dieser Art sich vermehrte. Diese neuen
+Stadtgemeinden roemischen Ursprungs, aber latinischen Rechts wurden
+immer mehr die eigentlichen Stuetzen der roemischen Herrschaft ueber
+Italien. Es waren dies nicht mehr diejenigen Latiner, mit denen am
+Regiller See und bei Trifanum gestritten worden war - nicht jene alten
+Glieder des albischen Bundes, welche der Gemeinde Rom von Haus aus sich
+gleich, wo nicht besser achteten und welche, wie die gegen Praeneste
+zu Anfang des Pyrrhischen Krieges verfuegten furchtbar strengen
+Sicherheitsmassregeln und die nachweislich lange noch fortzuckenden
+Reibungen namentlich mit den Praenestinern beweisen, die roemische
+Herrschaft als schweres Joch empfanden. Dies alte Latium war wesentlich
+entweder unter oder in Rom aufgegangen und zaehlte nur noch wenige und
+mit Ausnahme von Praeneste und Tibur durchgaengig unbedeutende politisch
+selbstaendige Gemeinden. Das Latium der spaeteren republikanischen Zeit
+bestand vielmehr fast ausschliesslich aus Gemeinden, die von Anbeginn
+an in Rom ihre Haupt- und Mutterstadt verehrt hatten, die inmitten
+fremdsprachiger und anders gearteter Landschaften durch Sprach-, Rechts-
+und Sittengemeinschaft an Rom geknuepft waren, die als kleine Tyrannen
+der umliegenden Distrikte ihrer eigenen Existenz wegen wohl an Rom
+halten mussten wie die Vorposten an der Hauptarmee, die endlich, infolge
+der steigenden materiellen Vorteile des roemischen Buergertums, aus
+ihrer wenngleich beschraenkten Rechtsgleichheit mit den Roemern immer
+noch einen sehr ansehnlichen Gewinn zogen, wie ihnen denn zum Beispiel
+ein Teil der roemischen Domaene zur Sondernutzung ueberwiesen zu werden
+pflegte und die Beteiligung an den Verpachtungen und Verdingungen des
+Staats ihnen wie dem roemischen Buerger offenstand. Voellig
+blieben allerdings auch hier die Konsequenzen der ihnen gewaehrten
+Selbstaendigkeit nicht aus. Venusinische Inschriften aus der Zeit
+der roemischen Republik und kuerzlich zum Vorschein gekommene
+beneventanische ^11 lehren, dass Venusia so gut wie Rom seine Plebs
+und seine Volkstribune gehabt und dass die Oberbeamten von Benevent
+wenigstens um die Zeit des Hannibalischen Krieges den Konsultitel
+gefuehrt haben. Beide Gemeinden gehoeren zu den juengsten unter den
+latinischen Kolonien aelteren Rechts; man sieht, welche Ansprueche um
+die Mitte des fuenften Jahrhunderts in denselben sich regten. Auch diese
+sogenannten Latiner, hervorgegangen aus der roemischen Buergerschaft
+und in jeder Beziehung sich ihr gleich fuehlend, fingen schon an,
+ihr untergeordnetes Bundesrecht unwillig zu empfinden und nach voller
+Gleichberechtigung zu streben. Deswegen war denn der Senat bemueht,
+diese latinischen Gemeinden, wie wichtig sie immer fuer Rom waren, doch
+nach Moeglichkeit in ihren Rechten und Privilegien herabzudruecken und
+ihre bundesgenoessische Stellung in die der Untertaenigkeit insoweit
+umzuwandeln, als dies geschehen konnte, ohne zwischen ihnen und den
+nichtlatinischen Gemeinden Italiens die Scheidewand wegzuziehen. Die
+Aufhebung des Bundes der latinischen Gemeinden selbst sowie ihrer
+ehemaligen vollstaendigen Gleichberechtigung und der Verlust der
+wichtigsten denselben zustaendigen politischen Rechte ist schon
+dargestellt worden; mit der vollendeten Unterwerfung Italiens geschah
+ein weiterer Schritt und wurde der Anfang dazu gemacht, auch die bisher
+nicht angetasteten individuellen Rechte des einzelnen latinischen
+Mannes, vor allem die wichtige Freizuegigkeit, zu beschraenken. Fuer die
+im Jahre 486 (268) gegruendete Gemeinde Ariminum und ebenso fuer alle
+spaeter konstituierten autonomen Gemeinden wurde die Bevorzugung vor den
+uebrigen Untertanen beschraenkt auf die privatrechtliche Gleichstellung
+ihrer und der roemischen Gemeindebuerger im Handel und Wandel sowie
+im Erbrecht ^12. Vermutlich um dieselbe Zeit ward die den bisher
+gegruendeten latinischen Gemeinden gewidmete volle Freizuegigkeit, die
+Befugnis eines jeden ihrer Buerger, durch Uebersiedelung nach Rom das
+volle Buergerrecht daselbst zu gewinnen, fuer die spaeter eingerichteten
+latinischen Pflanzstaedte beschraenkt auf diejenigen Personen, welche
+in ihrer Heimat zu dem hoechsten Gemeindeamt gelangt waren; nur diesen
+blieb es gestattet, ihr koloniales Buergerrecht mit dem roemischen zu
+vertauschen. Es erscheint hier deutlich die vollstaendige Umaenderung
+der Stellung Roms. Solange Rom noch, wenn auch die erste, doch nur eine
+der vielen italischen Stadtgemeinden war, wurde der Eintritt selbst in
+das unbeschraenkte roemische Buergerrecht durchgaengig als ein Gewinn
+fuer die aufnehmende Gemeinde betrachtet und die Gewinnung dieses
+Buergerrechts den Nichtbuergern auf alle Weise erleichtert, ja oft
+als Strafe ihnen auferlegt. Seit aber die roemische Gemeinde allein
+herrschte und die uebrigen alle ihr dienten, kehrte das Verhaeltnis sich
+um: die roemische Gemeinde fing an, ihr Buergerrecht eifersuechtig zu
+bewahren, und machte darum der alten vollen Freizuegigkeit ein Ende;
+obwohl die Staatsmaenner dieser Zeit doch einsichtig genug waren,
+wenigstens den Spitzen und Kapazitaeten der hoechstgestellten
+Untertanengemeinden den Eintritt in das roemische Buergerrecht
+gesetzlich offenzuhalten. Auch die Latiner also hatten es zu empfinden,
+dass Rom, nachdem es hauptsaechlich durch sie sich Italien
+unterworfen hatte, jetzt ihrer nicht mehr so wie bisher bedurfte.
+-------------------------------------- ^11 V Cervio A. f. cosol
+dedicavit und lunonei Quiritei sacra. C. Falcilius L. f. consol
+dedicavit. ^12 Nach Ciceros Zeugnis (Caecin. 35) gab Sulla den
+Volaterranern das ehemalige Recht von Ariminum, das heisst, setzt
+der Redner hinzu, das Recht der "zwoelf Kolonien", welche nicht die
+roemische Civitaet, aber volles Commercium mit den Roemern hatten. Ueber
+wenige Dinge ist soviel verhandelt worden wie ueber die Beziehung dieses
+Zwoelfstaedterechts; und doch liegt dieselbe nicht fern. Es sind in
+Italien und im Cisalpinischen Gallien, abgesehen von einigen frueh
+wieder verschwundenen, im ganzen vierunddreissig latinische Kolonien
+gegruendet worden; die zwoelf juengsten derselben - Ariminum,
+Beneventum, Firmum, Aesernia, Brundisium, Spoletium, Cremona, Placentia,
+Copia, Valentia, Bononia, Aquileia - sind hier gemeint, und da Ariminum
+von ihnen die aelteste und diejenige ist, fuer welche diese neue Ordnung
+zunaechst festgesetzt ward - vielleicht zum Teil deswegen mit, weil dies
+die erste ausserhalb Italien gegruendete roemische Kolonie war -, so
+heisst das Stadtrecht dieser Kolonien richtig das ariminensische. Damit
+ist zugleich erwiesen, was schon aus anderen Gruenden die hoechste
+Wahrscheinlichkeit fuer sich hatte, dass alle nach Aquileias
+Gruendung in Italien (im weiteren Sinn) gestifteten Kolonien zu den
+Buergerkolonien gehoerten. Den Umfang der Rechtsschmaelerung der
+juengeren latinischen Staedte im Gegensatz zu den aelteren vermoegen wir
+uebrigens nicht voellig zu bestimmen. Wenn die Ehegemeinschaft, wie es
+nicht unwahrscheinlich, aber freilich nichts weniger als ausgemacht ist
+(oben 1, 116; Diod. p. 590, 62. Frg. Vat. p. 130 Dind.), ein Bestandteil
+der urspruenglichen bundesgenoessischen Rechtsgleichheit war, so ist
+sie jedenfalls den juengeren nicht mehr zugestanden worden.
+------------------------------------------------- Das
+Verhaeltnis endlich der nichtlatinischen Bundesgemeinden unterlag
+selbstverstaendlich den mannigfachsten Normen, wie eben der einzelne
+Bundesvertrag sie festgesetzt hatte. Manche dieser ewigen Buendnisse,
+wie zum Beispiel die der hernikischen Gemeinden, gingen ueber in
+voellige Gleichstellung mit den latinischen. Andere, bei denen dies
+nicht der Fall war, wie die von Neapel, Nola, Herakleia, gewaehrten
+verhaeltnismaessig sehr umfassende Rechte; wieder andere, wie zum
+Beispiel die tarentinischen und die samnitischen Vertraege, moegen sich
+der Zwingherrschaft genaehert haben. Als allgemeine Regel kann wohl
+angenommen werden, dass nicht bloss die latinische und hernikische,
+von denen es ueberliefert ist, sondern saemtliche italische
+Voelkergenossenschaften, namentlich auch die samnitische und die
+lucanische, rechtlich aufgeloest oder doch zur Bedeutungslosigkeit
+abgeschwaecht wurden und durchschnittlich keiner italischen Gemeinde
+mit anderen italischen die Verkehrs- oder Ehegemeinschaft oder gar das
+gemeinsame Beratschlagungs- und Beschlussfassungsrecht zustand. Ferner
+wird, wenn auch in verschiedener Weise, dafuer gesorgt worden sein,
+dass die Wehr- und Steuerkraft der saemtlichen italischen Gemeinden
+der fuehrenden zur Disposition stand. Wenngleich auch ferner noch die
+Buergermiliz einer- und die Kontingente "latinischen Namens" anderseits
+als die wesentlichen und integrierenden Bestandteile des roemischen
+Heeres angesehen wurden und ihm somit sein nationaler Charakter
+im ganzen bewahrt blieb, so wurden doch nicht bloss die roemischen
+Passivbuerger zu demselben mit herangezogen, sondern ohne Zweifel auch
+die nichtlatinischen foederierten Gemeinden entweder, wie dies mit den
+griechischen geschah, zur Stellung von Kriegsschiffen verpflichtet,
+oder, wie dies fuer die apulischen, sabellischen und etruskischen auf
+einmal oder allmaehlich verordnet worden sein muss, in das Verzeichnis
+der zuzugpflichtigen Italiker (formula togatorum) eingetragen.
+Durchgaengig scheint dieser Zuzug eben wie der der latinischen Gemeinden
+fest normiert worden zu sein, ohne dass doch die fuehrende Gemeinde
+erforderlichenfalls verhindert gewesen waere, mehr zu fordern. Es
+lag hierin zugleich eine indirekte Besteuerung, indem jede Gemeinde
+verpflichtet war, ihr Kontingent selbst auszuruesten und zu besolden.
+Nicht ohne Absicht wurden darum vorzugsweise die kostspieligsten
+Kriegsleistungen auf die latinischen oder nichtlatinischen foederierten
+Gemeinden gewaelzt, die Kriegsmarine zum groessten Teil durch die
+griechischen Staedte instand gehalten und bei dem Rossdienst die
+Bundesgenossen, spaeterhin wenigstens, in dreifach staerkerem
+Verhaeltnis als die roemische Buergerschaft angezogen, waehrend
+im Fussvolk der alte Satz, dass das Bundesgenossenkontingent nicht
+zahlreicher sein duerfte als das Buergerheer, noch lange Zeit wenigstens
+als Regel in Kraft blieb. Das System, nach welchem dieser Bau im
+einzelnen zusammengefuegt und zusammengehalten ward, laesst aus den
+wenigen auf uns gekommenen Nachrichten sich nicht mehr feststellen.
+Selbst das Zahlenverhaeltnis, in welchem die drei Klassen der
+Untertanenschaft zueinander und zu der Vollbuergerschaft standen,
+ist nicht mehr auch nur annaehernd zu ermitteln ^13 und ebenso die
+geographische Verteilung der einzelnen Kategorien ueber Italien nur
+unvollkommen bekannt. Die bei diesem Bau zugrunde liegenden leitenden
+Gedanken liegen dagegen so offen vor, dass es kaum noetig ist, sie noch
+besonders zu entwickeln. Vor allem ward, wie gesagt, der unmittelbare
+Kreis der herrschenden Gemeinde teils durch Ansiedelung der Vollbuerger,
+teils durch Verleihung des Passivbuergerrechts soweit ausgedehnt, wie
+es irgend moeglich war, ohne die roemische Gemeinde, die doch eine
+staedtische war und bleiben sollte, vollstaendig zu dezentralisieren.
+Als das Inkorporationssystem bis an und vielleicht schon ueber seine
+natuerlichen Grenzen ausgedehnt war, mussten die weiter hinzutretenden
+Gemeinden sich in ein Untertaenigkeitsverhaeltnis fuegen; denn die reine
+Hegemonie als dauerndes Verhaeltnis ist innerlich unmoeglich. So stellte
+sich, nicht durch willkuerliche Monopolisierung der Herrschaft, sondern
+durch das unvermeidliche Schwergewicht der Verhaeltnisse neben die
+Klasse der herrschenden Buerger die zweite der Untertanen. Unter den
+Mitteln der Herrschaft standen in erster Linie natuerlich die Teilung
+der Beherrschten durch Sprengung der italischen Eidgenossenschaften und
+Einrichtung einer moeglichst grossen Zahl verhaeltnismaessig geringer
+Gemeinden, sowie die Abstufung des Druckes der Herrschaft nach den
+verschiedenen Kategorien der Untertanen. Wie Cato in seinem Hausregiment
+dahin sah, dass die Sklaven sich miteinander nicht allzu gut vertragen
+moechten, und absichtlich Zwistigkeiten und Parteiungen unter ihnen
+naehrte, so hielt es die roemische Gemeinde im grossen; das Mittel war
+nicht schoen, aber wirksam. Nur eine weitere Anwendung desselben Mittels
+war es, wenn in jeder abhaengigen Gemeinde die Verfassung nach dem
+Muster der roemischen umgewandelt und ein Regiment der wohlhabenden und
+angesehenen Familien eingesetzt ward, welches mit der Menge in einer
+natuerlichen mehr oder minder lebhaften Opposition stand und durch seine
+materiellen und kommunalregimentlichen Interessen darauf angewiesen
+war, auf Rom sich zu stuetzen. Das merkwuerdigste Beispiel in dieser
+Beziehung gewaehrt die Behandlung von Capua, welches als die einzige
+italische Stadt, die vielleicht mit Rom zu rivalisieren vermochte, von
+Haus aus mit argwoehnischer Vorsicht behandelt worden zu sein scheint.
+Man verlieh dem kampanischen Adel einen privilegierten Gerichtsstand,
+gesonderte Versammlungsplaetze, ueberhaupt in jeder Hinsicht eine
+Sonderstellung, ja man wies ihm sogar nicht unbetraechtliche Pensionen -
+sechzehnhundert je von jaehrlich 450 Stateren (etwa 200 Taler) - auf die
+kampanische Gemeindekasse an. Diese kampanischen Ritter waren es, deren
+Nichtbeteiligung an dem grossen latinisch-kampanischen Aufstand 414
+(340) zu dessen Scheitern wesentlich beitrug und deren tapfere Schwerter
+im Jahre 459 (295) bei Sentinum fuer die Roemer entschieden; wogegen das
+kampanische Fussvolk in Rhegion die erste Truppe war, die im Pyrrhischen
+Kriege von Rom abfiel. Einen anderen merkwuerdigen Beleg fuer die
+roemische Praxis: die staendischen Zwistigkeiten innerhalb der
+abhaengigen Gemeinden durch Beguenstigung der Aristokratie fuer das
+roemische Interesse auszubeuten, gibt die Behandlung, die Volsinii im
+Jahre 489 (265) widerfuhr. Es muessen dort, aehnlich wie in Rom, die
+Alt- und Neubuerger sich gegenuebergestanden und die letzteren auf
+gesetzlichem Wege die politische Gleichberechtigung erlangt haben.
+Infolge dessen wandten die Altbuerger von Volsinii sich an den
+roemischen Senat mit dem Gesuch um Wiederherstellung der alten
+Verfassung; was die in der Stadt herrschende Partei begreiflicherweise
+als Landesverrat betrachtete und die Bittsteller dafuer zur gesetzlichen
+Strafe zog. Der roemische Senat indes nahm Partei fuer die Altbuerger
+und liess, da die Stadt sich nicht gutwillig fuegte, durch militaerische
+Exekution nicht bloss die in anerkannter Wirksamkeit bestehende
+Gemeindeverfassung von Volsinii vernichten, sondern auch durch die
+Schleifung der alten Hauptstadt Etruriens das Herrentum Roms den
+Italikern in einem Exempel von erschreckender Deutlichkeit vor Augen
+legen. ------------------------------------------------- ^13 Es ist
+zu bedauern, dass wir ueber die Zahlenverhaeltnisse nicht genuegende
+Auskunft zu geben imstande sind. Man kann die Zahl der waffenfaehigen
+roemischen Buerger fuer die spaetere Koenigszeit auf etwa 20000
+veranschlagen. Nun ist aber von Albas Fall bis auf die Eroberung von
+Veii die unmittelbare roemische Mark nicht wesentlich erweitert worden;
+womit es vollkommen uebereinstimmt, dass von der ersten Einrichtung der
+einundzwanzigste Bezirk um das Jahr 259 (495) an, worin keine oder doch
+keine bedeutende Erweiterung der roemischen Grenze lag, bis auf das Jahr
+367 (387) neue Buergerbezirke nicht errichtet wurden. Mag man nun auch
+die Zunahme durch den Ueberschuss der Geborenen ueber die Gestorbenen,
+durch Einwanderungen und Freilassungen noch so reichlich in Anschlag
+bringen, so ist es doch schlechterdings unmoeglich, mit den engen
+Grenzen eines Gebiets von schwerlich 30 Quadratmeilen die ueberlieferten
+Zensuszahlen in Uebereinstimmung zu bringen, nach denen die Zahl der
+waffenfaehigen roemischen Buerger in der zweiten Haelfte des dritten
+Jahrhunderts zwischen 104000 und 150000 schwankt, und im Jahre 362
+(392), wofuer eine vereinzelte Angabe vorliegt, 152573 betrug. Vielmehr
+werden diese Zahlen mit den 84700 Buergern des Servianischen Zensus auf
+einer Linie stehen und ueberhaupt die ganze bis auf die vier Lustren des
+Servius Tullius hinaufgefuehrte und mit reichlichen Zahlen ausgestattete
+aeltere Zensusliste nichts sein als eine jener scheinbar urkundlichen
+Traditionen, die eben in ganz detaillierten Zahlenangaben sich gefallen
+und sich verraten. Erst mit der zweiten Haelfte des vierten Jahrhunderts
+beginnen die grossen Gebietserwerbungen, wodurch die Buergerrolle
+ploetzlich und betraechtlich steigen musste. Es ist glaubwuerdig
+ueberliefert, wie an sich glaublich, dass um 416 (338) man 165000
+roemische Buerger zaehlte, wozu es recht gut stimmt, dass zehn Jahre
+vorher, als man gegen Latium und Gallien die ganze Miliz unter die
+Waffen rief, das erste Aufgebot zehn Legionen, also 50000 Mann betrug.
+Seit den grossen Gebietserweiterungen in Etrurien, Latium und Kampanien
+zaehlte man im fuenften Jahrhundert durchschnittlich 250000, unmittelbar
+vor dem ersten Punischen Kriege 280000 bis 290000 waffenfaehige
+Buerger. Diese Zahlen sind sicher genug, allein aus einem anderen
+Grunde geschichtlich nicht vollstaendig brauchbar: dabei naemlich
+sind wahrscheinlich die roemischen Vollbuerger und die nicht, wie die
+Kampaner, in eigenen Legionen dienenden "Buerger ohne Stimme", wie zum
+Beispiel die Caeriten, ineinander gerechnet, waehrend doch die letzteren
+faktisch durchaus den Untertanen beigezaehlt werden muessen
+(Roemische Forschungen, Bd. 2, S. 396).
+---------------------------------------------------- Aber der roemische
+Senat war weise genug, nicht zu uebersehen, dass das einzige Mittel, der
+Gewaltherrschaft Dauer zu geben, die eigene Maessigung der Gewalthaber
+ist. Darum ward den abhaengigen Gemeinden die Autonomie gelassen oder
+verliehen, die einen Schatten von Selbstaendigkeit, einen eigenen Anteil
+an Roms militaerischen und politischen Erfolgen und vor allem eine
+freie Kommunalverfassung in sich schloss - so weit die italische
+Eidgenossenschaft reichte, gab es keine Helotengemeinde. Darum
+verzichtete Rom von vornherein mit einer in der Geschichte vielleicht
+beispiellosen Klarheit und Hochherzigkeit auf das gefaehrlichste aller
+Regierungsrechte, auf das Recht, die Untertanen zu besteuern. Hoechstens
+den abhaengigen keltischen Gauen moegen Tribute auferlegt worden
+sein; soweit die italische Eidgenossenschaft reichte, gab es keine
+zinspflichtige Gemeinde. Darum endlich ward die Wehrpflicht zwar wohl
+auf die Untertanen mit, aber doch keineswegs von der herrschenden
+Buergerschaft abgewaelzt; vielmehr wurde wahrscheinlich die letztere
+nach Verhaeltnis bei weitem staerker als die Bundesgenossenschaft und
+in dieser wahrscheinlich wiederum die Gesamtheit der Latiner bei weitem
+staerker in Anspruch genommen als die nichtlatinischen Bundesgemeinden;
+so dass es eine gewisse Billigkeit fuer sich hatte, wenn auch von dem
+Kriegsgewinn zunaechst Rom und nach ihm die Latinerschaft den besten
+Teil fuer sich nahmen. Der schwierigen Aufgabe, ueber die Masse der
+italischen zuzugpflichtigen Gemeinden den Ueberblick und die Kontrolle
+sich zu bewahren, genuegte die roemische Zentralverwaltung teils
+durch die vier italischen Quaesturen, teils durch die Ausdehnung
+der roemischen Zensur ueber die saemtlichen abhaengigen Staedte. Die
+Flottenquaestoren hatten neben ihrer naechsten Aufgabe auch von den
+neugewonnenen Domaenen die Einkuenfte zu erheben und die Zuzuege der
+neuen Bundesgenossen zu kontrollieren; sie waren die ersten roemischen
+Beamten, denen gesetzlich Sitz und Sprengel ausserhalb Rom angewiesen
+ward und bildeten zwischen dem roemischen Senat und den italischen
+Gemeinden die notwendige Mittelinstanz. Es hatte ferner, wie die
+spaetere Munizipalverfassung zeigt, in jeder italischen ^14 Gemeinde die
+Oberbehoerde, wie sie immer heissen mochte, jedes vierte oder fuenfte
+Jahr eine Schatzung vorzunehmen; eine Einrichtung, zu der die Anregung
+notwendig von Rom ausgegangen sein muss und welche nur den Zweck gehabt
+haben kann, mit der roemischen Zensur korrespondierend dem Senat den
+Ueberblick ueber die Wehr- und Steuerfaehigkeit des gesamten Italiens
+zu bewahren. ------------------------------------------------- ^14
+Nicht bloss in jeder latinischen: denn die Zensur oder die sogenannte
+Quinquennalitaet kommt bekanntlich auch bei solchen Gemeinden vor,
+deren Verfassung nicht nach dem latinischen Schema konstituiert
+ist. ------------------------------------------------- Mit dieser
+militaerisch-administrativen Einigung der gesamten diesseits des
+Apennin bis hinab zum Iapygischen Vorgebirg und zur Meerenge von Rhegion
+wohnhaften Voelkerschaften haengt endlich auch das Aufkommen eines
+neuen, ihnen allen gemeinsamen Namens zusammen, der "Maenner der Toga",
+was die aelteste staatsrechtliche roemische, oder der Italiker, was
+die urspruenglich bei den Griechen gebraeuchliche und sodann allgemein
+gangbar gewordene Bezeichnung ist. Die verschiedenen Nationen, welche
+diese Landschaften bewohnten, moegen wohl zuerst sich als eine Einheit
+gefuehlt und zusammengefunden haben teils in dem Gegensatz gegen die
+Hellenen, teils und vor allem in der gemeinschaftlichen Abwehr der
+Kelten; denn mochte auch einmal eine italische Gemeinde mit diesen gegen
+Rom gemeinschaftliche Sache machen und die Gelegenheit nutzen, um die
+Unabhaengigkeit wiederzugewinnen, so brach doch auf die Laenge das
+gesunde Nationalgefuehl notwendig sich Bahn. Wie der "gallische
+Acker" bis in spaete Zeit als der rechtliche Gegensatz des italischen
+erscheint, so sind auch die "Maenner der Toga" also genannt worden
+im Gegensatz zu den keltischen "Hosenmaennern" (bracati); und
+wahrscheinlich hat selbst bei der Zentralisierung des italischen
+Wehrwesens in den Haenden Roms die Abwehr der keltischen Einfaelle
+sowohl als Ursache wie als Vorwand eine wichtige Rolle gespielt. Indem
+die Roemer teils in dem grossen Nationalkampf an die Spitze traten,
+teils die Etrusker, Latiner, Sabeller, Apuler und Hellenen innerhalb der
+sogleich zu bezeichnenden Grenzen gleichmaessig noetigten, unter ihren
+Fahnen zu fechten, erhielt die bis dahin schwankende und mehr innerliche
+Einheit geschlossene und staatsrechtliche Festigkeit und ging der Name
+Italia, der urspruenglich und noch bei den griechischen Schriftstellern
+des fuenften Jahrhunderts, zum Beispiel bei Aristoteles, nur dem
+heutigen Kalabrien eignet, ueber auf das gesamte Land der
+Togatraeger. Die aeltesten Grenzen dieser grossen von Rom gefuehrten
+Wehrgenossenschaft oder des neuen Italien reichen am westlichen Litoral
+bis in die Gegend von Livorno unterhalb des Arnus ^15, am oestlichen bis
+an den Aesis oberhalb Ancona; die ausserhalb dieser Grenzen liegenden,
+von Italikern kolonisierten Ortschaften, wie Sena gallica und Ariminum
+jenseits des Apennin, Messana in Sizilien, galten, selbst wenn sie, wie
+Ariminum, Glieder der Eidgenossenschaft oder sogar, wie Sena, roemische
+Buergergemeinden waren, doch als geographisch ausserhalb Italien
+gelegen. Noch weniger konnten die keltischen Gaue des Apennin,
+wenngleich vielleicht schon jetzt einzelne derselben in der Klientel von
+Rom sich befanden, den Togamaennern beigezaehlt werden. Das neue Italien
+war also eine politische Einheit geworden; es war aber auch im Zuge,
+eine nationale zu werden. Bereits hatte die herrschende latinische
+Nationalitaet die Sabiner und Volsker sich assimiliert und einzelne
+latinische Gemeinden ueber ganz Italien verstreut; es war nur die
+Entwicklung dieser Keime, dass spaeter einem jeden zur Tragung des
+latinischen Rockes Befugten auch die latinische Sprache Muttersprache
+war. Dass aber die Roemer schon jetzt dieses Ziel deutlich erkannten,
+zeigt die uebliche Erstreckung des latinischen Namens auf die ganze
+zuzugpflichtige italische Bundesgenossenschaft ^16. Was immer von diesem
+grossartigen politischen Bau sich noch erkennen laesst, daraus spricht
+der hohe politische Verstand seiner namenlosen Baumeister; und
+die ungemeine Festigkeit, welche diese aus so vielen und so
+verschiedenartigen Bestandteilen zusammengefuegte Konfoederation
+spaeterhin unter den schwersten Stoessen bewaehrt hat, drueckte ihrem
+grossen Werke das Siegel des Erfolges auf. Seitdem die Faeden dieses so
+fein wie fest um ganz Italien geschlungenen Netzes in den Haenden der
+roemischen Gemeinde zusammenliefen, war diese eine Grossmacht und trat
+anstatt Tarents, Lucaniens und anderer durch die letzten Kriege aus der
+Reihe der politischen Maechte geloeschter Mittel- und Kleinstaaten in
+das System der Staaten des Mittelmeers ein. Gleichsam die offizielle
+Anerkennung seiner neuen Stellung empfing Rom durch die beiden
+feierlichen Gesandtschaften, die im Jahre 481 (273) von Alexandreia
+nach Rom und wieder von Rom nach Alexandreia gingen, und wenn sie auch
+zunaechst nur die Handelsverbindungen regelten, doch ohne Zweifel
+schon eine politische Verbuendung vorbereiteten. Wie Karthago mit der
+aegyptischen Regierung um Kyrene rang und bald mit der roemischen
+um Sizilien ringen sollte, so stritt Makedonien mit jener um den
+bestimmenden Einfluss in Griechenland, mit dieser demnaechst um die
+Herrschaft der adriatischen Kuesten; es konnte nicht fehlen, dass die
+neuen Kaempfe, die allerorts sich vorbereiteten, ineinander eingriffen
+und dass Rom als Herrin Italiens in den weiten Kreis hineingezogen ward,
+den des grossen Alexanders Siege und Entwuerfe seinen Nachfolgern
+zum Tummelplatz abgesteckt hatten.
+------------------------------------------------- ^15 Diese aelteste
+Grenze bezeichnen wahrscheinlich die beiden kleinen Ortschaften ad
+fines, wovon die eine noerdlich von Arezzo auf der Strasse nach Florenz,
+die zweite an der Kueste unweit Livorno lag. Etwas weiter suedlich von
+dem letzteren heisst Bach und Tal von Vada noch jetzt fiume della fine,
+valle della fine (Targioni Tozzetti, Viaggi. Bd. 4, S. 430). ^16 Im
+genauen geschaeftlichen Sprachgebrauch geschieht dies freilich nicht.
+Die vollstaendigste Bezeichnung der Italiker findet sich in dem
+Ackergesetz von 643 (111), Zeile 21: [ceivis] Romanus sociumve nominisve
+Latini quibus ex formula togatorum [milites in terra Italia imperare
+solent]; ebenso wird daselbst Zeile 29 vom Latinus der peregrinus
+unterschieden und heisst es im Senatsbeschluss ueber die Bacchanalien
+von 568 (186): ne quis ceivis Romanus neve nominis Latini neve socium
+quisquam. Aber im gewoehnlichen Gebrauch wird von diesen drei Gliedern
+sehr haeufig das zweite oder das dritte weggelassen und neben den
+Roemern bald nur derer Latini nominis, bald nur der socii gedacht
+(W. Weissenborn zu Liv. 22, 50, 6), ohne dass ein Unterschied in der
+Bedeutung waere. Die Bezeichnung homines nominis Latini ac socii
+Italici (Sall. Iug. 40), so korrekt sie an sich ist, ist dem offiziellen
+Sprachgebrauch fremd, der wohl ein Italia, aber nicht Italici kennt.
+----------------------------------------------- 8. Kapitel Recht,
+Religion, Kriegswesen, Volkswirtschaft, Nationalitaet In der
+Entwicklung, welche waehrend dieser Epoche dem Recht innerhalb der
+roemischen Gemeinde zuteil ward, ist wohl die wichtigste materielle
+Neuerung die eigentuemliche Sittenkontrolle, welche die Gemeinde selbst
+und in untergeordnetem Grade ihre Beauftragten anfingen, ueber die
+einzelnen Buerger auszuueben. Der Keim dazu ist in dem Rechte des
+Beamten zu suchen, wegen Ordnungswidrigkeiten Vermoegensbussen (multae)
+zu erkennen. Bei allen Bussen von mehr als zwei Schafen und 30 Rindern,
+oder, nachdem durch Gemeindebeschluss vom Jahre 324 (430) die Viehbussen
+in Geld umgesetzt worden waren, von mehr als 3020 Libralassen (218
+Taler), kam bald nach der Vertreibung der Koenige die Entscheidung
+im Wege der Provokation an die Gemeinde, und es erhielt damit das
+Bruchverfahren ein urspruenglich ihm durchaus fremdes Gewicht. Unter den
+vagen Begriff der Ordnungswidrigkeit liess sich alles, was man wollte,
+bringen und durch die hoeheren Stufen der Vermoegensbussen alles, was
+man wollte, erreichen; es war eine Milderung, die die Bedenklichkeit
+dieses arbitraeren Verfahrens weit mehr offenbart als beseitigt, dass
+diese Vermoegensbussen, wo sie nicht gesetzlich auf eine bestimmte Summe
+festgestellt waren, die Haelfte des dem Gebuessten gehoerigen
+Vermoegens nicht erreichen durften. In diesen Kreis gehoeren schon die
+Polizeigesetze, an denen die roemische Gemeinde seit aeltester Zeit
+ueberreich war: die Bestimmungen der Zwoelf Tafeln, welche die Salbung
+der Leiche durch gedungene Leute, die Mitgabe von mehr als einem Pfuhl
+und mehr als drei purpurbesetzten Decken sowie von Gold und flatternden
+Kraenzen, die Verwendung von bearbeitetem Holz zum Scheiterhaufen, die
+Raeucherungen und Besprengungen desselben mit Weihrauch und Myrrhenwein
+untersagten, die Zahl der Floetenblaeser im Leichenzug auf hoechstens
+zehn beschraenkten und die Klageweiber und die Begraebnisgelage verboten
+- gewissermassen das aelteste roemische Luxusgesetz; ferner die aus
+den staendischen Kaempfen hervorgegangenen Gesetze gegen den Geldwucher
+sowohl wie gegen Obernutzung der Gemeinweide und unverhaeltnismaessige
+Aneignung von okkupablem Domanialland. Weit bedenklicher aber als diese
+und aehnliche Bruchgesetze, welche doch wenigstens die Kontravention und
+oft auch das Strafmass ein fuer allemal formulierten, war die allgemeine
+Befugnis eines jeden mit Jurisdiktion versehenen Beamten wegen
+Ordnungswidrigkeit eine Busse zu erkennen und, wenn diese das
+Provokationsmass erreichte und der Gebuesste sich nicht in die Strafe
+fuegte, die Sache an die Gemeinde zu bringen. Schon im Laufe des
+fuenften Jahrhunderts ist in diesem Wege wegen sittenlosen Lebenswandels
+sowohl von Maennern wie von Frauen, wegen Kornwucher, Zauberei und
+aehnlicher Dinge gleichsam kriminell verfahren worden. In innerlicher
+Verwandtschaft hiermit steht die gleichfalls in dieser Zeit aufkommende
+Quasijurisdiktion der Zensoren, welche ihre Befugnis, das roemische
+Budget und die Buergerlisten festzustellen, benutzten, teils um von sich
+aus Luxussteuern aufzulegen, welche von den Luxusstrafen nur der Form
+nach sich unterschieden, teils besonders um auf die Anzeige anstoessiger
+Handlungen hin dem tadelhaften Buerger die politischen Ehrenrechte zu
+schmaelern oder zu entziehen. Wie weit schon jetzt diese Bevormundung
+ging, zeigt, dass solche Strafen wegen nachlaessiger Bestellung des
+eigenen Ackers verhaengt wurden, ja dass ein Mann wie Publius Cornelius
+Rufmus (Konsul 464, 477 290, 277) von den Zensoren des Jahres 479
+(275) aus dem Ratsherrenverzeichnis gestrichen ward, weil er silbernes
+Tafelgeraet zum Werte von 3360 Sesterzen (240 Taler) besass. Allerdings
+hatten nach der allgemein fuer Beamtenverordnungen gueltigen Regel die
+Verfuegungen der Zensoren nur fuer die Dauer ihrer Zensur, das heisst
+durchgaengig fuer die naechsten fuenf Jahre rechtliche Kraft, und
+konnten von den naechsten Zensoren nach Gefallen erneuert oder nicht
+erneuert werden; aber nichtsdestoweniger war diese zensorische Befugnis
+von einer so ungeheuren Bedeutung, dass infolge dessen die Zensur aus
+einem Unteramt an Rang und Ansehen von allen roemischen Gemeindeaemtern
+das erste ward. Das Senatsregiment ruhte wesentlich auf dieser
+doppelten, mit ebenso ausgedehnter wie arbitraerer Machtvollkommenheit
+versehenen Ober- und Unterpolizei der Gemeinde und der Gemeindebeamten.
+Dieselbe hat wie jedes aehnliche Willkuerregiment viel genuetzt und viel
+geschadet, und es soll dem nicht widersprochen werden, der den Schaden
+fuer ueberwiegend haelt; nur darf es nicht vergessen werden, dass bei
+der allerdings aeusserlichen, aber straffen und energischen Sittlichkeit
+und dem gewaltig angefachten Buergersinn, welche diese Zeit recht
+eigentlich bezeichnen, der eigentlich gemeine Missbrauch doch von
+diesen Institutionen fern blieb und, wenn die individuelle Freiheit
+hauptsaechlich durch sie niedergehalten worden ist, auch die gewaltige
+und oft gewaltsame Aufrechthaltung des Gemeinsinns und der guten
+alten Ordnung und Sitte in der roemischen Gemeinde eben auf diesen
+Institutionen beruhen. Daneben macht in der roemischen Rechtsentwicklung
+zwar langsam, aber dennoch deutlich genug eine humanisierende und
+modernisierende Tendenz sich geltend. Die meisten Bestimmungen der
+Zwoelf Tafeln, welche mit dem Solonischen Gesetz uebereinkommen und
+deshalb mit Grund fuer materielle Neuerungen gehalten werden duerfen,
+tragen diesen Stempel; so die Sicherung des freien Assoziationsrechts
+und der Autonomie der also entstandenen Vereine; die Vorschrift ueber
+die Grenzstreifen, die dem Abpfluegen wehrte; die Milderung der Strafe
+des Diebstahls, indem der nicht auf frischer Tat ertappte Dieb sich
+fortan durch Leistung des doppelten Ersatzes von dem Bestohlenen loesen
+konnte. Das Schuldrecht ward in aehnlichem Sinn, jedoch erst ueber ein
+Jahrhundert nachher, durch das Poetelische Gesetz gemildert. Die freie
+Bestimmung ueber das Vermoegen, die dem Herrn desselben bei Lebzeiten
+schon nach aeltestem roemischen Recht zugestanden hatte, aber fuer den
+Todesfall bisher geknuepft gewesen war an die Einwilligung der Gemeinde,
+wurde auch von dieser Schranke befreit, indem das Zwoelftafelgesetz
+oder dessen Interpretation dem Privattestament dieselbe Kraft beilegte,
+welche dem von den Kurien bestaetigten zukam; es war dies ein wichtiger
+Schritt zur Sprengung der Geschlechtsgenossenschaften und zur voelligen
+Durchfuehrung der Individualfreiheit im Vermoegensrecht. Die furchtbar
+absolute vaeterliche Gewalt wurde beschraenkt durch die Vorschrift,
+dass der dreimal vom Vater verkaufte Sohn nicht mehr in dessen Gewalt
+zurueckfallen, sondern fortan frei sein solle; woran bald durch eine -
+streng genommen freilich widersinnige - Rechtsdeduktion die Moeglichkeit
+angeknuepft ward, dass sich der Vater freiwillig der Herrschaft ueber
+den Sohn begebe durch Emanzipation. Im Eherecht wurde die Zivilehe
+gestattet; und wenn auch mit der rechten buergerlichen ebenso notwendig
+wie mit der rechten religioesen die volle eheherrliche Gewalt verknuepft
+war, so lag doch in der Zulassung der ohne solche Gewalt geschlossenen
+Verbindung an Ehestatt der erste Anfang zur Lockerung der Vollgewalt des
+Eheherrn. Der Anfang einer gesetzlichen Noetigung zum ehelichen Leben
+ist die Hagestolzensteuer (aes uxorium), mit deren Einfuehrung Camillus
+als Zensor im Jahre 351 (403) seine oeffentliche Laufbahn begann.
+Durchgreifendere Aenderungen als das Recht selbst erlitt die politisch
+wichtigere und ueberhaupt veraenderlichere Rechtspflegeordnung.
+Vor allen Dingen gehoert dahin die wichtige Beschraenkung der
+oberrichterlichen Gewalt durch die gesetzliche Aufzeichnung des
+Landrechts und die Verpflichtung des Beamten, fortan nicht mehr nach
+dem schwankenden Herkommen, sondern nach dem geschriebenen Buchstaben im
+Zivil- wie im Kriminalverfahren zu entscheiden (303, 304 451, 450).
+Die Einsetzung eines ausschliesslich fuer die Rechtspflege taetigen
+roemischen Oberbeamten im Jahre 387 (367) und die gleichzeitig in
+Rom erfolgte und unter Roms Einfluss in allen latinischen Gemeinden
+nachgeahmte Gruendung einer besonderen Polizeibehoerde erhoehten die
+Schnelligkeit und Sicherheit der Justiz. Diesen Polizeiherren oder den
+Aedilen kam natuerlich zugleich eine gewisse Jurisdiktion zu, insofern
+sie teils fuer die auf offenem Markt abgeschlossenen Verkaeufe,
+also namentlich fuer die Vieh- und Sklavenmaerkte die ordentlichen
+Zivilrichter waren, teils in der Regel sie es waren, welche in dem Buss-
+und Bruechverfahren als Richter erster Instanz oder, was nach roemischem
+Recht dasselbe ist, als oeffentliche Anklaeger fungierten. Infolgedessen
+lag die Handhabung der Bruechgesetze und ueberhaupt das ebenso
+unbestimmte wie politisch wichtige Bruechrecht hauptsaechlich in ihrer
+Hand. Aehnliche, aber untergeordnetere und besonders gegen die geringen
+Leute gerichtete Funktionen standen den zuerst 465 (289) ernannten
+drei Nacht- oder Blutherren (tres viri nocturni oder capitales) zu: sie
+wurden mit der naechtlichen Feuer- und Sicherheitspolizei und mit der
+Aufsicht ueber die Hinrichtungen beauftragt, woran sich sehr bald,
+vielleicht schon von Haus aus eine gewisse summarische Gerichtsbarkeit
+geknuepft hat ^1. Mit der steigenden Ausdehnung der roemischen Gemeinde
+wurde es endlich, teils mit Ruecksicht auf die Gerichtspflichtigen,
+notwendig in den entfernteren Ortschaften eigene, wenigstens fuer die
+geringeren Zivilsachen kompetente Richter niederzusetzen, was fuer
+die Passivbuergergemeinden Regel war, aber vielleicht selbst auf
+die entfernteren Vollbuergergemeinden erstreckt ward ^2 - die ersten
+Anfaenge einer neben der eigentlich roemischen sich
+entwickelnden roemisch-munizipalen Jurisdiktion.
+------------------------------------------------- ^1 Die frueher
+aufgestellte Behauptung, dass diese Dreiherren bereits der aeltesten
+Zeit angehoeren, ist deswegen irrig, weil der aeltesten Staatsordnung
+Beamtenkollegien von ungerader Zahl fremd sind (Roemische Chronologie
+bis auf Caesar. z. Aufl. Berlin 1859, S. 15, A. 12). Wahrscheinlich ist
+die gut beglaubigte Nachricht, dass sie zuerst 465 (289) ernannt wurden
+(Liv. ep. 11), einfach festzuhalten und die auch sonst bedenkliche
+Deduktion des Faelschers Licinius Macer (bei Liv. 7, 46), welche ihrer
+vor 450 (304) Erwaehnung tut, einfach zu verwerfen. Anfaenglich wurden
+ohne Zweifel, wie dies bei den meisten der spaeteren magistratus minores
+der Fall gewesen ist, die Dreiherren von den Oberbeamten ernannt; das
+papirische Plebiszit, das die Ernennung derselben auf die Gemeinde
+uebertrug (Festus v. sacramentum p. 344 M.), ist auf jeden Fall, da es
+den Praetor nennt, qui inter civis ius dicit, erst nach Einsetzung der
+Fremdenpraetur, also fruehestens gegen die Mitte des 6. Jahrhunderts
+erlassen. ^2 Dahin fuehrt, was Liv. 9, 20 ueber die Reorganisation der
+Kolonie Antium zwanzig Jahre nach ihrer Gruendung berichtet; und es ist
+an sich klar, dass wenn man dem Ostienser recht wohl auferlegen konnte,
+seine Rechtshaendel alle in Rom abzumachen, dies fuer Ortschaften
+wie Antium und Sena sich nicht durchfuehren liess.
+------------------------------------------------ In dem Zivilverfahren,
+welches indes nach den Begriffen dieser Zeit die meisten gegen
+Mitbuerger begangenen Verbrechen einschloss, wurde die wohl schon
+frueher uebliche Teilung des Verfahrens in Feststellung der Rechtsfrage
+vor dem Magistrat (ius) und Entscheidung derselben durch einen vom
+Magistrat ernannten Privatmann (iudicium) mit Abschaffung des
+Koenigtums gesetzliche Vorschrift; und dieser Trennung hat das roemische
+Privatrecht seine logische und praktische Schaerfe und Bestimmtheit
+wesentlich zu verdanken ^3. Im Eigentumsprozess wurde die bisher der
+unbedingten Willkuer der Beamten anheimgegebene Entscheidung ueber den
+Besitzstand allmaehlich rechtlichen Regeln unterworfen und neben
+dem Eigentums- das Besitzrecht entwickelt, wodurch abermals die
+Magistratsgewalt einen wichtigen Teil ihrer Macht einbuesste. Im
+Kriminalverfahren wurde das Volksgericht, die bisherige Gnaden- zur
+rechtlich gesicherten Appellationsinstanz. War der Angeklagte nach
+Verhoerung (quaestio) von dem Beamten verurteilt und berief sich auf die
+Buergerschaft, so schritt der Magistrat vor dieser zu dem Weiterverhoer
+(anquisitio), und wenn er nach dreimaliger Verhandlung vor der Gemeinde
+seinen Spruch wiederholt hatte, wurde im vierten Termin das Urteil
+von der Buergerschaft bestaetigt oder verworfen. Milderung war nicht
+gestattet. Denselben republikanischen Sinn atmen die Saetze, dass das
+Haus den Buerger schuetze und nur ausserhalb des Hauses eine Verhaftung
+stattfinden koenne; dass die Untersuchungshaft zu vermeiden und es jedem
+angeklagten und noch nicht verurteilten Buerger zu gestatten sei, durch
+Verzicht auf sein Buergerrecht den Folgen der Verurteilung, soweit sie
+nicht das Vermoegen, sondern die Person betrafen, sich zu entziehen -
+Saetze, die allerdings keineswegs gesetzlich formuliert wurden und den
+anklagenden Beamten also nicht rechtlich banden, aber doch durch ihren
+moralischen Druck namentlich fuer die Beschraenkung der Todesstrafe
+von dem groessten Einfluss gewesen sind. Indes wenn das roemische
+Kriminalrecht fuer den starken Buergersinn wie fuer die steigende
+Humanitaet dieser Epoche ein merkwuerdiges Zeugnis ablegt, so litt
+es dagegen praktisch namentlich unter den hier besonders schaedlich
+nachwirkenden staendischen Kaempfen. Die aus diesen hervorgegangene
+konkurrierende Kriminaljurisdiktion erster Instanz der saemtlichen
+Gemeindebeamten war die Ursache, dass es in dem roemischen
+Kriminalverfahren eine feste Instruktionsbehoerde und eine ernsthafte
+Voruntersuchung fortan nicht mehr gab; und indem das Kriminalurteil
+letzter Instanz in den Formen und von den Organen der Gesetzgebung
+gefunden ward, auch seinen Ursprung aus dem Gnadenverfahren niemals
+verleugnete, ueberdies noch die Behandlung der polizeilichen Bussen
+auf das aeusserlich sehr aehnliche Kriminalverfahren nachteilig
+zurueckwirkte, wurde nicht etwa missbraeuchlich, sondern gewissermassen
+verfassungsmaessig die Entscheidung in den Kriminalsachen nicht nach
+festem Gesetz, sondern nach dem willkuerlichen Belieben der Richter
+gefaellt. Auf diesem Wege ward das roemische Kriminalverfahren
+vollstaendig grundsatzlos und zum Spielball und Werkzeug der politischen
+Parteien herabgewuerdigt; was um so weniger entschuldigt werden kann,
+als dies Verfahren zwar vorzugsweise fuer eigentliche politische
+Verbrechen, aber doch auch fuer andere, zum Beispiel fuer Mord und
+Brandstiftung zur Anwendung kam. Dazu kam die Schwerfaelligkeit jenes
+Verfahrens, welche im Verein mit der republikanisch hochmuetigen
+Verachtung des Nichtbuergers es verschuldet hat, dass man sich
+immer mehr gewoehnte, ein summarisches Kriminal- oder vielmehr
+Polizeiverfahren gegen Sklaven und geringe Leute neben jenem foermlichen
+zu dulden. Auch hier ueberschritt der leidenschaftliche Streit um die
+politischen Prozesse die natuerlichen Grenzen und fuehrte Institutionen
+herbei, die wesentlich dazu beigetragen haben, die Roemer allmaehlich
+der Idee einer festen sittlichen Rechtsordnung zu entwoehnen.
+---------------------------------------------- ^3 Man pflegt die
+Roemer als das zur Jurisprudenz privilegierte Volk zu preisen und ihr
+vortreffliches Recht als eine mystische Gabe des Himmels anzustaunen;
+vermutlich besonders, um sich die Scham zu ersparen ueber die
+Nichtswuerdigkeit des eigenen Rechtszustandes. Ein Blick auf das
+beispiellos schwankende und unentwickelte roemische Kriminalrecht
+koennte von der Unhaltbarkeit dieser unklaren Vorstellungen auch
+diejenigen ueberzeugen, denen der Satz zu einfach scheinen moechte, dass
+ein gesundes Volk ein gesundes Recht hat und ein krankes ein krankes.
+Abgesehen von allgemeineren staatlichen Verhaeltnissen, von welchen die
+Jurisprudenz eben auch und sie vor allem abhaengt, liegen die Ursachen
+der Trefflichkeit des roemischen Zivilrechts hauptsaechlich in zwei
+Dingen: einmal darin, dass der Klaeger und der Beklagte gezwungen
+wurden, vor allen Dingen die Forderung und ebenso die Einwendung in
+bindender Weise zu motivieren und zu formulieren; zweitens darin, dass
+man fuer die gesetzliche Fortbildung des Rechtes ein staendiges Organ
+bestellte und dies an die Praxis unmittelbar anknuepfte. Mit jenem
+schnitten die Roemer die advokatische Rabulisterei, mit diesem die
+unfaehige Gesetzmacherei ab, soweit sich dergleichen abschneiden laesst,
+und mit beiden zusammen genuegten sie, soweit es moeglich ist, den zwei
+entgegenstehenden Forderungen, dass das Recht stets fest und dass
+es stets zeitgemaess sein soll.
+---------------------------------------------- Weniger sind wir
+imstande, die Weiterbildung der roemischen Religionsvorstellungen in
+dieser Epoche zu verfolgen. Im allgemeinen hielt man einfach fest an
+der einfachen Froemmigkeit der Ahnen und den Aber- wie den Unglauben
+in gleicher Weise fern. Wie lebendig die Idee der Vergeistigung alles
+Irdischen, auf der die roemische Religion beruhte, noch am Ende dieser
+Epoche war, beweist der vermutlich doch erst infolge der Einfuehrung
+des Silbercourants im Jahre 485 (269) neu entstandene Gott "Silberich"
+(Argentinus), der natuerlicherweise des aelteren Gottes "Kupferich"
+(Aesculanus) Sohn war. Die Beziehungen zum Ausland sind dieselben wie
+frueher; aber auch hier und hier vor allem ist der hellenische Einfluss
+im Steigen. Erst jetzt beginnen den hellenischen Goettern in Rom selber
+sich Tempel zu erheben. Der aelteste war der Tempel der Kastoren,
+welcher in der Schlacht am Regillischen See gelobt und am 15. Juli 269
+(485) eingeweiht sein soll. Die Sage, welche an denselben sich knuepft,
+dass zwei uebermenschlich schoene und grosse Juenglinge auf dem
+Schlachtfelde in den Reihen der Roemer mitkaempfend und unmittelbar nach
+der Schlacht ihre schweisstriefenden Rosse auf dem roemischen Markt am
+Quell der Juturna traenkend und den grossen Sieg verkuendend gesehen
+worden seien, traegt ein durchaus unroemisches Gepraege und ist ohne
+allen Zweifel der bis in die Einzelheiten gleichartigen Epiphanie der
+Dioskuren in der beruehmten, etwa ein Jahrhundert vorher zwischen den
+Krotoniaten und den Lokrern am Flusse Sagras geschlagenen Schlacht in
+sehr frueher Zeit nachgedichtet. Auch der delphische Apoll wird nicht
+bloss beschickt, wie es ueblich ist, bei allen unter dem Einfluss
+griechischer Kultur stehenden Voelkern, und nicht bloss nach besonderen
+Erfolgen, wie nach der Eroberung von Veii, mit dem Zehnten der Beute
+(360 394) beschenkt, sondern es wird auch ihm ein Tempelinder Stadt
+gebaut (323 431, erneuert 401 353). Dasselbe geschah gegen das Ende
+dieser Periode fuer die Aphrodite (459 295), welche in raetselhafter
+Weise mit der alten roemischen Gartengoettin Venus zusammenfloss ^4, und
+fuer den von Epidauros im Peloponnes erbetenen und feierlich nach
+Rom gefuehrten Asklapios oder Aesculapius (463 291). Einzeln wird
+in schweren Zeitlaeuften Klage vernommen ueber das Eindringen
+auslaendischen Aberglaubens, vermutlich etruskischer Haruspizes (so 326
+428); wo aber dann die Polizei nicht ermangelt, ein billiges Einsehen zu
+tun. --------------------------------------------- ^4 In der spaeteren
+Bedeutung als Aphrodite erscheint die Venus wohl zuerst bei der
+Dedikation des in diesem Jahre geweihten Tempels (Liv. 10, 31; W. A.
+Becker, Topographie der Stadt Rom [Becker, Handbuch, 1]. Leipzig 1843,
+S. 472). --------------------------------------------- In Etrurien
+dagegen wird, waehrend die Nation in politischer Nichtigkeit und traeger
+Opulenz stockte und verdarb, das theologische Monopol des Adels,
+der stumpfsinnige Fatalismus, die wueste und sinnlose Mystik, die
+Zeichendeuterei und das Bettelprophetenwesen sich allmaehlich zu jener
+Hoehe entwickelt haben, auf der wir sie spaeter dort finden. In dem
+Priesterwesen traten unseres Wissens durchgreifende Veraenderungen nicht
+ein. Die verschaerfte Einziehung, welche fuer die zur Bestreitung der
+Kosten des oeffentlichen Gottesdienstes angewiesenen Prozessbussen um
+das Jahr 465 (289) verfuegt wurde, deutet auf das Steigen des sakralen
+Staatsbudgets, wie es die vermehrte Zahl der Staatsgoetter und Tempel
+mit Notwendigkeit mit sich brachte. Unter den ueblen Folgen des
+Staendehaders ist es schon angefuehrt worden, dass man den Kollegien der
+Sachverstaendigen einen unstatthaften Einfluss einzuraeumen begann und
+sich ihrer bediente, um politische Akte zu kassieren, wodurch teils der
+Glaube im Volke erschuettert, teils den Pfaffen ein sehr schaedlicher
+Einfluss auf die oeffentlichen Geschaefte zugestanden ward. Im
+Kriegswesen trat in dieser Epoche eine vollstaendige Revolution ein. Die
+uralte graecoitalische Heerordnung, welche gleich der homerischen auf
+der Aussonderung der angesehensten und tuechtigsten, in der Regel zu
+Pferde fechtenden Kriegsleute zu einem eigenen Vordertreffen beruht
+haben mag, war in der spaeteren Koenigszeit durch die legio, die
+altdorische Hoplitenphalanx von wahrscheinlich acht Gliedern Tiefe
+ersetzt worden, welche fortan das Schwergewicht des Kampfes uebernahm,
+waehrend die Reiter auf die Fluegel gestellt und, je nach den Umstaenden
+zu Pferde oder abgesessen, hauptsaechlich als Reserve verwandt wurden.
+Aus dieser Herstellung entwickelte sich ungefaehr gleichzeitig in
+Makedonien die Sarissenphalanx und in Italien die Manipularordnung,
+jene durch Verdichtung und Vertiefung, diese durch Aufloesung und
+Vermannigfaltigung der Glieder, zunaechst durch die Teilung der alten
+legio von 8400 in zwei legiones von je 4200 Mann. Die alte dorische
+Phalanx hatte durchaus auf dem Nahgefecht mit dem Schwert und vor
+allem dem Spiess beruht und den Wurfwaffen nur eine beilaeufige und
+untergeordnete Stellung im Treffen eingeraeumt. In der Manipularlegion
+wurde die Stosslanze auf das dritte Treffen beschraenkt und den beiden
+ersten anstatt derselben eine neue und eigentuemlich italische Wurfwaffe
+gegeben, das Pilum, ein fuenftehalb Ellen langes viereckiges oder
+rundes Holz mit drei- oder vierkantiger eiserner Spitze, das vielleicht
+urspruenglich zur Verteidigung der Lagerwaelle erfunden worden war,
+aber bald von dem letzten auf die ersten Glieder ueberging und von dem
+vorrueckenden Gliede auf eine Entfernung von zehn bis zwanzig Schritten
+in die feindlichen Reihen geworfen ward. Zugleich gewann das Schwert
+eine bei weitem groessere Bedeutung als das kurze Messer der Phalangiten
+hatte haben koennen; denn die Wurfspeersalve war zunaechst nur bestimmt,
+dem Angriff mit dem Schwert die Bahn zu brechen. Wenn ferner die
+Phalanx, gleichsam eine einzige gewaltige Lanze, auf einmal auf den
+Feind geworfen werden musste, so wurden in der neuen italischen Legion
+die kleineren, im Phalangensystem wohl auch vorhandenen, aber in der
+Schlachtordnung unaufloeslich fest verknuepften Einheiten taktisch
+voneinander gesondert. Das geschlossene Quadrat teilte sich nicht bloss,
+wie gesagt, in zwei gleich starke Haelften, sondern jede von diesen
+trat weiter in der Tiefrichtung auseinander in drei Treffen, das der
+Hastaten, das der Principes und das der Triarier, von ermaessigter,
+wahrscheinlich in der Regel nur vier Glieder betragender Tiefe und
+loeste in der Frontrichtung sich auf in je zehn Haufen (manipuli),
+so dass zwischen je zwei Treffen und je zwei Haufen ein merklicher
+Zwischenraum blieb. Es war nur eine Fortsetzung derselben
+Individualisierung, wenn der Gesamtkampf auch der verkleinerten
+taktischen Einheit zurueck- und der Einzelkampf in den Vordergrund trat,
+wie dies aus der schon erwaehnten entscheidenden Rolle des Handgemenges
+und Schwertgefechtes deutlich hervorgeht. Eigentuemlich entwickelte sich
+auch das System der Lagerverschanzung; der Platz, wo der Heerhaufe wenn
+auch nur fuer eine einzige Nacht sein Lager nahm, ward ohne Ausnahme mit
+einer regelmaessigen Umwallung versehen und gleichsam in eine Festung
+umgeschaffen. Wenig aenderte sich dagegen in der Reiterei, die auch in
+der Manipularlegion die sekundaere Rolle behielt, welche sie neben
+der Phalanx eingenommen hatte. Auch das Offiziersystem blieb in der
+Hauptsache ungeaendert; nur wurden jetzt jeder der zwei Legionen des
+regelmaessigen Heeres ebenso viele Kriegstribune vorgesetzt, wie
+sie bisher das gesamte Heer befehligt hatten, also die Zahl der
+Stabsoffiziere verdoppelt. Es duerfte auch in dieser Zeit sich die
+scharfe Grenze festgestellt haben zwischen den Subalternoffizieren,
+welche sich ihren Platz an der Spitze der Manipel als Gemeine mit dem
+Schwerte zu gewinnen hatten und in regelmaessigem Avancement von den
+niederen in die hoeheren Manipel uebergingen, und den je sechs und sechs
+den ganzen Legionen vorgesetzten Kriegstribunen, fuer welche es kein
+regelmaessiges Avancement gab und zu denen man gewoehnlich Maenner
+aus der besseren Klasse nahm. Namentlich muss es dafuer von Bedeutung
+geworden sein, dass, waehrend frueher die Subaltern- wie die
+Stabsoffiziere gleichmaessig vom Feldherrn ernannt wurden, seit dem
+Jahre 392 (362) ein Teil der letzteren Posten durch Buergerschaftswahl
+vergeben ward. Endlich blieb auch die alte, furchtbar strenge
+Kriegszucht unveraendert. Nach wie vor war es dem Feldherrn gestattet,
+jedem in seinem Lager dienenden Mann den Kopf vor die Fuesse zu legen
+und den Stabsoffizier so gut wie den gemeinen Soldaten mit Ruten
+auszuhauen; auch wurden dergleichen Strafen nicht bloss wegen gemeiner
+Verbrechen erkannt, sondern ebenso, wenn sich ein Offizier gestattet
+hatte, von dem erteilten Befehle abzuweichen, oder wenn eine Abteilung
+sich hatte ueberrumpeln lassen oder vom Schlachtfeld gewichen war.
+Dagegen bedingt die neue Heerordnung eine weit ernstere und laengere
+militaerische Schule als die bisherige phalangitische, worin das
+Schwergewicht der Masse auch die Ungeuebten zusammenhielt. Wenn dennoch
+kein eigener Soldatenstand sich entwickelte, sondern das Heer nach wie
+vor Buergerheer blieb, so ward dies hauptsaechlich dadurch erreicht,
+dass man die bisherige Gliederung der Soldaten nach dem Vermoegen aufgab
+und sie nach dem Dienstalter ordnete. Der roemische Rekrut trat jetzt
+ein unter die leichtbewaffneten, ausserhalb der Linie besonders mit
+Steinschleudern fechtenden "Sprenkler" (rorarii) und avancierte aus
+diesem allmaehlich in das erste und weiter in das zweite Treffen,
+bis endlich die langgedienten und erfahrenen Soldaten in dem an
+Zahl schwaechsten, aber in dem ganzen Heer Ton und Geist angebenden
+Triarierkorps sich zusammenfanden. Die Vortrefflichkeit dieser
+Kriegsordnung, welche die naechste Ursache der ueberlegenen politischen
+Stellung der roemischen Gemeinde geworden ist, beruht wesentlich auf den
+drei grossen militaerischen Prinzipien der Reserve, der Verbindung des
+Nah- und Ferngefechts und der Verbindung von Offensive und Defensive.
+Das Reservesystem war schon in der aelteren Verwendung der Reiterei
+angedeutet, hier aber durch die Gliederung des Heeres in drei Treffen
+und die Aufsparung der Veteranenkernschar fuer den letzten und
+entscheidenden Stoss vollstaendig entwickelt. Wenn die hellenische
+Phalanx den Nahkampf, die orientalischen mit Bogen und leichten
+Wurfspeeren bewaffneten Reitergeschwader den Fernkampf einseitig
+ausgebildet hatten, so wurde durch die roemische Verbindung des schweren
+Wurfspiesses mit dem Schwerte, wie mit Recht gesagt worden ist, ein
+aehnlicher Erfolg erreicht wie in der modernen Kriegfuehrung durch die
+Einfuehrung der Bajonettflinte; es arbeitete die Wurfspeersalve dem
+Schwertkampf genau in derselben Weise vor wie jetzt die Gewehrsalve
+dem Angriff mit dem Bajonett. Endlich das ausgebildete Lagersystem
+gestattete es den Roemern, die Vorteile des Belagerungs- und des
+Offensivkrieges miteinander zu verbinden und die Schlacht je nach
+Umstaenden zu verweigern oder zu liefern, und im letzteren Fall sie
+unter den Lagerwaellen gleichwie unter den Mauern einer Festung zu
+schlagen - der Roemer, sagt ein roemisches Sprichwort, siegt durch
+Stillsitzen. Dass diese neue Kriegsordnung im wesentlichen eine
+roemische oder wenigstens italische Um- und Fortbildung der alten
+hellenischen Phalangentaktik ist, leuchtet ein; wenn gewisse
+Anfaenge des Reservesystems und der Individualisierung der kleineren
+Heerabteilungen schon bei den spaeteren griechischen Strategen,
+namentlich bei Xenophon begegnen, so folgt daraus nur, dass man die
+Mangelhaftigkeit des alten Systems auch hier empfunden, aber doch nicht
+vermocht hat, sie zu beseitigen. Vollstaendig entwickelt erscheint die
+Manipularlegion im Pyrrhischen Kriege; wann und unter welchen Umstaenden
+und ob sie auf einmal oder nach und nach entstanden ist, laesst sich
+nicht mehr nachweisen. Die erste von der aelteren italisch-hellenischen
+gruendlich verschiedene Taktik, die den Roemern gegenuebertrat, war die
+keltische Schwerterphalanx; es ist nicht unmoeglich, dass man durch die
+Gliederung der Armee und die Frontalintervalle der Manipel ihren ersten
+und allein gefaehrlichen Stoss abwehren wollte und abgewehrt hat;
+und damit stimmt es zusammen, wenn in manchen einzelnen Notizen der
+bedeutendste roemische Feldherr der Gallierzeit, Marcus Furius Camillus,
+als Reformator des roemischen Kriegswesens erscheint. Die weiteren an
+den Samnitischen und Pyrrhischen Krieg anknuepfenden Ueberlieferungen
+sind weder hinreichend beglaubigt noch mit Sicherheit einzureihen ^5;
+so wahrscheinlich es auch an sich ist, dass der langjaehrige samnitische
+Bergkrieg auf die individuelle Entwicklung des roemischen Soldaten,
+und der Kampf gegen einen der ersten Kriegskuenstler aus der Schule des
+grossen Alexander auf die Verbesserung des Technischen im
+roemischen Heerwesen nachhaltig eingewirkt hat.
+------------------------------------------- ^5 Nach der roemischen
+Tradition fuehrten die Roemer urspruenglich viereckige Schilde; worauf
+sie von den Etruskern den runden Hoplitenschild (clupeus, aspis)von
+den Samniten den spaeteren viereckigen Schild (scutum, thyreos) und den
+Wurfspeer (veru) entlehnten (Diodor. Vat. fr. p. 54; Sall. Catil. 51,
+38; Verg. Aen. 7, 665; Fest. v. Samnites p. 327 Mueller und die bei
+Marquardt, Handbuch, Bd. 3, 2, S. 241 angefuehrten). Allein dass der
+Hoplitenschild, das heisst die dorische Phalangentaktik nicht den
+Etruskern, sondern den Hellenen unmittelbar nachgeahmt ward, darf
+als ausgemacht gelten. Was das Scutum anlangt, so wird dieser grosse
+zylinderfoermig gewoelbte Lederschild allerdings wohl an die Stelle
+des platten kupfernen Clupeus getreten sein, als die Phalanx in Manipel
+auseinandertrat; allein die unzweifelhafte Herleitung des Wortes aus dem
+Griechischen macht misstrauisch gegen die Herleitung der Sache von den
+Samniten. Von den Griechen kam den Roemern auch die Schleuder (funda
+aus sphendon/e/, wie fides aus sphid/e/, oben). Das Pilum gilt den
+Alten durchaus als roemische Erfindung.
+---------------------------------------- In der Volkswirtschaft war
+und blieb der Ackerbau die soziale und politische Grundlage sowohl der
+roemischen Gemeinde als des neuen italischen Staates. Aus den roemischen
+Bauern bestand die Gemeindeversammlung und das Heer; was sie als
+Soldaten mit dem Schwerte gewonnen hatten, sicherten sie als Kolonisten
+mit dem Pfluge. Die Ueberschuldung des mittleren Grundbesitzes fuehrte
+die furchtbaren inneren Krisen des dritten und vierten Jahrhunderts
+herbei, an denen die junge Republik zugrunde gehen zu muessen schien;
+die Wiedererhebung der latinischen Bauernschaft, welche waehrend
+des fuenften teils durch die massenhaften Landanweisungen und
+Inkorporationen, teils durch das Sinken des Zinsfusses und die steigende
+Volksmenge Roms bewirkt ward, war zugleich Wirkung und Ursache der
+gewaltigen Machtentwicklung Roms - wohl erkannte Pyrrhos' scharfer
+Soldatenblick die Ursache des politischen und militaerischen
+Uebergewichts der Roemer in dem bluehenden Zustande der roemischen
+Bauernwirtschaften. Aber auch das Aufkommen der Grosswirtschaft in dem
+roemischen Ackerbau scheint in diese Zeit zu fallen. In der aelteren
+Zeit gab es wohl auch schon einen - wenigstens verhaeltnismaessig -
+grossen Grundbesitz; aber dessen Bewirtschaftung war keine Gross-,
+sondern nur eine vervielfaeltigte Kleinwirtschaft (I, 204). Dagegen darf
+die mit der aelteren Wirtschaftsweise zwar nicht unvereinbare, aber doch
+der spaeteren bei weitem angemessenere Bestimmung des Gesetzes vom
+Jahre 387 (367), dass der Grundbesitzer neben den Sklaven eine
+verhaeltnismaessige Zahl freier Leute zu verwenden verbunden sei, wohl
+als die aelteste Spur der spaeteren zentralisierten Gutswirtschaft
+angesehen werden ^6; und es ist bemerkenswert, dass gleich hier bei
+ihrem ersten Vorkommen dieselbe wesentlich auf dem Sklavenhalten ruht.
+Wie sie aufkam, muss dahingestellt bleiben; moeglich ist es, dass die
+karthagischen Pflanzungen auf Sizilien schon den aeltesten roemischen
+Gutsbesitzern als Muster gedient haben und vielleicht steht selbst das
+Aufkommen des Weizens in der Landwirtschaft neben dem Spelt, das
+Varro um die Zeit der Dezemvirn setzt, mit dieser veraenderten
+Wirtschaftsweise in Zusammenhang. Noch weniger laesst sich ermitteln,
+wie weit diese Wirtschaftsweise schon in dieser Epoche um sich
+gegriffen hat; nur daran, dass sie noch nicht Regel gewesen sein und
+den italischen Bauernstand noch nicht absorbiert haben kann, laesst
+die Geschichte des Hannibalischen Krieges keinen Zweifel. Wo sie aber
+aufkam, vernichtete sie die aeltere, auf dem Bittbesitz beruhende
+Klientel; aehnlich wie die heutige Gutswirtschaft grossenteils durch
+Niederlegung der Bauernstellen und Verwandlung der Hufen in Hoffeld
+entstanden ist. Es ist keinem Zweifel unterworfen, dass zu der
+Bedraengnis des kleinen Ackerbauernstandes eben das Einschraenken
+dieser Ackerklientel hoechst wesentlich mitgewirkt hat.
+--------------------------------------------------- ^6 Auch Varro (rust.
+1, 2, 9) denkt sich den Urheber des Licinischen Ackergesetzes offenbar
+als Selbstbewirtschafter seiner ausgedehnten Laendereien; obgleich
+uebrigens die Anekdote leicht erfunden sein kann, um den Beinamen zu
+erklaeren. ------------------------------------------------- Ueber
+den inneren Verkehr der Italiker untereinander sind die schriftlichen
+Quellen stumm; einigen Aufschluss geben lediglich die Muenzen. Dass in
+Italien, von den griechischen Staedten und dem etruskischen Populonia
+abgesehen, waehrend der ersten drei Jahrhunderte Roms nicht gemuenzt
+ward und als Tauschmaterial anfangs das Vieh, spaeter Kupfer nach dem
+Gewicht diente, wurde schon gesagt. In die gegenwaertige Epoche faellt
+der Uebergang der Italiker vom Tausch- zum Geldsystem, wobei man
+natuerlich zunaechst auf griechische Muster sich hingewiesen sah. Es lag
+indes in den Verhaeltnissen, dass in Mittelitalien statt des Silbers das
+Kupfer zum Muenzmetall ward und die Muenzeinheit sich zunaechst anlehnte
+an die bisherige Werteinheit, das Kupferpfund; womit es zusammenhaengt,
+dass man die Muenzen goss, statt sie zu praegen, denn kein Stempel
+haette ausgereicht fuer so grosse und schwere Stuecke. Doch scheint von
+Haus aus zwischen Kupfer und Silber ein festes Gleichungsverhaeltnis
+(250 : 1) normiert und die Kupfermuenze mit Ruecksicht darauf
+ausgebracht worden zu sein, so dass zum Beispiel in Rom das grosse
+Kupferstueck, der As, dem Werte nach einem Skrupel (= 1/288 Pfund)
+Silber gleichkam. Geschichtlich bemerkenswerter ist es, dass die Muenze
+in Italien hoechst wahrscheinlich von Rom ausgegangen ist und zwar eben
+von den Dezemvirn, die in der Solonischen Gesetzgebung das Vorbild auch
+zur Regulierung des Muenzwesens fanden, und dass sie von Rom aus sich
+verbreitete ueber eine Anzahl latinischer, etruskischer, umbrischer
+und ostitalischer Gemeinden; zum deutlichen Beweise der ueberlegenen
+Stellung, die Rom schon seit dem Anfang des vierten Jahrhunderts
+in Italien behauptete. Wie alle diese Gemeinden formell unabhaengig
+nebeneinander standen, war gesetzlich auch der Muenzfuss durchaus
+oertlich und jedes Stadtgebiet ein eigenes Muenzgebiet; indes lassen
+sich doch die mittel- und norditalischen Kupfermuenzfuesse in drei
+Gruppen zusammenfassen, innerhalb welcher man die Muenzen im gemeinen
+Verkehr als gleichartig behandelt zu haben scheint. Es sind dies teils
+die Muenzen der noerdlich vom Ciminischen Walde gelegenen etruskischen
+und der umbrischen Staedte, teils die Muenzen von Rom und Latium, teils
+die des oestlichen Litorals. Dass die roemischen Muenzen mit dem Silber
+nach dem Gewicht geglichen waren, ist schon bemerkt worden: diejenigen
+der italischen Ostkueste finden wir dagegen in ein bestimmtes
+Verhaeltnis gesetzt zu den Silbermuenzen, die im suedlichen Italien
+seit alter Zeit gangbar waren und deren Fuss sich auch die italischen
+Einwanderer, zum Beispiel die Brettier, Lucaner, Nolaner, ja die
+latinischen Kolonien daselbst wie Cales und Suessa und sogar die Roemer
+selbst fuer ihre unteritalischen Besitzungen aneigneten. Danach wird
+auch der italische Binnenhandel in dieselben Gebiete zerfallen sein,
+welche unter sich verkehrten gleich fremden Voelkern. Im ueberseeischen
+Verkehr bestanden die frueher bezeichneten sizilisch- latinischen,
+etruskisch-attischen und adriatisch-tarentinischen Handelsbeziehungen
+auch in dieser Epoche fort oder gehoeren ihr vielmehr recht eigentlich
+an; denn obwohl die derartigen, in der Regel ohne Zeitangabe
+vorkommenden Tatsachen der Obersicht wegen schon bei der ersten
+Periode zusammengefasst worden sind, erstrecken sich diese Angaben doch
+ebensowohl auf die gegenwaertige mit. Am deutlichsten sprechen auch
+hierfuer die Muenzen. Wie die Praegung des etruskischen Silbergeldes
+auf attischen Fuss und das Eindringen des italischen und besonders
+latinischen Kupfers in Sizilien fuer die ersten beiden Handelszuege
+zeugen, so spricht die eben erwaehnte Gleichstellung des
+grossgriechischen Silbergeldes mit der picenischen und apulischen
+Kupfermuenze nebst zahlreichen anderen Spuren fuer den regen Verkehr
+der unteritalischen Griechen, namentlich der Tarentiner mit dem
+ostitalischen Litoral. Dagegen scheint der frueher wohl lebhaftere
+Handel zwischen den Latinern und den kampanischen Griechen durch die
+sabellische Einwanderung gestoert worden zu sein und waehrend der ersten
+hundertundfuenfzig Jahre der Republik nicht viel bedeutet zu haben; die
+Weigerung der Samniten, in Capua und Cumae den Roemern in der Hungersnot
+von 343 (411) mit ihrem Getreide zu Hilfe zu kommen, duerfte eine Spur
+der zwischen Latium und Kampanien veraenderten Beziehungen sein, bis
+im Anfang des fuenften Jahrhunderts die roemischen Waffen die alten
+Verhaeltnisse wiederherstellten und steigerten. Im einzelnen mag es
+noch gestattet sein, als eines der seltenen datierten Fakten aus der
+Geschichte des roemischen Verkehrs der Notiz zu gedenken, welche aus
+der ardeatischen Chronik erhalten ist, dass im Jahre 454 (300) der
+erste Barbier aus Sizilien nach Ardea kam, und einen Augenblick bei dem
+gemalten Tongeschirr zu verweilen, das vorzugsweise aus Attika, daneben
+aus Kerkyra und Sizilien nach Lucanien, Kampanien und Etrurien gesandt
+ward, um dort zur Ausschmueckung der Grabgemaecher zu dienen und ueber
+dessen merkantilische Verhaeltnisse wir zufaellig besser als ueber
+irgendeinen anderen ueberseeischen Handelsartikel unterrichtet sind.
+Der Anfang dieser Einfuhr mag um die Zeit der Vertreibung der Tarquinier
+fallen, denn die noch sehr sparsam in Italien vorkommenden Gefaesse des
+aeltesten Stils duerften in der zweiten Haelfte des dritten Jahrhunderts
+der Stadt (500-450) gemalt sein, waehrend die zahlreicheren des strengen
+Stils der ersten (450-400), die des vollendet schoenen der zweiten
+Haelfte des vierten (400-350) angehoeren, und die ungeheuren Massen der
+uebrigen, oft durch Pracht und Groesse, aber selten durch vorzuegliche
+Arbeit sich auszeichnenden Vasen im ganzen dem folgenden Jahrhundert
+(350-250) beizulegen sein werden. Es waren allerdings wieder die
+Hellenen, von denen die Italiker diese Sitte der Graeberschmueckung
+entlehnten; aber wenn die bescheidenen Mittel und der feine Takt der
+Griechen sie bei diesen in engen Grenzen hielten, ward sie in Italien
+mit barbarischer Opulenz und barbarischer Verschwendung weit ueber das
+urspruengliche und schickliche Mass ausgedehnt. Aber es ist bezeichnend,
+dass es in Italien lediglich die Laender der hellenischen Halbkultur
+sind, in welchen diese Ueberschwenglichkeit begegnet; wer solche
+Schrift zu lesen versteht, wird in den etruskischen und kampanischen
+Leichenfeldern, den Fundgruben unserer Museen, den redenden Kommentar zu
+den Berichten der Alten ueber die im Reichtum und Uebermut erstickende
+etruskische und kampanische Halbbildung erkennen. Dagegen blieb das
+schlichte samnitische Wesen diesem toerichten Luxus zu allen Zeiten
+fern; in dem Mangel des griechischen Grabgeschirrs tritt ebenso
+fuehlbar wie in dem Mangel einer samnitischen Landesmuenze die geringe
+Entwicklung des Handelsverkehrs und des staedtischen Lebens in dieser
+Landschaft hervor. Noch bemerkenswerter ist es, dass auch Latium, obwohl
+den Griechen nicht minder nahe wie Etrurien und Kampanien und mit ihnen
+im engsten Verkehr, dieser Graeberpracht sich fast ganz enthalten
+hat. Es ist wohl mehr als wahrscheinlich, namentlich wegen der ganz
+abweichenden Beschaffenheit der Graeber in dem einzigen Praeneste, dass
+wir hierin den Einfluss der strengen roemischen Sittlichkeit, oder, wenn
+man lieber will, der straffen roemischen Polizei wiederzuerkennen haben.
+Im engsten Zusammenhange damit stehen die bereits erwaehnten Interdikte,
+welche schon das Zwoelftafelgesetz gegen purpurne Bahrtuecher und
+den Goldschmuck als Totenmitgift schleudert, und die Verbannung des
+silbernen Geraetes mit Ausnahme des Salzfasses und der Opferschale aus
+dem roemischen Hausrat wenigstens durch das Sittengesetz und die
+Furcht vor der zensorischen Ruege; und auch in dem Bauwesen werden
+wir demselben, allem gemeinen wie edlen Luxus feindlichen Sinn
+wiederbegegnen. Indes mochte auch Rom durch solche Einwirkung von oben
+her laenger als Volsinii und Capua eine gewisse aeussere Einfachheit
+bewahren, so werden sein Handel und Gewerbe, auf denen ja neben dem
+Ackerbau seine Bluete von Haus aus beruhte, darum noch nicht als
+unbedeutend gedacht werden duerfen und nicht minder den Einfluss der
+neuen Machtstellung Roms empfunden haben. Zu der Entwicklung eines
+eigentlichen staedtischen Mittelstandes, einer unabhaengigen Handwerker-
+und Kaufmannschaft kam es in Rom nicht. Die Ursache war neben der
+frueh eingetretenen unverhaeltnismaessigen Zentralisierung des Kapitals
+vornehmlich die Sklavenwirtschaft. Es war im Altertum ueblich und in
+der Tat eine notwendige Konsequenz der Sklaverei, dass die kleineren
+staedtischen Geschaefte sehr haeufig von Sklaven betrieben wurden,
+welche ihr Herr als Handwerker oder Kaufleute etablierte, oder auch
+von Freigelassenen, fuer welche der Herr nicht bloss sehr oft das
+Geschaeftskapital hergab, sondern von denen er sich auch regelmaessig
+einen Anteil, oft die Haelfte des Geschaeftsgewinns ausbedang. Der
+Kleinbetrieb und der Kleinverkehr in Rom waren ohne Zweifel in
+stetigem Steigen; es finden sich auch Belege dafuer, dass die dem
+grossstaedtischen Luxus dienstbaren Gewerbe anfingen, sich in Rom zu
+konzentrieren - so ist das ficoronische Schmuckkaestchen im fuenften
+Jahrhundert der Stadt von einem praenestinischen Meister verfertigt
+und nach Praeneste verkauft, aber dennoch in Rom gearbeitet worden ^7.
+Allein da der Reinertrag auch des Kleingeschaefts zum groessten Teil
+in die Kassen der grossen Haeuser floss, so kam ein industrieller und
+kommerzieller Mittelstand nicht in entsprechender Ausdehnung empor.
+Ebensowenig sonderten sich die Grosshaendler und grossen Industriellen
+scharf von den grossen Grundbesitzern. Einerseits waren die letzteren
+seit alter zugleich Geschaeftsbetreibende und Kapitalisten und in ihren
+Haenden Hypothekardarlehen, Grosshandel und Lieferungen und Arbeiten
+fuer den Staat vereinigt. Anderseits war es bei dem starken sittlichen
+Akzent, der in dem roemischen Gemeinwesen auf den Grundbesitz fiel, und
+bei seiner politischen Alleinberechtigung, welche erst gegen das Ende
+dieser Epoche einige Einschraenkungen erlitt, ohne Zweifel schon in
+dieser Zeit gewoehnlich, dass der glueckliche Spekulant mit einem
+Teil seiner Kapitalien sich ansaessig machte. Es geht auch aus der
+politischen Bevorzugung der ansaessigen Freigelassenen deutlich genug
+hervor, dass die roemischen Staatsmaenner dahin wirkten, auf diesem Wege
+die gefaehrliche Klasse der nicht grundsaessigen Reichen zu vermindern.
+------------------------------------------------------ ^7 Die Vermutung,
+dass der Kuenstler, welcher an diesem Kaestchen fuer die Dindia Macolnia
+in Rom gearbeitet hat, Novius Plautius, ein Kampaner, gewesen sei,
+wird durch die neuerlich gefundenen alten praenestinischen Grabsteine
+widerlegt, auf denen unter andern Macolniern und Plautiern auch ein
+Lucius Magulnius des Plautius Sohn (L. Magolnio Pla. f.) vorkommt.
+------------------------------------------------------ Aber wenn auch
+in Rom weder ein wohlhabender staedtischer Mittelstand noch eine
+streng geschlossene Kapitalistenklasse sich bildete, so war das
+grossstaedtische Wesen doch an sich in unaufhaltsamem Steigen.
+Deutlich weist darauf hin die zunehmende Zahl der in der
+Hauptstadt zusammengedraengten Sklaven, wovon die sehr ernsthafte
+Sklavenverschwoerung des Jahres 335 (419) zeugt, und noch mehr die
+steigende, allmaehlich unbequem und gefaehrlich werdende Menge der
+Freigelassenen, worauf die im Jahre 397 (357) auf die Freilassungen
+gelegte ansehnliche Steuer und die Beschraenkung der politischen Rechte
+der Freigelassenen im Jahre 450 (304) einen sicheren Schluss gestatten.
+Denn es lag nicht bloss in den Verhaeltnissen, dass die grosse
+Majoritaet der freigelassenen Leute sich dem Gewerbe oder dem Handel
+widmen musste, sondern es war auch die Freilassung selbst bei den
+Roemern, wie gesagt, weniger eine Liberalitaet als eine industrielle
+Spekulation, indem der Herr bei dem Anteil an dem Gewerb- oder
+Handelsgewinn des Freigelassenen oft besser seine Rechnung fand als bei
+dem Anrecht auf den ganzen Reinertrag des Sklavengeschaefts. Die Zunahme
+der Freilassungen muss deshalb mit der Steigerung der kommerziellen
+und industriellen Taetigkeit der Roemer notwendig Hand in Hand gegangen
+sein. Einen aehnlichen Fingerzeig fuer die steigende Bedeutung des
+staedtischen Wesens in Rom gewaehrt die gewaltige Entwicklung der
+staedtischen Polizei. Es gehoert zum grossen Teil wohl schon dieser Zeit
+an, dass die vier Aedilen unter sich die Stadt in vier Polizeibezirke
+teilten und dass fuer die ebenso wichtige wie schwierige Instandhaltung
+des ganz Rom durchziehenden Netzes von kleineren und groesseren
+Abzugskanaelen sowie der oeffentlichen Gebaeude und Plaetze, fuer die
+gehoerige Reinigung und Pflasterung der Strassen, fuer die Beseitigung
+den Einsturz drohender Gebaeude, gefaehrlicher Tiere, uebler Gerueche,
+fuer die Fernhaltung der Wagen ausser in den Abend- und Nachtstunden
+und ueberhaupt fuer die Offenhaltung der Kommunikation, fuer die
+ununterbrochene Versorgung des hauptstaedtischen Marktes mit gutem und
+billigem Getreide, fuer die Vernichtung gesundheitsschaedlicher Waren
+und falscher Masse und Gewichte, fuer die besondere Ueberwachung
+von Baedern, Schenken, schlechten Haeusern von den Aedilen Fuersorge
+getroffen ward. Im Bauwesen mag wohl die Koenigszeit, namentlich die
+Epoche der grossen Eroberungen, mehr geleistet haben als die ersten zwei
+Jahrhunderte der Republik. Anlagen wie die Tempel auf dem Kapitol und
+dem Aventin und der grosse Spielplatz moegen den sparsamen Vaetern der
+Stadt ebenso wie den fronenden Buergern ein Greuel gewesen sein, und
+es ist bemerkenswert, dass das vielleicht bedeutendste Bauwerk der
+republikanischen Zeit vor den Samnitischen Kriegen, der Cerestempel am
+Circus, ein Werk des Spurius Cassius (261 493) war, welcher in mehr als
+einer Hinsicht wieder in die Traditionen der Koenige zurueckzulenken
+suchte. Auch den Privatluxus hielt die regierende Aristokratie mit einer
+Strenge nieder, wie sie die Koenigsherrschaft bei laengerer Dauer sicher
+nicht entwickelt haben wuerde. Aber auf die Laenge vermochte selbst der
+Senat sich nicht laenger gegen das Schwergewicht der Verhaeltnisse zu
+stemmen. Appius Claudius war es, der in seiner epochemachenden Zensur
+(442 312) das veraltete Bauernsystem des Sparschatzsammelns beiseite
+warf und seine Mitbuerger die oeffentlichen Mittel in wuerdiger Weise
+gebrauchen lehrte. Er begann das grossartige System gemeinnuetziger
+oeffentlicher Bauten, das, wenn irgendetwas, Roms militaerische Erfolge
+auch von dem Gesichtspunkt der Voelkerwohlfahrt aus gerechtfertigt hat
+und noch heute in seinen Truemmern Tausenden und Tausenden, welche von
+roemischer Geschichte nie ein Blatt gelesen haben, eine Ahnung gibt
+von der Groesse Roms. Ihm verdankt der roemische Staat die erste grosse
+Militaerchaussee, die roemische Stadt die erste Wasserleitung. Claudius'
+Spuren folgend, schlang der roemische Senat um Italien jenes Strassen-
+und Festungsnetz, dessen Gruendung frueher beschrieben ward und
+ohne das, wie von den Achaemeniden bis hinab auf den Schoepfer der
+Simplonstrasse die Geschichte aller Militaerstaaten lehrt, keine
+militaerische Hegemonie bestehen kann. Claudius' Spuren folgend,
+baute Manius Curius aus dem Erloes der Pyrrhischen Beute eine zweite
+hauptstaedtische Wasserleitung (482 272) und oeffnete schon einige Jahre
+vorher (464 290) mit dem sabinischen Kriegsgewinn dem Velino, da wo
+er oberhalb Terni in die Nera sich stuerzt, das heute noch von ihm
+durchflossene breitere Bett, um in dem dadurch trockengelegten schoenen
+Tal von Rieti fuer eine grosse Buergeransiedlung Raum und auch fuer sich
+eine bescheidene Hufe zu gewinnen. Solche Werke verdunkelten selbst
+in den Augen verstaendiger Leute die zwecklose Herrlichkeit der
+hellenischen Tempel. Auch das buergerliche Leben wurde jetzt ein
+anderes. Um die Zeit des Pyrrhos begann auf den roemischen Tafeln
+das Silbergeschirr sich zu zeigen ^8 und das Verschwinden der
+Schindeldaecher in Rom datieren die Chronisten von dem Jahre 470 (284).
+Die neue Hauptstadt Italiens legte endlich ihr dorfartiges Ansehen
+allmaehlich ab und fing nun auch an, sich zu schmuecken. Zwar war es
+noch nicht Sitte, in den eroberten Staedten zu Roms Verherrlichung
+die Tempel ihrer Zierden zu berauben; aber dafuer prangten an der
+Rednerbuehne des Marktes die Schnaebel der Galeeren von Antium und
+an oeffentlichen Festtagen laengs der Hallen am Markte die von den
+Schlachtfeldern Samniums heimgebrachten goldbeschlagenen Schilde.
+Besonders der Ertrag der Bruechgelder diente zur Pflasterung der
+Strassen in und vor der Stadt oder zur Errichtung und Ausschmueckung
+oeffentlicher Gebaeude. Die hoelzernen Buden der Fleischer, welche an
+den beiden Langseiten des Marktes sich hinzogen, wichen zuerst an
+der palatinischen, dann auch an der den Carinen zugewandten Seite
+den steinernen Hallen der Geldwechsler; dadurch ward dieser Platz
+zur roemischen Boerse. Die Bildsaeulen der gefeierten Maenner der
+Vergangenheit, der Koenige, Priester und Helden der Sagenzeit, des
+griechischen Gastfreundes, der den Zehnmaennern die Solonischen Gesetze
+verdolmetscht haben sollte, die Ehrensaeulen und Denkmaeler der
+grossen Buergermeister, welche die Veienter, die Latiner, die Samniten
+ueberwunden hatten, der Staatsboten, die in Vollziehung ihres Auftrages
+umgekommen waren, der reichen Frauen, die ueber ihr Vermoegen zu
+oeffentlichen Zwecken verfuegt hatten, ja sogar schon gefeierter
+griechischer Weisen und Helden, wie des Pythagoras und des Alkibiades,
+wurden auf der Burg oder auf dem roemischen Markte aufgestellt. Also
+ward, nachdem die roemische Gemeinde eine Grossmacht geworden war, Rom
+selber eine Grossstadt. --------------------------------------- ^8 Der
+wegen seines silbernen Tafelgeraets gegen Publius Cornelius Rufinus
+(Konsul 464, 477 290, 277) verhaengten zensorischen Makel wurde schon
+gedacht. Fabius' befremdliche Angabe (bei Strabon 5, p. 228), dass die
+Roemer zuerst nach der Besiegung der Sabiner sich dem Luxus ergeben
+haetten (aisthesthai to? plontoy), ist offenbar nur eine abersetzung
+derselben Anekdote ins Historische; denn die Besiegung der
+Sabiner faellt in Rufinus' erstes Konsulat.
+------------------------------------- Endlich trat denn auch Rom
+als Haupt der roemisch-italischen Eidgenossenschaft wie in das
+hellenistische Staatensystem, so auch in das hellenische Geld- und
+Muenzwesen ein. Bis dahin hatten die Gemeinden Nord- und Mittelitaliens
+mit wenigen Ausnahmen einzig Kupfercourant, die sueditalischen Staedte
+dagegen durchgaengig Silbergeld geschlagen und es der Muenzfuesse und
+Muenzsysteme gesetzlich so viele gegeben, als es souveraene Gemeinden in
+Italien gab. Im Jahre 485 (269) wurden alle diese Muenzstaetten auf
+die Praegung von Scheidemuenze beschraenkt, ein allgemeiner, fuer ganz
+Italien geltender Courantfuss eingefuehrt und die Courantpraegung in Rom
+zentralisiert, nur dass Capua seine eigene, zwar unter roemischem Namen,
+aber auf abweichenden Fuss gepraegte Silbermuenze auch ferner behielt.
+Das neue Muenzsystem beruhte auf dem gesetzlichen Verhaeltnisse der
+beiden Metalle, wie dasselbe seit langem feststand; die gemeinsame
+Muenzeinheit war das Stueck von zehn, nicht mehr pfuendigen, sondern auf
+das Drittelpfund reduzierten Assen, der Denarius, in Kupfer 3 1/3, in
+Silber 1/72 eines roemischen Pfundes, eine Kleinigkeit mehr als
+die attische Drachme. Zunaechst herrschte in der Praegung noch die
+Kupfermuenze vor und wahrscheinlich ist der aelteste Silberdenar
+hauptsaechlich fuer Unteritalien und fuer den Verkehr mit dem Ausland
+geschlagen worden. Wie aber der Sieg der Roemer ueber Pyrrhos und
+Tarent und die roemische Gesandtschaft nach Alexandreia dem griechischen
+Staatsmanne dieser Zeit zu denken geben mussten, so mochte auch
+der einsichtige griechische Kaufmann wohl nachdenklich diese neuen
+roemischen Drachmen betrachten, deren flaches, unkuenstlerisches und
+einfoermiges Gepraege neben dem gleichzeitigen wunderschoenen
+der Muenzen des Pyrrhos und der Sikelioten freilich duerftig
+und unansehnlich erscheint, die aber dennoch keineswegs, wie die
+Barbarenmuenzen des Altertums, sklavisch nachgeahmt und in Schrot und
+Korn ungleich sind, sondern mit ihrer selbstaendigen und gewissenhaften
+Praegung von Haus aus jeder griechischen ebenbuertig sich an die
+Seite stellen. Wenn also von der Entwicklung der Verfassungen, von
+den Voelkerkaempfen um Herrschaft und Freiheit, wie sie Italien und
+insbesondere Rom von der Verbannung des Tarquinischen Geschlechts bis
+zur Ueberwaeltigung der Samniten und der italischen Griechen bewegten,
+der Blick sich wendet zu den stilleren Kreisen des menschlichen Daseins,
+die die Geschichte doch auch beherrscht und durchdringt, so begegnet ihm
+ebenfalls ueberall die Nachwirkung der grossartigen Ereignisse, durch
+welche die roemische Buergerschaft die Fesseln des Geschlechterregiments
+sprengte und die reiche Fuelle der nationalen Bildungen Italiens
+allmaehlich unterging, um ein einziges Volk zu bereichern. Durfte
+auch der Geschichtschreiber es nicht versuchen, den grossen Gang
+der Ereignisse in die grenzenlose Mannigfaltigkeit der individuellen
+Gestaltung hinein zu verfolgen, so ueberschritt er doch seine Aufgabe
+nicht, wenn er, aus der zertruemmerten Ueberlieferung einzelne
+Bruchstuecke ergreifend, hindeutete auf die wichtigsten Aenderungen,
+die in dieser Epoche im italischen Volksleben stattgefunden haben. Wenn
+dabei noch mehr als frueher das roemische in den Vordergrund trat, so
+ist dies nicht bloss in den zufaelligen Luecken unserer Ueberlieferung
+begruendet; vielmehr ist es eine wesentliche Folge der veraenderten
+politischen Stellung Roms, dass die latinische Nationalitaet die
+uebrigen italischen immer mehr verdunkelt. Es ist schon darauf
+hingewiesen worden, dass in dieser Epoche die Nachbarlaender, das
+suedliche Etrurien, die Sabina, das Volskerland sich zu romanisieren
+anfingen, wovon der fast gaenzliche Mangel von Sprachdenkmaelern der
+alten Landesdialekte und das Vorkommen sehr alter roemischer Inschriften
+in diesen Gegenden Zeugnis ablegt; die Aufnahme der Sabiner in das
+volle Buergerrecht am Ende dieser Periode spricht dafuer, dass die
+Latinisierung Mittelitaliens schon damals das bewusste Ziel der
+roemischen Politik war. Die zahlreich durch ganz Italien zerstreuten
+Einzelassignationen und Kolonialgruendungen sind nicht bloss
+militaerisch, sondern auch sprachlich und national die vorgeschobenen
+Posten des latinischen Stammes. Die Latinisierung der Italiker
+ueberhaupt ward schwerlich schon damals beabsichtigt; im Gegenteil
+scheint der roemische Senat den Gegensatz der latinischen gegen die
+uebrigen Nationalitaeten absichtlich aufrecht erhalten zu haben
+und gestattete zum Beispiel die Einfuehrung des Lateinischen in den
+offiziellen Sprachgebrauch den kampanischen Halbbuergergemeinden noch
+nicht. Indes die Natur der Verhaeltnisse ist staerker als selbst die
+staerkste Regierung; mit dem latinischen Volke gewannen auch dessen
+Sprache und Sitte in Italien zunaechst das Prinzipat und fingen bereits
+an, die uebrigen italischen Nationalitaeten zu untergraben. Gleichzeitig
+wurden dieselben von einer anderen Seite und mit einem anders
+begruendeten Uebergewicht angegriffen durch den Hellenismus. Es war dies
+die Epoche, wo das Griechentum seiner geistigen Ueberlegenheit ueber die
+uebrigen Nationen anfing, sich bewusst zu werden und nach allen Seiten
+hin Propaganda zu machen. Auch Italien blieb davon nicht unberuehrt. Die
+merkwuerdigste Erscheinung in dieser Art bietet Apulien, das seit dem
+fuenften Jahrhundert Roms allmaehlich seine barbarische Mundart ablegte
+und sich im stillen hellenisierte. Es erfolgte dies aehnlich wie
+in Makedonien und Epeiros nicht durch Kolonisierung, sondern durch
+Zivilisierung, die mit dem tarentinischen Landhandel Hand in Hand
+gegangen zu sein scheint - wenigstens spricht es fuer die letztere
+Annahme, dass die den Tarentinern befreundeten Landschaften der
+Poediculer und Daunier die Hellenisierung vollstaendiger durchfuehrten
+als die Tarent naeher wohnenden, aber bestaendig mit ihm hadernden
+Sallentiner, und dass die am fruehesten graezisierten Staedte, zum
+Beispiel Arpi, nicht an der Kueste gelegen waren. Dass auf Apulien das
+griechische Wesen staerkeren Einfluss uebte als auf irgendeine andere
+italische Landschaft, erklaert sich teils aus seiner Lage, teils aus der
+geringen Entwicklung einer eigenen nationalen Bildung, teils wohl
+auch aus seiner dem griechischen Stamm minder fremd als die uebrigen
+italischen gegenueberstehenden Nationalitaet. Indes ist schon frueher
+darauf aufmerksam gemacht worden, dass auch die suedlichen sabellischen
+Staemme, obwohl zunaechst sie im Verein mit syrakusanischen Tyrannen
+das hellenische Wesen in Grossgriechenland knickten und verdarben,
+doch zugleich durch die Beruehrung und Mischung mit den Griechen teils
+griechische Sprache neben der einheimischen annahmen, wie die Brettier
+und Nolaner, teils wenigstens griechische Schrift und griechische Sitte,
+wie die Lucaner und ein Teil der Kampaner. Etrurien zeigt gleichfalls
+die Ansaetze einer verwandten Entwicklung in den bemerkenswerten dieser
+Epoche angehoerenden Vasenfunden, in denen es mit Kampanien und Lucanien
+rivalisiert; und wenn Latium und Samnium dem Hellenismus fernergeblieben
+sind, so fehlt es doch auch hier nicht an Spuren des beginnenden und
+immer steigenden Einflusses griechischer Bildung. In allen Zweigen der
+roemischen Entwicklung dieser Epoche, in Gesetzgebung und Muenzwesen, in
+der Religion, in der Bildung der Stammsage stossen wir auf griechische
+Spuren, und namentlich seit dem Anfang des fuenften Jahrhunderts, das
+heisst seit der Eroberung Kampaniens, erscheint der griechische Einfluss
+auf das roemische Wesen in raschem und stets zunehmendem Wachstum.
+In das vierte Jahrhundert faellt die Einrichtung der auch sprachlich
+merkwuerdigen "graecostasis", einer Tribuene auf dem roemischen Markt
+fuer die vornehmen griechischen Fremden, zunaechst die Massalioten. Im
+folgenden fangen die Jahrbuecher an, vornehme Roemer mit griechischen
+Beinamen, wie Philippos oder roemisch Pilipus, Philon, Sophos, Hypsaeos
+aufzuweisen. Griechische Sitten dringen ein; so der nichtitalische
+Gebrauch, Inschriften zur Ehre des Toten auf dem Grabmal anzubringen,
+wovon die Grabschrift des Lucius Scipio, Konsul 456 (298), das aelteste
+uns bekannte Beispiel ist; so die gleichfalls den Italikern fremde
+Weise, ohne Gemeindebeschluss an oeffentlichen Orten den Vorfahren
+Ehrendenkmaeler zu errichten, womit der grosse Neuerer Appius Claudius
+den Anfang machte, als er in dem neuen Tempel der Bellona Erzschilde mit
+den Bildern und den Elogien seiner Vorfahren aufhaengen liess (442 312);
+so die im Jahre 461 (293) bei dem roemischen Volksfest eingefuehrte
+Erteilung von Palmzweigen an die Wettkaempfer; so vor allem die
+griechische Tischsitte. Die Weise, bei Tische nicht wie ehemals auf
+Baenken zu sitzen, sondern auf Sofas zu liegen; die Verschiebung der
+Hauptmahlzeit von der Mittag- auf die Stunde zwischen zwei und drei Uhr
+nachmittags nach unserer Rechnung; die Trinkmeister bei den Schmaeusen,
+welche meistens durch Wuerfelung aus den Gaesten fuer den Schmaus
+bestellt werden und nun den Tischgenossen vorschreiben, was, wie
+und wann getrunken werden soll; die nach der Reihe von den Gaesten
+gesungenen Tischlieder, die freilich in Rom nicht Skolien, sondern
+Ahnengesaenge waren - alles dies ist in Rom nicht urspruenglich und doch
+schon in sehr alter Zeit den Griechen entlehnt; denn zu Catos Zeit waren
+diese Gebraeuche bereits gemein, ja zum Teil schon wieder abgekommen.
+Man wird daher ihre Einfuehrung spaetestens in diese Zeit zu setzen
+haben. Charakteristisch ist auch die Errichtung der Bildsaeulen des
+"weisesten und des tapfersten Griechen" auf dem roemischen Markt, die
+waehrend der Samnitischen Kriege auf Geheiss des pythischen Apollon
+stattfand; man waehlte, offenbar unter sizilischem oder kampanischem
+Einfluss, den Pythagoras und den Alkibiades, den Heiland und den
+Hannibal der Westhellenen. Wie verbreitet die Kenntnis des Griechischen
+schon im fuenften Jahrhundert unter den vornehmen Roemern war, beweisen
+die Gesandtschaften der Roemer nach Tarent, wo der Redner der Roemer,
+wenn auch nicht im reinsten Griechisch, doch ohne Dolmetsch sprach,
+und des Kineas nach Rom. Es leidet kaum einen Zweifel, dass seit dem
+fuenften Jahrhundert die jungen Roemer, die sich den Staatsgeschaeften
+widmeten, durchgaengig die Kunde der damaligen Welt- und
+Diplomatensprache sich erwarben. So schritt auf dem geistigen Gebiet der
+Hellenismus ebenso unaufhaltsam vorwaerts, wie der Roemer arbeitete, die
+Erde sich untertaenig zu machen; und die sekundaeren Nationalitaeten,
+wie die samnitische, keltische, etruskische, verloren, von zwei Seiten
+her bedraengt, immer mehr an Ausdehnung wie an innerer Kraft. Wie aber
+die beiden grossen Nationen, beide angelangt auf dem Hoehepunkt ihrer
+Entwicklung, in feindlicher wie in freundlicher Beruehrung anfangen sich
+zu durchdringen, tritt zugleich ihre Gegensaetzlichkeit, der gaenzliche
+Mangel alles Individualismus in dem italischen und vor allem in dem
+roemischen Wesen gegenueber der unendlichen stammlichen, oertlichen und
+menschlichen Mannigfaltigkeit des Hellenismus in voller Schaerfe hervor.
+Es gibt keine gewaltigere Epoche in der Geschichte Roms als die Epoche
+von der Einsetzung der roemischen Republik bis auf die Unterwerfung
+Italiens; in ihr wurde das Gemeinwesen nach innen wie nach aussen
+begruendet, in ihr das einige Italien erschaffen, in ihr das
+traditionelle Fundament des Landrechts und der Landesgeschichte erzeugt,
+in ihr das Pilum und der Manipel, der Strassen- und Wasserbau, die
+Guts- und Geldwirtschaft begruendet, in ihr die Kapitolinische
+Woelfin gegossen und das ficoronische Kaestchen gezeichnet. Aber die
+Individualitaeten, welche zu diesem Riesenbau die einzelnen Steine
+herbeigetragen und sie zusammengefuegt haben, sind spurlos verschollen
+und die italischen Voelkerschaften nicht voelliger in der roemischen
+aufgegangen als der einzelne roemische Buerger in der roemischen
+Gemeinde. Wie das Grab in gleicher Weise ueber dem bedeutenden wie ueber
+dem geringen Menschen sich schliesst, so steht auch in der roemischen
+Buergermeisterliste der nichtige Junker ununterscheidbar neben dem
+grossen Staatsmann. Von den wenigen Aufzeichnungen, welche aus dieser
+Zeit bis auf uns gekommen sind, ist keine ehrwuerdiger und keine
+zugleich charakteristischer als die Grabschrift des Lucius Cornelius
+Scipio, der im Jahre 456 (298) Konsul war und drei Jahre nachher in der
+Entscheidungsschlacht bei Sentinum mitfocht. Auf dem schoenen Sarkophag
+in edlem dorischen Stil, der noch vor achtzig Jahren den Staub
+des Besiegers der Samniten einschloss, ist der folgende Spruch
+eingeschrieben: Cornelius Lucius - Scipio Barbatus, Gnaivod patre
+prognatus, - fortis vir sapiensque, Quoius forma virtu - tei parisuma
+fuit, Consol censor aidilis - quei fuit apud vos, Taurasia Cisauna -
+Samnio cepit, Subigit omne Loucanam - opsidesque abdoucit. Cornelius
+Lucius - Scipio Barbatus, Des Vaters Gnaevos Sohn, ein - Mann so klug
+wie tapfer, Des Wohlgestalt war seiner - Tugend angemessen, Der Konsul,
+Zensor war bei - euch wie auch Aedilis, Taurasia, Cisauna - nahm er ein
+in Samnium, Bezwingt Lucanien ganz und - fuehret weg die Geiseln. So wie
+diesem roemischen Staatsmann und Krieger mochte man unzaehligen anderen,
+die an der Spitze des roemischen Gemeinwesens gestanden haben, es
+nachruehmen, dass sie adlige und schoene, tapfere und kluge Maenner
+gewesen; aber weiter war auch nichts von ihnen zu melden. Es ist wohl
+nicht bloss Schuld der Ueberlieferung, dass keiner dieser Cornelier,
+Fabier, Papirier und wie sie weiter heissen, uns in einem menschlich
+bestimmten Bild entgegentritt. Der Senator soll nicht schlechter und
+nicht besser, ueberhaupt nicht anders sein als die Senatoren alle; es
+ist nicht noetig und nicht wuenschenswert, dass ein Buerger die uebrigen
+uebertreffe, weder durch prunkendes Silbergeraet und hellenische Bildung
+noch durch ungemeine Weisheit und Trefflichkeit. Jene Ausschreitungen
+straft der Zensor und fuer diese ist kein Raum in der Verfassung. Das
+Rom dieser Zeit gehoert keinem einzelnen an; die Buerger muessen sich
+alle gleichen, damit jeder einem Koenig gleich sei. Allerdings macht
+schon jetzt daneben die hellenische Individualentwicklung sich geltend;
+und die Genialitaet und Gewaltsamkeit derselben traegt eben wie die
+entgegengesetzte Richtung den vollen Stempel dieser grossen Zeit. Es
+ist nur ein einziger Mann hier zu nennen; aber in ihm ist auch der
+Fortschrittsgedanke gleichsam inkarniert. Appius Claudius (Zensor 442
+312; Konsul 447, 458 307, 296), der Ururenkel des Dezemvirs, war ein
+Mann von altem Adel und stolz auf die lange Reihe seiner Ahnen;
+aber dennoch ist er es gewesen, der die Beschraenkung des vollen
+Gemeindebuergerrechts auf die ansaessigen Leute gesprengt, der das alte
+Finanzsystem gebrochen hat. Von Appius Claudius datieren nicht bloss
+die roemischen Wasserleitungen und Chausseen, sondern auch die roemische
+Jurisprudenz, Eloquenz, Poesie und Grammatik - die Veroeffentlichung
+eines Klagspiegels, aufgezeichnete Reden und pythagoreische Sprueche,
+selbst Neuerungen in der Orthographie werden ihm beigelegt. Man darf
+ihn darum noch nicht unbedingt einen Demokraten nennen, noch ihn jener
+Oppositionspartei beizaehlen, die in Manius Curius ihren Vertreter fand;
+in ihm war vielmehr der Geist der alten und neuen patrizischen Koenige
+maechtig, der Geist der Tarquinier und der Caesaren, zwischen denen er
+in dem fuenfhundertjaehrigen Interregnum ausserordentlicher Taten und
+gewoehnlicher Maenner die Verbindung macht. Solange Appius Claudius
+an dem oeffentlichen Leben taetigen Anteil nahm, trat er in seiner
+Amtsfuehrung wie in seinem Lebenswandel, keck und ungezogen wie ein
+Athener, nach rechts wie nach links hin Gesetzen und Gebraeuchen
+entgegen; bis dann, nachdem er laengst von der politischen Buehne
+abgetreten war, der blinde Greis wie aus dem Grabe wiederkehrend, in der
+entscheidenden Stunde den Koenig Pyrrhos im Senate ueberwand und Roms
+vollendete Herrschaft ueber Italien zuerst foermlich und feierlich
+aussprach. Aber der geniale Mann kam zu frueh oder zu spaet; die Goetter
+blendeten ihn wegen seiner unzeitigen Weisheit. Nicht das Genie des
+einzelnen herrschte in Rom und durch Rom in Italien, sondern der eine
+unbewegliche, von Geschlecht zu Geschlecht im Senat fortgepflanzte
+politische Gedanke, in dessen leitende Maximen schon die senatorischen
+Knaben sich hineinlebten, indem sie in Begleitung ihrer Vaeter mit zum
+Rate gingen und an der Tuer des Saales der Weisheit derjenigen Maenner
+lauschten, auf deren Stuehlen sie dereinst bestimmt waren zu sitzen.
+So wurden ungeheure Erfolge um ungeheuren Preis erreicht; denn auch der
+Nike folgt ihre Nemesis. Im roemischen Gemeinwesen kommt es auf keinen
+Menschen besonders an, weder auf den Soldaten noch auf den Feldherrn,
+und unter der starren sittlich- polizeilichen Zucht wird jede
+Eigenartigkeit des menschlichen Wesens erstickt. Rom ist gross geworden
+wie kein anderer Staat des Altertums; aber es hat seine Groesse teuer
+bezahlt mit der Aufopferung der anmutigen Mannigfaltigkeit, der bequemen
+Laesslichkeit, der innerlichen Freiheit des hellenischen Lebens. 9.
+Kapitel Kunst und Wissenschaft Die Entwicklung der Kunst und namentlich
+der Dichtkunst steht im Altertum im engsten Zusammenhang mit der
+Entwicklung der Volksfeste. Das schon in der vorigen Epoche wesentlich
+unter griechischem Einfluss, zunaechst als ausserordentliche Feier,
+geordnete Dankfest der roemischen Gemeinde, die "grossen" oder
+"roemischen Spiele", nahm waehrend der gegenwaertigen an Dauer wie an
+Mannigfaltigkeit der Belustigungen zu. Urspruenglich beschraenkt auf die
+Dauer eines Tages wurde das Fest nach der gluecklichen Beendigung
+der drei grossen Revolutionen von 245, 260 und 387 (509, 494 und 367)
+jedesmal um einen Tag verlaengert und hatte am Ende dieser Periode also
+bereits eine viertaegige Dauer ^1. Wichtiger noch war es, dass das Fest
+wahrscheinlich mit Einsetzung der von Haus aus mit der Ausrichtung und
+Ueberwachung desselben betrauten kurulischen Aedilitaet (387 367)
+seinen ausserordentlichen Charakter und damit seine Beziehung auf ein
+bestimmtes Feldherrngeluebde verlor und in die Reihe der ordentlichen,
+jaehrlich wiederkehrenden als erstes unter allen eintrat. Indes blieb
+die Regierung beharrlich dabei, das eigentliche Schaufest, namentlich
+das Hauptstueck, das Wagenrennen, nicht mehr als einmal am Schluss
+des Festes stattfinden zu lassen; an den uebrigen Tagen war es wohl
+zunaechst der Menge ueberlassen, sich selber ein Fest zu geben, obwohl
+Musikanten, Taenzer, Seilgaenger, Taschenspieler, Possenreisser und
+dergleichen Leute mehr nicht verfehlt haben werden, gedungen oder nicht
+gedungen, dabei sich einzufinden. Aber um das Jahr 390 (364) trat
+eine wichtige Veraenderung ein, welche mit der vielleicht gleichzeitig
+erfolgten Fixierung und Verlaengerung des Festes in Zusammenhang stehen
+wird: man schlug von Staats wegen waehrend der ersten drei Tage
+im Rennplatz ein Brettergeruest auf und sorgte fuer angemessene
+Vorstellungen auf demselben zur Unterhaltung der Menge. Um indes nicht
+auf diesem Wege zu weit gefuehrt zu werden, wurde fuer die Kosten des
+Festes eine feste Summe von 200000 Assen (14500 Taler) ein fuer allemal
+aus der Staatskasse ausgeworfen und diese ist auch bis auf die Punischen
+Kriege nicht gesteigert worden; den etwaigen Mehrbetrag mussten die
+Aedilen, welche diese Summe zu verwenden hatten, aus ihrer Tasche
+decken und es ist nicht wahrscheinlich, dass sie in dieser Zeit oft und
+betraechtlich vom Eigenen zugeschossen haben. Dass die neue Buehne im
+allgemeinen unter griechischem Einfluss stand, beweist schon ihr Name
+(scaena sk/e/n/e/). Sie war zwar zunaechst lediglich fuer Spielleute und
+Possenreisser jeder Art bestimmt, unter denen die Taenzer zur Floete,
+namentlich die damals gefeierten etruskischen, wohl noch die vornehmsten
+sein mochten; indes war nun doch eine oeffentliche Buehne in Rom
+entstanden und bald oeffnete dieselbe sich auch den roemischen Dichtern.
+------------------------------------------------------- ^1 Was Dionys
+(6, 95; vgl. B. G. Niebuhr, Roemische Geschichte. Bd. 2, S. 40) und,
+schoepfend aus einer anderen Dionysischen Stelle, Plutarch (Cam. 42)
+von dem latinischen Fest berichtet, ist, wie ausser anderen Gruenden
+schlagend die Vergleichung der letzteren Stelle mit Liv. 6, 42 (F. W.
+Ritschl, Parerga zu Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 313)
+zeigt, vielmehr von den roemischen Spielen zu verstehen; Dionys hat, und
+zwar nach seiner Gewohnheit im Verkehrten beharrlich, den Ausdruck ludi
+maximi missverstanden. Uebrigens gab es auch eine Ueberlieferung, wonach
+der Ursprung des Volksfestes, statt wie gewoehnlich auf die Besiegung
+der Latiner durch den ersten Tarquinius, vielmehr auf die Besiegung der
+Latiner am Regiller See zurueckgefuehrt ward (Cic. div. 1, 26, 55;
+Dion. Hal. 7, 71). Dass die wichtigen, an der letzten Stelle aus Fabius
+aufbehaltenen Angaben in der Tat auf das gewoehnliche Dankfest und nicht
+auf eine besondere Votivfeierlichkeit gehen, zeigt die ausdrueckliche
+Hinweisung auf die jaehrliche Wiederkehr der Feier und die genau mit
+der Angabe bei dem falschen Asconius (Ps. Ascon. p. 142 Or.) stimmende
+Kostensumme. --------------------------------------------------- Denn
+an Dichtern fehlte es in Latium nicht. Latinische "Vaganten" oder
+"Baenkelsaenger" (grassatores, spatiatores) zogen von Stadt zu Stadt und
+von Haus zu Haus und trugen ihre Lieder (saturae) mit gestikulierendem
+Tanz zur Floetenbegleitung vor. Das Mass war natuerlich das einzige, das
+es damals gab, das sogenannte saturnische. Eine bestimmte Handlung lag
+den Liedern nicht zugrunde, und ebensowenig scheinen sie dialogisiert
+gewesen zu sein; man wird sich dieselben nach dem Muster jener
+eintoenigen, bald improvisierten, bald rezitierten Ballaten und
+Tarantellen vorstellen duerfen, wie man sie heute noch in den roemischen
+Osterien zu hoeren bekommt. Dergleichen Lieder kamen denn auch frueh
+auf die oeffentliche Buehne und sind allerdings der erste Keim des
+roemischen Theaters geworden. Aber diese Anfaenge der Schaubuehne sind
+in Rom nicht bloss, wie ueberall, bescheiden, sondern in bemerkenswerter
+Weise gleich von vornherein bescholten. Schon die Zwoelf Tafeln treten
+dem ueblen und nichtigen Singsang entgegen, indem sie nicht bloss auf
+Zauber-, sondern selbst auf Spottlieder, die man auf einen Mitbuerger
+verfertigt oder ihm vor der Tuere absingt, schwere Kriminalstrafen
+setzen und die Zuziehung von Klagefrauen bei der Bestattung verbieten.
+Aber weit strenger als durch die gesetzlichen Restriktionen ward die
+beginnende Kunstuebung durch den sittlichen Bann getroffen, welchen der
+philisterhafte Ernst des roemischen Wesens gegen diese leichtsinnigen
+und bezahlten Gewerbe schleuderte. "Das Dichterhandwerk", sagt Cato,
+"war sonst nicht angesehen; wenn jemand damit sich abgab oder bei den
+Gelagen sich anhaengte, so hiess er ein Bummler." Wer nun aber gar Tanz,
+Musik und Baenkelgesang fuer Geld betrieb, ward bei der immer mehr sich
+festsetzenden Bescholtenheit eines jeden durch Dienstverrichtungen
+gegen Entgelt gewonnenen Lebensunterhalts von einem zwiefachen Makel
+getroffen. Wenn daher das Mitwirken bei den landueblichen maskierten
+Charakterpossen als ein unschuldiger jugendlicher Mutwille betrachtet
+ward, so galt das Auftreten auf der oeffentlichen Buehne fuer Geld und
+ohne Masken geradezu fuer schaendlich, und der Saenger und Dichter stand
+dabei mit dem Seiltaenzer und dem Hanswurst voellig in gleicher Reihe.
+Dergleichen Leute wurden durch die Sittenmeister regelmaessig
+fuer unfaehig erklaert, in dem Buergerheer zu dienen und in der
+Buergerversammlung zu stimmen. Es wurde ferner nicht bloss, was allein
+schon bezeichnend genug ist, die Buehnendirektion betrachtet als zur
+Kompetenz der Stadtpolizei gehoerig, sondern es ward auch der
+Polizei wahrscheinlich schon in dieser Zeit gegen die gewerbmaessigen
+Buehnenkuenstler eine ausserordentliche arbitraere Gewalt eingeraeumt.
+Nicht allein hielten die Polizeiherren nach vollendeter Auffuehrung
+ueber sie Gericht, wobei der Wein fuer die geschickten Leute ebenso
+reichlich floss, wie fuer den Stuemper die Pruegel fielen, sondern es
+waren auch saemtliche staedtische Beamte gesetzlich befugt, ueber jeden
+Schauspieler zu jeder Zeit und an jedem Orte koerperliche Zuechtigung
+und Einsperrung zu verhaengen. Die notwendige Folge davon war, dass
+Tanz, Musik und Poesie, wenigstens soweit sie auf der oeffentlichen
+Buehne sich zeigten, den niedrigsten Klassen der roemischen
+Buergerschaft und vor allem den Fremden in die Haende fielen; und wenn
+in dieser Zeit die Poesie dabei noch ueberhaupt eine zu geringe Rolle
+spielte, als dass fremde Kuenstler mit ihr sich beschaeftigt haetten,
+so darf dagegen die Angabe, dass in Rom die gesamte sakrale und profane
+Musik wesentlich etruskisch, also die alte, einst offenbar hochgehaltene
+latinische Floetenkunst durch die fremdlaendische unterdrueckt war,
+schon fuer diese Zeit gueltig erachtet werden. Von einer poetischen
+Literatur ist keine Rede. Weder die Maskenspiele noch die
+Buehnenrezitationen koennen eigentlich feste Texte gehabt haben, sondern
+wurden je nach Beduerfnis regelmaessig von den Vortragenden selbst
+verfertigt. Von schriftstellerischen Arbeiten aus dieser Zeit wusste man
+spaeterhin nichts aufzuzeigen als eine Art roemischer 'Werke und Tage',
+eine Unterweisung des Bauern an seinen Sohn ^2, und die schon erwaehnten
+pythagoreischen Gedichte des Appius Claudius, den ersten Anfang
+hellenisierender roemischer Poesie. Uebrig geblieben ist von den
+Dichtungen dieser Epoche nichts als eine und die andere Grabschrift
+im saturnischen Masse. Wie die Anfaenge der roemischen Schaubuehne so
+gehoeren auch die Anfaenge der roemischen Geschichtschreibung in
+diese Epoche, sowohl der gleichzeitigen Aufzeichnung der merkwuerdigen
+Ereignisse wie der konventionellen Feststellung der Vorgeschichte der
+roemischen Gemeinde. Die gleichzeitige Geschichtschreibung knuepft an
+das Beamtenverzeichnis an. Das am weitesten zurueckreichende, das den
+spaeteren roemischen Forschern vorgelegen hat und mittelbar auch uns
+noch vorliegt, scheint aus dem Archiv des kapitolinischen Jupitertempels
+herzuruehren, da es von dem Konsul Marcus Horatius an, der denselben
+am 13. September seines Amtsjahres einweihte, die Namen der jaehrigen
+Gemeindevorsteher auffuehrt, auch auf das unter den Konsuln Publius
+Servilius und Lucius Aebutius (nach der jetzt gangbaren Zaehlung 291 der
+Stadt 463) bei Gelegenheit einer schweren Seuche erfolgte Geloebnis:
+von da an jedes hundertste Jahr in die Wand des kapitolinischen Tempels
+einen Nagel zu schlagen, Ruecksicht nimmt. Spaeterhin sind es die Mass-
+und Schriftgelehrten der Gemeinde, das heisst die Pontifices, welche
+die Namen der jaehrigen Gemeindevorsteher von Amts wegen verzeichnen
+und also mit der aelteren Monat- eine Jahrtafel verbinden; beide werden
+seitdem unter dem - eigentlich nur der Gerichtstagtafel zukommenden -
+Namen der Fasten zusammengefasst. Diese Einrichtung mag nicht lange nach
+der Abschaffung des Koenigtums getroffen sein, da in der Tat, um
+die Reihenfolge der oeffentlichen Akte konstatieren zu koennen,
+die offizielle Verzeichnung der Jahrbeamten dringendes praktisches
+Beduerfnis war; aber wenn es ein so altes offizielles Verzeichnis der
+Gemeindebeamten gegeben hat, so ist dies wahrscheinlich im
+gallischen Brande (364 390) zugrunde gegangen und die Liste des
+Pontifikalkollegiums nachher aus der von dieser Katastrophe nicht
+betroffenen kapitolinischen, so weit diese zurueckreichte, ergaenzt
+worden. Dass das uns vorliegende Vorsteherverzeichnis zwar in den
+Nebensachen, besonders den genealogischen Angaben nach der Hand aus den
+Stammbaeumen des Adels vervollstaendigt worden ist, im wesentlichen
+aber von Anfang an auf gleichzeitige und glaubwuerdige Aufzeichnungen
+zurueckgeht, leidet keinen Zweifel; die Kalenderjahre aber gibt dasselbe
+nur unvollkommen und annaehernd wieder, da die Gemeindevorsteher
+nicht mit dem Neujahr, ja nicht einmal mit einem ein fuer allemal
+festgestellten Tage antraten, sondern aus mancherlei Veranlassungen
+der Antrittstag sich hin und her schob und die haeufig zwischen zwei
+Konsulaten eintretenden Zwischenregierungen in der Rechnung nach
+Amtsjahren ganz ausfielen. Wollte man dennoch nach dieser Vorsteherliste
+die Kalenderjahre zaehlen, so war es noetig, den Antritts- und
+Abgangstag eines jeden Kollegiums nebst den etwaigen Interregnen mit
+anzumerken; und auch dies mag frueh geschehen sein. Ausserdem aber
+wurde die Liste der Jahrbeamten zur Kalenderjahrliste in der Weise
+hergerichtet, dass man durch Akkommodation jedem Kalenderjahr ein
+Beamtenpaar zuteilte und, wo die Liste nicht ausreichte, Fuelljahre
+einlegte, welche in der spaeteren (Varronischen) Tafel mit den Ziffern
+379-383, 421, 430, 445, 453 bezeichnet sind. Vom Jahre 291 (463) ist
+die roemische Liste nachweislich, zwar nicht im einzelnen, wohl aber im
+ganzen, mit dem roemischen Kalender in Uebereinstimmung, also insoweit
+chronologisch sicher, als die Mangelhaftigkeit des Kalenders selbst dies
+verstattet; die jenseits jenes Jahres liegenden 47 Jahrstellen entziehen
+sich der Kontrolle, werden aber wenigstens in der Hauptsache gleichfalls
+richtig sein ^3; was jenseits des Jahres 245 (509) liegt,
+ist chronologisch verschollen.
+----------------------------------------------------- ^2 Erhalten ist
+davon das Bruchstueck: Bei trocknem Herbste, nassem - Fruehling, wirst
+du, Knabe, Einernten grosse Spelte. Wir wissen freilich nicht, mit
+welchem Rechte dieses Gedicht spaeterhin als das aelteste roemische
+galt (Macr. Sat. 5, 20; Fest. v. flaminius p. 93 M; Serv. georg. 1,
+101; Plin. nat. 17, 2, 14). ^3 Nur die ersten Stellen in der Liste geben
+Anlass zum Verdacht und moegen spaeter hinzugefuegt sein, um die Zahl
+der Jahre von der Koenigsflucht bis zum Stadtbrande auf 120
+abzurunden. ------------------------------------------------ Eine
+gemeingebraeuchliche Aera hat sich nicht gebildet; doch ist in
+sakralen Verhaeltnissen gezaehlt worden nach dem Einweihungsjahr des
+kapitolinischen Jupitertempels, von wo ab ja auch die Beamtenliste lief.
+Nahe lag es, neben den Namen der Beamten die wichtigsten unter ihrer
+Amtsfuehrung vorgefallenen Ereignisse anzumerken; und aus solchen, dem
+Beamtenkatalog beigefuegten Nachrichten ist die roemische Chronik,
+ganz wie aus den der Ostertafel beigeschriebenen Notizen die
+mittelalterliche, hervorgegangen. Aber erst spaet kam es zu der Anlegung
+einer foermlichen, die Namen saemtlicher Beamten und die merkwuerdigen
+Ereignisse Jahr fuer Jahr stetig verzeichnenden Chronik (liber annalis)
+durch die Pontifices. Vor der unter dem 5. Juni 351 (403) angemerkten
+Sonnenfinsternis, womit wahrscheinlich die vom 20. Juni 354
+(400) gemeint ist, fand sich in der spaeteren Stadtchronik keine
+Sonnenfinsternis nach Beobachtung verzeichnet; die Zensuszahlen
+derselben fangen erst seit dem Anfang des fuenften Jahrhunderts der
+Stadt an, glaublich zu lauten; die vor dem Volk gefuehrten Busssachen
+und die von Gemeinde wegen gesuehnten Wunderzeichen scheint man erst
+seit der zweiten Haelfte des fuenften Jahrhunderts regelmaessig in die
+Chronik eingetragen zu haben. Allem Anschein nach hat die Einrichtung
+eines geordneten Jahrbuchs und, was sicher damit zusammenhaengt, die
+eben eroerterte Redaktion der aelteren Beamtenliste zum Zweck der
+Jahrzaehlung mittels Einlegung der chronologisch noetigen Fuelljahre in
+der ersten Haelfte des fuenften Jahrhunderts stattgefunden. Aber auch
+nachdem sich die Uebung festgestellt hatte, dass es dem Oberpontifex
+obliege, Kriegslaeufte und Kolonisierungen, Pestilenz und teuere
+Zeit, Finsternisse und Wunder, Todesfaelle der Priester und anderer
+angesehener Maenner, die neuen Gemeindebeschluesse, die Ergebnisse
+der Schatzung Jahr fuer Jahr aufzuschreiben und diese Anzeichnungen in
+seiner Amtwohnung zu bleibendem Gedaechtnis und zu jedermanns Einsicht
+aufzustellen, war man damit von einer wirklichen Geschichtschreibung
+noch weit entfernt. Wie duerftig die gleichzeitige Aufzeichnung noch am
+Schlusse dieser Periode war und wie weiten Spielraum sie der Willkuer
+spaeterer Annalisten gestattete, zeigt mit schneidender Deutlichkeit die
+Vergleichung der Berichte ueber den Feldzug vom Jahre 456 (298) in
+den Jahrbuechern und auf der Grabschrift des Konsuls Scipio ^4. Die
+spaeteren Historiker waren augenscheinlich ausserstande, aus diesen
+Stadtbuchnotizen einen lesbaren und einigermassen zusammenhaengenden
+Bericht zu gestalten; und auch wir wuerden, selbst wenn uns das
+Stadtbuch noch in seiner urspruenglichen Fassung vorlaege, schwerlich
+daraus die Geschichte der Zeit pragmatisch zu schreiben vermoegen. Indes
+gab es solche Stadtchroniken nicht bloss in Rom, sondern jede latinische
+Stadt hat wie ihre Pontifices, so auch ihre Annalen besessen, wie dies
+aus einzelnen Notizen zum Beispiel fuer Ardea, Ameria, Interamna am Nar
+deutlich hervorgeht; und mit der Gesamtheit dieser Stadtchroniken haette
+vielleicht sich etwas Aehnliches erreichen lassen, wie es fuer
+das fruehere Mittelalter durch die Vergleichung der verschiedenen
+Klosterchroniken erreicht worden ist. Leider hat man in Rom
+spaeterhin es vorgezogen, die Luecke vielmehr durch hellenische
+oder hellenisierende Luege zu fuellen.
+------------------------------------------------ ^4 1, 470. Nach den
+Annalen kommandiert Scipio in Etrurien, sein Kollege in Samnium und ist
+Lucanien dies Jahr im Bunde mit Rom; nach der Grabschrift erobert
+Scipio zwei Staedte in Samnium und ganz Lucanien.
+------------------------------------------------ Ausser diesen
+freilich duerftig angelegten und unsicher gehandhabten offiziellen
+Veranstaltungen zur Feststellung der verflossenen Zeiten und vergangenen
+Ereignisse koennen in dieser Epoche kaum Aufzeichnungen vorgekommen
+sein, welche der roemischen Geschichte unmittelbar gedient haetten.
+Von Privatchroniken findet sich keine Spur. Nur liess man sich in den
+vornehmen Haeusern es angelegen sein, die auch rechtlich so wichtigen
+Geschlechtstafeln festzustellen und den Stammbaum zu bleibendem
+Gedaechtnis auf die Wand des Hausflurs zu malen. An diesen Listen,
+die wenigstens auch die Aemter nannten, fand nicht bloss die
+Familientradition einen Halt, sondern es knuepften sich hieran auch wohl
+frueh biographische Aufzeichnungen. Die Gedaechtnisreden, welche in
+Rom bei keiner vornehmen Leiche fehlen durften und regelmaessig von
+dem naechsten Verwandten des Verstorbenen gehalten wurden, bestanden
+wesentlich nicht bloss in der Aufzaehlung der Tugenden und Wuerden des
+Toten, sondern auch in der Aufzaehlung der Taten und Tugenden seiner
+Ahnen; und so gingen auch sie wohl schon in fruehester Zeit traditionell
+von einer Generation auf die andere ueber. Manche wertvolle Nachricht
+mochte hierdurch erhalten, freilich auch manche dreiste Verdrehung
+und Faelschung in die Ueberlieferung eingefuehrt werden. Aber wie die
+Anfaenge der wirklichen Geschichtschreibung gehoeren ebenfalls in diese
+Zeit die Anfaenge der Aufzeichnung und konventionellen Entstellung der
+Vorgeschichte Roms. Die Quellen dafuer waren natuerlich dieselben wie
+ueberall. Einzelne Namen, wie die der Koenige Numa, Ancus, Tullus,
+denen die Geschlechtsnamen wohl erst spaeter zugeteilt worden sind,
+und einzelne Tatsachen, wie die Besiegung der Latiner durch Koenig
+Tarquinius und die Vertreibung des tarquinischen Koenigsgeschlechts
+mochten in allgemeiner, muendlich fortgepflanzter wahrhafter
+Ueberlieferung fortleben. Anderes lieferte die Tradition der adligen
+Geschlechter, wie zum Beispiel die Fabiererzaehlungen mehrfach
+hervortreten. In anderen Erzaehlungen wurden uralte Volksinstitutionen,
+besonders mit grosser Lebendigkeit rechtliche Verhaeltnisse symbolisiert
+und historisiert; so die Heiligkeit der Mauern in der Erzaehlung vom
+Tode des Remus, die Abschaffung der Blutrache in der von dem Ende des
+Koenigs Tatius, die Notwendigkeit der die Pfahlbruecke betreffenden
+Ordnung in der Sage von Horatius Cocles ^5, die Entstehung des
+Gnadenurteils der Gemeinde in der schoenen Erzaehlung von den Horatiern
+und Curiatiern, die Entstehung der Freilassung und des Buergerrechts
+der Freigelassenen in derjenigen von der Tarquinierverschwoerung und dem
+Sklaven Vindicius. Ebendahin gehoert die Geschichte der Stadtgruendung
+selbst, welche Roms Ursprung an Latium und die allgemeine latinische
+Metropole Alba anknuepfen soll. Zu den Beinamen der vornehmen Roemer
+entstanden historische Glossen, wie zum Beispiel Publius Valerius der
+"Volksdiener" (Poplicola) einen ganzen Kreis derartiger Anekdoten um
+sich gesammelt hat, und vor allem knuepften an den heiligen Feigenbaum
+und andere Plaetze und Merkwuerdigkeiten der Stadt sich in grosser
+Menge Kuestererzaehlungen von der Art derjenigen an, aus denen ueber ein
+Jahrtausend spaeter auf demselben Boden die Mirabilia Urbis erwuchsen.
+Eine gewisse Zusammenknuepfung dieser verschiedenen Maerchen, die
+Feststellung der Reihe der sieben Koenige, die ohne Zweifel auf der
+Geschlechterrechnung ruhende Ansetzung ihrer Regierungszeit insgesamt
+auf 240 Jahre ^6 und selbst der Anfang offizieller Aufzeichnung dieser
+Ansetzungen hat wahrscheinlich schon in dieser Epoche stattgefunden: die
+Grundzuege der Erzaehlung und namentlich deren Quasichronologie treten
+in der spaeteren Tradition mit so unwandelbarer Festigkeit auf, dass
+schon darum ihre Fixierung nicht in, sondern vor die literarische Epoche
+Roms gesetzt werden muss. Wenn bereits im Jahre 458 (296) die an den
+Zitzen der Woelfin saugenden Zwillinge Romulus und Remus in Erz gegossen
+an dem heiligen Feigenbaum aufgestellt wurden, so muessen die Roemer,
+die Latium und Samnium bezwangen, die Entstehungsgeschichte ihrer
+Vaterstadt nicht viel anders vernommen haben als wir sie bei Livius
+lesen; sogar die Aboriginer, das sind die "Vonanfanganer", dies naive
+Rudiment der geschichtlichen Spekulation des latinischen Stammes,
+begegnen schon um 465 (289) bei dem sizilischen Schriftsteller Kallias.
+Es liegt in der Natur der Chronik, dass sie zu der Geschichte die
+Vorgeschichte fuegt und wenn nicht bis auf die Entstehung von Himmel
+und Erde, doch wenigstens bis auf die Entstehung der Gemeinde
+zurueckgefuehrt zu werden verlangt; und es ist auch ausdruecklich
+bezeugt, dass die Tafel der Pontifices das Gruendungsjahr Roms angab.
+Danach darf angenommen werden, dass das Pontifikalkollegium, als es
+in der ersten Haelfte des fuenften Jahrhunderts anstatt der
+bisherigen spaerlichen und in der Regel wohl auf die Beamtennamen
+sich beschraenkenden Aufzeichnungen zu der Anlegung einer foermlichen
+Jahreschronik fortschritt, auch die zu Anfang fehlende Geschichte
+der Koenige Roms und ihres Sturzes hinzufuegte und, indem es auf den
+Einweihungstag des kapitolinischen Tempels, den 13. September 245
+(509), zugleich die Stiftung der Republik setzte, einen freilich nur
+scheinhaften Zusammenhang zwischen der zeitlosen und der annalistischen
+Erzaehlung herstellte. Dass bei dieser aeltesten Aufzeichnung der
+Urspruenge Roms auch der Hellenismus seine Hand im Spiele gehabt
+hat, ist kaum zu bezweifeln; die Spekulation ueber Ur- und spaetere
+Bevoelkerung, ueber die Prioritaet des Hirtenlebens vor dem Ackerbau
+und die Umwandlung des Menschen Romulus in den Gott Quirinus sehen ganz
+griechisch aus, und selbst die Truebung der echt nationalen Gestalten
+des frommen Numa und der weisen Egeria durch die Einmischung
+fremdlaendischer pythagoreischer Urweisheit scheint keineswegs zu
+den juengsten Bestandteilen der roemischen Vorgeschichte zu gehoeren.
+--------------------------------------- ^5 Diese Richtung der Sage
+erhellt deutlich aus dem aelteren Plinius (nat. 36, 15, 100). ^6 Man
+rechnete, wie es scheint, drei Geschlechter auf ein Jahrhundert und
+rundete die Ziffer 233 1/3 auf 240 ab, aehnlich wie die Epoche zwischen
+der Koenigsflucht und dem Stadtbrand auf 120 Jahre abgerundet ward.
+Wodurch man gerade auf diese Zahlen gefuehrt ward, zeigt zum
+Beispiel die oben eroerterte Feststellung des Flaechenmasses.
+-------------------------------------- Analog diesen Anfaengen der
+Gemeinde sind auch die Stammbaeume der edlen Geschlechter in aehnlicher
+Weise vervollstaendigt und in beliebter heraldischer Manier durchgaengig
+auf erlauchte Ahnen zurueckgefuehrt worden; wie denn zum Beispiel die
+Aemilier, Calpurnier, Pinarier und Pomponier von den vier Soehnen des
+Numa: Mamercus, Calpus, Pinus und Pompo, die Aemilier ueberdies noch von
+dem Sohne des Pythagoras Mamercus, der "Wohlredende" (aim?los) genannt,
+abstammen wollten. Dennoch darf trotz der ueberall hervortretenden
+hellenischen Reminiszenzen diese Vorgeschichte der Gemeinde wie der
+Geschlechter wenigstens relativ eine nationale genannt werden, insofern
+sie teils in Rom entstanden, teils ihre Tendenz zunaechst nicht darauf
+gerichtet ist, eine Bruecke zwischen Rom und Griechenland, sondern eine
+Bruecke zwischen Rom und Latium zu schlagen. Es war die hellenische
+Erzaehlung und Dichtung, welche jener anderen Aufgabe sich unterzog. Die
+hellenische Sage zeigt durchgaengig das Bestreben, mit der allmaehlich
+sich erweiternden geographischen Kunde Schritt zu halten und mit Hilfe
+ihrer zahllosen Wander- und Schiffergeschichten eine dramatisierte
+Erdbeschreibung zu gestalten. Indes verfaehrt sie dabei selten naiv.
+Ein Bericht wie der des aeltesten Rom erwaehnenden griechischen
+Geschichtswerkes, der sizilischen Geschichte des Antiochos von Syrakus
+(geschlossen 330 424): dass ein Mann namens Sikelos aus Rom nach Italia,
+das heisst nach der brettischen Halbinsel gewandert sei - ein solcher,
+einfach die Stammverwandtschaft der Roemer, Siculer und Brettier
+historisierender und von aller hellenisierenden Faerbung freier Bericht
+ist eine seltene Erscheinung. Im ganzen ist die Sage, und je spaeter
+desto mehr, beherrscht von der Tendenz, die ganze Barbarenwelt
+darzustellen als von den Griechen entweder ausgegangen oder doch
+unterworfen; und frueh zog sie in diesem Sinn ihre Faeden auch ueber den
+Westen. Fuer Italien sind weniger die Herakles- und Argonautensage
+von Bedeutung geworden, obwohl bereits Hekataeos (+ nach 257 497) die
+Saeulen des Herakles kennt und die Argo aus dem Schwarzen Meer in den
+Atlantischen Ozean, aus diesem in den Nil und zurueck in das Mittelmeer
+fuehrt, als die an den Fall Ilions anknuepfenden Heimfahrten. Mit
+der ersten aufdaemmernden Kunde von Italien beginnt auch Diomedes
+im Adriatischen, Odysseus im Tyrrhenischen Meer zu irren, wie denn
+wenigstens die letztere Lokalisierung schon der Homerischen Fassung
+der Sage nahe genug lag. Bis in die Zeiten Alexanders hinein haben die
+Landschaften am Tyrrhenischen Meer in der hellenischen Fabulierung zum
+Gebiet der Odysseussage gehoert; noch Ephoros, der mit dem Jahre 414
+(340) schloss, und der sogenannte Skylax (um 418 336) folgen wesentlich
+dieser. Von troischen Seefahrten weiss die ganze aeltere Poesie nichts;
+bei Homer herrscht Aeneas nach Ilions Fall ueber die in der Heimat
+zurueckbleibenden Troer. Erst der grosse Mythenwandler Stesichoros
+(122-201 632-553) fuehrte in seiner 'Zerstoerung Ilions' den Aeneas in
+das Westland, um die Fabelwelt seiner Geburts- und seiner Wahlheimat,
+Siziliens und Unteritaliens, durch den Gegensatz der troischen Helden
+gegen die hellenischen poetisch zu bereichern. Von ihm ruehren die
+seitdem feststehenden dichterischen Umrisse dieser Fabel her, namentlich
+die Gruppe des Helden, wie er mit der Gattin und dem Soehnchen und
+dem alten, die Hausgoetter tragenden Vater aus dem brennenden
+Ilion davongeht, und die wichtige Identifizierung der Troer mit den
+sizilischen und italischen Autochthonen, welche besonders in dem
+troischen Trompeter Misenos, dem Eponymos des Misenischen Vorgebirges,
+schon deutlich hervortritt ^7. Den alten Dichter leitete dabei das
+Gefuehl, dass die italischen Barbaren den Hellenen minder fern als
+die uebrigen standen und das Verhaeltnis der Hellenen und der Italiker
+dichterisch angemessen dem der homerischen Achaeer und Troer gleich
+gefasst werden konnte. Bald mischt sich denn diese neue Troerfabel mit
+der aelteren Odysseussage, indem sie zugleich sich weiter ueber Italien
+verbreitet. Nach Hellanikos (schrieb um 350 400) kamen Odysseus und
+Aeneas durch die thrakische und molottische (epeirotische) Landschaft
+nach Italien, wo die mitgefuehrten troischen Frauen die Schiffe
+verbrennen und Aeneas die Stadt Rom gruendet und sie nach dem Namen
+einer dieser Troerinnen benennt; aehnlich, nur minder unsinnig,
+erzaehlte Aristoteles (370- 432 384-322), dass ein achaeisches, an die
+latinische Kueste verschlagenes Geschwader von den troischen Sklavinnen
+angezuendet worden und aus den Nachkommen der also zum Dableiben
+genoetigten achaeischen Maenner und ihrer troischen Frauen die Latiner
+hervorgegangen seien. Damit mischten denn auch sich Elemente der
+einheimischen Sage, wovon der rege Verkehr zwischen Sizilien und
+Italien wenigstens gegen das Ende dieser Epoche schon die Kunde bis nach
+Sizilien verbreitet hatte; in der Version von Roms Entstehung, welche
+der Sizilianer Kallias um 465 (289) aufzeichnete, sind Odysseus-,
+Aeneas- und Romulusfabeln ineinandergeflossen ^8. Aber der eigentliche
+Vollender der spaeter gelaeufigen Fassung dieser Troerwanderung ist
+Timaeos von Tauromenion auf Sizilien, der sein Geschichtswerk 492 (262)
+schloss. Er ist es, bei dem Aeneas zuerst Lavinium mit dem Heiligtum
+der troischen Penaten und dann erst Rom gruendet; er muss auch schon die
+Tyrerin Elisa oder Dido in die Aeneassage eingeflochten haben, da bei
+ihm Dido Karthagos Gruenderin ist und Rom und Karthago ihm in demselben
+Jahre erbaut heissen. Den Anstoss zu diesen Neuerungen gaben, neben
+der eben zu der Zeit und an dem Orte, wo Timaeos schrieb, sich
+vorbereitenden Krise zwischen den Roemern und den Karthagern, offenbar
+gewisse nach Sizilien gelangte Berichte ueber latinische Sitten und
+Gebraeuche; im wesentlichen aber kann die Erzaehlung nicht von Latium
+heruebergenommen, sondern nur die eigene nichtsnutzige Erfindung der
+alten "Sammelvettel" gewesen sein. Timaeos hatte von dem uralten Tempel
+der Hausgoetter in Lavinium erzaehlen hoeren; aber dass diese den
+Lavinaten als die von den Aeneiaden aus Ilion mitgebrachten Penaten
+gaelten, hat er ebenso sicher von dem Seinigen hinzugetan, wie die
+scharfsinnige Parallele zwischen dem roemischen Oktoberross und dem
+Trojanischen Pferde und die genaue Inventarisierung der lavinischen
+Heiligtuemer - es waren, sagt der wuerdige Gewaehrsmann, Heroldstaebe
+von Eisen und Kupfer und ein toenerner Topf troischer Fabrik! Freilich
+durften eben die Penaten noch Jahrhunderte spaeter durchaus von keinem
+geschaut werden; aber Timaeos war einer von den Historikern, die ueber
+nichts so genau Bescheid wissen als ueber unwissbare Dinge. Nicht mit
+Unrecht riet Polybios, der den Mann kannte, ihm nirgend zu trauen, am
+wenigsten aber da, wo er - wie hier - sich auf urkundliche Beweisstuecke
+berufe. In der Tat war der sizilische Rhetor, der das Grab des
+Thukydides in Italien zu zeigen wusste und der fuer Alexander kein
+hoeheres Lob fand, als dass er schneller mit Asien fertig geworden sei
+als Isokrates mit seiner 'Lobrede', vollkommen berufen, aus der naiven
+Dichtung der aelteren Zeit den wuesten Brei zu kneten, welchem das
+Spiel des Zufalls eine so seltsame Zelebritaet verliehen hat.
+---------------------------------------------------- ^7 Auch die
+troischen Kolonien" auf Sizilien, die Thukydides, Pseudoskylax und
+andere nennen, sowie die Bezeichnung Capuas als einer troischen
+Gruendung bei Hekataeos werden auf Stesichoros und auf dessen
+Identifizierung der italischen und sizilischen Eingeborenen mit den
+Troern zurueckgehen. ^8 Nach ihm vermaehlte sich eine aus Ilion nach Rom
+gefluechtete Frau Rome oder vielmehr deren gleichnamige Tochter mit dem
+Koenig der Aboriginer Latinos und gebar ihm drei Soehne, Romos, Romylos
+und Telegonos. Der letzte, der ohne Zweifel hier als Gruender von
+Tusculum und Praeneste auftritt, gehoert bekanntlich der Odysseussage
+an. -------------------------------------------------- Inwieweit die
+hellenische Fabulierung ueber italische Dinge, wie sie zunaechst in
+Sizilien entstand, schon jetzt in Italien selbst Eingang gefunden
+hat, ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Die Anknuepfungen an
+den odysseischen Kreis, welche spaeterhin in den Gruendungssagen von
+Tusculum, Praeneste, Antium, Ardea, Cortona begegnen, werden wohl
+schon in dieser Zeit sich angesponnen haben; und auch der Glaube an die
+Abstammung der Roemer von Troern oder Troerinnen musste schon am Schluss
+dieser Epoche in Rom feststehen, da die erste nachweisliche Beruehrung
+zwischen Rom und dem griechischen Osten die Verwendung des Senats fuer
+die "stammverwandten" Ilier im Jahre 472 (282) ist. Dass aber dennoch
+die Aeneasfabel in Italien verhaeltnismaessig jung ist, beweist ihre im
+Vergleich mit der odysseischen hoechst duerftige Lokalisierung; und die
+Schlussredaktion dieser Erzaehlungen sowie ihre Ausgleichung mit der
+roemischen Ursprungssage gehoert auf jeden Fall erst der Folgezeit an.
+Waehrend also bei den Hellenen die Geschichtschreibung, oder was so
+genannt ward, sich um die Vorgeschichte Italiens in ihrer Art bemuehte,
+liess sie in einer fuer den gesunkenen Zustand der hellenischen Historie
+ebenso bezeichnenden wie fuer uns empfindlichen Weise die gleichzeitige
+italische Geschichte so gut wie vollstaendig liegen. Kaum dass
+Theopomp von Chios (schloss 418 336) der Einnahme Roms durch die
+Kelten beilaeufig gedachte und Aristoteles, Kleitarchos, Theophrastos,
+Herakleides von Pontos (+ um 450 300) einzelne Rom betreffende
+Ereignisse gelegentlich erwaehnten; erst mit Hieronymos von Kardia,
+der als Geschichtschreiber des Pyrrhos auch dessen italische Kriege
+erzaehlte, wird die griechische Historiographie zugleich Quelle fuer die
+roemische Geschichte. Unter den Wissenschaften empfing die Jurisprudenz
+eine unschaetzbare Grundlage durch die Aufzeichnung des Stadtrechts in
+den Jahren 303, 304 (451, 450). Dieses unter dem Namen der Zwoelf Tafeln
+bekannte Weistum ist wohl das aelteste roemische Schriftstueck, das
+den Namen eines Buches verdient. Nicht viel juenger mag der Kern
+der sogenannten "koeniglichen Gesetze" sein, das heisst gewisser,
+vorzugsweise sakraler Vorschriften, die auf Herkommen beruhten und
+wahrscheinlich von dem Kollegium der Pontifices, das zur Gesetzgebung
+nicht, wohl aber zur Gesetzweisung befugt war, unter der Form
+koeniglicher Verordnungen zu allgemeiner Kunde gebracht wurden.
+Ausserdem sind vermutlich schon seit dem Anfang dieser Periode wenn
+nicht die Volks-, so doch die wichtigsten Senatsbeschluesse regelmaessig
+schriftlich verzeichnet worden; wie denn ueber deren Aufbewahrung
+bereits in den fruehesten staendischen Kaempfen mitgestritten ward.
+Waehrend also die Masse der geschriebenen Rechtsurkunden sich mehrte,
+stellten auch die Grundlagen einer eigentlichen Rechtswissenschaft sich
+fest. Sowohl den jaehrlich wechselnden Beamten als den aus dem Volke
+herausgegriffenen Geschworenen war es Beduerfnis, an sachkundige
+Maenner sich wenden zu koennen, welche den Rechtsgang kannten und nach
+Praezedentien oder in deren Ermangelung nach Gruenden eine Entscheidung
+an die Hand zu geben wussten. Die Pontifices, die es gewohnt waren,
+sowohl wegen der Gerichtstage als wegen aller auf die Goetterverehrung
+bezueglichen Bedenken und Rechtsakte vom Volke angegangen zu werden,
+gaben auch in anderen Rechtspunkten auf Verlangen Ratschlaege und
+Gutachten ab und entwickelten so im Schoss ihres Kollegiums die
+Tradition, die dem roemischen Privatrecht zugrunde liegt, vor allem die
+Formeln der rechten Klage fuer jeden einzelnen Fall. Ein Spiegel,
+der all diese Klagen zusammenfasste, nebst einem Kalender, der die
+Gerichtstage angab, wurde um 450 (300) von Appius Claudius oder von
+dessen Schreiber Gnaeus Flavius dem Volk bekanntgemacht. Indes
+dieser Versuch, die ihrer selbst noch nicht bewusste Wissenschaft zu
+formulieren, steht fuer lange Zeit gaenzlich vereinzelt da. Dass die
+Kunde des Rechtes und die Rechtweisung schon jetzt ein Mittel war,
+dem Volk sich zu empfehlen und zu Staatsaemtern zu gelangen, ist
+begreiflich, wenn auch die Erzaehlung, dass der erste plebejische
+Pontifex Publius Sempronius Sophus (Konsul 450 304) und der erste
+plebejische Oberpontifex Tiberius Coruncanius (Konsul 474 280) diese
+Priesterehren ihrer Rechtskenntnis verdankten, wohl eher Mutmassung
+Spaeterer ist als Ueberlieferung. Dass die eigentliche Genesis der
+lateinischen und wohl auch der anderen italischen Sprachen vor diese
+Periode faellt und schon zu Anfang derselben die lateinische Sprache im
+wesentlichen fertig war, zeigen die freilich durch ihre halb muendliche
+Tradition stark modernisierten Bruchstuecke der Zwoelf Tafeln, welche
+wohl eine Anzahl veralteter Woerter und schroffer Verbindungen,
+namentlich infolge der Weglassung des unbestimmten Subjekts, aber
+doch keineswegs, wie das Arvalied, wesentliche Schwierigkeiten des
+Verstaendnisses darbieten und weit mehr mit der Sprache Catos als mit
+der der alten Litaneien uebereinkommen. Wenn die Roemer im Anfang des
+siebenten Jahrhunderts Muehe hatten, Urkunden des fuenften zu verstehen,
+so kam dies ohne Zweifel nur daher, dass es damals in Rom noch keine
+eigentliche Forschung, am wenigsten eine Urkundenforschung gab. Dagegen
+wird in dieser Zeit der beginnenden Rechtweisung und Gesetzesredaktion
+auch der roemische Geschaeftsstil zuerst sich festgestellt haben,
+welcher, wenigstens in seiner entwickelten Gestalt, an feststehenden
+Formeln und Wendungen, endloser Aufzaehlung der Einzelheiten und
+langatmigen Perioden der heutigen englischen Gerichtssprache nichts
+nachgibt und sich dem Eingeweihten durch Schaerfe und Bestimmtheit
+empfiehlt, waehrend der Laie je nach Art und Laune mit Ehrfurcht,
+Ungeduld oder Aerger nichtsverstehend zuhoert. Ferner begann in dieser
+Epoche die rationelle Behandlung der einheimischen Sprachen. Um
+den Anfang derselben drohte, wie wir sahen, das sabellische wie das
+latinische Idiom sich zu barbarisieren und griff die Verschleifung
+der Endungen, die Verdumpfung der Vokale und der feineren Konsonanten
+aehnlich um sich wie im fuenften und sechsten Jahrhundert unserer
+Zeitrechnung innerhalb der romanischen Sprachen. Hiergegen trat aber
+eine Reaktion ein: im Oskischen werden die zusammengefallenen Laute
+d und r, im Lateinischen die zusammengefallenen Laute g und k wieder
+geschieden und jeder mit seinem eigenen Zeichen versehen; o und u,
+fuer die es im oskischen Alphabet von Haus aus an gesonderten Zeichen
+gemangelt hatte und die im Lateinischen zwar urspruenglich geschieden
+waren, aber zusammenzufallen drohten, traten wieder auseinander, ja im
+Oskischen wird sogar das i in zwei lautlich und graphisch verschiedene
+Zeichen aufgeloest; endlich schliesst die Schreibung sich der Aussprache
+wieder genauer an, wie zum Beispiel bei den Roemern vielfaeltig s durch
+r ersetzt ward. Die chronologischen Spuren fuehren fuer diese Reaktion
+auf das fuenfte Jahrhundert; das lateinische g zum Beispiel war um das
+Jahr 300 (450) noch nicht, wohl aber um das Jahr 500 (250) vorhanden;
+der erste des Papirischen Geschlechts, der sich Papirius statt Papisius
+nannte, war der Konsul des Jahres 418 (336); die Einfuehrung jenes r
+anstatt des s wird dem Appius Claudius, Zensor 442 (312) beigelegt.
+Ohne Zweifel steht die Zurueckfuehrung einer feineren und schaerferen
+Aussprache im Zusammenhang mit dem steigenden Einfluss der griechischen
+Zivilisation, welcher eben in dieser Zeit sich auf allen Gebieten des
+italischen Wesens bemerklich macht; und wie die Silbermuenzen von Capua
+und Nola weit vollkommener sind als die gleichzeitigen Asse von Ardea
+und Rom, so scheint auch Schrift und Sprache rascher und vollstaendiger
+sich im kampanischen Lande reguliert zu haben als in Latium. Wie wenig
+trotz der darauf gewandten Muehe die roemische Sprache und Schreibweise
+noch am Schlusse dieser Epoche festgestellt war, beweisen die aus
+dem Ende des fuenften Jahrhunderts erhaltenen Inschriften, in denen
+namentlich in der Setzung oder Weglassung von m, d und s im Auslaut
+und n im Inlaut und in der Unterscheidung der Vokale o u und e i die
+groesste Willkuer herrscht ^9; es ist wahrscheinlich, dass gleichzeitig
+die Sabeller hierin schon weiter waren, waehrend die Umbrer von dem
+regenerierenden hellenischen Einfluss nur wenig beruehrt worden sind.
+----------------------------------------------------- ^9 In den beiden
+Grabschriften des Lucius Scipio, Konsul 456 (298), und des gleichnamigen
+Konsuls vom Jahre 495 (259) fehlen m und d im Auslaut der Beugungen
+regelmaessig, doch findet sich einmal Luciom und einmal Gnaivod; es
+steht nebeneinander im Nominativ Cornelio und filios; cosol, cesor und
+consol censor; aidiles, dedet, ploirume (= plurimi), hec (Nom.
+Sing.) neben aidilis, cepit, quei, hic. Der Rhotazismus ist bereits
+vollstaendig durchgefuehrt; man findet duonoro (= bonorum),
+ploirume, nicht wie im saliarischen Liede foedesum, plusima. Unsere
+inschriftlichen Ueberreste reichen ueberhaupt im allgemeinen nicht ueber
+den Rhotazismus hinauf; von dem aelteren s begegnen nur einzelne
+Spuren, wie noch spaeterhin honos, labos neben honor und labor und
+die aehnlichen Frauenvornamen Maio (maios, maior) und Mino auf
+neu gefundenen Grabschriften von Praeneste.
+---------------------------------------------------- Durch diese
+Steigerung der Jurisprudenz und Grammatik muss auch der elementare
+Schulunterricht, der an sich wohl schon frueher aufgekommen war, eine
+gewisse Steigerung erfahren haben. Wie Homer das aelteste griechische,
+die Zwoelf Tafeln das aelteste roemische Buch waren, so wurden auch
+beide in ihrer Heimat die wesentliche Grundlage des Unterrichts und das
+Auswendiglernen des juristisch-politischen Katechismus ein Hauptstueck
+der roemischen Kindererziehung. Neben den lateinischen "Schreibmeistern"
+(litteratores) gab es natuerlich, seit die Kunde des Griechischen
+fuer jeden Staats- und Handelsmann Beduerfnis war, auch griechische
+Sprachlehrer (grammatici ^10), teils Hofmeister-Sklaven, teils
+Privatlehrer, die in ihrer Wohnung oder in der des Schuelers Anweisung
+zum Lesen und Sprechen des Griechischen erteilten. Dass wie im
+Kriegswesen und bei der Polizei so auch bei dem Unterricht der Stock
+seine Rolle spielte, versteht sich von selbst ^11. Die elementare Stufe
+indes kann der Unterricht dieser Zeit noch nicht ueberstiegen haben;
+es gab keine irgend wesentliche soziale Abstufung zwischen dem
+unterrichteten und dem nichtunterrichteten Roemer. Dass die Roemer in
+den mathematischen und mechanischen Wissenschaften zu keiner Zeit
+sich ausgezeichnet haben, ist bekannt und bewaehrt sich auch fuer die
+gegenwaertige Epoche an dem fast einzigen Faktum, welches mit Sicherheit
+hierhergezogen werden kann, der von den Dezemvirn versuchten Regulierung
+des Kalenders. Sie wollten den bisherigen, auf der alten, hoechst
+unvollkommenen Trieteris beruhenden vertauschen mit dem damaligen
+attischen der Oktaeteris, welcher den Mondmonat von 29 Tagen
+beibehielt, das Sonnenjahr aber statt auf 368_ a vielmehr auf 365 Tage
+ansetzte und demnach bei unveraenderter gemeiner Jahrlaenge von 354
+Tagen nicht, wie frueher, auf je vier Jahre 59, sondern auf je acht
+Jahre 90 Tage einschaltete. In demselben Sinne beabsichtigten die
+roemischen Kalenderverbesserer unter sonstiger Beibehaltung des
+geltenden Kalenders in den zwei Schaltjahren des vierjaehrigen Zyklus
+nicht die Schaltmonate, aber die beiden Februare um je sieben Tage zu
+verkuerzen, also diesen Monat in den Schaltjahren statt zu 29 und 28 zu
+22 und 21 Tagen anzusetzen. Allein mathematische Gedankenlosigkeit und
+theologische Bedenken, namentlich die Ruecksicht auf das eben in die
+betreffenden Februartage fallende Jahrfest des Terminus, zerruetteten
+die beabsichtigte Reform in der Art, dass der Schaltjahrfebruar vielmehr
+24- und 23taegig ward, also das neue roemische Sonnenjahr in der Tat auf
+366 Tag auskam. Einige Abhilfe fuer die hieraus folgenden praktischen
+Uebelstaende ward darin gefunden, dass, unter Beseitigung der bei den
+jetzt so ungleich gewordenen Monaten nicht mehr anwendbaren Rechnung
+nach Monaten oder Zehnmonaten des Kalenders, man sich gewoehnte, wo es
+auf genauere Bestimmungen ankam, nach Zehnmonatfristen eines Sonnenjahrs
+von 365 Tagen oder dem sogenannten zehnmonatlichen Jahre von 304 Tagen
+zu rechnen. ueberdies kam besonders fuer baeuerliche Zwecke der auf
+das aegyptische 365taegige Sonnenjahr von Eudoxos (blueht 386
+368) gegruendete Bauernkalender auch in Italien frueh in Gebrauch.
+------------------------------------------- ^10 Litterator und
+grammaticus verhalten sich ungefaehr wie Lehrer und Maitre; die letztere
+Benennung kommt nach dem aelteren Sprachgebrauch nur dem Lehrer des
+Griechischen, nicht dem der Muttersprache zu. Litteratus ist juenger und
+bezeichnet nicht den Schulmeister, sondern den gebildeten Mann. ^11
+Es ist doch wohl ein roemisches Bild, was Plautus (Bacch. 431) als ein
+Stueck der guten alten Kindererziehung anfuehrt: wenn nun du darauf nach
+Hause kamst, In dem Jaeckchen auf dem Schemel sassest du zum Lehrer hin;
+Und wenn dann das Buch ihm lesend eine Silbe du gefehlt, Faerbte
+deinen Buckel er dir bunt wie einen Kinderlatz.
+------------------------------------------- Einen hoeheren Begriff von
+dem, was auch in diesen Faechern die Italiker zu leisten vermochten,
+gewaehren die Werke der mit den mechanischen Wissenschaften eng
+zusammenhaengenden Bau- und Bildkunst. Zwar eigentlich originelle
+Erscheinungen begegnen auch hier nicht; aber wenn durch den Stempel der
+Entlehnung, welcher der italischen Plastik durchgaengig aufgedrueckt
+ist, das kuenstlerische Interesse an derselben sinkt, so heftet das
+historische sich nur um so lebendiger an dieselbe, insofern sie teils
+von einem sonst verschollenen Voelkerverkehr die merkwuerdigsten
+Zeugnisse bewahrt, teils bei dem so gut wie vollstaendigen Untergang
+der Geschichte der nichtroemischen Italiker fast allein uns die
+verschiedenen Voelkerschaften der Halbinsel in lebendiger Taetigkeit
+nebeneinander darstellt. Neues ist hier nicht zu sagen; aber wohl
+laesst sich mit schaerferer Bestimmtheit und auf breiterer Grundlage
+ausfuehren, was schon oben gezeigt ward, dass die griechische Anregung
+die Etrusker und die Italiker von verschiedenen Seiten her maechtig
+erfasst, und dort eine reichere und ueppigere, hier, wo ueberhaupt, eine
+verstaendigere und innigere Kunst ins Leben gerufen hat. Wie voellig
+die italische Architektur aller Landschaften schon in ihrer aeltesten
+Periode von hellenischen Elementen durchdrungen ward, ist frueher
+dargestellt worden. Die Stadtmauern, die Wasserbauten, die pyramidalisch
+gedeckten Graeber, der tuscanische Tempel sind nicht oder nicht
+wesentlich verschieden von den aeltesten hellenischen Bauwerken. Von
+einer Weiterbildung der Architektur bei den Etruskern waehrend dieser
+Epoche hat sich keine Spur erhalten; wir begegnen hier weder einer
+wesentlich neuen Rezeption noch einer originellen Schoepfung - man
+muesste denn Prachtgraeber dahin rechnen wollen, wie das von Varro
+beschriebene sogenannte Grabmal des Porsena in Chiusi, das lebhaft an
+die zwecklose und sonderbare Herrlichkeit der aegyptischen Pyramiden
+erinnert. Auch in Latium bewegte man waehrend der ersten anderthalb
+Jahrhunderte der Republik sich wohl lediglich in den bisherigen Gleisen,
+und es ist schon gesagt worden, dass mit der Einfuehrung der Republik
+die Kunstuebung eher gesunken als gestiegen ist. Es ist aus dieser Zeit
+kaum ein anderes architektonisch bedeutendes latinisches Bauwerk zu
+nennen als der im Jahre 261 (493) in Rom am Circus erbaute Cerestempel,
+der in der Kaiserzeit als Muster des tuscanischen Stiles gilt. Aber
+gegen das Ende dieser Epoche kommt ein neuer Geist in das italische und
+namentlich das roemische Bauwesen: es beginnt der grossartige Bogenbau.
+Zwar sind wir nicht berechtigt, den Bogen und das Gewoelbe fuer
+italische Erfindungen zu erklaeren. Es ist wohl ausgemacht, dass in der
+Epoche der Genesis der hellenischen Architektur die Hellenen den Bogen
+noch nicht kannten und darum fuer ihre Tempel die flache Decke und das
+schraege Dach ausreichen mussten; allein gar wohl kann der Keilschnitt
+eine juengere, aus der rationellen Mechanik hervorgegangene Erfindung
+der Hellenen sein, wie ihn denn die griechische Tradition auf den
+Physiker Demokritos (294-397 460-357) zurueckfuehrt. Mit dieser
+Prioritaet des hellenischen Bogenbaus vor dem roemischen ist auch
+vereinbar, was vielfach und vielleicht mit Recht angenommen wird, dass
+die Gewoelbe an der roemischen Hauptkloake und dasjenige, welches ueber
+das alte, urspruenglich pyramidalisch gedeckte kapitolinische Quellhaus
+spaeterhin gespannt ward, die aeltesten erhaltenen Bauwerke sind, bei
+welchen das Bogenprinzip zur Anwendung gekommen ist; denn es ist mehr
+als wahrscheinlich, dass diese Bogenbauten nicht der Koenigs-, sondern
+der republikanischen Periode angehoeren und in der Koenigszeit man auch
+in Italien nur flache oder ueberkragte Daecher gekannt hat. Allein wie
+man auch ueber die Erfindung des Bogens selbst denken mag, die Anwendung
+im grossen ist ueberall und vor allem in der Baukunst wenigstens
+ebenso bedeutend wie die Aufstellung des Prinzips; und diese gebuehrt
+unbestritten den Roemern. Mit dem fuenften Jahrhundert beginnt
+der wesentlich auf den Bogen gegruendete Tor-, Bruecken- und
+Wasserleitungsbau, der mit dem roemischen Namen fortan unzertrennlich
+verknuepft ist. Verwandt ist hiermit noch die Entwicklung der den
+Griechen fremden, dagegen bei den Roemern vorzugsweise beliebten und
+besonders fuer die ihnen eigentuemlichen Kulte, namentlich den nicht
+griechischen der Vesta, angewendeten Form des Rundtempels und des
+Kuppeldachs ^12. ----------------------------------------- ^12 Eine
+Nachbildung der aeltesten Hausform, wie man wohl gemeint hat, ist der
+Rundtempel sicher nicht; vielmehr geht der Hausbau durchaus vom Viereck
+aus. Die spaetere roemische Theologie knuepfte diese Rundform an
+die Vorstellung des Erdballs oder des kugelfoermig die Zentralsonne
+umgebenden Weltalls (Fest. v. rutundam p. 282; Plut. Num. 11; Ov. fast.
+6, 267f.); in der Tat ist dieselbe wohl einfach darauf zurueckzufuehren,
+dass fuer die zum Abhegen und Aufbewahren bestimmte Raeumlichkeit als
+die bequemste wie die sicherste Form stets die kreisrunde gegolten hat.
+Darauf beruhten die runden Schatzhaeuser der Hellenen ebenso wie der
+Rundbau der roemischen Vorratskammer oder des Penatentempels; es war
+natuerlich auch die Feuerstelle - das heisst den Altar der Vesta - und
+die Feuerkammer - das heisst den Vestatempel - rund anzulegen, so gut
+wie dies mit der Zisterne und der Brunnenfassung (puteal) geschah. Der
+Rundbau an sich ist graecoitalisch wie der Quadratbau und jener der
+Kammer eigen, wie dieser dem Wohnhaus; aber die architektonische und
+religioese Entwicklung des einfachen Tholos zum Rundtempel mit Pfeilern
+und Saeulen ist latinisch. ----------------------------------------
+Etwas Aehnliches mag von manchen untergeordneten, aber darum nicht
+unwichtigen Fertigkeiten auf diesem Gebiet gelten. Von Originalitaet
+oder gar von Kunstuebung kann dabei nicht die Rede sein; aber auch
+aus den festgefuegten Steinplatten der roemischen Strassen, aus ihren
+unzerstoerbaren Chausseen, aus den breiten, klingend harten Ziegeln, aus
+dem ewigen Moertel ihrer Gebaeude redet die unverwuestliche Soliditaet,
+die energische Tuechtigkeit des roemischen Wesens. Wie die tektonischen,
+und womoeglich noch mehr, sind die bildenden und zeichnenden Kuenste auf
+italischem Boden nicht so sehr durch griechische Anregung befruchtet,
+als aus griechischen Samenkoernern gekeimt. Dass dieselben, obwohl erst
+die juengeren Schwestern der Architektur, doch wenigstens in Etrurien
+schon waehrend der roemischen Koenigszeit sich zu entwickeln begannen,
+wurde bereits bemerkt; ihre hauptsaechliche Entfaltung aber gehoert in
+Etrurien, und um so mehr in Latium, dieser Epoche an, wie dies schon
+daraus mit Evidenz hervorgeht, dass in denjenigen Landschaften, welche
+die Kelten und Samniten den Etruskern im Laufe des vierten Jahrhunderts
+entrissen, von etruskischer Kunstuebung fast keine Spur begegnet. Die
+tuskische Plastik warf sich zuerst und hauptsaechlich auf die Arbeit
+in gebranntem Ton, in Kupfer und in Gold, welche Stoffe die reichen
+Tonlager und Kupfergruben und der Handelsverkehr Etruriens den
+Kuenstlern darboten. Von der Schwunghaftigkeit, womit die Tonbildnerei
+betrieben wurde, zeugen die ungeheuren Massen von Reliefplatten und
+statuarischen Arbeiten aus gebranntem Ton, womit Waende, Giebel und
+Daecher der etruskischen Tempel nach Ausweis der noch vorhandenen Ruinen
+einst verziert waren, und der nachweisliche Vertrieb derartiger Arbeiten
+aus Etrurien nach Latium. Der Kupferguss stand nicht dahinter zurueck.
+Etruskische Kuenstler wagten sich an die Verfertigung von kolossalen,
+bis zu fuenfzig Fuss hohen Bronzebildsaeulen, und in Volsinii,
+dem etruskischen Delphi, sollen um das Jahr 489 (265) zweitausend
+Bronzestatuen gestanden haben, wogegen die Steinbildnerei in Etrurien,
+wie wohl ueberall, weit spaeter begann und ausser inneren Ursachen auch
+durch den Mangel eines geeigneten Materials zurueckgehalten ward - die
+lunensischen (carrarischen) Marmorbrueche waren noch nicht eroeffnet.
+Wer den reichen und zierlichen Goldschmuck der suedetruskischen Graeber
+gesehen hat, der wird die Nachricht nicht unglaublich finden, dass die
+tyrrhenischen Goldschalen selbst in Attika geschaetzt wurden. Auch die
+Steinschneidekunst ward, obwohl sie juenger ist, doch auch in Etrurien
+vielfaeltig geuebt. Ebenso abhaengig von den Griechen, uebrigens den
+bildenden Kuenstlern vollkommen ebenbuertig, waren die sowohl in der
+Umrisszeichnung auf Metall wie in der monochromatischen Wandmalerei
+ungemein taetigen etruskischen Zeichner und Maler. Vergleichen wir
+hiermit das Gebiet der eigentlichen Italiker, so erscheint es zunaechst
+gegen die etruskische Fuelle fast kunstarm. Allein bei genauerer
+Betrachtung kann man der Wahrnehmung sich nicht entziehen, dass sowohl
+die sabellische wie die latinische Nation weit mehr als die etruskische
+Faehigkeit und Geschick fuer die Kunst gehabt haben muessen. Zwar auf
+eigentlich sabellischem Gebiet, in der Sabina, in den Abruzzen, in
+Samnium, finden sich Kunstwerke so gut wie gar nicht und mangeln sogar
+die Muenzen. Diejenigen sabellischen Staemme dagegen, welche an die
+Kuesten der Tyrrhenischen oder Ionischen See gelangten, haben die
+hellenische Kunst sich nicht bloss wie die Etrusker aeusserlich
+angeeignet, sondern sie mehr oder minder vollstaendig bei sich
+akklimatisiert. Schon in Velitrae, wo wohl allein in der einstmaligen
+Landschaft der Volsker deren Sprache und Eigentuemlichkeit spaeterhin
+sich behauptet haben, haben sich bemalte Terrakotten gefunden von
+lebendiger und eigentuemlicher Behandlung. In Unteritalien ist Lucanien
+zwar in geringem Grade von der hellenischen Kunst ergriffen worden; aber
+in Kampanien wie im brettischen Lande haben sich Sabeller und Hellenen
+wie in Sprache und Nationalitaet so auch und vor allem in der Kunst
+vollstaendig durchdrungen und es stehen namentlich die kampanischen und
+brettischen Muenzen mit den gleichzeitigen griechischen so vollstaendig
+auf einer Linie der Kunstbehandlung, dass nur die Aufschrift sie von
+ihnen unterscheidet. Weniger bekannt, aber nicht weniger sicher ist es,
+dass auch Latium wohl an Kunstreichtum und Kunstmasse, aber nicht an
+Kunstsinn und Kunstuebung hinter Etrurien zurueckstand. Offenbar hat
+die um den Anfang des 5. Jahrhunderts erfolgte Festsetzung der Roemer in
+Kampanien, die Verwandlung der Stadt Cales in eine latinische Gemeinde,
+der falernischen Landschaft bei Capua in einen roemischen Buergerbezirk,
+zunaechst die kampanische Kunstuebung den Roemern aufgeschlossen. Zwar
+mangelt bei diesen nicht bloss die in dem ueppigen Etrurien fleissig
+gepflegte Steinschneidekunst voellig und begegnet nirgends eine Spur,
+dass die latinischen Gewerke gleich den etruskischen Goldschmieden
+und Tonarbeitern fuer das Ausland taetig gewesen sind. Zwar sind
+die latinischen Tempel nicht gleich den etruskischen mit Bronze-
+und Tonzierat ueberladen, die latinischen Graeber nicht gleich den
+etruskischen mit Goldschmuck angefuellt worden und schillerten die
+Waende jener nicht wie die der etruskischen von bunten Gemaelden. Aber
+nichtsdestoweniger stellt sich im ganzen die Waage nicht zum Vorteil
+der etruskischen Nation. Die Erfindung des Janusbildes, welche wie
+die Gottheit selbst den Latinern beigelegt werden darf, ist nicht
+ungeschickt, und originellerer Art als die irgendeines etruskischen
+Kunstwerks. Die schoene Gruppe der Woelfin mit den Zwillingen lehnt
+wohl an aehnliche griechische Erfindungen sich an, ist aber in dieser
+Ausfuehrung sicher wenn nicht in Rom, so doch von Roemern erfunden; und
+es ist bemerkenswert, dass sie zuerst auf den von den Roemern in und
+fuer Kampanien gepraegten Silbermuenzen auftritt. In dem oben erwaehnten
+Cales scheint bald nach seiner Gruendung eine besondere Gattung
+figurierten Tongeschirrs erfunden worden zu sein, das mit dem Namen der
+Meister und des Verfertigungsorts bezeichnet und in weitem Umfang bis
+nach Etrurien hinein vertrieben worden ist. Die vor kurzem auf dem
+Esquilin zum Vorschein gekommenen figurierten Altaerchen von gebranntem
+Ton entsprechen in der Darstellung wie in der Ornamentik genau den
+gleichartigen Weihgeschenken der kampanischen Tempel. Indes schliesst
+dies nicht aus, dass auch griechische Meister fuer Rom gearbeitet haben.
+Der Bildner Damophilos, der mit Gorgasos die bemalten Tonfiguren fuer
+den uralten Cerestempel verfertigt hat, scheint kein anderer gewesen zu
+sein als der Lehrer des Zeuxis, Demophilos von Himera (um 300 450). Am
+belehrendsten sind diejenigen Kunstzweige, in denen uns teils nach alten
+Zeugnissen, teils nach eigener Anschauung eine vergleichendes Urteil
+gestattet ist. Von latinischen Arbeiten in Stein ist kaum etwas anderes
+uebrig als der am Ende dieser Periode in dorischem Stil gearbeitete
+Steinsarg des roemischen Konsuls Lucius Scipio; aber die edle
+Einfachheit desselben beschaemt alle aehnlichen etruskischen Werke. Aus
+den etruskischen Graebern sind manche schoene Bronzen alten strengen
+Kunststils, namentlich Helme, Leuchter und dergleichen Geraetstuecke
+erhoben worden; aber welches dieser Werke reicht an die im Jahre
+458 (296) am ruminalischen Feigenbaum auf dem roemischen Markte aus
+Strafgeldern aufgestellte bronzene Woelfin, noch heute den schoensten
+Schmuck des Kapitols? Und dass auch die latinischen Metallgiesser so
+wenig wie die etruskischen vor grossen Aufgaben zurueckschraken, beweist
+das von Spurius Carvilis (Konsul 461 293) aus den eingeschmolzenen
+samnitischen Ruestungen errichtete kolossale Erzbild des Jupiter auf
+dem Kapitol, aus dessen Abfall beim Ziselieren die zu den Fuessen des
+Kolosses stehende Statue des Siegers hatte gegossen werden koennen; man
+sah dieses Jupiterbild bis vom Albanischen Berge. Unter den gegossenen
+Kupfermuenzen gehoeren bei weitem die schoensten dem suedlichen Latium
+an; die roemischen und umbrischen sind leidlich, die etruskischen fast
+bildlos und oft wahrhaft barbarisch. Die Wandmalereien, die Gaius
+Fabius in dem 452 302 dedizierten Tempel der Wohlfahrt auf dem Kapitol
+ausfuehrte, erwarben in Zeichnung und Faerbung noch das Lob griechisch
+gebildeter Kunstrichter der augusteischen Epoche; und es werden von den
+Kunstenthusiasten der Kaiserzeit wohl auch die caeritischen, aber mit
+noch groesserem Nachdruck die roemischen, lanuvinischen und ardeatischen
+Fresken als Meisterwerke der Malerei gepriesen. Die Zeichnung auf
+Metall, welche in Latium nicht wie in Etrurien die Handspiegel, sondern
+die Toilettenkaestchen mit ihren zierlichen Umrissen schmueckte, ward
+in Latium in weit geringerem Umfang und fast nur in Praeneste geuebt;
+es finden sich vorzuegliche Kunstwerke unter den etruskischen
+Metallspiegeln wie unter den praenestinischen Kaestchen, aber es war
+ein Werk der letzteren Gattung, und zwar ein hoechst wahrscheinlich
+in dieser Epoche in der Werkstatt eines praenestinischen Meisters
+entstandenes Werk ^13, von dem mit Recht gesagt werden konnte, dass kaum
+ein zweites Erzeugnis der Graphik des Altertums so wie die ficoronische
+Cista den Stempel einer in Schoenheit und Charakteristik vollendeten
+und noch vollkommen reinen und ernsten Kunst an sich traegt.
+--------------------------------------------------- ^13 Novius Plautius
+goss vielleicht nur die Fuesse und die Deckelgruppe; das Kaestchen
+selbst kann von einem aelteren Kuenstler herruehren, aber, da der
+Gebrauch dieser Kaestchen sich wesentlich auf Praeneste beschraenkt
+hat, kaum von einem anderen als einem praenestinischen.
+---------------------------------------------------- Der allgemeine
+Stempel der etruskischen Kunstwerke ist teils eine gewisse barbarische
+Ueberschwenglichkeit im Stoff wie im Stil, teils der voellige Mangel
+innerer Entwicklung. Wo der griechische Meister fluechtig skizziert,
+verschwendet der etruskische Schueler schuelerhaft den Fleiss; an
+die Stelle des leichten Materials und der maessigen Verhaeltnisse
+griechischer Werke tritt bei den etruskischen ein renommistisches
+Hervorheben der Groesse und Kostbarkeit oder auch bloss der Seltsamkeit
+des Werkes. Die etruskische Kunst kann nicht nachbilden, ohne zu
+uebertreiben: das Strenge wird ihr hart, das Anmutige weichlich, das
+Schreckliche zum Scheusal, die Ueppigkeit zur Zote, und immer deutlicher
+tritt dies hervor, je mehr die urspruengliche Anregung zuruecktritt
+und die etruskische Kunst sich auf sich selber angewiesen findet. Noch
+auffallender ist das Festhalten an den hergebrachten Formen und
+dem hergebrachten Stil. Sei es, dass die anfaengliche freundlichere
+Beruehrung mit Etrurien hier den Hellenen den Samen der Kunst
+auszustreuen gestattete, eine spaetere Epoche der Feindseligkeit aber
+den juengeren Entwicklungsstadien der griechischen Kunst den Eingang in
+Etrurien erschwerte, sei es, was wahrscheinlicher ist, dass die rasch
+eintretende geistige Erstarrung der Nation die Hauptsache dabei tat: die
+Kunst blieb in Etrurien auf der primitiven Stufe, auf welcher sie bei
+ihrem ersten Eindringen daselbst sich befunden hatte, wesentlich stehen
+- bekanntlich ist dies die Ursache gewesen; weshalb die etruskische
+Kunst, die unentwickelt gebliebene Tochter der hellenischen, solange
+als deren Mutter gegolten hat. Mehr noch als das strenge Festhalten des
+einmal ueberlieferten Stils in den aelteren Kunstzweigen beweist die
+unverhaeltnismaessig elende Behandlung der spaeter aufgekommenen,
+namentlich der Bildhauerei in Stein und des Kupfergusses in der
+Anwendung auf Muenzen, wie rasch aus der etruskischen Kunst der Geist
+entwich. Ebenso belehrend sind die gemalten Gefaesse, die in den
+juengeren etruskischen Grabstaetten in so ungeheurer Anzahl sich finden.
+Waeren dieselben so frueh wie die mit Umrissen verzierten Metallplatten
+oder die bemalten Terrakotten bei den Etruskern gangbar geworden, so
+wuerde man ohne Zweifel auch sie in Menge und in wenigstens relativer
+Guete dort fabrizieren gelernt haben; aber in der Epoche, in welcher
+dieser Luxus emporkam, misslang die selbsttaetige Reproduktion
+vollstaendig, wie die vereinzelten mit etruskischen Inschriften
+versehenen Gefaesse beweisen, und man begnuegte sich darum, dieselben zu
+kaufen, statt sie zu formen. Aber auch innerhalb Etruriens erscheint ein
+weiterer bemerkenswerter Gegensatzinder kuenstlerischen Entwicklung
+der suedlichen und der noerdlichen Landschaft. Es ist Suedetrurien,
+hauptsaechlich die Bezirke von Caere, Tarquinii, Volci, die
+die gewaltigen Prunkschaetze besonders von Wandgemaelden,
+Tempeldekorationen, Goldschmuck und gemalten Tongefaessen bewahren; das
+noerdliche Etrurien steht weit dahinter zurueck, und es hat zum Beispiel
+sich kein gemaltes Grab noerdlich von Chiusi gefunden. Die suedlichsten
+etruskischen Staedte Veii, Caere, Tarquinii sind es, die der roemischen
+Tradition als die Ur- und Hauptsitze der etruskischen Kunst gelten;
+die noerdlichste Stadt Volaterrae, mit dem groessten Gebiet unter allen
+etruskischen Gemeinden, steht von allen auch der Kunst am fernsten.
+Wenn in Suedetrurien die griechische Halbkultur, so ist in Nordetrurien
+vielmehr die Unkultur zu Hause. Die Ursachen dieses bemerkenswerten
+Gegensatzes moegen teils in der verschiedenartigen, in Suedetrurien
+wahrscheinlich stark mit nicht etruskischen Elementen gemischten
+Nationalitaet, teils in der verschiedenen Maechtigkeit des hellenischen
+Einflusses zu suchen sein, welcher letztere namentlich in Caere sich
+sehr entschieden geltend gemacht haben muss; die Tatsache selbst ist
+nicht zu bezweifeln. Um so mehr musste die fruehe Unterjochung der
+suedlichen Haelfte Etruriens durch die Roemer und die sehr zeitig hier
+beginnende Romanisierung der etruskischen Kunst verderblich werden;
+was Nordetrurien, auf sich allein beschraenkt, kuenstlerisch zu leisten
+vermochte, zeigen die wesentlich ihm angehoerenden Kupfermuenzen. Wenden
+wir die Blicke von Etrurien nach Latium, so hat freilich auch dies
+keine neue Kunst geschaffen; es war einer weit spaeteren Kulturepoche
+vorbehalten, aus dem Motiv des Bogens eine neue, von der hellenischen
+Tektonik verschiedene Architektur zu entwickeln und sodann mit dieser
+harmonisch eine neue Bildnerei und Malerei zu entfalten. Die latinische
+Kunst ist nirgend originell und oft gering; aber die frisch empfindende
+und taktvoll waehlende Aneignung des fremden Gutes ist auch ein hohes
+kuenstlerisches Verdienst. Nicht leicht hat die latinische Kunst
+barbarisiert und in ihren besten Erzeugnissen steht sie voellig im
+Niveau der griechischen Technik. Eine gewisse Abhaengigkeit der Kunst
+Latiums wenigstens in ihren frueheren Stadien von der sicher aelteren
+etruskischen soll darum nicht geleugnet werden; es mag Varro immerhin
+mit Recht angenommen haben, dass bis auf die im Cerestempel von
+griechischen Kuenstlern ausgefuehrten nur "tuscanische" Tonbilder die
+roemischen Tempel verzierten; aber dass doch vor allem der unmittelbare
+Einfluss der Griechen die latinische Kunst bestimmt hat, ist an sich
+schon klar und liegt auch in eben diesen Bildwerken sowie in den
+latinischen und roemischen Muenzen deutlich zu Tage. Selbst
+die Anwendung der Metallzeichnung in Etrurien lediglich auf den
+Toilettenspiegel, in Latium lediglich auf den Toilettenkasten deutet
+auf die Verschiedenartigkeit der beiden Landschaften zuteil gewordenen
+Kunstanregung. Es scheint indes nicht gerade Rom gewesen zu sein, wo die
+latinische Kunst ihre frischesten Blueten trieb; die roemischen Asse
+und die roemischen Denare werden von den latinischen Kupfer- und den
+seltenen latinischen Silbermuenzen an Feinheit und Geschmack der Arbeit
+bei weitem uebertroffen und auch die Meisterwerke der Malerei und
+Zeichnung gehoeren vorwiegend Praeneste, Lanuvium, Ardea an. Auch
+stimmt dies vollstaendig zu dem frueher bezeichneten realistischen und
+nuechternen Sinn der roemischen Republik, welcher in dem uebrigen Latium
+sich schwerlich mit gleicher Strenge geltend gemacht haben kann. Aber
+im Lauf des fuenften Jahrhunderts und besonders in der zweiten Haelfte
+desselben regte es denn doch sich maechtig auch in der roemischen Kunst.
+Es war dies die Epoche, in welcher der spaetere Bogen- und Strassenbau
+begann, in welcher Kunstwerke wie die Kapitolinische Woelfin entstanden,
+in welcher ein angesehener Mann aus einem altadeligen roemischen
+Geschlechte den Pinsel ergriff, um einen neugebauten Tempel
+auszuschmuecken und dafuer den Ehrenbeinamen des "Malers" empfing. Das
+ist nicht Zufall. Jede grosse Zeit erfasst den ganzen Menschen; und wie
+starr die roemische Sitte, wie streng die roemische Polizei immer war,
+der Aufschwung, den die roemische Buergerschaft als Herrin der Halbinsel
+oder richtiger gesagt, den das zum erstenmal staatlich geeinigte Italien
+nahm, tritt auch in dem Aufschwung der latinischen und besonders
+der roemischen Kunst ebenso deutlich hervor wie in dem Sinken der
+etruskischen der sittliche und politische Verfall der Nation. Wie die
+gewaltige Volkskraft Latiums die schwaecheren Nationen bezwang, so
+hat sie auch dem Erz und dem Marmor ihren unvergaenglichen Stempel
+aufgedrueckt.
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 2 by
+Theodor Mommsen
+
+
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+This eBook, including all associated images, markup, improvements,
+metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be
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+The Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 2 by Theodor
+Mommsen (#2 in our series by Theodor Mommsen)
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+Information on contacting Project Gutenberg to get Etexts, and further
+information is included below. We need your donations.
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+Presently, contributions are only being solicited from people in: Texas,
+Nevada, Idaho, Montana, Wyoming, Colorado, South Dakota, Iowa, Indiana,
+and Vermont. As the requirements for other states are met, additions
+to this list will be made and fund raising will begin in the additional
+states. These donations should be made to:
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+Project Gutenberg Literary Archive Foundation PMB 113 1739 University
+Ave. Oxford, MS 38655
+
+
+Title: Rmische Geschichte Book 2
+
+Author: Theodor Mommsen
+
+Release Date: February, 2002 [Etext #3061] [Yes, we are about one year
+ahead of schedule]
+
+Edition: 10
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+Language: German
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+The Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 2 by Theodor
+Mommsen ******This file should be named 3061.txt or 3061.zip******
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+official release dates, leaving time for better editing. Please be
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+We produce about two million dollars for each hour we work. The time
+it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours to get
+any etext selected, entered, proofread, edited, copyright searched and
+analyzed, the copyright letters written, etc. This projected audience
+is one hundred million readers. If our value per text is nominally
+estimated at one dollar then we produce $2 million dollars per hour this
+year as we release fifty new Etext files per month, or 500 more Etexts
+in 2000 for a total of 3000+ If they reach just 1-2% of the world's
+population then the total should reach over 300 billion Etexts given
+away by year's end.
+
+The Goal of Project Gutenberg is to Give Away One Trillion Etext Files
+by December 31, 2001. [10,000 x 100,000,000 = 1 Trillion] This is ten
+thousand titles each to one hundred million readers, which is only about
+4% of the present number of computer users.
+
+At our revised rates of production, we will reach only one-third of that
+goal by the end of 2001, or about 3,333 Etexts unless we manage to get
+some real funding.
+
+Something is needed to create a future for Project Gutenberg for the
+next 100 years.
+
+We need your donations more than ever!
+
+Presently, contributions are only being solicited from people in: Texas,
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+Foundation and will be tax deductible to the extent permitted by law.
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+Avenue Oxford, MS 38655 [USA]
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+(the "Project"). Among other things, this means that no one owns a
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+it from. If you received it on a physical medium, you must return it
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+ANY MEDIUM IT MAY BE ON, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF
+MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR A PARTICULAR PURPOSE.
+
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+exclusion or limitation of consequential damages, so the above
+disclaimers and exclusions may not apply to you, and you may have other
+legal rights.
+
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+any Defect.
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+Gutenberg, or:
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+that you do not remove, alter or modify the etext or this "small print!"
+statement. You may however, if you wish, distribute this etext in
+machine readable binary, compressed, mark-up, or proprietary form,
+including any form resulting from conversion by word processing or
+hypertext software, but only so long as *EITHER*:
+
+[*] The etext, when displayed, is clearly readable, and does *not*
+contain characters other than those intended by the author of the work,
+although tilde (~), asterisk (*) and underline (_) characters may
+be used to convey punctuation intended by the author, and additional
+characters may be used to indicate hypertext links; OR
+
+[*] The etext may be readily converted by the reader at no expense into
+plain ASCII, EBCDIC or equivalent form by the program that displays the
+etext (as is the case, for instance, with most word processors); OR
+
+[*] You provide, or agree to also provide on request at no additional
+cost, fee or expense, a copy of the etext in its original plain ASCII
+form (or in EBCDIC or other equivalent proprietary form).
+
+[2] Honor the etext refund and replacement provisions of this "Small
+Print!" statement.
+
+[3] Pay a trademark license fee to the Project of 20% of the gross
+profits you derive calculated using the method you already use to
+calculate your applicable taxes. If you don't derive profits, no royalty
+is due. Royalties are payable to "Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation" the 60 days following each date you prepare (or were legally
+required to prepare) your annual (or equivalent periodic) tax return.
+Please contact us beforehand to let us know your plans and to work out
+the details.
+
+WHAT IF YOU *WANT* TO SEND MONEY EVEN IF YOU DON'T HAVE TO? The Project
+gratefully accepts contributions of money, time, public domain
+etexts, and royalty free copyright licenses. If you are interested
+in contributing scanning equipment or software or other items, please
+contact Michael Hart at: hart@pobox.com
+
+*END THE SMALL PRINT! FOR PUBLIC DOMAIN ETEXTS*Ver.04.07.00*END*
+
+
+
+
+The following e-text of Mommsen's Roemische Geschichte contains some
+(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations
+is a modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked
+in Greek words, nor is there any differentiation between the different
+accents of ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.
+
+Theodor Mommsen Roemische Geschichte
+
+Zweites Buch Von der Abschaffung des roemischen Koenigtums bis zur
+Einigung Italiens
+
+- dei oyk ekpl/e/ttein ton syggraphea terateyomenon dia t/e/s istorias
+to?s entygchanontas. - der Historiker soll seine Leser nicht durch
+Schauergeschichten in Erschuetterung versetzen. Polybios 1. Kapitel
+Aenderung der Verfassung Beschraenkung der Magistratsgewalt Der
+strenge Begriff der Einheit und Allgewalt der Gemeinde in allen
+Gemeindeangelegenheiten, dieser Schwerpunkt der italischen Verfassungen,
+legte in die Haende des einzigen, auf Lebenszeit ernannten Vorstehers
+eine furchtbare Gewalt, die wohl der Landesfeind empfand, aber nicht
+minder schwer der Buerger. Missbrauch und Druck konnte nicht ausbleiben,
+und hiervon die notwendige Folge waren Bestrebungen, jene Gewalt
+zu mindern. Aber das ist das Grossartige in diesen roemischen
+Reformversuchen und Revolutionen, dass man nie unternimmt, weder die
+Gemeinde als solche zu beschraenken noch auch nur sie entsprechender
+Organe zu berauben, dass nie die sogenannten natuerlichen Rechte des
+einzelnen gegen die Gemeinde geltend gemacht werden, sondern dass der
+ganze Sturm sich richtet gegen die Form der Gemeindevertretung. Nicht
+Begrenzung der Staats-, sondern Begrenzung der Beamtenmacht ist der Ruf
+der roemischen Fortschrittspartei von den Zeiten der Tarquinier bis auf
+die der Gracchen; und auch dabei vergisst man nie, dass das Volk
+nicht regieren, sondern regiert werden soll. Dieser Kampf bewegt sich
+innerhalb der Buergerschaft. Ihm zur Seite entwickelt sich eine andere
+Bewegung: der Ruf der Nichtbuerger um politische Gleichberechtigung.
+Dahin gehoeren die Agitationen der Plebejer, der Latiner, der Italiker,
+der Freigelassenen, welche alle, mochten sie Buerger genannt werden, wie
+die Plebejer und die Freigelassenen, oder nicht, wie die Latiner und die
+Italiker, politische Gleichheit entbehrten und begehrten. Ein dritter
+Gegensatz ist noch allgemeinerer Art: der der Vermoegenden und der
+Armen, insbesondere der aus dem Besitz gedraengten oder in demselben
+gefaehrdeten Besitzer. Die rechtlichen und politischen Verhaeltnisse
+Roms veranlassten die Entstehung zahlreicher Bauernwirtschaften teils
+kleiner Eigentuemer, die von der Gnade des Kapital-, teils kleiner
+Zeitpaechter, die von der Gnade des Grundherrn abhingen, und beraubten
+vielfach einzelne wie ganze Gemeinden des Grundbesitzes, ohne die
+persoenliche Freiheit anzugreifen. Dadurch ward das ackerbauende
+Proletariat schon so frueh maechtig, dass es wesentlich in die
+Schicksale der Gemeinde eingreifen konnte. Das staedtische Proletariat
+gewann erst in weit spaeterer Zeit politische Bedeutung. In diesen
+Gegensaetzen bewegte sich die innere Geschichte Roms und vermutlich
+nicht minder die uns gaenzlich verlorene der uebrigen italischen
+Gemeinden. Die politische Bewegung innerhalb der vollberechtigten
+Buergerschaft, der Krieg der Ausgeschlossenen und der Ausschliessenden,
+die sozialen Konflikte der Besitzenden und der Besitzlosen, so
+mannigfaltig sie sich durchkreuzen und ineinanderschlingen und oft
+seltsame Allianzen herbeifuehren, sind dennoch wesentlich und von Grund
+aus verschieden. Da die Servianische Reform, welche den Insassen
+in militaerischer Hinsicht dem Buerger gleichstellte, mehr aus
+administrativen Ruecksichten als aus einer politischen Parteitendenz
+hervorgegangen zu sein scheint, so darf als der erste dieser
+Gegensaetze, der zu inneren Krisen und Verfassungsaenderungen fuehrte,
+derjenige betrachtet werden, der auf die Beschraenkung der Magistratur
+hinarbeitet. Der frueheste Erfolg dieser aeltesten roemischen
+Opposition besteht in der Abschaffung der Lebenslaenglichkeit der
+Gemeindevorsteherschaft, das heisst in der Abschaffung des Koenigtums.
+Wie notwendig diese in der natuerlichen Entwicklung der Dinge lag,
+dafuer ist der schlagendste Beweis, dass dieselbe Verfassungsaenderung
+in dem ganzen Kreise der italisch-griechischen Welt in analoger Weise
+vor sich gegangen ist. Nicht bloss in Rom, sondern gerade ebenso bei
+den uebrigen Latinern sowie bei den Sabellern, Etruskern und Apulern,
+ueberhaupt in saemtlichen italischen Gemeinden finden wir, wie in
+den griechischen, in spaeterer Zeit die alten lebenslaenglichen durch
+Jahresherrscher ersetzt. Fuer den lucanischen Gau ist es bezeugt, dass
+er im Frieden sich demokratisch regierte und nur fuer den Krieg die
+Magistrate einen Koenig, das heisst einen dem roemischen Diktator
+aehnlichen Beamten bestellten; die sabellischen Stadtgemeinden, zum
+Beispiel die von Capua und Pompeii, gehorchten gleichfalls spaeterhin
+einem jaehrlich wechselnden "Gemeindebesorger" (medix tuticus), und
+aehnliche Institutionen moegen wir auch bei den uebrigen Volks-
+und Stadtgemeinden Italiens voraussetzen. Es bedarf hiernach keiner
+Erklaerung, aus welchen Gruenden in Rom die Konsuln an die Stelle
+der Koenige getreten sind; der Organismus der alten griechischen
+und italischen Politie entwickelt vielmehr die Beschraenkung der
+lebenslaenglichen Gemeindevorstandschaft auf eine kuerzere, meistenteils
+jaehrige Frist mit einer gewissen Naturnotwendigkeit aus sich selber.
+So einfach indes die Ursache dieser Veraenderung ist, so
+mannigfaltig konnten die Anlaesse sein; man mochte nach dem Tode des
+lebenslaenglichen Herrn beschliessen keinen solchen wieder zu erwaehlen,
+wie nach Romulus' Tode der roemische Senat versucht haben soll; oder der
+Herr mochte freiwillig abdanken, was angeblich Koenig Servius Tullius
+beabsichtigt hat; oder das Volk mochte gegen einen tyrannischen
+Regenten aufstehen und ihn vertreiben, wie dies das Ende des roemischen
+Koenigtums war. Denn mag die Geschichte der Vertreibung des letzten
+Tarquinius, "des Uebermuetigen", auch noch so sehr in Anekdoten ein- und
+zur Novelle ausgesponnen sein, so ist doch an den Grundzuegen nicht zu
+zweifeln. Dass der Koenig es unterliess den Senat zu befragen und zu
+ergaenzen, dass er Todesurteile und Konfiskationen ohne Zuziehung
+von Ratmaennern aussprach, dass er in seinen Speichern ungeheure
+Kornvorraete aufhaeufte und den Buergern Kriegsarbeit und Handdienste
+ueber die Gebuehr ansann, bezeichnet die Ueberlieferung in glaublicher
+Weise als die Ursachen der Empoerung; von der Erbitterung des Volkes
+zeugt das foermliche Geloebnis, das dasselbe Mann fuer Mann fuer sich
+und seine Nachkommen ablegte, fortan keinen Koenig mehr zu dulden, und
+der blinde Hass, der seitdem an den Namen des Koenigs sich anknuepfte,
+vor allem aber die Verfuegung, dass der "Opferkoenig", den man kreieren
+zu muessen glaubte, damit nicht die Goetter den gewohnten Vermittler
+vermissten, kein weiteres Amt solle bekleiden koennen und also dieser
+zwar der erste, aber auch der ohnmaechtigste Mann im roemischen
+Gemeindewesen ward. Mit dem letzten Koenig wurde sein ganzes Geschlecht
+verbannt - ein Beweis, welche Geschlossenheit damals noch die
+gentilizischen Verbindungen hatten. Die Tarquinier siedelten darauf
+ueber nach Caere, vielleicht ihrer alten Heimat, wo ihr Geschlechtsgrab
+kuerzlich aufgedeckt worden ist. An die Stelle aber des einen
+lebenslaenglichen traten zwei jaehrige Herrscher an die Spitze der
+roemischen Gemeinde. Dies ist alles, was historisch ueber dies wichtige
+Ereignis als sicher angesehen werden kann ^1. Dass in einer grossen
+weitherrschenden Gemeinde, wie die roemische war, die koenigliche
+Gewalt, namentlich wenn sie durch mehrere Generationen bei demselben
+Geschlechte gewesen, widerstandsfaehiger und der Kampf also lebhafter
+war als in den kleineren Staaten, ist begreiflich; aber auf eine
+Einmischung auswaertiger Staaten in denselben deutet keine sichere
+Spur. Der grosse Krieg mit Etrurien, der uebrigens wohl nur durch
+chronologische Verwirrung in den roemischen Jahrbuechern so nahe an
+die Vertreibung der Tarquinier gerueckt ist, kann nicht als eine
+Intervention Etruriens zu Gunsten eines in Rom beeintraechtigten
+Landsmannes angesehen werden, aus dem sehr zureichenden Grunde, dass
+die Etrusker trotz des vollstaendigen Sieges doch weder das roemische
+Koenigtum wiederhergestellt noch auch nur die Tarquinier zurueckgefuehrt
+haben. ---------------------------------------------- ^1 Die bekannte
+Fabel richtet groesstenteils sich selbst; zum guten Teil ist sie aus
+Beinamenerklaerung (Brutus, Poplicola, Scaevola) herausgesponnen. Aber
+sogar die scheinbar geschichtlichen Bestandteile derselben zeigen
+bei genauerer Erwaegung sich als erfunden. Dahin gehoert, dass
+Brutus Reiterhauptmann (tribunus celerum) gewesen und als solcher den
+Volksschluss ueber die Vertreibung der Tarquinier beantragt haben soll;
+denn es ist nach der roemischen Verfassung ganz unmoeglich, dass ein
+blosser Offizier das Recht gehabt habe, die Kurien zu berufen. Offenbar
+ist diese ganze Angabe zum Zweck der Herstellung eines Rechtsbodens
+fuer die roemische Republik ersonnen, und recht schlecht ersonnen, indem
+dabei der tribunus celerum mit dem ganz verschiedenen magister equitum
+verwechselt und dann das dem letzteren kraft seines praetorischen Ranges
+zustehende Recht, die Zenturien zu berufen, auf die Kurienversammlung
+bezogen ward. ---------------------------------------------- Sind wir
+ueber den historischen Zusammenhang dieses wichtigen Ereignisses
+im Dunkeln, so liegt dagegen zum Glueck klar vor, worin die
+Verfassungsaenderung bestand. Die Koenigsgewalt ward keineswegs
+abgeschafft, wie schon das beweist, dass in der Vakanz nach wie vor
+der "Zwischenkoenig" eintrat; es traten nur an die Stelle des einen
+lebenslaenglichen zwei Jahreskoenige, die sich Feldherren (praetores)
+oder Richter (iudices) oder auch bloss Kollegen (consules) ^2 nannten.
+Es sind die Prinzipien der Kollegialitaet und der Annuitaet, die
+die Republik und das Koenigtum unterscheiden und die hier zuerst uns
+entgegentreten. ------------------------------------ ^2 Consules sind
+die zusammen Springenden oder Tanzenden, wie praesul der Vorspringen
+exul der Ausspringer (o ekpes/o/n), insula der Einsprung, zunaechst
+der ins Meer gefallene Felsblock. ------------------------------------
+Dasjenige der Kollegialitaet, dem der dritte spaeterhin gangbarste
+Name der Jahreskoenige entlehnt war, erscheint hier in einer ganz
+eigentuemlichen Gestalt. Nicht den beiden Beamten zusammen ward die
+hoechste Macht uebertragen, sondern es hatte und uebte sie jeder Konsul
+fuer sich so voll und ganz, wie der Koenig sie gehabt und geuebt hatte.
+Es geht dies so weit, dass von den beiden Kollegen nicht etwa der eine
+die Rechtspflege, der andere den Heerbefehl uebernahm, sondern sie
+ebenso gleichzeitig in der Stadt Recht sprachen wie zusammen zum Heere
+abgingen; im Falle der Kollision entschied ein nach Monaten oder
+Tagen bemessener Turnus. Allerdings konnte daneben, wenigstens im
+militaerischen Oberbefehl, eine gewisse Kompetenzteilung wohl von Anfang
+an stattfinden, beispielsweise der eine Konsul gegen die Aequer, der
+andere gegen die Volsker ausruecken; aber sie hatte in keiner Weise
+bindende Kraft und jedem der Kollegen stand es rechtlich frei, in den
+Amtskreis des andern zu jeder Zeit ueberzugreifen. Wo also die hoechste
+Gewalt der hoechsten Gewalt entgegentrat und der eine Kollege das
+verbot, was der andere befahl, hoben die konsularischen Machtworte
+einander auf. Diese eigentuemlich wenn nicht roemische, so doch
+latinische Institution konkurrierender hoechster Gewalt, die im
+roemischen Gemeinwesen sich im ganzen genommen praktisch bewaehrt hat,
+zu der es aber schwer sein wird, in einem andern groesseren Staat eine
+Parallele zu finden, ist offenbar hervorgegangen aus dem Bestreben, die
+koenigliche Macht in rechtlich ungeschmaelerter Fuelle festzuhalten und
+darum das Koenigsamt nicht etwa zu teilen oder von einem Individuum auf
+ein Kollegium zu uebertragen, sondern lediglich es zu verdoppeln und
+damit, wo es noetig war, es durch sich selber zu vernichten. Fuer
+die Befristung gab das aeltere fuenftaegige Zwischenkoenigtum
+einen rechtlichen Anhalt. Die ordentlichen Gemeindevorsteher
+wurden verpflichtet, nicht laenger als ein Jahr, von dem Tage ihres
+Amtsantritts an gerechnet ^3, im Amte zu bleiben und hoerten, wie der
+Interrex mit Ablauf der fuenf Tage, so mit Ablauf des Jahres vor. Rechts
+wegen auf, Beamte zu sein. Durch diese Befristung des hoechsten Amtes
+ging die tatsaechliche Unverantwortlichkeit des Koenigs fuer den
+Konsul verloren. Zwar hatte auch der Koenig von jeher in dem roemischen
+Gemeinwesen unter, nicht ueber dem Gesetz gestanden; allein da nach
+roemischer Auffassung der hoechste Richter nicht bei sich selbst belangt
+werden durfte, hatte er wohl ein Verbrechen begehen koennen, aber
+ein Gericht und eine Strafe gab es fuer ihn nicht. Den Konsul dagegen
+schuetzte, wenn er Mord oder Landesverrat beging, sein Amt auch,
+aber nur, solange es waehrte; nach seinem Ruecktritt unterlag er
+dem gewoehnlichen Strafgericht wie jeder andere Buerger.
+--------------------------------------------------- ^3 Der Antrittstag
+fiel mit dem Jahresanfang (1. Maerz) nicht zusammen und war ueberhaupt
+nicht fest. Nach diesem richtete sich der Ruecktrittstag, ausgenommen,
+wenn ein Konsul ausdruecklich anstatt eines ausgefallenen gewaehlt war
+(consul suffectus), wo er in die Rechte und also auch in die Frist des
+Ausgefallenen eintrat. Doch sind diese Ersatzkonsuln in aelterer Zeit
+nur vorgekommen, wenn bloss der eine der Konsuln weggefallen war;
+Kollegien von Ersatzkonsuln begegnen erst in der spaeteren Republik.
+Regelmaessig bestand also das Amtsjahr eines Konsuls aus den
+ungleichen Haelften zweier buergerlicher Jahre.
+-------------------------------------------------- Zu diesen
+hauptsaechlichen und prinzipiellen Aenderungen kamen andere
+untergeordnete und mehr aeusserliche, aber doch auch teilweise tief
+eingreifende Beschraenkungen hinzu. Das Recht des Koenigs, seine Aecker
+durch Buergerfronden zu bestellen, und das besondere Schutzverhaeltnis,
+in welchem die Insassenschaft zu dem Koenig gestanden haben muss,
+fielen mit der Lebenslaenglichkeit des Amtes von selber. Hatte ferner
+im Kriminalprozess sowie bei Bussen und Leibesstrafen bisher dem Koenig
+nicht bloss Untersuchung und Entscheidung der Sache zugestanden,
+sondern auch die Entscheidung darueber, ob der Verurteilte den Gnadenweg
+betreten duerfe oder nicht, so bestimmte jetzt das Valerische Gesetz
+(Jahr 245 Roms 500), dass der Konsul der Provokation des Verurteilten
+stattgeben muesse, wenn auf Todes- oder Leibesstrafe nicht nach
+Kriegsrecht erkannt war; was durch ein spaeteres Gesetz (unbestimmter
+Zeit, aber vor dem Jahre 303 451 erlassen) auf schwere Vermoegensbussen
+ausgedehnt ward. Zum Zeichen dessen legten die konsularischen Liktoren,
+wo der Konsul als Richter, nicht als Feldherr auftrat, die Beile ab, die
+sie bisher kraft des ihrem Herrn zustehenden Blutbannes gefuehrt hatten.
+Indes drohte dem Beamten, der der Provokation nicht ihren Lauf
+liess, das Gesetz nichts anderes als die Infamie, die nach damaligen
+Verhaeltnissen im wesentlichen nichts war als ein sittlicher Makel und
+hoechstens zur Folge hatte, dass das Zeugnis des Ehrlosen nicht mehr
+galt. Auch hier liegt dieselbe Anschauung zu Grunde, dass es rechtlich
+unmoeglich ist, die alte Koenigsgewalt zu schmaelern und die infolge der
+Revolution dem Inhaber der hoechsten Gemeindegewalt gesetzten Schranken
+streng genommen nur einen tatsaechlichen und sittlichen Wert haben. Wenn
+also der Konsul innerhalb der alten koeniglichen Kompetenz handelt,
+so kann er damit wohl ein Unrecht, aber kein Verbrechen begehen und
+unterliegt also deswegen dem Strafrichter nicht. Eine in der Tendenz
+aehnliche Beschraenkung fand statt in der Zivilgerichtsbarkeit; denn
+wahrscheinlich wurde den Konsuln gleich mit ihrem Eintritt das Recht
+genommen, einen Rechtshandel unter Privaten nach ihrem Ermessen zu
+entscheiden. Die Umgestaltung des Kriminal- wie des Zivilprozesses
+stand in Verbindung mit einer allgemeinen Anordnung hinsichtlich der
+Uebertragung der Amtsgewalt auf Stellvertreter oder Nachfolger. Hatte
+dem Koenig die Ernennung von Stellvertretern unbeschraenkt frei, aber
+nie fuer ihn ein Zwang dazu bestanden, so haben die Konsuln das Recht
+der Gewaltuebertragung in wesentlich anderer Weise geuebt. Zwar die
+Regel, dass wenn der hoechste Beamte die Stadt verliess, er fuer die
+Rechtspflege daselbst einen Vogt zu bestellen habe, blieb auch fuer
+die Konsuln in Kraft, und nicht einmal die Kollegialitaet ward auf die
+Stellvertretung erstreckt, vielmehr diese Bestellung demjenigen Konsul
+auferlegt, welcher zuletzt die Stadt verliess. Aber das Mandierungsrecht
+fuer die Zeit, wo die Konsuln in der Stadt verweilten, wurde
+wahrscheinlich gleich bei der Einfuehrung dieses Amtes dadurch
+beschraenkt, dass dem Konsul das Mandieren fuer bestimmte Faelle
+vorgeschrieben, fuer alle Faelle dagegen, wo dies nicht geschehen war,
+untersagt ward. Nach diesem Grundsatz ward, wie gesagt, das
+gesamte Gerichtswesen geordnet. Der Konsul konnte allerdings die
+Kriminalgerichtsbarkeit auch im Kapitalprozess in der Weise ausueben,
+dass er seinen Spruch der Gemeinde vorlegte und diese ihn dann
+bestaetigte oder verwarf; aber er hat dies Recht, soviel wir sehen, nie
+geuebt, vielleicht bald nicht mehr ueben duerfen und vielleicht nur da
+ein Kriminalurteil gefaellt, wo aus irgendeinem Grunde die Berufung an
+die Gemeinde ausgeschlossen war. Man vermied den unmittelbaren Konflikt
+zwischen dem hoechsten Gemeindebeamten und der Gemeinde selbst und
+ordnete den Kriminalprozess vielmehr in der Weise, dass das hoechste
+Gemeindeamt nur der Idee nach kompetent blieb, aber immer handelte durch
+notwendige, wenn auch von ihm bestellte Vertreter. Es sind dies die
+beiden nicht staendigen Urteilsprecher fuer Empoerung und Hochverrat
+(duoviri perduellionis) und die zwei staendigen Mordspuerer, die
+quaestores parricidii. Aehnliches mag vielleicht in der Koenigszeit
+da vorgekommen sein, wo der Koenig sich in solchen Prozessen vertreten
+liess; aber die Staendigkeit der letzteren Institution und das in
+beiden durchgefuehrte Kollegialitaetsprinzip gehoeren auf jeden Fall
+der Republik an. Die letztere Einrichtung ist auch insofern von grosser
+Wichtigkeit geworden, als damit zum erstenmal neben die zwei staendigen
+Oberbeamten zwei Gehilfen traten, die jeder Oberbeamte bei seinem
+Amtsantritt ernannte und die folgerecht auch bei seinem Ruecktritt
+mit ihm abtraten, deren Stellung also wie das Oberamt selbst nach
+den Prinzipien der Staendigkeit, der Kollegialitaet und der Annuitaet
+geordnet war. Es ist das zwar noch nicht die niedere Magistratur selbst,
+wenigstens nicht in dem Sinne, den die Republik mit der magistratischen
+Stellung verbindet, insofern die Kommissarien nicht aus der Wahl der
+Gemeinde hervorgehen; wohl aber ist dies der Ausgangspunkt der spaeter
+so mannigfaltig entwickelten Institution der Unterbeamten geworden.
+In aehnlichem Sinne wurde die Entscheidung im Zivilprozess dem Oberamt
+entzogen, indem das Recht des Koenigs, einen einzelnen Prozess zur
+Entscheidung einem Stellvertreter zu uebertragen, umgewandelt ward in
+die Pflicht des Konsuls, nach Feststellung der Parteilegitimation und
+des Gegenstandes der Klage dieselbe zur Erledigung an einen von ihm
+auszuwaehlenden und von ihm zu instruierenden Privatmann zu verweisen.
+In gleicher Weise wurde den Konsuln die wichtige Verwaltung des
+Staatsschatzes und des Staatsarchivs zwar gelassen, aber doch
+wahrscheinlich sofort, mindestens sehr frueh, ihnen dabei staendige
+Gehilfen und zwar eben jene Quaestoren zugeordnet, welche ihnen freilich
+in dieser Taetigkeit unbedingt zu gehorchen hatten, ohne deren Vorwissen
+und Mitwirkung aber doch die Konsuln nicht handeln konnten. Wo dagegen
+solche Vorschriften nicht bestanden, musste der Gemeindevorstand in
+der Hauptstadt persoenlich eingreifen; wie denn zum Beispiel bei der
+Einleitung des Prozesses er sich unter keinen Umstaenden vertreten
+lassen kann. Diese zwiefache Fesselung des konsularischen
+Mandierungsrechts bestand fuer das staedtische Regiment, zunaechst fuer
+die Rechtspflege und die Kassenverwaltung. Als Oberfeldherr behielt
+der Konsul dagegen das Uebertragungsrecht aller oder einzelner ihm
+obliegender Geschaefte. Diese verschiedene Behandlung der buergerlichen
+und der militaerischen Gewaltuebertragung ist die Ursache geworden,
+weshalb innerhalb des eigentlichen roemischen Gemeinderegiments durchaus
+keine stellvertretende Amtsgewalt (pro magistratu) moeglich ist und rein
+staedtische Beamte nie durch Nichtbeamte ersetzt, die militaerischen
+Stellvertreter aber (pro consule, pro praetore, pro quaestore) von aller
+Taetigkeit innerhalb der eigentlichen Gemeinde ausgeschlossen werden.
+Das Recht, den Nachfolger zu ernennen, hatte der Koenig nicht gehabt,
+sondern nur der Zwischenkoenig. Der Konsul wurde in dieser Hinsicht dem
+letzten gleichgestellt; fuer den Fall jedoch, dass er es nicht ausgeuebt
+hatte, trat nach wie vor der Zwischenkoenig ein, und die notwendige
+Kontinuitaet des Amtes bestand auch in dem republikanischen Regiment
+ungeschmaelert fort. Indes wurde das Ernennungsrecht wesentlich
+eingeschraenkt zu Gunsten der Buergerschaft, indem der Konsul
+verpflichtet ward, fuer die von ihm bezeichneten Nachfolger die
+Zustimmung der Gemeinde zu erwirken, weiterhin nur diejenigen zu
+ernennen, die die Gemeinde ihm bezeichnete. Durch dieses bindende
+Vorschlagsrecht ging wohl in gewissem Sinne die Ernennung der
+ordentlichen hoechsten Beamten materiell auf die Gemeinde ueber; doch
+bestand auch praktisch noch ein sehr bedeutender Unterschied zwischen
+jenem Vorschlags- und dem foermlichen Ernennungsrecht. Der wahlleitende
+Konsul war durchaus nicht blosser Wahlvorstand, sondern konnte immer
+noch, kraft seines alten koeniglichen Rechts, zum Beispiel einzelne
+Kandidaten zurueckweisen und die auf sie fallenden Stimmen unbeachtet
+lassen, anfangs auch noch die Wahl auf eine von ihm entworfene
+Kandidatenliste beschraenken; und was noch wichtiger war, wenn das
+Konsulkollegium durch den gleich zu erwaehnenden Diktator zu ergaenzen
+war, wurde bei dieser Ergaenzung die Gemeinde nicht befragt, sondern der
+Konsul bestellte in dem Fall mit derselben Freiheit den Kollegen,
+wie einst der Zwischenkoenig den Koenig bestellt hatte. Die
+Priesterernennung, die den Koenigen zugestanden hatte, ging nicht ueber
+auf die Konsuln, sondern es trat dafuer bei den Maennerkollegien die
+Selbstergaenzung, bei den Vestalinnen und den Einzelpriestern die
+Ernennung durch das Pontifikalkollegium ein, an welches auch die
+Ausuebung der gleichsam hausherrlichen Gerichtsbarkeit der Gemeinde
+ueber die Priesterinnen der Vesta kam. Um diese fueglich nicht anders
+als von einem einzelnen vorzunehmenden Handlungen vollziehen zu
+koennen, setzte das Kollegium sich, vermutlich erst um diese Zeit, einen
+Vorstand, den Pontifex maximus. Diese Abtrennung der sakralen Obergewalt
+von der buergerlichen, waehrend auf den schon erwaehnten "Opferkoenig"
+weder die buergerliche noch die sakrale Macht des Koenigtums, sondern
+lediglich der Titel ueberging, sowie die aus dem sonstigen Charakter des
+roemischen Priestertums entschieden heraustretende, halb magistratische
+Stellung des neuen Oberpriesters ist eine der bezeichnendsten und
+folgenreichsten Eigentuemlichkeiten dieser auf Beschraenkung der
+Beamtengewalt hauptsaechlich im aristokratischen Interesse hinzielenden
+Staatsumwaelzung. Dass auch im aeusseren Auftreten der Konsul
+weit zurueckstand hinter dem mit Ehrfurcht und Schrecken umgebenen
+koeniglichen Amte, dass der Koenigsname und die priesterliche Weihe
+ihm entzogen, seinen Dienern das Beil genommen wurde, ist schon
+gesagt worden; es kommt hinzu, dass der Konsul statt des koeniglichen
+Purpurkleides nur durch den Purpursaum seines Obergewandes von dem
+gewoehnlichen Buerger sich unterschied, und dass, waehrend der Koenig
+oeffentlich vielleicht regelmaessig im Wagen erschien, der Konsul der
+allgemeinen Ordnung sich zu fuegen und gleich jedem anderen Buerger
+innerhalb der Stadt zu Fuss zu gehen gehalten war. Indes, diese
+Beschraenkungen der Amtsgewalt kamen im wesentlichen nur zur Anwendung
+gegen den ordentlichen Gemeindevorstand. Ausserordentlicher Weise
+trat neben und in gewissem Sinn anstatt der beiden von der Gemeinde
+gewaehlten Vorsteher ein einziger ein, der Heermeister (magister
+populi), gewoehnlich bezeichnet als der dictator. Auf die Wahl zum
+Diktator uebte die Gemeinde keinerlei Einfluss, sondern sie ging
+lediglich aus dem freien Entschluss eines der zeitigen Konsuln hervor,
+den weder der Kollege noch eine andere Behoerde hieran hindern konnte;
+gegen ihn galt die Provokation nur wie gegen den Koenig, wenn er
+freiwillig ihr wich; sowie er ernannt war, waren alle uebrigen Beamten
+von Rechts wegen ihm untertan. Dagegen war der Zeit nach die Amtsdauer
+des Diktators zwiefach begrenzt: einmal insofern er als Amtsgenosse
+derjenigen Konsuln, deren einer ihn ernannt hatte, nicht ueber deren
+gesetzliche Amtszeit hinaus im Amte bleiben durfte; sodann war als
+absolutes Maximum der Amtsdauer dem Diktator eine sechsmonatliche Frist
+gesetzt. Eine der Diktatur eigentuemliche Einrichtung war ferner,
+dass der "Heermeister" gehalten war, sich sofort einen "Reitermeister"
+(magister equitum) zu ernennen, welcher als abhaengiger Gehilfe neben
+ihm, etwa wie der Quaestor neben dem Konsul, fungierte und mit ihm vom
+Amte abtrat - eine Einrichtung, die ohne Zweifel damit zusammenhaengt,
+dass es dem Heermeister, vermutlich als dem Fuehrer des Fussvolkes,
+verfassungsmaessig untersagt war, zu Pferde zu steigen. Diesen
+Bestimmungen zufolge ist die Diktatur wohl aufzufassen als eine mit
+dem Konsulat zugleich entstandene Einrichtung, die den Zweck hatte,
+insbesondere fuer den Kriegsfall die Nachteile der geteilten Gewalt
+zeitweilig zu beseitigen und die koenigliche Gewalt voruebergehend
+wieder ins Leben zu rufen. Denn im Kriege vor allem musste die
+Gleichberechtigung der Konsuln bedenklich erscheinen und nicht bloss
+bestimmte Zeugnisse, sondern vor allem die aelteste Benennung des
+Beamten selbst und seines Gehilfen wie auch die Begrenzung auf die Dauer
+eines Sommerfeldzugs und der Ausschluss der Provokation sprechen fuer
+die ueberwiegend militaerische Bestimmung der urspruenglichen Diktatur.
+Im ganzen also blieben auch die Konsuln, was die Koenige gewesen waren,
+oberste Verwalter, Richter und Feldherren, und auch in religioeser
+Hinsicht war es nicht der Opferkoenig, der nur, damit der Name vorhanden
+sei, ernannt ward, sondern der Konsul, der fuer die Gemeinde betete
+und opferte und in ihrem Namen den Willen der Goetter mit Hilfe der
+Sachverstaendigen erforschte. Fuer den Notfall hielt man sich ueberdies
+die Moeglichkeit offen, die volle unumschraenkte Koenigsgewalt ohne
+vorherige Befragung der Gemeinde jeden Augenblick wieder ins Leben
+zu rufen mit Beseitigung der durch die Kollegialitaet und durch die
+besonderen Kompetenzminderungen gezogenen Schranken. So wurde die
+Aufgabe, die koenigliche Autoritaet rechtlich festzuhalten und
+tatsaechlich zu beschraenken, von den namenlosen Staatsmaennern, deren
+Werk diese Revolution war, in echt roemischer Weise ebenso scharf
+wie einfach geloest. Die Gemeinde gewann also durch die Aenderung der
+Verfassung die wichtigsten Rechte: das Recht, die Gemeindevorsteher
+jaehrlich zu bezeichnen und ueber Tod und Leben des Buergers in letzter
+Instanz zu entscheiden. Aber es konnte das unmoeglich die bisherige
+Gemeinde sein, der tatsaechlich zum Adelstande gewordene Patriziat. Die
+Kraft des Volkes war bei der "Menge", welche namhafte und vermoegende
+Leute bereits in grosser Zahl in sich schloss. Dass diese Menge aus der
+Gemeindeversammlung ausgeschlossen war, obwohl sie die gemeinen Lasten
+mittrug, mochte ertragen werden, solange die Gemeindeversammlung selbst
+im wesentlichen nicht eingriff in den Gang der Staatsmaschine und
+solange die Koenigsgewalt eben durch ihre hohe und freie Stellung den
+Buergern nicht viel weniger fuerchterlich blieb als den Insassen
+und damit in der Nation die Rechtsgleichheit erhielt. Allein als die
+Gemeinde selbst zu regelmaessigen Wahlen und Entscheidungen berufen, der
+Vorsteher aber faktisch aus ihrem Herrn zum befristeten Auftragnehmer
+herabgedrueckt ward, konnte dies Verhaeltnis nicht laenger aufrecht
+erhalten werden; am wenigsten bei der Neugestaltung des Staates an dem
+Morgen einer Revolution, die nur durch Zusammenwirken der Patrizier und
+der Insassen hatte durchgesetzt werden koennen. Eine Erweiterung dieser
+Gemeinde war unvermeidlich; und sie ist in der umfassendsten Weise
+erfolgt, indem das gesamte Plebejat, das heisst saemtliche Nichtbuerger,
+die weder Sklaven noch nach Gastrecht lebende Buerger auswaertiger
+Gemeinden waren, in die Buergerschaft aufgenommen wurden. Der
+Kurienversammlung der Altbuerger, die bis dahin rechtlich und
+tatsaechlich die erste Autoritaet im Staate gewesen war, wurden ihre
+verfassungsmaessigen Befugnisse fast gaenzlich entzogen: nur in rein
+formellen oder in den die Geschlechtsverhaeltnisse betreffenden Akten,
+also hinsichtlich des dem Konsul oder dem Diktator nach Antritt ihres
+Amtes eben wie frueher dem Koenig zu leistenden Treugeloebnisses und
+des fuer die Arrogation und das Testament erforderlichen gesetzlichen
+Dispenses, sollte die Kurienversammlung die bisherige Kompetenz
+behalten, aber in Zukunft keinen eigentlichen politischen Schluss mehr
+vollziehen duerfen. Bald wurden sogar die Plebejer zum Stimmrecht auch
+in den Kurien zugelassen, und es verlor damit die Altbuergerschaft
+das Recht ueberhaupt, zusammenzutreten und zu beschliessen. Die
+Kurienordnung wurde insofern gleichsam entwurzelt, als sie auf
+der Geschlechterordnung beruhte, diese aber in ihrer Reinheit
+ausschliesslich bei dem Altbuergertum zu finden war. Indern die Plebejer
+in die Kurien aufgenommen wurden, gestattete man allerdings auch ihnen
+rechtlich, was frueher nur faktisch bei ihnen vorgekommen sein kann,
+sich als Familien und Geschlechter zu konstituieren, aber es ist
+bestimmt ueberliefert und auch an sich sehr begreiflich, dass nur ein
+Teil der Plebejer zur gentilizischen Konstituierung vorschritt und also
+die neue Kurienversammlung im Widerspruch mit ihrem urspruenglichen
+Wesen zahlreiche Mitglieder zaehlte, die keinem Geschlecht angehoerten.
+Alle politischen Befugnisse der Gemeindeversammlung, sowohl die
+Entscheidung auf Provokation in dem Kriminalverfahren, das ja
+ueberwiegend politischer Prozess war, als die Ernennung der Magistrate
+und die Annahme oder Verwerfung der Gesetze, wurden auf das versammelte
+Aufgebot der Waffenpflichtigen uebertragen oder ihm neu erworben, so
+dass die Zenturien zu den gemeinen Lasten jetzt auch die gemeinen Rechte
+empfingen. Damit gelangten die in der Servianischen Verfassung
+gegebenen geringen Anfaenge, wie namentlich das dem Heer ueberwiesene
+Zustimmungsrecht bei der Erklaerung eines Angriffskrieges, zu einer
+solchen Entwicklung, dass die Kurien durch die Zenturienversammlung
+voellig und auf immer verdunkelt wurden und man sich gewoehnte, das
+souveraene Volk in der letzteren zu erblicken. Debatte fand auch in
+dieser bloss dann statt, wenn der vorsitzende Beamte freiwillig
+selbst sprach oder andere sprechen hiess, nur dass bei der Provokation
+natuerlich beide Teile gehoert werden mussten; die einfache Majoritaet
+der Zenturien entschied. Da in der Kurienversammlung die ueberhaupt
+Stimmberechtigten sich voellig gleichstanden, also nach Aufnahme der
+saemtlichen Plebejer in die Kurien man bei der ausgebildeten Demokratie
+angelangt sein wuerde, so ist es begreiflich, dass die politischen
+Abstimmungen den Kurien entzogen blieben; die Zenturienversammlung legte
+das Schwergewicht zwar nicht in die Haende der Adligen, aber doch in
+die der Vermoegenden, und das wichtige Vorstimmrecht, welches oft
+tatsaechlich entschied, in die der Ritter, das ist der Reichen. Nicht
+in gleicher Weise wie die Gemeinde wurde der Senat durch die Reform der
+Verfassung betroffen. Das bisherige Kollegium der Aeltesten blieb
+nicht bloss ausschliesslich patrizisch, sondern behauptete auch seine
+wesentlichen Befugnisse, das Recht, den Zwischenkoenig zu stellen und
+die von der Gemeinde gefassten Beschluesse als verfassungsmaessige
+oder verfassungswidrige zu bestaetigen oder zu verwerfen. Ja, diese
+Befugnisse wurden durch die Reform der Verfassung noch gesteigert,
+indem fortan auch die Bestellung der Gemeindebeamten wie der Wahl der
+Gemeinde, so der Bestaetigung oder Verwerfung des patrizischen Senats
+unterlag - nur bei der Provokation ist seine Bestaetigung, soviel wir
+wissen, niemals eingeholt worden, da es sich hier um Begnadigung des
+Schuldigen handelte, und wenn diese von der souveraenen Volksversammlung
+erteilt war, von einer etwaigen Vernichtung dieses Aktes nicht fueglich
+die Rede sein konnte. Indes wenngleich durch die Abschaffung des
+Koenigtums die verfassungsmaessigen Rechte des patrizischen Senats
+eher gemehrt als gemindert wurden, so kam doch auch, und zwar der
+Ueberlieferung zufolge sogleich mit der Abschaffung des Koenigtums, fuer
+diejenigen Angelegenheiten, die im Senat sonst zur Sprache kamen und die
+eine freiere Behandlung zuliessen, eine Erweiterung des Senats auf,
+die auch Plebejer in denselben brachte, und die in ihren Folgen eine
+vollstaendige Umgestaltung der gesamten Koerperschaft herbeigefuehrt
+hat. Seit aeltester Zeit hat der Senat nicht allein und nicht
+vorzugsweise, aber doch auch als Staatsrat fungiert; und wenn es
+wahrscheinlich schon in der Koenigszeit nicht als verfassungswidrig
+angesehen ward, dass in diesem Fall auch Nichtsenatoren an der
+Versammlung teilnahmen, so wurde jetzt die Einrichtung getroffen, dass
+fuer dergleichen Verhandlungen dem patrizischen Senat (Patres) eine
+Anzahl nicht patrizischer "Eingeschriebener" (conscripti) beigegeben
+wurden. Eine Gleichstellung war dies freilich in keiner Weise: die
+Plebejer im Senat wurden nicht Senatoren, sondern blieben Mitglieder
+des Ritterstandes, hiessen nicht "Vaeter", sondern waren nun auch
+"Eingeschriebenen und hatten kein Recht, auf das Abzeichen der
+senatorischen Wuerde, den roten Schuh. Sie blieben ferner nicht bloss
+unbedingt ausgeschlossen von der Ausuebung der dem Senat zustehenden
+obrigkeitlichen Befugnisse (auctoritas), sondern sie mussten auch da, wo
+es sich bloss um einen Ratschlag (consilium) handelte, es sich gefallen
+lassen, der an die Patrizier gerichteten Umfrage schweigend beizuwohnen
+und nur bei dem Auseinandertreten zur Abmehrung ihre Meinung zu erkennen
+zu geben, "mit den Fuessen zu stimmen" (pedibus in sententiam ire,
+pedarii), wie der stolze Adel sagte. Aber dennoch fanden die Plebejer
+durch die neue Verfassung ihren Weg nicht bloss auf den Markt,
+sondern auch in das Rathaus, und der erste und schwerste Schritt zur
+Gleichberechtigung war auch hier getan. Im uebrigen aenderte sich in
+den den Senat betreffenden Ordnungen nichts Wesentliches. Unter den
+patrizischen Mitgliedern machte sich bald, namentlich bei der Umfrage,
+ein Rangunterschied dahin geltend, dass diejenigen, welche zu dem
+hoechsten Gemeindeamt demnaechst bezeichnet waren oder dasselbe bereits
+verwaltet hatten, vor den uebrigen in der Liste verzeichnet und bei der
+Abstimmung gefragt wurden, und die Stellung des ersten von ihnen, des
+Vormanns des Rates (princeps senatus), wurde bald ein vielbeneideter
+Ehrenplatz. Der fungierende Konsul dagegen galt als Mitglied des Senats
+so wenig wie der Koenig und seine eigene Stimme zaehlte darum nicht mit.
+Die Wahlen in den Rat, sowohl in den engeren patrizischen wie unter die
+bloss Eingeschriebenen, erfolgten durch die Konsuln eben wie frueher
+durch die Koenige; nur liegt es in der Sache, dass, wenn der Koenig
+vielleicht auf die Vertretung der einzelnen Geschlechter im Rat noch
+einigermassen Ruecksicht genommen hatte, den Plebejern gegenueber, bei
+denen die Geschlechterordnung nur unvollkommen entwickelt war, diese
+Erwaegung gaenzlich wegfiel und somit ueberhaupt die Beziehung des
+Senats zu der Geschlechterordnung mehr und mehr in Abnahme kam. Von
+einer Beschraenkung der waehlenden Konsuln in der Weise, dass sie nicht
+ueber eine bestimmte Zahl von Plebejern in den Senat haetten aufnehmen
+duerfen, ist nichts bekannt; es bedurfte einer solchen Ordnung auch
+nicht, da die Konsuln ja selbst dem Adel angehoerten. Dagegen ist
+wahrscheinlich von Haus aus der Konsul seiner ganzen Stellung gemaess
+bei der Bestellung der Senatoren tatsaechlich weit weniger frei und weit
+mehr durch Standesmeinung und Observanz gebunden gewesen als der Koenig.
+Namentlich die Regel, dass die Bekleidung des Konsulats notwendig den
+Eintritt in den Senat auf Lebenszeit herbeifuehre, wenn, was in dieser
+Zeit wohl noch vorkam, der Konsul zur Zeit seiner Erwaehlung noch nicht
+Mitglied desselben war, wird sich wohl sehr frueh gewohnheitsrechtlich
+festgestellt haben. Ebenso scheint es frueh ueblich geworden zu
+sein, die Senatorenstellen nicht sofort nach der Erledigung wieder zu
+besetzen, sondern bei Gelegenheit der Schatzung, also regelmaessig jedes
+vierte Jahr, die Liste des Senats zu revidieren und zu ergaenzen;
+worin doch auch eine nicht unwichtige Beschraenkung der mit der Auswahl
+betrauten Behoerde enthalten war. Die Gesamtzahl der Senatoren blieb
+wie sie war, und zwar wurden auch die Eingeschriebenen in dieselbe
+eingerechnet; woraus man wohl auch auf das numerische
+Zusammenschwinden des Patriziats zu schliessen berechtigt ist ^4.
+----------------------------------------- ^4 Dass die ersten Konsuln 164
+Plebejer in den Senat nahmen, ist kaum als geschichtliche Tatsache
+zu betrachten, sondern eher ein Zeugnis dafuer, dass die spaeteren
+roemischen Archaeologen nicht mehr als 136 roemische Adelsgeschlechter
+nachzuweisen vermochten (Roemische Forschungen, Bd. 1, S. 121).
+------------------------------------------- Es blieb, wie man sieht, in
+dem roemischen Gemeinwesen selbst bei Umwandlung der Monarchie in die
+Republik soweit immer moeglich beim alten; soweit eine Staatsumwaelzung
+ueberhaupt konservativ sein kann, ist diese es gewesen und keines der
+konstitutiven Elemente des Gemeinwesens durch sie eigentlich ueber den
+Haufen geworfen worden. Es war das bezeichnend fuer den Charakter der
+gesamten Bewegung. Die Vertreibung der Tarquinier war nicht, wie die
+klaeglichen, tief verfaelschten Berichte sie darstellen, das Werk eines
+von Mitleid und Freiheitsenthusiasmus berauschten Volkes, sondern das
+Werk zweier grosser, bereits im Ringen begriffener und der stetigen
+Fortdauer ihres Kampfes klar sich bewusster politischer Parteien, der
+Altbuerger und der Insassen, welche, wie die englischen Tories und die
+Whigs im Jahre 1688, durch die gemeinsame Gefahr das Gemeinwesen in
+die Willkuerregierung eines Herrn sich umwandeln zu sehen, auf einen
+Augenblick vereinigt wurden, um dann sofort wieder sich zu entzweien.
+Die Altbuergerschaft konnte ohne die Neubuerger des Koenigtums sich
+nicht entledigen; aber die Neubuerger waren bei weitem nicht maechtig
+genug, um jener mit einem Schlag das Heft aus den Haenden zu winden.
+Solche Transaktionen beschraenken sich notwendigerweise auf das
+geringste Mass gegenseitiger, durch muehsames Abdingen gewonnener
+Konzessionen und lassen die Zukunft entscheiden, wie das
+Schwergewicht der konstitutiven Elemente weiter sich stellen, wie sie
+ineinandergreifen oder einander entgegenwirken werden. Darum verkennt
+man die Tragweite der ersten roemischen Revolution durchaus, wenn man in
+ihr bloss die unmittelbaren Neuerungen, etwa bloss eine Veraenderung in
+der Dauer der hoechsten Magistratur sieht; die mittelbaren Folgen waren
+auch hier bei weitem die Hauptsache und wohl gewaltiger, als selbst
+ihre Urheber sie ahnten. Dies war die Zeit, wo, um es mit einem Worte
+zu sagen, die roemische Buergerschaft im spaeteren Sinne des Wortes
+entstand. Die Plebejer waren bisher Insassen gewesen, welche man wohl zu
+den Steuern und Lasten mit heranzog, die aber dennoch in den Augen des
+Gesetzes wesentlich nichts waren als geduldete Fremdlinge und deren
+Kreis gegen die eigentlichen Auslaender scharf abzustecken kaum noetig
+scheinen mochte. Jetzt wurden sie als wehrpflichtige Buerger in die
+Listen eingeschrieben; und wenn sie auch der Rechtsgleichheit noch
+fern standen, immer noch die Altbuerger zu den dem Rat der Alten
+verfassungsmaessig zustehenden Autoritaetshandlungen ausschliesslich
+befugt und zu den buergerlichen Aemtern und Priestertuemern
+ausschliesslich waehlbar, ja sogar der buergerlichen Nutzungen, zum
+Beispiel des Anteils an der Gemeinweide, vorzugsweise teilhaft blieben,
+so war doch der erste und schwerste Schritt zur voelligen Ausgleichung
+geschehen, seit die Plebejer nicht bloss im Gemeindeaufgebot dienten,
+sondern auch in der Gemeindeversammlung und im Gemeinderat bei dessen
+gutachtlicher Befragung stimmten und Haupt und Ruecken auch des aermsten
+Insassen so gut wie des vornehmsten Altbuergers geschuetzt ward durch
+das Provokationsrecht. Eine Folge dieser Verschmelzung der Patrizier
+und Plebejer zu der neuen gemeinen roemischen Buergerschaft war die
+Umwandlung der Altbuergerschaft in einen Geschlechtsadel, welcher,
+seit die Adelschaft auch das Recht verlor, in gemeiner Versammlung
+zu beschliessen, da die Aufnahme neuer Familien in den Adel durch
+Gemeindebeschluss noch weniger zulaessig erschien, jeder, sogar der
+Selbstergaenzung unfaehig war. Unter den Koenigen war dergleichen
+Abgeschlossenheit dem roemischen Adel fremd und die Aufnahme neuer
+Geschlechter nicht allzu selten gewesen; jetzt stellte dieses rechte
+Kennzeichnen des Junkertums sich ein als der sichere Vorbote des
+bevorstehenden Verlustes seiner politischen Vorrechte und seiner
+ausschliesslichen Geltung in der Gemeinde. Die Ausschliessung der
+Plebejer von allen Gemeindeaemtern und Gemeindepriestertuemern, waehrend
+sie doch zu Offiziers- und Ratsherrenstellen zugelassen wurden, und die
+mit verkehrter Hartnaeckigkeit festgehaltene rechtliche Unmoeglichkeit
+einer Ehe zwischen Altbuergern und Plebejern drueckten weiter dem
+Patriziat von vornherein den Stempel des exklusiven und widersinnig
+privilegierten Adeltums auf. Eine zweite Folge der neuen buergerlichen
+Einigung muss die festere Regulierung des Niederlassungsrechts sowohl
+den latinischen Eidgenossen als anderen Staaten gegenueber gewesen sein.
+Weniger des Stimmrechts in den Zenturien wegen, das ja doch nur dem
+Ansaessigen zukam, als wegen des Provokationsrechts, das dem Plebejer,
+aber nicht dem eine Zeitlang oder auch dauernd in Rom verweilenden
+Auslaender gewaehrt werden sollte, wurde es notwendig, die Bedingungen
+der Erwerbung des plebejischen Rechts genauer zu formulieren und die
+erweiterte Buergerschaft wiederum gegen die jetzigen Nichtbuerger
+abzuschliessen. Also geht auf diese Epoche im Sinne und Geiste des
+Volkes sowohl die Gehaessigkeit des Gegensatzes zwischen Patriziern und
+Plebejern zurueck wie die scharfe und stolze Abgrenzung der cives
+Romani gegen die Fremdlinge. Aber jener staedtische Gegensatz war
+voruebergehender, dieser politische dauernder Art und das Gefuehl der
+staatlichen Einheit und der beginnenden Grossmacht, das hiermit in die
+Herzen der Nation gepflanzt ward, expansiv genug, um jene kleinlichen
+Unterschiede erst zu untergraben und sodann im allmaechtigen Strom mit
+sich fortzureissen. Dies war ferner die Zeit, wo Gesetz und Verordnung
+sich schieden. Begruendet zwar ist der Gegensatz in dem innersten Wesen
+des roemischen Staates; denn auch die roemische Koenigsgewalt stand
+unter, nicht ueber dem Landrecht. Allein die tiefe und praktische
+Ehrfurcht, welche die Roemer wie jedes andere politisch faehige Volk vor
+dem Prinzip der Autoritaet hegten, erzeugte den merkwuerdigen Satz des
+roemischen Staats- und Privatrechts, dass jeder nicht auf ein Gesetz
+gegruendete Befehl des Beamten wenigstens waehrend der Dauer seines
+Amtes gelte, obwohl er mit diesem wegfiel. Es ist einleuchtend, dass
+hierbei, solange die Vorsteher auf Lebenszeit ernannt wurden,
+der Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung tatsaechlich
+fast verschwinden musste und die legislative Taetigkeit der
+Gemeindeversammlung keine Entwicklung gewinnen konnte. Umgekehrt erhielt
+sie einen weiten Spielraum, seit die Vorsteher jaehrlich wechselten, und
+es war jetzt keineswegs ohne praktische Bedeutung, dass, wenn der Konsul
+bei der Entscheidung eines Prozesses eine rechtliche Nullitaet beging,
+sein Nachfolger eine neue Instruktion der Sache anordnen konnte. Dies
+war endlich die Zeit, wo die buergerliche und die militaerische Gewalt
+sich voneinander sonderten. Dort herrscht das Gesetz, hier das Beil;
+dort waren die konstitutionellen Beschraenkungen der Provokation und
+der regulierten Mandierung massgebend ^5, hier schaltete der Feldherr
+unumschraenkt wie der Koenig. Es stellte sich fest, dass der Feldherr
+und das Heer als solche die eigentliche Stadt regelmaessig nicht
+betreten durften. Dass organische und auf die Dauer wirksame
+Bestimmungen nur unter der Herrschaft der buergerlichen Gewalt getroffen
+werden konnte, lag nicht im Buchstaben, aber im Geiste der Verfassung;
+es kam freilich vor, dass gelegentlich diesem zuwider der Feldherr seine
+Mannschaft im Lager zur Buergerversammlung berief und rechtlich nichtig
+war ein solcher Beschluss nicht, allein die Sitte missbilligte dieses
+Verfahren und es unterblieb bald, als waere es verboten. Der Gegensatz
+der Quiriten und der Soldaten wurzelte allmaehlich fest und fester
+in den Gemuetern der Buerger.
+------------------------------------------------------ ^5 Es mag nicht
+ueberfluessig sein zu bemerken, dass auch das iudicium legitimum wie
+das quod imperio continetur auf dem Imperium des instruierenden Beamten
+beruht und der Unterschied nur darin besteht, dass das Imperium dort
+von der Lex beschraenkt, hier aber frei ist.
+------------------------------------------------------ Indes, um diese
+Folgesaetze des neuen Republikanismus zu entwickeln, bedurfte es der
+Zeit; wie lebendig die Nachwelt sie empfand, der Mitwelt mochte die
+Revolution zunaechst in einem andern Lichte erscheinen. Wohl gewannen
+die Nichtbuerger dadurch das Buergerrecht und gewann die neue
+Buergerschaft in der Gemeindeversammlung weitgreifende Befugnisse; aber
+das Verwerfungsrecht des patrizischen Senats, der gleichsam wie ein
+Oberhaus jenen Komitien in fester Geschlossenheit gegenueberstand, hob
+rechtlich die freie Bewegung derselben gerade in den entscheidendsten
+Dingen auf und war tatsaechlich zwar nicht imstande, den ernstlichen
+Willen der Gesamtheit zu brechen, aber doch, ihn zu verzoegern und zu
+verkuemmern. Schien die Adelschaft, indem sie es aufgab, allein die
+Gemeinde zu sein, nicht allzuviel verloren zu haben, so hatte sie
+in anderen Beziehungen entschieden gewonnen. Der Koenig war freilich
+Patrizier wie der Konsul, und das Recht der Senatorenernennung steht
+diesem wie jenem zu; aber wenn jenen seine Ausnahmestellung ueber
+Patrizier nicht minder wie ueber Plebejer hinausrueckte und wenn er
+leicht in den Fall kommen konnte, eben gegen den Adel sich auf die Menge
+stuetzen zu muessen, so stand der Konsul, Herrscher auf kurze Frist,
+vorher und nachher aber nichts als einer aus dem Adel, und dem adligen
+Mitbuerger, welchem er heute befahl, morgen gehorchend, keineswegs
+ausserhalb seines Standes und musste der Adlige in ihm weit maechtiger
+sein als der Beamte. Wenn ja dennoch einmal ausnahmsweise ein der
+Adelsherrschaft abgeneigter Patrizier ans Regiment gerufen ward, so
+ward seine Amtsgewalt teils durch die vom schroffen Adelsgeiste
+durchdrungenen Priesterschaften, teils durch den Kollegen gelaehmt und
+leicht durch die Diktatur suspendiert; und was noch wichtiger war,
+es fehlte ihm das erste Element der politischen Macht, die Zeit. Der
+Vorsteher eines Gemeinwesens, welche Machtfuelle immer ihm eingeraeumt
+werden moege, wird die politische Gewalt nie in die Haende bekommen,
+wenn er nicht auf laengere Zeit an der Spitze der Geschaefte bleibt;
+denn die notwendige Bedingung jeder Herrschaft ist ihre Dauer.
+Folgeweise gewann der lebenslaengliche Gemeinderat, und zwar
+hauptsaechlich durch seine Befugnis, den Beamten in allen Stuecken
+zu beraten, also nicht der engere patrizische, sondern der weitere
+patrizisch-plebejische, den Jahresherrschern gegenueber unvermeidlich
+einen solchen Einfluss, dass die rechtlichen Verhaeltnisse sich geradezu
+umkehrten, der Gemeinderat wesentlich die Regierungsgewalt an sich
+nahm und der bisherige Regent herabsank zu dessen vorsitzendem und
+ausfuehrendem Praesidenten. Fuer den der Gemeinde zur Annahme oder
+Verwerfung vorzulegenden Antrag erschien die Vorberatung im Gesamtsenat
+und dessen Billigung zwar nicht als konstitutionell notwendig, aber als
+gewohnheitsmaessig geheiligt, und nicht leicht und nicht gern ging man
+darueber hinweg. Fuer wichtige Staatsvertraege, fuer die Verwaltung und
+Austeilung des Gemeindelandes, ueberhaupt fuer jeden Akt, dessen Folgen
+sich ueber das Amtsjahr erstreckten, galt dasselbe, und dem Konsul blieb
+nichts als die Erledigung der laufenden Geschaefte, die Einleitung der
+Zivilprozesse und das Kommando im Kriege. Vor allem folgenreich war die
+Neuerung, dass es weder dem Konsul noch selbst dem sonst unbeschraenkten
+Diktator gestattet war, den gemeinen Schatz anders als mit und durch den
+Willen des Rates anzugreifen. Indem der Senat es den Konsuln zur Pflicht
+machte, die Verwaltung der Gemeindekasse, die der Koenig selbst gefuehrt
+hatte oder doch hatte fuehren koennen, an zwei staendige Unterbeamte
+abzugeben, welche zwar von den Konsuln ernannt wurden und ihnen zu
+gehorchen hatten, aber begreiflicherweise noch weit mehr als die Konsuln
+selbst vom Senat abhingen, zog er die Leitung des Kassenwesens an sich,
+und es kann dieses Geldbewilligungsrecht des roemischen Senats wohl
+in seinen Wirkungen mit dem Steuerbewilligungsrecht in den heutigen
+konstitutionellen Monarchien zusammengestellt werden. Die Folgen
+ergeben sich von selbst. Die erste und wesentlichste Bedingung
+jeder Adelsherrschaft ist, dass die Machtfuelle im Staat nicht einem
+Individuum, sondern einer Korporation zusteht; jetzt hatte eine
+ueberwiegend adlige Korporation, der Gemeinderat, das Regiment an
+sich gebracht und war dabei die exekutive Gewalt nicht bloss dem Adel
+geblieben, sondern auch der regierenden Korporation voellig unterworfen
+worden. Zwar sassen im Rat eine betraechtliche Anzahl nichtadliger
+Maenner; aber da sie der Bekleidung von Aemtern, ja sogar der Teilnahme
+an der Debatte unfaehig, also von jedem praktischen Anteil am Regiment
+ausgeschlossen waren, spielten sie notwendigerweise auch im Senat eine
+untergeordnete Rolle und wurden ueberdies durch das oekonomisch wichtige
+Nutzungsrecht der Gemeinweide in pekuniaerer Abhaengigkeit von
+der Korporation gehalten. Das allmaehlich sich bildende Recht der
+patrizischen Konsuln, wenigstens jedes vierte Jahr die Ratsherrenliste
+zu revidieren und zu modifizieren, so nichtig es vermutlich der
+Adelschaft gegenueber war, konnte doch sehr wohl in ihrem Interesse
+gebraucht und der missliebige Plebejer mittels desselben aus dem
+Senat ferngehalten und sogar wieder ausgeschieden werden. Es ist
+darum durchaus wahr, dass die unmittelbare Folge der Revolution die
+Feststellung der Adelsherrschaft gewesen ist; nur ist es nicht die ganze
+Wahrheit. Wenn die Mehrzahl der Mitlebenden meinen mochte, dass die
+Revolution den Plebejern nur eine starrere Despotie gebracht habe,
+so sehen wir Spaeteren in dieser selbst schon die Knospen der jungen
+Freiheit. Was die Patrizier gewannen, ging nicht der Gemeinde verloren,
+sondern der Beamtengewalt; die Gemeinde gewann zwar nur wenige
+engbeschraenkte Rechte, welche weit minder praktisch und handgreiflich
+waren als die Errungenschaften des Adels, und welche nicht einer von
+Tausend zu schaetzen wissen mochte, aber in ihnen lag die Buergschaft
+der Zukunft. Bisher war politisch die Insassenschaft nichts, die
+Altbuergerschaft alles gewesen; indem jetzt jene zur Gemeinde ward, war
+die Altbuergerschaft ueberwunden; denn wieviel auch noch zu der vollen
+buergerlichen Gleichheit mangeln mochte, es ist die erste Bresche, nicht
+die Besetzung des letzten Postens, die den Fall der Festung entscheidet.
+Darum datierte die roemische Gemeinde mit Recht ihre politische Existenz
+von dem Beginn des Konsulats. Indes, wenn die republikanische Revolution
+trotz der durch sie zunaechst begruendeten Junkerherrschaft mit Recht
+ein Sieg der bisherigen Insassenschaft oder der Plebs genannt werden
+kann, so trug doch auch in der letzteren Beziehung die Revolution
+keineswegs den Charakter, den wir heutzutage als den demokratischen
+zu bezeichnen gewohnt sind. Das rein persoenliche Verdienst ohne
+Unterstuetzung der Geburt und des Reichtums mochte wohl unter der
+Koenigsherrschaft leichter als unter derjenigen des Patriziats zu
+Einfluss und Ansehen gelangen. Damals war der Eintritt in das Patriziat
+rechtlich keinem verschlossen; jetzt war das hoechste Ziel des
+plebejischen Ehrgeizes die Aufnahme in den mundtoten Anhang des Senats.
+Es lag dabei in der Natur der Sache, dass der regierende Herrenstand,
+soweit er ueberhaupt die Plebejer zuliess, nicht unbedingt den
+tuechtigsten Maennern, sondern vorzugsweise den Haeuptern der reichen
+und angesehenen Plebejerfamilien im Senat neben sich zu sitzen
+gestattete und die also zugelassenen Familien eifersuechtig ueber den
+Besitz der Ratsherrenstellen wachten. Waehrend also innerhalb der alten
+Buergerschaft vollstaendige Rechtsgleichheit bestanden hatte, begann die
+Neubuerger- oder die ehemalige Insassenschaft von Haus aus damit, sich
+in eine Anzahl bevorrechteter Familien. und eine zurueckgesetzte
+Menge zu scheiden. Die Gemeindemacht aber kam in Gemaessheit
+der Zenturienordnung jetzt an diejenige Klasse, welche seit der
+Servianischen Reform des Heer- und Steuerwesens vorzugsweise die
+buergerlichen Lasten trug, an die Ansaessigen, und zwar vorzugsweise
+weder an die grossen Gutsbesitzer noch an die Instenleute, sondern an
+den mittleren Bauernstand, wobei die Aelteren noch insofern
+bevorzugt waren, als sie, obgleich minder zahlreich, doch ebensoviel
+Stimmabteilungen innehatten wie die Jugend. Indem also der
+Altbuergerschaft und ihrem Geschlechteradel die Axt an die Wurzel und
+zu einer neuen Buergerschaft der Grund gelegt ward, fiel in dieser das
+Gewicht auf Grundbesitz und Alter und zeigten sich schon die ersten
+Ansaetze zu einem neuen, zunaechst auf dem faktischen Ansehen der
+Familien beruhenden Adel, der kuenftigen Nobilitaet. Der konservative
+Grundcharakter des roemischen Gemeinwesens konnte sich nicht deutlicher
+bezeichnen als dadurch, dass die republikanische Staatsumwaelzung
+zugleich zu der neuen, ebenfalls konservativen und ebenfalls
+aristokratischen Staatsordnung die ersten Linien zog. 2. Kapitel Das
+Volkstribunat und die Dezemvirn Die Altbuergerschaft war durch die
+neue Gemeindeordnung auf gesetzlichem Wege in den vollen Besitz der
+politischen Macht gelangt. Herrschend durch die zu ihrer Dienerin
+herabgedrueckte Magistratur, vorwiegend im Gemeinderate, im
+Alleinbesitze aller Aemter und Priestertuemer, ausgeruestet mit der
+ausschliesslichen Kunde der goettlichen und menschlichen Dinge und
+mit der ganzen Routine politischer Praxis, einflussreich in der
+Gemeindeversammlung durch den starken Anhang fuegsamer und den einzelnen
+Familien anhaenglicher Leute, endlich befugt, jeden Gemeindebeschluss zu
+pruefen und zu verwerfen, konnten die Patrizier die faktische Herrschaft
+noch auf lange Zeit sich bewahren, eben weil sie rechtzeitig auf die
+gesetzliche Alleingewalt verzichtet hatten. Zwar mussten die Plebejer
+ihre politische Zuruecksetzung schwer empfinden; allein von der rein
+politischen Opposition hatte der Adel unzweifelhaft zunaechst nicht viel
+zu besorgen, wenn er es verstand, die Menge, die nichts verlangt
+als gerechte Verwaltung und Schutz der materiellen Interessen, dem
+politischen Kampfe fernzuhalten. In der Tat finden wir in der ersten
+Zeit nach der Vertreibung der Koenige verschiedene Massregeln, welche
+bestimmt waren oder doch bestimmt schienen, den gemeinen Mann fuer das
+Adelsregiment besonders von der oekonomischen Seite zu gewinnen: es
+wurden die Hafenzoelle herabgesetzt, bei hohem Stand der Kornpreise
+grosse Quantitaeten Getreide fuer Rechnung des Staats aufgekauft und der
+Salzhandel zum Staatsmonopol gemacht, um den Buergern Korn und Salz zu
+billigen Preisen abgeben zu koennen, endlich das Volksfest um einen Tag
+verlaengert. In denselben Kreis gehoert die schon erwaehnte Vorschrift
+hinsichtlich der Vermoegensbussen, die nicht bloss im allgemeinen dem
+gefaehrlichen Bruchrecht der Beamten Schranken zu setzen bestimmt,
+sondern auch in bezeichnender Weise vorzugsweise auf den Schutz des
+kleinen Mannes berechnet war. Denn wenn dem Beamten untersagt ward, an
+demselben Tag denselben Mann um mehr als zwei Schafe und um mehr als
+dreissig Rinder ausser mit Gestattung der Provokation zu buessen, so
+kann die Ursache dieser seltsamen Ansaetze wohl nur darin gefunden
+werden, dass fuer den kleinen, nur einige Schafe besitzenden Mann ein
+anderes Maximum noetig schien als fuer den reichen Rinderherdenbesitzer
+- eine Ruecksichtnahme auf Reichtum oder Armut der Gebuessten, von der
+neuere Gesetzgebungen lernen koennten. Allein diese Ordnungen halten
+sich auf der Oberflaeche; die Grundstroemung geht vielmehr nach der
+entgegengesetzten Richtung. Mit der Verfassungsaenderung leitet in
+den finanziellen und oekonomischen Verhaeltnissen Roms eine umfassende
+Revolution sich ein. Das Koenigsregiment hatte wahrscheinlich der
+Kapitalmacht prinzipiell keinen Vorschub getan und die Vermehrung der
+Bauernstellen nach Kraeften gefoerdert; die neue Adelsregierung dagegen
+scheint von vornherein auf die Zerstoerung der Mittelklassen, namentlich
+des mittleren und kleinen Grundbesitzes, und auf die Entwicklung
+einerseits einer Herrschaft der Grund- und Geldherren, anderseits eines
+ackerbauenden Proletariats ausgegangen zu sein. Schon die Minderung
+der Hafenzoelle, obwohl im allgemeinen eine populaere Massregel, kam
+vorzugsweise dem Grosshandel zugute. Aber ein noch viel groesserer
+Vorschub geschah der Kapitalmacht durch das System der indirekten
+Finanzverwaltung. Es ist schwer zu sagen, worauf dasselbe in seinen
+letzten Gruenden beruht; mag es aber auch an sich bis in die Koenigszeit
+zurueckreichen, so musste doch seit der Einfuehrung des Konsulats teils
+der schnelle Wechsel der roemischen Beamten, teils die Erstreckung der
+finanziellen Taetigkeit des Aerars auf Geschaefte, wie der Ein-
+und Verkauf von Korn und Salz, die Wichtigkeit der vermittelnden
+Privattaetigkeit steigern und, damit den Grund zu jenem
+Staatspaechtersystem legen, das in seiner Entwicklung fuer das roemische
+Gemeinwesen so folgenreich wie verderblich geworden ist. Der Staat gab
+nach und nach alle seine indirekten Hebungen und alle komplizierteren
+Zahlungen und Verrichtungen in die Haende von Mittelsmaennern, die
+eine Rauschsumme gaben oder empfingen und dann fuer ihre Rechnung
+wirtschafteten. Natuerlich konnten nur bedeutende Kapitalisten und, da
+der Staat streng auf dingliche Sicherheit sah, hauptsaechlich nur grosse
+Grundbesitzer sich hierbei beteiligen, und so erwuchs eine Klasse von
+Steuerpaechtern und Lieferanten, die in dem reissend schnellen Wachstum
+ihrer Opulenz, in der Gewalt ueber den Staat, dem sie zu dienen
+schienen, und in dem widersinnigen und sterilen Fundament ihrer
+Geldherrschaft den heutigen Boersenspekulanten vollkommen vergleichbar
+sind. Aber zunaechst und am empfindlichsten offenbarte sich die
+vereinbarte Richtung der finanziellen Verwaltung in der Behandlung
+der Gemeindelaendereien, die so gut wie geradezu hinarbeitete auf die
+materielle und moralische Vernichtung der Mittelklassen. Die Nutzung der
+gemeinen Weide und der Staatsdomaenen ueberhaupt war ihrer Natur nach
+ein buergerliches Vorrecht; das formelle Recht schloss den Plebejer von
+der Mitbenutzung des gemeinen Angers aus. Da indes, abgesehen von dem
+Uebergang in das Privateigentum oder der Assignation, das roemische
+Recht feste und gleich dem Eigentum zu respektierende Nutzungsrechte
+einzelner Buerger am Gemeinlande nicht kannte, so hing es, so lange das
+Gemeinland Gemeinland blieb, lediglich von der Willkuer des Koenigs
+ab den Mitgenuss zu gestatten und zu begrenzen, und es ist nicht zu
+bezweifeln, dass er von diesem seinem Recht oder wenigstens seiner Macht
+haeufig zu Gunsten von Plebejern Gebrauch gemacht hat. Aber mit der
+Einfuehrung der Republik wird der Satz wieder scharf betont, dass
+die Nutzung der Gemeinweide von Rechts wegen bloss dem Buerger besten
+Rechts, das heisst dem Patrizier zusteht; und wenn auch der Senat zu
+Gunsten der reichen in ihm mitvertretenen plebejischen Haeuser nach
+wie vor Ausnahmen zuliess, so wurden doch die kleinen plebejischen
+Ackerbesitzer und die Tageloehner, die eben die Weide am noetigsten
+brauchten, in dem Mitgenuss beeintraechtigt. Es war ferner bisher fuer
+das auf die gemeine Weide aufgetriebene Vieh ein Hutgeld erlegt worden,
+das zwar maessig genug war, um das Recht, auf diese Weide zu treiben,
+immer noch als Vorrecht erscheinen zu lassen, aber doch dem gemeinen
+Saeckel eine nicht unansehnliche Einnahme abwarf. Die patrizischen
+Quaestoren erhoben dasselbe jetzt saeumig und nachsichtig und liessen
+allmaehlich es ganz schwinden. Bisher hatte man, namentlich wenn durch
+Eroberung neue Domaenen gewonnen waren, regelmaessig Landauslegungen
+angeordnet, bei denen alle aermeren Buerger und Insassen beruecksichtigt
+wurden; nur dasjenige Land, das zum Ackerbau sich nicht eignete, ward zu
+der gemeinen Weide geschlagen. Diese Assignationen wagte man zwar nicht
+ganz zu unterlassen und noch weniger, sie bloss zu Gunsten der Reichen
+vorzunehmen; allein sie wurden seltener und karger und an ihre Stelle
+trat das verderbliche Okkupationssystem, das heisst die Ueberlassung
+der Domaenengueter nicht zum Eigentum oder zur foermlichen Pacht auf
+bestimmte Zeitfrist, sondern zur Sondernutzung bis weiter an den ersten
+Okkupanten und dessen Rechtsnachfolger, sodass dem Staate die Ruecknahme
+jederzeit freistand und der Inhaber die zehnte Garbe oder von Oel und
+Wein den fuenften Teil des Ertrages an die Staatskasse abzuliefern
+hatte. Es war dies nichts anderes als das frueher beschriebene
+Precarium, angewandt auf Staatsdomaenen und mag, namentlich als
+transitorische Einrichtung bis zur Durchfuehrung der Assignation, auch
+frueher schon bei dem Gemeinlande vorgekommen sein. Jetzt indes wurde
+dieser Okkupationsbesitz nicht bloss dauernd, sondern es griffen auch,
+wie natuerlich, nur die privilegierten Personen oder deren Guenstlinge
+zu und der Zehnte und Fuenfte ward mit derselben Laessigkeit
+eingetrieben wie das Hutgeld. So traf den mittleren und kleinen
+Grundbesitz ein dreifacher Schlag: die gemeinen Buergernutzungen gingen
+ihm verloren; die Steuerlast stieg dadurch, dass die Domanialgefaelle
+nicht mehr ordentlich in die gemeine Kasse flossen; und die
+Landauslegungen stockten, die fuer das agrikole Proletariat, etwa wie
+heutzutage ein grossartiges und fest reguliertes Emigrationssystem es
+tun wuerde, einen dauernden Abzugskanal gebildet hatten. Dazu kam
+die wahrscheinlich schon jetzt beginnende Grosswirtschaft, welche die
+kleinen Ackerklienten vertrieb und statt deren durch Feldsklaven das Gut
+nutzte; ein Schlag, der schwerer abzuwenden und wohl verderblicher war
+als alle jene politischen Usurpationen zusammengenommen. Die
+schweren, zum Teil ungluecklichen Kriege, die dadurch herbeigefuehrten
+unerschwinglichen Kriegssteuern und Fronden taten das uebrige, um den
+Besitzer entweder geradezu vom Hof zu bringen und ihn zum Knecht, wenn
+auch nicht zum Sklaven seines Schuldherrn zu machen, oder ihn durch
+Ueberschuldung tatsaechlich zum Zeitpaechter seiner Glaeubiger
+herabzudruecken. Die Kapitalisten, denen hier ein neues Gebiet
+eintraeglicher und muehe- und gefahrloser Spekulation sich eroeffnete,
+vermehrten teils auf diesem Wege ihr Grundeigentum, teils liessen sie
+dem Bauern, dessen Person und Gut das Schuldrecht ihnen in die Haende
+gab, den Namen des Eigentuemers und den faktischen Besitz. Das letztere
+war wohl das Gewoehnlichste wie das Verderblichste; denn mochte damit
+fuer den einzelnen der aeusserste Ruin abgewandt sein, so drohte dagegen
+diese prekaere, von der Gnade des Glaeubigers jederzeit abhaengige
+Stellung des Bauern, bei der derselbe vom Eigentum nichts als die
+Lasten trug, den ganzen Bauernstand zu demoralisieren und politisch
+zu vernichten. Die Absicht des Gesetzgebers, als er statt der
+hypothekarischen Schuld den sofortigen Uebergang des Eigentums auf den
+Glaeubiger anordnete, der Ueberschuldung zuvorzukommen und die Lasten
+des Staats den wirklichen Inhabern des Grundes und Bodens aufzuwaelzen,
+ward umgangen durch das strenge persoenliche Kreditsystem, das fuer
+Kaufleute sehr zweckmaessig sein mochte, die Bauern aber ruinierte.
+Hatte die freie Teilbarkeit des Bodens schon immer die Gefahr eines
+ueberschuldeten Ackerbauproletariats nahegelegt, so musste unter solchen
+Verhaeltnissen, wo alle Lasten stiegen, alle Abhilfen sich versperrten,
+die Not und die Hoffnungslosigkeit unter der baeuerlichen Mittelklasse
+mit entsetzlicher Raschheit um sich greifen. Der Gegensatz der Reichen
+und Armen, der aus diesen Verhaeltnissen hervorging, faellt keineswegs
+zusammen mit dem der Geschlechter und Plebejer. War auch der bei
+weitem groesste Teil der Patrizier reich beguetert, so fehlte es doch
+natuerlich auch unter den Plebejern nicht an reichen und ansehnlichen
+Familien, und da der Senat, der schon damals vielleicht zur groesseren
+Haelfte aus Plebejern bestand, selbst mit Ausschliessung der
+patrizischen Magistrate die finanzielle Oberleitung an sich genommen
+hatte, so ist es begreiflich, dass alle jene oekonomischen Vorteile,
+zu denen die politischen Vorrechte des Adels missbraucht wurden, den
+Reichen insgesamt zugute kamen und der Druck auf dem gemeinen Mann um so
+schwerer lastete, als durch den Eintritt in den Senat die tuechtigsten
+und widerstandsfaehigsten Personen aus der Klasse der Unterdrueckten
+uebertraten in die der Unterdruecker. Hierdurch aber ward die politische
+Stellung des Adels auf die Dauer unhaltbar. Haette er es ueber sich
+vermocht, gerecht zu regieren, und den Mittelstand geschuetzt, wie
+es einzelne Konsuln aus seiner Mitte versuchten, ohne bei der
+herabgedrueckten Stellung der Magistratur durchdringen zu koennen, so
+konnte er sich noch lange im Alleinbesitz der Aemter behaupten.
+Haette er es vermocht, die reichen und ansehnlichen Plebejer zu voller
+Rechtsgleichheit zuzulassen, etwa an den Eintritt in den Senat die
+Gewinnung des Patriziats zu knuepfen, so mochten beide noch lange
+ungestraft regieren und spekulieren. Allein es geschah keines von
+beiden: die Engherzigkeit und Kurzsichtigkeit, die eigentlichen und
+unverlierbaren Privilegien alles echten Junkertums, verleugneten sich
+auch in Rom nicht und zerrissen die maechtige Gemeinde in nutz-,
+ziel- und ruhmlosem Hader. Indes die naechste Krise ging nicht von
+den staendisch Zurueckgesetzten aus, sondern von der notleidenden
+Bauernschaft. Die zurechtgemachten Annalen setzen die politische
+Revolution in das Jahr 244 (510), die soziale in die Jahre 259 und 260
+(495 494); sie scheinen allerdings sich rasch gefolgt zu sein, doch ist
+der Zwischenraum wahrscheinlich laenger gewesen. Die strenge Uebung des
+Schuldrechts - so lautet die Erzaehlung - erregte die Erbitterung der
+ganzen Bauernschaft. Als im Jahre 259 (495) fuer einen gefahrvollen
+Krieg die Aushebung veranstaltet ward, weigerte sich die pflichtige
+Mannschaft, dem Gebot zu folgen. Wie darauf der Konsul Publius Servilius
+die Anwendung der Schuldgesetze vorlaeufig suspendierte und sowohl die
+schon in Schuldhaft sitzenden Leute zu entlassen befahl, als auch den
+weiteren Lauf der Verhaftungen hemmte, stellten die Bauern sich und
+halfen den Sieg erfechten. Heimgekehrt vom Schlachtfeld brachte der
+Friede, den sie erstritten hatten, ihnen ihren Kerker und ihre Ketten
+wieder; mit erbarmungsloser Strenge wandte der zweite Konsul Appius
+Claudius die Kreditgesetze an und der Kollege, den seine frueheren
+Soldaten um Hilfe anriefen, wagte nicht sich zu widersetzen. Es schien,
+als sei die Kollegialitaet nicht zum Schutz des Volkes eingefuehrt,
+sondern zur Erleichterung des Treubruchs und der Despotie; indes man
+litt, was nicht zu aendern war. Als aber im folgenden Jahr sich
+der Krieg erneuerte, galt das Wort des Konsuls nicht mehr. Erst dem
+ernannten Diktator Manius Valerius fuegten sich die Bauern, teils
+aus Scheu vor der hoeheren Amtsgewalt, teils im Vertrauen auf
+seinen populaeren Sinn - die Valerier waren eines jener alten
+Adelsgeschlechter, denen das Regiment ein Recht und eine Ehre,
+nicht eine Pfruende duenkte. Der Sieg war wieder bei den roemischen
+Feldzeichen; aber als die Sieger heimkamen und der Diktator seine
+Reformvorschlaege dem Senat vorlegte, scheiterten sie an dem
+hartnaeckigen Widerstand des Senats. Noch stand das Heer beisammen, wie
+ueblich vor den Toren der Stadt; als die Nachricht hinauskam, entlud
+sich das lange drohende Gewitter - der Korpsgeist und die geschlossene
+militaerische Organisation rissen auch die Verzagten und Gleichgueltigen
+mit fort. Das Heer verliess den Feldherrn und seine Lagerstatt und
+zog, gefuehrt von den Legionskommandanten, den wenigstens grossenteils
+plebejischen Kriegstribunen, in militaerischer Ordnung in die Gegend
+von Crustumeria zwischen Tiber und Anio, wo es einen Huegel besetzte und
+Miene machte, in diesem fruchtbarsten Teil des roemischen Stadtgebiets
+eine neue Plebejerstadt zu gruenden. Dieser Abmarsch tat selbst den
+hartnaeckigsten Pressern auf eine handgreifliche Art dar, dass ein
+solcher Buergerkrieg auch mit ihrem oekonomischen Ruin enden muesse; der
+Senat gab nach. Der Diktator vermittelte das Vertraegnis; die Buerger
+kehrten zurueck in die Stadtmauern; die aeusserliche Einheit ward
+wiederhergestellt. Das Volk nannte den Manius Valerius seitdem "den
+Grossen" (maximus) und den Berg jenseits des Anio "den heiligen". Wohl
+lag etwas Gewaltiges und Erhebendes in dieser ohne feste Leitung unter
+den zufaellig gegebenen Feldherren von der Menge selbst begonnenen
+und ohne Blutvergiessen durchgefuehrten Revolution, und gern und stolz
+erinnerten sich ihrer die Buerger. Empfunden wurden ihre Folgen
+durch viele Jahrhunderte; ihr entsprang das Volkstribunat. Ausser
+den transitorischen Bestimmungen, namentlich zur Abstellung der
+drueckendsten Schuldnot und zur Versorgung einer Anzahl Landleute
+durch Gruendung verschiedener Kolonien, brachte der Diktator
+verfassungsmaessig ein Gesetz durch, welches er ueberdies noch, ohne
+Zweifel um den Buergern wegen ihres gebrochenen Fahneneides Amnestie
+zu sichern, von jedem einzelnen Gemeindeglied beschwoeren und sodann in
+einem Gotteshause niederlegen liess unter Aufsicht und Verwahrung zweier
+besonders dazu aus der Plebs bestellter Beamten, der beiden "Hausherren"
+(aediles). Dies Gesetz stellte den zwei patrizischen Konsuln zwei
+plebejische Tribune zur Seite, welche die nach Kurien versammelten
+Plebejer zu waehlen hatten. Gegen das militaerische Imperium, das heisst
+gegen das der Diktatoren durchaus und gegen das der Konsuln ausserhalb
+der Stadt, vermochte die tribunizische Gewalt nichts; der buergerlichen
+ordentlichen Amtsgewalt aber, wie die Konsuln sie uebten, trat die
+tribunizische unabhaengig gegenueber, ohne dass doch eine Teilung der
+Gewalten stattgefunden haette. Die Tribune erhielten das Recht, welches
+dem Konsul gegen den Konsul und um so mehr gegen den niederen Beamten
+zustand, das heisst das Recht jeden von den Beamten erlassenen Befehl,
+durch den der davon betroffene Buerger sich verletzt hielt, auf dessen
+Anweisung durch ihren rechtzeitig und persoenlich eingelegten Protest
+zu vernichten und ebenso jeden von einem Beamten an die Buergerschaft
+gerichteten Antrag nach Ermessen zu hemmen oder zu kassieren, das ist
+das Recht der Interzession oder das sogenannte tribunizische Veto.
+Es lag also in der tribunizischen Gewalt zunaechst das Recht,
+die Verwaltung und die Rechtspflege willkuerlich zu hemmen, dem
+Militaerpflichtigen es moeglich zu machen, sich straflos der Aushebung
+zu entziehen, die Klageerhebung und die Rechtsvollstreckung gegen
+den Schuldner, die Einleitung des Kriminalprozesses und die
+Untersuchungshaft des Angeschuldigten zu verhindern oder aufzuheben und
+was dessen mehr war. Damit diese Rechtshilfe nicht durch die Abwesenheit
+der Helfer vereitelt werde, war ferner verordnet, dass der Tribun keine
+Nacht ausserhalb der Stadt zubringen duerfe und Tag und Nacht seine Tuer
+offenstehen muesse. Weiter lag es in der Gewalt des Volkstribunats,
+der Beschlussfassung der Gemeinde, die ja andernfalls kraft ihres
+souveraenen Rechts die von ihr der Plebs verliehenen Privilegien ohne
+weiteres haette zuruecknehmen koennen, durch ein einziges Wort eines
+einzelnen Tribunen Schranken zu setzen. Aber diese Rechte waeren
+wirkungslos gewesen, wenn nicht gegen den, der sich nicht daran kehrte,
+insonderheit gegen den zuwiderhandelnden Magistrat dem Volkstribun eine
+augenblicklich wirkende und unwiderstehliche Zwangsgewalt zugestanden
+haette. Es ward ihm diese in der Form erteilt, dass das Zuwiderhandeln
+gegen den seines Rechts sich bedienenden Tribun, vor allen Dingen das
+Vergreifen an seiner Persoenlichkeit, welche auf dem heiligen Berg jeder
+Plebejer Mann fuer Mann fuer sich und seine Nachkommen geschworen
+hatte, fuer jetzt und alle Zukunft vor jeder Unbill zu schuetzen,
+ein todeswuerdiges Verbrechen sein sollte und die Handhabung dieser
+Kriminaljustiz nicht den Magistraten der Gemeinde, sondern denen der
+Plebs uebertragen ward. Kraft dieses seines Richteramts konnte der
+Tribun jeden Buerger, vor allem den Konsul im Amte, zur Verantwortung
+ziehen, ihn, wenn er nicht freiwillig sich stellte, greifen lassen, ihn
+in Untersuchungshaft setzen oder Buergschaftstellung ihm gestatten und
+alsdann auf Tod oder Geldbusse erkennen. Zu diesem Zweck standen die
+beiden zugleich bestellten Aedilen des Volkes den Tribunen als Diener
+und Gehilfen zur Seite, zunaechst, um die Verhaftung zu bewirken,
+weshalb auch ihnen dieselbe Unangreifbarkeit durch den Gesamteid der
+Plebejer versichert ward. Ausserdem hatten die Aedilen selbst gleich
+den Tribunen, aber nur fuer die geringeren mit Bussen suehnbaren Sachen,
+richterliche Befugnis. Ward gegen den tribunizischen oder
+aedilizischen Spruch Berufung eingelegt, so ging diese nicht an die
+Gesamtbuergerschaft, mit der zu verhandeln die Beamten der Plebs
+ueberall nicht befugt waren, sondern an die Gesamtheit der Plebejer,
+die in diesem Fall nach Kurien zusammentrat und durch Stimmenmehrheit
+endgueltig entschied. Dies Verfahren war allerdings mehr ein Gewalt- als
+ein Rechtsakt, zumal wenn es gegen einen Nichtplebejer angewandt ward,
+wie dies doch eben in der Regel der Fall sein musste. Es war weder mit
+dem Buchstaben noch mit dem Geist der Verfassung irgend zu vereinigen,
+dass der Patrizier von Behoerden zur Rechenschaft gezogen ward, die
+nicht der Buergerschaft, sondern einer innerhalb der Buergerschaft
+gebildeten Assoziation vorstanden, und dass er gezwungen ward, statt an
+die Buergerschaft, an eben diese Assoziation zu appellieren. Dies war
+urspruenglich ohne Frage Lynchjustiz; aber die Selbsthilfe vollzog
+sich wohl von jeher in Form Rechtens und wurde seit der gesetzlichen
+Anerkennung des Volkstribunats als rechtlich statthaft betrachtet. Der
+Absicht nach war diese neue Gerichtsbarkeit der Tribune und der
+Aedilen und die daraus hervorgehende Provokationsentscheidung der
+Plebejerversammlung ohne Zweifel ebenso an die Gesetze gebunden wie die
+Gerichtsbarkeit der Konsuln und Quaestoren und der Spruch der Zenturien
+auf Provokation; die Rechtsbegriffe des Verbrechens gegen die Gemeinde
+und der Ordnungswidrigkeit wurden von der Gemeinde und deren Magistraten
+auf die Plebs und deren Vorsteher uebertragen. Indes diese Begriffe
+waren selbst so wenig fest und deren gesetzliche Begrenzung so
+schwierig, ja unmoeglich, dass die auf diese Kategorien hin geuebte
+Justizpflege schon an sich den Stempel der Willkuer fast unvermeidlich
+an sich trug. Seit nun aber gar in den staendischen Kaempfen die
+Idee des Rechts sich selber getruebt hatte und seit die gesetzlichen
+Parteifuehrer beiderseits mit einer konkurrierenden Gerichtsbarkeit
+ausgestattet waren, musste diese mehr und immer mehr der reinen
+Willkuerpolizei sich naehern. Namentlich traf dieselbe den Beamten.
+Bisher unterlag derselbe nach roemischem Staatsrecht, solange er
+Beamter war, ueberhaupt keiner Gerichtsbarkeit, und wenn er auch nach
+Niederlegung seines Amtes rechtlich fuer jede seiner Handlungen zur
+Verantwortung hatte gezogen werden koennen, so lag doch die Handhabung
+dieses Rechts in den Haenden seiner Standesgenossen und schliesslich
+der Gesamtgemeinde, zu der diese ebenfalls gehoerten. Jetzt trat in der
+tribunizischen Gerichtsbarkeit eine neue Macht auf, welche einerseits
+gegen den hoechsten Beamten schon waehrend der Amtsfuehrung einschreiten
+konnte, anderseits gegen die adligen Buerger ausschliesslich durch die
+nicht adligen gehandhabt ward, und die um so drueckender war, als weder
+das Verbrechen noch die Strafe gesetzlich formuliert wurden. Der Sache
+nach ward durch die konkurrierende Gerichtsbarkeit der Plebs und der
+Gemeinde Gut, Leib und Leben der Buerger dem willkuerlichen Belieben
+der Parteiversammlungen preisgegeben. In die Ziviljurisdiktion haben die
+plebejischen Institutionen nur insofern eingegriffen, als in den
+fuer die Plebs so wichtigen Freiheitsprozessen den Konsuln die
+Geschworenenernennung entzogen ward und die Sprueche hier erfolgten von
+den besonders dafuer bestimmten Zehnmaenner-Richtern (iudices
+decemviri, spaeter decemviri litibus iudicandis). An die konkurrierende
+Jurisdiktion schloss sich weiter die Konkurrenz in der gesetzgebenden
+Initiative. Das Recht, die Mitglieder zu versammeln und Beschluesse
+derselben zu bewirken, stand den Tribunen schon insofern zu, als ohne
+dasselbe ueberhaupt keine Assoziation gedacht werden kann. Ihnen aber
+ward dasselbe in der eminenten Weise verliehen, dass das autonomische
+Versammlungs- und Beschlussrecht der Plebs gesetzlich sichergestellt war
+vor jedem Eingriff der Magistrate der Gemeinde, ja der Gemeinde
+selbst. Allerdings war es die notwendige Vorbedingung der rechtlichen
+Anerkennung der Plebs ueberhaupt, dass die Tribune nicht daran gehindert
+werden konnten, ihre Nachfolger von der Versammlung der Plebs waehlen
+zu lassen und die Bestaetigung ihrer Kriminalsentenz durch dieselbe zu
+bewirken; und es ward ihnen denn dieses Recht auch durch das Icilische
+Gesetz (262 492) noch besonders gewaehrleistet und jedem, der dabei
+dem Tribun ins Wort falle oder das Volk auseinandergehen heisse, eine
+schwere Strafe gedroht. Dass demnach dem Tribun nicht gewehrt werden
+konnte, auch andere Antraege als die Wahl seines Nachfolgers und die
+Bestaetigung seiner Urteilssprueche zur Abstimmung zu bringen, leuchtet
+ein. Gueltige Volksschluesse waren derartige "Beliebungen der Menge"
+(plebi scita) zwar eigentlich nicht, sondern anfaenglich nicht viel mehr
+als die Beschluesse unserer heutigen Volksversammlungen; allein da der
+Unterschied zwischen den Komitien des Volkes und den Konzilien der Menge
+denn doch mehr formaler Natur war, ward wenigstens von plebejischer
+Seite die Gueltigkeit derselben als autonomischer Festsetzungen der
+Gemeinde sofort in Anspruch genommen und zum Beispiel gleich das
+Icilische Gesetz auf diesem Wege durchgesetzt. So war der Tribun des
+Volks bestellt, dem einzelnen zu Schirm und Schutz, allen zur Leitung
+und Fuehrung, versehen mit unbeschraenkter richterlicher Gewalt im
+peinlichen Verfahren, um also seinem Befehl Nachdruck geben zu koennen,
+endlich selbst persoenlich fuer unverletzlich (sacrosanctus) erklaert,
+indem wer sich an ihm oder seinem Diener vergriff, nicht bloss den
+Goettern verfallen galt, sondern auch bei den Menschen als nach
+rechtlich erwiesenem Frevel des Todes schuldig. Die Tribune der Menge
+(tribuni plebis) sind hervorgegangen aus den Kriegstribunen und fuehren
+von diesen ihren Namen; rechtlich aber haben sie weiter zu ihnen
+keinerlei Beziehung. Vielmehr stehen der Gewalt nach die Volkstribune
+und die Konsuln sich gleich. Die Appellation vom Konsul an den Tribun
+und das Interzessionsrecht des Tribuns gegen den Konsul ist, wie schon
+gesagt ward, durchaus gleichartig der Appellation vom Konsul an den
+Konsul und der Interzession des einen Konsuls gegen den andern, und
+beide sind nichts als eine Anwendung des allgemeinen Rechtssatzes,
+dass zwischen zwei Gleichberechtigten der Verbietende dem Gebietenden
+vorgeht. Auch die urspruengliche, allerdings bald vermehrte Zahl und die
+Jahresdauer des Amtes, welches fuer die Tribune jedesmal am 10.
+Dezember wechselte, sind den Tribunen mit den Konsuln gemein, ebenso
+die eigentuemliche Kollegialitaet, die in jedes einzelnen Konsuls und in
+jedes einzelnen Tribunen Hand die volle Machtfuelle des Amtes legt
+und bei Kollisionen innerhalb des Kollegiums nicht die Stimmen zaehlt,
+sondern das Nein dem Ja vorgehen laesst - weshalb, wo der Tribun
+verbietet, das Verbot des einzelnen trotz des Widerspruchs der Kollegen
+genuegt, wo er dagegen anklagt, er durch jeden seiner Kollegen gehemmt
+werden kann. Konsuln und Tribune haben beide volle und konkurrierende
+Kriminaljurisdiktion, wenn auch jene dieselbe mittelbar, diese
+unmittelbar ausueben; wie jenen die beiden Quaestoren, stehen diesen
+die beiden Aedilen hierin zur Seite ^1. Die Konsuln sind notwendig
+Patrizier, die Tribune notwendig Plebejer. Jene haben die vollere Macht,
+diese die unumschraenktere, denn ihrem Verbot und ihrem Gericht fuegt
+sich der Konsul, nicht aber dem Konsul sich der Tribun. So ist die
+tribunizische Gewalt das Abbild der konsularischen; sie ist aber nicht
+minder ihr Gegenbild. Die Macht der Konsuln ist wesentlich positiv,
+die der Tribune wesentlich negativ. Nur die Konsuln sind Magistrate des
+roemischen Volkes, nicht die Tribune; denn jene erwaehlt die gesamte
+Buergerschaft, diese nur die plebejische Assoziation. Zum Zeichen dessen
+erscheint der Konsul oeffentlich mit dem den Gemeindebeamten zukommenden
+Schmuck und Gefolge, die Tribune aber sitzen auf der Bank anstatt
+des Wagenstuhls und ermangeln der Amtsdiener, des Purpursaumes und
+ueberhaupt jedes Abzeichens der Magistratur; sogar im Gemeinderat hat
+der Tribun weder den Vorsitz noch auch nur den Beisitz. So ist in dieser
+merkwuerdigen Institution dem absoluten Befehlen das absolute Verbieten
+in der schaerfsten und schroffsten Weise gegenuebergestellt; das war die
+Schlichtung des Haders, dass die Zwietracht der Reichen und der
+Armen gesetzlich festgestellt und geordnet ward.
+--------------------------------------------------- ^1 Dass die
+plebejischen Aedilen in derselben Weise den patrizischen Quaestoren
+nachgebildet sind wie die plebejischen Tribune den patrizischen Konsuln,
+ist deutlich sowohl fuer die Kriminalrechtspflege, wo nur die Tendenz
+der beiden Magistraturen, nicht die Kompetenz verschieden gewesen zu
+sein scheint, wie fuer das Archivgeschaeft. Fuer die Aedilen ist der
+Cerestempel, was der Tempel des Saturnus fuer die Quaestoren, und von
+jenem haben sie auch den Namen. Bezeichnend ist die Vorschrift des
+Gesetzes von 305 (349) (Liv. 3, 55), dass die Senatsbeschluesse dorthin
+an die Aedilen abgeliefert werden sollen (I, 300), waehrend dieselben
+bekanntlich nach altem und spaeter nach Beilegung des Staendekampfes
+wieder ueberwiegendem Gebrauche den Quaestoren zur Aufbewahrung in
+dem Saturnustempel zugestellt wurden.
+------------------------------------------------- Aber was war erreicht
+damit, dass man die Einheit der Gemeinde brach, dass die Beamten einer
+unsteten und von allen Leidenschaften des Augenblicks abhaengigen
+Kontrollbehoerde unterworfen wurden, dass auf den Wink eines einzelnen
+der auf den Gegenthron gehobenen Oppositionshaeupter die Verwaltung im
+gefaehrlichsten Augenblick zum Stocken gebracht werden konnte, dass
+man die Kriminalrechtspflege, indem man alle Beamte dazu konkurrierend
+bevollmaechtigte, gleichsam gesetzlich aus dem Recht in die Politik
+verwies und sie fuer alle Zeiten verdarb? Es ist wohl wahr, dass das
+Tribunat wenn nicht unmittelbar zur politischen Ausgleichung der Staende
+beigetragen, so doch als eine maechtige Waffe in der Hand der Plebejer
+gedient hat, als diese bald darauf die Zulassung zu den Gemeindeaemtern
+begehrten. Aber die eigentliche Bestimmung des Tribunats war dieses
+nicht. Nicht dem politisch privilegierten Stande ward es abgerungen,
+sondern den reichen Grund- und Kapitalherren; es sollte dem
+gemeinen Mann billige Rechtspflege sichern und eine zweckmaessigere
+Finanzverwaltung herbeifuehren. Diesen Zweck hat es nicht erfuellt
+und konnte es nicht erfuellen. Der Tribun mochte einzelnen Unbilden,
+einzelnen schreienden Haerten steuern; aber der Fehler lag nicht im
+Unrecht, das man Recht hiess, sondern im Rechte, welches ungerecht war:
+und wie konnte der Tribun die ordentliche Rechtspflege regelmaessig
+hemmen? haette er es gekonnt, so war auch damit noch wenig geholfen,
+wenn nicht die Quellen der Verarmung verstopft wurden, die verkehrte
+Besteuerung, das schlechte Kreditsystem, die heillose Okkupation der
+Domaenen. Aber hieran wagte man sich nicht, offenbar weil die reichen
+Plebejer selbst an diesen Missbraeuchen kein minderes Interesse hatten
+als die Patrizier. So gruendete man diese seltsame Magistratur, deren
+handgreiflicher Beistand dem gemeinen Mann einleuchtete und die doch die
+notwendige oekonomische Reform unmoeglich durchsetzen konnte. Sie ist
+kein Beweis politischer Weisheit, sondern ein schlechtes Kompromiss
+zwischen dem reichen Adel und der fuehrerlosen Menge. Man hat gesagt,
+das Volkstribunat habe Rom vor der Tyrannis bewahrt. Waere dies wahr, so
+wuerde es wenig bedeuten; die Aenderung der Staatsform ist an sich
+fuer ein Volk kein Unheil, und fuer das roemische war es vielmehr ein
+Unglueck, dass die Monarchie zu spaet eingefuehrt ward nach Erschoepfung
+der physischen und geistigen Kraefte der Nation. Es ist aber nicht
+einmal richtig, wie schon das beweist, dass die italischen Staaten
+ebenso regelmaessig ohne Tyrannis geblieben sind wie sie in den
+hellenischen regelmaessig aufstanden. Der Grund liegt einfach darin,
+dass die Tyrannis ueberall die Folge des allgemeinen Stimmrechts ist
+und dass die Italiker laenger als die Griechen die nicht grundsaessigen
+Buerger von den Gemeindeversammlungen ausschlossen; als Rom hiervon
+abging, blieb auch die Monarchie nicht aus, ja knuepfte eben an an das
+tribunizische Amt. Dass das Volkstribunat auch genuetzt hat, indem es
+der Opposition gesetzliche Bahnen wies und manche Verkehrtheit abwehrte,
+wird niemand verkennen; aber ebensowenig, dass, wo es sich nuetzlich
+erwies, es fuer ganz andere Dinge gebraucht ward, als wofuer man es
+begruendet hatte. Das verwegene Experiment, den Fuehrern der Opposition
+ein verfassungsmaessiges Veto einzuraeumen und sie mit der Macht, es
+ruecksichtslos geltend zu machen, auszustatten, bleibt ein Notbehelf,
+der den Staat politisch aus den Angeln gehoben und die sozialen
+Missstaende durch nutzlose Palliative hingeschleppt hat. Indes man hatte
+den Buergerkrieg organisiert; er ging seinen Gang. Wie zur Schlacht
+standen die Parteien sich gegenueber, jede unter ihren Fuehrern;
+Beschraenkung der konsularischen, Erweiterung der tribunizischen Gewalt
+ward auf der einen, die Vernichtung des Tribunats auf der andern Seite
+angestrebt; die gesetzlich straflos gemachte Insubordination, die
+Weigerung, sich zur Landesverteidigung zu stellen, die Buss- und
+Strafklagen namentlich gegen Beamte, die die Rechte der Gemeinde
+verletzt oder auch nur ihr Missfallen erregt hatten, waren die Waffen
+der Plebejer, denen die Junker Gewalt und Einverstaendnisse mit
+den Landesfeinden, gelegentlich auch den Dolch des Meuchelmoerders
+entgegensetzten; auf den Strassen kam es zum Handgemenge und hueben
+und drueben vergriff man sich an der Heiligkeit der Magistratspersonen.
+Viele Buergerfamilien sollen ausgewandert sein und in den benachbarten
+Gemeinden einen friedlicheren Wohnsitz gesucht haben; und man mag es
+wohl glauben. Es zeugt von dem starken Buergersinn im Volk, nicht
+dass es diese Verfassung sich gab, sondern dass es sie ertrug und
+die Gemeinde trotz der heftigsten Kaempfe dennoch zusammenhielt. Das
+bekannteste Ereignis aus diesen Staendekaempfen ist die Geschichte des
+Gnaeus Marcius, eines tapferen Adligen, der von Coriolis Erstuermung den
+Beinamen trug. Er soll im Jahr 263 (491), erbittert ueber die Weigerung
+der Zenturien, ihm das Konsulat zu uebertragen, beantragt haben,
+wie einige sagen, die Einstellung der Getreideverkaeufe aus den
+Staatsmagazinen, bis das hungernde Volk auf das Tribunat verzichte;
+wie andere berichten, geradezu die Abschaffung des Tribunats. Von den
+Tribunen auf Leib und Leben angeklagt, habe er die Stadt verlassen,
+indes nur, um zurueckzukehren an der Spitze eines volskischen Heeres;
+jedoch im Begriff, .seine Vaterstadt fuer den Landesfeind zu erobern,
+habe das ernste Wort der Mutter sein Gewissen geruehrt und also sei von
+ihm der erste Verrat durch einen zweiten gesuehnt worden und beide durch
+den Tod. Wieviel darin wahr ist, laesst sich nicht entscheiden; aber
+alt ist die Erzaehlung, aus der die naive Impertinenz der roemischen
+Annalisten eine vaterlaendische Glorie gemacht hat, und sie oeffnet den
+Einblick in die tiefe sittliche und politische Schaendlichkeit dieser
+staendischen Kaempfe. Aehnlichen Schlages ist der Ueberfall des Kapitols
+durch eine Schar politischer Fluechtlinge, gefuehrt von dem Sabiner
+Appius Herdonius im Jahr 294 (460); sie riefen die Sklaven zu den
+Waffen, und erst nach heissem Kampf und mit Hilfe der herbeigeeilten
+Tusculaner ward die roemische Buergerwehr der catilinarischen Bande
+Meister. Denselben Charakter fanatischer Erbitterung tragen andere
+Ereignisse dieser Zeit, deren geschichtliche Bedeutung in den
+luegenseligen Familienberichten sich nicht mehr erfassen laesst; so das
+Uebergewicht des Fabischen Geschlechtes, das von 269 bis 275 (485-479)
+den einen Konsul stellte, und die Reaktion dagegen, die Auswanderung der
+Fabier aus Rom und ihre Vernichtung durch die Etrusker am Cremera (277
+477). Noch entsetzlicher war die Ermordung des Volkstribuns Gnaeus
+Genucius, der es gewagt hatte, zwei Konsulare zur Rechenschaft zu ziehen
+und der am Morgen des fuer die Anklage anberaumten Tages tot im Bette
+gefunden ward (281 473). Die unmittelbare Folge dieser Untat war
+das Publilische Gesetz, eines der folgenreichsten, das die roemische
+Geschichte kennt. Zwei der wichtigsten Ordnungen, die Einfuehrung
+der plebejischen Tribusversammlung und die wenngleich bedingte
+Gleichstellung des Plebiszits mit dem foermlichen, von der ganzen
+Gemeinde beschlossenen Gesetz, gehen, jene gewiss, diese wahrscheinlich
+zurueck auf den Antrag des Volkstribunen Volero Publilius vom Jahre 283
+(471). Die Plebs hatte bis dahin ihre Beschluesse nach Kurien gefasst;
+demnach war in diesen ihren Sonderversammlungen teils ohne Unterschied
+des Vermoegens und der Ansaessigkeit bloss nach Koepfen abgestimmt
+worden, teils hatten, infolge des im Wesen der Kurienversammlung
+liegenden Zusammenstehens der Geschlechtsgenossen, die Klienten der
+grossen Adelsfamilien in der Plebejerversammlung miteinander gestimmt.
+Der eine wie der andere Umstand gab dem Adel vielfache Gelegenheit,
+Einfluss auf diese Versammlung zu ueben und besonders die Wahl der
+Tribune in seinem Sinne zu lenken; beides fiel fortan weg durch die
+neue Abstimmungsweise nach Quartieren. Deren waren in der Servianischen
+Verfassung zum Zweck der Aushebung vier gebildet worden, die Stadt und
+Land gleichmaessig umfassten (I, 105); spaeterhin - vielleicht im
+Jahr 259 (495) - hatte man das roemische Gebiet in zwanzig Distrikte
+eingeteilt, von denen die ersten vier die Stadt und deren naechste
+Umgebung umfassten, die uebrigen sechzehn mit Zugrundelegung der
+Geschlechtergaue des aeltesten roemischen Ackers aus dem Landgebiet
+gebildet wurden (I, 51). Zu diesen wurde, wahrscheinlich erst infolge
+des Publilischen Gesetzes und um die fuer die Abstimmung wuenschenswerte
+Ungleichheit der Gesamtzahl der Stimmabteilungen herbeizufuehren, als
+einundzwanzigste Tribus die crustuminische hinzugefuegt, die ihren Namen
+von dem Orte trug, wo die Plebs als solche sich konstituiert und
+das Tribunat gestiftet hatte (I, 282) und fortan fanden die
+Sonderversammlungen der Plebs nicht mehr nach Kurien statt, sondern
+nach Tribus. In diesen Abteilungen, die durchaus auf dem Grundbesitz
+beruhten, stimmten ausschliesslich die ansaessigen Leute, diese jedoch
+ohne Unterschied der Groesse des Grundbesitzes und so, wie sie
+in Doerfern und Weilern zusammen wohnten; es war also diese
+Tribusversammlung, die im uebrigen aeusserlich der nach Kurien
+geordneten nachgebildet ward, recht eigentlich eine Versammlung des
+unabhaengigen Mittelstandes, von der einerseits die Freigelassenen
+und Klienten der grossen Mehrzahl nach als nicht ansaessige Leute
+ausgeschlossen waren, und in der anderseits der groessere
+Grundbesitz nicht so wie in den Zenturien ueberwog. Eine allgemeine
+Buergerschaftsversammlung war diese "Zusammenkunft der Menge" (concilium
+plebis) noch weniger als die plebejische Kurienversammlung, da sie
+nicht bloss wie diese die saemtlichen Patrizier, sondern auch die nicht
+grundsaessigen Plebejer ausschloss; aber die Menge war maechtig genug,
+um es durchzusetzen, dass ihr Beschluss dem von den Zenturien gefassten
+rechtlich gleich gelte, falls er vorher vom Gesamtsenat gebilligt worden
+war. Dass diese letzte Bestimmung schon vor Erlass der Zwoelf Tafeln
+gesetzlich feststand, ist gewiss; ob man sie gerade bei Gelegenheit
+des Publilischen Plebiszits eingefuehrt hat, oder ob sie bereits vorher
+durch irgendeine andere verschollene Satzung ins Leben gerufen und auf
+das Publilische Plebiszit nur angewendet worden ist, laesst sich nicht
+mehr ausmachen. Ebenso bleibt es ungewiss, ob durch dies Gesetz die Zahl
+der Tribune von zwei auf vier vermehrt ward oder dies bereits vorher
+geschehen war. Einsichtiger angelegt als alle diese Parteimassregeln war
+der Versuch des Spurius Cassius, die finanzielle Allmacht der Reichen
+zu brechen und damit den eigentlichen Quell des Uebels zu verstopfen. Er
+war Patrizier, und keiner tat es in seinem Stande an Rang und Ruhm ihm
+zuvor; nach zwei Triumphen, im dritten Konsulat (268 486) brachte er an
+die Buergergemeinde den Antrag, das Gemeindeland vermessen zu lassen
+und es teils zum Besten des oeffentlichen Schatzes zu verpachten, teils
+unter die Beduerftigen zu verteilen; das heisst, er versuchte, die
+Entscheidung ueber die Domaenen dem Senat zu entreissen und, gestuetzt
+auf die Buergerschaft, dem egoistischen Okkupationssystem ein Ende zu
+machen. Er mochte meinen, dass die Auszeichnung seiner Persoenlichkeit,
+die Gerechtigkeit und Weisheit der Massregel durchschlagen werde, selbst
+in diesen Wogen der Leidenschaftlichkeit und der Schwaeche; allein er
+irrte. Der Adel erhob sich wie ein Mann; die reichen Plebejer traten auf
+seine Seite; der gemeine Mann war missvergnuegt, weil Spurius Cassius,
+wie Bundesrecht und Billigkeit geboten, auch den latinischen Eidgenossen
+bei der Assignation ihr Teil geben wollte. Cassius musste sterben;
+es ist etwas Wahres in der Anklage, dass er koenigliche Gewalt sich
+angemasst habe, denn freilich versuchte er gleich den Koenigen, gegen
+seinen Stand die Gemeinfreien zu schirmen. Sein Gesetz ging mit ihm
+ins Grab, aber das Gespenst desselben stand seitdem den Reichen
+unaufhoerlich vor Augen und wieder und wieder stand es auf gegen sie,
+bis unter den Kaempfen darueber das Gemeinwesen zugrunde ging. Da
+ward noch ein Versuch gemacht, die tribunizische Gewalt dadurch zu
+beseitigen, dass man dem gemeinen Mann die Rechtsgleichheit auf einem
+geregelteren und wirksameren Wege sicherte. Der Volkstribun Gaius
+Terentilius Arsa beantragte im Jahr 292 (462) die Ernennung einer
+Kommission von fuenf Maennern zur Entwerfung eines gemeinen Landrechts,
+an das die Konsuln kuenftighin in ihrer richterlichen Gewalt gebunden
+sein sollten. Aber der Senat weigerte sich, diesem Vorschlag seine
+Sanktion zu geben, und es vergingen zehn Jahre, ehe derselbe zur
+Ausfuehrung kam - Jahre des heissesten Staendekampfes, welche ueberdies
+vielfach bewegt waren durch Kriege und innere Unruhen; mit gleicher
+Hartnaeckigkeit hinderte die Adelspartei die Zulassung des Gesetzes im
+Senat und ernannte die Gemeinde wieder und wieder dieselben Maenner
+zu Tribunen. Man versuchte durch andere Konzessionen den Angriff zu
+beseitigen: im Jahre 297 (457) ward die Vermehrung der Tribune von vier
+auf zehn bewilligt - freilich ein zweifelhafter Gewinn; im folgenden
+Jahre durch ein Icilisches Plebiszit, das aufgenommen ward unter die
+beschworenen Privilegien der Gemeinde, der Aventin, bisher Tempelhain
+und unbewohnt, unter die aermeren Buerger zu Bauplaetzen erblichen
+Besitzes aufgeteilt. Die Gemeinde nahm, was ihr geboten ward, allein sie
+hoerte nicht auf, das Landrecht zu fordern. Endlich im Jahre 300 (454)
+kam ein Vergleich zustande; der Senat gab in der Hauptsache nach.
+Die Abfassung des Landrechts wurde beschlossen; es sollten dazu
+ausserordentlicher Weise zehn Maenner von den Zenturien gewaehlt werden,
+welche zugleich als hoechste Beamte anstatt der Konsuln zu fungieren
+hatten (decem viri consulari imperio legibus scribundis), und zu diesem
+Posten sollten nicht bloss Patrizier, sondern auch Plebejer wahlfaehig
+sein. Diese wurden hier zum erstenmal, freilich nur fuer ein
+ausserordentliches Amt, als waehlbar bezeichnet. Es war dies ein grosser
+Schritt vorwaerts zu der vollen politischen Gleichberechtigung, und er
+war nicht zu teuer damit verkauft, dass das Volkstribunat aufgehoben,
+das Provokationsrecht fuer die Dauer des Dezemvirats suspendiert und
+die Zehnmaenner nur verpflichtet wurden, die beschworenen Freiheiten der
+Gemeinde nicht anzutasten. Vorher indes wurde noch eine Gesandtschaft
+nach Griechenland geschickt um die Solonischen und andere griechische
+Gesetze heimzubringen, und erst nach deren Rueckkehr wurden fuer das
+Jahr 303 (451) die Zehnmaenner gewaehlt. Obwohl es freistand, auch
+Plebejer zu ernennen, so traf doch die Wahl auf lauter Patrizier - so
+maechtig war damals noch der Adel -, und erst als eine abermalige Wahl
+fuer 304 (450) noetig ward, wurden auch einige Plebejer gewaehlt - die
+ersten nichtadligen Beamten, die die roemische Gemeinde gehabt hat.
+Erwaegt man diese Massregeln in ihrem Zusammenhang, so kann kaum ein
+anderer Zweck ihnen untergelegt werden, als die Beschraenkung der
+konsularischen Gewalt durch das geschriebene Gesetz an die Stelle
+der tribunizischen Hilfe zu setzen. Von beiden Seiten musste man sich
+ueberzeugt haben, dass es nicht so bleiben konnte, wie es war, und die
+Permanenzerklaerung der Anarchie wohl die Gemeinde zugrunde richtete,
+aber in der Tat und Wahrheit dabei fuer niemand etwas herauskam.
+Ernsthafte Leute mussten einsehen, dass das Eingreifen der Tribune
+in die Administration sowie ihre Anklaegertaetigkeit schlechterdings
+schaedlich wirkten und der einzige wirkliche Gewinn, den das Tribunat
+dem gemeinen Mann gebracht hatte, der Schutz gegen parteiische
+Rechtspflege war, indem es als eine Art Kassationsgericht die Willkuer
+des Magistrats beschraenkte. Ohne Zweifel ward, als die Plebejer ein
+geschriebenes Landrecht begehrten, von den Patriziern erwidert, dass
+dann der tribunizische Rechtsschutz ueberfluessig werde; und hierauf
+scheint von beiden Seiten nachgegeben zu sein. Es ist vielleicht nie
+bestimmt ausgesprochen worden, wie es werden sollte nach Abfassung des
+Landrechts; aber an dem definitiven Verzicht der Plebs auf das Tribunat
+ist nicht zu zweifeln, da dieselbe durch das Dezemvirat in die Lage kam,
+nicht anders als auf ungesetzlichem Wege das Tribunat zurueckgewinnen
+zu koennen. Die der Plebs gegebene Zusage, dass ihre beschworenen
+Freiheiten nicht angetastet werden sollten, kann bezogen werden auf die
+vom Tribunat unabhaengigen Rechte der Plebejer, wie die Provokation und
+der Besitz des Aventin. Die Absicht scheint gewesen zu sein, dass die
+Zehnmaenner bei ihrem Ruecktritt dem Volke vorschlagen sollten, die
+jetzt nicht mehr nach Willkuer, sondern nach geschriebenem Recht
+urteilenden Konsuln wiederum zu waehlen. Der Plan, wenn er bestand, war
+weise; es kam darauf an, ob die leidenschaftlich erbitterten Gemueter
+hueben und drueben diesen friedlichen Austrag annehmen wuerden. Die
+Dezemvirn des Jahres 303 (451) brachten ihr Gesetz vor das Volk und, von
+diesem bestaetigt, wurde dasselbe, in zehn kupferne Tafeln eingegraben,
+auf dem Markt an der Rednerbuehne vor dem Rathaus angeschlagen. Da indes
+noch ein Nachtrag erforderlich schien, so ernannte man auf das Jahr 304
+(450) wieder Zehnmaenner, die noch zwei Tafeln hinzufuegten; so entstand
+das erste und einzige roemische Landrecht, das Gesetz der Zwoelf Tafeln.
+Es ging aus einem Kompromiss der Parteien hervor und kann schon
+darum tiefgreifende, ueber nebensaechliche und blosse
+Zweckmaessigkeitsbestimmungen hinausgehende Aenderungen des bestehenden
+Rechts nicht wohl enthalten haben. Sogar im Kreditwesen trat keine
+weitere Milderung ein, als dass ein - wahrscheinlich niedriges -
+Zinsmaximum (10 Prozent) festgestellt und der Wucherer mit schwerer
+Strafe - charakteristisch genug mit einer weit schwereren als der Dieb
+- bedroht ward; der strenge Schuldprozess blieb wenigstens in seinen
+Hauptzuegen ungeaendert. Aenderungen der staendischen Rechte waren
+begreiflicherweise noch weniger beabsichtigt; der Rechtsunterschied
+zwischen steuerpflichtigen und vermoegenslosen Buergern, die
+Ungueltigkeit der Ehe zwischen Adligen und Buergerlichen wurden vielmehr
+aufs neue im Stadtrecht bestaetigt, ebenso zur Beschraenkung
+der Beamtenwillkuer und zum Schutz des Buergers ausdruecklich
+vorgeschrieben, dass das spaetere Gesetz durchaus dem frueheren vorgehen
+und dass kein Volksschluss gegen einen einzelnen Buerger erlassen werden
+solle. Am bemerkenswertesten ist die Ausschliessung der Provokation
+an die Tribuskomitien in Kapitalsachen, waehrend die an die
+Zenturien gewaehrleistet ward; was sich daraus erklaert, dass die
+Strafgerichtsbarkeit von der Plebs und ihren Vorstehern in der Tat
+usurpiert war und mit dem Tribunal auch der tribunizische Kapitalprozess
+notwendig fiel, waehrend es vielleicht die Absicht war, den
+aedilizischen Multprozess beizubehalten. Die wesentliche politische
+Bedeutung lag weit weniger in dem Inhalt des Weistums als in der
+jetzt foermlich festgestellten Verpflichtung der Konsuln, nach diesen
+Prozessformen und diesen Rechtsregeln Recht zu sprechen, und in der
+oeffentlichen Aufstellung des Gesetzbuchs, wodurch die Rechtsverwaltung
+der Kontrolle der Publizitaet unterworfen und der Konsul genoetigt ward,
+allen gleiches und wahrhaft gemeines Recht zu sprechen. Der Ausgang des
+Dezemvirats liegt in tiefem Dunkel. Es blieb - so wird berichtet - den
+Zehnmaennern nur noch uebrig, die beiden letzten Tafeln zu publizieren
+und alsdann der ordentlichen Magistratur Platz zu machen. Sie zoegerten
+indes; unter dem Vorwande, dass das Gesetz noch immer nicht fertig
+sei, fuehrten sie selbst nach Ablauf des Amtsjahres ihr Amt weiter,
+was insofern moeglich war, als nach roemischem Staatsrecht die
+ausserordentlicherweise zur Revision der Verfassung berufene Magistratur
+durch die ihr gesetzte Endfrist rechtlich nicht gebunden werden kann.
+Die gemaessigte Fraktion der Aristokratie, die Valerier und Horatier an
+ihrer Spitze, soll versucht haben, im Senat die Abdankung der Dezemvirn
+zu erzwingen; allein das Haupt der Zehnmaenner, Appius Claudius, von
+Haus aus ein starrer Aristokrat, aber jetzt umschlagend zum Demagogen
+und zum Tyrannen, gewann das Uebergewicht im Senat, und auch das Volk
+fuegte sich. Die Aushebung eines doppelten Heeres ward ohne Widerspruch
+vollzogen und der Krieg gegen die Volsker wie gegen die Sabiner
+begonnen. Da wurde der gewesene Volkstribun Lucius Siccius Dentatus, der
+tapferste Mann in Rom, der in hundertundzwanzig Schlachten gefochten und
+fuenfundvierzig ehrenvolle Narben aufzuzeigen hatte, tot vor dem
+Lager gefunden, meuchlerisch ermordet, wie es hiess, auf Anstiften
+der Zehnmaenner. Die Revolution gaerte in den Gemuetern; zum Ausbruch
+brachte sie der ungerechte Wahrspruch des Appius in dem Prozess um die
+Freiheit der Tochter des Centurionen Lucius Verginius, der Braut des
+gewesenen Volkstribuns Lucius Icilius, welcher Spruch das Maedchen den
+Ihrigen entriss, um sie unfrei und rechtlos zu machen und den Vater
+bewog, seiner Tochter auf offenem Markt das Messer selber in die Brust
+zu stossen, um sie der gewissen Schande zu entreissen. Waehrend das
+Volk erstarrt ob der unerhoerten Tat die Leiche des schoenen Maedchens
+umstand, befahl der Dezemvir seinen Buetteln, den Vater und alsdann den
+Braeutigam vor seinen Stuhl zu fuehren, um ihm, von dessen Spruch keine
+Berufung galt, sofort Rede zu stehen wegen ihrer Auflehnung gegen seine
+Gewalt. Nun war das Mass voll. Geschuetzt von den brausenden Volksmassen
+entziehen der Vater und der Braeutigam des Maedchens sich den Haeschern
+des Gewaltherrn, und waehrend in Rom der Senat zittert und schwankt,
+erscheinen die beiden mit zahlreichen Zeugen der furchtbaren Tat in den
+beiden Lagern. Das Unerhoerte wird berichtet; vor allen Augen
+oeffnet sich die Kluft, die der mangelnde tribunizische Schutz in der
+Rechtssicherheit gelassen hat, und was die Vaeter getan, wiederholen
+die Soehne. Abermals verlassen die Heere ihre Fuehrer; sie ziehen in
+kriegerischer Ordnung durch die Stadt und abermals auf den heiligen
+Berg, wo sie abermals ihre Tribune sich ernennen. Immer noch weigern
+die Dezemvirn die Niederlegung ihrer Gewalt; da erscheint das Heer mit
+seinen Tribunen in der Stadt und lagert sich auf dem Aventin. Jetzt
+endlich, wo der Buergerkrieg schon da war und der Strassenkampf
+stuendlich beginnen konnte, jetzt entsagen die Zehnmaenner ihrer
+angemassten und entehrten Gewalt, und die Konsuln Lucius Valerius
+und Marcus Horatius vermitteln einen zweiten Vergleich, durch den das
+Volkstribunal wieder hergestellt wurde. Die Anklagen gegen die Dezemvirn
+endigten damit, dass die beiden schuldigsten, Appius Claudius und
+Spurius Oppius, im Gefaengnis sich das Leben nahmen, die acht anderen
+ins Exil gingen und der Staat ihr Vermoegen einzog. Weitere gerichtliche
+Verfolgungen hemmte der kluge und gemaessigte Volkstribun Marcus Duilius
+durch den rechtzeitigen Gebrauch seines Veto. So lautet die Erzaehlung,
+wie der Griffel der roemischen Aristokraten sie aufgezeichnet hat;
+unmoeglich aber kann, auch von den Nebenumstaenden abgesehen, die
+grosse Krise, der die Zwoelf Tafeln entsprangen, in solche romantische
+Abenteuerlichkeiten und politische Unbegreiflichkeiten ausgelaufen
+sein. Das Dezemvirat war nach der Abschaffung des Koenigtums und der
+Einsetzung des Volkstribunats der dritte grosse Sieg der Plebs, und die
+Erbitterung der Gegenpartei gegen die Institution wie gegen ihr Haupt
+Appius Claudius ist erklaerlich genug. Die Plebejer hatten damit das
+passive Wahlrecht zu dem hoechsten Gemeindeamt und das gemeine Landrecht
+errungen; und nicht sie waren es, die Ursache hatten, sich gegen die
+neue Magistratur aufzulehnen und mit Waffengewalt das rein patrizische
+Konsularregiment zu restaurieren. Dies Ziel kann nur von der Adelspartei
+verfolgt worden sein, und wenn die patrizisch- plebejischen Dezemvirn
+den Versuch gemacht haben, sich ueber die Zeit hinaus im Amte zu
+behaupten, so ist sicherlich dagegen in erster Reihe der Adel in die
+Schranken getreten; wobei er freilich nicht versaeumt haben wird geltend
+zu machen, dass ja auch der Plebs ihre verbrieften Rechte geschmaelert,
+insbesondere das Tribunat ihr genommen sei. Gelang es dann dem Adel,
+die Dezemvirn zu beseitigen, so ist es allerdings begreiflich, dass
+nach deren Sturz die Plebs jetzt abermals in Waffen zusammentrat, um
+die Ergebnisse sowohl der frueheren Revolution von 260 wie auch der
+juengsten Bewegung sich zu sichern; und nur als Kompromiss in diesem
+Konflikt lassen die Valerisch-Horatischen Gesetze von 305 (449) sich
+verstehen. Der Vergleich fiel wie natuerlich durchaus zu Gunsten der
+Plebejer aus und beschraenkte abermals in empfindlicher Weise die Gewalt
+des Adels. Dass das Volkstribunat wieder hergestellt, das dem Adel
+abgedrungene Stadtrecht definitiv festgehalten und die Konsuln danach
+zu richten verpflichtet wurden, versteht sich von selbst. Durch das
+Stadtrecht verloren allerdings die Tribus die angemasste Gerichtsbarkeit
+in Kapitalsachen; allein die Tribune erhielten sie zurueck, indem ein
+Weg gefunden ward, ihnen fuer solche Faelle die Verhandlung mit den
+Zenturien moeglich zu machen. Ueberdies blieb ihnen in dem Recht,
+auf Geldbussen unbeschraenkt zu erkennen und diesen Spruch an die
+Tribuskomitien zu bringen, ein ausreichendes Mittel, die buergerliche
+Existenz des patrizischen Gegners zu vernichten. Es ward ferner auf
+Antrag der Konsuln von den Zenturien beschlossen, dass kuenftig jeder
+Magistrat, also auch der Diktator bei seiner Ernennung verpflichtet
+werden solle, der Provokation stattzugeben; wer dem zuwider einen
+Beamten ernannte, buesste mit dem Kopfe. Im uebrigen behielt der
+Diktator die bisherige Gewalt und konnte namentlich der Tribun seine
+Amtshandlungen nicht wie die der Konsuln kassieren. Eine weitere
+Beschraenkung der konsularischen Machtfuelle war es, dass die
+Verwaltung der Kriegskasse zwei von der Gemeinde gewaehlten Zahlmeistern
+(quaestores) uebertragen ward, die zuerst fuer 307 (447) ernannt wurden.
+Die Ernennung sowohl der beiden neuen Zahlmeister fuer den Krieg wie
+auch der beiden die Stadtkasse verwaltenden ging jetzt ueber auf die
+Gemeinde; der Konsul behielt statt der Wahl nur die Wahlleitung.
+Die Versammlung, in der die Zahlmeister erwaehlt wurden, war die der
+saemtlichen patrizisch-plebejischen ansaessigen Leute und stimmte
+nach Quartieren ab; worin ebenfalls eine Konzession an die diese
+Versammlungen weit mehr als die Zenturiatkomitien beherrschende
+plebejische Bauernschaft liegt. Folgenreicher noch war es, dass den
+Tribunen Anteil an den Verhandlungen im Senat eingeraeumt ward. Zwar in
+den Sitzungssaal die Tribune zuzulassen, schien dem Senat unter seiner
+Wuerde; es wurde ihnen eine Bank an die Tuer gesetzt, um von da aus den
+Verhandlungen zu folgen. Das tribunizische Interzessionsrecht hatte sich
+auch auf die Beschluesse des Gesamtsenats erstreckt, seit dieser aus
+einer beratenden zu einer beschliessenden Behoerde geworden war,
+was wohl zuerst eintrat in dem Fall, wo ein Plebiszit fuer die ganze
+Gemeinde verbindend werden sollte; es war natuerlich, dass man seitdem
+den Tribunen eine gewisse Beteiligung an den Verhandlungen in der
+Kurie einraeumte. Um auch gegen Unterschiebung und Verfaelschung von
+Senatsbeschluessen gesichert zu sein, an deren Gueltigkeit ja die der
+wichtigsten Plebiszite geknuepft war, wurde verordnet, dass in Zukunft
+dieselben nicht bloss bei den patrizischen Stadtquaestoren im Saturnus-,
+sondern ebenfalls bei den plebejischen Aedilen im Cerestempel hinterlegt
+werden sollten. So endigte dieser Kampf, der begonnen war, um die Gewalt
+der Volkstribune zu beseitigen, mit der abermaligen und nun definitiven
+Sanktionierung ihres Rechts, sowohl einzelne Verwaltungsakte auf
+Anrufen des Beschwerten als auch jede Beschlussnahme der konstitutiven
+Staatsgewalten nach Ermessen zu kassieren. Mit den heiligsten Eiden und
+allem, was die Religion Ehrfuerchtiges darbot, und nicht minder mit den
+foermlichsten Gesetzen wurde abermals sowohl die Person der Tribune
+als die ununterbrochene Dauer und die Vollzaehligkeit des Kollegiums
+gesichert. Es ist seitdem nie wieder in Rom ein Versuch gemacht worden,
+diese Magistratur aufzuheben. 3. Kapitel Die Ausgleichung der Staende
+und die neue Aristokratie Die tribunizischen Bewegungen scheinen
+vorzugsweise aus den sozialen, nicht aus den politischen
+Missverhaeltnissen hervorgegangen zu sein und es ist guter Grund
+vorhanden zu der Annahme, dass ein Teil der vermoegenden, in den Senat
+aufgenommenen Plebejer denselben nicht minder entgegen war als die
+Patrizier; denn die Privilegien, gegen welche die Bewegung vorzugsweise
+sich richtete, kamen auch ihnen zugute, und wenn sie auch wieder in
+anderer Beziehung sich zurueckgesetzt fanden, so mochte es ihnen doch
+keineswegs an der Zeit scheinen, ihre Ansprueche auf Teilnahme an
+den Aemtern geltend zu machen, waehrend der ganze Senat in seiner
+finanziellen Sondermacht bedroht war. So erklaert es sich, dass waehrend
+der ersten fuenfzig Jahre der Republik kein Schritt geschah, der
+geradezu auf politische Ausgleichung der Staende hinzielte. Allein eine
+Buergschaft der Dauer trug dieses Buendnis der Patrizier und der reichen
+Plebejer doch keineswegs in sich. Ohne Zweifel hatte ein Teil der
+vornehmen plebejischen Familien von Haus aus der Bewegungspartei sich
+angeschlossen, teils aus Billigkeitsgefuehl gegen ihre Standesgenossen,
+teils infolge des natuerlichen Bundes aller Zurueckgesetzten, teils
+endlich, weil sie begriffen, dass Konzessionen an die Menge auf
+die Laenge unvermeidlich waren und dass sie, richtig benutzt, die
+Beseitigung der Sonderrechte des Patriziats zur Folge haben und damit
+der plebejischen Aristokratie das entscheidende Gewicht im Staate
+geben wuerden. Wenn diese Ueberzeugung, wie das nicht fehlen konnte, in
+weitere Kreise eindrang und die plebejische Aristokratie an der Spitze
+ihres Standes den Kampf gegen den Geschlechtsadel aufnahm, so hielt sie
+in dem Tribunat den Buergerkrieg gesetzlich in der Hand und konnte
+mit dem sozialen Notstand die Schlachten schlagen, um dem Adel die
+Friedensbedingungen zu diktieren und als Vermittler zwischen beiden
+Parteien fuer sich den Zutritt zu den Aemtern zu erzwingen. Ein solcher
+Wendepunkt in der Stellung der Parteien trat ein nach dem Sturz
+des Dezemvirats. Es war jetzt vollkommen klar geworden, dass das
+Volkstribunat sich nicht beseitigen liess; die plebejische Aristokratie
+konnte nichts Besseres tun, als sich dieses gewaltigen Hebels zu
+bemaechtigen und sich desselben zur Beseitigung der politischen
+Zuruecksetzung ihres Standes zu bedienen. Wie wehrlos der
+Geschlechtsadel der vereinigten Plebs gegenueberstand, zeigt nichts so
+augenscheinlich, als dass der Fundamentalsatz der exklusiven Partei,
+die Ungueltigkeit der Ehe zwischen Adligen und Buergerlichen, kaum vier
+Jahre nach der Dezemviralrevolution auf den ersten Streich fiel. Im
+Jahre 309 (445) wurde durch das Canuleische Plebiszit verordnet, dass
+die Ehe zwischen Adligen und Buergerlichen als eine rechte roemische
+gelten und die daraus erzeugten Kinder dem Stande des Vaters folgen
+sollten. Gleichzeitig wurde ferner durchgesetzt, dass statt der Konsuln
+Kriegstribune - es gab deren damals, vor der Teilung des Heeres
+in Legionen, sechs, und danach richtete sich auch die Zahl dieser
+Magistrate - mit konsularischer Gewalt ^1 und konsularischer Amtsdauer
+von den Zenturien gewaehlt werden sollten. Die naechste Ursache war
+militaerischer Art, indem die vielfachen Kriege eine groessere Zahl von
+obersten Feldherren forderten, als die Konsularverfassung sie gewaehrte;
+aber die Aenderung ist von wesentlicher Bedeutung fuer den Staendekampf
+geworden, ja vielleicht jener militaerische Zweck fuer diese Einrichtung
+mehr der Vorwand als der Grund gewesen. Zu Offizierstellen konnte nach
+altem Recht jeder dienstpflichtige Buerger oder Insasse gelangen, und
+es ward also damit das hoechste Amt, nachdem es voruebergehend schon
+im Dezemvirat den Plebejern geoeffnet worden war, jetzt in umfassender
+Weise saemtlichen freigewordenen Buergern gleichmaessig zugaenglich
+gemacht. Die Frage liegt nahe, welches Interesse der Adel dabei haben
+konnte, da er einmal auf den Alleinbesitz des hoechsten Amtes verzichten
+und in der Sache nachgeben musste, den Plebejern den Titel zu versagen
+und das Konsulat ihnen in dieser wunderlichen Form zuzugestehen ^2.
+Einmal aber knuepften sich an die Bekleidung des hoechsten Gemeindeamts
+mancherlei teils persoenliche, teils erbliche Ehrenrechte: so galt
+die Ehre des Triumphs als rechtlich bedingt durch die Bekleidung des
+hoechsten Gemeindeamts und wurde nie einem Offizier gegeben, der
+nicht dieses selbst verwaltet hatte; so stand es den Nachkommen eines
+kurulischen Beamten frei, das Bild eines solchen Ahnen im Familiensaal
+auf- und bei geeigneten Veranlassungen oeffentlich zur Schau zu stellen,
+waehrend dies fuer andere Vorfahren nicht statthaft war ^3. Es ist
+ebenso leicht zu erklaeren wie schwer zu rechtfertigen, dass der
+regierende Herrenstand weit eher das Regiment selbst als die daran
+geknuepften Ehrenrechte, namentlich die erblichen, sich entwinden
+liess und darum, als es jenes mit den Plebejern teilen musste, den
+tatsaechlich hoechsten Gemeindebeamten rechtlich nicht als Inhaber des
+kurulischen Sessels, sondern als einfachen Stabsoffizier hinstellte,
+dessen Auszeichnung eine rein persoenliche war. Von groesserer
+politischer Bedeutung aber als die Versagung des Ahnenrechts und der
+Ehre des Triumphs war es, dass die Ausschliessung der im Senat sitzenden
+Plebejer von der Debatte notwendig fuer diejenigen von ihnen fiel, die
+als designierte oder gewesene Konsuln in die Reihe der vor den uebrigen
+um ihr Gutachten zu fragenden Senatoren eintraten; insofern war es
+allerdings fuer den Adel von grosser Wichtigkeit, den Plebejer nur zu
+einem konsularischen Amt, nicht aber zum Konsulat selbst zuzulassen.
+--------------------------------------------- ^1 Die Annahme, dass
+rechtlich den patrizischen Konsulartribunen das volle, den plebejischen
+nur das militaerische Imperium zugestanden habe, ruft nicht bloss manche
+Fragen hervor, auf die es keine Antwort gibt, zum Beispiel, was denn
+geschah, wenn, wie dies gesetzlich moeglich war, die Wahl auf lauter
+Plebejer fiel, sondern verstoesst vor allem gegen den Fundamentalsatz
+des roemischen Staatsrechts, dass das Imperium, das heisst das Recht,
+dem Buerger im Namen der Gemeinde zu befehlen, qualitativ unteilbar und
+ueberhaupt keiner anderen als einer raeumlichen Abgrenzung faehig ist.
+Es gibt einen Stadtrechtsbezirk und einen Kriegsrechtsbezirk, in welchem
+letzteren die Provokation und andere stadtrechtliche Bestimmungen nicht
+massgebend sind; es gibt Beamte, wie zum Beispiel die Prokonsuln, welche
+lediglich in dem letzteren zu funktionieren vermoegen; aber es gibt im
+strengen Rechtssinn keine Beamten mit bloss jurisdiktionellem wie keine
+mit bloss militaerischem Imperium. Der Prokonsul ist in seinem Bezirk
+eben wie der Konsul zugleich Oberfeldherr und Oberrichter und befugt,
+nicht bloss unter Nichtbuergern und Soldaten, sondern auch unter
+Buergern den Prozess zu instruieren. Selbst als mit der Einsetzung der
+Praetur der Begriff der Kompetenz fuer die magistratus maiores aufkommt,
+hat er mehr tatsaechliche als eigentlich rechtliche Geltung: der
+staedtische Praetor ist zwar zunaechst Oberrichter, aber er kann auch
+wenigstens fuer gewisse Faelle die Zenturien berufen und kann ein Heer
+befehligen; dem Konsul kommt in der Stadt zunaechst die Oberverwaltung
+und der Oberbefehl zu, aber er fungiert doch auch bei Emanzipation und
+Adoption als Gerichtsherr - die qualitative Unteilbarkeit des hoechsten
+Amtes ist also selbst hier noch beiderseits mit grosser Schaerfe
+festgehalten. Es muss also die militaerische wie die jurisdiktionelle
+Amtsgewalt oder, um diese, dem roemischen Recht dieser Zeit fremden
+Abstraktionen beiseite zu lassen, die Amtsgewalt schlechthin den
+plebejischen Konsulartribunen virtuell so gut wie den patrizischen
+zugestanden haben. Aber wohl moegen, wie W. A. Becker (Handbuch, Bd. 2,
+2, S. 137) meint, aus denselben Gruenden, weshalb spaeterhin neben
+das gemeinschaftliche Konsulat die - tatsaechlich laengere Zeit den
+Patriziern vorbehaltene - Praetur gestellt ward, faktisch schon waehrend
+des Konsulartribunats die plebejischen Glieder des Kollegiums von
+der Jurisdiktion ferngehalten worden sein und insofern die spaetere
+Kompetenzteilung zwischen Konsuln und Praetoren mittels des
+Konsulartribunats sich vorbereitet haben. ^2 Die Verteidigung, dass der
+Adel an der Ausschliessung der Plebejer aus religioeser Befangenheit
+festgehalten habe, verkennt den Grundcharakter der roemischen Religion
+und traegt den modernen Gegensatz zwischen Kirche und Staat in das
+Altertum hinein. Die Zulassung des Nichtbuergers zu einer buergerlich
+religioesen Verrichtung musste freilich dem rechtglaeubigen Roemer
+als suendhaft erscheinen; aber nie hat auch der strengste Orthodoxe
+bezweifelt, dass durch die lediglich und allein vom Staat abhaengige
+Zulassung in die buergerliche Gemeinschaft auch die volle religioese
+Gleichheit herbeigefuehrt werde. All jene Gewissensskrupel, deren
+Ehrlichkeit an sich nicht beanstandet werden soll, waren abgeschnitten,
+sowie man den Plebejern in Masse rechtzeitig das Patriziat zugestand.
+Nur das etwa kann man zur Entschuldigung des Adels geltend machen, dass
+er, nachdem er bei Abschaffung des Koenigtums den rechten Augenblick
+hierzu versaeumt hatte, spaeter selber nicht mehr imstande war,
+das Versaeumte nachzuholen. ^3 Ob innerhalb des Patriziats die
+Unterscheidung dieser "kurulischen Haeuser" von den uebrigen Familien
+jemals von ernstlicher politischer Bedeutung gewesen ist, laesst
+sich weder mit Sicherheit verneinen noch mit Sicherheit bejahen, und
+ebensowenig wissen wir, ob es in dieser Epoche wirklich noch
+nicht kurulische Patrizierfamilien in einiger Anzahl gab.
+------------------------------------------------- Indes trotz dieser
+kraenkenden Zuruecksetzung waren doch die Geschlechterprivilegien,
+soweit sie politischen Wert hatten, durch die neue Institution
+gesetzlich beseitigt, und wenn der roemische Adel seines Namens wert
+gewesen waere, haette er jetzt den Kampf aufgeben muessen. Allein er hat
+es nicht getan. Wenn auch ein vernuenftiger und gesetzlicher Widerstand
+fortan unmoeglich war, so bot sich doch noch ein weites Feld fuer die
+tueckische Opposition der kleinen Mittel, der Schikanen und der Kniffe;
+und so wenig ehrenhaft und staatsklug dieser Widerstand war, so war er
+doch in einem gewissen Sinne erfolgreich. Er hat allerdings schliesslich
+dem gemeinen Mann Konzessionen verschafft, zu welchen die vereinigte
+roemische Aristokratie nicht leicht gezwungen worden waere; aber er
+hat es auch vermocht, den Buergerkrieg noch um ein Jahrhundert zu
+verlaengern und jenen Gesetzen zum Trotz das Regiment noch mehrere
+Menschenalter hindurch tatsaechlich im Sonderbesitz des Adels zu
+erhalten. Die Mittel, deren der Adel sich bediente, waren so mannigfach
+wie die politische Kuemmerlichkeit ueberhaupt. Statt die Frage ueber die
+Zulassung oder Ausschliessung der Buergerlichen bei den Wahlen ein fuer
+allemal zu entscheiden, raeumte man, was man einraeumen musste, nur fuer
+die jedesmal naechsten Wahlen ein; jaehrlich erneuerte sich also
+der eitle Kampf, ob patrizische Konsuln oder aus beiden Staenden
+Kriegstribune mit konsularischer Gewalt ernannt werden sollten, und
+unter den Waffen des Adels erwies sich diese, den Gegner durch Ermuedung
+und Langweile zu ueberwinden, keineswegs als die unwirksamste. Man
+zersplitterte ferner die bis dahin ungeteilte hoechste Geaalt, um die
+unvermeidliche Niederlage durch Vermehrung der Angriffspunkte in
+die Laenge zu ziehen. So wurde die der Regel nach jedes vierte
+Jahr stattfindende Feststellung des Budgets und der Buerger- und
+Steuerlisten, welche bisher durch die Konsuln bewirkt worden war, schon
+im Jahre 319 (435) zweien von den Zenturien aus dem Adel auf hoechstens
+achtzehn Monate ernannten Schaetzern (censores) uebertragen. Das neue
+Amt ward allmaehlich zum Palladium der Adelspartei, weniger noch wegen
+seines finanziellen Einflusses als wegen des daran sich knuepfenden
+Rechts, die erledigten Plaetze im Senat und in der Ritterschaft zu
+besetzen und bei der Feststellung der Listen von Senat, Ritter- und
+Buergerschaft einzelne Personen aus denselben zu entfernen; die hohe
+Bedeutung indes und die moralische Machtfuelle, welche spaeterhin der
+Zensur beiwohnt, hat sie in dieser Epoche noch keineswegs besessen.
+Dagegen die im Jahre 333 (421) hinsichtlich der Quaestur getroffene
+wichtige Aenderung glich diesen Erfolg der Adelspartei reichlich wieder
+aus. Die patrizisch-plebejische Quartierversammlung, vielleicht darauf
+sich stuetzend, dass wenigstens die beiden Kriegszahlmeister faktisch
+mehr Offiziere waren als Zivilbeamte und insofern der Plebejer so gut
+wie zum Militaertribunat auch zur Quaestur befaehigt erschien, setzte
+es durch, dass fuer die Quaestorenwahlen auch plebejische Bewerber
+zugelassen wurden und erwarb damit zum erstenmal zu dem aktiven
+Wahlrecht auch das passive fuer eines der ordentlichen Aemter. Mit Recht
+ward es auf der einen Seite als ein grosser Sieg, auf der anderen als
+eine schwere Niederlage empfunden, dass fortan zu dem Kriegs- wie zu
+dem Stadtzahlmeisteramt der Patrizier und der Plebejer aktiv und passiv
+gleich wahlfaehig waren. Trotz der hartnaeckigsten Gegenwehr schritt
+der Adel doch nur von Verlust zu Verlust; die Erbitterung stieg, wie
+die Macht sank. Er hat es wohl noch versucht, die der Gemeinde
+vertragsmaessig zugesicherten Rechte geradezu anzutasten; aber es
+waren diese Versuche weniger berechnete Parteimanoever als Akte einer
+impotenten Rachsucht. So namentlich der Prozess gegen Maelius, wie
+unsere allerdings wenig zuverlaessige Ueberlieferung ihn berichtet.
+Spurius Maelius, ein reicher Plebejer, verkaufte waehrend schwerer
+Teuerung (315 439) Getreide zu solchen Preisen, dass er den patrizischen
+Magazinvorsteher (praefectus annonae) Gaius Minucius beschaemte und
+kraenkte. Dieser beschuldigte ihn des Strebens nach der koeniglichen
+Gewalt; mit welchem Recht, koennen wir freilich nicht entscheiden,
+allein es ist kaum glaublich, dass ein Mann, der nicht einmal das
+Tribunat bekleidet hatte, ernstlich an die Tyrannis gedacht haben
+sollte. Indes die Behoerden nahmen die Sache ernsthaft, und auf die
+Menge Roms hat der Zeterruf des Koenigtums stets aehnliche Wirkung
+geuebt wie der Papstzeter auf die englischen Massen. Titus
+Quinctius Capitolinus, der zum sechstenmal Konsul war, ernannte
+den achtzigjaehrigen Lucius Quinctius Cincinnatus zum Diktator ohne
+Provokation, in offener Auflehnung gegen die beschworenen Gesetze.
+Maelius, vorgeladen, machte Miene, sich dem Befehl zu entziehen; da
+erschlug ihn der Reiterfuehrer des Diktators, Gaius Servilius Ahala, mit
+eigener Hand. Das Haus des Ermordeten ward niedergerissen, das Getreide
+aus seinen Speichern dem Volke umsonst verteilt, und die seinen Tod zu
+raechen drohten, heimlich ueber die Seite gebracht. Dieser schaendliche
+Justizmord, eine Schande mehr noch fuer das leichtglaeubige und blinde
+Volk als fuer die tueckische Junkerpartei, ging ungestraft hin; aber
+wenn diese gehofft hatte, damit das Provokationsrecht zu untergraben,
+so hatte sie umsonst die Gesetze verletzt und umsonst unschuldiges Blut
+vergossen. Wirksamer als alle uebrigen Mittel erwiesen sich dem Adel
+Wahlintrigen und Pfaffentrug. Wie arg jene gewesen sein muessen, zeigt
+am besten, dass es schon 322 (432) noetig schien, ein eigenes Gesetz
+gegen Wahlumtriebe zu erlassen, das natuerlich nichts half. Konnte man
+nicht durch Korruption oder Drohung auf die Stimmberechtigten wirken, so
+taten die Wahldirektoren das uebrige und liessen zum Beispiel so
+viele plebejische Kandidaten zu, dass die Stimmen der Opposition sich
+zersplitterten, oder liessen diejenigen von der Kandidatenliste weg,
+die die Majoritaet zu waehlen beabsichtigte. Ward trotz alledem eine
+unbequeme Wahl durchgesetzt, so wurden die Priester befragt, ob bei
+derselben nicht eine Nichtigkeit in der Voegelschau oder den sonstigen
+religioesen Zeremonien vorgekommen sei; welche diese alsdann zu
+entdecken nicht ermangelten. Unbekuemmert um die Folgen und uneingedenk
+des weisen Beispiels der Ahnen liess man den Satz sich feststellen,
+dass das Gutachten der priesterlichen Sachverstaendigenkollegien ueber
+Voegelzeichen, Wunder und aehnliche Dinge den Beamten von Rechts wegen
+binde, und es in ihre Macht kommen, jeden Staatsakt, sei es die Weihung
+eines Gotteshauses oder sonst eine Verwaltungshandlung, sei es Gesetz
+oder Wahl, wegen religioeser Nullitaeten zu kassieren. Auf diesem Wege
+wurde es moeglich, dass, obwohl die Waehlbarkeit der Plebejer schon im
+Jahre 333 (421) fuer die Quaestur gesetzlich festgestellt worden war und
+seitdem rechtlich anerkannt blieb, dennoch erst im Jahre 345 (409) der
+erste Plebejer zur Quaestur gelangte; aehnlich haben das konsularische
+Kriegstribunat bis zum Jahre 354 (400) fast ausschliesslich Patrizier
+bekleidet. Es zeigte sich, dass die gesetzliche Abschaffung der
+Adelsprivilegien noch keineswegs die plebejische Aristokratie wirklich
+und tatsaechlich dem Geschlechtsadel gleichgestellt hatte. Mancherlei
+Ursachen wirkten dabei zusammen: die zaehe Opposition des Adels liess
+sich weit leichter in einem aufgeregten Moment der Theorie nach ueber
+den Haufen werfen, als in den jaehrlich wiederkehrenden Wahlen dauernd
+niederhalten; die Hauptursache aber war die innere Uneinigkeit der
+Haeupter der plebejischen Aristokratie und der Masse der Bauernschaft.
+Der Mittelstand, dessen Stimmen in den Komitien entschieden, fand sich
+nicht berufen, die vornehmen Nichtadligen vorzugsweise auf den Schild
+zu heben, solange seine eigenen Forderungen von der plebejischen nicht
+minder wie von der patrizischen Aristokratie zurueckgewiesen wurden.
+Die sozialen Fragen hatten waehrend dieser politischen Kaempfe im ganzen
+geruht oder waren doch mit geringer Energie verhandelt worden. Seitdem
+die plebejische Aristokratie sich des Tribunats zu ihren Zwecken
+bemaechtigt hatte, war weder von der Domaenenangelegenheit noch von
+der Reform des Kreditwesens ernstlich die Rede gewesen; obwohl es weder
+fehlte an neugewonnenen Laendereien noch an verarmenden oder
+verarmten Bauern. Einzelne Assignationen, namentlich in neueroberten
+Grenzgebieten, erfolgten wohl, so des ardeatischen Gebiets 312 (442),
+des labicanischen 336 (418), des veientischen 361 (393), jedoch mehr aus
+militaerischen Gruenden, als um dem Bauer zu helfen, und keineswegs in
+ausreichenden Umfang. Wohl machten einzelne Tribune den Versuch, das
+Gesetz des Cassius wieder aufzunehmen: so stellten Spurius Maecilius
+und Spurius Metilius im Jahre 337 (417) den Antrag auf Aufteilung
+saemtlicher Staatslaendereien - allein sie scheiterten, was
+charakteristisch fuer die damalige Situation ist, an dem Widerstand
+ihrer eigenen Kollegen, das heisst der plebejischen Aristokratie. Auch
+unter den Patriziern versuchten einige, der gemeinen Not zu helfen;
+allein mit nicht besserem Erfolg als einst Spurius Cassius. Patrizier
+wie dieser, und wie dieser ausgezeichnet durch Kriegsruhm und
+persoenliche Tapferkeit, soll Marcus Manlius, der Retter der Burg
+waehrend der gallischen Belagerung, als Vorkaempfer aufgetreten sein
+fuer die unterdrueckten Leute, mit denen sowohl die Kriegskameradschaft
+ihn verband wie der bittere Hass gegen seinen Rivalen, den gefeierten
+Feldherrn und optimatischen Parteifuehrer Marcus Furius Camillus. Als
+ein tapferer Offizier ins Schuldgefaengnis abgefuehrt werden sollte,
+trat Manlius fuer ihn ein und loeste mit seinem Gelde ihn aus; zugleich
+bot er seine Grundstuecke zum Verkauf aus, laut erklaerend, dass,
+solange er noch einen Fussbreit Landes besitze, solche Unbill nicht
+vorkommen solle. Das war mehr als genug, um die ganze Regimentspartei,
+Patrizier wie Plebejer, gegen den gefaehrlichen Neuerer zu vereinigen.
+Der Hochverratsprozess, die Anschuldigung der beabsichtigten Erneuerung
+des Koenigtums, wirkte mit dem tueckischen Zauber stereotyp gewordener
+Parteiphrasen auf die blinde Menge; sie selbst verurteilte ihn zum Tode,
+und nichts trug sein Ruhm ihm ein, als dass man das Volk zum Blutgericht
+an einem Ort versammelte, von wo die Stimmenden den Burgfelsen nicht
+erblickten, den stummen Mahner an die Rettung des Vaterlandes aus der
+hoechsten Gefahr durch die Hand desselben Mannes, welchen man jetzt dem
+Henker ueberlieferte (370 384). Waehrend also die Reformversuche im Keim
+erstickt wurden, wurde das Missverstaendnis immer schreiender, indem
+einerseits infolge der gluecklichen Kriege die Domanialbesitzungen
+mehr und mehr sich ausdehnten, anderseits in der Bauernschaft die
+Ueberschuldung und Verarmung immer weiter um sich griff, namentlich
+infolge des schweren Veientischen Krieges (348-358 406-396) und der
+Einaescherung der Hauptstadt bei dem gallischen Ueberfall (364 390).
+Zwar als es indem Veientischen Kriege notwendig wurde, die Dienstzeit
+der Soldaten zu verlaengern und sie, statt wie bisher hoechstens nur den
+Sommer, auch den Winter hindurch unter den Waffen zu halten, und als
+die Bauernschaft, die vollstaendige Zerruettung ihrer oekonomischen Lage
+voraussehend, im Begriff war, ihre Einwilligung zu der Kriegserklaerung
+zu verweigern, entschloss sich der Senat zu einer wichtigen Konzession:
+er uebernahm den Sold, den bisher die Distrikte durch Umlage aufgebracht
+hatten, auf die Staatskasse, das heisst auf den Ertrag der indirekten
+Abgaben und der Domaenen (348 406). Nur fuer den Fall, dass die
+Staatskasse augenblicklich leer sei, wurde des Soldes wegen eine
+allgemeine Umlage (tributum) ausgeschrieben, die indes als gezwungene
+Anleihe betrachtet und von der Gemeinde spaeterhin zurueckgezahlt
+ward. Die Einrichtung war billig und weise; allein da das wesentliche
+Fundament, eine reelle Verwertung der Domaenen zum Besten der
+Staatskasse, ihr nicht gegeben ward, so kamen zu der vermehrten Last des
+Dienstes noch haeufige Umlagen hinzu, die den kleinen Mann darum nicht
+weniger ruinierten, dass sie offiziell nicht als Steuern, sondern
+als Vorschuesse betrachtet wurden. Unter solchen Umstaenden, wo die
+plebejische Aristokratie sich durch den Widerstand des Adels und
+die Gleichgueltigkeit der Gemeinde tatsaechlich von der politischen
+Gleichberechtigung ausgeschlossen sah und die leidende Bauernschaft der
+geschlossenen Aristokratie ohnmaechtig gegenueberstand, lag es nahe,
+beiden zu helfen durch ein Kompromiss. Zu diesem Ende brachten die
+Volkstribune Gaius Licinius und Lucius Sextius bei der Gemeinde
+Antraege dahin ein: einerseits mit Beseitigung des Konsulatribunats
+festzustellen, dass wenigstens der eine Konsul Plebejer sein muesse,
+und ferner den Plebejern den Zutritt zu dem einen der drei grossen
+Priesterkollegien, dem auf zehn Mitglieder zu vermehrenden der
+Orakelbewahrer (duoviri, spaeter decemviri sacris faciundis, 1, 191) zu
+eroeffnen; anderseits hinsichtlich der Domaenen keinen Buerger auf die
+Gemeinweide mehr als hundert Rinder und fuenfhundert Schafe auftreiben
+und keinen von dem zur Okkupation freigegebenen Domanialland mehr als
+fuenfhundert Iugera (= 494 preussische Morgen) in Besitz nehmen
+zu lassen, ferner die Gutsbesitzer zu verpflichten, unter ihren
+Feldarbeitern eine zu der Zahl der Ackersklaven im Verhaeltnis stehende
+Anzahl freier Arbeiter zu verwenden, endlich den Schuldnern durch Abzug
+der gezahlten Zinsen vom Kapital und Anordnung von Rueckzahlungsfristen
+Erleichterung zu verschaffen. Die Tendenz dieser Verfuegungen liegt
+auf der Hand. Sie sollten dem Adel den ausschliesslichen Besitz der
+kurulischen Aemter und der daran geknuepften erblichen Auszeichnungen
+der Nobilitaet entreissen, was man in bezeichnender Weise nur dadurch
+erreichen zu koennen meinte, dass man die Adligen von der zweiten
+Konsulstelle gesetzlich ausschloss. Sie sollten folgeweise die
+plebejischen Mitglieder des Senats aus der untergeordneten Stellung,
+in der sie als stumme Beisitzer sich befanden, insofern befreien, als
+wenigstens diejenigen von ihnen, die das Konsulat bekleidet hatten,
+damit ein Anrecht erwarben, mit den patrizischen Konsularen vor den
+uebrigen patrizischen Senatoren ihr Gutachten abzugeben. Sie sollten
+ferner dem Adel den ausschliesslichen Besitz der geistlichen Wuerden
+entziehen; wobei man aus naheliegenden Ursachen die altlatinischen
+Priestertuemer der Augurn und Pontifices den Altroemern liess, aber sie
+noetigte, das dritte, juengere und einem urspruenglich auslaendischen
+Kult angehoerige grosse Kollegium mit den Neubuergern zu teilen.
+Sie sollten endlich den geringen Leuten den Mitgenuss der gemeinen
+Buergernutzungen, den leidenden Schuldnern Erleichterung, den
+arbeitslosen Tageloehnern Beschaeftigung verschaffen. Beseitigung der
+Privilegien, buergerliche Gleichheit, soziale Reform - das waren die
+drei grossen Ideen, welche dadurch zur Anerkennung kommen sollten.
+Vergeblich boten die Patrizier gegen diese Gesetzvorschlaege ihre
+letzten Mittel auf; selbst die Diktatur und der alte Kriegsheld Camillus
+vermochten nur ihre Durchbringung zu verzoegern, nicht sie abzuwenden.
+Gern haette auch das Volk die Vorschlaege geteilt; was lag ihm am
+Konsulat und an dem Orakelbewahreramt, wenn nur die Schuldenlast
+erleichtert und das Gemeinland frei ward! Aber umsonst war die
+plebejische Nobilitaet nicht popular; sie fasste die Antraege in einen
+einzigen Gesetzvorschlag zusammen und nach lang-, angeblich elfjaehrigem
+Kampfe gab endlich der Senat seine Einwilligung und gingen sie im Jahre
+387 (367) durch. Mit der Wahl des ersten nicht patrizischen Konsuls
+- sie fiel auf den einen der Urheber dieser Reform, den gewesenen
+Volkstribunen Lucius Sextius Lateranus - hoerte der Geschlechtsadel
+tatsaechlich und rechtlich auf, zu den politischen Institutionen Roms zu
+zaehlen. Wenn nach dem endlichen Durchgang dieser Gesetze der bisherige
+Vorkaempfer der Geschlechter, Marcus Furius Camillus, am Fusse des
+Kapitols auf einer ueber der alten Malstatt der Buergerschaft, dem
+Comitium, erhoehten Flaeche, wo der Senat haeufig zusammenzutreten
+pflegte, ein Heiligtum der Eintracht stiftete, so gibt man gern dem
+Glauben sich hin, dass er in dieser vollendeten Tatsache den Abschluss
+des nur zu lange fortgesponnenen Haders erkannte. Die religioese Weihe
+der neuen Eintracht der Gemeinde war die letzte oeffentliche Handlung
+des alten Kriegs- und Staatsmannes und der wuerdige Beschluss seiner
+langen und ruhmvollen Laufbahn. Er hatte sich auch nicht ganz geirrt;
+der einsichtigere Teil der Geschlechter gab offenbar seitdem die
+politischen Sonderrechte verloren und war es zufrieden, das Regiment
+mit der plebejischen Aristokratie zu teilen. Indes in der Majoritaet der
+Patrizier verleugnete das unverbesserliche Junkertum sich nicht. Kraft
+des Privilegiums, welches die Vorfechter der Legitimitaet zu allen
+Zeiten in Anspruch genommen haben, den Gesetzen nur da zu gehorchen,
+wo sie mit ihren Parteiinteressen zusammenstimmen, erlaubten sich die
+roemischen Adligen noch verschiedene Male, in offener Verletzung der
+vorgetragenen Ordnung, zwei patrizische Konsuln ernennen zu lassen; wie
+indes, als Antwort auf eine derartige Wahl fuer das Jahr 411 (343),
+das Jahr darauf die Gemeinde foermlich beschloss, die Besetzung beider
+Konsulstellen mit Nichtpatriziern zu gestatten, verstand man die darin
+liegende Drohung und hat es wohl noch gewuenscht, aber nicht wieder
+gewagt, an die zweite Konsulstelle zu ruehren. Ebenso schnitt sich
+der Adel nur in das eigene Fleisch durch den Versuch, den er bei der
+Durchbringung der Licinischen Gesetze machte, mittels eines politischen
+Kipp- und Wippsystems wenigstens einige Truemmer der alten Vorrechte
+fuer sich zu bergen. Unter dem Vorwande, dass das Recht ausschliesslich
+dem Adel bekannt sei, ward von dem Konsulat, als dies den Plebejern
+eroeffnet werden musste, die Rechtspflege getrennt und dafuer ein
+eigener dritter Konsul, oder, wie er gewoehnlich heisst, ein Praetor
+bestellt. Ebenso kamen die Marktaufsicht und die damit verbundenen
+Polizeigerichte sowie die Ausrichtung des Stadtfestes an zwei neu
+ernannte Aedilen, die von ihrer staendigen Gerichtsbarkeit, zum
+Unterschied von den plebejischen, die Gerichtsstuhl-Aedilen (aediles
+curules) genannt wurden. Allein die kurulische Aedilitaet ward sofort
+den Plebejern in der Art zugaenglich, dass adlige und buergerliche
+Kurulaedilen Jahr um Jahr abwechselten. Im Jahre 398 (356) wurde ferner
+die Diktatur, wie schon das Jahr vor den Licinischen Gesetzen (386 368),
+das Reiterfuehreramt, im Jahre 403 (351) die Zensur, im Jahre 417 (337)
+die Praetur Plebejern uebertragen und um dieselbe Zeit (415 339) der
+Adel, wie es frueher in Hinsicht des Konsulats geschehen war, auch von
+der einen Zensorstelle gesetzlich ausgeschlossen. Es aenderte nichts,
+dass wohl noch einmal ein patrizischer Augur in der Wahl eines
+plebejischen Diktators (427 327) geheime, ungeweihten Augen verborgene
+Maengel fand und dass der patrizische Zensor seinem Kollegen bis zum
+Schlusse dieser Periode (474 280) nicht gestattete, das feierliche Opfer
+darzubringen, womit die Schatzung schloss; dergleichen Schikanen
+dienten lediglich dazu, die ueble Laune des Junkertums zu konstatieren.
+Ebensowenig aenderten etwa die Quengeleien, welche die patrizischen
+Vorsitzer des Senats nicht verfehlt haben werden, wegen der Teilnahme
+der Plebejer an der Debatte in demselben zu erheben; vielmehr stellte
+die Regel sich fest, dass nicht mehr die patrizischen Mitglieder,
+sondern die zu einem der drei hoechsten ordentlichen Aemter, Konsulat,
+Praetur und kurulischer Aedilitaet gelangten, in dieser Folge und ohne
+Unterschied des Standes zur Abgabe ihres Gutachtens aufzufordern seien,
+waehrend diejenigen Senatoren, die keines dieser Aemter bekleidet
+hatten, auch jetzt noch bloss an der Abmehrung teilnahmen. Das
+Recht endlich des Patriziersenats, einen Beschluss der Gemeinde als
+verfassungswidrig zu verwerfen, das derselbe auszuueben freilich wohl
+ohnehin selten gewagt haben mochte, ward ihm durch das Publilische
+Gesetz von 415 (339) und durch das nicht vor der Mitte des fuenften
+Jahrhunderts erlassene Maenische in der Art entzogen, dass er veranlasst
+ward, seine etwaigen konstitutionellen Bedenken bereits bei Aufstellung
+der Kandidatenliste oder Einbringung des Gesetzvorschlags geltend zu
+machen; was denn praktisch darauf hinauslief, dass er stets im voraus
+seine Zustimmung aussprach. In dieser Art als rein formales Recht ist
+die Bestaetigung der Volksschluesse dem Adel bis in die letzte Zeit
+der Republik geblieben. Laenger behaupteten begreiflicherweise die
+Geschlechter ihre religioesen Vorrechte; ja an manche derselben, die
+ohne politische Bedeutung waren, wie namentlich an ihre ausschliessliche
+Waehlbarkeit zu den drei hoechsten Flaminaten und dem sacerdotalen
+Koenigtum sowie in die Genossenschaften der Springer, hat man niemals
+geruehrt. Dagegen waren die beiden Kollegien der Pontifices und der
+Augurn, an welche ein bedeutender Einfluss auf die Gerichte und die
+Komitien sich knuepfte, zu wichtig, als dass diese Sonderbesitz der
+Patrizier haetten bleiben koennen; das Ogulnische Gesetz vom Jahre 454
+(300) eroeffnete denn auch in diese den Plebejern den Eintritt, indem
+es die Zahl der Pontifices und der Augurn beide von sechs auf neun
+vermehrte und in beiden Kollegien die Stellen zwischen Patriziern
+und Plebejern gleichmaessig teilte. Den letzten Abschluss des
+zweihundertjaehrigen Haders brachte das durch einen gefaehrlichen
+Volksaufstand hervorgerufene Gesetz des Diktators Q. Hortensius
+(465-468 289-286), das anstatt der frueheren bedingten die unbedingte
+Gleichstellung der Beschluesse der Gesamtgemeinde und derjenigen der
+Plebs aussprach. So hatten sich die Verhaeltnisse umgewandelt, dass
+derjenige Teil der Buergerschaft, der einst allein das Stimmrecht
+besessen hatte, seitdem bei der gewoehnlichen Form der fuer die gesamte
+Buergerschaft verbindlichen Abstimmungen nicht einmal mehr mitgefragt
+ward. Der Kampf zwischen den roemischen Geschlechtern und Gemeinen war
+damit im wesentlichen zu Ende. Wenn der Adel von seinen umfassenden
+Vorrechten noch den tatsaechlichen Besitz der einen Konsul- und der
+einen Zensorstelle bewahrte, so war er dagegen vom Tribunat, der
+plebejischen Aedilitaet, von der zweiten Konsul- und Zensorstelle
+und von der Teilnahme an den rechtlich den Buergerschaftsabstimmungen
+gleichstehenden Abstimmungen der Plebs gesetzlich ausgeschlossen; in
+gerechter Strafe seines verkehrten und eigensinnigen Widerstrebens
+hatten die ehemaligen patrizischen Vorrechte sich fuer ihn in ebenso
+viele Zuruecksetzungen verwandelt. Indes der roemische Geschlechtsadel
+ging natuerlich darum keineswegs unter, weil er zum leeren Namen
+geworden war. Je weniger der Adel bedeutete und vermochte, desto reiner
+und ausschliesslicher entwickelte sich der junkerhafte Geist. Die
+Hoffart der "Ramner" hat das letzte ihrer Standesprivilegien um
+Jahrhunderte ueberlebt; nachdem man standhaft gerungen hatte, "das
+Konsulat aus dem plebejischen Kote zu ziehen", und sich endlich
+widerwillig von der Unmoeglichkeit dieser Leistung hatte ueberzeugen
+muessen, trug man wenigstens schroff und verbissen sein Adeltum zur
+Schau. Man darf, um die Geschichte Roms im fuenften und sechsten
+Jahrhundert richtig zu verstehen, dies schmollende Junkertum nicht
+vergessen; es vermochte zwar nichts weiter als sich und andere zu
+aergern, aber dies hat es denn auch nach Vermoegen getan. Einige Jahre
+nach dem Ogulnischen Gesetz (458 296) kam ein bezeichnender Auftritt
+dieser Art vor: eine patrizische Frau, welche an einen vornehmen und
+zu den hoechsten Wuerden der Gemeinde gelangten Plebejer vermaehlt war,
+wurde dieser Missheirat wegen von dem adligen Damenkreise ausgestossen
+und zu der gemeinsamen Keuschheitsfeier nicht zugelassen; was denn
+zur Folge hatte, dass seitdem in Rom eine besondere adlige und eine
+besondere buergerliche Keuschheitsgoettin verehrt ward. Ohne Zweifel kam
+es auf Velleitaeten dieser Art sehr wenig an und hat auch der bessere
+Teil der Geschlechter sich dieser truebseligen Verdriesslichkeitspolitik
+durchaus enthalten; aber ein Gefuehl des Missbehagens liess sie doch
+auf beiden Seiten zurueck, und wenn der Kampf der Gemeinde gegen
+die Geschlechter an sich eine politische und selbst eine sittliche
+Notwendigkeit war, so haben dagegen diese lange nachzitternden
+Schwingungen desselben, sowohl die zwecklosen Nachhutgefechte nach der
+entschiedenen Schlacht als auch die leeren Rang- und Standeszaenkereien,
+das oeffentliche und private Leben der roemischen Gemeinde ohne Not
+durchkreuzt und zerruettet. Indes nichtsdestoweniger ward der eine Zweck
+des von den beiden Teilen der Plebs im Jahre 387 (367) geschlossenen
+Kompromisses, die Beseitigung des Patriziats, im wesentlichen
+vollstaendig erreicht. Es fragt sich weiter, inwiefern dies auch von den
+beiden positiven Tendenzen desselben gesagt werden kann und ob die
+neue Ordnung der Dinge in der Tat der sozialen Not gesteuert und die
+politische Gleichheit hergestellt hat. Beides hing eng miteinander
+zusammen; denn wenn die oekonomische Bedraengnis den Mittelstand
+aufzehrte und die Buergerschaft in eine Minderzahl von Reichen und ein
+notleidendes Proletariat aufloeste, so war die buergerliche Gleichheit
+damit zugleich vernichtet und das republikanische Gemeinwesen der Sache
+nach zerstoert. Die Erhaltung und Mehrung des Mittelstandes, namentlich
+der Bauernschaft, war darum fuer jeden patriotischen Staatsmann Roms
+nicht bloss eine wichtige, sondern von allen die wichtigste Aufgabe. Die
+neu zum Regiment berufenen Plebejer aber waren ueberdies noch, da sie
+zum guten Teil die gewonnenen Rechte dem notleidenden und von ihnen
+Hilfe erhoffenden Proletariat verdankten, politisch und sittlich
+besonders verpflichtet, demselben, soweit es ueberhaupt auf diesem
+Wege moeglich war, durch Regierungsmassregeln zu helfen. Betrachten wir
+zunaechst, inwiefern indem hierher gehoerenden Teil der Gesetzgebung von
+387 (367) eine ernstliche Abhilfe enthalten war. Dass die Bestimmung
+zu Gunsten der freien Tageloehner ihren Zweck: der Gross- und
+Sklavenwirtschaft zu steuern und den freien Proletariern wenigstens
+einen Teil der Arbeit zu sichern, unmoeglich erreichen konnte, leuchtet
+ein; aber hier konnte auch die Gesetzgebung nicht helfen, ohne an den
+Fundamenten der buergerlichen Ordnung jener Zeit in einer Weise zu
+ruetteln, die ueber den Horizont derselben weit hinausging. In der
+Domanialfrage dagegen waere es den Gesetzgebern moeglich gewesen, Wandel
+zu schaffen; aber was geschah, reichte dazu offenbar nicht aus. Indem
+die neue Domaenenordnung die Betreibung der gemeinen Weide mit schon
+sehr ansehnlichen Herden und die Okkupation des nicht zur Weide
+ausgelegten Domanialbesitzes bis zu einem hoch gegriffenen Maximalsatz
+gestattete, raeumte sie den Vermoegenden einen bedeutenden und
+vielleicht schon unverhaeltnismaessigen Voranteil an dem Domaenenertrag
+ein und verlieh durch die letztere Anordnung dem Domanialbesitz,
+obgleich er rechtlich zehntpflichtig und beliebig widerruflich blieb,
+sowie dem Okkupationssystem selbst gewissermassen eine gesetzliche
+Sanktion. Bedenklicher noch war es, dass die neue Gesetzgebung weder
+die bestehenden, offenbar ungenuegenden Anstalten zur Eintreibung des
+Hutgeldes und des Zehnten durch wirksamere Zwangsmassregeln ersetzte,
+noch eine durchgreifende Revision des Domanialbesitzes vorschrieb,
+noch eine mit der Ausfuehrung der neuen Gesetze beauftragte
+Behoerde einsetzte. Die Aufteilung des vorhandenen okkupierten
+Domaniallandesteils unter die Inhaber bis zu einem billigen Maximalsatz,
+teils unter die eigentumslosen Plebejer, beiden aber zu vollem Eigentum,
+die Abschaffung des Okkupationssystems fuer die Zukunft und die
+Niedersetzung einer zu sofortiger Aufteilung kuenftiger neuer
+Gebietserwerbungen befugten Behoerde waren durch die Verhaeltnisse so
+deutlich geboten, dass es gewiss nicht Mangel an Einsicht war, wenn
+diese durchgreifenden Massregeln unterblieben. Man kann nicht umhin,
+sich daran zu erinnern, dass die plebejische Aristokratie, also eben ein
+Teil der hinsichtlich der Domanialnutzungen tatsaechlich privilegierten
+Klasse es war, welche die neue Ordnung vorgeschlagen hatte, und dass
+einer ihrer Urheber selbst, Gaius Licinius Stolo, unter den ersten wegen
+Ueberschreitung des Ackermaximum Verurteilten sich befand; und nicht
+umhin, sich die Frage vorzulegen, ob die Gesetzgeber ganz ehrlich
+verfahren und nicht vielmehr der wahrhaft gemeinnuetzigen Loesung der
+leidigen Domanialfrage absichtlich aus dem Wege gegangen sind. Damit
+soll indes nicht in Abrede gestellt werden, dass die Bestimmungen der
+Licinischen Gesetze, wie sie nun waren, dem kleinen Bauern und dem
+Tageloehner wesentlich nuetzen konnten und genuetzt haben. Es muss
+ferner anerkannt werden, dass in der naechsten Zeit nach Erlassung des
+Gesetzes die Behoerden ueber die Maximalsaetze desselben wenigstens
+vergleichungsweise mit Strenge gewacht und die grossen Herdenbesitzer
+und die Domanialokkupanten oftmals zu schweren Bussen verurteilt haben.
+Auch im Steuer- und Kreditwesen wurde in dieser Epoche mit groesserer
+Energie als zu irgendeiner Zeit vor- oder nachher darauf hingearbeitet,
+soweit gesetzliche Massregeln reichten, die Schaeden der Volkswirtschaft
+zu heilen. Die im Jahre 397 (357) verordnete Abgabe von fuenf vom
+Hundert des Wertes der freizulassenden Sklaven war, abgesehen davon,
+dass sie der nicht wuenschenswerten Vermehrung der Freigelassenen
+einen Hemmschuh anlegte, die erste in der Tat auf die Reichen gelegte
+roemische Steuer. Ebenso suchte man dem Kreditwesen aufzuhelfen. Die
+Wuchergesetze, die schon die Zwoelf Tafeln aufgestellt hatten, wurden
+erneuert und allmaehlich geschaerft, sodass das Zinsmaximum sukzessiv
+von zehn (eingeschaerft im Jahre 397 357) auf fuenf vom Hundert (407
+347) fuer das zwoelfmonatliche Jahr ermaessigt und endlich (412 342)
+das Zinsnehmen ganz verboten ward. Das letztere toerichte Gesetz blieb
+formell in Kraft; vollzogen aber ward es natuerlich nicht, sondern
+der spaeter uebliche Zinsfuss von eins vom Hundert fuer den Monat
+oder zwoelf vom Hundert fuer das buergerliche Gemeinjahr, der nach den
+Geldverhaeltnissen des Altertums ungefaehr damals sein mochte, was nach
+den heutigen der Zinsfuss von fuenf oder sechs vom Hundert ist, wird
+wohl schon in dieser Zeit sich als das Maximum der angemessenen Zinsen
+festgestellt haben. Fuer hoehere Betraege wird die Einklagung versagt
+und vielleicht auch die gerichtliche Rueckforderung gestattet worden
+sein; ueberdies wurden notorische Wucherer nicht selten vor das
+Volksgericht gezogen und von den Quartieren bereitwillig zu schweren
+Bussen verurteilt. Wichtiger noch war die Aenderung des Schuldprozesses
+durch das Poetelische Gesetz (428 oder 441 326 oder 313); es ward
+dadurch teils jedem Schuldner, der seine Zahlungsfaehigkeit eidlich
+erhaertete, gestattet, durch Abtretung seines Vermoegens seine
+persoenliche Freiheit sich zu retten, teils das bisherige kurze
+Exekutivverfahren bei der Darlehensschuld abgeschafft und festgestellt,
+dass kein roemischer Buerger anders als auf den Spruch von Geschworenen
+hin in die Knechtschaft abgefuehrt werden koenne. Dass alle diese Mittel
+die bestehenden oekonomischen Missverhaeltnisse wohl hie und da lindern,
+aber nicht beseitigen konnten, leuchtet ein; den fortdauernden Notstand
+zeigt die Niedersetzung einer Bankkommission zur Regulierung der
+Kreditverhaeltnisse und zur Leistung von Vorschuessen aus der
+Staatskasse im Jahre 402 (352), die Anordnung gesetzlicher
+Terminzahlungen im Jahre 407 (347) und vor allen Dingen der gefaehrliche
+Volksaufstand um das Jahr 467 (287), wo das Volk, nachdem es neue
+Erleichterungen in der Schuldzahlung nicht hatte erreichen koennen,
+hinaus auf das Ianiculum zog und erst ein rechtzeitiger Angriff der
+aeusseren Feinde und die in dem Hortensischen Gesetz enthaltenen
+Zugestaendnisse der Gemeinde den Frieden wiedergaben. Indes ist es
+sehr ungerecht, wenn man jenen ernstlichen Versuchen, der Verarmung
+des Mittelstandes zu steuern, ihre Unzulaenglichkeit entgegenhaelt; die
+Anwendung partialer und palliativer Mittel gegen radikale Leiden fuer
+nutzlos zu erklaeren, weil sie nur zum Teil helfen, ist zwar eines der
+Evangelien, das der Einfalt von der Niedertraechtigkeit nie ohne Erfolg
+gepredigt wird, aber darum nicht minder unverstaendig. Eher liesse sich
+umgekehrt fragen, ob nicht die schlechte Demagogie sich damals
+schon dieser Angelegenheit bemaechtigt gehabt und ob es wirklich so
+gewaltsamer und gefaehrlicher Mittel bedurft habe, wie zum Beispiel die
+Kuerzung der gezahlten Zinsen am Kapital ist. Unsere Akten reichen nicht
+aus, um hier ueber Recht und Unrecht zu entscheiden; allein klar genug
+erkennen wir, dass der ansaessige Mittelstand immer noch in einer
+bedrohten und bedenklichen oekonomischen Lage sich befand, dass man von
+oben herab vielfach, aber natuerlich vergeblich sich bemuehte, ihm
+durch Prohibitivgesetze und Moratorien zu helfen, dass aber das
+aristokratische Regiment fortdauernd gegen seine eigenen Glieder zu
+schwach und zu sehr in egoistischen Standesinteressen befangen war, um
+durch das einzige wirksame Mittel, das der Regierung zu Gebote stand,
+durch die voellige und rueckhaltlose Beseitigung des Okkupationssystems
+der Staatslaendereien, dem Mittelstande aufzuhelfen und vor allen Dingen
+die Regierung von dem Vorwurf zu befreien, dass sie die gedrueckte
+Lage der Regierten zu ihrem eigenen Vorteil ausbeute. Eine wirksamere
+Abhilfe, als die Regierung sie gewaehren wollte oder konnte, brachten
+den Mittelklassen die politischen Erfolge der roemischen Gemeinde und
+die allmaehlich sich befestigende Herrschaft der Roemer ueber Italien.
+Die vielen und grossen Kolonien, die zu deren Sicherung gegruendet
+werden mussten und von denen die Hauptmasse im fuenften Jahrhundert
+ausgefuehrt wurde, verschafften dem ackerbauenden Proletariat
+teils eigene Bauernstellen, teils durch den Abfluss auch den
+Zurueckgebliebenen Erleichterung daheim. Die Zunahme der indirekten
+und ausserordentlichen Einnahmen, ueberhaupt die glaenzende Lage der
+roemischen Finanzen fuehrte nur selten noch die Notwendigkeit herbei,
+von der Bauernschaft in Form der gezwungenen Anleihe Kontribution zu
+erheben. War auch der ehemalige Kleinbesitz wahrscheinlich unrettbar
+verloren, so musste der steigende Durchschnittssatz des roemischen
+Wohlstandes die bisherigen groesseren Grundbesitzer in Bauern
+verwandeln und auch insofern dem Mittelstand neue Glieder zufuehren.
+Die Okkupationen der Vornehmen warfen sich vorwiegend auf die grossen
+neugewonnenen Landstriche; die Reichtuemer, die durch den Krieg und
+den Verkehr massenhaft nach Rom stroemten, muessen den Zinsfuss
+herabgedrueckt haben; die steigende Bevoelkerung der Hauptstadt kam
+dem Ackerbauer in ganz Latium zugute; ein weises Inkorporationssystem
+vereinigte eine Anzahl angrenzender, frueher untertaeniger Gemeinden
+mit der roemischen und verstaerkte dadurch namentlich den Mittelstand;
+endlich brachten die herrlichen Siege und die gewaltigen Erfolge die
+Faktionen zum Schweigen, und wenn der Notstand der Bauernschaft auch
+keineswegs beseitigt, noch weniger seine Quellen verstopft wurden,
+so leidet es doch keinen Zweifel, dass am Schlusse dieser Periode der
+roemische Mittelstand im ganzen in einer weit minder gedrueckten Lage
+sich befand als in dem ersten Jahrhundert nach Vertreibung der Koenige.
+Endlich, die buergerliche Gleichheit ward durch die Reform vom Jahre
+387 (367) und deren weitere folgerichtige Entwicklung in gewissem Sinne
+allerdings erreicht oder vielmehr wieder hergestellt. Wie einst, als
+die Patrizier noch in der Tat die Buergerschaft ausmachten, sie
+untereinander an Rechten und Pflichten unbedingt gleichgestanden hatten,
+so gab es jetzt wieder in der erweiterten Buergerschaft dem Gesetze
+gegenueber keinen willkuerlichen Unterschied. Diejenigen Abstufungen
+freilich, welche die Verschiedenheiten in Alter, Einsicht, Bildung
+und Vermoegen in der buergerlichen Gesellschaft mit Notwendigkeit
+hervorrufen, beherrschten natuerlicherweise auch das Gemeindeleben;
+allein der Geist der Buergerschaft und die Politik der Regierung wirkten
+gleichmaessig dahin, diese Scheidung moeglichst wenig hervortreten
+zu lassen. Das ganze roemische Wesen lief darauf hinaus, die Buerger
+durchschnittlich zu tuechtigen Maennern heranzubilden, geniale Naturen
+aber nicht emporkommen zu lassen. Der Bildungsstand der Roemer hielt
+mit der Machtentwicklung ihrer Gemeinde durchaus nicht Schritt und ward
+instinktmaessig von oben herab mehr zurueckgehalten als gefoerdert. Dass
+es Reiche und Arme gab, liess sich nicht verhindern; aber wie in einer
+rechten Bauerngemeinde fuehrte der Bauer wie der Tageloehner selber
+den Pflug und galt auch fuer den Reichen die gut wirtschaftliche Regel,
+gleichmaessig sparsam zu leben und vor allem kein totes Kapital bei
+sich hinzulegen - ausser dem Salzfass und dem Opferschaelchen sah man
+Silbergeraet in dieser Zeit in keinem roemischen Hause. Es war das
+nichts Kleines. Man spuert es an den gewaltigen Erfolgen, welche die
+roemische Gemeinde in dem Jahrhundert vom letzten Veientischen bis auf
+den Pyrrhischen Krieg nach aussen hin errang, dass hier das Junkertum
+der Bauernschaft Platz gemacht hatte, dass der Fall des hochadligen
+Fabiers nicht mehr und nicht weniger von der ganzen Gemeinde betrauert
+worden waere als der Fall des plebejischen Deciers von Plebejern und
+Patriziern betrauert ward, dass auch dem reichsten Junker das Konsulat
+nicht von selber zufiel und ein armer Bauersmann aus der Sabina, Manius
+Curius, den Koenig Pyrrhos in der Feldschlacht ueberwinden und aus
+Italien verjagen konnte, ohne darum aufzuhoeren, einfacher sabinischer
+Stellbesitzer zu sein und sein Brotkorn selber zu bauen. Indes darf es
+ueber dieser imponierenden republikanischen Gleichheit nicht uebersehen
+werden, dass dieselbe zum guten Teil nur formaler Art war und aus
+derselben eine sehr entschieden ausgepraegte Aristokratie nicht so
+sehr hervorging als vielmehr darin von vornherein enthalten war. Schon
+laengst hatten die reichen und angesehenen nichtpatrizischen Familien
+von der Menge sich ausgeschieden und im Mitgenuss der senatorischen
+Rechte, in der Verfolgung einer, von der der Menge unterschiedenen
+und sehr oft ihr entgegenwirkenden Politik sich mit dem Patriziat
+verbuendet. Die Licinischen Gesetze hoben die gesetzlichen Unterschiede
+innerhalb der Aristokratie auf und verwandelten die den gemeinen Mann
+vom Regiment ausschliessende Schranke aus einem unabaenderlichen Rechts-
+in ein nicht unuebersteigliches, aber doch schwer zu uebersteigendes
+tatsaechliches Hindernis. Auf dem einen wie dem anderen Wege kam
+frisches Blut in den roemischen Herrenstand; aber an sich blieb nach
+wie vor das Regiment aristokratisch und auch in dieser Hinsicht die
+roemische eine rechte Bauerngemeinde, in welcher der reiche Vollhufener
+zwar aeusserlich von dem armen Insten sich wenig unterscheidet und
+auf gleich und gleich mit ihm verkehrt, aber nichtsdestoweniger die
+Aristokratie so allmaechtig regiert, dass der Unbemittelte weit eher
+in der Stadt Buergermeister als in seinem Dorfe Schulze wird. Es war
+wichtig und segensreich, dass nach der neuen Gesetzgebung auch der
+aermste Buerger das hoechste Gemeindeamt bekleiden durfte; aber darum
+war es nichtsdestoweniger nicht bloss eine seltene Ausnahme, dass
+ein Mann aus den unteren Schichten der Bevoelkerung dazu gelangte
+^4, sondern es war wenigstens gegen den Schluss dieser Periode
+wahrscheinlich schon nur moeglich mittels einer Oppositionswahl.
+Jedem aristokratischen Regiment tritt von selber eine entsprechende
+Oppositionspartei gegenueber; und da auch die formelle Gleichstellung
+der Staende die Aristokratie nur modifizierte und der neue Herrenstand
+das alte Patriziat nicht bloss beerbte, sondern sich auf denselben
+pfropfte und aufs innigste mit ihm zusammenwuchs, so blieb auch die
+Opposition bestehen und tat in allen und jeden Stuecken das gleiche.
+Da die Zuruecksetzung jetzt nicht mehr die Buergerlichen, sondern den
+gemeinen Mann traf, so trat die neue Opposition von vornherein auf als
+Vertreterin der geringen Leute und namentlich der kleinen Bauern; und
+wie die neue Aristokratie sich an das Patriziat anschloss, so schlangen
+sich die ersten Regungen dieser neuen Opposition mit den letzten
+Kaempfen gegen die Patrizierprivilegien zusammen. Die ersten Namen
+in der Reihe dieser neuen roemischen Volksfuehrer sind Manius Curius
+(Konsul 464, 479, 480, 290 275, 274; Zensor 481 273) und Gaius Fabricius
+(Konsul 472, 476, 481, 282, 278, 273; Zensor 479 275), beide ahnenlose
+und nichtwohlhabende Maenner, beide - gegen das aristokratische Prinzip,
+die Wiederwahl zu dem hoechsten Gemeindeamt zu beschraenken - jeder
+dreimal durch die Stimmen der Buergerschaft an die Spitze der Gemeinde
+gerufen, beide als Tribune, Konsuln und Zensoren Gegner der patrizischen
+Privilegien und Vertreter des kleinen Bauernstandes gegen die
+aufkeimende Hoffart der vornehmen Haeuser. Die kuenftigen Parteien
+zeichnen schon sich vor; aber noch schweigt auf beiden Seiten vor dem
+Interesse des Gemeinwohls das der Partei. Der adlige Appius Claudius und
+der Bauer Manius Curius, dazu noch heftige persoenliche Gegner,
+haben durch klugen Rat und kraeftige Tat den Koenig Pyrrhos gemeinsam
+ueberwunden; und wenn Gaius Fabricius den aristokratisch gesinnten und
+aristokratisch lebenden Publius Cornelius Rufinus als Zensor deswegen
+bestrafte, so hielt ihn dies nicht ab, demselben seiner anerkannten
+Feldherrntuechtigkeit wegen zum zweiten Konsulat zu verhelfen. Der Riss
+war wohl schon da; aber noch reichten die Gegner sich ueber ihm die
+Haende. ------------------------------------------- ^4 Die Armut der
+Konsulare dieser Epoche, welche in den moralischen Anekdotenbuechern
+der spaeteren Zeit eine grosse Rolle spielt, beruht grossenteils auf
+Missverstaendnis teils des alten sparsamen Wirtschaftens, welches sich
+recht gut mit ansehnlichem Wohlstand vertraegt, teils der alten
+schoenen Sitte, verdiente Maenner aus dem Ertrag von Pfennigkollekten
+zu bestatten, was durchaus keine Armenbeerdigung ist. Auch die
+autoschediastische Beinamenerklaerung, die so viel Plattheiten in die
+roemische Geschichte gebracht hat, hat hierzu ihren Beitrag geliefert
+(Serranus). ------------------------------------------ Die Beendigung
+der Kaempfe zwischen Alt- und Neubuergern, die verschiedenartigen und
+verhaeltnismaessig erfolgreichen Versuche, dem Mittelstande aufzuhelfen,
+die inmitten der neugewonnenen buergerlichen Gleichheit bereits
+hervortretenden Anfaenge der Bildung einer neuen aristokratischen und
+einer neuen demokratischen Partei sind also dargestellt worden. Es
+bleibt noch uebrig zu schildern, wie unter diesen Veraenderungen
+das neue Regiment sich konstituierte, und wie nach der politischen
+Beseitigung der Adelschaft die drei Elemente des republikanischen
+Gemeinwesens, Buergerschaft, Magistratur und Senat, gegeneinander sich
+stellten. Die Buergerschaft in ihren ordentlichen Versammlungen blieb
+nach wie vor die hoechste Autoritaet im Gemeinwesen und der legale
+Souveraen; nur wurde gesetzlich festgestellt, dass, abgesehen von den
+ein fuer allemal den Zenturien ueberwiesenen Entscheidungen, namentlich
+den Wahlen der Konsuln und Zensoren, die Abstimmung nach Distrikten
+ebenso gueltig sein solle wie die nach Zenturien, was fuer die
+patrizisch-plebejische Versammlung das Valerisch-Horatische Gesetz von
+305 (449) einfuehrte und das Publilische von 415 (339) erweiterte, fuer
+die plebejische Sonderversammlung aber das Hortensische um 467 (287)
+verordnete. Dass im ganzen dieselben Individuen in beiden Versammlungen
+stimmberechtigt waren, ist schon hervorgehoben worden, aber auch,
+dass, abgesehen von dem Ausschluss der Patrizier von der plebejischen
+Sonderversammlung, auch in der allgemeinen Distriktsversammlung
+alle Stimmberechtigten durchgaengig sich gleichstanden, in den
+Zenturiatkomitien aber die Wirksamkeit des Stimmrechts nach dem
+Vermoegen des Stimmenden sich abstufte, also insofern allerdings die
+erstere eine nivellierende und demokratische Neuerung war. Von weit
+groesserer Bedeutung war es, dass gegen das Ende dieser Periode die
+uralte Bedingung des Stimmrechts, die Ansaessigkeit, zum erstenmal in
+Frage gestellt zu werden anfing. Appius Claudius, der kuehnste Neuerer,
+den die roemische Geschichte kennt, legte in seiner Zensur 442 (312),
+ohne den Senat oder das Volk zu fragen, die Buergerliste so an, dass der
+nicht grundsaessige Mann in die ihm beliebige Tribus und alsdann nach
+seinem Vermoegen in die entsprechende Zenturie aufgenommen ward. Allein
+diese Aenderung griff zu sehr dem Geiste der Zeit vor, um vollstaendig
+Bestand zu haben. Einer der naechsten Nachfolger des Appius, der
+beruehmte Besieger der Samniten, Quintus Fabius Rullianus, uebernahm es
+in seiner Zensur 450 (304) sie zwar nicht ganz zu beseitigen, aber
+doch in solche Grenzen einzuschliessen, dass den Grundsaessigen und
+Vermoegenden effektiv die Herrschaft in den Buergerversammlungen
+blieb. Es wies die nicht grundsaessigen Leute saemtlich in die vier
+staedtischen Tribus, die jetzt aus den ersten im Range die letzten
+wurden. Die Landquartiere dagegen, deren Zahl zwischen den Jahren 367
+(241) und 513 (387) allmaehlich von siebzehn bis auf einunddreissig
+stieg, also die von Haus aus bei weitem ueberwiegende und immer mehr
+das Uebergewicht erhaltende Majoritaet der Stimmabteilungen, wurden
+den saemtlichen ansaessigen Buergern gesetzlich vorbehalten. In
+den Zenturien blieb es bei der Gleichstellung der ansaessigen und
+nichtansaessigen Buerger, wie Appius sie eingefuehrt hatte. Auf diese
+Weise ward dafuer gesorgt, dass in den Tributkomitien die Ansaessigen
+ueberwogen, waehrend fuer die Zenturiatkomitien an sich schon die
+Vermoegenden den Ausschlag gaben. Durch diese weise und gemaessigte
+Festsetzung eines Mannes, der seiner Kriegstaten wegen wie mehr noch
+wegen dieser seiner Friedenstat mit Recht den Beinamen des Grossen
+(Maximus) erhielt, ward einerseits die Wehrpflicht wie billig auch
+auf die nicht ansaessigen Buerger erstreckt, anderseits dafuer Sorge
+getragen, dass in der Distriktversammlung ihrem Einfluss, insbesondere
+dem der meistenteils des Grundbesitzes entbehrenden gewesenen Sklaven,
+derjenige Riegel vorgeschoben ward, welcher in einem Staat, der
+Sklaverei zulaesst, ein leider unerlaessliches Beduerfnis ist. Ein
+eigentuemliches Sittengericht, das allmaehlich an die Schatzung und die
+Aufnahme der Buergerliste sich anknuepfte, schloss ueberdies aus der
+Buergerschaft alle notorisch unwuerdigen Individuen aus und wahrte dem
+Buergertum die sittliche und politische Reinheit. Die Kompetenz der
+Komitien zeigt die Tendenz, sich mehr und mehr, aber sehr allmaehlich
+zu erweitern. Schon die Vermehrung der vom Volk zu waehlenden Magistrate
+gehoert gewissermassen hierher; bezeichnend ist es besonders, dass seit
+392 (362) die Kriegstribune einer Legion, seit 443 (311) je vier in
+jeder der vier ersten Legionen, nicht mehr vom Feldherrn, sondern von
+der Buergerschaft ernannt wurden. In die Administration griff waehrend
+dieser Periode die Buergerschaft im ganzen nicht ein; nur das Recht der
+Kriegserklaerung wurde von ihr, wie billig, mit Nachdruck festgehalten
+und namentlich auch fuer den Fall festgestellt, wo ein an Friedens
+Statt abgeschlossener laengerer Waffenstillstand ablief und zwar nicht
+rechtlich, aber tatsaechlich ein neuer Krieg begann (327 427). Sonst
+ward eine Verwaltungsfrage fast nur dann dem Volke vorgelegt, wenn
+die regierenden Behoerden unter sich in Kollision gerieten und eine
+derselben die Sache an das Volk brachte - so, als den Fuehrern der
+gemaessigten Partei unter dem Adel, Lucius Valerius und Marcus Horatius,
+im Jahre 305 (449) und dem ersten plebejischen Diktator Gaius Marcus
+Rutilus im Jahre 398 (356) vom Senat die verdienten Triumphe nicht
+zugestanden wurden; als die Konsuln des Jahres 459 (295) ueber ihre
+gegenseitige Kompetenz nicht untereinander sich einigen konnten; und als
+der Senat im Jahre 364 (390) die Auslieferung eines pflichtvergessenen
+Gesandten an die Gallier beschloss und ein Konsulartribun deswegen
+an die Gemeinde sich wandte - es war dies der erste Fall, wo ein
+Senatsbeschluss vom Volke kassiert ward, und schwer hat ihn die Gemeinde
+gebuesst. Zuweilen gab auch die Regierung in schwierigen Fragen dem Volk
+die Entscheidung anheim: so zuerst, als Caere, nachdem ihm das Volk den
+Krieg erklaert hatte, ehe dieser wirklich begann, um Frieden bat (401
+353); und spaeter, als der Senat den demuetig von den Samniten erbetenen
+Frieden ohne weiteres abzuschlagen Bedenken trug (436 318). Erst gegen
+das Ende dieser Periode finden wir ein bedeutend erweitertes Eingreifen
+der Distriktversammlung auch in Verwaltungsangelegenheiten, namentlich
+Befragung derselben bei Friedensschluessen und Buendnissen; es ist
+wahrscheinlich, dass diese zurueckgeht auf das Hortensische Gesetz
+von 467 (287). Indes trotz dieser Erweiterungen der Kompetenz der
+Buergerversammlungen begann der praktische Einfluss derselben auf die
+Staatsangelegenheiten vielmehr, namentlich gegen das Ende dieser Epoche,
+zu schwinden. Vor allem die Ausdehnung der roemischen Grenzen entzog
+der Urversammlung ihren richtigen Boden. Als Versammlung der
+Gemeindesaessigen konnte sie frueher recht wohl in genuegender
+Vollzaehligkeit sich zusammenfinden und recht wohl missen, was sie
+wollte, auch ohne zu diskutieren; aber die roemische Buergerschaft war
+jetzt schon weniger Gemeinde als Staat. Dass die zusammen Wohnenden auch
+miteinander stimmten, brachte allerdings in die roemischen Komitien,
+wenigstens, wenn nach Quartieren gestimmt ward, einen gewissen
+inneren Zusammenhang und in die Abstimmung hier und da Energie und
+Selbstaendigkeit; in der Regel aber waren doch die Komitien in ihrer
+Zusammensetzung wie in ihrer Entscheidung teils von der Persoenlichkeit
+des Vorsitzenden und vom Zufall abhaengig, teils den in der Hauptstadt
+domizilierten Buergern in die Haende gegeben. Es ist daher vollkommen
+erklaerlich, dass die. Buergerversammlungen, die in den beiden ersten
+Jahrhunderten. der Republik eine grosse und praktische Wichtigkeit
+haben, allmaehlich beginnen, ein reines Werkzeug in der Hand des
+vorsitzenden Beamten zu werden; freilich ein sehr gefaehrliches, da der
+zum Vorsitz berufenen Beamten so viele waren und jeder Beschluss der
+Gemeinde galt als der legale Ausdruck des Volkswillens in letzter
+Instanz. An der Erweiterung aber der verfassungsmaessigen Rechte der
+Buergerschaft war insofern nicht viel gelegen, als diese weniger als
+frueher eines eigenen Wollens und Handelns faehig war, und als es eine
+eigentliche Demagogie in Rom noch nicht gab - haette eine solche
+damals bestanden, so wuerde sie versucht haben, nicht die Kompetenz
+der Buergerschaft zu erweitern, sondern die politische Debatte vor der
+Buergerschaft zu entfesseln, waehrend es doch bei den alten Satzungen,
+dass nur der Magistrat die Buerger zur Versammlung zu berufen und dass
+er jede Debatte und jede Amendementsstellung auszuschliessen befugt sei,
+unveraendert sein Bewenden hatte. Zur Zeit machte sich diese beginnende
+Zerruettung der Verfassung hauptsaechlich nur insofern geltend, als die
+Urversammlungen sich wesentlich passiv verhielten und im ganzen in das
+Regiment weder foerdernd noch stoerend eingriffen. Was die Beamtengewalt
+anlangt, so war deren Schmaelerung nicht gerade das Ziel der zwischen
+Alt- und Neubuergern gefuehrten Kaempfe, wohl aber eine ihrer
+wichtigsten Folgen. Bei dem Beginn der staendischen Kaempfe, das heisst
+des Streites um den Besitz der konsularischen Gewalt, war das Konsulat
+noch die einige und unteilbare wesentliche koenigliche Amtsgewalt
+gewesen und hatte der Konsul wie ehemals der Koenig noch alle
+Unterbeamten nach eigener freier Wahl bestellt; an Ende desselben waren
+die wichtigsten Befugnisse: Gerichtsbarkeit, Strassenpolizei, Senatoren-
+und Ritterwahl, Schatzung und Kassenverwaltung von dem Konsulat getrennt
+und an Beamte uebergegangen, die gleich dem Konsul von der Gemeinde
+ernannt wurden und weit mehr neben als unter ihm standen. Das Konsulat,
+sonst das einzige ordentliche Gemeindeamt, war jetzt nicht mehr
+einmal unbedingt das erste: in der neu sich feststellenden Rang- und
+gewoehnlichen Reihenfolge der Gemeindeaemter stand das Konsulat
+zwar ueber Praetur, Aedilitaet und Quaestur, aber unter dem
+Einschaetzungsamt, an das ausser den wichtigsten finanziellen
+Geschaeften die Feststellung der Buerger-, Ritter- und Senatorenliste
+und damit eine durchaus willkuerliche sittliche Kontrolle ueber die
+gesamte Gemeinde und jeden einzelnen, geringsten wie vornehmsten Buerger
+gekommen war. Der dem urspruenglichen roemischen Staatsrecht mit dem
+Begriff des Oberamts unvereinbar erscheinende Begriff der begrenzten
+Beamtengewalt oder der Kompetenz brach allmaehlich sich Bahn und
+zerfetzte und zerstoerte den aelteren des einen und unteilbaren
+Imperium. Einen Anfang dazu machte schon die Einsetzung der staendigen
+Nebenaemter, namentlich der Quaestur; vollstaendig durchgefuehrt
+ward sie durch die Licinischen Gesetze (387 367), welche von den drei
+hoechsten Beamten der Gemeinde die ersten beiden fuer Verwaltung und
+Kriegfuehrung, den dritten fuer die Gerichtsleitung bestimmten. Aber man
+blieb hierbei nicht stehen. Die Konsuln, obwohl sie rechtlich durchaus
+und ueberall konkurrierten, teilten doch natuerlich seit aeltester Zeit
+tatsaechlich die verschiedenen Geschaeftskreise (provinciae) unter sich.
+Urspruenglich war dies lediglich durch freie Vereinbarung oder in deren
+Ermangelung durch Losung geschehen; allmaehlich aber griffen die
+anderen konstitutiven Gewalten im Gemeinwesen in diese faktischen
+Kompetenzbestimmungen ein. Es ward ueblich, dass der Senat Jahr fuer
+Jahr die Geschaeftskreise abgrenzte und sie zwar nicht geradezu unter
+die konkurrierenden Beamten verteilte, aber doch durch Ratschlag und
+Bitte auch auf die Personenfragen entscheidend einwirkte. Aeussersten
+Falls erlangte der Senat auch wohl einen Gemeindebeschluss, der die
+Kompetenzfrage definitiv entschied; doch hat die Regierung diesen
+bedenklichen Ausweg nur sehr selten angewandt. Ferner wurden die
+wichtigsten Angelegenheiten, wie zum Beispiel die Friedensschluesse,
+den Konsuln entzogen und dieselben genoetigt, hierbei an den Senat
+zu rekurrieren und nach dessen Instruktion zu verfahren. Fuer den
+aeussersten Fall endlich konnte der Senat jederzeit die Konsuln vom
+Amt suspendieren, indem nach einer nie rechtlich festgestellten und nie
+tatsaechlich verletzten Uebung der Eintritt der Diktatur lediglich von
+dem Beschluss des Senats abhing und die Bestimmung der zu ernennenden
+Person, obwohl verfassungsmaessig bei dem ernennenden Konsul, doch der
+Sache nach in der Regel bei dem Senat stand. Laenger als in dem Konsulat
+blieb in der Diktatur die alte Einheit und Rechtsfuelle des Imperium
+enthalten; obwohl sie natuerlich als ausserordentliche Magistratur
+der Sache nach von Haus aus eine Spezialkompetenz hatte, gab es doch
+rechtlich eine solche fuer den Diktator noch weit weniger als fuer den
+Konsul. Indes auch sie ergriff allmaehlich der neu in das roemische
+Rechtsleben eintretende Kompetenzbegriff. Zuerst 391 (363) begegnet
+ein aus theologischem Skrupel ausdruecklich bloss zur Vollziehung einer
+religioesen Zeremonie ernannter Diktator; und wenn dieser selbst noch,
+ohne Zweifel formell verfassungsmaessig, die ihm gesetzte Kompetenz
+als nichtig behandelte und ihr zum Trotz den Heerbefehl uebernahm, so
+wiederholte bei den spaeteren, gleichartig beschraenkten Ernennungen,
+die zuerst 403 (351) und seitdem sehr haeufig begegnen, diese Opposition
+der Magistratur sich nicht, sondern auch die Diktatoren erachteten
+fortan durch ihre Spezialkompetenzen sich gebunden. Endlich lagen in
+dem 412 (342) erlassenen Verbot der Kumulierung ordentlicher kurulischer
+Aemter und in der gleichzeitigen Vorschrift, dass derselbe Mann dasselbe
+Amt in der Regel nicht vor Ablauf einer zehnjaehrigen Zwischenzeit
+solle verwalten koennen, sowie in der spaeteren Bestimmung, dass das
+tatsaechlich hoechste Amt, die Zensur, ueberhaupt nicht zum zweitenmal
+bekleidet werden duerfe (489 265), weitere sehr empfindliche
+Beschraenkungen der Magistratur. Doch war die Regierung noch stark
+genug, um ihre Werkzeuge nicht zu fuerchten und darum eben die
+brauchbarsten absichtlich ungenutzt zu lassen; tapfere Offiziere wurden
+sehr haeufig von jenen Vorschriften entbunden ^5, und es kamen noch
+Faelle vor, wie der des Quintus Fabius Rullianus, der in achtundzwanzig
+Jahren fuenfmal Konsul war, und des Marcus Valerius Corvus (384-
+483 370-271), welcher, nachdem er sechs Konsulate, das erste im
+dreiundzwanzigsten, das letzte im zweiundsiebzigsten Jahre, verwaltet
+und drei Menschenalter hindurch der Hort der Landsleute und der
+Schrecken der Feinde gewesen war, hundertjaehrig zur Grube fuhr.
+------------------------------------------------- ^5 Wer die
+Konsularverzeichnisse vor und nach 412 (342) vergleicht, wird an der
+Existenz des oben erwaehnten Gesetzes ueber die Wiederwahl zum Konsulat
+nicht zweifeln; denn so gewoehnlich vor diesem Jahr die Wiederbekleidung
+des Amtes besonders nach drei bis vier Jahren ist, so haeufig sind
+nachher die Zwischenraeume von zehn Jahren und darueber. Doch finden
+sich, namentlich waehrend der schweren Kriegsjahre 434-443 (320-311),
+Ausnahmen in sehr grosser Zahl. Streng hielt man dagegen an der
+Unzulaessigkeit der Aemterkumulierung. Es findet sich kein sicheres
+Beispiel der Verbindung zweier der drei ordentlichen kurulischen (Liv.
+39, 39, 4) Aemter (Konsulat, Praetur, kurulische Aedilitaet), wohl aber
+von anderen Kumulierungen, zum Beispiel der kurulischen Aedilitaet
+und des Reiterfuehreramts (Liv. 23 24, 30); der Praetur und der Zensur
+(Fast. Capitol. a 501); der Praetur und der Diktatur (Liv. 8, 12);
+des Konsulats und der Diktatur (Liv. 8, 12).
+------------------------------------------------- Waehrend also der
+roemische Beamte immer vollstaendiger und immer bestimmter aus
+dem unbeschraenkten Herrn in den gebundenen Auftragnehmer und
+Geschaeftsfuehrer der Gemeinde sich umwandelte, unterlag die alte
+Gegenmagistratur, das Volkstribunat, gleichzeitig einer gleichartigen
+mehr innerlichen als aeusserlichen Umgestaltung. Dasselbe diente im
+Gemeinwesen zu einem doppelten Zweck. Es war von Haus aus bestimmt
+gewesen, den Geringen und Schwachen. durch eine gewissermassen
+revolutionaere Hilfsleistung (auxilium) gegen den gewalttaetigen
+Uebermut der Beamten zu schuetzen; es war spaeterhin gebraucht worden,
+um die rechtliche Zuruecksetzung der Buergerlichen und die Privilegien
+des Geschlechtsadels zu beseitigen. Letzteres war erreicht. Der
+urspruengliche Zweck war nicht bloss an sich mehr ein demokratisches
+Ideal als eine politische Moeglichkeit, sondern auch der plebejischen
+Aristokratie, in deren Haenden das Tribunat sich befinden musste
+und befand, vollkommen ebenso verhasst und mit der neuen, aus der
+Ausgleichung der Staende hervorgegangenen, womoeglich noch entschiedener
+als die bisherige aristokratisch gefaerbten, Gemeindeordnung vollkommen
+ebenso unvertraeglich, wie es dem Geschlechtsadel verhasst und mit der
+patrizischen Konsularverfassung unvertraeglich gewesen war. Aber anstatt
+das Tribunat abzuschaffen, zog man vor, es aus einem Ruestzeug der
+Opposition in ein Regierungsorgan umzuschaffen und zog die Volkstribune,
+die von Haus aus von aller Teilnahme an der Verwaltung ausgeschlossen
+und weder Beamte noch Mitglieder des Senats waren, jetzt hinein in den
+Kreis der regierenden Behoerden. Wenn sie in der Gerichtsbarkeit von
+Anfang an den Konsuln gleichstanden und schon in den ersten Stadien
+der staendischen Kaempfe gleich diesen die legislatorische Initiative
+erwarben, so empfingen sie jetzt auch, wir wissen nicht genau wann,
+aber vermutlich bei oder bald nach der schliesslichen Ausgleichung der
+Staende, gleiche Stellung mit den Konsuln gegenueber der tatsaechlich
+regierenden Behoerde, dem Senate. Bisher hatten sie, auf einer Bank an
+der Tuer sitzend, der Senatsverhandlung beigewohnt, jetzt erhielten sie
+gleich und neben den uebrigen Beamten ihren Platz im Senate selbst und
+das Recht, bei der Verhandlung das Wort zu ergreifen; wenn ihnen das
+Stimmrecht versagt blieb, so war dies nur eine Anwendung des allgemeinen
+Grundsatzes des roemischen Staatsrechts, dass den Rat nur gab, wer zur
+Tat nicht berufen war und also saemtlichen funktionierenden Beamten
+waehrend ihres Amtsjahrs nur Sitz, nicht Stimme im Gemeinderat zukam.
+Aber es blieb hierbei nicht. Die Tribune empfingen das unterscheidende
+Vorrecht der hoechsten Magistratur, das sonst von den ordentlichen
+Beamten nur den Konsuln und Praetoren zustand: das Recht, den Senat zu
+versammeln, zu befragen und einen Beschluss desselben zu bewirken ^6. Es
+war das nur in der Ordnung: die Haeupter der plebejischen Aristokratie
+mussten denen der patrizischen im Senate gleichgestellt werden, seit das
+Regiment von dem Gesellschaftsadel uebergegangen war auf die vereinigte
+Aristokratie. Indem dieses urspruenglich von aller Teilnahme an der
+Staatsverwaltung ausgeschlossene Oppositionskollegium jetzt, namentlich
+fuer die eigentlich staedtischen Angelegenheiten, eine zweite hoechste
+Exekutivstelle ward und eines der gewoehnlichsten und brauchbarsten
+Organe der Regierung, dass heisst des Senats, um die Buergerschaft zu
+lenken und vor allem um Ausschreitungen der Beamten zu hemmen, wurde es
+allerdings seinem urspruenglichen Wesen nach absorbiert und
+politisch vernichtet; indes war dieses Verfahren in der Tat durch
+die Notwendigkeit geboten. Wie klar auch die Maengel der roemischen
+Aristokratie zutage liegen und wie entschieden das stetige Wachsen
+der aristokratischen Uebermacht mit der tatsaechlichen Beseitigung des
+Tribunats zusammenhaengt, so kann doch nicht verkannt werden, dass auf
+die Laenge sich nicht mit einer Behoerde regieren liess, welche
+nicht bloss zwecklos war und fast auf die Hinhaltung des leidenden
+Proletariats durch truegerische Hilfsvorspiegelung berechnet, sondern
+zugleich entschieden revolutionaer und im Besitz einer eigentlich
+anarchischen Befugnis der Hemmung der Beamten-, ja der Staatsgewalt
+selbst. Aber der Glaube an das Ideale, in dem alle Macht wie alle
+Ohnmacht der Demokratie begruendet ist, hatte in den Gemuetern der
+Roemer aufs engste an das Gemeindetribunat sich geheftet, und man
+braucht nicht erst an Cola Rienzi zu erinnern, um einzusehen, dass
+dasselbe, wie wesenlos immer der daraus fuer die Menge entspringende
+Vorteil war, ohne eine furchtbare Staatsumwaelzung nicht beseitigt
+werden konnte. Darum begnuegte man sich mit echt buergerlicher
+Staatsklugheit, in den moeglichst wenig in die Augen fallenden Formen
+die Sache zu vernichten. Der blosse Name dieser ihrem innersten
+Kern nach revolutionaeren Magistratur blieb immer noch innerhalb des
+aristokratisch regierten Gemeinwesens gegenwaertig ein Widerspruch und
+fuer die Zukunft, in den Haenden einer dereinstigen Umsturzpartei, eine
+schneidende und gefaehrliche Waffe; indes fuer jetzt und noch auf lange
+hinaus war die Aristokratie so unbedingt maechtig und so vollstaendig
+im Besitz des Tribunats, dass von einer kollegialischen Opposition der
+Tribune gegen den Senat schlechterdings keine Spur sich findet und die
+Regierung der etwa vorkommenden verlorenen oppositionellen Regungen
+einzelner solcher Beamten immer ohne Muehe und in der Regel durch
+das Tribunat selbst Herr ward.
+------------------------------------------------- ^6 Daher werden die
+fuer den Senat bestimmten Depeschen adressiert an Konsuln,
+Praetoren, Volkstribune und Senat (Cic. ad fam. 15, 2 und sonst).
+------------------------------------------------- In der Tat war es
+der Senat, der die Gemeinde regierte, und fast ohne Widerstand seit der
+Ausgleichung der Staende. Seine Zusammensetzung selbst war eine andere
+geworden. Das freie Schalten der Oberbeamten, wie es nach Beseitigung
+der alten Geschlechtervertretung in dieser Hinsicht stattgefunden
+hatte, hatte schon mit der Abschaffung der lebenslaenglichen
+Gemeindevorstandschaft sehr wesentliche Beschraenkungen erfahren. Ein
+weiterer Schritt zur Emanzipation des Senats von der Beamtengewalt
+erfolgte durch den Uebergang der Feststellung dieser Listen von den
+hoechsten Gemeindebeamten auf eine Unterbehoerde, von den Konsuln auf
+die Zensoren. Allerdings wurde, sei es gleich damals oder bald nachher,
+auch das Recht des mit der Anfertigung der Liste beauftragten Beamten,
+einzelne Senatoren wegen eines ihnen anhaftenden Makels aus derselben
+wegzulassen und somit aus dem Senat auszuschliessen, wo nicht
+eingefuehrt, doch wenigstens schaerfer formuliert ^7 und somit jenes
+eigentuemliche Sittengericht begruendet, auf dem das hohe Ansehen der
+Zensoren vornehmlich beruht. Allein derartige Ruegen konnten, da zumal
+beide Zensoren darueber einig sein mussten, wohl dazu dienen, einzelne
+der Versammlung nicht zur Ehre gereichende oder dem in ihr herrschenden
+Geist feindliche Persoenlichkeiten zu entfernen, nicht aber sie
+selbst in Abhaengigkeit von der Magistratur versetzen.
+------------------------------------------------- ^7 Diese Befugnis
+sowie die aehnlichen hinsichtlich der Ritter- und der Buergerliste waren
+wohl nicht foermlich und gesetzlich den Zensoren beigelegt, lagen aber
+tatsaechlich von jeher in ihrer Kompetenz. Das Buergerrecht vergibt
+die Gemeinde, nicht der Zensor aber wem dieser in dem Verzeichnis
+der Stimmberechtigten keine oder eine schlechtere Stelle anweist, der
+verliert das Buergerrecht nicht, kann aber die buergerlichen Befugnisse
+nicht oder nur an dem geringeren Platz ausueben bis zur Anfertigung
+einer neuen Liste. Ebenso verhaelt es sich mit dem Senat: wen der Zensor
+in seiner Liste auslaesst, der scheidet aus demselben, solange die
+betreffende Liste gueltig bleibt - es kommt vor, dass der vorsitzende
+Beamte sie verwirft und die aeltere Liste wieder in Kraft setzt.
+Offenbar kam also in dieser Hinsicht es nicht so sehr darauf an, was
+den Zensoren gesetzlich freistand, sondern was bei denjenigen Beamten,
+welche nach ihren Listen zu laden hatten, ihre Autoritaet vermochte.
+Daher begreift man, wie diese Befugnis allmaehlich stieg und wie mit
+der steigenden Konsolidierung der Nobilitaet dergleichen Streichungen
+gleichsam die Form richterlicher Entscheidungen annahmen und gleichsam
+als solche respektiert wurden. Hinsichtlich der Feststellung der
+Senatsliste hat freilich auch ohne Zweifel die Bestimmung des Ovinischen
+Plebiszits wesentlich mitgewirkt, dass die Zensoren "aus
+allen Rangklassen die Besten" in den Senat nehmen sollten.
+---------------------------------------------- Entscheidend aber
+beschraenkte das Ovinische Gesetz, welches etwa um die Mitte dieser
+Periode, wahrscheinlich bald nach den Licinischen Gesetzen durchgegangen
+ist, das Recht der Beamten, den Senat nach ihrem Ermessen zu
+konstituieren, indem es demjenigen, der kurulischer Aedil, Praetor oder
+Konsul gewesen war, sofort vorlaeufig Sitz und Stimme im Senat verlieh
+und die naechst eintretenden Zensoren verpflichtete, diese Expektanten
+entweder foermlich in die Senatorenliste einzuzeichnen oder doch nur aus
+denjenigen Gruenden, welche auch zur Ausstossung des wirklichen Senators
+genuegten, von der Liste auszuschliessen. Freilich reichte die Zahl
+dieser gewesenen Magistrate bei weitem nicht aus, um den Senat auf der
+normalen Zahl von dreihundert zu halten; und unter dieselbe durfte man,
+besonders da die Senatoren- zugleich Geschworenenliste war, ihn nicht
+herabgehen lassen. So blieb dem zensorischen Wahlrecht immer noch ein
+bedeutender Spielraum; indes nahmen diese, nicht durch die Bekleidung
+eines Amtes, sondern durch die zensorische Wahl erkiesten Senatoren
+- haeufig diejenigen Buerger, die ein nicht kurulisches Gemeindeamt
+verwaltet oder durch persoenliche Tapferkeit sich hervorgetan, einen
+Feind im Gefecht getoetet oder einem Buerger das Leben gerettet hatten
+- zwar an der Abstimmung, aber nicht an der Debatte teil. Der Kern des
+Senats und derjenige Teil desselben, in dem Regierung und Verwaltung
+sich konzentriert, ruhte also nach dem Ovinischen Gesetz im wesentlichen
+nicht mehr auf der Willkuer eines Beamten, sondern mittelbar auf der
+Wahl durch das Volk; und die roemische Gemeinde war auf diesem Wege
+zwar nicht zu der grossen Institution der Neuzeit, dem repraesentativen
+Volksregimente, aber wohl dieser Institution nahe gekommen, waehrend
+die Gesamtheit der nicht debattierenden Senatoren gewaehrte, was bei
+regierenden Kollegien so notwendig wie schwierig herzustellen ist, eine
+kompakte Masse urteilsfaehiger und urteilsberechtiger, aber schweigender
+Mitglieder. Die Kompetenz des Senats wurde formell kaum veraendert. Der
+Senat huetete sich wohl, durch unpopulaere Verfassungsaenderungen
+oder offenbare Verfassungsverletzungen der Opposition und der Ambition
+Handhaben darzubieten; er liess es sogar geschehen, wenn er es auch
+nicht foerderte, dass die Buergerschaftskompetenz im demokratischen
+Sinne ausgedehnt ward. Aber wenn die Buergerschaft den Schein, so erwarb
+der Senat das Wesen der Macht: einen bestimmenden Einfluss auf die
+Gesetzgebung und die Beamtenwahlen und das gesamte Gemeinderegiment.
+Jeder neue Gesetzvorschlag ward zunaechst im Senat vorberaten, und kaum
+wagte es je ein Beamter, ohne oder wider das Gutachten des Senats einen
+Antrag an die Gemeinde zu stellen; geschah es dennoch, so hatte der
+Senat durch die Beamteninterzession und die priesterliche Kassation eine
+lange Reihe von Mitteln in der Hand, um jeden unbequemen Antrag im Keime
+zu ersticken oder nachtraeglich zu beseitigen; und im aeussersten Fall
+hatte er als oberste Verwaltungsbehoerde mit der Ausfuehrung auch die
+Nichtausfuehrung der Gemeindebeschluesse in der Hand. Es nahm der Senat
+ferner unter stillschweigender Zustimmung der Gemeinde das Recht in
+Anspruch, in dringenden Faellen unter Vorbehalt der Ratifikation durch
+Buergerschaftsbeschluss, von den Gesetzen zu entbinden - ein Vorbehalt,
+der von Haus aus nicht viel bedeutete und allmaehlich so vollstaendig
+zur Formalitaet ward, dass man in spaeterer Zeit sich nicht einmal mehr
+die Muehe gab, den ratifizierenden Gemeindebeschluss zu beantragen. Was
+die Wahlen anlangt, so gingen sie, soweit sie den Beamten zustanden und
+von politischer Wichtigkeit waren, tatsaechlich ueber auf den Senat;
+auf diesem Wege erwarb derselbe, wie schon gesagt ward, das Recht, den
+Diktator zu bestellen. Groessere Ruecksicht masste allerdings auf die
+Gemeinde genommen werden: es konnte ihr das Recht nicht entzogen werden,
+die Gemeindeaemter zu vergeben; doch ward, wie gleichfalls schon bemerkt
+wurde, sorgfaeltig darueber gewacht, dass diese Beamtenwahl nicht
+etwa in die Vergebung bestimmter Kompetenzen, namentlich nicht der
+Oberfeldherrnstellen in bevorstehenden Kriegen, uebergehe. Ueberdies
+brachte teils der neu eingefuehrte Kompetenzbegriff, teils das dem Senat
+tatsaechlich zugestandene Recht, von den Gesetzen zu entbinden, einen
+wichtigen Teil der Aemterbesetzung in die Haende des Senats. Von dem
+Einfluss, den der Senat auf die Feststellung der Geschaeftskreise
+namentlich der Konsuln ausuebte, ist schon die Rede gewesen. Von dem
+Dispensationsrecht war eine der wichtigsten Anwendungen die Entbindung
+des Beamten von der gesetzlichen Befristung seines Amtes, welche zwar,
+als den Grundgesetzen der Gemeinde zuwider, nach roemischen Staatsrecht
+in dem eigentlichen Stadtbezirk nicht vorkommen durfte, aber ausserhalb
+desselben wenigstens insoweit galt, als der Konsul und Praetor, dem die
+Frist verlaengert war, nach Ablauf derselben fortfuhr, "an Konsul" oder
+"Praetor Statt" (pro consule, pro praetore) zu fungieren. Natuerlich
+stand dies wichtige, dem Ernennungsrecht wesentlich gleichstehende
+Recht der Fristerstreckung gesetzlich allein der Gemeinde zu und ward
+anfaenglich auch faktisch von ihr gehandhabt; aber doch wurde schon 447
+(307) und seitdem regelmaessig den Oberfeldherren das Kommando durch
+blossen Senatsbeschluss verlaengert. Dazu kam endlich der uebermaechtige
+und klug vereinigte Einfluss der Aristokratie auf die Wahlen, welcher
+dieselben nicht immer, aber in der Regel auf die der Regierung genehmen
+Kandidaten lenkte. Was schliesslich die Verwaltung anlangt, so hing
+Krieg, Frieden und Buendnis, Kolonialgruendung, Ackerassignation,
+Bauwesen, ueberhaupt jede Angelegenheit von dauernder und
+durchgreifender Wichtigkeit, und namentlich das gesamte Finanzwesen
+lediglich ab von dem Senat. Er war es, der Jahr fuer Jahr den Beamten in
+der Feststellung ihrer Geschaeftskreise und in der Limitierung der einem
+jeden zur Verfuegung zu stellenden Truppen und Gelder die allgemeine
+Instruktion gab, und an ihn ward von allen Seiten in allen wichtigen
+Faellen rekurriert: keinem Beamten, mit Ausnahme des Konsuls, und keinem
+Privaten durften die Vorsteher der Staatskasse Zahlung anders leisten
+als nach vorgaengigem Senatsbeschluss. Nur in die Besorgung der
+laufenden Angelegenheiten und in die richterliche und militaerische
+Spezialverwaltung mischte das hoechste Regierungskollegium sich
+nicht ein; es war zu viel politischer Sinn und Takt in der roemischen
+Aristokratie, um die Leitung des Gemeinwesens in eine Bevormundung
+des einzelnen Beamten und das Werkzeug in eine Maschine verwandeln
+zu wollen. Dass dies neue Regiment des Senats bei aller Schonung der
+bestehenden Formen eine vollstaendige Umwaelzung des alten Gemeinwesens
+in sich schloss, leuchtet ein; dass die freie Taetigkeit
+der Buergerschaft stockte und erstarrte und die Beamten zu
+Sitzungspraesidenten und ausfuehrenden Kommissarien herabsanken,
+dass ein durchaus nur beratendes Kollegium die Erbschaft beider
+verfassungsmaessiger Gewalten tat und, wenn auch in den bescheidensten
+Formen, die Zentralregierung der Gemeinde ward, war revolutionaer und
+usurpatorisch. Indes wenn jede Revolution und jede Usurpation durch
+die ausschliessliche Faehigkeit zum Regimente vor dem Richterstuhl der
+Geschichte gerechtfertigt erscheint, so muss auch ihr strenges Urteil
+es anerkennen, dass diese Koerperschaft ihre grosse Aufgabe zeitig
+begriffen und wuerdig erfuellt hat. Berufen nicht durch den eitlen
+Zufall der Geburt, sondern wesentlich durch die freie Wahl der Nation;
+bestaetigt von vier zu vier Jahren durch das strenge Sittengericht der
+wuerdigsten Maenner; auf Lebenszeit im Amte und nicht abhaengig von dem
+Ablauf des Mandats oder von der schwankenden Meinung des Volkes; in sich
+einig und geschlossen seit der Ausgleichung der Staende; alles in
+sich schliessend, was das Volk besass von politischer Intelligenz und
+praktischer Staatskunde; unumschraenkt verfuegend in allen finanziellen
+Fragen und in der Leitung der auswaertigen Politik; die Exekutive
+vollkommen beherrschend durch deren kurze Dauer und durch die dem
+Senat nach der Beseitigung des staendischen Haders dienstbar gewordene
+tribunizische Interzession, war der roemische Senat der edelste Ausdruck
+der Nation und in Konsequenz und Staatsklugheit, in Einigkeit und
+Vaterlandsliebe, in Machtfuelle und sicherem Mut die erste politische
+Koerperschaft aller Zeiten - auch jetzt noch "eine Versammlung von
+Koenigen", die es verstand, mit republikanischer Hingebung despotische
+Energie zu verbinden. Nie ist ein Staat nach aussen fester und wuerdiger
+vertreten worden als Rom in seiner guten Zeit durch seinen Senat. In
+der inneren Verwaltung ist es allerdings nicht zu verkennen, dass die
+im Senat vorzugsweise vertretene Geld- und Grundaristokratie in den ihre
+Sonderinteressen betreffenden Angelegenheiten parteiisch verfuhr und
+dass die Klugheit und die Energie der Koerperschaft hier haeufig von ihr
+nicht zum Heil des Staates gebraucht worden sind. Indes der grosse, in
+schweren Kaempfen festgestellte Grundsatz, dass jeder roemische Buerger
+gleich vor dem Gesetz sei in Rechten und Pflichten, und die daraus sich
+ergebende Eroeffnung der politischen Laufbahn, das heisst des
+Eintritts in den Senat fuer jedermann, erhielten neben dem Glanz der
+militaerischen und politischen Erfolge die staatliche und nationale
+Eintracht und nahmen dem Unterschied der Staende jene Erbitterung und
+Gehaessigkeit, die den Kampf der Patrizier und Plebejer bezeichnen; und
+da die glueckliche Wendung der aeusseren Politik es mit sich brachte,
+dass laenger als ein Jahrhundert die Reichen Spielraum fuer sich fanden,
+ohne den Mittelstand unterdruecken zu muessen, so hat das roemische Volk
+in seinem Senat laengere Zeit, als es einem Volke verstattet zu sein
+pflegt, das grossartigste aller Menschenwerke durchzufuehren vermocht,
+eine weise und glueckliche Selbstregierung. 4. Kapitel Sturz der
+etruskischen Macht Die Kelten Nachdem die Entwicklung der roemischen
+Verfassung waehrend der zwei ersten Jahrhunderte der Republik
+dargestellt ist, ruft uns die aeussere Geschichte Roms und Italiens
+wieder zurueck in den Anfang dieser Epoche. Um diese Zeit, als die
+Tarquinier aus Rom vertrieben wurden, stand die etruskische Macht auf
+ihrem Hoehepunkt. Die Herrschaft auf der Tyrrhenischen See besassen
+unbestritten die Tusker und die mit ihnen eng verbuendeten Karthager.
+Wenn auch Massalia unter steten und schweren Kaempfen sich behauptete,
+so waren dagegen die Haefen Kampaniens und der volskischen Landschaft
+und seit der Schlacht von Alalia auch Korsika im Besitz der Etrusker. In
+Sardinien gruendeten durch die vollstaendige Eroberung der Insel (um 260
+500) die Soehne des karthagischen Feldherrn Mago die Groesse zugleich
+ihres Hauses und ihrer Stadt, und in Sizilien behaupteten die Phoeniker
+waehrend der inneren Fehden der hellenischen Kolonien ohne wesentliche
+Anfechtung den Besitz der Westhaelfte. Nicht minder beherrschten die
+Schiffe der Etrusker das Adriatische Meer, und selbst in den oestlichen
+Gewaessern waren ihre Kaper gefuerchtet. Auch zu Lande schien ihre Macht
+im Steigen. Den Besitz der latinischen Landschaft zu gewinnen, war fuer
+Etrurien, das von den volskischen in seiner Klientel stehenden Staedten
+und von seinen kampanischen Besitzungen allein durch die Latiner
+geschieden war, von der entscheidendsten Wichtigkeit. Bisher hatte das
+feste Bollwerk der roemischen Macht Latium ausreichend beschirmt und die
+Tibergrenze mit Erfolg gegen Etrurien behauptet. Allein als der gesamte
+tuskische Bund, die Verwirrung und die Schwaeche des roemischen Staats
+nach der Vertreibung der Tarquinier benutzend, jetzt unter dem Koenig
+Lars Porsena von Clusium seinen Angriff maechtiger als zuvor erneuerte,
+fand er nicht ferner den gewohnten Widerstand; Rom kapitulierte und trat
+im Frieden (angeblich 247 507) nicht bloss alle Besitzungen am rechten
+Tiberufer an die naechstliegenden tuskischen Gemeinden ab und gab also
+die ausschliessliche Herrschaft ueber den Strom auf, sondern lieferte
+auch dem Sieger seine saemtlichen Waffen aus und gelobte, fortan des
+Eisens nur zur Pflugschar sich zu bedienen. Es schien, als sei die
+Einigung Italiens unter tuskischer Suprematie nicht mehr fern. Allein
+die Unterjochung, womit die Koalition der etruskischen und karthagischen
+Nation die Griechen wie die Italiker bedroht, ward gluecklich abgewendet
+durch das Zusammenhalten der durch Stammverwandtschaft wie durch die
+gemeinsame Gefahr aufeinander angewiesenen Voelker. Zunaechst fand das
+etruskische Heer, das nach Roms Fall in Latium eingedrungen war, vor den
+Mauern von Aricia die Grenze seiner Siegesbahn durch die rechtzeitige
+Hilfe der den Aricinern zur Hilfe herbeigeeilten Kymaeer (248 506). Wir
+wissen nicht, wie der Krieg endigte, und namentlich nicht, ob Rom schon
+damals den verderblichen und schimpflichen Frieden zerriss; gewiss ist
+nur, dass die Tusker auch diesmal auf dem linken Tiberufer sich dauernd
+zu behaupten nicht vermochten. Bald ward die hellenische Nation zu einem
+noch umfassenderen und noch entscheidenderen Kampf gegen die
+Barbaren des Westens wie des Ostens genoetigt. Es war um die Zeit der
+Perserkriege. Die Stellung der Tyrier zu dem Grosskoenig fuehrte auch
+Karthago in die Bahnen der persischen Politik - wie denn selbst ein
+Buendnis zwischen den Karthagern und Xerxes glaubwuerdig ueberliefert
+ist - und mit den Karthagern die Etrusker. Es war eine der
+grossartigsten politischen Kombinationen, die gleichzeitig die
+asiatischen Scharen auf Griechenland, die phoenikischen auf Sizilien
+warf, um mit einem Schlag die Freiheit und die Zivilisation vom
+Angesicht der Erde zu vertilgen. Der Sieg blieb den Hellenen. Die
+Schlacht bei Salamis (274 der Stadt 480) rettete und raechte das
+eigentliche Hellas; und an demselben Tag - so wird erzaehlt - besiegten
+die Herren von Syrakus und Akragas, Gelon und Theron, das ungeheure
+Heer des karthagischen Feldherrn Hamilkar, Magos Sohn, bei Himera so
+vollstaendig, dass der Krieg damit zu Ende war und die Phoeniker, die
+damals noch keineswegs den Plan verfolgten, ganz Sizilien fuer eigene
+Rechnung sich zu unterwerfen, zurueckkehrten zu ihrer bisherigen
+defensiven Politik. Noch sind von den grossen Silberstuecken erhalten,
+welche aus dem Schmuck der Gemahlin Gelons, Damareta, und anderer
+edler Syrakusanerinnen fuer diesen Feldzug geschlagen wurden, und die
+spaeteste Zeit gedachte dankbar des milden und tapferen Koenigs von
+Syrakus und des herrlichen, von Simonides gefeierten Sieges. Die
+naechste Folge der Demuetigung Karthagos war der Sturz der Seeherrschaft
+ihrer etruskischen Verbuendeten. Schon Anaxilas, der Herr von Rhegion
+und Zankte, hatte ihren Kapern die sizilische Meerenge durch eine
+stehende Flotte gesperrt (um 272 482); einen entscheidenden Sieg
+erfochten bald darauf die Kymaeer und Hieron von Syrakus bei Kyme (280
+474) ueber die tyrrhenische Flotte, der die Karthager vergeblich Hilfe
+zu bringen versuchten. Das ist der Sieg, welchen Pindaros in der ersten
+pythischen Ode feiert, und noch ist der Etruskerhelm vorhanden, den
+Hieron nach Olympia sandte mit der Aufschrift: "Hiaron des Deinomenes
+Sohn und die Syrakosier dem Zeus Tyrrhanisches von Kyma" ^1.
+----------------------------------------------- ^1 Fiaron o
+Diomeneos kai toi Syrakosioi toi Di' T?ran' apo K?mas.
+----------------------------------------------- Waehrend diese
+ungemeinen Erfolge gegen Karthager und Etrusker Syrakus an die Spitze
+der sizilischen Griechenstaedte brachten, erhob unter den italischen
+Hellenen, nachdem um die Zeit der Vertreibung der Koenige aus Rom (243
+511) das achaeische Sybaris untergegangen war, das dorische Tarent
+sich unbestritten zu der ersten Stelle; die furchtbare Niederlage der
+Tarentiner durch die Iapyger (280 474), die schwerste, die bis dahin
+ein Griechenheer erlitten hatte, entfesselte nur, aehnlich wie der
+Persersturm in Hellas, die ganze Gewalt des Volksgeistes in energisch
+demokratischer Entwicklung. Von jetzt an spielen nicht mehr die
+Karthager und die Etrusker die erste Rolle in den italischen Gewaessern,
+sondern im Adriatischen und Ionischen Meer die Tarentiner, im
+Tyrrhenischen die Massalioten und die Syrakusaner, und namentlich die
+letzteren beschraenkten mehr und mehr das etruskische Korsarenwesen.
+Schon Hieron hatte nach dem Siege bei Kyme die Insel Aenaria (Ischia)
+besetzt und damit die Verbindung zwischen den kampanischen und den
+noerdlichen Etruskern unterbrochen. Um das Jahr 302 (452) wurde von
+Syrakus, um der tuskischen Piraterie gruendlich zu steuern, eine eigene
+Expedition ausgesandt, die die Insel Korsika und die etruskische Kueste
+verheerte und die Insel Aethalia (Elba) besetzte. Ward man auch nicht
+voellig Herr ueber die etruskisch-karthagischen Piraten - wie denn
+das Kaperwesen zum Beispiel in Antium bis in den Anfang des fuenften
+Jahrhunderts der Stadt fortgedauert zu haben scheint -, so war doch das
+maechtige Syrakus ein starkes Bollwerk gegen die verbuendeten Tusker
+und Phoeniker. Einen Augenblick freilich schien es, als muesse die
+syrakusische Macht gebrochen werden durch die Athener, deren Seezug
+gegen Syrakus im Lauf des Peloponnesischen Krieges (339-341 415-413)
+die Etrusker, die alten Handelsfreunde Athens, mit drei Fuenfzigruderern
+unterstuetzten. Allein der Sieg blieb, wie bekannt, im Westen wie
+im Osten den Dorern. Nach dem schmaehlichen Scheitern der attischen
+Expedition ward Syrakus so unbestritten die erste griechische Seemacht,
+dass die Maenner, die dort an der Spitze des Staates standen, die
+Herrschaft ueber Sizilien und Unteritalien und ueber beide Meere
+Italiens ins Auge fassten; wogegen anderseits die Karthager, die ihre
+Herrschaft in Sizilien jetzt ernstlich bedroht sahen, auch auf ihrer
+Seite die Ueberwaeltigung der Syrakusaner und die Unterwerfung der
+ganzen Insel zum Ziel ihrer Politik nehmen mussten und nahmen. Der
+Verfall der sizilischen Mittelstaaten, die Steigerung der karthagischen
+Macht auf der Insel, die zunaechst aus diesen Kaempfen hervorgingen,
+koennen hier nicht erzaehlt werden; was Etrurien anlangt, so fuehrte
+gegen dies der neue Herr von Syrakus, Dionysios (reg. 348-387 406-367),
+die empfindlichsten Schlaege. Der weitstrebende Koenig gruendete
+seine neue Kolonialmacht vor allem in dem italischen Ostmeer, dessen
+noerdlichere Gewaesser jetzt zum erstenmal einer griechischen Seemacht
+untertan wurden. Um das Jahr 367 (387) besetzte und kolonisierte
+Dionysios an der illyrischen Kueste den Hafen Lissos und die Insel
+Issa, an der italischen die Landungsplaetze Ankon, Numana und Atria; das
+Andenken an die syrakusanische Herrschaft in dieser entlegenen Gegend
+bewahrten nicht bloss die "Graeben des Philistos", ein ohne Zweifel
+von dem bekannten Geschichtschreiber und Freunde des Dionysios, der die
+Jahre seiner Verbannung (368 386f.) in Atria verlebte, angelegter
+Kanal an der Pomuendung; auch die veraenderte Benennung des italischen
+Ostmeers selbst, wofuer seitdem anstatt der aelteren Benennung des
+Ionischen Busens die heute noch gangbare des "Meeres von Hadria"
+vorkommt, geht wahrscheinlich auf diese Ereignisse zurueck ^2.
+Aber nicht zufrieden mit diesen Angriffen auf die Besitzungen und
+Handelsverbindungen der Etrusker im Ostmeer, griff Dionysios durch die
+Erstuermung und Pluenderung der reichen caeritischen Hafenstadt Pygri
+(369 385 die etruskische Macht in ihrem innersten Kern an. Sie hat denn
+auch sich nicht wieder erholt. Als nach Dionysios' Tode die inneren
+Unruhen in Syrakus den Karthagern freiere Bahn machten und deren Flotte
+wieder im Tyrrhenischen Meer das Uebergewicht bekam, das sie seitdem mit
+kurzen Unterbrechungen behauptete, lastete dieses nicht minder schwer
+auf den Etruskern wie auf den Griechen; so dass sogar, als im Jahre 444
+(310) Agathokles von Syrakus zum Krieg mit Karthago ruestete, achtzehn
+tuskische Kriegsschiffe zu ihm stiessen. Die Etrusker mochten fuer
+Korsika fuerchten, das sie wahrscheinlich damals noch behaupteten; die
+alte tuskisch-phoenikische Symmachie, die noch zu Aristoteles' Zeit
+(370-432 384-322) bestand, ward damit gesprengt, aber die Schwaeche
+der Etrusker zur See nicht wieder aufgehoben.
+------------------------------------------------------- ^2 Hekataeos (+
+nach 257 497, Rom) und noch Herodot (270 bis nach 345 484- 409) kennen
+den Hatrias nur als das Podelta und das dasselbe bespuelende Meer (K.
+O. Mueller, Die Etrusker. Breslau 1828. Bd. 1, S. 140; GGM 1, p. 23).
+In weiterer Bedeutung findet sich die Benennung des Hadriatischen
+Meeres zuerst bei dem sogenannten Skylax um 418 der Stadt (336).
+-------------------------------------------------------- Dieser rasche
+Zusammensturz der etruskischen Seemacht wuerde unerklaerlich sein, wenn
+nicht gegen die Etrusker zu eben der Zeit, wo die sizilischen Griechen
+sie zur See angriffen, auch zu Lande von allen Seiten her die schwersten
+Schlaege gefallen waeren. Um die Zeit der Schlachten von Salamis, Himera
+und Kyme ward, dem Berichte der roemischen Annalen zufolge, zwischen
+Rom und Veii ein vieljaehriger und heftiger Krieg gefuehrt (271-280
+483-474). Die Roemer erlitten in demselben schwere Niederlagen; im
+Andenken geblieben ist die Katastrophe der Fabier (277 477), die infolge
+der inneren Krisen sich freiwillig aus der Hauptstadt verbannt und die
+Verteidigung der Grenze gegen Etrurien uebernommen hatten, hier aber
+am Bache Cremera bis auf den letzten waffenfaehigen Mann niedergehauen
+wurden. Allein der Waffenstillstand auf 400 Monate, der anstatt Friedens
+den Krieg beendigte, fiel fuer die Roemer insofern guenstig aus, als er
+wenigstens den Status quo der Koenigszeit wiederherstellte; die Etrusker
+verzichteten auf Fidenae und den am rechten Tiberufer
+gewonnenen Distrikt. Es ist nicht auszumachen, inwieweit dieser
+roemisch-etruskische Krieg mit dem hellenisch-persischen und dem
+sizilisch-karthagischen in unmittelbaren Zusammenhange stand; aber
+moegen die Roemer die Verbuendeten der Sieger von Salamis und von Himera
+gewesen sein oder nicht, die Interessen wie die Folgen trafen jedenfalls
+zusammen. Wie die Latiner warfen auch die Samniten sich auf die
+Etrusker; und kaum war deren kampanische Niederlassung durch die Folgen
+des Treffens bei Kyme vom Mutterlande abgeschnitten worden, als sie
+auch schon nicht mehr imstande war, den Angriffen der sabellischen
+Bergvoelker zu widerstehen. Die Hauptstadt Capua fiel 330 (424) und
+die tuskische Bevoelkerung ward hier bald nach der Eroberung von den
+Samniten ausgerottet oder verjagt. Freilich hatten auch die kampanischen
+Griechen, vereinzelt und geschwaecht, unter derselben Invasion schwer
+zu leiden; Kyme selbst ward 334 (420) von den Sabellern erobert. Dennoch
+behaupteten die Griechen sich namentlich in Neapolis, vielleicht mit
+Hilfe der Syrakusaner, waehrend der etruskische Name in Kampanien aus
+der Geschichte verschwindet; kaum dass einzelne etruskische Gemeinden
+eine kuemmerliche und verlorene Existenz sich dort fristeten. Aber noch
+folgenreichere Ereignisse traten um dieselbe Zeit im noerdlichen Italien
+ein. Eine neue Nation pochte an die Pforten der Alpen: es waren die
+Kelten; und ihr erster Andrang traf die Etrusker. Die keltische, auch
+galatische oder gallische Nation hat von der gemeinschaftlichen Mutter
+eine andere Ausstattung empfangen als die italische, die germanische und
+die hellenische Schwester. Es fehlt ihr bei manchen tuechtigen und
+noch mehr glaenzenden Eigenschaften die tiefe sittliche und staatliche
+Anlage, auf welche alles Gute und Grosse in der menschlichen Entwicklung
+sich gruendet. Es galt, sagt Cicero, als schimpflich fuer den freien
+Kelten, das Feld mit eigenen Haenden zu bestellen. Dem Ackerbau zogen
+sie das Hirtenleben vor und trieben selbst in den fruchtbaren Poebenen
+vorzugsweise die Schweinezucht, von dem Fleisch ihrer Herden sich
+naehrend und in den Eichenwaeldern mit ihnen Tag und Nacht verweilend.
+Die Anhaenglichkeit an die eigene Scholle, wie sie den Italikern und den
+Germanen eigen ist, fehlt bei den Kelten; wogegen sie es lieben, in den
+Staedten und Flecken zusammen zu siedeln und diese bei ihnen frueher,
+wie es scheint, als in Italien Ausdehnung und Bedeutung gewonnen haben.
+Ihre buergerliche Verfassung ist unvollkommen; nicht bloss wird die
+nationale Einheit nur durch ein schwaches Band vertreten, was ja in
+gleicher Weise von allen Nationen anfaenglich gilt, sondern es mangelt
+auch in den einzelnen Gemeinden an Eintracht und festem Regiment, an
+ernstem Buergersinn und folgerechtem Streben. Die einzige Ordnung, der
+sie sich schicken, ist die militaerische, in der die Bande der Disziplin
+dem einzelnen die schwere Muehe abnehmen, sich selber zu bezwingen.
+"Die hervorstehenden Eigenschaften der keltischen Rasse", sagt ihr
+Geschichtschreiber Thierry, "sind die persoenliche Tapferkeit, in der
+sie es allen Voelkern zuvortun; ein freier, stuermischer, jedem Eindruck
+zugaenglicher Sinn; viel Intelligenz, aber daneben die aeusserste
+Beweglichkeit, Mangel an Ausdauer, Widerstreben gegen Zucht und Ordnung,
+Prahlsucht und ewige Zwietracht, die Folge der grenzenlosen Eitelkeit."
+Kuerzer sagt ungefaehr dasselbe der alte Cato: "auf zwei Dinge geben
+die Kelten viel: auf das Fechten und auf den Esprit" ^3. Solche
+Eigenschaften guter Soldaten und schlechter Buerger erklaeren die
+geschichtliche Tatsache, dass die Kelten alle Staaten erschuettert und
+keinen gegruendet haben. Ueberall finden wir sie bereit zu wandern, das
+heisst zu marschieren; dem Grundstueck die bewegliche Habe vorziehend,
+allem anderen aber das Gold; das Waffenwerk betreibend als geordnetes
+Raubwesen oder gar als Handwerk um Lohn und allerdings mit solchem
+Erfolge, dass selbst der roemische Geschichtschreiber Sallustius im
+Waffenwerk den Kelten den Preis vor den Roemern zugesteht. Es sind die
+rechten Lanzknechte des Altertums, wie die Bilder und Beschreibungen sie
+uns darstellen: grosse, nicht sehnige Koerper, mit zottigem Haupthaar
+und langem Schnauzbart - recht im Gegensatz zu Griechen und Roemern, die
+das Haupt und die Oberlippe schoren -, in bunten gestickten Gewaendern,
+die beim Kampf nicht selten abgeworfen wurden, mit dem breiten Goldring
+um den Hals, unbehelmt und ohne Wurfwaffen jeder Art, aber dafuer mit
+ungeheurem Schild nebst dem langen schlechtgestaehlten Schwert, dem
+Dolch und der Lanze, alle diese Waffen mit Gold geziert, wie sie denn
+die Metalle nicht ungeschickt zu bearbeiten verstanden. Zum Renommieren
+dient alles, selbst die Wunde, die oft nachtraeglich erweitert wird, um
+mit der breiteren Schmarre zu prunken. Gewoehnlich fechten sie zu
+Fuss, einzelne Schwaerme aber auch zu Pferde, wo dann jedem Freien zwei
+gleichfalls berittene Knappen folgen; Streitwagen finden sich frueh wie
+bei den Libyern und den Hellenen in aeltester Zeit. Mancher Zug erinnert
+an das Ritterwesen des Mittelalters; am meisten die den Roemern und
+Griechen fremde Sitte des Zweikampfes. Nicht bloss im Kriege pflegten
+sie den einzelnen Feind, nachdem sie ihn zuvor mit Worten und Gebaerden
+verhoehnt hatten, zum Kampfe zu fordern; auch im Frieden fochten sie
+gegeneinander in glaenzender Ruestung auf Leben und Tod. Dass die
+Zechgelage hernach nicht fehlten, versteht sich. So fuehrten sie unter
+eigener oder fremder Fahne ein unstetes Soldatenleben, das sie von
+Irland und Spanien bis nach Kleinasien zerstreute unter steten Kaempfen
+und sogenannten Heldentaten; aber was sie auch begannen, es zerrann wie
+der Schnee im Fruehling, und nirgends ist ein grosser Staat,
+nirgends eine eigene Kultur von ihnen geschaffen worden.
+------------------------------------------------------- ^3 Pleraque
+Gallia duas res industriosissime persequitur: rem militarem et
+argute loqui. (Cato or. frg. 2, 2).
+------------------------------------------------------- So schildern uns
+die Alten diese Nation; ueber ihre Herkunft laesst sich nur mutmassen.
+Demselben Schoss entsprungen, aus dem auch die hellenischen, italischen
+und germanischen Voelkerschaften hervorgingen, sind die Kelten
+ohne Zweifel gleich diesen aus dem oestlichen Mutterland in Europa
+eingerueckt, wo sie in fruehester Zeit das Westmeer erreichten und in
+dem heutigen Frankreich ihre Hauptsitze begruendeten ^4, gegen Norden
+hin uebersiedelnd auf die britannischen Inseln, gegen Sueden die
+Pyrenaeen ueberschreitend und mit den iberischen Voelkerschaften um den
+Besitz der Halbinsel ringend. An den Alpen indes stroemte ihre erste
+grosse Wanderung vorbei und erst von den westlichen Laendern aus
+begannen sie in kleineren Massen und in entgegengesetzter Richtung jene
+Zuege, die sie ueber die Alpen und den Haemus, ja ueber den Bosporus
+fuehrten und durch die sie der Schrecken der saemtlichen zivilisierten
+Nationen des Altertums geworden und durch manche Jahrhunderte geblieben
+sind, bis Caesars Siege und die von Augustus geordnete
+Grenzverteidigung ihre Macht fuer immer brachen.
+-------------------------------------------------------- ^4
+Neuerdings ist von kundigen Sprachforschern behauptet worden, dass die
+Verwandtschaft der Kelten und der Italiker naeher sei, als selbst die
+der letzteren und der Hellenen, das heisst, dass derjenige Ast des
+grossen Baumes, von dem die west- und suedeuropaeischen Voelkerschaften
+indogermanischen Stammes entsprungen sind, zunaechst sich in Griechen
+und Italokelten und betraechtlich spaeter die letzteren sich wieder
+in Italiker und Kelten gespalten haetten. Geographisch ist diese
+Aufstellung sehr annehmbar, und auch die geschichtlich vorliegenden
+Tatsachen lassen sich vielleicht damit ebenfalls in Einklang bringen
+da, was bisher als graecoitalische Zivilisation angesehen worden ist,
+fueglich graecokeltoitalisch gewesen sein kann - wissen wir doch ueber
+die aelteste keltische Kulturstufe in der Tat nichts. Die sprachliche
+Untersuchung scheint indes noch nicht so weit gediehen zu sein, dass
+ihre Ergebnisse in die aelteste Voelkergeschichte eingereiht werden
+duerften. ------------------------------------------------------- Die
+einheimische Wandersage, die hauptsaechlich Livius uns erhalten hat,
+berichtet von diesen spaeteren ruecklaeufigen Zuegen folgendermassen
+^5. Die gallische Eidgenossenschaft, an deren Spitze damals wie noch zu
+Caesars Zeit der Gau der Biturigen (um Bourges) stand, habe unter dem
+Koenig Ambiatus zwei grosse Heeresschwaerme entsendet, gefuehrt von den
+beiden Neffen des Koenigs, und es sei der eine derselben, Sigovesus,
+ueber den Rhein in der Richtung auf den Schwarzwald zu vorgedrungen, der
+zweite, Bellovesus, ueber die Graischen Alpen (den Kleinen St.
+Bernhard) in das Potal hinabgestiegen. Von jenem stamme die gallische
+Niederlassung an der mittleren Donau, von diesem die aelteste keltische
+Ansiedlung in der heutigen Lombardei, der Gau der Insubrer mit dem
+Hauptort Mediolanum (Mailand). Bald sei ein zweiter Schwarm gefolgt,
+der den Gau der Cenomaner mit den Staedten Brixia (Brescia) und Verona
+begruendet habe. Unaufhoerlich stroemte es fortan ueber die Alpen in
+das schoene ebene Land; die keltischen Staemme samt den von ihnen
+aufgetriebenen und fortgerissenen ligurischen entrissen den Etruskern
+einen Platz nach dem andern, bis das ganze linke Poufer in ihren Haenden
+war. Nach dem Fall der reichen etruskischen Stadt Melpum (vermutlich
+in der Gegend von Mailand), zu deren Bezwingung sich die schon im Potal
+ansaessigen Kelten mit neugekommenen Staemmen vereinigt hatten (358?
+396), gingen diese letzteren hinueber auf das rechte Ufer des Flusses
+und begannen die Umbrer und Etrusker in ihren uralten Sitzen zu
+bedraengen. Es waren dies vornehmlich die angeblich auf einer anderen
+Strasse, ueber den Poeninischen Berg (Grossen St. Bernhard) in Italien
+eingedrungenen Boier; sie siedelten sich an in der heutigen Romagna, wo
+die alte Etruskerstadt Felsina, von den neuen Herren Bononia umgenannt,
+ihre Hauptstadt wurde. Endlich kamen die Senonen, der letzte groessere
+Keltenstamm, der ueber die Alpen gelangt ist; er nahm seine Sitze an
+der Kueste des Adriatischen Meeres von Rimini bis Ancona. Aber einzelne
+Haufen keltischer Ansiedler muessen sogar bis tief nach Umbrien hinein,
+ja bis an die Grenze des eigentlichen Etrurien vorgedrungen sein; denn
+noch bei Todi am oberen Tiber haben sich Steinschriften in keltischer
+Sprache gefunden. Enger und enger zogen sich nach Norden und Osten
+hin die Grenzen Etruriens zusammen, und um die Mitte des vierten
+Jahrhunderts sah die tuskische Nation sich schon wesentlich auf
+dasjenige Gebiet beschraenkt, das seitdem ihren Namen getragen hat und
+heute noch traegt. ------------------------------------------- ^5 Die
+Sage ueberliefern Livius (5, 34) und Iustin (24, 4) und auch Caesar
+(Gall. 6, 24) hat sie im Sinn gehabt. Die Verknuepfung indes der
+Wanderung des Bellovesus mit der Gruendung von Massalia, wodurch jene
+chronologisch auf die Mitte des zweiten Jahrhunderts der Stadt bestimmt
+wird, gehoert unzweifelhaft nicht der einheimischen, natuerlich
+zeitlosen Sage an, sondern der spaeteren chronologisierenden Forschung
+und verdient keinen Glauben. Einzelne Einfaelle und Einwanderungen
+moegen sehr frueh stattgefunden haben; aber das gewaltige Umsichgreifen
+der Kelten in Norditalien kann nicht vor die Zeit des Sinkens der
+etruskischen Macht, das heisst nicht vor die zweite Haelfte des dritten
+Jahrhunderts der Stadt gesetzt werden. Ebenso ist, nach der einsichtigen
+Ausfuehrung von Wickham und Cramer, nicht daran zu zweifeln, dass der
+Zug des Bellovesus wie der des Hannibal nicht ueber die Kottischen Alpen
+(Mont Genevre) und durch das Gebiet der Tauriner, sondern ueber die
+Graischen (den Kleinen St. Bernhard) und durch das der Salasser ging;
+den Namen des Berges gibt Livius wohl nicht nach der Sage, sondern
+nach seiner Vermutung an. Ob die italischen Boier aufgrund einer echten
+Sagenreminiszenz oder nur aufgrund eines angenommenen Zusammenhangs mit
+den noerdlich von der Donau wohnhaften Boiern durch den oestlichen Pass
+der Poeninischen Alpen gefuehrt werden, muss dahingestellt bleiben.
+------------------------------------------------- Unter diesen, wie auf
+Verabredung gemeinschaftlichen Angriffen der verschiedensten Voelker,
+der Syrakusaner, Latiner, Samniten und vor allem der Kelten brach die
+eben noch so gewaltig und so ploetzlich in Latium und Kampanien und
+auf beiden italischen Meeren um sich greifende etruskische Nation
+noch gewaltsamer und noch ploetzlicher zusammen. Der Verlust der
+Seeherrschaft, die Bewaeltigung der kampanischen Etrusker gehoert
+derselben Epoche an, wo die Insubrer und Cenomaner am Po sich
+niederliessen; und eben um diese Zeit ging auch die durch Porsena
+wenige Jahrzehnte zuvor aufs tiefste gedemuetigte und fast geknechtete
+roemische Buergerschaft zuerst angreifend gegen Etrurien vor. Im
+Waffenstillstand mit Veii von 280 (474) hatte sie das Verlorene
+wiedergewonnen und im wesentlichen den Zustand wiederhergestellt, wie er
+zu der Zeit der Koenige zwischen beiden Nationen bestanden hatte. Als
+er im Jahre 309 (445) ablief, begann zwar die Fehde aufs neue; aber
+es waren Grenzgefechte und Beutezuege, die fuer beide Teile ohne
+wesentliches Resultat verliefen. Etrurien stand noch zu maechtig da, als
+dass Rom einen ernstlichen Angriff haette unternehmen koennen. Erst
+der Abfall der Fidenaten, die die roemische Besatzung vertrieben, die
+Gesandten ermordeten und sich dem Koenig der Veienter, Lars Tolumnius,
+unterwarfen, veranlasste einen bedeutenderen Krieg, welcher gluecklich
+fuer die Roemer ablief: der Koenig Tolumnius fiel im Gefecht von der
+Hand des roemischen Konsuls Aulus Cornelius Cossus (326? 428), Fidenae
+ward genommen und 329 (425) ein neuer Stillstandsvertrag auf 200 Monate
+abgeschlossen. Waehrend desselben steigerte sich Etruriens Bedraengnis
+mehr und mehr und naeherten sich die keltischen Waffen schon den
+bisher noch verschonten Ansiedlungen am rechten Ufer des Po. Als der
+Waffenstillstand Ende 346 (408) abgelaufen war, entschlossen sich die
+Roemer auch ihrerseits zu einem Eroberungskrieg gegen Etrurien, der
+jetzt nicht bloss gegen, sondern um Veii gefuehrt ward. Die Geschichte
+des Krieges gegen die Veienter, Capenaten und Falisker und der
+Belagerung Veiis, die gleich der trojanischen zehn Jahre gewaehrt
+haben soll, ist wenig beglaubigt. Sage und Dichtung haben sich dieser
+Ereignisse bemaechtigt, und mit Recht; denn gekaempft ward hier mit bis
+dahin unerhoerter Anstrengung um einen bis dahin unerhoerten Kampfpreis.
+Es war das erstemal, dass ein roemisches Heer Sommer und Winter, Jahr
+aus Jahr ein im Felde blieb, bis das vorgesteckte Ziel erreicht war; das
+erstemal, dass die Gemeinde aus Staatsmitteln dem Aufgebot Sold zahlte.
+Aber es war auch das erstemal, dass die Roemer es versuchten, sich
+eine stammfremde Nation zu unterwerfen und ihre Waffen ueber die alte
+Nordgrenze der latinischen Landschaft hinuebertrugen. Der Kampf war
+gewaltig, der Ausgang kaum zweifelhaft. Die Roemer fanden Unterstuetzung
+bei den Latinern und den Hernikern, denen der Sturz des gefuerchteten
+Nachbarn fast nicht minder Genugtuung und Foerderung gewaehrte als den
+Roemern selbst; waehrend Veii von seiner Nation verlassen dastand und
+nur die naechsten Staedte, Capena, Falerii, auch Tarquinii, ihm
+Zuzug leisteten. Die gleichzeitigen Angriffe der Kelten wuerden
+diese Nichtteilnahme der noerdlichen Gemeinden allein schon genuegend
+erklaeren; es wird indes erzaehlt und es ist kein Grund es zu
+bezweifeln, dass zunaechst innere Parteiungen in dem etruskischen
+Staedtebund, namentlich die Opposition der aristokratischen Regierungen
+der uebrigen Staedte gegen das von den Veientern beibehaltene oder
+wiederhergestellte Koenigsregiment, jene Untaetigkeit der uebrigen
+Etrusker herbeigefuehrt haben. Haette die etruskische Nation sich an dem
+Kampf beteiligen koennen oder wollen, so wuerde die roemische Gemeinde
+kaum imstande gewesen sein, die bei der damaligen hoechst unentwickelten
+Belagerungskunst riesenhafte Aufgabe der Bezwingung einer grossen und
+festen Stadt zu Ende zu fuehren; vereinzelt aber und verlassen wie
+sie war, unterlag die Stadt (358 396) nach tapferer Gegenwehr dem
+ausharrenden Heldengeist des Marcus Furius Camillus, welcher zuerst
+seinem Volke die glaenzende Bahn der auslaendischen Eroberungen auftat.
+Von dem Jubel, den der grosse Erfolg in Rom erregte, ist ein Nachklang
+die in den Festspielen Roms bis in spaete Zeit fortgepflanzte Sitte
+des "Veienterverkaufs", wobei unter den zur Versteigerung gebrachten
+parodischen Beutestuecken der aergste alte Krueppel, den man auftreiben
+konnte, im Purpurmantel und Goldschmuck den Beschluss machte als "Koenig
+der Veienter". Die Stadt ward zerstoert, der Boden verwuenscht zu
+ewiger Oede. Falerii und Capena eilten, Frieden zu machen; das maechtige
+Volsinii, das in bundesmaessiger Halbheit waehrend Veiis Agonie geruht
+hatte und nach der Einnahme zu den Waffen griff, bequemte nach wenigen
+Jahren (363 391) sich gleichfalls zum Frieden. Es mag eine wehmuetige
+Sage sein, dass die beiden Vormauern der etruskischen Nation, Melpum und
+Veii, an demselben Tage jenes den Kelten, dieses den Roemern unterlagen;
+aber es liegt in ihr auf jeden Fall eine tiefe geschichtliche Wahrheit.
+Der doppelte Angriff von Norden und Sueden und der Fall der beiden
+Grenzfesten war der Anfang des Endes der grossen etruskischen
+Nation. Indes einen Augenblick schien es, als sollten die beiden
+Voelkerschaften, durch deren Zusammenwirken Etrurien sich in seiner
+Existenz bedroht sah, vielmehr untereinander sich aufreiben und auch
+Roms neu aufbluehende Macht von den fremden Barbaren zertreten
+werden. Diese Wendung der Dinge, die dem natuerlichen Lauf der Politik
+widersprach, beschworen ueber die Roemer der eigene Uebermut und die
+eigene Kurzsichtigkeit herauf. Die keltischen Scharen, die nach Melpums
+Fall ueber den Fluss gesetzt waren, ueberfluteten mit reissender
+Geschwindigkeit das noerdliche Italien, nicht bloss das offene Gebiet am
+rechten Ufer des Padus und laengs des Adriatischen Meeres, sondern auch
+das eigentliche Etrurien diesseits des Apennin. Wenige Jahre nachher
+(363 391) ward schon das im Herzen Etruriens gelegene Clusium (Chiusi an
+der Grenze von Toskana und dem Kirchenstaat) von den keltischen Senonen
+belagert; und so gedemuetigt waren die Etrusker, dass die bedraengte
+tuskische Stadt die Zerstoerer Veiis um Hilfe anrief. Es waere
+vielleicht weise gewesen, dieselbe zu gewaehren und zugleich die
+Gallier durch die Waffen und die Etrusker durch den gewaehrten Schutz
+in Abhaengigkeit von Rom zu bringen; allein eine solche weitblickende
+Intervention, die die Roemer genoetigt haben wuerde, einen ernsten Kampf
+an der tuskischen Nordgrenze zu beginnen, lag jenseits des Horizonts
+ihrer damaligen Politik. So blieb nichts uebrig, als sich jeder
+Einmischung zu enthalten. Allein toerichterweise schlug man die
+Hilfstruppen ab und schickte Gesandte; und noch toerichter meinten
+diese, den Kelten durch grosse Worte imponieren und, als dies
+fehlschlug, gegen Barbaren ungestraft das Voelkerrecht verletzen zu
+koennen: sie nahmen in den Reihen der Clusiner teil an einem Gefecht und
+der eine von ihnen stach darin einen gallischen Befehlshaber vom Pferde.
+Die Barbaren verfuhren in diesem Fall mit Maessigung und Einsicht. Sie
+sandten zunaechst an die roemische Gemeinde, um die Auslieferung der
+Frevler am Voelkerrecht zu fordern, und der Senat war bereit, dem
+billigen Begehren sich zu fuegen. Allein in der Masse ueberwog das
+Mitleid gegen die Landsleute die Gerechtigkeit gegen die Fremden;
+die Genugtuung ward von der Buergerschaft verweigert, ja nach einigen
+Berichten ernannte man die tapferen Vorkaempfer fuer das Vaterland sogar
+zur Konsulartribunen fuer das Jahr 364 (390) ^6, das in den roemischen
+Annalen so verhaengnisvoll werden sollte. Da brach der Brennus, das
+heisst der Heerkoenig der Gallier, die Belagerung von Clusium ab und der
+ganze Keltenschwarm - die Zahl wird auf 70000 Koepfe angegeben - wandte
+sich gegen Rom. Solche Zuege in unbekannte und ferne Gegenden waren
+den Galliern gelaeufig, die unbekuemmert um Deckung und Rueckzug als
+bewaffnete Auswandererscharen marschierten; in Rom aber ahnte man
+offenbar nicht, welche Gefahr in diesem so ploetzlichen und so
+gewaltigen Ueberfall lag. Erst als die Gallier im Anmarsch auf Rom
+waren, ueberschritt eine roemische Heeresmacht den Tiber und vertrat
+ihnen den Weg. Keine drei deutsche Meilen von den Toren, gegenueber
+der Muendung des Baches Allia in den Tiberfluss, trafen die Heere
+aufeinander und kam es am 18. Juli 364 (390) zur Schlacht. Auch jetzt
+noch ging man, nicht wie gegen ein Heer, sondern wie gegen Raeuber,
+uebermuetig und tolldreist in den Kampf unter unerprobten Feldherren
+- Camillus hatte infolge des Staendehaders von den Geschaeften sich
+zurueckgezogen. Waren es doch Wilde, gegen die man fechten sollte; was
+bedurfte es des Lagers, der Sicherung des Rueckzugs? Aber die Wilden
+waren Maenner von todverachtendem Mut und ihre Fechtweise den Italikern
+so neu wie schrecklich; die blossen Schwerter in der Faust stuerzten die
+Kelten im rasenden Anprall sich auf die roemische Phalanx und rannten
+sie im ersten Stosse ueber den Haufen. Die Niederlage war vollstaendig;
+von den Roemern, die den Fluss im Ruecken gefochten hatten, fand ein
+grosser Teil bei dem Versuch, denselben zu ueberschreiten, seinen
+Untergang; was sich rettete, warf sich seitwaerts nach dem nahen Veii.
+Die siegreichen Kelten standen zwischen dem Rest des geschlagenen Heeres
+und der Hauptstadt. Diese war rettungslos dem Feinde preisgegeben; die
+geringe dort zurueckgebliebene oder dorthin gefluechtete Mannschaft
+reichte nicht aus, um die Mauern zu besetzen, und drei Tage nach der
+Schlacht zogen die Sieger durch die offenen Tore in Rom ein. Haetten sie
+es am ersten getan, wie sie es konnten, so war nicht bloss die Stadt,
+sondern auch der Staat verloren; die kurze Zwischenzeit machte es
+moeglich, die Heiligtuemer zu fluechten oder zu vergraben und, was
+wichtiger war, die Burg zu besetzen und notduerftig mit Lebensmitteln
+zu versehen. Was die Waffen nicht tragen konnte, liess man nicht auf die
+Burg - man hatte kein Brot fuer alle. Die Menge der Wehrlosen verlief
+sich in die Nachbarstaedte; aber manche, vor allem eine Anzahl
+angesehener Greise, mochten den Untergang der Stadt nicht ueberleben und
+erwarteten in ihren Haeusern den Tod durch das Schwert der Barbaren. Sie
+kamen, mordeten und pluenderten, was an Menschen und Gut sich vorfand
+und zuendeten schliesslich vor den Augen der roemischen Besatzung auf
+dem Kapitol die Stadt an allen Ecken an. Aber die Belagerungskunst
+verstanden sie nicht und die Blockade des steilen Burgfelsens war
+langwierig und schwierig, da die Lebensmittel fuer den grossen
+Heeresschwarm nur durch bewaffnete Streifpartien sich herbeischaffen
+liessen und diesen die benachbarten latinischen Buergerschaften,
+namentlich die Ardeaten, haeufig mit Mut und Glueck sich entgegenwarfen.
+Dennoch harrten die Kelten mit einer unter ihren Verhaeltnissen
+beispiellosen Energie sieben Monate unter dem Felsen aus und schon
+begannen der Besatzung, die der Ueberrumpelung in einer dunkeln Nacht
+nur durch das Schnattern der Heiligen Gaense im kapitolinischen Tempel
+und das zufaellige Erwachen des tapferen Marcus Manlius entgangen war,
+die Lebensmittel auf die Neige zu geben, als den Kelten ein Einfall der
+Veneter in das neu gewonnene senonische Gebiet am Padus gemeldet ward
+und sie bewog, das ihnen fuer den Abzug gebotene Loesegeld anzunehmen.
+Das hoehnische Hinwerfen des gallischen Schwertes, dass es aufgewogen
+werde vom roemischen Golde, bezeichnete sehr richtig die Lage der Dinge.
+Das Eisen der Barbaren hatte gesiegt, aber sie verkauften ihren Sieg
+und gaben ihn damit verloren.
+------------------------------------------------------ ^6 Dies ist nach
+der gangbaren Gleichung 390 v. Chr.; in der Tat aber fiel die Einnahme
+Roms Ol. 98, 1 = 388 v. Chr. und ist nur durch die zerruettete
+roemische Jahrzaehlung verschoben.
+------------------------------------------------------ Die
+fuerchterliche Katastrophe der Niederlage und des Brandes, der 18. Juli
+und der Bach der Allia, der Platz, wo die Heiligtuemer vergraben gewesen
+und wo die Ueberrumpelung der Burg war abgeschlagen worden - all
+die Einzelheiten dieses unerhoerten Ereignisses gingen ueber von der
+Erinnerung der Zeitgenossen in die Phantasie der Nachwelt, und noch
+wir begreifen es kaum, dass wirklich schon zwei Jahrtausende verflossen
+sind, seit jene welthistorischen Gaense sich wachsamer bewiesen als die
+aufgestellten Posten. Und doch - mochte in Rom verordnet werden, dass in
+Zukunft bei einem Einfall der Kelten keines der gesetzlichen Privilegien
+vom Kriegsdienst befreien solle; mochte man dort rechnen nach den Jahren
+von der Eroberung der Stadt; mochte diese Begebenheit widerhallen in
+der ganzen damaligen zivilisierten Welt und ihren Weg finden bis in die
+griechischen Annalen: die Schlacht an der Allia mit ihren Resultaten
+ist dennoch kaum den folgenreichen geschichtlichen Begebenheiten
+beizuzaehlen. Sie aendert eben nichts in den politischen Verhaeltnissen.
+Wie die Gallier wieder abgezogen sind mit ihrem Golde, das nur eine
+spaet und schlecht erfundene Erzaehlung den Helden Camillus wieder nach
+Rom zurueckbringen laesst; wie die Fluechtigen sich wieder heimgefunden
+haben, der wahnsinnige Gedanke einiger mattherziger Klugheitspolitiker,
+die Buergerschaft nach Veii ueberzusiedeln, durch Camillus' hochsinnige
+Gegenrede beseitigt ist, die Haeuser eilig und unordentlich - die engen
+und krummen Strassen Roms schrieben von dieser Zeit sich her - sich
+aus den Truemmern erheben, steht auch Rom wieder da in seiner alten
+gebietenden Stellung; ja es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieses
+Ereignis wesentlich, wenn auch nicht im ersten Augenblick, dazu
+beigetragen hat, dem Gegensatz zwischen Etrurien und Rom seine Schaerfe
+zu nehmen und vor allem zwischen Latium und Rom die Bande der Einigkeit
+fester zu knuepfen. Der Kampf der Gallier und Roemer ist, ungleich dem
+zwischen Rom und Etrurien oder Rom und Samnium, nicht ein Zusammenstoss
+zweier politischer Maechte, die einander bedingen und bestimmen; er ist
+den Naturkatastrophen vergleichbar, nach denen der Organismus, wenn er
+nicht zerstoert wird, sofort wieder sich ins gleiche setzt. Die Gallier
+sind noch oft wiedergekehrt nach Latium; so im Jahre 387 (367), wo
+Camillus sie bei Alba schlug - der letzte Sieg des greisen Helden, der
+sechsmal konsularischer Kriegstribun, fuenfmal Diktator gewesen und
+viermal triumphierend auf das Kapitol gezogen war; im Jahre 393 (361),
+wo der Diktator Titus Quinctius Pennus ihnen gegenueber keine volle
+Meile von der Stadt an der Aniobruecke lagerte, aber ehe es noch zum
+Kampfe gekommen war, der gallische Schwarm nach Kampanien weiterzog;
+im Jahre 394 (360), wo der Diktator Quintus Servilius Ahala vor dem
+Collinischen Tor mit den aus Kampanien heimkehrenden Scharen stritt;
+im Jahre 396 (358), wo ihnen der Diktator Gaius Sulpicius Peticus eine
+nachdrueckliche Niederlage beibrachte; im Jahre 404 (350), wo sie
+sogar den Winter ueber auf dem Albaner Berg kampierten und sich mit
+den griechischen Piraten an der Kueste um den Raub schlugen, bis Lucius
+Furius Camillus, der Sohn des beruehmten Feldherrn, im folgenden
+Jahr sie vertrieb - ein Ereignis, von dem der Zeitgenosse Aristoteles
+(370-432 384-322) in Athen vernahm. Allein diese Raubzuege,
+wie schreckhaft und beschwerlich sie sein mochten, waren mehr
+Ungluecksfaelle als politische Ereignisse und das wesentlichste Resultat
+derselben, dass die Roemer sich selbst und dem Auslande in immer
+weiteren Kreisen als das Bollwerk der zivilisierten Nationen Italiens
+gegen den Anstoss der gefuerchteten Barbaren erschienen - eine
+Auffassung, die ihre spaetere Weltstellung mehr als man meint gefoerdert
+hat. Die Tusker, die den Angriff der Kelten auf Rom benutzt hatten, um
+Veii zu berennen, hatten nichts ausgerichtet, da sie mit ungenuegenden
+Kraeften erschienen waren; kaum waren die Barbaren abgezogen, als
+der schwere Arm Latiums sie mit unvermindertem Gewicht traf. Nach
+wiederholten Niederlagen der Etrusker blieb das ganze suedliche Etrurien
+bis zu den Ciminischen Huegeln in den Haenden der Roemer, welche in
+den Gebieten von Veii, Capena und Falerii vier neue Buergerbezirke
+einrichteten (367 387) und die Nordgrenze sicherten durch die Anlage der
+Festungen Sutrium (371 383) und Nepete (381 373). Mit raschen Schritten
+ging dieser fruchtbare und mit roemischen Kolonisten bedeckte Landstrich
+der vollstaendigen Romanisierung entgegen. Um 396 (358) versuchten zwar
+die naechstliegenden etruskischen Staedte Tarquinii, Caere, Falerii
+sich gegen die roemischen Uebergriffe aufzulehnen, und wie tief die
+Erbitterung war, die dieselben in Etrurien erweckt hatten, zeigt die
+Niedermetzlung der saemtlichen, im ersten Feldzug gemachten roemischen
+Gefangenen, dreihundertundsieben an der Zahl, auf dem Marktplatz von
+Tarquinii; allein es war die Erbitterung der Ohnmacht. Im Frieden (403
+351) musste Caere, das, als den Roemern zunaechst gelegen, am schwersten
+buesste, die halbe Landmark an Rom abtreten und mit dem geschmaelerten
+Gebiet, das ihm blieb, aus dem etruskischen Bunde aus- und in das
+Untertanenverhaeltnis zu Rom treten, welches inzwischen zunaechst fuer
+einzelne latinische Gemeinden aufgekommen war. Es schien indes nicht
+ratsam, dieser entfernteren und von der roemischen stammverschiedenen
+Gemeinde diejenige kommunale Selbstaendigkeit zu belassen, welche
+den untertaenigen Gemeinden Latiums noch verblieben war; man gab der
+caeritischen Gemeinde das roemische Buergerrecht nicht bloss ohne
+aktives und passives Wahlrecht in Rom, sondern auch unter Entziehung
+der Selbstverwaltung, so dass an die Stelle der eigenen Beamten bei der
+Rechtspflege und Schatzung die roemischen traten und am Orte selbst ein
+Vertreter (praefectus) des roemischen Praetors die Verwaltung leitete -
+eine hier zuerst begegnende staatsrechtliche Form der Untertaenigkeit,
+wodurch der bisher selbstaendige Staat in eine rechtlich fortbestehende,
+aber jeder eigenen Bewegung beraubte Gemeinde umgewandelt ward. Nicht
+lange nachher (411 343) trat auch Falerii, das seine urspruengliche
+latinische Nationalitaet auch unter der Tuskerherrschaft sich bewahrt
+hatte, aus dem etruskischen Bunde aus und in ewigen Bund mit Rom; damit
+war ganz Suedetrurien in der einen oder anderen Form der roemischen
+Suprematie unterworfen. Tarquinii und wohl das noerdliche Etrurien
+ueberhaupt begnuegte man sich, durch einen Friedensvertrag auf 400
+Monate fuer lange Zeit zu fesseln (403 351). Auch im noerdlichen Italien
+ordneten sich allmaehlich die durch und gegen einander stuermenden
+Voelker wieder in dauernder Weise und in festere Grenzen. Die Zuege
+ueber die Alpen hoerten auf, zum Teil wohl infolge der verzweifelten
+Verteidigung der Etrusker in ihrer beschraenkteren Heimat und der
+ernstlichen Gegenwehr der maechtigen Roemer, zum Teil wohl auch infolge
+uns unbekannter Veraenderungen im Norden der Alpen. Zwischen Alpen
+und Apenninen bis hinab an die Abruzzen waren jetzt die Kelten im
+allgemeinen die herrschende Nation und namentlich die Herren des
+ebenen Landes und der reichen Weiden; aber bei ihrer schlaffen und
+oberflaechlichen Ansiedlungsweise wurzelte ihre Herrschaft nicht tief
+in der neu gewonnenen Landschaft und gestaltete sich keineswegs zum
+ausschliesslichen Besitz. Wie es in den Alpen stand und wie hier
+keltische Ansiedler mit aelteren etruskischen oder andersartigen
+Staemmen sich vermischten, gestattet unsere ungenuegende Kunde ueber
+die Nationalitaet der spaeteren Alpenvoelker nicht auszumachen; nur
+die Raeter in dem heutigen Graubuenden und Tirol duerfen als ein
+wahrscheinlich etruskischer Stamm bezeichnet werden. Die Taeler des
+Apennin behielten die Umbrer, den nordoestlichen Teil des Potals die
+anderssprachigen Veneter im Besitz; in den westlichen Bergen behaupteten
+sich ligurisch: Staemme, die bis Pisa und Arezzo hinab wohnten und
+das eigentliche Keltenland von Etrurien schieden. Nur in dem mittleren
+Flachland hausten die Kelten, noerdlich vom Po die Insubrer und
+Cenomaner, suedlich die Boier, an der adriatischen Kueste von Ariminum
+bis Ankon, in der sogenannten "Gallierlandschaft" (ager Gallicus) die
+Senonen, kleinerer Voelkerschaften zu geschweigen. Aber selbst hier
+muessen die etruskischem Ansiedlungen zum Teil wenigstens fortbestanden
+haben, etwa wie Ephesos und Milet griechisch blieben unter persischer
+Oberherrlichkeit. Mantua wenigstens, das durch seine Insellage
+geschuetzt war, war noch in der Kaiserzeit eine tuskische Stadt und
+auch in Atria am Po, wo zahlreiche Vasenfunde gemacht sind, scheint das
+etruskische Wesen fortbestanden zu haben; noch die unter dem Namen des
+Skylax bekannte, um 418 (336) abgefasste Kuestenbeschreibung nennt die
+Gegend von Atria und Spina tuskisches Land. Nur so erklaert sich auch,
+wie etruskische Korsaren bis weit ins fuenfte Jahrhundert hinein das
+Adriatische Meer unsicher machen konnten, und weshalb nicht bloss
+Dionysios von Syrakus die Kuesten desselben mit Kolonien bedeckte,
+sondern selbst Athen noch um 429 (325), wie eine kuerzlich entdeckte
+merkwuerdige Urkunde lehrt, zum Schutz der Kauffahrer gegen die
+tyrrhenischen Kaper die Anlage einer Kolonie im Adriatischen Meere
+beschloss. Aber mochte hier mehr oder weniger von etruskischem Wesen
+sich behaupten, es waren das einzelne Truemmer und Splitter der
+frueheren Machtentwicklung; der etruskischen Nation kam nicht mehr
+zugute, was hier im friedlichen Verkehr oder im Seekrieg von einzelnen
+noch etwa erreicht ward. Dagegen gingen wahrscheinlich von diesen
+halbfreien Etruskern die Anfaenge derjenigen Zivilisation aus, die wir
+spaeterhin bei den Kelten und ueberhaupt den Alpenvoelkern finden.
+Schon dass die Keltenschwaerme in den lombardischen Ebenen, mit dem
+sogenannten Skylax zu reden, das Kriegerleben aufgaben und sich bleibend
+ansaessig machten, gehoert zum Teil hierher; aber auch die Anfaenge der
+Handwerke und Kuenste und das Alphabet sind den lombardischen Kelten,
+ja den Alpenvoelkern bis in die heutige Steiermark hinein durch die
+Etrusker zugekommen. Also blieben nach dem Verlust der Besitzungen in
+Kampanien und der ganzen Landschaft noerdlich vom Apennin und suedlich
+vom Ciminischen Walde den Etruskern nur sehr beschraenkte Grenzen: die
+Zeiten der Macht und des Aufstrebens waren fuer sie auf immer vorueber.
+In engster Wechselwirkung mit diesem aeusseren Sinken steht der innere
+Verfall der Nation, zu dem die Keime freilich wohl schon weit frueher
+gelegt worden waren. Die griechischen Schriftsteller dieser Zeit sind
+voll von Schilderungen der masslosen Ueppigkeit des etruskischen Lebens:
+unteritalische Dichter des fuenften Jahrhunderts der Stadt preisen den
+tyrrhenischen Wein und die gleichzeitigen Geschichtschreiber Timaeos
+und Theopomp entwerfen Bilder von der etruskischen Weiberzucht und
+der etruskischen Tafel, welche der aergsten byzantinischen und
+franzoesischen Sittenlosigkeit nichts nachgeben. Wie wenig beglaubigt
+das einzelne in diesen Berichten auch ist, so scheint doch mindestens
+die Angabe begruendet zu sein, dass die abscheuliche Lustbarkeit der
+Fechterspiele, der Krebsschaden des spaeteren Rom und ueberhaupt der
+letzten Epoche des Altertums, zuerst bei den Etruskern aufgekommen
+ist; und jedenfalls lassen sie im ganzen keinen Zweifel an der tiefen
+Entartung der Nation. Auch die politischen Zustaende derselben sind
+davon durchdrungen. So weit unsere duerftige Kunde reicht, finden
+wir aristokratische Tendenzen vorwiegend, in aehnlicher Weise wie
+gleichzeitig in Rom, aber schroffer und verderblicher. Die Abschaffung
+des Koenigtums, die um die Zeit der Belagerung Veiis schon in allen
+Staaten Etruriens durchgefuehrt gewesen zu sein scheint, rief in den
+einzelnen Staedten ein Patrizierregiment hervor, das durch das lose
+eidgenossenschaftliche Band sich nur wenig beschraenkt sah. Selten nur
+gelang es, selbst zur Landesverteidigung alle etruskischen Staedte
+zu vereinigen, und Volsiniis nominelle Hegemonie haelt nicht den
+entferntesten Vergleich aus mit der gewaltigen Kraft, die durch
+Roms Fuehrung die latinische Nation empfing. Der Kampf gegen die
+ausschliessliche Berechtigung der Altbuerger zu allen Gemeindestellen
+und allen Gemeindenutzungen, der auch den roemischen Staat haette
+verderben muessen, wenn nicht die aeusseren Erfolge es moeglich gemacht
+haetten, die Ansprueche der gedrueckten Proletarier auf Kosten fremder
+Voelker einigermassen zu befriedigen und dem Ehrgeiz andere Bahnen
+zu oeffnen - dieser Kampf gegen das politische und was in Etrurien
+besonders hervortritt, gegen das priesterliche Monopol der
+Adelsgeschlechter muss Etrurien staatlich, oekonomisch und sittlich
+zugrunde gerichtet haben. Ungeheure Vermoegen, namentlich an
+Grundbesitz, konzentrierten sich in den Haenden von wenigen Adligen,
+waehrend die Massen verarmten; die sozialen Umwaelzungen, die hieraus
+entstanden, erhoehten die Not, der sie abhelfen sollten, und bei der
+Ohnmacht der Zentralgewalt blieb zuletzt den bedraengten Aristokraten,
+zum Beispiel in Arretium 453 (301), in Volsinii 488 (266) nichts uebrig,
+als die Roemer zu Hilfe zu rufen, die denn zwar der Unordnung, aber
+zugleich auch dem Rest von Unabhaengigkeit ein Ende machten. Die Kraft
+des Volkes war gebrochen seit dem Tage von Veii und Melpum; es wurden
+wohl einige Male noch ernstliche Versuche gemacht, sich der roemischen
+Oberherrschaft zu entziehen, aber wenn es geschah, kam die Anregung
+dazu den Etruskern von aussen, von einen andern italischen Stamm, den
+Samniten. 5. Kapitel Die Unterwerfung der Latiner und Kampaner unter Rom
+Das grosse Werk der Koenigszeit war Roms Herrschaft ueber Latium in der
+Form der Hegemonie. Dass die Umwandlung der roemischen Verfassung sowohl
+auf das Verhaeltnis der roemischen Gemeinde zu Latium wie auf die
+innere Ordnung der latinischen Gemeinden selbst nicht ohne maechtige
+Rueckwirkung bleiben konnte, leuchtet an sich ein und geht auch aus
+der Ueberlieferung hervor; von den Schwankungen, in welche durch die
+Revolution in Rom die roemisch-latinische Eidgenossenschaft geriet,
+zeugt die in ungewoehnlich lebhaften Farben schillernde Sage von dem
+Siege am Regiller See, den der Diktator oder Konsul Aulus Postumius
+(255? 258? 499 496) mit Hilfe der Dioskuren ueber die Latiner gewonnen
+haben soll, und bestimmter die Erneuerung des ewigen Bundes zwischen Rom
+und Latium durch Spurius Cassius in seinem zweiten Konsulat (261
+493). Indes geben diese Erzaehlungen eben ueber die Hauptsache, das
+Rechtsverhaeltnis der neuen roemischen Republik zu der latinischen
+Eidgenossenschaft, am wenigsten Aufschluss; und was wir sonst ueber
+dasselbe wissen, ist zeitlos ueberliefert und kann nur nach ungefaehrer
+Wahrscheinlichkeit hier eingereiht werden. Es liegt im Wesen der
+Hegemonie, dass sie durch das blosse innere Schwergewicht der
+Verhaeltnisse allmaehlich in die Herrschaft uebergeht; auch die
+roemische ueber Latium hat davon keine Ausnahme gemacht. Sie war
+begruendet auf die wesentliche Rechtsgleichheit des roemischen Staates
+und der latinischen Eidgenossenschaft; aber wenigstens im Kriegswesen
+und in der Behandlung der gemachten Eroberungen trug dies Verhaeltnis
+des Einheitsstaates einer- und des Staatenbundes anderseits
+die Hegemonie der Sache nach in sich. Nach der urspruenglichen
+Bundesverfassung war wahrscheinlich das Recht zu Krieg und Vertrag mit
+auswaertigen Staaten, also die volle staatliche Selbstbestimmung sowohl
+Rom wie den einzelnen Staedten des latinischen Bundes gewahrt, und es
+stellte auch wohl bei gemeinschaftlicher Kriegfuehrung Rom wie Latium
+das gleiche Kontingent, in der Regel jedes ein "Heer" von 8400 Mann ^1;
+aber den Oberbefehl fuehrte der roemische Feldherr, welcher dann die
+Stabsoffiziere, also die Teilfuehrer (tribuni militum), nach eigener
+Wahl ernannte. Im Falle des Sieges wurden die bewegliche Beute wie das
+eroberte Land zwischen Rom und der Eidgenossenschaft geteilt, und wenn
+man in dem eroberten Gebiet Festungen anzulegen beschloss, so wurde
+nicht bloss deren Besatzung und Bevoelkerung teils aus roemischen,
+teils aus eidgenoessischen Aussendlingen gebildet, sondern auch die
+neugegruendete Gemeinde als souveraener Bundesstaat in die latinische
+Eidgenossenschaft aufgenommen und mit Sitz und Stimme auf
+der latinischen Tagsatzung ausgestattet.
+------------------------------------------------------- ^1 Die
+urspruengliche Gleichheit der beiden Armeen geht schon aus Liv. 1, 52;
+8, 8, 14 und Dion. Hal. 8, 15, am deutlichsten aber aus Polyb. 6, 26
+hervor. ------------------------------------------------------- Diese
+Bestimmungen werden wahrscheinlich schon in der Koenigszeit, sicher
+in der republikanischen Epoche sich mehr und mehr zu Ungunsten der
+Eidgenossenschaft verschoben und Roms Hegemonie weiter entwickelt haben.
+Am fruehesten fiel ohne Zweifel weg das Kriegs- und Vertragsrecht der
+Eidgenossenschaft gegenueber dem Ausland ^2; Krieg und Vertrag kam ein
+fuer allemal an Rom. Die Stabsoffiziere fuer die latinischen Truppen
+muessen in aelterer Zeit wohl ebenfalls Latiner gewesen sein; spaeter
+wurden dazu wo nicht ausschliesslich, doch vorwiegend roemische
+Buerger genommen ^3. Dagegen wurde nach wie vor der latinischen
+Eidgenossenschaft insgesamt kein staerkeres Kontingent zugemutet als das
+von der roemischen Gemeinde gestellte war; und ebenso war der
+roemische Oberfeldherr gehalten, die latinischen Kontingente nicht
+zu zersplittern, sondern den von jeder Gemeinde gesandten Zuzug als
+besondere Heerabteilung unter dem von der Gemeinde bestellten Anfuehrer
+^4 zusammenzuhalten. Das Anrecht der latinischen Eidgenossenschaft auf
+einen Anteil an der beweglichen Beute wie an dem eroberten Lande blieb
+formell bestehen; aber der Sache nach ist der wesentliche Kriegsertrag
+ohne Zweifel schon in frueher Zeit an den fuehrenden Staat gekommen.
+Selbst bei der Anlegung der Bundesfestungen oder der sogenannten
+latinischen Kolonien waren in der Regel vermutlich die meisten und
+nicht selten alle Ansiedler Roemer; und wenn auch dieselben durch die
+Uebersiedelung aus roemischen Buergern Buerger einer eidgenoessischen
+Gemeinde wurden, so blieb doch wohl der neugepflanzten Ortschaft
+haeufig eine ueberwiegende und fuer die Eidgenossenschaft
+gefaehrliche Anhaenglichkeit an die wirkliche Mutterstadt.
+----------------------------------------------- ^2 Dass in den spaeteren
+Bundesvertraegen zwischen Rom und Latium es den latinischen Gemeinden
+untersagt war ihre Kontingente von sich aus zu mobilisieren und allein
+ins Feld zu senden, sagt ausdruecklich Dionysios (8, 15). ^3 Diese
+latinischen Stabsoffiziere sind die zwoelf praefecti sociorum, welche
+spaeterhin, als die alte Phalanx sich in die spaeteren Legionen und
+alae aufgeloest hatte, ebenso je sechs und sechs den beiden alae der
+Bundesgenossenkontingente vorstehen, wie die zwoelf Kriegstribunen
+des roemischen Heeres je sechs und sechs den beiden Legionen. Dass der
+Konsul jene wie urspruenglich auch diese ernennt, sagt Polyb. 6 26, 5.
+Da nun nach dem alten Rechtssatz, dass jeder Heerespflichtige Offizier
+werden kann, es gesetzlich dem Heerfuehrer gestattet war, einen Latiner
+zum Fuehrer einer roemischen wie umgekehrt einen Roemer zum Fuehrer
+einer latinischen Legion zu bestellen, so fuehrte dies praktisch dazu,
+dass die tribuni militum durchaus und die praefecti sociorum wenigstens
+in der Regel Roemer waren. ^4 Dies sind die decuriones turmarum und
+praefecti cohortium (Polyb. 6, 21, 5; Liv. 25, 14; Sall. Iug. 69 und
+sonst). Natuerlich wurden, wie die roemischen Konsuln von Rechts
+wegen, in der Regel auch tatsaechlich Oberfeldherren waren, vielleicht
+durchaus, mindestens sehr haeufig auch in den abhaengigen Staedten die
+Gemeindevorsteher an die Spitze der Gemeindekontingente gestellt
+(Liv. 23, 19; Orelli 7022); wie denn selbst der gewoehnliche Name
+der latinischen Obrigkeiten (praetores) sie als Offiziere bezeichnet.
+---------------------------------------------- Die Rechte dagegen,
+welche die Bundesvertraege dem einzelnen Buerger einer der verbuendeten
+Gemeinden in jeder Bundesstadt zusicherten, wurden nicht beschraenkt.
+Es gehoerten dahin namentlich die volle Rechtsgleichheit in Erwerb
+von Grundbesitz und beweglicher Habe, in Handel und Wandel, Ehe und
+Testament, und die unbeschraenkte Freizuegigkeit, sodass der in
+einer Bundesstadt verbuergerte Mann nicht bloss in jeder andern
+sich niederzulassen rechtlich befugt war, sondern auch daselbst als
+Rechtsgenosse (municeps) mit Ausnahme der passiven Wahlfaehigkeit an
+allen privaten und politischen Rechten und Pflichten teilnahm, sogar
+wenigstens in der nach Distrikten berufenen Gemeindeversammlung in
+einer freilich beschraenkten Weise zu stimmen befugt war ^5.
+--------------------------------------------- ^5 Es wurde ein solcher
+Insasse nicht wie der wirkliche Mitbuerger einem ein fuer allemal
+bestimmten Stimmbezirk zugeteilt, sondern vor jeder einzelnen Abstimmung
+nach Stimmbezirken der, in dem die Insassen diesmal zu stimmen hatten,
+durch das Los festgestellt. Der Sache nach kam dies wohl darauf hinaus,
+dass in der roemischen Tribusversammlung den Latinern eine Stimme
+eingeraeumt ward. Da der Platz in irgendeiner Tribus die Vorbedingung
+des ordentlichen Zenturiatstimmrechts war, so muss, wenn die Insassen
+auch in der Zenturienversammlung mitgestimmt haben, was wir nicht
+wissen, fuer diese eine aehnliche Losung festgesetzt gewesen sein.
+An den Kurien werden sie gleich den Plebejern teilgenommen haben.
+------------------------------------------- So etwa mag in der ersten
+republikanischen Zeit das Verhaeltnis der roemischen Gemeinde zu der
+latinischen Eidgenossenschaft beschaffen gewesen sein, ohne dass sich
+ausmachen liesse, was darin auf aeltere Satzungen und was auf die
+Buendnisrevision von 261 (493) zurueckgeht. Mit etwas groesserer
+Sicherheit darf die Umgestaltung der Ordnungen der einzelnen zu der
+latinischen Eidgenossenschaft gehoerigen Gemeinden nach dem Muster der
+roemischen Konsularverfassung als Neuerung bezeichnet und in diesen
+Zusammenhang gestellt werden. Denn obgleich die verschiedenen Gemeinden
+zu der Abschaffung des Koenigtums an sich recht wohl voneinander
+unabhaengig gelangt sein koennen, so verraet doch die gleichartige
+Benennung der neuen Jahreskoenige in der roemischen und den uebrigen
+Gemeindeverfassungen von Latium sowie die weitgreifende Anwendung des
+so eigentuemlichen Kollegialitaetsprinzips ^6 augenscheinlich einen
+aeusseren Zusammenhang; irgend einmal nach der Vertreibung der
+Tarquinier aus Rom muessen durchaus die latinischen Gemeindeordnungen
+nach dem Schema der Konsularverfassung revidiert worden sein. Es
+kann nun freilich diese Ausgleichung der latinischen Verfassungen mit
+derjenigen der fuehrenden Stadt moeglicherweise erst einer spaeteren
+Epoche angehoeren; indes spricht die innere Wahrscheinlichkeit vielmehr
+dafuer, dass der roemische Adel, nachdem er bei sich die Abschaffung
+des lebenslaenglichen Koenigtums bewirkt hatte, dieselbe
+Verfassungsaenderung auch den Gemeinden der latinischen
+Eidgenossenschaft angesonnen und, trotz des ernsten und den Bestand des
+roemisch-latinischen Bundes selbst in Frage stellenden Widerstandes,
+welchen teils die vertriebenen Tarquinier, teils die koeniglichen
+Geschlechter und koeniglich gesinnten Parteien der uebrigen Gemeinden
+Latiums geleistet zu haben scheinen, schliesslich in ganz Latium
+die Adelsherrschaft eingefuehrt hat. Die eben in diese Zeit fallende
+gewaltige Machtentwicklung Etruriens, die stetigen Angriffe der
+Veienter, der Heereszug des Porsena moegen wesentlich dazu beigetragen
+haben, die latinische Nation bei der einmal festgestellten Form
+der Einigung, das heisst bei der fortwaehrenden Anerkennung der
+Oberherrlichkeit Roms festzuhalten und dem zuliebe eine ohne Zweifel
+auch im Schosse der latinischen Gemeinden vielfach vorbereitete
+Verfassungsaenderung, ja vielleicht selbst eine Steigerung
+der hegemonischen Rechte sich gefallen zu lassen.
+------------------------------------------ ^6 Regelmaessig stehen
+bekanntlich die latinischen Gemeinden unter zwei Praetoren. Daneben
+kommen in einer Reihe von Gemeinden auch Einzelbeamte vor, welche dann
+den Diktatortitel fuehren - so in Alba (Orelli-Henzen 2293), Tusculum,
+Lanuvium (Cic. Mil. 10, 27;17, 45; Ascon. Mil. p. 32 Orelli, Orelli
+2786, 5157, 6086), Compitum (Orelli 3324), Nomentum (Orelli 208, 6138,
+7032; vgl. W. Henzen in Bullettino dell' Istituto 1858, S. 169) und
+Aricia (Orelli 1455). Dazu kommt der aehnliche Diktator in der civitas
+sine suffragio Caere (Orelli 3787, 5772; auch Garrucci, Diss. arch. Bd.
+1, S. 31, obwohl irrig nach Sutrium gesetzt); ferner die gleichnamigen
+Beamten von Fidenae (Orelli 112). Alle diese Aemter oder aus Aemtern
+hervorgegangenen Priestertuemer (der Diktator von Caere ist zu erklaeren
+nach Liv. 9, 43: Anagninis - magistratibus praeter quam sacrorum
+curatione interdictum) sind jaehrig (Orelli 208). Auch der Bericht
+Macers und der aus ihm schoepfenden Annalisten, dass Alba schon zur Zeit
+seines Falls nicht mehr unter Koenigen, sondern unter Jahresdiktatoren
+gestanden habe (Dion. Hal. 5, 74; Plut. Rom. 27; Liv. 1, 23), ist
+vermutlich bloss eine Folgerung aus der ihm bekannten Institution
+der ohne Zweifel gleich der nomentanischen jaehrigen sacerdotalen
+albanischen Diktatur, bei welcher Darstellung ueberdies die
+demokratische Parteistellung ihres Urhebers mit im Spiel gewesen sein
+wird. Es steht dahin, ob der Schluss gueltig ist und nicht, auch wenn
+Alba zur Zeit seiner Aufloesung unter lebenslaenglichen Herrschern
+stand, die Abschaffung des Koenigtums in Rom nachtraeglich die
+Verwandlung der albanischen Diktatur in ein Jahramt herbeifuehren
+konnte. All diese latinischen Magistraturen kommen in der Sache
+wie besonders auch in den Namen wesentlich mit der in Rom durch die
+Revolution festgestellten Ordnung in einer Weise ueberein, die durch
+die blosse Gleichartigkeit der politischen Grundverhaeltnisse nicht
+genuegend erklaert wird. ----------------------------------------- Die
+dauernd geeinigte Nation vermochte es, ihre Machtstellung nach allen
+Seiten hin nicht bloss zu behaupten, sondern auch zu erweitern. Dass die
+Etrusker nur kurze Zeit im Besitze der Suprematie ueber Latium blieben
+und die Verhaeltnisse hier bald wieder in die Lage zurueckkamen, welche
+sie in der Koenigszeit gehabt hatten, wurde schon dargestellt; zu einer
+eigentlichen Erweiterung der roemischen Grenzen kam es aber nach dieser
+Seite hin erst mehr als ein Jahrhundert nach der Vertreibung der Koenige
+aus Rom. Mit den Sabinern, die das Mittelgebirge von den Grenzen der
+Umbrer bis hinab zu der Gegend zwischen Tiber und Anio einnahmen und
+die in der Epoche, in welche die Anfaenge Roms fallen, bis nach Latium
+selbst kaempfend und erobernd vordrangen, haben spaeterhin die Roemer
+trotz der unmittelbaren Nachbarschaft sich verhaeltnismaessig wenig
+beruehrt. Die schwache Teilnahme derselben an dem verzweifelten
+Widerstand der oestlichen und suedlichen Nachbarvoelker geht selbst aus
+den Berichten der Jahrbuecher noch hervor und, was wichtiger ist, es
+begegnen hier keine Zwingburgen, wie sie namentlich in dem volskischen
+Gebiet so zahlreich angelegt worden sind. Vielleicht haengt dies damit
+zusammen, dass die sabinischen Scharen wahrscheinlich eben um diese Zeit
+sich ueber Unteritalien ergossen; gelockt von den anmutigen Sitzen am
+Tifernus und Volturnus scheinen sie wenig in die Kaempfe eingegriffen
+zu haben, deren Schauplatz das Gebiet suedlich vom Tiber war. Bei weitem
+heftiger und dauernder war der Widerstand der Aequer, die, oestlich von
+Rom bis in die Taeler des Turano und Salto und am Nordrande des Fuciner
+Sees sitzend, mit den Sabinern und Marsern grenzten ^7, und der Volsker,
+welche suedlich von den um Ardea sesshaften Rutulern und den suedwaerts
+bis Cora sich erstreckenden Latinern die Kueste bis nahe an die Muendung
+des Lirisflusses nebst den vorliegenden Inseln und im Innern das ganze
+Stromgebiet des Liris besassen. Die mit diesen beiden Voelkern sich
+jaehrlich erneuernden Fehden, die in der roemischen Chronik so berichtet
+werden, dass der unbedeutendste Streifzug von dem folgenreichen Kriege
+kaum unterschieden und der historische Zusammenhang gaenzlich beiseite
+gelassen wird, sollen hier nicht erzaehlt werden; es genuegt hinzuweisen
+auf die dauernden Erfolge. Deutlich erkennen wir, dass es den Roemern
+und Latinern vor allem darauf ankam, die Aequer von den Volskern zu
+trennen und der Kommunikationen Herr zu werden; in der Gegend zwischen
+dem Suedabhang des Albaner Gebirges, den volskischen Bergen und den
+Pomptinischen Suempfen scheinen ueberdies die Latiner und die Volsker
+zunaechst sich beruehrt und selbst gemischt durcheinander gesessen zu
+haben ^8. In dieser Gegend haben die Latiner die ersten Schritte getan
+ueber ihre Landesgrenze hinaus und sind Bundesfestungen im Fremdland,
+sogenannte latinische Kolonien zuerst angelegt worden, in der Ebene
+Velitrae (angeblich um 260 494) unter dem Albaner Gebirge selbst und
+Suessa in der pomptinischen Niederung, in den Bergen Norba (angeblich
+262 492) und Signia (angeblich verstaerkt 259 495), welche beide auf den
+Verbindungspunkten zwischen der aequischen und volskischen Landschaft
+liegen. Vollstaendiger noch ward der Zweck erreicht durch den Beitritt
+der Herniker zu dem Bunde der Latiner und Roemer (268 486), welcher die
+Volsker vollstaendig isolierte und dem Bunde eine Vormauer gewaehrte
+gegen die suedlich und oestlich wohnenden sabellischen Staemme; man
+begreift es, weshalb dem kleinen Volk volle Gleichheit mit den beiden
+anderen in Rat und Beuteanteil zugestanden ward. Die schwaecheren Aequer
+waren seitdem wenig gefaehrlich; es genuegte, von Zeit zu Zeit einen
+Pluenderzug gegen sie zu unternehmen. Auch die Rutuler, welche in der
+Kuestenebene suedlich mit Latium grenzten, unterlagen frueh; ihre
+Stadt Ardea wurde schon im Jahre 312 (442) in eine latinische Kolonie
+umgewandelt ^9. Ernstlicher widerstanden die Volsker. Der erste namhafte
+Erfolg, den nach den oben erwaehnten die Roemer ihnen abgewannen, ist,
+merkwuerdig genug, die Gruendung von Circeii im Jahre 361 (393), das,
+solange Antium und Tarracina noch frei waren, nur zu Wasser mit Latium
+in Verbindung gestanden haben kann. Antium zu besetzen, ward oft
+versucht und gelang auch voruebergehend 287 (467); aber 295 (459)
+machte die Stadt sich wieder frei, und erst nach dem gallischen Brande
+erhielten infolge eines heftigen dreizehnjaehrigen Krieges (365-377
+389-377) die Roemer die entschiedene Oberhand im antiatischen und
+pomptinischen Gebiet. Satricum, unweit Antium, wurde im Jahre 369 (385)
+mit einer latinischen Kolonie belegt, nicht lange nachher wahrscheinlich
+Antium selbst sowie Tarracina ^10, das pomptinische Gebiet ward durch
+die Anlage der Festung Setia (372 382, verstaerkt 375 379) gesichert
+und in den Jahren 371 f. (383) in Ackerlose und Buergerbezirke verteilt.
+Seitdem haben die Volsker wohl noch sich empoert, aber keine Kriege mehr
+gegen Rom gefuehrt. ------------------------------------------ ^7 Die
+Landschaft der Aequer umfasst nicht bloss das Tal des Anio oberhalb von
+Tibur und das Gebiet der spaeteren latinischen Kolonien Carsioli (am
+oberen Turano) und Alba (am Fuciner See), sondern auch den Bezirk des
+spaeteren Municipiums der Aequiculi welche nichts sind als derjenige
+Rest der Aequer, welchem nach der Unterwerfung durch die Roemer und
+nach der Assignierung des groessten Teils des Gebiets an roemische oder
+latinische Kolonisten die munizipale Selbstaendigkeit verblieb. ^8 Allem
+Anschein nach ist Velitrae, obwohl in der Ebene gelegen, urspruenglich
+volskisch und also latinische Kolonie, Cora dagegen auf dem
+Volskergebirge urspruenglich latinisch. ^9 Nicht lange nachher muss die
+Gruendung des Dianahains im Walde von Aricia erfolgt sein, welche nach
+Catos Bericht (orig. p. 12 Jordan) ein tusculanischer Diktator vollzog
+fuer die Stadtgemeinden des alten Latiums Tusculum, Aricia, Lanuvium,
+Laurentum, Cora und Tibur und die beiden latinischen Kolonien (welche
+deshalb an der letzten Stelle stehen) Suessa Pometia und Ardea (populus
+Ardeatis Rutulus). Das Fehlen Praenestes und der kleineren Gemeinden
+des alten Latium zeigt, wie es auch in der Sache liegt, dass nicht
+saemtliche Gemeinden des damaligen Latinischen Bundes sich an der
+Weihung beteiligten. Dass sie vor 372 (382) faellt, beweist das
+Auftreten von Pometia und das Verzeichnis stimmt voellig zu dem, was
+anderweitig ueber den Bestand des Bundes kurz nach dem Zutritt von Ardea
+sich ermitteln laesst. Den ueberlieferten Jahreszahlen der Gruendungen
+darf mehr als den meisten der aeltesten Ueberlieferungen Glauben
+beigemessen werden, da die den italischen Staedten gemeinsame
+Jahreszaehlung ab urbe condita allem Anschein nach das Gruendungsjahr
+der Kolonien durch unmittelbare Ueberlieferung bewahrt hat. ^10 Als
+latinische Gemeinden erscheinen beide in dem sogenannten Cassischen
+Verzeichnis um 372 (382) nicht, wohl aber in dem karthagischen
+Vertrag vom Jahre 406 (348); in der Zwischenzeit also sind die
+Staedte latinische Kolonien geworden.
+---------------------------------------------- Aber je entschiedenere
+Erfolge der Bund der Roemer, Latiner und Herniker gegen die Etrusker,
+Aequer, Volsker und Rutuler davontrug, desto mehr entwich aus ihm die
+Eintracht. Die Ursache lag zum Teil wohl in der frueher dargestellten,
+aus den bestehenden Verhaeltnissen mit innerer Notwendigkeit sich
+entwickelnden, aber darum nicht weniger schwer auf Latium lastenden
+Steigerung der hegemonischen Gewalt Roms, zum Teil in einzelnen
+gehaessigen Ungerechtigkeiten der fuehrenden Gemeinde. Dahin gehoeren
+vornehmlich der schmaehliche Schiedsspruch zwischen den Aricinern
+und den Rutulern in Ardea 308 (446), wo die Roemer, angerufen zu
+kompromissarischer Entscheidung ueber ein zwischen den beiden Gemeinden
+streitiges Grenzgebiet, dasselbe fuer sich nahmen, und als ueber diesen
+Spruch in Ardea innere Streitigkeiten entstanden, das Volk zu den
+Volskern sich schlagen wollte, waehrend der Adel an Rom festhielt, die
+noch schaendlichere Ausnutzung dieses Haders zu der schon erwaehnten
+Aussendung roemischer Kolonisten in die reiche Stadt, unter die die
+Laendereien der Anhaenger der antiroemischen Partei ausgeteilt wurden
+(312 442). Hauptsaechlich indes war die Ursache, weshalb der Bund sich
+innerlich aufloeste, eben die Niederwerfung der gemeinschaftlichen
+Feinde; die Schonung von der einen, die Hingebung von der anderen Seite
+hatte ein Ende, seitdem man gegenseitig des anderen nicht mehr meinte zu
+beduerfen. Zum offenen Bruche zwischen den Latinern und Hernikern einer-
+und den Roemern anderseits gab die naechste Veranlassung teils die
+Einnahme Roms durch die Kelten und dessen dadurch herbeigefuehrte
+augenblickliche Schwaeche, teils die definitive Besetzung und Aufteilung
+des pomptinischen Gebiets; bald standen die bisherigen Verbuendeten
+gegeneinander im Felde. Schon hatten latinische Freiwillige in grosser
+Anzahl an dem letzten Verzweiflungskampf der Antiaten teilgenommen;
+jetzt mussten die namhaftesten latinischen Staedte: Lanuvium (371 383),
+Praeneste (372-374, 400 382-380, 354), Tusculum (373 381), Tibur
+(394, 400 360, 354) und selbst einzelne der im Volskerland von dem
+roemisch-latinischen Bunde angelegten Festungen wie Velitrae und Circeii
+mit den Waffen bezwungen werden, ja die Tiburtiner scheuten sich sogar
+nicht, mit den eben einmal wieder einrueckenden gallischen Scharen
+gemeinschaftliche Sache gegen Rom zu machen. Zum gemeinschaftlichen
+Aufstand kam es indes nicht und ohne viel Muehe bemeisterte Rom die
+einzelnen Staedte; Tusculum ward sogar (373 381) genoetigt, seine
+politische Selbstaendigkeit aufzugeben und in den roemischen
+Buergerverband als untertaenige Gemeinde (civitas sine suffragio)
+einzutreten, so dass die Stadt ihre Mauern und eine wenn auch
+beschraenkte Selbstverwaltung, darum auch eigene Beamten und eine eigene
+Buergerversammlung behielt, dagegen aber ihre Buerger als roemische
+das aktive und passive Wahlrecht entbehrten - der erste Fall, dass eine
+ganze Buergerschaft dem roemischen Gemeinwesen als abhaengige Gemeinde
+einverleibt wurde. Ernster war der Kampf gegen die Herniker (392-396
+362-358), in dem der erste der Plebs angehoerige konsularische
+Oberfeldherr Lucius Genucius fiel; allein auch hier siegten die Roemer.
+Die Krise endigte damit, dass die Vertraege zwischen Rom und der
+latinischen wie der hernikischen Eidgenossenschaft im Jahre 396 (358)
+erneuert wurden. Der genauere Inhalt derselben ist nicht bekannt, aber
+offenbar fuegten beide Eidgenossenschaften abermals und wahrscheinlich
+unter haerteren Bedingungen sich der roemischen Hegemonie. Die in
+demselben Jahr erfolgte Einrichtung zweier neuer Buergerbezirke im
+pomptinischen Gebiet zeigt deutlich die gewaltig vordringende roemische
+Macht. In offenbarem Zusammenhang mit dieser Krise in dem Verhaeltnis
+zwischen Rom und Latium steht die um das Jahr 370 (384) erfolgte
+Schliessung der latinischen Eidgenossenschaft ^11, obwohl es nicht
+sicher zu bestimmen ist, ob sie Folge oder, wie wahrscheinlicher,
+Ursache der eben geschilderten Auflehnung Latiums gegen Rom war. Nach
+dem bisherigen Recht war jede von Rom und Latium gegruendete souveraene
+Stadt unter die am Bundesfest und Bundestag teilberechtigten Kommunen
+eingetreten, wogegen umgekehrt jede einer anderen Stadt inkorporierte
+und also staatlich vernichtete Gemeinde aus der Reihe der Bundesglieder
+gestrichen ward. Dabei ward indes nach latinischer Art die einmal
+feststehende Zahl von dreissig foederierten Gemeinden in der Art
+festgehalten, dass von den teilnehmenden Staedten nie mehr und nie
+weniger als dreissig stimmberechtigt waren und eine Anzahl spaeter
+eingetretener oder auch ihrer Geringfuegigkeit oder begangener Vergehen
+wegen zurueckgesetzter Gemeinden des Stimmrechts entbehrten. Hiernach
+war der Bestand der Eidgenossenschaft um das Jahr 370 (384) folgender
+Art. Von altlatinischen Ortschaften waren, ausser einigen jetzt
+verschollenen oder doch der Lage nach unbekannten, noch autonom und
+stimmberechtigt zwischen Tiber und Anio Nomentum, zwischen dem Anio
+und dem Albaner Gebirg Tibur, Gabii, Scaptia, Labici ^12, Pedum und
+Praeneste, am Albaner Gebirg Corbio, Tusculum, Bovillae, Aricia,
+Corioli und Lanuvium, in den volskischen Bergen Cora, endlich in der
+Kuestenebene Laurentum. Dazu kamen die von Rom und dem latinischen Bunde
+angelegten Kolonien: Ardea im ehemaligen Rutulergebiet und in dem der
+Volsker Satricum, Velitrae, Norba, Signia, Setia und Circeii. Ausserdem
+hatten siebzehn andere Ortschaften, deren Namen nicht sicher bekannt
+sind, das Recht der Teilnahme am Latinerfest ohne Stimmrecht. Auf diesem
+Bestande von siebenundvierzig teil- und dreissig stimmberechtigten Orten
+blieb die latinische Eidgenossenschaft seitdem unabaenderlich stehen;
+weder sind die spaeter gegruendeten latinischen Gemeinden, wie Sutrium,
+Nepete, Antium, Tarracina, Cales, unter dieselben eingereiht, noch die
+spaeter der Autonomie entkleideten latinischen Gemeinden, wie
+Tusculum und Lanuvium, aus dem Verzeichnis gestrichen.
+----------------------------------------- ^11 In dem von Dionysios (5,
+61) mitgeteilten Verzeichnis der dreissig latinischen Bundesstaedte,
+dem einzigen, das wir besitzen, werden genannt die Ardeaten, Ariciner,
+Bovillaner, Bubentaner (unbekannter Lage), Corner (vielmehr Coraner),
+Carventaner (unbekannter Lage), Circeienser, Coriolaner, Corbinter,
+Cabaner (vielleicht die Cabenser am Albaner Berg, Bullettino dell'
+Istituto 1861, S. 205), Fortineer (unbekannt), Gabiner, Laurenter,
+Lanuviner, Lavinaten, Labicaner, Nomentaner, Norbaner, Praenestiner,
+Pedaner, Querquetulaner (unbekannter Lage), Satricaner, Scaptiner,
+Senner, Tiburtiner, Tusculaner, Tellenier (unbekannter Lage), Toleriner
+(unbekannter Lage) und Veliterner. Die gelegentlichen Erwaehnungen
+teilnahmeberechtigter Gemeinden, wie von Ardea (Liv. 32, 1), Laurentum
+(Liv. 37, 3), Lanuvium (Liv. 41, 16), Bovillae, Gabii, Labici (Cic.
+Planc. 9, 23) stimmen mit diesem Verzeichnis. Dionysios teilt es bei
+Gelegenheit der Kriegserklaerung Latiums gegen Rom im Jahre 256 (498)
+mit, und es lag darum nahe, wie dies Niebuhr getan, dies Verzeichnis
+als der bekannten Bundeserneuerung vom Jahre 261 (493) entlehnt zu
+betrachten. Allein da in diesem nach dem latinischen Alphabet geordneten
+Verzeichnis der Buchstabe g an der Stelle erscheint, die er zur Zeit der
+Zwoelf Tafeln sicher noch nicht hatte und schwerlich vor dem fuenften
+Jahrhundert bekommen hat (mein Die unteritalischen Dialekte. Leipzig
+1850, S. 33), so muss dasselbe einer viel juengeren Quelle entnommen
+sein; und es ist bei weitem die einfachste Annahme, darin das
+Verzeichnis derjenigen Orte zu erkennen die spaeterhin als die
+ordentlichen Glieder der latinischen Eidgenossenschaft betrachtet wurden
+und die Dionysios, seiner pragmatisierenden Gewohnheit gemaess,
+als deren urspruenglichen Bestand auffuehrt. Es erscheint in dem
+Verzeichnis, wie es zu erwarten war, keine einzige nichtlatinische
+Gemeinde; dasselbe zaehlt lediglich urspruenglich latinische oder mit
+latinischen Kolonien belegte Orte auf - Corbio und Corioli wird niemand
+als Ausnahme geltend machen. Vergleicht man nun mit diesem Register
+das der latinischen Kolonien so sind bis zum Jahre 372 (382) gegruendet
+worden Suessa Pometia, Velitrae, Norba, Signia, Ardea, Circeii (361
+393), Satricum (369 385), Sutrium (371 383), Nepete (371), Setia (372
+382). Von den letzten drei ungefaehr gleichzeitigen koennen sehr wohl
+die beiden etruskischen etwas spaeter datieren als Setia, da ja die
+Gruendung jeder Stadt eine gewisse Zeitdauer in Anspruch nahm und unsere
+Liste von kleineren Ungenauigkeiten nicht frei sein kann. Nimmt man
+dies an, so enthaelt das Verzeichnis saemtliche bis zum Jahre 372 (382)
+ausgefuehrte Kolonien einschliesslich der beiden bald nachher aus dem
+Verzeichnis gestrichenen Satricum, zerstoert 377 (377), und Velitrae,
+des latinischen Rechts entkleidet 416 (338); es fehlen nur Suessa
+Pometia, ohne Zweifel als vor dem Jahre 372 (382) zerstoert, und Signia,
+wahrscheinlich weil im Text des Dionysios, der nur neunundzwanzig Namen
+nennt, hinter S/E/TIN/O/N ausgefallen ist SIGNIN/O/N. Im vollkommenen
+Einklang hiermit mangeln in diesem Verzeichnis ebenso alle nach dem
+Jahre 372 (382) gegruendeten latinischen Kolonien wie alle Orte, die wie
+Ostia, Antemnae, Alba vor dem Jahre 370 (384) der roemischen Gemeinde
+inkorporiert wurden, wogegen die spaeter einverleibten, wie Tusculum,
+Lanuvium, Velitrae, in demselben stehen geblieben sind. Was das von
+Plinius mitgeteilte Verzeichnis von zweiunddreissig zu Plinius' Zeit
+untergegangenen, ehemals am Albanischen Fest beteiligten Ortschaften
+betrifft, so bleiben nach Abzug von sieben, die auch bei Dionysios
+stehen (denn die Cusuetaner des Plinius scheinen die Dionysischen
+Carventaner zu sein) noch fuenfundzwanzig, meistenteils ganz unbekannte
+Ortschaften ohne Zweifel teils jene siebzehn nicht stimmenden Gemeinden,
+groesstenteils wohl eben die aeltesten, spaeter zurueckgestellten
+Glieder der albanischen Festgenossenschaft, teils eine Anzahl anderer
+untergegangener oder ausgestossener Bundesglieder, zu welchen letzteren
+vor allem der alte, auch von Plinius genannte Vorort Alba gehoert. ^12
+Allerdings berichtet Livius (4, 47), dass Labici im Jahre 336 (418)
+Kolonie geworden sei. Allein abgesehen davon, dass Diodor (13, 6)
+hierueber schweigt, kann Labici weder eine Buergerkolonie geworden sein,
+da die Stadt teils nicht an der Kueste lag, teils auch spaeter noch
+im Besitz der Autonomie erscheint, noch eine latinische, da es kein
+einziges zweites Beispiel einer im urspruenglichen Latium angelegten
+latinischen Kolonie gibt noch nach dem Wesen dieser Gruendungen geben
+kann. Hoechst wahrscheinlich ist hier wie anderswo, da zumal als
+verteiltes Ackermass zwei Iugera genannt werden, die gemeine
+Buerger- mit der kolonialen Assignation verwechselt worden.
+------------------------------------------- Mit dieser Schliessung der
+Eidgenossenschaft haengt auch die geographische Fixierung des Umfanges
+von Latium zusammen. Solange die latinische Eidgenossenschaft noch offen
+war, hatte auch die Grenze von Latium mit der Anlage neuer Bundesstaedte
+sich vorgeschoben; aber wie die juengeren latinischen Kolonien keinen
+Anteil am Albaner Fest erhielten, galten sie auch geographisch nicht
+als Teil von Latium - darum werden wohl Ardea und Circeii, nicht aber
+Sutrium und Tarracina zur Landschaft Latium gerechnet. Aber nicht bloss
+wurden die nach 370 (384) mit latinischem Recht ausgestatteten Orte
+von der eidgenoessischen Gemeinschaft ferngehalten, sondern es wurden
+dieselben auch privatrechtlich insofern voneinander isoliert, als die
+Verkehrs- und wahrscheinlich auch die Ehegemeinschaft (commercium et
+conubium) einer jeden von diesen Gemeinden zwar mit der roemischen,
+nicht aber mit den uebrigen latinischen gestattet ward, so dass also zum
+Beispiel der Buerger von Sutrium wohl in Rom, aber nicht in Praeneste
+einen Acker zu vollem Eigentum besitzen und wohl von einer Roemerin,
+nicht aber von einer Tiburtinerin rechte Kinder gewinnen konnte ^13.
+------------------------------------------------------ ^13 Diese
+Beschraenkung der alten vollen latinischen Rechtsgemeinschaft begegnet
+zwar zuerst in der Vertragserneuerung von 416 (338) (Liv. 8, 14); da
+indes das Isolierungssystem, von dem dieselbe ein wesentlicher Teil ist,
+zuerst fuer die nach 370 (384) ausgefuehrten latinischen Kolonien begann
+und 416 (338) nur generalisiert ward, so war diese Neuerung hier zu
+erwaehnen. ------------------------------------------- Wenn ferner
+bisher innerhalb der Eidgenossenschaft eine ziemlich freie Bewegung
+gestattet worden war und zum Beispiel die sechs altlatinischen Gemeinden
+Aricia, Tusculum, Tibur, Lanuvium, Cora und Laurentum und die zwei
+neulatinischen Ardea und Suessa Pometia der aricinischen Diana ein
+Heiligtum gemeinschaftlich hatten stiften duerfen, so findet
+von aehnlichen der roemischen Hegemonie Gefahr drohenden
+Sonderkonfoederationen, ohne Zweifel nicht zufaellig, in spaeterer Zeit
+sich kein weiteres Beispiel. Ebenso wird man die weitere Umgestaltung
+der latinischen Gemeindeverfassungen und ihre voellige Ausgleichung mit
+der Verfassung Roms dieser Epoche zuschreiben duerfen; denn wenn als
+notwendiger Bestandteil der latinischen Magistratur neben den beiden
+Praetoren spaeterhin die beiden mit der Markt- und Strassenpolizei und
+der dazu gehoerigen Rechtspflege betrauten Aedilen erscheinen, so hat
+diese offenbar gleichzeitig und auf Anregung der fuehrenden Macht in
+allen Bundesgemeinden erfolgte Einsetzung staedtischer Polizeibehoerden
+sicher nicht vor der in das Jahr 387 (367) fallenden Einrichtung der
+kurulischen Aedilitaet in Rom, aber wahrscheinlich auch eben um diese
+Zeit stattgefunden. Ohne Zweifel war diese Anordnung nur das Glied einer
+Kette von bevormundenden und die bundesgenoessischen Gemeindeordnungen
+im polizeilich-aristokratischen Sinne umgestaltenden Massregeln.
+Offenbar fuehlte Rom nach dem Fall von Veii und der Eroberung des
+pomptinischen Gebietes sich maechtig genug, um die Zuegel der Hegemonie
+straffer anzuziehen und die saemtlichen latinischen Staedte in eine
+so abhaengige Stellung zu bringen, dass sie faktisch vollstaendig
+untertaenig wurden. In dieser Zeit (406 348) verpflichteten sich die
+Karthager in dem mit Rom abgeschlossenen Handelsvertrag, den Latinern,
+die Rom botmaessig seien, namentlich den Seestaedten Ardea, Antium,
+Circeii, Tarracina, keinen Schaden zuzufuegen; wuerde aber eine der
+latinischen Staedte vom roemischen Buendnis abgefallen sein, so sollten
+die Phoeniker dieselbe angreifen duerfen, indes, wenn sie sie etwa
+erobern wuerden, gehalten sein, sie nicht zu schleifen, sondern sie
+den Roemern zu ueberliefern. Hier liegt es vor, durch welche Ketten die
+roemische Gemeinde ihre Schutzstaedte an sich band und was eine Stadt,
+die der einheimischen Schutzherrschaft sich entzog, dadurch einbuesste
+und wagte. Zwar blieb auch jetzt noch wenn nicht der hernikischen, doch
+wenigstens der latinischen Eidgenossenschaft ihr formelles Anrecht auf
+den dritten Teil von Kriegsgewinn und wohl noch mancher andere Ueberrest
+der ehemaligen Rechtsgleichheit; aber was nachweislich verloren ging,
+war wichtig genug, um die Erbitterung begreiflich zu machen, welche in
+dieser Zeit unter den Latinern gegen Rom herrschte. Nicht bloss fochten
+ueberall, wo Heere gegen Rom im Felde standen, latinische Reislaeufer
+zahlreich unter der fremden Fahne gegen ihre fuehrende Gemeinde; sondern
+im Jahre 405 (349) beschloss sogar die latinische Bundesversammlung,
+den Roemern den Zuzug zu verweigern. Allen Anzeichen nach stand eine
+abermalige Schilderhebung der gesamten latinischen Bundesgenossenschaft
+in nicht ferner Zeit bevor; und eben jetzt drohte ein Zusammenstoss mit
+einer anderen italischen Nation, die wohl imstande war, der vereinigten
+Macht des latinischen Stammes ebenbuertig zu begegnen. Nach der
+Niederwerfung der noerdlichen Volsker stand den Roemern im Sueden
+zunaechst kein bedeutender Gegner gegenueber; unaufhaltsam naeherten
+ihre Legionen sich dem Liris. Im Jahre 397 (357) ward gluecklich
+gekaempft mit den Privernaten, 409 (345) Sora am oberen Liris besetzt.
+Schon standen also die roemischen Heere an der Grenze der Samniten, und
+das Freundschaftsbuendnis, das im Jahre 400 (354) die beiden tapfersten
+und maechtigsten italischen Nationen miteinander schlossen, war das
+sichere Vorzeichen des herannahenden und mit der Krise innerhalb der
+latinischen Nation in drohender Weise sich verschlingenden Kampfes um
+die Oberherrschaft Italiens. Die samnitische Nation, die, als man in
+Rom die Tarquinier austrieb, ohne Zweifel schon seit laengerer Zeit
+im Besitz des zwischen der apulischen und der kampanischen Ebene
+aufsteigenden und beide beherrschenden Huegellandes gewesen war, war
+bisher auf der einen Seite durch die Daunier - Arpis Macht und Bluete
+faellt in diese Zeit -, auf der andern durch die Griechen und Etrusker
+an weiterem Vordringen gehindert worden. Aber der Sturz der etruskischen
+Macht um das Ende des dritten (450), das Sinken der griechischen
+Kolonien im Laufe des vierten Jahrhunderts (450-350) machten gegen
+Westen und Sueden ihnen Luft und ein samnitischer Schwarm nach dem
+andern zog jetzt bis an, ja ueber die sueditalischen Meere. Zuerst
+erschienen sie in der Ebene am Golf, wo der Name der Kampaner seit dem
+Anfang des vierten Jahrhunderts vernommen wird; die Etrusker wurden hier
+erdrueckt, die Griechen beschraenkt, jenen Capua (330 424), diesen Kyme
+(334 420) entrissen. Um dieselbe Zeit, vielleicht schon frueher,
+zeigen sich in Grossgriechenland die Lucaner, die im Anfang des vierten
+Jahrhunderts mit Terinaeern und Thurinern im Kampf liegen und geraume
+Zeit vor 364 (390) in dem griechischen Laos sich festsetzten. Um diese
+Zeit betrug ihr Aufgebot 30000 Mann zu Fuss und 4000 Reiter. Gegen das
+Ende des vierten Jahrhunderts ist zuerst die Rede von der gesonderten
+Eidgenossenschaft der Brettier ^14, die, ungleich den andern
+sabellischen Staemmen, nicht als Kolonie, sondern im Kampf von den
+Lucanern sich losgemacht und mit vielen fremdartigen Elementen sich
+gemischt hatten. Wohl suchten die unteritalischen Griechen sich des
+Andranges der Barbaren zu erwehren; der Achaeische Staedtebund ward 361
+(393) rekonstituiert und festgesetzt, dass, wenn eine der verbuendeten
+Staedte von Lucanern angegriffen werde, alle Zuzug leisten und die
+Fuehrer der ausbleibenden Heerhaufen Todesstrafe leiden sollten. Aber
+selbst die Einigung Grossgriechenlands half nicht mehr, da der Herr von
+Syrakus, der aeltere Dionysios, mit den Italikern gegen seine Landsleute
+gemeinschaftliche Sache machte. Waehrend Dionysios den grossgriechischen
+Flotten die Herrschaft ueber die italischen Meere entriss, ward von den
+Italikern eine Griechenstadt nach der andern besetzt oder vernichtet;
+in unglaublich kurzer Zeit war der bluehende Staedtering zerstoert
+oder veroedet. Nur wenigen griechischen Orten, wie zum Beispiel Neapel,
+gelang es muehsam und mehr durch Vertraege als durch Waffengewalt,
+wenigstens ihr Dasein und ihre Nationalitaet zu bewahren; durchaus
+unabhaengig und maechtig blieb allein Tarent, das durch seine
+entferntere Lage und durch seine in steten Kaempfen mit den Messapiern
+unterhaltene Schlagfertigkeit sich aufrecht hielt, wenngleich auch diese
+Stadt bestaendig mit den Lucanern um ihre Existenz zu fechten hatte und
+genoetigt war, in oder griechischen Heimat Buendnisse und Soeldner zu
+suchen. ---------------------------------------------- ^14 Der Name
+selbst ist uralt, ja der aelteste einheimische Name der Bewohner des
+heutigen Kalabrien (Antiochos fr. 5 Mueller). Die bekannte Ableitung ist
+ohne Zweifel erfunden. -----------------------------------------------
+Um die Zeit, wo Veii und die pomptinische Ebene roemisch wurden, hatten
+die samnitischen Scharen bereits ganz Unteritalien inne mit Ausnahme
+weniger und unter sich nicht zusammenhaengender griechischer
+Pflanzstaedte und der apulisch- messapischen Kueste. Die um 418 (336)
+abgefasste griechische Kuestenbeschreibung setzt die eigentlichen
+Samniten mit ihren "fuenf Zungen" von einem Meer zum andern an und
+am Tyrrhenischen neben sie in noerdlicher Richtung die Kampaner,
+in suedlicher die Lucaner, unter denen hier wie oefter die Brettier
+mitbegriffen sind und denen bereits die ganze Kueste von Paestum am
+Tyrrhenischen bis nach Thurii am Ionischen Meer zugeteilt wird. In
+der Tat, wer miteinander vergleicht, was die beiden grossen Nationen
+Italiens, die latinische und die samnitische, errungen hatten, bevor
+sie sich beruehrten, dem erscheint die Eroberungsbahn der letzteren
+bei weitem ausgedehnter und glaenzender als die der Roemer. Aber der
+Charakter der Eroberungen war ein wesentlich verschiedener. Von dem
+festen staedtischen Mittelpunkt aus, den Latium im Rom besass, dehnt die
+Herrschaft dieses Stammes langsam nach allen Seiten sich aus, zwar
+in verhaeltnismaessig engen Grenzen, aber festen Fuss fassend, wo sie
+hintritt, teils durch Gruendung von befestigten Staedten roemischer Art
+mit abhaengigem Bundesrecht, teils durch Romanisierung des eroberten
+Gebiets. Anders in Samnium. Es gibt hier keine einzelne fuehrende
+Gemeinde und darum auch keine Eroberungspolitik. Waehrend die Eroberung
+des veientischen und pomptinischen Gebietes fuer Rom eine wirkliche
+Machterweiterung war, wurde Samnium durch die Entstehung der
+kampanischen Staedte, der lucanischen, der brettischen Eidgenossenschaft
+eher geschwaecht als gestaerkt; denn jeder Schwarm, der neue Sitze
+gesucht und gefunden hatte, ging fortan fuer sich seine Wege. Die
+samnitischen Scharen erfuellen einen unverhaeltnismaessig weiten
+Raum, den sie ganz sich eigen zu machen keineswegs bedacht sind; die
+groesseren Griechenstaedte, Tarent, Thurii, Kroton, Metapont, Herakleia,
+Rhegion, Neapel, wenngleich geschwaecht und oefters abhaengig, bestehen
+fort, ja selbst auf dem platten Lande und in den kleineren Staedten
+werden die Hellenen geduldet, und Kyme zum Beispiel, Poseidonia, Laos,
+Hipponion blieben, wie die erwaehnte Kuestenbeschreibung und die Muenzen
+lehren, auch unter samnitischer Herrschaft noch Griechenstaedte.
+So entstanden gemischte Bevoelkerungen, wie denn namentlich die
+zwiesprachigen Brettier ausser samnitischen auch hellenische Elemente
+und selbst wohl Ueberreste der alten Autochthonen in sich aufnahmen;
+aber auch in Lucanien und Kampanien muessen in minderem Grade
+aehnliche Mischungen stattgefunden haben. Dem gefaehrlichen Zauber
+der hellenischen Kultur konnte auch die samnitische Nation sich
+nicht entziehen, am wenigsten in Kampanien, wo Neapel frueh mit den
+Einwanderern sich auf freundlichen Verkehr stellte und wo der Himmel
+selbst die Barbaren humanisierte. Nola, Nuceria, Teanum, obwohl rein
+samnitischer Bevoelkerung, nahmen griechische Weise und griechische
+Stadtverfassung an, wie denn auch die heimische Gauverfassung unter
+den veraenderten Verhaeltnissen unmoeglich fortbestehen konnte. Die
+kampanischen Samnitenstaedte begannen Muenzen zu schlagen, zum Teil
+mit griechischer Aufschrift; Capua ward durch Handel und Ackerbau der
+Groesse nach die zweite Stadt Italiens, die erste an Ueppigkeit und
+Reichtum. Die tiefe Entsittlichung, worin den Berichten der Alten
+zufolge diese Stadt es allen uebrigen italischen zuvorgetan hat,
+spiegelt sich namentlich in dem Werbewesen und in den Fechterspielen,
+die beide vor allem in Capua zur Bluete gelangt sind. Nirgends
+fanden die Werber so zahlreichen Zulauf wie in dieser Metropole
+der entsittlichten Zivilisation; waehrend Capua selbst sich vor den
+Angriffen der nachdraengenden Samniten nicht zu bergen wusste, stroemte
+die streitbare kampanische Jugend unter selbstgewaehlten Condottieren
+massenweise namentlich nach Sizilien. Wie tief diese Landknechtfahrten
+in die Geschicke Italiens eingriffen, wird spaeter noch darzustellen
+sein; fuer die kampanische Weise sind sie ebenso bezeichnend wie die
+Fechterspiele, die gleichfalls in Capua zwar nicht ihre Entstehung,
+aber ihre Ausbildung empfingen. Hier traten sogar waehrend des Gastmahls
+Fechterpaare auf und ward deren Zahl je nach dem Rang der geladenen
+Gaeste abgemessen. Diese Entartung der bedeutendsten samnitischen Stadt,
+die wohl ohne Zweifel auch mit dem hier noch nachwirkenden etruskischen
+Wesen eng zusammenhaengt, musste fuer die ganze Nation verhaengnisvoll
+werden; wenn auch der kampanische Adel es verstand, mit dem tiefsten
+Sittenverfall ritterliche Tapferkeit und hohe Geistesbildung zu
+verbinden, so konnte er doch fuer seine Nation nimmermehr werden, was
+die roemische Nobilitaet fuer die latinische war. Aehnlich wie auf die
+Kampaner, wenn auch in minderer Staerke, wirkte der hellenische Einfluss
+auf die Lucaner und Brettier. Die Graeberfunde in all diesen Gegenden
+beweisen, wie die griechische Kunst daselbst mit barbarischem Luxus
+gepflegt ward; der reiche Gold- und Bernsteinschmuck, das prachtvolle
+gemalte Geschirr, wie wir sie jetzt den Haeusern der Toten entheben,
+lassen ahnen, wie weit man hier schon sich entfernt hatte von der alten
+Sitte der Vaeter. Andere Spuren bewahrt die Schrift; die altnationale
+aus dem Norden mitgebrachte ward von den Lucanern und Brettiern
+aufgegeben und mit der griechischen vertauscht, waehrend in Kampanien
+das nationale Alphabet und wohl auch die Sprache unter dem bildenden
+Einfluss der griechischen sich selbstaendig entwickelte zu groesserer
+Klarheit und Feinheit. Es begegnen sogar einzelne Spuren des Einflusses
+griechischer Philosophie. Nur das eigentliche Samnitenland blieb
+unberuehrt von diesen Neuerungen, die, so schoen und natuerlich sie
+teilweise sein mochten, doch maechtig dazu beitrugen, das von Haus aus
+schon lose Band der nationalen Einheit immer mehr zu lockern. Durch den
+Einfluss des hellenischen Wesens kam ein tiefer Riss in den samnitischen
+Stamm. Die gesitteten "Philhellenen" Kampaniens gewoehnten sich, gleich
+den Hellenen selbst, vor den rauheren Staemmen der Berge zu zittern,
+die ihrerseits nicht aufhoerten, in Kampanien einzudringen und die
+entarteten aelteren Ansiedler zu beunruhigen. Rom war ein geschlossener
+Staat, der ueber die Kraft von ganz Latium verfuegte; die Untertanen
+mochten murren, aber sie gehorchten. Der samnitische Stamm war zerfahren
+und zersplittert, und die Eidgenossenschaft im eigentlichen Samnium
+hatte sich zwar die Sitten und die Tapferkeit der Vaeter ungeschmaelert
+bewahrt, war aber auch darueber mit den uebrigen samnitischen Voelker-
+und Buergerschaften voellig zerfallen. In der Tat war es dieser Zwist
+zwischen den Samniten der Ebene und den Samniten der Gebirge, der die
+Roemer ueber den Liris fuehrte. Die Sidiciner in Teanum, die Kampaner
+in Capua suchten gegen die eigenen Landsleute, die mit immer neuen
+Schwaermen ihr Gebiet brandschatzten und darin sich festzusetzen
+drohten, Hilfe bei den Roemern (411 343). Als das begehrte Buendnis
+verweigert ward, bot die kampanische Gesandtschaft die Unterwerfung der
+Stadt unter die Oberherrlichkeit Roms an, und solcher Lockung vermochten
+die Roemer nicht zu widerstehen. Roemische Gesandte gingen zu den
+Samniten, ihnen den neuen Erwerb anzuzeigen und sie aufzufordern, das
+Gebiet der befreundeten Macht zu respektieren. Wie die Ereignisse weiter
+verliefen, ist im einzelnen nicht mehr zu ermitteln ^15; wir sehen nur,
+dass zwischen Rom und Samnium, sei es nach einem Feldzug, sei es ohne
+vorhergehenden Krieg, ein Abkommen zustande kam, wodurch die Roemer
+freie Hand erhielten gegen Capua, die Samniten gegen Teanum und die
+Volsker am oberen Liris. Dass die Samniten sich dazu verstanden,
+erklaert sich aus den gewaltigen Anstrengungen, die eben um diese Zeit
+die Tarentiner machten, sich der sabellischen Nachbarn zu entledigen;
+aber auch die Roemer hatten guten Grund, sich mit den Samniten so
+schnell wie moeglich abzufinden, denn der bevorstehende Uebergang
+der suedlich an Latium angrenzenden Landschaft in roemischen Besitz
+verwandelte die laengst unter den Latinern bestehende Gaerung in offene
+Empoerung. Alle urspruenglich latinischen Staedte, selbst die in den
+roemischen Buergerverband aufgenommenen Tusculaner ergriffen die Waffen
+gegen Rom, mit einziger Ausnahme der Laurenter, waehrend dagegen von
+den ausserhalb der Grenzen Latiums gegruendeten Kolonien nur die alten
+Volskerstaedte Velitrae, Antium und Tarracina sich an der Auflehnung
+beteiligten. Dass die Capuaner, ungeachtet der eben erst freiwillig den
+Roemern angetragenen Unterwerfung, dennoch die erste Gelegenheit, der
+roemischen Herrschaft wieder ledig zu werden, bereitwillig ergriffen
+und, trotz des Widerstandes der an dem Vertrag mit Rom festhaltenden
+Optimatenpartei, die Gemeinde gemeinschaftliche Sache mit der
+latinischen Eidgenossenschaft machte, ist erklaerlich; wogegen die noch
+selbstaendigen Volskerstaedte, wie Fundi und Formiae, und die Herniker
+sich gleich der kampanischen Aristokratie an diesem Aufstande nicht
+beteiligten. Die Lage der Roemer war bedenklich; die Legionen, die ueber
+den Liris gegangen waren und Kampanien besetzt hatten, waren durch
+den Aufstand der Latiner von der Heimat abgeschnitten und nur ein
+Sieg konnte sie retten. Bei Trifanum (zwischen Minturnae, Suessa und
+Sinuessa) ward die entscheidende Schlacht geliefert (414 340): der
+Konsul Titus Manlius Imperiosus Torquatus erfocht ueber die vereinigten
+Latiner und Kampaner einen vollstaendigen Sieg. In den beiden folgenden
+Jahren wurden die einzelnen Staedte, soweit sie noch Widerstand
+leisteten, durch Kapitulation oder Sturm bezwungen und die
+ganze Landschaft zur Unterwerfung gebracht.
+--------------------------------------------------- ^15 Vielleicht kein
+Abschnitt der roemischen Annalen ist aerger entstellt als die Erzaehlung
+des ersten samnitisch-latinischen Krieges, wie sie bei Livius,
+Dionysios, Appian steht oder stand. Sie lautet etwa folgendermassen.
+Nachdem 411 (343) beide Konsuln in Kampanien eingerueckt waren, erfocht
+zuerst der Konsul Marcus Valerius Corvus am Berge Gaurus ueber die
+Samniten einen schweren und blutigen Sieg; alsdann auch der Kollege
+Aulus Cornelius Cossus, nachdem er der Vernichtung in einem Engpass
+durch Hingebung einer von dem Kriegstribun Publius Decius gefuehrten
+Abteilung entgangen war. Die dritte und entscheidende Schlacht ward
+am Eingang der Caudinischen Paesse bei Suessula von den beiden Konsuln
+geschlagen; die Samniten wurden vollstaendig ueberwunden - man las
+vierzigtausend ihrer Schilde auf dem Schlachtfelde auf - und zum Frieden
+genoetigt, in welchem die Roemer Capua, das sich ihnen zu eigen
+gegeben, behielten, Teanum dagegen den Samniten ueberliessen (413 341).
+Glueckwuensche kamen von allen Seiten, selbst von Karthago. Die Latiner,
+die den Zuzug verweigert hatten und gegen Rom zu ruesten schienen,
+wandten ihre Waffen statt gegen Rom vielmehr gegen die Paeligner,
+waehrend die Roemer zunaechst durch eine Militaerverschwoerung der in
+Kampanien zurueckgelassenen Besatzung (412 342), dann durch die Einnahme
+von Privernum (413 341) und den Krieg gegen die Antiaten beschaeftigt
+waren. Nun aber wechseln ploetzlich und seltsam die Parteiverhaeltnisse.
+Die Latiner, die umsonst das roemische Buergerrecht und Anteil am
+Konsulat gefordert hatten, erhoben sich gegen Rom in Gemeinschaft mit
+den Sidicinern, die vergeblich den Roemern die Unterwerfung angetragen
+hatten und vor den Samniten sich nicht zu retten wussten, und mit den
+Kampanern, die der roemischen Herrschaft bereits muede waren. Nur die
+Laurenter in Latium und die kampanischen Ritter hielten zu den Roemern,
+welche ihrerseits Unterstuetzung fanden bei den Paelignern und
+den Samniten. Das latinische Heer ueberfiel Samnium; das
+roemisch-samnitische schlug, nachdem es an den Fuciner See und von da
+an Latium vorueber in Kampanien einmarschiert war, die
+Entscheidungsschlacht gegen die vereinigten Latiner und Kampaner am
+Vesuv, welche der Konsul Titus Manlius Imperiosus, nachdem er selbst
+durch die Hinrichtung seines eigenen, gegen den Lagerbefehl siegenden
+Sohnes die schwankende Heereszucht wiederhergestellt und sein Kollege
+Publius Decius Mus die Goetter versoehnt hatte durch seinen Opfertod,
+endlich mit Aufbietung der letzten Reserve gewann. Aber erst eine zweite
+Schlacht, die der Konsul Manlius den Latinern und Kampanern bei Trifanum
+lieferte, machte dem Krieg ein Ende; Latium und Capua unterwarfen sich
+und wurden um einen Teil ihres Gebietes gestraft. Einsichtigen und
+ehrlichen Lesern wird es nicht entgehen, dass dieser Bericht von
+Unmoeglichkeiten aller Art wimmelt. Dahin gehoert das Kriegfuehren der
+Antiaten nach der Dedition von 377 (377) (Liv. 6, 33); der selbstaendige
+Feldzug der Latiner gegen die Paeligner im schneidenden Widerspruch zu
+den Bestimmungen der Vertraege zwischen Rom und Latium; der unerhoerte
+Marsch des roemischen Heeres durch das marsische und samnitische Gebiet
+nach Capua, waehrend ganz Latium gegen Rom in Waffen stand; um nicht
+zu reden von dem ebenso verwirrten wie sentimentalen Bericht ueber den
+Militaeraufstand von 412 (342) und den Geschichtchen von dem gezwungenen
+Anfuehrer desselben, dem lahmen Titus Quinctius, dem roemischen Goetz
+von Berlichingen. Vielleicht noch bedenklicher sind die Wiederholungen;
+so ist die Erzaehlung von dem Kriegstribun Publius Decius nachgebildet
+der mutigen Tat des Marcus Calpurnius Flamma, oder wie er sonst hiess,
+im Ersten Punischen Kriege; so kehrt die Eroberung Privernums durch
+Gaius Plautius wieder im Jahre 425 (329), und nur diese zweite ist in
+den Triumphalfasten verzeichnet; so der Opfertod des Publius Decius
+bekanntlich bei dem Sohne desselben 459 (295). Ueberhaupt verraet in
+diesem Abschnitt die ganze Darstellung eine andere Zeit und eine andere
+Hand als die sonstigen glaubwuerdigeren annalistischen Berichte; die
+Erzaehlung ist voll von ausgefuehrten Schlachtgemaelden; von eingewebten
+Anekdoten, wie zum Beispiel der von dem setinischen Praetor, der auf den
+Stufen des Rathauses den Hals bricht, weil er dreist genug gewesen war,
+das Konsulat zu begehren, und den mannigfaltigen aus dem Beinamen
+des Titus Manlius herausgesponnenen; von ausfuehrlichen und zum Teil
+bedenklichen archaeologischen Digressionen, wohin zum Beispiel die
+Geschichte der Legion (von der die hoechst wahrscheinlich apokryphe
+Notiz ueber die aus Roemern und Latinern gemischten Manipel des zweiten
+Tarquinius bei Liv. 1, 52 offenbar ein zweites Bruchstueck ist),
+die verkehrte Auffassung des Vertrages zwischen Capua und Rom (meine
+Geschichte des roemischen Muenzwesens. Breslau 1860, S. 334, A.
+122), die Devotionsformulare, der kampanische Denar, das laurentische
+Buendnis, die bina iugera bei der Assignation gehoeren. Unter solchen
+Umstaenden erscheint es von grossem Gewicht, dass Diodoros, der
+anderen und oft aelteren Berichten folgt, von all diesen Ereignissen
+schlechterdings nichts kennt als die letzte Schlacht bei Trifanum;
+welche auch in der Tat schlecht passt zu der uebrigen Erzaehlung, die
+nach poetischer Gerechtigkeit schliessen sollte mit dem Tode des Decius.
+--------------------------------------------- Die Folge des Sieges
+war die Aufloesung des latinischen Bundes. Derselbe wurde aus einer
+selbstaendigen politischen Konfoederation in eine bloss religioese
+Festgenossenschaft umgewandelt; die altverbrieften Rechte der
+Eidgenossenschaft auf ein Maximum der Truppenaushebung und einen Anteil
+an dem Kriegsgewinn gingen damit als solche zu Grunde, und was derart
+spaeter noch vorkam, traegt den Charakter der Gnadenbewilligung. An
+die Stelle des einen Vertrages zwischen Rom einer- und der latinischen
+Eidgenossenschaft anderseits traten im besten Fall ewige Buendnisse
+zwischen Rom und den einzelnen eidgenoessischen Orten. Zu diesem
+Vertragsverhaeltnis wurden von den altlatinischen Orten ausser Laurentum
+auch Tibur und Praeneste zugelassen, welche indes Stuecke ihres Gebiets
+an Rom abtreten mussten. Gleiches Recht erhielten die ausserhalb Latium
+gegruendeten Gemeinden latinischen Rechts, soweit sie sich nicht an dem
+Kriege beteiligt hatten. Die Isolierung der Gemeinden gegeneinander,
+welche fuer die nach dem Jahre 370 (384) gegruendeten Orte bereits
+frueher festgestellt worden war, ward also auf die gesamte Nation
+erstreckt. Im uebrigen blieben den einzelnen Orten die bisherigen
+Gerechtsame und ihre Autonomie. Die uebrigen altlatinischen Gemeinden
+sowie die abgefallenen Kolonien verloren saemtlich die Selbstaendigkeit
+und traten in einer oder der anderen Form in den roemischen
+Buergerverband ein. Die beiden wichtigsten Kuestenstaedte Antium (416
+338) und Tarracina (425 329) wurden, nach dem Muster von Ostia, mit
+roemischen Vollbuergern besetzt und auf eine engbegrenzte kommunale
+Selbstaendigkeit beschraenkt, die bisherigen Buerger zu Gunsten der
+roemischen Kolonisten ihres Grundeigentums grossenteils beraubt
+und, soweit sie es behielten, ebenfalls in den Vollbuergerverband
+aufgenommen. Lanuvium, Aricia, Nomentum, Pedum wurden roemische
+Buergergemeinden mit beschraenkter Selbstverwaltung nach dem Muster von
+Tusculum (l, 360). Velitraes Mauern wurden niedergerissen, der Senat
+in Masse ausgewiesen und im roemischen Etrurien interniert, die Stadt
+wahrscheinlich als untertaenige Gemeinde nach caeritischem Recht
+konstituiert. Von dem gewonnenen Acker wurde ein Teil, zum Beispiel
+die Laendereien der veliternischen Ratsmitglieder, an roemische Buerger
+verteilt; mit diesen Einzelassignationen haengt die Errichtung zweier
+neuer Buergerbezirke im Jahre 422 (332) zusammen. Wie tief man in Rom
+die ungeheure Bedeutung des gewonnenen Erfolges empfand, zeigt die
+Ehrensaeule, die man dem siegreichen Buergermeister des Jahres 416
+(338), Gaius Maenius, auf dem roemischen Markte errichtete, und die
+Schmueckung der Rednertribuene auf demselben mit den Schnaebeln der
+unbrauchbar befundenen antiatischen Galeeren. In gleicher Weise ward
+in dem suedlichen volskischen und dem kampanischen Gebiet die roemische
+Herrschaft durchgefuehrt und befestigt. Fundi, Formiae, Capua, Kyme und
+eine Anzahl kleinerer Staedte wurden abhaengige roemische Gemeinden mit
+Selbstverwaltung; um das vor allem wichtige Capua zu sichern, erweiterte
+man kuenstlich die Spaltung zwischen Adel und Gemeinde, revidierte
+die Gemeindeverfassung im roemischen Interesse und kontrollierte die
+staedtische Verwaltung durch jaehrlich nach Kampanien gesandte
+roemische Beamte. Dieselbe Behandlung widerfuhr einige Jahre darauf
+dem volskischen Privernum, dessen Buerger, unterstuetzt von dem kuehnen
+fundanischen Parteigaenger Vitruvius Vaccus, die Ehre hatten, fuer die
+Freiheit dieser Landschaft den letzten Kampf zu kaempfen - er endigte
+mit der Erstuermung der Stadt (425 329) und der Hinrichtung des Vaccus
+im roemischen Kerker. Um eine eigene roemische Bevoelkerung in diesen
+Gegenden emporzubringen, teilte man von den im Krieg gewonnenen
+Laendereien, namentlich im privernatischen und im falernischen Gebiet,
+so zahlreiche Ackerlose an roemische Buerger aus, dass wenige Jahre
+nachher (436 318) auch dort zwei neue Buergerbezirke errichtet werden
+konnten. Die Anlegung zweier Festungen als Kolonien latinischen Rechts
+sicherte schliesslich das neu gewonnene Land. Es waren dies Cales (420
+334) mitten in der kampanischen Ebene, von wo aus Teanum und Capua
+beobachtet werden konnten, und Fregellae (426 328), das den Uebergang
+ueber den Liris beherrschte. Beide Kolonien waren ungewoehnlich stark
+und gelangten schnell zur Bluete, trotz der Hindernisse, welche die
+Sidiciner der Gruendung von Cales, die Samniten der von Fregellae in
+den Weg legten. Auch nach Sora ward eine roemische Besatzung verlegt,
+worueber die Samniten, denen dieser Bezirk vertragsmaessig ueberlassen
+worden war, sich mit Grund, aber vergeblich beschwerten. Ungeirrt ging
+Rom seinem Ziel entgegen, seine energische und grossartige Staatskunst
+mehr als auf dem Schlachtfelde offenbarend in der Sicherung der
+gewonnenen Landschaft, die es politisch und militaerisch mit einem
+unzerreissbaren Netze umflocht. Dass die Samniten das bedrohliche
+Vorschreiten der Roemer nicht gern sahen, versteht sich; sie warfen
+ihnen auch wohl Hindernisse in den Weg, aber versaeumten es doch jetzt,
+wo es vielleicht noch Zeit war, mit der von den Umstaenden geforderten
+Energie ihnen die neue Eroberungsbahn zu verlegen. Zwar Teanum scheinen
+sie nach dem Vertrag mit Rom eingenommen und stark besetzt zu haben;
+denn waehrend die Stadt frueher Hilfe gegen Samnium in Capua und Rom
+nachsucht, erscheint sie in den spaeteren Kaempfen als die Vormauer der
+samnitischen Macht gegen Westen. Aber am oberen Liris breiteten sie wohl
+erobernd und zerstoerend sich aus, versaeumten es aber, hier auf die
+Dauer sich festzusetzen. So zerstoerten sie die Volskerstadt Fregellae,
+wodurch nur die Anlage der eben erwaehnten roemischen Kolonie daselbst
+erleichtert ward, und schreckten zwei andere Volskerstaedte, Fabrateria
+(Ceccano) und Luca (unbekannter Lage), so, dass dieselben, Capuas
+Beispiel folgend, sich (424 330) den Roemern zu eigen gaben. Die
+samnitische Eidgenossenschaft gestattete, dass die roemische Eroberung
+Kampaniens eine vollendete Tatsache geworden war, bevor sie sich
+ernstlich derselben widersetzte; wovon der Grund allerdings zum Teil
+in den gleichzeitigen Fehden der samnitischen Nation mit den italischen
+Hellenen, aber zum Teil doch auch in der schlaffen und zerfahrenen
+Politik der Eidgenossenschaft zu suchen ist. 6. Kapitel Die Italiker
+gegen Rom Waehrend die Roemer am Liris und Volturnus fochten, bewegten
+den Suedosten der Halbinsel andere Kaempfe. Die reiche tarentinische
+Kaufmannsrepublik, immer ernstlicher bedroht von den lucanischen und
+messapischen Haufen und ihren eigenen Schwertern mit Recht misstrauend,
+gewann fuer gute Worte und besseres Geld die Bandenfuehrer der Heimat.
+Der Spartanerkoenig Archidamos, der mit einem starken Haufen den
+Stammgenossen zu Hilfe gekommen war, erlag an demselben Tage, wo Philipp
+bei Chaeroneia siegte, den Lucanern (416 338); wie die frommen Griechen
+meinten, zur Strafe dafuer, dass er und seine Leute neunzehn Jahre
+frueher teilgenommen hatten an der Pluenderung des delphischen
+Heiligtums. Seinen Platz nahm ein maechtigerer Feldhauptmann ein,
+Alexander der Molosser, Bruder der Olympias, der Mutter Alexanders des
+Grossen. Mit den mitgebrachten Scharen vereinigte er unter seinen
+Fahnen die Zuzuege der Griechenstaedte, namentlich der Tarentiner und
+Metapontiner; ferner die Poediculer (um Rubi, jetzt Ruvo), die gleich
+den Griechen sich von der sabellischen Nation bedroht sahen; endlich
+sogar die lucanischen Verbannten selbst, deren betraechtliche Zahl auf
+heftige innere Unruhen in dieser Eidgenossenschaft schliessen laesst.
+So sah er sich bald dem Feinde ueberlegen. Consentia (Cosenza), der
+Bundessitz, wie es scheint, der in Grossgriechenland angesiedelten
+Sabeller, fiel in seine Haende. Umsonst kommen die Samniten den Lucanern
+zu Hilfe; Alexander schlaegt ihre vereinigte Streitmacht bei Paestum, er
+bezwingt die Daunier um Sipontum, die Messapier auf der suedoestlichen
+Halbinsel; schon gebietet er von Meer zu Meer und ist im Begriff, den
+Roemern die Hand zu reichen und mit ihnen gemeinschaftlich die Samniten
+in ihren Stammsitzen anzugreifen. Aber so unerwartete Erfolge waren den
+Tarentiner Kaufleuten unerwuenscht und erschreckend; es kam zum Kriege
+zwischen ihnen und ihrem Feldhauptmann, der als gedungener Soeldner
+erschienen war und nun sich anliess, als wolle er im Westen ein
+hellenisches Reich begruenden gleichwie sein Neffe im Osten. Alexander
+war anfangs im Vorteil: er entriss den Tarentinern Herakleia, stellte
+Thurii wieder her und scheint die uebrigen italischen Griechen
+aufgerufen zu haben, sich unter seinem Schutz gegen die Tarentiner
+zu vereinigen, indem er zugleich es versuchte, zwischen ihnen und den
+sabellischen Voelkerschaften den Frieden zu vermitteln. Allein seine
+grossartigen Entwuerfe fanden nur schwache Unterstuetzung bei den
+entarteten und entmutigten Griechen und der notgedrungene Parteiwechsel
+entfremdete ihm seinen bisherigen lucanischen Anhang; bei Pandosia fiel
+er von der Hand eines lucanischen Emigrierten (422 332) ^1. Mit seinem
+Tode kehrten im wesentlichen die alten Zustaende wieder zurueck.
+Die griechischen Staedte sahen sich wiederum vereinzelt und wiederum
+lediglich darauf angewiesen, sich jede, so gut es gehen mochte, zu
+schuetzen durch Vertrag oder Tributzahlung oder auch durch auswaertige
+Hilfe, wie zum Beispiel Kroton um 430 (324) mit Hilfe von Syrakus die
+Brettier zurueckschlug. Die samnitischen Staemme erhielten aufs neue
+das Uebergewicht und konnten, unbekuemmert um die Griechen, wieder
+ihre Blicke nach Kampanien und Latium wenden.
+---------------------------------------------- ^1 Es wird nicht
+ueberfluessig sein, daran zu erinnern, dass, was ueber Archidamos und
+Alexander bekannt ist, aus griechischen Jahrbuechern herruehrt und der
+Synchronismus dieser und der roemischen fuer die gegenwaertige Epoche
+noch bloss approximativ festgestellt ist. Man huete sich daher, den im
+allgemeinen unverkennbaren Zusammenhang der west- und der
+ostitalischen Ereignisse zu sehr ins einzelne verfolgen zu wollen.
+---------------------------------------------- Hier aber war in der
+kurzen Zwischenzeit ein ungeheurer Umschwung eingetreten. Die latinische
+Eidgenossenschaft war gesprengt und zertruemmert, der letzte Widerstand
+der Volsker gebrochen, die kampanische Landschaft, die reichste und
+schoenste der Halbinsel, im unbestrittenen und wohlbefestigten Besitz
+der Roemer, die zweite Stadt Italiens in roemischer Klientel.
+Waehrend die Griechen und Samniten miteinander rangen, hatte Rom fast
+unbestritten sich zu einer Machtstellung emporgeschwungen, die zu
+erschuettern kein einzelnes Volk der Halbinsel die Mittel mehr besass
+und die alle zugleich mit roemischer Unterjochung bedrohte. Eine
+gemeinsame Anstrengung der jedes fuer sich Rom nicht gewachsenen
+Voelker konnte vielleicht die Ketten noch sprengen, ehe sie voellig sich
+befestigten; aber die Klarheit, der Mut, die Hingebung, wie eine solche
+Koalition unzaehliger, bisher grossenteils feindlich oder doch fremd
+sich gegenueberstehender Volks- und Stadtgemeinden sie erforderte,
+fanden sich nicht oder doch erst, als es bereits zu spaet war. Nach
+dem Sturz der etruskischen Macht, nach der Schwaechung der griechischen
+Republiken war naechst Rom unzweifelhaft die bedeutendste Macht in
+Italien die samnitische Eidgenossenschaft und zugleich diejenige, die
+von den roemischen Uebergriffen am naechsten und unmittelbarsten
+bedroht war. Ihr also kam es zu, in dem Kampf um die Freiheit und die
+Nationalitaet, den die Italiker gegen Rom zu fuehren hatten, die erste
+Stelle und die schwerste Last zu uebernehmen. Sie durfte rechnen auf
+den Beistand der kleinen sabellischen Voelkerschaften, der Vestiner,
+Frentaner, Marruciner und anderer kleinerer Gaue, die in baeuerlicher
+Abgeschiedenheit zwischen ihren Bergen wohnten, aber nicht taub waren,
+wenn der Aufruf eines verwandten Stammes sie mahnte, zur Verteidigung
+der gemeinsamen Gueter die Waffen zu ergreifen. Wichtiger waere der
+Beistand der kampanischen und grossgriechischen Hellenen, namentlich
+der Tarentiner, und der maechtigen Lucaner und Brettier gewesen;
+allein teils die Schlaffheit und Fahrigkeit der in Tarent herrschenden
+Demagogen und die Verwicklung der Stadt in die sizilischen
+Angelegenheiten, teils die innere Zerrissenheit der lucanischen
+Eidgenossenschaft, teils und vor allem die seit Jahrhunderten bestehende
+tiefe Verfehdung der unteritalischen Hellenen mit ihren lucanischen
+Bedraengern liessen kaum hoffen, dass Tarent und Lucanien
+gemeinschaftlich sich den Samniten anschliessen wuerden. Von den
+Sabinern und den Marsern als den naechsten und seit langem in
+friedlichem Verhaeltnis mit Rom lebenden Nachbarn der Roemer war wenig
+mehr zu erwarten als schlaffe Teilnahme oder Neutralitaet; die Apuler,
+die alten und erbitterten Gegner der Sabeller, waren die natuerlichen
+Verbuendeten der Roemer. Dass dagegen die fernen Etrusker, wenn ein
+erster Erfolg errungen war, dem Bunde sich anschliessen wuerden, liess
+sich erwarten, und selbst ein Aufstand in Latium und dem Volsker- und
+Hernikerland lag nicht ausser der Berechnung. Vor allen Dingen aber
+mussten die Samniten, die italischen Aetoler, in denen die nationale
+Kraft noch ungebrochen lebte, vertrauen auf die eigene Kraft, auf die
+Ausdauer im ungleichen Kampf, welche den uebrigen Voelkern Zeit gab
+zu edler Scham, zu gefasster Ueberlegung, zum Sammeln der Kraefte;
+ein einziger gluecklicher Erfolg konnte alsdann die Kriegs- und
+Aufruhrsflammen rings um Rom entzuenden. Die Geschichte darf dem edlen
+Volke das Zeugnis nicht versagen, dass es seine Pflicht begriffen
+und getan hat. Mehrere Jahre schon waehrte der Hader zwischen Rom und
+Samnium infolge der bestaendigen Uebergriffe, die die Roemer sich am
+Liris erlaubten und unter denen die Gruendung von Fregellae 426 (328)
+der letzte und wichtigste war. Zum Ausbruch des Kampfes aber gaben die
+Veranlassung die kampanischen Griechen. Seitdem Cumae und Capua roemisch
+geworden waren, lag den Roemern nichts so nahe wie die Unterwerfung
+der Griechenstadt Neapolis, die auch die griechischen Inseln im Golf
+beherrschte, innerhalb des roemischen Machtgebiets die einzige noch
+nicht unterworfene Stadt. Die Tarentiner und Samniten, unterrichtet von
+dem Plane der Roemer, sich der Stadt zu bemaechtigen, beschlossen,
+ihnen zuvorzukommen; und wenn die Tarentiner nicht sowohl zu fern als
+zu schlaff waren, um diesen Plan auszufuehren, so warfen die Samniten in
+der Tat eine starke Besatzung hinein. Sofort erklaerten die Roemer dem
+Namen nach den Neapoliten, in der Tat den Samniten den Krieg (427 327)
+und begannen die Belagerung von Neapolis. Nachdem dieselbe eine Weile
+gewaehrt hatte, wurden die kampanischen Griechen des gestoerten Handels
+und der fremden Besatzung muede; und die Roemer, deren ganzes Bestreben
+darauf gerichtet war, von der Koalition, deren Bildung bevorstand, die
+Staaten zweiten und dritten Ranges durch Sondervertraege fernzuhalten,
+beeilten sich, sowie sich die Griechen auf Unterhandlungen einliessen,
+ihnen die guenstigsten Bedingungen zu bieten: volle Rechtsgleichheit
+und Befreiung vom Landdienst, gleiches Buendnis und ewigen Frieden.
+Daraufhin ward, nachdem die Neapoliten sich der Besatzung durch List
+entledigt hatten, der Vertrag abgeschlossen (428 326). Im Anfang dieses
+Krieges hielten die sabellischen Staedte suedlich vom Volturnus, Nola,
+Nuceria, Herculaneum, Pompeii, es mit Samnium; allein teils ihre
+sehr ausgesetzte Lage, teils die Machinationen der Roemer, welche die
+optimatische Partei in diesen Staedten durch alle Hebel der List und
+des Eigennutzes auf ihre Seite zu ziehen versuchten und dabei an Capuas
+Vorgang einen maechtigen Fuersprecher fanden, bewirkten, dass diese
+Staedte nicht lange nach dem Fall von Neapolis sich entweder fuer Rom
+oder doch neutral erklaerten. Ein noch wichtigerer Erfolg gelang den
+Roemern in Lucanien. Das Volk war auch hier mit richtigem Instinkt fuer
+den Anschluss an die Samniten; da aber das Buendnis mit den Samniten
+auch Frieden mit Tarent nach sich zog und ein grosser Teil der
+regierenden Herren Lucaniens nicht gemeint war, die eintraeglichen
+Pluenderzuege einzustellen, so gelang es den Roemern, mit Lucanien
+ein Buendnis abzuschliessen, das unschaetzbar war, weil dadurch den
+Tarentinern zu schaffen gemacht wurde und also die ganze Macht Roms
+gegen Samnium verwendbar blieb. So stand Samnium nach allen Seiten hin
+allein; kaum dass einige der oestlichen Bergdistrikte ihm Zuzug sandten.
+Mit dem Jahre 428 (326) begann der Krieg im samnitischen Lande selbst;
+einige Staedte an der kampanischen Grenze, Rufrae (zwischen Venafrum und
+Teanum) und Allifae, wurden von den Roemern besetzt. In den folgenden
+Jahren durchzogen die roemischen Heere fechtend und pluendernd Samnium
+bis in das vestinische Gebiet hinein, ja bis nach Apulien, wo man sie
+mit offenen Armen empfing, ueberall im entschiedensten Vorteil. Der
+Mut der Samniten war gebrochen; sie sandten die roemischen Gefangenen
+zurueck und mit ihnen die Leiche des Fuehrers der Kriegspartei, Brutulus
+Papius, welcher den roemischen Henkern zuvorgekommen war, nachdem die
+samnitische Volksgemeinde beschlossen hatte, den Frieden von dem Feinde
+zu erbitten und durch die Auslieferung ihres tapfersten Feldherrn
+sich leidlichere Bedingungen zu erwirken. Aber als die demuetige, fast
+flehentliche Bitte bei der roemischen Volksgemeinde keine Erhoerung
+fand (432 322), ruesteten sich die Samniten unter ihrem neuen Feldherrn
+Gavius Pontius zur aeussersten und verzweifelten Gegenwehr. Das
+roemische Heer, das unter den beiden Konsuln des folgenden Jahres
+(433 321), Spurius Postumius und Titus Veturius, bei Calatia (zwischen
+Caserta und Maddaloni) gelagert war, erhielt die durch die Aussage
+zahlreicher Gefangenen bestaetigte Nachricht, dass die Samniten Luceria
+eng eingeschlossen haetten und die wichtige Stadt, an der der Besitz
+Apuliens hing, in grosser Gefahr schwebe. Eilig brach man auf. Wollte
+man zu rechter Zeit anlangen, so konnte kein anderer Weg eingeschlagen
+werden als mitten durch das feindliche Gebiet, da wo spaeter als
+Fortsetzung der Appischen Strasse die roemische Chaussee von Capua ueber
+Benevent nach Apulien angelegt ward. Dieser Weg fuehrte zwischen den
+heutigen Orten Arpaja und Montesarchio (Caudium) durch einen feuchten
+Wiesengrund, der rings von hohen und steilen Waldhuegeln umschlossen und
+nur durch tiefe Einschnitte beim Ein- und Austritt zugaenglich war.
+Hier hatten die Samniten verdeckt sich aufgestellt. Die Roemer, ohne
+Hindernis in das Tal eingetreten, fanden den Ausweg durch Verhaue
+gesperrt und stark besetzt; zurueckmarschierend erblickten sie den
+Eingang in aehnlicher Weise geschlossen und gleichzeitig kroenten die
+Bergraender rings im Kreise sich mit den samnitischen Kohorten. Zu spaet
+begriffen sie, dass sie sich durch eine Kriegslist hatten taeuschen
+lassen und dass die Samniten nicht bei Luceria sie erwarteten, sondern
+in dem verhaengnisvollen Pass von Caudium. Man schlug sich, aber ohne
+Hoffnung auf Erfolg und ohne ernstliches Ziel; das roemische Heer
+war gaenzlich unfaehig zu manoevrieren und ohne Kampf vollstaendig
+ueberwunden. Die roemischen Generale Boten die Kapitulation an. Nur
+toerichte Rhetorik laesst dem samnitischen Feldherrn die Wahl bloss
+zwischen Entlassung und Niedermetzelung der roemischen Armee; er konnte
+nichts Besseres tun als die angebotene Kapitulation annehmen und das
+feindliche Heer, die gesamte augenblicklich aktive Streitmacht der
+roemischen Gemeinde mit beiden hoechstkommandierenden Feldherren,
+gefangen machen; worauf ihm dann der Weg nach Kampanien und Latium
+offenstand und unter den damaligen Verhaeltnissen, wo die Volsker
+und Herniker und der groesste Teil der Latiner ihn mit offenen Armen
+empfangen haben wuerden, Roms politische Existenz ernstlich gefaehrdet
+war. Allein statt diesen Weg einzuschlagen und eine Militaerkonvention
+zu schliessen, dachte Gavius Pontius durch einen billigen Frieden
+gleich den ganzen Hader beendigen zu koennen; sei es, dass er die
+unverstaendige Friedenssehnsucht der Eidgenossen teilte, der das Jahr
+zuvor Brutulus Papius zum Opfer gefallen war, sei es, dass er
+nicht imstande war, der kriegsmueden Partei zu wehren, dass sie den
+beispiellosen Sieg ihm verdarb. Die gestellten Bedingungen waren maessig
+genug: Rom solle die vertragswidrig angelegten Festungen - Cales und
+Fregellae - schleifen und den gleichen Bund mit Samnium erneuern.
+Nachdem die roemischen Feldherren dieselben eingegangen waren und fuer
+die getreuliche Ausfuehrung sechshundert aus der Reiterei erlesene
+Geiseln gestellt, ueberdies ihr und ihrer saemtlichen Stabsoffiziere
+Eideswort dafuer verpfaendet hatten, wurde das roemische Heer entlassen,
+unverletzt, aber entehrt; denn das siegestrunkene samnitische Heer
+gewann es nicht ueber sich, den gehassten Feinden die schimpfliche Form
+der Waffenstreckung und des Abzuges unter dem Galgen durch zu erlassen.
+Allein der roemische Senat, unbekuemmert um den Eid der Offiziere und
+um das Schicksal der Geiseln, kassierte den Vertrag und begnuegte sich
+diejenigen, die ihn abgeschlossen hatten, als persoenlich fuer
+dessen Erfuellung verantwortlich dem Feinde auszuliefern. Es kann
+der unparteiischen Geschichte wenig darauf ankommen, ob die roemische
+Advokaten- und Pfaffenkasuistik hierbei den Buchstaben des Rechts
+gewahrt oder der Beschluss des roemischen Senats denselben verletzt hat;
+menschlich und politisch betrachtet trifft die Roemer hier kein Tadel.
+Es ist ziemlich gleichgueltig, ob nach formellem roemischen Staatsrecht
+der kommandierende General befugt oder nicht befugt war, ohne
+vorbehaltene Ratifikation der Buergerschaft Frieden zu schliessen; dem
+Geiste und der Uebung der Verfassung nach stand es vollkommen Fest, dass
+in Rom jeder nicht rein militaerische Staatsvertrag zur Kompetenz der
+buergerlichen Gewalten gehoerte und ein Feldherr, der ohne Auftrag von
+Rat und Buergerschaft Frieden schloss, mehr tat, als er tun durfte. Es
+war ein groesserer Fehler des samnitischen Feldherrn, den roemischen die
+Wahl zu stellen zwischen Rettung ihres Heeres und Ueberschreitung ihrer
+Vollmacht, als der roemischen, dass sie nicht die Seelengroesse hatten,
+die letztere Anmutung unbedingt zurueckzuweisen; und dass der roemische
+Senat einen solchen Vertrag verwarf, war recht und notwendig. Kein
+grosses Volk gibt, was es besitzt, anders hin als unter dem Druck der
+aeussersten Notwendigkeit; alle Abtretungsvertraege sind Anerkenntnisse
+einer solchen, nicht sittliche Verpflichtungen. Wenn jede Nation mit
+Recht ihre Ehre darein setzt, schimpfliche Vertraege mit den Waffen
+zu zerreissen, wie kann ihr dann die Ehre gebieten, an einem Vertrage
+gleich dem Caudinischen, zu dem ein ungluecklicher Feldherr moralisch
+genoetigt worden ist, geduldig festzuhalten, wenn die frische Schande
+brennt und die Kraft ungebrochen dasteht? So brachte der Friedensvertrag
+von Caudium nicht die Ruhe, die die Friedensenthusiasten in Samnium
+toerichterweise davon erhofft hatten, sondern nur Krieg und wieder
+Krieg, mit gesteigerter Erbitterung auf beiden Seiten durch die
+verscherzte Gelegenheit, das gebrochene feierliche Wort, die
+geschaendete Waffenehre, die preisgegebenen Kameraden. Die
+ausgelieferten roemischen Offiziere wurden von den Samniten nicht
+angenommen, teils weil sie zu gross dachten, um an diesen Ungluecklichen
+ihre Rache zu ueben, teils weil sie damit den Roemern wuerden
+zugestanden haben, dass das Buendnis nur die Schwoerenden verpflichtet
+habe, nicht den roemischen Staat. Hochherzig verschonten sie sogar die
+Geiseln, deren Leben nach Kriegsrecht verwirkt war, und wandten sich
+vielmehr sogleich zum Waffenkampf. Luceria ward von ihnen besetzt,
+Fregellae ueberfallen und erstuermt (434 320), bevor die Roemer die
+aufgeloeste Armee wieder reorganisiert hatten; was man haette erreichen
+koennen, wenn man den Vorteil nicht haette aus den Haenden fahren
+lassen, zeigt der Uebertritt der Satricaner ^2 zu den Samniten. Aber
+Rom war nur augenblicklich gelaehmt, nicht geschwaecht; voll Scham
+und Erbitterung bot man dort auf, was man an Mannschaft und Mitteln
+vermochte und stellte den erprobtesten, als Soldat wie als Feldherr
+gleich ausgezeichneten Fuehrer Lucius Papirius Cursor an die Spitze des
+neugebildeten Heeres. Dasselbe teilte sich; die eine Haelfte zog durch
+die Sabina und das adriatische Litoral vor Luceria, die andere ebendahin
+durch Samnium selbst, indem die letztere das samnitische Heer unter
+gluecklichen Gefechten vor sich her trieb. Man traf wieder zusammen
+unter den Mauern von Luceria, dessen Belagerung um so eifriger betrieben
+ward, als dort die roemischen Reiter gefangen sassen; die Apuler,
+namentlich die Arpaner, leisteten dabei den Roemern wichtigen Beistand,
+vorzueglich durch Beschaffung der Zufuhr. Nachdem die Samniten zum
+Entsatz der Stadt eine Schlacht geliefert und verloren hatten, ergab
+sich Luceria den Roemern (435 319): Papirius genoss die doppelte
+Freude, die verlorengegebenen Kameraden zu befreien und der samnitischen
+Besatzung von Luceria die Galgen von Caudium zu vergelten. In den
+folgenden Jahren (435-437 319-317) ward der Krieg nicht so sehr in
+Samnium gefuehrt ^3 als in den benachbarten Landschaften. Zuerst
+zuechtigten die Roemer die samnitischen Verbuendeten in dem apulischen
+und frentanischen Gebiet und schlossen mit den apulischen Teanensern und
+den Canusinern neue Bundesvertraege ab. Gleichzeitig ward Satricum zur
+Botmaessigkeit zurueckgebracht und schwer fuer seinen Abfall bestraft.
+Alsdann zog der Krieg sich nach Kampanien, wo die Roemer die Grenzstadt
+gegen Samnium Saticula (vielleicht S. Agata de' Goti) eroberten (438
+316). Jetzt aber schien hier das Kriegsglueck sich wieder gegen sie
+wenden zu wollen. Die Samniten zogen die Nuceriner (438 316) und bald
+darauf die Nolaner auf ihre Seite; am oberen Liris vertrieben die
+Soraner selbst die roemische Besatzung (439 315); eine Erhebung der
+Ausonen bereitete sich vor und bedrohte das wichtige Cales; selbst in
+Capua regten sich lebhaft die antiroemisch Gesinnten. Ein samnitisches
+Heer rueckte in Kampanien ein und lagerte vor der Stadt, in der
+Hoffnung, durch seine Naehe der Nationalpartei das Uebergewicht zu geben
+(440 314). Allein Sora ward von den Roemern sofort angegriffen und,
+nachdem die samnitische Entsatzarmee geschlagen war (440 314), wieder
+genommen. Die Bewegungen unter den Ausonen wurden mit grausamer Strenge
+unterdrueckt, ehe der Aufstand recht zum Ausbruch kam, und gleichzeitig
+ein eigener Diktator ernannt, um die politischen Prozesse gegen die
+Fuehrer der samnitischen Partei in Capua einzuleiten und abzuurteilen,
+so dass die namhaftesten derselben, um dem roemischen Henker zu
+entgehen, freiwillig den Tod nahmen (440 314). Das samnitische Heer vor
+Capua ward geschlagen und zum Abzug aus Kampanien gezwungen; die
+Roemer, dem Feinde auf den Fersen folgend, ueberschritten den Matese und
+lagerten im Winter 440 (314) vor der Hauptstadt Samniums Bovianum.
+Nola war von den Verbuendeten preisgegeben; die Roemer waren einsichtig
+genug, durch den guenstigsten, dem neapolitanischen aehnlichen
+Bundesvertrag die Stadt fuer immer von der samnitischen Partei zu
+trennen (441 313). Fregellae, das seit der caudinischen Katastrophe
+in den Haenden der antiroemischen Partei und deren Hauptburg in der
+Landschaft am Liris gewesen war, fiel endlich auch, im achten Jahre nach
+der Einnahme durch die Samniten (441 313); zweihundert der Buerger, die
+vornehmsten der nationalen Partei, wurden nach Rom gefuehrt und dort zum
+warnenden Beispiel fuer die ueberall sich regenden Patrioten auf offenem
+Markte enthauptet. --------------------------------------- ^2 Es sind
+dies nicht die Einwohner von Satricum bei Antium, sondern die einer
+anderen volskischen, damals als roemische Buergergemeinde ohne
+Stimmrecht konstituierten Stadt bei Arpinum. ^3 Dass zwischen den
+Roemern und Samniten 436, 437 (318, 317) ein foermlicher zweijaehriger
+Waffenstillstand bestanden habe, ist mehr als unwahrscheinlich.
+--------------------------------------- Hiermit waren Apulien und
+Kampanien in den Haenden der Roemer. Zur endlichen Sicherstellung und
+bleibenden Beherrschung des eroberten Gebietes wurden in den Jahren
+440 bis 442 (314 bis 312) in demselben eine Anzahl neuer Festungen
+gegruendet: Luceria in Apulien, wohin seiner isolierten und ausgesetzten
+Lage wegen eine halbe Legion als bleibende Besatzung gesandt ward,
+ferner Pontiae (die Ponzainseln) zur Sicherung der kampanischen
+Gewaesser, Saticula an der kampanisch-samnitischen Grenze als Vormauer
+gegen Samnium, endlich Interamna (bei Monte Cassino) und Suessa Aurunca
+(Sessa) auf der Strasse von Rom nach Capua. Besatzungen kamen ausserdem
+nach Caiatia (Cajazzo), Sora und anderen militaerisch wichtigen
+Plaetzen. Die grosse Militaerstrasse von Rom nach Capua, die der Zensor
+Appius Claudius 442 (312) chaussieren und den dazu erforderlichen Damm
+durch die Pontinischen Suempfe ziehen liess, vollendete die Sicherung
+Kampaniens. Immer vollstaendiger entwickelten sich die Absichten der
+Roemer; es galt die Unterwerfung Italiens, das durch das roemische
+Festungs- und Strassennetz von Jahr zu Jahr enger umstrickt ward. Von
+beiden Seiten schon waren die Samniten von den Roemern umsponnen; schon
+schnitt die Linie von Rom nach Luceria Nord- und Sueditalien voneinander
+ab, wie einst die Festungen Norba und Signia die Volsker und Aequer
+getrennt hatten; und wie damals auf die Herniker, stuetzte Rom sich
+jetzt auf die Arpaner. Die Italiker mussten erkennen, dass es um ihrer
+aller Freiheit geschehen war, wenn Samnium unterlag, und dass es die
+allerhoechste Zeit war, dem tapferen Bergvolk, das nun schon fuenfzehn
+Jahre allein den ungleichen Kampf gegen die Roemer kaempfte, endlich
+mit gesamter Kraft zu Hilfe zu kommen. Die naechsten Bundesgenossen der
+Samniten waeren die Tarentiner gewesen; allein es gehoert zu dem ueber
+Samnium und ueber Italien ueberhaupt waltenden Verhaengnis, dass in
+diesem zukunftbestimmenden Augenblick die Entscheidung in den Haenden
+dieser italischen Athener lag. Seit die urspruenglich nach alter
+dorischer Art streng aristokratische Verfassung Tarents in die
+vollstaendigste Demokratie uebergegangen war, hatte in dieser
+hauptsaechlich von Schiffern, Fischern und Fabrikanten bewohnten Stadt
+ein unglaublich reges Leben sich entwickelt; Sinn und Tun der mehr
+reichen als vornehmen Bevoelkerung wehrte allen Ernst des Lebens in dem
+witzig und geistreich quirlenden Tagestreiben von sich ab und schwankte
+zwischen dem grossartigsten Wagemut und der genialsten Erhebung und
+zwischen schandbarem Leichtsinn und kindischer Schwindelei. Es wird auch
+in diesem Zusammenhang, wo ueber das Sein oder Nichtsein hochbegabter
+und altberuehmter Nationen die ernsten Lose fallen, nicht unstatthaft
+sein, daran zu erinnern, dass Platon, der etwa sechzig Jahre vor
+dieser Zeit (389) nach Tarent kam, seinem eigenen Zeugnis zufolge am
+Dionysienfest die ganze Stadt berauscht sah, und dass das parodische
+Possenspiel, die sogenannte "lustige Tragoedie" eben um die Zeit des
+grossen samnitischen Krieges in Tarent geschaffen ward. Zu dieser
+Lotterwirtschaft und Lotterpoesie der Tarentiner Eleganten und Literaten
+liefert die Ergaenzung die unstete, uebermuetige und kurzsichtige
+Politik der Tarentiner Demagogen, welche regelmaessig da sich
+beteiligten, wo sie nichts zu schaffen hatten, und da ausblieben, wo ihr
+naechstes Interesse sie hinrief. Sie hatten, als nach der caudinischen
+Katastrophe Roemer und Samniten sich in Apulien gegenueberstanden,
+Gesandte dorthin geschickt, die beiden Parteien geboten, die Waffen
+niederzulegen (434 320). Diese diplomatische Intervention in dem
+italischen Entscheidungskampf konnte verstaendigerweise nichts sein als
+die Ankuendigung, dass Tarent aus seiner bisherigen Passivitaet jetzt
+endlich herauszutreten entschlossen sei. Grund genug hatte es wahrlich
+dazu, wie schwierig und gefaehrlich es auch fuer Tarent selbst war,
+in diesen Krieg verwickelt zu werden: denn die demokratische
+Machtentwicklung des Staates hatte sich lediglich auf die Flotte
+geworfen, und waehrend diese, gestuetzt auf die starke Handelsmarine
+Tarents, unter den grossgriechischen Seemaechten den ersten Rang
+einnahm, bestand die Landmacht, auf die es jetzt ankam, wesentlich aus
+gemieteten Soeldnern und war in tiefem Verfall. Unter diesen Umstaenden
+war es fuer die tarentinische Republik keine leichte Aufgabe, an dem
+Kampf zwischen Rom und Samnium sich zu beteiligen, auch abgesehen von
+der wenigstens beschwerlichen Fehde, in welche die roemische Politik
+die Tarentiner mit den Lucanern zu verwickeln gewusst hatte. Indes bei
+kraeftigem Willen waren diese Schwierigkeiten wohl zu ueberwinden;
+und beide streitende Teile fassten die Aufforderung der tarentinischen
+Gesandten, mit dem Kampf einzuhalten, in diesem Sinne auf. Die Samniten
+als die Schwaecheren zeigten sich bereit, derselben nachzukommen; die
+Roemer antworteten durch die Aufsteckung des Zeichens zur Schlacht.
+Vernunft und Ehre geboten den Tarentinern, dem herrischen Gebot ihrer
+Gesandten jetzt die Kriegserklaerung gegen Rom auf dem Fusse folgen zu
+lassen; allein in Tarent war eben weder diese noch jene am Regimente und
+man hatte dort bloss mit sehr ernsthaften Dingen sehr kindisch
+gespielt. Die Kriegserklaerung gegen Rom erfolgte nicht; statt dessen
+unterstuetzte man lieber gegen Agathokles von Syrakus, der frueher in
+tarentinischen Diensten gestanden hatte und in Ungnade entlassen
+worden war, die oligarchische Staedtepartei in Sizilien und sandte,
+dem Beispiel Spartas folgend, eine Flotte nach der Insel, die in
+der kampanischen See bessere Dienste getan haben wuerde (440 314).
+Energischer handelten die nord- und mittelitalischen Voelker, die
+namentlich durch die Anlegung der Festung Luceria aufgeruettelt worden
+zu sein scheinen. Zuerst (443 311) schlugen die Etrusker los, deren
+Waffenstillstandsvertrag von 403 (351) schon einige Jahre frueher
+zu Ende gegangen war. Die roemische Grenzfestung Sutrium hatte eine
+zweijaehrige Belagerung auszuhalten, und in den heftigen Gefechten, die
+unter ihren Mauern geliefert wurden, zogen die Roemer in der Regel
+den kuerzeren, bis der Konsul des Jahres 444 (310), Quintus Fabius
+Rullianus, ein in den Samnitenkriegen erprobter Fuehrer, nicht bloss
+im roemischen Etrurien das Uebergewicht der roemischen Waffen
+wiederherstellte, sondern auch kuehn eindrang in das eigentliche, durch
+die Verschiedenheit der Sprache und die geringen Kommunikationen den
+Roemern bis dahin fast unbekannt gebliebene etruskische Land. Der Zug
+ueber den noch von keinem roemischen Heer ueberschrittenen Ciminischen
+Wald und die Pluenderung des reichen, lange von Kriegsnot verschont
+gebliebenen Gebiets brachte ganz Etrurien in Waffen; die roemische
+Regierung, welche die tollkuehne Expedition ernstlich missbilligte und
+die Ueberschreitung der Grenze dem verwegenen Fuehrer zu spaet untersagt
+hatte, raffte, um dem erwarteten Ansturm der gesamten etruskischen Macht
+zu begegnen, in schleunigster Eile neue Legionen zusammen. Allein
+ein rechtzeitiger und entscheidender Sieg des Rullianus, die lange im
+Andenken des Volkes fortlebende Schlacht am Vadimonischen See, machte
+aus dem unvorsichtigen Beginnen eine gefeierte Heldentat und brach
+den Widerstand der Etrusker. Ungleich den Samniten, die nun schon seit
+achtzehn Jahren den ungleichen Kampf fochten, bequemten sich schon
+nach der ersten Niederlage drei der maechtigsten etruskischen Staedte,
+Perusia, Cortona und Arretium, zu einem Sonderfrieden auf dreihundert
+(444 310) und, nachdem im folgenden Jahre die Roemer noch einmal bei
+Perusia die uebrigen Etrusker besiegt hatten, auch die Tarquinienser zu
+einem Frieden auf vierhundert Monate (446 308); worauf auch die uebrigen
+Staedte vom Kampfe abstanden und in Etrurien vorlaeufig Waffenruhe
+eintrat. Waehrend dieser Ereignisse hatte auch in Samnium der Krieg
+nicht geruht. Der Feldzug von 443 (311) beschraenkte sich gleich den
+bisherigen auf die Belagerung und Erstuermung einzelner samnitischer
+Plaetze; aber im naechsten Jahre nahm der Krieg eine lebhaftere Wendung.
+Rullianus' gefaehrliche Lage in Etrurien und die ueber die Vernichtung
+der roemischen Nordarmee verbreiteten Geruechte ermutigten die Samniten
+zu neuen Anstrengungen; der roemische Konsul Gaius Marcius Rutilus wurde
+von ihnen besiegt und selber schwer verwundet. Aber der Umschwung der
+Dinge in Etrurien zerstoerte die neu aufleuchtenden Hoffnungen. Wieder
+trat Lucius Papirius Cursor an die Spitze der gegen die Samniten
+gesandten roemischen Truppen, und wieder blieb er Sieger in einer
+grossen und entscheidenden Schlacht (445 309), zu der die Eidgenossen
+ihre letzten Kraefte angestrengt hatten; der Kern ihrer Armee, die
+Buntroecke mit den Gold-, die Weissroecke mit den Silberschilden wurden
+hier aufgerieben und die glaenzenden Ruestungen derselben schmueckten
+seitdem bei festlichen Gelegenheiten die Budenreihen laengs des
+roemischen Marktes. Immer hoeher stieg die Not, immer hoffnungsloser
+ward der Kampf. Im folgenden Jahre (446 308) legten die Etrusker die
+Waffen nieder; in ebendemselben ergab die letzte Stadt Kampaniens, die
+noch zu den Samniten hielt, Nuceria, zu Wasser und zu Lande gleichzeitig
+angegriffen, unter guenstigen Bedingungen sich den Roemern. Zwar fanden
+die Samniten neue Bundesgenossen an den Umbrern im noerdlichen, an den
+Marsern und Paelignern im mittleren Italien, ja selbst von den
+Hernikern traten zahlreiche Freiwillige in ihre Reihen; allein was
+mit entscheidendem Gewicht gegen Rom in die Waagschale haette fallen
+koennen, wenn die Etrusker noch unter Waffen gestanden haetten,
+vermehrte jetzt bloss die Erfolge des roemischen Sieges, ohne denselben
+ernstlich zu erschweren. Den Umbrern, die Miene machten, einen Zug nach
+Rom zu unternehmen, verlegte Rullianus am oberen Tiber mit der Armee von
+Samnium den Weg, ohne dass die geschwaechten Samniten es haetten hindern
+koennen, und dies genuegte, um den umbrischen Landsturm zu zerstreuen.
+Der Krieg zog sich alsdann wieder nach Mittelitalien. Die Paeligner
+wurden besiegt, ebenso die Marser; wenngleich die uebrigen sabellischen
+Staemme noch dem Namen nach Feinde der Roemer blieben, stand doch
+allmaehlich Samnium von dieser Seite tatsaechlich allein. Aber
+unerwartet kam ihnen Beistand aus dem Tibergebiet. Die Eidgenossenschaft
+der Herniker, wegen ihrer unter den samnitischen Gefangenen
+vorgefundenen Landsleute von den Roemern zur Rede gestellt, erklaerte
+diesen jetzt den Krieg (448 306) - mehr wohl aus Verzweiflung, als aus
+Berechnung. Es schlossen auch einige der bedeutendsten hernikischen
+Gemeinden von vornherein sich von der Kriegfuehrung aus; aber Anagnia,
+weitaus die ansehnlichste Hernikerstadt, setzte die Kriegserklaerung
+durch. Militaerisch ward allerdings die augenblickliche Lage der Roemer
+durch diesen unerwarteten Aufstand im Ruecken der mit der Belagerung der
+Burgen von Samnium beschaeftigten Armee in hohem Grade bedenklich. Noch
+einmal war den Samniten das Kriegsglueck guenstig; Sora und Caiatia
+fielen ihnen in die Haende. Allein die Anagniner unterlagen unerwartet
+schnell den von Rom ausgesandten Truppen, und rechtzeitig machten diese
+auch dem in Samnium stehenden Heere Luft; es war eben alles verloren.
+Die Samniten baten um Frieden, indes vergeblich; noch konnte man
+sich nicht einigen. Erst der Feldzug von 449 (305) brachte die letzte
+Entscheidung. Die beiden roemischen Konsularheere drangen, Tiberius
+Minucius und nach dessen Fall Marcus Fulvius von Kampanien aus durch
+die Bergpaesse, Lucius Postumius vom Adriatischen Meere her am Biferno
+hinauf, in Samnium ein, um hier vor der Hauptstadt des Landes, Bovianum,
+sich die Hand zu reichen; ein entscheidender Sieg ward erfochten, der
+samnitische Feldherr Statius Gellius gefangengenommen und Bovianum
+erstuermt. Der Fall des Hauptwaffenplatzes der Landschaft machte dem
+zweiundzwanzigjaehrigen Krieg ein Ende. Die Samniten zogen aus Sora und
+Arpinum ihre Besatzungen heraus und schickten Gesandte nach Rom, den
+Frieden zu erbitten; ihrem Beispiel folgten die sabellischen Staemme,
+die Marser, Marruciner, Paeligner, Frentaner, Vestiner, Picenter. Die
+Bedingungen, die Rom gewaehrte, waren leidlich; Gebietsabtretungen
+wurden zwar einzeln gefordert, zum Beispiel von den Paelignern, allein
+sehr bedeutend scheinen sie nicht gewesen zu sein. Das gleiche Buendnis
+zwischen den sabellischen Staaten und den Roemern wurde erneuert (450
+304). Vermutlich um dieselbe Zeit und wohl infolge des samnitischen
+Friedens ward auch Friede gemacht zwischen Rom und Tarent. Unmittelbar
+zwar hatten beide Staedte nicht gegeneinander im Felde gestanden; die
+Tarentiner hatten dem langen Kampfe zwischen Rom und Samnium von Anfang
+bis zu Ende untaetig zugesehen und nur im Bunde mit den Sallentinern
+gegen die Bundesgenossen Roms, die Lucaner, die Fehde fortgesetzt. Zwar
+hatten sie in den letzten Jahren des Samnitischen Krieges noch einmal
+Miene gemacht nachdruecklicher aufzutreten. Teils die bedraengte Lage,
+in welche die unaufhoerlichen lucanischen Angriffe sie selbst brachten,
+teils wohl auch das immer naeher sich ihnen aufdraengende Gefuehl,
+dass Samniums voellige Unterdrueckung auch ihre eigene Unabhaengigkeit
+bedrohe, hatten sie bestimmt, trotz der mit Alexander gemachten
+unerfreulichen Erfahrungen abermals einem Condottiere sich
+anzuvertrauen. Es kam auf ihren Ruf der spartanische Prinz Kleonymos
+mit fuenftausend Soeldnern, womit er eine ebenso starke, in Italien
+angeworbene Schar sowie die Zuzuege der Messapier, der kleineren
+Griechenstaedte und vor allem das tarentinische Buergerheer, 22 000 Mann
+stark, vereinigte. An der Spitze dieser ansehnlichen Armee noetigte er
+die Lucaner, mit Tarent Frieden zu machen und eine samnitisch gesinnte
+Regierung einzusetzen, wogegen freilich Metapont ihnen aufgeopfert
+ward. Noch standen die Samniten unter Waffen, als dies geschah; nichts
+hinderte den Spartaner, ihnen zu Hilfe zu kommen und das Gewicht seines
+starken Heeres und seiner Kriegskunst fuer die Freiheit der italischen
+Staedte und Voelker in die Waagschale zu werfen. Allein Tarent handelte
+nicht, wie Rom im gleichen Falle gehandelt haben wuerde; und Prinz
+Kleonymos selbst war auch nichts weniger als ein Alexander oder ein
+Pyrrhos. Er beeilte sich nicht, einen Krieg zu beginnen, bei dem mehr
+Schlaege zu erwarten standen als Beute, sondern machte lieber mit den
+Lucanern gemeinschaftliche Sache gegen Metapont und liess es in dieser
+Stadt sich wohl sein, waehrend er redete von einem Zug gegen Agathokles
+von Syrakus und von der Befreiung der sizilischen Griechen. Darueber
+machten denn die Samniten Frieden; und als nach dessen Abschluss Rom
+anfing, sich um den Suedosten der Halbinsel ernstlicher zu bekuemmern
+und zum Beispiel im Jahre 447 (307) ein roemischer Heerhaufen das Gebiet
+der Sallentiner brandschatzte oder vielmehr wohl in hoeherem Auftrag
+rekognoszierte, ging der spartanische Condottiere mit seinen Soeldnern
+zu Schiff und ueberrumpelte die Insel Kerkyra, die vortrefflich gelegen
+war, um von dort aus gegen Griechenland und Italien Piratenzuege zu
+unternehmen. So von ihrem Feldherrn im Stich gelassen und zugleich ihrer
+Bundesgenossen im mittleren Italien beraubt, blieb den Tarentinern sowie
+den mit ihnen verbuendeten Italikern, den Lucanern und Sallentinern,
+jetzt freilich nichts uebrig, als mit Rom ein Abkommen nachzusuchen, das
+auf leidliche Bedingungen gewaehrt worden zu sein scheint. Bald nachher
+(451 303) ward sogar ein Einfall des Kleonymos, der im sallentinischen
+Gebiet gelandet war und Uria belagerte, von den Einwohnern mit
+roemischer Hilfe abgeschlagen. Roms Sieg war vollstaendig; und
+vollstaendig ward er benutzt. Dass den Samniten, den Tarentinern und
+den ferner wohnenden Voelkerschaften ueberhaupt so maessige Bedingungen
+gestellt wurden, war nicht Siegergrossmut, die die Roemer nicht kannten,
+sondern kluge und klare Berechnung. Zunaechst und vor allem kam es
+darauf an, nicht so sehr das suedliche Italien so rasch wie moeglich
+zur formellen Anerkennung der roemischen Suprematie zu zwingen als
+die Unterwerfung Mittelitaliens, zu welcher durch die in Kampanien und
+Apulien schon waehrend des letzten Krieges angelegten Militaerstrassen
+und Festungen der Grund gelegt war, zu ergaenzen und zu vollenden und
+die noerdlichen und suedlichen Italiker dadurch in zwei militaerisch
+von jeder unmittelbaren Beruehrung miteinander abgeschnittene
+Massen auseinanderzusprengen. Darauf zielten denn auch die naechsten
+Unternehmungen der Roemer mit energischer Konsequenz. Vor allen Dingen
+benutzte oder machte man die Gelegenheit, mit den in der Tiberlandschaft
+einstmals mit der roemischen Einzelmacht rivalisierenden und noch nicht
+voellig beseitigten Eidgenossenschaften der Aequer und der Herniker
+aufzuraeumen. In demselben Jahre, in welchem der Friede mit Samnium
+zustande kam (450 304), ueberzog der Konsul Publius Sempronius Sophus
+die Aequer mit Krieg; vierzig Ortschaften unterwarfen sich in fuenfzig
+Tagen; das gesamte Gebiet mit Ausnahme des engen und rauhen Bergtals,
+das noch heute den alten Volksnamen traegt (Cicolano), wurde roemischer
+Besitz und hier am Nordrand des Fuciner Sees im Jahre darauf die Festung
+Alba mit einer Besatzung von 6000 Mann gegruendet, fortan die Vormauer
+gegen die streitbaren Marser und die Zwingburg Mittelitaliens; ebenso
+zwei Jahre darauf am oberen Turano, naeher an Rom, Carsioli, beide als
+Bundesgemeinden latinischen Rechts. Dass von den Hernikern wenigstens
+Anagnia sich an dem letzten Stadium des Samnitischen Krieges beteiligt
+hatte, gab den erwuenschten Grund, das alte Bundesverhaeltnis zu loesen.
+Das Schicksal der Anagniner war natuerlicherweise bei weitem haerter als
+dasjenige, welches ein Menschenalter zuvor den latinischen Gemeinden im
+gleichen Fall bereitet worden war. Sie mussten nicht bloss wie diese das
+roemische Passivbuergerrecht sich gefallen lassen, sondern verloren auch
+gleich den Caeriten die eigene Verwaltung; auf einem Teile ihres Gebiets
+am oberen Trerus (Sacco) wurde ueberdies ein neuer Buergerbezirk sowie
+gleichzeitig ein anderer am unteren Anio eingerichtet (455 299). Man
+bedauerte nur, dass die drei naechst Anagnia bedeutendsten hernikischen
+Gemeinden Aletrium, Verulae und Ferentinum nicht auch abgefallen waren;
+denn da sie die Zumutung, freiwillig in den roemischen Buergerverband
+einzutreten, hoeflich ablehnten und jeder Vorwand, sie dazu zu noetigen,
+mangelte, musste man ihnen wohl nicht bloss die Autonomie, sondern
+selbst das Recht der Tagsatzung und der Ehegemeinschaft auch ferner
+zugestehen und damit noch einen Schatten der alten hernikischen
+Eidgenossenschaft uebrig lassen. In dem Teil der volskischen Landschaft,
+welchen bis dahin die Samniten im Besitz gehabt, banden aehnliche
+Ruecksichten nicht. Hier wurden Arpinum und Frusino untertaenig und die
+letztere Stadt eines Drittels ihrer Feldmark beraubt, ferner am
+oberen Liris neben Fregellae die schon frueher mit Besatzung belegte
+Volskerstadt Sora jetzt auf die Dauer in eine latinische Festung
+verwandelt und eine Legion von 4000 Mann dahin gelegt. So war das alte
+Volskergebiet vollstaendig unterworfen und ging seiner Romanisierung
+mit raschen Schritten entgegen. In die Landschaft, welche Samnium und
+Etrurien scheidet, wurden zwei Militaerstrassen hineingefuehrt und
+beide durch Festungen gesichert. Die noerdliche, aus der spaeter die
+Flaminische wurde, deckte die Tiberlinie; sie fuehrte durch das mit Rom
+verbuendete Ocriculum nach Narnia, wie die Roemer die alte umbrische
+Feste Nequinum umnannten, als sie dort eine Militaerkolonie anlegten
+(455 299). Die suedliche, die spaetere Valerische, lief an den Fuciner
+See ueber die eben erwaehnten Festungen Carsioli und Alba. Die kleinen
+Voelkerschaften, in deren Gebiet diese Anlagen stattfanden, die Umbrer,
+die Nequinum hartnaeckig verteidigten, die Aequer, die noch einmal Alba,
+die Marser, die Carsioli ueberfielen, konnten Rom in seinem Gang nicht
+aufhalten; fast ungehindert schoben jene beiden maechtigen Riegel sich
+zwischen Samnium und Etrurien. Der grossen Strassen- und Festungsanlagen
+zur bleibenden Sicherung Apuliens und vor allem Kampaniens wurde schon
+gedacht; durch sie ward Samnium weiter nach Osten und Westen von
+dem roemischen Festungsnetz umstrickt. Bezeichnend fuer die
+verhaeltnismaessige Schwaeche Etruriens ist es, dass man es nicht
+notwendig fand, die Paesse durch den Ciminischen Wald in gleicher Weise
+durch eine Chaussee und angemessene Festungen zu sichern. Die bisherige
+Grenzfestung Sutrium blieb hier auch ferner der Endpunkt der roemischen
+Militaerlinie und man begnuegte sich damit, die Strasse von dort nach
+Arretium durch die beikommenden Gemeinden in militaerisch
+brauchbarem Stande halten zu lassen ^4.
+------------------------------------------------ ^4 Die Operationen in
+dem Feldzug 537 (217) und bestimmter noch die Anlage der Chaussee von
+Arretium nach Bononia 567 (187) zeigen, dass schon vor dieser Zeit die
+Strasse von Rom nach Arretium instand gesetzt worden ist. Allein eine
+roemische Militaerchaussee kann sie in dieser Zeit dennoch nicht gewesen
+sein, da sie, nach ihrer spaeteren Benennung der "Cassischen Strasse" zu
+schliessen, als via consularis nicht frueher angelegt sein kann als 583
+(171); denn zwischen Spurius Cassius, Konsul 252, 261, 268 (502, 493,
+486), an den natuerlich nicht gedacht werden darf, und Gaius Cassius
+Longinus, Konsul 583 (171), erscheint kein Cassier in den
+roemischen Konsuln- und Zensorenlisten.
+----------------------------------------------- Die hochherzige
+samnitische Nation begriff es, dass ein solcher Friede verderblicher war
+als der verderblichste Krieg, und, was mehr ist, sie handelte danach.
+Eben fingen in Norditalien die Kelten nach langer Waffenruhe wieder
+an sich zu regen; noch standen ferner daselbst einzelne etruskische
+Gemeinden gegen die Roemer unter den Waffen und es wechselten hier kurze
+Waffenstillstaende mit heftigen, aber erfolglosen Gefechten. Noch war
+ganz Mittelitalien in Gaerung und zum Teil in offenem Aufstand; noch
+waren die Festungen in der Anlage begriffen, der Weg zwischen Etrurien
+und Samnium noch nicht voellig gesperrt. Vielleicht war es noch nicht
+zu spaet, die Freiheit zu retten; aber man durfte nicht saeumen: die
+Schwierigkeit des Angriffs stieg, die Macht der Angreifer sank mit jedem
+Jahre des verlaengerten Friedens. Kaum fuenf Jahre hatten die
+Waffen geruht und noch mussten all die Wunden bluten, welche der
+zweiundzwanzigjaehrige Krieg den Bauernschaften Samniums geschlagen
+hatte, als im Jahre 456 (298) die samnitische Eidgenossenschaft den
+Kampf erneuerte. Den letzten Krieg hatte wesentlich Lucaniens Verbindung
+mit Rom und die dadurch mitveranlasste Fernhaltung Tarents zu Gunsten
+Roms entschieden; dadurch belehrt, warfen die Samniten jetzt sich
+zuvoerderst mit aller Macht auf die Lucaner und brachten hier in der Tat
+ihre Partei ans Ruder und ein Buendnis zwischen Samnium und Lucanien zum
+Abschluss. Natuerlich erklaerten die Roemer sofort den Krieg; in Samnium
+hatte man es nicht anders erwartet. Es bezeichnet die Stimmung, dass die
+samnitische Regierung den roemischen Gesandten die Anzeige machte, sie
+sei nicht imstande, fuer ihre Unverletzlichkeit zu buergen, wenn sie
+samnitisches Gebiet betraeten. Der Krieg begann also von neuem (456
+298), und waehrend ein zweites Heer in Etrurien focht, durchzog die
+roemische Hauptarmee Samnium und zwang die Lucaner Frieden zu machen und
+Geiseln nach Rom zu senden. Das folgende Jahr konnten beide Konsuln
+nach Samnium sich wenden; Rullianus siegte bei Tifernum, sein treuer
+Waffengefaehrte Publius Decius Mus bei Maleventum, und fuenf Monate
+hindurch lagerten zwei roemische Heere in Feindesland. Es war
+das moeglich, weil die tuskischen Staaten auf eigene Hand mit Rom
+Friedensverhandlungen angeknuepft hatten. Die Samniten, welche von Haus
+aus in der Vereinigung ganz Italiens gegen Rom die einzige Moeglichkeit
+des Sieges gesehen haben muessen, boten das Aeusserste auf, um den
+drohenden Sonderfrieden zwischen Etrurien und Rom abzuwenden; und als
+endlich ihr Feldherr Gellius Egnatius den Etruskern in ihrem eigenen
+Lande Hilfe zu bringen anbot, verstand sich in der Tat der etruskische
+Bundesrat dazu, auszuharren und noch einmal die Entscheidung der Waffen
+anzurufen. Samnium machte die gewaltigsten Anstrengungen, um drei Heere
+zugleich ins Feld zu stellen, das eine bestimmt zur Verteidigung des
+eigenen Gebiets, das zweite zum Einfall in Kampanien, das dritte und
+staerkste nach Etrurien; und wirklich gelangte im Jahre 458 (296)
+das letzte, gefuehrt von Egnatius selbst, durch das marsische und das
+umbrische Gebiet, deren Bewohner im Einverstaendnis waren, ungefaehrdet
+nach Etrurien. Die Roemer nahmen waehrend dessen einige feste Plaetze
+in Samnium und brachen den Einfluss der samnitischen Partei in Lucanien;
+den Abmarsch der von Egnatius gefuehrten Armee wussten sie nicht zu
+verhindern. Als man in Rom die Kunde empfing, dass es den Samniten
+gelungen sei, all die ungeheuren, zur Trennung der suedlichen Italiker
+von den noerdlichen gemachten Anstrengungen zu vereiteln, dass das
+Eintreffen der samnitischen Scharen in Etrurien das Signal zu einer fast
+allgemeinen Schilderhebung gegen Rom geworden sei, dass die etruskischen
+Gemeinden aufs eifrigste arbeiteten, ihre eigenen Mannschaften
+kriegsfertig zu machen und gallische Scharen in Sold zu nehmen, da ward
+auch in Rom jeder Nerv angespannt, Freigelassene und Verheiratete
+in Kohorten formiert - man fuehlte hueben und drueben, dass die
+Entscheidung bevorstand. Das Jahr 458 (296) jedoch verging, wie es
+scheint, mit Ruestungen und Maerschen. Fuer das folgende (459 295)
+stellten die Roemer ihre beiden besten Generale, Publius Decius Mus und
+den hochbejahrten Quintus Fabius Rullianus, an die Spitze der Armee in
+Etrurien, welche mit allen in Kampanien irgend entbehrlichen Truppen
+verstaerkt ward und wenigstens 60000 Mann, darunter ueber ein Drittel
+roemische Vollbuerger, zaehlte; ausserdem ward eine zwiefache Reserve
+gebildet, die erste bei Falerii, die zweite unter den Mauern der
+Hauptstadt. Der Sammelplatz der Italiker war Umbrien, wo die Strassen
+aus dem gallischen, etruskischen und sabellischen Gebiet zusammenliefen;
+nach Umbrien liessen auch die Konsuln teils am linken, teils am rechten
+Ufer des Tiber hinauf ihre Hauptmacht abruecken, waehrend zugleich die
+erste Reserve eine Bewegung gegen Etrurien machte, um womoeglich die
+etruskischen Truppen von dem Platz der Entscheidung zur Verteidigung
+der Heimat abzurufen. Das erste Gefecht lief nicht gluecklich fuer die
+Roemer ab; ihre Vorhut ward von den vereinigten Galliern und Samniten
+in dem Gebiet von Chiusi geschlagen. Aber jene Diversion erreichte ihren
+Zweck; minder hochherzig als die Samniten, die durch die Truemmer ihrer
+Staedte hindurchgezogen waren, um auf der rechten Walstatt nicht zu
+fehlen, entfernte sich auf die Nachricht von dem Einfall der roemischen
+Reserve in Etrurien ein grosser Teil der etruskischen Kontingente von
+der Bundesarmee, und die Reihen derselben waren sehr gelichtet, als
+es am oestlichen Abhang des Apennin bei Sentinum zur entscheidenden
+Schlacht kam. Dennoch war es ein heisser Tag. Auf dem rechten
+Fluegel der Roemer, wo Rullianus mit seinen beiden Legionen gegen das
+samnitische Heer stritt, stand die Schlacht lange ohne Entscheidung. Auf
+dem linken, den Publius Decius befehligte, wurde die roemische Reiterei
+durch die gallischen Streitwagen in Verwirrung gebracht, und schon
+begannen hier auch die Legionen zu weichen. Da rief der Konsul den
+Priester Marcus Livius heran und hiess ihn zugleich das Haupt des
+roemischen Feldherrn und das feindliche Heer den unterirdischen Goettern
+weihen; alsdann in den dichtesten Haufen der Gallier sich stuerzend
+suchte und fand er den Tod. Diese heldenmuetige Verzweiflung des hohen
+Mannes, des geliebten Feldherrn, war nicht vergeblich. Die fliehenden
+Soldaten standen wieder, die Tapfersten warfen dem Fuehrer nach sich in
+die feindlichen Reihen, um ihn zu raechen oder mit ihm zu sterben;
+und eben im rechten Augenblicke erschien, von Rullianus gesendet, der
+Konsular Lucius Scipio mit der roemischen Reserve auf dem gefaehrdeten
+linken Fluegel. Die vortreffliche kampanische Reiterei, die den Galliern
+in die Flanke und den Ruecken fiel, gab hier den Ausschlag; die Gallier
+flohen, und endlich wichen auch die Samniten, deren Feldherr Egnatius am
+Tore des Lagers fiel. 9000 Roemer bedeckten die Walstatt; aber der teuer
+erkaufte Sieg war solchen Opfers wert. Das Koalitionsheer loeste sich
+auf und damit die Koalition selbst; Umbrien blieb in roemischer Gewalt,
+die Gallier verliefen sich, der Ueberrest der Samniten, noch immer
+in geschlossener Ordnung, zog durch die Abruzzen ab in die Heimat.
+Kampanien, das die Samniten waehrend des etruskischen Krieges
+ueberschwemmt hatten, ward nach dessen Beendigung mit leichter Muehe
+wieder von den Roemern besetzt. Etrurien bat im folgenden Jahre 460
+(294) um Frieden; Volsinii, Perusia, Arretium und wohl ueberhaupt
+alle dem Bunde gegen Rom beigetretenen Staedte gelobten Waffenruhe auf
+vierhundert Monate. Aber die Samniten dachten anders: sie ruesteten
+sich zur hoffnungslosen Gegenwehr mit jenem Mute freier Maenner, der das
+Glueck zwar nicht zwingen, aber beschaemen kann. Als im Jahre 460 (294)
+die beiden Konsularheere in Samnium einrueckten, stiessen sie ueberall
+auf den erbittertsten Widerstand; ja, Marcus Atilius erlitt eine
+Schlappe bei Luceria, und die Samniten konnten in Kampanien eindringen
+und das Gebiet der roemischen Kolonie Interamna am Liris verwuesten. Im
+Jahre darauf lieferten Lucius Papirius Cursor, der Sohn des Helden des
+ersten Samnitischen Krieges, und Spurius Carvilius bei Aquilonia eine
+grosse Feldschlacht gegen das samnitische Heer, dessen Kern, die 16
+000 Weissroecke, mit heiligem Eide geschworen hatte, den Tod der
+Flucht vorzuziehen. Indes das unerbittliche Schicksal fragt nicht nach
+Schwueren und verzweifeltem Flehen; der Roemer siegte und stuermte
+die Festen, in die die Samniten sich und ihre Habe gefluechtet hatten.
+Selbst nach dieser grossen Niederlage wehrten sich die Eidgenossen
+gegen den immer uebermaechtigeren Feind noch jahrelang mit beispielloser
+Ausdauer in ihren Burgen und Bergen und erfochten noch manchen Vorteil
+im einzelnen; des alten Rullianus erprobter Arm ward noch einmal (462
+292) gegen sie aufgeboten, und Gavius Pontius, vielleicht der Sohn des
+Siegers von Caudium, erfocht sogar fuer sein Volk einen letzten Sieg,
+den die Roemer niedrig genug an ihm raechten, indem sie ihn, als er
+spaeter gefangen ward, im Kerker hinrichten liessen (463 291). Aber
+nichts regte sich weiter in Italien; denn der Krieg, den Falerii 461
+(293) begann, verdient kaum diesen Namen. Wohl mochte man in Samnium
+sehnsuechtig die Blicke wenden nach Tarent, das allein noch imstande
+war, Hilfe zu gewaehren; aber sie blieb aus. Es waren dieselben Ursachen
+wie frueher, welche die Untaetigkeit Tarents herbeifuehrten: das innere
+Missregiment und der abermalige Uebertritt der Lucaner zur roemischen
+Partei im Jahre 456 (298); hinzu kam noch die nicht ungegruendete Furcht
+vor Agathokles von Syrakus, der eben damals auf dem Gipfel seiner Macht
+stand und anfing, sich gegen Italien zu wenden. Um das Jahr 455 (299)
+setzte dieser auf Kerkyra sich fest, von wo Kleonymos durch Demetrios
+den Belagerer vertrieben war und bedrohte nun vom Adriatischen wie vom
+Ionischen Meere her die Tarentiner. Die Abtretung der Insel an Koenig
+Pyrrhos von Epeiros im Jahre 459 (295) beseitigte allerdings zum grossen
+Teil die gehegten Besorgnisse; allein die kerkyraeischen Angelegenheiten
+fuhren fort, die Tarentiner zu beschaeftigen, wie sie denn im Jahre 464
+(290) den Koenig Pyrrhos im Besitz der Insel gegen Demetrios schuetzen
+halfen, und ebenso hoerte Agathokles nicht auf, durch seine italische
+Politik die Tarentiner zu beunruhigen. Als er starb (465 289) und mit
+ihm die Macht der Syrakusaner in Italien zugrunde ging, war es zu spaet;
+Samnium, des siebenunddreissigjaehrigen Kampfes muede, hatte das Jahr
+vorher (464 290) mit dem roemischen Konsul Manius Curius Dentatus Friede
+geschlossen und der Form nach den Bund mit Rom erneuert. Auch diesmal
+wurden, wie im Frieden von 450 (304) dem tapferen Volke von den Roemern
+keine schimpflichen oder vernichtenden Bedingungen gestellt; nicht
+einmal Gebietsabtretungen scheinen stattgefunden zu haben. Die
+roemische Staatsklugheit zog es vor, auf dem bisher eingehaltenen
+Wege fortzuschreiten, und ehe man an die unmittelbare Eroberung des
+Binnenlandes ging, zunaechst das kampanische und adriatische Litoral
+fest und immer fester an Rom zu knuepfen. Kampanien zwar war laengst
+untertaenig; allein die weitblickende roemische Politik fand es
+noetig, zur Sicherung der kampanischen Kueste dort zwei Strandfestungen
+anzulegen, Minturnae und Sinuessa (459 295), deren neue Buergerschaften
+nach dem fuer Kuestenkolonien feststehenden Grundsatz in das volle
+roemische Buergerrecht eintraten. Energischer noch ward die Ausdehnung
+der roemischen Herrschaft in Mittelitalien gefoerdert. Wie die
+Unterwerfung der Aequer und Herniker die unmittelbare Folge des Ersten
+Samnitischen Krieges war, so schloss sich an das Ende des Zweiten
+diejenige der Sabiner. Derselbe Feldherr, der die Samniten schliesslich
+bezwang, Manius Curius, brach in demselben Jahre (464 290) den kurzen
+und ohnmaechtigen Widerstand derselben und zwang die Sabiner zur
+unbedingten Ergebung. Ein grosser Teil des unterworfenen Gebiets wurde
+von den Siegern unmittelbar in Besitz genommen und an roemische Buerger
+ausgeteilt, den uebrigbleibenden Gemeinden Cures, Reate, Amiternum,
+Nursia das roemische Untertanenrecht (civitas sine suffragio)
+aufgezwungen. Bundesstaedte gleichen Rechts wurden hier nicht
+gegruendet; die Landschaft kam vielmehr unter die unmittelbare
+Herrschaft Roms, die sich also ausdehnte bis zum Apennin und den
+umbrischen Bergen. Aber schon beschraenkte man sich nicht auf das Gebiet
+diesseits der Berge; der letzte Krieg hatte allzu deutlich gezeigt, dass
+die roemische Herrschaft ueber Mittelitalien nur gesichert war, wenn
+sie von Meer zu Meer reichte. Die Festsetzung der Roemer jenseits des
+Apennin beginnt mit der Anlegung der starken Festung Hatria (Atri) im
+Jahre 465 (289), an der noerdlichen Abdachung der Abruzzen gegen die
+picenische Ebene, nicht unmittelbar an der Kueste und daher latinischen
+Rechts, aber dem Meere nah und der Schlussstein des gewaltigen, Nord-
+und Sueditalien trennenden Keils. Aehnlicher Art und von noch groesserer
+Bedeutung war die Gruendung von Venusia (463 291), wohin die unerhoerte
+Zahl von 20000 Kolonisten gefuehrt ward; die Stadt, an der Markscheide
+von Samnium, Apulien und Lucanien, auf der grossen Strasse zwischen
+Tarent und Samnium in einer ungemein festen Stellung gegruendet, war
+bestimmt, die Zwingburg der umwohnenden Voelkerschaften zu sein und vor
+allen Dingen zwischen den beiden maechtigsten Feinden Roms im suedlichen
+Italien die Verbindung zu unterbrechen. Ohne Zweifel ward zu gleicher
+Zeit auch die Suedstrasse, die Appius Claudius bis nach Capua gefuehrt
+hatte, von dort weiter bis nach Venusia verlaengert. So erstreckte sich,
+als die Samnitischen Kriege zu Ende gingen, das geschlossene, das heisst
+fast ausschliesslich aus Gemeinden roemischen oder latinischen Rechts
+bestehende Gebiet Roms nordwaerts bis zum Ciminischen Walde, oestlich
+bis in die Abruzzen und an das Adriatische Meer, suedlich bis nach
+Capua, waehrend die beiden vorgeschobenen Posten Luceria und Venusia,
+gegen Osten und Sueden auf den Verbindungslinien der Gegner angelegt,
+dieselben nach allen Richtungen hin isolierten. Rom war nicht mehr bloss
+die erste, sondern bereits die herrschende Macht auf der Halbinsel, als
+gegen das Ende des fuenften Jahrhunderts der Stadt diejenigen Nationen,
+welche die Gunst der Goetter und die eigene Tuechtigkeit jede in ihrer
+Landschaft an die Spitze gerufen hatten, im Rat und auf dem Schlachtfeld
+sich einander zu naehern begannen und, wie in Olympia die vorlaeufigen
+Sieger zu dem zweiten und ernsteren Kampf, so auf der groesseren
+Voelkerringstatt jetzt Karthago, Makedonien und Rom sich anschickten zu
+dem letzten und entscheidenden Wettgang. 7. Kapitel Koenig Pyrrhos
+gegen Rom und die Einigung Italiens In der Zeit der unbestrittenen
+Weltherrschaft Roms pflegten die Griechen ihre roemischen Herren damit
+zu aergern, dass sie als die Ursache der roemischen Groesse das Fieber
+bezeichneten, an welchem Alexander von Makedonien den 11. Juni 431 (323)
+in Babylon verschied. Da es nicht allzu troestlich war, das Geschehene
+zu ueberdenken, verweilte man nicht ungern mit den Gedanken bei dem,
+was haette kommen moegen, wenn der grosse Koenig, wie es seine Absicht
+gewesen sein soll, als er starb, sich gegen Westen gewendet und mit
+seiner Flotte den Karthagern das Meer, mit seinen Phalangen den Roemern
+die Erde streitig gemacht haben wuerde. Unmoeglich ist es nicht, dass
+Alexander mit solchen Gedanken sich trug; und man braucht auch nicht,
+um sie zu erklaeren, bloss darauf hinzuweisen, dass ein Autokrat, der
+kriegslustig und mit Soldaten und Schiffen versehen ist, nur schwer
+die Grenze seiner Kriegfuehrung findet. Es war eines griechischen
+Grosskoenigs wuerdig, die Sikelioten gegen Karthago, die Tarentiner
+gegen Rom zu schuetzen und dem Piratenwesen auf beiden Meeren ein
+Ende zu machen; die italischen Gesandtschaften, die in Babylon neben
+zahllosen andern erschienen, der Brettier, Lucaner, Etrusker ^1, boeten
+Gelegenheit genug, die Verhaeltnisse der Halbinsel kennenzulernen
+und Beziehungen dort anzuknuepfen. Karthago mit seinen vielfachen
+Verbindungen im Orient musste den Blick des gewaltigen Mannes notwendig
+auf sich ziehen, und wahrscheinlich lag es in seinen Absichten, die
+nominelle Herrschaft des Perserkoenigs ueber die tyrische Kolonie in
+eine wirkliche umzuwandeln; nicht umsonst fand sich ein aus Karthago
+gesandter Spion in der unmittelbaren Umgebung Alexanders. Indes
+mochten dies Traeume oder Plaene sein, der Koenig starb, ohne mit
+den Angelegenheiten des Westens sich beschaeftigt zu haben, und jene
+Gedanken gingen mit ihm zu Grabe. Nur wenige kurze Jahre hatte ein
+griechischer Mann die ganze intellektuelle Kraft des Hellenentums, die
+ganze materielle Fuelle des Ostens vereinigt in seiner Hand gehalten;
+mit seinem Tode ging zwar das Werk seines Lebens, die Gruendung des
+Hellenismus im Orient, keineswegs zugrunde, wohl aber spaltete
+sich sofort das kaum geeinigte Reich und unter dem steten Hader der
+verschiedenen, aus diesen Truemmern sich bildenden Staaten ward ihrer
+aller weltgeschichtliche Bestimmung, die Propaganda der griechischen
+Kultur im Osten zwar nicht aufgegeben, aber abgeschwaecht und
+verkuemmert. Bei solchen Verhaeltnissen konnten weder die griechischen
+noch die asiatisch-aegyptischen Staaten daran denken, im Okzident festen
+Fuss zu fassen und gegen die Roemer oder die Karthager sich zu wenden.
+Das oestliche und das westliche Staatensystem bestanden nebeneinander,
+ohne zunaechst politisch ineinanderzugreifen; und namentlich Rom blieb
+den Verwicklungen der Diadochenperiode wesentlich fremd. Nur Beziehungen
+oekonomischer Art stellten sich fest; wie denn zum Beispiel der
+rhodische Freistaat, der vornehmste Vertreter einer neutralen
+Handelspolitik in Griechenland und daher der allgemeine Vermittler
+des Verkehrs in einer Zeit ewiger Kriege, um das Jahr 448 (306) einen
+Vertrag mit Rom abschloss, natuerlich einen Handelstraktat, wie
+er begreiflich ist zwischen einem Kaufmannsvolk und den Herren der
+caeritischen und kampanischen Kueste. Auch bei der Soeldnerlieferung,
+die von dem allgemeinen Werbeplatz der damaligen Zeit, von Hellas aus
+nach Italien und namentlich nach Tarent ging, wirkten die politischen
+Beziehungen, die zum Beispiel zwischen Tarent und dessen Mutterstadt
+Sparta bestanden, nur in sehr untergeordneter Weise mit; im ganzen waren
+die Werbungen nichts als kaufmaennische Geschaefte, und Sparta, obwohl
+es regelmaessig den Tarentinern zu den italischen Kriegen die Hauptleute
+lieferte, trat mit den Italikern darum so wenig in Fehde wie im
+nordamerikanischen Freiheitskrieg die deutschen Staaten mit der
+Union, deren Gegnern sie ihre Untertanen verkauften.
+--------------------------------------------------- ^1 Die Erzaehlung,
+dass auch die Roemer Gesandte an Alexander nach Babylon geschickt, geht
+auf das Zeugnis des Kleitarchos zurueck (Plin. nat. 3, 5, 57), aus dem
+die uebrigen, diese Tatsache meldenden Zeugen (Aristos und Asklepiades
+bei Arrian 7, 15, 5; Memnon c. 25) ohne Zweifel schoepften. Kleitarchos
+war allerdings Zeitgenosse dieser Ereignisse, aber sein Leben Alexanders
+nichtsdestoweniger entschieden mehr historischer Roman als Geschichte;
+und bei dem Schweigen der zuverlaessigen Biographen (Art. a. a. O.;
+Liv. 9, 18) und dem voellig romanhaften Detail des Berichts, wonach zum
+Beispiel die Roemer dem Alexander einen goldenen Kranz ueberreicht und
+dieser die zukuenftige Groesse Roms vorhergesagt haben soll, wird
+man nicht umhin koennen, diese Erzaehlung zu den vielen anderen durch
+Kleitarchos in die Geschichte eingefuehrten Ausschmueckungen zu stellen.
+--------------------------------------------------- Nichts anderes als
+ein abenteuernder Kriegshauptmann war auch Koenig Pyrrhos von Epeiros;
+er war darum nicht minder ein Gluecksritter, dass er seinen Stammbaum
+zurueckfuehrte auf Aeakos und Achilleus und dass er, waere er
+friedlicher gesinnt gewesen, als "Koenig" ueber ein kleines Bergvolk
+unter makedonischer Oberherrlichkeit oder auch allenfalls in isolierter
+Freiheit haette leben und sterben koennen. Man hat ihn wohl verglichen
+mit Alexander von Makedonien; und allerdings die Gruendung eines
+westhellenischen Reiches, dessen Kern Epeiros, Grossgriechenland,
+Sizilien gebildet haetten, das die beiden italischen Meere beherrscht
+und Rom wie Karthago in die Reihe der barbarischen Grenzvoelker des
+hellenistischen Staatensystems, der Kelten und Inder gedraengt haben
+wuerde - dieser Gedanke ist wohl gross und kuehn wie derjenige, der den
+makedonischen Koenig ueber den Hellespont fuehrte. Aber nicht bloss der
+verschiedene Ausgang unterscheidet den oestlichen und den westlichen
+Heerzug. Alexander konnte mit seiner makedonischen Armee, in der
+namentlich der Stab vorzueglich war, dem Grosskoenig vollkommen die
+Spitze bieten; aber der Koenig von Epeiros, das neben Makedonien stand
+etwa wie Hessen neben Preussen, erhielt eine nennenswerte Armee nur
+durch Soeldner und durch Buendnisse, die auf zufaelligen politischen
+Kombinationen beruhten. Alexander trat im Perserreich auf als Eroberer,
+Pyrrhos in Italien als Feldherr einer Koalition von Sekundaerstaaten;
+Alexander hinterliess sein Erbland vollkommen gesichert durch die
+unbedingte Untertaenigkeit Griechenlands und das starke, unter Antipater
+zurueckbleibende Heer, Pyrrhos buergte fuer die Integritaet seines
+eigenen Gebietes nichts als das Wort eines zweifelhaften Nachbarn. Fuer
+beide Eroberer hoerte, wenn ihre Plaene gelangen, die Heimat notwendig
+auf, der Schwerpunkt des neuen Reiches zu sein; allein eher noch war es
+ausfuehrbar, den Sitz der makedonischen Militaermonarchie nach Babylon
+zu verlegen als in Tarent oder Syrakus eine Soldatendynastie zu
+gruenden. Die Demokratie der griechischen Republiken, so sehr sie eine
+ewige Agonie war, liess sich in die straffen Formen des Militaerstaats
+nun einmal nicht zurueckzwingen; Philipp wusste wohl, warum er die
+griechischen Republiken seinem Reich nicht einverleibte. Im Orient war
+ein nationaler Widerstand nicht zu erwarten; herrschende und dienende
+Staemme lebten dort seit langem nebeneinander und der Wechsel des
+Despoten war der Masse der Bevoelkerung gleichgueltig oder gar
+erwuenscht. Im Okzident konnten die Roemer, die Samniten, die Karthager
+auch ueberwunden werden; aber kein Eroberer haette es vermocht, die
+Italiker in aegyptische Fellahs zu verwandeln oder aus den roemischen
+Bauern Zinspflichtige hellenischer Barone zu machen. Was man auch ins
+Auge fasst, die eigene Macht, die Bundesgenossen, die Kraefte der Gegner
+- ueberall erscheint der Plan des Makedoniers als eine ausfuehrbare,
+der des Epeiroten als eine unmoegliche Unternehmung; jener als die
+Vollziehung einer grossen geschichtlichen Aufgabe, dieser als ein
+merkwuerdiger Fehlgriff; jener als die Grundlegung zu einem neuen
+Staatensystem und einer neuen Phase der Zivilisation, dieser als eine
+geschichtliche Episode. Alexanders Werk ueberlebte ihn, obwohl der
+Schoepfer zur Unzeit starb; Pyrrhos sah mit eigenen Augen das Scheitern
+aller seiner Plaene, ehe der Tod ihn abrief. Sie beide waren kuehne und
+grosse Naturen, aber Pyrrhos nur der erste Feldherr, Alexander vor allem
+der genialste Staatsmann seiner Zeit; und wenn es die Einsicht in das
+Moegliche und Unmoegliche ist, die den Helden vom Abenteurer scheidet,
+so muss Pyrrhos diesen zugezaehlt und darf seinem groesseren Verwandten
+sowenig zur Seite gestellt werden wie etwa der Connetable von Bourbon
+Ludwig dem Elften. Und dennoch knuepft sich ein wunderbarer Zauber an
+den Namen des Epiroten, eine eigene Teilnahme, die allerdings zum Teil
+der ritterlichen und liebenswuerdigen Persoenlichkeit desselben, aber
+mehr doch noch dem Umstande gilt, dass er der erste Grieche ist, der den
+Roemern im Kampfe gegenuebertritt. Mit ihm beginnen jene unmittelbaren
+Beziehungen zwischen Rom und Hellas, auf denen die ganze spaetere
+Entfaltung der antiken Zivilisation und ein wesentlicher Teil der
+modernen beruht. Der Kampf zwischen Phalangen und Kohorten, zwischen
+der Soeldnerarmee und der Landwehr, zwischen dem Heerkoenigtum und dem
+Senatorenregiment, zwischen dem individuellen Talent und der nationalen
+Kraft - dieser Kampf zwischen Rom und dem Hellenismus ward zuerst
+durchgefochten in den Schlachten zwischen Pyrrhos und den roemischen
+Feldherren; und wenn auch die unterliegende Partei noch oft nachher
+appelliert hat an neue Entscheidung der Waffen, so hat doch jeder
+spaetere Schlachttag das Urteil lediglich bestaetigt. Wenn aber auf
+der Walstatt wie in der Kurie die Griechen unterliegen, so ist
+ihr Uebergewicht nicht minder entschieden in jedem anderen, nicht
+politischen Wettkampf, und eben schon diese Kaempfe lassen es ahnen,
+dass der Sieg Roms ueber die Hellenen ein anderer sein wird als der
+ueber Gallier und Phoeniker, und dass Aphroditens Zauber erst zu wirken
+beginnt, wenn die Lanze zersplittert und Helm und Schild beiseite gelegt
+ist. Koenig Pyrrhos war der Sohn des Aeakides, des Herrn der Molosser
+(um Janina), welcher, von Alexander geschont als Verwandter und
+getreuer Lehnsmann, nach dessen Tode in den Strudel der makedonischen
+Familienpolitik hineingerissen ward und darin zuerst sein Reich und dann
+das Leben verlor (441 313). Sein damals sechsjaehriger Sohn ward von dem
+Herrn der illyrischen Taulantier, Glaukias, gerettet und im Laufe
+der Kaempfe um Makedoniens Besitz, noch ein Knabe, von Demetrios dem
+Belagerer wieder zurueckgefuehrt in sein angestammtes Fuerstentum (447
+307), um es nach wenigen Jahren durch den Einfluss der Gegenpartei
+wieder einzubuessen (um 452 302) und als landfluechtiger Fuerstensohn
+im Gefolge der makedonischen Generale seine militaerische Laufbahn
+zu beginnen. Bald machte seine Persoenlichkeit sich geltend. Unter
+Antigonos machte er dessen letzte Feldzuege mit; der alte Marschall
+Alexanders hatte seine Freude an dem geborenen Soldaten, dem nach dem
+Urteile des ergrauten Feldherrn nur die Jahre fehlten um schon jetzt der
+erste Kriegsmann der Zeit zu sein. Die unglueckliche Schlacht bei Ipsos
+brachte ihn als Geisel nach Alexandreia an den Hof des Gruenders der
+Lagidendynastie, wo er durch sein kuehnes und derbes Wesen, seinen alles
+nicht Militaerische gruendlich verachtenden Soldatensinn nicht minder
+des staatsklugen Koenigs Ptolemaeos Aufmerksamkeit auf sich zog als
+durch seine maennliche Schoenheit, der das wilde Antlitz, der gewaltige
+Tritt keinen Eintrag tat, die der koeniglichen Damen. Eben damals
+gruendete der kuehne Demetrios sich wieder einmal, diesmal in
+Makedonien, ein neues Reich; natuerlich in der Absicht, von dort aus die
+Alexandermonarchie zu erneuern. Es galt, ihn niederzuhalten, ihm daheim
+zu schaffen zu machen; und der Lagide, der solche Feuerseelen, wie der
+epeirotische Juengling eine war, vortrefflich fuer seine feine Politik
+zu nutzen verstand, tat nicht bloss seiner Gemahlin, der Koenigin
+Berenike einen Gefallen, sondern foerderte auch seine eigenen Zwecke,
+indem er dem jungen Fuersten seine Stieftochter, die Prinzessin Antigone
+zur Gemahlin gab und dem geliebten "Sohn" zur Rueckkehr in die
+Heimat seinen Beistand und seinen maechtigen Einfluss lieh (458 296).
+Zurueckgekehrt in sein vaeterliches Reich fiel ihm bald alles zu; die
+tapferen Epeiroten, die Albanesen des Altertums, hingen mit angestammter
+Treue und frischer Begeisterung an dem mutigen Juengling, dem "Adler",
+wie sie ihn hiessen. In den um die makedonische Thronfolge nach
+Kassanders Tod (457 297) entstandenen Wirren erweiterte der Epeirote
+sein Reich; nach und nach gewann er die Landschaften an dem ambrakischen
+Busen mit der wichtigen Stadt Ambrakia, die Insel Kerkyra, ja selbst
+einen Teil des makedonischen Gebiets, und widerstand mit weit geringeren
+Streitkraeften dem Koenig Demetrios zur Bewunderung der Makedonier
+selbst. Ja, als Demetrios durch seine eigene Torheit in Makedonien
+vom Thron gestuerzt war, trug man dort dem ritterlichen Gegner, dem
+Verwandten der Alexandriden, denselben freiwillig an (467 287). In der
+Tat, keiner war wuerdiger als Pyrrhos, das koenigliche Diadem Philipps
+und Alexanders zu tragen. In einer tief versunkenen Zeit, in der
+Fuerstlichkeit und Niedertraechtigkeit gleichbedeutend zu werden
+begannen, leuchtete hell Pyrrhos' persoenlich unbefleckter und
+sittenreiner Charakter. Fuer die freien Bauern des makedonischen
+Stammlandes, die, obwohl gemindert und verarmt, sich doch fernhielten
+von dem Verfall der Sitten und der Tapferkeit, den das Diadochenregiment
+in Griechenland und Asien herbeifuehrte, schien eben Pyrrhos recht
+eigentlich zum Koenig geschaffen; er, der gleich Alexander in seinem
+Haus, im Freundeskreise allen menschlichen Beziehungen sein Herz offen
+erhielt und das in Makedonien so verhasste orientalische Sultanwesen
+stets von sich abgewehrt hatte; er, der gleich Alexander anerkannt
+der erste Taktiker seiner Zeit war. Aber das seltsam ueberspannte
+makedonische Nationalgefuehl, das den elendesten makedonischen Herrn dem
+tuechtigsten Fremden vorzog, die unvernuenftige Widerspenstigkeit der
+makedonischen Truppen gegen jeden nicht makedonischen Fuehrer, welcher
+der groesste Feldherr aus Alexanders Schule, der Kardianer Eumenes
+erlegen war, bereitete auch der Herrschaft des epeirotischen Fuersten
+ein schnelles Ende. Pyrrhos, der die Herrschaft ueber Makedonien mit dem
+Willen der Makedonier nicht fuehren konnte, und zu machtlos, vielleicht
+auch zu hochherzig war, um sich dem Volke gegen dessen Willen
+aufzudraengen, ueberliess schon nach siebenmonatlicher Herrschaft das
+Land seiner einheimischen Missregierung und ging heim zu seinen treuen
+Epeiroten (467 287). Aber der Mann, der Alexanders Krone getragen
+hatte, der Schwager des Demetrios, der Schwiegersohn des Lagiden und des
+Agathokles von Syrakus, der hochgebildete Strategiker, der Memoiren und
+wissenschaftliche Abhandlungen ueber die Kriegskunst schrieb, konnte
+unmoeglich sein Leben darueber beschliessen, dass er zu gesetzter Zeit
+im Jahre die Rechnungen des koeniglichen Viehverwalters durchsah und
+von seinen braven Epeiroten die landueblichen Geschenke an Rindern und
+Schafen entgegennahm, um sich alsdann am Altar des Zeus von ihnen den
+Eid der Treue erneuern zu lassen und selbst den Eid auf die Gesetze zu
+wiederholen und, diesem allen zu mehrerer Bekraeftigung, mit ihnen die
+Nacht hindurch zu zechen. War kein Platz fuer ihn auf dem makedonischen
+Thron, so war ueberhaupt in der Heimat seines Bleibens nicht; er konnte
+der Erste sein und also nicht der Zweite. So wandten sich seine Blicke
+in die Weite. Die Koenige, die um Makedoniens Besitz haderten, obwohl
+sonst in nichts einig, waren gern bereit, gemeinschaftlich zu helfen,
+dass der gefaehrliche Nebenbuhler freiwillig ausscheide; und dass die
+treuen Kriegsgenossen ihm folgen wuerden, wohin er sie fuehrte, dessen
+war er gewiss. Eben damals stellten die italischen Verhaeltnisse sich
+so, dass jetzt wiederum als ausfuehrbar erscheinen konnte, was vierzig
+Jahre frueher Pyrrhos' Verwandter, seines Vaters Vetter Alexander von
+Epeiros, und eben erst sein Schwiegervater Agathokles beabsichtigt
+hatten; und so entschloss sich Pyrrhos, auf seine makedonischen Plaene
+zu verzichten und im Westen eine neue Herrschaft fuer sich und fuer
+die hellenische Nation zu gruenden. Die Waffenruhe, die der Friede mit
+Samnium 464 (290) fuer Italien herbeigefuehrt hatte, war von kurzer
+Dauer; der Anstoss zur Bildung einer neuen Ligue gegen die roemische
+Uebermacht kam diesmal von den Lucanern. Dieser Voelkerschaft, die
+durch ihre Parteinahme fuer Rom die Tarentiner waehrend der Samnitischen
+Kriege gelaehmt und zu deren Entscheidung wesentlich beigetragen
+hatte, waren dafuer von den Roemern die Griechenstaedte in ihrem Gebiet
+preisgegeben worden; und demgemaess hatten sie nach abgeschlossenem
+Frieden in Gemeinschaft mit den Brettiern sich daran gemacht, eine nach
+der anderen zu bezwingen. Die Thuriner, wiederholt angegriffen von dem
+Feldherrn der Lucaner, Stenius Statilius, und aufs aeusserste bedraengt,
+wandten sich, ganz wie einst die Kampaner die Hilfe Roms gegen die
+Samniten in Anspruch genommen hatten und ohne Zweifel um den gleichen
+Preis ihrer Freiheit und Selbstaendigkeit, mit der Bitte um Beistand
+gegen die Lucaner an den roemischen Senat. Da das Buendnis mit diesen
+durch die Anlage der Festung Venusia fuer Rom entbehrlich geworden
+war, gewaehrten die Roemer das Begehren der Thuriner und geboten
+ihren Bundesfreunden von der Stadt, die sich den Roemern ergeben
+habe, abzulassen. Die Lucaner und Brettier, also von den maechtigeren
+Verbuendeten betrogen um den Anteil an der gemeinschaftlichen
+Beute, knuepften Verhandlungen an mit der samnitisch- tarentinischen
+Oppositionspartei, um eine neue Koalition der Italiker zustande zu
+bringen; und als die Roemer sie durch eine Gesandtschaft warnen liessen,
+setzten sie den Gesandten gefangen und begannen den Krieg gegen Rom mit
+einem neuen Angriff auf Thurii (um 469 285), indem sie zugleich nicht
+bloss die Samniten und die Tarentiner, sondern auch die Norditaliker,
+die Etrusker, Umbrer, Gallier aufriefen, mit ihnen zum Freiheitskampf
+sich zu vereinigen. In der Tat erhob sich der etruskische Bund und dang
+zahlreiche gallische Haufen; das roemische Heer, das der Praetor Lucius
+Caecilius den treu gebliebenen Arretinern zu Hilfe fuehrte, ward unter
+den Mauern dieser Stadt von den senonischen Soeldnern der Etrusker
+vernichtet, der Feldherr selbst fiel mit 13000 seiner Leute (470 284).
+Die Senonen zaehlten zu Roms Bundesgenossen: die Roemer schickten
+demnach Gesandte an sie, um ueber die Stellung von Reislaeufern gegen
+Rom Klage zu fuehren und die unentgeltliche Rueckgabe der Gefangenen zu
+begehren. Aber auf Befehl des Senonenhaeuptlings Britomaris, der den Tod
+seines Vaters an den Roemern zu raechen hatte, erschlugen die Senonen
+die roemischen Boten und ergriffen offen die Partei der Etrusker. Ganz
+Norditalien, Etrusker, Umbrer, Gallier, stand somit gegen Rom in
+Waffen; es konnten grosse Erfolge gewonnen werden, wenn die suedlichen
+Landschaften diesen Augenblick ergriffen und auch diejenigen, die es
+nicht bereits getan, sich gegen Rom erklaerten. In der Tat scheinen die
+Samniten, immer fuer die Freiheit einzustehen willig, den Roemern
+den Krieg erklaert zu haben; aber geschwaecht und von allen Seiten
+eingeschlossen, wie sie waren, konnten sie dem Bunde wenig nuetzen,
+und Tarent zauderte nach seiner Gewohnheit. Waehrend unter den
+Gegnern Buendnisse verhandelt, Subsidientraktate festgesetzt, Soeldner
+zusammengebracht wurden, handelten die Roemer. Zunaechst hatten es die
+Senonen zu empfinden, wie gefaehrlich es sei, die Roemer zu besiegen.
+Der Konsul Publius Cornelius Dolabella rueckte mit einem starken Heer
+in ihr Gebiet; was nicht ueber die Klinge sprang, ward aus dem Lande
+ausgetrieben und dieser Stamm ausgestrichen aus der Reihe der italischen
+Nationen (471 283). Bei einem vorzugsweise von seinen Herden lebenden
+Volke war eine derartige massenhafte Austreibung wohl ausfuehrbar;
+wahrscheinlich halfen diese aus Italien vertriebenen Senonen die
+gallischen Schwaerme bilden, die bald nachher das Donaugebiet,
+Makedonien, Griechenland, Kleinasien ueberschwemmten. Die naechsten
+Nachbarn und Stammgenossen der Senonen, die Boier, erschreckt und
+erbittert durch die furchtbar schnell sich vollendende Katastrophe,
+vereinigten sich augenblicklich mit den Etruskern, die noch den Krieg
+fortfuehrten und deren senonische Soeldner jetzt gegen die Roemer nicht
+mehr als Mietlinge fochten, sondern als verzweifelte Raecher der Heimat;
+ein gewaltiges etruskisch-gallisches Heer zog gegen Rom, um fuer die
+Vernichtung des Senonenstammes an der Hauptstadt der Feinde Rache zu
+nehmen und vollstaendiger, als einst der Heerkoenig derselben Senonen
+es getan, Rom von der Erde zu vertilgen. Allein beim Uebergang ueber den
+Tiber in der Naehe des Vadimonischen Sees wurde das vereinigte Heer von
+den Roemern nachdruecklich geschlagen (471 283). Nachdem sie das
+Jahr darauf noch einmal bei Populonia mit nicht besserem Erfolg eine
+Feldschlacht gewagt hatten, liessen die Boier ihre Bundesgenossen im
+Stich und schlossen fuer sich mit den Roemern Frieden (472 282). So
+war das gefaehrlichste Glied der Ligue, das Galliervolk, einzeln
+ueberwunden, ehe noch der Bund sich vollstaendig zusammenfand, und
+dadurch Rom freie Hand gegen Unteritalien gegeben, wo in den Jahren
+469-471 (285-283) der Kampf nicht ernstlich gefuehrt worden war. Hatte
+bis dahin die schwache roemische Armee Muehe gehabt, sich in Thurii
+gegen die Lucaner und Brettier zu behaupten, so erschien jetzt (472
+282) der Konsul Gaius Fabricius Luscinus mit einem starken Heer vor der
+Stadt, befreite dieselbe, schlug die Lucaner in einem grossen
+Treffen und nahm ihren Feldherrn Statilius gefangen. Die kleineren
+nichtdorischen Griechenstaedte, die in den Roemern ihre Retter
+erkannten, fielen ihnen ueberall freiwillig zu; roemische Besatzungen
+blieben zurueck in den wichtigsten Plaetzen, in Lokri, Kroton, Thurii
+und namentlich in Rhegion, auf welche letztere Stadt auch die Karthager
+Absichten zu haben schienen. Ueberall war Rom im entschiedensten
+Vorteil. Die Vernichtung der Senonen hatte den Roemern eine bedeutende
+Strecke des adriatischen Litorals in die Haende gegeben; ohne Zweifel
+im Hinblick auf die unter der Asche glimmende Fehde mit Tarent und die
+schon drohende Invasion der Epeiroten eilte man, sich dieser Kueste
+sowie der Adriatischen See zu versichern. Es ward (um 471 283) eine
+Buergerkolonie gefuehrt nach dem Hafenplatz Sena (Sinigaglia), der
+ehemaligen Hauptstadt des senonischen Bezirks und gleichzeitig segelte
+eine roemische Flotte aus dem Tyrrhenischen Meer in die oestlichen
+Gewaesser, offenbar, um im Adriatischen Meer zu stationieren und dort
+die roemischen Besitzungen zu decken. Die Tarentiner hatten seit dem
+Vertrag von 450 (304) mit Rom in Frieden gelebt. Sie hatten der langen
+Agonie der Samniten, der raschen Vernichtung der Senonen zugesehen, sich
+die Gruendung von Venusia, Hatria, Sena, die Besetzung von Thurii und
+Rhegion gefallen lassen, ohne Einspruch zu tun. Aber als jetzt die
+roemische Flotte auf ihrer Fahrt vom Tyrrhenischen ins Adriatische Meer
+in die tarentinischen Gewaesser gelangte und im Hafen der befreundeten
+Stadt vor Anker ging, schwoll die langgehegte Erbitterung endlich ueber;
+die alten Vertraege, die den roemischen Kriegsschiffen untersagten,
+oestlich vom Lakinischen Vorgebirg zu fahren, wurden in der
+Buergerversammlung von den Volksmaennern zur Sprache gebracht; wuetend
+stuerzte der Haufen ueber die roemischen Kriegsschiffe her, die,
+unversehens nach Piratenart ueberfallen, nach heftigem Kampfe
+unterlagen; fuenf Schiffe wurden genommen und deren Mannschaft
+hingerichtet oder in die Knechtschaft verkauft, der roemische Admiral
+selbst war in dem Kampf gefallen. Nur der souveraene Unverstand und
+die souveraene Gewissenlosigkeit der Poebelherrschaft erklaert diese
+schmachvollen Vorgaenge. Jene Vertraege gehoerten einer Zeit an, die
+laengst ueberschritten und verschollen war; es ist einleuchtend, dass
+sie wenigstens seit der Gruendung von Hatria und Sena schlechterdings
+keinen Sinn mehr hatten und dass die Roemer im guten Glauben an das
+bestehende Buendnis in den Golf einfuhren - lag es doch gar sehr
+in ihrem Interesse, wie der weitere Verlauf der Dinge zeigt, den
+Tarentinern durchaus keinen Anlass zur Kriegserklaerung darzubieten.
+Wenn die Staatsmaenner Tarents den Krieg an Rom erklaeren wollten, so
+taten sie bloss, was laengst haette geschehen sollen; und wenn sie es
+vorzogen, die Kriegserklaerung statt auf den wirklichen Grund vielmehr
+auf formalen Vertragsbruch zu stuetzen, so liess sich dagegen weiter
+nichts erinnern, da ja die Diplomatie zu allen Zeiten es unter ihrer
+Wuerde erachtet hat, das Einfache einfach zu sagen. Allein dass man,
+statt den Admiral zur Umkehr aufzufordern, die Flotte mit gewaffneter
+Hand ungewarnt ueberfiel, war eine Torheit nicht minder als eine
+Barbarei, eine jener entsetzlichen Barbareien der Zivilisation, wo die
+Gesittung ploetzlich das Steuerruder verliert und die nackte Gemeinheit
+vor uns hintritt, gleichsam um zu warnen vor dem kindischen Glauben,
+als vermoege die Zivilisation aus der Menschennatur die Bestialitaet
+auszuwurzeln. Und als waere damit noch nicht genug getan, ueberfielen
+nach dieser Heldentat die Tarentiner Thurii, dessen roemische Besatzung
+infolge der Ueberrumpelung kapitulierte (im Winter 472/73 282/81), und
+bestraften die Thuriner, dieselben, die die tarentinische Politik
+den Lucanern preisgegeben und dadurch gewaltsam zur Ergebung an Rom
+gedraengt hatte, schwer fuer ihren Abfall von der hellenischen Partei zu
+den Barbaren. Die Barbaren verfuhren indes mit einer Maessigung, die bei
+solcher Macht und nach solchen Kraenkungen Bewunderung erregt. Es lag
+im Interesse Roms, die tarentinische Neutralitaet so lange wie moeglich
+gelten zu lassen, und die leitenden Maenner im Senat verwarfen deshalb
+den Antrag, den eine Minoritaet in begreiflicher Erbitterung stellte,
+den Tarentinern sofort den Krieg zu erklaeren. Vielmehr wurde die
+Fortdauer des Friedens roemischerseits an die maessigsten Bedingungen
+geknuepft, die sich mit Roms Ehre vertrugen: Entlassung der Gefangenen,
+Rueckgabe von Thurii, Auslieferung der Urheber des Ueberfalls der
+Flotte. Mit diesen Vorschlaegen ging eine roemische Gesandtschaft nach
+Tarent (473 281), waehrend gleichzeitig, ihren Worten Nachdruck zu
+geben, ein roemisches Heer unter dem Konsul Lucius Aemilius in Samnium
+einrueckte. Die Tarentiner konnten, ohne ihrer Unabhaengigkeit etwas zu
+vergeben, diese Bedingungen eingehen, und bei der geringen Kriegslust
+der reichen Kaufstadt durfte man in Rom mit Recht annehmen, dass ein
+Abkommen noch moeglich sei. Allein der Versuch, den Frieden zu erhalten,
+scheiterte - sei es an dem Widerspruch derjenigen Tarentiner, die die
+Notwendigkeit erkannten, den Uebergriffen Roms je eher desto lieber mit
+den Waffen entgegenzutreten, sei es bloss an der Unbotmaessigkeit des
+staedtischen Poebels, der sich mit beliebter griechischer Ungezogenheit
+sogar an der Person des Gesandten in unwuerdiger Weise vergriff. Nun
+rueckte der Konsul in das tarentinische Gebiet ein; aber statt sofort
+die Feindseligkeiten zu eroeffnen, bot er noch einmal auf dieselben
+Bedingungen den Frieden; und da auch dies vergeblich war, begann er zwar
+die Aecker und Landhaeuser zu verwuesten und schlug die staedtischen
+Milizen, aber die vornehmeren Gefangenen wurden ohne Loesegeld
+entlassen und man gab die Hoffnung nicht auf, dass der Kriegsdruck der
+aristokratischen Partei in der Stadt das Uebergewicht geben und damit
+den Frieden herbeifuehren werde. Die Ursache dieser Zurueckhaltung war,
+dass die Roemer die Stadt nicht dem Epeirotenkoenig in die Arme treiben
+wollten. Die Absichten desselben auf Italien waren kein Geheimnis mehr.
+Schon war eine tarentinische Gesandtschaft zu Pyrrhos gegangen und
+unverrichteter Sache zurueckgekehrt; der Koenig hatte mehr begehrt, als
+sie zu bewilligen Vollmacht hatte. Man musste sich entscheiden. Dass die
+Buergerwehr vor den Roemern nur wegzulaufen verstand, davon hatte man
+sich sattsam ueberzeugt; es blieb nur die Wahl zwischen Frieden mit Rom,
+den die Roemer unter billigen Bedingungen zu bewilligen fortwaehrend
+bereit waren, und Vertrag mit Pyrrhos auf jede dem Koenig gutduenkende
+Bedingung, das heisst die Wahl zwischen Unterwerfung unter die roemische
+Obermacht oder unter die Tyrannis eines griechischen Soldaten. Die
+Parteien hielten in der Stadt sich fast die Waage; endlich blieb die
+Oberhand der Nationalpartei, wobei ausser dem wohl gerechtfertigten
+Motiv, sich, wenn einmal ueberhaupt einem Herrn, lieber einem Griechen
+als Barbaren zu eigen zu geben, auch noch die Furcht der Demagogen
+mitwirkte, dass Rom trotz seiner jetzigen, durch die Umstaende
+erzwungenen Maessigung bei geeigneter Gelegenheit nicht saeumen werde,
+Rache fuer die von dem Tarentiner Poebel veruebten Schaendlichkeiten zu
+nehmen. Die Stadt schloss also mit Pyrrhos ab. Er erhielt den Oberbefehl
+ueber die Truppen der Tarentiner und der uebrigen gegen Rom unter Waffen
+stehenden Italioten; ferner das Recht, in Tarent Besatzung zu halten.
+Dass die Stadt die Kriegskosten trug, versteht sich von selbst. Pyrrhos
+versprach dagegen, in Italien nicht laenger als noetig zu bleiben,
+vermutlich unter dem stillschweigenden Vorbehalt, die Zeit, waehrend
+welcher er dort noetig sein werde, nach eigenem Ermessen festzustellen.
+Dennoch waere ihm die Beute fast unter den Haenden entschluepft.
+Waehrend die tarentinischen Gesandten - ohne Zweifel die Haeupter der
+Kriegspartei - in Epeiros abwesend waren, schlug in der von den Roemern
+jetzt hart gedraengten Stadt die Stimmung um; schon war der Oberbefehl
+dem Agis, einem roemisch Gesinnten uebertragen, als die Rueckkehr der
+Gesandten mit dem abgeschlossenen Traktat in Begleitung von Pyrrhos'
+vertrautem Minister Kineas die Kriegspartei wieder ans Ruder brachte.
+Bald fasste eine festere Hand die Zuegel und machte dem klaeglichen
+Schwanken ein Ende. Noch im Herbst 473 (281) landete Pyrrhos' General
+Milon mit 3000 Epeiroten und besetzte die Zitadelle der Stadt;
+ihm folgte zu Anfang des Jahres 474 (280) nach einer stuermischen,
+zahlreiche Opfer fordernden Ueberfahrt der Koenig selbst. Er fuehrte
+nach Tarent ein ansehnliches, aber buntgemischtes Heer, teils bestehend
+aus den Haustruppen, den Molossern, Thesprotiern, Chaonern, Ambrakioten,
+teils aus dem makedonischen Fussvolk und der thessalischen Reiterei, die
+Koenig Ptolemaeos von Makedonien vertragsmaessig ihm ueberlassen, teils
+aus aetolischen, akarnanischen, athamanischen Soeldnern; im ganzen
+zaehlte man 20000 Phalangiten, 2000 Bogenschuetzen, 500 Schleuderer,
+3000 Reiter und 20 Elefanten, also nicht viel weniger, als dasjenige
+Heer betragen hatte, mit dem Alexander fuenfzig Jahre zuvor den
+Hellespont ueberschritt. Die Angelegenheiten der Koalition standen nicht
+zum besten, als der Koenig kam. Zwar hatte der roemische Konsul, sowie
+er die Soldaten Milons anstatt der tarentinischen Miliz sich gegenueber
+aufziehen sah, den Angriff auf Tarent aufgegeben und sich nach Apulien
+zurueckgezogen; aber mit Ausnahme des Gebietes von Tarent beherrschten
+die Roemer so gut wie ganz Italien. Nirgends in Unteritalien hatte
+die Koalition eine Armee im Felde, und auch in Oberitalien hatten die
+Etrusker, die allein noch in Waffen standen, in dem letzten Feldzuge
+(473 281) nichts als Niederlagen erlitten. Die Verbuendeten hatten, ehe
+der Koenig zu Schiff ging, ihm den Oberbefehl ueber ihre saemtlichen
+Truppen uebertragen und ein Heer von 350000 Mann zu Fuss und 20000
+Reiter ins Feld stellen zu koennen erklaert; zu diesen grossen Worten
+bildete die Wirklichkeit einen unerfreulichen Kontrast. Das Heer, dessen
+Oberbefehl man Pyrrhos uebertragen, war noch erst zu schaffen, und
+vorlaeufig standen dazu hauptsaechlich nur Tarents eigene Hilfsquellen
+zu Gebot. Der Koenig befahl die Anwerbung eines italischen
+Soeldnerheeres mit tarentinischem Gelde und hob die dienstfaehigen
+Leute aus der Buergerschaft zum Kriegsdienst aus. So aber hatten die
+Tarentiner den Vertrag nicht verstanden. Sie hatten gemeint, den Sieg
+wie eine andere Ware fuer ihr Geld sich gekauft zu haben; es war eine
+Art Kontraktbruch, dass der Koenig sie zwingen wollte, sich ihn selber
+zu erfechten. Je mehr die Buergerschaft anfangs nach Milons Eintreffen
+sich gefreut hatte, des laestigen Postendienstes los zu sein, desto
+unwilliger stellte man jetzt sich unter die Fahnen des Koenigs; den
+Saeumigen musste mit Todesstrafe gedroht werden. Jetzt gab der Ausgang
+bei allen der Friedenspartei Recht, und es wurden sogar mit Rom
+Verbindungen angeknuepft oder schienen doch angeknuepft zu werden.
+Pyrrhos, auf solchen Widerstand vorbereitet, behandelte die Stadt fortan
+wie eine eroberte: die Soldaten wurden in die Haeuser einquartiert,
+die Volksversammlungen und die zahlreichen Kraenzchen (syssitia)
+suspendiert, das Theater geschlossen, die Promenaden gesperrt, die Tore
+mit epeirotischen Wachen besetzt. Eine Anzahl der fuehrenden Maenner
+wurden als Geiseln ueber das Meer gesandt; andere entzogen sich dem
+gleichen Schicksal durch die Flucht nach Rom. Diese strengen Massregeln
+waren notwendig, da es schlechterdings unmoeglich war, sich in
+irgendeinem Sinn auf die Tarentiner zu verlassen; erst jetzt konnte der
+Koenig, gestuetzt auf den Besitz der wichtigen Stadt, die Operationen
+im Felde beginnen. Auch in Rom wusste man sehr wohl, welchem Kampf man
+entgegenging. Um vor allem die Treue der Bundesgenossen, das heisst der
+Untertanen zu sichern, erhielten die unzuverlaessigen Staedte Besatzung
+und wurden die Fuehrer der Partei der Unabhaengigkeit, wo es notwendig
+schien, festgesetzt oder hingerichtet, so zum Beispiel eine Anzahl
+Mitglieder des praenestinischen Senats. Fuer den Krieg selbst wurden
+grosse Anstrengungen gemacht; es ward eine Kriegssteuer ausgeschrieben,
+von allen Untertanen und Bundesgenossen das volle Kontingent eingemahnt,
+ja die eigentlich von der Dienstpflicht befreiten Proletarier unter die
+Waffen gerufen. Ein roemisches Heer blieb als Reserve in der Hauptstadt.
+Ein zweites rueckte unter dem Konsul Tiberius Coruncanius in Etrurien
+ein und trieb Volci und Volsinii zu Paaren. Die Hauptmacht war
+natuerlich nach Unteritalien bestimmt; man beschleunigte so viel als
+moeglich ihren Abmarsch, um Pyrrhos noch in der Gegend von Tarent zu
+erreichen und ihn zu hindern, die Samniten und die uebrigen gegen Rom
+in Waffen stehenden sueditalischen Aufgebote mit seinen Truppen zu
+vereinigen. Einen vorlaeufigen Damm gegen das Umsichgreifen des
+Koenigs sollten die roemischen Besatzungen gewaehren, die in den
+Griechenstaedten Unteritaliens lagen. Indes die Meuterei der in Rhegion
+liegenden Truppe - es war eine der aus den kampanischen Untertanen
+Roms ausgehobenen Legionen unter einem kampanischen Hauptmann Decius -
+entriss den Roemern diese wichtige Stadt, ohne sie doch Pyrrhos in
+die Haende zu geben. Wenn einerseits bei diesem Militaeraufstand der
+Nationalhass der Kampaner gegen die Roemer unzweifelhaft mitwirkte, so
+konnte anderseits Pyrrhos, der zu Schirm und Schutz der Hellenen ueber
+das Meer gekommen war, unmoeglich die Truppe in den Bund aufnehmen,
+welche ihre rheginischen Wirte in den Haeusern niedergemacht hatte;
+und so blieb sie fuer sich, im engen Bunde mit ihren Stamm- und
+Frevelgenossen, den Mamertinern, das heisst den kampanischen Soeldnern
+des Agathokles, die das gegenueberliegende Messana in aehnlicher Weise
+gewonnen hatten, und brandschatzte und verheerte auf eigene Rechnung die
+umliegenden Griechenstaedte, so Kroton, wo sie die roemische Besatzung
+niedermachte, und Kaulonia, das sie zerstoerte. Dagegen gelang es
+den Roemern, durch ein schwaches Korps, das an die lucanische Grenze
+rueckte, und durch die Besatzung von Venusia die Lucaner und Samniten an
+der Vereinigung mit Pyrrhos zu hindern, waehrend die Hauptmacht, wie
+es scheint vier Legionen, also mit der entsprechenden Zahl von
+Bundestruppen mindestens 50000 Mann stark, unter dem Konsul Publius
+Laevinus gegen Pyrrhos marschierte. Dieser hatte sich zur Deckung der
+tarentinischen Kolonie Herakleia zwischen dieser Stadt und Pandosia ^2
+mit seinen eigenen und den tarentinischen Truppen aufgestellt (474 280).
+Die Roemer erzwangen unter Deckung ihrer Reiterei den Uebergang
+ueber den Siris und eroeffneten die Schlacht mit einem hitzigen und
+gluecklichen Reiterangriff; der Koenig, der seine Reiter selber fuehrte,
+stuerzte und die griechischen Reiter, durch das Verschwinden des
+Fuehrers in Verwirrung gebracht, raeumten den feindlichen Schwadronen
+das Feld. Indes Pyrrhos stellte sich an die Spitze seines Fussvolks,
+und von neuem begann ein entscheidenderes Treffen. Siebenmal trafen die
+Legionen und die Phalanx im Stoss aufeinander und immer noch stand der
+Kampf. Da fiel Megakles, einer der besten Offiziere des Koenigs, und
+weil er an diesem heissen Tage die Ruestung des Koenigs getragen hatte,
+glaubte das Heer zum zweitenmal, dass der Koenig gefallen sei; die
+Reihen wurden unsicher, schon meinte Laevinus den Sieg in der Hand zu
+haben und warf seine saemtliche Reiterei den Griechen in die Flanke.
+Aber Pyrrhos, entbloessten Hauptes durch die Reihen des Fussvolks
+schreitend, belebte den sinkenden Mut der Seinigen. Gegen die Reiter
+wurden die bis dahin zurueckgehaltenen Elefanten vorgefuehrt; die Pferde
+scheuten vor ihnen, die Soldaten wussten den gewaltigen Tieren nicht
+beizukommen und wandten sich zur Flucht. Die zersprengten Reiterhaufen,
+die nachsetzenden Elefanten loesten endlich auch die geschlossenen
+Glieder des roemischen Fussvolks, und die Elefanten, im Verein mit der
+trefflichen thessalischen Reiterei, richteten ein grosses Blutbad unter
+den Fluechtenden an. Haette nicht ein tapferer roemischer Soldat, Gaius
+Minucius, der erste Hastat der vierten Legion, einen der Elefanten
+verwundet und dadurch die verfolgenden Truppen in Verwirrung gebracht,
+so waere das roemische Heer aufgerieben worden; so gelang es, den Rest
+der roemischen Truppen ueber den Siris zurueckzufuehren. Ihr Verlust
+war gross: 7000 Roemer wurden tot oder verwundet von den Siegern auf der
+Walstatt gefunden, 2000 gefangen eingebracht; die Roemer selbst gaben,
+wohl mit Einschluss der vom Schlachtfeld zurueckgebrachten Verwundeten,
+ihren Verlust an auf 15000 Mann. Aber auch Pyrrhos' Heer hatte nicht
+viel weniger gelitten; gegen 4000 seiner besten Soldaten bedeckten das
+Schlachtfeld und mehrere seiner tuechtigsten Obersten waren gefallen.
+Erwaegend, dass sein Verlust hauptsaechlich auf die altgedienten Leute
+traf, die bei weitem schwerer zu ersetzen waren als die roemische
+Landwehr, und dass er den Sieg nur der Ueberraschung durch den
+Elefantenangriff verdankte, die sich nicht oft wiederholen liess, mag
+der Koenig wohl, strategischer Kritiker wie er war, spaeterhin diesen
+Sieg einer Niederlage aehnlich genannt haben; wenn er auch nicht so
+toericht war, wie die roemischen Poeten nachher gedichtet haben, in
+der Aufschrift des von ihm in Tarent aufgestellten Weihgeschenkes diese
+Selbstkritik dem Publikum mitzuteilen. Politisch kam zunaechst wenig
+darauf an, welche Opfer der Sieg gekostet hatte; vielmehr war der Gewinn
+der ersten Schlacht gegen die Roemer fuer Pyrrhos ein unschaetzbarer
+Erfolg. Sein Feldherrntalent hatte auch auf diesem neuen Schlachtfeld
+sich glaenzend bewaehrt, und wenn irgend etwas, musste der Sieg von
+Herakleia dem hinsiechenden Bunde der Italiker Einigkeit und Energie
+einhauchen. Aber auch die unmittelbaren Ergebnisse des Sieges waren
+ansehnlich und nachhaltig. Lucanien war fuer die Roemer verloren;
+Laevinus zog die dort stehenden Truppen an sich und ging nach Apulien.
+Die Brettier, Lucaner, Samniten vereinigten sich ungehindert mit
+Pyrrhos. Mit Ausnahme von Rhegion, das unter dem Druck der kampanischen
+Meuterer schmachtete, fielen die Griechenstaedte saemtlich dem Koenig
+zu, ja Lokri lieferte ihm freiwillig die roemische Besatzung aus; von
+ihm waren sie ueberzeugt, und mit Recht, dass er sie den Italikern
+nicht preisgeben werde. Die Sabeller und Griechen also traten zu Pyrrhos
+ueber; aber weiter wirkte der Sieg auch nicht. Unter den Latinern zeigte
+sich keine Neigung, der roemischen Herrschaft, wie schwer sie auch
+lasten mochte, mit Hilfe eines fremden Dynasten sich zu entledigen.
+Venusia, obgleich jetzt rings von Feinden umschlossen, hielt
+unerschuetterlich fest an Rom. Den am Siris Gefangenen, deren tapfere
+Haltung der ritterliche Koenig durch die ehrenvollste Behandlung
+vergalt, bot er nach griechischer Sitte an, in sein Heer einzutreten;
+allein er erfuhr, dass er nicht mit Soeldnern focht, sondern mit einem
+Volke. Nicht einer, weder Roemer noch Latiner, nahm bei ihm Dienste.
+------------------------------------------- 2 Bei dem heutigen Anglona;
+nicht zu verwechseln mit der bekannteren Stadt gleichen Namens in der
+Gegend von Cosenza. ------------------------------------------- Pyrrhos
+bot den Roemern Frieden an. Er war ein zu einsichtiger Militaer, um das
+Missliche seiner Stellung zu verkennen, und ein zu gewiegter Staatsmann,
+um nicht denjenigen Augenblick, der ihm die guenstigste Stellung
+gewaehrte, rechtzeitig zum Friedensschluss zu benutzen. Jetzt hoffte er
+unter dem ersten Eindruck der gewaltigen Schlacht, es in Rom durchsetzen
+zu koennen, dass die griechischen Staedte in Italien frei wuerden und
+zwischen ihnen und Rom eine Reihe Staaten zweiten und dritten Ranges als
+abhaengige Verbuendete der neuen griechischen Macht ins Leben traeten;
+denn darauf gingen seine Forderungen: Entlassung aller griechischen
+Staedte - also namentlich der kampanischen und lucanischen - aus der
+roemischen Botmaessigkeit und Rueckgabe des den Samniten, Dauniern,
+Lucanern, Brettiern abgenommenen Gebiets, das heisst namentlich
+Aufgabe von Luceria und Venusia. Konnte ein weiterer Kampf mit Rom auch
+schwerlich vermieden werden, so war es doch wuenschenswert, diesen erst
+zu beginnen, wenn die westlichen Hellenen unter einem Herrn vereinigt,
+Sizilien gewonnen, vielleicht Afrika erobert war. Mit solchen
+Instruktionen versehen, begab sich Pyrrhos' vertrauter Minister, der
+Thessalier Kineas, nach Rom. Der gewandte Unterhaendler, den seine
+Zeitgenossen dem Demosthenes verglichen, soweit sich dem Staatsmann
+der Rhetor, dem Volksfuehrer der Herrendiener vergleichen laesst, hatte
+Auftrag, die Achtung, die der Sieger von Herakleia fuer seine Besiegten
+in der Tat empfand, auf alle Weise zur Schau zu tragen, den Wunsch des
+Koenigs, selber nach Rom zu kommen, zu erkennen zu geben, durch die im
+Munde des Feindes so wohlklingende Lob- und durch ernste Schmeichelrede,
+gelegentlich auch durch wohlangebrachte Geschenke die Gemueter zu des
+Koenigs Gunsten zu stimmen, kurz, alle Kuenste der Kabinettspolitik, wie
+sie an den Hoefen von Alexandreia und Antiocheia erprobt waren, gegen
+die Roemer zu versuchen. Der Senat schwankte; manchen erschien es der
+Klugheit gemaess, einen Schritt zurueck zu tun und abzuwarten, bis der
+gefaehrliche Gegner sich weiter verwickelt haben oder nicht mehr sein
+wuerde. Indes der greise und blinde Konsular Appius Claudius (Zensor
+442 312, Konsul 447, 458 307, 296), der seit langem sich von den
+Staatsgeschaeften zurueckgezogen hatte, aber in diesem entscheidenden
+Augenblick sich in den Senat fuehren liess, hauchte die ungebrochene
+Energie einer gewaltigen Natur mit seinen Flammenworten dem juengeren
+Geschlecht in die Seele. Man antwortete dem Koenig das stolze Wort, das
+hier zuerst vernommen und seitdem Staatsgrundsatz ward, dass Rom nicht
+unterhandle, solange auswaertige Truppen auf italischem Gebiet staenden,
+und das Wort wahr zu machen, wies man den Gesandten sofort aus der
+Stadt. Der Zweck der Sendung war verfehlt und der gewandte Diplomat,
+statt mit seiner Redekunst Effekt zu machen, hatte vielmehr durch diesen
+maennlichen Ernst nach so schwerer Niederlage sich selber imponieren
+lassen - er erklaerte daheim, dass in dieser Stadt jeder Buerger ihm
+erschienen sei wie ein Koenig; freilich, der Hofmann hatte ein freies
+Volk zu Gesicht bekommen. Pyrrhos, der waehrend dieser Verhandlungen
+in Kampanien eingerueckt war, brach auf die Nachricht von ihrem Abbruch
+sogleich auf gegen Rom, um den Etruskern die Hand zu reichen, die
+Bundesgenossen Roms zu erschuettern, die Stadt selber zu bedrohen. Aber
+die Roemer liessen sich so wenig schrecken wie gewinnen. Auf den Ruf des
+Heroldes, "an die Stelle der Gefallenen sich einschreiben zu lassen",
+hatte gleich nach der Schlacht von Herakleia die junge Mannschaft sich
+scharenweise zur Aushebung gedraengt; mit den beiden neugebildeten
+Legionen und dem aus Lucanien zurueckgezogenen Korps folgte Laevinus,
+staerker als vorher, dem Marsch des Koenigs; er deckte gegen denselben
+Capua und vereitelte dessen Versuche, mit Neapel Verbindungen
+anzuknuepfen. So straff war die Haltung der Roemer, dass ausser den
+unteritalischen Griechen kein namhafter Bundesstaat es wagte, vom
+roemischen Buendnis abzufallen. Da wandte Pyrrhos sich gegen Rom selbst.
+Durch die reiche Landschaft, deren bluehenden Zustand er mit Bewunderung
+schaute, zog er gegen Fregellae, das er ueberrumpelte, erzwang den
+Uebergang ueber den Liris und gelangte bis nach Anagnia, das nicht mehr
+als acht deutsche Meilen von Rom entfernt ist. Kein Heer warf sich ihm
+entgegen; aber ueberall schlossen die Staedte Latiums ihm die Tore,
+und gemessenen Schrittes folgte von Kampanien aus Laevinus ihm nach,
+waehrend von Norden der Konsul Tiberius Coruncanius, der soeben mit
+den Etruskern durch einen rechtzeitigen Friedensschluss sich abgefunden
+hatte, eine zweite roemische Armee heranfuehrte und in Rom selbst die
+Reserve unter dem Diktator Gnaeus Domitius Calvinus sich zum Kampfe
+fertig machte. Dagegen war nichts auszurichten; dem Koenig blieb nichts
+uebrig als umzukehren. Eine Zeitlang stand er noch in Kampanien den
+vereinigten Heeren der beiden Konsuln untaetig gegenueber; aber es bot
+sich keine Gelegenheit, einen Hauptschlag auszufuehren. Als der Winter
+herankam, raeumte der Koenig das feindliche Gebiet und verteilte seine
+Truppen in die befreundeten Staedte; er selbst nahm Winterquartier in
+Tarent. Hierauf stellten auch die Roemer ihre Operationen ein; das Heer
+bezog Standquartiere bei Firmum im Picenischen, wo auf Befehl des Senats
+die am Siris geschlagenen Legionen den Winter hindurch zur Strafe unter
+Zelten kampierten. So endigte der Feldzug des Jahres 474 (280).
+Der Sonderfriede, den Etrurien im entscheidenden Augenblick mit Rom
+abgeschlossen hatte, und des Koenigs unvermuteter Rueckzug, der die
+hochgespannten Hoffnungen der italischen Bundesgenossen gaenzlich
+taeuschte, wogen zum grossen Teil den Eindruck des Sieges von Herakleia
+auf. Die Italiker beschwerten sich ueber die Lasten des Krieges,
+namentlich ueber die schlechte Mannszucht der bei ihnen einquartierten
+Soeldner, und der Koenig, muede des kleinlichen Gezaenks und des
+unpolitischen wie unmilitaerischen Gehabens seiner Bundesgenossen,
+fing an zu ahnen, dass die Aufgabe, die ihm zugefallen war, trotz aller
+taktischen Erfolge politisch unloesbar sein moege. Die Ankunft einer
+roemischen Gesandtschaft, dreier Konsulate, darunter der Sieger
+von Thurii, Gaius Fabricius, liess einen Augenblick wieder die
+Friedenshoffnungen bei ihm erwachen; allein es zeigte sich bald, dass
+sie nur Vollmacht hatte, wegen Loesung oder Auswechselung der Gefangenen
+zu unterhandeln. Pyrrhos schlug diese Forderung ab, allein er entliess
+zur Feier der Saturnalien saemtliche Gefangene auf ihr Ehrenwort; dass
+sie es hielten und dass der roemische Gesandte einen Bestechungsversuch
+abwies, hat man in der Folgezeit in unschicklichster und mehr fuer die
+Ehrlosigkeit der spaeteren als die Ehrenhaftigkeit der frueheren Zeit
+bezeichnender Weise gefeiert. Mit dem Fruehjahr 475 (279) ergriff
+Pyrrhos abermals die Offensive und rueckte in Apulien ein, wohin
+das roemische Heer ihm entgegenkam. In der Hoffnung durch einen
+entscheidenden Sieg die roemische Symmachie in diesen Landschaften zu
+erschuettern, bot der Koenig eine zweite Schlacht an und die Roemer
+verweigerten sie nicht. Bei Ausculum (Ascoli di Puglia) trafen
+beide Heere aufeinander. Unter Pyrrhos' Fahnen fochten ausser seinen
+epeirotischen und makedonischen Truppen die italischen Soeldner,
+die Buergerwehr - die sogenannten Weissschilde - von Tarent und die
+verbuendeten Lucaner, Brettier und Samniten, zusammen 70000 Mann zu
+Fuss, davon 16000 Griechen und Epeiroten, ueber 8000 Reiter und 19
+Elefanten. Mit den Roemern standen an diesem Tage die Latiner, Kampaner,
+Volsker, Sabiner, Umbrer, Marruciner, Paeligner, Frentaner und Arpaner;
+auch sie zaehlten ueber 70000 Mann zu Fuss, darunter 20000 roemische
+Buerger, und 8000 Reiter. Beide Teile hatten in ihrem Heerwesen
+Aenderungen vorgenommen. Pyrrhos, mit scharfem Soldatenblick die
+Vorzuege der roemischen Manipularordnung erkennend, hatte auf den
+Fluegeln die lange Front seiner Phalangen vertauscht mit einer der
+Kohortenstellung nachgebildeten unterbrochenen Aufstellung in Faehnlein
+und, vielleicht nicht minder aus politischen wie aus militaerischen
+Gruenden, zwischen die Abteilungen seiner eigenen Leute die
+tarentinischen und samnitischen Kohorten eingeschoben; im Mitteltreffen
+allein stand die epeirotische Phalanx in geschlossener Reihe. Die Roemer
+fuehrten zur Abwehr der Elefanten eine Art Streitwagen heran, aus denen
+Feuerbecken an eisernen Stangen hervorragten und auf denen bewegliche,
+zum Herablassen eingerichtete und in Eisenstachel endende Maste
+befestigt waren - gewissermassen das Vorbild der Enterbruecken, die im
+Ersten Punischen Krieg eine so grosse Rolle spielen sollten. Nach dem
+griechischen Schlachtbericht, der minder parteiisch scheint als der
+uns auch vorliegende roemische, waren die Griechen am ersten Tage im
+Nachteil, da sie weder dazu gelangten, an den schroffen und sumpfigen
+Flussufern, wo sie gezwungen wurden, das Gefecht anzunehmen, ihre Linie
+zu entwickeln, noch Reiterei und Elefanten ins Gefecht zu bringen.
+Am zweiten Tage kam dagegen Pyrrhos den Roemern in der Besetzung des
+durchschnittenen Terrains zuvor und erreichte so ohne Verlust die Ebene,
+wo er seine Phalanx ungestoert entfalten konnte. Vergeblich stuerzten
+sich die Roemer verzweifelten Muts mit ihren Schwertern auf die
+Sarissen; die Phalanx stand unerschuetterlich jedem Angriff von vorn,
+doch vermochte auch sie es nicht, die roemischen Legionen zum Weichen
+zu bringen. Erst als die zahlreiche Bedeckung der Elefanten die auf
+den roemischen Streitwagen fechtende Mannschaft durch Pfeile und
+Schleudersteine vertrieben und der Bespannung die Straenge zerschnitten
+hatte und nun die Elefanten gegen die roemische Linie anprallten,
+kam dieselbe ins Schwanken. Das Weichen der Bedeckungsmannschaft der
+roemischen Wagen gab das Signal zur allgemeinen Flucht, die indes nicht
+sehr zahlreiche Opfer kostete, da das nahe Lager die Verfolgten aufnahm.
+Dass waehrend des Haupttreffens ein von der roemischen Hauptmacht
+abgesondertes arpanisches Korps das schwach besetzte epeirotische
+Lager angegriffen und in Brand gesteckt habe, meldet nur der roemische
+Schlachtbericht; wenn es aber auch richtig ist, so haben doch die Roemer
+auf alle Faelle mit Unrecht behauptet, dass die Schlacht unentschieden
+geblieben sei. Beide Berichte stimmen vielmehr darin ueberein, dass das
+roemische Heer ueber den Fluss zurueckging und Pyrrhos im Besitz des
+Schlachtfeldes blieb. Die Zahl der Gefallenen war nach dem griechischen
+Berichte auf roemischer Seite 6000, auf griechischer 3505 ^3; unter den
+Verwundeten war der Koenig selbst, dem ein Wurfspiess den Arm durchbohrt
+hatte, waehrend er wie immer im dichtesten Getuemmel kaempfte. Wohl war
+es ein Sieg, den Pyrrhos erfochten hatte, aber es waren unfruchtbare
+Lorbeeren; als Feldherrn wie als Soldaten machte der Sieg dem Koenig
+Ehre, aber seine politischen Zwecke hat er nicht gefoerdert. Pyrrhos
+bedurfte eines glaenzenden Erfolges, der das roemische Heer aufloeste
+und den schwankenden Bundesgenossen die Gelegenheit und den Anstoss
+zum Parteiwechsel gab; da aber die roemische Armee und die roemische
+Eidgenossenschaft ungebrochen geblieben und das griechische Heer, das
+nichts war ohne seinen Feldherrn, durch dessen Verwundung auf laengere
+Zeit angefesselt ward, musste er wohl den Feldzug verloren geben und in
+die Winterquartiere gehen, die der Koenig in Tarent, die Roemer
+diesmal in Apulien nahmen. Immer deutlicher offenbarte es sich,
+dass militaerisch die Hilfsquellen des Koenigs den roemischen ebenso
+nachstanden, wie politisch die lose und widerspenstige Koalition den
+Vergleich nicht aushielt mit der festgegruendeten roemischen Symmachie.
+Wohl konnte das Ueberraschende und Gewaltige in der griechischen
+Kriegfuehrung, das Genie des Feldherrn noch einen Sieg mehr wie die von
+Herakleia und Ausculum erfechten, aber jeder neue Sieg vernutzte die
+Mittel zu weiteren Unternehmungen und es war klar, dass die Roemer
+schon jetzt sich als die Staerkeren fuehlten und den endlichen Sieg mit
+mutiger Geduld erharrten. Dieser Krieg war nicht das feine Kunstspiel,
+wie die griechischen Fuersten es uebten und verstanden; an der vollen
+und gewaltigen Energie der Landwehr zerschellten alle strategischen
+Kombinationen. Pyrrhos fuehlte, wie die Dinge standen; ueberdruessig
+seiner Siege und seine Bundesgenossen verachtend, harrte er nur aus,
+weil die militaerische Ehre ihm vorschrieb, Italien nicht zu verlassen,
+bevor er seine Schutzbefohlenen vor den Barbaren gesichert haben wuerde.
+Es war bei seinem ungeduldigen Naturell vorauszusetzen, dass er den
+ersten Vorwand ergreifen wuerde, um der laestigen Pflicht sich zu
+entledigen; und die Veranlassung, sich von Italien zu entfernen,
+boten bald die sizilischen Angelegenheiten ihm dar.
+------------------------------------------ ^3 Diese Zahlen scheinen
+glaubwuerdig. Der roemische Bericht gibt, wohl an Toten und Verwundeten,
+fuer jede Seite 15000 Mann an, ein spaeterer sogar auf roemischer 5000,
+auf griechischer 20000 Tote. Es mag das hier Platz finden um an einem
+der seltenen Beispiele, wo Kontrolle moeglich ist, die fast ausnahmslose
+Unglaubwuerdigkeit der Zahlenangaben zu zeigen, in denen die Luege
+bei den Annalisten lawinenartig anschwillt.
+------------------------------------------ Nach Agathokles' Tode (465
+289) fehlte es den sizilischen Griechen an jeder leitenden Macht.
+Waehrend in den einzelnen hellenischen Staedten unfaehige Demagogen und
+unfaehige Tyrannen einander abloesten, dehnten die Karthager, die alten
+Herren der Westspitze, ihre Herrschaft ungestoert aus. Nachdem Akragas
+ihnen erlegen war, glaubten sie die Zeit gekommen, um zu dem seit
+Jahrhunderten im Auge behaltenen Ziel endlich den letzten Schritt zu tun
+und die ganze Insel unter ihre Botmaessigkeit zu bringen: sie wandten
+sich zum Angriff auf Syrakus. Die Stadt, die einst mit ihren Heeren und
+Flotten Karthago den Besitz der Insel streitig gemacht hatte, war durch
+den inneren Hader und die Schwaeche des Regiments so tief herabgekommen,
+dass sie ihre Rettung suchen musste in dem Schutz ihrer Mauern und
+in auswaertiger Hilfe; und niemand konnte diese gewaehren als Koenig
+Pyrrhos. Pyrrhos war des Agathokles Tochtermann, sein Sohn, der damals
+sechzehnjaehrige Alexander, des Agathokles Enkel, beide in jeder
+Beziehung die natuerlichen Erben der hochfliegenden Plaene des Herrn von
+Syrakus; und wenn es mit der Freiheit doch zu Ende war, konnte Syrakus
+Ersatz darin finden, die Hauptstadt eines westhellenischen Reiches
+zu sein. So trugen die Syrakusaner gleich den Tarentinern und unter
+aehnlichen Bedingungen dem Koenig Pyrrhos freiwillig die Herrschaft
+entgegen (um 475 279), und durch eine seltene Fuegung der Dinge schien
+sich alles zu vereinigen zum Gelingen der grossartigen, zunaechst auf
+den Besitz von Tarent und Syrakus gebauten Plaene des Epeirotenkoenigs.
+Freilich war die naechste Folge von dieser Vereinigung der italischen
+und sizilischen Griechen unter eine Hand, dass auch die Gegner sich
+enger zusammenschlossen. Karthago und Rom verwandelten ihre alten
+Handelsvertraege jetzt in ein Offensiv- und Defensivbuendnis gegen
+Pyrrhos (475 279), dessen Bedingungen dahin lauteten, dass, wenn Pyrrhos
+roemisches oder karthagisches Gebiet betrete, der nicht angegriffene
+Teil dem angegriffenen auf dessen Gebiet Zuzug leisten und die
+Hilfstruppen selbst besolden solle; dass in solchem Falle Karthago die
+Transportschiffe zu stellen und auch mit der Kriegsflotte den Roemern
+beizustehen sich verpflichte, doch solle deren Bemannung nicht gehalten
+sein, zu Lande fuer die Roemer zu fechten; dass endlich beide Staaten
+sich das Wort gaeben, keinen Sonderfrieden mit Pyrrhos zu schliessen.
+Der Zweck des Vertrages war auf roemischer Seite, einen Angriff auf
+Tarent moeglich zu machen und Pyrrhos von der Heimat abzuschneiden, was
+beides ohne Mitwirkung der punischen Flotte nicht ausfuehrbar war,
+auf seiten der Karthager, den Koenig in Italien festzuhalten, um ihre
+Absichten auf Syrakus ungestoert ins Werk setzen zu koennen ^4. Es lag
+also im Interesse beider Maechte, zunaechst sich des Meeres zwischen
+Italien und Sizilien zu versichern. Eine starke karthagische Flotte
+von 120 Segeln unter dem Admiral Mago ging von Ostia, wohin Mago sich
+begeben zu haben scheint, um jenen Vertrag abzuschliessen, nach der
+sizilischen Meerenge. Die Mamertiner, die fuer ihre Frevel gegen die
+griechische Bevoelkerung Messanas die gerechte Strafe erwartete, wenn
+Pyrrhos in Sizilien und Italien ans Regiment kam, schlossen sich eng an
+die Roemer und Karthager und sicherten diesen die sizilische Seite
+des Passes. Gern haetten die Verbuendeten auch Rhegion auf der
+gegenueberliegenden Kueste in ihre Gewalt gebracht; allein verzeihen
+konnte Rom der kampanischen Besatzung unmoeglich, und ein Versuch der
+vereinigten Roemer und Karthager, sich der Stadt mit gewaffneter Hand zu
+bemaechtigen, schlug fehl. Von dort segelte die karthagische Flotte nach
+Syrakus und blockierte die Stadt von der Seeseite, waehrend gleichzeitig
+ein starkes phoenikisches Heer die Belagerung zu Lande begann (476
+278). Es war hohe Zeit, dass Pyrrhos in Syrakus erschien; aber freilich
+standen in Italien die Angelegenheiten keineswegs so, dass er und seine
+Truppen dort entbehrt werden konnten. Die beiden Konsuln des Jahres
+476 (278) Gaius Fabricius Luscinus und Quintus Aemilius Papus, beide
+erprobte Generale, hatten den neuen Feldzug kraeftig begonnen, und
+obwohl bisher die Roemerin diesem Kriege nur Niederlagen erlitten
+hatten, waren nicht sie es, sondern die Sieger, die sich ermattet
+fuehlten und den Frieden herbeiwuenschten. Pyrrhos machte noch einen
+Versuch, ein leidliches Abkommen zu erlangen. Der Konsul Fabricius hatte
+dem Koenig einen Elenden zugesandt, der ihm den Antrag gemacht, gegen
+gute Bezahlung den Koenig zu vergiften. Zum Dank gab der Koenig nicht
+bloss alle roemischen Gefangenen ohne Loesegeld frei, sondern er fuehlte
+sich so hingerissen von dem Edelsinn seiner tapferen Gegner, dass er zur
+Belohnung ihnen selber einen ungemein billigen und guenstigen Frieden
+antrug. Kineas scheint noch einmal nach Rom gegangen zu sein und
+Karthago ernstlich gefuerchtet zu haben, dass sich Rom zum Frieden
+bequeme. Indes der Senat blieb fest und wiederholte seine fruehere
+Antwort. Wollte der Koenig nicht Syrakus den Karthagern in die Haende
+fallen und damit seinen grossen Plan sich zerstoeren lassen, so
+blieb ihm nichts anderes uebrig, als seine italischen Bundesgenossen
+preiszugeben und sich vorlaeufig auf den Besitz der wichtigsten
+Hafenstaedte, namentlich von Tarent und Lokri, zu beschraenken.
+Vergebens beschworen ihn die Lucaner und Samniten, sie nicht im Stich
+zu lassen; vergebens forderten die Tarentiner ihn auf, entweder seiner
+Feldherrnpflicht nachzukommen oder die Stadt ihnen zurueckzugeben. Den
+Klagen und Vorwuerfen setzte der Koenig Vertroestungen auf kuenftige
+bessere Zeiten oder auch derbe Abweisung entgegen; Milon blieb in Tarent
+zurueck, des Koenigs Sohn Alexander in Lokri und mit der Hauptmacht
+schiffte noch im Fruehjahr 476 (278) sich Pyrrhos in Tarent nach Syrakus
+ein. -------------------------------------------------------- ^4 Die
+spaeteren Roemer und mit ihnen die neueren geben dem Buendnis die
+Wendung, als haetten die Roemer absichtlich vermieden, die karthagische
+Hilfe in Italien anzunehmen. Das waere unvernuenftig gewesen, und die
+Tatsachen sprechen dagegen. Dass Mago in Ostia nicht landete, erklaert
+sich nicht aus solcher Vorsicht, sondern einfach daraus, dass Latium von
+Pyrrhos ganz und gar nicht bedroht war und karthagischen Beistandes also
+nicht bedurfte; und vor Rhegion kaempften die Karthager allerdings
+fuer Rom. -------------------------------------------------------- Nach
+Pyrrhos' Abzug erhielten die Roemer freie Hand in Italien, wo niemand
+ihnen auf offenem Felde zu widerstehen wagte und die Gegner ueberall
+sich einschlossen in ihre Festen oder in ihre Waelder. Indes der Kampf
+ging nicht so schnell zu Ende, wie man wohl gehofft haben mochte, woran
+teils die Natur dieses Gebirgs- und Belagerungskrieges schuld war, teils
+wohl auch die Erschoepfung der Roemer, von deren furchtbaren Verlusten
+das Sinken der Buergerrolle von 473 (281) auf 479 (275) um 17000 Koepfe
+zeugt. Noch im Jahre 476 (278) gelang es dem Konsul Gaius Fabricius, die
+bedeutende tarentinische Pflanzstadt Herakleia zu einem Sonderfrieden
+zu bringen, der ihr unter den guenstigsten Bedingungen gewaehrt ward.
+Im Feldzug von 477 (277) schlug man sich in Samnium herum, wo ein
+leichtsinnig unternommener Angriff auf die verschanzten Hoehen den
+Roemern viele Leute kostete, und wandte sich alsdann nach dem suedlichen
+Italien, wo die Lucaner und Brettier geschlagen wurden. Dagegen kam bei
+einem Versuch, Kroton zu ueberrumpeln, Milon von Tarent aus den
+Roemern zuvor; die epeirotische Besatzung machte alsdann sogar einen
+gluecklichen Ausfall gegen das belagernde Heer. Indes gelang es endlich
+dem Konsul dennoch, dieselbe durch eine Kriegslist zum Abmarsch zu
+bestimmen und der unverteidigten Stadt sich zu bemaechtigen (477
+277). Wichtiger war es, dass die Lokrenser, die frueher die roemische
+Besatzung dem Koenig ausgeliefert hatten, jetzt, den Verrat durch Verrat
+suehnend, die epeirotische erschlugen; womit die ganze Suedkueste in den
+Haenden der Roemer war mit Ausnahme von Rhegion und Tarent. Indes
+mit diesen Erfolgen war man im wesentlichen doch wenig gefoerdert.
+Unteritalien selbst war laengst wehrlos; Pyrrhos aber war nicht
+bezwungen, solange Tarent in seinen Haenden und ihm damit die
+Moeglichkeit blieb, den Krieg nach Belieben wieder zu erneuern, und
+an die Belagerung dieser Stadt konnten die Roemer nicht denken. Selbst
+davon abgesehen, dass in dem durch Philipp von Makedonien und Demetrios
+den Belagerer umgeschaffenen Festungskrieg die Roemer gegen
+einen erfahrenen und entschlossenen griechischen Kommandanten im
+entschiedensten Nachteil waren, bedurfte es dazu einer starken Flotte,
+und obwohl der karthagische Vertrag den Roemern Unterstuetzung zur See
+verhiess, so standen doch Karthagos eigene Angelegenheiten in Sizilien
+durchaus nicht so, dass es diese haette gewaehren koennen. Pyrrhos'
+Landung auf der Insel, welche trotz der karthagischen Flotte ungehindert
+erfolgt war, hatte dort mit einem Schlage die Lage der Dinge veraendert.
+Er hatte Syrakus sofort entsetzt, alle freien Griechenstaedte in
+kurzer Zeit in seiner Hand vereinigt und als Haupt der sikeliotischen
+Konfoederation den Karthagern fast ihre saemtlichen Besitzungen
+entrissen. Kaum vermochten mit Hilfe der damals auf dem Mittelmeer ohne
+Nebenbuhler herrschenden karthagischen Flotte sich die Karthager
+in Lilybaeon, die Mamertiner in Messana, und auch hier unter steten
+Angriffen, zu behaupten. Unter solchen Umstaenden waere in Gemaessheit
+des Vertrags von 475 (279) viel eher Rom im Fall gewesen, den Karthagern
+auf Sizilien Beistand zu leisten, als Karthago mit seiner Flotte den
+Roemern Tarent erobern zu helfen; ueberhaupt aber war man eben von
+keiner Seite sehr geneigt, dem Bundesgenossen die Macht zu sichern oder
+gar zu erweitern. Karthago hatte den Roemern die Hilfe erst angeboten,
+als die wesentliche Gefahr vorueber war; diese ihrerseits hatten nichts
+getan, den Abzug des Koenigs aus Italien, den Sturz der karthagischen
+Macht in Sizilien zu verhindern. Ja in offener Verletzung der Vertraege
+hatte Karthago sogar dem Koenig einen Sonderfrieden angetragen und gegen
+den ungestoerten Besitz von Lilybaeon sich erboten, auf die uebrigen
+sizilischen Besitzungen zu verzichten, sogar dem Koenig Geld und
+Kriegsschiffe zur Verfuegung zu stellen, natuerlich zur Ueberfahrt
+nach Italien und zur Erneuerung des Krieges gegen Rom. Indes es war
+einleuchtend, dass mit dem Besitz von Lilybaeon und der Entfernung des
+Koenigs die Stellung der Karthager auf der Insel ungefaehr dieselbe
+geworden waere, wie sie vor Pyrrhos' Landung gewesen war; sich selbst
+ueberlassen waren die griechischen Staedte ohnmaechtig und das verlorene
+Gebiet leicht wiedergewonnen. So schlug Pyrrhos den nach zwei Seiten
+hin perfiden Antrag aus und ging daran, sich selber eine Kriegsflotte zu
+erbauen. Nur Unverstand und Kurzsichtigkeit haben dies spaeter getadelt;
+es war vielmehr ebenso notwendig als mit den Mitteln der Insel leicht
+durchzufuehren. Abgesehen davon, dass der Herr von Ambrakia, Tarent
+und Syrakus nicht ohne Seemacht sein konnte, bedurfte er der Flotte,
+um Lilybaeon zu erobern, um Tarent zu schuetzen, um Karthago daheim
+anzugreifen, wie es Agathokles, Regulus, Scipio vor- und nachher mit
+so grossem Erfolg getan. Nie stand Pyrrhos seinem Ziele naeher als im
+Sommer 478 (276), wo er Karthago gedemuetigt vor sich sah, Sizilien
+beherrschte und mit Tarents Besitz einen festen Fuss in Italien
+behauptete, und wo die neugeschaffene Flotte, die alle diese Erfolge
+zusammenknuepfen, sichern und steigern sollte, zur Abfahrt fertig im
+Hafen von Syrakus lag. Die wesentliche Schwaeche von Pyrrhos' Stellung
+beruhte auf seiner fehlerhaften inneren Politik. Er regierte Sizilien
+wie er Ptolemaeos hatte in Aegypten herrschen sehen; er respektierte die
+Gemeindeverfassungen nicht, setzte seine Vertrauten zu Amtleuten
+ueber die Staedte wann und auf so lange es ihm gefiel, gab anstatt
+der einheimischen Geschworenen seine Hofleute zu Richtern, sprach
+Konfiskationen, Verbannungen, Todesurteile nach Gutduenken aus
+und selbst ueber diejenigen, die seine Ueberkunft nach Sizilien am
+lebhaftesten betrieben hatten, legte Besatzungen in die Staedte und
+beherrschte Sizilien nicht als der Fuehrer des Nationalbundes, sondern
+als Koenig. Mochte er dabei nach orientalisch-hellenistischen Begriffen
+sich ein guter und weiser Regent zu sein duenken und auch wirklich sein,
+so ertrugen doch die Griechen diese Verpflanzung des Diadochensystems
+nach Syrakus mit aller Ungeduld einer in langer Freiheitsagonie aller
+Zucht entwoehnten Nation; sehr bald duenkte das karthagische Joch
+dem toerichten Volk ertraeglicher als das neue Soldatenregiment.
+Die bedeutendsten Staedte knuepften mit den Karthagern, ja mit den
+Mamertinern Verbindungen an; ein starkes karthagisches Heer wagte
+wieder, sich auf der Insel zu zeigen und, ueberall von den Griechen
+unterstuetzt, machte es reissende Fortschritte. Zwar in der Schlacht,
+die Pyrrhos ihm lieferte, war das Glueck wie immer mit dem "Adler";
+allein es hatte sich bei dieser Gelegenheit offenbart, wie die Stimmung
+auf der Insel war und was kommen konnte und musste, wenn der Koenig sich
+entfernte. Zu diesem ersten und wesentlichsten Fehler fuegte Pyrrhos
+einen zweiten: er ging mit der Flotte statt nach Lilybaeon nach Tarent.
+Augenscheinlich musste er, eben bei der Gaerung in den Gemuetern der
+Sikelioten, vor allen Dingen erst von dieser Insel die Karthager
+ganz verdraengt und damit den Unzufriedenen den letzten Rueckhalt
+abgeschnitten haben, ehe er nach Italien sich wenden durfte; hier
+war nichts zu versaeumen, denn Tarent war ihm sicher genug und an den
+uebrigen Bundesgenossen, nachdem sie einmal aufgegeben waren, jetzt
+wenig gelegen. Es ist begreiflich, dass sein Soldatensinn ihn trieb, den
+nicht sehr ehrenvollen Abzug vom Jahre 476 (278) durch eine glaenzende
+Wiederkehr auszutilgen und dass ihm das Herz blutete, wenn er die Klagen
+der Lucaner und Samniten vernahm. Allein Aufgaben, wie sie Pyrrhos sich
+gestellt hatte, koennen nur geloest werden von eisernen Naturen, die
+das Mitleid und selbst das Ehrgefuehl zu beherrschen vermoegen; und eine
+solche war Pyrrhos nicht. Die verhaengnisvolle Einschiffung fand
+statt gegen das Ende des Jahres 478 (276). Unterwegs hatte die neue
+syrakusanische Flotte mit der karthagischen ein heftiges Gefecht zu
+bestehen und buesste darin eine betraechtliche Anzahl Schiffe ein. Die
+Entfernung des Koenigs und die Kunde von diesem ersten Unfall genuegten
+zum Sturz des sikeliotischen Reiches; auf sie hin weigerten alle Staedte
+dem abwesenden Koenig Geld und Truppen und der glaenzende Staat brach
+schneller noch als er entstanden war wiederum zusammen, teils weil der
+Koenig selbst die Treue und Liebe, auf der jedes Gemeinwesen ruht, in
+den Herzen seiner Untertanen untergraben hatte, teils weil es dem Volk
+an der Hingebung fehlte, zur Rettung der Nationalitaet auf vielleicht
+nur kurze Zeit der Freiheit zu entsagen. Damit war Pyrrhos' Unternehmen
+gescheitert, der Plan seines Lebens ohne Aussicht dahin; er ist fortan
+ein Abenteurer, der es fuehlt, dass er viel gewesen und nichts mehr ist,
+der den Krieg nicht mehr als Mittel zum Zwecke fuehrt, sondern, um
+in wildem Wuerfelspiel sich zu betaeuben und womoeglich im
+Schlachtgetuemmel einen Soldatentod zu finden. An der italischen
+Kueste angelangt, begann der Koenig mit einem Versuch, sich Rhegions zu
+bemaechtigen, aber mit Hilfe der Mamertiner schlugen die Kampaner den
+Angriff ab, und in dem hitzigen Gefecht vor der Stadt ward der Koenig
+selbst verwundet, indem er einen feindlichen Offizier vom Pferde hieb.
+Dagegen ueberrumpelte er Lokri, dessen Einwohner die Niedermetzelung
+der epeirotischen Besatzung schwer buessten, und pluenderte den reichen
+Schatz des Persephonetempels daselbst, um seine leere Kasse zu fuellen.
+So gelangte er nach Tarent, angeblich mit 20000 Mann zu Fuss und 3000
+Reitern. Aber es waren nicht mehr die erprobten Veteranen von vordem und
+nicht mehr begruessten die Italiker in ihnen ihre Retter; das Vertrauen
+und die Hoffnung, damit man den Koenig fuenf Jahre zuvor empfing, waren
+gewichen, den Verbuendeten Geld und Mannschaft ausgegangen. Den schwer
+bedraengten Samniten, in deren Gebiet die Roemer 478/79 (276/75)
+ueberwintert hatten, zu Hilfe rueckte der Koenig im Fruehjahr 479 (275)
+ins Feld und zwang bei Benevent auf dem Arusinischen Felde den Konsul
+Manius Curius zur Schlacht, bevor er sich mit seinem von Lucanien
+heranrueckenden Kollegen vereinigen konnte. Aber die Heeresabteilung,
+die den Roemern in die Flanke zu fallen bestimmt war, verirrte sich
+waehrend des Nachtmarsches in den Waeldern und blieb im entscheidenden
+Augenblick aus; und nach heftigem Kampf entschieden auch hier wieder die
+Elefanten die Schlacht, aber diesmal fuer die Roemer, indem sie, von den
+zur Bedeckung des Lagers aufgestellten Schuetzen in Verwirrung gebracht,
+auf ihre eigenen Leute sich warfen. Die Sieger besetzten das Lager; in
+ihre Haende fielen 1300 Gefangene und vier Elefanten - die ersten, die
+Rom sah, ausserdem eine unermessliche Beute, aus deren Erloes spaeter
+in Rom der Aquaedukt, welcher das Aniowasser von Tibur nach Rom fuehrte,
+gebaut ward. Ohne Truppen, um das Feld zu halten, und ohne Geld sandte
+Pyrrhos an seine Verbuendeten, die ihm zur Ausruestung nach Italien
+gesteuert hatten, die Koenige von Makedonien und Asien; aber auch in
+der Heimat fuerchtete man ihn nicht mehr und schlug die Bitte ab.
+Verzweifelnd an dem Erfolg gegen Rom und erbittert durch diese
+Weigerungen liess Pyrrhos Besatzung in Tarent und ging selber noch im
+selben Jahre (479 275) heim nach Griechenland, wo eher noch als bei
+dem stetigen und gemessenen Gang der italischen Verhaeltnisse sich dem
+verzweifelten Spieler eine Aussicht eroeffnen mochte. In der Tat gewann
+er nicht bloss schnell zurueck, was von seinem Reiche war abgerissen
+worden, sondern er griff noch einmal und nicht ohne Erfolg nach
+der makedonischen Krone. Allein an Antigonos Gonatas' ruhiger und
+umsichtiger Politik und mehr noch an seinem eigenen Ungestuem und
+der Unfaehigkeit, den stolzen Sinn zu zaehmen, scheiterten auch seine
+letzten Plaene; er gewann noch Schlachten, aber keinen dauernden
+Erfolg mehr und fand sein Ende in einem elenden Strassengefecht im
+peloponnesischen Argos (482 272). In Italien ist der Krieg zu Ende mit
+der Schlacht bei Benevent; langsam verenden die letzten Zuckungen der
+nationalen Partei. Zwar so lange der Kriegsfuerst, dessen maechtiger Arm
+es gewagt hatte, dem Schicksal in die Zuegel zu fallen, noch unter den
+Lebenden war, hielt er, wenngleich abwesend, gegen Rom die feste Burg
+von Tarent. Mochte auch nach des Koenigs Entfernung in der Stadt die
+Friedenspartei die Oberhand gewinnen, Milon, der fuer Pyrrhos darin den
+Befehl fuehrte, wies ihre Anmutungen ab und liess die roemisch gesinnten
+Staedter in dem Kastell, das sie im Gebiet von Tarent sich errichtet
+hatten, auf ihre eigene Hand mit Rom Frieden schliessen, wie es ihnen
+beliebte, ohne darum seine Tore zu oeffnen. Aber als nach Pyrrhos'
+Tode eine karthagische Flotte in den Hafen einlief und Milon die
+Buergerschaft im Begriff sah, die Stadt an die Karthager auszuliefern,
+zog er es vor, dem roemischen Konsul Lucius Papirius die Burg zu
+uebergeben (482 272) und damit fuer sich und die Seinigen freien Abzug
+zu erkaufen. Fuer die Roemer war dies ein ungeheurer Gluecksfall. Nach
+den Erfahrungen, die Philipp vor Perinth und Byzanz, Demetrios vor
+Rhodos, Pyrrhos vor Lilybaeon gemacht hatten, laesst sich bezweifeln, ob
+die damalige Strategik ueberhaupt imstande war, eine wohlbefestigte und
+wohlverteidigte und von der See her zugaengliche Stadt zur Uebergabe zu
+zwingen; und welche Wendung haetten die Dinge nehmen moegen, wenn
+Tarent das in Italien fuer die Phoeniker geworden waere, was in Sizilien
+Lilybaeon fuer sie gewesen war! Indes das Geschehene war nicht zu
+aendern. Der karthagische Admiral, da er die Burg in den Haenden
+der Roemer sah, erklaerte, nur vor Tarent erschienen zu sein, um dem
+Vertrage gemaess den Bundesgenossen bei der Belagerung der Stadt
+Hilfe zu leisten, und ging unter Segel nach Afrika; und die roemische
+Gesandtschaft, welche wegen der versuchten Okkupation von Tarent
+Aufklaerung zu fordern und Beschwerde zu fuehren nach Karthago
+gesandt ward, brachte nichts zurueck als die feierliche und eidliche
+Bekraeftigung dieser angeblichen bundesfreundlichen Absicht, wobei man
+denn auch in Rom vorlaeufig sich beruhigte. Die Tarentiner erhielten,
+vermutlich durch Vermittlung ihrer Emigrierten, die Autonomie von den
+Roemern zurueck; aber Waffen und Schiffe mussten ausgeliefert und die
+Mauern niedergerissen werden. In demselben Jahre, in dem Tarent roemisch
+ward, unterwarfen sich endlich auch die Samniten, Lucaner und Brettier,
+welche letztere die Haelfte des eintraeglichen und fuer den Schiffbau
+wichtigen Silawaldes abtreten mussten. Endlich traf auch die seit
+zehn Jahren in Rhegion hausende Bande die Strafe fuer den gebrochenen
+Fahneneid wie fuer den Mord der rheginischen Buergerschaft und der
+Besatzung von Kroton. Es war zugleich die allgemeine Sache der Hellenen
+gegen die Barbaren, welche Rom hier vertrat; der neue Herr von Syrakus,
+Hieron, unterstuetzte darum auch die Roemer vor Rhegion durch Sendung
+von Lebensmitteln und Zuzug und machte gleichzeitig einen mit der
+roemischen Expedition gegen Rhegion kombinierten Angriff auf deren
+Stamm- und Schuldgenossen in Sizilien, die Mamertiner in Messana. Die
+Belagerung der letzteren Stadt zog sich sehr in die Laenge; dagegen
+wurde Rhegion, obwohl auch hier die Meuterer hartnaeckig und lange
+sich wehrten, im Jahre 484 (270) von den Roemern erstuermt, was von
+der Besatzung uebrig war, in Rom auf offenem Markte gestaeupt und
+enthauptet, die alten Einwohner aber zurueckgerufen und soviel moeglich
+in ihr Vermoegen wieder eingesetzt. So war im Jahre 484 (270) ganz
+Italien zur Untertaenigkeit gebracht. Nur die hartnaeckigsten Gegner
+Roms, die Samniten, setzten trotz des offiziellen Friedensschlusses
+noch als "Raeuber" den Kampf fort, sodass sogar im Jahre 485 (269) noch
+einmal beide Konsuln gegen sie geschickt werden mussten. Aber auch der
+hochherzigste Volksmut, die tapferste Verzweiflung gehen einmal zu Ende;
+Schwert und Galgen brachten endlich auch den samnitischen Bergen die
+Ruhe. Zur Sicherung dieser ungeheuren Erwerbungen wurde wiederum eine
+Reihe von Kolonien angelegt: in Lucanien Paestum und Cosa (481 273), als
+Zwingburgen fuer Samnium Beneventum (486 268) und Aesernia (um 491 263),
+als Vorposten gegen die Gallier Ariminum (486 268), in Picenum Firmum
+(um 490 264) und die Buergerkolonie Castrum novum; die Fortfuehrung
+der grossen Suedchaussee, welche an der Festung Benevent eine neue
+Zwischenstation zwischen Capua und Venusia erhielt, bis zu den
+Haefen von Tarent und Brundisium und die Kolonisierung des letzteren
+Seeplatzes, den die roemische Politik zum Nebenbuhler und Nachfolger des
+tarentinischen Emporiums sich ausersehen hatte, wurden vorbereitet. Die
+neuen Festungs- und Strassenanlagen veranlassten noch einige Kriege mit
+den kleinen Voelkerschaften, deren Gebiet durch dieselben geschmaelert
+ward, den Picentern (485, 486 269, 268), von denen eine Anzahl in die
+Gegend von Salernum verpflanzt ward, den Sallentinern um Brundisium
+(487, 488 267, 266), den umbrischen Sassinaten (487, 488 267, 266),
+welche letzte nach der Austreibung der Senonen das Gebiet von Ariminum
+besetzt zu haben scheinen. Durch diese Anlagen ward die Herrschaft Roms
+ueber das unteritalische Binnenland und die ganze italische Ostkueste
+vom Ionischen Meer bis zur keltischen Grenze ausgedehnt. Bevor wir die
+politische Ordnung darstellen, nach der das also geeinigte Italien von
+Rom aus regiert ward, bleibt es noch uebrig, auf die Seeverhaeltnisse
+im vierten und fuenften Jahrhundert einen Blick zu werfen. Es waren in
+dieser Zeit wesentlich Syrakus und Karthago, die um die Herrschaft in
+den westlichen Gewaessern miteinander rangen; im ganzen ueberwog trotz
+der grossen Erfolge, welche Dionysios (348-389 406-365), Agathokles
+(437-465 317- 289) und Pyrrhos (476-478 278-276) voruebergehend zur See
+erlangten, doch hier Karthago und sank Syrakus mehr und mehr zu einer
+Seemacht zweiten Ranges herab. Mit Etruriens Bedeutung zur See war es
+voellig vorbei; die bisher etruskische Insel Korsika kam, wenn nicht
+gerade in den Besitz, doch unter die maritime Suprematie der Karthager.
+Tarent, das eine Zeitlang noch eine Rolle gespielt hatte, ward durch
+die roemische Okkupation gebrochen. Die tapferen Massalioten behaupteten
+sich wohl in ihren eigenen Gewaessern; aber in die Vorgaenge auf den
+italischen griffen sie nicht wesentlich ein. Die uebrigen Seestaedte
+kamen kaum noch ernstlich in Betracht. Rom selber entging dem gleichen
+Schicksal nicht; in seinen eigenen Gewaessern herrschten ebenfalls
+fremde Flotten. Wohl war es Seestadt von Haus aus und ist in der Zeit
+seiner Frische seinen alten Traditionen niemals so untreu geworden,
+dass es die Kriegsmarine gaenzlich vernachlaessigt haette, und nie so
+toericht gewesen, bloss Kontinentalmacht sein zu wollen. Latium
+lieferte zum Schiffbau die schoensten Staemme, welche die geruehmten
+unteritalischen bei weitem uebertrafen, und die fortdauernd in Rom
+unterhaltenen Docks beweisen allein schon, dass man dort nie darauf
+verzichtet hat, eine eigene Flotte zu besitzen. Indes waehrend der
+gefaehrlichen Krisen, welche die Vertreibung der Koenige, die inneren
+Erschuetterungen in der roemisch-latinischen Eidgenossenschaft und
+die ungluecklichen Kriege gegen die Etrusker und die Kelten ueber
+Rom brachten, konnten die Roemer sich um den Stand der Dinge auf
+dem Mittelmeer nur wenig bekuemmern, und bei der immer entschiedener
+hervortretenden Richtung der roemischen Politik auf Unterwerfung des
+italischen Kontinents verkuemmerte die Seemacht. Es ist bis zum Ende des
+vierten Jahrhunderts (ca. 350) kaum von latinischen Kriegsschiffen
+die Rede, ausser dass auf einem roemischen das Weihgeschenk aus der
+veientischen Beute nach Delphi gesandt ward (360 394). Die Antiaten
+freilich fuhren fort, ihren Handel mit bewaffneten Schiffen und also
+auch gelegentlich das Piratengewerbe zu betreiben und der "tyrrhenische
+Korsar" Postumius, den Timoleon um 415 (339) aufbrachte, koennte
+allerdings ein Antiate gewesen sein; aber unter den Seemaechten jener
+Zeit zaehlten sie schwerlich mit und waere es der Fall gewesen, so
+wuerde bei der Stellung Antiums zu Rom darin fuer Rom nichts weniger als
+ein Vorteil gelegen haben. Wie weit es um das Jahr 400 (ca. 350) mit dem
+Verfall der roemischen Seemacht gekommen war, zeigt die Auspluenderung
+der latinischen Kuesten durch eine griechische, vermutlich sizilische
+Kriegsflotte im Jahre 405 (349), waehrend zugleich keltische Haufen das
+latinische Land brandschatzend durchzogen. Das Jahr darauf (406 348),
+und ohne Zweifel unter dem unmittelbaren Eindruck dieser bedenklichen
+Ereignisse, schlossen die roemische Gemeinde und die Phoeniker von
+Karthago, beiderseits fuer sich und die abhaengigen Bundesgenossen,
+einen Handels- und Schiffahrtsvertrag, die aelteste roemische Urkunde,
+von der der Text, freilich nur in griechischer Uebersetzung, auf
+uns gekommen ist ^5. Die Roemer mussten darin sich verpflichten, die
+libysche Kueste westlich vom Schoenen Vorgebirge (Cap Bon), Notfaelle
+ausgenommen, nicht zu befahren; dagegen erhielten sie freien Verkehr
+gleich den einheimischen auf Sizilien, soweit dies karthagisch war, und
+in Afrika und Sardinien wenigstens das Recht, gegen den unter Zuziehung
+der karthagischen Beamten festgestellten und von der karthagischen
+Gemeinde garantierten Kaufpreis ihre Waren abzusetzen. Den Karthagern
+scheint wenigstens in Rom, vielleicht in ganz Latium freier Verkehr
+zugestanden zu sein, nur machten sie sich anheischig, die botmaessigen
+latinischen Gemeinden nicht zu vergewaltigen, auch, wenn sie als Feinde
+den latinischen Boden betreten wuerden, dort nicht Nachtquartier zu
+nehmen - also ihre Seeraeuberzuege nicht in das Binnenland auszudehnen
+- noch gar Festungen im latinischen Lande anzulegen. Wahrscheinlich in
+dieselbe Zeit gehoert auch der oben schon erwaehnte Vertrag zwischen
+Rom und Tarent, von dessen Entstehungszeit nur berichtet wird, dass
+er laengere Zeit vor 472 (282) abgeschlossen ward; durch denselben
+verpflichteten sich die Roemer, gegen welche Zusicherungen
+tarentinischerseits wird nicht gesagt, die Gewaesser oestlich vom
+Lakinischen Vorgebirge nicht zu befahren, wodurch sie also voellig
+vom oestlichen Becken des Mittelmeeres ausgeschlossen wurden.
+----------------------------------------- ^5 Die Nachweisung, dass die
+bei Polybios (3, 22) mitgeteilte Urkunde nicht dem Jahre 245 (509),
+sondern dem Jahre 406 (348) angehoert, ist in der Roemischen Chronologie
+bis auf Caesar. 2. Aufl. Berlin 1859, S. 320f., gegeben worden.
+----------------------------------------- Es waren dies Niederlagen so
+gut wie die an der Allia, und auch der roemische Senat scheint sie
+als solche empfunden und die guenstige Wendung, die die italischen
+Verhaeltnisse bald nach dem Abschluss der demuetigenden Vertraege mit
+Karthago und Tarent fuer Rom nahmen, mit aller Energie benutzt zu haben,
+um die gedrueckte maritime Stellung zu verbessern. Die wichtigsten
+Kuestenstaedte wurden mit roemischen Kolonien belegt: der Hafen von
+Caere, Pyrgi, dessen Kolonisierung wahrscheinlich in diese Zeit faellt;
+ferner an der Westkueste Antium im Jahre 415 (339); Tarracina im Jahre
+425 (329), die Insel Pontia 441 (313), womit, da Ardea und Circeii
+bereits frueher Kolonisten empfangen hatten, alle namhaften Seeplaetze
+im Gebiet der Rutuler und Volsker latinische oder Buergerkolonien
+geworden waren; weiter im Gebiet der Aurunker Minturnae und Sinuessa im
+Jahre 459 (295), im lucanischen Paestum und Cosa im Jahre 481 (273), und
+am adriatischen Litoral Sena gallica und Castrum novum um das Jahr
+471 (283), Ariminum im Jahre 486 (268), wozu noch die gleich nach der
+Beendigung des Pyrrhischen Krieges erfolgte Besetzung von Brundisium
+hinzukommt. In der groesseren Haelfte dieser Ortschaften, den Buerger-
+oder Seekolonien ^6, war die junge Mannschaft vom Dienst in den
+Legionen befreit und lediglich bestimmt, die Kuesten zu ueberwachen. Die
+gleichzeitige wohlueberlegte Bevorzugung der unteritalischen Griechen
+vor ihren sabellischen Nachbarn, namentlich der ansehnlichen Gemeinden
+Neapolis, Rhegion, Lokri, Thurii, Herakleia, und deren gleichartige
+und unter gleichartigen Bedingungen gewaehrte Befreiung vom Zuzug zum
+Landheer vollendete das um die Kuesten Italiens gezogene roemische Netz.
+----------------------------------------- ^6 Es waren dies Pyrgi, Ostia,
+Antium, Tarracina, Minturnae, Sinuessa, Sena gallica und Castrum
+novum. ---------------------------------------- Aber mit einer
+staatsmaennischen Sicherheit, von welcher die folgenden Generationen
+haetten lernen koennen, erkannten es die leitenden Maenner des
+roemischen Gemeinwesens, dass alle diese Kuestenbefestigungen und
+Kuestenbewachungen unzulaenglich bleiben mussten, wenn nicht die
+Kriegsmarine des Staats wieder auf einen achtunggebietenden Fuss
+gebracht ward. Einen gewissen Grund dazu legte schon nach der
+Unterwerfung von Antium (416 338) die Abfuehrung der brauchbaren
+Kriegsgaleeren in die roemischen Docks; die gleichzeitige Verfuegung
+indes, dass die Antiaten sich alles Seeverkehrs zu enthalten haetten ^7,
+charakterisiert mit schneidender Deutlichkeit, wie ohnmaechtig damals
+die Roemer noch zur See sich fuehlten und wie voellig ihre Seepolitik
+noch aufging in der Okkupierung der Kuestenplaetze. Als sodann die
+sueditalischen Griechenstaedte, zuerst 428 (326) Neapel, in die
+roemische Klientel eintraten, machten die Kriegsschiffe, welche jede
+dieser Staedte sich verpflichtete, den Roemern als bundesmaessige
+Kriegshilfe zu stellen, zu einer roemischen Flotte wenigstens wieder
+einen Anfang. Im Jahre 443 (311) wurden weiter infolge eines eigens
+deswegen gefassten Buergerschaftsschlusses zwei Flottenherren (duoviri
+navales) ernannt, und diese roemische Seemacht wirkte im Samnitischen
+Kriege mit bei der Belagerung von Nuceria. Vielleicht gehoert selbst die
+merkwuerdige Sendung einer roemischen Flotte von 25 Segeln zur Gruendung
+einer Kolonie auf Korsika, welcher Theophrastos in seiner um 446 (308)
+geschriebenen Pflanzengeschichte gedenkt, dieser Zeit an. Wie wenig aber
+mit allem dem unmittelbar erreicht war, zeigt der im Jahre 448 (306)
+erneuerte Vertrag mit Karthago. Waehrend die Italien und Sizilien
+betreffenden Bestimmungen des Vertrages von 406 (348) unveraendert
+blieben, wurde den Roemern ausser der Befahrung der oestlichen Gewaesser
+jetzt weiter die frueher gestattete des Atlantischen Meers, sowie der
+Handelsverkehr mit den Untertanen Karthagos in Sardinien und Afrika,
+endlich wahrscheinlich auch die Festsetzung auf Korsika ^8 untersagt,
+sodass nur das karthagische Sizilien und Karthago selbst ihrem
+Handel geoeffnet blieben. Man erkennt hier die mit der Ausdehnung der
+roemischen Kuestenherrschaft steigende Eifersucht der herrschenden
+Seemacht: sie zwang die Roemer, sich ihrem Prohibitivsystem zu fuegen,
+sich von den Produktionsplaetzen im Okzident und im Orient ausschliessen
+zu lassen - in diesen Zusammenhang gehoert noch die Erzaehlung von der
+oeffentlichen Belohnung des phoenikischen Schiffers, der ein in
+den Atlantischen Ozean ihm nachsteuerndes roemisches Fahrzeug mit
+Aufopferung seines eigenen auf eine Sandbank gefuehrt hatte - und ihre
+Schiffahrt auf den engen Raum des westlichen Mittelmeers vertragsmaessig
+zu beschraenken, um nur ihre Kueste nicht der Pluenderung preiszugeben
+und die alte und wichtige Handelsverbindung mit Sizilien zu sichern.
+Die Roemer mussten sich fuegen; aber sie liessen nicht ab von den
+Bemuehungen, ihr Seewesen aus seiner Ohnmacht zu reissen. Eine
+durchgreifende Massregel in diesem Sinne war die Einsetzung der vier
+Flottenquaestoren (quaestores classici) im Jahre 487 (267), von denen
+der erste in Ostia, dem Seehafen der Stadt Rom, seinen Sitz erhielt, der
+zweite von Cales, damals der Hauptstadt des roemischen Kampaniens, aus
+die kampanischen und grossgriechischen, der dritte von Ariminum aus
+die transapenninischen Haefen zu beaufsichtigen hatte; der Bezirk des
+vierten ist nicht bekannt. Diese neuen staendigen Beamten waren zwar
+nicht allein, aber doch mitbestimmt, die Kuesten zu ueberwachen und
+zum Schutze derselben eine Kriegsmarine zu bilden. Die Absicht des
+roemischen Senats, die Selbstaendigkeit zur See wiederzugewinnen und
+teils die maritimen Verbindungen Tarents abzuschneiden, teils den von
+Epeiros kommenden Flotten das Adriatische Meer zu sperren, teils sich
+von der karthagischen Suprematie zu emanzipieren, liegt deutlich zutage.
+Das schon eroerterte Verhaeltnis zu Karthago waehrend des letzten
+italischen Krieges weist davon die Spuren auf. Zwar zwang Koenig Pyrrhos
+die beiden grossen Staedte noch einmal - es war das letzte Mal - zum
+Abschluss einer Offensivallianz; allein die Lauigkeit und Treulosigkeit
+dieses Buendnisses, die Versuche der Karthager, sich in Rhegion und
+Tarent festzusetzen, die sofortige Besetzung Brundisiums durch die
+Roemer nach Beendigung des Krieges zeigen deutlich, wie sehr
+die beiderseitigen Interessen schon sich einander stiessen.
+------------------------------------- ^7 Diese Angabe ist ebenso
+bestimmt (Liv. 8,14: interdictum mari Antiati populo est) wie an sich
+glaubwuerdig; denn Antium war ja nicht bloss von Kolonisten, sondern
+auch noch von der ehemaligen, in der Feindschaft gegen Rom aufgenaehrten
+Buergerschaft bewohnt. Damit im Widerspruch stehen freilich die
+griechischen Berichte, dass Alexander der Grosse (+ 431 323) und
+Demetrios der Belagerer (+ 471 283) in Rom ueber antiatische Seeraeuber
+Beschwerde gefuehrt haben sollen. Der erste aber ist mit dem ueber die
+roemische Gesandtschaft nach Babylon gleichen Schlages und vielleicht
+gleicher Quelle. Demetrios dem Belagerer sieht es eher aehnlich, dass er
+die Piraterie im Tyrrhenischen Meer, das er nie mit Augen gesehen hat,
+durch Verordnung abschaffte, und undenkbar ist es gerade nicht, dass
+die Antiaten auch als roemische Buerger ihr altes Gewerbe noch trotz des
+Verbots unter der Hand eine Zeitlang fortgesetzt haben; viel wird indes
+auch auf die zweite Erzaehlung nicht zu geben sein. ^8 Nach Servius
+(Aen. 4, 628) war in den roemisch-karthagischen Vertraegen bestimmt,
+es solle kein Roemer karthagischen, kein Karthager roemischen Boden
+betreten (vielmehr besetzen), Korsika aber zwischen beiden neutral
+bleiben (ut neque Romani ad litora Carthaginiensium accederent neque
+Carthaginienses ad litora Romanorum - Corsica esset media inter
+Romanos et Carthaginienses). Das scheint hierher zu gehoeren und die
+Kolonisierung von Korsika eben durch diesen Vertrag verhindert worden zu
+sein. ---------------------------------------- Begreiflicherweise suchte
+Rom sich gegen Karthago auf die hellenischen Seestaaten zu stuetzen. Mit
+Massalia bestand das alte enge Freundschaftsverhaeltnis ununterbrochen
+fort. Das nach Veiis Eroberung von Rom nach Delphi gesandte Weihgeschenk
+ward daselbst in dem Schatzhaus der Massalioten aufbewahrt. Nach der
+Einnahme Roms durch die Kelten ward in Massalia fuer die Abgebrannten
+gesammelt, wobei die Stadtkasse voranging; zur Vergeltung gewaehrte
+dann der roemische Senat den massaliotischen Kaufleuten
+Handelsbeguenstigungen und raeumte bei der Feier der Spiele auf dem
+Markt neben der Senatorentribuene den Massalioten einen Ehrenplatz
+(graecostasis) ein. Eben dahin gehoeren die um das Jahr 448 (306)
+mit Rhodos und nicht lange nachher mit Apollonia, einer ansehnlichen
+Kaufstadt an der epeirotischen Kueste, von den Roemern abgeschlossenen
+Handels- und Freundschaftsvertraege und vor allem die fuer Karthago
+sehr bedenkliche Annaeherung, welche unmittelbar nach dem Ende des
+Pyrrhischen Krieges zwischen Rom und Syrakus stattfand. Wenn also die
+roemische Seemacht zwar mit der ungeheuren Entwicklung der Landmacht
+auch nicht entfernt Schritt hielt und namentlich die eigene Kriegsmarine
+der Roemer keineswegs war, was sie nach der geographischen und
+kommerziellen Lage des Staates haette sein muessen, so fing doch auch
+sie an, allmaehlich sich aus der voelligen Nichtigkeit, zu welcher sie
+um das Jahr 400 (354) herabgesunken war, wieder emporzuarbeiten; und
+bei den grossen Hilfsquellen Italiens mochten wohl die Phoeniker mit
+besorgten Blicken diese Bestrebungen verfolgen. Die Krise ueber die
+Herrschaft auf den italischen Gewaessern nahte heran; zu Lande war der
+Kampf entschieden. Zum erstenmal war Italien unter der Herrschaft
+der roemischen Gemeinde zu einem Staat vereinigt. Welche politische
+Befugnisse dabei die roemische Gemeinde den saemtlichen uebrigen
+italischen entzog und in ihren alleinigen Besitz nahm, das heisst,
+welcher staatsrechtliche Begriff mit dieser Herrschaft Roms zu verbinden
+ist, wird nirgends ausdruecklich gesagt, und es mangelt selbst, in
+bezeichnender und klug berechneter Weise, fuer diesen Begriff an einem
+allgemeingueltigen Ausdruck ^9. Nachweislich gehoerten dazu nur das
+Kriegs- und Vertrags- und das Muenzrecht, so dass keine italische
+Gemeinde einem auswaertigen Staat Krieg erklaeren oder mit ihm auch nur
+verhandeln und kein Courantgeld schlagen durfte, dagegen jede von
+der roemischen Gemeinde erlassene Kriegserklaerung und jeder von ihr
+abgeschlossene Staatsvertrag von Rechtswegen alle uebrigen italischen
+Gemeinden mit band und das roemische Silbergeld in ganz Italien
+gesetzlich gangbar ward; und es ist wahrscheinlich, dass die
+formulierten Befugnisse der fuehrenden Gemeinde sich nicht weiter
+erstreckten. Indes notwendig knuepften hieran tatsaechlich
+viel weitergehende Herrschaftsrechte sich an.
+------------------------------------------- ^9 Die Klausel, dass das
+abhaengige Volk sich verpflichtet, "die Hoheit des roemischen freundlich
+gelten zu lassen" (maiestatem populi Romani comiter conservare),
+ist allerdings die technische Bezeichnung dieser mildesten
+Untertaenigkeitsform, aber wahrscheinlich erst in bedeutend spaeterer
+Zeit aufgekommen (Cic. Balb. 16, 35). Auch die privatrechtliche
+Bezeichnung der Klientel, so treffend sie eben in ihrer Unbestimmtheit
+das Verhaeltnis bezeichnet (Dig. 49, 15, 7, 1), ist schwerlich
+in aelterer Zeit offiziell auf dasselbe angewendet worden.
+------------------------------------------- Im einzelnen war das
+Verhaeltnis, in welchem die Italiker zu der fuehrenden Gemeinde standen,
+ein hoechst ungleiches, und es sind in dieser Hinsicht, ausser der
+roemischen Vollbuergerschaft, drei verschiedene Klassen von Untertanen
+zu unterscheiden. jene selbst vor allem ward so weit ausgedehnt, als es
+irgend moeglich war, ohne den Begriff eines staedtischen Gemeinwesens
+fuer die roemische Kommune voellig aufzugeben. Das alte Buergergebiet
+war bis dahin hauptsaechlich durch Einzelassignation in der Weise
+erweitert worden, dass das suedliche Etrurien bis gegen Caere und
+Falerii, die den Hernikern entrissenen Strecken am Sacco und am Anio,
+der groesste Teil der sabinischen Landschaft und grosse Striche der
+ehemals volskischen, besonders die pomptinische Ebene in roemisches
+Bauernland umgewandelt und meistenteils fuer deren Bewohner neue
+Buergerbezirke eingerichtet waren. Dasselbe war sogar schon mit dem von
+Capua abgetretenen Falernerbezirke am Volturnus geschehen. Alle
+diese ausserhalb Rom domizilierten Buerger entbehrten eines eigenen
+Gemeinwesens und eigener Verwaltung; auf dem assignierten Gebiet
+entstanden hoechstens Marktflecken (fora et conciliabula). In nicht
+viel anderer Lage befanden sich die nach den oben erwaehnten sogenannten
+Seekolonien entsandten Buerger, denen gleichfalls das roemische
+Vollbuergerrecht verblieb und deren Selbstverwaltung wenig bedeutete.
+Gegen den Schluss dieser Periode scheint die roemische Gemeinde damit
+begonnen zu haben, den naechstliegenden Passivbuergergemeinden gleicher
+oder nah verwandter Nationalitaet das Vollbuergerrecht zu gewaehren;
+welches wahrscheinlich zuerst fuer Tusculum geschehen ist ^10, ebenso
+vermutlich auch fuer die uebrigen Passivbuergergemeinden im eigentlichen
+Latium, dann am Ausgang dieser Periode (486 268) auf die sabinischen
+Staedte erstreckt ward, die ohne Zweifel damals schon wesentlich
+latinisiert waren und in dem letzten schweren Krieg ihre Treue genuegend
+bewaehrt hatten. Diesen Staedten blieb die nach ihrer frueheren
+Rechtsstellung ihnen zukommende beschraenkte Selbstverwaltung auch nach
+ihrer Aufnahme in den roemischen Buergerverband; mehr aus ihnen als
+aus den Seekolonien haben sich die innerhalb der roemischen
+Vollbuergerschaft bestehenden Sondergemeinwesen und damit im Laufe der
+Zeit die roemische Munizipalordnung herausgebildet. Hiernach wird die
+roemische Vollbuergerschaft am Ende dieser Epoche sich noerdlich bis
+in die Naehe von Caere, oestlich bis an den Apennin, suedlich bis nach
+Tarracina erstreckt haben, obwohl freilich von einer eigentlichen
+Grenze hier nicht die Rede sein kann und teils eine Anzahl Bundesstaedte
+latinischen Rechts, wie Tibur, Praeneste, Signia, Norba, Circeii,
+sich innerhalb dieser Grenzen befanden, teils ausserhalb derselben die
+Bewohner von Minturnae, Sinuessa, des falernischen Gebiets, der Stadt
+Sena Gallica und anderer Ortschaften mehr, ebenfalls volles Buergerrecht
+besassen und roemische Bauernfamilien vereinzelt oder in Doerfern
+vereinigt vermutlich schon jetzt durch ganz Italien zerstreut sich
+fanden. ---------------------------------------------------- ^10 Dass
+Tusculum, wie es zuerst das Passivbuergerrecht erhielt, so auch zuerst
+dies mit dem Vollbuergerrecht vertauschte, ist an sich wahrscheinlich,
+und vermutlich wird in dieser, nicht in jener Beziehung die Stadt
+von Cicero (Mut. 8, 19) municipium antiquissimum genannt.
+----------------------------------------------------- Unter den
+untertaenigen Gemeinden stehen die Passivbuerger (cives sine suffragio),
+abgesehen von dem aktiven und passiven Wahlrecht, in Rechten und
+Pflichten den Vollbuergern gleich. Ihre Rechtsstellung ward durch die
+Beschluesse der roemischen Komitien und die fuer sie vom roemischen
+Praetor erlassenen Normen geregelt, wobei indes ohne Zweifel die
+bisherigen Ordnungen wesentlich zugrunde gelegt wurden. Recht sprach
+fuer sie der roemische Praetor oder dessen jaehrlich in die einzelnen
+Gemeinden entsandte "Stellvertreter" (praefecti). Den besser gestellten
+von ihnen, wie zum Beispiel der Stadt Capua, blieb die Selbstverwaltung
+und damit der Fortgebrauch der Landessprache und die eigenen Beamten,
+welche die Aushebung und die Schatzung besorgten. Den Gemeinden
+schlechteren Rechts, wie zum Beispiel Caere, wurde auch die eigene
+Verwaltung genommen, und es war dies ohne Zweifel die drueckendste unter
+den verschiedenen Formen der Untertaenigkeit. Indes zeigt sich, wie
+oben bemerkt ward, am Ende dieser Periode bereits das Bestreben,
+diese Gemeinden, wenigstens soweit sie faktisch latinisiert waren,
+der Vollbuergerschaft einzuverleiben. Die bevorzugteste und wichtigste
+Klasse unter den untertaenigen Gemeinden war die der latinischen
+Staedte, welche an den von Rom inner- und selbst schon ausserhalb
+Italien gegruendeten autonomen Gemeinden, den sogenannten latinischen
+Kolonien ebenso zahlreichen als ansehnlichen Zuwachs erhielt und
+stetig durch neue Gruendungen dieser Art sich vermehrte. Diese neuen
+Stadtgemeinden roemischen Ursprungs, aber latinischen Rechts wurden
+immer mehr die eigentlichen Stuetzen der roemischen Herrschaft ueber
+Italien. Es waren dies nicht mehr diejenigen Latiner, mit denen am
+Regiller See und bei Trifanum gestritten worden war - nicht jene alten
+Glieder des albischen Bundes, welche der Gemeinde Rom von Haus aus sich
+gleich, wo nicht besser achteten und welche, wie die gegen Praeneste
+zu Anfang des Pyrrhischen Krieges verfuegten furchtbar strengen
+Sicherheitsmassregeln und die nachweislich lange noch fortzuckenden
+Reibungen namentlich mit den Praenestinern beweisen, die roemische
+Herrschaft als schweres Joch empfanden. Dies alte Latium war wesentlich
+entweder unter oder in Rom aufgegangen und zaehlte nur noch wenige und
+mit Ausnahme von Praeneste und Tibur durchgaengig unbedeutende politisch
+selbstaendige Gemeinden. Das Latium der spaeteren republikanischen Zeit
+bestand vielmehr fast ausschliesslich aus Gemeinden, die von Anbeginn
+an in Rom ihre Haupt- und Mutterstadt verehrt hatten, die inmitten
+fremdsprachiger und anders gearteter Landschaften durch Sprach-, Rechts-
+und Sittengemeinschaft an Rom geknuepft waren, die als kleine Tyrannen
+der umliegenden Distrikte ihrer eigenen Existenz wegen wohl an Rom
+halten mussten wie die Vorposten an der Hauptarmee, die endlich, infolge
+der steigenden materiellen Vorteile des roemischen Buergertums, aus
+ihrer wenngleich beschraenkten Rechtsgleichheit mit den Roemern immer
+noch einen sehr ansehnlichen Gewinn zogen, wie ihnen denn zum Beispiel
+ein Teil der roemischen Domaene zur Sondernutzung ueberwiesen zu werden
+pflegte und die Beteiligung an den Verpachtungen und Verdingungen des
+Staats ihnen wie dem roemischen Buerger offenstand. Voellig
+blieben allerdings auch hier die Konsequenzen der ihnen gewaehrten
+Selbstaendigkeit nicht aus. Venusinische Inschriften aus der Zeit
+der roemischen Republik und kuerzlich zum Vorschein gekommene
+beneventanische ^11 lehren, dass Venusia so gut wie Rom seine Plebs
+und seine Volkstribune gehabt und dass die Oberbeamten von Benevent
+wenigstens um die Zeit des Hannibalischen Krieges den Konsultitel
+gefuehrt haben. Beide Gemeinden gehoeren zu den juengsten unter den
+latinischen Kolonien aelteren Rechts; man sieht, welche Ansprueche um
+die Mitte des fuenften Jahrhunderts in denselben sich regten. Auch diese
+sogenannten Latiner, hervorgegangen aus der roemischen Buergerschaft
+und in jeder Beziehung sich ihr gleich fuehlend, fingen schon an,
+ihr untergeordnetes Bundesrecht unwillig zu empfinden und nach voller
+Gleichberechtigung zu streben. Deswegen war denn der Senat bemueht,
+diese latinischen Gemeinden, wie wichtig sie immer fuer Rom waren, doch
+nach Moeglichkeit in ihren Rechten und Privilegien herabzudruecken und
+ihre bundesgenoessische Stellung in die der Untertaenigkeit insoweit
+umzuwandeln, als dies geschehen konnte, ohne zwischen ihnen und den
+nichtlatinischen Gemeinden Italiens die Scheidewand wegzuziehen. Die
+Aufhebung des Bundes der latinischen Gemeinden selbst sowie ihrer
+ehemaligen vollstaendigen Gleichberechtigung und der Verlust der
+wichtigsten denselben zustaendigen politischen Rechte ist schon
+dargestellt worden; mit der vollendeten Unterwerfung Italiens geschah
+ein weiterer Schritt und wurde der Anfang dazu gemacht, auch die bisher
+nicht angetasteten individuellen Rechte des einzelnen latinischen
+Mannes, vor allem die wichtige Freizuegigkeit, zu beschraenken. Fuer die
+im Jahre 486 (268) gegruendete Gemeinde Ariminum und ebenso fuer alle
+spaeter konstituierten autonomen Gemeinden wurde die Bevorzugung vor den
+uebrigen Untertanen beschraenkt auf die privatrechtliche Gleichstellung
+ihrer und der roemischen Gemeindebuerger im Handel und Wandel sowie
+im Erbrecht ^12. Vermutlich um dieselbe Zeit ward die den bisher
+gegruendeten latinischen Gemeinden gewidmete volle Freizuegigkeit, die
+Befugnis eines jeden ihrer Buerger, durch Uebersiedelung nach Rom das
+volle Buergerrecht daselbst zu gewinnen, fuer die spaeter eingerichteten
+latinischen Pflanzstaedte beschraenkt auf diejenigen Personen, welche
+in ihrer Heimat zu dem hoechsten Gemeindeamt gelangt waren; nur diesen
+blieb es gestattet, ihr koloniales Buergerrecht mit dem roemischen zu
+vertauschen. Es erscheint hier deutlich die vollstaendige Umaenderung
+der Stellung Roms. Solange Rom noch, wenn auch die erste, doch nur eine
+der vielen italischen Stadtgemeinden war, wurde der Eintritt selbst in
+das unbeschraenkte roemische Buergerrecht durchgaengig als ein Gewinn
+fuer die aufnehmende Gemeinde betrachtet und die Gewinnung dieses
+Buergerrechts den Nichtbuergern auf alle Weise erleichtert, ja oft
+als Strafe ihnen auferlegt. Seit aber die roemische Gemeinde allein
+herrschte und die uebrigen alle ihr dienten, kehrte das Verhaeltnis sich
+um: die roemische Gemeinde fing an, ihr Buergerrecht eifersuechtig zu
+bewahren, und machte darum der alten vollen Freizuegigkeit ein Ende;
+obwohl die Staatsmaenner dieser Zeit doch einsichtig genug waren,
+wenigstens den Spitzen und Kapazitaeten der hoechstgestellten
+Untertanengemeinden den Eintritt in das roemische Buergerrecht
+gesetzlich offenzuhalten. Auch die Latiner also hatten es zu empfinden,
+dass Rom, nachdem es hauptsaechlich durch sie sich Italien
+unterworfen hatte, jetzt ihrer nicht mehr so wie bisher bedurfte.
+-------------------------------------- ^11 V Cervio A. f. cosol
+dedicavit und lunonei Quiritei sacra. C. Falcilius L. f. consol
+dedicavit. ^12 Nach Ciceros Zeugnis (Caecin. 35) gab Sulla den
+Volaterranern das ehemalige Recht von Ariminum, das heisst, setzt
+der Redner hinzu, das Recht der "zwoelf Kolonien", welche nicht die
+roemische Civitaet, aber volles Commercium mit den Roemern hatten. Ueber
+wenige Dinge ist soviel verhandelt worden wie ueber die Beziehung dieses
+Zwoelfstaedterechts; und doch liegt dieselbe nicht fern. Es sind in
+Italien und im Cisalpinischen Gallien, abgesehen von einigen frueh
+wieder verschwundenen, im ganzen vierunddreissig latinische Kolonien
+gegruendet worden; die zwoelf juengsten derselben - Ariminum,
+Beneventum, Firmum, Aesernia, Brundisium, Spoletium, Cremona, Placentia,
+Copia, Valentia, Bononia, Aquileia - sind hier gemeint, und da Ariminum
+von ihnen die aelteste und diejenige ist, fuer welche diese neue Ordnung
+zunaechst festgesetzt ward - vielleicht zum Teil deswegen mit, weil dies
+die erste ausserhalb Italien gegruendete roemische Kolonie war -, so
+heisst das Stadtrecht dieser Kolonien richtig das ariminensische. Damit
+ist zugleich erwiesen, was schon aus anderen Gruenden die hoechste
+Wahrscheinlichkeit fuer sich hatte, dass alle nach Aquileias
+Gruendung in Italien (im weiteren Sinn) gestifteten Kolonien zu den
+Buergerkolonien gehoerten. Den Umfang der Rechtsschmaelerung der
+juengeren latinischen Staedte im Gegensatz zu den aelteren vermoegen wir
+uebrigens nicht voellig zu bestimmen. Wenn die Ehegemeinschaft, wie es
+nicht unwahrscheinlich, aber freilich nichts weniger als ausgemacht ist
+(oben 1, 116; Diod. p. 590, 62. Frg. Vat. p. 130 Dind.), ein Bestandteil
+der urspruenglichen bundesgenoessischen Rechtsgleichheit war, so ist
+sie jedenfalls den juengeren nicht mehr zugestanden worden.
+------------------------------------------------- Das
+Verhaeltnis endlich der nichtlatinischen Bundesgemeinden unterlag
+selbstverstaendlich den mannigfachsten Normen, wie eben der einzelne
+Bundesvertrag sie festgesetzt hatte. Manche dieser ewigen Buendnisse,
+wie zum Beispiel die der hernikischen Gemeinden, gingen ueber in
+voellige Gleichstellung mit den latinischen. Andere, bei denen dies
+nicht der Fall war, wie die von Neapel, Nola, Herakleia, gewaehrten
+verhaeltnismaessig sehr umfassende Rechte; wieder andere, wie zum
+Beispiel die tarentinischen und die samnitischen Vertraege, moegen sich
+der Zwingherrschaft genaehert haben. Als allgemeine Regel kann wohl
+angenommen werden, dass nicht bloss die latinische und hernikische,
+von denen es ueberliefert ist, sondern saemtliche italische
+Voelkergenossenschaften, namentlich auch die samnitische und die
+lucanische, rechtlich aufgeloest oder doch zur Bedeutungslosigkeit
+abgeschwaecht wurden und durchschnittlich keiner italischen Gemeinde
+mit anderen italischen die Verkehrs- oder Ehegemeinschaft oder gar das
+gemeinsame Beratschlagungs- und Beschlussfassungsrecht zustand. Ferner
+wird, wenn auch in verschiedener Weise, dafuer gesorgt worden sein,
+dass die Wehr- und Steuerkraft der saemtlichen italischen Gemeinden
+der fuehrenden zur Disposition stand. Wenngleich auch ferner noch die
+Buergermiliz einer- und die Kontingente "latinischen Namens" anderseits
+als die wesentlichen und integrierenden Bestandteile des roemischen
+Heeres angesehen wurden und ihm somit sein nationaler Charakter
+im ganzen bewahrt blieb, so wurden doch nicht bloss die roemischen
+Passivbuerger zu demselben mit herangezogen, sondern ohne Zweifel auch
+die nichtlatinischen foederierten Gemeinden entweder, wie dies mit den
+griechischen geschah, zur Stellung von Kriegsschiffen verpflichtet,
+oder, wie dies fuer die apulischen, sabellischen und etruskischen auf
+einmal oder allmaehlich verordnet worden sein muss, in das Verzeichnis
+der zuzugpflichtigen Italiker (formula togatorum) eingetragen.
+Durchgaengig scheint dieser Zuzug eben wie der der latinischen Gemeinden
+fest normiert worden zu sein, ohne dass doch die fuehrende Gemeinde
+erforderlichenfalls verhindert gewesen waere, mehr zu fordern. Es
+lag hierin zugleich eine indirekte Besteuerung, indem jede Gemeinde
+verpflichtet war, ihr Kontingent selbst auszuruesten und zu besolden.
+Nicht ohne Absicht wurden darum vorzugsweise die kostspieligsten
+Kriegsleistungen auf die latinischen oder nichtlatinischen foederierten
+Gemeinden gewaelzt, die Kriegsmarine zum groessten Teil durch die
+griechischen Staedte instand gehalten und bei dem Rossdienst die
+Bundesgenossen, spaeterhin wenigstens, in dreifach staerkerem
+Verhaeltnis als die roemische Buergerschaft angezogen, waehrend
+im Fussvolk der alte Satz, dass das Bundesgenossenkontingent nicht
+zahlreicher sein duerfte als das Buergerheer, noch lange Zeit wenigstens
+als Regel in Kraft blieb. Das System, nach welchem dieser Bau im
+einzelnen zusammengefuegt und zusammengehalten ward, laesst aus den
+wenigen auf uns gekommenen Nachrichten sich nicht mehr feststellen.
+Selbst das Zahlenverhaeltnis, in welchem die drei Klassen der
+Untertanenschaft zueinander und zu der Vollbuergerschaft standen,
+ist nicht mehr auch nur annaehernd zu ermitteln ^13 und ebenso die
+geographische Verteilung der einzelnen Kategorien ueber Italien nur
+unvollkommen bekannt. Die bei diesem Bau zugrunde liegenden leitenden
+Gedanken liegen dagegen so offen vor, dass es kaum noetig ist, sie noch
+besonders zu entwickeln. Vor allem ward, wie gesagt, der unmittelbare
+Kreis der herrschenden Gemeinde teils durch Ansiedelung der Vollbuerger,
+teils durch Verleihung des Passivbuergerrechts soweit ausgedehnt, wie
+es irgend moeglich war, ohne die roemische Gemeinde, die doch eine
+staedtische war und bleiben sollte, vollstaendig zu dezentralisieren.
+Als das Inkorporationssystem bis an und vielleicht schon ueber seine
+natuerlichen Grenzen ausgedehnt war, mussten die weiter hinzutretenden
+Gemeinden sich in ein Untertaenigkeitsverhaeltnis fuegen; denn die reine
+Hegemonie als dauerndes Verhaeltnis ist innerlich unmoeglich. So stellte
+sich, nicht durch willkuerliche Monopolisierung der Herrschaft, sondern
+durch das unvermeidliche Schwergewicht der Verhaeltnisse neben die
+Klasse der herrschenden Buerger die zweite der Untertanen. Unter den
+Mitteln der Herrschaft standen in erster Linie natuerlich die Teilung
+der Beherrschten durch Sprengung der italischen Eidgenossenschaften und
+Einrichtung einer moeglichst grossen Zahl verhaeltnismaessig geringer
+Gemeinden, sowie die Abstufung des Druckes der Herrschaft nach den
+verschiedenen Kategorien der Untertanen. Wie Cato in seinem Hausregiment
+dahin sah, dass die Sklaven sich miteinander nicht allzu gut vertragen
+moechten, und absichtlich Zwistigkeiten und Parteiungen unter ihnen
+naehrte, so hielt es die roemische Gemeinde im grossen; das Mittel war
+nicht schoen, aber wirksam. Nur eine weitere Anwendung desselben Mittels
+war es, wenn in jeder abhaengigen Gemeinde die Verfassung nach dem
+Muster der roemischen umgewandelt und ein Regiment der wohlhabenden und
+angesehenen Familien eingesetzt ward, welches mit der Menge in einer
+natuerlichen mehr oder minder lebhaften Opposition stand und durch seine
+materiellen und kommunalregimentlichen Interessen darauf angewiesen
+war, auf Rom sich zu stuetzen. Das merkwuerdigste Beispiel in dieser
+Beziehung gewaehrt die Behandlung von Capua, welches als die einzige
+italische Stadt, die vielleicht mit Rom zu rivalisieren vermochte, von
+Haus aus mit argwoehnischer Vorsicht behandelt worden zu sein scheint.
+Man verlieh dem kampanischen Adel einen privilegierten Gerichtsstand,
+gesonderte Versammlungsplaetze, ueberhaupt in jeder Hinsicht eine
+Sonderstellung, ja man wies ihm sogar nicht unbetraechtliche Pensionen -
+sechzehnhundert je von jaehrlich 450 Stateren (etwa 200 Taler) - auf die
+kampanische Gemeindekasse an. Diese kampanischen Ritter waren es, deren
+Nichtbeteiligung an dem grossen latinisch-kampanischen Aufstand 414
+(340) zu dessen Scheitern wesentlich beitrug und deren tapfere Schwerter
+im Jahre 459 (295) bei Sentinum fuer die Roemer entschieden; wogegen das
+kampanische Fussvolk in Rhegion die erste Truppe war, die im Pyrrhischen
+Kriege von Rom abfiel. Einen anderen merkwuerdigen Beleg fuer die
+roemische Praxis: die staendischen Zwistigkeiten innerhalb der
+abhaengigen Gemeinden durch Beguenstigung der Aristokratie fuer das
+roemische Interesse auszubeuten, gibt die Behandlung, die Volsinii im
+Jahre 489 (265) widerfuhr. Es muessen dort, aehnlich wie in Rom, die
+Alt- und Neubuerger sich gegenuebergestanden und die letzteren auf
+gesetzlichem Wege die politische Gleichberechtigung erlangt haben.
+Infolge dessen wandten die Altbuerger von Volsinii sich an den
+roemischen Senat mit dem Gesuch um Wiederherstellung der alten
+Verfassung; was die in der Stadt herrschende Partei begreiflicherweise
+als Landesverrat betrachtete und die Bittsteller dafuer zur gesetzlichen
+Strafe zog. Der roemische Senat indes nahm Partei fuer die Altbuerger
+und liess, da die Stadt sich nicht gutwillig fuegte, durch militaerische
+Exekution nicht bloss die in anerkannter Wirksamkeit bestehende
+Gemeindeverfassung von Volsinii vernichten, sondern auch durch die
+Schleifung der alten Hauptstadt Etruriens das Herrentum Roms den
+Italikern in einem Exempel von erschreckender Deutlichkeit vor Augen
+legen. ------------------------------------------------- ^13 Es ist
+zu bedauern, dass wir ueber die Zahlenverhaeltnisse nicht genuegende
+Auskunft zu geben imstande sind. Man kann die Zahl der waffenfaehigen
+roemischen Buerger fuer die spaetere Koenigszeit auf etwa 20000
+veranschlagen. Nun ist aber von Albas Fall bis auf die Eroberung von
+Veii die unmittelbare roemische Mark nicht wesentlich erweitert worden;
+womit es vollkommen uebereinstimmt, dass von der ersten Einrichtung der
+einundzwanzigste Bezirk um das Jahr 259 (495) an, worin keine oder doch
+keine bedeutende Erweiterung der roemischen Grenze lag, bis auf das Jahr
+367 (387) neue Buergerbezirke nicht errichtet wurden. Mag man nun auch
+die Zunahme durch den Ueberschuss der Geborenen ueber die Gestorbenen,
+durch Einwanderungen und Freilassungen noch so reichlich in Anschlag
+bringen, so ist es doch schlechterdings unmoeglich, mit den engen
+Grenzen eines Gebiets von schwerlich 30 Quadratmeilen die ueberlieferten
+Zensuszahlen in Uebereinstimmung zu bringen, nach denen die Zahl der
+waffenfaehigen roemischen Buerger in der zweiten Haelfte des dritten
+Jahrhunderts zwischen 104000 und 150000 schwankt, und im Jahre 362
+(392), wofuer eine vereinzelte Angabe vorliegt, 152573 betrug. Vielmehr
+werden diese Zahlen mit den 84700 Buergern des Servianischen Zensus auf
+einer Linie stehen und ueberhaupt die ganze bis auf die vier Lustren des
+Servius Tullius hinaufgefuehrte und mit reichlichen Zahlen ausgestattete
+aeltere Zensusliste nichts sein als eine jener scheinbar urkundlichen
+Traditionen, die eben in ganz detaillierten Zahlenangaben sich gefallen
+und sich verraten. Erst mit der zweiten Haelfte des vierten Jahrhunderts
+beginnen die grossen Gebietserwerbungen, wodurch die Buergerrolle
+ploetzlich und betraechtlich steigen musste. Es ist glaubwuerdig
+ueberliefert, wie an sich glaublich, dass um 416 (338) man 165000
+roemische Buerger zaehlte, wozu es recht gut stimmt, dass zehn Jahre
+vorher, als man gegen Latium und Gallien die ganze Miliz unter die
+Waffen rief, das erste Aufgebot zehn Legionen, also 50000 Mann betrug.
+Seit den grossen Gebietserweiterungen in Etrurien, Latium und Kampanien
+zaehlte man im fuenften Jahrhundert durchschnittlich 250000, unmittelbar
+vor dem ersten Punischen Kriege 280000 bis 290000 waffenfaehige
+Buerger. Diese Zahlen sind sicher genug, allein aus einem anderen
+Grunde geschichtlich nicht vollstaendig brauchbar: dabei naemlich
+sind wahrscheinlich die roemischen Vollbuerger und die nicht, wie die
+Kampaner, in eigenen Legionen dienenden "Buerger ohne Stimme", wie zum
+Beispiel die Caeriten, ineinander gerechnet, waehrend doch die letzteren
+faktisch durchaus den Untertanen beigezaehlt werden muessen
+(Roemische Forschungen, Bd. 2, S. 396).
+---------------------------------------------------- Aber der roemische
+Senat war weise genug, nicht zu uebersehen, dass das einzige Mittel, der
+Gewaltherrschaft Dauer zu geben, die eigene Maessigung der Gewalthaber
+ist. Darum ward den abhaengigen Gemeinden die Autonomie gelassen oder
+verliehen, die einen Schatten von Selbstaendigkeit, einen eigenen Anteil
+an Roms militaerischen und politischen Erfolgen und vor allem eine
+freie Kommunalverfassung in sich schloss - so weit die italische
+Eidgenossenschaft reichte, gab es keine Helotengemeinde. Darum
+verzichtete Rom von vornherein mit einer in der Geschichte vielleicht
+beispiellosen Klarheit und Hochherzigkeit auf das gefaehrlichste aller
+Regierungsrechte, auf das Recht, die Untertanen zu besteuern. Hoechstens
+den abhaengigen keltischen Gauen moegen Tribute auferlegt worden
+sein; soweit die italische Eidgenossenschaft reichte, gab es keine
+zinspflichtige Gemeinde. Darum endlich ward die Wehrpflicht zwar wohl
+auf die Untertanen mit, aber doch keineswegs von der herrschenden
+Buergerschaft abgewaelzt; vielmehr wurde wahrscheinlich die letztere
+nach Verhaeltnis bei weitem staerker als die Bundesgenossenschaft und
+in dieser wahrscheinlich wiederum die Gesamtheit der Latiner bei weitem
+staerker in Anspruch genommen als die nichtlatinischen Bundesgemeinden;
+so dass es eine gewisse Billigkeit fuer sich hatte, wenn auch von dem
+Kriegsgewinn zunaechst Rom und nach ihm die Latinerschaft den besten
+Teil fuer sich nahmen. Der schwierigen Aufgabe, ueber die Masse der
+italischen zuzugpflichtigen Gemeinden den Ueberblick und die Kontrolle
+sich zu bewahren, genuegte die roemische Zentralverwaltung teils
+durch die vier italischen Quaesturen, teils durch die Ausdehnung
+der roemischen Zensur ueber die saemtlichen abhaengigen Staedte. Die
+Flottenquaestoren hatten neben ihrer naechsten Aufgabe auch von den
+neugewonnenen Domaenen die Einkuenfte zu erheben und die Zuzuege der
+neuen Bundesgenossen zu kontrollieren; sie waren die ersten roemischen
+Beamten, denen gesetzlich Sitz und Sprengel ausserhalb Rom angewiesen
+ward und bildeten zwischen dem roemischen Senat und den italischen
+Gemeinden die notwendige Mittelinstanz. Es hatte ferner, wie die
+spaetere Munizipalverfassung zeigt, in jeder italischen ^14 Gemeinde die
+Oberbehoerde, wie sie immer heissen mochte, jedes vierte oder fuenfte
+Jahr eine Schatzung vorzunehmen; eine Einrichtung, zu der die Anregung
+notwendig von Rom ausgegangen sein muss und welche nur den Zweck gehabt
+haben kann, mit der roemischen Zensur korrespondierend dem Senat den
+Ueberblick ueber die Wehr- und Steuerfaehigkeit des gesamten Italiens
+zu bewahren. ------------------------------------------------- ^14
+Nicht bloss in jeder latinischen: denn die Zensur oder die sogenannte
+Quinquennalitaet kommt bekanntlich auch bei solchen Gemeinden vor,
+deren Verfassung nicht nach dem latinischen Schema konstituiert
+ist. ------------------------------------------------- Mit dieser
+militaerisch-administrativen Einigung der gesamten diesseits des
+Apennin bis hinab zum Iapygischen Vorgebirg und zur Meerenge von Rhegion
+wohnhaften Voelkerschaften haengt endlich auch das Aufkommen eines
+neuen, ihnen allen gemeinsamen Namens zusammen, der "Maenner der Toga",
+was die aelteste staatsrechtliche roemische, oder der Italiker, was
+die urspruenglich bei den Griechen gebraeuchliche und sodann allgemein
+gangbar gewordene Bezeichnung ist. Die verschiedenen Nationen, welche
+diese Landschaften bewohnten, moegen wohl zuerst sich als eine Einheit
+gefuehlt und zusammengefunden haben teils in dem Gegensatz gegen die
+Hellenen, teils und vor allem in der gemeinschaftlichen Abwehr der
+Kelten; denn mochte auch einmal eine italische Gemeinde mit diesen gegen
+Rom gemeinschaftliche Sache machen und die Gelegenheit nutzen, um die
+Unabhaengigkeit wiederzugewinnen, so brach doch auf die Laenge das
+gesunde Nationalgefuehl notwendig sich Bahn. Wie der "gallische
+Acker" bis in spaete Zeit als der rechtliche Gegensatz des italischen
+erscheint, so sind auch die "Maenner der Toga" also genannt worden
+im Gegensatz zu den keltischen "Hosenmaennern" (bracati); und
+wahrscheinlich hat selbst bei der Zentralisierung des italischen
+Wehrwesens in den Haenden Roms die Abwehr der keltischen Einfaelle
+sowohl als Ursache wie als Vorwand eine wichtige Rolle gespielt. Indem
+die Roemer teils in dem grossen Nationalkampf an die Spitze traten,
+teils die Etrusker, Latiner, Sabeller, Apuler und Hellenen innerhalb der
+sogleich zu bezeichnenden Grenzen gleichmaessig noetigten, unter ihren
+Fahnen zu fechten, erhielt die bis dahin schwankende und mehr innerliche
+Einheit geschlossene und staatsrechtliche Festigkeit und ging der Name
+Italia, der urspruenglich und noch bei den griechischen Schriftstellern
+des fuenften Jahrhunderts, zum Beispiel bei Aristoteles, nur dem
+heutigen Kalabrien eignet, ueber auf das gesamte Land der
+Togatraeger. Die aeltesten Grenzen dieser grossen von Rom gefuehrten
+Wehrgenossenschaft oder des neuen Italien reichen am westlichen Litoral
+bis in die Gegend von Livorno unterhalb des Arnus ^15, am oestlichen bis
+an den Aesis oberhalb Ancona; die ausserhalb dieser Grenzen liegenden,
+von Italikern kolonisierten Ortschaften, wie Sena gallica und Ariminum
+jenseits des Apennin, Messana in Sizilien, galten, selbst wenn sie, wie
+Ariminum, Glieder der Eidgenossenschaft oder sogar, wie Sena, roemische
+Buergergemeinden waren, doch als geographisch ausserhalb Italien
+gelegen. Noch weniger konnten die keltischen Gaue des Apennin,
+wenngleich vielleicht schon jetzt einzelne derselben in der Klientel von
+Rom sich befanden, den Togamaennern beigezaehlt werden. Das neue Italien
+war also eine politische Einheit geworden; es war aber auch im Zuge,
+eine nationale zu werden. Bereits hatte die herrschende latinische
+Nationalitaet die Sabiner und Volsker sich assimiliert und einzelne
+latinische Gemeinden ueber ganz Italien verstreut; es war nur die
+Entwicklung dieser Keime, dass spaeter einem jeden zur Tragung des
+latinischen Rockes Befugten auch die latinische Sprache Muttersprache
+war. Dass aber die Roemer schon jetzt dieses Ziel deutlich erkannten,
+zeigt die uebliche Erstreckung des latinischen Namens auf die ganze
+zuzugpflichtige italische Bundesgenossenschaft ^16. Was immer von diesem
+grossartigen politischen Bau sich noch erkennen laesst, daraus spricht
+der hohe politische Verstand seiner namenlosen Baumeister; und
+die ungemeine Festigkeit, welche diese aus so vielen und so
+verschiedenartigen Bestandteilen zusammengefuegte Konfoederation
+spaeterhin unter den schwersten Stoessen bewaehrt hat, drueckte ihrem
+grossen Werke das Siegel des Erfolges auf. Seitdem die Faeden dieses so
+fein wie fest um ganz Italien geschlungenen Netzes in den Haenden der
+roemischen Gemeinde zusammenliefen, war diese eine Grossmacht und trat
+anstatt Tarents, Lucaniens und anderer durch die letzten Kriege aus der
+Reihe der politischen Maechte geloeschter Mittel- und Kleinstaaten in
+das System der Staaten des Mittelmeers ein. Gleichsam die offizielle
+Anerkennung seiner neuen Stellung empfing Rom durch die beiden
+feierlichen Gesandtschaften, die im Jahre 481 (273) von Alexandreia
+nach Rom und wieder von Rom nach Alexandreia gingen, und wenn sie auch
+zunaechst nur die Handelsverbindungen regelten, doch ohne Zweifel
+schon eine politische Verbuendung vorbereiteten. Wie Karthago mit der
+aegyptischen Regierung um Kyrene rang und bald mit der roemischen
+um Sizilien ringen sollte, so stritt Makedonien mit jener um den
+bestimmenden Einfluss in Griechenland, mit dieser demnaechst um die
+Herrschaft der adriatischen Kuesten; es konnte nicht fehlen, dass die
+neuen Kaempfe, die allerorts sich vorbereiteten, ineinander eingriffen
+und dass Rom als Herrin Italiens in den weiten Kreis hineingezogen ward,
+den des grossen Alexanders Siege und Entwuerfe seinen Nachfolgern
+zum Tummelplatz abgesteckt hatten.
+------------------------------------------------- ^15 Diese aelteste
+Grenze bezeichnen wahrscheinlich die beiden kleinen Ortschaften ad
+fines, wovon die eine noerdlich von Arezzo auf der Strasse nach Florenz,
+die zweite an der Kueste unweit Livorno lag. Etwas weiter suedlich von
+dem letzteren heisst Bach und Tal von Vada noch jetzt fiume della fine,
+valle della fine (Targioni Tozzetti, Viaggi. Bd. 4, S. 430). ^16 Im
+genauen geschaeftlichen Sprachgebrauch geschieht dies freilich nicht.
+Die vollstaendigste Bezeichnung der Italiker findet sich in dem
+Ackergesetz von 643 (111), Zeile 21: [ceivis] Romanus sociumve nominisve
+Latini quibus ex formula togatorum [milites in terra Italia imperare
+solent]; ebenso wird daselbst Zeile 29 vom Latinus der peregrinus
+unterschieden und heisst es im Senatsbeschluss ueber die Bacchanalien
+von 568 (186): ne quis ceivis Romanus neve nominis Latini neve socium
+quisquam. Aber im gewoehnlichen Gebrauch wird von diesen drei Gliedern
+sehr haeufig das zweite oder das dritte weggelassen und neben den
+Roemern bald nur derer Latini nominis, bald nur der socii gedacht
+(W. Weissenborn zu Liv. 22, 50, 6), ohne dass ein Unterschied in der
+Bedeutung waere. Die Bezeichnung homines nominis Latini ac socii
+Italici (Sall. Iug. 40), so korrekt sie an sich ist, ist dem offiziellen
+Sprachgebrauch fremd, der wohl ein Italia, aber nicht Italici kennt.
+----------------------------------------------- 8. Kapitel Recht,
+Religion, Kriegswesen, Volkswirtschaft, Nationalitaet In der
+Entwicklung, welche waehrend dieser Epoche dem Recht innerhalb der
+roemischen Gemeinde zuteil ward, ist wohl die wichtigste materielle
+Neuerung die eigentuemliche Sittenkontrolle, welche die Gemeinde selbst
+und in untergeordnetem Grade ihre Beauftragten anfingen, ueber die
+einzelnen Buerger auszuueben. Der Keim dazu ist in dem Rechte des
+Beamten zu suchen, wegen Ordnungswidrigkeiten Vermoegensbussen (multae)
+zu erkennen. Bei allen Bussen von mehr als zwei Schafen und 30 Rindern,
+oder, nachdem durch Gemeindebeschluss vom Jahre 324 (430) die Viehbussen
+in Geld umgesetzt worden waren, von mehr als 3020 Libralassen (218
+Taler), kam bald nach der Vertreibung der Koenige die Entscheidung
+im Wege der Provokation an die Gemeinde, und es erhielt damit das
+Bruchverfahren ein urspruenglich ihm durchaus fremdes Gewicht. Unter den
+vagen Begriff der Ordnungswidrigkeit liess sich alles, was man wollte,
+bringen und durch die hoeheren Stufen der Vermoegensbussen alles, was
+man wollte, erreichen; es war eine Milderung, die die Bedenklichkeit
+dieses arbitraeren Verfahrens weit mehr offenbart als beseitigt, dass
+diese Vermoegensbussen, wo sie nicht gesetzlich auf eine bestimmte Summe
+festgestellt waren, die Haelfte des dem Gebuessten gehoerigen
+Vermoegens nicht erreichen durften. In diesen Kreis gehoeren schon die
+Polizeigesetze, an denen die roemische Gemeinde seit aeltester Zeit
+ueberreich war: die Bestimmungen der Zwoelf Tafeln, welche die Salbung
+der Leiche durch gedungene Leute, die Mitgabe von mehr als einem Pfuhl
+und mehr als drei purpurbesetzten Decken sowie von Gold und flatternden
+Kraenzen, die Verwendung von bearbeitetem Holz zum Scheiterhaufen, die
+Raeucherungen und Besprengungen desselben mit Weihrauch und Myrrhenwein
+untersagten, die Zahl der Floetenblaeser im Leichenzug auf hoechstens
+zehn beschraenkten und die Klageweiber und die Begraebnisgelage verboten
+- gewissermassen das aelteste roemische Luxusgesetz; ferner die aus
+den staendischen Kaempfen hervorgegangenen Gesetze gegen den Geldwucher
+sowohl wie gegen Obernutzung der Gemeinweide und unverhaeltnismaessige
+Aneignung von okkupablem Domanialland. Weit bedenklicher aber als diese
+und aehnliche Bruchgesetze, welche doch wenigstens die Kontravention und
+oft auch das Strafmass ein fuer allemal formulierten, war die allgemeine
+Befugnis eines jeden mit Jurisdiktion versehenen Beamten wegen
+Ordnungswidrigkeit eine Busse zu erkennen und, wenn diese das
+Provokationsmass erreichte und der Gebuesste sich nicht in die Strafe
+fuegte, die Sache an die Gemeinde zu bringen. Schon im Laufe des
+fuenften Jahrhunderts ist in diesem Wege wegen sittenlosen Lebenswandels
+sowohl von Maennern wie von Frauen, wegen Kornwucher, Zauberei und
+aehnlicher Dinge gleichsam kriminell verfahren worden. In innerlicher
+Verwandtschaft hiermit steht die gleichfalls in dieser Zeit aufkommende
+Quasijurisdiktion der Zensoren, welche ihre Befugnis, das roemische
+Budget und die Buergerlisten festzustellen, benutzten, teils um von sich
+aus Luxussteuern aufzulegen, welche von den Luxusstrafen nur der Form
+nach sich unterschieden, teils besonders um auf die Anzeige anstoessiger
+Handlungen hin dem tadelhaften Buerger die politischen Ehrenrechte zu
+schmaelern oder zu entziehen. Wie weit schon jetzt diese Bevormundung
+ging, zeigt, dass solche Strafen wegen nachlaessiger Bestellung des
+eigenen Ackers verhaengt wurden, ja dass ein Mann wie Publius Cornelius
+Rufmus (Konsul 464, 477 290, 277) von den Zensoren des Jahres 479
+(275) aus dem Ratsherrenverzeichnis gestrichen ward, weil er silbernes
+Tafelgeraet zum Werte von 3360 Sesterzen (240 Taler) besass. Allerdings
+hatten nach der allgemein fuer Beamtenverordnungen gueltigen Regel die
+Verfuegungen der Zensoren nur fuer die Dauer ihrer Zensur, das heisst
+durchgaengig fuer die naechsten fuenf Jahre rechtliche Kraft, und
+konnten von den naechsten Zensoren nach Gefallen erneuert oder nicht
+erneuert werden; aber nichtsdestoweniger war diese zensorische Befugnis
+von einer so ungeheuren Bedeutung, dass infolge dessen die Zensur aus
+einem Unteramt an Rang und Ansehen von allen roemischen Gemeindeaemtern
+das erste ward. Das Senatsregiment ruhte wesentlich auf dieser
+doppelten, mit ebenso ausgedehnter wie arbitraerer Machtvollkommenheit
+versehenen Ober- und Unterpolizei der Gemeinde und der Gemeindebeamten.
+Dieselbe hat wie jedes aehnliche Willkuerregiment viel genuetzt und viel
+geschadet, und es soll dem nicht widersprochen werden, der den Schaden
+fuer ueberwiegend haelt; nur darf es nicht vergessen werden, dass bei
+der allerdings aeusserlichen, aber straffen und energischen Sittlichkeit
+und dem gewaltig angefachten Buergersinn, welche diese Zeit recht
+eigentlich bezeichnen, der eigentlich gemeine Missbrauch doch von
+diesen Institutionen fern blieb und, wenn die individuelle Freiheit
+hauptsaechlich durch sie niedergehalten worden ist, auch die gewaltige
+und oft gewaltsame Aufrechthaltung des Gemeinsinns und der guten
+alten Ordnung und Sitte in der roemischen Gemeinde eben auf diesen
+Institutionen beruhen. Daneben macht in der roemischen Rechtsentwicklung
+zwar langsam, aber dennoch deutlich genug eine humanisierende und
+modernisierende Tendenz sich geltend. Die meisten Bestimmungen der
+Zwoelf Tafeln, welche mit dem Solonischen Gesetz uebereinkommen und
+deshalb mit Grund fuer materielle Neuerungen gehalten werden duerfen,
+tragen diesen Stempel; so die Sicherung des freien Assoziationsrechts
+und der Autonomie der also entstandenen Vereine; die Vorschrift ueber
+die Grenzstreifen, die dem Abpfluegen wehrte; die Milderung der Strafe
+des Diebstahls, indem der nicht auf frischer Tat ertappte Dieb sich
+fortan durch Leistung des doppelten Ersatzes von dem Bestohlenen loesen
+konnte. Das Schuldrecht ward in aehnlichem Sinn, jedoch erst ueber ein
+Jahrhundert nachher, durch das Poetelische Gesetz gemildert. Die freie
+Bestimmung ueber das Vermoegen, die dem Herrn desselben bei Lebzeiten
+schon nach aeltestem roemischen Recht zugestanden hatte, aber fuer den
+Todesfall bisher geknuepft gewesen war an die Einwilligung der Gemeinde,
+wurde auch von dieser Schranke befreit, indem das Zwoelftafelgesetz
+oder dessen Interpretation dem Privattestament dieselbe Kraft beilegte,
+welche dem von den Kurien bestaetigten zukam; es war dies ein wichtiger
+Schritt zur Sprengung der Geschlechtsgenossenschaften und zur voelligen
+Durchfuehrung der Individualfreiheit im Vermoegensrecht. Die furchtbar
+absolute vaeterliche Gewalt wurde beschraenkt durch die Vorschrift,
+dass der dreimal vom Vater verkaufte Sohn nicht mehr in dessen Gewalt
+zurueckfallen, sondern fortan frei sein solle; woran bald durch eine -
+streng genommen freilich widersinnige - Rechtsdeduktion die Moeglichkeit
+angeknuepft ward, dass sich der Vater freiwillig der Herrschaft ueber
+den Sohn begebe durch Emanzipation. Im Eherecht wurde die Zivilehe
+gestattet; und wenn auch mit der rechten buergerlichen ebenso notwendig
+wie mit der rechten religioesen die volle eheherrliche Gewalt verknuepft
+war, so lag doch in der Zulassung der ohne solche Gewalt geschlossenen
+Verbindung an Ehestatt der erste Anfang zur Lockerung der Vollgewalt des
+Eheherrn. Der Anfang einer gesetzlichen Noetigung zum ehelichen Leben
+ist die Hagestolzensteuer (aes uxorium), mit deren Einfuehrung Camillus
+als Zensor im Jahre 351 (403) seine oeffentliche Laufbahn begann.
+Durchgreifendere Aenderungen als das Recht selbst erlitt die politisch
+wichtigere und ueberhaupt veraenderlichere Rechtspflegeordnung.
+Vor allen Dingen gehoert dahin die wichtige Beschraenkung der
+oberrichterlichen Gewalt durch die gesetzliche Aufzeichnung des
+Landrechts und die Verpflichtung des Beamten, fortan nicht mehr nach
+dem schwankenden Herkommen, sondern nach dem geschriebenen Buchstaben im
+Zivil- wie im Kriminalverfahren zu entscheiden (303, 304 451, 450).
+Die Einsetzung eines ausschliesslich fuer die Rechtspflege taetigen
+roemischen Oberbeamten im Jahre 387 (367) und die gleichzeitig in
+Rom erfolgte und unter Roms Einfluss in allen latinischen Gemeinden
+nachgeahmte Gruendung einer besonderen Polizeibehoerde erhoehten die
+Schnelligkeit und Sicherheit der Justiz. Diesen Polizeiherren oder den
+Aedilen kam natuerlich zugleich eine gewisse Jurisdiktion zu, insofern
+sie teils fuer die auf offenem Markt abgeschlossenen Verkaeufe,
+also namentlich fuer die Vieh- und Sklavenmaerkte die ordentlichen
+Zivilrichter waren, teils in der Regel sie es waren, welche in dem Buss-
+und Bruechverfahren als Richter erster Instanz oder, was nach roemischem
+Recht dasselbe ist, als oeffentliche Anklaeger fungierten. Infolgedessen
+lag die Handhabung der Bruechgesetze und ueberhaupt das ebenso
+unbestimmte wie politisch wichtige Bruechrecht hauptsaechlich in ihrer
+Hand. Aehnliche, aber untergeordnetere und besonders gegen die geringen
+Leute gerichtete Funktionen standen den zuerst 465 (289) ernannten
+drei Nacht- oder Blutherren (tres viri nocturni oder capitales) zu: sie
+wurden mit der naechtlichen Feuer- und Sicherheitspolizei und mit der
+Aufsicht ueber die Hinrichtungen beauftragt, woran sich sehr bald,
+vielleicht schon von Haus aus eine gewisse summarische Gerichtsbarkeit
+geknuepft hat ^1. Mit der steigenden Ausdehnung der roemischen Gemeinde
+wurde es endlich, teils mit Ruecksicht auf die Gerichtspflichtigen,
+notwendig in den entfernteren Ortschaften eigene, wenigstens fuer die
+geringeren Zivilsachen kompetente Richter niederzusetzen, was fuer
+die Passivbuergergemeinden Regel war, aber vielleicht selbst auf
+die entfernteren Vollbuergergemeinden erstreckt ward ^2 - die ersten
+Anfaenge einer neben der eigentlich roemischen sich
+entwickelnden roemisch-munizipalen Jurisdiktion.
+------------------------------------------------- ^1 Die frueher
+aufgestellte Behauptung, dass diese Dreiherren bereits der aeltesten
+Zeit angehoeren, ist deswegen irrig, weil der aeltesten Staatsordnung
+Beamtenkollegien von ungerader Zahl fremd sind (Roemische Chronologie
+bis auf Caesar. z. Aufl. Berlin 1859, S. 15, A. 12). Wahrscheinlich ist
+die gut beglaubigte Nachricht, dass sie zuerst 465 (289) ernannt wurden
+(Liv. ep. 11), einfach festzuhalten und die auch sonst bedenkliche
+Deduktion des Faelschers Licinius Macer (bei Liv. 7, 46), welche ihrer
+vor 450 (304) Erwaehnung tut, einfach zu verwerfen. Anfaenglich wurden
+ohne Zweifel, wie dies bei den meisten der spaeteren magistratus minores
+der Fall gewesen ist, die Dreiherren von den Oberbeamten ernannt; das
+papirische Plebiszit, das die Ernennung derselben auf die Gemeinde
+uebertrug (Festus v. sacramentum p. 344 M.), ist auf jeden Fall, da es
+den Praetor nennt, qui inter civis ius dicit, erst nach Einsetzung der
+Fremdenpraetur, also fruehestens gegen die Mitte des 6. Jahrhunderts
+erlassen. ^2 Dahin fuehrt, was Liv. 9, 20 ueber die Reorganisation der
+Kolonie Antium zwanzig Jahre nach ihrer Gruendung berichtet; und es ist
+an sich klar, dass wenn man dem Ostienser recht wohl auferlegen konnte,
+seine Rechtshaendel alle in Rom abzumachen, dies fuer Ortschaften
+wie Antium und Sena sich nicht durchfuehren liess.
+------------------------------------------------ In dem Zivilverfahren,
+welches indes nach den Begriffen dieser Zeit die meisten gegen
+Mitbuerger begangenen Verbrechen einschloss, wurde die wohl schon
+frueher uebliche Teilung des Verfahrens in Feststellung der Rechtsfrage
+vor dem Magistrat (ius) und Entscheidung derselben durch einen vom
+Magistrat ernannten Privatmann (iudicium) mit Abschaffung des
+Koenigtums gesetzliche Vorschrift; und dieser Trennung hat das roemische
+Privatrecht seine logische und praktische Schaerfe und Bestimmtheit
+wesentlich zu verdanken ^3. Im Eigentumsprozess wurde die bisher der
+unbedingten Willkuer der Beamten anheimgegebene Entscheidung ueber den
+Besitzstand allmaehlich rechtlichen Regeln unterworfen und neben
+dem Eigentums- das Besitzrecht entwickelt, wodurch abermals die
+Magistratsgewalt einen wichtigen Teil ihrer Macht einbuesste. Im
+Kriminalverfahren wurde das Volksgericht, die bisherige Gnaden- zur
+rechtlich gesicherten Appellationsinstanz. War der Angeklagte nach
+Verhoerung (quaestio) von dem Beamten verurteilt und berief sich auf die
+Buergerschaft, so schritt der Magistrat vor dieser zu dem Weiterverhoer
+(anquisitio), und wenn er nach dreimaliger Verhandlung vor der Gemeinde
+seinen Spruch wiederholt hatte, wurde im vierten Termin das Urteil
+von der Buergerschaft bestaetigt oder verworfen. Milderung war nicht
+gestattet. Denselben republikanischen Sinn atmen die Saetze, dass das
+Haus den Buerger schuetze und nur ausserhalb des Hauses eine Verhaftung
+stattfinden koenne; dass die Untersuchungshaft zu vermeiden und es jedem
+angeklagten und noch nicht verurteilten Buerger zu gestatten sei, durch
+Verzicht auf sein Buergerrecht den Folgen der Verurteilung, soweit sie
+nicht das Vermoegen, sondern die Person betrafen, sich zu entziehen -
+Saetze, die allerdings keineswegs gesetzlich formuliert wurden und den
+anklagenden Beamten also nicht rechtlich banden, aber doch durch ihren
+moralischen Druck namentlich fuer die Beschraenkung der Todesstrafe
+von dem groessten Einfluss gewesen sind. Indes wenn das roemische
+Kriminalrecht fuer den starken Buergersinn wie fuer die steigende
+Humanitaet dieser Epoche ein merkwuerdiges Zeugnis ablegt, so litt
+es dagegen praktisch namentlich unter den hier besonders schaedlich
+nachwirkenden staendischen Kaempfen. Die aus diesen hervorgegangene
+konkurrierende Kriminaljurisdiktion erster Instanz der saemtlichen
+Gemeindebeamten war die Ursache, dass es in dem roemischen
+Kriminalverfahren eine feste Instruktionsbehoerde und eine ernsthafte
+Voruntersuchung fortan nicht mehr gab; und indem das Kriminalurteil
+letzter Instanz in den Formen und von den Organen der Gesetzgebung
+gefunden ward, auch seinen Ursprung aus dem Gnadenverfahren niemals
+verleugnete, ueberdies noch die Behandlung der polizeilichen Bussen
+auf das aeusserlich sehr aehnliche Kriminalverfahren nachteilig
+zurueckwirkte, wurde nicht etwa missbraeuchlich, sondern gewissermassen
+verfassungsmaessig die Entscheidung in den Kriminalsachen nicht nach
+festem Gesetz, sondern nach dem willkuerlichen Belieben der Richter
+gefaellt. Auf diesem Wege ward das roemische Kriminalverfahren
+vollstaendig grundsatzlos und zum Spielball und Werkzeug der politischen
+Parteien herabgewuerdigt; was um so weniger entschuldigt werden kann,
+als dies Verfahren zwar vorzugsweise fuer eigentliche politische
+Verbrechen, aber doch auch fuer andere, zum Beispiel fuer Mord und
+Brandstiftung zur Anwendung kam. Dazu kam die Schwerfaelligkeit jenes
+Verfahrens, welche im Verein mit der republikanisch hochmuetigen
+Verachtung des Nichtbuergers es verschuldet hat, dass man sich
+immer mehr gewoehnte, ein summarisches Kriminal- oder vielmehr
+Polizeiverfahren gegen Sklaven und geringe Leute neben jenem foermlichen
+zu dulden. Auch hier ueberschritt der leidenschaftliche Streit um die
+politischen Prozesse die natuerlichen Grenzen und fuehrte Institutionen
+herbei, die wesentlich dazu beigetragen haben, die Roemer allmaehlich
+der Idee einer festen sittlichen Rechtsordnung zu entwoehnen.
+---------------------------------------------- ^3 Man pflegt die
+Roemer als das zur Jurisprudenz privilegierte Volk zu preisen und ihr
+vortreffliches Recht als eine mystische Gabe des Himmels anzustaunen;
+vermutlich besonders, um sich die Scham zu ersparen ueber die
+Nichtswuerdigkeit des eigenen Rechtszustandes. Ein Blick auf das
+beispiellos schwankende und unentwickelte roemische Kriminalrecht
+koennte von der Unhaltbarkeit dieser unklaren Vorstellungen auch
+diejenigen ueberzeugen, denen der Satz zu einfach scheinen moechte, dass
+ein gesundes Volk ein gesundes Recht hat und ein krankes ein krankes.
+Abgesehen von allgemeineren staatlichen Verhaeltnissen, von welchen die
+Jurisprudenz eben auch und sie vor allem abhaengt, liegen die Ursachen
+der Trefflichkeit des roemischen Zivilrechts hauptsaechlich in zwei
+Dingen: einmal darin, dass der Klaeger und der Beklagte gezwungen
+wurden, vor allen Dingen die Forderung und ebenso die Einwendung in
+bindender Weise zu motivieren und zu formulieren; zweitens darin, dass
+man fuer die gesetzliche Fortbildung des Rechtes ein staendiges Organ
+bestellte und dies an die Praxis unmittelbar anknuepfte. Mit jenem
+schnitten die Roemer die advokatische Rabulisterei, mit diesem die
+unfaehige Gesetzmacherei ab, soweit sich dergleichen abschneiden laesst,
+und mit beiden zusammen genuegten sie, soweit es moeglich ist, den zwei
+entgegenstehenden Forderungen, dass das Recht stets fest und dass
+es stets zeitgemaess sein soll.
+---------------------------------------------- Weniger sind wir
+imstande, die Weiterbildung der roemischen Religionsvorstellungen in
+dieser Epoche zu verfolgen. Im allgemeinen hielt man einfach fest an
+der einfachen Froemmigkeit der Ahnen und den Aber- wie den Unglauben
+in gleicher Weise fern. Wie lebendig die Idee der Vergeistigung alles
+Irdischen, auf der die roemische Religion beruhte, noch am Ende dieser
+Epoche war, beweist der vermutlich doch erst infolge der Einfuehrung
+des Silbercourants im Jahre 485 (269) neu entstandene Gott "Silberich"
+(Argentinus), der natuerlicherweise des aelteren Gottes "Kupferich"
+(Aesculanus) Sohn war. Die Beziehungen zum Ausland sind dieselben wie
+frueher; aber auch hier und hier vor allem ist der hellenische Einfluss
+im Steigen. Erst jetzt beginnen den hellenischen Goettern in Rom selber
+sich Tempel zu erheben. Der aelteste war der Tempel der Kastoren,
+welcher in der Schlacht am Regillischen See gelobt und am 15. Juli 269
+(485) eingeweiht sein soll. Die Sage, welche an denselben sich knuepft,
+dass zwei uebermenschlich schoene und grosse Juenglinge auf dem
+Schlachtfelde in den Reihen der Roemer mitkaempfend und unmittelbar nach
+der Schlacht ihre schweisstriefenden Rosse auf dem roemischen Markt am
+Quell der Juturna traenkend und den grossen Sieg verkuendend gesehen
+worden seien, traegt ein durchaus unroemisches Gepraege und ist ohne
+allen Zweifel der bis in die Einzelheiten gleichartigen Epiphanie der
+Dioskuren in der beruehmten, etwa ein Jahrhundert vorher zwischen den
+Krotoniaten und den Lokrern am Flusse Sagras geschlagenen Schlacht in
+sehr frueher Zeit nachgedichtet. Auch der delphische Apoll wird nicht
+bloss beschickt, wie es ueblich ist, bei allen unter dem Einfluss
+griechischer Kultur stehenden Voelkern, und nicht bloss nach besonderen
+Erfolgen, wie nach der Eroberung von Veii, mit dem Zehnten der Beute
+(360 394) beschenkt, sondern es wird auch ihm ein Tempelinder Stadt
+gebaut (323 431, erneuert 401 353). Dasselbe geschah gegen das Ende
+dieser Periode fuer die Aphrodite (459 295), welche in raetselhafter
+Weise mit der alten roemischen Gartengoettin Venus zusammenfloss ^4, und
+fuer den von Epidauros im Peloponnes erbetenen und feierlich nach
+Rom gefuehrten Asklapios oder Aesculapius (463 291). Einzeln wird
+in schweren Zeitlaeuften Klage vernommen ueber das Eindringen
+auslaendischen Aberglaubens, vermutlich etruskischer Haruspizes (so 326
+428); wo aber dann die Polizei nicht ermangelt, ein billiges Einsehen zu
+tun. --------------------------------------------- ^4 In der spaeteren
+Bedeutung als Aphrodite erscheint die Venus wohl zuerst bei der
+Dedikation des in diesem Jahre geweihten Tempels (Liv. 10, 31; W. A.
+Becker, Topographie der Stadt Rom [Becker, Handbuch, 1]. Leipzig 1843,
+S. 472). --------------------------------------------- In Etrurien
+dagegen wird, waehrend die Nation in politischer Nichtigkeit und traeger
+Opulenz stockte und verdarb, das theologische Monopol des Adels,
+der stumpfsinnige Fatalismus, die wueste und sinnlose Mystik, die
+Zeichendeuterei und das Bettelprophetenwesen sich allmaehlich zu jener
+Hoehe entwickelt haben, auf der wir sie spaeter dort finden. In dem
+Priesterwesen traten unseres Wissens durchgreifende Veraenderungen nicht
+ein. Die verschaerfte Einziehung, welche fuer die zur Bestreitung der
+Kosten des oeffentlichen Gottesdienstes angewiesenen Prozessbussen um
+das Jahr 465 (289) verfuegt wurde, deutet auf das Steigen des sakralen
+Staatsbudgets, wie es die vermehrte Zahl der Staatsgoetter und Tempel
+mit Notwendigkeit mit sich brachte. Unter den ueblen Folgen des
+Staendehaders ist es schon angefuehrt worden, dass man den Kollegien der
+Sachverstaendigen einen unstatthaften Einfluss einzuraeumen begann und
+sich ihrer bediente, um politische Akte zu kassieren, wodurch teils der
+Glaube im Volke erschuettert, teils den Pfaffen ein sehr schaedlicher
+Einfluss auf die oeffentlichen Geschaefte zugestanden ward. Im
+Kriegswesen trat in dieser Epoche eine vollstaendige Revolution ein. Die
+uralte graecoitalische Heerordnung, welche gleich der homerischen auf
+der Aussonderung der angesehensten und tuechtigsten, in der Regel zu
+Pferde fechtenden Kriegsleute zu einem eigenen Vordertreffen beruht
+haben mag, war in der spaeteren Koenigszeit durch die legio, die
+altdorische Hoplitenphalanx von wahrscheinlich acht Gliedern Tiefe
+ersetzt worden, welche fortan das Schwergewicht des Kampfes uebernahm,
+waehrend die Reiter auf die Fluegel gestellt und, je nach den Umstaenden
+zu Pferde oder abgesessen, hauptsaechlich als Reserve verwandt wurden.
+Aus dieser Herstellung entwickelte sich ungefaehr gleichzeitig in
+Makedonien die Sarissenphalanx und in Italien die Manipularordnung,
+jene durch Verdichtung und Vertiefung, diese durch Aufloesung und
+Vermannigfaltigung der Glieder, zunaechst durch die Teilung der alten
+legio von 8400 in zwei legiones von je 4200 Mann. Die alte dorische
+Phalanx hatte durchaus auf dem Nahgefecht mit dem Schwert und vor
+allem dem Spiess beruht und den Wurfwaffen nur eine beilaeufige und
+untergeordnete Stellung im Treffen eingeraeumt. In der Manipularlegion
+wurde die Stosslanze auf das dritte Treffen beschraenkt und den beiden
+ersten anstatt derselben eine neue und eigentuemlich italische Wurfwaffe
+gegeben, das Pilum, ein fuenftehalb Ellen langes viereckiges oder
+rundes Holz mit drei- oder vierkantiger eiserner Spitze, das vielleicht
+urspruenglich zur Verteidigung der Lagerwaelle erfunden worden war,
+aber bald von dem letzten auf die ersten Glieder ueberging und von dem
+vorrueckenden Gliede auf eine Entfernung von zehn bis zwanzig Schritten
+in die feindlichen Reihen geworfen ward. Zugleich gewann das Schwert
+eine bei weitem groessere Bedeutung als das kurze Messer der Phalangiten
+hatte haben koennen; denn die Wurfspeersalve war zunaechst nur bestimmt,
+dem Angriff mit dem Schwert die Bahn zu brechen. Wenn ferner die
+Phalanx, gleichsam eine einzige gewaltige Lanze, auf einmal auf den
+Feind geworfen werden musste, so wurden in der neuen italischen Legion
+die kleineren, im Phalangensystem wohl auch vorhandenen, aber in der
+Schlachtordnung unaufloeslich fest verknuepften Einheiten taktisch
+voneinander gesondert. Das geschlossene Quadrat teilte sich nicht bloss,
+wie gesagt, in zwei gleich starke Haelften, sondern jede von diesen
+trat weiter in der Tiefrichtung auseinander in drei Treffen, das der
+Hastaten, das der Principes und das der Triarier, von ermaessigter,
+wahrscheinlich in der Regel nur vier Glieder betragender Tiefe und
+loeste in der Frontrichtung sich auf in je zehn Haufen (manipuli),
+so dass zwischen je zwei Treffen und je zwei Haufen ein merklicher
+Zwischenraum blieb. Es war nur eine Fortsetzung derselben
+Individualisierung, wenn der Gesamtkampf auch der verkleinerten
+taktischen Einheit zurueck- und der Einzelkampf in den Vordergrund trat,
+wie dies aus der schon erwaehnten entscheidenden Rolle des Handgemenges
+und Schwertgefechtes deutlich hervorgeht. Eigentuemlich entwickelte sich
+auch das System der Lagerverschanzung; der Platz, wo der Heerhaufe wenn
+auch nur fuer eine einzige Nacht sein Lager nahm, ward ohne Ausnahme mit
+einer regelmaessigen Umwallung versehen und gleichsam in eine Festung
+umgeschaffen. Wenig aenderte sich dagegen in der Reiterei, die auch in
+der Manipularlegion die sekundaere Rolle behielt, welche sie neben
+der Phalanx eingenommen hatte. Auch das Offiziersystem blieb in der
+Hauptsache ungeaendert; nur wurden jetzt jeder der zwei Legionen des
+regelmaessigen Heeres ebenso viele Kriegstribune vorgesetzt, wie
+sie bisher das gesamte Heer befehligt hatten, also die Zahl der
+Stabsoffiziere verdoppelt. Es duerfte auch in dieser Zeit sich die
+scharfe Grenze festgestellt haben zwischen den Subalternoffizieren,
+welche sich ihren Platz an der Spitze der Manipel als Gemeine mit dem
+Schwerte zu gewinnen hatten und in regelmaessigem Avancement von den
+niederen in die hoeheren Manipel uebergingen, und den je sechs und sechs
+den ganzen Legionen vorgesetzten Kriegstribunen, fuer welche es kein
+regelmaessiges Avancement gab und zu denen man gewoehnlich Maenner
+aus der besseren Klasse nahm. Namentlich muss es dafuer von Bedeutung
+geworden sein, dass, waehrend frueher die Subaltern- wie die
+Stabsoffiziere gleichmaessig vom Feldherrn ernannt wurden, seit dem
+Jahre 392 (362) ein Teil der letzteren Posten durch Buergerschaftswahl
+vergeben ward. Endlich blieb auch die alte, furchtbar strenge
+Kriegszucht unveraendert. Nach wie vor war es dem Feldherrn gestattet,
+jedem in seinem Lager dienenden Mann den Kopf vor die Fuesse zu legen
+und den Stabsoffizier so gut wie den gemeinen Soldaten mit Ruten
+auszuhauen; auch wurden dergleichen Strafen nicht bloss wegen gemeiner
+Verbrechen erkannt, sondern ebenso, wenn sich ein Offizier gestattet
+hatte, von dem erteilten Befehle abzuweichen, oder wenn eine Abteilung
+sich hatte ueberrumpeln lassen oder vom Schlachtfeld gewichen war.
+Dagegen bedingt die neue Heerordnung eine weit ernstere und laengere
+militaerische Schule als die bisherige phalangitische, worin das
+Schwergewicht der Masse auch die Ungeuebten zusammenhielt. Wenn dennoch
+kein eigener Soldatenstand sich entwickelte, sondern das Heer nach wie
+vor Buergerheer blieb, so ward dies hauptsaechlich dadurch erreicht,
+dass man die bisherige Gliederung der Soldaten nach dem Vermoegen aufgab
+und sie nach dem Dienstalter ordnete. Der roemische Rekrut trat jetzt
+ein unter die leichtbewaffneten, ausserhalb der Linie besonders mit
+Steinschleudern fechtenden "Sprenkler" (rorarii) und avancierte aus
+diesem allmaehlich in das erste und weiter in das zweite Treffen,
+bis endlich die langgedienten und erfahrenen Soldaten in dem an
+Zahl schwaechsten, aber in dem ganzen Heer Ton und Geist angebenden
+Triarierkorps sich zusammenfanden. Die Vortrefflichkeit dieser
+Kriegsordnung, welche die naechste Ursache der ueberlegenen politischen
+Stellung der roemischen Gemeinde geworden ist, beruht wesentlich auf den
+drei grossen militaerischen Prinzipien der Reserve, der Verbindung des
+Nah- und Ferngefechts und der Verbindung von Offensive und Defensive.
+Das Reservesystem war schon in der aelteren Verwendung der Reiterei
+angedeutet, hier aber durch die Gliederung des Heeres in drei Treffen
+und die Aufsparung der Veteranenkernschar fuer den letzten und
+entscheidenden Stoss vollstaendig entwickelt. Wenn die hellenische
+Phalanx den Nahkampf, die orientalischen mit Bogen und leichten
+Wurfspeeren bewaffneten Reitergeschwader den Fernkampf einseitig
+ausgebildet hatten, so wurde durch die roemische Verbindung des schweren
+Wurfspiesses mit dem Schwerte, wie mit Recht gesagt worden ist, ein
+aehnlicher Erfolg erreicht wie in der modernen Kriegfuehrung durch die
+Einfuehrung der Bajonettflinte; es arbeitete die Wurfspeersalve dem
+Schwertkampf genau in derselben Weise vor wie jetzt die Gewehrsalve
+dem Angriff mit dem Bajonett. Endlich das ausgebildete Lagersystem
+gestattete es den Roemern, die Vorteile des Belagerungs- und des
+Offensivkrieges miteinander zu verbinden und die Schlacht je nach
+Umstaenden zu verweigern oder zu liefern, und im letzteren Fall sie
+unter den Lagerwaellen gleichwie unter den Mauern einer Festung zu
+schlagen - der Roemer, sagt ein roemisches Sprichwort, siegt durch
+Stillsitzen. Dass diese neue Kriegsordnung im wesentlichen eine
+roemische oder wenigstens italische Um- und Fortbildung der alten
+hellenischen Phalangentaktik ist, leuchtet ein; wenn gewisse
+Anfaenge des Reservesystems und der Individualisierung der kleineren
+Heerabteilungen schon bei den spaeteren griechischen Strategen,
+namentlich bei Xenophon begegnen, so folgt daraus nur, dass man die
+Mangelhaftigkeit des alten Systems auch hier empfunden, aber doch nicht
+vermocht hat, sie zu beseitigen. Vollstaendig entwickelt erscheint die
+Manipularlegion im Pyrrhischen Kriege; wann und unter welchen Umstaenden
+und ob sie auf einmal oder nach und nach entstanden ist, laesst sich
+nicht mehr nachweisen. Die erste von der aelteren italisch-hellenischen
+gruendlich verschiedene Taktik, die den Roemern gegenuebertrat, war die
+keltische Schwerterphalanx; es ist nicht unmoeglich, dass man durch die
+Gliederung der Armee und die Frontalintervalle der Manipel ihren ersten
+und allein gefaehrlichen Stoss abwehren wollte und abgewehrt hat;
+und damit stimmt es zusammen, wenn in manchen einzelnen Notizen der
+bedeutendste roemische Feldherr der Gallierzeit, Marcus Furius Camillus,
+als Reformator des roemischen Kriegswesens erscheint. Die weiteren an
+den Samnitischen und Pyrrhischen Krieg anknuepfenden Ueberlieferungen
+sind weder hinreichend beglaubigt noch mit Sicherheit einzureihen ^5;
+so wahrscheinlich es auch an sich ist, dass der langjaehrige samnitische
+Bergkrieg auf die individuelle Entwicklung des roemischen Soldaten,
+und der Kampf gegen einen der ersten Kriegskuenstler aus der Schule des
+grossen Alexander auf die Verbesserung des Technischen im
+roemischen Heerwesen nachhaltig eingewirkt hat.
+------------------------------------------- ^5 Nach der roemischen
+Tradition fuehrten die Roemer urspruenglich viereckige Schilde; worauf
+sie von den Etruskern den runden Hoplitenschild (clupeus, aspis)von
+den Samniten den spaeteren viereckigen Schild (scutum, thyreos) und den
+Wurfspeer (veru) entlehnten (Diodor. Vat. fr. p. 54; Sall. Catil. 51,
+38; Verg. Aen. 7, 665; Fest. v. Samnites p. 327 Mueller und die bei
+Marquardt, Handbuch, Bd. 3, 2, S. 241 angefuehrten). Allein dass der
+Hoplitenschild, das heisst die dorische Phalangentaktik nicht den
+Etruskern, sondern den Hellenen unmittelbar nachgeahmt ward, darf
+als ausgemacht gelten. Was das Scutum anlangt, so wird dieser grosse
+zylinderfoermig gewoelbte Lederschild allerdings wohl an die Stelle
+des platten kupfernen Clupeus getreten sein, als die Phalanx in Manipel
+auseinandertrat; allein die unzweifelhafte Herleitung des Wortes aus dem
+Griechischen macht misstrauisch gegen die Herleitung der Sache von den
+Samniten. Von den Griechen kam den Roemern auch die Schleuder (funda
+aus sphendon/e/, wie fides aus sphid/e/, oben). Das Pilum gilt den
+Alten durchaus als roemische Erfindung.
+---------------------------------------- In der Volkswirtschaft war
+und blieb der Ackerbau die soziale und politische Grundlage sowohl der
+roemischen Gemeinde als des neuen italischen Staates. Aus den roemischen
+Bauern bestand die Gemeindeversammlung und das Heer; was sie als
+Soldaten mit dem Schwerte gewonnen hatten, sicherten sie als Kolonisten
+mit dem Pfluge. Die Ueberschuldung des mittleren Grundbesitzes fuehrte
+die furchtbaren inneren Krisen des dritten und vierten Jahrhunderts
+herbei, an denen die junge Republik zugrunde gehen zu muessen schien;
+die Wiedererhebung der latinischen Bauernschaft, welche waehrend
+des fuenften teils durch die massenhaften Landanweisungen und
+Inkorporationen, teils durch das Sinken des Zinsfusses und die steigende
+Volksmenge Roms bewirkt ward, war zugleich Wirkung und Ursache der
+gewaltigen Machtentwicklung Roms - wohl erkannte Pyrrhos' scharfer
+Soldatenblick die Ursache des politischen und militaerischen
+Uebergewichts der Roemer in dem bluehenden Zustande der roemischen
+Bauernwirtschaften. Aber auch das Aufkommen der Grosswirtschaft in dem
+roemischen Ackerbau scheint in diese Zeit zu fallen. In der aelteren
+Zeit gab es wohl auch schon einen - wenigstens verhaeltnismaessig -
+grossen Grundbesitz; aber dessen Bewirtschaftung war keine Gross-,
+sondern nur eine vervielfaeltigte Kleinwirtschaft (I, 204). Dagegen darf
+die mit der aelteren Wirtschaftsweise zwar nicht unvereinbare, aber doch
+der spaeteren bei weitem angemessenere Bestimmung des Gesetzes vom
+Jahre 387 (367), dass der Grundbesitzer neben den Sklaven eine
+verhaeltnismaessige Zahl freier Leute zu verwenden verbunden sei, wohl
+als die aelteste Spur der spaeteren zentralisierten Gutswirtschaft
+angesehen werden ^6; und es ist bemerkenswert, dass gleich hier bei
+ihrem ersten Vorkommen dieselbe wesentlich auf dem Sklavenhalten ruht.
+Wie sie aufkam, muss dahingestellt bleiben; moeglich ist es, dass die
+karthagischen Pflanzungen auf Sizilien schon den aeltesten roemischen
+Gutsbesitzern als Muster gedient haben und vielleicht steht selbst das
+Aufkommen des Weizens in der Landwirtschaft neben dem Spelt, das
+Varro um die Zeit der Dezemvirn setzt, mit dieser veraenderten
+Wirtschaftsweise in Zusammenhang. Noch weniger laesst sich ermitteln,
+wie weit diese Wirtschaftsweise schon in dieser Epoche um sich
+gegriffen hat; nur daran, dass sie noch nicht Regel gewesen sein und
+den italischen Bauernstand noch nicht absorbiert haben kann, laesst
+die Geschichte des Hannibalischen Krieges keinen Zweifel. Wo sie aber
+aufkam, vernichtete sie die aeltere, auf dem Bittbesitz beruhende
+Klientel; aehnlich wie die heutige Gutswirtschaft grossenteils durch
+Niederlegung der Bauernstellen und Verwandlung der Hufen in Hoffeld
+entstanden ist. Es ist keinem Zweifel unterworfen, dass zu der
+Bedraengnis des kleinen Ackerbauernstandes eben das Einschraenken
+dieser Ackerklientel hoechst wesentlich mitgewirkt hat.
+--------------------------------------------------- ^6 Auch Varro (rust.
+1, 2, 9) denkt sich den Urheber des Licinischen Ackergesetzes offenbar
+als Selbstbewirtschafter seiner ausgedehnten Laendereien; obgleich
+uebrigens die Anekdote leicht erfunden sein kann, um den Beinamen zu
+erklaeren. ------------------------------------------------- Ueber
+den inneren Verkehr der Italiker untereinander sind die schriftlichen
+Quellen stumm; einigen Aufschluss geben lediglich die Muenzen. Dass in
+Italien, von den griechischen Staedten und dem etruskischen Populonia
+abgesehen, waehrend der ersten drei Jahrhunderte Roms nicht gemuenzt
+ward und als Tauschmaterial anfangs das Vieh, spaeter Kupfer nach dem
+Gewicht diente, wurde schon gesagt. In die gegenwaertige Epoche faellt
+der Uebergang der Italiker vom Tausch- zum Geldsystem, wobei man
+natuerlich zunaechst auf griechische Muster sich hingewiesen sah. Es lag
+indes in den Verhaeltnissen, dass in Mittelitalien statt des Silbers das
+Kupfer zum Muenzmetall ward und die Muenzeinheit sich zunaechst anlehnte
+an die bisherige Werteinheit, das Kupferpfund; womit es zusammenhaengt,
+dass man die Muenzen goss, statt sie zu praegen, denn kein Stempel
+haette ausgereicht fuer so grosse und schwere Stuecke. Doch scheint von
+Haus aus zwischen Kupfer und Silber ein festes Gleichungsverhaeltnis
+(250 : 1) normiert und die Kupfermuenze mit Ruecksicht darauf
+ausgebracht worden zu sein, so dass zum Beispiel in Rom das grosse
+Kupferstueck, der As, dem Werte nach einem Skrupel (= 1/288 Pfund)
+Silber gleichkam. Geschichtlich bemerkenswerter ist es, dass die Muenze
+in Italien hoechst wahrscheinlich von Rom ausgegangen ist und zwar eben
+von den Dezemvirn, die in der Solonischen Gesetzgebung das Vorbild auch
+zur Regulierung des Muenzwesens fanden, und dass sie von Rom aus sich
+verbreitete ueber eine Anzahl latinischer, etruskischer, umbrischer
+und ostitalischer Gemeinden; zum deutlichen Beweise der ueberlegenen
+Stellung, die Rom schon seit dem Anfang des vierten Jahrhunderts
+in Italien behauptete. Wie alle diese Gemeinden formell unabhaengig
+nebeneinander standen, war gesetzlich auch der Muenzfuss durchaus
+oertlich und jedes Stadtgebiet ein eigenes Muenzgebiet; indes lassen
+sich doch die mittel- und norditalischen Kupfermuenzfuesse in drei
+Gruppen zusammenfassen, innerhalb welcher man die Muenzen im gemeinen
+Verkehr als gleichartig behandelt zu haben scheint. Es sind dies teils
+die Muenzen der noerdlich vom Ciminischen Walde gelegenen etruskischen
+und der umbrischen Staedte, teils die Muenzen von Rom und Latium, teils
+die des oestlichen Litorals. Dass die roemischen Muenzen mit dem Silber
+nach dem Gewicht geglichen waren, ist schon bemerkt worden: diejenigen
+der italischen Ostkueste finden wir dagegen in ein bestimmtes
+Verhaeltnis gesetzt zu den Silbermuenzen, die im suedlichen Italien
+seit alter Zeit gangbar waren und deren Fuss sich auch die italischen
+Einwanderer, zum Beispiel die Brettier, Lucaner, Nolaner, ja die
+latinischen Kolonien daselbst wie Cales und Suessa und sogar die Roemer
+selbst fuer ihre unteritalischen Besitzungen aneigneten. Danach wird
+auch der italische Binnenhandel in dieselben Gebiete zerfallen sein,
+welche unter sich verkehrten gleich fremden Voelkern. Im ueberseeischen
+Verkehr bestanden die frueher bezeichneten sizilisch- latinischen,
+etruskisch-attischen und adriatisch-tarentinischen Handelsbeziehungen
+auch in dieser Epoche fort oder gehoeren ihr vielmehr recht eigentlich
+an; denn obwohl die derartigen, in der Regel ohne Zeitangabe
+vorkommenden Tatsachen der Obersicht wegen schon bei der ersten
+Periode zusammengefasst worden sind, erstrecken sich diese Angaben doch
+ebensowohl auf die gegenwaertige mit. Am deutlichsten sprechen auch
+hierfuer die Muenzen. Wie die Praegung des etruskischen Silbergeldes
+auf attischen Fuss und das Eindringen des italischen und besonders
+latinischen Kupfers in Sizilien fuer die ersten beiden Handelszuege
+zeugen, so spricht die eben erwaehnte Gleichstellung des
+grossgriechischen Silbergeldes mit der picenischen und apulischen
+Kupfermuenze nebst zahlreichen anderen Spuren fuer den regen Verkehr
+der unteritalischen Griechen, namentlich der Tarentiner mit dem
+ostitalischen Litoral. Dagegen scheint der frueher wohl lebhaftere
+Handel zwischen den Latinern und den kampanischen Griechen durch die
+sabellische Einwanderung gestoert worden zu sein und waehrend der ersten
+hundertundfuenfzig Jahre der Republik nicht viel bedeutet zu haben; die
+Weigerung der Samniten, in Capua und Cumae den Roemern in der Hungersnot
+von 343 (411) mit ihrem Getreide zu Hilfe zu kommen, duerfte eine Spur
+der zwischen Latium und Kampanien veraenderten Beziehungen sein, bis
+im Anfang des fuenften Jahrhunderts die roemischen Waffen die alten
+Verhaeltnisse wiederherstellten und steigerten. Im einzelnen mag es
+noch gestattet sein, als eines der seltenen datierten Fakten aus der
+Geschichte des roemischen Verkehrs der Notiz zu gedenken, welche aus
+der ardeatischen Chronik erhalten ist, dass im Jahre 454 (300) der
+erste Barbier aus Sizilien nach Ardea kam, und einen Augenblick bei dem
+gemalten Tongeschirr zu verweilen, das vorzugsweise aus Attika, daneben
+aus Kerkyra und Sizilien nach Lucanien, Kampanien und Etrurien gesandt
+ward, um dort zur Ausschmueckung der Grabgemaecher zu dienen und ueber
+dessen merkantilische Verhaeltnisse wir zufaellig besser als ueber
+irgendeinen anderen ueberseeischen Handelsartikel unterrichtet sind.
+Der Anfang dieser Einfuhr mag um die Zeit der Vertreibung der Tarquinier
+fallen, denn die noch sehr sparsam in Italien vorkommenden Gefaesse des
+aeltesten Stils duerften in der zweiten Haelfte des dritten Jahrhunderts
+der Stadt (500-450) gemalt sein, waehrend die zahlreicheren des strengen
+Stils der ersten (450-400), die des vollendet schoenen der zweiten
+Haelfte des vierten (400-350) angehoeren, und die ungeheuren Massen der
+uebrigen, oft durch Pracht und Groesse, aber selten durch vorzuegliche
+Arbeit sich auszeichnenden Vasen im ganzen dem folgenden Jahrhundert
+(350-250) beizulegen sein werden. Es waren allerdings wieder die
+Hellenen, von denen die Italiker diese Sitte der Graeberschmueckung
+entlehnten; aber wenn die bescheidenen Mittel und der feine Takt der
+Griechen sie bei diesen in engen Grenzen hielten, ward sie in Italien
+mit barbarischer Opulenz und barbarischer Verschwendung weit ueber das
+urspruengliche und schickliche Mass ausgedehnt. Aber es ist bezeichnend,
+dass es in Italien lediglich die Laender der hellenischen Halbkultur
+sind, in welchen diese Ueberschwenglichkeit begegnet; wer solche
+Schrift zu lesen versteht, wird in den etruskischen und kampanischen
+Leichenfeldern, den Fundgruben unserer Museen, den redenden Kommentar zu
+den Berichten der Alten ueber die im Reichtum und Uebermut erstickende
+etruskische und kampanische Halbbildung erkennen. Dagegen blieb das
+schlichte samnitische Wesen diesem toerichten Luxus zu allen Zeiten
+fern; in dem Mangel des griechischen Grabgeschirrs tritt ebenso
+fuehlbar wie in dem Mangel einer samnitischen Landesmuenze die geringe
+Entwicklung des Handelsverkehrs und des staedtischen Lebens in dieser
+Landschaft hervor. Noch bemerkenswerter ist es, dass auch Latium, obwohl
+den Griechen nicht minder nahe wie Etrurien und Kampanien und mit ihnen
+im engsten Verkehr, dieser Graeberpracht sich fast ganz enthalten
+hat. Es ist wohl mehr als wahrscheinlich, namentlich wegen der ganz
+abweichenden Beschaffenheit der Graeber in dem einzigen Praeneste, dass
+wir hierin den Einfluss der strengen roemischen Sittlichkeit, oder, wenn
+man lieber will, der straffen roemischen Polizei wiederzuerkennen haben.
+Im engsten Zusammenhange damit stehen die bereits erwaehnten Interdikte,
+welche schon das Zwoelftafelgesetz gegen purpurne Bahrtuecher und
+den Goldschmuck als Totenmitgift schleudert, und die Verbannung des
+silbernen Geraetes mit Ausnahme des Salzfasses und der Opferschale aus
+dem roemischen Hausrat wenigstens durch das Sittengesetz und die
+Furcht vor der zensorischen Ruege; und auch in dem Bauwesen werden
+wir demselben, allem gemeinen wie edlen Luxus feindlichen Sinn
+wiederbegegnen. Indes mochte auch Rom durch solche Einwirkung von oben
+her laenger als Volsinii und Capua eine gewisse aeussere Einfachheit
+bewahren, so werden sein Handel und Gewerbe, auf denen ja neben dem
+Ackerbau seine Bluete von Haus aus beruhte, darum noch nicht als
+unbedeutend gedacht werden duerfen und nicht minder den Einfluss der
+neuen Machtstellung Roms empfunden haben. Zu der Entwicklung eines
+eigentlichen staedtischen Mittelstandes, einer unabhaengigen Handwerker-
+und Kaufmannschaft kam es in Rom nicht. Die Ursache war neben der
+frueh eingetretenen unverhaeltnismaessigen Zentralisierung des Kapitals
+vornehmlich die Sklavenwirtschaft. Es war im Altertum ueblich und in
+der Tat eine notwendige Konsequenz der Sklaverei, dass die kleineren
+staedtischen Geschaefte sehr haeufig von Sklaven betrieben wurden,
+welche ihr Herr als Handwerker oder Kaufleute etablierte, oder auch
+von Freigelassenen, fuer welche der Herr nicht bloss sehr oft das
+Geschaeftskapital hergab, sondern von denen er sich auch regelmaessig
+einen Anteil, oft die Haelfte des Geschaeftsgewinns ausbedang. Der
+Kleinbetrieb und der Kleinverkehr in Rom waren ohne Zweifel in
+stetigem Steigen; es finden sich auch Belege dafuer, dass die dem
+grossstaedtischen Luxus dienstbaren Gewerbe anfingen, sich in Rom zu
+konzentrieren - so ist das ficoronische Schmuckkaestchen im fuenften
+Jahrhundert der Stadt von einem praenestinischen Meister verfertigt
+und nach Praeneste verkauft, aber dennoch in Rom gearbeitet worden ^7.
+Allein da der Reinertrag auch des Kleingeschaefts zum groessten Teil
+in die Kassen der grossen Haeuser floss, so kam ein industrieller und
+kommerzieller Mittelstand nicht in entsprechender Ausdehnung empor.
+Ebensowenig sonderten sich die Grosshaendler und grossen Industriellen
+scharf von den grossen Grundbesitzern. Einerseits waren die letzteren
+seit alter zugleich Geschaeftsbetreibende und Kapitalisten und in ihren
+Haenden Hypothekardarlehen, Grosshandel und Lieferungen und Arbeiten
+fuer den Staat vereinigt. Anderseits war es bei dem starken sittlichen
+Akzent, der in dem roemischen Gemeinwesen auf den Grundbesitz fiel, und
+bei seiner politischen Alleinberechtigung, welche erst gegen das Ende
+dieser Epoche einige Einschraenkungen erlitt, ohne Zweifel schon in
+dieser Zeit gewoehnlich, dass der glueckliche Spekulant mit einem
+Teil seiner Kapitalien sich ansaessig machte. Es geht auch aus der
+politischen Bevorzugung der ansaessigen Freigelassenen deutlich genug
+hervor, dass die roemischen Staatsmaenner dahin wirkten, auf diesem Wege
+die gefaehrliche Klasse der nicht grundsaessigen Reichen zu vermindern.
+------------------------------------------------------ ^7 Die Vermutung,
+dass der Kuenstler, welcher an diesem Kaestchen fuer die Dindia Macolnia
+in Rom gearbeitet hat, Novius Plautius, ein Kampaner, gewesen sei,
+wird durch die neuerlich gefundenen alten praenestinischen Grabsteine
+widerlegt, auf denen unter andern Macolniern und Plautiern auch ein
+Lucius Magulnius des Plautius Sohn (L. Magolnio Pla. f.) vorkommt.
+------------------------------------------------------ Aber wenn auch
+in Rom weder ein wohlhabender staedtischer Mittelstand noch eine
+streng geschlossene Kapitalistenklasse sich bildete, so war das
+grossstaedtische Wesen doch an sich in unaufhaltsamem Steigen.
+Deutlich weist darauf hin die zunehmende Zahl der in der
+Hauptstadt zusammengedraengten Sklaven, wovon die sehr ernsthafte
+Sklavenverschwoerung des Jahres 335 (419) zeugt, und noch mehr die
+steigende, allmaehlich unbequem und gefaehrlich werdende Menge der
+Freigelassenen, worauf die im Jahre 397 (357) auf die Freilassungen
+gelegte ansehnliche Steuer und die Beschraenkung der politischen Rechte
+der Freigelassenen im Jahre 450 (304) einen sicheren Schluss gestatten.
+Denn es lag nicht bloss in den Verhaeltnissen, dass die grosse
+Majoritaet der freigelassenen Leute sich dem Gewerbe oder dem Handel
+widmen musste, sondern es war auch die Freilassung selbst bei den
+Roemern, wie gesagt, weniger eine Liberalitaet als eine industrielle
+Spekulation, indem der Herr bei dem Anteil an dem Gewerb- oder
+Handelsgewinn des Freigelassenen oft besser seine Rechnung fand als bei
+dem Anrecht auf den ganzen Reinertrag des Sklavengeschaefts. Die Zunahme
+der Freilassungen muss deshalb mit der Steigerung der kommerziellen
+und industriellen Taetigkeit der Roemer notwendig Hand in Hand gegangen
+sein. Einen aehnlichen Fingerzeig fuer die steigende Bedeutung des
+staedtischen Wesens in Rom gewaehrt die gewaltige Entwicklung der
+staedtischen Polizei. Es gehoert zum grossen Teil wohl schon dieser Zeit
+an, dass die vier Aedilen unter sich die Stadt in vier Polizeibezirke
+teilten und dass fuer die ebenso wichtige wie schwierige Instandhaltung
+des ganz Rom durchziehenden Netzes von kleineren und groesseren
+Abzugskanaelen sowie der oeffentlichen Gebaeude und Plaetze, fuer die
+gehoerige Reinigung und Pflasterung der Strassen, fuer die Beseitigung
+den Einsturz drohender Gebaeude, gefaehrlicher Tiere, uebler Gerueche,
+fuer die Fernhaltung der Wagen ausser in den Abend- und Nachtstunden
+und ueberhaupt fuer die Offenhaltung der Kommunikation, fuer die
+ununterbrochene Versorgung des hauptstaedtischen Marktes mit gutem und
+billigem Getreide, fuer die Vernichtung gesundheitsschaedlicher Waren
+und falscher Masse und Gewichte, fuer die besondere Ueberwachung
+von Baedern, Schenken, schlechten Haeusern von den Aedilen Fuersorge
+getroffen ward. Im Bauwesen mag wohl die Koenigszeit, namentlich die
+Epoche der grossen Eroberungen, mehr geleistet haben als die ersten zwei
+Jahrhunderte der Republik. Anlagen wie die Tempel auf dem Kapitol und
+dem Aventin und der grosse Spielplatz moegen den sparsamen Vaetern der
+Stadt ebenso wie den fronenden Buergern ein Greuel gewesen sein, und
+es ist bemerkenswert, dass das vielleicht bedeutendste Bauwerk der
+republikanischen Zeit vor den Samnitischen Kriegen, der Cerestempel am
+Circus, ein Werk des Spurius Cassius (261 493) war, welcher in mehr als
+einer Hinsicht wieder in die Traditionen der Koenige zurueckzulenken
+suchte. Auch den Privatluxus hielt die regierende Aristokratie mit einer
+Strenge nieder, wie sie die Koenigsherrschaft bei laengerer Dauer sicher
+nicht entwickelt haben wuerde. Aber auf die Laenge vermochte selbst der
+Senat sich nicht laenger gegen das Schwergewicht der Verhaeltnisse zu
+stemmen. Appius Claudius war es, der in seiner epochemachenden Zensur
+(442 312) das veraltete Bauernsystem des Sparschatzsammelns beiseite
+warf und seine Mitbuerger die oeffentlichen Mittel in wuerdiger Weise
+gebrauchen lehrte. Er begann das grossartige System gemeinnuetziger
+oeffentlicher Bauten, das, wenn irgendetwas, Roms militaerische Erfolge
+auch von dem Gesichtspunkt der Voelkerwohlfahrt aus gerechtfertigt hat
+und noch heute in seinen Truemmern Tausenden und Tausenden, welche von
+roemischer Geschichte nie ein Blatt gelesen haben, eine Ahnung gibt
+von der Groesse Roms. Ihm verdankt der roemische Staat die erste grosse
+Militaerchaussee, die roemische Stadt die erste Wasserleitung. Claudius'
+Spuren folgend, schlang der roemische Senat um Italien jenes Strassen-
+und Festungsnetz, dessen Gruendung frueher beschrieben ward und
+ohne das, wie von den Achaemeniden bis hinab auf den Schoepfer der
+Simplonstrasse die Geschichte aller Militaerstaaten lehrt, keine
+militaerische Hegemonie bestehen kann. Claudius' Spuren folgend,
+baute Manius Curius aus dem Erloes der Pyrrhischen Beute eine zweite
+hauptstaedtische Wasserleitung (482 272) und oeffnete schon einige Jahre
+vorher (464 290) mit dem sabinischen Kriegsgewinn dem Velino, da wo
+er oberhalb Terni in die Nera sich stuerzt, das heute noch von ihm
+durchflossene breitere Bett, um in dem dadurch trockengelegten schoenen
+Tal von Rieti fuer eine grosse Buergeransiedlung Raum und auch fuer sich
+eine bescheidene Hufe zu gewinnen. Solche Werke verdunkelten selbst
+in den Augen verstaendiger Leute die zwecklose Herrlichkeit der
+hellenischen Tempel. Auch das buergerliche Leben wurde jetzt ein
+anderes. Um die Zeit des Pyrrhos begann auf den roemischen Tafeln
+das Silbergeschirr sich zu zeigen ^8 und das Verschwinden der
+Schindeldaecher in Rom datieren die Chronisten von dem Jahre 470 (284).
+Die neue Hauptstadt Italiens legte endlich ihr dorfartiges Ansehen
+allmaehlich ab und fing nun auch an, sich zu schmuecken. Zwar war es
+noch nicht Sitte, in den eroberten Staedten zu Roms Verherrlichung
+die Tempel ihrer Zierden zu berauben; aber dafuer prangten an der
+Rednerbuehne des Marktes die Schnaebel der Galeeren von Antium und
+an oeffentlichen Festtagen laengs der Hallen am Markte die von den
+Schlachtfeldern Samniums heimgebrachten goldbeschlagenen Schilde.
+Besonders der Ertrag der Bruechgelder diente zur Pflasterung der
+Strassen in und vor der Stadt oder zur Errichtung und Ausschmueckung
+oeffentlicher Gebaeude. Die hoelzernen Buden der Fleischer, welche an
+den beiden Langseiten des Marktes sich hinzogen, wichen zuerst an
+der palatinischen, dann auch an der den Carinen zugewandten Seite
+den steinernen Hallen der Geldwechsler; dadurch ward dieser Platz
+zur roemischen Boerse. Die Bildsaeulen der gefeierten Maenner der
+Vergangenheit, der Koenige, Priester und Helden der Sagenzeit, des
+griechischen Gastfreundes, der den Zehnmaennern die Solonischen Gesetze
+verdolmetscht haben sollte, die Ehrensaeulen und Denkmaeler der
+grossen Buergermeister, welche die Veienter, die Latiner, die Samniten
+ueberwunden hatten, der Staatsboten, die in Vollziehung ihres Auftrages
+umgekommen waren, der reichen Frauen, die ueber ihr Vermoegen zu
+oeffentlichen Zwecken verfuegt hatten, ja sogar schon gefeierter
+griechischer Weisen und Helden, wie des Pythagoras und des Alkibiades,
+wurden auf der Burg oder auf dem roemischen Markte aufgestellt. Also
+ward, nachdem die roemische Gemeinde eine Grossmacht geworden war, Rom
+selber eine Grossstadt. --------------------------------------- ^8 Der
+wegen seines silbernen Tafelgeraets gegen Publius Cornelius Rufinus
+(Konsul 464, 477 290, 277) verhaengten zensorischen Makel wurde schon
+gedacht. Fabius' befremdliche Angabe (bei Strabon 5, p. 228), dass die
+Roemer zuerst nach der Besiegung der Sabiner sich dem Luxus ergeben
+haetten (aisthesthai to? plontoy), ist offenbar nur eine abersetzung
+derselben Anekdote ins Historische; denn die Besiegung der
+Sabiner faellt in Rufinus' erstes Konsulat.
+------------------------------------- Endlich trat denn auch Rom
+als Haupt der roemisch-italischen Eidgenossenschaft wie in das
+hellenistische Staatensystem, so auch in das hellenische Geld- und
+Muenzwesen ein. Bis dahin hatten die Gemeinden Nord- und Mittelitaliens
+mit wenigen Ausnahmen einzig Kupfercourant, die sueditalischen Staedte
+dagegen durchgaengig Silbergeld geschlagen und es der Muenzfuesse und
+Muenzsysteme gesetzlich so viele gegeben, als es souveraene Gemeinden in
+Italien gab. Im Jahre 485 (269) wurden alle diese Muenzstaetten auf
+die Praegung von Scheidemuenze beschraenkt, ein allgemeiner, fuer ganz
+Italien geltender Courantfuss eingefuehrt und die Courantpraegung in Rom
+zentralisiert, nur dass Capua seine eigene, zwar unter roemischem Namen,
+aber auf abweichenden Fuss gepraegte Silbermuenze auch ferner behielt.
+Das neue Muenzsystem beruhte auf dem gesetzlichen Verhaeltnisse der
+beiden Metalle, wie dasselbe seit langem feststand; die gemeinsame
+Muenzeinheit war das Stueck von zehn, nicht mehr pfuendigen, sondern auf
+das Drittelpfund reduzierten Assen, der Denarius, in Kupfer 3 1/3, in
+Silber 1/72 eines roemischen Pfundes, eine Kleinigkeit mehr als
+die attische Drachme. Zunaechst herrschte in der Praegung noch die
+Kupfermuenze vor und wahrscheinlich ist der aelteste Silberdenar
+hauptsaechlich fuer Unteritalien und fuer den Verkehr mit dem Ausland
+geschlagen worden. Wie aber der Sieg der Roemer ueber Pyrrhos und
+Tarent und die roemische Gesandtschaft nach Alexandreia dem griechischen
+Staatsmanne dieser Zeit zu denken geben mussten, so mochte auch
+der einsichtige griechische Kaufmann wohl nachdenklich diese neuen
+roemischen Drachmen betrachten, deren flaches, unkuenstlerisches und
+einfoermiges Gepraege neben dem gleichzeitigen wunderschoenen
+der Muenzen des Pyrrhos und der Sikelioten freilich duerftig
+und unansehnlich erscheint, die aber dennoch keineswegs, wie die
+Barbarenmuenzen des Altertums, sklavisch nachgeahmt und in Schrot und
+Korn ungleich sind, sondern mit ihrer selbstaendigen und gewissenhaften
+Praegung von Haus aus jeder griechischen ebenbuertig sich an die
+Seite stellen. Wenn also von der Entwicklung der Verfassungen, von
+den Voelkerkaempfen um Herrschaft und Freiheit, wie sie Italien und
+insbesondere Rom von der Verbannung des Tarquinischen Geschlechts bis
+zur Ueberwaeltigung der Samniten und der italischen Griechen bewegten,
+der Blick sich wendet zu den stilleren Kreisen des menschlichen Daseins,
+die die Geschichte doch auch beherrscht und durchdringt, so begegnet ihm
+ebenfalls ueberall die Nachwirkung der grossartigen Ereignisse, durch
+welche die roemische Buergerschaft die Fesseln des Geschlechterregiments
+sprengte und die reiche Fuelle der nationalen Bildungen Italiens
+allmaehlich unterging, um ein einziges Volk zu bereichern. Durfte
+auch der Geschichtschreiber es nicht versuchen, den grossen Gang
+der Ereignisse in die grenzenlose Mannigfaltigkeit der individuellen
+Gestaltung hinein zu verfolgen, so ueberschritt er doch seine Aufgabe
+nicht, wenn er, aus der zertruemmerten Ueberlieferung einzelne
+Bruchstuecke ergreifend, hindeutete auf die wichtigsten Aenderungen,
+die in dieser Epoche im italischen Volksleben stattgefunden haben. Wenn
+dabei noch mehr als frueher das roemische in den Vordergrund trat, so
+ist dies nicht bloss in den zufaelligen Luecken unserer Ueberlieferung
+begruendet; vielmehr ist es eine wesentliche Folge der veraenderten
+politischen Stellung Roms, dass die latinische Nationalitaet die
+uebrigen italischen immer mehr verdunkelt. Es ist schon darauf
+hingewiesen worden, dass in dieser Epoche die Nachbarlaender, das
+suedliche Etrurien, die Sabina, das Volskerland sich zu romanisieren
+anfingen, wovon der fast gaenzliche Mangel von Sprachdenkmaelern der
+alten Landesdialekte und das Vorkommen sehr alter roemischer Inschriften
+in diesen Gegenden Zeugnis ablegt; die Aufnahme der Sabiner in das
+volle Buergerrecht am Ende dieser Periode spricht dafuer, dass die
+Latinisierung Mittelitaliens schon damals das bewusste Ziel der
+roemischen Politik war. Die zahlreich durch ganz Italien zerstreuten
+Einzelassignationen und Kolonialgruendungen sind nicht bloss
+militaerisch, sondern auch sprachlich und national die vorgeschobenen
+Posten des latinischen Stammes. Die Latinisierung der Italiker
+ueberhaupt ward schwerlich schon damals beabsichtigt; im Gegenteil
+scheint der roemische Senat den Gegensatz der latinischen gegen die
+uebrigen Nationalitaeten absichtlich aufrecht erhalten zu haben
+und gestattete zum Beispiel die Einfuehrung des Lateinischen in den
+offiziellen Sprachgebrauch den kampanischen Halbbuergergemeinden noch
+nicht. Indes die Natur der Verhaeltnisse ist staerker als selbst die
+staerkste Regierung; mit dem latinischen Volke gewannen auch dessen
+Sprache und Sitte in Italien zunaechst das Prinzipat und fingen bereits
+an, die uebrigen italischen Nationalitaeten zu untergraben. Gleichzeitig
+wurden dieselben von einer anderen Seite und mit einem anders
+begruendeten Uebergewicht angegriffen durch den Hellenismus. Es war dies
+die Epoche, wo das Griechentum seiner geistigen Ueberlegenheit ueber die
+uebrigen Nationen anfing, sich bewusst zu werden und nach allen Seiten
+hin Propaganda zu machen. Auch Italien blieb davon nicht unberuehrt. Die
+merkwuerdigste Erscheinung in dieser Art bietet Apulien, das seit dem
+fuenften Jahrhundert Roms allmaehlich seine barbarische Mundart ablegte
+und sich im stillen hellenisierte. Es erfolgte dies aehnlich wie
+in Makedonien und Epeiros nicht durch Kolonisierung, sondern durch
+Zivilisierung, die mit dem tarentinischen Landhandel Hand in Hand
+gegangen zu sein scheint - wenigstens spricht es fuer die letztere
+Annahme, dass die den Tarentinern befreundeten Landschaften der
+Poediculer und Daunier die Hellenisierung vollstaendiger durchfuehrten
+als die Tarent naeher wohnenden, aber bestaendig mit ihm hadernden
+Sallentiner, und dass die am fruehesten graezisierten Staedte, zum
+Beispiel Arpi, nicht an der Kueste gelegen waren. Dass auf Apulien das
+griechische Wesen staerkeren Einfluss uebte als auf irgendeine andere
+italische Landschaft, erklaert sich teils aus seiner Lage, teils aus der
+geringen Entwicklung einer eigenen nationalen Bildung, teils wohl
+auch aus seiner dem griechischen Stamm minder fremd als die uebrigen
+italischen gegenueberstehenden Nationalitaet. Indes ist schon frueher
+darauf aufmerksam gemacht worden, dass auch die suedlichen sabellischen
+Staemme, obwohl zunaechst sie im Verein mit syrakusanischen Tyrannen
+das hellenische Wesen in Grossgriechenland knickten und verdarben,
+doch zugleich durch die Beruehrung und Mischung mit den Griechen teils
+griechische Sprache neben der einheimischen annahmen, wie die Brettier
+und Nolaner, teils wenigstens griechische Schrift und griechische Sitte,
+wie die Lucaner und ein Teil der Kampaner. Etrurien zeigt gleichfalls
+die Ansaetze einer verwandten Entwicklung in den bemerkenswerten dieser
+Epoche angehoerenden Vasenfunden, in denen es mit Kampanien und Lucanien
+rivalisiert; und wenn Latium und Samnium dem Hellenismus fernergeblieben
+sind, so fehlt es doch auch hier nicht an Spuren des beginnenden und
+immer steigenden Einflusses griechischer Bildung. In allen Zweigen der
+roemischen Entwicklung dieser Epoche, in Gesetzgebung und Muenzwesen, in
+der Religion, in der Bildung der Stammsage stossen wir auf griechische
+Spuren, und namentlich seit dem Anfang des fuenften Jahrhunderts, das
+heisst seit der Eroberung Kampaniens, erscheint der griechische Einfluss
+auf das roemische Wesen in raschem und stets zunehmendem Wachstum.
+In das vierte Jahrhundert faellt die Einrichtung der auch sprachlich
+merkwuerdigen "graecostasis", einer Tribuene auf dem roemischen Markt
+fuer die vornehmen griechischen Fremden, zunaechst die Massalioten. Im
+folgenden fangen die Jahrbuecher an, vornehme Roemer mit griechischen
+Beinamen, wie Philippos oder roemisch Pilipus, Philon, Sophos, Hypsaeos
+aufzuweisen. Griechische Sitten dringen ein; so der nichtitalische
+Gebrauch, Inschriften zur Ehre des Toten auf dem Grabmal anzubringen,
+wovon die Grabschrift des Lucius Scipio, Konsul 456 (298), das aelteste
+uns bekannte Beispiel ist; so die gleichfalls den Italikern fremde
+Weise, ohne Gemeindebeschluss an oeffentlichen Orten den Vorfahren
+Ehrendenkmaeler zu errichten, womit der grosse Neuerer Appius Claudius
+den Anfang machte, als er in dem neuen Tempel der Bellona Erzschilde mit
+den Bildern und den Elogien seiner Vorfahren aufhaengen liess (442 312);
+so die im Jahre 461 (293) bei dem roemischen Volksfest eingefuehrte
+Erteilung von Palmzweigen an die Wettkaempfer; so vor allem die
+griechische Tischsitte. Die Weise, bei Tische nicht wie ehemals auf
+Baenken zu sitzen, sondern auf Sofas zu liegen; die Verschiebung der
+Hauptmahlzeit von der Mittag- auf die Stunde zwischen zwei und drei Uhr
+nachmittags nach unserer Rechnung; die Trinkmeister bei den Schmaeusen,
+welche meistens durch Wuerfelung aus den Gaesten fuer den Schmaus
+bestellt werden und nun den Tischgenossen vorschreiben, was, wie
+und wann getrunken werden soll; die nach der Reihe von den Gaesten
+gesungenen Tischlieder, die freilich in Rom nicht Skolien, sondern
+Ahnengesaenge waren - alles dies ist in Rom nicht urspruenglich und doch
+schon in sehr alter Zeit den Griechen entlehnt; denn zu Catos Zeit waren
+diese Gebraeuche bereits gemein, ja zum Teil schon wieder abgekommen.
+Man wird daher ihre Einfuehrung spaetestens in diese Zeit zu setzen
+haben. Charakteristisch ist auch die Errichtung der Bildsaeulen des
+"weisesten und des tapfersten Griechen" auf dem roemischen Markt, die
+waehrend der Samnitischen Kriege auf Geheiss des pythischen Apollon
+stattfand; man waehlte, offenbar unter sizilischem oder kampanischem
+Einfluss, den Pythagoras und den Alkibiades, den Heiland und den
+Hannibal der Westhellenen. Wie verbreitet die Kenntnis des Griechischen
+schon im fuenften Jahrhundert unter den vornehmen Roemern war, beweisen
+die Gesandtschaften der Roemer nach Tarent, wo der Redner der Roemer,
+wenn auch nicht im reinsten Griechisch, doch ohne Dolmetsch sprach,
+und des Kineas nach Rom. Es leidet kaum einen Zweifel, dass seit dem
+fuenften Jahrhundert die jungen Roemer, die sich den Staatsgeschaeften
+widmeten, durchgaengig die Kunde der damaligen Welt- und
+Diplomatensprache sich erwarben. So schritt auf dem geistigen Gebiet der
+Hellenismus ebenso unaufhaltsam vorwaerts, wie der Roemer arbeitete, die
+Erde sich untertaenig zu machen; und die sekundaeren Nationalitaeten,
+wie die samnitische, keltische, etruskische, verloren, von zwei Seiten
+her bedraengt, immer mehr an Ausdehnung wie an innerer Kraft. Wie aber
+die beiden grossen Nationen, beide angelangt auf dem Hoehepunkt ihrer
+Entwicklung, in feindlicher wie in freundlicher Beruehrung anfangen sich
+zu durchdringen, tritt zugleich ihre Gegensaetzlichkeit, der gaenzliche
+Mangel alles Individualismus in dem italischen und vor allem in dem
+roemischen Wesen gegenueber der unendlichen stammlichen, oertlichen und
+menschlichen Mannigfaltigkeit des Hellenismus in voller Schaerfe hervor.
+Es gibt keine gewaltigere Epoche in der Geschichte Roms als die Epoche
+von der Einsetzung der roemischen Republik bis auf die Unterwerfung
+Italiens; in ihr wurde das Gemeinwesen nach innen wie nach aussen
+begruendet, in ihr das einige Italien erschaffen, in ihr das
+traditionelle Fundament des Landrechts und der Landesgeschichte erzeugt,
+in ihr das Pilum und der Manipel, der Strassen- und Wasserbau, die
+Guts- und Geldwirtschaft begruendet, in ihr die Kapitolinische
+Woelfin gegossen und das ficoronische Kaestchen gezeichnet. Aber die
+Individualitaeten, welche zu diesem Riesenbau die einzelnen Steine
+herbeigetragen und sie zusammengefuegt haben, sind spurlos verschollen
+und die italischen Voelkerschaften nicht voelliger in der roemischen
+aufgegangen als der einzelne roemische Buerger in der roemischen
+Gemeinde. Wie das Grab in gleicher Weise ueber dem bedeutenden wie ueber
+dem geringen Menschen sich schliesst, so steht auch in der roemischen
+Buergermeisterliste der nichtige Junker ununterscheidbar neben dem
+grossen Staatsmann. Von den wenigen Aufzeichnungen, welche aus dieser
+Zeit bis auf uns gekommen sind, ist keine ehrwuerdiger und keine
+zugleich charakteristischer als die Grabschrift des Lucius Cornelius
+Scipio, der im Jahre 456 (298) Konsul war und drei Jahre nachher in der
+Entscheidungsschlacht bei Sentinum mitfocht. Auf dem schoenen Sarkophag
+in edlem dorischen Stil, der noch vor achtzig Jahren den Staub
+des Besiegers der Samniten einschloss, ist der folgende Spruch
+eingeschrieben: Cornelius Lucius - Scipio Barbatus, Gnaivod patre
+prognatus, - fortis vir sapiensque, Quoius forma virtu - tei parisuma
+fuit, Consol censor aidilis - quei fuit apud vos, Taurasia Cisauna -
+Samnio cepit, Subigit omne Loucanam - opsidesque abdoucit. Cornelius
+Lucius - Scipio Barbatus, Des Vaters Gnaevos Sohn, ein - Mann so klug
+wie tapfer, Des Wohlgestalt war seiner - Tugend angemessen, Der Konsul,
+Zensor war bei - euch wie auch Aedilis, Taurasia, Cisauna - nahm er ein
+in Samnium, Bezwingt Lucanien ganz und - fuehret weg die Geiseln. So wie
+diesem roemischen Staatsmann und Krieger mochte man unzaehligen anderen,
+die an der Spitze des roemischen Gemeinwesens gestanden haben, es
+nachruehmen, dass sie adlige und schoene, tapfere und kluge Maenner
+gewesen; aber weiter war auch nichts von ihnen zu melden. Es ist wohl
+nicht bloss Schuld der Ueberlieferung, dass keiner dieser Cornelier,
+Fabier, Papirier und wie sie weiter heissen, uns in einem menschlich
+bestimmten Bild entgegentritt. Der Senator soll nicht schlechter und
+nicht besser, ueberhaupt nicht anders sein als die Senatoren alle; es
+ist nicht noetig und nicht wuenschenswert, dass ein Buerger die uebrigen
+uebertreffe, weder durch prunkendes Silbergeraet und hellenische Bildung
+noch durch ungemeine Weisheit und Trefflichkeit. Jene Ausschreitungen
+straft der Zensor und fuer diese ist kein Raum in der Verfassung. Das
+Rom dieser Zeit gehoert keinem einzelnen an; die Buerger muessen sich
+alle gleichen, damit jeder einem Koenig gleich sei. Allerdings macht
+schon jetzt daneben die hellenische Individualentwicklung sich geltend;
+und die Genialitaet und Gewaltsamkeit derselben traegt eben wie die
+entgegengesetzte Richtung den vollen Stempel dieser grossen Zeit. Es
+ist nur ein einziger Mann hier zu nennen; aber in ihm ist auch der
+Fortschrittsgedanke gleichsam inkarniert. Appius Claudius (Zensor 442
+312; Konsul 447, 458 307, 296), der Ururenkel des Dezemvirs, war ein
+Mann von altem Adel und stolz auf die lange Reihe seiner Ahnen;
+aber dennoch ist er es gewesen, der die Beschraenkung des vollen
+Gemeindebuergerrechts auf die ansaessigen Leute gesprengt, der das alte
+Finanzsystem gebrochen hat. Von Appius Claudius datieren nicht bloss
+die roemischen Wasserleitungen und Chausseen, sondern auch die roemische
+Jurisprudenz, Eloquenz, Poesie und Grammatik - die Veroeffentlichung
+eines Klagspiegels, aufgezeichnete Reden und pythagoreische Sprueche,
+selbst Neuerungen in der Orthographie werden ihm beigelegt. Man darf
+ihn darum noch nicht unbedingt einen Demokraten nennen, noch ihn jener
+Oppositionspartei beizaehlen, die in Manius Curius ihren Vertreter fand;
+in ihm war vielmehr der Geist der alten und neuen patrizischen Koenige
+maechtig, der Geist der Tarquinier und der Caesaren, zwischen denen er
+in dem fuenfhundertjaehrigen Interregnum ausserordentlicher Taten und
+gewoehnlicher Maenner die Verbindung macht. Solange Appius Claudius
+an dem oeffentlichen Leben taetigen Anteil nahm, trat er in seiner
+Amtsfuehrung wie in seinem Lebenswandel, keck und ungezogen wie ein
+Athener, nach rechts wie nach links hin Gesetzen und Gebraeuchen
+entgegen; bis dann, nachdem er laengst von der politischen Buehne
+abgetreten war, der blinde Greis wie aus dem Grabe wiederkehrend, in der
+entscheidenden Stunde den Koenig Pyrrhos im Senate ueberwand und Roms
+vollendete Herrschaft ueber Italien zuerst foermlich und feierlich
+aussprach. Aber der geniale Mann kam zu frueh oder zu spaet; die Goetter
+blendeten ihn wegen seiner unzeitigen Weisheit. Nicht das Genie des
+einzelnen herrschte in Rom und durch Rom in Italien, sondern der eine
+unbewegliche, von Geschlecht zu Geschlecht im Senat fortgepflanzte
+politische Gedanke, in dessen leitende Maximen schon die senatorischen
+Knaben sich hineinlebten, indem sie in Begleitung ihrer Vaeter mit zum
+Rate gingen und an der Tuer des Saales der Weisheit derjenigen Maenner
+lauschten, auf deren Stuehlen sie dereinst bestimmt waren zu sitzen.
+So wurden ungeheure Erfolge um ungeheuren Preis erreicht; denn auch der
+Nike folgt ihre Nemesis. Im roemischen Gemeinwesen kommt es auf keinen
+Menschen besonders an, weder auf den Soldaten noch auf den Feldherrn,
+und unter der starren sittlich- polizeilichen Zucht wird jede
+Eigenartigkeit des menschlichen Wesens erstickt. Rom ist gross geworden
+wie kein anderer Staat des Altertums; aber es hat seine Groesse teuer
+bezahlt mit der Aufopferung der anmutigen Mannigfaltigkeit, der bequemen
+Laesslichkeit, der innerlichen Freiheit des hellenischen Lebens. 9.
+Kapitel Kunst und Wissenschaft Die Entwicklung der Kunst und namentlich
+der Dichtkunst steht im Altertum im engsten Zusammenhang mit der
+Entwicklung der Volksfeste. Das schon in der vorigen Epoche wesentlich
+unter griechischem Einfluss, zunaechst als ausserordentliche Feier,
+geordnete Dankfest der roemischen Gemeinde, die "grossen" oder
+"roemischen Spiele", nahm waehrend der gegenwaertigen an Dauer wie an
+Mannigfaltigkeit der Belustigungen zu. Urspruenglich beschraenkt auf die
+Dauer eines Tages wurde das Fest nach der gluecklichen Beendigung
+der drei grossen Revolutionen von 245, 260 und 387 (509, 494 und 367)
+jedesmal um einen Tag verlaengert und hatte am Ende dieser Periode also
+bereits eine viertaegige Dauer ^1. Wichtiger noch war es, dass das Fest
+wahrscheinlich mit Einsetzung der von Haus aus mit der Ausrichtung und
+Ueberwachung desselben betrauten kurulischen Aedilitaet (387 367)
+seinen ausserordentlichen Charakter und damit seine Beziehung auf ein
+bestimmtes Feldherrngeluebde verlor und in die Reihe der ordentlichen,
+jaehrlich wiederkehrenden als erstes unter allen eintrat. Indes blieb
+die Regierung beharrlich dabei, das eigentliche Schaufest, namentlich
+das Hauptstueck, das Wagenrennen, nicht mehr als einmal am Schluss
+des Festes stattfinden zu lassen; an den uebrigen Tagen war es wohl
+zunaechst der Menge ueberlassen, sich selber ein Fest zu geben, obwohl
+Musikanten, Taenzer, Seilgaenger, Taschenspieler, Possenreisser und
+dergleichen Leute mehr nicht verfehlt haben werden, gedungen oder nicht
+gedungen, dabei sich einzufinden. Aber um das Jahr 390 (364) trat
+eine wichtige Veraenderung ein, welche mit der vielleicht gleichzeitig
+erfolgten Fixierung und Verlaengerung des Festes in Zusammenhang stehen
+wird: man schlug von Staats wegen waehrend der ersten drei Tage
+im Rennplatz ein Brettergeruest auf und sorgte fuer angemessene
+Vorstellungen auf demselben zur Unterhaltung der Menge. Um indes nicht
+auf diesem Wege zu weit gefuehrt zu werden, wurde fuer die Kosten des
+Festes eine feste Summe von 200000 Assen (14500 Taler) ein fuer allemal
+aus der Staatskasse ausgeworfen und diese ist auch bis auf die Punischen
+Kriege nicht gesteigert worden; den etwaigen Mehrbetrag mussten die
+Aedilen, welche diese Summe zu verwenden hatten, aus ihrer Tasche
+decken und es ist nicht wahrscheinlich, dass sie in dieser Zeit oft und
+betraechtlich vom Eigenen zugeschossen haben. Dass die neue Buehne im
+allgemeinen unter griechischem Einfluss stand, beweist schon ihr Name
+(scaena sk/e/n/e/). Sie war zwar zunaechst lediglich fuer Spielleute und
+Possenreisser jeder Art bestimmt, unter denen die Taenzer zur Floete,
+namentlich die damals gefeierten etruskischen, wohl noch die vornehmsten
+sein mochten; indes war nun doch eine oeffentliche Buehne in Rom
+entstanden und bald oeffnete dieselbe sich auch den roemischen Dichtern.
+------------------------------------------------------- ^1 Was Dionys
+(6, 95; vgl. B. G. Niebuhr, Roemische Geschichte. Bd. 2, S. 40) und,
+schoepfend aus einer anderen Dionysischen Stelle, Plutarch (Cam. 42)
+von dem latinischen Fest berichtet, ist, wie ausser anderen Gruenden
+schlagend die Vergleichung der letzteren Stelle mit Liv. 6, 42 (F. W.
+Ritschl, Parerga zu Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 313)
+zeigt, vielmehr von den roemischen Spielen zu verstehen; Dionys hat, und
+zwar nach seiner Gewohnheit im Verkehrten beharrlich, den Ausdruck ludi
+maximi missverstanden. Uebrigens gab es auch eine Ueberlieferung, wonach
+der Ursprung des Volksfestes, statt wie gewoehnlich auf die Besiegung
+der Latiner durch den ersten Tarquinius, vielmehr auf die Besiegung der
+Latiner am Regiller See zurueckgefuehrt ward (Cic. div. 1, 26, 55;
+Dion. Hal. 7, 71). Dass die wichtigen, an der letzten Stelle aus Fabius
+aufbehaltenen Angaben in der Tat auf das gewoehnliche Dankfest und nicht
+auf eine besondere Votivfeierlichkeit gehen, zeigt die ausdrueckliche
+Hinweisung auf die jaehrliche Wiederkehr der Feier und die genau mit
+der Angabe bei dem falschen Asconius (Ps. Ascon. p. 142 Or.) stimmende
+Kostensumme. --------------------------------------------------- Denn
+an Dichtern fehlte es in Latium nicht. Latinische "Vaganten" oder
+"Baenkelsaenger" (grassatores, spatiatores) zogen von Stadt zu Stadt und
+von Haus zu Haus und trugen ihre Lieder (saturae) mit gestikulierendem
+Tanz zur Floetenbegleitung vor. Das Mass war natuerlich das einzige, das
+es damals gab, das sogenannte saturnische. Eine bestimmte Handlung lag
+den Liedern nicht zugrunde, und ebensowenig scheinen sie dialogisiert
+gewesen zu sein; man wird sich dieselben nach dem Muster jener
+eintoenigen, bald improvisierten, bald rezitierten Ballaten und
+Tarantellen vorstellen duerfen, wie man sie heute noch in den roemischen
+Osterien zu hoeren bekommt. Dergleichen Lieder kamen denn auch frueh
+auf die oeffentliche Buehne und sind allerdings der erste Keim des
+roemischen Theaters geworden. Aber diese Anfaenge der Schaubuehne sind
+in Rom nicht bloss, wie ueberall, bescheiden, sondern in bemerkenswerter
+Weise gleich von vornherein bescholten. Schon die Zwoelf Tafeln treten
+dem ueblen und nichtigen Singsang entgegen, indem sie nicht bloss auf
+Zauber-, sondern selbst auf Spottlieder, die man auf einen Mitbuerger
+verfertigt oder ihm vor der Tuere absingt, schwere Kriminalstrafen
+setzen und die Zuziehung von Klagefrauen bei der Bestattung verbieten.
+Aber weit strenger als durch die gesetzlichen Restriktionen ward die
+beginnende Kunstuebung durch den sittlichen Bann getroffen, welchen der
+philisterhafte Ernst des roemischen Wesens gegen diese leichtsinnigen
+und bezahlten Gewerbe schleuderte. "Das Dichterhandwerk", sagt Cato,
+"war sonst nicht angesehen; wenn jemand damit sich abgab oder bei den
+Gelagen sich anhaengte, so hiess er ein Bummler." Wer nun aber gar Tanz,
+Musik und Baenkelgesang fuer Geld betrieb, ward bei der immer mehr sich
+festsetzenden Bescholtenheit eines jeden durch Dienstverrichtungen
+gegen Entgelt gewonnenen Lebensunterhalts von einem zwiefachen Makel
+getroffen. Wenn daher das Mitwirken bei den landueblichen maskierten
+Charakterpossen als ein unschuldiger jugendlicher Mutwille betrachtet
+ward, so galt das Auftreten auf der oeffentlichen Buehne fuer Geld und
+ohne Masken geradezu fuer schaendlich, und der Saenger und Dichter stand
+dabei mit dem Seiltaenzer und dem Hanswurst voellig in gleicher Reihe.
+Dergleichen Leute wurden durch die Sittenmeister regelmaessig
+fuer unfaehig erklaert, in dem Buergerheer zu dienen und in der
+Buergerversammlung zu stimmen. Es wurde ferner nicht bloss, was allein
+schon bezeichnend genug ist, die Buehnendirektion betrachtet als zur
+Kompetenz der Stadtpolizei gehoerig, sondern es ward auch der
+Polizei wahrscheinlich schon in dieser Zeit gegen die gewerbmaessigen
+Buehnenkuenstler eine ausserordentliche arbitraere Gewalt eingeraeumt.
+Nicht allein hielten die Polizeiherren nach vollendeter Auffuehrung
+ueber sie Gericht, wobei der Wein fuer die geschickten Leute ebenso
+reichlich floss, wie fuer den Stuemper die Pruegel fielen, sondern es
+waren auch saemtliche staedtische Beamte gesetzlich befugt, ueber jeden
+Schauspieler zu jeder Zeit und an jedem Orte koerperliche Zuechtigung
+und Einsperrung zu verhaengen. Die notwendige Folge davon war, dass
+Tanz, Musik und Poesie, wenigstens soweit sie auf der oeffentlichen
+Buehne sich zeigten, den niedrigsten Klassen der roemischen
+Buergerschaft und vor allem den Fremden in die Haende fielen; und wenn
+in dieser Zeit die Poesie dabei noch ueberhaupt eine zu geringe Rolle
+spielte, als dass fremde Kuenstler mit ihr sich beschaeftigt haetten,
+so darf dagegen die Angabe, dass in Rom die gesamte sakrale und profane
+Musik wesentlich etruskisch, also die alte, einst offenbar hochgehaltene
+latinische Floetenkunst durch die fremdlaendische unterdrueckt war,
+schon fuer diese Zeit gueltig erachtet werden. Von einer poetischen
+Literatur ist keine Rede. Weder die Maskenspiele noch die
+Buehnenrezitationen koennen eigentlich feste Texte gehabt haben, sondern
+wurden je nach Beduerfnis regelmaessig von den Vortragenden selbst
+verfertigt. Von schriftstellerischen Arbeiten aus dieser Zeit wusste man
+spaeterhin nichts aufzuzeigen als eine Art roemischer 'Werke und Tage',
+eine Unterweisung des Bauern an seinen Sohn ^2, und die schon erwaehnten
+pythagoreischen Gedichte des Appius Claudius, den ersten Anfang
+hellenisierender roemischer Poesie. Uebrig geblieben ist von den
+Dichtungen dieser Epoche nichts als eine und die andere Grabschrift
+im saturnischen Masse. Wie die Anfaenge der roemischen Schaubuehne so
+gehoeren auch die Anfaenge der roemischen Geschichtschreibung in
+diese Epoche, sowohl der gleichzeitigen Aufzeichnung der merkwuerdigen
+Ereignisse wie der konventionellen Feststellung der Vorgeschichte der
+roemischen Gemeinde. Die gleichzeitige Geschichtschreibung knuepft an
+das Beamtenverzeichnis an. Das am weitesten zurueckreichende, das den
+spaeteren roemischen Forschern vorgelegen hat und mittelbar auch uns
+noch vorliegt, scheint aus dem Archiv des kapitolinischen Jupitertempels
+herzuruehren, da es von dem Konsul Marcus Horatius an, der denselben
+am 13. September seines Amtsjahres einweihte, die Namen der jaehrigen
+Gemeindevorsteher auffuehrt, auch auf das unter den Konsuln Publius
+Servilius und Lucius Aebutius (nach der jetzt gangbaren Zaehlung 291 der
+Stadt 463) bei Gelegenheit einer schweren Seuche erfolgte Geloebnis:
+von da an jedes hundertste Jahr in die Wand des kapitolinischen Tempels
+einen Nagel zu schlagen, Ruecksicht nimmt. Spaeterhin sind es die Mass-
+und Schriftgelehrten der Gemeinde, das heisst die Pontifices, welche
+die Namen der jaehrigen Gemeindevorsteher von Amts wegen verzeichnen
+und also mit der aelteren Monat- eine Jahrtafel verbinden; beide werden
+seitdem unter dem - eigentlich nur der Gerichtstagtafel zukommenden -
+Namen der Fasten zusammengefasst. Diese Einrichtung mag nicht lange nach
+der Abschaffung des Koenigtums getroffen sein, da in der Tat, um
+die Reihenfolge der oeffentlichen Akte konstatieren zu koennen,
+die offizielle Verzeichnung der Jahrbeamten dringendes praktisches
+Beduerfnis war; aber wenn es ein so altes offizielles Verzeichnis der
+Gemeindebeamten gegeben hat, so ist dies wahrscheinlich im
+gallischen Brande (364 390) zugrunde gegangen und die Liste des
+Pontifikalkollegiums nachher aus der von dieser Katastrophe nicht
+betroffenen kapitolinischen, so weit diese zurueckreichte, ergaenzt
+worden. Dass das uns vorliegende Vorsteherverzeichnis zwar in den
+Nebensachen, besonders den genealogischen Angaben nach der Hand aus den
+Stammbaeumen des Adels vervollstaendigt worden ist, im wesentlichen
+aber von Anfang an auf gleichzeitige und glaubwuerdige Aufzeichnungen
+zurueckgeht, leidet keinen Zweifel; die Kalenderjahre aber gibt dasselbe
+nur unvollkommen und annaehernd wieder, da die Gemeindevorsteher
+nicht mit dem Neujahr, ja nicht einmal mit einem ein fuer allemal
+festgestellten Tage antraten, sondern aus mancherlei Veranlassungen
+der Antrittstag sich hin und her schob und die haeufig zwischen zwei
+Konsulaten eintretenden Zwischenregierungen in der Rechnung nach
+Amtsjahren ganz ausfielen. Wollte man dennoch nach dieser Vorsteherliste
+die Kalenderjahre zaehlen, so war es noetig, den Antritts- und
+Abgangstag eines jeden Kollegiums nebst den etwaigen Interregnen mit
+anzumerken; und auch dies mag frueh geschehen sein. Ausserdem aber
+wurde die Liste der Jahrbeamten zur Kalenderjahrliste in der Weise
+hergerichtet, dass man durch Akkommodation jedem Kalenderjahr ein
+Beamtenpaar zuteilte und, wo die Liste nicht ausreichte, Fuelljahre
+einlegte, welche in der spaeteren (Varronischen) Tafel mit den Ziffern
+379-383, 421, 430, 445, 453 bezeichnet sind. Vom Jahre 291 (463) ist
+die roemische Liste nachweislich, zwar nicht im einzelnen, wohl aber im
+ganzen, mit dem roemischen Kalender in Uebereinstimmung, also insoweit
+chronologisch sicher, als die Mangelhaftigkeit des Kalenders selbst dies
+verstattet; die jenseits jenes Jahres liegenden 47 Jahrstellen entziehen
+sich der Kontrolle, werden aber wenigstens in der Hauptsache gleichfalls
+richtig sein ^3; was jenseits des Jahres 245 (509) liegt,
+ist chronologisch verschollen.
+----------------------------------------------------- ^2 Erhalten ist
+davon das Bruchstueck: Bei trocknem Herbste, nassem - Fruehling, wirst
+du, Knabe, Einernten grosse Spelte. Wir wissen freilich nicht, mit
+welchem Rechte dieses Gedicht spaeterhin als das aelteste roemische
+galt (Macr. Sat. 5, 20; Fest. v. flaminius p. 93 M; Serv. georg. 1,
+101; Plin. nat. 17, 2, 14). ^3 Nur die ersten Stellen in der Liste geben
+Anlass zum Verdacht und moegen spaeter hinzugefuegt sein, um die Zahl
+der Jahre von der Koenigsflucht bis zum Stadtbrande auf 120
+abzurunden. ------------------------------------------------ Eine
+gemeingebraeuchliche Aera hat sich nicht gebildet; doch ist in
+sakralen Verhaeltnissen gezaehlt worden nach dem Einweihungsjahr des
+kapitolinischen Jupitertempels, von wo ab ja auch die Beamtenliste lief.
+Nahe lag es, neben den Namen der Beamten die wichtigsten unter ihrer
+Amtsfuehrung vorgefallenen Ereignisse anzumerken; und aus solchen, dem
+Beamtenkatalog beigefuegten Nachrichten ist die roemische Chronik,
+ganz wie aus den der Ostertafel beigeschriebenen Notizen die
+mittelalterliche, hervorgegangen. Aber erst spaet kam es zu der Anlegung
+einer foermlichen, die Namen saemtlicher Beamten und die merkwuerdigen
+Ereignisse Jahr fuer Jahr stetig verzeichnenden Chronik (liber annalis)
+durch die Pontifices. Vor der unter dem 5. Juni 351 (403) angemerkten
+Sonnenfinsternis, womit wahrscheinlich die vom 20. Juni 354
+(400) gemeint ist, fand sich in der spaeteren Stadtchronik keine
+Sonnenfinsternis nach Beobachtung verzeichnet; die Zensuszahlen
+derselben fangen erst seit dem Anfang des fuenften Jahrhunderts der
+Stadt an, glaublich zu lauten; die vor dem Volk gefuehrten Busssachen
+und die von Gemeinde wegen gesuehnten Wunderzeichen scheint man erst
+seit der zweiten Haelfte des fuenften Jahrhunderts regelmaessig in die
+Chronik eingetragen zu haben. Allem Anschein nach hat die Einrichtung
+eines geordneten Jahrbuchs und, was sicher damit zusammenhaengt, die
+eben eroerterte Redaktion der aelteren Beamtenliste zum Zweck der
+Jahrzaehlung mittels Einlegung der chronologisch noetigen Fuelljahre in
+der ersten Haelfte des fuenften Jahrhunderts stattgefunden. Aber auch
+nachdem sich die Uebung festgestellt hatte, dass es dem Oberpontifex
+obliege, Kriegslaeufte und Kolonisierungen, Pestilenz und teuere
+Zeit, Finsternisse und Wunder, Todesfaelle der Priester und anderer
+angesehener Maenner, die neuen Gemeindebeschluesse, die Ergebnisse
+der Schatzung Jahr fuer Jahr aufzuschreiben und diese Anzeichnungen in
+seiner Amtwohnung zu bleibendem Gedaechtnis und zu jedermanns Einsicht
+aufzustellen, war man damit von einer wirklichen Geschichtschreibung
+noch weit entfernt. Wie duerftig die gleichzeitige Aufzeichnung noch am
+Schlusse dieser Periode war und wie weiten Spielraum sie der Willkuer
+spaeterer Annalisten gestattete, zeigt mit schneidender Deutlichkeit die
+Vergleichung der Berichte ueber den Feldzug vom Jahre 456 (298) in
+den Jahrbuechern und auf der Grabschrift des Konsuls Scipio ^4. Die
+spaeteren Historiker waren augenscheinlich ausserstande, aus diesen
+Stadtbuchnotizen einen lesbaren und einigermassen zusammenhaengenden
+Bericht zu gestalten; und auch wir wuerden, selbst wenn uns das
+Stadtbuch noch in seiner urspruenglichen Fassung vorlaege, schwerlich
+daraus die Geschichte der Zeit pragmatisch zu schreiben vermoegen. Indes
+gab es solche Stadtchroniken nicht bloss in Rom, sondern jede latinische
+Stadt hat wie ihre Pontifices, so auch ihre Annalen besessen, wie dies
+aus einzelnen Notizen zum Beispiel fuer Ardea, Ameria, Interamna am Nar
+deutlich hervorgeht; und mit der Gesamtheit dieser Stadtchroniken haette
+vielleicht sich etwas Aehnliches erreichen lassen, wie es fuer
+das fruehere Mittelalter durch die Vergleichung der verschiedenen
+Klosterchroniken erreicht worden ist. Leider hat man in Rom
+spaeterhin es vorgezogen, die Luecke vielmehr durch hellenische
+oder hellenisierende Luege zu fuellen.
+------------------------------------------------ ^4 1, 470. Nach den
+Annalen kommandiert Scipio in Etrurien, sein Kollege in Samnium und ist
+Lucanien dies Jahr im Bunde mit Rom; nach der Grabschrift erobert
+Scipio zwei Staedte in Samnium und ganz Lucanien.
+------------------------------------------------ Ausser diesen
+freilich duerftig angelegten und unsicher gehandhabten offiziellen
+Veranstaltungen zur Feststellung der verflossenen Zeiten und vergangenen
+Ereignisse koennen in dieser Epoche kaum Aufzeichnungen vorgekommen
+sein, welche der roemischen Geschichte unmittelbar gedient haetten.
+Von Privatchroniken findet sich keine Spur. Nur liess man sich in den
+vornehmen Haeusern es angelegen sein, die auch rechtlich so wichtigen
+Geschlechtstafeln festzustellen und den Stammbaum zu bleibendem
+Gedaechtnis auf die Wand des Hausflurs zu malen. An diesen Listen,
+die wenigstens auch die Aemter nannten, fand nicht bloss die
+Familientradition einen Halt, sondern es knuepften sich hieran auch wohl
+frueh biographische Aufzeichnungen. Die Gedaechtnisreden, welche in
+Rom bei keiner vornehmen Leiche fehlen durften und regelmaessig von
+dem naechsten Verwandten des Verstorbenen gehalten wurden, bestanden
+wesentlich nicht bloss in der Aufzaehlung der Tugenden und Wuerden des
+Toten, sondern auch in der Aufzaehlung der Taten und Tugenden seiner
+Ahnen; und so gingen auch sie wohl schon in fruehester Zeit traditionell
+von einer Generation auf die andere ueber. Manche wertvolle Nachricht
+mochte hierdurch erhalten, freilich auch manche dreiste Verdrehung
+und Faelschung in die Ueberlieferung eingefuehrt werden. Aber wie die
+Anfaenge der wirklichen Geschichtschreibung gehoeren ebenfalls in diese
+Zeit die Anfaenge der Aufzeichnung und konventionellen Entstellung der
+Vorgeschichte Roms. Die Quellen dafuer waren natuerlich dieselben wie
+ueberall. Einzelne Namen, wie die der Koenige Numa, Ancus, Tullus,
+denen die Geschlechtsnamen wohl erst spaeter zugeteilt worden sind,
+und einzelne Tatsachen, wie die Besiegung der Latiner durch Koenig
+Tarquinius und die Vertreibung des tarquinischen Koenigsgeschlechts
+mochten in allgemeiner, muendlich fortgepflanzter wahrhafter
+Ueberlieferung fortleben. Anderes lieferte die Tradition der adligen
+Geschlechter, wie zum Beispiel die Fabiererzaehlungen mehrfach
+hervortreten. In anderen Erzaehlungen wurden uralte Volksinstitutionen,
+besonders mit grosser Lebendigkeit rechtliche Verhaeltnisse symbolisiert
+und historisiert; so die Heiligkeit der Mauern in der Erzaehlung vom
+Tode des Remus, die Abschaffung der Blutrache in der von dem Ende des
+Koenigs Tatius, die Notwendigkeit der die Pfahlbruecke betreffenden
+Ordnung in der Sage von Horatius Cocles ^5, die Entstehung des
+Gnadenurteils der Gemeinde in der schoenen Erzaehlung von den Horatiern
+und Curiatiern, die Entstehung der Freilassung und des Buergerrechts
+der Freigelassenen in derjenigen von der Tarquinierverschwoerung und dem
+Sklaven Vindicius. Ebendahin gehoert die Geschichte der Stadtgruendung
+selbst, welche Roms Ursprung an Latium und die allgemeine latinische
+Metropole Alba anknuepfen soll. Zu den Beinamen der vornehmen Roemer
+entstanden historische Glossen, wie zum Beispiel Publius Valerius der
+"Volksdiener" (Poplicola) einen ganzen Kreis derartiger Anekdoten um
+sich gesammelt hat, und vor allem knuepften an den heiligen Feigenbaum
+und andere Plaetze und Merkwuerdigkeiten der Stadt sich in grosser
+Menge Kuestererzaehlungen von der Art derjenigen an, aus denen ueber ein
+Jahrtausend spaeter auf demselben Boden die Mirabilia Urbis erwuchsen.
+Eine gewisse Zusammenknuepfung dieser verschiedenen Maerchen, die
+Feststellung der Reihe der sieben Koenige, die ohne Zweifel auf der
+Geschlechterrechnung ruhende Ansetzung ihrer Regierungszeit insgesamt
+auf 240 Jahre ^6 und selbst der Anfang offizieller Aufzeichnung dieser
+Ansetzungen hat wahrscheinlich schon in dieser Epoche stattgefunden: die
+Grundzuege der Erzaehlung und namentlich deren Quasichronologie treten
+in der spaeteren Tradition mit so unwandelbarer Festigkeit auf, dass
+schon darum ihre Fixierung nicht in, sondern vor die literarische Epoche
+Roms gesetzt werden muss. Wenn bereits im Jahre 458 (296) die an den
+Zitzen der Woelfin saugenden Zwillinge Romulus und Remus in Erz gegossen
+an dem heiligen Feigenbaum aufgestellt wurden, so muessen die Roemer,
+die Latium und Samnium bezwangen, die Entstehungsgeschichte ihrer
+Vaterstadt nicht viel anders vernommen haben als wir sie bei Livius
+lesen; sogar die Aboriginer, das sind die "Vonanfanganer", dies naive
+Rudiment der geschichtlichen Spekulation des latinischen Stammes,
+begegnen schon um 465 (289) bei dem sizilischen Schriftsteller Kallias.
+Es liegt in der Natur der Chronik, dass sie zu der Geschichte die
+Vorgeschichte fuegt und wenn nicht bis auf die Entstehung von Himmel
+und Erde, doch wenigstens bis auf die Entstehung der Gemeinde
+zurueckgefuehrt zu werden verlangt; und es ist auch ausdruecklich
+bezeugt, dass die Tafel der Pontifices das Gruendungsjahr Roms angab.
+Danach darf angenommen werden, dass das Pontifikalkollegium, als es
+in der ersten Haelfte des fuenften Jahrhunderts anstatt der
+bisherigen spaerlichen und in der Regel wohl auf die Beamtennamen
+sich beschraenkenden Aufzeichnungen zu der Anlegung einer foermlichen
+Jahreschronik fortschritt, auch die zu Anfang fehlende Geschichte
+der Koenige Roms und ihres Sturzes hinzufuegte und, indem es auf den
+Einweihungstag des kapitolinischen Tempels, den 13. September 245
+(509), zugleich die Stiftung der Republik setzte, einen freilich nur
+scheinhaften Zusammenhang zwischen der zeitlosen und der annalistischen
+Erzaehlung herstellte. Dass bei dieser aeltesten Aufzeichnung der
+Urspruenge Roms auch der Hellenismus seine Hand im Spiele gehabt
+hat, ist kaum zu bezweifeln; die Spekulation ueber Ur- und spaetere
+Bevoelkerung, ueber die Prioritaet des Hirtenlebens vor dem Ackerbau
+und die Umwandlung des Menschen Romulus in den Gott Quirinus sehen ganz
+griechisch aus, und selbst die Truebung der echt nationalen Gestalten
+des frommen Numa und der weisen Egeria durch die Einmischung
+fremdlaendischer pythagoreischer Urweisheit scheint keineswegs zu
+den juengsten Bestandteilen der roemischen Vorgeschichte zu gehoeren.
+--------------------------------------- ^5 Diese Richtung der Sage
+erhellt deutlich aus dem aelteren Plinius (nat. 36, 15, 100). ^6 Man
+rechnete, wie es scheint, drei Geschlechter auf ein Jahrhundert und
+rundete die Ziffer 233 1/3 auf 240 ab, aehnlich wie die Epoche zwischen
+der Koenigsflucht und dem Stadtbrand auf 120 Jahre abgerundet ward.
+Wodurch man gerade auf diese Zahlen gefuehrt ward, zeigt zum
+Beispiel die oben eroerterte Feststellung des Flaechenmasses.
+-------------------------------------- Analog diesen Anfaengen der
+Gemeinde sind auch die Stammbaeume der edlen Geschlechter in aehnlicher
+Weise vervollstaendigt und in beliebter heraldischer Manier durchgaengig
+auf erlauchte Ahnen zurueckgefuehrt worden; wie denn zum Beispiel die
+Aemilier, Calpurnier, Pinarier und Pomponier von den vier Soehnen des
+Numa: Mamercus, Calpus, Pinus und Pompo, die Aemilier ueberdies noch von
+dem Sohne des Pythagoras Mamercus, der "Wohlredende" (aim?los) genannt,
+abstammen wollten. Dennoch darf trotz der ueberall hervortretenden
+hellenischen Reminiszenzen diese Vorgeschichte der Gemeinde wie der
+Geschlechter wenigstens relativ eine nationale genannt werden, insofern
+sie teils in Rom entstanden, teils ihre Tendenz zunaechst nicht darauf
+gerichtet ist, eine Bruecke zwischen Rom und Griechenland, sondern eine
+Bruecke zwischen Rom und Latium zu schlagen. Es war die hellenische
+Erzaehlung und Dichtung, welche jener anderen Aufgabe sich unterzog. Die
+hellenische Sage zeigt durchgaengig das Bestreben, mit der allmaehlich
+sich erweiternden geographischen Kunde Schritt zu halten und mit Hilfe
+ihrer zahllosen Wander- und Schiffergeschichten eine dramatisierte
+Erdbeschreibung zu gestalten. Indes verfaehrt sie dabei selten naiv.
+Ein Bericht wie der des aeltesten Rom erwaehnenden griechischen
+Geschichtswerkes, der sizilischen Geschichte des Antiochos von Syrakus
+(geschlossen 330 424): dass ein Mann namens Sikelos aus Rom nach Italia,
+das heisst nach der brettischen Halbinsel gewandert sei - ein solcher,
+einfach die Stammverwandtschaft der Roemer, Siculer und Brettier
+historisierender und von aller hellenisierenden Faerbung freier Bericht
+ist eine seltene Erscheinung. Im ganzen ist die Sage, und je spaeter
+desto mehr, beherrscht von der Tendenz, die ganze Barbarenwelt
+darzustellen als von den Griechen entweder ausgegangen oder doch
+unterworfen; und frueh zog sie in diesem Sinn ihre Faeden auch ueber den
+Westen. Fuer Italien sind weniger die Herakles- und Argonautensage
+von Bedeutung geworden, obwohl bereits Hekataeos (+ nach 257 497) die
+Saeulen des Herakles kennt und die Argo aus dem Schwarzen Meer in den
+Atlantischen Ozean, aus diesem in den Nil und zurueck in das Mittelmeer
+fuehrt, als die an den Fall Ilions anknuepfenden Heimfahrten. Mit
+der ersten aufdaemmernden Kunde von Italien beginnt auch Diomedes
+im Adriatischen, Odysseus im Tyrrhenischen Meer zu irren, wie denn
+wenigstens die letztere Lokalisierung schon der Homerischen Fassung
+der Sage nahe genug lag. Bis in die Zeiten Alexanders hinein haben die
+Landschaften am Tyrrhenischen Meer in der hellenischen Fabulierung zum
+Gebiet der Odysseussage gehoert; noch Ephoros, der mit dem Jahre 414
+(340) schloss, und der sogenannte Skylax (um 418 336) folgen wesentlich
+dieser. Von troischen Seefahrten weiss die ganze aeltere Poesie nichts;
+bei Homer herrscht Aeneas nach Ilions Fall ueber die in der Heimat
+zurueckbleibenden Troer. Erst der grosse Mythenwandler Stesichoros
+(122-201 632-553) fuehrte in seiner 'Zerstoerung Ilions' den Aeneas in
+das Westland, um die Fabelwelt seiner Geburts- und seiner Wahlheimat,
+Siziliens und Unteritaliens, durch den Gegensatz der troischen Helden
+gegen die hellenischen poetisch zu bereichern. Von ihm ruehren die
+seitdem feststehenden dichterischen Umrisse dieser Fabel her, namentlich
+die Gruppe des Helden, wie er mit der Gattin und dem Soehnchen und
+dem alten, die Hausgoetter tragenden Vater aus dem brennenden
+Ilion davongeht, und die wichtige Identifizierung der Troer mit den
+sizilischen und italischen Autochthonen, welche besonders in dem
+troischen Trompeter Misenos, dem Eponymos des Misenischen Vorgebirges,
+schon deutlich hervortritt ^7. Den alten Dichter leitete dabei das
+Gefuehl, dass die italischen Barbaren den Hellenen minder fern als
+die uebrigen standen und das Verhaeltnis der Hellenen und der Italiker
+dichterisch angemessen dem der homerischen Achaeer und Troer gleich
+gefasst werden konnte. Bald mischt sich denn diese neue Troerfabel mit
+der aelteren Odysseussage, indem sie zugleich sich weiter ueber Italien
+verbreitet. Nach Hellanikos (schrieb um 350 400) kamen Odysseus und
+Aeneas durch die thrakische und molottische (epeirotische) Landschaft
+nach Italien, wo die mitgefuehrten troischen Frauen die Schiffe
+verbrennen und Aeneas die Stadt Rom gruendet und sie nach dem Namen
+einer dieser Troerinnen benennt; aehnlich, nur minder unsinnig,
+erzaehlte Aristoteles (370- 432 384-322), dass ein achaeisches, an die
+latinische Kueste verschlagenes Geschwader von den troischen Sklavinnen
+angezuendet worden und aus den Nachkommen der also zum Dableiben
+genoetigten achaeischen Maenner und ihrer troischen Frauen die Latiner
+hervorgegangen seien. Damit mischten denn auch sich Elemente der
+einheimischen Sage, wovon der rege Verkehr zwischen Sizilien und
+Italien wenigstens gegen das Ende dieser Epoche schon die Kunde bis nach
+Sizilien verbreitet hatte; in der Version von Roms Entstehung, welche
+der Sizilianer Kallias um 465 (289) aufzeichnete, sind Odysseus-,
+Aeneas- und Romulusfabeln ineinandergeflossen ^8. Aber der eigentliche
+Vollender der spaeter gelaeufigen Fassung dieser Troerwanderung ist
+Timaeos von Tauromenion auf Sizilien, der sein Geschichtswerk 492 (262)
+schloss. Er ist es, bei dem Aeneas zuerst Lavinium mit dem Heiligtum
+der troischen Penaten und dann erst Rom gruendet; er muss auch schon die
+Tyrerin Elisa oder Dido in die Aeneassage eingeflochten haben, da bei
+ihm Dido Karthagos Gruenderin ist und Rom und Karthago ihm in demselben
+Jahre erbaut heissen. Den Anstoss zu diesen Neuerungen gaben, neben
+der eben zu der Zeit und an dem Orte, wo Timaeos schrieb, sich
+vorbereitenden Krise zwischen den Roemern und den Karthagern, offenbar
+gewisse nach Sizilien gelangte Berichte ueber latinische Sitten und
+Gebraeuche; im wesentlichen aber kann die Erzaehlung nicht von Latium
+heruebergenommen, sondern nur die eigene nichtsnutzige Erfindung der
+alten "Sammelvettel" gewesen sein. Timaeos hatte von dem uralten Tempel
+der Hausgoetter in Lavinium erzaehlen hoeren; aber dass diese den
+Lavinaten als die von den Aeneiaden aus Ilion mitgebrachten Penaten
+gaelten, hat er ebenso sicher von dem Seinigen hinzugetan, wie die
+scharfsinnige Parallele zwischen dem roemischen Oktoberross und dem
+Trojanischen Pferde und die genaue Inventarisierung der lavinischen
+Heiligtuemer - es waren, sagt der wuerdige Gewaehrsmann, Heroldstaebe
+von Eisen und Kupfer und ein toenerner Topf troischer Fabrik! Freilich
+durften eben die Penaten noch Jahrhunderte spaeter durchaus von keinem
+geschaut werden; aber Timaeos war einer von den Historikern, die ueber
+nichts so genau Bescheid wissen als ueber unwissbare Dinge. Nicht mit
+Unrecht riet Polybios, der den Mann kannte, ihm nirgend zu trauen, am
+wenigsten aber da, wo er - wie hier - sich auf urkundliche Beweisstuecke
+berufe. In der Tat war der sizilische Rhetor, der das Grab des
+Thukydides in Italien zu zeigen wusste und der fuer Alexander kein
+hoeheres Lob fand, als dass er schneller mit Asien fertig geworden sei
+als Isokrates mit seiner 'Lobrede', vollkommen berufen, aus der naiven
+Dichtung der aelteren Zeit den wuesten Brei zu kneten, welchem das
+Spiel des Zufalls eine so seltsame Zelebritaet verliehen hat.
+---------------------------------------------------- ^7 Auch die
+troischen Kolonien" auf Sizilien, die Thukydides, Pseudoskylax und
+andere nennen, sowie die Bezeichnung Capuas als einer troischen
+Gruendung bei Hekataeos werden auf Stesichoros und auf dessen
+Identifizierung der italischen und sizilischen Eingeborenen mit den
+Troern zurueckgehen. ^8 Nach ihm vermaehlte sich eine aus Ilion nach Rom
+gefluechtete Frau Rome oder vielmehr deren gleichnamige Tochter mit dem
+Koenig der Aboriginer Latinos und gebar ihm drei Soehne, Romos, Romylos
+und Telegonos. Der letzte, der ohne Zweifel hier als Gruender von
+Tusculum und Praeneste auftritt, gehoert bekanntlich der Odysseussage
+an. -------------------------------------------------- Inwieweit die
+hellenische Fabulierung ueber italische Dinge, wie sie zunaechst in
+Sizilien entstand, schon jetzt in Italien selbst Eingang gefunden
+hat, ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Die Anknuepfungen an
+den odysseischen Kreis, welche spaeterhin in den Gruendungssagen von
+Tusculum, Praeneste, Antium, Ardea, Cortona begegnen, werden wohl
+schon in dieser Zeit sich angesponnen haben; und auch der Glaube an die
+Abstammung der Roemer von Troern oder Troerinnen musste schon am Schluss
+dieser Epoche in Rom feststehen, da die erste nachweisliche Beruehrung
+zwischen Rom und dem griechischen Osten die Verwendung des Senats fuer
+die "stammverwandten" Ilier im Jahre 472 (282) ist. Dass aber dennoch
+die Aeneasfabel in Italien verhaeltnismaessig jung ist, beweist ihre im
+Vergleich mit der odysseischen hoechst duerftige Lokalisierung; und die
+Schlussredaktion dieser Erzaehlungen sowie ihre Ausgleichung mit der
+roemischen Ursprungssage gehoert auf jeden Fall erst der Folgezeit an.
+Waehrend also bei den Hellenen die Geschichtschreibung, oder was so
+genannt ward, sich um die Vorgeschichte Italiens in ihrer Art bemuehte,
+liess sie in einer fuer den gesunkenen Zustand der hellenischen Historie
+ebenso bezeichnenden wie fuer uns empfindlichen Weise die gleichzeitige
+italische Geschichte so gut wie vollstaendig liegen. Kaum dass
+Theopomp von Chios (schloss 418 336) der Einnahme Roms durch die
+Kelten beilaeufig gedachte und Aristoteles, Kleitarchos, Theophrastos,
+Herakleides von Pontos (+ um 450 300) einzelne Rom betreffende
+Ereignisse gelegentlich erwaehnten; erst mit Hieronymos von Kardia,
+der als Geschichtschreiber des Pyrrhos auch dessen italische Kriege
+erzaehlte, wird die griechische Historiographie zugleich Quelle fuer die
+roemische Geschichte. Unter den Wissenschaften empfing die Jurisprudenz
+eine unschaetzbare Grundlage durch die Aufzeichnung des Stadtrechts in
+den Jahren 303, 304 (451, 450). Dieses unter dem Namen der Zwoelf Tafeln
+bekannte Weistum ist wohl das aelteste roemische Schriftstueck, das
+den Namen eines Buches verdient. Nicht viel juenger mag der Kern
+der sogenannten "koeniglichen Gesetze" sein, das heisst gewisser,
+vorzugsweise sakraler Vorschriften, die auf Herkommen beruhten und
+wahrscheinlich von dem Kollegium der Pontifices, das zur Gesetzgebung
+nicht, wohl aber zur Gesetzweisung befugt war, unter der Form
+koeniglicher Verordnungen zu allgemeiner Kunde gebracht wurden.
+Ausserdem sind vermutlich schon seit dem Anfang dieser Periode wenn
+nicht die Volks-, so doch die wichtigsten Senatsbeschluesse regelmaessig
+schriftlich verzeichnet worden; wie denn ueber deren Aufbewahrung
+bereits in den fruehesten staendischen Kaempfen mitgestritten ward.
+Waehrend also die Masse der geschriebenen Rechtsurkunden sich mehrte,
+stellten auch die Grundlagen einer eigentlichen Rechtswissenschaft sich
+fest. Sowohl den jaehrlich wechselnden Beamten als den aus dem Volke
+herausgegriffenen Geschworenen war es Beduerfnis, an sachkundige
+Maenner sich wenden zu koennen, welche den Rechtsgang kannten und nach
+Praezedentien oder in deren Ermangelung nach Gruenden eine Entscheidung
+an die Hand zu geben wussten. Die Pontifices, die es gewohnt waren,
+sowohl wegen der Gerichtstage als wegen aller auf die Goetterverehrung
+bezueglichen Bedenken und Rechtsakte vom Volke angegangen zu werden,
+gaben auch in anderen Rechtspunkten auf Verlangen Ratschlaege und
+Gutachten ab und entwickelten so im Schoss ihres Kollegiums die
+Tradition, die dem roemischen Privatrecht zugrunde liegt, vor allem die
+Formeln der rechten Klage fuer jeden einzelnen Fall. Ein Spiegel,
+der all diese Klagen zusammenfasste, nebst einem Kalender, der die
+Gerichtstage angab, wurde um 450 (300) von Appius Claudius oder von
+dessen Schreiber Gnaeus Flavius dem Volk bekanntgemacht. Indes
+dieser Versuch, die ihrer selbst noch nicht bewusste Wissenschaft zu
+formulieren, steht fuer lange Zeit gaenzlich vereinzelt da. Dass die
+Kunde des Rechtes und die Rechtweisung schon jetzt ein Mittel war,
+dem Volk sich zu empfehlen und zu Staatsaemtern zu gelangen, ist
+begreiflich, wenn auch die Erzaehlung, dass der erste plebejische
+Pontifex Publius Sempronius Sophus (Konsul 450 304) und der erste
+plebejische Oberpontifex Tiberius Coruncanius (Konsul 474 280) diese
+Priesterehren ihrer Rechtskenntnis verdankten, wohl eher Mutmassung
+Spaeterer ist als Ueberlieferung. Dass die eigentliche Genesis der
+lateinischen und wohl auch der anderen italischen Sprachen vor diese
+Periode faellt und schon zu Anfang derselben die lateinische Sprache im
+wesentlichen fertig war, zeigen die freilich durch ihre halb muendliche
+Tradition stark modernisierten Bruchstuecke der Zwoelf Tafeln, welche
+wohl eine Anzahl veralteter Woerter und schroffer Verbindungen,
+namentlich infolge der Weglassung des unbestimmten Subjekts, aber
+doch keineswegs, wie das Arvalied, wesentliche Schwierigkeiten des
+Verstaendnisses darbieten und weit mehr mit der Sprache Catos als mit
+der der alten Litaneien uebereinkommen. Wenn die Roemer im Anfang des
+siebenten Jahrhunderts Muehe hatten, Urkunden des fuenften zu verstehen,
+so kam dies ohne Zweifel nur daher, dass es damals in Rom noch keine
+eigentliche Forschung, am wenigsten eine Urkundenforschung gab. Dagegen
+wird in dieser Zeit der beginnenden Rechtweisung und Gesetzesredaktion
+auch der roemische Geschaeftsstil zuerst sich festgestellt haben,
+welcher, wenigstens in seiner entwickelten Gestalt, an feststehenden
+Formeln und Wendungen, endloser Aufzaehlung der Einzelheiten und
+langatmigen Perioden der heutigen englischen Gerichtssprache nichts
+nachgibt und sich dem Eingeweihten durch Schaerfe und Bestimmtheit
+empfiehlt, waehrend der Laie je nach Art und Laune mit Ehrfurcht,
+Ungeduld oder Aerger nichtsverstehend zuhoert. Ferner begann in dieser
+Epoche die rationelle Behandlung der einheimischen Sprachen. Um
+den Anfang derselben drohte, wie wir sahen, das sabellische wie das
+latinische Idiom sich zu barbarisieren und griff die Verschleifung
+der Endungen, die Verdumpfung der Vokale und der feineren Konsonanten
+aehnlich um sich wie im fuenften und sechsten Jahrhundert unserer
+Zeitrechnung innerhalb der romanischen Sprachen. Hiergegen trat aber
+eine Reaktion ein: im Oskischen werden die zusammengefallenen Laute
+d und r, im Lateinischen die zusammengefallenen Laute g und k wieder
+geschieden und jeder mit seinem eigenen Zeichen versehen; o und u,
+fuer die es im oskischen Alphabet von Haus aus an gesonderten Zeichen
+gemangelt hatte und die im Lateinischen zwar urspruenglich geschieden
+waren, aber zusammenzufallen drohten, traten wieder auseinander, ja im
+Oskischen wird sogar das i in zwei lautlich und graphisch verschiedene
+Zeichen aufgeloest; endlich schliesst die Schreibung sich der Aussprache
+wieder genauer an, wie zum Beispiel bei den Roemern vielfaeltig s durch
+r ersetzt ward. Die chronologischen Spuren fuehren fuer diese Reaktion
+auf das fuenfte Jahrhundert; das lateinische g zum Beispiel war um das
+Jahr 300 (450) noch nicht, wohl aber um das Jahr 500 (250) vorhanden;
+der erste des Papirischen Geschlechts, der sich Papirius statt Papisius
+nannte, war der Konsul des Jahres 418 (336); die Einfuehrung jenes r
+anstatt des s wird dem Appius Claudius, Zensor 442 (312) beigelegt.
+Ohne Zweifel steht die Zurueckfuehrung einer feineren und schaerferen
+Aussprache im Zusammenhang mit dem steigenden Einfluss der griechischen
+Zivilisation, welcher eben in dieser Zeit sich auf allen Gebieten des
+italischen Wesens bemerklich macht; und wie die Silbermuenzen von Capua
+und Nola weit vollkommener sind als die gleichzeitigen Asse von Ardea
+und Rom, so scheint auch Schrift und Sprache rascher und vollstaendiger
+sich im kampanischen Lande reguliert zu haben als in Latium. Wie wenig
+trotz der darauf gewandten Muehe die roemische Sprache und Schreibweise
+noch am Schlusse dieser Epoche festgestellt war, beweisen die aus
+dem Ende des fuenften Jahrhunderts erhaltenen Inschriften, in denen
+namentlich in der Setzung oder Weglassung von m, d und s im Auslaut
+und n im Inlaut und in der Unterscheidung der Vokale o u und e i die
+groesste Willkuer herrscht ^9; es ist wahrscheinlich, dass gleichzeitig
+die Sabeller hierin schon weiter waren, waehrend die Umbrer von dem
+regenerierenden hellenischen Einfluss nur wenig beruehrt worden sind.
+----------------------------------------------------- ^9 In den beiden
+Grabschriften des Lucius Scipio, Konsul 456 (298), und des gleichnamigen
+Konsuls vom Jahre 495 (259) fehlen m und d im Auslaut der Beugungen
+regelmaessig, doch findet sich einmal Luciom und einmal Gnaivod; es
+steht nebeneinander im Nominativ Cornelio und filios; cosol, cesor und
+consol censor; aidiles, dedet, ploirume (= plurimi), hec (Nom.
+Sing.) neben aidilis, cepit, quei, hic. Der Rhotazismus ist bereits
+vollstaendig durchgefuehrt; man findet duonoro (= bonorum),
+ploirume, nicht wie im saliarischen Liede foedesum, plusima. Unsere
+inschriftlichen Ueberreste reichen ueberhaupt im allgemeinen nicht ueber
+den Rhotazismus hinauf; von dem aelteren s begegnen nur einzelne
+Spuren, wie noch spaeterhin honos, labos neben honor und labor und
+die aehnlichen Frauenvornamen Maio (maios, maior) und Mino auf
+neu gefundenen Grabschriften von Praeneste.
+---------------------------------------------------- Durch diese
+Steigerung der Jurisprudenz und Grammatik muss auch der elementare
+Schulunterricht, der an sich wohl schon frueher aufgekommen war, eine
+gewisse Steigerung erfahren haben. Wie Homer das aelteste griechische,
+die Zwoelf Tafeln das aelteste roemische Buch waren, so wurden auch
+beide in ihrer Heimat die wesentliche Grundlage des Unterrichts und das
+Auswendiglernen des juristisch-politischen Katechismus ein Hauptstueck
+der roemischen Kindererziehung. Neben den lateinischen "Schreibmeistern"
+(litteratores) gab es natuerlich, seit die Kunde des Griechischen
+fuer jeden Staats- und Handelsmann Beduerfnis war, auch griechische
+Sprachlehrer (grammatici ^10), teils Hofmeister-Sklaven, teils
+Privatlehrer, die in ihrer Wohnung oder in der des Schuelers Anweisung
+zum Lesen und Sprechen des Griechischen erteilten. Dass wie im
+Kriegswesen und bei der Polizei so auch bei dem Unterricht der Stock
+seine Rolle spielte, versteht sich von selbst ^11. Die elementare Stufe
+indes kann der Unterricht dieser Zeit noch nicht ueberstiegen haben;
+es gab keine irgend wesentliche soziale Abstufung zwischen dem
+unterrichteten und dem nichtunterrichteten Roemer. Dass die Roemer in
+den mathematischen und mechanischen Wissenschaften zu keiner Zeit
+sich ausgezeichnet haben, ist bekannt und bewaehrt sich auch fuer die
+gegenwaertige Epoche an dem fast einzigen Faktum, welches mit Sicherheit
+hierhergezogen werden kann, der von den Dezemvirn versuchten Regulierung
+des Kalenders. Sie wollten den bisherigen, auf der alten, hoechst
+unvollkommenen Trieteris beruhenden vertauschen mit dem damaligen
+attischen der Oktaeteris, welcher den Mondmonat von 29 Tagen
+beibehielt, das Sonnenjahr aber statt auf 368_ a vielmehr auf 365 Tage
+ansetzte und demnach bei unveraenderter gemeiner Jahrlaenge von 354
+Tagen nicht, wie frueher, auf je vier Jahre 59, sondern auf je acht
+Jahre 90 Tage einschaltete. In demselben Sinne beabsichtigten die
+roemischen Kalenderverbesserer unter sonstiger Beibehaltung des
+geltenden Kalenders in den zwei Schaltjahren des vierjaehrigen Zyklus
+nicht die Schaltmonate, aber die beiden Februare um je sieben Tage zu
+verkuerzen, also diesen Monat in den Schaltjahren statt zu 29 und 28 zu
+22 und 21 Tagen anzusetzen. Allein mathematische Gedankenlosigkeit und
+theologische Bedenken, namentlich die Ruecksicht auf das eben in die
+betreffenden Februartage fallende Jahrfest des Terminus, zerruetteten
+die beabsichtigte Reform in der Art, dass der Schaltjahrfebruar vielmehr
+24- und 23taegig ward, also das neue roemische Sonnenjahr in der Tat auf
+366 Tag auskam. Einige Abhilfe fuer die hieraus folgenden praktischen
+Uebelstaende ward darin gefunden, dass, unter Beseitigung der bei den
+jetzt so ungleich gewordenen Monaten nicht mehr anwendbaren Rechnung
+nach Monaten oder Zehnmonaten des Kalenders, man sich gewoehnte, wo es
+auf genauere Bestimmungen ankam, nach Zehnmonatfristen eines Sonnenjahrs
+von 365 Tagen oder dem sogenannten zehnmonatlichen Jahre von 304 Tagen
+zu rechnen. ueberdies kam besonders fuer baeuerliche Zwecke der auf
+das aegyptische 365taegige Sonnenjahr von Eudoxos (blueht 386
+368) gegruendete Bauernkalender auch in Italien frueh in Gebrauch.
+------------------------------------------- ^10 Litterator und
+grammaticus verhalten sich ungefaehr wie Lehrer und Maitre; die letztere
+Benennung kommt nach dem aelteren Sprachgebrauch nur dem Lehrer des
+Griechischen, nicht dem der Muttersprache zu. Litteratus ist juenger und
+bezeichnet nicht den Schulmeister, sondern den gebildeten Mann. ^11
+Es ist doch wohl ein roemisches Bild, was Plautus (Bacch. 431) als ein
+Stueck der guten alten Kindererziehung anfuehrt: wenn nun du darauf nach
+Hause kamst, In dem Jaeckchen auf dem Schemel sassest du zum Lehrer hin;
+Und wenn dann das Buch ihm lesend eine Silbe du gefehlt, Faerbte
+deinen Buckel er dir bunt wie einen Kinderlatz.
+------------------------------------------- Einen hoeheren Begriff von
+dem, was auch in diesen Faechern die Italiker zu leisten vermochten,
+gewaehren die Werke der mit den mechanischen Wissenschaften eng
+zusammenhaengenden Bau- und Bildkunst. Zwar eigentlich originelle
+Erscheinungen begegnen auch hier nicht; aber wenn durch den Stempel der
+Entlehnung, welcher der italischen Plastik durchgaengig aufgedrueckt
+ist, das kuenstlerische Interesse an derselben sinkt, so heftet das
+historische sich nur um so lebendiger an dieselbe, insofern sie teils
+von einem sonst verschollenen Voelkerverkehr die merkwuerdigsten
+Zeugnisse bewahrt, teils bei dem so gut wie vollstaendigen Untergang
+der Geschichte der nichtroemischen Italiker fast allein uns die
+verschiedenen Voelkerschaften der Halbinsel in lebendiger Taetigkeit
+nebeneinander darstellt. Neues ist hier nicht zu sagen; aber wohl
+laesst sich mit schaerferer Bestimmtheit und auf breiterer Grundlage
+ausfuehren, was schon oben gezeigt ward, dass die griechische Anregung
+die Etrusker und die Italiker von verschiedenen Seiten her maechtig
+erfasst, und dort eine reichere und ueppigere, hier, wo ueberhaupt, eine
+verstaendigere und innigere Kunst ins Leben gerufen hat. Wie voellig
+die italische Architektur aller Landschaften schon in ihrer aeltesten
+Periode von hellenischen Elementen durchdrungen ward, ist frueher
+dargestellt worden. Die Stadtmauern, die Wasserbauten, die pyramidalisch
+gedeckten Graeber, der tuscanische Tempel sind nicht oder nicht
+wesentlich verschieden von den aeltesten hellenischen Bauwerken. Von
+einer Weiterbildung der Architektur bei den Etruskern waehrend dieser
+Epoche hat sich keine Spur erhalten; wir begegnen hier weder einer
+wesentlich neuen Rezeption noch einer originellen Schoepfung - man
+muesste denn Prachtgraeber dahin rechnen wollen, wie das von Varro
+beschriebene sogenannte Grabmal des Porsena in Chiusi, das lebhaft an
+die zwecklose und sonderbare Herrlichkeit der aegyptischen Pyramiden
+erinnert. Auch in Latium bewegte man waehrend der ersten anderthalb
+Jahrhunderte der Republik sich wohl lediglich in den bisherigen Gleisen,
+und es ist schon gesagt worden, dass mit der Einfuehrung der Republik
+die Kunstuebung eher gesunken als gestiegen ist. Es ist aus dieser Zeit
+kaum ein anderes architektonisch bedeutendes latinisches Bauwerk zu
+nennen als der im Jahre 261 (493) in Rom am Circus erbaute Cerestempel,
+der in der Kaiserzeit als Muster des tuscanischen Stiles gilt. Aber
+gegen das Ende dieser Epoche kommt ein neuer Geist in das italische und
+namentlich das roemische Bauwesen: es beginnt der grossartige Bogenbau.
+Zwar sind wir nicht berechtigt, den Bogen und das Gewoelbe fuer
+italische Erfindungen zu erklaeren. Es ist wohl ausgemacht, dass in der
+Epoche der Genesis der hellenischen Architektur die Hellenen den Bogen
+noch nicht kannten und darum fuer ihre Tempel die flache Decke und das
+schraege Dach ausreichen mussten; allein gar wohl kann der Keilschnitt
+eine juengere, aus der rationellen Mechanik hervorgegangene Erfindung
+der Hellenen sein, wie ihn denn die griechische Tradition auf den
+Physiker Demokritos (294-397 460-357) zurueckfuehrt. Mit dieser
+Prioritaet des hellenischen Bogenbaus vor dem roemischen ist auch
+vereinbar, was vielfach und vielleicht mit Recht angenommen wird, dass
+die Gewoelbe an der roemischen Hauptkloake und dasjenige, welches ueber
+das alte, urspruenglich pyramidalisch gedeckte kapitolinische Quellhaus
+spaeterhin gespannt ward, die aeltesten erhaltenen Bauwerke sind, bei
+welchen das Bogenprinzip zur Anwendung gekommen ist; denn es ist mehr
+als wahrscheinlich, dass diese Bogenbauten nicht der Koenigs-, sondern
+der republikanischen Periode angehoeren und in der Koenigszeit man auch
+in Italien nur flache oder ueberkragte Daecher gekannt hat. Allein wie
+man auch ueber die Erfindung des Bogens selbst denken mag, die Anwendung
+im grossen ist ueberall und vor allem in der Baukunst wenigstens
+ebenso bedeutend wie die Aufstellung des Prinzips; und diese gebuehrt
+unbestritten den Roemern. Mit dem fuenften Jahrhundert beginnt
+der wesentlich auf den Bogen gegruendete Tor-, Bruecken- und
+Wasserleitungsbau, der mit dem roemischen Namen fortan unzertrennlich
+verknuepft ist. Verwandt ist hiermit noch die Entwicklung der den
+Griechen fremden, dagegen bei den Roemern vorzugsweise beliebten und
+besonders fuer die ihnen eigentuemlichen Kulte, namentlich den nicht
+griechischen der Vesta, angewendeten Form des Rundtempels und des
+Kuppeldachs ^12. ----------------------------------------- ^12 Eine
+Nachbildung der aeltesten Hausform, wie man wohl gemeint hat, ist der
+Rundtempel sicher nicht; vielmehr geht der Hausbau durchaus vom Viereck
+aus. Die spaetere roemische Theologie knuepfte diese Rundform an
+die Vorstellung des Erdballs oder des kugelfoermig die Zentralsonne
+umgebenden Weltalls (Fest. v. rutundam p. 282; Plut. Num. 11; Ov. fast.
+6, 267f.); in der Tat ist dieselbe wohl einfach darauf zurueckzufuehren,
+dass fuer die zum Abhegen und Aufbewahren bestimmte Raeumlichkeit als
+die bequemste wie die sicherste Form stets die kreisrunde gegolten hat.
+Darauf beruhten die runden Schatzhaeuser der Hellenen ebenso wie der
+Rundbau der roemischen Vorratskammer oder des Penatentempels; es war
+natuerlich auch die Feuerstelle - das heisst den Altar der Vesta - und
+die Feuerkammer - das heisst den Vestatempel - rund anzulegen, so gut
+wie dies mit der Zisterne und der Brunnenfassung (puteal) geschah. Der
+Rundbau an sich ist graecoitalisch wie der Quadratbau und jener der
+Kammer eigen, wie dieser dem Wohnhaus; aber die architektonische und
+religioese Entwicklung des einfachen Tholos zum Rundtempel mit Pfeilern
+und Saeulen ist latinisch. ----------------------------------------
+Etwas Aehnliches mag von manchen untergeordneten, aber darum nicht
+unwichtigen Fertigkeiten auf diesem Gebiet gelten. Von Originalitaet
+oder gar von Kunstuebung kann dabei nicht die Rede sein; aber auch
+aus den festgefuegten Steinplatten der roemischen Strassen, aus ihren
+unzerstoerbaren Chausseen, aus den breiten, klingend harten Ziegeln, aus
+dem ewigen Moertel ihrer Gebaeude redet die unverwuestliche Soliditaet,
+die energische Tuechtigkeit des roemischen Wesens. Wie die tektonischen,
+und womoeglich noch mehr, sind die bildenden und zeichnenden Kuenste auf
+italischem Boden nicht so sehr durch griechische Anregung befruchtet,
+als aus griechischen Samenkoernern gekeimt. Dass dieselben, obwohl erst
+die juengeren Schwestern der Architektur, doch wenigstens in Etrurien
+schon waehrend der roemischen Koenigszeit sich zu entwickeln begannen,
+wurde bereits bemerkt; ihre hauptsaechliche Entfaltung aber gehoert in
+Etrurien, und um so mehr in Latium, dieser Epoche an, wie dies schon
+daraus mit Evidenz hervorgeht, dass in denjenigen Landschaften, welche
+die Kelten und Samniten den Etruskern im Laufe des vierten Jahrhunderts
+entrissen, von etruskischer Kunstuebung fast keine Spur begegnet. Die
+tuskische Plastik warf sich zuerst und hauptsaechlich auf die Arbeit
+in gebranntem Ton, in Kupfer und in Gold, welche Stoffe die reichen
+Tonlager und Kupfergruben und der Handelsverkehr Etruriens den
+Kuenstlern darboten. Von der Schwunghaftigkeit, womit die Tonbildnerei
+betrieben wurde, zeugen die ungeheuren Massen von Reliefplatten und
+statuarischen Arbeiten aus gebranntem Ton, womit Waende, Giebel und
+Daecher der etruskischen Tempel nach Ausweis der noch vorhandenen Ruinen
+einst verziert waren, und der nachweisliche Vertrieb derartiger Arbeiten
+aus Etrurien nach Latium. Der Kupferguss stand nicht dahinter zurueck.
+Etruskische Kuenstler wagten sich an die Verfertigung von kolossalen,
+bis zu fuenfzig Fuss hohen Bronzebildsaeulen, und in Volsinii,
+dem etruskischen Delphi, sollen um das Jahr 489 (265) zweitausend
+Bronzestatuen gestanden haben, wogegen die Steinbildnerei in Etrurien,
+wie wohl ueberall, weit spaeter begann und ausser inneren Ursachen auch
+durch den Mangel eines geeigneten Materials zurueckgehalten ward - die
+lunensischen (carrarischen) Marmorbrueche waren noch nicht eroeffnet.
+Wer den reichen und zierlichen Goldschmuck der suedetruskischen Graeber
+gesehen hat, der wird die Nachricht nicht unglaublich finden, dass die
+tyrrhenischen Goldschalen selbst in Attika geschaetzt wurden. Auch die
+Steinschneidekunst ward, obwohl sie juenger ist, doch auch in Etrurien
+vielfaeltig geuebt. Ebenso abhaengig von den Griechen, uebrigens den
+bildenden Kuenstlern vollkommen ebenbuertig, waren die sowohl in der
+Umrisszeichnung auf Metall wie in der monochromatischen Wandmalerei
+ungemein taetigen etruskischen Zeichner und Maler. Vergleichen wir
+hiermit das Gebiet der eigentlichen Italiker, so erscheint es zunaechst
+gegen die etruskische Fuelle fast kunstarm. Allein bei genauerer
+Betrachtung kann man der Wahrnehmung sich nicht entziehen, dass sowohl
+die sabellische wie die latinische Nation weit mehr als die etruskische
+Faehigkeit und Geschick fuer die Kunst gehabt haben muessen. Zwar auf
+eigentlich sabellischem Gebiet, in der Sabina, in den Abruzzen, in
+Samnium, finden sich Kunstwerke so gut wie gar nicht und mangeln sogar
+die Muenzen. Diejenigen sabellischen Staemme dagegen, welche an die
+Kuesten der Tyrrhenischen oder Ionischen See gelangten, haben die
+hellenische Kunst sich nicht bloss wie die Etrusker aeusserlich
+angeeignet, sondern sie mehr oder minder vollstaendig bei sich
+akklimatisiert. Schon in Velitrae, wo wohl allein in der einstmaligen
+Landschaft der Volsker deren Sprache und Eigentuemlichkeit spaeterhin
+sich behauptet haben, haben sich bemalte Terrakotten gefunden von
+lebendiger und eigentuemlicher Behandlung. In Unteritalien ist Lucanien
+zwar in geringem Grade von der hellenischen Kunst ergriffen worden; aber
+in Kampanien wie im brettischen Lande haben sich Sabeller und Hellenen
+wie in Sprache und Nationalitaet so auch und vor allem in der Kunst
+vollstaendig durchdrungen und es stehen namentlich die kampanischen und
+brettischen Muenzen mit den gleichzeitigen griechischen so vollstaendig
+auf einer Linie der Kunstbehandlung, dass nur die Aufschrift sie von
+ihnen unterscheidet. Weniger bekannt, aber nicht weniger sicher ist es,
+dass auch Latium wohl an Kunstreichtum und Kunstmasse, aber nicht an
+Kunstsinn und Kunstuebung hinter Etrurien zurueckstand. Offenbar hat
+die um den Anfang des 5. Jahrhunderts erfolgte Festsetzung der Roemer in
+Kampanien, die Verwandlung der Stadt Cales in eine latinische Gemeinde,
+der falernischen Landschaft bei Capua in einen roemischen Buergerbezirk,
+zunaechst die kampanische Kunstuebung den Roemern aufgeschlossen. Zwar
+mangelt bei diesen nicht bloss die in dem ueppigen Etrurien fleissig
+gepflegte Steinschneidekunst voellig und begegnet nirgends eine Spur,
+dass die latinischen Gewerke gleich den etruskischen Goldschmieden
+und Tonarbeitern fuer das Ausland taetig gewesen sind. Zwar sind
+die latinischen Tempel nicht gleich den etruskischen mit Bronze-
+und Tonzierat ueberladen, die latinischen Graeber nicht gleich den
+etruskischen mit Goldschmuck angefuellt worden und schillerten die
+Waende jener nicht wie die der etruskischen von bunten Gemaelden. Aber
+nichtsdestoweniger stellt sich im ganzen die Waage nicht zum Vorteil
+der etruskischen Nation. Die Erfindung des Janusbildes, welche wie
+die Gottheit selbst den Latinern beigelegt werden darf, ist nicht
+ungeschickt, und originellerer Art als die irgendeines etruskischen
+Kunstwerks. Die schoene Gruppe der Woelfin mit den Zwillingen lehnt
+wohl an aehnliche griechische Erfindungen sich an, ist aber in dieser
+Ausfuehrung sicher wenn nicht in Rom, so doch von Roemern erfunden; und
+es ist bemerkenswert, dass sie zuerst auf den von den Roemern in und
+fuer Kampanien gepraegten Silbermuenzen auftritt. In dem oben erwaehnten
+Cales scheint bald nach seiner Gruendung eine besondere Gattung
+figurierten Tongeschirrs erfunden worden zu sein, das mit dem Namen der
+Meister und des Verfertigungsorts bezeichnet und in weitem Umfang bis
+nach Etrurien hinein vertrieben worden ist. Die vor kurzem auf dem
+Esquilin zum Vorschein gekommenen figurierten Altaerchen von gebranntem
+Ton entsprechen in der Darstellung wie in der Ornamentik genau den
+gleichartigen Weihgeschenken der kampanischen Tempel. Indes schliesst
+dies nicht aus, dass auch griechische Meister fuer Rom gearbeitet haben.
+Der Bildner Damophilos, der mit Gorgasos die bemalten Tonfiguren fuer
+den uralten Cerestempel verfertigt hat, scheint kein anderer gewesen zu
+sein als der Lehrer des Zeuxis, Demophilos von Himera (um 300 450). Am
+belehrendsten sind diejenigen Kunstzweige, in denen uns teils nach alten
+Zeugnissen, teils nach eigener Anschauung eine vergleichendes Urteil
+gestattet ist. Von latinischen Arbeiten in Stein ist kaum etwas anderes
+uebrig als der am Ende dieser Periode in dorischem Stil gearbeitete
+Steinsarg des roemischen Konsuls Lucius Scipio; aber die edle
+Einfachheit desselben beschaemt alle aehnlichen etruskischen Werke. Aus
+den etruskischen Graebern sind manche schoene Bronzen alten strengen
+Kunststils, namentlich Helme, Leuchter und dergleichen Geraetstuecke
+erhoben worden; aber welches dieser Werke reicht an die im Jahre
+458 (296) am ruminalischen Feigenbaum auf dem roemischen Markte aus
+Strafgeldern aufgestellte bronzene Woelfin, noch heute den schoensten
+Schmuck des Kapitols? Und dass auch die latinischen Metallgiesser so
+wenig wie die etruskischen vor grossen Aufgaben zurueckschraken, beweist
+das von Spurius Carvilis (Konsul 461 293) aus den eingeschmolzenen
+samnitischen Ruestungen errichtete kolossale Erzbild des Jupiter auf
+dem Kapitol, aus dessen Abfall beim Ziselieren die zu den Fuessen des
+Kolosses stehende Statue des Siegers hatte gegossen werden koennen; man
+sah dieses Jupiterbild bis vom Albanischen Berge. Unter den gegossenen
+Kupfermuenzen gehoeren bei weitem die schoensten dem suedlichen Latium
+an; die roemischen und umbrischen sind leidlich, die etruskischen fast
+bildlos und oft wahrhaft barbarisch. Die Wandmalereien, die Gaius
+Fabius in dem 452 302 dedizierten Tempel der Wohlfahrt auf dem Kapitol
+ausfuehrte, erwarben in Zeichnung und Faerbung noch das Lob griechisch
+gebildeter Kunstrichter der augusteischen Epoche; und es werden von den
+Kunstenthusiasten der Kaiserzeit wohl auch die caeritischen, aber mit
+noch groesserem Nachdruck die roemischen, lanuvinischen und ardeatischen
+Fresken als Meisterwerke der Malerei gepriesen. Die Zeichnung auf
+Metall, welche in Latium nicht wie in Etrurien die Handspiegel, sondern
+die Toilettenkaestchen mit ihren zierlichen Umrissen schmueckte, ward
+in Latium in weit geringerem Umfang und fast nur in Praeneste geuebt;
+es finden sich vorzuegliche Kunstwerke unter den etruskischen
+Metallspiegeln wie unter den praenestinischen Kaestchen, aber es war
+ein Werk der letzteren Gattung, und zwar ein hoechst wahrscheinlich
+in dieser Epoche in der Werkstatt eines praenestinischen Meisters
+entstandenes Werk ^13, von dem mit Recht gesagt werden konnte, dass kaum
+ein zweites Erzeugnis der Graphik des Altertums so wie die ficoronische
+Cista den Stempel einer in Schoenheit und Charakteristik vollendeten
+und noch vollkommen reinen und ernsten Kunst an sich traegt.
+--------------------------------------------------- ^13 Novius Plautius
+goss vielleicht nur die Fuesse und die Deckelgruppe; das Kaestchen
+selbst kann von einem aelteren Kuenstler herruehren, aber, da der
+Gebrauch dieser Kaestchen sich wesentlich auf Praeneste beschraenkt
+hat, kaum von einem anderen als einem praenestinischen.
+---------------------------------------------------- Der allgemeine
+Stempel der etruskischen Kunstwerke ist teils eine gewisse barbarische
+Ueberschwenglichkeit im Stoff wie im Stil, teils der voellige Mangel
+innerer Entwicklung. Wo der griechische Meister fluechtig skizziert,
+verschwendet der etruskische Schueler schuelerhaft den Fleiss; an
+die Stelle des leichten Materials und der maessigen Verhaeltnisse
+griechischer Werke tritt bei den etruskischen ein renommistisches
+Hervorheben der Groesse und Kostbarkeit oder auch bloss der Seltsamkeit
+des Werkes. Die etruskische Kunst kann nicht nachbilden, ohne zu
+uebertreiben: das Strenge wird ihr hart, das Anmutige weichlich, das
+Schreckliche zum Scheusal, die Ueppigkeit zur Zote, und immer deutlicher
+tritt dies hervor, je mehr die urspruengliche Anregung zuruecktritt
+und die etruskische Kunst sich auf sich selber angewiesen findet. Noch
+auffallender ist das Festhalten an den hergebrachten Formen und
+dem hergebrachten Stil. Sei es, dass die anfaengliche freundlichere
+Beruehrung mit Etrurien hier den Hellenen den Samen der Kunst
+auszustreuen gestattete, eine spaetere Epoche der Feindseligkeit aber
+den juengeren Entwicklungsstadien der griechischen Kunst den Eingang in
+Etrurien erschwerte, sei es, was wahrscheinlicher ist, dass die rasch
+eintretende geistige Erstarrung der Nation die Hauptsache dabei tat: die
+Kunst blieb in Etrurien auf der primitiven Stufe, auf welcher sie bei
+ihrem ersten Eindringen daselbst sich befunden hatte, wesentlich stehen
+- bekanntlich ist dies die Ursache gewesen; weshalb die etruskische
+Kunst, die unentwickelt gebliebene Tochter der hellenischen, solange
+als deren Mutter gegolten hat. Mehr noch als das strenge Festhalten des
+einmal ueberlieferten Stils in den aelteren Kunstzweigen beweist die
+unverhaeltnismaessig elende Behandlung der spaeter aufgekommenen,
+namentlich der Bildhauerei in Stein und des Kupfergusses in der
+Anwendung auf Muenzen, wie rasch aus der etruskischen Kunst der Geist
+entwich. Ebenso belehrend sind die gemalten Gefaesse, die in den
+juengeren etruskischen Grabstaetten in so ungeheurer Anzahl sich finden.
+Waeren dieselben so frueh wie die mit Umrissen verzierten Metallplatten
+oder die bemalten Terrakotten bei den Etruskern gangbar geworden, so
+wuerde man ohne Zweifel auch sie in Menge und in wenigstens relativer
+Guete dort fabrizieren gelernt haben; aber in der Epoche, in welcher
+dieser Luxus emporkam, misslang die selbsttaetige Reproduktion
+vollstaendig, wie die vereinzelten mit etruskischen Inschriften
+versehenen Gefaesse beweisen, und man begnuegte sich darum, dieselben zu
+kaufen, statt sie zu formen. Aber auch innerhalb Etruriens erscheint ein
+weiterer bemerkenswerter Gegensatzinder kuenstlerischen Entwicklung
+der suedlichen und der noerdlichen Landschaft. Es ist Suedetrurien,
+hauptsaechlich die Bezirke von Caere, Tarquinii, Volci, die
+die gewaltigen Prunkschaetze besonders von Wandgemaelden,
+Tempeldekorationen, Goldschmuck und gemalten Tongefaessen bewahren; das
+noerdliche Etrurien steht weit dahinter zurueck, und es hat zum Beispiel
+sich kein gemaltes Grab noerdlich von Chiusi gefunden. Die suedlichsten
+etruskischen Staedte Veii, Caere, Tarquinii sind es, die der roemischen
+Tradition als die Ur- und Hauptsitze der etruskischen Kunst gelten;
+die noerdlichste Stadt Volaterrae, mit dem groessten Gebiet unter allen
+etruskischen Gemeinden, steht von allen auch der Kunst am fernsten.
+Wenn in Suedetrurien die griechische Halbkultur, so ist in Nordetrurien
+vielmehr die Unkultur zu Hause. Die Ursachen dieses bemerkenswerten
+Gegensatzes moegen teils in der verschiedenartigen, in Suedetrurien
+wahrscheinlich stark mit nicht etruskischen Elementen gemischten
+Nationalitaet, teils in der verschiedenen Maechtigkeit des hellenischen
+Einflusses zu suchen sein, welcher letztere namentlich in Caere sich
+sehr entschieden geltend gemacht haben muss; die Tatsache selbst ist
+nicht zu bezweifeln. Um so mehr musste die fruehe Unterjochung der
+suedlichen Haelfte Etruriens durch die Roemer und die sehr zeitig hier
+beginnende Romanisierung der etruskischen Kunst verderblich werden;
+was Nordetrurien, auf sich allein beschraenkt, kuenstlerisch zu leisten
+vermochte, zeigen die wesentlich ihm angehoerenden Kupfermuenzen. Wenden
+wir die Blicke von Etrurien nach Latium, so hat freilich auch dies
+keine neue Kunst geschaffen; es war einer weit spaeteren Kulturepoche
+vorbehalten, aus dem Motiv des Bogens eine neue, von der hellenischen
+Tektonik verschiedene Architektur zu entwickeln und sodann mit dieser
+harmonisch eine neue Bildnerei und Malerei zu entfalten. Die latinische
+Kunst ist nirgend originell und oft gering; aber die frisch empfindende
+und taktvoll waehlende Aneignung des fremden Gutes ist auch ein hohes
+kuenstlerisches Verdienst. Nicht leicht hat die latinische Kunst
+barbarisiert und in ihren besten Erzeugnissen steht sie voellig im
+Niveau der griechischen Technik. Eine gewisse Abhaengigkeit der Kunst
+Latiums wenigstens in ihren frueheren Stadien von der sicher aelteren
+etruskischen soll darum nicht geleugnet werden; es mag Varro immerhin
+mit Recht angenommen haben, dass bis auf die im Cerestempel von
+griechischen Kuenstlern ausgefuehrten nur "tuscanische" Tonbilder die
+roemischen Tempel verzierten; aber dass doch vor allem der unmittelbare
+Einfluss der Griechen die latinische Kunst bestimmt hat, ist an sich
+schon klar und liegt auch in eben diesen Bildwerken sowie in den
+latinischen und roemischen Muenzen deutlich zu Tage. Selbst
+die Anwendung der Metallzeichnung in Etrurien lediglich auf den
+Toilettenspiegel, in Latium lediglich auf den Toilettenkasten deutet
+auf die Verschiedenartigkeit der beiden Landschaften zuteil gewordenen
+Kunstanregung. Es scheint indes nicht gerade Rom gewesen zu sein, wo die
+latinische Kunst ihre frischesten Blueten trieb; die roemischen Asse
+und die roemischen Denare werden von den latinischen Kupfer- und den
+seltenen latinischen Silbermuenzen an Feinheit und Geschmack der Arbeit
+bei weitem uebertroffen und auch die Meisterwerke der Malerei und
+Zeichnung gehoeren vorwiegend Praeneste, Lanuvium, Ardea an. Auch
+stimmt dies vollstaendig zu dem frueher bezeichneten realistischen und
+nuechternen Sinn der roemischen Republik, welcher in dem uebrigen Latium
+sich schwerlich mit gleicher Strenge geltend gemacht haben kann. Aber
+im Lauf des fuenften Jahrhunderts und besonders in der zweiten Haelfte
+desselben regte es denn doch sich maechtig auch in der roemischen Kunst.
+Es war dies die Epoche, in welcher der spaetere Bogen- und Strassenbau
+begann, in welcher Kunstwerke wie die Kapitolinische Woelfin entstanden,
+in welcher ein angesehener Mann aus einem altadeligen roemischen
+Geschlechte den Pinsel ergriff, um einen neugebauten Tempel
+auszuschmuecken und dafuer den Ehrenbeinamen des "Malers" empfing. Das
+ist nicht Zufall. Jede grosse Zeit erfasst den ganzen Menschen; und wie
+starr die roemische Sitte, wie streng die roemische Polizei immer war,
+der Aufschwung, den die roemische Buergerschaft als Herrin der Halbinsel
+oder richtiger gesagt, den das zum erstenmal staatlich geeinigte Italien
+nahm, tritt auch in dem Aufschwung der latinischen und besonders
+der roemischen Kunst ebenso deutlich hervor wie in dem Sinken der
+etruskischen der sittliche und politische Verfall der Nation. Wie die
+gewaltige Volkskraft Latiums die schwaecheren Nationen bezwang, so
+hat sie auch dem Erz und dem Marmor ihren unvergaenglichen Stempel
+aufgedrueckt.
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+End of the Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 2 by
+Theodor Mommsen
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