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You may copy it, give it away or re-use it under the terms of +the Project Gutenberg License included with this eBook or online at +www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have +to check the laws of the country where you are located before using this ebook. + +Title: Römische Geschichte Book 2 + +Author: Theodor Mommsen + +Release Date: February, 2002 [Etext #3061] +[Most recently updated: January 15, 2020] + +Language: German + +Character set encoding: UTF-8 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE *** + + + + + + + + + + + +</pre> + + +<h1>Römische Geschichte </h1> + +<h4>Zweites Buch<br/> +Von der Abschaffung des römischen Königtums bis zur Einigung Italiens +</h4> + +<h2>von Theodor Mommsen</h2> + +<hr /> + +<p> +The following e-text of Mommsen’s Roemische Geschichte contains some +(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a +modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek +words, nor is there any differentiation between the different accents of +ancient Greek and the subscript iotas are missing as well. +</p> + +<h2>Contents</h2> + +<table summary="" style="margin-left: auto; margin-right: auto"> + +<tr> +<td> <a href="#part02"><b>Zweites Buch—Von der Abschaffung des römischen Königtums bis zur Einigung Italiens</b></a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap01">Kapitel I. Änderung der Verfassung. Beschränkung der Magistratsgewalt.</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap02">Kapitel II. Das Volkstribunat und die Dezemvirn</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap03">Kapitel III. Die Ausgleichung der Stände und die neue Aristokratie</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap04">Kapitel IV. Sturz der etruskischen Macht. Die Kelten.</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap05">Kapitel V. Die Unterwerfung der Latiner und Kampaner unter Rom</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap06">Kapitel VI. Die Italiker gegen Rom</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap07">Kapitel VII. König Pyrrhos gegen Rom und die Einigung Italiens</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap08">Kapitel VIII. Recht, Religion, Kriegswesen, Volkswirtschaft, Nationalität</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap09">Kapitel IX. Kunst und Wissenschaft</a></td> +</tr> + +</table> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="part02"></a>Zweites Buch<br/> +Von der Abschaffung des römischen Königtums bis zur Einigung Italiens +</h2> + +<p> +— δεί ουκ εκπλήττειν τόν συγγράφεα τερατευόμενον διά τής ιστορίας τούς +εντυγχάνοντας. +</p> + +<p> +— der Historiker soll seine Leser nicht durch Schauergeschichten in +Erschuetterung versetzen. +</p> + +<p class="right"> +Polybios +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap01"></a>KAPITEL I.<br/> +Änderung der Verfassung. Beschränkung der Magistratsgewalt.</h2> + +<p> +Der strenge Begriff der Einheit und Allgewalt der Gemeinde in allen +Gemeindeangelegenheiten, dieser Schwerpunkt der italischen Verfassungen, legte +in die Haende des einzigen, auf Lebenszeit ernannten Vorstehers eine furchtbare +Gewalt, die wohl der Landesfeind empfand, aber nicht minder schwer der Buerger. +Missbrauch und Druck konnte nicht ausbleiben, und hiervon die notwendige Folge +waren Bestrebungen, jene Gewalt zu mindern. Aber das ist das Grossartige in +diesen roemischen Reformversuchen und Revolutionen, dass man nie unternimmt, +weder die Gemeinde als solche zu beschraenken noch auch nur sie entsprechender +Organe zu berauben, dass nie die sogenannten natuerlichen Rechte des einzelnen +gegen die Gemeinde geltend gemacht werden, sondern dass der ganze Sturm sich +richtet gegen die Form der Gemeindevertretung. Nicht Begrenzung der Staats-, +sondern Begrenzung der Beamtenmacht ist der Ruf der roemischen +Fortschrittspartei von den Zeiten der Tarquinier bis auf die der Gracchen; und +auch dabei vergisst man nie, dass das Volk nicht regieren, sondern regiert +werden soll. +</p> + +<p> +Dieser Kampf bewegt sich innerhalb der Buergerschaft. Ihm zur Seite entwickelt +sich eine andere Bewegung: der Ruf der Nichtbuerger um politische +Gleichberechtigung. Dahin gehoeren die Agitationen der Plebejer, der Latiner, +der Italiker, der Freigelassenen, welche alle, mochten sie Buerger genannt +werden, wie die Plebejer und die Freigelassenen, oder nicht, wie die Latiner +und die Italiker, politische Gleichheit entbehrten und begehrten. +</p> + +<p> +Ein dritter Gegensatz ist noch allgemeinerer Art: der der Vermoegenden und der +Armen, insbesondere der aus dem Besitz gedraengten oder in demselben +gefaehrdeten Besitzer. Die rechtlichen und politischen Verhaeltnisse Roms +veranlassten die Entstehung zahlreicher Bauernwirtschaften teils kleiner +Eigentuemer, die von der Gnade des Kapital-, teils kleiner Zeitpaechter, die +von der Gnade des Grundherrn abhingen, und beraubten vielfach einzelne wie +ganze Gemeinden des Grundbesitzes, ohne die persoenliche Freiheit anzugreifen. +Dadurch ward das ackerbauende Proletariat schon so frueh maechtig, dass es +wesentlich in die Schicksale der Gemeinde eingreifen konnte. Das staedtische +Proletariat gewann erst in weit spaeterer Zeit politische Bedeutung. +</p> + +<p> +In diesen Gegensaetzen bewegte sich die innere Geschichte Roms und vermutlich +nicht minder die uns gaenzlich verlorene der uebrigen italischen Gemeinden. Die +politische Bewegung innerhalb der vollberechtigten Buergerschaft, der Krieg der +Ausgeschlossenen und der Ausschliessenden, die sozialen Konflikte der +Besitzenden und der Besitzlosen, so mannigfaltig sie sich durchkreuzen und +ineinanderschlingen und oft seltsame Allianzen herbeifuehren, sind dennoch +wesentlich und von Grund aus verschieden. +</p> + +<p> +Da die Servianische Reform, welche den Insassen in militaerischer Hinsicht dem +Buerger gleichstellte, mehr aus administrativen Ruecksichten als aus einer +politischen Parteitendenz hervorgegangen zu sein scheint, so darf als der erste +dieser Gegensaetze, der zu inneren Krisen und Verfassungsaenderungen fuehrte, +derjenige betrachtet werden, der auf die Beschraenkung der Magistratur +hinarbeitet. Der frueheste Erfolg dieser aeltesten roemischen Opposition +besteht in der Abschaffung der Lebenslaenglichkeit der Gemeindevorsteherschaft, +das heisst in der Abschaffung des Koenigtums. Wie notwendig diese in der +natuerlichen Entwicklung der Dinge lag, dafuer ist der schlagendste Beweis, +dass dieselbe Verfassungsaenderung in dem ganzen Kreise der +italisch-griechischen Welt in analoger Weise vor sich gegangen ist. Nicht bloss +in Rom, sondern gerade ebenso bei den uebrigen Latinern sowie bei den +Sabellern, Etruskern und Apulern, ueberhaupt in saemtlichen italischen +Gemeinden finden wir, wie in den griechischen, in spaeterer Zeit die alten +lebenslaenglichen durch Jahresherrscher ersetzt. Fuer den lucanischen Gau ist +es bezeugt, dass er im Frieden sich demokratisch regierte und nur fuer den +Krieg die Magistrate einen Koenig, das heisst einen dem roemischen Diktator +aehnlichen Beamten bestellten; die sabellischen Stadtgemeinden, zum Beispiel +die von Capua und Pompeii, gehorchten gleichfalls spaeterhin einem jaehrlich +wechselnden “Gemeindebesorger” (medix tuticus), und aehnliche +Institutionen moegen wir auch bei den uebrigen Volks- und Stadtgemeinden +Italiens voraussetzen. Es bedarf hiernach keiner Erklaerung, aus welchen +Gruenden in Rom die Konsuln an die Stelle der Koenige getreten sind; der +Organismus der alten griechischen und italischen Politie entwickelt vielmehr +die Beschraenkung der lebenslaenglichen Gemeindevorstandschaft auf eine +kuerzere, meistenteils jaehrige Frist mit einer gewissen Naturnotwendigkeit aus +sich selber. So einfach indes die Ursache dieser Veraenderung ist, so +mannigfaltig konnten die Anlaesse sein; man mochte nach dem Tode des +lebenslaenglichen Herrn beschliessen keinen solchen wieder zu erwaehlen, wie +nach Romulus’ Tode der roemische Senat versucht haben soll; oder der Herr +mochte freiwillig abdanken, was angeblich Koenig Servius Tullius beabsichtigt +hat; oder das Volk mochte gegen einen tyrannischen Regenten aufstehen und ihn +vertreiben, wie dies das Ende des roemischen Koenigtums war. Denn mag die +Geschichte der Vertreibung des letzten Tarquinius, “des +Uebermuetigen”, auch noch so sehr in Anekdoten ein- und zur Novelle +ausgesponnen sein, so ist doch an den Grundzuegen nicht zu zweifeln. Dass der +Koenig es unterliess den Senat zu befragen und zu ergaenzen, dass er +Todesurteile und Konfiskationen ohne Zuziehung von Ratmaennern aussprach, dass +er in seinen Speichern ungeheure Kornvorraete aufhaeufte und den Buergern +Kriegsarbeit und Handdienste ueber die Gebuehr ansann, bezeichnet die +Ueberlieferung in glaublicher Weise als die Ursachen der Empoerung; von der +Erbitterung des Volkes zeugt das foermliche Geloebnis, das dasselbe Mann fuer +Mann fuer sich und seine Nachkommen ablegte, fortan keinen Koenig mehr zu +dulden, und der blinde Hass, der seitdem an den Namen des Koenigs sich +anknuepfte, vor allem aber die Verfuegung, dass der “Opferkoenig”, +den man kreieren zu muessen glaubte, damit nicht die Goetter den gewohnten +Vermittler vermissten, kein weiteres Amt solle bekleiden koennen und also +dieser zwar der erste, aber auch der ohnmaechtigste Mann im roemischen +Gemeindewesen ward. Mit dem letzten Koenig wurde sein ganzes Geschlecht +verbannt - ein Beweis, welche Geschlossenheit damals noch die gentilizischen +Verbindungen hatten. Die Tarquinier siedelten darauf ueber nach Caere, +vielleicht ihrer alten Heimat, wo ihr Geschlechtsgrab kuerzlich aufgedeckt +worden ist. An die Stelle aber des einen lebenslaenglichen traten zwei jaehrige +Herrscher an die Spitze der roemischen Gemeinde. +</p> + +<p> +Dies ist alles, was historisch ueber dies wichtige Ereignis als sicher +angesehen werden kann ^1. Dass in einer grossen weitherrschenden Gemeinde, wie +die roemische war, die koenigliche Gewalt, namentlich wenn sie durch mehrere +Generationen bei demselben Geschlechte gewesen, widerstandsfaehiger und der +Kampf also lebhafter war als in den kleineren Staaten, ist begreiflich; aber +auf eine Einmischung auswaertiger Staaten in denselben deutet keine sichere +Spur. Der grosse Krieg mit Etrurien, der uebrigens wohl nur durch +chronologische Verwirrung in den roemischen Jahrbuechern so nahe an die +Vertreibung der Tarquinier gerueckt ist, kann nicht als eine Intervention +Etruriens zu Gunsten eines in Rom beeintraechtigten Landsmannes angesehen +werden, aus dem sehr zureichenden Grunde, dass die Etrusker trotz des +vollstaendigen Sieges doch weder das roemische Koenigtum wiederhergestellt noch +auch nur die Tarquinier zurueckgefuehrt haben. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +^1 Die bekannte Fabel richtet groesstenteils sich selbst; zum guten Teil ist +sie aus Beinamenerklaerung (Brutus, Poplicola, Scaevola) herausgesponnen. Aber +sogar die scheinbar geschichtlichen Bestandteile derselben zeigen bei genauerer +Erwaegung sich als erfunden. Dahin gehoert, dass Brutus Reiterhauptmann +(tribunus celerum) gewesen und als solcher den Volksschluss ueber die +Vertreibung der Tarquinier beantragt haben soll; denn es ist nach der +roemischen Verfassung ganz unmoeglich, dass ein blosser Offizier das Recht +gehabt habe, die Kurien zu berufen. Offenbar ist diese ganze Angabe zum Zweck +der Herstellung eines Rechtsbodens fuer die roemische Republik ersonnen, und +recht schlecht ersonnen, indem dabei der tribunus celerum mit dem ganz +verschiedenen magister equitum verwechselt und dann das dem letzteren kraft +seines praetorischen Ranges zustehende Recht, die Zenturien zu berufen, auf die +Kurienversammlung bezogen ward. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Sind wir ueber den historischen Zusammenhang dieses wichtigen Ereignisses im +Dunkeln, so liegt dagegen zum Glueck klar vor, worin die Verfassungsaenderung +bestand. Die Koenigsgewalt ward keineswegs abgeschafft, wie schon das beweist, +dass in der Vakanz nach wie vor der “Zwischenkoenig” eintrat; es +traten nur an die Stelle des einen lebenslaenglichen zwei Jahreskoenige, die +sich Feldherren (praetores) oder Richter (iudices) oder auch bloss Kollegen +(consules) ^2 nannten. Es sind die Prinzipien der Kollegialitaet und der +Annuitaet, die die Republik und das Koenigtum unterscheiden und die hier zuerst +uns entgegentreten. +</p> + +<p> +—————————————————— +</p> + +<p> +^2 Consules sind die zusammen Springenden oder Tanzenden, wie praesul der +Vorspringen exul der Ausspringer (ο εκπεσών), insula der Einsprung, zunaechst +der ins Meer gefallene Felsblock. +</p> + +<p> +—————————————————— +</p> + +<p> +Dasjenige der Kollegialitaet, dem der dritte spaeterhin gangbarste Name der +Jahreskoenige entlehnt war, erscheint hier in einer ganz eigentuemlichen +Gestalt. Nicht den beiden Beamten zusammen ward die hoechste Macht uebertragen, +sondern es hatte und uebte sie jeder Konsul fuer sich so voll und ganz, wie der +Koenig sie gehabt und geuebt hatte. Es geht dies so weit, dass von den beiden +Kollegen nicht etwa der eine die Rechtspflege, der andere den Heerbefehl +uebernahm, sondern sie ebenso gleichzeitig in der Stadt Recht sprachen wie +zusammen zum Heere abgingen; im Falle der Kollision entschied ein nach Monaten +oder Tagen bemessener Turnus. Allerdings konnte daneben, wenigstens im +militaerischen Oberbefehl, eine gewisse Kompetenzteilung wohl von Anfang an +stattfinden, beispielsweise der eine Konsul gegen die Aequer, der andere gegen +die Volsker ausruecken; aber sie hatte in keiner Weise bindende Kraft und jedem +der Kollegen stand es rechtlich frei, in den Amtskreis des andern zu jeder Zeit +ueberzugreifen. Wo also die hoechste Gewalt der hoechsten Gewalt entgegentrat +und der eine Kollege das verbot, was der andere befahl, hoben die +konsularischen Machtworte einander auf. Diese eigentuemlich wenn nicht +roemische, so doch latinische Institution konkurrierender hoechster Gewalt, die +im roemischen Gemeinwesen sich im ganzen genommen praktisch bewaehrt hat, zu +der es aber schwer sein wird, in einem andern groesseren Staat eine Parallele +zu finden, ist offenbar hervorgegangen aus dem Bestreben, die koenigliche Macht +in rechtlich ungeschmaelerter Fuelle festzuhalten und darum das Koenigsamt +nicht etwa zu teilen oder von einem Individuum auf ein Kollegium zu +uebertragen, sondern lediglich es zu verdoppeln und damit, wo es noetig war, es +durch sich selber zu vernichten. +</p> + +<p> +Fuer die Befristung gab das aeltere fuenftaegige Zwischenkoenigtum einen +rechtlichen Anhalt. Die ordentlichen Gemeindevorsteher wurden verpflichtet, +nicht laenger als ein Jahr, von dem Tage ihres Amtsantritts an gerechnet ^3, im +Amte zu bleiben und hoerten, wie der Interrex mit Ablauf der fuenf Tage, so mit +Ablauf des Jahres vor. Rechts wegen auf, Beamte zu sein. Durch diese Befristung +des hoechsten Amtes ging die tatsaechliche Unverantwortlichkeit des Koenigs +fuer den Konsul verloren. Zwar hatte auch der Koenig von jeher in dem +roemischen Gemeinwesen unter, nicht ueber dem Gesetz gestanden; allein da nach +roemischer Auffassung der hoechste Richter nicht bei sich selbst belangt werden +durfte, hatte er wohl ein Verbrechen begehen koennen, aber ein Gericht und eine +Strafe gab es fuer ihn nicht. Den Konsul dagegen schuetzte, wenn er Mord oder +Landesverrat beging, sein Amt auch, aber nur, solange es waehrte; nach seinem +Ruecktritt unterlag er dem gewoehnlichen Strafgericht wie jeder andere Buerger. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +^3 Der Antrittstag fiel mit dem Jahresanfang (1. Maerz) nicht zusammen und war +ueberhaupt nicht fest. Nach diesem richtete sich der Ruecktrittstag, +ausgenommen, wenn ein Konsul ausdruecklich anstatt eines ausgefallenen gewaehlt +war (consul suffectus), wo er in die Rechte und also auch in die Frist des +Ausgefallenen eintrat. Doch sind diese Ersatzkonsuln in aelterer Zeit nur +vorgekommen, wenn bloss der eine der Konsuln weggefallen war; Kollegien von +Ersatzkonsuln begegnen erst in der spaeteren Republik. Regelmaessig bestand +also das Amtsjahr eines Konsuls aus den ungleichen Haelften zweier +buergerlicher Jahre. +</p> + +<p> +————————————————————————— +</p> + +<p> +Zu diesen hauptsaechlichen und prinzipiellen Aenderungen kamen andere +untergeordnete und mehr aeusserliche, aber doch auch teilweise tief +eingreifende Beschraenkungen hinzu. Das Recht des Koenigs, seine Aecker durch +Buergerfronden zu bestellen, und das besondere Schutzverhaeltnis, in welchem +die Insassenschaft zu dem Koenig gestanden haben muss, fielen mit der +Lebenslaenglichkeit des Amtes von selber. +</p> + +<p> +Hatte ferner im Kriminalprozess sowie bei Bussen und Leibesstrafen bisher dem +Koenig nicht bloss Untersuchung und Entscheidung der Sache zugestanden, sondern +auch die Entscheidung darueber, ob der Verurteilte den Gnadenweg betreten +duerfe oder nicht, so bestimmte jetzt das Valerische Gesetz (Jahr 245 Roms +500), dass der Konsul der Provokation des Verurteilten stattgeben muesse, wenn +auf Todes- oder Leibesstrafe nicht nach Kriegsrecht erkannt war; was durch ein +spaeteres Gesetz (unbestimmter Zeit, aber vor dem Jahre 303 451 erlassen) auf +schwere Vermoegensbussen ausgedehnt ward. Zum Zeichen dessen legten die +konsularischen Liktoren, wo der Konsul als Richter, nicht als Feldherr auftrat, +die Beile ab, die sie bisher kraft des ihrem Herrn zustehenden Blutbannes +gefuehrt hatten. Indes drohte dem Beamten, der der Provokation nicht ihren Lauf +liess, das Gesetz nichts anderes als die Infamie, die nach damaligen +Verhaeltnissen im wesentlichen nichts war als ein sittlicher Makel und +hoechstens zur Folge hatte, dass das Zeugnis des Ehrlosen nicht mehr galt. Auch +hier liegt dieselbe Anschauung zu Grunde, dass es rechtlich unmoeglich ist, die +alte Koenigsgewalt zu schmaelern und die infolge der Revolution dem Inhaber der +hoechsten Gemeindegewalt gesetzten Schranken streng genommen nur einen +tatsaechlichen und sittlichen Wert haben. Wenn also der Konsul innerhalb der +alten koeniglichen Kompetenz handelt, so kann er damit wohl ein Unrecht, aber +kein Verbrechen begehen und unterliegt also deswegen dem Strafrichter nicht. +</p> + +<p> +Eine in der Tendenz aehnliche Beschraenkung fand statt in der +Zivilgerichtsbarkeit; denn wahrscheinlich wurde den Konsuln gleich mit ihrem +Eintritt das Recht genommen, einen Rechtshandel unter Privaten nach ihrem +Ermessen zu entscheiden. +</p> + +<p> +Die Umgestaltung des Kriminal- wie des Zivilprozesses stand in Verbindung mit +einer allgemeinen Anordnung hinsichtlich der Uebertragung der Amtsgewalt auf +Stellvertreter oder Nachfolger. Hatte dem Koenig die Ernennung von +Stellvertretern unbeschraenkt frei, aber nie fuer ihn ein Zwang dazu bestanden, +so haben die Konsuln das Recht der Gewaltuebertragung in wesentlich anderer +Weise geuebt. Zwar die Regel, dass wenn der hoechste Beamte die Stadt verliess, +er fuer die Rechtspflege daselbst einen Vogt zu bestellen habe, blieb auch fuer +die Konsuln in Kraft, und nicht einmal die Kollegialitaet ward auf die +Stellvertretung erstreckt, vielmehr diese Bestellung demjenigen Konsul +auferlegt, welcher zuletzt die Stadt verliess. Aber das Mandierungsrecht fuer +die Zeit, wo die Konsuln in der Stadt verweilten, wurde wahrscheinlich gleich +bei der Einfuehrung dieses Amtes dadurch beschraenkt, dass dem Konsul das +Mandieren fuer bestimmte Faelle vorgeschrieben, fuer alle Faelle dagegen, wo +dies nicht geschehen war, untersagt ward. Nach diesem Grundsatz ward, wie +gesagt, das gesamte Gerichtswesen geordnet. Der Konsul konnte allerdings die +Kriminalgerichtsbarkeit auch im Kapitalprozess in der Weise ausueben, dass er +seinen Spruch der Gemeinde vorlegte und diese ihn dann bestaetigte oder +verwarf; aber er hat dies Recht, soviel wir sehen, nie geuebt, vielleicht bald +nicht mehr ueben duerfen und vielleicht nur da ein Kriminalurteil gefaellt, wo +aus irgendeinem Grunde die Berufung an die Gemeinde ausgeschlossen war. Man +vermied den unmittelbaren Konflikt zwischen dem hoechsten Gemeindebeamten und +der Gemeinde selbst und ordnete den Kriminalprozess vielmehr in der Weise, dass +das hoechste Gemeindeamt nur der Idee nach kompetent blieb, aber immer handelte +durch notwendige, wenn auch von ihm bestellte Vertreter. Es sind dies die +beiden nicht staendigen Urteilsprecher fuer Empoerung und Hochverrat (duoviri +perduellionis) und die zwei staendigen Mordspuerer, die quaestores parricidii. +Aehnliches mag vielleicht in der Koenigszeit da vorgekommen sein, wo der Koenig +sich in solchen Prozessen vertreten liess; aber die Staendigkeit der letzteren +Institution und das in beiden durchgefuehrte Kollegialitaetsprinzip gehoeren +auf jeden Fall der Republik an. Die letztere Einrichtung ist auch insofern von +grosser Wichtigkeit geworden, als damit zum erstenmal neben die zwei staendigen +Oberbeamten zwei Gehilfen traten, die jeder Oberbeamte bei seinem Amtsantritt +ernannte und die folgerecht auch bei seinem Ruecktritt mit ihm abtraten, deren +Stellung also wie das Oberamt selbst nach den Prinzipien der Staendigkeit, der +Kollegialitaet und der Annuitaet geordnet war. Es ist das zwar noch nicht die +niedere Magistratur selbst, wenigstens nicht in dem Sinne, den die Republik mit +der magistratischen Stellung verbindet, insofern die Kommissarien nicht aus der +Wahl der Gemeinde hervorgehen; wohl aber ist dies der Ausgangspunkt der spaeter +so mannigfaltig entwickelten Institution der Unterbeamten geworden. +</p> + +<p> +In aehnlichem Sinne wurde die Entscheidung im Zivilprozess dem Oberamt +entzogen, indem das Recht des Koenigs, einen einzelnen Prozess zur Entscheidung +einem Stellvertreter zu uebertragen, umgewandelt ward in die Pflicht des +Konsuls, nach Feststellung der Parteilegitimation und des Gegenstandes der +Klage dieselbe zur Erledigung an einen von ihm auszuwaehlenden und von ihm zu +instruierenden Privatmann zu verweisen. +</p> + +<p> +In gleicher Weise wurde den Konsuln die wichtige Verwaltung des Staatsschatzes +und des Staatsarchivs zwar gelassen, aber doch wahrscheinlich sofort, +mindestens sehr frueh, ihnen dabei staendige Gehilfen und zwar eben jene +Quaestoren zugeordnet, welche ihnen freilich in dieser Taetigkeit unbedingt zu +gehorchen hatten, ohne deren Vorwissen und Mitwirkung aber doch die Konsuln +nicht handeln konnten. Wo dagegen solche Vorschriften nicht bestanden, musste +der Gemeindevorstand in der Hauptstadt persoenlich eingreifen; wie denn zum +Beispiel bei der Einleitung des Prozesses er sich unter keinen Umstaenden +vertreten lassen kann. +</p> + +<p> +Diese zwiefache Fesselung des konsularischen Mandierungsrechts bestand fuer das +staedtische Regiment, zunaechst fuer die Rechtspflege und die Kassenverwaltung. +Als Oberfeldherr behielt der Konsul dagegen das Uebertragungsrecht aller oder +einzelner ihm obliegender Geschaefte. Diese verschiedene Behandlung der +buergerlichen und der militaerischen Gewaltuebertragung ist die Ursache +geworden, weshalb innerhalb des eigentlichen roemischen Gemeinderegiments +durchaus keine stellvertretende Amtsgewalt (pro magistratu) moeglich ist und +rein staedtische Beamte nie durch Nichtbeamte ersetzt, die militaerischen +Stellvertreter aber (pro consule, pro praetore, pro quaestore) von aller +Taetigkeit innerhalb der eigentlichen Gemeinde ausgeschlossen werden. +</p> + +<p> +Das Recht, den Nachfolger zu ernennen, hatte der Koenig nicht gehabt, sondern +nur der Zwischenkoenig. Der Konsul wurde in dieser Hinsicht dem letzten +gleichgestellt; fuer den Fall jedoch, dass er es nicht ausgeuebt hatte, trat +nach wie vor der Zwischenkoenig ein, und die notwendige Kontinuitaet des Amtes +bestand auch in dem republikanischen Regiment ungeschmaelert fort. Indes wurde +das Ernennungsrecht wesentlich eingeschraenkt zu Gunsten der Buergerschaft, +indem der Konsul verpflichtet ward, fuer die von ihm bezeichneten Nachfolger +die Zustimmung der Gemeinde zu erwirken, weiterhin nur diejenigen zu ernennen, +die die Gemeinde ihm bezeichnete. Durch dieses bindende Vorschlagsrecht ging +wohl in gewissem Sinne die Ernennung der ordentlichen hoechsten Beamten +materiell auf die Gemeinde ueber; doch bestand auch praktisch noch ein sehr +bedeutender Unterschied zwischen jenem Vorschlags- und dem foermlichen +Ernennungsrecht. Der wahlleitende Konsul war durchaus nicht blosser +Wahlvorstand, sondern konnte immer noch, kraft seines alten koeniglichen +Rechts, zum Beispiel einzelne Kandidaten zurueckweisen und die auf sie +fallenden Stimmen unbeachtet lassen, anfangs auch noch die Wahl auf eine von +ihm entworfene Kandidatenliste beschraenken; und was noch wichtiger war, wenn +das Konsulkollegium durch den gleich zu erwaehnenden Diktator zu ergaenzen war, +wurde bei dieser Ergaenzung die Gemeinde nicht befragt, sondern der Konsul +bestellte in dem Fall mit derselben Freiheit den Kollegen, wie einst der +Zwischenkoenig den Koenig bestellt hatte. +</p> + +<p> +Die Priesterernennung, die den Koenigen zugestanden hatte, ging nicht ueber auf +die Konsuln, sondern es trat dafuer bei den Maennerkollegien die +Selbstergaenzung, bei den Vestalinnen und den Einzelpriestern die Ernennung +durch das Pontifikalkollegium ein, an welches auch die Ausuebung der gleichsam +hausherrlichen Gerichtsbarkeit der Gemeinde ueber die Priesterinnen der Vesta +kam. Um diese fueglich nicht anders als von einem einzelnen vorzunehmenden +Handlungen vollziehen zu koennen, setzte das Kollegium sich, vermutlich erst um +diese Zeit, einen Vorstand, den Pontifex maximus. Diese Abtrennung der sakralen +Obergewalt von der buergerlichen, waehrend auf den schon erwaehnten +“Opferkoenig” weder die buergerliche noch die sakrale Macht des +Koenigtums, sondern lediglich der Titel ueberging, sowie die aus dem sonstigen +Charakter des roemischen Priestertums entschieden heraustretende, halb +magistratische Stellung des neuen Oberpriesters ist eine der bezeichnendsten +und folgenreichsten Eigentuemlichkeiten dieser auf Beschraenkung der +Beamtengewalt hauptsaechlich im aristokratischen Interesse hinzielenden +Staatsumwaelzung. +</p> + +<p> +Dass auch im aeusseren Auftreten der Konsul weit zurueckstand hinter dem mit +Ehrfurcht und Schrecken umgebenen koeniglichen Amte, dass der Koenigsname und +die priesterliche Weihe ihm entzogen, seinen Dienern das Beil genommen wurde, +ist schon gesagt worden; es kommt hinzu, dass der Konsul statt des koeniglichen +Purpurkleides nur durch den Purpursaum seines Obergewandes von dem +gewoehnlichen Buerger sich unterschied, und dass, waehrend der Koenig +oeffentlich vielleicht regelmaessig im Wagen erschien, der Konsul der +allgemeinen Ordnung sich zu fuegen und gleich jedem anderen Buerger innerhalb +der Stadt zu Fuss zu gehen gehalten war. +</p> + +<p> +Indes, diese Beschraenkungen der Amtsgewalt kamen im wesentlichen nur zur +Anwendung gegen den ordentlichen Gemeindevorstand. Ausserordentlicher Weise +trat neben und in gewissem Sinn anstatt der beiden von der Gemeinde gewaehlten +Vorsteher ein einziger ein, der Heermeister (magister populi), gewoehnlich +bezeichnet als der dictator. Auf die Wahl zum Diktator uebte die Gemeinde +keinerlei Einfluss, sondern sie ging lediglich aus dem freien Entschluss eines +der zeitigen Konsuln hervor, den weder der Kollege noch eine andere Behoerde +hieran hindern konnte; gegen ihn galt die Provokation nur wie gegen den Koenig, +wenn er freiwillig ihr wich; sowie er ernannt war, waren alle uebrigen Beamten +von Rechts wegen ihm untertan. Dagegen war der Zeit nach die Amtsdauer des +Diktators zwiefach begrenzt: einmal insofern er als Amtsgenosse derjenigen +Konsuln, deren einer ihn ernannt hatte, nicht ueber deren gesetzliche Amtszeit +hinaus im Amte bleiben durfte; sodann war als absolutes Maximum der Amtsdauer +dem Diktator eine sechsmonatliche Frist gesetzt. Eine der Diktatur +eigentuemliche Einrichtung war ferner, dass der “Heermeister” +gehalten war, sich sofort einen “Reitermeister” (magister equitum) +zu ernennen, welcher als abhaengiger Gehilfe neben ihm, etwa wie der Quaestor +neben dem Konsul, fungierte und mit ihm vom Amte abtrat - eine Einrichtung, die +ohne Zweifel damit zusammenhaengt, dass es dem Heermeister, vermutlich als dem +Fuehrer des Fussvolkes, verfassungsmaessig untersagt war, zu Pferde zu steigen. +Diesen Bestimmungen zufolge ist die Diktatur wohl aufzufassen als eine mit dem +Konsulat zugleich entstandene Einrichtung, die den Zweck hatte, insbesondere +fuer den Kriegsfall die Nachteile der geteilten Gewalt zeitweilig zu beseitigen +und die koenigliche Gewalt voruebergehend wieder ins Leben zu rufen. Denn im +Kriege vor allem musste die Gleichberechtigung der Konsuln bedenklich +erscheinen und nicht bloss bestimmte Zeugnisse, sondern vor allem die aelteste +Benennung des Beamten selbst und seines Gehilfen wie auch die Begrenzung auf +die Dauer eines Sommerfeldzugs und der Ausschluss der Provokation sprechen fuer +die ueberwiegend militaerische Bestimmung der urspruenglichen Diktatur. +</p> + +<p> +Im ganzen also blieben auch die Konsuln, was die Koenige gewesen waren, oberste +Verwalter, Richter und Feldherren, und auch in religioeser Hinsicht war es +nicht der Opferkoenig, der nur, damit der Name vorhanden sei, ernannt ward, +sondern der Konsul, der fuer die Gemeinde betete und opferte und in ihrem Namen +den Willen der Goetter mit Hilfe der Sachverstaendigen erforschte. Fuer den +Notfall hielt man sich ueberdies die Moeglichkeit offen, die volle +unumschraenkte Koenigsgewalt ohne vorherige Befragung der Gemeinde jeden +Augenblick wieder ins Leben zu rufen mit Beseitigung der durch die +Kollegialitaet und durch die besonderen Kompetenzminderungen gezogenen +Schranken. So wurde die Aufgabe, die koenigliche Autoritaet rechtlich +festzuhalten und tatsaechlich zu beschraenken, von den namenlosen +Staatsmaennern, deren Werk diese Revolution war, in echt roemischer Weise +ebenso scharf wie einfach geloest. +</p> + +<p> +Die Gemeinde gewann also durch die Aenderung der Verfassung die wichtigsten +Rechte: das Recht, die Gemeindevorsteher jaehrlich zu bezeichnen und ueber Tod +und Leben des Buergers in letzter Instanz zu entscheiden. Aber es konnte das +unmoeglich die bisherige Gemeinde sein, der tatsaechlich zum Adelstande +gewordene Patriziat. Die Kraft des Volkes war bei der “Menge”, +welche namhafte und vermoegende Leute bereits in grosser Zahl in sich schloss. +Dass diese Menge aus der Gemeindeversammlung ausgeschlossen war, obwohl sie die +gemeinen Lasten mittrug, mochte ertragen werden, solange die +Gemeindeversammlung selbst im wesentlichen nicht eingriff in den Gang der +Staatsmaschine und solange die Koenigsgewalt eben durch ihre hohe und freie +Stellung den Buergern nicht viel weniger fuerchterlich blieb als den Insassen +und damit in der Nation die Rechtsgleichheit erhielt. Allein als die Gemeinde +selbst zu regelmaessigen Wahlen und Entscheidungen berufen, der Vorsteher aber +faktisch aus ihrem Herrn zum befristeten Auftragnehmer herabgedrueckt ward, +konnte dies Verhaeltnis nicht laenger aufrecht erhalten werden; am wenigsten +bei der Neugestaltung des Staates an dem Morgen einer Revolution, die nur durch +Zusammenwirken der Patrizier und der Insassen hatte durchgesetzt werden +koennen. Eine Erweiterung dieser Gemeinde war unvermeidlich; und sie ist in der +umfassendsten Weise erfolgt, indem das gesamte Plebejat, das heisst saemtliche +Nichtbuerger, die weder Sklaven noch nach Gastrecht lebende Buerger +auswaertiger Gemeinden waren, in die Buergerschaft aufgenommen wurden. Der +Kurienversammlung der Altbuerger, die bis dahin rechtlich und tatsaechlich die +erste Autoritaet im Staate gewesen war, wurden ihre verfassungsmaessigen +Befugnisse fast gaenzlich entzogen: nur in rein formellen oder in den die +Geschlechtsverhaeltnisse betreffenden Akten, also hinsichtlich des dem Konsul +oder dem Diktator nach Antritt ihres Amtes eben wie frueher dem Koenig zu +leistenden Treugeloebnisses und des fuer die Arrogation und das Testament +erforderlichen gesetzlichen Dispenses, sollte die Kurienversammlung die +bisherige Kompetenz behalten, aber in Zukunft keinen eigentlichen politischen +Schluss mehr vollziehen duerfen. Bald wurden sogar die Plebejer zum Stimmrecht +auch in den Kurien zugelassen, und es verlor damit die Altbuergerschaft das +Recht ueberhaupt, zusammenzutreten und zu beschliessen. Die Kurienordnung wurde +insofern gleichsam entwurzelt, als sie auf der Geschlechterordnung beruhte, +diese aber in ihrer Reinheit ausschliesslich bei dem Altbuergertum zu finden +war. Indern die Plebejer in die Kurien aufgenommen wurden, gestattete man +allerdings auch ihnen rechtlich, was frueher nur faktisch bei ihnen vorgekommen +sein kann, sich als Familien und Geschlechter zu konstituieren, aber es ist +bestimmt ueberliefert und auch an sich sehr begreiflich, dass nur ein Teil der +Plebejer zur gentilizischen Konstituierung vorschritt und also die neue +Kurienversammlung im Widerspruch mit ihrem urspruenglichen Wesen zahlreiche +Mitglieder zaehlte, die keinem Geschlecht angehoerten. +</p> + +<p> +Alle politischen Befugnisse der Gemeindeversammlung, sowohl die Entscheidung +auf Provokation in dem Kriminalverfahren, das ja ueberwiegend politischer +Prozess war, als die Ernennung der Magistrate und die Annahme oder Verwerfung +der Gesetze, wurden auf das versammelte Aufgebot der Waffenpflichtigen +uebertragen oder ihm neu erworben, so dass die Zenturien zu den gemeinen Lasten +jetzt auch die gemeinen Rechte empfingen. Damit gelangten die in der +Servianischen Verfassung gegebenen geringen Anfaenge, wie namentlich das dem +Heer ueberwiesene Zustimmungsrecht bei der Erklaerung eines Angriffskrieges, zu +einer solchen Entwicklung, dass die Kurien durch die Zenturienversammlung +voellig und auf immer verdunkelt wurden und man sich gewoehnte, das souveraene +Volk in der letzteren zu erblicken. Debatte fand auch in dieser bloss dann +statt, wenn der vorsitzende Beamte freiwillig selbst sprach oder andere +sprechen hiess, nur dass bei der Provokation natuerlich beide Teile gehoert +werden mussten; die einfache Majoritaet der Zenturien entschied. +</p> + +<p> +Da in der Kurienversammlung die ueberhaupt Stimmberechtigten sich voellig +gleichstanden, also nach Aufnahme der saemtlichen Plebejer in die Kurien man +bei der ausgebildeten Demokratie angelangt sein wuerde, so ist es begreiflich, +dass die politischen Abstimmungen den Kurien entzogen blieben; die +Zenturienversammlung legte das Schwergewicht zwar nicht in die Haende der +Adligen, aber doch in die der Vermoegenden, und das wichtige Vorstimmrecht, +welches oft tatsaechlich entschied, in die der Ritter, das ist der Reichen. +</p> + +<p> +Nicht in gleicher Weise wie die Gemeinde wurde der Senat durch die Reform der +Verfassung betroffen. Das bisherige Kollegium der Aeltesten blieb nicht bloss +ausschliesslich patrizisch, sondern behauptete auch seine wesentlichen +Befugnisse, das Recht, den Zwischenkoenig zu stellen und die von der Gemeinde +gefassten Beschluesse als verfassungsmaessige oder verfassungswidrige zu +bestaetigen oder zu verwerfen. Ja, diese Befugnisse wurden durch die Reform der +Verfassung noch gesteigert, indem fortan auch die Bestellung der +Gemeindebeamten wie der Wahl der Gemeinde, so der Bestaetigung oder Verwerfung +des patrizischen Senats unterlag - nur bei der Provokation ist seine +Bestaetigung, soviel wir wissen, niemals eingeholt worden, da es sich hier um +Begnadigung des Schuldigen handelte, und wenn diese von der souveraenen +Volksversammlung erteilt war, von einer etwaigen Vernichtung dieses Aktes nicht +fueglich die Rede sein konnte. +</p> + +<p> +Indes wenngleich durch die Abschaffung des Koenigtums die verfassungsmaessigen +Rechte des patrizischen Senats eher gemehrt als gemindert wurden, so kam doch +auch, und zwar der Ueberlieferung zufolge sogleich mit der Abschaffung des +Koenigtums, fuer diejenigen Angelegenheiten, die im Senat sonst zur Sprache +kamen und die eine freiere Behandlung zuliessen, eine Erweiterung des Senats +auf, die auch Plebejer in denselben brachte, und die in ihren Folgen eine +vollstaendige Umgestaltung der gesamten Koerperschaft herbeigefuehrt hat. Seit +aeltester Zeit hat der Senat nicht allein und nicht vorzugsweise, aber doch +auch als Staatsrat fungiert; und wenn es wahrscheinlich schon in der +Koenigszeit nicht als verfassungswidrig angesehen ward, dass in diesem Fall +auch Nichtsenatoren an der Versammlung teilnahmen, so wurde jetzt die +Einrichtung getroffen, dass fuer dergleichen Verhandlungen dem patrizischen +Senat (Patres) eine Anzahl nicht patrizischer “Eingeschriebener” +(conscripti) beigegeben wurden. Eine Gleichstellung war dies freilich in keiner +Weise: die Plebejer im Senat wurden nicht Senatoren, sondern blieben Mitglieder +des Ritterstandes, hiessen nicht “Vaeter”, sondern waren nun auch +“Eingeschriebenen und hatten kein Recht, auf das Abzeichen der +senatorischen Wuerde, den roten Schuh. Sie blieben ferner nicht bloss unbedingt +ausgeschlossen von der Ausuebung der dem Senat zustehenden obrigkeitlichen +Befugnisse (auctoritas), sondern sie mussten auch da, wo es sich bloss um einen +Ratschlag (consilium) handelte, es sich gefallen lassen, der an die Patrizier +gerichteten Umfrage schweigend beizuwohnen und nur bei dem Auseinandertreten +zur Abmehrung ihre Meinung zu erkennen zu geben, “mit den Fuessen zu +stimmen” (pedibus in sententiam ire, pedarii), wie der stolze Adel sagte. +Aber dennoch fanden die Plebejer durch die neue Verfassung ihren Weg nicht +bloss auf den Markt, sondern auch in das Rathaus, und der erste und schwerste +Schritt zur Gleichberechtigung war auch hier getan. +</p> + +<p> +Im uebrigen aenderte sich in den den Senat betreffenden Ordnungen nichts +Wesentliches. Unter den patrizischen Mitgliedern machte sich bald, namentlich +bei der Umfrage, ein Rangunterschied dahin geltend, dass diejenigen, welche zu +dem hoechsten Gemeindeamt demnaechst bezeichnet waren oder dasselbe bereits +verwaltet hatten, vor den uebrigen in der Liste verzeichnet und bei der +Abstimmung gefragt wurden, und die Stellung des ersten von ihnen, des Vormanns +des Rates (princeps senatus), wurde bald ein vielbeneideter Ehrenplatz. Der +fungierende Konsul dagegen galt als Mitglied des Senats so wenig wie der Koenig +und seine eigene Stimme zaehlte darum nicht mit. Die Wahlen in den Rat, sowohl +in den engeren patrizischen wie unter die bloss Eingeschriebenen, erfolgten +durch die Konsuln eben wie frueher durch die Koenige; nur liegt es in der +Sache, dass, wenn der Koenig vielleicht auf die Vertretung der einzelnen +Geschlechter im Rat noch einigermassen Ruecksicht genommen hatte, den Plebejern +gegenueber, bei denen die Geschlechterordnung nur unvollkommen entwickelt war, +diese Erwaegung gaenzlich wegfiel und somit ueberhaupt die Beziehung des Senats +zu der Geschlechterordnung mehr und mehr in Abnahme kam. Von einer +Beschraenkung der waehlenden Konsuln in der Weise, dass sie nicht ueber eine +bestimmte Zahl von Plebejern in den Senat haetten aufnehmen duerfen, ist nichts +bekannt; es bedurfte einer solchen Ordnung auch nicht, da die Konsuln ja selbst +dem Adel angehoerten. Dagegen ist wahrscheinlich von Haus aus der Konsul seiner +ganzen Stellung gemaess bei der Bestellung der Senatoren tatsaechlich weit +weniger frei und weit mehr durch Standesmeinung und Observanz gebunden gewesen +als der Koenig. Namentlich die Regel, dass die Bekleidung des Konsulats +notwendig den Eintritt in den Senat auf Lebenszeit herbeifuehre, wenn, was in +dieser Zeit wohl noch vorkam, der Konsul zur Zeit seiner Erwaehlung noch nicht +Mitglied desselben war, wird sich wohl sehr frueh gewohnheitsrechtlich +festgestellt haben. Ebenso scheint es frueh ueblich geworden zu sein, die +Senatorenstellen nicht sofort nach der Erledigung wieder zu besetzen, sondern +bei Gelegenheit der Schatzung, also regelmaessig jedes vierte Jahr, die Liste +des Senats zu revidieren und zu ergaenzen; worin doch auch eine nicht +unwichtige Beschraenkung der mit der Auswahl betrauten Behoerde enthalten war. +Die Gesamtzahl der Senatoren blieb wie sie war, und zwar wurden auch die +Eingeschriebenen in dieselbe eingerechnet; woraus man wohl auch auf das +numerische Zusammenschwinden des Patriziats zu schliessen berechtigt ist ^4. +</p> + +<p> +————————————————————- +</p> + +<p> +^4 Dass die ersten Konsuln 164 Plebejer in den Senat nahmen, ist kaum als +geschichtliche Tatsache zu betrachten, sondern eher ein Zeugnis dafuer, dass +die spaeteren roemischen Archaeologen nicht mehr als 136 roemische +Adelsgeschlechter nachzuweisen vermochten (Roemische Forschungen, Bd. 1, S. +121). +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +Es blieb, wie man sieht, in dem roemischen Gemeinwesen selbst bei Umwandlung +der Monarchie in die Republik soweit immer moeglich beim alten; soweit eine +Staatsumwaelzung ueberhaupt konservativ sein kann, ist diese es gewesen und +keines der konstitutiven Elemente des Gemeinwesens durch sie eigentlich ueber +den Haufen geworfen worden. Es war das bezeichnend fuer den Charakter der +gesamten Bewegung. Die Vertreibung der Tarquinier war nicht, wie die +klaeglichen, tief verfaelschten Berichte sie darstellen, das Werk eines von +Mitleid und Freiheitsenthusiasmus berauschten Volkes, sondern das Werk zweier +grosser, bereits im Ringen begriffener und der stetigen Fortdauer ihres Kampfes +klar sich bewusster politischer Parteien, der Altbuerger und der Insassen, +welche, wie die englischen Tories und die Whigs im Jahre 1688, durch die +gemeinsame Gefahr das Gemeinwesen in die Willkuerregierung eines Herrn sich +umwandeln zu sehen, auf einen Augenblick vereinigt wurden, um dann sofort +wieder sich zu entzweien. Die Altbuergerschaft konnte ohne die Neubuerger des +Koenigtums sich nicht entledigen; aber die Neubuerger waren bei weitem nicht +maechtig genug, um jener mit einem Schlag das Heft aus den Haenden zu winden. +Solche Transaktionen beschraenken sich notwendigerweise auf das geringste Mass +gegenseitiger, durch muehsames Abdingen gewonnener Konzessionen und lassen die +Zukunft entscheiden, wie das Schwergewicht der konstitutiven Elemente weiter +sich stellen, wie sie ineinandergreifen oder einander entgegenwirken werden. +Darum verkennt man die Tragweite der ersten roemischen Revolution durchaus, +wenn man in ihr bloss die unmittelbaren Neuerungen, etwa bloss eine +Veraenderung in der Dauer der hoechsten Magistratur sieht; die mittelbaren +Folgen waren auch hier bei weitem die Hauptsache und wohl gewaltiger, als +selbst ihre Urheber sie ahnten. +</p> + +<p> +Dies war die Zeit, wo, um es mit einem Worte zu sagen, die roemische +Buergerschaft im spaeteren Sinne des Wortes entstand. Die Plebejer waren bisher +Insassen gewesen, welche man wohl zu den Steuern und Lasten mit heranzog, die +aber dennoch in den Augen des Gesetzes wesentlich nichts waren als geduldete +Fremdlinge und deren Kreis gegen die eigentlichen Auslaender scharf abzustecken +kaum noetig scheinen mochte. Jetzt wurden sie als wehrpflichtige Buerger in die +Listen eingeschrieben; und wenn sie auch der Rechtsgleichheit noch fern +standen, immer noch die Altbuerger zu den dem Rat der Alten verfassungsmaessig +zustehenden Autoritaetshandlungen ausschliesslich befugt und zu den +buergerlichen Aemtern und Priestertuemern ausschliesslich waehlbar, ja sogar +der buergerlichen Nutzungen, zum Beispiel des Anteils an der Gemeinweide, +vorzugsweise teilhaft blieben, so war doch der erste und schwerste Schritt zur +voelligen Ausgleichung geschehen, seit die Plebejer nicht bloss im +Gemeindeaufgebot dienten, sondern auch in der Gemeindeversammlung und im +Gemeinderat bei dessen gutachtlicher Befragung stimmten und Haupt und Ruecken +auch des aermsten Insassen so gut wie des vornehmsten Altbuergers geschuetzt +ward durch das Provokationsrecht. +</p> + +<p> +Eine Folge dieser Verschmelzung der Patrizier und Plebejer zu der neuen +gemeinen roemischen Buergerschaft war die Umwandlung der Altbuergerschaft in +einen Geschlechtsadel, welcher, seit die Adelschaft auch das Recht verlor, in +gemeiner Versammlung zu beschliessen, da die Aufnahme neuer Familien in den +Adel durch Gemeindebeschluss noch weniger zulaessig erschien, jeder, sogar der +Selbstergaenzung unfaehig war. Unter den Koenigen war dergleichen +Abgeschlossenheit dem roemischen Adel fremd und die Aufnahme neuer Geschlechter +nicht allzu selten gewesen; jetzt stellte dieses rechte Kennzeichnen des +Junkertums sich ein als der sichere Vorbote des bevorstehenden Verlustes seiner +politischen Vorrechte und seiner ausschliesslichen Geltung in der Gemeinde. Die +Ausschliessung der Plebejer von allen Gemeindeaemtern und +Gemeindepriestertuemern, waehrend sie doch zu Offiziers- und Ratsherrenstellen +zugelassen wurden, und die mit verkehrter Hartnaeckigkeit festgehaltene +rechtliche Unmoeglichkeit einer Ehe zwischen Altbuergern und Plebejern +drueckten weiter dem Patriziat von vornherein den Stempel des exklusiven und +widersinnig privilegierten Adeltums auf. +</p> + +<p> +Eine zweite Folge der neuen buergerlichen Einigung muss die festere Regulierung +des Niederlassungsrechts sowohl den latinischen Eidgenossen als anderen Staaten +gegenueber gewesen sein. Weniger des Stimmrechts in den Zenturien wegen, das ja +doch nur dem Ansaessigen zukam, als wegen des Provokationsrechts, das dem +Plebejer, aber nicht dem eine Zeitlang oder auch dauernd in Rom verweilenden +Auslaender gewaehrt werden sollte, wurde es notwendig, die Bedingungen der +Erwerbung des plebejischen Rechts genauer zu formulieren und die erweiterte +Buergerschaft wiederum gegen die jetzigen Nichtbuerger abzuschliessen. Also +geht auf diese Epoche im Sinne und Geiste des Volkes sowohl die Gehaessigkeit +des Gegensatzes zwischen Patriziern und Plebejern zurueck wie die scharfe und +stolze Abgrenzung der cives Romani gegen die Fremdlinge. Aber jener staedtische +Gegensatz war voruebergehender, dieser politische dauernder Art und das Gefuehl +der staatlichen Einheit und der beginnenden Grossmacht, das hiermit in die +Herzen der Nation gepflanzt ward, expansiv genug, um jene kleinlichen +Unterschiede erst zu untergraben und sodann im allmaechtigen Strom mit sich +fortzureissen. +</p> + +<p> +Dies war ferner die Zeit, wo Gesetz und Verordnung sich schieden. Begruendet +zwar ist der Gegensatz in dem innersten Wesen des roemischen Staates; denn auch +die roemische Koenigsgewalt stand unter, nicht ueber dem Landrecht. Allein die +tiefe und praktische Ehrfurcht, welche die Roemer wie jedes andere politisch +faehige Volk vor dem Prinzip der Autoritaet hegten, erzeugte den merkwuerdigen +Satz des roemischen Staats- und Privatrechts, dass jeder nicht auf ein Gesetz +gegruendete Befehl des Beamten wenigstens waehrend der Dauer seines Amtes +gelte, obwohl er mit diesem wegfiel. Es ist einleuchtend, dass hierbei, solange +die Vorsteher auf Lebenszeit ernannt wurden, der Unterschied zwischen Gesetz +und Verordnung tatsaechlich fast verschwinden musste und die legislative +Taetigkeit der Gemeindeversammlung keine Entwicklung gewinnen konnte. Umgekehrt +erhielt sie einen weiten Spielraum, seit die Vorsteher jaehrlich wechselten, +und es war jetzt keineswegs ohne praktische Bedeutung, dass, wenn der Konsul +bei der Entscheidung eines Prozesses eine rechtliche Nullitaet beging, sein +Nachfolger eine neue Instruktion der Sache anordnen konnte. +</p> + +<p> +Dies war endlich die Zeit, wo die buergerliche und die militaerische Gewalt +sich voneinander sonderten. Dort herrscht das Gesetz, hier das Beil; dort waren +die konstitutionellen Beschraenkungen der Provokation und der regulierten +Mandierung massgebend ^5, hier schaltete der Feldherr unumschraenkt wie der +Koenig. Es stellte sich fest, dass der Feldherr und das Heer als solche die +eigentliche Stadt regelmaessig nicht betreten durften. Dass organische und auf +die Dauer wirksame Bestimmungen nur unter der Herrschaft der buergerlichen +Gewalt getroffen werden konnte, lag nicht im Buchstaben, aber im Geiste der +Verfassung; es kam freilich vor, dass gelegentlich diesem zuwider der Feldherr +seine Mannschaft im Lager zur Buergerversammlung berief und rechtlich nichtig +war ein solcher Beschluss nicht, allein die Sitte missbilligte dieses Verfahren +und es unterblieb bald, als waere es verboten. Der Gegensatz der Quiriten und +der Soldaten wurzelte allmaehlich fest und fester in den Gemuetern der Buerger. +</p> + +<p> +——————————————————————————— +</p> + +<p> +^5 Es mag nicht ueberfluessig sein zu bemerken, dass auch das iudicium +legitimum wie das quod imperio continetur auf dem Imperium des instruierenden +Beamten beruht und der Unterschied nur darin besteht, dass das Imperium dort +von der Lex beschraenkt, hier aber frei ist. +</p> + +<p> +——————————————————————————— +</p> + +<p> +Indes, um diese Folgesaetze des neuen Republikanismus zu entwickeln, bedurfte +es der Zeit; wie lebendig die Nachwelt sie empfand, der Mitwelt mochte die +Revolution zunaechst in einem andern Lichte erscheinen. Wohl gewannen die +Nichtbuerger dadurch das Buergerrecht und gewann die neue Buergerschaft in der +Gemeindeversammlung weitgreifende Befugnisse; aber das Verwerfungsrecht des +patrizischen Senats, der gleichsam wie ein Oberhaus jenen Komitien in fester +Geschlossenheit gegenueberstand, hob rechtlich die freie Bewegung derselben +gerade in den entscheidendsten Dingen auf und war tatsaechlich zwar nicht +imstande, den ernstlichen Willen der Gesamtheit zu brechen, aber doch, ihn zu +verzoegern und zu verkuemmern. Schien die Adelschaft, indem sie es aufgab, +allein die Gemeinde zu sein, nicht allzuviel verloren zu haben, so hatte sie in +anderen Beziehungen entschieden gewonnen. Der Koenig war freilich Patrizier wie +der Konsul, und das Recht der Senatorenernennung steht diesem wie jenem zu; +aber wenn jenen seine Ausnahmestellung ueber Patrizier nicht minder wie ueber +Plebejer hinausrueckte und wenn er leicht in den Fall kommen konnte, eben gegen +den Adel sich auf die Menge stuetzen zu muessen, so stand der Konsul, Herrscher +auf kurze Frist, vorher und nachher aber nichts als einer aus dem Adel, und dem +adligen Mitbuerger, welchem er heute befahl, morgen gehorchend, keineswegs +ausserhalb seines Standes und musste der Adlige in ihm weit maechtiger sein als +der Beamte. Wenn ja dennoch einmal ausnahmsweise ein der Adelsherrschaft +abgeneigter Patrizier ans Regiment gerufen ward, so ward seine Amtsgewalt teils +durch die vom schroffen Adelsgeiste durchdrungenen Priesterschaften, teils +durch den Kollegen gelaehmt und leicht durch die Diktatur suspendiert; und was +noch wichtiger war, es fehlte ihm das erste Element der politischen Macht, die +Zeit. Der Vorsteher eines Gemeinwesens, welche Machtfuelle immer ihm +eingeraeumt werden moege, wird die politische Gewalt nie in die Haende +bekommen, wenn er nicht auf laengere Zeit an der Spitze der Geschaefte bleibt; +denn die notwendige Bedingung jeder Herrschaft ist ihre Dauer. Folgeweise +gewann der lebenslaengliche Gemeinderat, und zwar hauptsaechlich durch seine +Befugnis, den Beamten in allen Stuecken zu beraten, also nicht der engere +patrizische, sondern der weitere patrizisch-plebejische, den Jahresherrschern +gegenueber unvermeidlich einen solchen Einfluss, dass die rechtlichen +Verhaeltnisse sich geradezu umkehrten, der Gemeinderat wesentlich die +Regierungsgewalt an sich nahm und der bisherige Regent herabsank zu dessen +vorsitzendem und ausfuehrendem Praesidenten. Fuer den der Gemeinde zur Annahme +oder Verwerfung vorzulegenden Antrag erschien die Vorberatung im Gesamtsenat +und dessen Billigung zwar nicht als konstitutionell notwendig, aber als +gewohnheitsmaessig geheiligt, und nicht leicht und nicht gern ging man darueber +hinweg. Fuer wichtige Staatsvertraege, fuer die Verwaltung und Austeilung des +Gemeindelandes, ueberhaupt fuer jeden Akt, dessen Folgen sich ueber das +Amtsjahr erstreckten, galt dasselbe, und dem Konsul blieb nichts als die +Erledigung der laufenden Geschaefte, die Einleitung der Zivilprozesse und das +Kommando im Kriege. Vor allem folgenreich war die Neuerung, dass es weder dem +Konsul noch selbst dem sonst unbeschraenkten Diktator gestattet war, den +gemeinen Schatz anders als mit und durch den Willen des Rates anzugreifen. +Indem der Senat es den Konsuln zur Pflicht machte, die Verwaltung der +Gemeindekasse, die der Koenig selbst gefuehrt hatte oder doch hatte fuehren +koennen, an zwei staendige Unterbeamte abzugeben, welche zwar von den Konsuln +ernannt wurden und ihnen zu gehorchen hatten, aber begreiflicherweise noch weit +mehr als die Konsuln selbst vom Senat abhingen, zog er die Leitung des +Kassenwesens an sich, und es kann dieses Geldbewilligungsrecht des roemischen +Senats wohl in seinen Wirkungen mit dem Steuerbewilligungsrecht in den heutigen +konstitutionellen Monarchien zusammengestellt werden. +</p> + +<p> +Die Folgen ergeben sich von selbst. Die erste und wesentlichste Bedingung jeder +Adelsherrschaft ist, dass die Machtfuelle im Staat nicht einem Individuum, +sondern einer Korporation zusteht; jetzt hatte eine ueberwiegend adlige +Korporation, der Gemeinderat, das Regiment an sich gebracht und war dabei die +exekutive Gewalt nicht bloss dem Adel geblieben, sondern auch der regierenden +Korporation voellig unterworfen worden. Zwar sassen im Rat eine betraechtliche +Anzahl nichtadliger Maenner; aber da sie der Bekleidung von Aemtern, ja sogar +der Teilnahme an der Debatte unfaehig, also von jedem praktischen Anteil am +Regiment ausgeschlossen waren, spielten sie notwendigerweise auch im Senat eine +untergeordnete Rolle und wurden ueberdies durch das oekonomisch wichtige +Nutzungsrecht der Gemeinweide in pekuniaerer Abhaengigkeit von der Korporation +gehalten. Das allmaehlich sich bildende Recht der patrizischen Konsuln, +wenigstens jedes vierte Jahr die Ratsherrenliste zu revidieren und zu +modifizieren, so nichtig es vermutlich der Adelschaft gegenueber war, konnte +doch sehr wohl in ihrem Interesse gebraucht und der missliebige Plebejer +mittels desselben aus dem Senat ferngehalten und sogar wieder ausgeschieden +werden. +</p> + +<p> +Es ist darum durchaus wahr, dass die unmittelbare Folge der Revolution die +Feststellung der Adelsherrschaft gewesen ist; nur ist es nicht die ganze +Wahrheit. Wenn die Mehrzahl der Mitlebenden meinen mochte, dass die Revolution +den Plebejern nur eine starrere Despotie gebracht habe, so sehen wir Spaeteren +in dieser selbst schon die Knospen der jungen Freiheit. Was die Patrizier +gewannen, ging nicht der Gemeinde verloren, sondern der Beamtengewalt; die +Gemeinde gewann zwar nur wenige engbeschraenkte Rechte, welche weit minder +praktisch und handgreiflich waren als die Errungenschaften des Adels, und +welche nicht einer von Tausend zu schaetzen wissen mochte, aber in ihnen lag +die Buergschaft der Zukunft. Bisher war politisch die Insassenschaft nichts, +die Altbuergerschaft alles gewesen; indem jetzt jene zur Gemeinde ward, war die +Altbuergerschaft ueberwunden; denn wieviel auch noch zu der vollen +buergerlichen Gleichheit mangeln mochte, es ist die erste Bresche, nicht die +Besetzung des letzten Postens, die den Fall der Festung entscheidet. Darum +datierte die roemische Gemeinde mit Recht ihre politische Existenz von dem +Beginn des Konsulats. +</p> + +<p> +Indes, wenn die republikanische Revolution trotz der durch sie zunaechst +begruendeten Junkerherrschaft mit Recht ein Sieg der bisherigen Insassenschaft +oder der Plebs genannt werden kann, so trug doch auch in der letzteren +Beziehung die Revolution keineswegs den Charakter, den wir heutzutage als den +demokratischen zu bezeichnen gewohnt sind. Das rein persoenliche Verdienst ohne +Unterstuetzung der Geburt und des Reichtums mochte wohl unter der +Koenigsherrschaft leichter als unter derjenigen des Patriziats zu Einfluss und +Ansehen gelangen. Damals war der Eintritt in das Patriziat rechtlich keinem +verschlossen; jetzt war das hoechste Ziel des plebejischen Ehrgeizes die +Aufnahme in den mundtoten Anhang des Senats. Es lag dabei in der Natur der +Sache, dass der regierende Herrenstand, soweit er ueberhaupt die Plebejer +zuliess, nicht unbedingt den tuechtigsten Maennern, sondern vorzugsweise den +Haeuptern der reichen und angesehenen Plebejerfamilien im Senat neben sich zu +sitzen gestattete und die also zugelassenen Familien eifersuechtig ueber den +Besitz der Ratsherrenstellen wachten. Waehrend also innerhalb der alten +Buergerschaft vollstaendige Rechtsgleichheit bestanden hatte, begann die +Neubuerger- oder die ehemalige Insassenschaft von Haus aus damit, sich in eine +Anzahl bevorrechteter Familien. und eine zurueckgesetzte Menge zu scheiden. Die +Gemeindemacht aber kam in Gemaessheit der Zenturienordnung jetzt an diejenige +Klasse, welche seit der Servianischen Reform des Heer- und Steuerwesens +vorzugsweise die buergerlichen Lasten trug, an die Ansaessigen, und zwar +vorzugsweise weder an die grossen Gutsbesitzer noch an die Instenleute, sondern +an den mittleren Bauernstand, wobei die Aelteren noch insofern bevorzugt waren, +als sie, obgleich minder zahlreich, doch ebensoviel Stimmabteilungen innehatten +wie die Jugend. Indem also der Altbuergerschaft und ihrem Geschlechteradel die +Axt an die Wurzel und zu einer neuen Buergerschaft der Grund gelegt ward, fiel +in dieser das Gewicht auf Grundbesitz und Alter und zeigten sich schon die +ersten Ansaetze zu einem neuen, zunaechst auf dem faktischen Ansehen der +Familien beruhenden Adel, der kuenftigen Nobilitaet. Der konservative +Grundcharakter des roemischen Gemeinwesens konnte sich nicht deutlicher +bezeichnen als dadurch, dass die republikanische Staatsumwaelzung zugleich zu +der neuen, ebenfalls konservativen und ebenfalls aristokratischen Staatsordnung +die ersten Linien zog. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap02"></a>KAPITEL II.<br/> +Das Volkstribunat und die Dezemvirn</h2> + +<p> +Die Altbuergerschaft war durch die neue Gemeindeordnung auf gesetzlichem Wege +in den vollen Besitz der politischen Macht gelangt. Herrschend durch die zu +ihrer Dienerin herabgedrueckte Magistratur, vorwiegend im Gemeinderate, im +Alleinbesitze aller Aemter und Priestertuemer, ausgeruestet mit der +ausschliesslichen Kunde der goettlichen und menschlichen Dinge und mit der +ganzen Routine politischer Praxis, einflussreich in der Gemeindeversammlung +durch den starken Anhang fuegsamer und den einzelnen Familien anhaenglicher +Leute, endlich befugt, jeden Gemeindebeschluss zu pruefen und zu verwerfen, +konnten die Patrizier die faktische Herrschaft noch auf lange Zeit sich +bewahren, eben weil sie rechtzeitig auf die gesetzliche Alleingewalt verzichtet +hatten. Zwar mussten die Plebejer ihre politische Zuruecksetzung schwer +empfinden; allein von der rein politischen Opposition hatte der Adel +unzweifelhaft zunaechst nicht viel zu besorgen, wenn er es verstand, die Menge, +die nichts verlangt als gerechte Verwaltung und Schutz der materiellen +Interessen, dem politischen Kampfe fernzuhalten. In der Tat finden wir in der +ersten Zeit nach der Vertreibung der Koenige verschiedene Massregeln, welche +bestimmt waren oder doch bestimmt schienen, den gemeinen Mann fuer das +Adelsregiment besonders von der oekonomischen Seite zu gewinnen: es wurden die +Hafenzoelle herabgesetzt, bei hohem Stand der Kornpreise grosse Quantitaeten +Getreide fuer Rechnung des Staats aufgekauft und der Salzhandel zum +Staatsmonopol gemacht, um den Buergern Korn und Salz zu billigen Preisen +abgeben zu koennen, endlich das Volksfest um einen Tag verlaengert. In +denselben Kreis gehoert die schon erwaehnte Vorschrift hinsichtlich der +Vermoegensbussen, die nicht bloss im allgemeinen dem gefaehrlichen Bruchrecht +der Beamten Schranken zu setzen bestimmt, sondern auch in bezeichnender Weise +vorzugsweise auf den Schutz des kleinen Mannes berechnet war. Denn wenn dem +Beamten untersagt ward, an demselben Tag denselben Mann um mehr als zwei Schafe +und um mehr als dreissig Rinder ausser mit Gestattung der Provokation zu +buessen, so kann die Ursache dieser seltsamen Ansaetze wohl nur darin gefunden +werden, dass fuer den kleinen, nur einige Schafe besitzenden Mann ein anderes +Maximum noetig schien als fuer den reichen Rinderherdenbesitzer - eine +Ruecksichtnahme auf Reichtum oder Armut der Gebuessten, von der neuere +Gesetzgebungen lernen koennten. Allein diese Ordnungen halten sich auf der +Oberflaeche; die Grundstroemung geht vielmehr nach der entgegengesetzten +Richtung. Mit der Verfassungsaenderung leitet in den finanziellen und +oekonomischen Verhaeltnissen Roms eine umfassende Revolution sich ein. Das +Koenigsregiment hatte wahrscheinlich der Kapitalmacht prinzipiell keinen +Vorschub getan und die Vermehrung der Bauernstellen nach Kraeften gefoerdert; +die neue Adelsregierung dagegen scheint von vornherein auf die Zerstoerung der +Mittelklassen, namentlich des mittleren und kleinen Grundbesitzes, und auf die +Entwicklung einerseits einer Herrschaft der Grund- und Geldherren, anderseits +eines ackerbauenden Proletariats ausgegangen zu sein. +</p> + +<p> +Schon die Minderung der Hafenzoelle, obwohl im allgemeinen eine populaere +Massregel, kam vorzugsweise dem Grosshandel zugute. Aber ein noch viel +groesserer Vorschub geschah der Kapitalmacht durch das System der indirekten +Finanzverwaltung. Es ist schwer zu sagen, worauf dasselbe in seinen letzten +Gruenden beruht; mag es aber auch an sich bis in die Koenigszeit +zurueckreichen, so musste doch seit der Einfuehrung des Konsulats teils der +schnelle Wechsel der roemischen Beamten, teils die Erstreckung der finanziellen +Taetigkeit des Aerars auf Geschaefte, wie der Ein- und Verkauf von Korn und +Salz, die Wichtigkeit der vermittelnden Privattaetigkeit steigern und, damit +den Grund zu jenem Staatspaechtersystem legen, das in seiner Entwicklung fuer +das roemische Gemeinwesen so folgenreich wie verderblich geworden ist. Der +Staat gab nach und nach alle seine indirekten Hebungen und alle komplizierteren +Zahlungen und Verrichtungen in die Haende von Mittelsmaennern, die eine +Rauschsumme gaben oder empfingen und dann fuer ihre Rechnung wirtschafteten. +Natuerlich konnten nur bedeutende Kapitalisten und, da der Staat streng auf +dingliche Sicherheit sah, hauptsaechlich nur grosse Grundbesitzer sich hierbei +beteiligen, und so erwuchs eine Klasse von Steuerpaechtern und Lieferanten, die +in dem reissend schnellen Wachstum ihrer Opulenz, in der Gewalt ueber den +Staat, dem sie zu dienen schienen, und in dem widersinnigen und sterilen +Fundament ihrer Geldherrschaft den heutigen Boersenspekulanten vollkommen +vergleichbar sind. +</p> + +<p> +Aber zunaechst und am empfindlichsten offenbarte sich die vereinbarte Richtung +der finanziellen Verwaltung in der Behandlung der Gemeindelaendereien, die so +gut wie geradezu hinarbeitete auf die materielle und moralische Vernichtung der +Mittelklassen. Die Nutzung der gemeinen Weide und der Staatsdomaenen ueberhaupt +war ihrer Natur nach ein buergerliches Vorrecht; das formelle Recht schloss den +Plebejer von der Mitbenutzung des gemeinen Angers aus. Da indes, abgesehen von +dem Uebergang in das Privateigentum oder der Assignation, das roemische Recht +feste und gleich dem Eigentum zu respektierende Nutzungsrechte einzelner +Buerger am Gemeinlande nicht kannte, so hing es, so lange das Gemeinland +Gemeinland blieb, lediglich von der Willkuer des Koenigs ab den Mitgenuss zu +gestatten und zu begrenzen, und es ist nicht zu bezweifeln, dass er von diesem +seinem Recht oder wenigstens seiner Macht haeufig zu Gunsten von Plebejern +Gebrauch gemacht hat. Aber mit der Einfuehrung der Republik wird der Satz +wieder scharf betont, dass die Nutzung der Gemeinweide von Rechts wegen bloss +dem Buerger besten Rechts, das heisst dem Patrizier zusteht; und wenn auch der +Senat zu Gunsten der reichen in ihm mitvertretenen plebejischen Haeuser nach +wie vor Ausnahmen zuliess, so wurden doch die kleinen plebejischen +Ackerbesitzer und die Tageloehner, die eben die Weide am noetigsten brauchten, +in dem Mitgenuss beeintraechtigt. Es war ferner bisher fuer das auf die gemeine +Weide aufgetriebene Vieh ein Hutgeld erlegt worden, das zwar maessig genug war, +um das Recht, auf diese Weide zu treiben, immer noch als Vorrecht erscheinen zu +lassen, aber doch dem gemeinen Saeckel eine nicht unansehnliche Einnahme +abwarf. Die patrizischen Quaestoren erhoben dasselbe jetzt saeumig und +nachsichtig und liessen allmaehlich es ganz schwinden. Bisher hatte man, +namentlich wenn durch Eroberung neue Domaenen gewonnen waren, regelmaessig +Landauslegungen angeordnet, bei denen alle aermeren Buerger und Insassen +beruecksichtigt wurden; nur dasjenige Land, das zum Ackerbau sich nicht +eignete, ward zu der gemeinen Weide geschlagen. Diese Assignationen wagte man +zwar nicht ganz zu unterlassen und noch weniger, sie bloss zu Gunsten der +Reichen vorzunehmen; allein sie wurden seltener und karger und an ihre Stelle +trat das verderbliche Okkupationssystem, das heisst die Ueberlassung der +Domaenengueter nicht zum Eigentum oder zur foermlichen Pacht auf bestimmte +Zeitfrist, sondern zur Sondernutzung bis weiter an den ersten Okkupanten und +dessen Rechtsnachfolger, sodass dem Staate die Ruecknahme jederzeit freistand +und der Inhaber die zehnte Garbe oder von Oel und Wein den fuenften Teil des +Ertrages an die Staatskasse abzuliefern hatte. Es war dies nichts anderes als +das frueher beschriebene Precarium, angewandt auf Staatsdomaenen und mag, +namentlich als transitorische Einrichtung bis zur Durchfuehrung der +Assignation, auch frueher schon bei dem Gemeinlande vorgekommen sein. Jetzt +indes wurde dieser Okkupationsbesitz nicht bloss dauernd, sondern es griffen +auch, wie natuerlich, nur die privilegierten Personen oder deren Guenstlinge zu +und der Zehnte und Fuenfte ward mit derselben Laessigkeit eingetrieben wie das +Hutgeld. So traf den mittleren und kleinen Grundbesitz ein dreifacher Schlag: +die gemeinen Buergernutzungen gingen ihm verloren; die Steuerlast stieg +dadurch, dass die Domanialgefaelle nicht mehr ordentlich in die gemeine Kasse +flossen; und die Landauslegungen stockten, die fuer das agrikole Proletariat, +etwa wie heutzutage ein grossartiges und fest reguliertes Emigrationssystem es +tun wuerde, einen dauernden Abzugskanal gebildet hatten. Dazu kam die +wahrscheinlich schon jetzt beginnende Grosswirtschaft, welche die kleinen +Ackerklienten vertrieb und statt deren durch Feldsklaven das Gut nutzte; ein +Schlag, der schwerer abzuwenden und wohl verderblicher war als alle jene +politischen Usurpationen zusammengenommen. Die schweren, zum Teil +ungluecklichen Kriege, die dadurch herbeigefuehrten unerschwinglichen +Kriegssteuern und Fronden taten das uebrige, um den Besitzer entweder geradezu +vom Hof zu bringen und ihn zum Knecht, wenn auch nicht zum Sklaven seines +Schuldherrn zu machen, oder ihn durch Ueberschuldung tatsaechlich zum +Zeitpaechter seiner Glaeubiger herabzudruecken. Die Kapitalisten, denen hier +ein neues Gebiet eintraeglicher und muehe- und gefahrloser Spekulation sich +eroeffnete, vermehrten teils auf diesem Wege ihr Grundeigentum, teils liessen +sie dem Bauern, dessen Person und Gut das Schuldrecht ihnen in die Haende gab, +den Namen des Eigentuemers und den faktischen Besitz. Das letztere war wohl das +Gewoehnlichste wie das Verderblichste; denn mochte damit fuer den einzelnen der +aeusserste Ruin abgewandt sein, so drohte dagegen diese prekaere, von der Gnade +des Glaeubigers jederzeit abhaengige Stellung des Bauern, bei der derselbe vom +Eigentum nichts als die Lasten trug, den ganzen Bauernstand zu demoralisieren +und politisch zu vernichten. Die Absicht des Gesetzgebers, als er statt der +hypothekarischen Schuld den sofortigen Uebergang des Eigentums auf den +Glaeubiger anordnete, der Ueberschuldung zuvorzukommen und die Lasten des +Staats den wirklichen Inhabern des Grundes und Bodens aufzuwaelzen, ward +umgangen durch das strenge persoenliche Kreditsystem, das fuer Kaufleute sehr +zweckmaessig sein mochte, die Bauern aber ruinierte. Hatte die freie +Teilbarkeit des Bodens schon immer die Gefahr eines ueberschuldeten +Ackerbauproletariats nahegelegt, so musste unter solchen Verhaeltnissen, wo +alle Lasten stiegen, alle Abhilfen sich versperrten, die Not und die +Hoffnungslosigkeit unter der baeuerlichen Mittelklasse mit entsetzlicher +Raschheit um sich greifen. +</p> + +<p> +Der Gegensatz der Reichen und Armen, der aus diesen Verhaeltnissen hervorging, +faellt keineswegs zusammen mit dem der Geschlechter und Plebejer. War auch der +bei weitem groesste Teil der Patrizier reich beguetert, so fehlte es doch +natuerlich auch unter den Plebejern nicht an reichen und ansehnlichen Familien, +und da der Senat, der schon damals vielleicht zur groesseren Haelfte aus +Plebejern bestand, selbst mit Ausschliessung der patrizischen Magistrate die +finanzielle Oberleitung an sich genommen hatte, so ist es begreiflich, dass +alle jene oekonomischen Vorteile, zu denen die politischen Vorrechte des Adels +missbraucht wurden, den Reichen insgesamt zugute kamen und der Druck auf dem +gemeinen Mann um so schwerer lastete, als durch den Eintritt in den Senat die +tuechtigsten und widerstandsfaehigsten Personen aus der Klasse der +Unterdrueckten uebertraten in die der Unterdruecker. +</p> + +<p> +Hierdurch aber ward die politische Stellung des Adels auf die Dauer unhaltbar. +Haette er es ueber sich vermocht, gerecht zu regieren, und den Mittelstand +geschuetzt, wie es einzelne Konsuln aus seiner Mitte versuchten, ohne bei der +herabgedrueckten Stellung der Magistratur durchdringen zu koennen, so konnte er +sich noch lange im Alleinbesitz der Aemter behaupten. Haette er es vermocht, +die reichen und ansehnlichen Plebejer zu voller Rechtsgleichheit zuzulassen, +etwa an den Eintritt in den Senat die Gewinnung des Patriziats zu knuepfen, so +mochten beide noch lange ungestraft regieren und spekulieren. Allein es geschah +keines von beiden: die Engherzigkeit und Kurzsichtigkeit, die eigentlichen und +unverlierbaren Privilegien alles echten Junkertums, verleugneten sich auch in +Rom nicht und zerrissen die maechtige Gemeinde in nutz-, ziel- und ruhmlosem +Hader. +</p> + +<p> +Indes die naechste Krise ging nicht von den staendisch Zurueckgesetzten aus, +sondern von der notleidenden Bauernschaft. Die zurechtgemachten Annalen setzen +die politische Revolution in das Jahr 244 (510), die soziale in die Jahre 259 +und 260 (495 494); sie scheinen allerdings sich rasch gefolgt zu sein, doch ist +der Zwischenraum wahrscheinlich laenger gewesen. Die strenge Uebung des +Schuldrechts - so lautet die Erzaehlung - erregte die Erbitterung der ganzen +Bauernschaft. Als im Jahre 259 (495) fuer einen gefahrvollen Krieg die +Aushebung veranstaltet ward, weigerte sich die pflichtige Mannschaft, dem Gebot +zu folgen. Wie darauf der Konsul Publius Servilius die Anwendung der +Schuldgesetze vorlaeufig suspendierte und sowohl die schon in Schuldhaft +sitzenden Leute zu entlassen befahl, als auch den weiteren Lauf der +Verhaftungen hemmte, stellten die Bauern sich und halfen den Sieg erfechten. +Heimgekehrt vom Schlachtfeld brachte der Friede, den sie erstritten hatten, +ihnen ihren Kerker und ihre Ketten wieder; mit erbarmungsloser Strenge wandte +der zweite Konsul Appius Claudius die Kreditgesetze an und der Kollege, den +seine frueheren Soldaten um Hilfe anriefen, wagte nicht sich zu widersetzen. Es +schien, als sei die Kollegialitaet nicht zum Schutz des Volkes eingefuehrt, +sondern zur Erleichterung des Treubruchs und der Despotie; indes man litt, was +nicht zu aendern war. Als aber im folgenden Jahr sich der Krieg erneuerte, galt +das Wort des Konsuls nicht mehr. Erst dem ernannten Diktator Manius Valerius +fuegten sich die Bauern, teils aus Scheu vor der hoeheren Amtsgewalt, teils im +Vertrauen auf seinen populaeren Sinn - die Valerier waren eines jener alten +Adelsgeschlechter, denen das Regiment ein Recht und eine Ehre, nicht eine +Pfruende duenkte. Der Sieg war wieder bei den roemischen Feldzeichen; aber als +die Sieger heimkamen und der Diktator seine Reformvorschlaege dem Senat +vorlegte, scheiterten sie an dem hartnaeckigen Widerstand des Senats. Noch +stand das Heer beisammen, wie ueblich vor den Toren der Stadt; als die +Nachricht hinauskam, entlud sich das lange drohende Gewitter - der Korpsgeist +und die geschlossene militaerische Organisation rissen auch die Verzagten und +Gleichgueltigen mit fort. Das Heer verliess den Feldherrn und seine Lagerstatt +und zog, gefuehrt von den Legionskommandanten, den wenigstens grossenteils +plebejischen Kriegstribunen, in militaerischer Ordnung in die Gegend von +Crustumeria zwischen Tiber und Anio, wo es einen Huegel besetzte und Miene +machte, in diesem fruchtbarsten Teil des roemischen Stadtgebiets eine neue +Plebejerstadt zu gruenden. Dieser Abmarsch tat selbst den hartnaeckigsten +Pressern auf eine handgreifliche Art dar, dass ein solcher Buergerkrieg auch +mit ihrem oekonomischen Ruin enden muesse; der Senat gab nach. Der Diktator +vermittelte das Vertraegnis; die Buerger kehrten zurueck in die Stadtmauern; +die aeusserliche Einheit ward wiederhergestellt. Das Volk nannte den Manius +Valerius seitdem “den Grossen” (maximus) und den Berg jenseits des +Anio “den heiligen”. Wohl lag etwas Gewaltiges und Erhebendes in +dieser ohne feste Leitung unter den zufaellig gegebenen Feldherren von der +Menge selbst begonnenen und ohne Blutvergiessen durchgefuehrten Revolution, und +gern und stolz erinnerten sich ihrer die Buerger. Empfunden wurden ihre Folgen +durch viele Jahrhunderte; ihr entsprang das Volkstribunat. +</p> + +<p> +Ausser den transitorischen Bestimmungen, namentlich zur Abstellung der +drueckendsten Schuldnot und zur Versorgung einer Anzahl Landleute durch +Gruendung verschiedener Kolonien, brachte der Diktator verfassungsmaessig ein +Gesetz durch, welches er ueberdies noch, ohne Zweifel um den Buergern wegen +ihres gebrochenen Fahneneides Amnestie zu sichern, von jedem einzelnen +Gemeindeglied beschwoeren und sodann in einem Gotteshause niederlegen liess +unter Aufsicht und Verwahrung zweier besonders dazu aus der Plebs bestellter +Beamten, der beiden “Hausherren” (aediles). Dies Gesetz stellte den +zwei patrizischen Konsuln zwei plebejische Tribune zur Seite, welche die nach +Kurien versammelten Plebejer zu waehlen hatten. Gegen das militaerische +Imperium, das heisst gegen das der Diktatoren durchaus und gegen das der +Konsuln ausserhalb der Stadt, vermochte die tribunizische Gewalt nichts; der +buergerlichen ordentlichen Amtsgewalt aber, wie die Konsuln sie uebten, trat +die tribunizische unabhaengig gegenueber, ohne dass doch eine Teilung der +Gewalten stattgefunden haette. Die Tribune erhielten das Recht, welches dem +Konsul gegen den Konsul und um so mehr gegen den niederen Beamten zustand, das +heisst das Recht jeden von den Beamten erlassenen Befehl, durch den der davon +betroffene Buerger sich verletzt hielt, auf dessen Anweisung durch ihren +rechtzeitig und persoenlich eingelegten Protest zu vernichten und ebenso jeden +von einem Beamten an die Buergerschaft gerichteten Antrag nach Ermessen zu +hemmen oder zu kassieren, das ist das Recht der Interzession oder das +sogenannte tribunizische Veto. +</p> + +<p> +Es lag also in der tribunizischen Gewalt zunaechst das Recht, die Verwaltung +und die Rechtspflege willkuerlich zu hemmen, dem Militaerpflichtigen es +moeglich zu machen, sich straflos der Aushebung zu entziehen, die Klageerhebung +und die Rechtsvollstreckung gegen den Schuldner, die Einleitung des +Kriminalprozesses und die Untersuchungshaft des Angeschuldigten zu verhindern +oder aufzuheben und was dessen mehr war. Damit diese Rechtshilfe nicht durch +die Abwesenheit der Helfer vereitelt werde, war ferner verordnet, dass der +Tribun keine Nacht ausserhalb der Stadt zubringen duerfe und Tag und Nacht +seine Tuer offenstehen muesse. Weiter lag es in der Gewalt des Volkstribunats, +der Beschlussfassung der Gemeinde, die ja andernfalls kraft ihres souveraenen +Rechts die von ihr der Plebs verliehenen Privilegien ohne weiteres haette +zuruecknehmen koennen, durch ein einziges Wort eines einzelnen Tribunen +Schranken zu setzen. +</p> + +<p> +Aber diese Rechte waeren wirkungslos gewesen, wenn nicht gegen den, der sich +nicht daran kehrte, insonderheit gegen den zuwiderhandelnden Magistrat dem +Volkstribun eine augenblicklich wirkende und unwiderstehliche Zwangsgewalt +zugestanden haette. Es ward ihm diese in der Form erteilt, dass das +Zuwiderhandeln gegen den seines Rechts sich bedienenden Tribun, vor allen +Dingen das Vergreifen an seiner Persoenlichkeit, welche auf dem heiligen Berg +jeder Plebejer Mann fuer Mann fuer sich und seine Nachkommen geschworen hatte, +fuer jetzt und alle Zukunft vor jeder Unbill zu schuetzen, ein todeswuerdiges +Verbrechen sein sollte und die Handhabung dieser Kriminaljustiz nicht den +Magistraten der Gemeinde, sondern denen der Plebs uebertragen ward. Kraft +dieses seines Richteramts konnte der Tribun jeden Buerger, vor allem den Konsul +im Amte, zur Verantwortung ziehen, ihn, wenn er nicht freiwillig sich stellte, +greifen lassen, ihn in Untersuchungshaft setzen oder Buergschaftstellung ihm +gestatten und alsdann auf Tod oder Geldbusse erkennen. Zu diesem Zweck standen +die beiden zugleich bestellten Aedilen des Volkes den Tribunen als Diener und +Gehilfen zur Seite, zunaechst, um die Verhaftung zu bewirken, weshalb auch +ihnen dieselbe Unangreifbarkeit durch den Gesamteid der Plebejer versichert +ward. Ausserdem hatten die Aedilen selbst gleich den Tribunen, aber nur fuer +die geringeren mit Bussen suehnbaren Sachen, richterliche Befugnis. Ward gegen +den tribunizischen oder aedilizischen Spruch Berufung eingelegt, so ging diese +nicht an die Gesamtbuergerschaft, mit der zu verhandeln die Beamten der Plebs +ueberall nicht befugt waren, sondern an die Gesamtheit der Plebejer, die in +diesem Fall nach Kurien zusammentrat und durch Stimmenmehrheit endgueltig +entschied. +</p> + +<p> +Dies Verfahren war allerdings mehr ein Gewalt- als ein Rechtsakt, zumal wenn es +gegen einen Nichtplebejer angewandt ward, wie dies doch eben in der Regel der +Fall sein musste. Es war weder mit dem Buchstaben noch mit dem Geist der +Verfassung irgend zu vereinigen, dass der Patrizier von Behoerden zur +Rechenschaft gezogen ward, die nicht der Buergerschaft, sondern einer innerhalb +der Buergerschaft gebildeten Assoziation vorstanden, und dass er gezwungen +ward, statt an die Buergerschaft, an eben diese Assoziation zu appellieren. +Dies war urspruenglich ohne Frage Lynchjustiz; aber die Selbsthilfe vollzog +sich wohl von jeher in Form Rechtens und wurde seit der gesetzlichen +Anerkennung des Volkstribunats als rechtlich statthaft betrachtet. +</p> + +<p> +Der Absicht nach war diese neue Gerichtsbarkeit der Tribune und der Aedilen und +die daraus hervorgehende Provokationsentscheidung der Plebejerversammlung ohne +Zweifel ebenso an die Gesetze gebunden wie die Gerichtsbarkeit der Konsuln und +Quaestoren und der Spruch der Zenturien auf Provokation; die Rechtsbegriffe des +Verbrechens gegen die Gemeinde und der Ordnungswidrigkeit wurden von der +Gemeinde und deren Magistraten auf die Plebs und deren Vorsteher uebertragen. +Indes diese Begriffe waren selbst so wenig fest und deren gesetzliche +Begrenzung so schwierig, ja unmoeglich, dass die auf diese Kategorien hin +geuebte Justizpflege schon an sich den Stempel der Willkuer fast unvermeidlich +an sich trug. Seit nun aber gar in den staendischen Kaempfen die Idee des +Rechts sich selber getruebt hatte und seit die gesetzlichen Parteifuehrer +beiderseits mit einer konkurrierenden Gerichtsbarkeit ausgestattet waren, +musste diese mehr und immer mehr der reinen Willkuerpolizei sich naehern. +Namentlich traf dieselbe den Beamten. Bisher unterlag derselbe nach roemischem +Staatsrecht, solange er Beamter war, ueberhaupt keiner Gerichtsbarkeit, und +wenn er auch nach Niederlegung seines Amtes rechtlich fuer jede seiner +Handlungen zur Verantwortung hatte gezogen werden koennen, so lag doch die +Handhabung dieses Rechts in den Haenden seiner Standesgenossen und schliesslich +der Gesamtgemeinde, zu der diese ebenfalls gehoerten. Jetzt trat in der +tribunizischen Gerichtsbarkeit eine neue Macht auf, welche einerseits gegen den +hoechsten Beamten schon waehrend der Amtsfuehrung einschreiten konnte, +anderseits gegen die adligen Buerger ausschliesslich durch die nicht adligen +gehandhabt ward, und die um so drueckender war, als weder das Verbrechen noch +die Strafe gesetzlich formuliert wurden. Der Sache nach ward durch die +konkurrierende Gerichtsbarkeit der Plebs und der Gemeinde Gut, Leib und Leben +der Buerger dem willkuerlichen Belieben der Parteiversammlungen preisgegeben. +</p> + +<p> +In die Ziviljurisdiktion haben die plebejischen Institutionen nur insofern +eingegriffen, als in den fuer die Plebs so wichtigen Freiheitsprozessen den +Konsuln die Geschworenenernennung entzogen ward und die Sprueche hier erfolgten +von den besonders dafuer bestimmten Zehnmaenner-Richtern (iudices decemviri, +spaeter decemviri litibus iudicandis). An die konkurrierende Jurisdiktion +schloss sich weiter die Konkurrenz in der gesetzgebenden Initiative. Das Recht, +die Mitglieder zu versammeln und Beschluesse derselben zu bewirken, stand den +Tribunen schon insofern zu, als ohne dasselbe ueberhaupt keine Assoziation +gedacht werden kann. Ihnen aber ward dasselbe in der eminenten Weise verliehen, +dass das autonomische Versammlungs- und Beschlussrecht der Plebs gesetzlich +sichergestellt war vor jedem Eingriff der Magistrate der Gemeinde, ja der +Gemeinde selbst. Allerdings war es die notwendige Vorbedingung der rechtlichen +Anerkennung der Plebs ueberhaupt, dass die Tribune nicht daran gehindert werden +konnten, ihre Nachfolger von der Versammlung der Plebs waehlen zu lassen und +die Bestaetigung ihrer Kriminalsentenz durch dieselbe zu bewirken; und es ward +ihnen denn dieses Recht auch durch das Icilische Gesetz (262 492) noch +besonders gewaehrleistet und jedem, der dabei dem Tribun ins Wort falle oder +das Volk auseinandergehen heisse, eine schwere Strafe gedroht. Dass demnach dem +Tribun nicht gewehrt werden konnte, auch andere Antraege als die Wahl seines +Nachfolgers und die Bestaetigung seiner Urteilssprueche zur Abstimmung zu +bringen, leuchtet ein. Gueltige Volksschluesse waren derartige +“Beliebungen der Menge” (plebi scita) zwar eigentlich nicht, +sondern anfaenglich nicht viel mehr als die Beschluesse unserer heutigen +Volksversammlungen; allein da der Unterschied zwischen den Komitien des Volkes +und den Konzilien der Menge denn doch mehr formaler Natur war, ward wenigstens +von plebejischer Seite die Gueltigkeit derselben als autonomischer +Festsetzungen der Gemeinde sofort in Anspruch genommen und zum Beispiel gleich +das Icilische Gesetz auf diesem Wege durchgesetzt. +</p> + +<p> +So war der Tribun des Volks bestellt, dem einzelnen zu Schirm und Schutz, allen +zur Leitung und Fuehrung, versehen mit unbeschraenkter richterlicher Gewalt im +peinlichen Verfahren, um also seinem Befehl Nachdruck geben zu koennen, endlich +selbst persoenlich fuer unverletzlich (sacrosanctus) erklaert, indem wer sich +an ihm oder seinem Diener vergriff, nicht bloss den Goettern verfallen galt, +sondern auch bei den Menschen als nach rechtlich erwiesenem Frevel des Todes +schuldig. +</p> + +<p> +Die Tribune der Menge (tribuni plebis) sind hervorgegangen aus den +Kriegstribunen und fuehren von diesen ihren Namen; rechtlich aber haben sie +weiter zu ihnen keinerlei Beziehung. Vielmehr stehen der Gewalt nach die +Volkstribune und die Konsuln sich gleich. Die Appellation vom Konsul an den +Tribun und das Interzessionsrecht des Tribuns gegen den Konsul ist, wie schon +gesagt ward, durchaus gleichartig der Appellation vom Konsul an den Konsul und +der Interzession des einen Konsuls gegen den andern, und beide sind nichts als +eine Anwendung des allgemeinen Rechtssatzes, dass zwischen zwei +Gleichberechtigten der Verbietende dem Gebietenden vorgeht. Auch die +urspruengliche, allerdings bald vermehrte Zahl und die Jahresdauer des Amtes, +welches fuer die Tribune jedesmal am 10. Dezember wechselte, sind den Tribunen +mit den Konsuln gemein, ebenso die eigentuemliche Kollegialitaet, die in jedes +einzelnen Konsuls und in jedes einzelnen Tribunen Hand die volle Machtfuelle +des Amtes legt und bei Kollisionen innerhalb des Kollegiums nicht die Stimmen +zaehlt, sondern das Nein dem Ja vorgehen laesst - weshalb, wo der Tribun +verbietet, das Verbot des einzelnen trotz des Widerspruchs der Kollegen +genuegt, wo er dagegen anklagt, er durch jeden seiner Kollegen gehemmt werden +kann. Konsuln und Tribune haben beide volle und konkurrierende +Kriminaljurisdiktion, wenn auch jene dieselbe mittelbar, diese unmittelbar +ausueben; wie jenen die beiden Quaestoren, stehen diesen die beiden Aedilen +hierin zur Seite ^1. Die Konsuln sind notwendig Patrizier, die Tribune +notwendig Plebejer. Jene haben die vollere Macht, diese die unumschraenktere, +denn ihrem Verbot und ihrem Gericht fuegt sich der Konsul, nicht aber dem +Konsul sich der Tribun. So ist die tribunizische Gewalt das Abbild der +konsularischen; sie ist aber nicht minder ihr Gegenbild. Die Macht der Konsuln +ist wesentlich positiv, die der Tribune wesentlich negativ. Nur die Konsuln +sind Magistrate des roemischen Volkes, nicht die Tribune; denn jene erwaehlt +die gesamte Buergerschaft, diese nur die plebejische Assoziation. Zum Zeichen +dessen erscheint der Konsul oeffentlich mit dem den Gemeindebeamten zukommenden +Schmuck und Gefolge, die Tribune aber sitzen auf der Bank anstatt des +Wagenstuhls und ermangeln der Amtsdiener, des Purpursaumes und ueberhaupt jedes +Abzeichens der Magistratur; sogar im Gemeinderat hat der Tribun weder den +Vorsitz noch auch nur den Beisitz. So ist in dieser merkwuerdigen Institution +dem absoluten Befehlen das absolute Verbieten in der schaerfsten und +schroffsten Weise gegenuebergestellt; das war die Schlichtung des Haders, dass +die Zwietracht der Reichen und der Armen gesetzlich festgestellt und geordnet +ward. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Dass die plebejischen Aedilen in derselben Weise den patrizischen Quaestoren +nachgebildet sind wie die plebejischen Tribune den patrizischen Konsuln, ist +deutlich sowohl fuer die Kriminalrechtspflege, wo nur die Tendenz der beiden +Magistraturen, nicht die Kompetenz verschieden gewesen zu sein scheint, wie +fuer das Archivgeschaeft. Fuer die Aedilen ist der Cerestempel, was der Tempel +des Saturnus fuer die Quaestoren, und von jenem haben sie auch den Namen. +Bezeichnend ist die Vorschrift des Gesetzes von 305 (349) (Liv. 3, 55), dass +die Senatsbeschluesse dorthin an die Aedilen abgeliefert werden sollen (I, +300), waehrend dieselben bekanntlich nach altem und spaeter nach Beilegung des +Staendekampfes wieder ueberwiegendem Gebrauche den Quaestoren zur Aufbewahrung +in dem Saturnustempel zugestellt wurden. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Aber was war erreicht damit, dass man die Einheit der Gemeinde brach, dass die +Beamten einer unsteten und von allen Leidenschaften des Augenblicks abhaengigen +Kontrollbehoerde unterworfen wurden, dass auf den Wink eines einzelnen der auf +den Gegenthron gehobenen Oppositionshaeupter die Verwaltung im gefaehrlichsten +Augenblick zum Stocken gebracht werden konnte, dass man die +Kriminalrechtspflege, indem man alle Beamte dazu konkurrierend +bevollmaechtigte, gleichsam gesetzlich aus dem Recht in die Politik verwies und +sie fuer alle Zeiten verdarb? Es ist wohl wahr, dass das Tribunat wenn nicht +unmittelbar zur politischen Ausgleichung der Staende beigetragen, so doch als +eine maechtige Waffe in der Hand der Plebejer gedient hat, als diese bald +darauf die Zulassung zu den Gemeindeaemtern begehrten. Aber die eigentliche +Bestimmung des Tribunats war dieses nicht. Nicht dem politisch privilegierten +Stande ward es abgerungen, sondern den reichen Grund- und Kapitalherren; es +sollte dem gemeinen Mann billige Rechtspflege sichern und eine zweckmaessigere +Finanzverwaltung herbeifuehren. Diesen Zweck hat es nicht erfuellt und konnte +es nicht erfuellen. Der Tribun mochte einzelnen Unbilden, einzelnen schreienden +Haerten steuern; aber der Fehler lag nicht im Unrecht, das man Recht hiess, +sondern im Rechte, welches ungerecht war: und wie konnte der Tribun die +ordentliche Rechtspflege regelmaessig hemmen? haette er es gekonnt, so war auch +damit noch wenig geholfen, wenn nicht die Quellen der Verarmung verstopft +wurden, die verkehrte Besteuerung, das schlechte Kreditsystem, die heillose +Okkupation der Domaenen. Aber hieran wagte man sich nicht, offenbar weil die +reichen Plebejer selbst an diesen Missbraeuchen kein minderes Interesse hatten +als die Patrizier. So gruendete man diese seltsame Magistratur, deren +handgreiflicher Beistand dem gemeinen Mann einleuchtete und die doch die +notwendige oekonomische Reform unmoeglich durchsetzen konnte. Sie ist kein +Beweis politischer Weisheit, sondern ein schlechtes Kompromiss zwischen dem +reichen Adel und der fuehrerlosen Menge. Man hat gesagt, das Volkstribunat habe +Rom vor der Tyrannis bewahrt. Waere dies wahr, so wuerde es wenig bedeuten; die +Aenderung der Staatsform ist an sich fuer ein Volk kein Unheil, und fuer das +roemische war es vielmehr ein Unglueck, dass die Monarchie zu spaet eingefuehrt +ward nach Erschoepfung der physischen und geistigen Kraefte der Nation. Es ist +aber nicht einmal richtig, wie schon das beweist, dass die italischen Staaten +ebenso regelmaessig ohne Tyrannis geblieben sind wie sie in den hellenischen +regelmaessig aufstanden. Der Grund liegt einfach darin, dass die Tyrannis +ueberall die Folge des allgemeinen Stimmrechts ist und dass die Italiker +laenger als die Griechen die nicht grundsaessigen Buerger von den +Gemeindeversammlungen ausschlossen; als Rom hiervon abging, blieb auch die +Monarchie nicht aus, ja knuepfte eben an an das tribunizische Amt. Dass das +Volkstribunat auch genuetzt hat, indem es der Opposition gesetzliche Bahnen +wies und manche Verkehrtheit abwehrte, wird niemand verkennen; aber +ebensowenig, dass, wo es sich nuetzlich erwies, es fuer ganz andere Dinge +gebraucht ward, als wofuer man es begruendet hatte. Das verwegene Experiment, +den Fuehrern der Opposition ein verfassungsmaessiges Veto einzuraeumen und sie +mit der Macht, es ruecksichtslos geltend zu machen, auszustatten, bleibt ein +Notbehelf, der den Staat politisch aus den Angeln gehoben und die sozialen +Missstaende durch nutzlose Palliative hingeschleppt hat. +</p> + +<p> +Indes man hatte den Buergerkrieg organisiert; er ging seinen Gang. Wie zur +Schlacht standen die Parteien sich gegenueber, jede unter ihren Fuehrern; +Beschraenkung der konsularischen, Erweiterung der tribunizischen Gewalt ward +auf der einen, die Vernichtung des Tribunats auf der andern Seite angestrebt; +die gesetzlich straflos gemachte Insubordination, die Weigerung, sich zur +Landesverteidigung zu stellen, die Buss- und Strafklagen namentlich gegen +Beamte, die die Rechte der Gemeinde verletzt oder auch nur ihr Missfallen +erregt hatten, waren die Waffen der Plebejer, denen die Junker Gewalt und +Einverstaendnisse mit den Landesfeinden, gelegentlich auch den Dolch des +Meuchelmoerders entgegensetzten; auf den Strassen kam es zum Handgemenge und +hueben und drueben vergriff man sich an der Heiligkeit der Magistratspersonen. +Viele Buergerfamilien sollen ausgewandert sein und in den benachbarten +Gemeinden einen friedlicheren Wohnsitz gesucht haben; und man mag es wohl +glauben. Es zeugt von dem starken Buergersinn im Volk, nicht dass es diese +Verfassung sich gab, sondern dass es sie ertrug und die Gemeinde trotz der +heftigsten Kaempfe dennoch zusammenhielt. Das bekannteste Ereignis aus diesen +Staendekaempfen ist die Geschichte des Gnaeus Marcius, eines tapferen Adligen, +der von Coriolis Erstuermung den Beinamen trug. Er soll im Jahr 263 (491), +erbittert ueber die Weigerung der Zenturien, ihm das Konsulat zu uebertragen, +beantragt haben, wie einige sagen, die Einstellung der Getreideverkaeufe aus +den Staatsmagazinen, bis das hungernde Volk auf das Tribunat verzichte; wie +andere berichten, geradezu die Abschaffung des Tribunats. Von den Tribunen auf +Leib und Leben angeklagt, habe er die Stadt verlassen, indes nur, um +zurueckzukehren an der Spitze eines volskischen Heeres; jedoch im Begriff, +.seine Vaterstadt fuer den Landesfeind zu erobern, habe das ernste Wort der +Mutter sein Gewissen geruehrt und also sei von ihm der erste Verrat durch einen +zweiten gesuehnt worden und beide durch den Tod. Wieviel darin wahr ist, laesst +sich nicht entscheiden; aber alt ist die Erzaehlung, aus der die naive +Impertinenz der roemischen Annalisten eine vaterlaendische Glorie gemacht hat, +und sie oeffnet den Einblick in die tiefe sittliche und politische +Schaendlichkeit dieser staendischen Kaempfe. Aehnlichen Schlages ist der +Ueberfall des Kapitols durch eine Schar politischer Fluechtlinge, gefuehrt von +dem Sabiner Appius Herdonius im Jahr 294 (460); sie riefen die Sklaven zu den +Waffen, und erst nach heissem Kampf und mit Hilfe der herbeigeeilten Tusculaner +ward die roemische Buergerwehr der catilinarischen Bande Meister. Denselben +Charakter fanatischer Erbitterung tragen andere Ereignisse dieser Zeit, deren +geschichtliche Bedeutung in den luegenseligen Familienberichten sich nicht mehr +erfassen laesst; so das Uebergewicht des Fabischen Geschlechtes, das von 269 +bis 275 (485-479) den einen Konsul stellte, und die Reaktion dagegen, die +Auswanderung der Fabier aus Rom und ihre Vernichtung durch die Etrusker am +Cremera (277 477). Noch entsetzlicher war die Ermordung des Volkstribuns Gnaeus +Genucius, der es gewagt hatte, zwei Konsulare zur Rechenschaft zu ziehen und +der am Morgen des fuer die Anklage anberaumten Tages tot im Bette gefunden ward +(281 473). Die unmittelbare Folge dieser Untat war das Publilische Gesetz, +eines der folgenreichsten, das die roemische Geschichte kennt. Zwei der +wichtigsten Ordnungen, die Einfuehrung der plebejischen Tribusversammlung und +die wenngleich bedingte Gleichstellung des Plebiszits mit dem foermlichen, von +der ganzen Gemeinde beschlossenen Gesetz, gehen, jene gewiss, diese +wahrscheinlich zurueck auf den Antrag des Volkstribunen Volero Publilius vom +Jahre 283 (471). Die Plebs hatte bis dahin ihre Beschluesse nach Kurien +gefasst; demnach war in diesen ihren Sonderversammlungen teils ohne Unterschied +des Vermoegens und der Ansaessigkeit bloss nach Koepfen abgestimmt worden, +teils hatten, infolge des im Wesen der Kurienversammlung liegenden +Zusammenstehens der Geschlechtsgenossen, die Klienten der grossen Adelsfamilien +in der Plebejerversammlung miteinander gestimmt. Der eine wie der andere +Umstand gab dem Adel vielfache Gelegenheit, Einfluss auf diese Versammlung zu +ueben und besonders die Wahl der Tribune in seinem Sinne zu lenken; beides fiel +fortan weg durch die neue Abstimmungsweise nach Quartieren. Deren waren in der +Servianischen Verfassung zum Zweck der Aushebung vier gebildet worden, die +Stadt und Land gleichmaessig umfassten (I, 105); spaeterhin - vielleicht im +Jahr 259 (495) - hatte man das roemische Gebiet in zwanzig Distrikte +eingeteilt, von denen die ersten vier die Stadt und deren naechste Umgebung +umfassten, die uebrigen sechzehn mit Zugrundelegung der Geschlechtergaue des +aeltesten roemischen Ackers aus dem Landgebiet gebildet wurden (I, 51). Zu +diesen wurde, wahrscheinlich erst infolge des Publilischen Gesetzes und um die +fuer die Abstimmung wuenschenswerte Ungleichheit der Gesamtzahl der +Stimmabteilungen herbeizufuehren, als einundzwanzigste Tribus die +crustuminische hinzugefuegt, die ihren Namen von dem Orte trug, wo die Plebs +als solche sich konstituiert und das Tribunat gestiftet hatte (I, 282) und +fortan fanden die Sonderversammlungen der Plebs nicht mehr nach Kurien statt, +sondern nach Tribus. In diesen Abteilungen, die durchaus auf dem Grundbesitz +beruhten, stimmten ausschliesslich die ansaessigen Leute, diese jedoch ohne +Unterschied der Groesse des Grundbesitzes und so, wie sie in Doerfern und +Weilern zusammen wohnten; es war also diese Tribusversammlung, die im uebrigen +aeusserlich der nach Kurien geordneten nachgebildet ward, recht eigentlich eine +Versammlung des unabhaengigen Mittelstandes, von der einerseits die +Freigelassenen und Klienten der grossen Mehrzahl nach als nicht ansaessige +Leute ausgeschlossen waren, und in der anderseits der groessere Grundbesitz +nicht so wie in den Zenturien ueberwog. Eine allgemeine +Buergerschaftsversammlung war diese “Zusammenkunft der Menge” +(concilium plebis) noch weniger als die plebejische Kurienversammlung, da sie +nicht bloss wie diese die saemtlichen Patrizier, sondern auch die nicht +grundsaessigen Plebejer ausschloss; aber die Menge war maechtig genug, um es +durchzusetzen, dass ihr Beschluss dem von den Zenturien gefassten rechtlich +gleich gelte, falls er vorher vom Gesamtsenat gebilligt worden war. Dass diese +letzte Bestimmung schon vor Erlass der Zwoelf Tafeln gesetzlich feststand, ist +gewiss; ob man sie gerade bei Gelegenheit des Publilischen Plebiszits +eingefuehrt hat, oder ob sie bereits vorher durch irgendeine andere +verschollene Satzung ins Leben gerufen und auf das Publilische Plebiszit nur +angewendet worden ist, laesst sich nicht mehr ausmachen. Ebenso bleibt es +ungewiss, ob durch dies Gesetz die Zahl der Tribune von zwei auf vier vermehrt +ward oder dies bereits vorher geschehen war. +</p> + +<p> +Einsichtiger angelegt als alle diese Parteimassregeln war der Versuch des +Spurius Cassius, die finanzielle Allmacht der Reichen zu brechen und damit den +eigentlichen Quell des Uebels zu verstopfen. Er war Patrizier, und keiner tat +es in seinem Stande an Rang und Ruhm ihm zuvor; nach zwei Triumphen, im dritten +Konsulat (268 486) brachte er an die Buergergemeinde den Antrag, das +Gemeindeland vermessen zu lassen und es teils zum Besten des oeffentlichen +Schatzes zu verpachten, teils unter die Beduerftigen zu verteilen; das heisst, +er versuchte, die Entscheidung ueber die Domaenen dem Senat zu entreissen und, +gestuetzt auf die Buergerschaft, dem egoistischen Okkupationssystem ein Ende zu +machen. Er mochte meinen, dass die Auszeichnung seiner Persoenlichkeit, die +Gerechtigkeit und Weisheit der Massregel durchschlagen werde, selbst in diesen +Wogen der Leidenschaftlichkeit und der Schwaeche; allein er irrte. Der Adel +erhob sich wie ein Mann; die reichen Plebejer traten auf seine Seite; der +gemeine Mann war missvergnuegt, weil Spurius Cassius, wie Bundesrecht und +Billigkeit geboten, auch den latinischen Eidgenossen bei der Assignation ihr +Teil geben wollte. Cassius musste sterben; es ist etwas Wahres in der Anklage, +dass er koenigliche Gewalt sich angemasst habe, denn freilich versuchte er +gleich den Koenigen, gegen seinen Stand die Gemeinfreien zu schirmen. Sein +Gesetz ging mit ihm ins Grab, aber das Gespenst desselben stand seitdem den +Reichen unaufhoerlich vor Augen und wieder und wieder stand es auf gegen sie, +bis unter den Kaempfen darueber das Gemeinwesen zugrunde ging. +</p> + +<p> +Da ward noch ein Versuch gemacht, die tribunizische Gewalt dadurch zu +beseitigen, dass man dem gemeinen Mann die Rechtsgleichheit auf einem +geregelteren und wirksameren Wege sicherte. Der Volkstribun Gaius Terentilius +Arsa beantragte im Jahr 292 (462) die Ernennung einer Kommission von fuenf +Maennern zur Entwerfung eines gemeinen Landrechts, an das die Konsuln +kuenftighin in ihrer richterlichen Gewalt gebunden sein sollten. Aber der Senat +weigerte sich, diesem Vorschlag seine Sanktion zu geben, und es vergingen zehn +Jahre, ehe derselbe zur Ausfuehrung kam - Jahre des heissesten Staendekampfes, +welche ueberdies vielfach bewegt waren durch Kriege und innere Unruhen; mit +gleicher Hartnaeckigkeit hinderte die Adelspartei die Zulassung des Gesetzes im +Senat und ernannte die Gemeinde wieder und wieder dieselben Maenner zu +Tribunen. Man versuchte durch andere Konzessionen den Angriff zu beseitigen: im +Jahre 297 (457) ward die Vermehrung der Tribune von vier auf zehn bewilligt - +freilich ein zweifelhafter Gewinn; im folgenden Jahre durch ein Icilisches +Plebiszit, das aufgenommen ward unter die beschworenen Privilegien der +Gemeinde, der Aventin, bisher Tempelhain und unbewohnt, unter die aermeren +Buerger zu Bauplaetzen erblichen Besitzes aufgeteilt. Die Gemeinde nahm, was +ihr geboten ward, allein sie hoerte nicht auf, das Landrecht zu fordern. +Endlich im Jahre 300 (454) kam ein Vergleich zustande; der Senat gab in der +Hauptsache nach. Die Abfassung des Landrechts wurde beschlossen; es sollten +dazu ausserordentlicher Weise zehn Maenner von den Zenturien gewaehlt werden, +welche zugleich als hoechste Beamte anstatt der Konsuln zu fungieren hatten +(decem viri consulari imperio legibus scribundis), und zu diesem Posten sollten +nicht bloss Patrizier, sondern auch Plebejer wahlfaehig sein. Diese wurden hier +zum erstenmal, freilich nur fuer ein ausserordentliches Amt, als waehlbar +bezeichnet. Es war dies ein grosser Schritt vorwaerts zu der vollen politischen +Gleichberechtigung, und er war nicht zu teuer damit verkauft, dass das +Volkstribunat aufgehoben, das Provokationsrecht fuer die Dauer des Dezemvirats +suspendiert und die Zehnmaenner nur verpflichtet wurden, die beschworenen +Freiheiten der Gemeinde nicht anzutasten. Vorher indes wurde noch eine +Gesandtschaft nach Griechenland geschickt um die Solonischen und andere +griechische Gesetze heimzubringen, und erst nach deren Rueckkehr wurden fuer +das Jahr 303 (451) die Zehnmaenner gewaehlt. Obwohl es freistand, auch Plebejer +zu ernennen, so traf doch die Wahl auf lauter Patrizier - so maechtig war +damals noch der Adel -, und erst als eine abermalige Wahl fuer 304 (450) noetig +ward, wurden auch einige Plebejer gewaehlt - die ersten nichtadligen Beamten, +die die roemische Gemeinde gehabt hat. +</p> + +<p> +Erwaegt man diese Massregeln in ihrem Zusammenhang, so kann kaum ein anderer +Zweck ihnen untergelegt werden, als die Beschraenkung der konsularischen Gewalt +durch das geschriebene Gesetz an die Stelle der tribunizischen Hilfe zu setzen. +Von beiden Seiten musste man sich ueberzeugt haben, dass es nicht so bleiben +konnte, wie es war, und die Permanenzerklaerung der Anarchie wohl die Gemeinde +zugrunde richtete, aber in der Tat und Wahrheit dabei fuer niemand etwas +herauskam. Ernsthafte Leute mussten einsehen, dass das Eingreifen der Tribune +in die Administration sowie ihre Anklaegertaetigkeit schlechterdings schaedlich +wirkten und der einzige wirkliche Gewinn, den das Tribunat dem gemeinen Mann +gebracht hatte, der Schutz gegen parteiische Rechtspflege war, indem es als +eine Art Kassationsgericht die Willkuer des Magistrats beschraenkte. Ohne +Zweifel ward, als die Plebejer ein geschriebenes Landrecht begehrten, von den +Patriziern erwidert, dass dann der tribunizische Rechtsschutz ueberfluessig +werde; und hierauf scheint von beiden Seiten nachgegeben zu sein. Es ist +vielleicht nie bestimmt ausgesprochen worden, wie es werden sollte nach +Abfassung des Landrechts; aber an dem definitiven Verzicht der Plebs auf das +Tribunat ist nicht zu zweifeln, da dieselbe durch das Dezemvirat in die Lage +kam, nicht anders als auf ungesetzlichem Wege das Tribunat zurueckgewinnen zu +koennen. Die der Plebs gegebene Zusage, dass ihre beschworenen Freiheiten nicht +angetastet werden sollten, kann bezogen werden auf die vom Tribunat +unabhaengigen Rechte der Plebejer, wie die Provokation und der Besitz des +Aventin. Die Absicht scheint gewesen zu sein, dass die Zehnmaenner bei ihrem +Ruecktritt dem Volke vorschlagen sollten, die jetzt nicht mehr nach Willkuer, +sondern nach geschriebenem Recht urteilenden Konsuln wiederum zu waehlen. +</p> + +<p> +Der Plan, wenn er bestand, war weise; es kam darauf an, ob die leidenschaftlich +erbitterten Gemueter hueben und drueben diesen friedlichen Austrag annehmen +wuerden. Die Dezemvirn des Jahres 303 (451) brachten ihr Gesetz vor das Volk +und, von diesem bestaetigt, wurde dasselbe, in zehn kupferne Tafeln +eingegraben, auf dem Markt an der Rednerbuehne vor dem Rathaus angeschlagen. Da +indes noch ein Nachtrag erforderlich schien, so ernannte man auf das Jahr 304 +(450) wieder Zehnmaenner, die noch zwei Tafeln hinzufuegten; so entstand das +erste und einzige roemische Landrecht, das Gesetz der Zwoelf Tafeln. Es ging +aus einem Kompromiss der Parteien hervor und kann schon darum tiefgreifende, +ueber nebensaechliche und blosse Zweckmaessigkeitsbestimmungen hinausgehende +Aenderungen des bestehenden Rechts nicht wohl enthalten haben. Sogar im +Kreditwesen trat keine weitere Milderung ein, als dass ein - wahrscheinlich +niedriges - Zinsmaximum (10 Prozent) festgestellt und der Wucherer mit schwerer +Strafe - charakteristisch genug mit einer weit schwereren als der Dieb - +bedroht ward; der strenge Schuldprozess blieb wenigstens in seinen Hauptzuegen +ungeaendert. Aenderungen der staendischen Rechte waren begreiflicherweise noch +weniger beabsichtigt; der Rechtsunterschied zwischen steuerpflichtigen und +vermoegenslosen Buergern, die Ungueltigkeit der Ehe zwischen Adligen und +Buergerlichen wurden vielmehr aufs neue im Stadtrecht bestaetigt, ebenso zur +Beschraenkung der Beamtenwillkuer und zum Schutz des Buergers ausdruecklich +vorgeschrieben, dass das spaetere Gesetz durchaus dem frueheren vorgehen und +dass kein Volksschluss gegen einen einzelnen Buerger erlassen werden solle. Am +bemerkenswertesten ist die Ausschliessung der Provokation an die Tribuskomitien +in Kapitalsachen, waehrend die an die Zenturien gewaehrleistet ward; was sich +daraus erklaert, dass die Strafgerichtsbarkeit von der Plebs und ihren +Vorstehern in der Tat usurpiert war und mit dem Tribunal auch der tribunizische +Kapitalprozess notwendig fiel, waehrend es vielleicht die Absicht war, den +aedilizischen Multprozess beizubehalten. Die wesentliche politische Bedeutung +lag weit weniger in dem Inhalt des Weistums als in der jetzt foermlich +festgestellten Verpflichtung der Konsuln, nach diesen Prozessformen und diesen +Rechtsregeln Recht zu sprechen, und in der oeffentlichen Aufstellung des +Gesetzbuchs, wodurch die Rechtsverwaltung der Kontrolle der Publizitaet +unterworfen und der Konsul genoetigt ward, allen gleiches und wahrhaft gemeines +Recht zu sprechen. +</p> + +<p> +Der Ausgang des Dezemvirats liegt in tiefem Dunkel. Es blieb - so wird +berichtet - den Zehnmaennern nur noch uebrig, die beiden letzten Tafeln zu +publizieren und alsdann der ordentlichen Magistratur Platz zu machen. Sie +zoegerten indes; unter dem Vorwande, dass das Gesetz noch immer nicht fertig +sei, fuehrten sie selbst nach Ablauf des Amtsjahres ihr Amt weiter, was +insofern moeglich war, als nach roemischem Staatsrecht die +ausserordentlicherweise zur Revision der Verfassung berufene Magistratur durch +die ihr gesetzte Endfrist rechtlich nicht gebunden werden kann. Die gemaessigte +Fraktion der Aristokratie, die Valerier und Horatier an ihrer Spitze, soll +versucht haben, im Senat die Abdankung der Dezemvirn zu erzwingen; allein das +Haupt der Zehnmaenner, Appius Claudius, von Haus aus ein starrer Aristokrat, +aber jetzt umschlagend zum Demagogen und zum Tyrannen, gewann das Uebergewicht +im Senat, und auch das Volk fuegte sich. Die Aushebung eines doppelten Heeres +ward ohne Widerspruch vollzogen und der Krieg gegen die Volsker wie gegen die +Sabiner begonnen. Da wurde der gewesene Volkstribun Lucius Siccius Dentatus, +der tapferste Mann in Rom, der in hundertundzwanzig Schlachten gefochten und +fuenfundvierzig ehrenvolle Narben aufzuzeigen hatte, tot vor dem Lager +gefunden, meuchlerisch ermordet, wie es hiess, auf Anstiften der Zehnmaenner. +Die Revolution gaerte in den Gemuetern; zum Ausbruch brachte sie der ungerechte +Wahrspruch des Appius in dem Prozess um die Freiheit der Tochter des +Centurionen Lucius Verginius, der Braut des gewesenen Volkstribuns Lucius +Icilius, welcher Spruch das Maedchen den Ihrigen entriss, um sie unfrei und +rechtlos zu machen und den Vater bewog, seiner Tochter auf offenem Markt das +Messer selber in die Brust zu stossen, um sie der gewissen Schande zu +entreissen. Waehrend das Volk erstarrt ob der unerhoerten Tat die Leiche des +schoenen Maedchens umstand, befahl der Dezemvir seinen Buetteln, den Vater und +alsdann den Braeutigam vor seinen Stuhl zu fuehren, um ihm, von dessen Spruch +keine Berufung galt, sofort Rede zu stehen wegen ihrer Auflehnung gegen seine +Gewalt. Nun war das Mass voll. Geschuetzt von den brausenden Volksmassen +entziehen der Vater und der Braeutigam des Maedchens sich den Haeschern des +Gewaltherrn, und waehrend in Rom der Senat zittert und schwankt, erscheinen die +beiden mit zahlreichen Zeugen der furchtbaren Tat in den beiden Lagern. Das +Unerhoerte wird berichtet; vor allen Augen oeffnet sich die Kluft, die der +mangelnde tribunizische Schutz in der Rechtssicherheit gelassen hat, und was +die Vaeter getan, wiederholen die Soehne. Abermals verlassen die Heere ihre +Fuehrer; sie ziehen in kriegerischer Ordnung durch die Stadt und abermals auf +den heiligen Berg, wo sie abermals ihre Tribune sich ernennen. Immer noch +weigern die Dezemvirn die Niederlegung ihrer Gewalt; da erscheint das Heer mit +seinen Tribunen in der Stadt und lagert sich auf dem Aventin. Jetzt endlich, wo +der Buergerkrieg schon da war und der Strassenkampf stuendlich beginnen konnte, +jetzt entsagen die Zehnmaenner ihrer angemassten und entehrten Gewalt, und die +Konsuln Lucius Valerius und Marcus Horatius vermitteln einen zweiten Vergleich, +durch den das Volkstribunal wieder hergestellt wurde. Die Anklagen gegen die +Dezemvirn endigten damit, dass die beiden schuldigsten, Appius Claudius und +Spurius Oppius, im Gefaengnis sich das Leben nahmen, die acht anderen ins Exil +gingen und der Staat ihr Vermoegen einzog. Weitere gerichtliche Verfolgungen +hemmte der kluge und gemaessigte Volkstribun Marcus Duilius durch den +rechtzeitigen Gebrauch seines Veto. +</p> + +<p> +So lautet die Erzaehlung, wie der Griffel der roemischen Aristokraten sie +aufgezeichnet hat; unmoeglich aber kann, auch von den Nebenumstaenden +abgesehen, die grosse Krise, der die Zwoelf Tafeln entsprangen, in solche +romantische Abenteuerlichkeiten und politische Unbegreiflichkeiten ausgelaufen +sein. Das Dezemvirat war nach der Abschaffung des Koenigtums und der Einsetzung +des Volkstribunats der dritte grosse Sieg der Plebs, und die Erbitterung der +Gegenpartei gegen die Institution wie gegen ihr Haupt Appius Claudius ist +erklaerlich genug. Die Plebejer hatten damit das passive Wahlrecht zu dem +hoechsten Gemeindeamt und das gemeine Landrecht errungen; und nicht sie waren +es, die Ursache hatten, sich gegen die neue Magistratur aufzulehnen und mit +Waffengewalt das rein patrizische Konsularregiment zu restaurieren. Dies Ziel +kann nur von der Adelspartei verfolgt worden sein, und wenn die +patrizisch-plebejischen Dezemvirn den Versuch gemacht haben, sich ueber die +Zeit hinaus im Amte zu behaupten, so ist sicherlich dagegen in erster Reihe der +Adel in die Schranken getreten; wobei er freilich nicht versaeumt haben wird +geltend zu machen, dass ja auch der Plebs ihre verbrieften Rechte geschmaelert, +insbesondere das Tribunat ihr genommen sei. Gelang es dann dem Adel, die +Dezemvirn zu beseitigen, so ist es allerdings begreiflich, dass nach deren +Sturz die Plebs jetzt abermals in Waffen zusammentrat, um die Ergebnisse sowohl +der frueheren Revolution von 260 wie auch der juengsten Bewegung sich zu +sichern; und nur als Kompromiss in diesem Konflikt lassen die +Valerisch-Horatischen Gesetze von 305 (449) sich verstehen. Der Vergleich fiel +wie natuerlich durchaus zu Gunsten der Plebejer aus und beschraenkte abermals +in empfindlicher Weise die Gewalt des Adels. Dass das Volkstribunat wieder +hergestellt, das dem Adel abgedrungene Stadtrecht definitiv festgehalten und +die Konsuln danach zu richten verpflichtet wurden, versteht sich von selbst. +Durch das Stadtrecht verloren allerdings die Tribus die angemasste +Gerichtsbarkeit in Kapitalsachen; allein die Tribune erhielten sie zurueck, +indem ein Weg gefunden ward, ihnen fuer solche Faelle die Verhandlung mit den +Zenturien moeglich zu machen. Ueberdies blieb ihnen in dem Recht, auf +Geldbussen unbeschraenkt zu erkennen und diesen Spruch an die Tribuskomitien zu +bringen, ein ausreichendes Mittel, die buergerliche Existenz des patrizischen +Gegners zu vernichten. Es ward ferner auf Antrag der Konsuln von den Zenturien +beschlossen, dass kuenftig jeder Magistrat, also auch der Diktator bei seiner +Ernennung verpflichtet werden solle, der Provokation stattzugeben; wer dem +zuwider einen Beamten ernannte, buesste mit dem Kopfe. Im uebrigen behielt der +Diktator die bisherige Gewalt und konnte namentlich der Tribun seine +Amtshandlungen nicht wie die der Konsuln kassieren. +</p> + +<p> +Eine weitere Beschraenkung der konsularischen Machtfuelle war es, dass die +Verwaltung der Kriegskasse zwei von der Gemeinde gewaehlten Zahlmeistern +(quaestores) uebertragen ward, die zuerst fuer 307 (447) ernannt wurden. Die +Ernennung sowohl der beiden neuen Zahlmeister fuer den Krieg wie auch der +beiden die Stadtkasse verwaltenden ging jetzt ueber auf die Gemeinde; der +Konsul behielt statt der Wahl nur die Wahlleitung. Die Versammlung, in der die +Zahlmeister erwaehlt wurden, war die der saemtlichen patrizisch-plebejischen +ansaessigen Leute und stimmte nach Quartieren ab; worin ebenfalls eine +Konzession an die diese Versammlungen weit mehr als die Zenturiatkomitien +beherrschende plebejische Bauernschaft liegt. +</p> + +<p> +Folgenreicher noch war es, dass den Tribunen Anteil an den Verhandlungen im +Senat eingeraeumt ward. Zwar in den Sitzungssaal die Tribune zuzulassen, schien +dem Senat unter seiner Wuerde; es wurde ihnen eine Bank an die Tuer gesetzt, um +von da aus den Verhandlungen zu folgen. Das tribunizische Interzessionsrecht +hatte sich auch auf die Beschluesse des Gesamtsenats erstreckt, seit dieser aus +einer beratenden zu einer beschliessenden Behoerde geworden war, was wohl +zuerst eintrat in dem Fall, wo ein Plebiszit fuer die ganze Gemeinde verbindend +werden sollte; es war natuerlich, dass man seitdem den Tribunen eine gewisse +Beteiligung an den Verhandlungen in der Kurie einraeumte. Um auch gegen +Unterschiebung und Verfaelschung von Senatsbeschluessen gesichert zu sein, an +deren Gueltigkeit ja die der wichtigsten Plebiszite geknuepft war, wurde +verordnet, dass in Zukunft dieselben nicht bloss bei den patrizischen +Stadtquaestoren im Saturnus-, sondern ebenfalls bei den plebejischen Aedilen im +Cerestempel hinterlegt werden sollten. So endigte dieser Kampf, der begonnen +war, um die Gewalt der Volkstribune zu beseitigen, mit der abermaligen und nun +definitiven Sanktionierung ihres Rechts, sowohl einzelne Verwaltungsakte auf +Anrufen des Beschwerten als auch jede Beschlussnahme der konstitutiven +Staatsgewalten nach Ermessen zu kassieren. Mit den heiligsten Eiden und allem, +was die Religion Ehrfuerchtiges darbot, und nicht minder mit den foermlichsten +Gesetzen wurde abermals sowohl die Person der Tribune als die ununterbrochene +Dauer und die Vollzaehligkeit des Kollegiums gesichert. Es ist seitdem nie +wieder in Rom ein Versuch gemacht worden, diese Magistratur aufzuheben. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap03"></a>KAPITEL III.<br/> +Die Ausgleichung der Stände und die neue Aristokratie</h2> + +<p> +Die tribunizischen Bewegungen scheinen vorzugsweise aus den sozialen, nicht aus +den politischen Missverhaeltnissen hervorgegangen zu sein und es ist guter +Grund vorhanden zu der Annahme, dass ein Teil der vermoegenden, in den Senat +aufgenommenen Plebejer denselben nicht minder entgegen war als die Patrizier; +denn die Privilegien, gegen welche die Bewegung vorzugsweise sich richtete, +kamen auch ihnen zugute, und wenn sie auch wieder in anderer Beziehung sich +zurueckgesetzt fanden, so mochte es ihnen doch keineswegs an der Zeit scheinen, +ihre Ansprueche auf Teilnahme an den Aemtern geltend zu machen, waehrend der +ganze Senat in seiner finanziellen Sondermacht bedroht war. So erklaert es +sich, dass waehrend der ersten fuenfzig Jahre der Republik kein Schritt +geschah, der geradezu auf politische Ausgleichung der Staende hinzielte. +</p> + +<p> +Allein eine Buergschaft der Dauer trug dieses Buendnis der Patrizier und der +reichen Plebejer doch keineswegs in sich. Ohne Zweifel hatte ein Teil der +vornehmen plebejischen Familien von Haus aus der Bewegungspartei sich +angeschlossen, teils aus Billigkeitsgefuehl gegen ihre Standesgenossen, teils +infolge des natuerlichen Bundes aller Zurueckgesetzten, teils endlich, weil sie +begriffen, dass Konzessionen an die Menge auf die Laenge unvermeidlich waren +und dass sie, richtig benutzt, die Beseitigung der Sonderrechte des Patriziats +zur Folge haben und damit der plebejischen Aristokratie das entscheidende +Gewicht im Staate geben wuerden. Wenn diese Ueberzeugung, wie das nicht fehlen +konnte, in weitere Kreise eindrang und die plebejische Aristokratie an der +Spitze ihres Standes den Kampf gegen den Geschlechtsadel aufnahm, so hielt sie +in dem Tribunat den Buergerkrieg gesetzlich in der Hand und konnte mit dem +sozialen Notstand die Schlachten schlagen, um dem Adel die Friedensbedingungen +zu diktieren und als Vermittler zwischen beiden Parteien fuer sich den Zutritt +zu den Aemtern zu erzwingen. +</p> + +<p> +Ein solcher Wendepunkt in der Stellung der Parteien trat ein nach dem Sturz des +Dezemvirats. Es war jetzt vollkommen klar geworden, dass das Volkstribunat sich +nicht beseitigen liess; die plebejische Aristokratie konnte nichts Besseres +tun, als sich dieses gewaltigen Hebels zu bemaechtigen und sich desselben zur +Beseitigung der politischen Zuruecksetzung ihres Standes zu bedienen. +</p> + +<p> +Wie wehrlos der Geschlechtsadel der vereinigten Plebs gegenueberstand, zeigt +nichts so augenscheinlich, als dass der Fundamentalsatz der exklusiven Partei, +die Ungueltigkeit der Ehe zwischen Adligen und Buergerlichen, kaum vier Jahre +nach der Dezemviralrevolution auf den ersten Streich fiel. Im Jahre 309 (445) +wurde durch das Canuleische Plebiszit verordnet, dass die Ehe zwischen Adligen +und Buergerlichen als eine rechte roemische gelten und die daraus erzeugten +Kinder dem Stande des Vaters folgen sollten. Gleichzeitig wurde ferner +durchgesetzt, dass statt der Konsuln Kriegstribune - es gab deren damals, vor +der Teilung des Heeres in Legionen, sechs, und danach richtete sich auch die +Zahl dieser Magistrate - mit konsularischer Gewalt ^1 und konsularischer +Amtsdauer von den Zenturien gewaehlt werden sollten. Die naechste Ursache war +militaerischer Art, indem die vielfachen Kriege eine groessere Zahl von +obersten Feldherren forderten, als die Konsularverfassung sie gewaehrte; aber +die Aenderung ist von wesentlicher Bedeutung fuer den Staendekampf geworden, ja +vielleicht jener militaerische Zweck fuer diese Einrichtung mehr der Vorwand +als der Grund gewesen. Zu Offizierstellen konnte nach altem Recht jeder +dienstpflichtige Buerger oder Insasse gelangen, und es ward also damit das +hoechste Amt, nachdem es voruebergehend schon im Dezemvirat den Plebejern +geoeffnet worden war, jetzt in umfassender Weise saemtlichen freigewordenen +Buergern gleichmaessig zugaenglich gemacht. Die Frage liegt nahe, welches +Interesse der Adel dabei haben konnte, da er einmal auf den Alleinbesitz des +hoechsten Amtes verzichten und in der Sache nachgeben musste, den Plebejern den +Titel zu versagen und das Konsulat ihnen in dieser wunderlichen Form +zuzugestehen ^2. Einmal aber knuepften sich an die Bekleidung des hoechsten +Gemeindeamts mancherlei teils persoenliche, teils erbliche Ehrenrechte: so galt +die Ehre des Triumphs als rechtlich bedingt durch die Bekleidung des hoechsten +Gemeindeamts und wurde nie einem Offizier gegeben, der nicht dieses selbst +verwaltet hatte; so stand es den Nachkommen eines kurulischen Beamten frei, das +Bild eines solchen Ahnen im Familiensaal auf- und bei geeigneten Veranlassungen +oeffentlich zur Schau zu stellen, waehrend dies fuer andere Vorfahren nicht +statthaft war ^3. Es ist ebenso leicht zu erklaeren wie schwer zu +rechtfertigen, dass der regierende Herrenstand weit eher das Regiment selbst +als die daran geknuepften Ehrenrechte, namentlich die erblichen, sich entwinden +liess und darum, als es jenes mit den Plebejern teilen musste, den tatsaechlich +hoechsten Gemeindebeamten rechtlich nicht als Inhaber des kurulischen Sessels, +sondern als einfachen Stabsoffizier hinstellte, dessen Auszeichnung eine rein +persoenliche war. Von groesserer politischer Bedeutung aber als die Versagung +des Ahnenrechts und der Ehre des Triumphs war es, dass die Ausschliessung der +im Senat sitzenden Plebejer von der Debatte notwendig fuer diejenigen von ihnen +fiel, die als designierte oder gewesene Konsuln in die Reihe der vor den +uebrigen um ihr Gutachten zu fragenden Senatoren eintraten; insofern war es +allerdings fuer den Adel von grosser Wichtigkeit, den Plebejer nur zu einem +konsularischen Amt, nicht aber zum Konsulat selbst zuzulassen. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Die Annahme, dass rechtlich den patrizischen Konsulartribunen das volle, den +plebejischen nur das militaerische Imperium zugestanden habe, ruft nicht bloss +manche Fragen hervor, auf die es keine Antwort gibt, zum Beispiel, was denn +geschah, wenn, wie dies gesetzlich moeglich war, die Wahl auf lauter Plebejer +fiel, sondern verstoesst vor allem gegen den Fundamentalsatz des roemischen +Staatsrechts, dass das Imperium, das heisst das Recht, dem Buerger im Namen der +Gemeinde zu befehlen, qualitativ unteilbar und ueberhaupt keiner anderen als +einer raeumlichen Abgrenzung faehig ist. Es gibt einen Stadtrechtsbezirk und +einen Kriegsrechtsbezirk, in welchem letzteren die Provokation und andere +stadtrechtliche Bestimmungen nicht massgebend sind; es gibt Beamte, wie zum +Beispiel die Prokonsuln, welche lediglich in dem letzteren zu funktionieren +vermoegen; aber es gibt im strengen Rechtssinn keine Beamten mit bloss +jurisdiktionellem wie keine mit bloss militaerischem Imperium. Der Prokonsul +ist in seinem Bezirk eben wie der Konsul zugleich Oberfeldherr und Oberrichter +und befugt, nicht bloss unter Nichtbuergern und Soldaten, sondern auch unter +Buergern den Prozess zu instruieren. Selbst als mit der Einsetzung der Praetur +der Begriff der Kompetenz fuer die magistratus maiores aufkommt, hat er mehr +tatsaechliche als eigentlich rechtliche Geltung: der staedtische Praetor ist +zwar zunaechst Oberrichter, aber er kann auch wenigstens fuer gewisse Faelle +die Zenturien berufen und kann ein Heer befehligen; dem Konsul kommt in der +Stadt zunaechst die Oberverwaltung und der Oberbefehl zu, aber er fungiert doch +auch bei Emanzipation und Adoption als Gerichtsherr - die qualitative +Unteilbarkeit des hoechsten Amtes ist also selbst hier noch beiderseits mit +grosser Schaerfe festgehalten. Es muss also die militaerische wie die +jurisdiktionelle Amtsgewalt oder, um diese, dem roemischen Recht dieser Zeit +fremden Abstraktionen beiseite zu lassen, die Amtsgewalt schlechthin den +plebejischen Konsulartribunen virtuell so gut wie den patrizischen zugestanden +haben. Aber wohl moegen, wie W. A. Becker (Handbuch, Bd. 2, 2, S. 137) meint, +aus denselben Gruenden, weshalb spaeterhin neben das gemeinschaftliche Konsulat +die - tatsaechlich laengere Zeit den Patriziern vorbehaltene - Praetur gestellt +ward, faktisch schon waehrend des Konsulartribunats die plebejischen Glieder +des Kollegiums von der Jurisdiktion ferngehalten worden sein und insofern die +spaetere Kompetenzteilung zwischen Konsuln und Praetoren mittels des +Konsulartribunats sich vorbereitet haben. +</p> + +<p> +^2 Die Verteidigung, dass der Adel an der Ausschliessung der Plebejer aus +religioeser Befangenheit festgehalten habe, verkennt den Grundcharakter der +roemischen Religion und traegt den modernen Gegensatz zwischen Kirche und Staat +in das Altertum hinein. Die Zulassung des Nichtbuergers zu einer buergerlich +religioesen Verrichtung musste freilich dem rechtglaeubigen Roemer als +suendhaft erscheinen; aber nie hat auch der strengste Orthodoxe bezweifelt, +dass durch die lediglich und allein vom Staat abhaengige Zulassung in die +buergerliche Gemeinschaft auch die volle religioese Gleichheit herbeigefuehrt +werde. All jene Gewissensskrupel, deren Ehrlichkeit an sich nicht beanstandet +werden soll, waren abgeschnitten, sowie man den Plebejern in Masse rechtzeitig +das Patriziat zugestand. Nur das etwa kann man zur Entschuldigung des Adels +geltend machen, dass er, nachdem er bei Abschaffung des Koenigtums den rechten +Augenblick hierzu versaeumt hatte, spaeter selber nicht mehr imstande war, das +Versaeumte nachzuholen. +</p> + +<p> +^3 Ob innerhalb des Patriziats die Unterscheidung dieser “kurulischen +Haeuser” von den uebrigen Familien jemals von ernstlicher politischer +Bedeutung gewesen ist, laesst sich weder mit Sicherheit verneinen noch mit +Sicherheit bejahen, und ebensowenig wissen wir, ob es in dieser Epoche wirklich +noch nicht kurulische Patrizierfamilien in einiger Anzahl gab. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Indes trotz dieser kraenkenden Zuruecksetzung waren doch die +Geschlechterprivilegien, soweit sie politischen Wert hatten, durch die neue +Institution gesetzlich beseitigt, und wenn der roemische Adel seines Namens +wert gewesen waere, haette er jetzt den Kampf aufgeben muessen. Allein er hat +es nicht getan. Wenn auch ein vernuenftiger und gesetzlicher Widerstand fortan +unmoeglich war, so bot sich doch noch ein weites Feld fuer die tueckische +Opposition der kleinen Mittel, der Schikanen und der Kniffe; und so wenig +ehrenhaft und staatsklug dieser Widerstand war, so war er doch in einem +gewissen Sinne erfolgreich. Er hat allerdings schliesslich dem gemeinen Mann +Konzessionen verschafft, zu welchen die vereinigte roemische Aristokratie nicht +leicht gezwungen worden waere; aber er hat es auch vermocht, den Buergerkrieg +noch um ein Jahrhundert zu verlaengern und jenen Gesetzen zum Trotz das +Regiment noch mehrere Menschenalter hindurch tatsaechlich im Sonderbesitz des +Adels zu erhalten. +</p> + +<p> +Die Mittel, deren der Adel sich bediente, waren so mannigfach wie die +politische Kuemmerlichkeit ueberhaupt. Statt die Frage ueber die Zulassung oder +Ausschliessung der Buergerlichen bei den Wahlen ein fuer allemal zu +entscheiden, raeumte man, was man einraeumen musste, nur fuer die jedesmal +naechsten Wahlen ein; jaehrlich erneuerte sich also der eitle Kampf, ob +patrizische Konsuln oder aus beiden Staenden Kriegstribune mit konsularischer +Gewalt ernannt werden sollten, und unter den Waffen des Adels erwies sich +diese, den Gegner durch Ermuedung und Langweile zu ueberwinden, keineswegs als +die unwirksamste. +</p> + +<p> +Man zersplitterte ferner die bis dahin ungeteilte hoechste Geaalt, um die +unvermeidliche Niederlage durch Vermehrung der Angriffspunkte in die Laenge zu +ziehen. So wurde die der Regel nach jedes vierte Jahr stattfindende +Feststellung des Budgets und der Buerger- und Steuerlisten, welche bisher durch +die Konsuln bewirkt worden war, schon im Jahre 319 (435) zweien von den +Zenturien aus dem Adel auf hoechstens achtzehn Monate ernannten Schaetzern +(censores) uebertragen. Das neue Amt ward allmaehlich zum Palladium der +Adelspartei, weniger noch wegen seines finanziellen Einflusses als wegen des +daran sich knuepfenden Rechts, die erledigten Plaetze im Senat und in der +Ritterschaft zu besetzen und bei der Feststellung der Listen von Senat, Ritter- +und Buergerschaft einzelne Personen aus denselben zu entfernen; die hohe +Bedeutung indes und die moralische Machtfuelle, welche spaeterhin der Zensur +beiwohnt, hat sie in dieser Epoche noch keineswegs besessen. +</p> + +<p> +Dagegen die im Jahre 333 (421) hinsichtlich der Quaestur getroffene wichtige +Aenderung glich diesen Erfolg der Adelspartei reichlich wieder aus. Die +patrizisch-plebejische Quartierversammlung, vielleicht darauf sich stuetzend, +dass wenigstens die beiden Kriegszahlmeister faktisch mehr Offiziere waren als +Zivilbeamte und insofern der Plebejer so gut wie zum Militaertribunat auch zur +Quaestur befaehigt erschien, setzte es durch, dass fuer die Quaestorenwahlen +auch plebejische Bewerber zugelassen wurden und erwarb damit zum erstenmal zu +dem aktiven Wahlrecht auch das passive fuer eines der ordentlichen Aemter. Mit +Recht ward es auf der einen Seite als ein grosser Sieg, auf der anderen als +eine schwere Niederlage empfunden, dass fortan zu dem Kriegs- wie zu dem +Stadtzahlmeisteramt der Patrizier und der Plebejer aktiv und passiv gleich +wahlfaehig waren. +</p> + +<p> +Trotz der hartnaeckigsten Gegenwehr schritt der Adel doch nur von Verlust zu +Verlust; die Erbitterung stieg, wie die Macht sank. Er hat es wohl noch +versucht, die der Gemeinde vertragsmaessig zugesicherten Rechte geradezu +anzutasten; aber es waren diese Versuche weniger berechnete Parteimanoever als +Akte einer impotenten Rachsucht. So namentlich der Prozess gegen Maelius, wie +unsere allerdings wenig zuverlaessige Ueberlieferung ihn berichtet. Spurius +Maelius, ein reicher Plebejer, verkaufte waehrend schwerer Teuerung (315 439) +Getreide zu solchen Preisen, dass er den patrizischen Magazinvorsteher +(praefectus annonae) Gaius Minucius beschaemte und kraenkte. Dieser +beschuldigte ihn des Strebens nach der koeniglichen Gewalt; mit welchem Recht, +koennen wir freilich nicht entscheiden, allein es ist kaum glaublich, dass ein +Mann, der nicht einmal das Tribunat bekleidet hatte, ernstlich an die Tyrannis +gedacht haben sollte. Indes die Behoerden nahmen die Sache ernsthaft, und auf +die Menge Roms hat der Zeterruf des Koenigtums stets aehnliche Wirkung geuebt +wie der Papstzeter auf die englischen Massen. Titus Quinctius Capitolinus, der +zum sechstenmal Konsul war, ernannte den achtzigjaehrigen Lucius Quinctius +Cincinnatus zum Diktator ohne Provokation, in offener Auflehnung gegen die +beschworenen Gesetze. Maelius, vorgeladen, machte Miene, sich dem Befehl zu +entziehen; da erschlug ihn der Reiterfuehrer des Diktators, Gaius Servilius +Ahala, mit eigener Hand. Das Haus des Ermordeten ward niedergerissen, das +Getreide aus seinen Speichern dem Volke umsonst verteilt, und die seinen Tod zu +raechen drohten, heimlich ueber die Seite gebracht. Dieser schaendliche +Justizmord, eine Schande mehr noch fuer das leichtglaeubige und blinde Volk als +fuer die tueckische Junkerpartei, ging ungestraft hin; aber wenn diese gehofft +hatte, damit das Provokationsrecht zu untergraben, so hatte sie umsonst die +Gesetze verletzt und umsonst unschuldiges Blut vergossen. +</p> + +<p> +Wirksamer als alle uebrigen Mittel erwiesen sich dem Adel Wahlintrigen und +Pfaffentrug. Wie arg jene gewesen sein muessen, zeigt am besten, dass es schon +322 (432) noetig schien, ein eigenes Gesetz gegen Wahlumtriebe zu erlassen, das +natuerlich nichts half. Konnte man nicht durch Korruption oder Drohung auf die +Stimmberechtigten wirken, so taten die Wahldirektoren das uebrige und liessen +zum Beispiel so viele plebejische Kandidaten zu, dass die Stimmen der +Opposition sich zersplitterten, oder liessen diejenigen von der Kandidatenliste +weg, die die Majoritaet zu waehlen beabsichtigte. Ward trotz alledem eine +unbequeme Wahl durchgesetzt, so wurden die Priester befragt, ob bei derselben +nicht eine Nichtigkeit in der Voegelschau oder den sonstigen religioesen +Zeremonien vorgekommen sei; welche diese alsdann zu entdecken nicht +ermangelten. Unbekuemmert um die Folgen und uneingedenk des weisen Beispiels +der Ahnen liess man den Satz sich feststellen, dass das Gutachten der +priesterlichen Sachverstaendigenkollegien ueber Voegelzeichen, Wunder und +aehnliche Dinge den Beamten von Rechts wegen binde, und es in ihre Macht +kommen, jeden Staatsakt, sei es die Weihung eines Gotteshauses oder sonst eine +Verwaltungshandlung, sei es Gesetz oder Wahl, wegen religioeser Nullitaeten zu +kassieren. Auf diesem Wege wurde es moeglich, dass, obwohl die Waehlbarkeit der +Plebejer schon im Jahre 333 (421) fuer die Quaestur gesetzlich festgestellt +worden war und seitdem rechtlich anerkannt blieb, dennoch erst im Jahre 345 +(409) der erste Plebejer zur Quaestur gelangte; aehnlich haben das +konsularische Kriegstribunat bis zum Jahre 354 (400) fast ausschliesslich +Patrizier bekleidet. Es zeigte sich, dass die gesetzliche Abschaffung der +Adelsprivilegien noch keineswegs die plebejische Aristokratie wirklich und +tatsaechlich dem Geschlechtsadel gleichgestellt hatte. Mancherlei Ursachen +wirkten dabei zusammen: die zaehe Opposition des Adels liess sich weit leichter +in einem aufgeregten Moment der Theorie nach ueber den Haufen werfen, als in +den jaehrlich wiederkehrenden Wahlen dauernd niederhalten; die Hauptursache +aber war die innere Uneinigkeit der Haeupter der plebejischen Aristokratie und +der Masse der Bauernschaft. Der Mittelstand, dessen Stimmen in den Komitien +entschieden, fand sich nicht berufen, die vornehmen Nichtadligen vorzugsweise +auf den Schild zu heben, solange seine eigenen Forderungen von der plebejischen +nicht minder wie von der patrizischen Aristokratie zurueckgewiesen wurden. +</p> + +<p> +Die sozialen Fragen hatten waehrend dieser politischen Kaempfe im ganzen geruht +oder waren doch mit geringer Energie verhandelt worden. Seitdem die plebejische +Aristokratie sich des Tribunats zu ihren Zwecken bemaechtigt hatte, war weder +von der Domaenenangelegenheit noch von der Reform des Kreditwesens ernstlich +die Rede gewesen; obwohl es weder fehlte an neugewonnenen Laendereien noch an +verarmenden oder verarmten Bauern. Einzelne Assignationen, namentlich in +neueroberten Grenzgebieten, erfolgten wohl, so des ardeatischen Gebiets 312 +(442), des labicanischen 336 (418), des veientischen 361 (393), jedoch mehr aus +militaerischen Gruenden, als um dem Bauer zu helfen, und keineswegs in +ausreichenden Umfang. Wohl machten einzelne Tribune den Versuch, das Gesetz des +Cassius wieder aufzunehmen: so stellten Spurius Maecilius und Spurius Metilius +im Jahre 337 (417) den Antrag auf Aufteilung saemtlicher Staatslaendereien - +allein sie scheiterten, was charakteristisch fuer die damalige Situation ist, +an dem Widerstand ihrer eigenen Kollegen, das heisst der plebejischen +Aristokratie. Auch unter den Patriziern versuchten einige, der gemeinen Not zu +helfen; allein mit nicht besserem Erfolg als einst Spurius Cassius. Patrizier +wie dieser, und wie dieser ausgezeichnet durch Kriegsruhm und persoenliche +Tapferkeit, soll Marcus Manlius, der Retter der Burg waehrend der gallischen +Belagerung, als Vorkaempfer aufgetreten sein fuer die unterdrueckten Leute, mit +denen sowohl die Kriegskameradschaft ihn verband wie der bittere Hass gegen +seinen Rivalen, den gefeierten Feldherrn und optimatischen Parteifuehrer Marcus +Furius Camillus. Als ein tapferer Offizier ins Schuldgefaengnis abgefuehrt +werden sollte, trat Manlius fuer ihn ein und loeste mit seinem Gelde ihn aus; +zugleich bot er seine Grundstuecke zum Verkauf aus, laut erklaerend, dass, +solange er noch einen Fussbreit Landes besitze, solche Unbill nicht vorkommen +solle. Das war mehr als genug, um die ganze Regimentspartei, Patrizier wie +Plebejer, gegen den gefaehrlichen Neuerer zu vereinigen. Der +Hochverratsprozess, die Anschuldigung der beabsichtigten Erneuerung des +Koenigtums, wirkte mit dem tueckischen Zauber stereotyp gewordener +Parteiphrasen auf die blinde Menge; sie selbst verurteilte ihn zum Tode, und +nichts trug sein Ruhm ihm ein, als dass man das Volk zum Blutgericht an einem +Ort versammelte, von wo die Stimmenden den Burgfelsen nicht erblickten, den +stummen Mahner an die Rettung des Vaterlandes aus der hoechsten Gefahr durch +die Hand desselben Mannes, welchen man jetzt dem Henker ueberlieferte (370 +384). +</p> + +<p> +Waehrend also die Reformversuche im Keim erstickt wurden, wurde das +Missverstaendnis immer schreiender, indem einerseits infolge der gluecklichen +Kriege die Domanialbesitzungen mehr und mehr sich ausdehnten, anderseits in der +Bauernschaft die Ueberschuldung und Verarmung immer weiter um sich griff, +namentlich infolge des schweren Veientischen Krieges (348-358 406-396) und der +Einaescherung der Hauptstadt bei dem gallischen Ueberfall (364 390). Zwar als +es indem Veientischen Kriege notwendig wurde, die Dienstzeit der Soldaten zu +verlaengern und sie, statt wie bisher hoechstens nur den Sommer, auch den +Winter hindurch unter den Waffen zu halten, und als die Bauernschaft, die +vollstaendige Zerruettung ihrer oekonomischen Lage voraussehend, im Begriff +war, ihre Einwilligung zu der Kriegserklaerung zu verweigern, entschloss sich +der Senat zu einer wichtigen Konzession: er uebernahm den Sold, den bisher die +Distrikte durch Umlage aufgebracht hatten, auf die Staatskasse, das heisst auf +den Ertrag der indirekten Abgaben und der Domaenen (348 406). Nur fuer den +Fall, dass die Staatskasse augenblicklich leer sei, wurde des Soldes wegen eine +allgemeine Umlage (tributum) ausgeschrieben, die indes als gezwungene Anleihe +betrachtet und von der Gemeinde spaeterhin zurueckgezahlt ward. Die Einrichtung +war billig und weise; allein da das wesentliche Fundament, eine reelle +Verwertung der Domaenen zum Besten der Staatskasse, ihr nicht gegeben ward, so +kamen zu der vermehrten Last des Dienstes noch haeufige Umlagen hinzu, die den +kleinen Mann darum nicht weniger ruinierten, dass sie offiziell nicht als +Steuern, sondern als Vorschuesse betrachtet wurden. +</p> + +<p> +Unter solchen Umstaenden, wo die plebejische Aristokratie sich durch den +Widerstand des Adels und die Gleichgueltigkeit der Gemeinde tatsaechlich von +der politischen Gleichberechtigung ausgeschlossen sah und die leidende +Bauernschaft der geschlossenen Aristokratie ohnmaechtig gegenueberstand, lag es +nahe, beiden zu helfen durch ein Kompromiss. Zu diesem Ende brachten die +Volkstribune Gaius Licinius und Lucius Sextius bei der Gemeinde Antraege dahin +ein: einerseits mit Beseitigung des Konsulatribunats festzustellen, dass +wenigstens der eine Konsul Plebejer sein muesse, und ferner den Plebejern den +Zutritt zu dem einen der drei grossen Priesterkollegien, dem auf zehn +Mitglieder zu vermehrenden der Orakelbewahrer (duoviri, spaeter decemviri +sacris faciundis, 1, 191) zu eroeffnen; anderseits hinsichtlich der Domaenen +keinen Buerger auf die Gemeinweide mehr als hundert Rinder und fuenfhundert +Schafe auftreiben und keinen von dem zur Okkupation freigegebenen Domanialland +mehr als fuenfhundert Iugera (= 494 preussische Morgen) in Besitz nehmen zu +lassen, ferner die Gutsbesitzer zu verpflichten, unter ihren Feldarbeitern eine +zu der Zahl der Ackersklaven im Verhaeltnis stehende Anzahl freier Arbeiter zu +verwenden, endlich den Schuldnern durch Abzug der gezahlten Zinsen vom Kapital +und Anordnung von Rueckzahlungsfristen Erleichterung zu verschaffen. +</p> + +<p> +Die Tendenz dieser Verfuegungen liegt auf der Hand. Sie sollten dem Adel den +ausschliesslichen Besitz der kurulischen Aemter und der daran geknuepften +erblichen Auszeichnungen der Nobilitaet entreissen, was man in bezeichnender +Weise nur dadurch erreichen zu koennen meinte, dass man die Adligen von der +zweiten Konsulstelle gesetzlich ausschloss. Sie sollten folgeweise die +plebejischen Mitglieder des Senats aus der untergeordneten Stellung, in der sie +als stumme Beisitzer sich befanden, insofern befreien, als wenigstens +diejenigen von ihnen, die das Konsulat bekleidet hatten, damit ein Anrecht +erwarben, mit den patrizischen Konsularen vor den uebrigen patrizischen +Senatoren ihr Gutachten abzugeben. Sie sollten ferner dem Adel den +ausschliesslichen Besitz der geistlichen Wuerden entziehen; wobei man aus +naheliegenden Ursachen die altlatinischen Priestertuemer der Augurn und +Pontifices den Altroemern liess, aber sie noetigte, das dritte, juengere und +einem urspruenglich auslaendischen Kult angehoerige grosse Kollegium mit den +Neubuergern zu teilen. Sie sollten endlich den geringen Leuten den Mitgenuss +der gemeinen Buergernutzungen, den leidenden Schuldnern Erleichterung, den +arbeitslosen Tageloehnern Beschaeftigung verschaffen. Beseitigung der +Privilegien, buergerliche Gleichheit, soziale Reform - das waren die drei +grossen Ideen, welche dadurch zur Anerkennung kommen sollten. Vergeblich boten +die Patrizier gegen diese Gesetzvorschlaege ihre letzten Mittel auf; selbst die +Diktatur und der alte Kriegsheld Camillus vermochten nur ihre Durchbringung zu +verzoegern, nicht sie abzuwenden. Gern haette auch das Volk die Vorschlaege +geteilt; was lag ihm am Konsulat und an dem Orakelbewahreramt, wenn nur die +Schuldenlast erleichtert und das Gemeinland frei ward! Aber umsonst war die +plebejische Nobilitaet nicht popular; sie fasste die Antraege in einen einzigen +Gesetzvorschlag zusammen und nach lang-, angeblich elfjaehrigem Kampfe gab +endlich der Senat seine Einwilligung und gingen sie im Jahre 387 (367) durch. +</p> + +<p> +Mit der Wahl des ersten nicht patrizischen Konsuls - sie fiel auf den einen der +Urheber dieser Reform, den gewesenen Volkstribunen Lucius Sextius Lateranus - +hoerte der Geschlechtsadel tatsaechlich und rechtlich auf, zu den politischen +Institutionen Roms zu zaehlen. Wenn nach dem endlichen Durchgang dieser Gesetze +der bisherige Vorkaempfer der Geschlechter, Marcus Furius Camillus, am Fusse +des Kapitols auf einer ueber der alten Malstatt der Buergerschaft, dem +Comitium, erhoehten Flaeche, wo der Senat haeufig zusammenzutreten pflegte, ein +Heiligtum der Eintracht stiftete, so gibt man gern dem Glauben sich hin, dass +er in dieser vollendeten Tatsache den Abschluss des nur zu lange +fortgesponnenen Haders erkannte. Die religioese Weihe der neuen Eintracht der +Gemeinde war die letzte oeffentliche Handlung des alten Kriegs- und +Staatsmannes und der wuerdige Beschluss seiner langen und ruhmvollen Laufbahn. +Er hatte sich auch nicht ganz geirrt; der einsichtigere Teil der Geschlechter +gab offenbar seitdem die politischen Sonderrechte verloren und war es +zufrieden, das Regiment mit der plebejischen Aristokratie zu teilen. Indes in +der Majoritaet der Patrizier verleugnete das unverbesserliche Junkertum sich +nicht. Kraft des Privilegiums, welches die Vorfechter der Legitimitaet zu allen +Zeiten in Anspruch genommen haben, den Gesetzen nur da zu gehorchen, wo sie mit +ihren Parteiinteressen zusammenstimmen, erlaubten sich die roemischen Adligen +noch verschiedene Male, in offener Verletzung der vorgetragenen Ordnung, zwei +patrizische Konsuln ernennen zu lassen; wie indes, als Antwort auf eine +derartige Wahl fuer das Jahr 411 (343), das Jahr darauf die Gemeinde foermlich +beschloss, die Besetzung beider Konsulstellen mit Nichtpatriziern zu gestatten, +verstand man die darin liegende Drohung und hat es wohl noch gewuenscht, aber +nicht wieder gewagt, an die zweite Konsulstelle zu ruehren. +</p> + +<p> +Ebenso schnitt sich der Adel nur in das eigene Fleisch durch den Versuch, den +er bei der Durchbringung der Licinischen Gesetze machte, mittels eines +politischen Kipp- und Wippsystems wenigstens einige Truemmer der alten +Vorrechte fuer sich zu bergen. Unter dem Vorwande, dass das Recht +ausschliesslich dem Adel bekannt sei, ward von dem Konsulat, als dies den +Plebejern eroeffnet werden musste, die Rechtspflege getrennt und dafuer ein +eigener dritter Konsul, oder, wie er gewoehnlich heisst, ein Praetor bestellt. +Ebenso kamen die Marktaufsicht und die damit verbundenen Polizeigerichte sowie +die Ausrichtung des Stadtfestes an zwei neu ernannte Aedilen, die von ihrer +staendigen Gerichtsbarkeit, zum Unterschied von den plebejischen, die +Gerichtsstuhl-Aedilen (aediles curules) genannt wurden. Allein die kurulische +Aedilitaet ward sofort den Plebejern in der Art zugaenglich, dass adlige und +buergerliche Kurulaedilen Jahr um Jahr abwechselten. Im Jahre 398 (356) wurde +ferner die Diktatur, wie schon das Jahr vor den Licinischen Gesetzen (386 368), +das Reiterfuehreramt, im Jahre 403 (351) die Zensur, im Jahre 417 (337) die +Praetur Plebejern uebertragen und um dieselbe Zeit (415 339) der Adel, wie es +frueher in Hinsicht des Konsulats geschehen war, auch von der einen +Zensorstelle gesetzlich ausgeschlossen. Es aenderte nichts, dass wohl noch +einmal ein patrizischer Augur in der Wahl eines plebejischen Diktators (427 +327) geheime, ungeweihten Augen verborgene Maengel fand und dass der +patrizische Zensor seinem Kollegen bis zum Schlusse dieser Periode (474 280) +nicht gestattete, das feierliche Opfer darzubringen, womit die Schatzung +schloss; dergleichen Schikanen dienten lediglich dazu, die ueble Laune des +Junkertums zu konstatieren. Ebensowenig aenderten etwa die Quengeleien, welche +die patrizischen Vorsitzer des Senats nicht verfehlt haben werden, wegen der +Teilnahme der Plebejer an der Debatte in demselben zu erheben; vielmehr stellte +die Regel sich fest, dass nicht mehr die patrizischen Mitglieder, sondern die +zu einem der drei hoechsten ordentlichen Aemter, Konsulat, Praetur und +kurulischer Aedilitaet gelangten, in dieser Folge und ohne Unterschied des +Standes zur Abgabe ihres Gutachtens aufzufordern seien, waehrend diejenigen +Senatoren, die keines dieser Aemter bekleidet hatten, auch jetzt noch bloss an +der Abmehrung teilnahmen. Das Recht endlich des Patriziersenats, einen +Beschluss der Gemeinde als verfassungswidrig zu verwerfen, das derselbe +auszuueben freilich wohl ohnehin selten gewagt haben mochte, ward ihm durch das +Publilische Gesetz von 415 (339) und durch das nicht vor der Mitte des fuenften +Jahrhunderts erlassene Maenische in der Art entzogen, dass er veranlasst ward, +seine etwaigen konstitutionellen Bedenken bereits bei Aufstellung der +Kandidatenliste oder Einbringung des Gesetzvorschlags geltend zu machen; was +denn praktisch darauf hinauslief, dass er stets im voraus seine Zustimmung +aussprach. In dieser Art als rein formales Recht ist die Bestaetigung der +Volksschluesse dem Adel bis in die letzte Zeit der Republik geblieben. +</p> + +<p> +Laenger behaupteten begreiflicherweise die Geschlechter ihre religioesen +Vorrechte; ja an manche derselben, die ohne politische Bedeutung waren, wie +namentlich an ihre ausschliessliche Waehlbarkeit zu den drei hoechsten +Flaminaten und dem sacerdotalen Koenigtum sowie in die Genossenschaften der +Springer, hat man niemals geruehrt. Dagegen waren die beiden Kollegien der +Pontifices und der Augurn, an welche ein bedeutender Einfluss auf die Gerichte +und die Komitien sich knuepfte, zu wichtig, als dass diese Sonderbesitz der +Patrizier haetten bleiben koennen; das Ogulnische Gesetz vom Jahre 454 (300) +eroeffnete denn auch in diese den Plebejern den Eintritt, indem es die Zahl der +Pontifices und der Augurn beide von sechs auf neun vermehrte und in beiden +Kollegien die Stellen zwischen Patriziern und Plebejern gleichmaessig teilte. +</p> + +<p> +Den letzten Abschluss des zweihundertjaehrigen Haders brachte das durch einen +gefaehrlichen Volksaufstand hervorgerufene Gesetz des Diktators Q. Hortensius +(465-468 289-286), das anstatt der frueheren bedingten die unbedingte +Gleichstellung der Beschluesse der Gesamtgemeinde und derjenigen der Plebs +aussprach. So hatten sich die Verhaeltnisse umgewandelt, dass derjenige Teil +der Buergerschaft, der einst allein das Stimmrecht besessen hatte, seitdem bei +der gewoehnlichen Form der fuer die gesamte Buergerschaft verbindlichen +Abstimmungen nicht einmal mehr mitgefragt ward. +</p> + +<p> +Der Kampf zwischen den roemischen Geschlechtern und Gemeinen war damit im +wesentlichen zu Ende. Wenn der Adel von seinen umfassenden Vorrechten noch den +tatsaechlichen Besitz der einen Konsul- und der einen Zensorstelle bewahrte, so +war er dagegen vom Tribunat, der plebejischen Aedilitaet, von der zweiten +Konsul- und Zensorstelle und von der Teilnahme an den rechtlich den +Buergerschaftsabstimmungen gleichstehenden Abstimmungen der Plebs gesetzlich +ausgeschlossen; in gerechter Strafe seines verkehrten und eigensinnigen +Widerstrebens hatten die ehemaligen patrizischen Vorrechte sich fuer ihn in +ebenso viele Zuruecksetzungen verwandelt. Indes der roemische Geschlechtsadel +ging natuerlich darum keineswegs unter, weil er zum leeren Namen geworden war. +Je weniger der Adel bedeutete und vermochte, desto reiner und ausschliesslicher +entwickelte sich der junkerhafte Geist. Die Hoffart der “Ramner” +hat das letzte ihrer Standesprivilegien um Jahrhunderte ueberlebt; nachdem man +standhaft gerungen hatte, “das Konsulat aus dem plebejischen Kote zu +ziehen”, und sich endlich widerwillig von der Unmoeglichkeit dieser +Leistung hatte ueberzeugen muessen, trug man wenigstens schroff und verbissen +sein Adeltum zur Schau. Man darf, um die Geschichte Roms im fuenften und +sechsten Jahrhundert richtig zu verstehen, dies schmollende Junkertum nicht +vergessen; es vermochte zwar nichts weiter als sich und andere zu aergern, aber +dies hat es denn auch nach Vermoegen getan. Einige Jahre nach dem Ogulnischen +Gesetz (458 296) kam ein bezeichnender Auftritt dieser Art vor: eine +patrizische Frau, welche an einen vornehmen und zu den hoechsten Wuerden der +Gemeinde gelangten Plebejer vermaehlt war, wurde dieser Missheirat wegen von +dem adligen Damenkreise ausgestossen und zu der gemeinsamen Keuschheitsfeier +nicht zugelassen; was denn zur Folge hatte, dass seitdem in Rom eine besondere +adlige und eine besondere buergerliche Keuschheitsgoettin verehrt ward. Ohne +Zweifel kam es auf Velleitaeten dieser Art sehr wenig an und hat auch der +bessere Teil der Geschlechter sich dieser truebseligen +Verdriesslichkeitspolitik durchaus enthalten; aber ein Gefuehl des Missbehagens +liess sie doch auf beiden Seiten zurueck, und wenn der Kampf der Gemeinde gegen +die Geschlechter an sich eine politische und selbst eine sittliche +Notwendigkeit war, so haben dagegen diese lange nachzitternden Schwingungen +desselben, sowohl die zwecklosen Nachhutgefechte nach der entschiedenen +Schlacht als auch die leeren Rang- und Standeszaenkereien, das oeffentliche und +private Leben der roemischen Gemeinde ohne Not durchkreuzt und zerruettet. +</p> + +<p> +Indes nichtsdestoweniger ward der eine Zweck des von den beiden Teilen der +Plebs im Jahre 387 (367) geschlossenen Kompromisses, die Beseitigung des +Patriziats, im wesentlichen vollstaendig erreicht. Es fragt sich weiter, +inwiefern dies auch von den beiden positiven Tendenzen desselben gesagt werden +kann und ob die neue Ordnung der Dinge in der Tat der sozialen Not gesteuert +und die politische Gleichheit hergestellt hat. Beides hing eng miteinander +zusammen; denn wenn die oekonomische Bedraengnis den Mittelstand aufzehrte und +die Buergerschaft in eine Minderzahl von Reichen und ein notleidendes +Proletariat aufloeste, so war die buergerliche Gleichheit damit zugleich +vernichtet und das republikanische Gemeinwesen der Sache nach zerstoert. Die +Erhaltung und Mehrung des Mittelstandes, namentlich der Bauernschaft, war darum +fuer jeden patriotischen Staatsmann Roms nicht bloss eine wichtige, sondern von +allen die wichtigste Aufgabe. Die neu zum Regiment berufenen Plebejer aber +waren ueberdies noch, da sie zum guten Teil die gewonnenen Rechte dem +notleidenden und von ihnen Hilfe erhoffenden Proletariat verdankten, politisch +und sittlich besonders verpflichtet, demselben, soweit es ueberhaupt auf diesem +Wege moeglich war, durch Regierungsmassregeln zu helfen. +</p> + +<p> +Betrachten wir zunaechst, inwiefern indem hierher gehoerenden Teil der +Gesetzgebung von 387 (367) eine ernstliche Abhilfe enthalten war. Dass die +Bestimmung zu Gunsten der freien Tageloehner ihren Zweck: der Gross- und +Sklavenwirtschaft zu steuern und den freien Proletariern wenigstens einen Teil +der Arbeit zu sichern, unmoeglich erreichen konnte, leuchtet ein; aber hier +konnte auch die Gesetzgebung nicht helfen, ohne an den Fundamenten der +buergerlichen Ordnung jener Zeit in einer Weise zu ruetteln, die ueber den +Horizont derselben weit hinausging. In der Domanialfrage dagegen waere es den +Gesetzgebern moeglich gewesen, Wandel zu schaffen; aber was geschah, reichte +dazu offenbar nicht aus. Indem die neue Domaenenordnung die Betreibung der +gemeinen Weide mit schon sehr ansehnlichen Herden und die Okkupation des nicht +zur Weide ausgelegten Domanialbesitzes bis zu einem hoch gegriffenen +Maximalsatz gestattete, raeumte sie den Vermoegenden einen bedeutenden und +vielleicht schon unverhaeltnismaessigen Voranteil an dem Domaenenertrag ein und +verlieh durch die letztere Anordnung dem Domanialbesitz, obgleich er rechtlich +zehntpflichtig und beliebig widerruflich blieb, sowie dem Okkupationssystem +selbst gewissermassen eine gesetzliche Sanktion. Bedenklicher noch war es, dass +die neue Gesetzgebung weder die bestehenden, offenbar ungenuegenden Anstalten +zur Eintreibung des Hutgeldes und des Zehnten durch wirksamere Zwangsmassregeln +ersetzte, noch eine durchgreifende Revision des Domanialbesitzes vorschrieb, +noch eine mit der Ausfuehrung der neuen Gesetze beauftragte Behoerde einsetzte. +Die Aufteilung des vorhandenen okkupierten Domaniallandesteils unter die +Inhaber bis zu einem billigen Maximalsatz, teils unter die eigentumslosen +Plebejer, beiden aber zu vollem Eigentum, die Abschaffung des +Okkupationssystems fuer die Zukunft und die Niedersetzung einer zu sofortiger +Aufteilung kuenftiger neuer Gebietserwerbungen befugten Behoerde waren durch +die Verhaeltnisse so deutlich geboten, dass es gewiss nicht Mangel an Einsicht +war, wenn diese durchgreifenden Massregeln unterblieben. Man kann nicht umhin, +sich daran zu erinnern, dass die plebejische Aristokratie, also eben ein Teil +der hinsichtlich der Domanialnutzungen tatsaechlich privilegierten Klasse es +war, welche die neue Ordnung vorgeschlagen hatte, und dass einer ihrer Urheber +selbst, Gaius Licinius Stolo, unter den ersten wegen Ueberschreitung des +Ackermaximum Verurteilten sich befand; und nicht umhin, sich die Frage +vorzulegen, ob die Gesetzgeber ganz ehrlich verfahren und nicht vielmehr der +wahrhaft gemeinnuetzigen Loesung der leidigen Domanialfrage absichtlich aus dem +Wege gegangen sind. Damit soll indes nicht in Abrede gestellt werden, dass die +Bestimmungen der Licinischen Gesetze, wie sie nun waren, dem kleinen Bauern und +dem Tageloehner wesentlich nuetzen konnten und genuetzt haben. Es muss ferner +anerkannt werden, dass in der naechsten Zeit nach Erlassung des Gesetzes die +Behoerden ueber die Maximalsaetze desselben wenigstens vergleichungsweise mit +Strenge gewacht und die grossen Herdenbesitzer und die Domanialokkupanten +oftmals zu schweren Bussen verurteilt haben. +</p> + +<p> +Auch im Steuer- und Kreditwesen wurde in dieser Epoche mit groesserer Energie +als zu irgendeiner Zeit vor- oder nachher darauf hingearbeitet, soweit +gesetzliche Massregeln reichten, die Schaeden der Volkswirtschaft zu heilen. +Die im Jahre 397 (357) verordnete Abgabe von fuenf vom Hundert des Wertes der +freizulassenden Sklaven war, abgesehen davon, dass sie der nicht +wuenschenswerten Vermehrung der Freigelassenen einen Hemmschuh anlegte, die +erste in der Tat auf die Reichen gelegte roemische Steuer. Ebenso suchte man +dem Kreditwesen aufzuhelfen. Die Wuchergesetze, die schon die Zwoelf Tafeln +aufgestellt hatten, wurden erneuert und allmaehlich geschaerft, sodass das +Zinsmaximum sukzessiv von zehn (eingeschaerft im Jahre 397 357) auf fuenf vom +Hundert (407 347) fuer das zwoelfmonatliche Jahr ermaessigt und endlich (412 +342) das Zinsnehmen ganz verboten ward. Das letztere toerichte Gesetz blieb +formell in Kraft; vollzogen aber ward es natuerlich nicht, sondern der spaeter +uebliche Zinsfuss von eins vom Hundert fuer den Monat oder zwoelf vom Hundert +fuer das buergerliche Gemeinjahr, der nach den Geldverhaeltnissen des Altertums +ungefaehr damals sein mochte, was nach den heutigen der Zinsfuss von fuenf oder +sechs vom Hundert ist, wird wohl schon in dieser Zeit sich als das Maximum der +angemessenen Zinsen festgestellt haben. Fuer hoehere Betraege wird die +Einklagung versagt und vielleicht auch die gerichtliche Rueckforderung +gestattet worden sein; ueberdies wurden notorische Wucherer nicht selten vor +das Volksgericht gezogen und von den Quartieren bereitwillig zu schweren Bussen +verurteilt. Wichtiger noch war die Aenderung des Schuldprozesses durch das +Poetelische Gesetz (428 oder 441 326 oder 313); es ward dadurch teils jedem +Schuldner, der seine Zahlungsfaehigkeit eidlich erhaertete, gestattet, durch +Abtretung seines Vermoegens seine persoenliche Freiheit sich zu retten, teils +das bisherige kurze Exekutivverfahren bei der Darlehensschuld abgeschafft und +festgestellt, dass kein roemischer Buerger anders als auf den Spruch von +Geschworenen hin in die Knechtschaft abgefuehrt werden koenne. +</p> + +<p> +Dass alle diese Mittel die bestehenden oekonomischen Missverhaeltnisse wohl hie +und da lindern, aber nicht beseitigen konnten, leuchtet ein; den fortdauernden +Notstand zeigt die Niedersetzung einer Bankkommission zur Regulierung der +Kreditverhaeltnisse und zur Leistung von Vorschuessen aus der Staatskasse im +Jahre 402 (352), die Anordnung gesetzlicher Terminzahlungen im Jahre 407 (347) +und vor allen Dingen der gefaehrliche Volksaufstand um das Jahr 467 (287), wo +das Volk, nachdem es neue Erleichterungen in der Schuldzahlung nicht hatte +erreichen koennen, hinaus auf das Ianiculum zog und erst ein rechtzeitiger +Angriff der aeusseren Feinde und die in dem Hortensischen Gesetz enthaltenen +Zugestaendnisse der Gemeinde den Frieden wiedergaben. Indes ist es sehr +ungerecht, wenn man jenen ernstlichen Versuchen, der Verarmung des +Mittelstandes zu steuern, ihre Unzulaenglichkeit entgegenhaelt; die Anwendung +partialer und palliativer Mittel gegen radikale Leiden fuer nutzlos zu +erklaeren, weil sie nur zum Teil helfen, ist zwar eines der Evangelien, das der +Einfalt von der Niedertraechtigkeit nie ohne Erfolg gepredigt wird, aber darum +nicht minder unverstaendig. Eher liesse sich umgekehrt fragen, ob nicht die +schlechte Demagogie sich damals schon dieser Angelegenheit bemaechtigt gehabt +und ob es wirklich so gewaltsamer und gefaehrlicher Mittel bedurft habe, wie +zum Beispiel die Kuerzung der gezahlten Zinsen am Kapital ist. Unsere Akten +reichen nicht aus, um hier ueber Recht und Unrecht zu entscheiden; allein klar +genug erkennen wir, dass der ansaessige Mittelstand immer noch in einer +bedrohten und bedenklichen oekonomischen Lage sich befand, dass man von oben +herab vielfach, aber natuerlich vergeblich sich bemuehte, ihm durch +Prohibitivgesetze und Moratorien zu helfen, dass aber das aristokratische +Regiment fortdauernd gegen seine eigenen Glieder zu schwach und zu sehr in +egoistischen Standesinteressen befangen war, um durch das einzige wirksame +Mittel, das der Regierung zu Gebote stand, durch die voellige und rueckhaltlose +Beseitigung des Okkupationssystems der Staatslaendereien, dem Mittelstande +aufzuhelfen und vor allen Dingen die Regierung von dem Vorwurf zu befreien, +dass sie die gedrueckte Lage der Regierten zu ihrem eigenen Vorteil ausbeute. +</p> + +<p> +Eine wirksamere Abhilfe, als die Regierung sie gewaehren wollte oder konnte, +brachten den Mittelklassen die politischen Erfolge der roemischen Gemeinde und +die allmaehlich sich befestigende Herrschaft der Roemer ueber Italien. Die +vielen und grossen Kolonien, die zu deren Sicherung gegruendet werden mussten +und von denen die Hauptmasse im fuenften Jahrhundert ausgefuehrt wurde, +verschafften dem ackerbauenden Proletariat teils eigene Bauernstellen, teils +durch den Abfluss auch den Zurueckgebliebenen Erleichterung daheim. Die Zunahme +der indirekten und ausserordentlichen Einnahmen, ueberhaupt die glaenzende Lage +der roemischen Finanzen fuehrte nur selten noch die Notwendigkeit herbei, von +der Bauernschaft in Form der gezwungenen Anleihe Kontribution zu erheben. War +auch der ehemalige Kleinbesitz wahrscheinlich unrettbar verloren, so musste der +steigende Durchschnittssatz des roemischen Wohlstandes die bisherigen +groesseren Grundbesitzer in Bauern verwandeln und auch insofern dem Mittelstand +neue Glieder zufuehren. Die Okkupationen der Vornehmen warfen sich vorwiegend +auf die grossen neugewonnenen Landstriche; die Reichtuemer, die durch den Krieg +und den Verkehr massenhaft nach Rom stroemten, muessen den Zinsfuss +herabgedrueckt haben; die steigende Bevoelkerung der Hauptstadt kam dem +Ackerbauer in ganz Latium zugute; ein weises Inkorporationssystem vereinigte +eine Anzahl angrenzender, frueher untertaeniger Gemeinden mit der roemischen +und verstaerkte dadurch namentlich den Mittelstand; endlich brachten die +herrlichen Siege und die gewaltigen Erfolge die Faktionen zum Schweigen, und +wenn der Notstand der Bauernschaft auch keineswegs beseitigt, noch weniger +seine Quellen verstopft wurden, so leidet es doch keinen Zweifel, dass am +Schlusse dieser Periode der roemische Mittelstand im ganzen in einer weit +minder gedrueckten Lage sich befand als in dem ersten Jahrhundert nach +Vertreibung der Koenige. +</p> + +<p> +Endlich, die buergerliche Gleichheit ward durch die Reform vom Jahre 387 (367) +und deren weitere folgerichtige Entwicklung in gewissem Sinne allerdings +erreicht oder vielmehr wieder hergestellt. Wie einst, als die Patrizier noch in +der Tat die Buergerschaft ausmachten, sie untereinander an Rechten und +Pflichten unbedingt gleichgestanden hatten, so gab es jetzt wieder in der +erweiterten Buergerschaft dem Gesetze gegenueber keinen willkuerlichen +Unterschied. Diejenigen Abstufungen freilich, welche die Verschiedenheiten in +Alter, Einsicht, Bildung und Vermoegen in der buergerlichen Gesellschaft mit +Notwendigkeit hervorrufen, beherrschten natuerlicherweise auch das +Gemeindeleben; allein der Geist der Buergerschaft und die Politik der Regierung +wirkten gleichmaessig dahin, diese Scheidung moeglichst wenig hervortreten zu +lassen. Das ganze roemische Wesen lief darauf hinaus, die Buerger +durchschnittlich zu tuechtigen Maennern heranzubilden, geniale Naturen aber +nicht emporkommen zu lassen. Der Bildungsstand der Roemer hielt mit der +Machtentwicklung ihrer Gemeinde durchaus nicht Schritt und ward instinktmaessig +von oben herab mehr zurueckgehalten als gefoerdert. Dass es Reiche und Arme +gab, liess sich nicht verhindern; aber wie in einer rechten Bauerngemeinde +fuehrte der Bauer wie der Tageloehner selber den Pflug und galt auch fuer den +Reichen die gut wirtschaftliche Regel, gleichmaessig sparsam zu leben und vor +allem kein totes Kapital bei sich hinzulegen - ausser dem Salzfass und dem +Opferschaelchen sah man Silbergeraet in dieser Zeit in keinem roemischen Hause. +Es war das nichts Kleines. Man spuert es an den gewaltigen Erfolgen, welche die +roemische Gemeinde in dem Jahrhundert vom letzten Veientischen bis auf den +Pyrrhischen Krieg nach aussen hin errang, dass hier das Junkertum der +Bauernschaft Platz gemacht hatte, dass der Fall des hochadligen Fabiers nicht +mehr und nicht weniger von der ganzen Gemeinde betrauert worden waere als der +Fall des plebejischen Deciers von Plebejern und Patriziern betrauert ward, dass +auch dem reichsten Junker das Konsulat nicht von selber zufiel und ein armer +Bauersmann aus der Sabina, Manius Curius, den Koenig Pyrrhos in der +Feldschlacht ueberwinden und aus Italien verjagen konnte, ohne darum +aufzuhoeren, einfacher sabinischer Stellbesitzer zu sein und sein Brotkorn +selber zu bauen. +</p> + +<p> +Indes darf es ueber dieser imponierenden republikanischen Gleichheit nicht +uebersehen werden, dass dieselbe zum guten Teil nur formaler Art war und aus +derselben eine sehr entschieden ausgepraegte Aristokratie nicht so sehr +hervorging als vielmehr darin von vornherein enthalten war. Schon laengst +hatten die reichen und angesehenen nichtpatrizischen Familien von der Menge +sich ausgeschieden und im Mitgenuss der senatorischen Rechte, in der Verfolgung +einer, von der der Menge unterschiedenen und sehr oft ihr entgegenwirkenden +Politik sich mit dem Patriziat verbuendet. Die Licinischen Gesetze hoben die +gesetzlichen Unterschiede innerhalb der Aristokratie auf und verwandelten die +den gemeinen Mann vom Regiment ausschliessende Schranke aus einem +unabaenderlichen Rechts- in ein nicht unuebersteigliches, aber doch schwer zu +uebersteigendes tatsaechliches Hindernis. Auf dem einen wie dem anderen Wege +kam frisches Blut in den roemischen Herrenstand; aber an sich blieb nach wie +vor das Regiment aristokratisch und auch in dieser Hinsicht die roemische eine +rechte Bauerngemeinde, in welcher der reiche Vollhufener zwar aeusserlich von +dem armen Insten sich wenig unterscheidet und auf gleich und gleich mit ihm +verkehrt, aber nichtsdestoweniger die Aristokratie so allmaechtig regiert, dass +der Unbemittelte weit eher in der Stadt Buergermeister als in seinem Dorfe +Schulze wird. Es war wichtig und segensreich, dass nach der neuen Gesetzgebung +auch der aermste Buerger das hoechste Gemeindeamt bekleiden durfte; aber darum +war es nichtsdestoweniger nicht bloss eine seltene Ausnahme, dass ein Mann aus +den unteren Schichten der Bevoelkerung dazu gelangte ^4, sondern es war +wenigstens gegen den Schluss dieser Periode wahrscheinlich schon nur moeglich +mittels einer Oppositionswahl. Jedem aristokratischen Regiment tritt von selber +eine entsprechende Oppositionspartei gegenueber; und da auch die formelle +Gleichstellung der Staende die Aristokratie nur modifizierte und der neue +Herrenstand das alte Patriziat nicht bloss beerbte, sondern sich auf denselben +pfropfte und aufs innigste mit ihm zusammenwuchs, so blieb auch die Opposition +bestehen und tat in allen und jeden Stuecken das gleiche. Da die Zuruecksetzung +jetzt nicht mehr die Buergerlichen, sondern den gemeinen Mann traf, so trat die +neue Opposition von vornherein auf als Vertreterin der geringen Leute und +namentlich der kleinen Bauern; und wie die neue Aristokratie sich an das +Patriziat anschloss, so schlangen sich die ersten Regungen dieser neuen +Opposition mit den letzten Kaempfen gegen die Patrizierprivilegien zusammen. +Die ersten Namen in der Reihe dieser neuen roemischen Volksfuehrer sind Manius +Curius (Konsul 464, 479, 480, 290 275, 274; Zensor 481 273) und Gaius Fabricius +(Konsul 472, 476, 481, 282, 278, 273; Zensor 479 275), beide ahnenlose und +nichtwohlhabende Maenner, beide - gegen das aristokratische Prinzip, die +Wiederwahl zu dem hoechsten Gemeindeamt zu beschraenken - jeder dreimal durch +die Stimmen der Buergerschaft an die Spitze der Gemeinde gerufen, beide als +Tribune, Konsuln und Zensoren Gegner der patrizischen Privilegien und Vertreter +des kleinen Bauernstandes gegen die aufkeimende Hoffart der vornehmen Haeuser. +Die kuenftigen Parteien zeichnen schon sich vor; aber noch schweigt auf beiden +Seiten vor dem Interesse des Gemeinwohls das der Partei. Der adlige Appius +Claudius und der Bauer Manius Curius, dazu noch heftige persoenliche Gegner, +haben durch klugen Rat und kraeftige Tat den Koenig Pyrrhos gemeinsam +ueberwunden; und wenn Gaius Fabricius den aristokratisch gesinnten und +aristokratisch lebenden Publius Cornelius Rufinus als Zensor deswegen +bestrafte, so hielt ihn dies nicht ab, demselben seiner anerkannten +Feldherrntuechtigkeit wegen zum zweiten Konsulat zu verhelfen. Der Riss war +wohl schon da; aber noch reichten die Gegner sich ueber ihm die Haende. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +^4 Die Armut der Konsulare dieser Epoche, welche in den moralischen +Anekdotenbuechern der spaeteren Zeit eine grosse Rolle spielt, beruht +grossenteils auf Missverstaendnis teils des alten sparsamen Wirtschaftens, +welches sich recht gut mit ansehnlichem Wohlstand vertraegt, teils der alten +schoenen Sitte, verdiente Maenner aus dem Ertrag von Pfennigkollekten zu +bestatten, was durchaus keine Armenbeerdigung ist. Auch die autoschediastische +Beinamenerklaerung, die so viel Plattheiten in die roemische Geschichte +gebracht hat, hat hierzu ihren Beitrag geliefert (Serranus). +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +Die Beendigung der Kaempfe zwischen Alt- und Neubuergern, die +verschiedenartigen und verhaeltnismaessig erfolgreichen Versuche, dem +Mittelstande aufzuhelfen, die inmitten der neugewonnenen buergerlichen +Gleichheit bereits hervortretenden Anfaenge der Bildung einer neuen +aristokratischen und einer neuen demokratischen Partei sind also dargestellt +worden. Es bleibt noch uebrig zu schildern, wie unter diesen Veraenderungen das +neue Regiment sich konstituierte, und wie nach der politischen Beseitigung der +Adelschaft die drei Elemente des republikanischen Gemeinwesens, Buergerschaft, +Magistratur und Senat, gegeneinander sich stellten. +</p> + +<p> +Die Buergerschaft in ihren ordentlichen Versammlungen blieb nach wie vor die +hoechste Autoritaet im Gemeinwesen und der legale Souveraen; nur wurde +gesetzlich festgestellt, dass, abgesehen von den ein fuer allemal den Zenturien +ueberwiesenen Entscheidungen, namentlich den Wahlen der Konsuln und Zensoren, +die Abstimmung nach Distrikten ebenso gueltig sein solle wie die nach +Zenturien, was fuer die patrizisch-plebejische Versammlung das +Valerisch-Horatische Gesetz von 305 (449) einfuehrte und das Publilische von +415 (339) erweiterte, fuer die plebejische Sonderversammlung aber das +Hortensische um 467 (287) verordnete. Dass im ganzen dieselben Individuen in +beiden Versammlungen stimmberechtigt waren, ist schon hervorgehoben worden, +aber auch, dass, abgesehen von dem Ausschluss der Patrizier von der +plebejischen Sonderversammlung, auch in der allgemeinen Distriktsversammlung +alle Stimmberechtigten durchgaengig sich gleichstanden, in den +Zenturiatkomitien aber die Wirksamkeit des Stimmrechts nach dem Vermoegen des +Stimmenden sich abstufte, also insofern allerdings die erstere eine +nivellierende und demokratische Neuerung war. Von weit groesserer Bedeutung war +es, dass gegen das Ende dieser Periode die uralte Bedingung des Stimmrechts, +die Ansaessigkeit, zum erstenmal in Frage gestellt zu werden anfing. Appius +Claudius, der kuehnste Neuerer, den die roemische Geschichte kennt, legte in +seiner Zensur 442 (312), ohne den Senat oder das Volk zu fragen, die +Buergerliste so an, dass der nicht grundsaessige Mann in die ihm beliebige +Tribus und alsdann nach seinem Vermoegen in die entsprechende Zenturie +aufgenommen ward. Allein diese Aenderung griff zu sehr dem Geiste der Zeit vor, +um vollstaendig Bestand zu haben. Einer der naechsten Nachfolger des Appius, +der beruehmte Besieger der Samniten, Quintus Fabius Rullianus, uebernahm es in +seiner Zensur 450 (304) sie zwar nicht ganz zu beseitigen, aber doch in solche +Grenzen einzuschliessen, dass den Grundsaessigen und Vermoegenden effektiv die +Herrschaft in den Buergerversammlungen blieb. Es wies die nicht grundsaessigen +Leute saemtlich in die vier staedtischen Tribus, die jetzt aus den ersten im +Range die letzten wurden. Die Landquartiere dagegen, deren Zahl zwischen den +Jahren 367 (241) und 513 (387) allmaehlich von siebzehn bis auf einunddreissig +stieg, also die von Haus aus bei weitem ueberwiegende und immer mehr das +Uebergewicht erhaltende Majoritaet der Stimmabteilungen, wurden den saemtlichen +ansaessigen Buergern gesetzlich vorbehalten. In den Zenturien blieb es bei der +Gleichstellung der ansaessigen und nichtansaessigen Buerger, wie Appius sie +eingefuehrt hatte. Auf diese Weise ward dafuer gesorgt, dass in den +Tributkomitien die Ansaessigen ueberwogen, waehrend fuer die Zenturiatkomitien +an sich schon die Vermoegenden den Ausschlag gaben. Durch diese weise und +gemaessigte Festsetzung eines Mannes, der seiner Kriegstaten wegen wie mehr +noch wegen dieser seiner Friedenstat mit Recht den Beinamen des Grossen +(Maximus) erhielt, ward einerseits die Wehrpflicht wie billig auch auf die +nicht ansaessigen Buerger erstreckt, anderseits dafuer Sorge getragen, dass in +der Distriktversammlung ihrem Einfluss, insbesondere dem der meistenteils des +Grundbesitzes entbehrenden gewesenen Sklaven, derjenige Riegel vorgeschoben +ward, welcher in einem Staat, der Sklaverei zulaesst, ein leider +unerlaessliches Beduerfnis ist. Ein eigentuemliches Sittengericht, das +allmaehlich an die Schatzung und die Aufnahme der Buergerliste sich anknuepfte, +schloss ueberdies aus der Buergerschaft alle notorisch unwuerdigen Individuen +aus und wahrte dem Buergertum die sittliche und politische Reinheit. +</p> + +<p> +Die Kompetenz der Komitien zeigt die Tendenz, sich mehr und mehr, aber sehr +allmaehlich zu erweitern. Schon die Vermehrung der vom Volk zu waehlenden +Magistrate gehoert gewissermassen hierher; bezeichnend ist es besonders, dass +seit 392 (362) die Kriegstribune einer Legion, seit 443 (311) je vier in jeder +der vier ersten Legionen, nicht mehr vom Feldherrn, sondern von der +Buergerschaft ernannt wurden. In die Administration griff waehrend dieser +Periode die Buergerschaft im ganzen nicht ein; nur das Recht der +Kriegserklaerung wurde von ihr, wie billig, mit Nachdruck festgehalten und +namentlich auch fuer den Fall festgestellt, wo ein an Friedens Statt +abgeschlossener laengerer Waffenstillstand ablief und zwar nicht rechtlich, +aber tatsaechlich ein neuer Krieg begann (327 427). Sonst ward eine +Verwaltungsfrage fast nur dann dem Volke vorgelegt, wenn die regierenden +Behoerden unter sich in Kollision gerieten und eine derselben die Sache an das +Volk brachte - so, als den Fuehrern der gemaessigten Partei unter dem Adel, +Lucius Valerius und Marcus Horatius, im Jahre 305 (449) und dem ersten +plebejischen Diktator Gaius Marcus Rutilus im Jahre 398 (356) vom Senat die +verdienten Triumphe nicht zugestanden wurden; als die Konsuln des Jahres 459 +(295) ueber ihre gegenseitige Kompetenz nicht untereinander sich einigen +konnten; und als der Senat im Jahre 364 (390) die Auslieferung eines +pflichtvergessenen Gesandten an die Gallier beschloss und ein Konsulartribun +deswegen an die Gemeinde sich wandte - es war dies der erste Fall, wo ein +Senatsbeschluss vom Volke kassiert ward, und schwer hat ihn die Gemeinde +gebuesst. Zuweilen gab auch die Regierung in schwierigen Fragen dem Volk die +Entscheidung anheim: so zuerst, als Caere, nachdem ihm das Volk den Krieg +erklaert hatte, ehe dieser wirklich begann, um Frieden bat (401 353); und +spaeter, als der Senat den demuetig von den Samniten erbetenen Frieden ohne +weiteres abzuschlagen Bedenken trug (436 318). Erst gegen das Ende dieser +Periode finden wir ein bedeutend erweitertes Eingreifen der Distriktversammlung +auch in Verwaltungsangelegenheiten, namentlich Befragung derselben bei +Friedensschluessen und Buendnissen; es ist wahrscheinlich, dass diese +zurueckgeht auf das Hortensische Gesetz von 467 (287). +</p> + +<p> +Indes trotz dieser Erweiterungen der Kompetenz der Buergerversammlungen begann +der praktische Einfluss derselben auf die Staatsangelegenheiten vielmehr, +namentlich gegen das Ende dieser Epoche, zu schwinden. Vor allem die Ausdehnung +der roemischen Grenzen entzog der Urversammlung ihren richtigen Boden. Als +Versammlung der Gemeindesaessigen konnte sie frueher recht wohl in genuegender +Vollzaehligkeit sich zusammenfinden und recht wohl missen, was sie wollte, auch +ohne zu diskutieren; aber die roemische Buergerschaft war jetzt schon weniger +Gemeinde als Staat. Dass die zusammen Wohnenden auch miteinander stimmten, +brachte allerdings in die roemischen Komitien, wenigstens, wenn nach Quartieren +gestimmt ward, einen gewissen inneren Zusammenhang und in die Abstimmung hier +und da Energie und Selbstaendigkeit; in der Regel aber waren doch die Komitien +in ihrer Zusammensetzung wie in ihrer Entscheidung teils von der +Persoenlichkeit des Vorsitzenden und vom Zufall abhaengig, teils den in der +Hauptstadt domizilierten Buergern in die Haende gegeben. Es ist daher +vollkommen erklaerlich, dass die. Buergerversammlungen, die in den beiden +ersten Jahrhunderten. der Republik eine grosse und praktische Wichtigkeit +haben, allmaehlich beginnen, ein reines Werkzeug in der Hand des vorsitzenden +Beamten zu werden; freilich ein sehr gefaehrliches, da der zum Vorsitz +berufenen Beamten so viele waren und jeder Beschluss der Gemeinde galt als der +legale Ausdruck des Volkswillens in letzter Instanz. An der Erweiterung aber +der verfassungsmaessigen Rechte der Buergerschaft war insofern nicht viel +gelegen, als diese weniger als frueher eines eigenen Wollens und Handelns +faehig war, und als es eine eigentliche Demagogie in Rom noch nicht gab - +haette eine solche damals bestanden, so wuerde sie versucht haben, nicht die +Kompetenz der Buergerschaft zu erweitern, sondern die politische Debatte vor +der Buergerschaft zu entfesseln, waehrend es doch bei den alten Satzungen, dass +nur der Magistrat die Buerger zur Versammlung zu berufen und dass er jede +Debatte und jede Amendementsstellung auszuschliessen befugt sei, unveraendert +sein Bewenden hatte. Zur Zeit machte sich diese beginnende Zerruettung der +Verfassung hauptsaechlich nur insofern geltend, als die Urversammlungen sich +wesentlich passiv verhielten und im ganzen in das Regiment weder foerdernd noch +stoerend eingriffen. +</p> + +<p> +Was die Beamtengewalt anlangt, so war deren Schmaelerung nicht gerade das Ziel +der zwischen Alt- und Neubuergern gefuehrten Kaempfe, wohl aber eine ihrer +wichtigsten Folgen. Bei dem Beginn der staendischen Kaempfe, das heisst des +Streites um den Besitz der konsularischen Gewalt, war das Konsulat noch die +einige und unteilbare wesentliche koenigliche Amtsgewalt gewesen und hatte der +Konsul wie ehemals der Koenig noch alle Unterbeamten nach eigener freier Wahl +bestellt; an Ende desselben waren die wichtigsten Befugnisse: Gerichtsbarkeit, +Strassenpolizei, Senatoren- und Ritterwahl, Schatzung und Kassenverwaltung von +dem Konsulat getrennt und an Beamte uebergegangen, die gleich dem Konsul von +der Gemeinde ernannt wurden und weit mehr neben als unter ihm standen. Das +Konsulat, sonst das einzige ordentliche Gemeindeamt, war jetzt nicht mehr +einmal unbedingt das erste: in der neu sich feststellenden Rang- und +gewoehnlichen Reihenfolge der Gemeindeaemter stand das Konsulat zwar ueber +Praetur, Aedilitaet und Quaestur, aber unter dem Einschaetzungsamt, an das +ausser den wichtigsten finanziellen Geschaeften die Feststellung der Buerger-, +Ritter- und Senatorenliste und damit eine durchaus willkuerliche sittliche +Kontrolle ueber die gesamte Gemeinde und jeden einzelnen, geringsten wie +vornehmsten Buerger gekommen war. Der dem urspruenglichen roemischen +Staatsrecht mit dem Begriff des Oberamts unvereinbar erscheinende Begriff der +begrenzten Beamtengewalt oder der Kompetenz brach allmaehlich sich Bahn und +zerfetzte und zerstoerte den aelteren des einen und unteilbaren Imperium. Einen +Anfang dazu machte schon die Einsetzung der staendigen Nebenaemter, namentlich +der Quaestur; vollstaendig durchgefuehrt ward sie durch die Licinischen Gesetze +(387 367), welche von den drei hoechsten Beamten der Gemeinde die ersten beiden +fuer Verwaltung und Kriegfuehrung, den dritten fuer die Gerichtsleitung +bestimmten. Aber man blieb hierbei nicht stehen. Die Konsuln, obwohl sie +rechtlich durchaus und ueberall konkurrierten, teilten doch natuerlich seit +aeltester Zeit tatsaechlich die verschiedenen Geschaeftskreise (provinciae) +unter sich. Urspruenglich war dies lediglich durch freie Vereinbarung oder in +deren Ermangelung durch Losung geschehen; allmaehlich aber griffen die anderen +konstitutiven Gewalten im Gemeinwesen in diese faktischen Kompetenzbestimmungen +ein. Es ward ueblich, dass der Senat Jahr fuer Jahr die Geschaeftskreise +abgrenzte und sie zwar nicht geradezu unter die konkurrierenden Beamten +verteilte, aber doch durch Ratschlag und Bitte auch auf die Personenfragen +entscheidend einwirkte. Aeussersten Falls erlangte der Senat auch wohl einen +Gemeindebeschluss, der die Kompetenzfrage definitiv entschied; doch hat die +Regierung diesen bedenklichen Ausweg nur sehr selten angewandt. Ferner wurden +die wichtigsten Angelegenheiten, wie zum Beispiel die Friedensschluesse, den +Konsuln entzogen und dieselben genoetigt, hierbei an den Senat zu rekurrieren +und nach dessen Instruktion zu verfahren. Fuer den aeussersten Fall endlich +konnte der Senat jederzeit die Konsuln vom Amt suspendieren, indem nach einer +nie rechtlich festgestellten und nie tatsaechlich verletzten Uebung der +Eintritt der Diktatur lediglich von dem Beschluss des Senats abhing und die +Bestimmung der zu ernennenden Person, obwohl verfassungsmaessig bei dem +ernennenden Konsul, doch der Sache nach in der Regel bei dem Senat stand. +</p> + +<p> +Laenger als in dem Konsulat blieb in der Diktatur die alte Einheit und +Rechtsfuelle des Imperium enthalten; obwohl sie natuerlich als +ausserordentliche Magistratur der Sache nach von Haus aus eine Spezialkompetenz +hatte, gab es doch rechtlich eine solche fuer den Diktator noch weit weniger +als fuer den Konsul. Indes auch sie ergriff allmaehlich der neu in das +roemische Rechtsleben eintretende Kompetenzbegriff. Zuerst 391 (363) begegnet +ein aus theologischem Skrupel ausdruecklich bloss zur Vollziehung einer +religioesen Zeremonie ernannter Diktator; und wenn dieser selbst noch, ohne +Zweifel formell verfassungsmaessig, die ihm gesetzte Kompetenz als nichtig +behandelte und ihr zum Trotz den Heerbefehl uebernahm, so wiederholte bei den +spaeteren, gleichartig beschraenkten Ernennungen, die zuerst 403 (351) und +seitdem sehr haeufig begegnen, diese Opposition der Magistratur sich nicht, +sondern auch die Diktatoren erachteten fortan durch ihre Spezialkompetenzen +sich gebunden. +</p> + +<p> +Endlich lagen in dem 412 (342) erlassenen Verbot der Kumulierung ordentlicher +kurulischer Aemter und in der gleichzeitigen Vorschrift, dass derselbe Mann +dasselbe Amt in der Regel nicht vor Ablauf einer zehnjaehrigen Zwischenzeit +solle verwalten koennen, sowie in der spaeteren Bestimmung, dass das +tatsaechlich hoechste Amt, die Zensur, ueberhaupt nicht zum zweitenmal +bekleidet werden duerfe (489 265), weitere sehr empfindliche Beschraenkungen +der Magistratur. Doch war die Regierung noch stark genug, um ihre Werkzeuge +nicht zu fuerchten und darum eben die brauchbarsten absichtlich ungenutzt zu +lassen; tapfere Offiziere wurden sehr haeufig von jenen Vorschriften entbunden +^5, und es kamen noch Faelle vor, wie der des Quintus Fabius Rullianus, der in +achtundzwanzig Jahren fuenfmal Konsul war, und des Marcus Valerius Corvus +(384-483 370-271), welcher, nachdem er sechs Konsulate, das erste im +dreiundzwanzigsten, das letzte im zweiundsiebzigsten Jahre, verwaltet und drei +Menschenalter hindurch der Hort der Landsleute und der Schrecken der Feinde +gewesen war, hundertjaehrig zur Grube fuhr. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +^5 Wer die Konsularverzeichnisse vor und nach 412 (342) vergleicht, wird an der +Existenz des oben erwaehnten Gesetzes ueber die Wiederwahl zum Konsulat nicht +zweifeln; denn so gewoehnlich vor diesem Jahr die Wiederbekleidung des Amtes +besonders nach drei bis vier Jahren ist, so haeufig sind nachher die +Zwischenraeume von zehn Jahren und darueber. Doch finden sich, namentlich +waehrend der schweren Kriegsjahre 434-443 (320-311), Ausnahmen in sehr grosser +Zahl. Streng hielt man dagegen an der Unzulaessigkeit der Aemterkumulierung. Es +findet sich kein sicheres Beispiel der Verbindung zweier der drei ordentlichen +kurulischen (Liv. 39, 39, 4) Aemter (Konsulat, Praetur, kurulische Aedilitaet), +wohl aber von anderen Kumulierungen, zum Beispiel der kurulischen Aedilitaet +und des Reiterfuehreramts (Liv. 23 24, 30); der Praetur und der Zensur (Fast. +Capitol. a 501); der Praetur und der Diktatur (Liv. 8, 12); des Konsulats und +der Diktatur (Liv. 8, 12). +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Waehrend also der roemische Beamte immer vollstaendiger und immer bestimmter +aus dem unbeschraenkten Herrn in den gebundenen Auftragnehmer und +Geschaeftsfuehrer der Gemeinde sich umwandelte, unterlag die alte +Gegenmagistratur, das Volkstribunat, gleichzeitig einer gleichartigen mehr +innerlichen als aeusserlichen Umgestaltung. Dasselbe diente im Gemeinwesen zu +einem doppelten Zweck. Es war von Haus aus bestimmt gewesen, den Geringen und +Schwachen. durch eine gewissermassen revolutionaere Hilfsleistung (auxilium) +gegen den gewalttaetigen Uebermut der Beamten zu schuetzen; es war spaeterhin +gebraucht worden, um die rechtliche Zuruecksetzung der Buergerlichen und die +Privilegien des Geschlechtsadels zu beseitigen. Letzteres war erreicht. Der +urspruengliche Zweck war nicht bloss an sich mehr ein demokratisches Ideal als +eine politische Moeglichkeit, sondern auch der plebejischen Aristokratie, in +deren Haenden das Tribunat sich befinden musste und befand, vollkommen ebenso +verhasst und mit der neuen, aus der Ausgleichung der Staende hervorgegangenen, +womoeglich noch entschiedener als die bisherige aristokratisch gefaerbten, +Gemeindeordnung vollkommen ebenso unvertraeglich, wie es dem Geschlechtsadel +verhasst und mit der patrizischen Konsularverfassung unvertraeglich gewesen +war. Aber anstatt das Tribunat abzuschaffen, zog man vor, es aus einem +Ruestzeug der Opposition in ein Regierungsorgan umzuschaffen und zog die +Volkstribune, die von Haus aus von aller Teilnahme an der Verwaltung +ausgeschlossen und weder Beamte noch Mitglieder des Senats waren, jetzt hinein +in den Kreis der regierenden Behoerden. Wenn sie in der Gerichtsbarkeit von +Anfang an den Konsuln gleichstanden und schon in den ersten Stadien der +staendischen Kaempfe gleich diesen die legislatorische Initiative erwarben, so +empfingen sie jetzt auch, wir wissen nicht genau wann, aber vermutlich bei oder +bald nach der schliesslichen Ausgleichung der Staende, gleiche Stellung mit den +Konsuln gegenueber der tatsaechlich regierenden Behoerde, dem Senate. Bisher +hatten sie, auf einer Bank an der Tuer sitzend, der Senatsverhandlung +beigewohnt, jetzt erhielten sie gleich und neben den uebrigen Beamten ihren +Platz im Senate selbst und das Recht, bei der Verhandlung das Wort zu +ergreifen; wenn ihnen das Stimmrecht versagt blieb, so war dies nur eine +Anwendung des allgemeinen Grundsatzes des roemischen Staatsrechts, dass den Rat +nur gab, wer zur Tat nicht berufen war und also saemtlichen funktionierenden +Beamten waehrend ihres Amtsjahrs nur Sitz, nicht Stimme im Gemeinderat zukam. +Aber es blieb hierbei nicht. Die Tribune empfingen das unterscheidende Vorrecht +der hoechsten Magistratur, das sonst von den ordentlichen Beamten nur den +Konsuln und Praetoren zustand: das Recht, den Senat zu versammeln, zu befragen +und einen Beschluss desselben zu bewirken ^6. Es war das nur in der Ordnung: +die Haeupter der plebejischen Aristokratie mussten denen der patrizischen im +Senate gleichgestellt werden, seit das Regiment von dem Gesellschaftsadel +uebergegangen war auf die vereinigte Aristokratie. Indem dieses urspruenglich +von aller Teilnahme an der Staatsverwaltung ausgeschlossene +Oppositionskollegium jetzt, namentlich fuer die eigentlich staedtischen +Angelegenheiten, eine zweite hoechste Exekutivstelle ward und eines der +gewoehnlichsten und brauchbarsten Organe der Regierung, dass heisst des Senats, +um die Buergerschaft zu lenken und vor allem um Ausschreitungen der Beamten zu +hemmen, wurde es allerdings seinem urspruenglichen Wesen nach absorbiert und +politisch vernichtet; indes war dieses Verfahren in der Tat durch die +Notwendigkeit geboten. Wie klar auch die Maengel der roemischen Aristokratie +zutage liegen und wie entschieden das stetige Wachsen der aristokratischen +Uebermacht mit der tatsaechlichen Beseitigung des Tribunats zusammenhaengt, so +kann doch nicht verkannt werden, dass auf die Laenge sich nicht mit einer +Behoerde regieren liess, welche nicht bloss zwecklos war und fast auf die +Hinhaltung des leidenden Proletariats durch truegerische Hilfsvorspiegelung +berechnet, sondern zugleich entschieden revolutionaer und im Besitz einer +eigentlich anarchischen Befugnis der Hemmung der Beamten-, ja der Staatsgewalt +selbst. Aber der Glaube an das Ideale, in dem alle Macht wie alle Ohnmacht der +Demokratie begruendet ist, hatte in den Gemuetern der Roemer aufs engste an das +Gemeindetribunat sich geheftet, und man braucht nicht erst an Cola Rienzi zu +erinnern, um einzusehen, dass dasselbe, wie wesenlos immer der daraus fuer die +Menge entspringende Vorteil war, ohne eine furchtbare Staatsumwaelzung nicht +beseitigt werden konnte. Darum begnuegte man sich mit echt buergerlicher +Staatsklugheit, in den moeglichst wenig in die Augen fallenden Formen die Sache +zu vernichten. Der blosse Name dieser ihrem innersten Kern nach revolutionaeren +Magistratur blieb immer noch innerhalb des aristokratisch regierten +Gemeinwesens gegenwaertig ein Widerspruch und fuer die Zukunft, in den Haenden +einer dereinstigen Umsturzpartei, eine schneidende und gefaehrliche Waffe; +indes fuer jetzt und noch auf lange hinaus war die Aristokratie so unbedingt +maechtig und so vollstaendig im Besitz des Tribunats, dass von einer +kollegialischen Opposition der Tribune gegen den Senat schlechterdings keine +Spur sich findet und die Regierung der etwa vorkommenden verlorenen +oppositionellen Regungen einzelner solcher Beamten immer ohne Muehe und in der +Regel durch das Tribunat selbst Herr ward. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +^6 Daher werden die fuer den Senat bestimmten Depeschen adressiert an Konsuln, +Praetoren, Volkstribune und Senat (Cic. ad fam. 15, 2 und sonst). +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +In der Tat war es der Senat, der die Gemeinde regierte, und fast ohne +Widerstand seit der Ausgleichung der Staende. Seine Zusammensetzung selbst war +eine andere geworden. Das freie Schalten der Oberbeamten, wie es nach +Beseitigung der alten Geschlechtervertretung in dieser Hinsicht stattgefunden +hatte, hatte schon mit der Abschaffung der lebenslaenglichen +Gemeindevorstandschaft sehr wesentliche Beschraenkungen erfahren. +</p> + +<p> +Ein weiterer Schritt zur Emanzipation des Senats von der Beamtengewalt erfolgte +durch den Uebergang der Feststellung dieser Listen von den hoechsten +Gemeindebeamten auf eine Unterbehoerde, von den Konsuln auf die Zensoren. +Allerdings wurde, sei es gleich damals oder bald nachher, auch das Recht des +mit der Anfertigung der Liste beauftragten Beamten, einzelne Senatoren wegen +eines ihnen anhaftenden Makels aus derselben wegzulassen und somit aus dem +Senat auszuschliessen, wo nicht eingefuehrt, doch wenigstens schaerfer +formuliert ^7 und somit jenes eigentuemliche Sittengericht begruendet, auf dem +das hohe Ansehen der Zensoren vornehmlich beruht. Allein derartige Ruegen +konnten, da zumal beide Zensoren darueber einig sein mussten, wohl dazu dienen, +einzelne der Versammlung nicht zur Ehre gereichende oder dem in ihr +herrschenden Geist feindliche Persoenlichkeiten zu entfernen, nicht aber sie +selbst in Abhaengigkeit von der Magistratur versetzen. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +^7 Diese Befugnis sowie die aehnlichen hinsichtlich der Ritter- und der +Buergerliste waren wohl nicht foermlich und gesetzlich den Zensoren beigelegt, +lagen aber tatsaechlich von jeher in ihrer Kompetenz. Das Buergerrecht vergibt +die Gemeinde, nicht der Zensor aber wem dieser in dem Verzeichnis der +Stimmberechtigten keine oder eine schlechtere Stelle anweist, der verliert das +Buergerrecht nicht, kann aber die buergerlichen Befugnisse nicht oder nur an +dem geringeren Platz ausueben bis zur Anfertigung einer neuen Liste. Ebenso +verhaelt es sich mit dem Senat: wen der Zensor in seiner Liste auslaesst, der +scheidet aus demselben, solange die betreffende Liste gueltig bleibt - es kommt +vor, dass der vorsitzende Beamte sie verwirft und die aeltere Liste wieder in +Kraft setzt. Offenbar kam also in dieser Hinsicht es nicht so sehr darauf an, +was den Zensoren gesetzlich freistand, sondern was bei denjenigen Beamten, +welche nach ihren Listen zu laden hatten, ihre Autoritaet vermochte. Daher +begreift man, wie diese Befugnis allmaehlich stieg und wie mit der steigenden +Konsolidierung der Nobilitaet dergleichen Streichungen gleichsam die Form +richterlicher Entscheidungen annahmen und gleichsam als solche respektiert +wurden. Hinsichtlich der Feststellung der Senatsliste hat freilich auch ohne +Zweifel die Bestimmung des Ovinischen Plebiszits wesentlich mitgewirkt, dass +die Zensoren “aus allen Rangklassen die Besten” in den Senat nehmen +sollten. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Entscheidend aber beschraenkte das Ovinische Gesetz, welches etwa um die Mitte +dieser Periode, wahrscheinlich bald nach den Licinischen Gesetzen durchgegangen +ist, das Recht der Beamten, den Senat nach ihrem Ermessen zu konstituieren, +indem es demjenigen, der kurulischer Aedil, Praetor oder Konsul gewesen war, +sofort vorlaeufig Sitz und Stimme im Senat verlieh und die naechst eintretenden +Zensoren verpflichtete, diese Expektanten entweder foermlich in die +Senatorenliste einzuzeichnen oder doch nur aus denjenigen Gruenden, welche auch +zur Ausstossung des wirklichen Senators genuegten, von der Liste +auszuschliessen. Freilich reichte die Zahl dieser gewesenen Magistrate bei +weitem nicht aus, um den Senat auf der normalen Zahl von dreihundert zu halten; +und unter dieselbe durfte man, besonders da die Senatoren- zugleich +Geschworenenliste war, ihn nicht herabgehen lassen. So blieb dem zensorischen +Wahlrecht immer noch ein bedeutender Spielraum; indes nahmen diese, nicht durch +die Bekleidung eines Amtes, sondern durch die zensorische Wahl erkiesten +Senatoren - haeufig diejenigen Buerger, die ein nicht kurulisches Gemeindeamt +verwaltet oder durch persoenliche Tapferkeit sich hervorgetan, einen Feind im +Gefecht getoetet oder einem Buerger das Leben gerettet hatten - zwar an der +Abstimmung, aber nicht an der Debatte teil. Der Kern des Senats und derjenige +Teil desselben, in dem Regierung und Verwaltung sich konzentriert, ruhte also +nach dem Ovinischen Gesetz im wesentlichen nicht mehr auf der Willkuer eines +Beamten, sondern mittelbar auf der Wahl durch das Volk; und die roemische +Gemeinde war auf diesem Wege zwar nicht zu der grossen Institution der Neuzeit, +dem repraesentativen Volksregimente, aber wohl dieser Institution nahe +gekommen, waehrend die Gesamtheit der nicht debattierenden Senatoren gewaehrte, +was bei regierenden Kollegien so notwendig wie schwierig herzustellen ist, eine +kompakte Masse urteilsfaehiger und urteilsberechtiger, aber schweigender +Mitglieder. +</p> + +<p> +Die Kompetenz des Senats wurde formell kaum veraendert. Der Senat huetete sich +wohl, durch unpopulaere Verfassungsaenderungen oder offenbare +Verfassungsverletzungen der Opposition und der Ambition Handhaben darzubieten; +er liess es sogar geschehen, wenn er es auch nicht foerderte, dass die +Buergerschaftskompetenz im demokratischen Sinne ausgedehnt ward. Aber wenn die +Buergerschaft den Schein, so erwarb der Senat das Wesen der Macht: einen +bestimmenden Einfluss auf die Gesetzgebung und die Beamtenwahlen und das +gesamte Gemeinderegiment. +</p> + +<p> +Jeder neue Gesetzvorschlag ward zunaechst im Senat vorberaten, und kaum wagte +es je ein Beamter, ohne oder wider das Gutachten des Senats einen Antrag an die +Gemeinde zu stellen; geschah es dennoch, so hatte der Senat durch die +Beamteninterzession und die priesterliche Kassation eine lange Reihe von +Mitteln in der Hand, um jeden unbequemen Antrag im Keime zu ersticken oder +nachtraeglich zu beseitigen; und im aeussersten Fall hatte er als oberste +Verwaltungsbehoerde mit der Ausfuehrung auch die Nichtausfuehrung der +Gemeindebeschluesse in der Hand. Es nahm der Senat ferner unter +stillschweigender Zustimmung der Gemeinde das Recht in Anspruch, in dringenden +Faellen unter Vorbehalt der Ratifikation durch Buergerschaftsbeschluss, von den +Gesetzen zu entbinden - ein Vorbehalt, der von Haus aus nicht viel bedeutete +und allmaehlich so vollstaendig zur Formalitaet ward, dass man in spaeterer +Zeit sich nicht einmal mehr die Muehe gab, den ratifizierenden +Gemeindebeschluss zu beantragen. +</p> + +<p> +Was die Wahlen anlangt, so gingen sie, soweit sie den Beamten zustanden und von +politischer Wichtigkeit waren, tatsaechlich ueber auf den Senat; auf diesem +Wege erwarb derselbe, wie schon gesagt ward, das Recht, den Diktator zu +bestellen. Groessere Ruecksicht masste allerdings auf die Gemeinde genommen +werden: es konnte ihr das Recht nicht entzogen werden, die Gemeindeaemter zu +vergeben; doch ward, wie gleichfalls schon bemerkt wurde, sorgfaeltig darueber +gewacht, dass diese Beamtenwahl nicht etwa in die Vergebung bestimmter +Kompetenzen, namentlich nicht der Oberfeldherrnstellen in bevorstehenden +Kriegen, uebergehe. Ueberdies brachte teils der neu eingefuehrte +Kompetenzbegriff, teils das dem Senat tatsaechlich zugestandene Recht, von den +Gesetzen zu entbinden, einen wichtigen Teil der Aemterbesetzung in die Haende +des Senats. Von dem Einfluss, den der Senat auf die Feststellung der +Geschaeftskreise namentlich der Konsuln ausuebte, ist schon die Rede gewesen. +Von dem Dispensationsrecht war eine der wichtigsten Anwendungen die Entbindung +des Beamten von der gesetzlichen Befristung seines Amtes, welche zwar, als den +Grundgesetzen der Gemeinde zuwider, nach roemischen Staatsrecht in dem +eigentlichen Stadtbezirk nicht vorkommen durfte, aber ausserhalb desselben +wenigstens insoweit galt, als der Konsul und Praetor, dem die Frist verlaengert +war, nach Ablauf derselben fortfuhr, “an Konsul” oder +“Praetor Statt” (pro consule, pro praetore) zu fungieren. +Natuerlich stand dies wichtige, dem Ernennungsrecht wesentlich gleichstehende +Recht der Fristerstreckung gesetzlich allein der Gemeinde zu und ward +anfaenglich auch faktisch von ihr gehandhabt; aber doch wurde schon 447 (307) +und seitdem regelmaessig den Oberfeldherren das Kommando durch blossen +Senatsbeschluss verlaengert. Dazu kam endlich der uebermaechtige und klug +vereinigte Einfluss der Aristokratie auf die Wahlen, welcher dieselben nicht +immer, aber in der Regel auf die der Regierung genehmen Kandidaten lenkte. +</p> + +<p> +Was schliesslich die Verwaltung anlangt, so hing Krieg, Frieden und Buendnis, +Kolonialgruendung, Ackerassignation, Bauwesen, ueberhaupt jede Angelegenheit +von dauernder und durchgreifender Wichtigkeit, und namentlich das gesamte +Finanzwesen lediglich ab von dem Senat. Er war es, der Jahr fuer Jahr den +Beamten in der Feststellung ihrer Geschaeftskreise und in der Limitierung der +einem jeden zur Verfuegung zu stellenden Truppen und Gelder die allgemeine +Instruktion gab, und an ihn ward von allen Seiten in allen wichtigen Faellen +rekurriert: keinem Beamten, mit Ausnahme des Konsuls, und keinem Privaten +durften die Vorsteher der Staatskasse Zahlung anders leisten als nach +vorgaengigem Senatsbeschluss. Nur in die Besorgung der laufenden +Angelegenheiten und in die richterliche und militaerische Spezialverwaltung +mischte das hoechste Regierungskollegium sich nicht ein; es war zu viel +politischer Sinn und Takt in der roemischen Aristokratie, um die Leitung des +Gemeinwesens in eine Bevormundung des einzelnen Beamten und das Werkzeug in +eine Maschine verwandeln zu wollen. +</p> + +<p> +Dass dies neue Regiment des Senats bei aller Schonung der bestehenden Formen +eine vollstaendige Umwaelzung des alten Gemeinwesens in sich schloss, leuchtet +ein; dass die freie Taetigkeit der Buergerschaft stockte und erstarrte und die +Beamten zu Sitzungspraesidenten und ausfuehrenden Kommissarien herabsanken, +dass ein durchaus nur beratendes Kollegium die Erbschaft beider +verfassungsmaessiger Gewalten tat und, wenn auch in den bescheidensten Formen, +die Zentralregierung der Gemeinde ward, war revolutionaer und usurpatorisch. +Indes wenn jede Revolution und jede Usurpation durch die ausschliessliche +Faehigkeit zum Regimente vor dem Richterstuhl der Geschichte gerechtfertigt +erscheint, so muss auch ihr strenges Urteil es anerkennen, dass diese +Koerperschaft ihre grosse Aufgabe zeitig begriffen und wuerdig erfuellt hat. +Berufen nicht durch den eitlen Zufall der Geburt, sondern wesentlich durch die +freie Wahl der Nation; bestaetigt von vier zu vier Jahren durch das strenge +Sittengericht der wuerdigsten Maenner; auf Lebenszeit im Amte und nicht +abhaengig von dem Ablauf des Mandats oder von der schwankenden Meinung des +Volkes; in sich einig und geschlossen seit der Ausgleichung der Staende; alles +in sich schliessend, was das Volk besass von politischer Intelligenz und +praktischer Staatskunde; unumschraenkt verfuegend in allen finanziellen Fragen +und in der Leitung der auswaertigen Politik; die Exekutive vollkommen +beherrschend durch deren kurze Dauer und durch die dem Senat nach der +Beseitigung des staendischen Haders dienstbar gewordene tribunizische +Interzession, war der roemische Senat der edelste Ausdruck der Nation und in +Konsequenz und Staatsklugheit, in Einigkeit und Vaterlandsliebe, in Machtfuelle +und sicherem Mut die erste politische Koerperschaft aller Zeiten - auch jetzt +noch “eine Versammlung von Koenigen”, die es verstand, mit +republikanischer Hingebung despotische Energie zu verbinden. Nie ist ein Staat +nach aussen fester und wuerdiger vertreten worden als Rom in seiner guten Zeit +durch seinen Senat. In der inneren Verwaltung ist es allerdings nicht zu +verkennen, dass die im Senat vorzugsweise vertretene Geld- und +Grundaristokratie in den ihre Sonderinteressen betreffenden Angelegenheiten +parteiisch verfuhr und dass die Klugheit und die Energie der Koerperschaft hier +haeufig von ihr nicht zum Heil des Staates gebraucht worden sind. Indes der +grosse, in schweren Kaempfen festgestellte Grundsatz, dass jeder roemische +Buerger gleich vor dem Gesetz sei in Rechten und Pflichten, und die daraus sich +ergebende Eroeffnung der politischen Laufbahn, das heisst des Eintritts in den +Senat fuer jedermann, erhielten neben dem Glanz der militaerischen und +politischen Erfolge die staatliche und nationale Eintracht und nahmen dem +Unterschied der Staende jene Erbitterung und Gehaessigkeit, die den Kampf der +Patrizier und Plebejer bezeichnen; und da die glueckliche Wendung der aeusseren +Politik es mit sich brachte, dass laenger als ein Jahrhundert die Reichen +Spielraum fuer sich fanden, ohne den Mittelstand unterdruecken zu muessen, so +hat das roemische Volk in seinem Senat laengere Zeit, als es einem Volke +verstattet zu sein pflegt, das grossartigste aller Menschenwerke durchzufuehren +vermocht, eine weise und glueckliche Selbstregierung. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap04"></a>KAPITEL IV.<br/> +Sturz der etruskischen Macht. Die Kelten.</h2> + +<p> +Nachdem die Entwicklung der roemischen Verfassung waehrend der zwei ersten +Jahrhunderte der Republik dargestellt ist, ruft uns die aeussere Geschichte +Roms und Italiens wieder zurueck in den Anfang dieser Epoche. Um diese Zeit, +als die Tarquinier aus Rom vertrieben wurden, stand die etruskische Macht auf +ihrem Hoehepunkt. Die Herrschaft auf der Tyrrhenischen See besassen +unbestritten die Tusker und die mit ihnen eng verbuendeten Karthager. Wenn auch +Massalia unter steten und schweren Kaempfen sich behauptete, so waren dagegen +die Haefen Kampaniens und der volskischen Landschaft und seit der Schlacht von +Alalia auch Korsika im Besitz der Etrusker. In Sardinien gruendeten durch die +vollstaendige Eroberung der Insel (um 260 500) die Soehne des karthagischen +Feldherrn Mago die Groesse zugleich ihres Hauses und ihrer Stadt, und in +Sizilien behaupteten die Phoeniker waehrend der inneren Fehden der hellenischen +Kolonien ohne wesentliche Anfechtung den Besitz der Westhaelfte. Nicht minder +beherrschten die Schiffe der Etrusker das Adriatische Meer, und selbst in den +oestlichen Gewaessern waren ihre Kaper gefuerchtet. +</p> + +<p> +Auch zu Lande schien ihre Macht im Steigen. Den Besitz der latinischen +Landschaft zu gewinnen, war fuer Etrurien, das von den volskischen in seiner +Klientel stehenden Staedten und von seinen kampanischen Besitzungen allein +durch die Latiner geschieden war, von der entscheidendsten Wichtigkeit. Bisher +hatte das feste Bollwerk der roemischen Macht Latium ausreichend beschirmt und +die Tibergrenze mit Erfolg gegen Etrurien behauptet. Allein als der gesamte +tuskische Bund, die Verwirrung und die Schwaeche des roemischen Staats nach der +Vertreibung der Tarquinier benutzend, jetzt unter dem Koenig Lars Porsena von +Clusium seinen Angriff maechtiger als zuvor erneuerte, fand er nicht ferner den +gewohnten Widerstand; Rom kapitulierte und trat im Frieden (angeblich 247 507) +nicht bloss alle Besitzungen am rechten Tiberufer an die naechstliegenden +tuskischen Gemeinden ab und gab also die ausschliessliche Herrschaft ueber den +Strom auf, sondern lieferte auch dem Sieger seine saemtlichen Waffen aus und +gelobte, fortan des Eisens nur zur Pflugschar sich zu bedienen. Es schien, als +sei die Einigung Italiens unter tuskischer Suprematie nicht mehr fern. +</p> + +<p> +Allein die Unterjochung, womit die Koalition der etruskischen und karthagischen +Nation die Griechen wie die Italiker bedroht, ward gluecklich abgewendet durch +das Zusammenhalten der durch Stammverwandtschaft wie durch die gemeinsame +Gefahr aufeinander angewiesenen Voelker. Zunaechst fand das etruskische Heer, +das nach Roms Fall in Latium eingedrungen war, vor den Mauern von Aricia die +Grenze seiner Siegesbahn durch die rechtzeitige Hilfe der den Aricinern zur +Hilfe herbeigeeilten Kymaeer (248 506). Wir wissen nicht, wie der Krieg +endigte, und namentlich nicht, ob Rom schon damals den verderblichen und +schimpflichen Frieden zerriss; gewiss ist nur, dass die Tusker auch diesmal auf +dem linken Tiberufer sich dauernd zu behaupten nicht vermochten. +</p> + +<p> +Bald ward die hellenische Nation zu einem noch umfassenderen und noch +entscheidenderen Kampf gegen die Barbaren des Westens wie des Ostens genoetigt. +Es war um die Zeit der Perserkriege. Die Stellung der Tyrier zu dem Grosskoenig +fuehrte auch Karthago in die Bahnen der persischen Politik - wie denn selbst +ein Buendnis zwischen den Karthagern und Xerxes glaubwuerdig ueberliefert ist - +und mit den Karthagern die Etrusker. Es war eine der grossartigsten politischen +Kombinationen, die gleichzeitig die asiatischen Scharen auf Griechenland, die +phoenikischen auf Sizilien warf, um mit einem Schlag die Freiheit und die +Zivilisation vom Angesicht der Erde zu vertilgen. Der Sieg blieb den Hellenen. +Die Schlacht bei Salamis (274 der Stadt 480) rettete und raechte das +eigentliche Hellas; und an demselben Tag - so wird erzaehlt - besiegten die +Herren von Syrakus und Akragas, Gelon und Theron, das ungeheure Heer des +karthagischen Feldherrn Hamilkar, Magos Sohn, bei Himera so vollstaendig, dass +der Krieg damit zu Ende war und die Phoeniker, die damals noch keineswegs den +Plan verfolgten, ganz Sizilien fuer eigene Rechnung sich zu unterwerfen, +zurueckkehrten zu ihrer bisherigen defensiven Politik. Noch sind von den +grossen Silberstuecken erhalten, welche aus dem Schmuck der Gemahlin Gelons, +Damareta, und anderer edler Syrakusanerinnen fuer diesen Feldzug geschlagen +wurden, und die spaeteste Zeit gedachte dankbar des milden und tapferen Koenigs +von Syrakus und des herrlichen, von Simonides gefeierten Sieges. +</p> + +<p> +Die naechste Folge der Demuetigung Karthagos war der Sturz der Seeherrschaft +ihrer etruskischen Verbuendeten. Schon Anaxilas, der Herr von Rhegion und +Zankte, hatte ihren Kapern die sizilische Meerenge durch eine stehende Flotte +gesperrt (um 272 482); einen entscheidenden Sieg erfochten bald darauf die +Kymaeer und Hieron von Syrakus bei Kyme (280 474) ueber die tyrrhenische +Flotte, der die Karthager vergeblich Hilfe zu bringen versuchten. Das ist der +Sieg, welchen Pindaros in der ersten pythischen Ode feiert, und noch ist der +Etruskerhelm vorhanden, den Hieron nach Olympia sandte mit der Aufschrift: +“Hiaron des Deinomenes Sohn und die Syrakosier dem Zeus Tyrrhanisches von +Kyma” ^1. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Fιάρον ο Διομένεος καί τοί Συρακόσιοι τοί Δί' Τύραν' από Κύμας. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +Waehrend diese ungemeinen Erfolge gegen Karthager und Etrusker Syrakus an die +Spitze der sizilischen Griechenstaedte brachten, erhob unter den italischen +Hellenen, nachdem um die Zeit der Vertreibung der Koenige aus Rom (243 511) das +achaeische Sybaris untergegangen war, das dorische Tarent sich unbestritten zu +der ersten Stelle; die furchtbare Niederlage der Tarentiner durch die Iapyger +(280 474), die schwerste, die bis dahin ein Griechenheer erlitten hatte, +entfesselte nur, aehnlich wie der Persersturm in Hellas, die ganze Gewalt des +Volksgeistes in energisch demokratischer Entwicklung. Von jetzt an spielen +nicht mehr die Karthager und die Etrusker die erste Rolle in den italischen +Gewaessern, sondern im Adriatischen und Ionischen Meer die Tarentiner, im +Tyrrhenischen die Massalioten und die Syrakusaner, und namentlich die letzteren +beschraenkten mehr und mehr das etruskische Korsarenwesen. Schon Hieron hatte +nach dem Siege bei Kyme die Insel Aenaria (Ischia) besetzt und damit die +Verbindung zwischen den kampanischen und den noerdlichen Etruskern +unterbrochen. Um das Jahr 302 (452) wurde von Syrakus, um der tuskischen +Piraterie gruendlich zu steuern, eine eigene Expedition ausgesandt, die die +Insel Korsika und die etruskische Kueste verheerte und die Insel Aethalia +(Elba) besetzte. Ward man auch nicht voellig Herr ueber die +etruskisch-karthagischen Piraten - wie denn das Kaperwesen zum Beispiel in +Antium bis in den Anfang des fuenften Jahrhunderts der Stadt fortgedauert zu +haben scheint -, so war doch das maechtige Syrakus ein starkes Bollwerk gegen +die verbuendeten Tusker und Phoeniker. Einen Augenblick freilich schien es, als +muesse die syrakusische Macht gebrochen werden durch die Athener, deren Seezug +gegen Syrakus im Lauf des Peloponnesischen Krieges (339-341 415-413) die +Etrusker, die alten Handelsfreunde Athens, mit drei Fuenfzigruderern +unterstuetzten. Allein der Sieg blieb, wie bekannt, im Westen wie im Osten den +Dorern. Nach dem schmaehlichen Scheitern der attischen Expedition ward Syrakus +so unbestritten die erste griechische Seemacht, dass die Maenner, die dort an +der Spitze des Staates standen, die Herrschaft ueber Sizilien und Unteritalien +und ueber beide Meere Italiens ins Auge fassten; wogegen anderseits die +Karthager, die ihre Herrschaft in Sizilien jetzt ernstlich bedroht sahen, auch +auf ihrer Seite die Ueberwaeltigung der Syrakusaner und die Unterwerfung der +ganzen Insel zum Ziel ihrer Politik nehmen mussten und nahmen. Der Verfall der +sizilischen Mittelstaaten, die Steigerung der karthagischen Macht auf der +Insel, die zunaechst aus diesen Kaempfen hervorgingen, koennen hier nicht +erzaehlt werden; was Etrurien anlangt, so fuehrte gegen dies der neue Herr von +Syrakus, Dionysios (reg. 348-387 406-367), die empfindlichsten Schlaege. Der +weitstrebende Koenig gruendete seine neue Kolonialmacht vor allem in dem +italischen Ostmeer, dessen noerdlichere Gewaesser jetzt zum erstenmal einer +griechischen Seemacht untertan wurden. Um das Jahr 367 (387) besetzte und +kolonisierte Dionysios an der illyrischen Kueste den Hafen Lissos und die Insel +Issa, an der italischen die Landungsplaetze Ankon, Numana und Atria; das +Andenken an die syrakusanische Herrschaft in dieser entlegenen Gegend bewahrten +nicht bloss die “Graeben des Philistos”, ein ohne Zweifel von dem +bekannten Geschichtschreiber und Freunde des Dionysios, der die Jahre seiner +Verbannung (368 386f.) in Atria verlebte, angelegter Kanal an der Pomuendung; +auch die veraenderte Benennung des italischen Ostmeers selbst, wofuer seitdem +anstatt der aelteren Benennung des Ionischen Busens die heute noch gangbare des +“Meeres von Hadria” vorkommt, geht wahrscheinlich auf diese +Ereignisse zurueck ^2. Aber nicht zufrieden mit diesen Angriffen auf die +Besitzungen und Handelsverbindungen der Etrusker im Ostmeer, griff Dionysios +durch die Erstuermung und Pluenderung der reichen caeritischen Hafenstadt Pygri +(369 385 die etruskische Macht in ihrem innersten Kern an. Sie hat denn auch +sich nicht wieder erholt. Als nach Dionysios’ Tode die inneren Unruhen in +Syrakus den Karthagern freiere Bahn machten und deren Flotte wieder im +Tyrrhenischen Meer das Uebergewicht bekam, das sie seitdem mit kurzen +Unterbrechungen behauptete, lastete dieses nicht minder schwer auf den +Etruskern wie auf den Griechen; so dass sogar, als im Jahre 444 (310) +Agathokles von Syrakus zum Krieg mit Karthago ruestete, achtzehn tuskische +Kriegsschiffe zu ihm stiessen. Die Etrusker mochten fuer Korsika fuerchten, das +sie wahrscheinlich damals noch behaupteten; die alte tuskisch-phoenikische +Symmachie, die noch zu Aristoteles’ Zeit (370-432 384-322) bestand, ward +damit gesprengt, aber die Schwaeche der Etrusker zur See nicht wieder +aufgehoben. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +^2 Hekataeos († nach 257 497, Rom) und noch Herodot (270 bis nach 345 484-409) +kennen den Hatrias nur als das Podelta und das dasselbe bespuelende Meer (K. O. +Mueller, Die Etrusker. Breslau 1828. Bd. 1, S. 140; GGM 1, p. 23). In weiterer +Bedeutung findet sich die Benennung des Hadriatischen Meeres zuerst bei dem +sogenannten Skylax um 418 der Stadt (336). +</p> + +<p> +———————————————————————————— +</p> + +<p> +Dieser rasche Zusammensturz der etruskischen Seemacht wuerde unerklaerlich +sein, wenn nicht gegen die Etrusker zu eben der Zeit, wo die sizilischen +Griechen sie zur See angriffen, auch zu Lande von allen Seiten her die +schwersten Schlaege gefallen waeren. Um die Zeit der Schlachten von Salamis, +Himera und Kyme ward, dem Berichte der roemischen Annalen zufolge, zwischen Rom +und Veii ein vieljaehriger und heftiger Krieg gefuehrt (271-280 483-474). Die +Roemer erlitten in demselben schwere Niederlagen; im Andenken geblieben ist die +Katastrophe der Fabier (277 477), die infolge der inneren Krisen sich +freiwillig aus der Hauptstadt verbannt und die Verteidigung der Grenze gegen +Etrurien uebernommen hatten, hier aber am Bache Cremera bis auf den letzten +waffenfaehigen Mann niedergehauen wurden. Allein der Waffenstillstand auf 400 +Monate, der anstatt Friedens den Krieg beendigte, fiel fuer die Roemer insofern +guenstig aus, als er wenigstens den Status quo der Koenigszeit +wiederherstellte; die Etrusker verzichteten auf Fidenae und den am rechten +Tiberufer gewonnenen Distrikt. Es ist nicht auszumachen, inwieweit dieser +roemisch-etruskische Krieg mit dem hellenisch-persischen und dem +sizilisch-karthagischen in unmittelbaren Zusammenhange stand; aber moegen die +Roemer die Verbuendeten der Sieger von Salamis und von Himera gewesen sein oder +nicht, die Interessen wie die Folgen trafen jedenfalls zusammen. +</p> + +<p> +Wie die Latiner warfen auch die Samniten sich auf die Etrusker; und kaum war +deren kampanische Niederlassung durch die Folgen des Treffens bei Kyme vom +Mutterlande abgeschnitten worden, als sie auch schon nicht mehr imstande war, +den Angriffen der sabellischen Bergvoelker zu widerstehen. Die Hauptstadt Capua +fiel 330 (424) und die tuskische Bevoelkerung ward hier bald nach der Eroberung +von den Samniten ausgerottet oder verjagt. Freilich hatten auch die +kampanischen Griechen, vereinzelt und geschwaecht, unter derselben Invasion +schwer zu leiden; Kyme selbst ward 334 (420) von den Sabellern erobert. Dennoch +behaupteten die Griechen sich namentlich in Neapolis, vielleicht mit Hilfe der +Syrakusaner, waehrend der etruskische Name in Kampanien aus der Geschichte +verschwindet; kaum dass einzelne etruskische Gemeinden eine kuemmerliche und +verlorene Existenz sich dort fristeten. +</p> + +<p> +Aber noch folgenreichere Ereignisse traten um dieselbe Zeit im noerdlichen +Italien ein. Eine neue Nation pochte an die Pforten der Alpen: es waren die +Kelten; und ihr erster Andrang traf die Etrusker. +</p> + +<p> +Die keltische, auch galatische oder gallische Nation hat von der +gemeinschaftlichen Mutter eine andere Ausstattung empfangen als die italische, +die germanische und die hellenische Schwester. Es fehlt ihr bei manchen +tuechtigen und noch mehr glaenzenden Eigenschaften die tiefe sittliche und +staatliche Anlage, auf welche alles Gute und Grosse in der menschlichen +Entwicklung sich gruendet. Es galt, sagt Cicero, als schimpflich fuer den +freien Kelten, das Feld mit eigenen Haenden zu bestellen. Dem Ackerbau zogen +sie das Hirtenleben vor und trieben selbst in den fruchtbaren Poebenen +vorzugsweise die Schweinezucht, von dem Fleisch ihrer Herden sich naehrend und +in den Eichenwaeldern mit ihnen Tag und Nacht verweilend. Die Anhaenglichkeit +an die eigene Scholle, wie sie den Italikern und den Germanen eigen ist, fehlt +bei den Kelten; wogegen sie es lieben, in den Staedten und Flecken zusammen zu +siedeln und diese bei ihnen frueher, wie es scheint, als in Italien Ausdehnung +und Bedeutung gewonnen haben. Ihre buergerliche Verfassung ist unvollkommen; +nicht bloss wird die nationale Einheit nur durch ein schwaches Band vertreten, +was ja in gleicher Weise von allen Nationen anfaenglich gilt, sondern es +mangelt auch in den einzelnen Gemeinden an Eintracht und festem Regiment, an +ernstem Buergersinn und folgerechtem Streben. Die einzige Ordnung, der sie sich +schicken, ist die militaerische, in der die Bande der Disziplin dem einzelnen +die schwere Muehe abnehmen, sich selber zu bezwingen. “Die +hervorstehenden Eigenschaften der keltischen Rasse”, sagt ihr +Geschichtschreiber Thierry, “sind die persoenliche Tapferkeit, in der sie +es allen Voelkern zuvortun; ein freier, stuermischer, jedem Eindruck +zugaenglicher Sinn; viel Intelligenz, aber daneben die aeusserste +Beweglichkeit, Mangel an Ausdauer, Widerstreben gegen Zucht und Ordnung, +Prahlsucht und ewige Zwietracht, die Folge der grenzenlosen Eitelkeit.” +Kuerzer sagt ungefaehr dasselbe der alte Cato: “auf zwei Dinge geben die +Kelten viel: auf das Fechten und auf den Esprit” ^3. Solche Eigenschaften +guter Soldaten und schlechter Buerger erklaeren die geschichtliche Tatsache, +dass die Kelten alle Staaten erschuettert und keinen gegruendet haben. Ueberall +finden wir sie bereit zu wandern, das heisst zu marschieren; dem Grundstueck +die bewegliche Habe vorziehend, allem anderen aber das Gold; das Waffenwerk +betreibend als geordnetes Raubwesen oder gar als Handwerk um Lohn und +allerdings mit solchem Erfolge, dass selbst der roemische Geschichtschreiber +Sallustius im Waffenwerk den Kelten den Preis vor den Roemern zugesteht. Es +sind die rechten Lanzknechte des Altertums, wie die Bilder und Beschreibungen +sie uns darstellen: grosse, nicht sehnige Koerper, mit zottigem Haupthaar und +langem Schnauzbart - recht im Gegensatz zu Griechen und Roemern, die das Haupt +und die Oberlippe schoren -, in bunten gestickten Gewaendern, die beim Kampf +nicht selten abgeworfen wurden, mit dem breiten Goldring um den Hals, unbehelmt +und ohne Wurfwaffen jeder Art, aber dafuer mit ungeheurem Schild nebst dem +langen schlechtgestaehlten Schwert, dem Dolch und der Lanze, alle diese Waffen +mit Gold geziert, wie sie denn die Metalle nicht ungeschickt zu bearbeiten +verstanden. Zum Renommieren dient alles, selbst die Wunde, die oft +nachtraeglich erweitert wird, um mit der breiteren Schmarre zu prunken. +Gewoehnlich fechten sie zu Fuss, einzelne Schwaerme aber auch zu Pferde, wo +dann jedem Freien zwei gleichfalls berittene Knappen folgen; Streitwagen finden +sich frueh wie bei den Libyern und den Hellenen in aeltester Zeit. Mancher Zug +erinnert an das Ritterwesen des Mittelalters; am meisten die den Roemern und +Griechen fremde Sitte des Zweikampfes. Nicht bloss im Kriege pflegten sie den +einzelnen Feind, nachdem sie ihn zuvor mit Worten und Gebaerden verhoehnt +hatten, zum Kampfe zu fordern; auch im Frieden fochten sie gegeneinander in +glaenzender Ruestung auf Leben und Tod. Dass die Zechgelage hernach nicht +fehlten, versteht sich. So fuehrten sie unter eigener oder fremder Fahne ein +unstetes Soldatenleben, das sie von Irland und Spanien bis nach Kleinasien +zerstreute unter steten Kaempfen und sogenannten Heldentaten; aber was sie auch +begannen, es zerrann wie der Schnee im Fruehling, und nirgends ist ein grosser +Staat, nirgends eine eigene Kultur von ihnen geschaffen worden. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +^3 Pleraque Gallia duas res industriosissime persequitur: rem militarem et +argute loqui. (Cato or. frg. 2, 2). +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +So schildern uns die Alten diese Nation; ueber ihre Herkunft laesst sich nur +mutmassen. Demselben Schoss entsprungen, aus dem auch die hellenischen, +italischen und germanischen Voelkerschaften hervorgingen, sind die Kelten ohne +Zweifel gleich diesen aus dem oestlichen Mutterland in Europa eingerueckt, wo +sie in fruehester Zeit das Westmeer erreichten und in dem heutigen Frankreich +ihre Hauptsitze begruendeten ^4, gegen Norden hin uebersiedelnd auf die +britannischen Inseln, gegen Sueden die Pyrenaeen ueberschreitend und mit den +iberischen Voelkerschaften um den Besitz der Halbinsel ringend. An den Alpen +indes stroemte ihre erste grosse Wanderung vorbei und erst von den westlichen +Laendern aus begannen sie in kleineren Massen und in entgegengesetzter Richtung +jene Zuege, die sie ueber die Alpen und den Haemus, ja ueber den Bosporus +fuehrten und durch die sie der Schrecken der saemtlichen zivilisierten Nationen +des Altertums geworden und durch manche Jahrhunderte geblieben sind, bis +Caesars Siege und die von Augustus geordnete Grenzverteidigung ihre Macht fuer +immer brachen. +</p> + +<p> +———————————————————————————— +</p> + +<p> +^4 Neuerdings ist von kundigen Sprachforschern behauptet worden, dass die +Verwandtschaft der Kelten und der Italiker naeher sei, als selbst die der +letzteren und der Hellenen, das heisst, dass derjenige Ast des grossen Baumes, +von dem die west- und suedeuropaeischen Voelkerschaften indogermanischen +Stammes entsprungen sind, zunaechst sich in Griechen und Italokelten und +betraechtlich spaeter die letzteren sich wieder in Italiker und Kelten +gespalten haetten. Geographisch ist diese Aufstellung sehr annehmbar, und auch +die geschichtlich vorliegenden Tatsachen lassen sich vielleicht damit ebenfalls +in Einklang bringen da, was bisher als graecoitalische Zivilisation angesehen +worden ist, fueglich graecokeltoitalisch gewesen sein kann - wissen wir doch +ueber die aelteste keltische Kulturstufe in der Tat nichts. Die sprachliche +Untersuchung scheint indes noch nicht so weit gediehen zu sein, dass ihre +Ergebnisse in die aelteste Voelkergeschichte eingereiht werden duerften. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +Die einheimische Wandersage, die hauptsaechlich Livius uns erhalten hat, +berichtet von diesen spaeteren ruecklaeufigen Zuegen folgendermassen ^5. Die +gallische Eidgenossenschaft, an deren Spitze damals wie noch zu Caesars Zeit +der Gau der Biturigen (um Bourges) stand, habe unter dem Koenig Ambiatus zwei +grosse Heeresschwaerme entsendet, gefuehrt von den beiden Neffen des Koenigs, +und es sei der eine derselben, Sigovesus, ueber den Rhein in der Richtung auf +den Schwarzwald zu vorgedrungen, der zweite, Bellovesus, ueber die Graischen +Alpen (den Kleinen St. Bernhard) in das Potal hinabgestiegen. Von jenem stamme +die gallische Niederlassung an der mittleren Donau, von diesem die aelteste +keltische Ansiedlung in der heutigen Lombardei, der Gau der Insubrer mit dem +Hauptort Mediolanum (Mailand). Bald sei ein zweiter Schwarm gefolgt, der den +Gau der Cenomaner mit den Staedten Brixia (Brescia) und Verona begruendet habe. +Unaufhoerlich stroemte es fortan ueber die Alpen in das schoene ebene Land; die +keltischen Staemme samt den von ihnen aufgetriebenen und fortgerissenen +ligurischen entrissen den Etruskern einen Platz nach dem andern, bis das ganze +linke Poufer in ihren Haenden war. Nach dem Fall der reichen etruskischen Stadt +Melpum (vermutlich in der Gegend von Mailand), zu deren Bezwingung sich die +schon im Potal ansaessigen Kelten mit neugekommenen Staemmen vereinigt hatten +(358? 396), gingen diese letzteren hinueber auf das rechte Ufer des Flusses und +begannen die Umbrer und Etrusker in ihren uralten Sitzen zu bedraengen. Es +waren dies vornehmlich die angeblich auf einer anderen Strasse, ueber den +Poeninischen Berg (Grossen St. Bernhard) in Italien eingedrungenen Boier; sie +siedelten sich an in der heutigen Romagna, wo die alte Etruskerstadt Felsina, +von den neuen Herren Bononia umgenannt, ihre Hauptstadt wurde. Endlich kamen +die Senonen, der letzte groessere Keltenstamm, der ueber die Alpen gelangt ist; +er nahm seine Sitze an der Kueste des Adriatischen Meeres von Rimini bis +Ancona. Aber einzelne Haufen keltischer Ansiedler muessen sogar bis tief nach +Umbrien hinein, ja bis an die Grenze des eigentlichen Etrurien vorgedrungen +sein; denn noch bei Todi am oberen Tiber haben sich Steinschriften in +keltischer Sprache gefunden. Enger und enger zogen sich nach Norden und Osten +hin die Grenzen Etruriens zusammen, und um die Mitte des vierten Jahrhunderts +sah die tuskische Nation sich schon wesentlich auf dasjenige Gebiet +beschraenkt, das seitdem ihren Namen getragen hat und heute noch traegt. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +^5 Die Sage ueberliefern Livius (5, 34) und Iustin (24, 4) und auch Caesar +(Gall. 6, 24) hat sie im Sinn gehabt. Die Verknuepfung indes der Wanderung des +Bellovesus mit der Gruendung von Massalia, wodurch jene chronologisch auf die +Mitte des zweiten Jahrhunderts der Stadt bestimmt wird, gehoert unzweifelhaft +nicht der einheimischen, natuerlich zeitlosen Sage an, sondern der spaeteren +chronologisierenden Forschung und verdient keinen Glauben. Einzelne Einfaelle +und Einwanderungen moegen sehr frueh stattgefunden haben; aber das gewaltige +Umsichgreifen der Kelten in Norditalien kann nicht vor die Zeit des Sinkens der +etruskischen Macht, das heisst nicht vor die zweite Haelfte des dritten +Jahrhunderts der Stadt gesetzt werden. +</p> + +<p> +Ebenso ist, nach der einsichtigen Ausfuehrung von Wickham und Cramer, nicht +daran zu zweifeln, dass der Zug des Bellovesus wie der des Hannibal nicht ueber +die Kottischen Alpen (Mont Genèvre) und durch das Gebiet der Tauriner, sondern +ueber die Graischen (den Kleinen St. Bernhard) und durch das der Salasser ging; +den Namen des Berges gibt Livius wohl nicht nach der Sage, sondern nach seiner +Vermutung an. Ob die italischen Boier aufgrund einer echten Sagenreminiszenz +oder nur aufgrund eines angenommenen Zusammenhangs mit den noerdlich von der +Donau wohnhaften Boiern durch den oestlichen Pass der Poeninischen Alpen +gefuehrt werden, muss dahingestellt bleiben. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Unter diesen, wie auf Verabredung gemeinschaftlichen Angriffen der +verschiedensten Voelker, der Syrakusaner, Latiner, Samniten und vor allem der +Kelten brach die eben noch so gewaltig und so ploetzlich in Latium und +Kampanien und auf beiden italischen Meeren um sich greifende etruskische Nation +noch gewaltsamer und noch ploetzlicher zusammen. Der Verlust der Seeherrschaft, +die Bewaeltigung der kampanischen Etrusker gehoert derselben Epoche an, wo die +Insubrer und Cenomaner am Po sich niederliessen; und eben um diese Zeit ging +auch die durch Porsena wenige Jahrzehnte zuvor aufs tiefste gedemuetigte und +fast geknechtete roemische Buergerschaft zuerst angreifend gegen Etrurien vor. +Im Waffenstillstand mit Veii von 280 (474) hatte sie das Verlorene +wiedergewonnen und im wesentlichen den Zustand wiederhergestellt, wie er zu der +Zeit der Koenige zwischen beiden Nationen bestanden hatte. Als er im Jahre 309 +(445) ablief, begann zwar die Fehde aufs neue; aber es waren Grenzgefechte und +Beutezuege, die fuer beide Teile ohne wesentliches Resultat verliefen. Etrurien +stand noch zu maechtig da, als dass Rom einen ernstlichen Angriff haette +unternehmen koennen. Erst der Abfall der Fidenaten, die die roemische Besatzung +vertrieben, die Gesandten ermordeten und sich dem Koenig der Veienter, Lars +Tolumnius, unterwarfen, veranlasste einen bedeutenderen Krieg, welcher +gluecklich fuer die Roemer ablief: der Koenig Tolumnius fiel im Gefecht von der +Hand des roemischen Konsuls Aulus Cornelius Cossus (326? 428), Fidenae ward +genommen und 329 (425) ein neuer Stillstandsvertrag auf 200 Monate +abgeschlossen. Waehrend desselben steigerte sich Etruriens Bedraengnis mehr und +mehr und naeherten sich die keltischen Waffen schon den bisher noch verschonten +Ansiedlungen am rechten Ufer des Po. Als der Waffenstillstand Ende 346 (408) +abgelaufen war, entschlossen sich die Roemer auch ihrerseits zu einem +Eroberungskrieg gegen Etrurien, der jetzt nicht bloss gegen, sondern um Veii +gefuehrt ward. +</p> + +<p> +Die Geschichte des Krieges gegen die Veienter, Capenaten und Falisker und der +Belagerung Veiis, die gleich der trojanischen zehn Jahre gewaehrt haben soll, +ist wenig beglaubigt. Sage und Dichtung haben sich dieser Ereignisse +bemaechtigt, und mit Recht; denn gekaempft ward hier mit bis dahin unerhoerter +Anstrengung um einen bis dahin unerhoerten Kampfpreis. Es war das erstemal, +dass ein roemisches Heer Sommer und Winter, Jahr aus Jahr ein im Felde blieb, +bis das vorgesteckte Ziel erreicht war; das erstemal, dass die Gemeinde aus +Staatsmitteln dem Aufgebot Sold zahlte. Aber es war auch das erstemal, dass die +Roemer es versuchten, sich eine stammfremde Nation zu unterwerfen und ihre +Waffen ueber die alte Nordgrenze der latinischen Landschaft hinuebertrugen. Der +Kampf war gewaltig, der Ausgang kaum zweifelhaft. Die Roemer fanden +Unterstuetzung bei den Latinern und den Hernikern, denen der Sturz des +gefuerchteten Nachbarn fast nicht minder Genugtuung und Foerderung gewaehrte +als den Roemern selbst; waehrend Veii von seiner Nation verlassen dastand und +nur die naechsten Staedte, Capena, Falerii, auch Tarquinii, ihm Zuzug +leisteten. Die gleichzeitigen Angriffe der Kelten wuerden diese Nichtteilnahme +der noerdlichen Gemeinden allein schon genuegend erklaeren; es wird indes +erzaehlt und es ist kein Grund es zu bezweifeln, dass zunaechst innere +Parteiungen in dem etruskischen Staedtebund, namentlich die Opposition der +aristokratischen Regierungen der uebrigen Staedte gegen das von den Veientern +beibehaltene oder wiederhergestellte Koenigsregiment, jene Untaetigkeit der +uebrigen Etrusker herbeigefuehrt haben. Haette die etruskische Nation sich an +dem Kampf beteiligen koennen oder wollen, so wuerde die roemische Gemeinde kaum +imstande gewesen sein, die bei der damaligen hoechst unentwickelten +Belagerungskunst riesenhafte Aufgabe der Bezwingung einer grossen und festen +Stadt zu Ende zu fuehren; vereinzelt aber und verlassen wie sie war, unterlag +die Stadt (358 396) nach tapferer Gegenwehr dem ausharrenden Heldengeist des +Marcus Furius Camillus, welcher zuerst seinem Volke die glaenzende Bahn der +auslaendischen Eroberungen auftat. Von dem Jubel, den der grosse Erfolg in Rom +erregte, ist ein Nachklang die in den Festspielen Roms bis in spaete Zeit +fortgepflanzte Sitte des “Veienterverkaufs”, wobei unter den zur +Versteigerung gebrachten parodischen Beutestuecken der aergste alte Krueppel, +den man auftreiben konnte, im Purpurmantel und Goldschmuck den Beschluss machte +als “Koenig der Veienter”. Die Stadt ward zerstoert, der Boden +verwuenscht zu ewiger Oede. Falerii und Capena eilten, Frieden zu machen; das +maechtige Volsinii, das in bundesmaessiger Halbheit waehrend Veiis Agonie +geruht hatte und nach der Einnahme zu den Waffen griff, bequemte nach wenigen +Jahren (363 391) sich gleichfalls zum Frieden. Es mag eine wehmuetige Sage +sein, dass die beiden Vormauern der etruskischen Nation, Melpum und Veii, an +demselben Tage jenes den Kelten, dieses den Roemern unterlagen; aber es liegt +in ihr auf jeden Fall eine tiefe geschichtliche Wahrheit. Der doppelte Angriff +von Norden und Sueden und der Fall der beiden Grenzfesten war der Anfang des +Endes der grossen etruskischen Nation. +</p> + +<p> +Indes einen Augenblick schien es, als sollten die beiden Voelkerschaften, durch +deren Zusammenwirken Etrurien sich in seiner Existenz bedroht sah, vielmehr +untereinander sich aufreiben und auch Roms neu aufbluehende Macht von den +fremden Barbaren zertreten werden. Diese Wendung der Dinge, die dem +natuerlichen Lauf der Politik widersprach, beschworen ueber die Roemer der +eigene Uebermut und die eigene Kurzsichtigkeit herauf. +</p> + +<p> +Die keltischen Scharen, die nach Melpums Fall ueber den Fluss gesetzt waren, +ueberfluteten mit reissender Geschwindigkeit das noerdliche Italien, nicht +bloss das offene Gebiet am rechten Ufer des Padus und laengs des Adriatischen +Meeres, sondern auch das eigentliche Etrurien diesseits des Apennin. Wenige +Jahre nachher (363 391) ward schon das im Herzen Etruriens gelegene Clusium +(Chiusi an der Grenze von Toskana und dem Kirchenstaat) von den keltischen +Senonen belagert; und so gedemuetigt waren die Etrusker, dass die bedraengte +tuskische Stadt die Zerstoerer Veiis um Hilfe anrief. Es waere vielleicht weise +gewesen, dieselbe zu gewaehren und zugleich die Gallier durch die Waffen und +die Etrusker durch den gewaehrten Schutz in Abhaengigkeit von Rom zu bringen; +allein eine solche weitblickende Intervention, die die Roemer genoetigt haben +wuerde, einen ernsten Kampf an der tuskischen Nordgrenze zu beginnen, lag +jenseits des Horizonts ihrer damaligen Politik. So blieb nichts uebrig, als +sich jeder Einmischung zu enthalten. Allein toerichterweise schlug man die +Hilfstruppen ab und schickte Gesandte; und noch toerichter meinten diese, den +Kelten durch grosse Worte imponieren und, als dies fehlschlug, gegen Barbaren +ungestraft das Voelkerrecht verletzen zu koennen: sie nahmen in den Reihen der +Clusiner teil an einem Gefecht und der eine von ihnen stach darin einen +gallischen Befehlshaber vom Pferde. Die Barbaren verfuhren in diesem Fall mit +Maessigung und Einsicht. Sie sandten zunaechst an die roemische Gemeinde, um +die Auslieferung der Frevler am Voelkerrecht zu fordern, und der Senat war +bereit, dem billigen Begehren sich zu fuegen. Allein in der Masse ueberwog das +Mitleid gegen die Landsleute die Gerechtigkeit gegen die Fremden; die +Genugtuung ward von der Buergerschaft verweigert, ja nach einigen Berichten +ernannte man die tapferen Vorkaempfer fuer das Vaterland sogar zur +Konsulartribunen fuer das Jahr 364 (390) ^6, das in den roemischen Annalen so +verhaengnisvoll werden sollte. Da brach der Brennus, das heisst der Heerkoenig +der Gallier, die Belagerung von Clusium ab und der ganze Keltenschwarm - die +Zahl wird auf 70000 Koepfe angegeben - wandte sich gegen Rom. Solche Zuege in +unbekannte und ferne Gegenden waren den Galliern gelaeufig, die unbekuemmert um +Deckung und Rueckzug als bewaffnete Auswandererscharen marschierten; in Rom +aber ahnte man offenbar nicht, welche Gefahr in diesem so ploetzlichen und so +gewaltigen Ueberfall lag. Erst als die Gallier im Anmarsch auf Rom waren, +ueberschritt eine roemische Heeresmacht den Tiber und vertrat ihnen den Weg. +Keine drei deutsche Meilen von den Toren, gegenueber der Muendung des Baches +Allia in den Tiberfluss, trafen die Heere aufeinander und kam es am 18. Juli +364 (390) zur Schlacht. Auch jetzt noch ging man, nicht wie gegen ein Heer, +sondern wie gegen Raeuber, uebermuetig und tolldreist in den Kampf unter +unerprobten Feldherren - Camillus hatte infolge des Staendehaders von den +Geschaeften sich zurueckgezogen. Waren es doch Wilde, gegen die man fechten +sollte; was bedurfte es des Lagers, der Sicherung des Rueckzugs? Aber die +Wilden waren Maenner von todverachtendem Mut und ihre Fechtweise den Italikern +so neu wie schrecklich; die blossen Schwerter in der Faust stuerzten die Kelten +im rasenden Anprall sich auf die roemische Phalanx und rannten sie im ersten +Stosse ueber den Haufen. Die Niederlage war vollstaendig; von den Roemern, die +den Fluss im Ruecken gefochten hatten, fand ein grosser Teil bei dem Versuch, +denselben zu ueberschreiten, seinen Untergang; was sich rettete, warf sich +seitwaerts nach dem nahen Veii. Die siegreichen Kelten standen zwischen dem +Rest des geschlagenen Heeres und der Hauptstadt. Diese war rettungslos dem +Feinde preisgegeben; die geringe dort zurueckgebliebene oder dorthin +gefluechtete Mannschaft reichte nicht aus, um die Mauern zu besetzen, und drei +Tage nach der Schlacht zogen die Sieger durch die offenen Tore in Rom ein. +Haetten sie es am ersten getan, wie sie es konnten, so war nicht bloss die +Stadt, sondern auch der Staat verloren; die kurze Zwischenzeit machte es +moeglich, die Heiligtuemer zu fluechten oder zu vergraben und, was wichtiger +war, die Burg zu besetzen und notduerftig mit Lebensmitteln zu versehen. Was +die Waffen nicht tragen konnte, liess man nicht auf die Burg - man hatte kein +Brot fuer alle. Die Menge der Wehrlosen verlief sich in die Nachbarstaedte; +aber manche, vor allem eine Anzahl angesehener Greise, mochten den Untergang +der Stadt nicht ueberleben und erwarteten in ihren Haeusern den Tod durch das +Schwert der Barbaren. Sie kamen, mordeten und pluenderten, was an Menschen und +Gut sich vorfand und zuendeten schliesslich vor den Augen der roemischen +Besatzung auf dem Kapitol die Stadt an allen Ecken an. Aber die +Belagerungskunst verstanden sie nicht und die Blockade des steilen Burgfelsens +war langwierig und schwierig, da die Lebensmittel fuer den grossen +Heeresschwarm nur durch bewaffnete Streifpartien sich herbeischaffen liessen +und diesen die benachbarten latinischen Buergerschaften, namentlich die +Ardeaten, haeufig mit Mut und Glueck sich entgegenwarfen. Dennoch harrten die +Kelten mit einer unter ihren Verhaeltnissen beispiellosen Energie sieben Monate +unter dem Felsen aus und schon begannen der Besatzung, die der Ueberrumpelung +in einer dunkeln Nacht nur durch das Schnattern der Heiligen Gaense im +kapitolinischen Tempel und das zufaellige Erwachen des tapferen Marcus Manlius +entgangen war, die Lebensmittel auf die Neige zu geben, als den Kelten ein +Einfall der Veneter in das neu gewonnene senonische Gebiet am Padus gemeldet +ward und sie bewog, das ihnen fuer den Abzug gebotene Loesegeld anzunehmen. Das +hoehnische Hinwerfen des gallischen Schwertes, dass es aufgewogen werde vom +roemischen Golde, bezeichnete sehr richtig die Lage der Dinge. Das Eisen der +Barbaren hatte gesiegt, aber sie verkauften ihren Sieg und gaben ihn damit +verloren. +</p> + +<p> +——————————————————————————— +</p> + +<p> +^6 Dies ist nach der gangbaren Gleichung 390 v. Chr.; in der Tat aber fiel die +Einnahme Roms Ol. 98, 1 = 388 v. Chr. und ist nur durch die zerruettete +roemische Jahrzaehlung verschoben. +</p> + +<p> +——————————————————————————— +</p> + +<p> +Die fuerchterliche Katastrophe der Niederlage und des Brandes, der 18. Juli und +der Bach der Allia, der Platz, wo die Heiligtuemer vergraben gewesen und wo die +Ueberrumpelung der Burg war abgeschlagen worden - all die Einzelheiten dieses +unerhoerten Ereignisses gingen ueber von der Erinnerung der Zeitgenossen in die +Phantasie der Nachwelt, und noch wir begreifen es kaum, dass wirklich schon +zwei Jahrtausende verflossen sind, seit jene welthistorischen Gaense sich +wachsamer bewiesen als die aufgestellten Posten. Und doch - mochte in Rom +verordnet werden, dass in Zukunft bei einem Einfall der Kelten keines der +gesetzlichen Privilegien vom Kriegsdienst befreien solle; mochte man dort +rechnen nach den Jahren von der Eroberung der Stadt; mochte diese Begebenheit +widerhallen in der ganzen damaligen zivilisierten Welt und ihren Weg finden bis +in die griechischen Annalen: die Schlacht an der Allia mit ihren Resultaten ist +dennoch kaum den folgenreichen geschichtlichen Begebenheiten beizuzaehlen. Sie +aendert eben nichts in den politischen Verhaeltnissen. Wie die Gallier wieder +abgezogen sind mit ihrem Golde, das nur eine spaet und schlecht erfundene +Erzaehlung den Helden Camillus wieder nach Rom zurueckbringen laesst; wie die +Fluechtigen sich wieder heimgefunden haben, der wahnsinnige Gedanke einiger +mattherziger Klugheitspolitiker, die Buergerschaft nach Veii ueberzusiedeln, +durch Camillus’ hochsinnige Gegenrede beseitigt ist, die Haeuser eilig +und unordentlich - die engen und krummen Strassen Roms schrieben von dieser +Zeit sich her - sich aus den Truemmern erheben, steht auch Rom wieder da in +seiner alten gebietenden Stellung; ja es ist nicht unwahrscheinlich, dass +dieses Ereignis wesentlich, wenn auch nicht im ersten Augenblick, dazu +beigetragen hat, dem Gegensatz zwischen Etrurien und Rom seine Schaerfe zu +nehmen und vor allem zwischen Latium und Rom die Bande der Einigkeit fester zu +knuepfen. Der Kampf der Gallier und Roemer ist, ungleich dem zwischen Rom und +Etrurien oder Rom und Samnium, nicht ein Zusammenstoss zweier politischer +Maechte, die einander bedingen und bestimmen; er ist den Naturkatastrophen +vergleichbar, nach denen der Organismus, wenn er nicht zerstoert wird, sofort +wieder sich ins gleiche setzt. Die Gallier sind noch oft wiedergekehrt nach +Latium; so im Jahre 387 (367), wo Camillus sie bei Alba schlug - der letzte +Sieg des greisen Helden, der sechsmal konsularischer Kriegstribun, fuenfmal +Diktator gewesen und viermal triumphierend auf das Kapitol gezogen war; im +Jahre 393 (361), wo der Diktator Titus Quinctius Pennus ihnen gegenueber keine +volle Meile von der Stadt an der Aniobruecke lagerte, aber ehe es noch zum +Kampfe gekommen war, der gallische Schwarm nach Kampanien weiterzog; im Jahre +394 (360), wo der Diktator Quintus Servilius Ahala vor dem Collinischen Tor mit +den aus Kampanien heimkehrenden Scharen stritt; im Jahre 396 (358), wo ihnen +der Diktator Gaius Sulpicius Peticus eine nachdrueckliche Niederlage +beibrachte; im Jahre 404 (350), wo sie sogar den Winter ueber auf dem Albaner +Berg kampierten und sich mit den griechischen Piraten an der Kueste um den Raub +schlugen, bis Lucius Furius Camillus, der Sohn des beruehmten Feldherrn, im +folgenden Jahr sie vertrieb - ein Ereignis, von dem der Zeitgenosse Aristoteles +(370-432 384-322) in Athen vernahm. Allein diese Raubzuege, wie schreckhaft und +beschwerlich sie sein mochten, waren mehr Ungluecksfaelle als politische +Ereignisse und das wesentlichste Resultat derselben, dass die Roemer sich +selbst und dem Auslande in immer weiteren Kreisen als das Bollwerk der +zivilisierten Nationen Italiens gegen den Anstoss der gefuerchteten Barbaren +erschienen - eine Auffassung, die ihre spaetere Weltstellung mehr als man meint +gefoerdert hat. +</p> + +<p> +Die Tusker, die den Angriff der Kelten auf Rom benutzt hatten, um Veii zu +berennen, hatten nichts ausgerichtet, da sie mit ungenuegenden Kraeften +erschienen waren; kaum waren die Barbaren abgezogen, als der schwere Arm +Latiums sie mit unvermindertem Gewicht traf. Nach wiederholten Niederlagen der +Etrusker blieb das ganze suedliche Etrurien bis zu den Ciminischen Huegeln in +den Haenden der Roemer, welche in den Gebieten von Veii, Capena und Falerii +vier neue Buergerbezirke einrichteten (367 387) und die Nordgrenze sicherten +durch die Anlage der Festungen Sutrium (371 383) und Nepete (381 373). Mit +raschen Schritten ging dieser fruchtbare und mit roemischen Kolonisten bedeckte +Landstrich der vollstaendigen Romanisierung entgegen. Um 396 (358) versuchten +zwar die naechstliegenden etruskischen Staedte Tarquinii, Caere, Falerii sich +gegen die roemischen Uebergriffe aufzulehnen, und wie tief die Erbitterung war, +die dieselben in Etrurien erweckt hatten, zeigt die Niedermetzlung der +saemtlichen, im ersten Feldzug gemachten roemischen Gefangenen, +dreihundertundsieben an der Zahl, auf dem Marktplatz von Tarquinii; allein es +war die Erbitterung der Ohnmacht. Im Frieden (403 351) musste Caere, das, als +den Roemern zunaechst gelegen, am schwersten buesste, die halbe Landmark an Rom +abtreten und mit dem geschmaelerten Gebiet, das ihm blieb, aus dem etruskischen +Bunde aus- und in das Untertanenverhaeltnis zu Rom treten, welches inzwischen +zunaechst fuer einzelne latinische Gemeinden aufgekommen war. Es schien indes +nicht ratsam, dieser entfernteren und von der roemischen stammverschiedenen +Gemeinde diejenige kommunale Selbstaendigkeit zu belassen, welche den +untertaenigen Gemeinden Latiums noch verblieben war; man gab der caeritischen +Gemeinde das roemische Buergerrecht nicht bloss ohne aktives und passives +Wahlrecht in Rom, sondern auch unter Entziehung der Selbstverwaltung, so dass +an die Stelle der eigenen Beamten bei der Rechtspflege und Schatzung die +roemischen traten und am Orte selbst ein Vertreter (praefectus) des roemischen +Praetors die Verwaltung leitete - eine hier zuerst begegnende staatsrechtliche +Form der Untertaenigkeit, wodurch der bisher selbstaendige Staat in eine +rechtlich fortbestehende, aber jeder eigenen Bewegung beraubte Gemeinde +umgewandelt ward. Nicht lange nachher (411 343) trat auch Falerii, das seine +urspruengliche latinische Nationalitaet auch unter der Tuskerherrschaft sich +bewahrt hatte, aus dem etruskischen Bunde aus und in ewigen Bund mit Rom; damit +war ganz Suedetrurien in der einen oder anderen Form der roemischen Suprematie +unterworfen. Tarquinii und wohl das noerdliche Etrurien ueberhaupt begnuegte +man sich, durch einen Friedensvertrag auf 400 Monate fuer lange Zeit zu fesseln +(403 351). +</p> + +<p> +Auch im noerdlichen Italien ordneten sich allmaehlich die durch und gegen +einander stuermenden Voelker wieder in dauernder Weise und in festere Grenzen. +Die Zuege ueber die Alpen hoerten auf, zum Teil wohl infolge der verzweifelten +Verteidigung der Etrusker in ihrer beschraenkteren Heimat und der ernstlichen +Gegenwehr der maechtigen Roemer, zum Teil wohl auch infolge uns unbekannter +Veraenderungen im Norden der Alpen. Zwischen Alpen und Apenninen bis hinab an +die Abruzzen waren jetzt die Kelten im allgemeinen die herrschende Nation und +namentlich die Herren des ebenen Landes und der reichen Weiden; aber bei ihrer +schlaffen und oberflaechlichen Ansiedlungsweise wurzelte ihre Herrschaft nicht +tief in der neu gewonnenen Landschaft und gestaltete sich keineswegs zum +ausschliesslichen Besitz. Wie es in den Alpen stand und wie hier keltische +Ansiedler mit aelteren etruskischen oder andersartigen Staemmen sich +vermischten, gestattet unsere ungenuegende Kunde ueber die Nationalitaet der +spaeteren Alpenvoelker nicht auszumachen; nur die Raeter in dem heutigen +Graubuenden und Tirol duerfen als ein wahrscheinlich etruskischer Stamm +bezeichnet werden. Die Taeler des Apennin behielten die Umbrer, den +nordoestlichen Teil des Potals die anderssprachigen Veneter im Besitz; in den +westlichen Bergen behaupteten sich ligurisch: Staemme, die bis Pisa und Arezzo +hinab wohnten und das eigentliche Keltenland von Etrurien schieden. Nur in dem +mittleren Flachland hausten die Kelten, noerdlich vom Po die Insubrer und +Cenomaner, suedlich die Boier, an der adriatischen Kueste von Ariminum bis +Ankon, in der sogenannten “Gallierlandschaft” (ager Gallicus) die +Senonen, kleinerer Voelkerschaften zu geschweigen. Aber selbst hier muessen die +etruskischem Ansiedlungen zum Teil wenigstens fortbestanden haben, etwa wie +Ephesos und Milet griechisch blieben unter persischer Oberherrlichkeit. Mantua +wenigstens, das durch seine Insellage geschuetzt war, war noch in der +Kaiserzeit eine tuskische Stadt und auch in Atria am Po, wo zahlreiche +Vasenfunde gemacht sind, scheint das etruskische Wesen fortbestanden zu haben; +noch die unter dem Namen des Skylax bekannte, um 418 (336) abgefasste +Kuestenbeschreibung nennt die Gegend von Atria und Spina tuskisches Land. Nur +so erklaert sich auch, wie etruskische Korsaren bis weit ins fuenfte +Jahrhundert hinein das Adriatische Meer unsicher machen konnten, und weshalb +nicht bloss Dionysios von Syrakus die Kuesten desselben mit Kolonien bedeckte, +sondern selbst Athen noch um 429 (325), wie eine kuerzlich entdeckte +merkwuerdige Urkunde lehrt, zum Schutz der Kauffahrer gegen die tyrrhenischen +Kaper die Anlage einer Kolonie im Adriatischen Meere beschloss. +</p> + +<p> +Aber mochte hier mehr oder weniger von etruskischem Wesen sich behaupten, es +waren das einzelne Truemmer und Splitter der frueheren Machtentwicklung; der +etruskischen Nation kam nicht mehr zugute, was hier im friedlichen Verkehr oder +im Seekrieg von einzelnen noch etwa erreicht ward. Dagegen gingen +wahrscheinlich von diesen halbfreien Etruskern die Anfaenge derjenigen +Zivilisation aus, die wir spaeterhin bei den Kelten und ueberhaupt den +Alpenvoelkern finden. Schon dass die Keltenschwaerme in den lombardischen +Ebenen, mit dem sogenannten Skylax zu reden, das Kriegerleben aufgaben und sich +bleibend ansaessig machten, gehoert zum Teil hierher; aber auch die Anfaenge +der Handwerke und Kuenste und das Alphabet sind den lombardischen Kelten, ja +den Alpenvoelkern bis in die heutige Steiermark hinein durch die Etrusker +zugekommen. +</p> + +<p> +Also blieben nach dem Verlust der Besitzungen in Kampanien und der ganzen +Landschaft noerdlich vom Apennin und suedlich vom Ciminischen Walde den +Etruskern nur sehr beschraenkte Grenzen: die Zeiten der Macht und des +Aufstrebens waren fuer sie auf immer vorueber. In engster Wechselwirkung mit +diesem aeusseren Sinken steht der innere Verfall der Nation, zu dem die Keime +freilich wohl schon weit frueher gelegt worden waren. Die griechischen +Schriftsteller dieser Zeit sind voll von Schilderungen der masslosen Ueppigkeit +des etruskischen Lebens: unteritalische Dichter des fuenften Jahrhunderts der +Stadt preisen den tyrrhenischen Wein und die gleichzeitigen Geschichtschreiber +Timaeos und Theopomp entwerfen Bilder von der etruskischen Weiberzucht und der +etruskischen Tafel, welche der aergsten byzantinischen und franzoesischen +Sittenlosigkeit nichts nachgeben. Wie wenig beglaubigt das einzelne in diesen +Berichten auch ist, so scheint doch mindestens die Angabe begruendet zu sein, +dass die abscheuliche Lustbarkeit der Fechterspiele, der Krebsschaden des +spaeteren Rom und ueberhaupt der letzten Epoche des Altertums, zuerst bei den +Etruskern aufgekommen ist; und jedenfalls lassen sie im ganzen keinen Zweifel +an der tiefen Entartung der Nation. Auch die politischen Zustaende derselben +sind davon durchdrungen. So weit unsere duerftige Kunde reicht, finden wir +aristokratische Tendenzen vorwiegend, in aehnlicher Weise wie gleichzeitig in +Rom, aber schroffer und verderblicher. Die Abschaffung des Koenigtums, die um +die Zeit der Belagerung Veiis schon in allen Staaten Etruriens durchgefuehrt +gewesen zu sein scheint, rief in den einzelnen Staedten ein Patrizierregiment +hervor, das durch das lose eidgenossenschaftliche Band sich nur wenig +beschraenkt sah. Selten nur gelang es, selbst zur Landesverteidigung alle +etruskischen Staedte zu vereinigen, und Volsiniis nominelle Hegemonie haelt +nicht den entferntesten Vergleich aus mit der gewaltigen Kraft, die durch Roms +Fuehrung die latinische Nation empfing. Der Kampf gegen die ausschliessliche +Berechtigung der Altbuerger zu allen Gemeindestellen und allen +Gemeindenutzungen, der auch den roemischen Staat haette verderben muessen, wenn +nicht die aeusseren Erfolge es moeglich gemacht haetten, die Ansprueche der +gedrueckten Proletarier auf Kosten fremder Voelker einigermassen zu befriedigen +und dem Ehrgeiz andere Bahnen zu oeffnen - dieser Kampf gegen das politische +und was in Etrurien besonders hervortritt, gegen das priesterliche Monopol der +Adelsgeschlechter muss Etrurien staatlich, oekonomisch und sittlich zugrunde +gerichtet haben. Ungeheure Vermoegen, namentlich an Grundbesitz, konzentrierten +sich in den Haenden von wenigen Adligen, waehrend die Massen verarmten; die +sozialen Umwaelzungen, die hieraus entstanden, erhoehten die Not, der sie +abhelfen sollten, und bei der Ohnmacht der Zentralgewalt blieb zuletzt den +bedraengten Aristokraten, zum Beispiel in Arretium 453 (301), in Volsinii 488 +(266) nichts uebrig, als die Roemer zu Hilfe zu rufen, die denn zwar der +Unordnung, aber zugleich auch dem Rest von Unabhaengigkeit ein Ende machten. +Die Kraft des Volkes war gebrochen seit dem Tage von Veii und Melpum; es wurden +wohl einige Male noch ernstliche Versuche gemacht, sich der roemischen +Oberherrschaft zu entziehen, aber wenn es geschah, kam die Anregung dazu den +Etruskern von aussen, von einen andern italischen Stamm, den Samniten. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap05"></a>KAPITEL V.<br/> +Die Unterwerfung der Latiner und Kampaner unter Rom</h2> + +<p> +Das grosse Werk der Koenigszeit war Roms Herrschaft ueber Latium in der Form +der Hegemonie. Dass die Umwandlung der roemischen Verfassung sowohl auf das +Verhaeltnis der roemischen Gemeinde zu Latium wie auf die innere Ordnung der +latinischen Gemeinden selbst nicht ohne maechtige Rueckwirkung bleiben konnte, +leuchtet an sich ein und geht auch aus der Ueberlieferung hervor; von den +Schwankungen, in welche durch die Revolution in Rom die roemisch-latinische +Eidgenossenschaft geriet, zeugt die in ungewoehnlich lebhaften Farben +schillernde Sage von dem Siege am Regiller See, den der Diktator oder Konsul +Aulus Postumius (255? 258? 499 496) mit Hilfe der Dioskuren ueber die Latiner +gewonnen haben soll, und bestimmter die Erneuerung des ewigen Bundes zwischen +Rom und Latium durch Spurius Cassius in seinem zweiten Konsulat (261 493). +Indes geben diese Erzaehlungen eben ueber die Hauptsache, das Rechtsverhaeltnis +der neuen roemischen Republik zu der latinischen Eidgenossenschaft, am +wenigsten Aufschluss; und was wir sonst ueber dasselbe wissen, ist zeitlos +ueberliefert und kann nur nach ungefaehrer Wahrscheinlichkeit hier eingereiht +werden. +</p> + +<p> +Es liegt im Wesen der Hegemonie, dass sie durch das blosse innere Schwergewicht +der Verhaeltnisse allmaehlich in die Herrschaft uebergeht; auch die roemische +ueber Latium hat davon keine Ausnahme gemacht. Sie war begruendet auf die +wesentliche Rechtsgleichheit des roemischen Staates und der latinischen +Eidgenossenschaft; aber wenigstens im Kriegswesen und in der Behandlung der +gemachten Eroberungen trug dies Verhaeltnis des Einheitsstaates einer- und des +Staatenbundes anderseits die Hegemonie der Sache nach in sich. Nach der +urspruenglichen Bundesverfassung war wahrscheinlich das Recht zu Krieg und +Vertrag mit auswaertigen Staaten, also die volle staatliche Selbstbestimmung +sowohl Rom wie den einzelnen Staedten des latinischen Bundes gewahrt, und es +stellte auch wohl bei gemeinschaftlicher Kriegfuehrung Rom wie Latium das +gleiche Kontingent, in der Regel jedes ein “Heer” von 8400 Mann ^1; +aber den Oberbefehl fuehrte der roemische Feldherr, welcher dann die +Stabsoffiziere, also die Teilfuehrer (tribuni militum), nach eigener Wahl +ernannte. Im Falle des Sieges wurden die bewegliche Beute wie das eroberte Land +zwischen Rom und der Eidgenossenschaft geteilt, und wenn man in dem eroberten +Gebiet Festungen anzulegen beschloss, so wurde nicht bloss deren Besatzung und +Bevoelkerung teils aus roemischen, teils aus eidgenoessischen Aussendlingen +gebildet, sondern auch die neugegruendete Gemeinde als souveraener Bundesstaat +in die latinische Eidgenossenschaft aufgenommen und mit Sitz und Stimme auf der +latinischen Tagsatzung ausgestattet. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Die urspruengliche Gleichheit der beiden Armeen geht schon aus Liv. 1, 52; +8, 8, 14 und Dion. Hal. 8, 15, am deutlichsten aber aus Polyb. 6, 26 hervor. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +Diese Bestimmungen werden wahrscheinlich schon in der Koenigszeit, sicher in +der republikanischen Epoche sich mehr und mehr zu Ungunsten der +Eidgenossenschaft verschoben und Roms Hegemonie weiter entwickelt haben. Am +fruehesten fiel ohne Zweifel weg das Kriegs- und Vertragsrecht der +Eidgenossenschaft gegenueber dem Ausland ^2; Krieg und Vertrag kam ein fuer +allemal an Rom. Die Stabsoffiziere fuer die latinischen Truppen muessen in +aelterer Zeit wohl ebenfalls Latiner gewesen sein; spaeter wurden dazu wo nicht +ausschliesslich, doch vorwiegend roemische Buerger genommen ^3. Dagegen wurde +nach wie vor der latinischen Eidgenossenschaft insgesamt kein staerkeres +Kontingent zugemutet als das von der roemischen Gemeinde gestellte war; und +ebenso war der roemische Oberfeldherr gehalten, die latinischen Kontingente +nicht zu zersplittern, sondern den von jeder Gemeinde gesandten Zuzug als +besondere Heerabteilung unter dem von der Gemeinde bestellten Anfuehrer ^4 +zusammenzuhalten. Das Anrecht der latinischen Eidgenossenschaft auf einen +Anteil an der beweglichen Beute wie an dem eroberten Lande blieb formell +bestehen; aber der Sache nach ist der wesentliche Kriegsertrag ohne Zweifel +schon in frueher Zeit an den fuehrenden Staat gekommen. Selbst bei der Anlegung +der Bundesfestungen oder der sogenannten latinischen Kolonien waren in der +Regel vermutlich die meisten und nicht selten alle Ansiedler Roemer; und wenn +auch dieselben durch die Uebersiedelung aus roemischen Buergern Buerger einer +eidgenoessischen Gemeinde wurden, so blieb doch wohl der neugepflanzten +Ortschaft haeufig eine ueberwiegende und fuer die Eidgenossenschaft +gefaehrliche Anhaenglichkeit an die wirkliche Mutterstadt. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^2 Dass in den spaeteren Bundesvertraegen zwischen Rom und Latium es den +latinischen Gemeinden untersagt war ihre Kontingente von sich aus zu +mobilisieren und allein ins Feld zu senden, sagt ausdruecklich Dionysios (8, +15). +</p> + +<p> +^3 Diese latinischen Stabsoffiziere sind die zwoelf praefecti sociorum, welche +spaeterhin, als die alte Phalanx sich in die spaeteren Legionen und alae +aufgeloest hatte, ebenso je sechs und sechs den beiden alae der +Bundesgenossenkontingente vorstehen, wie die zwoelf Kriegstribunen des +roemischen Heeres je sechs und sechs den beiden Legionen. Dass der Konsul jene +wie urspruenglich auch diese ernennt, sagt Polyb. 6 26, 5. Da nun nach dem +alten Rechtssatz, dass jeder Heerespflichtige Offizier werden kann, es +gesetzlich dem Heerfuehrer gestattet war, einen Latiner zum Fuehrer einer +roemischen wie umgekehrt einen Roemer zum Fuehrer einer latinischen Legion zu +bestellen, so fuehrte dies praktisch dazu, dass die tribuni militum durchaus +und die praefecti sociorum wenigstens in der Regel Roemer waren. +</p> + +<p> +^4 Dies sind die decuriones turmarum und praefecti cohortium (Polyb. 6, 21, 5; +Liv. 25, 14; Sall. Iug. 69 und sonst). Natuerlich wurden, wie die roemischen +Konsuln von Rechts wegen, in der Regel auch tatsaechlich Oberfeldherren waren, +vielleicht durchaus, mindestens sehr haeufig auch in den abhaengigen Staedten +die Gemeindevorsteher an die Spitze der Gemeindekontingente gestellt (Liv. 23, +19; Orelli 7022); wie denn selbst der gewoehnliche Name der latinischen +Obrigkeiten (praetores) sie als Offiziere bezeichnet. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Die Rechte dagegen, welche die Bundesvertraege dem einzelnen Buerger einer der +verbuendeten Gemeinden in jeder Bundesstadt zusicherten, wurden nicht +beschraenkt. Es gehoerten dahin namentlich die volle Rechtsgleichheit in Erwerb +von Grundbesitz und beweglicher Habe, in Handel und Wandel, Ehe und Testament, +und die unbeschraenkte Freizuegigkeit, sodass der in einer Bundesstadt +verbuergerte Mann nicht bloss in jeder andern sich niederzulassen rechtlich +befugt war, sondern auch daselbst als Rechtsgenosse (municeps) mit Ausnahme der +passiven Wahlfaehigkeit an allen privaten und politischen Rechten und Pflichten +teilnahm, sogar wenigstens in der nach Distrikten berufenen Gemeindeversammlung +in einer freilich beschraenkten Weise zu stimmen befugt war ^5. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +^5 Es wurde ein solcher Insasse nicht wie der wirkliche Mitbuerger einem ein +fuer allemal bestimmten Stimmbezirk zugeteilt, sondern vor jeder einzelnen +Abstimmung nach Stimmbezirken der, in dem die Insassen diesmal zu stimmen +hatten, durch das Los festgestellt. Der Sache nach kam dies wohl darauf hinaus, +dass in der roemischen Tribusversammlung den Latinern eine Stimme eingeraeumt +ward. Da der Platz in irgendeiner Tribus die Vorbedingung des ordentlichen +Zenturiatstimmrechts war, so muss, wenn die Insassen auch in der +Zenturienversammlung mitgestimmt haben, was wir nicht wissen, fuer diese eine +aehnliche Losung festgesetzt gewesen sein. An den Kurien werden sie gleich den +Plebejern teilgenommen haben. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +So etwa mag in der ersten republikanischen Zeit das Verhaeltnis der roemischen +Gemeinde zu der latinischen Eidgenossenschaft beschaffen gewesen sein, ohne +dass sich ausmachen liesse, was darin auf aeltere Satzungen und was auf die +Buendnisrevision von 261 (493) zurueckgeht. +</p> + +<p> +Mit etwas groesserer Sicherheit darf die Umgestaltung der Ordnungen der +einzelnen zu der latinischen Eidgenossenschaft gehoerigen Gemeinden nach dem +Muster der roemischen Konsularverfassung als Neuerung bezeichnet und in diesen +Zusammenhang gestellt werden. Denn obgleich die verschiedenen Gemeinden zu der +Abschaffung des Koenigtums an sich recht wohl voneinander unabhaengig gelangt +sein koennen, so verraet doch die gleichartige Benennung der neuen +Jahreskoenige in der roemischen und den uebrigen Gemeindeverfassungen von +Latium sowie die weitgreifende Anwendung des so eigentuemlichen +Kollegialitaetsprinzips ^6 augenscheinlich einen aeusseren Zusammenhang; irgend +einmal nach der Vertreibung der Tarquinier aus Rom muessen durchaus die +latinischen Gemeindeordnungen nach dem Schema der Konsularverfassung revidiert +worden sein. Es kann nun freilich diese Ausgleichung der latinischen +Verfassungen mit derjenigen der fuehrenden Stadt moeglicherweise erst einer +spaeteren Epoche angehoeren; indes spricht die innere Wahrscheinlichkeit +vielmehr dafuer, dass der roemische Adel, nachdem er bei sich die Abschaffung +des lebenslaenglichen Koenigtums bewirkt hatte, dieselbe Verfassungsaenderung +auch den Gemeinden der latinischen Eidgenossenschaft angesonnen und, trotz des +ernsten und den Bestand des roemisch-latinischen Bundes selbst in Frage +stellenden Widerstandes, welchen teils die vertriebenen Tarquinier, teils die +koeniglichen Geschlechter und koeniglich gesinnten Parteien der uebrigen +Gemeinden Latiums geleistet zu haben scheinen, schliesslich in ganz Latium die +Adelsherrschaft eingefuehrt hat. Die eben in diese Zeit fallende gewaltige +Machtentwicklung Etruriens, die stetigen Angriffe der Veienter, der Heereszug +des Porsena moegen wesentlich dazu beigetragen haben, die latinische Nation bei +der einmal festgestellten Form der Einigung, das heisst bei der fortwaehrenden +Anerkennung der Oberherrlichkeit Roms festzuhalten und dem zuliebe eine ohne +Zweifel auch im Schosse der latinischen Gemeinden vielfach vorbereitete +Verfassungsaenderung, ja vielleicht selbst eine Steigerung der hegemonischen +Rechte sich gefallen zu lassen. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +^6 Regelmaessig stehen bekanntlich die latinischen Gemeinden unter zwei +Praetoren. Daneben kommen in einer Reihe von Gemeinden auch Einzelbeamte vor, +welche dann den Diktatortitel fuehren - so in Alba (Orelli-Henzen 2293), +Tusculum, Lanuvium (Cic. Mil. 10, 27;17, 45; Ascon. Mil. p. 32 Orelli, Orelli +2786, 5157, 6086), Compitum (Orelli 3324), Nomentum (Orelli 208, 6138, 7032; +vgl. W. Henzen in Bullettino dell’ Istituto 1858, S. 169) und Aricia +(Orelli 1455). Dazu kommt der aehnliche Diktator in der civitas sine suffragio +Caere (Orelli 3787, 5772; auch Garrucci, Diss. arch. Bd. 1, S. 31, obwohl irrig +nach Sutrium gesetzt); ferner die gleichnamigen Beamten von Fidenae (Orelli +112). Alle diese Aemter oder aus Aemtern hervorgegangenen Priestertuemer (der +Diktator von Caere ist zu erklaeren nach Liv. 9, 43: Anagninis - magistratibus +praeter quam sacrorum curatione interdictum) sind jaehrig (Orelli 208). Auch +der Bericht Macers und der aus ihm schoepfenden Annalisten, dass Alba schon zur +Zeit seines Falls nicht mehr unter Koenigen, sondern unter Jahresdiktatoren +gestanden habe (Dion. Hal. 5, 74; Plut. Rom. 27; Liv. 1, 23), ist vermutlich +bloss eine Folgerung aus der ihm bekannten Institution der ohne Zweifel gleich +der nomentanischen jaehrigen sacerdotalen albanischen Diktatur, bei welcher +Darstellung ueberdies die demokratische Parteistellung ihres Urhebers mit im +Spiel gewesen sein wird. Es steht dahin, ob der Schluss gueltig ist und nicht, +auch wenn Alba zur Zeit seiner Aufloesung unter lebenslaenglichen Herrschern +stand, die Abschaffung des Koenigtums in Rom nachtraeglich die Verwandlung der +albanischen Diktatur in ein Jahramt herbeifuehren konnte. +</p> + +<p> +All diese latinischen Magistraturen kommen in der Sache wie besonders auch in +den Namen wesentlich mit der in Rom durch die Revolution festgestellten Ordnung +in einer Weise ueberein, die durch die blosse Gleichartigkeit der politischen +Grundverhaeltnisse nicht genuegend erklaert wird. +</p> + +<p> +————————————————————- +</p> + +<p> +Die dauernd geeinigte Nation vermochte es, ihre Machtstellung nach allen Seiten +hin nicht bloss zu behaupten, sondern auch zu erweitern. Dass die Etrusker nur +kurze Zeit im Besitze der Suprematie ueber Latium blieben und die Verhaeltnisse +hier bald wieder in die Lage zurueckkamen, welche sie in der Koenigszeit gehabt +hatten, wurde schon dargestellt; zu einer eigentlichen Erweiterung der +roemischen Grenzen kam es aber nach dieser Seite hin erst mehr als ein +Jahrhundert nach der Vertreibung der Koenige aus Rom. +</p> + +<p> +Mit den Sabinern, die das Mittelgebirge von den Grenzen der Umbrer bis hinab zu +der Gegend zwischen Tiber und Anio einnahmen und die in der Epoche, in welche +die Anfaenge Roms fallen, bis nach Latium selbst kaempfend und erobernd +vordrangen, haben spaeterhin die Roemer trotz der unmittelbaren Nachbarschaft +sich verhaeltnismaessig wenig beruehrt. Die schwache Teilnahme derselben an dem +verzweifelten Widerstand der oestlichen und suedlichen Nachbarvoelker geht +selbst aus den Berichten der Jahrbuecher noch hervor und, was wichtiger ist, es +begegnen hier keine Zwingburgen, wie sie namentlich in dem volskischen Gebiet +so zahlreich angelegt worden sind. Vielleicht haengt dies damit zusammen, dass +die sabinischen Scharen wahrscheinlich eben um diese Zeit sich ueber +Unteritalien ergossen; gelockt von den anmutigen Sitzen am Tifernus und +Volturnus scheinen sie wenig in die Kaempfe eingegriffen zu haben, deren +Schauplatz das Gebiet suedlich vom Tiber war. +</p> + +<p> +Bei weitem heftiger und dauernder war der Widerstand der Aequer, die, oestlich +von Rom bis in die Taeler des Turano und Salto und am Nordrande des Fuciner +Sees sitzend, mit den Sabinern und Marsern grenzten ^7, und der Volsker, welche +suedlich von den um Ardea sesshaften Rutulern und den suedwaerts bis Cora sich +erstreckenden Latinern die Kueste bis nahe an die Muendung des Lirisflusses +nebst den vorliegenden Inseln und im Innern das ganze Stromgebiet des Liris +besassen. Die mit diesen beiden Voelkern sich jaehrlich erneuernden Fehden, die +in der roemischen Chronik so berichtet werden, dass der unbedeutendste +Streifzug von dem folgenreichen Kriege kaum unterschieden und der historische +Zusammenhang gaenzlich beiseite gelassen wird, sollen hier nicht erzaehlt +werden; es genuegt hinzuweisen auf die dauernden Erfolge. Deutlich erkennen +wir, dass es den Roemern und Latinern vor allem darauf ankam, die Aequer von +den Volskern zu trennen und der Kommunikationen Herr zu werden; in der Gegend +zwischen dem Suedabhang des Albaner Gebirges, den volskischen Bergen und den +Pomptinischen Suempfen scheinen ueberdies die Latiner und die Volsker zunaechst +sich beruehrt und selbst gemischt durcheinander gesessen zu haben ^8. In dieser +Gegend haben die Latiner die ersten Schritte getan ueber ihre Landesgrenze +hinaus und sind Bundesfestungen im Fremdland, sogenannte latinische Kolonien +zuerst angelegt worden, in der Ebene Velitrae (angeblich um 260 494) unter dem +Albaner Gebirge selbst und Suessa in der pomptinischen Niederung, in den Bergen +Norba (angeblich 262 492) und Signia (angeblich verstaerkt 259 495), welche +beide auf den Verbindungspunkten zwischen der aequischen und volskischen +Landschaft liegen. Vollstaendiger noch ward der Zweck erreicht durch den +Beitritt der Herniker zu dem Bunde der Latiner und Roemer (268 486), welcher +die Volsker vollstaendig isolierte und dem Bunde eine Vormauer gewaehrte gegen +die suedlich und oestlich wohnenden sabellischen Staemme; man begreift es, +weshalb dem kleinen Volk volle Gleichheit mit den beiden anderen in Rat und +Beuteanteil zugestanden ward. Die schwaecheren Aequer waren seitdem wenig +gefaehrlich; es genuegte, von Zeit zu Zeit einen Pluenderzug gegen sie zu +unternehmen. Auch die Rutuler, welche in der Kuestenebene suedlich mit Latium +grenzten, unterlagen frueh; ihre Stadt Ardea wurde schon im Jahre 312 (442) in +eine latinische Kolonie umgewandelt ^9. Ernstlicher widerstanden die Volsker. +Der erste namhafte Erfolg, den nach den oben erwaehnten die Roemer ihnen +abgewannen, ist, merkwuerdig genug, die Gruendung von Circeii im Jahre 361 +(393), das, solange Antium und Tarracina noch frei waren, nur zu Wasser mit +Latium in Verbindung gestanden haben kann. Antium zu besetzen, ward oft +versucht und gelang auch voruebergehend 287 (467); aber 295 (459) machte die +Stadt sich wieder frei, und erst nach dem gallischen Brande erhielten infolge +eines heftigen dreizehnjaehrigen Krieges (365-377 389-377) die Roemer die +entschiedene Oberhand im antiatischen und pomptinischen Gebiet. Satricum, +unweit Antium, wurde im Jahre 369 (385) mit einer latinischen Kolonie belegt, +nicht lange nachher wahrscheinlich Antium selbst sowie Tarracina ^10, das +pomptinische Gebiet ward durch die Anlage der Festung Setia (372 382, +verstaerkt 375 379) gesichert und in den Jahren 371 f. (383) in Ackerlose und +Buergerbezirke verteilt. Seitdem haben die Volsker wohl noch sich empoert, aber +keine Kriege mehr gegen Rom gefuehrt. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +^7 Die Landschaft der Aequer umfasst nicht bloss das Tal des Anio oberhalb von +Tibur und das Gebiet der spaeteren latinischen Kolonien Carsioli (am oberen +Turano) und Alba (am Fuciner See), sondern auch den Bezirk des spaeteren +Municipiums der Aequiculi welche nichts sind als derjenige Rest der Aequer, +welchem nach der Unterwerfung durch die Roemer und nach der Assignierung des +groessten Teils des Gebiets an roemische oder latinische Kolonisten die +munizipale Selbstaendigkeit verblieb. +</p> + +<p> +^8 Allem Anschein nach ist Velitrae, obwohl in der Ebene gelegen, urspruenglich +volskisch und also latinische Kolonie, Cora dagegen auf dem Volskergebirge +urspruenglich latinisch. +</p> + +<p> +^9 Nicht lange nachher muss die Gruendung des Dianahains im Walde von Aricia +erfolgt sein, welche nach Catos Bericht (orig. p. 12 Jordan) ein tusculanischer +Diktator vollzog fuer die Stadtgemeinden des alten Latiums Tusculum, Aricia, +Lanuvium, Laurentum, Cora und Tibur und die beiden latinischen Kolonien (welche +deshalb an der letzten Stelle stehen) Suessa Pometia und Ardea (populus +Ardeatis Rutulus). Das Fehlen Praenestes und der kleineren Gemeinden des alten +Latium zeigt, wie es auch in der Sache liegt, dass nicht saemtliche Gemeinden +des damaligen Latinischen Bundes sich an der Weihung beteiligten. Dass sie vor +372 (382) faellt, beweist das Auftreten von Pometia und das Verzeichnis stimmt +voellig zu dem, was anderweitig ueber den Bestand des Bundes kurz nach dem +Zutritt von Ardea sich ermitteln laesst. +</p> + +<p> +Den ueberlieferten Jahreszahlen der Gruendungen darf mehr als den meisten der +aeltesten Ueberlieferungen Glauben beigemessen werden, da die den italischen +Staedten gemeinsame Jahreszaehlung ab urbe condita allem Anschein nach das +Gruendungsjahr der Kolonien durch unmittelbare Ueberlieferung bewahrt hat. +</p> + +<p> +^10 Als latinische Gemeinden erscheinen beide in dem sogenannten Cassischen +Verzeichnis um 372 (382) nicht, wohl aber in dem karthagischen Vertrag vom +Jahre 406 (348); in der Zwischenzeit also sind die Staedte latinische Kolonien +geworden. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Aber je entschiedenere Erfolge der Bund der Roemer, Latiner und Herniker gegen +die Etrusker, Aequer, Volsker und Rutuler davontrug, desto mehr entwich aus ihm +die Eintracht. Die Ursache lag zum Teil wohl in der frueher dargestellten, aus +den bestehenden Verhaeltnissen mit innerer Notwendigkeit sich entwickelnden, +aber darum nicht weniger schwer auf Latium lastenden Steigerung der +hegemonischen Gewalt Roms, zum Teil in einzelnen gehaessigen Ungerechtigkeiten +der fuehrenden Gemeinde. Dahin gehoeren vornehmlich der schmaehliche +Schiedsspruch zwischen den Aricinern und den Rutulern in Ardea 308 (446), wo +die Roemer, angerufen zu kompromissarischer Entscheidung ueber ein zwischen den +beiden Gemeinden streitiges Grenzgebiet, dasselbe fuer sich nahmen, und als +ueber diesen Spruch in Ardea innere Streitigkeiten entstanden, das Volk zu den +Volskern sich schlagen wollte, waehrend der Adel an Rom festhielt, die noch +schaendlichere Ausnutzung dieses Haders zu der schon erwaehnten Aussendung +roemischer Kolonisten in die reiche Stadt, unter die die Laendereien der +Anhaenger der antiroemischen Partei ausgeteilt wurden (312 442). Hauptsaechlich +indes war die Ursache, weshalb der Bund sich innerlich aufloeste, eben die +Niederwerfung der gemeinschaftlichen Feinde; die Schonung von der einen, die +Hingebung von der anderen Seite hatte ein Ende, seitdem man gegenseitig des +anderen nicht mehr meinte zu beduerfen. Zum offenen Bruche zwischen den +Latinern und Hernikern einer- und den Roemern anderseits gab die naechste +Veranlassung teils die Einnahme Roms durch die Kelten und dessen dadurch +herbeigefuehrte augenblickliche Schwaeche, teils die definitive Besetzung und +Aufteilung des pomptinischen Gebiets; bald standen die bisherigen Verbuendeten +gegeneinander im Felde. Schon hatten latinische Freiwillige in grosser Anzahl +an dem letzten Verzweiflungskampf der Antiaten teilgenommen; jetzt mussten die +namhaftesten latinischen Staedte: Lanuvium (371 383), Praeneste (372-374, 400 +382-380, 354), Tusculum (373 381), Tibur (394, 400 360, 354) und selbst +einzelne der im Volskerland von dem roemisch-latinischen Bunde angelegten +Festungen wie Velitrae und Circeii mit den Waffen bezwungen werden, ja die +Tiburtiner scheuten sich sogar nicht, mit den eben einmal wieder einrueckenden +gallischen Scharen gemeinschaftliche Sache gegen Rom zu machen. Zum +gemeinschaftlichen Aufstand kam es indes nicht und ohne viel Muehe bemeisterte +Rom die einzelnen Staedte; Tusculum ward sogar (373 381) genoetigt, seine +politische Selbstaendigkeit aufzugeben und in den roemischen Buergerverband als +untertaenige Gemeinde (civitas sine suffragio) einzutreten, so dass die Stadt +ihre Mauern und eine wenn auch beschraenkte Selbstverwaltung, darum auch eigene +Beamten und eine eigene Buergerversammlung behielt, dagegen aber ihre Buerger +als roemische das aktive und passive Wahlrecht entbehrten - der erste Fall, +dass eine ganze Buergerschaft dem roemischen Gemeinwesen als abhaengige +Gemeinde einverleibt wurde. +</p> + +<p> +Ernster war der Kampf gegen die Herniker (392-396 362-358), in dem der erste +der Plebs angehoerige konsularische Oberfeldherr Lucius Genucius fiel; allein +auch hier siegten die Roemer. Die Krise endigte damit, dass die Vertraege +zwischen Rom und der latinischen wie der hernikischen Eidgenossenschaft im +Jahre 396 (358) erneuert wurden. Der genauere Inhalt derselben ist nicht +bekannt, aber offenbar fuegten beide Eidgenossenschaften abermals und +wahrscheinlich unter haerteren Bedingungen sich der roemischen Hegemonie. Die +in demselben Jahr erfolgte Einrichtung zweier neuer Buergerbezirke im +pomptinischen Gebiet zeigt deutlich die gewaltig vordringende roemische Macht. +</p> + +<p> +In offenbarem Zusammenhang mit dieser Krise in dem Verhaeltnis zwischen Rom und +Latium steht die um das Jahr 370 (384) erfolgte Schliessung der latinischen +Eidgenossenschaft ^11, obwohl es nicht sicher zu bestimmen ist, ob sie Folge +oder, wie wahrscheinlicher, Ursache der eben geschilderten Auflehnung Latiums +gegen Rom war. Nach dem bisherigen Recht war jede von Rom und Latium +gegruendete souveraene Stadt unter die am Bundesfest und Bundestag +teilberechtigten Kommunen eingetreten, wogegen umgekehrt jede einer anderen +Stadt inkorporierte und also staatlich vernichtete Gemeinde aus der Reihe der +Bundesglieder gestrichen ward. Dabei ward indes nach latinischer Art die einmal +feststehende Zahl von dreissig foederierten Gemeinden in der Art festgehalten, +dass von den teilnehmenden Staedten nie mehr und nie weniger als dreissig +stimmberechtigt waren und eine Anzahl spaeter eingetretener oder auch ihrer +Geringfuegigkeit oder begangener Vergehen wegen zurueckgesetzter Gemeinden des +Stimmrechts entbehrten. Hiernach war der Bestand der Eidgenossenschaft um das +Jahr 370 (384) folgender Art. Von altlatinischen Ortschaften waren, ausser +einigen jetzt verschollenen oder doch der Lage nach unbekannten, noch autonom +und stimmberechtigt zwischen Tiber und Anio Nomentum, zwischen dem Anio und dem +Albaner Gebirg Tibur, Gabii, Scaptia, Labici ^12, Pedum und Praeneste, am +Albaner Gebirg Corbio, Tusculum, Bovillae, Aricia, Corioli und Lanuvium, in den +volskischen Bergen Cora, endlich in der Kuestenebene Laurentum. Dazu kamen die +von Rom und dem latinischen Bunde angelegten Kolonien: Ardea im ehemaligen +Rutulergebiet und in dem der Volsker Satricum, Velitrae, Norba, Signia, Setia +und Circeii. Ausserdem hatten siebzehn andere Ortschaften, deren Namen nicht +sicher bekannt sind, das Recht der Teilnahme am Latinerfest ohne Stimmrecht. +Auf diesem Bestande von siebenundvierzig teil- und dreissig stimmberechtigten +Orten blieb die latinische Eidgenossenschaft seitdem unabaenderlich stehen; +weder sind die spaeter gegruendeten latinischen Gemeinden, wie Sutrium, Nepete, +Antium, Tarracina, Cales, unter dieselben eingereiht, noch die spaeter der +Autonomie entkleideten latinischen Gemeinden, wie Tusculum und Lanuvium, aus +dem Verzeichnis gestrichen. +</p> + +<p> +————————————————————- +</p> + +<p> +^11 In dem von Dionysios (5, 61) mitgeteilten Verzeichnis der dreissig +latinischen Bundesstaedte, dem einzigen, das wir besitzen, werden genannt die +Ardeaten, Ariciner, Bovillaner, Bubentaner (unbekannter Lage), Corner (vielmehr +Coraner), Carventaner (unbekannter Lage), Circeienser, Coriolaner, Corbinter, +Cabaner (vielleicht die Cabenser am Albaner Berg, Bullettino dell’ +Istituto 1861, S. 205), Fortineer (unbekannt), Gabiner, Laurenter, Lanuviner, +Lavinaten, Labicaner, Nomentaner, Norbaner, Praenestiner, Pedaner, +Querquetulaner (unbekannter Lage), Satricaner, Scaptiner, Senner, Tiburtiner, +Tusculaner, Tellenier (unbekannter Lage), Toleriner (unbekannter Lage) und +Veliterner. Die gelegentlichen Erwaehnungen teilnahmeberechtigter Gemeinden, +wie von Ardea (Liv. 32, 1), Laurentum (Liv. 37, 3), Lanuvium (Liv. 41, 16), +Bovillae, Gabii, Labici (Cic. Planc. 9, 23) stimmen mit diesem Verzeichnis. +Dionysios teilt es bei Gelegenheit der Kriegserklaerung Latiums gegen Rom im +Jahre 256 (498) mit, und es lag darum nahe, wie dies Niebuhr getan, dies +Verzeichnis als der bekannten Bundeserneuerung vom Jahre 261 (493) entlehnt zu +betrachten. Allein da in diesem nach dem latinischen Alphabet geordneten +Verzeichnis der Buchstabe g an der Stelle erscheint, die er zur Zeit der Zwoelf +Tafeln sicher noch nicht hatte und schwerlich vor dem fuenften Jahrhundert +bekommen hat (mein Die unteritalischen Dialekte. Leipzig 1850, S. 33), so muss +dasselbe einer viel juengeren Quelle entnommen sein; und es ist bei weitem die +einfachste Annahme, darin das Verzeichnis derjenigen Orte zu erkennen die +spaeterhin als die ordentlichen Glieder der latinischen Eidgenossenschaft +betrachtet wurden und die Dionysios, seiner pragmatisierenden Gewohnheit +gemaess, als deren urspruenglichen Bestand auffuehrt. Es erscheint in dem +Verzeichnis, wie es zu erwarten war, keine einzige nichtlatinische Gemeinde; +dasselbe zaehlt lediglich urspruenglich latinische oder mit latinischen +Kolonien belegte Orte auf - Corbio und Corioli wird niemand als Ausnahme +geltend machen. Vergleicht man nun mit diesem Register das der latinischen +Kolonien so sind bis zum Jahre 372 (382) gegruendet worden Suessa Pometia, +Velitrae, Norba, Signia, Ardea, Circeii (361 393), Satricum (369 385), Sutrium +(371 383), Nepete (371), Setia (372 382). Von den letzten drei ungefaehr +gleichzeitigen koennen sehr wohl die beiden etruskischen etwas spaeter datieren +als Setia, da ja die Gruendung jeder Stadt eine gewisse Zeitdauer in Anspruch +nahm und unsere Liste von kleineren Ungenauigkeiten nicht frei sein kann. Nimmt +man dies an, so enthaelt das Verzeichnis saemtliche bis zum Jahre 372 (382) +ausgefuehrte Kolonien einschliesslich der beiden bald nachher aus dem +Verzeichnis gestrichenen Satricum, zerstoert 377 (377), und Velitrae, des +latinischen Rechts entkleidet 416 (338); es fehlen nur Suessa Pometia, ohne +Zweifel als vor dem Jahre 372 (382) zerstoert, und Signia, wahrscheinlich weil +im Text des Dionysios, der nur neunundzwanzig Namen nennt, hinter ΣΗΤΙΝΩΝ +ausgefallen ist ΣΙΓΝΙΝΩΝ. Im vollkommenen Einklang hiermit mangeln in diesem +Verzeichnis ebenso alle nach dem Jahre 372 (382) gegruendeten latinischen +Kolonien wie alle Orte, die wie Ostia, Antemnae, Alba vor dem Jahre 370 (384) +der roemischen Gemeinde inkorporiert wurden, wogegen die spaeter einverleibten, +wie Tusculum, Lanuvium, Velitrae, in demselben stehen geblieben sind. +</p> + +<p> +Was das von Plinius mitgeteilte Verzeichnis von zweiunddreissig zu +Plinius’ Zeit untergegangenen, ehemals am Albanischen Fest beteiligten +Ortschaften betrifft, so bleiben nach Abzug von sieben, die auch bei Dionysios +stehen (denn die Cusuetaner des Plinius scheinen die Dionysischen Carventaner +zu sein) noch fuenfundzwanzig, meistenteils ganz unbekannte Ortschaften ohne +Zweifel teils jene siebzehn nicht stimmenden Gemeinden, groesstenteils wohl +eben die aeltesten, spaeter zurueckgestellten Glieder der albanischen +Festgenossenschaft, teils eine Anzahl anderer untergegangener oder +ausgestossener Bundesglieder, zu welchen letzteren vor allem der alte, auch von +Plinius genannte Vorort Alba gehoert. +</p> + +<p> +^12 Allerdings berichtet Livius (4, 47), dass Labici im Jahre 336 (418) Kolonie +geworden sei. Allein abgesehen davon, dass Diodor (13, 6) hierueber schweigt, +kann Labici weder eine Buergerkolonie geworden sein, da die Stadt teils nicht +an der Kueste lag, teils auch spaeter noch im Besitz der Autonomie erscheint, +noch eine latinische, da es kein einziges zweites Beispiel einer im +urspruenglichen Latium angelegten latinischen Kolonie gibt noch nach dem Wesen +dieser Gruendungen geben kann. Hoechst wahrscheinlich ist hier wie anderswo, da +zumal als verteiltes Ackermass zwei Iugera genannt werden, die gemeine Buerger- +mit der kolonialen Assignation verwechselt worden. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +Mit dieser Schliessung der Eidgenossenschaft haengt auch die geographische +Fixierung des Umfanges von Latium zusammen. Solange die latinische +Eidgenossenschaft noch offen war, hatte auch die Grenze von Latium mit der +Anlage neuer Bundesstaedte sich vorgeschoben; aber wie die juengeren +latinischen Kolonien keinen Anteil am Albaner Fest erhielten, galten sie auch +geographisch nicht als Teil von Latium - darum werden wohl Ardea und Circeii, +nicht aber Sutrium und Tarracina zur Landschaft Latium gerechnet. +</p> + +<p> +Aber nicht bloss wurden die nach 370 (384) mit latinischem Recht ausgestatteten +Orte von der eidgenoessischen Gemeinschaft ferngehalten, sondern es wurden +dieselben auch privatrechtlich insofern voneinander isoliert, als die Verkehrs- +und wahrscheinlich auch die Ehegemeinschaft (commercium et conubium) einer +jeden von diesen Gemeinden zwar mit der roemischen, nicht aber mit den uebrigen +latinischen gestattet ward, so dass also zum Beispiel der Buerger von Sutrium +wohl in Rom, aber nicht in Praeneste einen Acker zu vollem Eigentum besitzen +und wohl von einer Roemerin, nicht aber von einer Tiburtinerin rechte Kinder +gewinnen konnte ^13. +</p> + +<p> +——————————————————————————— +</p> + +<p> +^13 Diese Beschraenkung der alten vollen latinischen Rechtsgemeinschaft +begegnet zwar zuerst in der Vertragserneuerung von 416 (338) (Liv. 8, 14); da +indes das Isolierungssystem, von dem dieselbe ein wesentlicher Teil ist, zuerst +fuer die nach 370 (384) ausgefuehrten latinischen Kolonien begann und 416 (338) +nur generalisiert ward, so war diese Neuerung hier zu erwaehnen. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +Wenn ferner bisher innerhalb der Eidgenossenschaft eine ziemlich freie Bewegung +gestattet worden war und zum Beispiel die sechs altlatinischen Gemeinden +Aricia, Tusculum, Tibur, Lanuvium, Cora und Laurentum und die zwei +neulatinischen Ardea und Suessa Pometia der aricinischen Diana ein Heiligtum +gemeinschaftlich hatten stiften duerfen, so findet von aehnlichen der +roemischen Hegemonie Gefahr drohenden Sonderkonfoederationen, ohne Zweifel +nicht zufaellig, in spaeterer Zeit sich kein weiteres Beispiel. +</p> + +<p> +Ebenso wird man die weitere Umgestaltung der latinischen Gemeindeverfassungen +und ihre voellige Ausgleichung mit der Verfassung Roms dieser Epoche +zuschreiben duerfen; denn wenn als notwendiger Bestandteil der latinischen +Magistratur neben den beiden Praetoren spaeterhin die beiden mit der Markt- und +Strassenpolizei und der dazu gehoerigen Rechtspflege betrauten Aedilen +erscheinen, so hat diese offenbar gleichzeitig und auf Anregung der fuehrenden +Macht in allen Bundesgemeinden erfolgte Einsetzung staedtischer +Polizeibehoerden sicher nicht vor der in das Jahr 387 (367) fallenden +Einrichtung der kurulischen Aedilitaet in Rom, aber wahrscheinlich auch eben um +diese Zeit stattgefunden. Ohne Zweifel war diese Anordnung nur das Glied einer +Kette von bevormundenden und die bundesgenoessischen Gemeindeordnungen im +polizeilich-aristokratischen Sinne umgestaltenden Massregeln. +</p> + +<p> +Offenbar fuehlte Rom nach dem Fall von Veii und der Eroberung des pomptinischen +Gebietes sich maechtig genug, um die Zuegel der Hegemonie straffer anzuziehen +und die saemtlichen latinischen Staedte in eine so abhaengige Stellung zu +bringen, dass sie faktisch vollstaendig untertaenig wurden. In dieser Zeit (406 +348) verpflichteten sich die Karthager in dem mit Rom abgeschlossenen +Handelsvertrag, den Latinern, die Rom botmaessig seien, namentlich den +Seestaedten Ardea, Antium, Circeii, Tarracina, keinen Schaden zuzufuegen; +wuerde aber eine der latinischen Staedte vom roemischen Buendnis abgefallen +sein, so sollten die Phoeniker dieselbe angreifen duerfen, indes, wenn sie sie +etwa erobern wuerden, gehalten sein, sie nicht zu schleifen, sondern sie den +Roemern zu ueberliefern. Hier liegt es vor, durch welche Ketten die roemische +Gemeinde ihre Schutzstaedte an sich band und was eine Stadt, die der +einheimischen Schutzherrschaft sich entzog, dadurch einbuesste und wagte. +</p> + +<p> +Zwar blieb auch jetzt noch wenn nicht der hernikischen, doch wenigstens der +latinischen Eidgenossenschaft ihr formelles Anrecht auf den dritten Teil von +Kriegsgewinn und wohl noch mancher andere Ueberrest der ehemaligen +Rechtsgleichheit; aber was nachweislich verloren ging, war wichtig genug, um +die Erbitterung begreiflich zu machen, welche in dieser Zeit unter den Latinern +gegen Rom herrschte. Nicht bloss fochten ueberall, wo Heere gegen Rom im Felde +standen, latinische Reislaeufer zahlreich unter der fremden Fahne gegen ihre +fuehrende Gemeinde; sondern im Jahre 405 (349) beschloss sogar die latinische +Bundesversammlung, den Roemern den Zuzug zu verweigern. Allen Anzeichen nach +stand eine abermalige Schilderhebung der gesamten latinischen +Bundesgenossenschaft in nicht ferner Zeit bevor; und eben jetzt drohte ein +Zusammenstoss mit einer anderen italischen Nation, die wohl imstande war, der +vereinigten Macht des latinischen Stammes ebenbuertig zu begegnen. Nach der +Niederwerfung der noerdlichen Volsker stand den Roemern im Sueden zunaechst +kein bedeutender Gegner gegenueber; unaufhaltsam naeherten ihre Legionen sich +dem Liris. Im Jahre 397 (357) ward gluecklich gekaempft mit den Privernaten, +409 (345) Sora am oberen Liris besetzt. Schon standen also die roemischen Heere +an der Grenze der Samniten, und das Freundschaftsbuendnis, das im Jahre 400 +(354) die beiden tapfersten und maechtigsten italischen Nationen miteinander +schlossen, war das sichere Vorzeichen des herannahenden und mit der Krise +innerhalb der latinischen Nation in drohender Weise sich verschlingenden +Kampfes um die Oberherrschaft Italiens. +</p> + +<p> +Die samnitische Nation, die, als man in Rom die Tarquinier austrieb, ohne +Zweifel schon seit laengerer Zeit im Besitz des zwischen der apulischen und der +kampanischen Ebene aufsteigenden und beide beherrschenden Huegellandes gewesen +war, war bisher auf der einen Seite durch die Daunier - Arpis Macht und Bluete +faellt in diese Zeit -, auf der andern durch die Griechen und Etrusker an +weiterem Vordringen gehindert worden. Aber der Sturz der etruskischen Macht um +das Ende des dritten (450), das Sinken der griechischen Kolonien im Laufe des +vierten Jahrhunderts (450-350) machten gegen Westen und Sueden ihnen Luft und +ein samnitischer Schwarm nach dem andern zog jetzt bis an, ja ueber die +sueditalischen Meere. Zuerst erschienen sie in der Ebene am Golf, wo der Name +der Kampaner seit dem Anfang des vierten Jahrhunderts vernommen wird; die +Etrusker wurden hier erdrueckt, die Griechen beschraenkt, jenen Capua (330 +424), diesen Kyme (334 420) entrissen. Um dieselbe Zeit, vielleicht schon +frueher, zeigen sich in Grossgriechenland die Lucaner, die im Anfang des +vierten Jahrhunderts mit Terinaeern und Thurinern im Kampf liegen und geraume +Zeit vor 364 (390) in dem griechischen Laos sich festsetzten. Um diese Zeit +betrug ihr Aufgebot 30000 Mann zu Fuss und 4000 Reiter. Gegen das Ende des +vierten Jahrhunderts ist zuerst die Rede von der gesonderten Eidgenossenschaft +der Brettier ^14, die, ungleich den andern sabellischen Staemmen, nicht als +Kolonie, sondern im Kampf von den Lucanern sich losgemacht und mit vielen +fremdartigen Elementen sich gemischt hatten. Wohl suchten die unteritalischen +Griechen sich des Andranges der Barbaren zu erwehren; der Achaeische +Staedtebund ward 361 (393) rekonstituiert und festgesetzt, dass, wenn eine der +verbuendeten Staedte von Lucanern angegriffen werde, alle Zuzug leisten und die +Fuehrer der ausbleibenden Heerhaufen Todesstrafe leiden sollten. Aber selbst +die Einigung Grossgriechenlands half nicht mehr, da der Herr von Syrakus, der +aeltere Dionysios, mit den Italikern gegen seine Landsleute gemeinschaftliche +Sache machte. Waehrend Dionysios den grossgriechischen Flotten die Herrschaft +ueber die italischen Meere entriss, ward von den Italikern eine Griechenstadt +nach der andern besetzt oder vernichtet; in unglaublich kurzer Zeit war der +bluehende Staedtering zerstoert oder veroedet. Nur wenigen griechischen Orten, +wie zum Beispiel Neapel, gelang es muehsam und mehr durch Vertraege als durch +Waffengewalt, wenigstens ihr Dasein und ihre Nationalitaet zu bewahren; +durchaus unabhaengig und maechtig blieb allein Tarent, das durch seine +entferntere Lage und durch seine in steten Kaempfen mit den Messapiern +unterhaltene Schlagfertigkeit sich aufrecht hielt, wenngleich auch diese Stadt +bestaendig mit den Lucanern um ihre Existenz zu fechten hatte und genoetigt +war, in oder griechischen Heimat Buendnisse und Soeldner zu suchen. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +^14 Der Name selbst ist uralt, ja der aelteste einheimische Name der Bewohner +des heutigen Kalabrien (Antiochos fr. 5 Mueller). Die bekannte Ableitung ist +ohne Zweifel erfunden. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +Um die Zeit, wo Veii und die pomptinische Ebene roemisch wurden, hatten die +samnitischen Scharen bereits ganz Unteritalien inne mit Ausnahme weniger und +unter sich nicht zusammenhaengender griechischer Pflanzstaedte und der +apulisch-messapischen Kueste. Die um 418 (336) abgefasste griechische +Kuestenbeschreibung setzt die eigentlichen Samniten mit ihren “fuenf +Zungen” von einem Meer zum andern an und am Tyrrhenischen neben sie in +noerdlicher Richtung die Kampaner, in suedlicher die Lucaner, unter denen hier +wie oefter die Brettier mitbegriffen sind und denen bereits die ganze Kueste +von Paestum am Tyrrhenischen bis nach Thurii am Ionischen Meer zugeteilt wird. +In der Tat, wer miteinander vergleicht, was die beiden grossen Nationen +Italiens, die latinische und die samnitische, errungen hatten, bevor sie sich +beruehrten, dem erscheint die Eroberungsbahn der letzteren bei weitem +ausgedehnter und glaenzender als die der Roemer. Aber der Charakter der +Eroberungen war ein wesentlich verschiedener. Von dem festen staedtischen +Mittelpunkt aus, den Latium im Rom besass, dehnt die Herrschaft dieses Stammes +langsam nach allen Seiten sich aus, zwar in verhaeltnismaessig engen Grenzen, +aber festen Fuss fassend, wo sie hintritt, teils durch Gruendung von +befestigten Staedten roemischer Art mit abhaengigem Bundesrecht, teils durch +Romanisierung des eroberten Gebiets. Anders in Samnium. Es gibt hier keine +einzelne fuehrende Gemeinde und darum auch keine Eroberungspolitik. Waehrend +die Eroberung des veientischen und pomptinischen Gebietes fuer Rom eine +wirkliche Machterweiterung war, wurde Samnium durch die Entstehung der +kampanischen Staedte, der lucanischen, der brettischen Eidgenossenschaft eher +geschwaecht als gestaerkt; denn jeder Schwarm, der neue Sitze gesucht und +gefunden hatte, ging fortan fuer sich seine Wege. Die samnitischen Scharen +erfuellen einen unverhaeltnismaessig weiten Raum, den sie ganz sich eigen zu +machen keineswegs bedacht sind; die groesseren Griechenstaedte, Tarent, Thurii, +Kroton, Metapont, Herakleia, Rhegion, Neapel, wenngleich geschwaecht und +oefters abhaengig, bestehen fort, ja selbst auf dem platten Lande und in den +kleineren Staedten werden die Hellenen geduldet, und Kyme zum Beispiel, +Poseidonia, Laos, Hipponion blieben, wie die erwaehnte Kuestenbeschreibung und +die Muenzen lehren, auch unter samnitischer Herrschaft noch Griechenstaedte. So +entstanden gemischte Bevoelkerungen, wie denn namentlich die zwiesprachigen +Brettier ausser samnitischen auch hellenische Elemente und selbst wohl +Ueberreste der alten Autochthonen in sich aufnahmen; aber auch in Lucanien und +Kampanien muessen in minderem Grade aehnliche Mischungen stattgefunden haben. +Dem gefaehrlichen Zauber der hellenischen Kultur konnte auch die samnitische +Nation sich nicht entziehen, am wenigsten in Kampanien, wo Neapel frueh mit den +Einwanderern sich auf freundlichen Verkehr stellte und wo der Himmel selbst die +Barbaren humanisierte. Nola, Nuceria, Teanum, obwohl rein samnitischer +Bevoelkerung, nahmen griechische Weise und griechische Stadtverfassung an, wie +denn auch die heimische Gauverfassung unter den veraenderten Verhaeltnissen +unmoeglich fortbestehen konnte. Die kampanischen Samnitenstaedte begannen +Muenzen zu schlagen, zum Teil mit griechischer Aufschrift; Capua ward durch +Handel und Ackerbau der Groesse nach die zweite Stadt Italiens, die erste an +Ueppigkeit und Reichtum. Die tiefe Entsittlichung, worin den Berichten der +Alten zufolge diese Stadt es allen uebrigen italischen zuvorgetan hat, spiegelt +sich namentlich in dem Werbewesen und in den Fechterspielen, die beide vor +allem in Capua zur Bluete gelangt sind. Nirgends fanden die Werber so +zahlreichen Zulauf wie in dieser Metropole der entsittlichten Zivilisation; +waehrend Capua selbst sich vor den Angriffen der nachdraengenden Samniten nicht +zu bergen wusste, stroemte die streitbare kampanische Jugend unter +selbstgewaehlten Condottieren massenweise namentlich nach Sizilien. Wie tief +diese Landknechtfahrten in die Geschicke Italiens eingriffen, wird spaeter noch +darzustellen sein; fuer die kampanische Weise sind sie ebenso bezeichnend wie +die Fechterspiele, die gleichfalls in Capua zwar nicht ihre Entstehung, aber +ihre Ausbildung empfingen. Hier traten sogar waehrend des Gastmahls +Fechterpaare auf und ward deren Zahl je nach dem Rang der geladenen Gaeste +abgemessen. Diese Entartung der bedeutendsten samnitischen Stadt, die wohl ohne +Zweifel auch mit dem hier noch nachwirkenden etruskischen Wesen eng +zusammenhaengt, musste fuer die ganze Nation verhaengnisvoll werden; wenn auch +der kampanische Adel es verstand, mit dem tiefsten Sittenverfall ritterliche +Tapferkeit und hohe Geistesbildung zu verbinden, so konnte er doch fuer seine +Nation nimmermehr werden, was die roemische Nobilitaet fuer die latinische war. +Aehnlich wie auf die Kampaner, wenn auch in minderer Staerke, wirkte der +hellenische Einfluss auf die Lucaner und Brettier. Die Graeberfunde in all +diesen Gegenden beweisen, wie die griechische Kunst daselbst mit barbarischem +Luxus gepflegt ward; der reiche Gold- und Bernsteinschmuck, das prachtvolle +gemalte Geschirr, wie wir sie jetzt den Haeusern der Toten entheben, lassen +ahnen, wie weit man hier schon sich entfernt hatte von der alten Sitte der +Vaeter. Andere Spuren bewahrt die Schrift; die altnationale aus dem Norden +mitgebrachte ward von den Lucanern und Brettiern aufgegeben und mit der +griechischen vertauscht, waehrend in Kampanien das nationale Alphabet und wohl +auch die Sprache unter dem bildenden Einfluss der griechischen sich +selbstaendig entwickelte zu groesserer Klarheit und Feinheit. Es begegnen sogar +einzelne Spuren des Einflusses griechischer Philosophie. +</p> + +<p> +Nur das eigentliche Samnitenland blieb unberuehrt von diesen Neuerungen, die, +so schoen und natuerlich sie teilweise sein mochten, doch maechtig dazu +beitrugen, das von Haus aus schon lose Band der nationalen Einheit immer mehr +zu lockern. Durch den Einfluss des hellenischen Wesens kam ein tiefer Riss in +den samnitischen Stamm. Die gesitteten “Philhellenen” Kampaniens +gewoehnten sich, gleich den Hellenen selbst, vor den rauheren Staemmen der +Berge zu zittern, die ihrerseits nicht aufhoerten, in Kampanien einzudringen +und die entarteten aelteren Ansiedler zu beunruhigen. Rom war ein geschlossener +Staat, der ueber die Kraft von ganz Latium verfuegte; die Untertanen mochten +murren, aber sie gehorchten. Der samnitische Stamm war zerfahren und +zersplittert, und die Eidgenossenschaft im eigentlichen Samnium hatte sich zwar +die Sitten und die Tapferkeit der Vaeter ungeschmaelert bewahrt, war aber auch +darueber mit den uebrigen samnitischen Voelker- und Buergerschaften voellig +zerfallen. +</p> + +<p> +In der Tat war es dieser Zwist zwischen den Samniten der Ebene und den Samniten +der Gebirge, der die Roemer ueber den Liris fuehrte. Die Sidiciner in Teanum, +die Kampaner in Capua suchten gegen die eigenen Landsleute, die mit immer neuen +Schwaermen ihr Gebiet brandschatzten und darin sich festzusetzen drohten, Hilfe +bei den Roemern (411 343). Als das begehrte Buendnis verweigert ward, bot die +kampanische Gesandtschaft die Unterwerfung der Stadt unter die Oberherrlichkeit +Roms an, und solcher Lockung vermochten die Roemer nicht zu widerstehen. +Roemische Gesandte gingen zu den Samniten, ihnen den neuen Erwerb anzuzeigen +und sie aufzufordern, das Gebiet der befreundeten Macht zu respektieren. Wie +die Ereignisse weiter verliefen, ist im einzelnen nicht mehr zu ermitteln ^15; +wir sehen nur, dass zwischen Rom und Samnium, sei es nach einem Feldzug, sei es +ohne vorhergehenden Krieg, ein Abkommen zustande kam, wodurch die Roemer freie +Hand erhielten gegen Capua, die Samniten gegen Teanum und die Volsker am oberen +Liris. Dass die Samniten sich dazu verstanden, erklaert sich aus den gewaltigen +Anstrengungen, die eben um diese Zeit die Tarentiner machten, sich der +sabellischen Nachbarn zu entledigen; aber auch die Roemer hatten guten Grund, +sich mit den Samniten so schnell wie moeglich abzufinden, denn der +bevorstehende Uebergang der suedlich an Latium angrenzenden Landschaft in +roemischen Besitz verwandelte die laengst unter den Latinern bestehende Gaerung +in offene Empoerung. Alle urspruenglich latinischen Staedte, selbst die in den +roemischen Buergerverband aufgenommenen Tusculaner ergriffen die Waffen gegen +Rom, mit einziger Ausnahme der Laurenter, waehrend dagegen von den ausserhalb +der Grenzen Latiums gegruendeten Kolonien nur die alten Volskerstaedte +Velitrae, Antium und Tarracina sich an der Auflehnung beteiligten. Dass die +Capuaner, ungeachtet der eben erst freiwillig den Roemern angetragenen +Unterwerfung, dennoch die erste Gelegenheit, der roemischen Herrschaft wieder +ledig zu werden, bereitwillig ergriffen und, trotz des Widerstandes der an dem +Vertrag mit Rom festhaltenden Optimatenpartei, die Gemeinde gemeinschaftliche +Sache mit der latinischen Eidgenossenschaft machte, ist erklaerlich; wogegen +die noch selbstaendigen Volskerstaedte, wie Fundi und Formiae, und die Herniker +sich gleich der kampanischen Aristokratie an diesem Aufstande nicht +beteiligten. Die Lage der Roemer war bedenklich; die Legionen, die ueber den +Liris gegangen waren und Kampanien besetzt hatten, waren durch den Aufstand der +Latiner von der Heimat abgeschnitten und nur ein Sieg konnte sie retten. Bei +Trifanum (zwischen Minturnae, Suessa und Sinuessa) ward die entscheidende +Schlacht geliefert (414 340): der Konsul Titus Manlius Imperiosus Torquatus +erfocht ueber die vereinigten Latiner und Kampaner einen vollstaendigen Sieg. +In den beiden folgenden Jahren wurden die einzelnen Staedte, soweit sie noch +Widerstand leisteten, durch Kapitulation oder Sturm bezwungen und die ganze +Landschaft zur Unterwerfung gebracht. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +^15 Vielleicht kein Abschnitt der roemischen Annalen ist aerger entstellt als +die Erzaehlung des ersten samnitisch-latinischen Krieges, wie sie bei Livius, +Dionysios, Appian steht oder stand. Sie lautet etwa folgendermassen. Nachdem +411 (343) beide Konsuln in Kampanien eingerueckt waren, erfocht zuerst der +Konsul Marcus Valerius Corvus am Berge Gaurus ueber die Samniten einen schweren +und blutigen Sieg; alsdann auch der Kollege Aulus Cornelius Cossus, nachdem er +der Vernichtung in einem Engpass durch Hingebung einer von dem Kriegstribun +Publius Decius gefuehrten Abteilung entgangen war. Die dritte und entscheidende +Schlacht ward am Eingang der Caudinischen Paesse bei Suessula von den beiden +Konsuln geschlagen; die Samniten wurden vollstaendig ueberwunden - man las +vierzigtausend ihrer Schilde auf dem Schlachtfelde auf - und zum Frieden +genoetigt, in welchem die Roemer Capua, das sich ihnen zu eigen gegeben, +behielten, Teanum dagegen den Samniten ueberliessen (413 341). Glueckwuensche +kamen von allen Seiten, selbst von Karthago. Die Latiner, die den Zuzug +verweigert hatten und gegen Rom zu ruesten schienen, wandten ihre Waffen statt +gegen Rom vielmehr gegen die Paeligner, waehrend die Roemer zunaechst durch +eine Militaerverschwoerung der in Kampanien zurueckgelassenen Besatzung (412 +342), dann durch die Einnahme von Privernum (413 341) und den Krieg gegen die +Antiaten beschaeftigt waren. Nun aber wechseln ploetzlich und seltsam die +Parteiverhaeltnisse. Die Latiner, die umsonst das roemische Buergerrecht und +Anteil am Konsulat gefordert hatten, erhoben sich gegen Rom in Gemeinschaft mit +den Sidicinern, die vergeblich den Roemern die Unterwerfung angetragen hatten +und vor den Samniten sich nicht zu retten wussten, und mit den Kampanern, die +der roemischen Herrschaft bereits muede waren. Nur die Laurenter in Latium und +die kampanischen Ritter hielten zu den Roemern, welche ihrerseits +Unterstuetzung fanden bei den Paelignern und den Samniten. Das latinische Heer +ueberfiel Samnium; das roemisch-samnitische schlug, nachdem es an den Fuciner +See und von da an Latium vorueber in Kampanien einmarschiert war, die +Entscheidungsschlacht gegen die vereinigten Latiner und Kampaner am Vesuv, +welche der Konsul Titus Manlius Imperiosus, nachdem er selbst durch die +Hinrichtung seines eigenen, gegen den Lagerbefehl siegenden Sohnes die +schwankende Heereszucht wiederhergestellt und sein Kollege Publius Decius Mus +die Goetter versoehnt hatte durch seinen Opfertod, endlich mit Aufbietung der +letzten Reserve gewann. Aber erst eine zweite Schlacht, die der Konsul Manlius +den Latinern und Kampanern bei Trifanum lieferte, machte dem Krieg ein Ende; +Latium und Capua unterwarfen sich und wurden um einen Teil ihres Gebietes +gestraft. +</p> + +<p> +Einsichtigen und ehrlichen Lesern wird es nicht entgehen, dass dieser Bericht +von Unmoeglichkeiten aller Art wimmelt. Dahin gehoert das Kriegfuehren der +Antiaten nach der Dedition von 377 (377) (Liv. 6, 33); der selbstaendige +Feldzug der Latiner gegen die Paeligner im schneidenden Widerspruch zu den +Bestimmungen der Vertraege zwischen Rom und Latium; der unerhoerte Marsch des +roemischen Heeres durch das marsische und samnitische Gebiet nach Capua, +waehrend ganz Latium gegen Rom in Waffen stand; um nicht zu reden von dem +ebenso verwirrten wie sentimentalen Bericht ueber den Militaeraufstand von 412 +(342) und den Geschichtchen von dem gezwungenen Anfuehrer desselben, dem lahmen +Titus Quinctius, dem roemischen Goetz von Berlichingen. Vielleicht noch +bedenklicher sind die Wiederholungen; so ist die Erzaehlung von dem +Kriegstribun Publius Decius nachgebildet der mutigen Tat des Marcus Calpurnius +Flamma, oder wie er sonst hiess, im Ersten Punischen Kriege; so kehrt die +Eroberung Privernums durch Gaius Plautius wieder im Jahre 425 (329), und nur +diese zweite ist in den Triumphalfasten verzeichnet; so der Opfertod des +Publius Decius bekanntlich bei dem Sohne desselben 459 (295). Ueberhaupt +verraet in diesem Abschnitt die ganze Darstellung eine andere Zeit und eine +andere Hand als die sonstigen glaubwuerdigeren annalistischen Berichte; die +Erzaehlung ist voll von ausgefuehrten Schlachtgemaelden; von eingewebten +Anekdoten, wie zum Beispiel der von dem setinischen Praetor, der auf den Stufen +des Rathauses den Hals bricht, weil er dreist genug gewesen war, das Konsulat +zu begehren, und den mannigfaltigen aus dem Beinamen des Titus Manlius +herausgesponnenen; von ausfuehrlichen und zum Teil bedenklichen +archaeologischen Digressionen, wohin zum Beispiel die Geschichte der Legion +(von der die hoechst wahrscheinlich apokryphe Notiz ueber die aus Roemern und +Latinern gemischten Manipel des zweiten Tarquinius bei Liv. 1, 52 offenbar ein +zweites Bruchstueck ist), die verkehrte Auffassung des Vertrages zwischen Capua +und Rom (meine Geschichte des roemischen Muenzwesens. Breslau 1860, S. 334, A. +122), die Devotionsformulare, der kampanische Denar, das laurentische Buendnis, +die bina iugera bei der Assignation gehoeren. Unter solchen Umstaenden +erscheint es von grossem Gewicht, dass Diodoros, der anderen und oft aelteren +Berichten folgt, von all diesen Ereignissen schlechterdings nichts kennt als +die letzte Schlacht bei Trifanum; welche auch in der Tat schlecht passt zu der +uebrigen Erzaehlung, die nach poetischer Gerechtigkeit schliessen sollte mit +dem Tode des Decius. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +Die Folge des Sieges war die Aufloesung des latinischen Bundes. Derselbe wurde +aus einer selbstaendigen politischen Konfoederation in eine bloss religioese +Festgenossenschaft umgewandelt; die altverbrieften Rechte der Eidgenossenschaft +auf ein Maximum der Truppenaushebung und einen Anteil an dem Kriegsgewinn +gingen damit als solche zu Grunde, und was derart spaeter noch vorkam, traegt +den Charakter der Gnadenbewilligung. An die Stelle des einen Vertrages zwischen +Rom einer- und der latinischen Eidgenossenschaft anderseits traten im besten +Fall ewige Buendnisse zwischen Rom und den einzelnen eidgenoessischen Orten. Zu +diesem Vertragsverhaeltnis wurden von den altlatinischen Orten ausser Laurentum +auch Tibur und Praeneste zugelassen, welche indes Stuecke ihres Gebiets an Rom +abtreten mussten. Gleiches Recht erhielten die ausserhalb Latium gegruendeten +Gemeinden latinischen Rechts, soweit sie sich nicht an dem Kriege beteiligt +hatten. Die Isolierung der Gemeinden gegeneinander, welche fuer die nach dem +Jahre 370 (384) gegruendeten Orte bereits frueher festgestellt worden war, ward +also auf die gesamte Nation erstreckt. Im uebrigen blieben den einzelnen Orten +die bisherigen Gerechtsame und ihre Autonomie. Die uebrigen altlatinischen +Gemeinden sowie die abgefallenen Kolonien verloren saemtlich die +Selbstaendigkeit und traten in einer oder der anderen Form in den roemischen +Buergerverband ein. Die beiden wichtigsten Kuestenstaedte Antium (416 338) und +Tarracina (425 329) wurden, nach dem Muster von Ostia, mit roemischen +Vollbuergern besetzt und auf eine engbegrenzte kommunale Selbstaendigkeit +beschraenkt, die bisherigen Buerger zu Gunsten der roemischen Kolonisten ihres +Grundeigentums grossenteils beraubt und, soweit sie es behielten, ebenfalls in +den Vollbuergerverband aufgenommen. Lanuvium, Aricia, Nomentum, Pedum wurden +roemische Buergergemeinden mit beschraenkter Selbstverwaltung nach dem Muster +von Tusculum (l, 360). Velitraes Mauern wurden niedergerissen, der Senat in +Masse ausgewiesen und im roemischen Etrurien interniert, die Stadt +wahrscheinlich als untertaenige Gemeinde nach caeritischem Recht konstituiert. +Von dem gewonnenen Acker wurde ein Teil, zum Beispiel die Laendereien der +veliternischen Ratsmitglieder, an roemische Buerger verteilt; mit diesen +Einzelassignationen haengt die Errichtung zweier neuer Buergerbezirke im Jahre +422 (332) zusammen. Wie tief man in Rom die ungeheure Bedeutung des gewonnenen +Erfolges empfand, zeigt die Ehrensaeule, die man dem siegreichen Buergermeister +des Jahres 416 (338), Gaius Maenius, auf dem roemischen Markte errichtete, und +die Schmueckung der Rednertribuene auf demselben mit den Schnaebeln der +unbrauchbar befundenen antiatischen Galeeren. +</p> + +<p> +In gleicher Weise ward in dem suedlichen volskischen und dem kampanischen +Gebiet die roemische Herrschaft durchgefuehrt und befestigt. Fundi, Formiae, +Capua, Kyme und eine Anzahl kleinerer Staedte wurden abhaengige roemische +Gemeinden mit Selbstverwaltung; um das vor allem wichtige Capua zu sichern, +erweiterte man kuenstlich die Spaltung zwischen Adel und Gemeinde, revidierte +die Gemeindeverfassung im roemischen Interesse und kontrollierte die +staedtische Verwaltung durch jaehrlich nach Kampanien gesandte roemische +Beamte. Dieselbe Behandlung widerfuhr einige Jahre darauf dem volskischen +Privernum, dessen Buerger, unterstuetzt von dem kuehnen fundanischen +Parteigaenger Vitruvius Vaccus, die Ehre hatten, fuer die Freiheit dieser +Landschaft den letzten Kampf zu kaempfen - er endigte mit der Erstuermung der +Stadt (425 329) und der Hinrichtung des Vaccus im roemischen Kerker. Um eine +eigene roemische Bevoelkerung in diesen Gegenden emporzubringen, teilte man von +den im Krieg gewonnenen Laendereien, namentlich im privernatischen und im +falernischen Gebiet, so zahlreiche Ackerlose an roemische Buerger aus, dass +wenige Jahre nachher (436 318) auch dort zwei neue Buergerbezirke errichtet +werden konnten. Die Anlegung zweier Festungen als Kolonien latinischen Rechts +sicherte schliesslich das neu gewonnene Land. Es waren dies Cales (420 334) +mitten in der kampanischen Ebene, von wo aus Teanum und Capua beobachtet werden +konnten, und Fregellae (426 328), das den Uebergang ueber den Liris +beherrschte. Beide Kolonien waren ungewoehnlich stark und gelangten schnell zur +Bluete, trotz der Hindernisse, welche die Sidiciner der Gruendung von Cales, +die Samniten der von Fregellae in den Weg legten. Auch nach Sora ward eine +roemische Besatzung verlegt, worueber die Samniten, denen dieser Bezirk +vertragsmaessig ueberlassen worden war, sich mit Grund, aber vergeblich +beschwerten. Ungeirrt ging Rom seinem Ziel entgegen, seine energische und +grossartige Staatskunst mehr als auf dem Schlachtfelde offenbarend in der +Sicherung der gewonnenen Landschaft, die es politisch und militaerisch mit +einem unzerreissbaren Netze umflocht. +</p> + +<p> +Dass die Samniten das bedrohliche Vorschreiten der Roemer nicht gern sahen, +versteht sich; sie warfen ihnen auch wohl Hindernisse in den Weg, aber +versaeumten es doch jetzt, wo es vielleicht noch Zeit war, mit der von den +Umstaenden geforderten Energie ihnen die neue Eroberungsbahn zu verlegen. Zwar +Teanum scheinen sie nach dem Vertrag mit Rom eingenommen und stark besetzt zu +haben; denn waehrend die Stadt frueher Hilfe gegen Samnium in Capua und Rom +nachsucht, erscheint sie in den spaeteren Kaempfen als die Vormauer der +samnitischen Macht gegen Westen. Aber am oberen Liris breiteten sie wohl +erobernd und zerstoerend sich aus, versaeumten es aber, hier auf die Dauer sich +festzusetzen. So zerstoerten sie die Volskerstadt Fregellae, wodurch nur die +Anlage der eben erwaehnten roemischen Kolonie daselbst erleichtert ward, und +schreckten zwei andere Volskerstaedte, Fabrateria (Ceccano) und Luca +(unbekannter Lage), so, dass dieselben, Capuas Beispiel folgend, sich (424 330) +den Roemern zu eigen gaben. Die samnitische Eidgenossenschaft gestattete, dass +die roemische Eroberung Kampaniens eine vollendete Tatsache geworden war, bevor +sie sich ernstlich derselben widersetzte; wovon der Grund allerdings zum Teil +in den gleichzeitigen Fehden der samnitischen Nation mit den italischen +Hellenen, aber zum Teil doch auch in der schlaffen und zerfahrenen Politik der +Eidgenossenschaft zu suchen ist. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap06"></a>KAPITEL VI.<br/> +Die Italiker gegen Rom</h2> + +<p> +Waehrend die Roemer am Liris und Volturnus fochten, bewegten den Suedosten der +Halbinsel andere Kaempfe. Die reiche tarentinische Kaufmannsrepublik, immer +ernstlicher bedroht von den lucanischen und messapischen Haufen und ihren +eigenen Schwertern mit Recht misstrauend, gewann fuer gute Worte und besseres +Geld die Bandenfuehrer der Heimat. Der Spartanerkoenig Archidamos, der mit +einem starken Haufen den Stammgenossen zu Hilfe gekommen war, erlag an +demselben Tage, wo Philipp bei Chaeroneia siegte, den Lucanern (416 338); wie +die frommen Griechen meinten, zur Strafe dafuer, dass er und seine Leute +neunzehn Jahre frueher teilgenommen hatten an der Pluenderung des delphischen +Heiligtums. Seinen Platz nahm ein maechtigerer Feldhauptmann ein, Alexander der +Molosser, Bruder der Olympias, der Mutter Alexanders des Grossen. Mit den +mitgebrachten Scharen vereinigte er unter seinen Fahnen die Zuzuege der +Griechenstaedte, namentlich der Tarentiner und Metapontiner; ferner die +Poediculer (um Rubi, jetzt Ruvo), die gleich den Griechen sich von der +sabellischen Nation bedroht sahen; endlich sogar die lucanischen Verbannten +selbst, deren betraechtliche Zahl auf heftige innere Unruhen in dieser +Eidgenossenschaft schliessen laesst. So sah er sich bald dem Feinde ueberlegen. +Consentia (Cosenza), der Bundessitz, wie es scheint, der in Grossgriechenland +angesiedelten Sabeller, fiel in seine Haende. Umsonst kommen die Samniten den +Lucanern zu Hilfe; Alexander schlaegt ihre vereinigte Streitmacht bei Paestum, +er bezwingt die Daunier um Sipontum, die Messapier auf der suedoestlichen +Halbinsel; schon gebietet er von Meer zu Meer und ist im Begriff, den Roemern +die Hand zu reichen und mit ihnen gemeinschaftlich die Samniten in ihren +Stammsitzen anzugreifen. Aber so unerwartete Erfolge waren den Tarentiner +Kaufleuten unerwuenscht und erschreckend; es kam zum Kriege zwischen ihnen und +ihrem Feldhauptmann, der als gedungener Soeldner erschienen war und nun sich +anliess, als wolle er im Westen ein hellenisches Reich begruenden gleichwie +sein Neffe im Osten. Alexander war anfangs im Vorteil: er entriss den +Tarentinern Herakleia, stellte Thurii wieder her und scheint die uebrigen +italischen Griechen aufgerufen zu haben, sich unter seinem Schutz gegen die +Tarentiner zu vereinigen, indem er zugleich es versuchte, zwischen ihnen und +den sabellischen Voelkerschaften den Frieden zu vermitteln. Allein seine +grossartigen Entwuerfe fanden nur schwache Unterstuetzung bei den entarteten +und entmutigten Griechen und der notgedrungene Parteiwechsel entfremdete ihm +seinen bisherigen lucanischen Anhang; bei Pandosia fiel er von der Hand eines +lucanischen Emigrierten (422 332) ^1. Mit seinem Tode kehrten im wesentlichen +die alten Zustaende wieder zurueck. Die griechischen Staedte sahen sich +wiederum vereinzelt und wiederum lediglich darauf angewiesen, sich jede, so gut +es gehen mochte, zu schuetzen durch Vertrag oder Tributzahlung oder auch durch +auswaertige Hilfe, wie zum Beispiel Kroton um 430 (324) mit Hilfe von Syrakus +die Brettier zurueckschlug. Die samnitischen Staemme erhielten aufs neue das +Uebergewicht und konnten, unbekuemmert um die Griechen, wieder ihre Blicke nach +Kampanien und Latium wenden. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +^1 Es wird nicht ueberfluessig sein, daran zu erinnern, dass, was ueber +Archidamos und Alexander bekannt ist, aus griechischen Jahrbuechern herruehrt +und der Synchronismus dieser und der roemischen fuer die gegenwaertige Epoche +noch bloss approximativ festgestellt ist. Man huete sich daher, den im +allgemeinen unverkennbaren Zusammenhang der west- und der ostitalischen +Ereignisse zu sehr ins einzelne verfolgen zu wollen. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Hier aber war in der kurzen Zwischenzeit ein ungeheurer Umschwung eingetreten. +Die latinische Eidgenossenschaft war gesprengt und zertruemmert, der letzte +Widerstand der Volsker gebrochen, die kampanische Landschaft, die reichste und +schoenste der Halbinsel, im unbestrittenen und wohlbefestigten Besitz der +Roemer, die zweite Stadt Italiens in roemischer Klientel. Waehrend die Griechen +und Samniten miteinander rangen, hatte Rom fast unbestritten sich zu einer +Machtstellung emporgeschwungen, die zu erschuettern kein einzelnes Volk der +Halbinsel die Mittel mehr besass und die alle zugleich mit roemischer +Unterjochung bedrohte. Eine gemeinsame Anstrengung der jedes fuer sich Rom +nicht gewachsenen Voelker konnte vielleicht die Ketten noch sprengen, ehe sie +voellig sich befestigten; aber die Klarheit, der Mut, die Hingebung, wie eine +solche Koalition unzaehliger, bisher grossenteils feindlich oder doch fremd +sich gegenueberstehender Volks- und Stadtgemeinden sie erforderte, fanden sich +nicht oder doch erst, als es bereits zu spaet war. +</p> + +<p> +Nach dem Sturz der etruskischen Macht, nach der Schwaechung der griechischen +Republiken war naechst Rom unzweifelhaft die bedeutendste Macht in Italien die +samnitische Eidgenossenschaft und zugleich diejenige, die von den roemischen +Uebergriffen am naechsten und unmittelbarsten bedroht war. Ihr also kam es zu, +in dem Kampf um die Freiheit und die Nationalitaet, den die Italiker gegen Rom +zu fuehren hatten, die erste Stelle und die schwerste Last zu uebernehmen. Sie +durfte rechnen auf den Beistand der kleinen sabellischen Voelkerschaften, der +Vestiner, Frentaner, Marruciner und anderer kleinerer Gaue, die in baeuerlicher +Abgeschiedenheit zwischen ihren Bergen wohnten, aber nicht taub waren, wenn der +Aufruf eines verwandten Stammes sie mahnte, zur Verteidigung der gemeinsamen +Gueter die Waffen zu ergreifen. Wichtiger waere der Beistand der kampanischen +und grossgriechischen Hellenen, namentlich der Tarentiner, und der maechtigen +Lucaner und Brettier gewesen; allein teils die Schlaffheit und Fahrigkeit der +in Tarent herrschenden Demagogen und die Verwicklung der Stadt in die +sizilischen Angelegenheiten, teils die innere Zerrissenheit der lucanischen +Eidgenossenschaft, teils und vor allem die seit Jahrhunderten bestehende tiefe +Verfehdung der unteritalischen Hellenen mit ihren lucanischen Bedraengern +liessen kaum hoffen, dass Tarent und Lucanien gemeinschaftlich sich den +Samniten anschliessen wuerden. Von den Sabinern und den Marsern als den +naechsten und seit langem in friedlichem Verhaeltnis mit Rom lebenden Nachbarn +der Roemer war wenig mehr zu erwarten als schlaffe Teilnahme oder Neutralitaet; +die Apuler, die alten und erbitterten Gegner der Sabeller, waren die +natuerlichen Verbuendeten der Roemer. Dass dagegen die fernen Etrusker, wenn +ein erster Erfolg errungen war, dem Bunde sich anschliessen wuerden, liess sich +erwarten, und selbst ein Aufstand in Latium und dem Volsker- und Hernikerland +lag nicht ausser der Berechnung. Vor allen Dingen aber mussten die Samniten, +die italischen Aetoler, in denen die nationale Kraft noch ungebrochen lebte, +vertrauen auf die eigene Kraft, auf die Ausdauer im ungleichen Kampf, welche +den uebrigen Voelkern Zeit gab zu edler Scham, zu gefasster Ueberlegung, zum +Sammeln der Kraefte; ein einziger gluecklicher Erfolg konnte alsdann die +Kriegs- und Aufruhrsflammen rings um Rom entzuenden. Die Geschichte darf dem +edlen Volke das Zeugnis nicht versagen, dass es seine Pflicht begriffen und +getan hat. +</p> + +<p> +Mehrere Jahre schon waehrte der Hader zwischen Rom und Samnium infolge der +bestaendigen Uebergriffe, die die Roemer sich am Liris erlaubten und unter +denen die Gruendung von Fregellae 426 (328) der letzte und wichtigste war. Zum +Ausbruch des Kampfes aber gaben die Veranlassung die kampanischen Griechen. +Seitdem Cumae und Capua roemisch geworden waren, lag den Roemern nichts so nahe +wie die Unterwerfung der Griechenstadt Neapolis, die auch die griechischen +Inseln im Golf beherrschte, innerhalb des roemischen Machtgebiets die einzige +noch nicht unterworfene Stadt. Die Tarentiner und Samniten, unterrichtet von +dem Plane der Roemer, sich der Stadt zu bemaechtigen, beschlossen, ihnen +zuvorzukommen; und wenn die Tarentiner nicht sowohl zu fern als zu schlaff +waren, um diesen Plan auszufuehren, so warfen die Samniten in der Tat eine +starke Besatzung hinein. Sofort erklaerten die Roemer dem Namen nach den +Neapoliten, in der Tat den Samniten den Krieg (427 327) und begannen die +Belagerung von Neapolis. Nachdem dieselbe eine Weile gewaehrt hatte, wurden die +kampanischen Griechen des gestoerten Handels und der fremden Besatzung muede; +und die Roemer, deren ganzes Bestreben darauf gerichtet war, von der Koalition, +deren Bildung bevorstand, die Staaten zweiten und dritten Ranges durch +Sondervertraege fernzuhalten, beeilten sich, sowie sich die Griechen auf +Unterhandlungen einliessen, ihnen die guenstigsten Bedingungen zu bieten: volle +Rechtsgleichheit und Befreiung vom Landdienst, gleiches Buendnis und ewigen +Frieden. Daraufhin ward, nachdem die Neapoliten sich der Besatzung durch List +entledigt hatten, der Vertrag abgeschlossen (428 326). +</p> + +<p> +Im Anfang dieses Krieges hielten die sabellischen Staedte suedlich vom +Volturnus, Nola, Nuceria, Herculaneum, Pompeii, es mit Samnium; allein teils +ihre sehr ausgesetzte Lage, teils die Machinationen der Roemer, welche die +optimatische Partei in diesen Staedten durch alle Hebel der List und des +Eigennutzes auf ihre Seite zu ziehen versuchten und dabei an Capuas Vorgang +einen maechtigen Fuersprecher fanden, bewirkten, dass diese Staedte nicht lange +nach dem Fall von Neapolis sich entweder fuer Rom oder doch neutral erklaerten. +</p> + +<p> +Ein noch wichtigerer Erfolg gelang den Roemern in Lucanien. Das Volk war auch +hier mit richtigem Instinkt fuer den Anschluss an die Samniten; da aber das +Buendnis mit den Samniten auch Frieden mit Tarent nach sich zog und ein grosser +Teil der regierenden Herren Lucaniens nicht gemeint war, die eintraeglichen +Pluenderzuege einzustellen, so gelang es den Roemern, mit Lucanien ein Buendnis +abzuschliessen, das unschaetzbar war, weil dadurch den Tarentinern zu schaffen +gemacht wurde und also die ganze Macht Roms gegen Samnium verwendbar blieb. +</p> + +<p> +So stand Samnium nach allen Seiten hin allein; kaum dass einige der oestlichen +Bergdistrikte ihm Zuzug sandten. Mit dem Jahre 428 (326) begann der Krieg im +samnitischen Lande selbst; einige Staedte an der kampanischen Grenze, Rufrae +(zwischen Venafrum und Teanum) und Allifae, wurden von den Roemern besetzt. In +den folgenden Jahren durchzogen die roemischen Heere fechtend und pluendernd +Samnium bis in das vestinische Gebiet hinein, ja bis nach Apulien, wo man sie +mit offenen Armen empfing, ueberall im entschiedensten Vorteil. Der Mut der +Samniten war gebrochen; sie sandten die roemischen Gefangenen zurueck und mit +ihnen die Leiche des Fuehrers der Kriegspartei, Brutulus Papius, welcher den +roemischen Henkern zuvorgekommen war, nachdem die samnitische Volksgemeinde +beschlossen hatte, den Frieden von dem Feinde zu erbitten und durch die +Auslieferung ihres tapfersten Feldherrn sich leidlichere Bedingungen zu +erwirken. Aber als die demuetige, fast flehentliche Bitte bei der roemischen +Volksgemeinde keine Erhoerung fand (432 322), ruesteten sich die Samniten unter +ihrem neuen Feldherrn Gavius Pontius zur aeussersten und verzweifelten +Gegenwehr. Das roemische Heer, das unter den beiden Konsuln des folgenden +Jahres (433 321), Spurius Postumius und Titus Veturius, bei Calatia (zwischen +Caserta und Maddaloni) gelagert war, erhielt die durch die Aussage zahlreicher +Gefangenen bestaetigte Nachricht, dass die Samniten Luceria eng eingeschlossen +haetten und die wichtige Stadt, an der der Besitz Apuliens hing, in grosser +Gefahr schwebe. Eilig brach man auf. Wollte man zu rechter Zeit anlangen, so +konnte kein anderer Weg eingeschlagen werden als mitten durch das feindliche +Gebiet, da wo spaeter als Fortsetzung der Appischen Strasse die roemische +Chaussee von Capua ueber Benevent nach Apulien angelegt ward. Dieser Weg +fuehrte zwischen den heutigen Orten Arpaja und Montesarchio (Caudium) durch +einen feuchten Wiesengrund, der rings von hohen und steilen Waldhuegeln +umschlossen und nur durch tiefe Einschnitte beim Ein- und Austritt zugaenglich +war. Hier hatten die Samniten verdeckt sich aufgestellt. Die Roemer, ohne +Hindernis in das Tal eingetreten, fanden den Ausweg durch Verhaue gesperrt und +stark besetzt; zurueckmarschierend erblickten sie den Eingang in aehnlicher +Weise geschlossen und gleichzeitig kroenten die Bergraender rings im Kreise +sich mit den samnitischen Kohorten. Zu spaet begriffen sie, dass sie sich durch +eine Kriegslist hatten taeuschen lassen und dass die Samniten nicht bei Luceria +sie erwarteten, sondern in dem verhaengnisvollen Pass von Caudium. Man schlug +sich, aber ohne Hoffnung auf Erfolg und ohne ernstliches Ziel; das roemische +Heer war gaenzlich unfaehig zu manoevrieren und ohne Kampf vollstaendig +ueberwunden. Die roemischen Generale Boten die Kapitulation an. Nur toerichte +Rhetorik laesst dem samnitischen Feldherrn die Wahl bloss zwischen Entlassung +und Niedermetzelung der roemischen Armee; er konnte nichts Besseres tun als die +angebotene Kapitulation annehmen und das feindliche Heer, die gesamte +augenblicklich aktive Streitmacht der roemischen Gemeinde mit beiden +hoechstkommandierenden Feldherren, gefangen machen; worauf ihm dann der Weg +nach Kampanien und Latium offenstand und unter den damaligen Verhaeltnissen, wo +die Volsker und Herniker und der groesste Teil der Latiner ihn mit offenen +Armen empfangen haben wuerden, Roms politische Existenz ernstlich gefaehrdet +war. Allein statt diesen Weg einzuschlagen und eine Militaerkonvention zu +schliessen, dachte Gavius Pontius durch einen billigen Frieden gleich den +ganzen Hader beendigen zu koennen; sei es, dass er die unverstaendige +Friedenssehnsucht der Eidgenossen teilte, der das Jahr zuvor Brutulus Papius +zum Opfer gefallen war, sei es, dass er nicht imstande war, der kriegsmueden +Partei zu wehren, dass sie den beispiellosen Sieg ihm verdarb. Die gestellten +Bedingungen waren maessig genug: Rom solle die vertragswidrig angelegten +Festungen - Cales und Fregellae - schleifen und den gleichen Bund mit Samnium +erneuern. Nachdem die roemischen Feldherren dieselben eingegangen waren und +fuer die getreuliche Ausfuehrung sechshundert aus der Reiterei erlesene Geiseln +gestellt, ueberdies ihr und ihrer saemtlichen Stabsoffiziere Eideswort dafuer +verpfaendet hatten, wurde das roemische Heer entlassen, unverletzt, aber +entehrt; denn das siegestrunkene samnitische Heer gewann es nicht ueber sich, +den gehassten Feinden die schimpfliche Form der Waffenstreckung und des Abzuges +unter dem Galgen durch zu erlassen. +</p> + +<p> +Allein der roemische Senat, unbekuemmert um den Eid der Offiziere und um das +Schicksal der Geiseln, kassierte den Vertrag und begnuegte sich diejenigen, die +ihn abgeschlossen hatten, als persoenlich fuer dessen Erfuellung verantwortlich +dem Feinde auszuliefern. Es kann der unparteiischen Geschichte wenig darauf +ankommen, ob die roemische Advokaten- und Pfaffenkasuistik hierbei den +Buchstaben des Rechts gewahrt oder der Beschluss des roemischen Senats +denselben verletzt hat; menschlich und politisch betrachtet trifft die Roemer +hier kein Tadel. Es ist ziemlich gleichgueltig, ob nach formellem roemischen +Staatsrecht der kommandierende General befugt oder nicht befugt war, ohne +vorbehaltene Ratifikation der Buergerschaft Frieden zu schliessen; dem Geiste +und der Uebung der Verfassung nach stand es vollkommen Fest, dass in Rom jeder +nicht rein militaerische Staatsvertrag zur Kompetenz der buergerlichen Gewalten +gehoerte und ein Feldherr, der ohne Auftrag von Rat und Buergerschaft Frieden +schloss, mehr tat, als er tun durfte. Es war ein groesserer Fehler des +samnitischen Feldherrn, den roemischen die Wahl zu stellen zwischen Rettung +ihres Heeres und Ueberschreitung ihrer Vollmacht, als der roemischen, dass sie +nicht die Seelengroesse hatten, die letztere Anmutung unbedingt +zurueckzuweisen; und dass der roemische Senat einen solchen Vertrag verwarf, +war recht und notwendig. Kein grosses Volk gibt, was es besitzt, anders hin als +unter dem Druck der aeussersten Notwendigkeit; alle Abtretungsvertraege sind +Anerkenntnisse einer solchen, nicht sittliche Verpflichtungen. Wenn jede Nation +mit Recht ihre Ehre darein setzt, schimpfliche Vertraege mit den Waffen zu +zerreissen, wie kann ihr dann die Ehre gebieten, an einem Vertrage gleich dem +Caudinischen, zu dem ein ungluecklicher Feldherr moralisch genoetigt worden +ist, geduldig festzuhalten, wenn die frische Schande brennt und die Kraft +ungebrochen dasteht? +</p> + +<p> +So brachte der Friedensvertrag von Caudium nicht die Ruhe, die die +Friedensenthusiasten in Samnium toerichterweise davon erhofft hatten, sondern +nur Krieg und wieder Krieg, mit gesteigerter Erbitterung auf beiden Seiten +durch die verscherzte Gelegenheit, das gebrochene feierliche Wort, die +geschaendete Waffenehre, die preisgegebenen Kameraden. Die ausgelieferten +roemischen Offiziere wurden von den Samniten nicht angenommen, teils weil sie +zu gross dachten, um an diesen Ungluecklichen ihre Rache zu ueben, teils weil +sie damit den Roemern wuerden zugestanden haben, dass das Buendnis nur die +Schwoerenden verpflichtet habe, nicht den roemischen Staat. Hochherzig +verschonten sie sogar die Geiseln, deren Leben nach Kriegsrecht verwirkt war, +und wandten sich vielmehr sogleich zum Waffenkampf. Luceria ward von ihnen +besetzt, Fregellae ueberfallen und erstuermt (434 320), bevor die Roemer die +aufgeloeste Armee wieder reorganisiert hatten; was man haette erreichen +koennen, wenn man den Vorteil nicht haette aus den Haenden fahren lassen, zeigt +der Uebertritt der Satricaner ^2 zu den Samniten. Aber Rom war nur +augenblicklich gelaehmt, nicht geschwaecht; voll Scham und Erbitterung bot man +dort auf, was man an Mannschaft und Mitteln vermochte und stellte den +erprobtesten, als Soldat wie als Feldherr gleich ausgezeichneten Fuehrer Lucius +Papirius Cursor an die Spitze des neugebildeten Heeres. Dasselbe teilte sich; +die eine Haelfte zog durch die Sabina und das adriatische Litoral vor Luceria, +die andere ebendahin durch Samnium selbst, indem die letztere das samnitische +Heer unter gluecklichen Gefechten vor sich her trieb. Man traf wieder zusammen +unter den Mauern von Luceria, dessen Belagerung um so eifriger betrieben ward, +als dort die roemischen Reiter gefangen sassen; die Apuler, namentlich die +Arpaner, leisteten dabei den Roemern wichtigen Beistand, vorzueglich durch +Beschaffung der Zufuhr. Nachdem die Samniten zum Entsatz der Stadt eine +Schlacht geliefert und verloren hatten, ergab sich Luceria den Roemern (435 +319): Papirius genoss die doppelte Freude, die verlorengegebenen Kameraden zu +befreien und der samnitischen Besatzung von Luceria die Galgen von Caudium zu +vergelten. In den folgenden Jahren (435-437 319-317) ward der Krieg nicht so +sehr in Samnium gefuehrt ^3 als in den benachbarten Landschaften. Zuerst +zuechtigten die Roemer die samnitischen Verbuendeten in dem apulischen und +frentanischen Gebiet und schlossen mit den apulischen Teanensern und den +Canusinern neue Bundesvertraege ab. Gleichzeitig ward Satricum zur +Botmaessigkeit zurueckgebracht und schwer fuer seinen Abfall bestraft. Alsdann +zog der Krieg sich nach Kampanien, wo die Roemer die Grenzstadt gegen Samnium +Saticula (vielleicht S. Agata de’ Goti) eroberten (438 316). Jetzt aber +schien hier das Kriegsglueck sich wieder gegen sie wenden zu wollen. Die +Samniten zogen die Nuceriner (438 316) und bald darauf die Nolaner auf ihre +Seite; am oberen Liris vertrieben die Soraner selbst die roemische Besatzung +(439 315); eine Erhebung der Ausonen bereitete sich vor und bedrohte das +wichtige Cales; selbst in Capua regten sich lebhaft die antiroemisch Gesinnten. +Ein samnitisches Heer rueckte in Kampanien ein und lagerte vor der Stadt, in +der Hoffnung, durch seine Naehe der Nationalpartei das Uebergewicht zu geben +(440 314). Allein Sora ward von den Roemern sofort angegriffen und, nachdem die +samnitische Entsatzarmee geschlagen war (440 314), wieder genommen. Die +Bewegungen unter den Ausonen wurden mit grausamer Strenge unterdrueckt, ehe der +Aufstand recht zum Ausbruch kam, und gleichzeitig ein eigener Diktator ernannt, +um die politischen Prozesse gegen die Fuehrer der samnitischen Partei in Capua +einzuleiten und abzuurteilen, so dass die namhaftesten derselben, um dem +roemischen Henker zu entgehen, freiwillig den Tod nahmen (440 314). Das +samnitische Heer vor Capua ward geschlagen und zum Abzug aus Kampanien +gezwungen; die Roemer, dem Feinde auf den Fersen folgend, ueberschritten den +Matese und lagerten im Winter 440 (314) vor der Hauptstadt Samniums Bovianum. +Nola war von den Verbuendeten preisgegeben; die Roemer waren einsichtig genug, +durch den guenstigsten, dem neapolitanischen aehnlichen Bundesvertrag die Stadt +fuer immer von der samnitischen Partei zu trennen (441 313). Fregellae, das +seit der caudinischen Katastrophe in den Haenden der antiroemischen Partei und +deren Hauptburg in der Landschaft am Liris gewesen war, fiel endlich auch, im +achten Jahre nach der Einnahme durch die Samniten (441 313); zweihundert der +Buerger, die vornehmsten der nationalen Partei, wurden nach Rom gefuehrt und +dort zum warnenden Beispiel fuer die ueberall sich regenden Patrioten auf +offenem Markte enthauptet. +</p> + +<p> +———————————————————- +</p> + +<p> +^2 Es sind dies nicht die Einwohner von Satricum bei Antium, sondern die einer +anderen volskischen, damals als roemische Buergergemeinde ohne Stimmrecht +konstituierten Stadt bei Arpinum. +</p> + +<p> +^3 Dass zwischen den Roemern und Samniten 436, 437 (318, 317) ein foermlicher +zweijaehriger Waffenstillstand bestanden habe, ist mehr als unwahrscheinlich. +</p> + +<p> +———————————————————- +</p> + +<p> +Hiermit waren Apulien und Kampanien in den Haenden der Roemer. Zur endlichen +Sicherstellung und bleibenden Beherrschung des eroberten Gebietes wurden in den +Jahren 440 bis 442 (314 bis 312) in demselben eine Anzahl neuer Festungen +gegruendet: Luceria in Apulien, wohin seiner isolierten und ausgesetzten Lage +wegen eine halbe Legion als bleibende Besatzung gesandt ward, ferner Pontiae +(die Ponzainseln) zur Sicherung der kampanischen Gewaesser, Saticula an der +kampanisch-samnitischen Grenze als Vormauer gegen Samnium, endlich Interamna +(bei Monte Cassino) und Suessa Aurunca (Sessa) auf der Strasse von Rom nach +Capua. Besatzungen kamen ausserdem nach Caiatia (Cajazzo), Sora und anderen +militaerisch wichtigen Plaetzen. Die grosse Militaerstrasse von Rom nach Capua, +die der Zensor Appius Claudius 442 (312) chaussieren und den dazu +erforderlichen Damm durch die Pontinischen Suempfe ziehen liess, vollendete die +Sicherung Kampaniens. Immer vollstaendiger entwickelten sich die Absichten der +Roemer; es galt die Unterwerfung Italiens, das durch das roemische Festungs- +und Strassennetz von Jahr zu Jahr enger umstrickt ward. Von beiden Seiten schon +waren die Samniten von den Roemern umsponnen; schon schnitt die Linie von Rom +nach Luceria Nord- und Sueditalien voneinander ab, wie einst die Festungen +Norba und Signia die Volsker und Aequer getrennt hatten; und wie damals auf die +Herniker, stuetzte Rom sich jetzt auf die Arpaner. Die Italiker mussten +erkennen, dass es um ihrer aller Freiheit geschehen war, wenn Samnium unterlag, +und dass es die allerhoechste Zeit war, dem tapferen Bergvolk, das nun schon +fuenfzehn Jahre allein den ungleichen Kampf gegen die Roemer kaempfte, endlich +mit gesamter Kraft zu Hilfe zu kommen. +</p> + +<p> +Die naechsten Bundesgenossen der Samniten waeren die Tarentiner gewesen; allein +es gehoert zu dem ueber Samnium und ueber Italien ueberhaupt waltenden +Verhaengnis, dass in diesem zukunftbestimmenden Augenblick die Entscheidung in +den Haenden dieser italischen Athener lag. Seit die urspruenglich nach alter +dorischer Art streng aristokratische Verfassung Tarents in die vollstaendigste +Demokratie uebergegangen war, hatte in dieser hauptsaechlich von Schiffern, +Fischern und Fabrikanten bewohnten Stadt ein unglaublich reges Leben sich +entwickelt; Sinn und Tun der mehr reichen als vornehmen Bevoelkerung wehrte +allen Ernst des Lebens in dem witzig und geistreich quirlenden Tagestreiben von +sich ab und schwankte zwischen dem grossartigsten Wagemut und der genialsten +Erhebung und zwischen schandbarem Leichtsinn und kindischer Schwindelei. Es +wird auch in diesem Zusammenhang, wo ueber das Sein oder Nichtsein hochbegabter +und altberuehmter Nationen die ernsten Lose fallen, nicht unstatthaft sein, +daran zu erinnern, dass Platon, der etwa sechzig Jahre vor dieser Zeit (389) +nach Tarent kam, seinem eigenen Zeugnis zufolge am Dionysienfest die ganze +Stadt berauscht sah, und dass das parodische Possenspiel, die sogenannte +“lustige Tragoedie” eben um die Zeit des grossen samnitischen +Krieges in Tarent geschaffen ward. Zu dieser Lotterwirtschaft und Lotterpoesie +der Tarentiner Eleganten und Literaten liefert die Ergaenzung die unstete, +uebermuetige und kurzsichtige Politik der Tarentiner Demagogen, welche +regelmaessig da sich beteiligten, wo sie nichts zu schaffen hatten, und da +ausblieben, wo ihr naechstes Interesse sie hinrief. Sie hatten, als nach der +caudinischen Katastrophe Roemer und Samniten sich in Apulien gegenueberstanden, +Gesandte dorthin geschickt, die beiden Parteien geboten, die Waffen +niederzulegen (434 320). Diese diplomatische Intervention in dem italischen +Entscheidungskampf konnte verstaendigerweise nichts sein als die Ankuendigung, +dass Tarent aus seiner bisherigen Passivitaet jetzt endlich herauszutreten +entschlossen sei. Grund genug hatte es wahrlich dazu, wie schwierig und +gefaehrlich es auch fuer Tarent selbst war, in diesen Krieg verwickelt zu +werden: denn die demokratische Machtentwicklung des Staates hatte sich +lediglich auf die Flotte geworfen, und waehrend diese, gestuetzt auf die starke +Handelsmarine Tarents, unter den grossgriechischen Seemaechten den ersten Rang +einnahm, bestand die Landmacht, auf die es jetzt ankam, wesentlich aus +gemieteten Soeldnern und war in tiefem Verfall. Unter diesen Umstaenden war es +fuer die tarentinische Republik keine leichte Aufgabe, an dem Kampf zwischen +Rom und Samnium sich zu beteiligen, auch abgesehen von der wenigstens +beschwerlichen Fehde, in welche die roemische Politik die Tarentiner mit den +Lucanern zu verwickeln gewusst hatte. Indes bei kraeftigem Willen waren diese +Schwierigkeiten wohl zu ueberwinden; und beide streitende Teile fassten die +Aufforderung der tarentinischen Gesandten, mit dem Kampf einzuhalten, in diesem +Sinne auf. Die Samniten als die Schwaecheren zeigten sich bereit, derselben +nachzukommen; die Roemer antworteten durch die Aufsteckung des Zeichens zur +Schlacht. Vernunft und Ehre geboten den Tarentinern, dem herrischen Gebot ihrer +Gesandten jetzt die Kriegserklaerung gegen Rom auf dem Fusse folgen zu lassen; +allein in Tarent war eben weder diese noch jene am Regimente und man hatte dort +bloss mit sehr ernsthaften Dingen sehr kindisch gespielt. Die Kriegserklaerung +gegen Rom erfolgte nicht; statt dessen unterstuetzte man lieber gegen +Agathokles von Syrakus, der frueher in tarentinischen Diensten gestanden hatte +und in Ungnade entlassen worden war, die oligarchische Staedtepartei in +Sizilien und sandte, dem Beispiel Spartas folgend, eine Flotte nach der Insel, +die in der kampanischen See bessere Dienste getan haben wuerde (440 314). +</p> + +<p> +Energischer handelten die nord- und mittelitalischen Voelker, die namentlich +durch die Anlegung der Festung Luceria aufgeruettelt worden zu sein scheinen. +Zuerst (443 311) schlugen die Etrusker los, deren Waffenstillstandsvertrag von +403 (351) schon einige Jahre frueher zu Ende gegangen war. Die roemische +Grenzfestung Sutrium hatte eine zweijaehrige Belagerung auszuhalten, und in den +heftigen Gefechten, die unter ihren Mauern geliefert wurden, zogen die Roemer +in der Regel den kuerzeren, bis der Konsul des Jahres 444 (310), Quintus Fabius +Rullianus, ein in den Samnitenkriegen erprobter Fuehrer, nicht bloss im +roemischen Etrurien das Uebergewicht der roemischen Waffen wiederherstellte, +sondern auch kuehn eindrang in das eigentliche, durch die Verschiedenheit der +Sprache und die geringen Kommunikationen den Roemern bis dahin fast unbekannt +gebliebene etruskische Land. Der Zug ueber den noch von keinem roemischen Heer +ueberschrittenen Ciminischen Wald und die Pluenderung des reichen, lange von +Kriegsnot verschont gebliebenen Gebiets brachte ganz Etrurien in Waffen; die +roemische Regierung, welche die tollkuehne Expedition ernstlich missbilligte +und die Ueberschreitung der Grenze dem verwegenen Fuehrer zu spaet untersagt +hatte, raffte, um dem erwarteten Ansturm der gesamten etruskischen Macht zu +begegnen, in schleunigster Eile neue Legionen zusammen. Allein ein +rechtzeitiger und entscheidender Sieg des Rullianus, die lange im Andenken des +Volkes fortlebende Schlacht am Vadimonischen See, machte aus dem unvorsichtigen +Beginnen eine gefeierte Heldentat und brach den Widerstand der Etrusker. +Ungleich den Samniten, die nun schon seit achtzehn Jahren den ungleichen Kampf +fochten, bequemten sich schon nach der ersten Niederlage drei der maechtigsten +etruskischen Staedte, Perusia, Cortona und Arretium, zu einem Sonderfrieden auf +dreihundert (444 310) und, nachdem im folgenden Jahre die Roemer noch einmal +bei Perusia die uebrigen Etrusker besiegt hatten, auch die Tarquinienser zu +einem Frieden auf vierhundert Monate (446 308); worauf auch die uebrigen +Staedte vom Kampfe abstanden und in Etrurien vorlaeufig Waffenruhe eintrat. +</p> + +<p> +Waehrend dieser Ereignisse hatte auch in Samnium der Krieg nicht geruht. Der +Feldzug von 443 (311) beschraenkte sich gleich den bisherigen auf die +Belagerung und Erstuermung einzelner samnitischer Plaetze; aber im naechsten +Jahre nahm der Krieg eine lebhaftere Wendung. Rullianus’ gefaehrliche +Lage in Etrurien und die ueber die Vernichtung der roemischen Nordarmee +verbreiteten Geruechte ermutigten die Samniten zu neuen Anstrengungen; der +roemische Konsul Gaius Marcius Rutilus wurde von ihnen besiegt und selber +schwer verwundet. Aber der Umschwung der Dinge in Etrurien zerstoerte die neu +aufleuchtenden Hoffnungen. Wieder trat Lucius Papirius Cursor an die Spitze der +gegen die Samniten gesandten roemischen Truppen, und wieder blieb er Sieger in +einer grossen und entscheidenden Schlacht (445 309), zu der die Eidgenossen +ihre letzten Kraefte angestrengt hatten; der Kern ihrer Armee, die Buntroecke +mit den Gold-, die Weissroecke mit den Silberschilden wurden hier aufgerieben +und die glaenzenden Ruestungen derselben schmueckten seitdem bei festlichen +Gelegenheiten die Budenreihen laengs des roemischen Marktes. Immer hoeher stieg +die Not, immer hoffnungsloser ward der Kampf. Im folgenden Jahre (446 308) +legten die Etrusker die Waffen nieder; in ebendemselben ergab die letzte Stadt +Kampaniens, die noch zu den Samniten hielt, Nuceria, zu Wasser und zu Lande +gleichzeitig angegriffen, unter guenstigen Bedingungen sich den Roemern. Zwar +fanden die Samniten neue Bundesgenossen an den Umbrern im noerdlichen, an den +Marsern und Paelignern im mittleren Italien, ja selbst von den Hernikern traten +zahlreiche Freiwillige in ihre Reihen; allein was mit entscheidendem Gewicht +gegen Rom in die Waagschale haette fallen koennen, wenn die Etrusker noch unter +Waffen gestanden haetten, vermehrte jetzt bloss die Erfolge des roemischen +Sieges, ohne denselben ernstlich zu erschweren. Den Umbrern, die Miene machten, +einen Zug nach Rom zu unternehmen, verlegte Rullianus am oberen Tiber mit der +Armee von Samnium den Weg, ohne dass die geschwaechten Samniten es haetten +hindern koennen, und dies genuegte, um den umbrischen Landsturm zu zerstreuen. +Der Krieg zog sich alsdann wieder nach Mittelitalien. Die Paeligner wurden +besiegt, ebenso die Marser; wenngleich die uebrigen sabellischen Staemme noch +dem Namen nach Feinde der Roemer blieben, stand doch allmaehlich Samnium von +dieser Seite tatsaechlich allein. Aber unerwartet kam ihnen Beistand aus dem +Tibergebiet. Die Eidgenossenschaft der Herniker, wegen ihrer unter den +samnitischen Gefangenen vorgefundenen Landsleute von den Roemern zur Rede +gestellt, erklaerte diesen jetzt den Krieg (448 306) - mehr wohl aus +Verzweiflung, als aus Berechnung. Es schlossen auch einige der bedeutendsten +hernikischen Gemeinden von vornherein sich von der Kriegfuehrung aus; aber +Anagnia, weitaus die ansehnlichste Hernikerstadt, setzte die Kriegserklaerung +durch. Militaerisch ward allerdings die augenblickliche Lage der Roemer durch +diesen unerwarteten Aufstand im Ruecken der mit der Belagerung der Burgen von +Samnium beschaeftigten Armee in hohem Grade bedenklich. Noch einmal war den +Samniten das Kriegsglueck guenstig; Sora und Caiatia fielen ihnen in die +Haende. Allein die Anagniner unterlagen unerwartet schnell den von Rom +ausgesandten Truppen, und rechtzeitig machten diese auch dem in Samnium +stehenden Heere Luft; es war eben alles verloren. Die Samniten baten um +Frieden, indes vergeblich; noch konnte man sich nicht einigen. Erst der Feldzug +von 449 (305) brachte die letzte Entscheidung. Die beiden roemischen +Konsularheere drangen, Tiberius Minucius und nach dessen Fall Marcus Fulvius +von Kampanien aus durch die Bergpaesse, Lucius Postumius vom Adriatischen Meere +her am Biferno hinauf, in Samnium ein, um hier vor der Hauptstadt des Landes, +Bovianum, sich die Hand zu reichen; ein entscheidender Sieg ward erfochten, der +samnitische Feldherr Statius Gellius gefangengenommen und Bovianum erstuermt. +Der Fall des Hauptwaffenplatzes der Landschaft machte dem +zweiundzwanzigjaehrigen Krieg ein Ende. Die Samniten zogen aus Sora und Arpinum +ihre Besatzungen heraus und schickten Gesandte nach Rom, den Frieden zu +erbitten; ihrem Beispiel folgten die sabellischen Staemme, die Marser, +Marruciner, Paeligner, Frentaner, Vestiner, Picenter. Die Bedingungen, die Rom +gewaehrte, waren leidlich; Gebietsabtretungen wurden zwar einzeln gefordert, +zum Beispiel von den Paelignern, allein sehr bedeutend scheinen sie nicht +gewesen zu sein. Das gleiche Buendnis zwischen den sabellischen Staaten und den +Roemern wurde erneuert (450 304). +</p> + +<p> +Vermutlich um dieselbe Zeit und wohl infolge des samnitischen Friedens ward +auch Friede gemacht zwischen Rom und Tarent. Unmittelbar zwar hatten beide +Staedte nicht gegeneinander im Felde gestanden; die Tarentiner hatten dem +langen Kampfe zwischen Rom und Samnium von Anfang bis zu Ende untaetig +zugesehen und nur im Bunde mit den Sallentinern gegen die Bundesgenossen Roms, +die Lucaner, die Fehde fortgesetzt. Zwar hatten sie in den letzten Jahren des +Samnitischen Krieges noch einmal Miene gemacht nachdruecklicher aufzutreten. +Teils die bedraengte Lage, in welche die unaufhoerlichen lucanischen Angriffe +sie selbst brachten, teils wohl auch das immer naeher sich ihnen aufdraengende +Gefuehl, dass Samniums voellige Unterdrueckung auch ihre eigene Unabhaengigkeit +bedrohe, hatten sie bestimmt, trotz der mit Alexander gemachten unerfreulichen +Erfahrungen abermals einem Condottiere sich anzuvertrauen. Es kam auf ihren Ruf +der spartanische Prinz Kleonymos mit fuenftausend Soeldnern, womit er eine +ebenso starke, in Italien angeworbene Schar sowie die Zuzuege der Messapier, +der kleineren Griechenstaedte und vor allem das tarentinische Buergerheer, 22 +000 Mann stark, vereinigte. An der Spitze dieser ansehnlichen Armee noetigte er +die Lucaner, mit Tarent Frieden zu machen und eine samnitisch gesinnte +Regierung einzusetzen, wogegen freilich Metapont ihnen aufgeopfert ward. Noch +standen die Samniten unter Waffen, als dies geschah; nichts hinderte den +Spartaner, ihnen zu Hilfe zu kommen und das Gewicht seines starken Heeres und +seiner Kriegskunst fuer die Freiheit der italischen Staedte und Voelker in die +Waagschale zu werfen. Allein Tarent handelte nicht, wie Rom im gleichen Falle +gehandelt haben wuerde; und Prinz Kleonymos selbst war auch nichts weniger als +ein Alexander oder ein Pyrrhos. Er beeilte sich nicht, einen Krieg zu beginnen, +bei dem mehr Schlaege zu erwarten standen als Beute, sondern machte lieber mit +den Lucanern gemeinschaftliche Sache gegen Metapont und liess es in dieser +Stadt sich wohl sein, waehrend er redete von einem Zug gegen Agathokles von +Syrakus und von der Befreiung der sizilischen Griechen. Darueber machten denn +die Samniten Frieden; und als nach dessen Abschluss Rom anfing, sich um den +Suedosten der Halbinsel ernstlicher zu bekuemmern und zum Beispiel im Jahre 447 +(307) ein roemischer Heerhaufen das Gebiet der Sallentiner brandschatzte oder +vielmehr wohl in hoeherem Auftrag rekognoszierte, ging der spartanische +Condottiere mit seinen Soeldnern zu Schiff und ueberrumpelte die Insel Kerkyra, +die vortrefflich gelegen war, um von dort aus gegen Griechenland und Italien +Piratenzuege zu unternehmen. So von ihrem Feldherrn im Stich gelassen und +zugleich ihrer Bundesgenossen im mittleren Italien beraubt, blieb den +Tarentinern sowie den mit ihnen verbuendeten Italikern, den Lucanern und +Sallentinern, jetzt freilich nichts uebrig, als mit Rom ein Abkommen +nachzusuchen, das auf leidliche Bedingungen gewaehrt worden zu sein scheint. +Bald nachher (451 303) ward sogar ein Einfall des Kleonymos, der im +sallentinischen Gebiet gelandet war und Uria belagerte, von den Einwohnern mit +roemischer Hilfe abgeschlagen. +</p> + +<p> +Roms Sieg war vollstaendig; und vollstaendig ward er benutzt. Dass den +Samniten, den Tarentinern und den ferner wohnenden Voelkerschaften ueberhaupt +so maessige Bedingungen gestellt wurden, war nicht Siegergrossmut, die die +Roemer nicht kannten, sondern kluge und klare Berechnung. Zunaechst und vor +allem kam es darauf an, nicht so sehr das suedliche Italien so rasch wie +moeglich zur formellen Anerkennung der roemischen Suprematie zu zwingen als die +Unterwerfung Mittelitaliens, zu welcher durch die in Kampanien und Apulien +schon waehrend des letzten Krieges angelegten Militaerstrassen und Festungen +der Grund gelegt war, zu ergaenzen und zu vollenden und die noerdlichen und +suedlichen Italiker dadurch in zwei militaerisch von jeder unmittelbaren +Beruehrung miteinander abgeschnittene Massen auseinanderzusprengen. Darauf +zielten denn auch die naechsten Unternehmungen der Roemer mit energischer +Konsequenz. Vor allen Dingen benutzte oder machte man die Gelegenheit, mit den +in der Tiberlandschaft einstmals mit der roemischen Einzelmacht rivalisierenden +und noch nicht voellig beseitigten Eidgenossenschaften der Aequer und der +Herniker aufzuraeumen. In demselben Jahre, in welchem der Friede mit Samnium +zustande kam (450 304), ueberzog der Konsul Publius Sempronius Sophus die +Aequer mit Krieg; vierzig Ortschaften unterwarfen sich in fuenfzig Tagen; das +gesamte Gebiet mit Ausnahme des engen und rauhen Bergtals, das noch heute den +alten Volksnamen traegt (Cicolano), wurde roemischer Besitz und hier am +Nordrand des Fuciner Sees im Jahre darauf die Festung Alba mit einer Besatzung +von 6000 Mann gegruendet, fortan die Vormauer gegen die streitbaren Marser und +die Zwingburg Mittelitaliens; ebenso zwei Jahre darauf am oberen Turano, naeher +an Rom, Carsioli, beide als Bundesgemeinden latinischen Rechts. +</p> + +<p> +Dass von den Hernikern wenigstens Anagnia sich an dem letzten Stadium des +Samnitischen Krieges beteiligt hatte, gab den erwuenschten Grund, das alte +Bundesverhaeltnis zu loesen. Das Schicksal der Anagniner war natuerlicherweise +bei weitem haerter als dasjenige, welches ein Menschenalter zuvor den +latinischen Gemeinden im gleichen Fall bereitet worden war. Sie mussten nicht +bloss wie diese das roemische Passivbuergerrecht sich gefallen lassen, sondern +verloren auch gleich den Caeriten die eigene Verwaltung; auf einem Teile ihres +Gebiets am oberen Trerus (Sacco) wurde ueberdies ein neuer Buergerbezirk sowie +gleichzeitig ein anderer am unteren Anio eingerichtet (455 299). Man bedauerte +nur, dass die drei naechst Anagnia bedeutendsten hernikischen Gemeinden +Aletrium, Verulae und Ferentinum nicht auch abgefallen waren; denn da sie die +Zumutung, freiwillig in den roemischen Buergerverband einzutreten, hoeflich +ablehnten und jeder Vorwand, sie dazu zu noetigen, mangelte, musste man ihnen +wohl nicht bloss die Autonomie, sondern selbst das Recht der Tagsatzung und der +Ehegemeinschaft auch ferner zugestehen und damit noch einen Schatten der alten +hernikischen Eidgenossenschaft uebrig lassen. +</p> + +<p> +In dem Teil der volskischen Landschaft, welchen bis dahin die Samniten im +Besitz gehabt, banden aehnliche Ruecksichten nicht. Hier wurden Arpinum und +Frusino untertaenig und die letztere Stadt eines Drittels ihrer Feldmark +beraubt, ferner am oberen Liris neben Fregellae die schon frueher mit Besatzung +belegte Volskerstadt Sora jetzt auf die Dauer in eine latinische Festung +verwandelt und eine Legion von 4000 Mann dahin gelegt. So war das alte +Volskergebiet vollstaendig unterworfen und ging seiner Romanisierung mit +raschen Schritten entgegen. In die Landschaft, welche Samnium und Etrurien +scheidet, wurden zwei Militaerstrassen hineingefuehrt und beide durch Festungen +gesichert. Die noerdliche, aus der spaeter die Flaminische wurde, deckte die +Tiberlinie; sie fuehrte durch das mit Rom verbuendete Ocriculum nach Narnia, +wie die Roemer die alte umbrische Feste Nequinum umnannten, als sie dort eine +Militaerkolonie anlegten (455 299). Die suedliche, die spaetere Valerische, +lief an den Fuciner See ueber die eben erwaehnten Festungen Carsioli und Alba. +Die kleinen Voelkerschaften, in deren Gebiet diese Anlagen stattfanden, die +Umbrer, die Nequinum hartnaeckig verteidigten, die Aequer, die noch einmal +Alba, die Marser, die Carsioli ueberfielen, konnten Rom in seinem Gang nicht +aufhalten; fast ungehindert schoben jene beiden maechtigen Riegel sich zwischen +Samnium und Etrurien. Der grossen Strassen- und Festungsanlagen zur bleibenden +Sicherung Apuliens und vor allem Kampaniens wurde schon gedacht; durch sie ward +Samnium weiter nach Osten und Westen von dem roemischen Festungsnetz umstrickt. +Bezeichnend fuer die verhaeltnismaessige Schwaeche Etruriens ist es, dass man +es nicht notwendig fand, die Paesse durch den Ciminischen Wald in gleicher +Weise durch eine Chaussee und angemessene Festungen zu sichern. Die bisherige +Grenzfestung Sutrium blieb hier auch ferner der Endpunkt der roemischen +Militaerlinie und man begnuegte sich damit, die Strasse von dort nach Arretium +durch die beikommenden Gemeinden in militaerisch brauchbarem Stande halten zu +lassen ^4. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +^4 Die Operationen in dem Feldzug 537 (217) und bestimmter noch die Anlage der +Chaussee von Arretium nach Bononia 567 (187) zeigen, dass schon vor dieser Zeit +die Strasse von Rom nach Arretium instand gesetzt worden ist. Allein eine +roemische Militaerchaussee kann sie in dieser Zeit dennoch nicht gewesen sein, +da sie, nach ihrer spaeteren Benennung der “Cassischen Strasse” zu +schliessen, als via consularis nicht frueher angelegt sein kann als 583 (171); +denn zwischen Spurius Cassius, Konsul 252, 261, 268 (502, 493, 486), an den +natuerlich nicht gedacht werden darf, und Gaius Cassius Longinus, Konsul 583 +(171), erscheint kein Cassier in den roemischen Konsuln- und Zensorenlisten. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +Die hochherzige samnitische Nation begriff es, dass ein solcher Friede +verderblicher war als der verderblichste Krieg, und, was mehr ist, sie handelte +danach. Eben fingen in Norditalien die Kelten nach langer Waffenruhe wieder an +sich zu regen; noch standen ferner daselbst einzelne etruskische Gemeinden +gegen die Roemer unter den Waffen und es wechselten hier kurze +Waffenstillstaende mit heftigen, aber erfolglosen Gefechten. Noch war ganz +Mittelitalien in Gaerung und zum Teil in offenem Aufstand; noch waren die +Festungen in der Anlage begriffen, der Weg zwischen Etrurien und Samnium noch +nicht voellig gesperrt. Vielleicht war es noch nicht zu spaet, die Freiheit zu +retten; aber man durfte nicht saeumen: die Schwierigkeit des Angriffs stieg, +die Macht der Angreifer sank mit jedem Jahre des verlaengerten Friedens. Kaum +fuenf Jahre hatten die Waffen geruht und noch mussten all die Wunden bluten, +welche der zweiundzwanzigjaehrige Krieg den Bauernschaften Samniums geschlagen +hatte, als im Jahre 456 (298) die samnitische Eidgenossenschaft den Kampf +erneuerte. Den letzten Krieg hatte wesentlich Lucaniens Verbindung mit Rom und +die dadurch mitveranlasste Fernhaltung Tarents zu Gunsten Roms entschieden; +dadurch belehrt, warfen die Samniten jetzt sich zuvoerderst mit aller Macht auf +die Lucaner und brachten hier in der Tat ihre Partei ans Ruder und ein Buendnis +zwischen Samnium und Lucanien zum Abschluss. Natuerlich erklaerten die Roemer +sofort den Krieg; in Samnium hatte man es nicht anders erwartet. Es bezeichnet +die Stimmung, dass die samnitische Regierung den roemischen Gesandten die +Anzeige machte, sie sei nicht imstande, fuer ihre Unverletzlichkeit zu buergen, +wenn sie samnitisches Gebiet betraeten. +</p> + +<p> +Der Krieg begann also von neuem (456 298), und waehrend ein zweites Heer in +Etrurien focht, durchzog die roemische Hauptarmee Samnium und zwang die Lucaner +Frieden zu machen und Geiseln nach Rom zu senden. Das folgende Jahr konnten +beide Konsuln nach Samnium sich wenden; Rullianus siegte bei Tifernum, sein +treuer Waffengefaehrte Publius Decius Mus bei Maleventum, und fuenf Monate +hindurch lagerten zwei roemische Heere in Feindesland. Es war das moeglich, +weil die tuskischen Staaten auf eigene Hand mit Rom Friedensverhandlungen +angeknuepft hatten. Die Samniten, welche von Haus aus in der Vereinigung ganz +Italiens gegen Rom die einzige Moeglichkeit des Sieges gesehen haben muessen, +boten das Aeusserste auf, um den drohenden Sonderfrieden zwischen Etrurien und +Rom abzuwenden; und als endlich ihr Feldherr Gellius Egnatius den Etruskern in +ihrem eigenen Lande Hilfe zu bringen anbot, verstand sich in der Tat der +etruskische Bundesrat dazu, auszuharren und noch einmal die Entscheidung der +Waffen anzurufen. Samnium machte die gewaltigsten Anstrengungen, um drei Heere +zugleich ins Feld zu stellen, das eine bestimmt zur Verteidigung des eigenen +Gebiets, das zweite zum Einfall in Kampanien, das dritte und staerkste nach +Etrurien; und wirklich gelangte im Jahre 458 (296) das letzte, gefuehrt von +Egnatius selbst, durch das marsische und das umbrische Gebiet, deren Bewohner +im Einverstaendnis waren, ungefaehrdet nach Etrurien. Die Roemer nahmen +waehrend dessen einige feste Plaetze in Samnium und brachen den Einfluss der +samnitischen Partei in Lucanien; den Abmarsch der von Egnatius gefuehrten Armee +wussten sie nicht zu verhindern. Als man in Rom die Kunde empfing, dass es den +Samniten gelungen sei, all die ungeheuren, zur Trennung der suedlichen Italiker +von den noerdlichen gemachten Anstrengungen zu vereiteln, dass das Eintreffen +der samnitischen Scharen in Etrurien das Signal zu einer fast allgemeinen +Schilderhebung gegen Rom geworden sei, dass die etruskischen Gemeinden aufs +eifrigste arbeiteten, ihre eigenen Mannschaften kriegsfertig zu machen und +gallische Scharen in Sold zu nehmen, da ward auch in Rom jeder Nerv angespannt, +Freigelassene und Verheiratete in Kohorten formiert - man fuehlte hueben und +drueben, dass die Entscheidung bevorstand. Das Jahr 458 (296) jedoch verging, +wie es scheint, mit Ruestungen und Maerschen. Fuer das folgende (459 295) +stellten die Roemer ihre beiden besten Generale, Publius Decius Mus und den +hochbejahrten Quintus Fabius Rullianus, an die Spitze der Armee in Etrurien, +welche mit allen in Kampanien irgend entbehrlichen Truppen verstaerkt ward und +wenigstens 60000 Mann, darunter ueber ein Drittel roemische Vollbuerger, +zaehlte; ausserdem ward eine zwiefache Reserve gebildet, die erste bei Falerii, +die zweite unter den Mauern der Hauptstadt. Der Sammelplatz der Italiker war +Umbrien, wo die Strassen aus dem gallischen, etruskischen und sabellischen +Gebiet zusammenliefen; nach Umbrien liessen auch die Konsuln teils am linken, +teils am rechten Ufer des Tiber hinauf ihre Hauptmacht abruecken, waehrend +zugleich die erste Reserve eine Bewegung gegen Etrurien machte, um womoeglich +die etruskischen Truppen von dem Platz der Entscheidung zur Verteidigung der +Heimat abzurufen. Das erste Gefecht lief nicht gluecklich fuer die Roemer ab; +ihre Vorhut ward von den vereinigten Galliern und Samniten in dem Gebiet von +Chiusi geschlagen. Aber jene Diversion erreichte ihren Zweck; minder hochherzig +als die Samniten, die durch die Truemmer ihrer Staedte hindurchgezogen waren, +um auf der rechten Walstatt nicht zu fehlen, entfernte sich auf die Nachricht +von dem Einfall der roemischen Reserve in Etrurien ein grosser Teil der +etruskischen Kontingente von der Bundesarmee, und die Reihen derselben waren +sehr gelichtet, als es am oestlichen Abhang des Apennin bei Sentinum zur +entscheidenden Schlacht kam. Dennoch war es ein heisser Tag. Auf dem rechten +Fluegel der Roemer, wo Rullianus mit seinen beiden Legionen gegen das +samnitische Heer stritt, stand die Schlacht lange ohne Entscheidung. Auf dem +linken, den Publius Decius befehligte, wurde die roemische Reiterei durch die +gallischen Streitwagen in Verwirrung gebracht, und schon begannen hier auch die +Legionen zu weichen. Da rief der Konsul den Priester Marcus Livius heran und +hiess ihn zugleich das Haupt des roemischen Feldherrn und das feindliche Heer +den unterirdischen Goettern weihen; alsdann in den dichtesten Haufen der +Gallier sich stuerzend suchte und fand er den Tod. Diese heldenmuetige +Verzweiflung des hohen Mannes, des geliebten Feldherrn, war nicht vergeblich. +Die fliehenden Soldaten standen wieder, die Tapfersten warfen dem Fuehrer nach +sich in die feindlichen Reihen, um ihn zu raechen oder mit ihm zu sterben; und +eben im rechten Augenblicke erschien, von Rullianus gesendet, der Konsular +Lucius Scipio mit der roemischen Reserve auf dem gefaehrdeten linken Fluegel. +Die vortreffliche kampanische Reiterei, die den Galliern in die Flanke und den +Ruecken fiel, gab hier den Ausschlag; die Gallier flohen, und endlich wichen +auch die Samniten, deren Feldherr Egnatius am Tore des Lagers fiel. 9000 Roemer +bedeckten die Walstatt; aber der teuer erkaufte Sieg war solchen Opfers wert. +Das Koalitionsheer loeste sich auf und damit die Koalition selbst; Umbrien +blieb in roemischer Gewalt, die Gallier verliefen sich, der Ueberrest der +Samniten, noch immer in geschlossener Ordnung, zog durch die Abruzzen ab in die +Heimat. Kampanien, das die Samniten waehrend des etruskischen Krieges +ueberschwemmt hatten, ward nach dessen Beendigung mit leichter Muehe wieder von +den Roemern besetzt. Etrurien bat im folgenden Jahre 460 (294) um Frieden; +Volsinii, Perusia, Arretium und wohl ueberhaupt alle dem Bunde gegen Rom +beigetretenen Staedte gelobten Waffenruhe auf vierhundert Monate. Aber die +Samniten dachten anders: sie ruesteten sich zur hoffnungslosen Gegenwehr mit +jenem Mute freier Maenner, der das Glueck zwar nicht zwingen, aber beschaemen +kann. Als im Jahre 460 (294) die beiden Konsularheere in Samnium einrueckten, +stiessen sie ueberall auf den erbittertsten Widerstand; ja, Marcus Atilius +erlitt eine Schlappe bei Luceria, und die Samniten konnten in Kampanien +eindringen und das Gebiet der roemischen Kolonie Interamna am Liris verwuesten. +Im Jahre darauf lieferten Lucius Papirius Cursor, der Sohn des Helden des +ersten Samnitischen Krieges, und Spurius Carvilius bei Aquilonia eine grosse +Feldschlacht gegen das samnitische Heer, dessen Kern, die 16 000 Weissroecke, +mit heiligem Eide geschworen hatte, den Tod der Flucht vorzuziehen. Indes das +unerbittliche Schicksal fragt nicht nach Schwueren und verzweifeltem Flehen; +der Roemer siegte und stuermte die Festen, in die die Samniten sich und ihre +Habe gefluechtet hatten. Selbst nach dieser grossen Niederlage wehrten sich die +Eidgenossen gegen den immer uebermaechtigeren Feind noch jahrelang mit +beispielloser Ausdauer in ihren Burgen und Bergen und erfochten noch manchen +Vorteil im einzelnen; des alten Rullianus erprobter Arm ward noch einmal (462 +292) gegen sie aufgeboten, und Gavius Pontius, vielleicht der Sohn des Siegers +von Caudium, erfocht sogar fuer sein Volk einen letzten Sieg, den die Roemer +niedrig genug an ihm raechten, indem sie ihn, als er spaeter gefangen ward, im +Kerker hinrichten liessen (463 291). Aber nichts regte sich weiter in Italien; +denn der Krieg, den Falerii 461 (293) begann, verdient kaum diesen Namen. Wohl +mochte man in Samnium sehnsuechtig die Blicke wenden nach Tarent, das allein +noch imstande war, Hilfe zu gewaehren; aber sie blieb aus. Es waren dieselben +Ursachen wie frueher, welche die Untaetigkeit Tarents herbeifuehrten: das +innere Missregiment und der abermalige Uebertritt der Lucaner zur roemischen +Partei im Jahre 456 (298); hinzu kam noch die nicht ungegruendete Furcht vor +Agathokles von Syrakus, der eben damals auf dem Gipfel seiner Macht stand und +anfing, sich gegen Italien zu wenden. Um das Jahr 455 (299) setzte dieser auf +Kerkyra sich fest, von wo Kleonymos durch Demetrios den Belagerer vertrieben +war und bedrohte nun vom Adriatischen wie vom Ionischen Meere her die +Tarentiner. Die Abtretung der Insel an Koenig Pyrrhos von Epeiros im Jahre 459 +(295) beseitigte allerdings zum grossen Teil die gehegten Besorgnisse; allein +die kerkyraeischen Angelegenheiten fuhren fort, die Tarentiner zu +beschaeftigen, wie sie denn im Jahre 464 (290) den Koenig Pyrrhos im Besitz der +Insel gegen Demetrios schuetzen halfen, und ebenso hoerte Agathokles nicht auf, +durch seine italische Politik die Tarentiner zu beunruhigen. Als er starb (465 +289) und mit ihm die Macht der Syrakusaner in Italien zugrunde ging, war es zu +spaet; Samnium, des siebenunddreissigjaehrigen Kampfes muede, hatte das Jahr +vorher (464 290) mit dem roemischen Konsul Manius Curius Dentatus Friede +geschlossen und der Form nach den Bund mit Rom erneuert. Auch diesmal wurden, +wie im Frieden von 450 (304) dem tapferen Volke von den Roemern keine +schimpflichen oder vernichtenden Bedingungen gestellt; nicht einmal +Gebietsabtretungen scheinen stattgefunden zu haben. Die roemische +Staatsklugheit zog es vor, auf dem bisher eingehaltenen Wege fortzuschreiten, +und ehe man an die unmittelbare Eroberung des Binnenlandes ging, zunaechst das +kampanische und adriatische Litoral fest und immer fester an Rom zu knuepfen. +Kampanien zwar war laengst untertaenig; allein die weitblickende roemische +Politik fand es noetig, zur Sicherung der kampanischen Kueste dort zwei +Strandfestungen anzulegen, Minturnae und Sinuessa (459 295), deren neue +Buergerschaften nach dem fuer Kuestenkolonien feststehenden Grundsatz in das +volle roemische Buergerrecht eintraten. Energischer noch ward die Ausdehnung +der roemischen Herrschaft in Mittelitalien gefoerdert. Wie die Unterwerfung der +Aequer und Herniker die unmittelbare Folge des Ersten Samnitischen Krieges war, +so schloss sich an das Ende des Zweiten diejenige der Sabiner. Derselbe +Feldherr, der die Samniten schliesslich bezwang, Manius Curius, brach in +demselben Jahre (464 290) den kurzen und ohnmaechtigen Widerstand derselben und +zwang die Sabiner zur unbedingten Ergebung. Ein grosser Teil des unterworfenen +Gebiets wurde von den Siegern unmittelbar in Besitz genommen und an roemische +Buerger ausgeteilt, den uebrigbleibenden Gemeinden Cures, Reate, Amiternum, +Nursia das roemische Untertanenrecht (civitas sine suffragio) aufgezwungen. +Bundesstaedte gleichen Rechts wurden hier nicht gegruendet; die Landschaft kam +vielmehr unter die unmittelbare Herrschaft Roms, die sich also ausdehnte bis +zum Apennin und den umbrischen Bergen. Aber schon beschraenkte man sich nicht +auf das Gebiet diesseits der Berge; der letzte Krieg hatte allzu deutlich +gezeigt, dass die roemische Herrschaft ueber Mittelitalien nur gesichert war, +wenn sie von Meer zu Meer reichte. Die Festsetzung der Roemer jenseits des +Apennin beginnt mit der Anlegung der starken Festung Hatria (Atri) im Jahre 465 +(289), an der noerdlichen Abdachung der Abruzzen gegen die picenische Ebene, +nicht unmittelbar an der Kueste und daher latinischen Rechts, aber dem Meere +nah und der Schlussstein des gewaltigen, Nord- und Sueditalien trennenden +Keils. Aehnlicher Art und von noch groesserer Bedeutung war die Gruendung von +Venusia (463 291), wohin die unerhoerte Zahl von 20000 Kolonisten gefuehrt +ward; die Stadt, an der Markscheide von Samnium, Apulien und Lucanien, auf der +grossen Strasse zwischen Tarent und Samnium in einer ungemein festen Stellung +gegruendet, war bestimmt, die Zwingburg der umwohnenden Voelkerschaften zu sein +und vor allen Dingen zwischen den beiden maechtigsten Feinden Roms im +suedlichen Italien die Verbindung zu unterbrechen. Ohne Zweifel ward zu +gleicher Zeit auch die Suedstrasse, die Appius Claudius bis nach Capua gefuehrt +hatte, von dort weiter bis nach Venusia verlaengert. So erstreckte sich, als +die Samnitischen Kriege zu Ende gingen, das geschlossene, das heisst fast +ausschliesslich aus Gemeinden roemischen oder latinischen Rechts bestehende +Gebiet Roms nordwaerts bis zum Ciminischen Walde, oestlich bis in die Abruzzen +und an das Adriatische Meer, suedlich bis nach Capua, waehrend die beiden +vorgeschobenen Posten Luceria und Venusia, gegen Osten und Sueden auf den +Verbindungslinien der Gegner angelegt, dieselben nach allen Richtungen hin +isolierten. Rom war nicht mehr bloss die erste, sondern bereits die herrschende +Macht auf der Halbinsel, als gegen das Ende des fuenften Jahrhunderts der Stadt +diejenigen Nationen, welche die Gunst der Goetter und die eigene Tuechtigkeit +jede in ihrer Landschaft an die Spitze gerufen hatten, im Rat und auf dem +Schlachtfeld sich einander zu naehern begannen und, wie in Olympia die +vorlaeufigen Sieger zu dem zweiten und ernsteren Kampf, so auf der groesseren +Voelkerringstatt jetzt Karthago, Makedonien und Rom sich anschickten zu dem +letzten und entscheidenden Wettgang. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap07"></a>KAPITEL VII.<br/> +König Pyrrhos gegen Rom und die Einigung Italiens</h2> + +<p> +In der Zeit der unbestrittenen Weltherrschaft Roms pflegten die Griechen ihre +roemischen Herren damit zu aergern, dass sie als die Ursache der roemischen +Groesse das Fieber bezeichneten, an welchem Alexander von Makedonien den 11. +Juni 431 (323) in Babylon verschied. Da es nicht allzu troestlich war, das +Geschehene zu ueberdenken, verweilte man nicht ungern mit den Gedanken bei dem, +was haette kommen moegen, wenn der grosse Koenig, wie es seine Absicht gewesen +sein soll, als er starb, sich gegen Westen gewendet und mit seiner Flotte den +Karthagern das Meer, mit seinen Phalangen den Roemern die Erde streitig gemacht +haben wuerde. Unmoeglich ist es nicht, dass Alexander mit solchen Gedanken sich +trug; und man braucht auch nicht, um sie zu erklaeren, bloss darauf +hinzuweisen, dass ein Autokrat, der kriegslustig und mit Soldaten und Schiffen +versehen ist, nur schwer die Grenze seiner Kriegfuehrung findet. Es war eines +griechischen Grosskoenigs wuerdig, die Sikelioten gegen Karthago, die +Tarentiner gegen Rom zu schuetzen und dem Piratenwesen auf beiden Meeren ein +Ende zu machen; die italischen Gesandtschaften, die in Babylon neben zahllosen +andern erschienen, der Brettier, Lucaner, Etrusker ^1, boeten Gelegenheit +genug, die Verhaeltnisse der Halbinsel kennenzulernen und Beziehungen dort +anzuknuepfen. Karthago mit seinen vielfachen Verbindungen im Orient musste den +Blick des gewaltigen Mannes notwendig auf sich ziehen, und wahrscheinlich lag +es in seinen Absichten, die nominelle Herrschaft des Perserkoenigs ueber die +tyrische Kolonie in eine wirkliche umzuwandeln; nicht umsonst fand sich ein aus +Karthago gesandter Spion in der unmittelbaren Umgebung Alexanders. Indes +mochten dies Traeume oder Plaene sein, der Koenig starb, ohne mit den +Angelegenheiten des Westens sich beschaeftigt zu haben, und jene Gedanken +gingen mit ihm zu Grabe. Nur wenige kurze Jahre hatte ein griechischer Mann die +ganze intellektuelle Kraft des Hellenentums, die ganze materielle Fuelle des +Ostens vereinigt in seiner Hand gehalten; mit seinem Tode ging zwar das Werk +seines Lebens, die Gruendung des Hellenismus im Orient, keineswegs zugrunde, +wohl aber spaltete sich sofort das kaum geeinigte Reich und unter dem steten +Hader der verschiedenen, aus diesen Truemmern sich bildenden Staaten ward ihrer +aller weltgeschichtliche Bestimmung, die Propaganda der griechischen Kultur im +Osten zwar nicht aufgegeben, aber abgeschwaecht und verkuemmert. Bei solchen +Verhaeltnissen konnten weder die griechischen noch die asiatisch-aegyptischen +Staaten daran denken, im Okzident festen Fuss zu fassen und gegen die Roemer +oder die Karthager sich zu wenden. Das oestliche und das westliche +Staatensystem bestanden nebeneinander, ohne zunaechst politisch +ineinanderzugreifen; und namentlich Rom blieb den Verwicklungen der +Diadochenperiode wesentlich fremd. Nur Beziehungen oekonomischer Art stellten +sich fest; wie denn zum Beispiel der rhodische Freistaat, der vornehmste +Vertreter einer neutralen Handelspolitik in Griechenland und daher der +allgemeine Vermittler des Verkehrs in einer Zeit ewiger Kriege, um das Jahr 448 +(306) einen Vertrag mit Rom abschloss, natuerlich einen Handelstraktat, wie er +begreiflich ist zwischen einem Kaufmannsvolk und den Herren der caeritischen +und kampanischen Kueste. Auch bei der Soeldnerlieferung, die von dem +allgemeinen Werbeplatz der damaligen Zeit, von Hellas aus nach Italien und +namentlich nach Tarent ging, wirkten die politischen Beziehungen, die zum +Beispiel zwischen Tarent und dessen Mutterstadt Sparta bestanden, nur in sehr +untergeordneter Weise mit; im ganzen waren die Werbungen nichts als +kaufmaennische Geschaefte, und Sparta, obwohl es regelmaessig den Tarentinern +zu den italischen Kriegen die Hauptleute lieferte, trat mit den Italikern darum +so wenig in Fehde wie im nordamerikanischen Freiheitskrieg die deutschen +Staaten mit der Union, deren Gegnern sie ihre Untertanen verkauften. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Die Erzaehlung, dass auch die Roemer Gesandte an Alexander nach Babylon +geschickt, geht auf das Zeugnis des Kleitarchos zurueck (Plin. nat. 3, 5, 57), +aus dem die uebrigen, diese Tatsache meldenden Zeugen (Aristos und Asklepiades +bei Arrian 7, 15, 5; Memnon c. 25) ohne Zweifel schoepften. Kleitarchos war +allerdings Zeitgenosse dieser Ereignisse, aber sein Leben Alexanders +nichtsdestoweniger entschieden mehr historischer Roman als Geschichte; und bei +dem Schweigen der zuverlaessigen Biographen (Art. a. a. O.; Liv. 9, 18) und dem +voellig romanhaften Detail des Berichts, wonach zum Beispiel die Roemer dem +Alexander einen goldenen Kranz ueberreicht und dieser die zukuenftige Groesse +Roms vorhergesagt haben soll, wird man nicht umhin koennen, diese Erzaehlung zu +den vielen anderen durch Kleitarchos in die Geschichte eingefuehrten +Ausschmueckungen zu stellen. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +Nichts anderes als ein abenteuernder Kriegshauptmann war auch Koenig Pyrrhos +von Epeiros; er war darum nicht minder ein Gluecksritter, dass er seinen +Stammbaum zurueckfuehrte auf Aeakos und Achilleus und dass er, waere er +friedlicher gesinnt gewesen, als “Koenig” ueber ein kleines +Bergvolk unter makedonischer Oberherrlichkeit oder auch allenfalls in +isolierter Freiheit haette leben und sterben koennen. Man hat ihn wohl +verglichen mit Alexander von Makedonien; und allerdings die Gruendung eines +westhellenischen Reiches, dessen Kern Epeiros, Grossgriechenland, Sizilien +gebildet haetten, das die beiden italischen Meere beherrscht und Rom wie +Karthago in die Reihe der barbarischen Grenzvoelker des hellenistischen +Staatensystems, der Kelten und Inder gedraengt haben wuerde - dieser Gedanke +ist wohl gross und kuehn wie derjenige, der den makedonischen Koenig ueber den +Hellespont fuehrte. Aber nicht bloss der verschiedene Ausgang unterscheidet den +oestlichen und den westlichen Heerzug. Alexander konnte mit seiner +makedonischen Armee, in der namentlich der Stab vorzueglich war, dem +Grosskoenig vollkommen die Spitze bieten; aber der Koenig von Epeiros, das +neben Makedonien stand etwa wie Hessen neben Preussen, erhielt eine +nennenswerte Armee nur durch Soeldner und durch Buendnisse, die auf zufaelligen +politischen Kombinationen beruhten. Alexander trat im Perserreich auf als +Eroberer, Pyrrhos in Italien als Feldherr einer Koalition von Sekundaerstaaten; +Alexander hinterliess sein Erbland vollkommen gesichert durch die unbedingte +Untertaenigkeit Griechenlands und das starke, unter Antipater zurueckbleibende +Heer, Pyrrhos buergte fuer die Integritaet seines eigenen Gebietes nichts als +das Wort eines zweifelhaften Nachbarn. Fuer beide Eroberer hoerte, wenn ihre +Plaene gelangen, die Heimat notwendig auf, der Schwerpunkt des neuen Reiches zu +sein; allein eher noch war es ausfuehrbar, den Sitz der makedonischen +Militaermonarchie nach Babylon zu verlegen als in Tarent oder Syrakus eine +Soldatendynastie zu gruenden. Die Demokratie der griechischen Republiken, so +sehr sie eine ewige Agonie war, liess sich in die straffen Formen des +Militaerstaats nun einmal nicht zurueckzwingen; Philipp wusste wohl, warum er +die griechischen Republiken seinem Reich nicht einverleibte. Im Orient war ein +nationaler Widerstand nicht zu erwarten; herrschende und dienende Staemme +lebten dort seit langem nebeneinander und der Wechsel des Despoten war der +Masse der Bevoelkerung gleichgueltig oder gar erwuenscht. Im Okzident konnten +die Roemer, die Samniten, die Karthager auch ueberwunden werden; aber kein +Eroberer haette es vermocht, die Italiker in aegyptische Fellahs zu verwandeln +oder aus den roemischen Bauern Zinspflichtige hellenischer Barone zu machen. +Was man auch ins Auge fasst, die eigene Macht, die Bundesgenossen, die Kraefte +der Gegner - ueberall erscheint der Plan des Makedoniers als eine ausfuehrbare, +der des Epeiroten als eine unmoegliche Unternehmung; jener als die Vollziehung +einer grossen geschichtlichen Aufgabe, dieser als ein merkwuerdiger Fehlgriff; +jener als die Grundlegung zu einem neuen Staatensystem und einer neuen Phase +der Zivilisation, dieser als eine geschichtliche Episode. Alexanders Werk +ueberlebte ihn, obwohl der Schoepfer zur Unzeit starb; Pyrrhos sah mit eigenen +Augen das Scheitern aller seiner Plaene, ehe der Tod ihn abrief. Sie beide +waren kuehne und grosse Naturen, aber Pyrrhos nur der erste Feldherr, Alexander +vor allem der genialste Staatsmann seiner Zeit; und wenn es die Einsicht in das +Moegliche und Unmoegliche ist, die den Helden vom Abenteurer scheidet, so muss +Pyrrhos diesen zugezaehlt und darf seinem groesseren Verwandten sowenig zur +Seite gestellt werden wie etwa der Connetable von Bourbon Ludwig dem Elften. +</p> + +<p> +Und dennoch knuepft sich ein wunderbarer Zauber an den Namen des Epiroten, eine +eigene Teilnahme, die allerdings zum Teil der ritterlichen und liebenswuerdigen +Persoenlichkeit desselben, aber mehr doch noch dem Umstande gilt, dass er der +erste Grieche ist, der den Roemern im Kampfe gegenuebertritt. Mit ihm beginnen +jene unmittelbaren Beziehungen zwischen Rom und Hellas, auf denen die ganze +spaetere Entfaltung der antiken Zivilisation und ein wesentlicher Teil der +modernen beruht. Der Kampf zwischen Phalangen und Kohorten, zwischen der +Soeldnerarmee und der Landwehr, zwischen dem Heerkoenigtum und dem +Senatorenregiment, zwischen dem individuellen Talent und der nationalen Kraft - +dieser Kampf zwischen Rom und dem Hellenismus ward zuerst durchgefochten in den +Schlachten zwischen Pyrrhos und den roemischen Feldherren; und wenn auch die +unterliegende Partei noch oft nachher appelliert hat an neue Entscheidung der +Waffen, so hat doch jeder spaetere Schlachttag das Urteil lediglich bestaetigt. +Wenn aber auf der Walstatt wie in der Kurie die Griechen unterliegen, so ist +ihr Uebergewicht nicht minder entschieden in jedem anderen, nicht politischen +Wettkampf, und eben schon diese Kaempfe lassen es ahnen, dass der Sieg Roms +ueber die Hellenen ein anderer sein wird als der ueber Gallier und Phoeniker, +und dass Aphroditens Zauber erst zu wirken beginnt, wenn die Lanze zersplittert +und Helm und Schild beiseite gelegt ist. +</p> + +<p> +Koenig Pyrrhos war der Sohn des Aeakides, des Herrn der Molosser (um Janina), +welcher, von Alexander geschont als Verwandter und getreuer Lehnsmann, nach +dessen Tode in den Strudel der makedonischen Familienpolitik hineingerissen +ward und darin zuerst sein Reich und dann das Leben verlor (441 313). Sein +damals sechsjaehriger Sohn ward von dem Herrn der illyrischen Taulantier, +Glaukias, gerettet und im Laufe der Kaempfe um Makedoniens Besitz, noch ein +Knabe, von Demetrios dem Belagerer wieder zurueckgefuehrt in sein angestammtes +Fuerstentum (447 307), um es nach wenigen Jahren durch den Einfluss der +Gegenpartei wieder einzubuessen (um 452 302) und als landfluechtiger +Fuerstensohn im Gefolge der makedonischen Generale seine militaerische Laufbahn +zu beginnen. Bald machte seine Persoenlichkeit sich geltend. Unter Antigonos +machte er dessen letzte Feldzuege mit; der alte Marschall Alexanders hatte +seine Freude an dem geborenen Soldaten, dem nach dem Urteile des ergrauten +Feldherrn nur die Jahre fehlten um schon jetzt der erste Kriegsmann der Zeit zu +sein. Die unglueckliche Schlacht bei Ipsos brachte ihn als Geisel nach +Alexandreia an den Hof des Gruenders der Lagidendynastie, wo er durch sein +kuehnes und derbes Wesen, seinen alles nicht Militaerische gruendlich +verachtenden Soldatensinn nicht minder des staatsklugen Koenigs Ptolemaeos +Aufmerksamkeit auf sich zog als durch seine maennliche Schoenheit, der das +wilde Antlitz, der gewaltige Tritt keinen Eintrag tat, die der koeniglichen +Damen. Eben damals gruendete der kuehne Demetrios sich wieder einmal, diesmal +in Makedonien, ein neues Reich; natuerlich in der Absicht, von dort aus die +Alexandermonarchie zu erneuern. Es galt, ihn niederzuhalten, ihm daheim zu +schaffen zu machen; und der Lagide, der solche Feuerseelen, wie der +epeirotische Juengling eine war, vortrefflich fuer seine feine Politik zu +nutzen verstand, tat nicht bloss seiner Gemahlin, der Koenigin Berenike einen +Gefallen, sondern foerderte auch seine eigenen Zwecke, indem er dem jungen +Fuersten seine Stieftochter, die Prinzessin Antigone zur Gemahlin gab und dem +geliebten “Sohn” zur Rueckkehr in die Heimat seinen Beistand und +seinen maechtigen Einfluss lieh (458 296). Zurueckgekehrt in sein vaeterliches +Reich fiel ihm bald alles zu; die tapferen Epeiroten, die Albanesen des +Altertums, hingen mit angestammter Treue und frischer Begeisterung an dem +mutigen Juengling, dem “Adler”, wie sie ihn hiessen. In den um die +makedonische Thronfolge nach Kassanders Tod (457 297) entstandenen Wirren +erweiterte der Epeirote sein Reich; nach und nach gewann er die Landschaften an +dem ambrakischen Busen mit der wichtigen Stadt Ambrakia, die Insel Kerkyra, ja +selbst einen Teil des makedonischen Gebiets, und widerstand mit weit geringeren +Streitkraeften dem Koenig Demetrios zur Bewunderung der Makedonier selbst. Ja, +als Demetrios durch seine eigene Torheit in Makedonien vom Thron gestuerzt war, +trug man dort dem ritterlichen Gegner, dem Verwandten der Alexandriden, +denselben freiwillig an (467 287). In der Tat, keiner war wuerdiger als +Pyrrhos, das koenigliche Diadem Philipps und Alexanders zu tragen. In einer +tief versunkenen Zeit, in der Fuerstlichkeit und Niedertraechtigkeit +gleichbedeutend zu werden begannen, leuchtete hell Pyrrhos’ persoenlich +unbefleckter und sittenreiner Charakter. Fuer die freien Bauern des +makedonischen Stammlandes, die, obwohl gemindert und verarmt, sich doch +fernhielten von dem Verfall der Sitten und der Tapferkeit, den das +Diadochenregiment in Griechenland und Asien herbeifuehrte, schien eben Pyrrhos +recht eigentlich zum Koenig geschaffen; er, der gleich Alexander in seinem +Haus, im Freundeskreise allen menschlichen Beziehungen sein Herz offen erhielt +und das in Makedonien so verhasste orientalische Sultanwesen stets von sich +abgewehrt hatte; er, der gleich Alexander anerkannt der erste Taktiker seiner +Zeit war. Aber das seltsam ueberspannte makedonische Nationalgefuehl, das den +elendesten makedonischen Herrn dem tuechtigsten Fremden vorzog, die +unvernuenftige Widerspenstigkeit der makedonischen Truppen gegen jeden nicht +makedonischen Fuehrer, welcher der groesste Feldherr aus Alexanders Schule, der +Kardianer Eumenes erlegen war, bereitete auch der Herrschaft des epeirotischen +Fuersten ein schnelles Ende. Pyrrhos, der die Herrschaft ueber Makedonien mit +dem Willen der Makedonier nicht fuehren konnte, und zu machtlos, vielleicht +auch zu hochherzig war, um sich dem Volke gegen dessen Willen aufzudraengen, +ueberliess schon nach siebenmonatlicher Herrschaft das Land seiner +einheimischen Missregierung und ging heim zu seinen treuen Epeiroten (467 287). +Aber der Mann, der Alexanders Krone getragen hatte, der Schwager des Demetrios, +der Schwiegersohn des Lagiden und des Agathokles von Syrakus, der hochgebildete +Strategiker, der Memoiren und wissenschaftliche Abhandlungen ueber die +Kriegskunst schrieb, konnte unmoeglich sein Leben darueber beschliessen, dass +er zu gesetzter Zeit im Jahre die Rechnungen des koeniglichen Viehverwalters +durchsah und von seinen braven Epeiroten die landueblichen Geschenke an Rindern +und Schafen entgegennahm, um sich alsdann am Altar des Zeus von ihnen den Eid +der Treue erneuern zu lassen und selbst den Eid auf die Gesetze zu wiederholen +und, diesem allen zu mehrerer Bekraeftigung, mit ihnen die Nacht hindurch zu +zechen. War kein Platz fuer ihn auf dem makedonischen Thron, so war ueberhaupt +in der Heimat seines Bleibens nicht; er konnte der Erste sein und also nicht +der Zweite. So wandten sich seine Blicke in die Weite. Die Koenige, die um +Makedoniens Besitz haderten, obwohl sonst in nichts einig, waren gern bereit, +gemeinschaftlich zu helfen, dass der gefaehrliche Nebenbuhler freiwillig +ausscheide; und dass die treuen Kriegsgenossen ihm folgen wuerden, wohin er sie +fuehrte, dessen war er gewiss. Eben damals stellten die italischen +Verhaeltnisse sich so, dass jetzt wiederum als ausfuehrbar erscheinen konnte, +was vierzig Jahre frueher Pyrrhos’ Verwandter, seines Vaters Vetter +Alexander von Epeiros, und eben erst sein Schwiegervater Agathokles +beabsichtigt hatten; und so entschloss sich Pyrrhos, auf seine makedonischen +Plaene zu verzichten und im Westen eine neue Herrschaft fuer sich und fuer die +hellenische Nation zu gruenden. +</p> + +<p> +Die Waffenruhe, die der Friede mit Samnium 464 (290) fuer Italien +herbeigefuehrt hatte, war von kurzer Dauer; der Anstoss zur Bildung einer neuen +Ligue gegen die roemische Uebermacht kam diesmal von den Lucanern. Dieser +Voelkerschaft, die durch ihre Parteinahme fuer Rom die Tarentiner waehrend der +Samnitischen Kriege gelaehmt und zu deren Entscheidung wesentlich beigetragen +hatte, waren dafuer von den Roemern die Griechenstaedte in ihrem Gebiet +preisgegeben worden; und demgemaess hatten sie nach abgeschlossenem Frieden in +Gemeinschaft mit den Brettiern sich daran gemacht, eine nach der anderen zu +bezwingen. Die Thuriner, wiederholt angegriffen von dem Feldherrn der Lucaner, +Stenius Statilius, und aufs aeusserste bedraengt, wandten sich, ganz wie einst +die Kampaner die Hilfe Roms gegen die Samniten in Anspruch genommen hatten und +ohne Zweifel um den gleichen Preis ihrer Freiheit und Selbstaendigkeit, mit der +Bitte um Beistand gegen die Lucaner an den roemischen Senat. Da das Buendnis +mit diesen durch die Anlage der Festung Venusia fuer Rom entbehrlich geworden +war, gewaehrten die Roemer das Begehren der Thuriner und geboten ihren +Bundesfreunden von der Stadt, die sich den Roemern ergeben habe, abzulassen. +Die Lucaner und Brettier, also von den maechtigeren Verbuendeten betrogen um +den Anteil an der gemeinschaftlichen Beute, knuepften Verhandlungen an mit der +samnitisch-tarentinischen Oppositionspartei, um eine neue Koalition der +Italiker zustande zu bringen; und als die Roemer sie durch eine Gesandtschaft +warnen liessen, setzten sie den Gesandten gefangen und begannen den Krieg gegen +Rom mit einem neuen Angriff auf Thurii (um 469 285), indem sie zugleich nicht +bloss die Samniten und die Tarentiner, sondern auch die Norditaliker, die +Etrusker, Umbrer, Gallier aufriefen, mit ihnen zum Freiheitskampf sich zu +vereinigen. In der Tat erhob sich der etruskische Bund und dang zahlreiche +gallische Haufen; das roemische Heer, das der Praetor Lucius Caecilius den treu +gebliebenen Arretinern zu Hilfe fuehrte, ward unter den Mauern dieser Stadt von +den senonischen Soeldnern der Etrusker vernichtet, der Feldherr selbst fiel mit +13000 seiner Leute (470 284). Die Senonen zaehlten zu Roms Bundesgenossen: die +Roemer schickten demnach Gesandte an sie, um ueber die Stellung von +Reislaeufern gegen Rom Klage zu fuehren und die unentgeltliche Rueckgabe der +Gefangenen zu begehren. Aber auf Befehl des Senonenhaeuptlings Britomaris, der +den Tod seines Vaters an den Roemern zu raechen hatte, erschlugen die Senonen +die roemischen Boten und ergriffen offen die Partei der Etrusker. Ganz +Norditalien, Etrusker, Umbrer, Gallier, stand somit gegen Rom in Waffen; es +konnten grosse Erfolge gewonnen werden, wenn die suedlichen Landschaften diesen +Augenblick ergriffen und auch diejenigen, die es nicht bereits getan, sich +gegen Rom erklaerten. In der Tat scheinen die Samniten, immer fuer die Freiheit +einzustehen willig, den Roemern den Krieg erklaert zu haben; aber geschwaecht +und von allen Seiten eingeschlossen, wie sie waren, konnten sie dem Bunde wenig +nuetzen, und Tarent zauderte nach seiner Gewohnheit. Waehrend unter den Gegnern +Buendnisse verhandelt, Subsidientraktate festgesetzt, Soeldner zusammengebracht +wurden, handelten die Roemer. Zunaechst hatten es die Senonen zu empfinden, wie +gefaehrlich es sei, die Roemer zu besiegen. Der Konsul Publius Cornelius +Dolabella rueckte mit einem starken Heer in ihr Gebiet; was nicht ueber die +Klinge sprang, ward aus dem Lande ausgetrieben und dieser Stamm ausgestrichen +aus der Reihe der italischen Nationen (471 283). Bei einem vorzugsweise von +seinen Herden lebenden Volke war eine derartige massenhafte Austreibung wohl +ausfuehrbar; wahrscheinlich halfen diese aus Italien vertriebenen Senonen die +gallischen Schwaerme bilden, die bald nachher das Donaugebiet, Makedonien, +Griechenland, Kleinasien ueberschwemmten. Die naechsten Nachbarn und +Stammgenossen der Senonen, die Boier, erschreckt und erbittert durch die +furchtbar schnell sich vollendende Katastrophe, vereinigten sich augenblicklich +mit den Etruskern, die noch den Krieg fortfuehrten und deren senonische +Soeldner jetzt gegen die Roemer nicht mehr als Mietlinge fochten, sondern als +verzweifelte Raecher der Heimat; ein gewaltiges etruskisch-gallisches Heer zog +gegen Rom, um fuer die Vernichtung des Senonenstammes an der Hauptstadt der +Feinde Rache zu nehmen und vollstaendiger, als einst der Heerkoenig derselben +Senonen es getan, Rom von der Erde zu vertilgen. Allein beim Uebergang ueber +den Tiber in der Naehe des Vadimonischen Sees wurde das vereinigte Heer von den +Roemern nachdruecklich geschlagen (471 283). Nachdem sie das Jahr darauf noch +einmal bei Populonia mit nicht besserem Erfolg eine Feldschlacht gewagt hatten, +liessen die Boier ihre Bundesgenossen im Stich und schlossen fuer sich mit den +Roemern Frieden (472 282). So war das gefaehrlichste Glied der Ligue, das +Galliervolk, einzeln ueberwunden, ehe noch der Bund sich vollstaendig +zusammenfand, und dadurch Rom freie Hand gegen Unteritalien gegeben, wo in den +Jahren 469-471 (285-283) der Kampf nicht ernstlich gefuehrt worden war. Hatte +bis dahin die schwache roemische Armee Muehe gehabt, sich in Thurii gegen die +Lucaner und Brettier zu behaupten, so erschien jetzt (472 282) der Konsul Gaius +Fabricius Luscinus mit einem starken Heer vor der Stadt, befreite dieselbe, +schlug die Lucaner in einem grossen Treffen und nahm ihren Feldherrn Statilius +gefangen. Die kleineren nichtdorischen Griechenstaedte, die in den Roemern ihre +Retter erkannten, fielen ihnen ueberall freiwillig zu; roemische Besatzungen +blieben zurueck in den wichtigsten Plaetzen, in Lokri, Kroton, Thurii und +namentlich in Rhegion, auf welche letztere Stadt auch die Karthager Absichten +zu haben schienen. Ueberall war Rom im entschiedensten Vorteil. Die Vernichtung +der Senonen hatte den Roemern eine bedeutende Strecke des adriatischen Litorals +in die Haende gegeben; ohne Zweifel im Hinblick auf die unter der Asche +glimmende Fehde mit Tarent und die schon drohende Invasion der Epeiroten eilte +man, sich dieser Kueste sowie der Adriatischen See zu versichern. Es ward (um +471 283) eine Buergerkolonie gefuehrt nach dem Hafenplatz Sena (Sinigaglia), +der ehemaligen Hauptstadt des senonischen Bezirks und gleichzeitig segelte eine +roemische Flotte aus dem Tyrrhenischen Meer in die oestlichen Gewaesser, +offenbar, um im Adriatischen Meer zu stationieren und dort die roemischen +Besitzungen zu decken. +</p> + +<p> +Die Tarentiner hatten seit dem Vertrag von 450 (304) mit Rom in Frieden gelebt. +Sie hatten der langen Agonie der Samniten, der raschen Vernichtung der Senonen +zugesehen, sich die Gruendung von Venusia, Hatria, Sena, die Besetzung von +Thurii und Rhegion gefallen lassen, ohne Einspruch zu tun. Aber als jetzt die +roemische Flotte auf ihrer Fahrt vom Tyrrhenischen ins Adriatische Meer in die +tarentinischen Gewaesser gelangte und im Hafen der befreundeten Stadt vor Anker +ging, schwoll die langgehegte Erbitterung endlich ueber; die alten Vertraege, +die den roemischen Kriegsschiffen untersagten, oestlich vom Lakinischen +Vorgebirg zu fahren, wurden in der Buergerversammlung von den Volksmaennern zur +Sprache gebracht; wuetend stuerzte der Haufen ueber die roemischen +Kriegsschiffe her, die, unversehens nach Piratenart ueberfallen, nach heftigem +Kampfe unterlagen; fuenf Schiffe wurden genommen und deren Mannschaft +hingerichtet oder in die Knechtschaft verkauft, der roemische Admiral selbst +war in dem Kampf gefallen. Nur der souveraene Unverstand und die souveraene +Gewissenlosigkeit der Poebelherrschaft erklaert diese schmachvollen Vorgaenge. +Jene Vertraege gehoerten einer Zeit an, die laengst ueberschritten und +verschollen war; es ist einleuchtend, dass sie wenigstens seit der Gruendung +von Hatria und Sena schlechterdings keinen Sinn mehr hatten und dass die Roemer +im guten Glauben an das bestehende Buendnis in den Golf einfuhren - lag es doch +gar sehr in ihrem Interesse, wie der weitere Verlauf der Dinge zeigt, den +Tarentinern durchaus keinen Anlass zur Kriegserklaerung darzubieten. Wenn die +Staatsmaenner Tarents den Krieg an Rom erklaeren wollten, so taten sie bloss, +was laengst haette geschehen sollen; und wenn sie es vorzogen, die +Kriegserklaerung statt auf den wirklichen Grund vielmehr auf formalen +Vertragsbruch zu stuetzen, so liess sich dagegen weiter nichts erinnern, da ja +die Diplomatie zu allen Zeiten es unter ihrer Wuerde erachtet hat, das Einfache +einfach zu sagen. Allein dass man, statt den Admiral zur Umkehr aufzufordern, +die Flotte mit gewaffneter Hand ungewarnt ueberfiel, war eine Torheit nicht +minder als eine Barbarei, eine jener entsetzlichen Barbareien der Zivilisation, +wo die Gesittung ploetzlich das Steuerruder verliert und die nackte Gemeinheit +vor uns hintritt, gleichsam um zu warnen vor dem kindischen Glauben, als +vermoege die Zivilisation aus der Menschennatur die Bestialitaet auszuwurzeln. +</p> + +<p> +Und als waere damit noch nicht genug getan, ueberfielen nach dieser Heldentat +die Tarentiner Thurii, dessen roemische Besatzung infolge der Ueberrumpelung +kapitulierte (im Winter 472/73 282/81), und bestraften die Thuriner, dieselben, +die die tarentinische Politik den Lucanern preisgegeben und dadurch gewaltsam +zur Ergebung an Rom gedraengt hatte, schwer fuer ihren Abfall von der +hellenischen Partei zu den Barbaren. +</p> + +<p> +Die Barbaren verfuhren indes mit einer Maessigung, die bei solcher Macht und +nach solchen Kraenkungen Bewunderung erregt. Es lag im Interesse Roms, die +tarentinische Neutralitaet so lange wie moeglich gelten zu lassen, und die +leitenden Maenner im Senat verwarfen deshalb den Antrag, den eine Minoritaet in +begreiflicher Erbitterung stellte, den Tarentinern sofort den Krieg zu +erklaeren. Vielmehr wurde die Fortdauer des Friedens roemischerseits an die +maessigsten Bedingungen geknuepft, die sich mit Roms Ehre vertrugen: Entlassung +der Gefangenen, Rueckgabe von Thurii, Auslieferung der Urheber des Ueberfalls +der Flotte. Mit diesen Vorschlaegen ging eine roemische Gesandtschaft nach +Tarent (473 281), waehrend gleichzeitig, ihren Worten Nachdruck zu geben, ein +roemisches Heer unter dem Konsul Lucius Aemilius in Samnium einrueckte. Die +Tarentiner konnten, ohne ihrer Unabhaengigkeit etwas zu vergeben, diese +Bedingungen eingehen, und bei der geringen Kriegslust der reichen Kaufstadt +durfte man in Rom mit Recht annehmen, dass ein Abkommen noch moeglich sei. +Allein der Versuch, den Frieden zu erhalten, scheiterte - sei es an dem +Widerspruch derjenigen Tarentiner, die die Notwendigkeit erkannten, den +Uebergriffen Roms je eher desto lieber mit den Waffen entgegenzutreten, sei es +bloss an der Unbotmaessigkeit des staedtischen Poebels, der sich mit beliebter +griechischer Ungezogenheit sogar an der Person des Gesandten in unwuerdiger +Weise vergriff. Nun rueckte der Konsul in das tarentinische Gebiet ein; aber +statt sofort die Feindseligkeiten zu eroeffnen, bot er noch einmal auf +dieselben Bedingungen den Frieden; und da auch dies vergeblich war, begann er +zwar die Aecker und Landhaeuser zu verwuesten und schlug die staedtischen +Milizen, aber die vornehmeren Gefangenen wurden ohne Loesegeld entlassen und +man gab die Hoffnung nicht auf, dass der Kriegsdruck der aristokratischen +Partei in der Stadt das Uebergewicht geben und damit den Frieden herbeifuehren +werde. Die Ursache dieser Zurueckhaltung war, dass die Roemer die Stadt nicht +dem Epeirotenkoenig in die Arme treiben wollten. Die Absichten desselben auf +Italien waren kein Geheimnis mehr. Schon war eine tarentinische Gesandtschaft +zu Pyrrhos gegangen und unverrichteter Sache zurueckgekehrt; der Koenig hatte +mehr begehrt, als sie zu bewilligen Vollmacht hatte. Man musste sich +entscheiden. Dass die Buergerwehr vor den Roemern nur wegzulaufen verstand, +davon hatte man sich sattsam ueberzeugt; es blieb nur die Wahl zwischen Frieden +mit Rom, den die Roemer unter billigen Bedingungen zu bewilligen fortwaehrend +bereit waren, und Vertrag mit Pyrrhos auf jede dem Koenig gutduenkende +Bedingung, das heisst die Wahl zwischen Unterwerfung unter die roemische +Obermacht oder unter die Tyrannis eines griechischen Soldaten. Die Parteien +hielten in der Stadt sich fast die Waage; endlich blieb die Oberhand der +Nationalpartei, wobei ausser dem wohl gerechtfertigten Motiv, sich, wenn einmal +ueberhaupt einem Herrn, lieber einem Griechen als Barbaren zu eigen zu geben, +auch noch die Furcht der Demagogen mitwirkte, dass Rom trotz seiner jetzigen, +durch die Umstaende erzwungenen Maessigung bei geeigneter Gelegenheit nicht +saeumen werde, Rache fuer die von dem Tarentiner Poebel veruebten +Schaendlichkeiten zu nehmen. Die Stadt schloss also mit Pyrrhos ab. Er erhielt +den Oberbefehl ueber die Truppen der Tarentiner und der uebrigen gegen Rom +unter Waffen stehenden Italioten; ferner das Recht, in Tarent Besatzung zu +halten. Dass die Stadt die Kriegskosten trug, versteht sich von selbst. Pyrrhos +versprach dagegen, in Italien nicht laenger als noetig zu bleiben, vermutlich +unter dem stillschweigenden Vorbehalt, die Zeit, waehrend welcher er dort +noetig sein werde, nach eigenem Ermessen festzustellen. Dennoch waere ihm die +Beute fast unter den Haenden entschluepft. Waehrend die tarentinischen +Gesandten - ohne Zweifel die Haeupter der Kriegspartei - in Epeiros abwesend +waren, schlug in der von den Roemern jetzt hart gedraengten Stadt die Stimmung +um; schon war der Oberbefehl dem Agis, einem roemisch Gesinnten uebertragen, +als die Rueckkehr der Gesandten mit dem abgeschlossenen Traktat in Begleitung +von Pyrrhos’ vertrautem Minister Kineas die Kriegspartei wieder ans Ruder +brachte. Bald fasste eine festere Hand die Zuegel und machte dem klaeglichen +Schwanken ein Ende. Noch im Herbst 473 (281) landete Pyrrhos’ General +Milon mit 3000 Epeiroten und besetzte die Zitadelle der Stadt; ihm folgte zu +Anfang des Jahres 474 (280) nach einer stuermischen, zahlreiche Opfer +fordernden Ueberfahrt der Koenig selbst. Er fuehrte nach Tarent ein +ansehnliches, aber buntgemischtes Heer, teils bestehend aus den Haustruppen, +den Molossern, Thesprotiern, Chaonern, Ambrakioten, teils aus dem makedonischen +Fussvolk und der thessalischen Reiterei, die Koenig Ptolemaeos von Makedonien +vertragsmaessig ihm ueberlassen, teils aus aetolischen, akarnanischen, +athamanischen Soeldnern; im ganzen zaehlte man 20000 Phalangiten, 2000 +Bogenschuetzen, 500 Schleuderer, 3000 Reiter und 20 Elefanten, also nicht viel +weniger, als dasjenige Heer betragen hatte, mit dem Alexander fuenfzig Jahre +zuvor den Hellespont ueberschritt. +</p> + +<p> +Die Angelegenheiten der Koalition standen nicht zum besten, als der Koenig kam. +Zwar hatte der roemische Konsul, sowie er die Soldaten Milons anstatt der +tarentinischen Miliz sich gegenueber aufziehen sah, den Angriff auf Tarent +aufgegeben und sich nach Apulien zurueckgezogen; aber mit Ausnahme des Gebietes +von Tarent beherrschten die Roemer so gut wie ganz Italien. Nirgends in +Unteritalien hatte die Koalition eine Armee im Felde, und auch in Oberitalien +hatten die Etrusker, die allein noch in Waffen standen, in dem letzten Feldzuge +(473 281) nichts als Niederlagen erlitten. Die Verbuendeten hatten, ehe der +Koenig zu Schiff ging, ihm den Oberbefehl ueber ihre saemtlichen Truppen +uebertragen und ein Heer von 350000 Mann zu Fuss und 20000 Reiter ins Feld +stellen zu koennen erklaert; zu diesen grossen Worten bildete die Wirklichkeit +einen unerfreulichen Kontrast. Das Heer, dessen Oberbefehl man Pyrrhos +uebertragen, war noch erst zu schaffen, und vorlaeufig standen dazu +hauptsaechlich nur Tarents eigene Hilfsquellen zu Gebot. Der Koenig befahl die +Anwerbung eines italischen Soeldnerheeres mit tarentinischem Gelde und hob die +dienstfaehigen Leute aus der Buergerschaft zum Kriegsdienst aus. So aber hatten +die Tarentiner den Vertrag nicht verstanden. Sie hatten gemeint, den Sieg wie +eine andere Ware fuer ihr Geld sich gekauft zu haben; es war eine Art +Kontraktbruch, dass der Koenig sie zwingen wollte, sich ihn selber zu +erfechten. Je mehr die Buergerschaft anfangs nach Milons Eintreffen sich +gefreut hatte, des laestigen Postendienstes los zu sein, desto unwilliger +stellte man jetzt sich unter die Fahnen des Koenigs; den Saeumigen musste mit +Todesstrafe gedroht werden. Jetzt gab der Ausgang bei allen der Friedenspartei +Recht, und es wurden sogar mit Rom Verbindungen angeknuepft oder schienen doch +angeknuepft zu werden. Pyrrhos, auf solchen Widerstand vorbereitet, behandelte +die Stadt fortan wie eine eroberte: die Soldaten wurden in die Haeuser +einquartiert, die Volksversammlungen und die zahlreichen Kraenzchen (συσσίτια) +suspendiert, das Theater geschlossen, die Promenaden gesperrt, die Tore mit +epeirotischen Wachen besetzt. Eine Anzahl der fuehrenden Maenner wurden als +Geiseln ueber das Meer gesandt; andere entzogen sich dem gleichen Schicksal +durch die Flucht nach Rom. Diese strengen Massregeln waren notwendig, da es +schlechterdings unmoeglich war, sich in irgendeinem Sinn auf die Tarentiner zu +verlassen; erst jetzt konnte der Koenig, gestuetzt auf den Besitz der wichtigen +Stadt, die Operationen im Felde beginnen. +</p> + +<p> +Auch in Rom wusste man sehr wohl, welchem Kampf man entgegenging. Um vor allem +die Treue der Bundesgenossen, das heisst der Untertanen zu sichern, erhielten +die unzuverlaessigen Staedte Besatzung und wurden die Fuehrer der Partei der +Unabhaengigkeit, wo es notwendig schien, festgesetzt oder hingerichtet, so zum +Beispiel eine Anzahl Mitglieder des praenestinischen Senats. Fuer den Krieg +selbst wurden grosse Anstrengungen gemacht; es ward eine Kriegssteuer +ausgeschrieben, von allen Untertanen und Bundesgenossen das volle Kontingent +eingemahnt, ja die eigentlich von der Dienstpflicht befreiten Proletarier unter +die Waffen gerufen. Ein roemisches Heer blieb als Reserve in der Hauptstadt. +Ein zweites rueckte unter dem Konsul Tiberius Coruncanius in Etrurien ein und +trieb Volci und Volsinii zu Paaren. Die Hauptmacht war natuerlich nach +Unteritalien bestimmt; man beschleunigte so viel als moeglich ihren Abmarsch, +um Pyrrhos noch in der Gegend von Tarent zu erreichen und ihn zu hindern, die +Samniten und die uebrigen gegen Rom in Waffen stehenden sueditalischen +Aufgebote mit seinen Truppen zu vereinigen. Einen vorlaeufigen Damm gegen das +Umsichgreifen des Koenigs sollten die roemischen Besatzungen gewaehren, die in +den Griechenstaedten Unteritaliens lagen. Indes die Meuterei der in Rhegion +liegenden Truppe - es war eine der aus den kampanischen Untertanen Roms +ausgehobenen Legionen unter einem kampanischen Hauptmann Decius - entriss den +Roemern diese wichtige Stadt, ohne sie doch Pyrrhos in die Haende zu geben. +Wenn einerseits bei diesem Militaeraufstand der Nationalhass der Kampaner gegen +die Roemer unzweifelhaft mitwirkte, so konnte anderseits Pyrrhos, der zu Schirm +und Schutz der Hellenen ueber das Meer gekommen war, unmoeglich die Truppe in +den Bund aufnehmen, welche ihre rheginischen Wirte in den Haeusern +niedergemacht hatte; und so blieb sie fuer sich, im engen Bunde mit ihren +Stamm- und Frevelgenossen, den Mamertinern, das heisst den kampanischen +Soeldnern des Agathokles, die das gegenueberliegende Messana in aehnlicher +Weise gewonnen hatten, und brandschatzte und verheerte auf eigene Rechnung die +umliegenden Griechenstaedte, so Kroton, wo sie die roemische Besatzung +niedermachte, und Kaulonia, das sie zerstoerte. Dagegen gelang es den Roemern, +durch ein schwaches Korps, das an die lucanische Grenze rueckte, und durch die +Besatzung von Venusia die Lucaner und Samniten an der Vereinigung mit Pyrrhos +zu hindern, waehrend die Hauptmacht, wie es scheint vier Legionen, also mit der +entsprechenden Zahl von Bundestruppen mindestens 50000 Mann stark, unter dem +Konsul Publius Laevinus gegen Pyrrhos marschierte. Dieser hatte sich zur +Deckung der tarentinischen Kolonie Herakleia zwischen dieser Stadt und Pandosia +^2 mit seinen eigenen und den tarentinischen Truppen aufgestellt (474 280). Die +Roemer erzwangen unter Deckung ihrer Reiterei den Uebergang ueber den Siris und +eroeffneten die Schlacht mit einem hitzigen und gluecklichen Reiterangriff; der +Koenig, der seine Reiter selber fuehrte, stuerzte und die griechischen Reiter, +durch das Verschwinden des Fuehrers in Verwirrung gebracht, raeumten den +feindlichen Schwadronen das Feld. Indes Pyrrhos stellte sich an die Spitze +seines Fussvolks, und von neuem begann ein entscheidenderes Treffen. Siebenmal +trafen die Legionen und die Phalanx im Stoss aufeinander und immer noch stand +der Kampf. Da fiel Megakles, einer der besten Offiziere des Koenigs, und weil +er an diesem heissen Tage die Ruestung des Koenigs getragen hatte, glaubte das +Heer zum zweitenmal, dass der Koenig gefallen sei; die Reihen wurden unsicher, +schon meinte Laevinus den Sieg in der Hand zu haben und warf seine saemtliche +Reiterei den Griechen in die Flanke. Aber Pyrrhos, entbloessten Hauptes durch +die Reihen des Fussvolks schreitend, belebte den sinkenden Mut der Seinigen. +Gegen die Reiter wurden die bis dahin zurueckgehaltenen Elefanten vorgefuehrt; +die Pferde scheuten vor ihnen, die Soldaten wussten den gewaltigen Tieren nicht +beizukommen und wandten sich zur Flucht. Die zersprengten Reiterhaufen, die +nachsetzenden Elefanten loesten endlich auch die geschlossenen Glieder des +roemischen Fussvolks, und die Elefanten, im Verein mit der trefflichen +thessalischen Reiterei, richteten ein grosses Blutbad unter den Fluechtenden +an. Haette nicht ein tapferer roemischer Soldat, Gaius Minucius, der erste +Hastat der vierten Legion, einen der Elefanten verwundet und dadurch die +verfolgenden Truppen in Verwirrung gebracht, so waere das roemische Heer +aufgerieben worden; so gelang es, den Rest der roemischen Truppen ueber den +Siris zurueckzufuehren. Ihr Verlust war gross: 7000 Roemer wurden tot oder +verwundet von den Siegern auf der Walstatt gefunden, 2000 gefangen eingebracht; +die Roemer selbst gaben, wohl mit Einschluss der vom Schlachtfeld +zurueckgebrachten Verwundeten, ihren Verlust an auf 15000 Mann. Aber auch +Pyrrhos’ Heer hatte nicht viel weniger gelitten; gegen 4000 seiner besten +Soldaten bedeckten das Schlachtfeld und mehrere seiner tuechtigsten Obersten +waren gefallen. Erwaegend, dass sein Verlust hauptsaechlich auf die +altgedienten Leute traf, die bei weitem schwerer zu ersetzen waren als die +roemische Landwehr, und dass er den Sieg nur der Ueberraschung durch den +Elefantenangriff verdankte, die sich nicht oft wiederholen liess, mag der +Koenig wohl, strategischer Kritiker wie er war, spaeterhin diesen Sieg einer +Niederlage aehnlich genannt haben; wenn er auch nicht so toericht war, wie die +roemischen Poeten nachher gedichtet haben, in der Aufschrift des von ihm in +Tarent aufgestellten Weihgeschenkes diese Selbstkritik dem Publikum +mitzuteilen. Politisch kam zunaechst wenig darauf an, welche Opfer der Sieg +gekostet hatte; vielmehr war der Gewinn der ersten Schlacht gegen die Roemer +fuer Pyrrhos ein unschaetzbarer Erfolg. Sein Feldherrntalent hatte auch auf +diesem neuen Schlachtfeld sich glaenzend bewaehrt, und wenn irgend etwas, +musste der Sieg von Herakleia dem hinsiechenden Bunde der Italiker Einigkeit +und Energie einhauchen. Aber auch die unmittelbaren Ergebnisse des Sieges waren +ansehnlich und nachhaltig. Lucanien war fuer die Roemer verloren; Laevinus zog +die dort stehenden Truppen an sich und ging nach Apulien. Die Brettier, +Lucaner, Samniten vereinigten sich ungehindert mit Pyrrhos. Mit Ausnahme von +Rhegion, das unter dem Druck der kampanischen Meuterer schmachtete, fielen die +Griechenstaedte saemtlich dem Koenig zu, ja Lokri lieferte ihm freiwillig die +roemische Besatzung aus; von ihm waren sie ueberzeugt, und mit Recht, dass er +sie den Italikern nicht preisgeben werde. Die Sabeller und Griechen also traten +zu Pyrrhos ueber; aber weiter wirkte der Sieg auch nicht. Unter den Latinern +zeigte sich keine Neigung, der roemischen Herrschaft, wie schwer sie auch +lasten mochte, mit Hilfe eines fremden Dynasten sich zu entledigen. Venusia, +obgleich jetzt rings von Feinden umschlossen, hielt unerschuetterlich fest an +Rom. Den am Siris Gefangenen, deren tapfere Haltung der ritterliche Koenig +durch die ehrenvollste Behandlung vergalt, bot er nach griechischer Sitte an, +in sein Heer einzutreten; allein er erfuhr, dass er nicht mit Soeldnern focht, +sondern mit einem Volke. Nicht einer, weder Roemer noch Latiner, nahm bei ihm +Dienste. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +2 Bei dem heutigen Anglona; nicht zu verwechseln mit der bekannteren Stadt +gleichen Namens in der Gegend von Cosenza. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +Pyrrhos bot den Roemern Frieden an. Er war ein zu einsichtiger Militaer, um das +Missliche seiner Stellung zu verkennen, und ein zu gewiegter Staatsmann, um +nicht denjenigen Augenblick, der ihm die guenstigste Stellung gewaehrte, +rechtzeitig zum Friedensschluss zu benutzen. Jetzt hoffte er unter dem ersten +Eindruck der gewaltigen Schlacht, es in Rom durchsetzen zu koennen, dass die +griechischen Staedte in Italien frei wuerden und zwischen ihnen und Rom eine +Reihe Staaten zweiten und dritten Ranges als abhaengige Verbuendete der neuen +griechischen Macht ins Leben traeten; denn darauf gingen seine Forderungen: +Entlassung aller griechischen Staedte - also namentlich der kampanischen und +lucanischen - aus der roemischen Botmaessigkeit und Rueckgabe des den Samniten, +Dauniern, Lucanern, Brettiern abgenommenen Gebiets, das heisst namentlich +Aufgabe von Luceria und Venusia. Konnte ein weiterer Kampf mit Rom auch +schwerlich vermieden werden, so war es doch wuenschenswert, diesen erst zu +beginnen, wenn die westlichen Hellenen unter einem Herrn vereinigt, Sizilien +gewonnen, vielleicht Afrika erobert war. +</p> + +<p> +Mit solchen Instruktionen versehen, begab sich Pyrrhos’ vertrauter +Minister, der Thessalier Kineas, nach Rom. Der gewandte Unterhaendler, den +seine Zeitgenossen dem Demosthenes verglichen, soweit sich dem Staatsmann der +Rhetor, dem Volksfuehrer der Herrendiener vergleichen laesst, hatte Auftrag, +die Achtung, die der Sieger von Herakleia fuer seine Besiegten in der Tat +empfand, auf alle Weise zur Schau zu tragen, den Wunsch des Koenigs, selber +nach Rom zu kommen, zu erkennen zu geben, durch die im Munde des Feindes so +wohlklingende Lob- und durch ernste Schmeichelrede, gelegentlich auch durch +wohlangebrachte Geschenke die Gemueter zu des Koenigs Gunsten zu stimmen, kurz, +alle Kuenste der Kabinettspolitik, wie sie an den Hoefen von Alexandreia und +Antiocheia erprobt waren, gegen die Roemer zu versuchen. Der Senat schwankte; +manchen erschien es der Klugheit gemaess, einen Schritt zurueck zu tun und +abzuwarten, bis der gefaehrliche Gegner sich weiter verwickelt haben oder nicht +mehr sein wuerde. Indes der greise und blinde Konsular Appius Claudius (Zensor +442 312, Konsul 447, 458 307, 296), der seit langem sich von den +Staatsgeschaeften zurueckgezogen hatte, aber in diesem entscheidenden +Augenblick sich in den Senat fuehren liess, hauchte die ungebrochene Energie +einer gewaltigen Natur mit seinen Flammenworten dem juengeren Geschlecht in die +Seele. Man antwortete dem Koenig das stolze Wort, das hier zuerst vernommen und +seitdem Staatsgrundsatz ward, dass Rom nicht unterhandle, solange auswaertige +Truppen auf italischem Gebiet staenden, und das Wort wahr zu machen, wies man +den Gesandten sofort aus der Stadt. Der Zweck der Sendung war verfehlt und der +gewandte Diplomat, statt mit seiner Redekunst Effekt zu machen, hatte vielmehr +durch diesen maennlichen Ernst nach so schwerer Niederlage sich selber +imponieren lassen - er erklaerte daheim, dass in dieser Stadt jeder Buerger ihm +erschienen sei wie ein Koenig; freilich, der Hofmann hatte ein freies Volk zu +Gesicht bekommen. +</p> + +<p> +Pyrrhos, der waehrend dieser Verhandlungen in Kampanien eingerueckt war, brach +auf die Nachricht von ihrem Abbruch sogleich auf gegen Rom, um den Etruskern +die Hand zu reichen, die Bundesgenossen Roms zu erschuettern, die Stadt selber +zu bedrohen. Aber die Roemer liessen sich so wenig schrecken wie gewinnen. Auf +den Ruf des Heroldes, “an die Stelle der Gefallenen sich einschreiben zu +lassen”, hatte gleich nach der Schlacht von Herakleia die junge +Mannschaft sich scharenweise zur Aushebung gedraengt; mit den beiden +neugebildeten Legionen und dem aus Lucanien zurueckgezogenen Korps folgte +Laevinus, staerker als vorher, dem Marsch des Koenigs; er deckte gegen +denselben Capua und vereitelte dessen Versuche, mit Neapel Verbindungen +anzuknuepfen. So straff war die Haltung der Roemer, dass ausser den +unteritalischen Griechen kein namhafter Bundesstaat es wagte, vom roemischen +Buendnis abzufallen. Da wandte Pyrrhos sich gegen Rom selbst. Durch die reiche +Landschaft, deren bluehenden Zustand er mit Bewunderung schaute, zog er gegen +Fregellae, das er ueberrumpelte, erzwang den Uebergang ueber den Liris und +gelangte bis nach Anagnia, das nicht mehr als acht deutsche Meilen von Rom +entfernt ist. Kein Heer warf sich ihm entgegen; aber ueberall schlossen die +Staedte Latiums ihm die Tore, und gemessenen Schrittes folgte von Kampanien aus +Laevinus ihm nach, waehrend von Norden der Konsul Tiberius Coruncanius, der +soeben mit den Etruskern durch einen rechtzeitigen Friedensschluss sich +abgefunden hatte, eine zweite roemische Armee heranfuehrte und in Rom selbst +die Reserve unter dem Diktator Gnaeus Domitius Calvinus sich zum Kampfe fertig +machte. Dagegen war nichts auszurichten; dem Koenig blieb nichts uebrig als +umzukehren. Eine Zeitlang stand er noch in Kampanien den vereinigten Heeren der +beiden Konsuln untaetig gegenueber; aber es bot sich keine Gelegenheit, einen +Hauptschlag auszufuehren. Als der Winter herankam, raeumte der Koenig das +feindliche Gebiet und verteilte seine Truppen in die befreundeten Staedte; er +selbst nahm Winterquartier in Tarent. Hierauf stellten auch die Roemer ihre +Operationen ein; das Heer bezog Standquartiere bei Firmum im Picenischen, wo +auf Befehl des Senats die am Siris geschlagenen Legionen den Winter hindurch +zur Strafe unter Zelten kampierten. +</p> + +<p> +So endigte der Feldzug des Jahres 474 (280). Der Sonderfriede, den Etrurien im +entscheidenden Augenblick mit Rom abgeschlossen hatte, und des Koenigs +unvermuteter Rueckzug, der die hochgespannten Hoffnungen der italischen +Bundesgenossen gaenzlich taeuschte, wogen zum grossen Teil den Eindruck des +Sieges von Herakleia auf. Die Italiker beschwerten sich ueber die Lasten des +Krieges, namentlich ueber die schlechte Mannszucht der bei ihnen einquartierten +Soeldner, und der Koenig, muede des kleinlichen Gezaenks und des unpolitischen +wie unmilitaerischen Gehabens seiner Bundesgenossen, fing an zu ahnen, dass die +Aufgabe, die ihm zugefallen war, trotz aller taktischen Erfolge politisch +unloesbar sein moege. Die Ankunft einer roemischen Gesandtschaft, dreier +Konsulate, darunter der Sieger von Thurii, Gaius Fabricius, liess einen +Augenblick wieder die Friedenshoffnungen bei ihm erwachen; allein es zeigte +sich bald, dass sie nur Vollmacht hatte, wegen Loesung oder Auswechselung der +Gefangenen zu unterhandeln. Pyrrhos schlug diese Forderung ab, allein er +entliess zur Feier der Saturnalien saemtliche Gefangene auf ihr Ehrenwort; dass +sie es hielten und dass der roemische Gesandte einen Bestechungsversuch abwies, +hat man in der Folgezeit in unschicklichster und mehr fuer die Ehrlosigkeit der +spaeteren als die Ehrenhaftigkeit der frueheren Zeit bezeichnender Weise +gefeiert. +</p> + +<p> +Mit dem Fruehjahr 475 (279) ergriff Pyrrhos abermals die Offensive und rueckte +in Apulien ein, wohin das roemische Heer ihm entgegenkam. In der Hoffnung durch +einen entscheidenden Sieg die roemische Symmachie in diesen Landschaften zu +erschuettern, bot der Koenig eine zweite Schlacht an und die Roemer +verweigerten sie nicht. Bei Ausculum (Ascoli di Puglia) trafen beide Heere +aufeinander. Unter Pyrrhos’ Fahnen fochten ausser seinen epeirotischen +und makedonischen Truppen die italischen Soeldner, die Buergerwehr - die +sogenannten Weissschilde - von Tarent und die verbuendeten Lucaner, Brettier +und Samniten, zusammen 70000 Mann zu Fuss, davon 16000 Griechen und Epeiroten, +ueber 8000 Reiter und 19 Elefanten. Mit den Roemern standen an diesem Tage die +Latiner, Kampaner, Volsker, Sabiner, Umbrer, Marruciner, Paeligner, Frentaner +und Arpaner; auch sie zaehlten ueber 70000 Mann zu Fuss, darunter 20000 +roemische Buerger, und 8000 Reiter. Beide Teile hatten in ihrem Heerwesen +Aenderungen vorgenommen. Pyrrhos, mit scharfem Soldatenblick die Vorzuege der +roemischen Manipularordnung erkennend, hatte auf den Fluegeln die lange Front +seiner Phalangen vertauscht mit einer der Kohortenstellung nachgebildeten +unterbrochenen Aufstellung in Faehnlein und, vielleicht nicht minder aus +politischen wie aus militaerischen Gruenden, zwischen die Abteilungen seiner +eigenen Leute die tarentinischen und samnitischen Kohorten eingeschoben; im +Mitteltreffen allein stand die epeirotische Phalanx in geschlossener Reihe. Die +Roemer fuehrten zur Abwehr der Elefanten eine Art Streitwagen heran, aus denen +Feuerbecken an eisernen Stangen hervorragten und auf denen bewegliche, zum +Herablassen eingerichtete und in Eisenstachel endende Maste befestigt waren - +gewissermassen das Vorbild der Enterbruecken, die im Ersten Punischen Krieg +eine so grosse Rolle spielen sollten. +</p> + +<p> +Nach dem griechischen Schlachtbericht, der minder parteiisch scheint als der +uns auch vorliegende roemische, waren die Griechen am ersten Tage im Nachteil, +da sie weder dazu gelangten, an den schroffen und sumpfigen Flussufern, wo sie +gezwungen wurden, das Gefecht anzunehmen, ihre Linie zu entwickeln, noch +Reiterei und Elefanten ins Gefecht zu bringen. Am zweiten Tage kam dagegen +Pyrrhos den Roemern in der Besetzung des durchschnittenen Terrains zuvor und +erreichte so ohne Verlust die Ebene, wo er seine Phalanx ungestoert entfalten +konnte. Vergeblich stuerzten sich die Roemer verzweifelten Muts mit ihren +Schwertern auf die Sarissen; die Phalanx stand unerschuetterlich jedem Angriff +von vorn, doch vermochte auch sie es nicht, die roemischen Legionen zum Weichen +zu bringen. Erst als die zahlreiche Bedeckung der Elefanten die auf den +roemischen Streitwagen fechtende Mannschaft durch Pfeile und Schleudersteine +vertrieben und der Bespannung die Straenge zerschnitten hatte und nun die +Elefanten gegen die roemische Linie anprallten, kam dieselbe ins Schwanken. Das +Weichen der Bedeckungsmannschaft der roemischen Wagen gab das Signal zur +allgemeinen Flucht, die indes nicht sehr zahlreiche Opfer kostete, da das nahe +Lager die Verfolgten aufnahm. Dass waehrend des Haupttreffens ein von der +roemischen Hauptmacht abgesondertes arpanisches Korps das schwach besetzte +epeirotische Lager angegriffen und in Brand gesteckt habe, meldet nur der +roemische Schlachtbericht; wenn es aber auch richtig ist, so haben doch die +Roemer auf alle Faelle mit Unrecht behauptet, dass die Schlacht unentschieden +geblieben sei. Beide Berichte stimmen vielmehr darin ueberein, dass das +roemische Heer ueber den Fluss zurueckging und Pyrrhos im Besitz des +Schlachtfeldes blieb. Die Zahl der Gefallenen war nach dem griechischen +Berichte auf roemischer Seite 6000, auf griechischer 3505 ^3; unter den +Verwundeten war der Koenig selbst, dem ein Wurfspiess den Arm durchbohrt hatte, +waehrend er wie immer im dichtesten Getuemmel kaempfte. Wohl war es ein Sieg, +den Pyrrhos erfochten hatte, aber es waren unfruchtbare Lorbeeren; als +Feldherrn wie als Soldaten machte der Sieg dem Koenig Ehre, aber seine +politischen Zwecke hat er nicht gefoerdert. Pyrrhos bedurfte eines glaenzenden +Erfolges, der das roemische Heer aufloeste und den schwankenden Bundesgenossen +die Gelegenheit und den Anstoss zum Parteiwechsel gab; da aber die roemische +Armee und die roemische Eidgenossenschaft ungebrochen geblieben und das +griechische Heer, das nichts war ohne seinen Feldherrn, durch dessen Verwundung +auf laengere Zeit angefesselt ward, musste er wohl den Feldzug verloren geben +und in die Winterquartiere gehen, die der Koenig in Tarent, die Roemer diesmal +in Apulien nahmen. Immer deutlicher offenbarte es sich, dass militaerisch die +Hilfsquellen des Koenigs den roemischen ebenso nachstanden, wie politisch die +lose und widerspenstige Koalition den Vergleich nicht aushielt mit der +festgegruendeten roemischen Symmachie. Wohl konnte das Ueberraschende und +Gewaltige in der griechischen Kriegfuehrung, das Genie des Feldherrn noch einen +Sieg mehr wie die von Herakleia und Ausculum erfechten, aber jeder neue Sieg +vernutzte die Mittel zu weiteren Unternehmungen und es war klar, dass die +Roemer schon jetzt sich als die Staerkeren fuehlten und den endlichen Sieg mit +mutiger Geduld erharrten. Dieser Krieg war nicht das feine Kunstspiel, wie die +griechischen Fuersten es uebten und verstanden; an der vollen und gewaltigen +Energie der Landwehr zerschellten alle strategischen Kombinationen. Pyrrhos +fuehlte, wie die Dinge standen; ueberdruessig seiner Siege und seine +Bundesgenossen verachtend, harrte er nur aus, weil die militaerische Ehre ihm +vorschrieb, Italien nicht zu verlassen, bevor er seine Schutzbefohlenen vor den +Barbaren gesichert haben wuerde. Es war bei seinem ungeduldigen Naturell +vorauszusetzen, dass er den ersten Vorwand ergreifen wuerde, um der laestigen +Pflicht sich zu entledigen; und die Veranlassung, sich von Italien zu +entfernen, boten bald die sizilischen Angelegenheiten ihm dar. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +^3 Diese Zahlen scheinen glaubwuerdig. Der roemische Bericht gibt, wohl an +Toten und Verwundeten, fuer jede Seite 15000 Mann an, ein spaeterer sogar auf +roemischer 5000, auf griechischer 20000 Tote. Es mag das hier Platz finden um +an einem der seltenen Beispiele, wo Kontrolle moeglich ist, die fast +ausnahmslose Unglaubwuerdigkeit der Zahlenangaben zu zeigen, in denen die Luege +bei den Annalisten lawinenartig anschwillt. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +Nach Agathokles’ Tode (465 289) fehlte es den sizilischen Griechen an +jeder leitenden Macht. Waehrend in den einzelnen hellenischen Staedten +unfaehige Demagogen und unfaehige Tyrannen einander abloesten, dehnten die +Karthager, die alten Herren der Westspitze, ihre Herrschaft ungestoert aus. +Nachdem Akragas ihnen erlegen war, glaubten sie die Zeit gekommen, um zu dem +seit Jahrhunderten im Auge behaltenen Ziel endlich den letzten Schritt zu tun +und die ganze Insel unter ihre Botmaessigkeit zu bringen: sie wandten sich zum +Angriff auf Syrakus. Die Stadt, die einst mit ihren Heeren und Flotten Karthago +den Besitz der Insel streitig gemacht hatte, war durch den inneren Hader und +die Schwaeche des Regiments so tief herabgekommen, dass sie ihre Rettung suchen +musste in dem Schutz ihrer Mauern und in auswaertiger Hilfe; und niemand konnte +diese gewaehren als Koenig Pyrrhos. Pyrrhos war des Agathokles Tochtermann, +sein Sohn, der damals sechzehnjaehrige Alexander, des Agathokles Enkel, beide +in jeder Beziehung die natuerlichen Erben der hochfliegenden Plaene des Herrn +von Syrakus; und wenn es mit der Freiheit doch zu Ende war, konnte Syrakus +Ersatz darin finden, die Hauptstadt eines westhellenischen Reiches zu sein. So +trugen die Syrakusaner gleich den Tarentinern und unter aehnlichen Bedingungen +dem Koenig Pyrrhos freiwillig die Herrschaft entgegen (um 475 279), und durch +eine seltene Fuegung der Dinge schien sich alles zu vereinigen zum Gelingen der +grossartigen, zunaechst auf den Besitz von Tarent und Syrakus gebauten Plaene +des Epeirotenkoenigs. +</p> + +<p> +Freilich war die naechste Folge von dieser Vereinigung der italischen und +sizilischen Griechen unter eine Hand, dass auch die Gegner sich enger +zusammenschlossen. Karthago und Rom verwandelten ihre alten Handelsvertraege +jetzt in ein Offensiv- und Defensivbuendnis gegen Pyrrhos (475 279), dessen +Bedingungen dahin lauteten, dass, wenn Pyrrhos roemisches oder karthagisches +Gebiet betrete, der nicht angegriffene Teil dem angegriffenen auf dessen Gebiet +Zuzug leisten und die Hilfstruppen selbst besolden solle; dass in solchem Falle +Karthago die Transportschiffe zu stellen und auch mit der Kriegsflotte den +Roemern beizustehen sich verpflichte, doch solle deren Bemannung nicht gehalten +sein, zu Lande fuer die Roemer zu fechten; dass endlich beide Staaten sich das +Wort gaeben, keinen Sonderfrieden mit Pyrrhos zu schliessen. Der Zweck des +Vertrages war auf roemischer Seite, einen Angriff auf Tarent moeglich zu machen +und Pyrrhos von der Heimat abzuschneiden, was beides ohne Mitwirkung der +punischen Flotte nicht ausfuehrbar war, auf seiten der Karthager, den Koenig in +Italien festzuhalten, um ihre Absichten auf Syrakus ungestoert ins Werk setzen +zu koennen ^4. Es lag also im Interesse beider Maechte, zunaechst sich des +Meeres zwischen Italien und Sizilien zu versichern. Eine starke karthagische +Flotte von 120 Segeln unter dem Admiral Mago ging von Ostia, wohin Mago sich +begeben zu haben scheint, um jenen Vertrag abzuschliessen, nach der sizilischen +Meerenge. Die Mamertiner, die fuer ihre Frevel gegen die griechische +Bevoelkerung Messanas die gerechte Strafe erwartete, wenn Pyrrhos in Sizilien +und Italien ans Regiment kam, schlossen sich eng an die Roemer und Karthager +und sicherten diesen die sizilische Seite des Passes. Gern haetten die +Verbuendeten auch Rhegion auf der gegenueberliegenden Kueste in ihre Gewalt +gebracht; allein verzeihen konnte Rom der kampanischen Besatzung unmoeglich, +und ein Versuch der vereinigten Roemer und Karthager, sich der Stadt mit +gewaffneter Hand zu bemaechtigen, schlug fehl. Von dort segelte die +karthagische Flotte nach Syrakus und blockierte die Stadt von der Seeseite, +waehrend gleichzeitig ein starkes phoenikisches Heer die Belagerung zu Lande +begann (476 278). Es war hohe Zeit, dass Pyrrhos in Syrakus erschien; aber +freilich standen in Italien die Angelegenheiten keineswegs so, dass er und +seine Truppen dort entbehrt werden konnten. Die beiden Konsuln des Jahres 476 +(278) Gaius Fabricius Luscinus und Quintus Aemilius Papus, beide erprobte +Generale, hatten den neuen Feldzug kraeftig begonnen, und obwohl bisher die +Roemerin diesem Kriege nur Niederlagen erlitten hatten, waren nicht sie es, +sondern die Sieger, die sich ermattet fuehlten und den Frieden +herbeiwuenschten. Pyrrhos machte noch einen Versuch, ein leidliches Abkommen zu +erlangen. Der Konsul Fabricius hatte dem Koenig einen Elenden zugesandt, der +ihm den Antrag gemacht, gegen gute Bezahlung den Koenig zu vergiften. Zum Dank +gab der Koenig nicht bloss alle roemischen Gefangenen ohne Loesegeld frei, +sondern er fuehlte sich so hingerissen von dem Edelsinn seiner tapferen Gegner, +dass er zur Belohnung ihnen selber einen ungemein billigen und guenstigen +Frieden antrug. Kineas scheint noch einmal nach Rom gegangen zu sein und +Karthago ernstlich gefuerchtet zu haben, dass sich Rom zum Frieden bequeme. +Indes der Senat blieb fest und wiederholte seine fruehere Antwort. Wollte der +Koenig nicht Syrakus den Karthagern in die Haende fallen und damit seinen +grossen Plan sich zerstoeren lassen, so blieb ihm nichts anderes uebrig, als +seine italischen Bundesgenossen preiszugeben und sich vorlaeufig auf den Besitz +der wichtigsten Hafenstaedte, namentlich von Tarent und Lokri, zu beschraenken. +Vergebens beschworen ihn die Lucaner und Samniten, sie nicht im Stich zu +lassen; vergebens forderten die Tarentiner ihn auf, entweder seiner +Feldherrnpflicht nachzukommen oder die Stadt ihnen zurueckzugeben. Den Klagen +und Vorwuerfen setzte der Koenig Vertroestungen auf kuenftige bessere Zeiten +oder auch derbe Abweisung entgegen; Milon blieb in Tarent zurueck, des Koenigs +Sohn Alexander in Lokri und mit der Hauptmacht schiffte noch im Fruehjahr 476 +(278) sich Pyrrhos in Tarent nach Syrakus ein. +</p> + +<p> +———————————————————————————— +</p> + +<p> +^4 Die spaeteren Roemer und mit ihnen die neueren geben dem Buendnis die +Wendung, als haetten die Roemer absichtlich vermieden, die karthagische Hilfe +in Italien anzunehmen. Das waere unvernuenftig gewesen, und die Tatsachen +sprechen dagegen. Dass Mago in Ostia nicht landete, erklaert sich nicht aus +solcher Vorsicht, sondern einfach daraus, dass Latium von Pyrrhos ganz und gar +nicht bedroht war und karthagischen Beistandes also nicht bedurfte; und vor +Rhegion kaempften die Karthager allerdings fuer Rom. +</p> + +<p> +———————————————————————————— +</p> + +<p> +Nach Pyrrhos’ Abzug erhielten die Roemer freie Hand in Italien, wo +niemand ihnen auf offenem Felde zu widerstehen wagte und die Gegner ueberall +sich einschlossen in ihre Festen oder in ihre Waelder. Indes der Kampf ging +nicht so schnell zu Ende, wie man wohl gehofft haben mochte, woran teils die +Natur dieses Gebirgs- und Belagerungskrieges schuld war, teils wohl auch die +Erschoepfung der Roemer, von deren furchtbaren Verlusten das Sinken der +Buergerrolle von 473 (281) auf 479 (275) um 17000 Koepfe zeugt. Noch im Jahre +476 (278) gelang es dem Konsul Gaius Fabricius, die bedeutende tarentinische +Pflanzstadt Herakleia zu einem Sonderfrieden zu bringen, der ihr unter den +guenstigsten Bedingungen gewaehrt ward. Im Feldzug von 477 (277) schlug man +sich in Samnium herum, wo ein leichtsinnig unternommener Angriff auf die +verschanzten Hoehen den Roemern viele Leute kostete, und wandte sich alsdann +nach dem suedlichen Italien, wo die Lucaner und Brettier geschlagen wurden. +Dagegen kam bei einem Versuch, Kroton zu ueberrumpeln, Milon von Tarent aus den +Roemern zuvor; die epeirotische Besatzung machte alsdann sogar einen +gluecklichen Ausfall gegen das belagernde Heer. Indes gelang es endlich dem +Konsul dennoch, dieselbe durch eine Kriegslist zum Abmarsch zu bestimmen und +der unverteidigten Stadt sich zu bemaechtigen (477 277). Wichtiger war es, dass +die Lokrenser, die frueher die roemische Besatzung dem Koenig ausgeliefert +hatten, jetzt, den Verrat durch Verrat suehnend, die epeirotische erschlugen; +womit die ganze Suedkueste in den Haenden der Roemer war mit Ausnahme von +Rhegion und Tarent. Indes mit diesen Erfolgen war man im wesentlichen doch +wenig gefoerdert. Unteritalien selbst war laengst wehrlos; Pyrrhos aber war +nicht bezwungen, solange Tarent in seinen Haenden und ihm damit die +Moeglichkeit blieb, den Krieg nach Belieben wieder zu erneuern, und an die +Belagerung dieser Stadt konnten die Roemer nicht denken. Selbst davon +abgesehen, dass in dem durch Philipp von Makedonien und Demetrios den Belagerer +umgeschaffenen Festungskrieg die Roemer gegen einen erfahrenen und +entschlossenen griechischen Kommandanten im entschiedensten Nachteil waren, +bedurfte es dazu einer starken Flotte, und obwohl der karthagische Vertrag den +Roemern Unterstuetzung zur See verhiess, so standen doch Karthagos eigene +Angelegenheiten in Sizilien durchaus nicht so, dass es diese haette gewaehren +koennen. +</p> + +<p> +Pyrrhos’ Landung auf der Insel, welche trotz der karthagischen Flotte +ungehindert erfolgt war, hatte dort mit einem Schlage die Lage der Dinge +veraendert. Er hatte Syrakus sofort entsetzt, alle freien Griechenstaedte in +kurzer Zeit in seiner Hand vereinigt und als Haupt der sikeliotischen +Konfoederation den Karthagern fast ihre saemtlichen Besitzungen entrissen. Kaum +vermochten mit Hilfe der damals auf dem Mittelmeer ohne Nebenbuhler +herrschenden karthagischen Flotte sich die Karthager in Lilybaeon, die +Mamertiner in Messana, und auch hier unter steten Angriffen, zu behaupten. +Unter solchen Umstaenden waere in Gemaessheit des Vertrags von 475 (279) viel +eher Rom im Fall gewesen, den Karthagern auf Sizilien Beistand zu leisten, als +Karthago mit seiner Flotte den Roemern Tarent erobern zu helfen; ueberhaupt +aber war man eben von keiner Seite sehr geneigt, dem Bundesgenossen die Macht +zu sichern oder gar zu erweitern. Karthago hatte den Roemern die Hilfe erst +angeboten, als die wesentliche Gefahr vorueber war; diese ihrerseits hatten +nichts getan, den Abzug des Koenigs aus Italien, den Sturz der karthagischen +Macht in Sizilien zu verhindern. Ja in offener Verletzung der Vertraege hatte +Karthago sogar dem Koenig einen Sonderfrieden angetragen und gegen den +ungestoerten Besitz von Lilybaeon sich erboten, auf die uebrigen sizilischen +Besitzungen zu verzichten, sogar dem Koenig Geld und Kriegsschiffe zur +Verfuegung zu stellen, natuerlich zur Ueberfahrt nach Italien und zur +Erneuerung des Krieges gegen Rom. Indes es war einleuchtend, dass mit dem +Besitz von Lilybaeon und der Entfernung des Koenigs die Stellung der Karthager +auf der Insel ungefaehr dieselbe geworden waere, wie sie vor Pyrrhos’ +Landung gewesen war; sich selbst ueberlassen waren die griechischen Staedte +ohnmaechtig und das verlorene Gebiet leicht wiedergewonnen. So schlug Pyrrhos +den nach zwei Seiten hin perfiden Antrag aus und ging daran, sich selber eine +Kriegsflotte zu erbauen. Nur Unverstand und Kurzsichtigkeit haben dies spaeter +getadelt; es war vielmehr ebenso notwendig als mit den Mitteln der Insel leicht +durchzufuehren. Abgesehen davon, dass der Herr von Ambrakia, Tarent und Syrakus +nicht ohne Seemacht sein konnte, bedurfte er der Flotte, um Lilybaeon zu +erobern, um Tarent zu schuetzen, um Karthago daheim anzugreifen, wie es +Agathokles, Regulus, Scipio vor- und nachher mit so grossem Erfolg getan. Nie +stand Pyrrhos seinem Ziele naeher als im Sommer 478 (276), wo er Karthago +gedemuetigt vor sich sah, Sizilien beherrschte und mit Tarents Besitz einen +festen Fuss in Italien behauptete, und wo die neugeschaffene Flotte, die alle +diese Erfolge zusammenknuepfen, sichern und steigern sollte, zur Abfahrt fertig +im Hafen von Syrakus lag. +</p> + +<p> +Die wesentliche Schwaeche von Pyrrhos’ Stellung beruhte auf seiner +fehlerhaften inneren Politik. Er regierte Sizilien wie er Ptolemaeos hatte in +Aegypten herrschen sehen; er respektierte die Gemeindeverfassungen nicht, +setzte seine Vertrauten zu Amtleuten ueber die Staedte wann und auf so lange es +ihm gefiel, gab anstatt der einheimischen Geschworenen seine Hofleute zu +Richtern, sprach Konfiskationen, Verbannungen, Todesurteile nach Gutduenken aus +und selbst ueber diejenigen, die seine Ueberkunft nach Sizilien am lebhaftesten +betrieben hatten, legte Besatzungen in die Staedte und beherrschte Sizilien +nicht als der Fuehrer des Nationalbundes, sondern als Koenig. Mochte er dabei +nach orientalisch-hellenistischen Begriffen sich ein guter und weiser Regent zu +sein duenken und auch wirklich sein, so ertrugen doch die Griechen diese +Verpflanzung des Diadochensystems nach Syrakus mit aller Ungeduld einer in +langer Freiheitsagonie aller Zucht entwoehnten Nation; sehr bald duenkte das +karthagische Joch dem toerichten Volk ertraeglicher als das neue +Soldatenregiment. Die bedeutendsten Staedte knuepften mit den Karthagern, ja +mit den Mamertinern Verbindungen an; ein starkes karthagisches Heer wagte +wieder, sich auf der Insel zu zeigen und, ueberall von den Griechen +unterstuetzt, machte es reissende Fortschritte. Zwar in der Schlacht, die +Pyrrhos ihm lieferte, war das Glueck wie immer mit dem “Adler”; +allein es hatte sich bei dieser Gelegenheit offenbart, wie die Stimmung auf der +Insel war und was kommen konnte und musste, wenn der Koenig sich entfernte. +</p> + +<p> +Zu diesem ersten und wesentlichsten Fehler fuegte Pyrrhos einen zweiten: er +ging mit der Flotte statt nach Lilybaeon nach Tarent. Augenscheinlich musste +er, eben bei der Gaerung in den Gemuetern der Sikelioten, vor allen Dingen erst +von dieser Insel die Karthager ganz verdraengt und damit den Unzufriedenen den +letzten Rueckhalt abgeschnitten haben, ehe er nach Italien sich wenden durfte; +hier war nichts zu versaeumen, denn Tarent war ihm sicher genug und an den +uebrigen Bundesgenossen, nachdem sie einmal aufgegeben waren, jetzt wenig +gelegen. Es ist begreiflich, dass sein Soldatensinn ihn trieb, den nicht sehr +ehrenvollen Abzug vom Jahre 476 (278) durch eine glaenzende Wiederkehr +auszutilgen und dass ihm das Herz blutete, wenn er die Klagen der Lucaner und +Samniten vernahm. Allein Aufgaben, wie sie Pyrrhos sich gestellt hatte, koennen +nur geloest werden von eisernen Naturen, die das Mitleid und selbst das +Ehrgefuehl zu beherrschen vermoegen; und eine solche war Pyrrhos nicht. +</p> + +<p> +Die verhaengnisvolle Einschiffung fand statt gegen das Ende des Jahres 478 +(276). Unterwegs hatte die neue syrakusanische Flotte mit der karthagischen ein +heftiges Gefecht zu bestehen und buesste darin eine betraechtliche Anzahl +Schiffe ein. Die Entfernung des Koenigs und die Kunde von diesem ersten Unfall +genuegten zum Sturz des sikeliotischen Reiches; auf sie hin weigerten alle +Staedte dem abwesenden Koenig Geld und Truppen und der glaenzende Staat brach +schneller noch als er entstanden war wiederum zusammen, teils weil der Koenig +selbst die Treue und Liebe, auf der jedes Gemeinwesen ruht, in den Herzen +seiner Untertanen untergraben hatte, teils weil es dem Volk an der Hingebung +fehlte, zur Rettung der Nationalitaet auf vielleicht nur kurze Zeit der +Freiheit zu entsagen. Damit war Pyrrhos’ Unternehmen gescheitert, der +Plan seines Lebens ohne Aussicht dahin; er ist fortan ein Abenteurer, der es +fuehlt, dass er viel gewesen und nichts mehr ist, der den Krieg nicht mehr als +Mittel zum Zwecke fuehrt, sondern, um in wildem Wuerfelspiel sich zu betaeuben +und womoeglich im Schlachtgetuemmel einen Soldatentod zu finden. An der +italischen Kueste angelangt, begann der Koenig mit einem Versuch, sich Rhegions +zu bemaechtigen, aber mit Hilfe der Mamertiner schlugen die Kampaner den +Angriff ab, und in dem hitzigen Gefecht vor der Stadt ward der Koenig selbst +verwundet, indem er einen feindlichen Offizier vom Pferde hieb. Dagegen +ueberrumpelte er Lokri, dessen Einwohner die Niedermetzelung der epeirotischen +Besatzung schwer buessten, und pluenderte den reichen Schatz des +Persephonetempels daselbst, um seine leere Kasse zu fuellen. So gelangte er +nach Tarent, angeblich mit 20000 Mann zu Fuss und 3000 Reitern. Aber es waren +nicht mehr die erprobten Veteranen von vordem und nicht mehr begruessten die +Italiker in ihnen ihre Retter; das Vertrauen und die Hoffnung, damit man den +Koenig fuenf Jahre zuvor empfing, waren gewichen, den Verbuendeten Geld und +Mannschaft ausgegangen. Den schwer bedraengten Samniten, in deren Gebiet die +Roemer 478/79 (276/75) ueberwintert hatten, zu Hilfe rueckte der Koenig im +Fruehjahr 479 (275) ins Feld und zwang bei Benevent auf dem Arusinischen Felde +den Konsul Manius Curius zur Schlacht, bevor er sich mit seinem von Lucanien +heranrueckenden Kollegen vereinigen konnte. Aber die Heeresabteilung, die den +Roemern in die Flanke zu fallen bestimmt war, verirrte sich waehrend des +Nachtmarsches in den Waeldern und blieb im entscheidenden Augenblick aus; und +nach heftigem Kampf entschieden auch hier wieder die Elefanten die Schlacht, +aber diesmal fuer die Roemer, indem sie, von den zur Bedeckung des Lagers +aufgestellten Schuetzen in Verwirrung gebracht, auf ihre eigenen Leute sich +warfen. Die Sieger besetzten das Lager; in ihre Haende fielen 1300 Gefangene +und vier Elefanten - die ersten, die Rom sah, ausserdem eine unermessliche +Beute, aus deren Erloes spaeter in Rom der Aquaedukt, welcher das Aniowasser +von Tibur nach Rom fuehrte, gebaut ward. Ohne Truppen, um das Feld zu halten, +und ohne Geld sandte Pyrrhos an seine Verbuendeten, die ihm zur Ausruestung +nach Italien gesteuert hatten, die Koenige von Makedonien und Asien; aber auch +in der Heimat fuerchtete man ihn nicht mehr und schlug die Bitte ab. +Verzweifelnd an dem Erfolg gegen Rom und erbittert durch diese Weigerungen +liess Pyrrhos Besatzung in Tarent und ging selber noch im selben Jahre (479 +275) heim nach Griechenland, wo eher noch als bei dem stetigen und gemessenen +Gang der italischen Verhaeltnisse sich dem verzweifelten Spieler eine Aussicht +eroeffnen mochte. In der Tat gewann er nicht bloss schnell zurueck, was von +seinem Reiche war abgerissen worden, sondern er griff noch einmal und nicht +ohne Erfolg nach der makedonischen Krone. Allein an Antigonos Gonatas’ +ruhiger und umsichtiger Politik und mehr noch an seinem eigenen Ungestuem und +der Unfaehigkeit, den stolzen Sinn zu zaehmen, scheiterten auch seine letzten +Plaene; er gewann noch Schlachten, aber keinen dauernden Erfolg mehr und fand +sein Ende in einem elenden Strassengefecht im peloponnesischen Argos (482 272). +</p> + +<p> +In Italien ist der Krieg zu Ende mit der Schlacht bei Benevent; langsam +verenden die letzten Zuckungen der nationalen Partei. Zwar so lange der +Kriegsfuerst, dessen maechtiger Arm es gewagt hatte, dem Schicksal in die +Zuegel zu fallen, noch unter den Lebenden war, hielt er, wenngleich abwesend, +gegen Rom die feste Burg von Tarent. Mochte auch nach des Koenigs Entfernung in +der Stadt die Friedenspartei die Oberhand gewinnen, Milon, der fuer Pyrrhos +darin den Befehl fuehrte, wies ihre Anmutungen ab und liess die roemisch +gesinnten Staedter in dem Kastell, das sie im Gebiet von Tarent sich errichtet +hatten, auf ihre eigene Hand mit Rom Frieden schliessen, wie es ihnen beliebte, +ohne darum seine Tore zu oeffnen. Aber als nach Pyrrhos’ Tode eine +karthagische Flotte in den Hafen einlief und Milon die Buergerschaft im Begriff +sah, die Stadt an die Karthager auszuliefern, zog er es vor, dem roemischen +Konsul Lucius Papirius die Burg zu uebergeben (482 272) und damit fuer sich und +die Seinigen freien Abzug zu erkaufen. Fuer die Roemer war dies ein ungeheurer +Gluecksfall. Nach den Erfahrungen, die Philipp vor Perinth und Byzanz, +Demetrios vor Rhodos, Pyrrhos vor Lilybaeon gemacht hatten, laesst sich +bezweifeln, ob die damalige Strategik ueberhaupt imstande war, eine +wohlbefestigte und wohlverteidigte und von der See her zugaengliche Stadt zur +Uebergabe zu zwingen; und welche Wendung haetten die Dinge nehmen moegen, wenn +Tarent das in Italien fuer die Phoeniker geworden waere, was in Sizilien +Lilybaeon fuer sie gewesen war! Indes das Geschehene war nicht zu aendern. Der +karthagische Admiral, da er die Burg in den Haenden der Roemer sah, erklaerte, +nur vor Tarent erschienen zu sein, um dem Vertrage gemaess den Bundesgenossen +bei der Belagerung der Stadt Hilfe zu leisten, und ging unter Segel nach +Afrika; und die roemische Gesandtschaft, welche wegen der versuchten Okkupation +von Tarent Aufklaerung zu fordern und Beschwerde zu fuehren nach Karthago +gesandt ward, brachte nichts zurueck als die feierliche und eidliche +Bekraeftigung dieser angeblichen bundesfreundlichen Absicht, wobei man denn +auch in Rom vorlaeufig sich beruhigte. Die Tarentiner erhielten, vermutlich +durch Vermittlung ihrer Emigrierten, die Autonomie von den Roemern zurueck; +aber Waffen und Schiffe mussten ausgeliefert und die Mauern niedergerissen +werden. +</p> + +<p> +In demselben Jahre, in dem Tarent roemisch ward, unterwarfen sich endlich auch +die Samniten, Lucaner und Brettier, welche letztere die Haelfte des +eintraeglichen und fuer den Schiffbau wichtigen Silawaldes abtreten mussten. +</p> + +<p> +Endlich traf auch die seit zehn Jahren in Rhegion hausende Bande die Strafe +fuer den gebrochenen Fahneneid wie fuer den Mord der rheginischen Buergerschaft +und der Besatzung von Kroton. Es war zugleich die allgemeine Sache der Hellenen +gegen die Barbaren, welche Rom hier vertrat; der neue Herr von Syrakus, Hieron, +unterstuetzte darum auch die Roemer vor Rhegion durch Sendung von Lebensmitteln +und Zuzug und machte gleichzeitig einen mit der roemischen Expedition gegen +Rhegion kombinierten Angriff auf deren Stamm- und Schuldgenossen in Sizilien, +die Mamertiner in Messana. Die Belagerung der letzteren Stadt zog sich sehr in +die Laenge; dagegen wurde Rhegion, obwohl auch hier die Meuterer hartnaeckig +und lange sich wehrten, im Jahre 484 (270) von den Roemern erstuermt, was von +der Besatzung uebrig war, in Rom auf offenem Markte gestaeupt und enthauptet, +die alten Einwohner aber zurueckgerufen und soviel moeglich in ihr Vermoegen +wieder eingesetzt. So war im Jahre 484 (270) ganz Italien zur Untertaenigkeit +gebracht. Nur die hartnaeckigsten Gegner Roms, die Samniten, setzten trotz des +offiziellen Friedensschlusses noch als “Raeuber” den Kampf fort, +sodass sogar im Jahre 485 (269) noch einmal beide Konsuln gegen sie geschickt +werden mussten. Aber auch der hochherzigste Volksmut, die tapferste +Verzweiflung gehen einmal zu Ende; Schwert und Galgen brachten endlich auch den +samnitischen Bergen die Ruhe. +</p> + +<p> +Zur Sicherung dieser ungeheuren Erwerbungen wurde wiederum eine Reihe von +Kolonien angelegt: in Lucanien Paestum und Cosa (481 273), als Zwingburgen fuer +Samnium Beneventum (486 268) und Aesernia (um 491 263), als Vorposten gegen die +Gallier Ariminum (486 268), in Picenum Firmum (um 490 264) und die +Buergerkolonie Castrum novum; die Fortfuehrung der grossen Suedchaussee, welche +an der Festung Benevent eine neue Zwischenstation zwischen Capua und Venusia +erhielt, bis zu den Haefen von Tarent und Brundisium und die Kolonisierung des +letzteren Seeplatzes, den die roemische Politik zum Nebenbuhler und Nachfolger +des tarentinischen Emporiums sich ausersehen hatte, wurden vorbereitet. Die +neuen Festungs- und Strassenanlagen veranlassten noch einige Kriege mit den +kleinen Voelkerschaften, deren Gebiet durch dieselben geschmaelert ward, den +Picentern (485, 486 269, 268), von denen eine Anzahl in die Gegend von Salernum +verpflanzt ward, den Sallentinern um Brundisium (487, 488 267, 266), den +umbrischen Sassinaten (487, 488 267, 266), welche letzte nach der Austreibung +der Senonen das Gebiet von Ariminum besetzt zu haben scheinen. Durch diese +Anlagen ward die Herrschaft Roms ueber das unteritalische Binnenland und die +ganze italische Ostkueste vom Ionischen Meer bis zur keltischen Grenze +ausgedehnt. +</p> + +<p> +Bevor wir die politische Ordnung darstellen, nach der das also geeinigte +Italien von Rom aus regiert ward, bleibt es noch uebrig, auf die +Seeverhaeltnisse im vierten und fuenften Jahrhundert einen Blick zu werfen. Es +waren in dieser Zeit wesentlich Syrakus und Karthago, die um die Herrschaft in +den westlichen Gewaessern miteinander rangen; im ganzen ueberwog trotz der +grossen Erfolge, welche Dionysios (348-389 406-365), Agathokles (437-465 +317-289) und Pyrrhos (476-478 278-276) voruebergehend zur See erlangten, doch +hier Karthago und sank Syrakus mehr und mehr zu einer Seemacht zweiten Ranges +herab. Mit Etruriens Bedeutung zur See war es voellig vorbei; die bisher +etruskische Insel Korsika kam, wenn nicht gerade in den Besitz, doch unter die +maritime Suprematie der Karthager. Tarent, das eine Zeitlang noch eine Rolle +gespielt hatte, ward durch die roemische Okkupation gebrochen. Die tapferen +Massalioten behaupteten sich wohl in ihren eigenen Gewaessern; aber in die +Vorgaenge auf den italischen griffen sie nicht wesentlich ein. Die uebrigen +Seestaedte kamen kaum noch ernstlich in Betracht. +</p> + +<p> +Rom selber entging dem gleichen Schicksal nicht; in seinen eigenen Gewaessern +herrschten ebenfalls fremde Flotten. Wohl war es Seestadt von Haus aus und ist +in der Zeit seiner Frische seinen alten Traditionen niemals so untreu geworden, +dass es die Kriegsmarine gaenzlich vernachlaessigt haette, und nie so toericht +gewesen, bloss Kontinentalmacht sein zu wollen. Latium lieferte zum Schiffbau +die schoensten Staemme, welche die geruehmten unteritalischen bei weitem +uebertrafen, und die fortdauernd in Rom unterhaltenen Docks beweisen allein +schon, dass man dort nie darauf verzichtet hat, eine eigene Flotte zu besitzen. +Indes waehrend der gefaehrlichen Krisen, welche die Vertreibung der Koenige, +die inneren Erschuetterungen in der roemisch-latinischen Eidgenossenschaft und +die ungluecklichen Kriege gegen die Etrusker und die Kelten ueber Rom brachten, +konnten die Roemer sich um den Stand der Dinge auf dem Mittelmeer nur wenig +bekuemmern, und bei der immer entschiedener hervortretenden Richtung der +roemischen Politik auf Unterwerfung des italischen Kontinents verkuemmerte die +Seemacht. Es ist bis zum Ende des vierten Jahrhunderts (ca. 350) kaum von +latinischen Kriegsschiffen die Rede, ausser dass auf einem roemischen das +Weihgeschenk aus der veientischen Beute nach Delphi gesandt ward (360 394). Die +Antiaten freilich fuhren fort, ihren Handel mit bewaffneten Schiffen und also +auch gelegentlich das Piratengewerbe zu betreiben und der “tyrrhenische +Korsar” Postumius, den Timoleon um 415 (339) aufbrachte, koennte +allerdings ein Antiate gewesen sein; aber unter den Seemaechten jener Zeit +zaehlten sie schwerlich mit und waere es der Fall gewesen, so wuerde bei der +Stellung Antiums zu Rom darin fuer Rom nichts weniger als ein Vorteil gelegen +haben. Wie weit es um das Jahr 400 (ca. 350) mit dem Verfall der roemischen +Seemacht gekommen war, zeigt die Auspluenderung der latinischen Kuesten durch +eine griechische, vermutlich sizilische Kriegsflotte im Jahre 405 (349), +waehrend zugleich keltische Haufen das latinische Land brandschatzend +durchzogen. Das Jahr darauf (406 348), und ohne Zweifel unter dem unmittelbaren +Eindruck dieser bedenklichen Ereignisse, schlossen die roemische Gemeinde und +die Phoeniker von Karthago, beiderseits fuer sich und die abhaengigen +Bundesgenossen, einen Handels- und Schiffahrtsvertrag, die aelteste roemische +Urkunde, von der der Text, freilich nur in griechischer Uebersetzung, auf uns +gekommen ist ^5. Die Roemer mussten darin sich verpflichten, die libysche +Kueste westlich vom Schoenen Vorgebirge (Cap Bon), Notfaelle ausgenommen, nicht +zu befahren; dagegen erhielten sie freien Verkehr gleich den einheimischen auf +Sizilien, soweit dies karthagisch war, und in Afrika und Sardinien wenigstens +das Recht, gegen den unter Zuziehung der karthagischen Beamten festgestellten +und von der karthagischen Gemeinde garantierten Kaufpreis ihre Waren +abzusetzen. Den Karthagern scheint wenigstens in Rom, vielleicht in ganz Latium +freier Verkehr zugestanden zu sein, nur machten sie sich anheischig, die +botmaessigen latinischen Gemeinden nicht zu vergewaltigen, auch, wenn sie als +Feinde den latinischen Boden betreten wuerden, dort nicht Nachtquartier zu +nehmen - also ihre Seeraeuberzuege nicht in das Binnenland auszudehnen - noch +gar Festungen im latinischen Lande anzulegen. Wahrscheinlich in dieselbe Zeit +gehoert auch der oben schon erwaehnte Vertrag zwischen Rom und Tarent, von +dessen Entstehungszeit nur berichtet wird, dass er laengere Zeit vor 472 (282) +abgeschlossen ward; durch denselben verpflichteten sich die Roemer, gegen +welche Zusicherungen tarentinischerseits wird nicht gesagt, die Gewaesser +oestlich vom Lakinischen Vorgebirge nicht zu befahren, wodurch sie also voellig +vom oestlichen Becken des Mittelmeeres ausgeschlossen wurden. +</p> + +<p> +————————————————————- +</p> + +<p> +^5 Die Nachweisung, dass die bei Polybios (3, 22) mitgeteilte Urkunde nicht dem +Jahre 245 (509), sondern dem Jahre 406 (348) angehoert, ist in der Roemischen +Chronologie bis auf Caesar. 2. Aufl. Berlin 1859, S. 320f., gegeben worden. +</p> + +<p> +————————————————————- +</p> + +<p> +Es waren dies Niederlagen so gut wie die an der Allia, und auch der roemische +Senat scheint sie als solche empfunden und die guenstige Wendung, die die +italischen Verhaeltnisse bald nach dem Abschluss der demuetigenden Vertraege +mit Karthago und Tarent fuer Rom nahmen, mit aller Energie benutzt zu haben, um +die gedrueckte maritime Stellung zu verbessern. Die wichtigsten Kuestenstaedte +wurden mit roemischen Kolonien belegt: der Hafen von Caere, Pyrgi, dessen +Kolonisierung wahrscheinlich in diese Zeit faellt; ferner an der Westkueste +Antium im Jahre 415 (339); Tarracina im Jahre 425 (329), die Insel Pontia 441 +(313), womit, da Ardea und Circeii bereits frueher Kolonisten empfangen hatten, +alle namhaften Seeplaetze im Gebiet der Rutuler und Volsker latinische oder +Buergerkolonien geworden waren; weiter im Gebiet der Aurunker Minturnae und +Sinuessa im Jahre 459 (295), im lucanischen Paestum und Cosa im Jahre 481 +(273), und am adriatischen Litoral Sena gallica und Castrum novum um das Jahr +471 (283), Ariminum im Jahre 486 (268), wozu noch die gleich nach der +Beendigung des Pyrrhischen Krieges erfolgte Besetzung von Brundisium +hinzukommt. In der groesseren Haelfte dieser Ortschaften, den Buerger- oder +Seekolonien ^6, war die junge Mannschaft vom Dienst in den Legionen befreit und +lediglich bestimmt, die Kuesten zu ueberwachen. Die gleichzeitige +wohlueberlegte Bevorzugung der unteritalischen Griechen vor ihren sabellischen +Nachbarn, namentlich der ansehnlichen Gemeinden Neapolis, Rhegion, Lokri, +Thurii, Herakleia, und deren gleichartige und unter gleichartigen Bedingungen +gewaehrte Befreiung vom Zuzug zum Landheer vollendete das um die Kuesten +Italiens gezogene roemische Netz. +</p> + +<p> +————————————————————- +</p> + +<p> +^6 Es waren dies Pyrgi, Ostia, Antium, Tarracina, Minturnae, Sinuessa, Sena +gallica und Castrum novum. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +Aber mit einer staatsmaennischen Sicherheit, von welcher die folgenden +Generationen haetten lernen koennen, erkannten es die leitenden Maenner des +roemischen Gemeinwesens, dass alle diese Kuestenbefestigungen und +Kuestenbewachungen unzulaenglich bleiben mussten, wenn nicht die Kriegsmarine +des Staats wieder auf einen achtunggebietenden Fuss gebracht ward. Einen +gewissen Grund dazu legte schon nach der Unterwerfung von Antium (416 338) die +Abfuehrung der brauchbaren Kriegsgaleeren in die roemischen Docks; die +gleichzeitige Verfuegung indes, dass die Antiaten sich alles Seeverkehrs zu +enthalten haetten ^7, charakterisiert mit schneidender Deutlichkeit, wie +ohnmaechtig damals die Roemer noch zur See sich fuehlten und wie voellig ihre +Seepolitik noch aufging in der Okkupierung der Kuestenplaetze. Als sodann die +sueditalischen Griechenstaedte, zuerst 428 (326) Neapel, in die roemische +Klientel eintraten, machten die Kriegsschiffe, welche jede dieser Staedte sich +verpflichtete, den Roemern als bundesmaessige Kriegshilfe zu stellen, zu einer +roemischen Flotte wenigstens wieder einen Anfang. Im Jahre 443 (311) wurden +weiter infolge eines eigens deswegen gefassten Buergerschaftsschlusses zwei +Flottenherren (duoviri navales) ernannt, und diese roemische Seemacht wirkte im +Samnitischen Kriege mit bei der Belagerung von Nuceria. Vielleicht gehoert +selbst die merkwuerdige Sendung einer roemischen Flotte von 25 Segeln zur +Gruendung einer Kolonie auf Korsika, welcher Theophrastos in seiner um 446 +(308) geschriebenen Pflanzengeschichte gedenkt, dieser Zeit an. Wie wenig aber +mit allem dem unmittelbar erreicht war, zeigt der im Jahre 448 (306) erneuerte +Vertrag mit Karthago. Waehrend die Italien und Sizilien betreffenden +Bestimmungen des Vertrages von 406 (348) unveraendert blieben, wurde den +Roemern ausser der Befahrung der oestlichen Gewaesser jetzt weiter die frueher +gestattete des Atlantischen Meers, sowie der Handelsverkehr mit den Untertanen +Karthagos in Sardinien und Afrika, endlich wahrscheinlich auch die Festsetzung +auf Korsika ^8 untersagt, sodass nur das karthagische Sizilien und Karthago +selbst ihrem Handel geoeffnet blieben. Man erkennt hier die mit der Ausdehnung +der roemischen Kuestenherrschaft steigende Eifersucht der herrschenden +Seemacht: sie zwang die Roemer, sich ihrem Prohibitivsystem zu fuegen, sich von +den Produktionsplaetzen im Okzident und im Orient ausschliessen zu lassen - in +diesen Zusammenhang gehoert noch die Erzaehlung von der oeffentlichen Belohnung +des phoenikischen Schiffers, der ein in den Atlantischen Ozean ihm +nachsteuerndes roemisches Fahrzeug mit Aufopferung seines eigenen auf eine +Sandbank gefuehrt hatte - und ihre Schiffahrt auf den engen Raum des westlichen +Mittelmeers vertragsmaessig zu beschraenken, um nur ihre Kueste nicht der +Pluenderung preiszugeben und die alte und wichtige Handelsverbindung mit +Sizilien zu sichern. Die Roemer mussten sich fuegen; aber sie liessen nicht ab +von den Bemuehungen, ihr Seewesen aus seiner Ohnmacht zu reissen. Eine +durchgreifende Massregel in diesem Sinne war die Einsetzung der vier +Flottenquaestoren (quaestores classici) im Jahre 487 (267), von denen der erste +in Ostia, dem Seehafen der Stadt Rom, seinen Sitz erhielt, der zweite von +Cales, damals der Hauptstadt des roemischen Kampaniens, aus die kampanischen +und grossgriechischen, der dritte von Ariminum aus die transapenninischen +Haefen zu beaufsichtigen hatte; der Bezirk des vierten ist nicht bekannt. Diese +neuen staendigen Beamten waren zwar nicht allein, aber doch mitbestimmt, die +Kuesten zu ueberwachen und zum Schutze derselben eine Kriegsmarine zu bilden. +Die Absicht des roemischen Senats, die Selbstaendigkeit zur See +wiederzugewinnen und teils die maritimen Verbindungen Tarents abzuschneiden, +teils den von Epeiros kommenden Flotten das Adriatische Meer zu sperren, teils +sich von der karthagischen Suprematie zu emanzipieren, liegt deutlich zutage. +Das schon eroerterte Verhaeltnis zu Karthago waehrend des letzten italischen +Krieges weist davon die Spuren auf. Zwar zwang Koenig Pyrrhos die beiden +grossen Staedte noch einmal - es war das letzte Mal - zum Abschluss einer +Offensivallianz; allein die Lauigkeit und Treulosigkeit dieses Buendnisses, die +Versuche der Karthager, sich in Rhegion und Tarent festzusetzen, die sofortige +Besetzung Brundisiums durch die Roemer nach Beendigung des Krieges zeigen +deutlich, wie sehr die beiderseitigen Interessen schon sich einander stiessen. +</p> + +<p> +——————————————————- +</p> + +<p> +^7 Diese Angabe ist ebenso bestimmt (Liv. 8,14: interdictum mari Antiati populo +est) wie an sich glaubwuerdig; denn Antium war ja nicht bloss von Kolonisten, +sondern auch noch von der ehemaligen, in der Feindschaft gegen Rom +aufgenaehrten Buergerschaft bewohnt. Damit im Widerspruch stehen freilich die +griechischen Berichte, dass Alexander der Grosse († 431 323) und Demetrios der +Belagerer († 471 283) in Rom ueber antiatische Seeraeuber Beschwerde gefuehrt +haben sollen. Der erste aber ist mit dem ueber die roemische Gesandtschaft nach +Babylon gleichen Schlages und vielleicht gleicher Quelle. Demetrios dem +Belagerer sieht es eher aehnlich, dass er die Piraterie im Tyrrhenischen Meer, +das er nie mit Augen gesehen hat, durch Verordnung abschaffte, und undenkbar +ist es gerade nicht, dass die Antiaten auch als roemische Buerger ihr altes +Gewerbe noch trotz des Verbots unter der Hand eine Zeitlang fortgesetzt haben; +viel wird indes auch auf die zweite Erzaehlung nicht zu geben sein. +</p> + +<p> +^8 Nach Servius (Aen. 4, 628) war in den roemisch-karthagischen Vertraegen +bestimmt, es solle kein Roemer karthagischen, kein Karthager roemischen Boden +betreten (vielmehr besetzen), Korsika aber zwischen beiden neutral bleiben (ut +neque Romani ad litora Carthaginiensium accederent neque Carthaginienses ad +litora Romanorum - Corsica esset media inter Romanos et Carthaginienses). Das +scheint hierher zu gehoeren und die Kolonisierung von Korsika eben durch diesen +Vertrag verhindert worden zu sein. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +Begreiflicherweise suchte Rom sich gegen Karthago auf die hellenischen +Seestaaten zu stuetzen. Mit Massalia bestand das alte enge +Freundschaftsverhaeltnis ununterbrochen fort. Das nach Veiis Eroberung von Rom +nach Delphi gesandte Weihgeschenk ward daselbst in dem Schatzhaus der +Massalioten aufbewahrt. Nach der Einnahme Roms durch die Kelten ward in +Massalia fuer die Abgebrannten gesammelt, wobei die Stadtkasse voranging; zur +Vergeltung gewaehrte dann der roemische Senat den massaliotischen Kaufleuten +Handelsbeguenstigungen und raeumte bei der Feier der Spiele auf dem Markt neben +der Senatorentribuene den Massalioten einen Ehrenplatz (graecostasis) ein. Eben +dahin gehoeren die um das Jahr 448 (306) mit Rhodos und nicht lange nachher mit +Apollonia, einer ansehnlichen Kaufstadt an der epeirotischen Kueste, von den +Roemern abgeschlossenen Handels- und Freundschaftsvertraege und vor allem die +fuer Karthago sehr bedenkliche Annaeherung, welche unmittelbar nach dem Ende +des Pyrrhischen Krieges zwischen Rom und Syrakus stattfand. +</p> + +<p> +Wenn also die roemische Seemacht zwar mit der ungeheuren Entwicklung der +Landmacht auch nicht entfernt Schritt hielt und namentlich die eigene +Kriegsmarine der Roemer keineswegs war, was sie nach der geographischen und +kommerziellen Lage des Staates haette sein muessen, so fing doch auch sie an, +allmaehlich sich aus der voelligen Nichtigkeit, zu welcher sie um das Jahr 400 +(354) herabgesunken war, wieder emporzuarbeiten; und bei den grossen +Hilfsquellen Italiens mochten wohl die Phoeniker mit besorgten Blicken diese +Bestrebungen verfolgen. +</p> + +<p> +Die Krise ueber die Herrschaft auf den italischen Gewaessern nahte heran; zu +Lande war der Kampf entschieden. Zum erstenmal war Italien unter der Herrschaft +der roemischen Gemeinde zu einem Staat vereinigt. Welche politische Befugnisse +dabei die roemische Gemeinde den saemtlichen uebrigen italischen entzog und in +ihren alleinigen Besitz nahm, das heisst, welcher staatsrechtliche Begriff mit +dieser Herrschaft Roms zu verbinden ist, wird nirgends ausdruecklich gesagt, +und es mangelt selbst, in bezeichnender und klug berechneter Weise, fuer diesen +Begriff an einem allgemeingueltigen Ausdruck ^9. Nachweislich gehoerten dazu +nur das Kriegs- und Vertrags- und das Muenzrecht, so dass keine italische +Gemeinde einem auswaertigen Staat Krieg erklaeren oder mit ihm auch nur +verhandeln und kein Courantgeld schlagen durfte, dagegen jede von der +roemischen Gemeinde erlassene Kriegserklaerung und jeder von ihr abgeschlossene +Staatsvertrag von Rechtswegen alle uebrigen italischen Gemeinden mit band und +das roemische Silbergeld in ganz Italien gesetzlich gangbar ward; und es ist +wahrscheinlich, dass die formulierten Befugnisse der fuehrenden Gemeinde sich +nicht weiter erstreckten. Indes notwendig knuepften hieran tatsaechlich viel +weitergehende Herrschaftsrechte sich an. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +^9 Die Klausel, dass das abhaengige Volk sich verpflichtet, “die Hoheit +des roemischen freundlich gelten zu lassen” (maiestatem populi Romani +comiter conservare), ist allerdings die technische Bezeichnung dieser mildesten +Untertaenigkeitsform, aber wahrscheinlich erst in bedeutend spaeterer Zeit +aufgekommen (Cic. Balb. 16, 35). Auch die privatrechtliche Bezeichnung der +Klientel, so treffend sie eben in ihrer Unbestimmtheit das Verhaeltnis +bezeichnet (Dig. 49, 15, 7, 1), ist schwerlich in aelterer Zeit offiziell auf +dasselbe angewendet worden. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +Im einzelnen war das Verhaeltnis, in welchem die Italiker zu der fuehrenden +Gemeinde standen, ein hoechst ungleiches, und es sind in dieser Hinsicht, +ausser der roemischen Vollbuergerschaft, drei verschiedene Klassen von +Untertanen zu unterscheiden. jene selbst vor allem ward so weit ausgedehnt, als +es irgend moeglich war, ohne den Begriff eines staedtischen Gemeinwesens fuer +die roemische Kommune voellig aufzugeben. Das alte Buergergebiet war bis dahin +hauptsaechlich durch Einzelassignation in der Weise erweitert worden, dass das +suedliche Etrurien bis gegen Caere und Falerii, die den Hernikern entrissenen +Strecken am Sacco und am Anio, der groesste Teil der sabinischen Landschaft und +grosse Striche der ehemals volskischen, besonders die pomptinische Ebene in +roemisches Bauernland umgewandelt und meistenteils fuer deren Bewohner neue +Buergerbezirke eingerichtet waren. Dasselbe war sogar schon mit dem von Capua +abgetretenen Falernerbezirke am Volturnus geschehen. Alle diese ausserhalb Rom +domizilierten Buerger entbehrten eines eigenen Gemeinwesens und eigener +Verwaltung; auf dem assignierten Gebiet entstanden hoechstens Marktflecken +(fora et conciliabula). In nicht viel anderer Lage befanden sich die nach den +oben erwaehnten sogenannten Seekolonien entsandten Buerger, denen gleichfalls +das roemische Vollbuergerrecht verblieb und deren Selbstverwaltung wenig +bedeutete. Gegen den Schluss dieser Periode scheint die roemische Gemeinde +damit begonnen zu haben, den naechstliegenden Passivbuergergemeinden gleicher +oder nah verwandter Nationalitaet das Vollbuergerrecht zu gewaehren; welches +wahrscheinlich zuerst fuer Tusculum geschehen ist ^10, ebenso vermutlich auch +fuer die uebrigen Passivbuergergemeinden im eigentlichen Latium, dann am +Ausgang dieser Periode (486 268) auf die sabinischen Staedte erstreckt ward, +die ohne Zweifel damals schon wesentlich latinisiert waren und in dem letzten +schweren Krieg ihre Treue genuegend bewaehrt hatten. Diesen Staedten blieb die +nach ihrer frueheren Rechtsstellung ihnen zukommende beschraenkte +Selbstverwaltung auch nach ihrer Aufnahme in den roemischen Buergerverband; +mehr aus ihnen als aus den Seekolonien haben sich die innerhalb der roemischen +Vollbuergerschaft bestehenden Sondergemeinwesen und damit im Laufe der Zeit die +roemische Munizipalordnung herausgebildet. Hiernach wird die roemische +Vollbuergerschaft am Ende dieser Epoche sich noerdlich bis in die Naehe von +Caere, oestlich bis an den Apennin, suedlich bis nach Tarracina erstreckt +haben, obwohl freilich von einer eigentlichen Grenze hier nicht die Rede sein +kann und teils eine Anzahl Bundesstaedte latinischen Rechts, wie Tibur, +Praeneste, Signia, Norba, Circeii, sich innerhalb dieser Grenzen befanden, +teils ausserhalb derselben die Bewohner von Minturnae, Sinuessa, des +falernischen Gebiets, der Stadt Sena Gallica und anderer Ortschaften mehr, +ebenfalls volles Buergerrecht besassen und roemische Bauernfamilien vereinzelt +oder in Doerfern vereinigt vermutlich schon jetzt durch ganz Italien zerstreut +sich fanden. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +^10 Dass Tusculum, wie es zuerst das Passivbuergerrecht erhielt, so auch zuerst +dies mit dem Vollbuergerrecht vertauschte, ist an sich wahrscheinlich, und +vermutlich wird in dieser, nicht in jener Beziehung die Stadt von Cicero (Mut. +8, 19) municipium antiquissimum genannt. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +Unter den untertaenigen Gemeinden stehen die Passivbuerger (cives sine +suffragio), abgesehen von dem aktiven und passiven Wahlrecht, in Rechten und +Pflichten den Vollbuergern gleich. Ihre Rechtsstellung ward durch die +Beschluesse der roemischen Komitien und die fuer sie vom roemischen Praetor +erlassenen Normen geregelt, wobei indes ohne Zweifel die bisherigen Ordnungen +wesentlich zugrunde gelegt wurden. Recht sprach fuer sie der roemische Praetor +oder dessen jaehrlich in die einzelnen Gemeinden entsandte +“Stellvertreter” (praefecti). Den besser gestellten von ihnen, wie +zum Beispiel der Stadt Capua, blieb die Selbstverwaltung und damit der +Fortgebrauch der Landessprache und die eigenen Beamten, welche die Aushebung +und die Schatzung besorgten. Den Gemeinden schlechteren Rechts, wie zum +Beispiel Caere, wurde auch die eigene Verwaltung genommen, und es war dies ohne +Zweifel die drueckendste unter den verschiedenen Formen der Untertaenigkeit. +Indes zeigt sich, wie oben bemerkt ward, am Ende dieser Periode bereits das +Bestreben, diese Gemeinden, wenigstens soweit sie faktisch latinisiert waren, +der Vollbuergerschaft einzuverleiben. +</p> + +<p> +Die bevorzugteste und wichtigste Klasse unter den untertaenigen Gemeinden war +die der latinischen Staedte, welche an den von Rom inner- und selbst schon +ausserhalb Italien gegruendeten autonomen Gemeinden, den sogenannten +latinischen Kolonien ebenso zahlreichen als ansehnlichen Zuwachs erhielt und +stetig durch neue Gruendungen dieser Art sich vermehrte. Diese neuen +Stadtgemeinden roemischen Ursprungs, aber latinischen Rechts wurden immer mehr +die eigentlichen Stuetzen der roemischen Herrschaft ueber Italien. Es waren +dies nicht mehr diejenigen Latiner, mit denen am Regiller See und bei Trifanum +gestritten worden war - nicht jene alten Glieder des albischen Bundes, welche +der Gemeinde Rom von Haus aus sich gleich, wo nicht besser achteten und welche, +wie die gegen Praeneste zu Anfang des Pyrrhischen Krieges verfuegten furchtbar +strengen Sicherheitsmassregeln und die nachweislich lange noch fortzuckenden +Reibungen namentlich mit den Praenestinern beweisen, die roemische Herrschaft +als schweres Joch empfanden. Dies alte Latium war wesentlich entweder unter +oder in Rom aufgegangen und zaehlte nur noch wenige und mit Ausnahme von +Praeneste und Tibur durchgaengig unbedeutende politisch selbstaendige +Gemeinden. Das Latium der spaeteren republikanischen Zeit bestand vielmehr fast +ausschliesslich aus Gemeinden, die von Anbeginn an in Rom ihre Haupt- und +Mutterstadt verehrt hatten, die inmitten fremdsprachiger und anders gearteter +Landschaften durch Sprach-, Rechts- und Sittengemeinschaft an Rom geknuepft +waren, die als kleine Tyrannen der umliegenden Distrikte ihrer eigenen Existenz +wegen wohl an Rom halten mussten wie die Vorposten an der Hauptarmee, die +endlich, infolge der steigenden materiellen Vorteile des roemischen +Buergertums, aus ihrer wenngleich beschraenkten Rechtsgleichheit mit den +Roemern immer noch einen sehr ansehnlichen Gewinn zogen, wie ihnen denn zum +Beispiel ein Teil der roemischen Domaene zur Sondernutzung ueberwiesen zu +werden pflegte und die Beteiligung an den Verpachtungen und Verdingungen des +Staats ihnen wie dem roemischen Buerger offenstand. Voellig blieben allerdings +auch hier die Konsequenzen der ihnen gewaehrten Selbstaendigkeit nicht aus. +Venusinische Inschriften aus der Zeit der roemischen Republik und kuerzlich zum +Vorschein gekommene beneventanische ^11 lehren, dass Venusia so gut wie Rom +seine Plebs und seine Volkstribune gehabt und dass die Oberbeamten von Benevent +wenigstens um die Zeit des Hannibalischen Krieges den Konsultitel gefuehrt +haben. Beide Gemeinden gehoeren zu den juengsten unter den latinischen Kolonien +aelteren Rechts; man sieht, welche Ansprueche um die Mitte des fuenften +Jahrhunderts in denselben sich regten. Auch diese sogenannten Latiner, +hervorgegangen aus der roemischen Buergerschaft und in jeder Beziehung sich ihr +gleich fuehlend, fingen schon an, ihr untergeordnetes Bundesrecht unwillig zu +empfinden und nach voller Gleichberechtigung zu streben. Deswegen war denn der +Senat bemueht, diese latinischen Gemeinden, wie wichtig sie immer fuer Rom +waren, doch nach Moeglichkeit in ihren Rechten und Privilegien herabzudruecken +und ihre bundesgenoessische Stellung in die der Untertaenigkeit insoweit +umzuwandeln, als dies geschehen konnte, ohne zwischen ihnen und den +nichtlatinischen Gemeinden Italiens die Scheidewand wegzuziehen. Die Aufhebung +des Bundes der latinischen Gemeinden selbst sowie ihrer ehemaligen +vollstaendigen Gleichberechtigung und der Verlust der wichtigsten denselben +zustaendigen politischen Rechte ist schon dargestellt worden; mit der +vollendeten Unterwerfung Italiens geschah ein weiterer Schritt und wurde der +Anfang dazu gemacht, auch die bisher nicht angetasteten individuellen Rechte +des einzelnen latinischen Mannes, vor allem die wichtige Freizuegigkeit, zu +beschraenken. Fuer die im Jahre 486 (268) gegruendete Gemeinde Ariminum und +ebenso fuer alle spaeter konstituierten autonomen Gemeinden wurde die +Bevorzugung vor den uebrigen Untertanen beschraenkt auf die privatrechtliche +Gleichstellung ihrer und der roemischen Gemeindebuerger im Handel und Wandel +sowie im Erbrecht ^12. Vermutlich um dieselbe Zeit ward die den bisher +gegruendeten latinischen Gemeinden gewidmete volle Freizuegigkeit, die Befugnis +eines jeden ihrer Buerger, durch Uebersiedelung nach Rom das volle Buergerrecht +daselbst zu gewinnen, fuer die spaeter eingerichteten latinischen Pflanzstaedte +beschraenkt auf diejenigen Personen, welche in ihrer Heimat zu dem hoechsten +Gemeindeamt gelangt waren; nur diesen blieb es gestattet, ihr koloniales +Buergerrecht mit dem roemischen zu vertauschen. Es erscheint hier deutlich die +vollstaendige Umaenderung der Stellung Roms. Solange Rom noch, wenn auch die +erste, doch nur eine der vielen italischen Stadtgemeinden war, wurde der +Eintritt selbst in das unbeschraenkte roemische Buergerrecht durchgaengig als +ein Gewinn fuer die aufnehmende Gemeinde betrachtet und die Gewinnung dieses +Buergerrechts den Nichtbuergern auf alle Weise erleichtert, ja oft als Strafe +ihnen auferlegt. Seit aber die roemische Gemeinde allein herrschte und die +uebrigen alle ihr dienten, kehrte das Verhaeltnis sich um: die roemische +Gemeinde fing an, ihr Buergerrecht eifersuechtig zu bewahren, und machte darum +der alten vollen Freizuegigkeit ein Ende; obwohl die Staatsmaenner dieser Zeit +doch einsichtig genug waren, wenigstens den Spitzen und Kapazitaeten der +hoechstgestellten Untertanengemeinden den Eintritt in das roemische +Buergerrecht gesetzlich offenzuhalten. Auch die Latiner also hatten es zu +empfinden, dass Rom, nachdem es hauptsaechlich durch sie sich Italien +unterworfen hatte, jetzt ihrer nicht mehr so wie bisher bedurfte. +</p> + +<p> +——————————————————— +</p> + +<p> +^11 V Cervio A. f. cosol dedicavit und lunonei Quiritei sacra. C. Falcilius L. +f. consol dedicavit. +</p> + +<p> +^12 Nach Ciceros Zeugnis (Caecin. 35) gab Sulla den Volaterranern das ehemalige +Recht von Ariminum, das heisst, setzt der Redner hinzu, das Recht der +“zwoelf Kolonien”, welche nicht die roemische Civitaet, aber volles +Commercium mit den Roemern hatten. Ueber wenige Dinge ist soviel verhandelt +worden wie ueber die Beziehung dieses Zwoelfstaedterechts; und doch liegt +dieselbe nicht fern. Es sind in Italien und im Cisalpinischen Gallien, +abgesehen von einigen frueh wieder verschwundenen, im ganzen vierunddreissig +latinische Kolonien gegruendet worden; die zwoelf juengsten derselben - +Ariminum, Beneventum, Firmum, Aesernia, Brundisium, Spoletium, Cremona, +Placentia, Copia, Valentia, Bononia, Aquileia - sind hier gemeint, und da +Ariminum von ihnen die aelteste und diejenige ist, fuer welche diese neue +Ordnung zunaechst festgesetzt ward - vielleicht zum Teil deswegen mit, weil +dies die erste ausserhalb Italien gegruendete roemische Kolonie war -, so +heisst das Stadtrecht dieser Kolonien richtig das ariminensische. Damit ist +zugleich erwiesen, was schon aus anderen Gruenden die hoechste +Wahrscheinlichkeit fuer sich hatte, dass alle nach Aquileias Gruendung in +Italien (im weiteren Sinn) gestifteten Kolonien zu den Buergerkolonien +gehoerten. +</p> + +<p> +Den Umfang der Rechtsschmaelerung der juengeren latinischen Staedte im +Gegensatz zu den aelteren vermoegen wir uebrigens nicht voellig zu bestimmen. +Wenn die Ehegemeinschaft, wie es nicht unwahrscheinlich, aber freilich nichts +weniger als ausgemacht ist (oben 1, 116; Diod. p. 590, 62. Frg. Vat. p. 130 +Dind.), ein Bestandteil der urspruenglichen bundesgenoessischen +Rechtsgleichheit war, so ist sie jedenfalls den juengeren nicht mehr +zugestanden worden. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Das Verhaeltnis endlich der nichtlatinischen Bundesgemeinden unterlag +selbstverstaendlich den mannigfachsten Normen, wie eben der einzelne +Bundesvertrag sie festgesetzt hatte. Manche dieser ewigen Buendnisse, wie zum +Beispiel die der hernikischen Gemeinden, gingen ueber in voellige +Gleichstellung mit den latinischen. Andere, bei denen dies nicht der Fall war, +wie die von Neapel, Nola, Herakleia, gewaehrten verhaeltnismaessig sehr +umfassende Rechte; wieder andere, wie zum Beispiel die tarentinischen und die +samnitischen Vertraege, moegen sich der Zwingherrschaft genaehert haben. +</p> + +<p> +Als allgemeine Regel kann wohl angenommen werden, dass nicht bloss die +latinische und hernikische, von denen es ueberliefert ist, sondern saemtliche +italische Voelkergenossenschaften, namentlich auch die samnitische und die +lucanische, rechtlich aufgeloest oder doch zur Bedeutungslosigkeit +abgeschwaecht wurden und durchschnittlich keiner italischen Gemeinde mit +anderen italischen die Verkehrs- oder Ehegemeinschaft oder gar das gemeinsame +Beratschlagungs- und Beschlussfassungsrecht zustand. Ferner wird, wenn auch in +verschiedener Weise, dafuer gesorgt worden sein, dass die Wehr- und Steuerkraft +der saemtlichen italischen Gemeinden der fuehrenden zur Disposition stand. +Wenngleich auch ferner noch die Buergermiliz einer- und die Kontingente +“latinischen Namens” anderseits als die wesentlichen und +integrierenden Bestandteile des roemischen Heeres angesehen wurden und ihm +somit sein nationaler Charakter im ganzen bewahrt blieb, so wurden doch nicht +bloss die roemischen Passivbuerger zu demselben mit herangezogen, sondern ohne +Zweifel auch die nichtlatinischen foederierten Gemeinden entweder, wie dies mit +den griechischen geschah, zur Stellung von Kriegsschiffen verpflichtet, oder, +wie dies fuer die apulischen, sabellischen und etruskischen auf einmal oder +allmaehlich verordnet worden sein muss, in das Verzeichnis der zuzugpflichtigen +Italiker (formula togatorum) eingetragen. Durchgaengig scheint dieser Zuzug +eben wie der der latinischen Gemeinden fest normiert worden zu sein, ohne dass +doch die fuehrende Gemeinde erforderlichenfalls verhindert gewesen waere, mehr +zu fordern. Es lag hierin zugleich eine indirekte Besteuerung, indem jede +Gemeinde verpflichtet war, ihr Kontingent selbst auszuruesten und zu besolden. +Nicht ohne Absicht wurden darum vorzugsweise die kostspieligsten +Kriegsleistungen auf die latinischen oder nichtlatinischen foederierten +Gemeinden gewaelzt, die Kriegsmarine zum groessten Teil durch die griechischen +Staedte instand gehalten und bei dem Rossdienst die Bundesgenossen, spaeterhin +wenigstens, in dreifach staerkerem Verhaeltnis als die roemische Buergerschaft +angezogen, waehrend im Fussvolk der alte Satz, dass das +Bundesgenossenkontingent nicht zahlreicher sein duerfte als das Buergerheer, +noch lange Zeit wenigstens als Regel in Kraft blieb. +</p> + +<p> +Das System, nach welchem dieser Bau im einzelnen zusammengefuegt und +zusammengehalten ward, laesst aus den wenigen auf uns gekommenen Nachrichten +sich nicht mehr feststellen. Selbst das Zahlenverhaeltnis, in welchem die drei +Klassen der Untertanenschaft zueinander und zu der Vollbuergerschaft standen, +ist nicht mehr auch nur annaehernd zu ermitteln ^13 und ebenso die +geographische Verteilung der einzelnen Kategorien ueber Italien nur +unvollkommen bekannt. Die bei diesem Bau zugrunde liegenden leitenden Gedanken +liegen dagegen so offen vor, dass es kaum noetig ist, sie noch besonders zu +entwickeln. Vor allem ward, wie gesagt, der unmittelbare Kreis der herrschenden +Gemeinde teils durch Ansiedelung der Vollbuerger, teils durch Verleihung des +Passivbuergerrechts soweit ausgedehnt, wie es irgend moeglich war, ohne die +roemische Gemeinde, die doch eine staedtische war und bleiben sollte, +vollstaendig zu dezentralisieren. Als das Inkorporationssystem bis an und +vielleicht schon ueber seine natuerlichen Grenzen ausgedehnt war, mussten die +weiter hinzutretenden Gemeinden sich in ein Untertaenigkeitsverhaeltnis fuegen; +denn die reine Hegemonie als dauerndes Verhaeltnis ist innerlich unmoeglich. So +stellte sich, nicht durch willkuerliche Monopolisierung der Herrschaft, sondern +durch das unvermeidliche Schwergewicht der Verhaeltnisse neben die Klasse der +herrschenden Buerger die zweite der Untertanen. Unter den Mitteln der +Herrschaft standen in erster Linie natuerlich die Teilung der Beherrschten +durch Sprengung der italischen Eidgenossenschaften und Einrichtung einer +moeglichst grossen Zahl verhaeltnismaessig geringer Gemeinden, sowie die +Abstufung des Druckes der Herrschaft nach den verschiedenen Kategorien der +Untertanen. Wie Cato in seinem Hausregiment dahin sah, dass die Sklaven sich +miteinander nicht allzu gut vertragen moechten, und absichtlich Zwistigkeiten +und Parteiungen unter ihnen naehrte, so hielt es die roemische Gemeinde im +grossen; das Mittel war nicht schoen, aber wirksam. Nur eine weitere Anwendung +desselben Mittels war es, wenn in jeder abhaengigen Gemeinde die Verfassung +nach dem Muster der roemischen umgewandelt und ein Regiment der wohlhabenden +und angesehenen Familien eingesetzt ward, welches mit der Menge in einer +natuerlichen mehr oder minder lebhaften Opposition stand und durch seine +materiellen und kommunalregimentlichen Interessen darauf angewiesen war, auf +Rom sich zu stuetzen. Das merkwuerdigste Beispiel in dieser Beziehung gewaehrt +die Behandlung von Capua, welches als die einzige italische Stadt, die +vielleicht mit Rom zu rivalisieren vermochte, von Haus aus mit argwoehnischer +Vorsicht behandelt worden zu sein scheint. Man verlieh dem kampanischen Adel +einen privilegierten Gerichtsstand, gesonderte Versammlungsplaetze, ueberhaupt +in jeder Hinsicht eine Sonderstellung, ja man wies ihm sogar nicht +unbetraechtliche Pensionen - sechzehnhundert je von jaehrlich 450 Stateren +(etwa 200 Taler) - auf die kampanische Gemeindekasse an. Diese kampanischen +Ritter waren es, deren Nichtbeteiligung an dem grossen latinisch-kampanischen +Aufstand 414 (340) zu dessen Scheitern wesentlich beitrug und deren tapfere +Schwerter im Jahre 459 (295) bei Sentinum fuer die Roemer entschieden; wogegen +das kampanische Fussvolk in Rhegion die erste Truppe war, die im Pyrrhischen +Kriege von Rom abfiel. Einen anderen merkwuerdigen Beleg fuer die roemische +Praxis: die staendischen Zwistigkeiten innerhalb der abhaengigen Gemeinden +durch Beguenstigung der Aristokratie fuer das roemische Interesse auszubeuten, +gibt die Behandlung, die Volsinii im Jahre 489 (265) widerfuhr. Es muessen +dort, aehnlich wie in Rom, die Alt- und Neubuerger sich gegenuebergestanden und +die letzteren auf gesetzlichem Wege die politische Gleichberechtigung erlangt +haben. Infolge dessen wandten die Altbuerger von Volsinii sich an den +roemischen Senat mit dem Gesuch um Wiederherstellung der alten Verfassung; was +die in der Stadt herrschende Partei begreiflicherweise als Landesverrat +betrachtete und die Bittsteller dafuer zur gesetzlichen Strafe zog. Der +roemische Senat indes nahm Partei fuer die Altbuerger und liess, da die Stadt +sich nicht gutwillig fuegte, durch militaerische Exekution nicht bloss die in +anerkannter Wirksamkeit bestehende Gemeindeverfassung von Volsinii vernichten, +sondern auch durch die Schleifung der alten Hauptstadt Etruriens das Herrentum +Roms den Italikern in einem Exempel von erschreckender Deutlichkeit vor Augen +legen. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +^13 Es ist zu bedauern, dass wir ueber die Zahlenverhaeltnisse nicht genuegende +Auskunft zu geben imstande sind. Man kann die Zahl der waffenfaehigen +roemischen Buerger fuer die spaetere Koenigszeit auf etwa 20000 veranschlagen. +Nun ist aber von Albas Fall bis auf die Eroberung von Veii die unmittelbare +roemische Mark nicht wesentlich erweitert worden; womit es vollkommen +uebereinstimmt, dass von der ersten Einrichtung der einundzwanzigste Bezirk um +das Jahr 259 (495) an, worin keine oder doch keine bedeutende Erweiterung der +roemischen Grenze lag, bis auf das Jahr 367 (387) neue Buergerbezirke nicht +errichtet wurden. Mag man nun auch die Zunahme durch den Ueberschuss der +Geborenen ueber die Gestorbenen, durch Einwanderungen und Freilassungen noch so +reichlich in Anschlag bringen, so ist es doch schlechterdings unmoeglich, mit +den engen Grenzen eines Gebiets von schwerlich 30 Quadratmeilen die +ueberlieferten Zensuszahlen in Uebereinstimmung zu bringen, nach denen die Zahl +der waffenfaehigen roemischen Buerger in der zweiten Haelfte des dritten +Jahrhunderts zwischen 104000 und 150000 schwankt, und im Jahre 362 (392), +wofuer eine vereinzelte Angabe vorliegt, 152573 betrug. Vielmehr werden diese +Zahlen mit den 84700 Buergern des Servianischen Zensus auf einer Linie stehen +und ueberhaupt die ganze bis auf die vier Lustren des Servius Tullius +hinaufgefuehrte und mit reichlichen Zahlen ausgestattete aeltere Zensusliste +nichts sein als eine jener scheinbar urkundlichen Traditionen, die eben in ganz +detaillierten Zahlenangaben sich gefallen und sich verraten. +</p> + +<p> +Erst mit der zweiten Haelfte des vierten Jahrhunderts beginnen die grossen +Gebietserwerbungen, wodurch die Buergerrolle ploetzlich und betraechtlich +steigen musste. Es ist glaubwuerdig ueberliefert, wie an sich glaublich, dass +um 416 (338) man 165000 roemische Buerger zaehlte, wozu es recht gut stimmt, +dass zehn Jahre vorher, als man gegen Latium und Gallien die ganze Miliz unter +die Waffen rief, das erste Aufgebot zehn Legionen, also 50000 Mann betrug. Seit +den grossen Gebietserweiterungen in Etrurien, Latium und Kampanien zaehlte man +im fuenften Jahrhundert durchschnittlich 250000, unmittelbar vor dem ersten +Punischen Kriege 280000 bis 290000 waffenfaehige Buerger. Diese Zahlen sind +sicher genug, allein aus einem anderen Grunde geschichtlich nicht vollstaendig +brauchbar: dabei naemlich sind wahrscheinlich die roemischen Vollbuerger und +die nicht, wie die Kampaner, in eigenen Legionen dienenden “Buerger ohne +Stimme”, wie zum Beispiel die Caeriten, ineinander gerechnet, waehrend +doch die letzteren faktisch durchaus den Untertanen beigezaehlt werden muessen +(Roemische Forschungen, Bd. 2, S. 396). +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +Aber der roemische Senat war weise genug, nicht zu uebersehen, dass das einzige +Mittel, der Gewaltherrschaft Dauer zu geben, die eigene Maessigung der +Gewalthaber ist. Darum ward den abhaengigen Gemeinden die Autonomie gelassen +oder verliehen, die einen Schatten von Selbstaendigkeit, einen eigenen Anteil +an Roms militaerischen und politischen Erfolgen und vor allem eine freie +Kommunalverfassung in sich schloss - so weit die italische Eidgenossenschaft +reichte, gab es keine Helotengemeinde. Darum verzichtete Rom von vornherein mit +einer in der Geschichte vielleicht beispiellosen Klarheit und Hochherzigkeit +auf das gefaehrlichste aller Regierungsrechte, auf das Recht, die Untertanen zu +besteuern. Hoechstens den abhaengigen keltischen Gauen moegen Tribute auferlegt +worden sein; soweit die italische Eidgenossenschaft reichte, gab es keine +zinspflichtige Gemeinde. Darum endlich ward die Wehrpflicht zwar wohl auf die +Untertanen mit, aber doch keineswegs von der herrschenden Buergerschaft +abgewaelzt; vielmehr wurde wahrscheinlich die letztere nach Verhaeltnis bei +weitem staerker als die Bundesgenossenschaft und in dieser wahrscheinlich +wiederum die Gesamtheit der Latiner bei weitem staerker in Anspruch genommen +als die nichtlatinischen Bundesgemeinden; so dass es eine gewisse Billigkeit +fuer sich hatte, wenn auch von dem Kriegsgewinn zunaechst Rom und nach ihm die +Latinerschaft den besten Teil fuer sich nahmen. +</p> + +<p> +Der schwierigen Aufgabe, ueber die Masse der italischen zuzugpflichtigen +Gemeinden den Ueberblick und die Kontrolle sich zu bewahren, genuegte die +roemische Zentralverwaltung teils durch die vier italischen Quaesturen, teils +durch die Ausdehnung der roemischen Zensur ueber die saemtlichen abhaengigen +Staedte. Die Flottenquaestoren hatten neben ihrer naechsten Aufgabe auch von +den neugewonnenen Domaenen die Einkuenfte zu erheben und die Zuzuege der neuen +Bundesgenossen zu kontrollieren; sie waren die ersten roemischen Beamten, denen +gesetzlich Sitz und Sprengel ausserhalb Rom angewiesen ward und bildeten +zwischen dem roemischen Senat und den italischen Gemeinden die notwendige +Mittelinstanz. Es hatte ferner, wie die spaetere Munizipalverfassung zeigt, in +jeder italischen ^14 Gemeinde die Oberbehoerde, wie sie immer heissen mochte, +jedes vierte oder fuenfte Jahr eine Schatzung vorzunehmen; eine Einrichtung, zu +der die Anregung notwendig von Rom ausgegangen sein muss und welche nur den +Zweck gehabt haben kann, mit der roemischen Zensur korrespondierend dem Senat +den Ueberblick ueber die Wehr- und Steuerfaehigkeit des gesamten Italiens zu +bewahren. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +^14 Nicht bloss in jeder latinischen: denn die Zensur oder die sogenannte +Quinquennalitaet kommt bekanntlich auch bei solchen Gemeinden vor, deren +Verfassung nicht nach dem latinischen Schema konstituiert ist. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Mit dieser militaerisch-administrativen Einigung der gesamten diesseits des +Apennin bis hinab zum Iapygischen Vorgebirg und zur Meerenge von Rhegion +wohnhaften Voelkerschaften haengt endlich auch das Aufkommen eines neuen, ihnen +allen gemeinsamen Namens zusammen, der “Maenner der Toga”, was die +aelteste staatsrechtliche roemische, oder der Italiker, was die urspruenglich +bei den Griechen gebraeuchliche und sodann allgemein gangbar gewordene +Bezeichnung ist. Die verschiedenen Nationen, welche diese Landschaften +bewohnten, moegen wohl zuerst sich als eine Einheit gefuehlt und +zusammengefunden haben teils in dem Gegensatz gegen die Hellenen, teils und vor +allem in der gemeinschaftlichen Abwehr der Kelten; denn mochte auch einmal eine +italische Gemeinde mit diesen gegen Rom gemeinschaftliche Sache machen und die +Gelegenheit nutzen, um die Unabhaengigkeit wiederzugewinnen, so brach doch auf +die Laenge das gesunde Nationalgefuehl notwendig sich Bahn. Wie der +“gallische Acker” bis in spaete Zeit als der rechtliche Gegensatz +des italischen erscheint, so sind auch die “Maenner der Toga” also +genannt worden im Gegensatz zu den keltischen “Hosenmaennern” +(bracati); und wahrscheinlich hat selbst bei der Zentralisierung des italischen +Wehrwesens in den Haenden Roms die Abwehr der keltischen Einfaelle sowohl als +Ursache wie als Vorwand eine wichtige Rolle gespielt. Indem die Roemer teils in +dem grossen Nationalkampf an die Spitze traten, teils die Etrusker, Latiner, +Sabeller, Apuler und Hellenen innerhalb der sogleich zu bezeichnenden Grenzen +gleichmaessig noetigten, unter ihren Fahnen zu fechten, erhielt die bis dahin +schwankende und mehr innerliche Einheit geschlossene und staatsrechtliche +Festigkeit und ging der Name Italia, der urspruenglich und noch bei den +griechischen Schriftstellern des fuenften Jahrhunderts, zum Beispiel bei +Aristoteles, nur dem heutigen Kalabrien eignet, ueber auf das gesamte Land der +Togatraeger. Die aeltesten Grenzen dieser grossen von Rom gefuehrten +Wehrgenossenschaft oder des neuen Italien reichen am westlichen Litoral bis in +die Gegend von Livorno unterhalb des Arnus ^15, am oestlichen bis an den Aesis +oberhalb Ancona; die ausserhalb dieser Grenzen liegenden, von Italikern +kolonisierten Ortschaften, wie Sena gallica und Ariminum jenseits des Apennin, +Messana in Sizilien, galten, selbst wenn sie, wie Ariminum, Glieder der +Eidgenossenschaft oder sogar, wie Sena, roemische Buergergemeinden waren, doch +als geographisch ausserhalb Italien gelegen. Noch weniger konnten die +keltischen Gaue des Apennin, wenngleich vielleicht schon jetzt einzelne +derselben in der Klientel von Rom sich befanden, den Togamaennern beigezaehlt +werden. Das neue Italien war also eine politische Einheit geworden; es war aber +auch im Zuge, eine nationale zu werden. Bereits hatte die herrschende +latinische Nationalitaet die Sabiner und Volsker sich assimiliert und einzelne +latinische Gemeinden ueber ganz Italien verstreut; es war nur die Entwicklung +dieser Keime, dass spaeter einem jeden zur Tragung des latinischen Rockes +Befugten auch die latinische Sprache Muttersprache war. Dass aber die Roemer +schon jetzt dieses Ziel deutlich erkannten, zeigt die uebliche Erstreckung des +latinischen Namens auf die ganze zuzugpflichtige italische Bundesgenossenschaft +^16. Was immer von diesem grossartigen politischen Bau sich noch erkennen +laesst, daraus spricht der hohe politische Verstand seiner namenlosen +Baumeister; und die ungemeine Festigkeit, welche diese aus so vielen und so +verschiedenartigen Bestandteilen zusammengefuegte Konfoederation spaeterhin +unter den schwersten Stoessen bewaehrt hat, drueckte ihrem grossen Werke das +Siegel des Erfolges auf. Seitdem die Faeden dieses so fein wie fest um ganz +Italien geschlungenen Netzes in den Haenden der roemischen Gemeinde +zusammenliefen, war diese eine Grossmacht und trat anstatt Tarents, Lucaniens +und anderer durch die letzten Kriege aus der Reihe der politischen Maechte +geloeschter Mittel- und Kleinstaaten in das System der Staaten des Mittelmeers +ein. Gleichsam die offizielle Anerkennung seiner neuen Stellung empfing Rom +durch die beiden feierlichen Gesandtschaften, die im Jahre 481 (273) von +Alexandreia nach Rom und wieder von Rom nach Alexandreia gingen, und wenn sie +auch zunaechst nur die Handelsverbindungen regelten, doch ohne Zweifel schon +eine politische Verbuendung vorbereiteten. Wie Karthago mit der aegyptischen +Regierung um Kyrene rang und bald mit der roemischen um Sizilien ringen sollte, +so stritt Makedonien mit jener um den bestimmenden Einfluss in Griechenland, +mit dieser demnaechst um die Herrschaft der adriatischen Kuesten; es konnte +nicht fehlen, dass die neuen Kaempfe, die allerorts sich vorbereiteten, +ineinander eingriffen und dass Rom als Herrin Italiens in den weiten Kreis +hineingezogen ward, den des grossen Alexanders Siege und Entwuerfe seinen +Nachfolgern zum Tummelplatz abgesteckt hatten. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +^15 Diese aelteste Grenze bezeichnen wahrscheinlich die beiden kleinen +Ortschaften ad fines, wovon die eine noerdlich von Arezzo auf der Strasse nach +Florenz, die zweite an der Kueste unweit Livorno lag. Etwas weiter suedlich von +dem letzteren heisst Bach und Tal von Vada noch jetzt fiume della fine, valle +della fine (Targioni Tozzetti, Viaggi. Bd. 4, S. 430). +</p> + +<p> +^16 Im genauen geschaeftlichen Sprachgebrauch geschieht dies freilich nicht. +Die vollstaendigste Bezeichnung der Italiker findet sich in dem Ackergesetz von +643 (111), Zeile 21: [ceivis] Romanus sociumve nominisve Latini quibus ex +formula togatorum [milites in terra Italia imperare solent]; ebenso wird +daselbst Zeile 29 vom Latinus der peregrinus unterschieden und heisst es im +Senatsbeschluss ueber die Bacchanalien von 568 (186): ne quis ceivis Romanus +neve nominis Latini neve socium quisquam. Aber im gewoehnlichen Gebrauch wird +von diesen drei Gliedern sehr haeufig das zweite oder das dritte weggelassen +und neben den Roemern bald nur derer Latini nominis, bald nur der socii gedacht +(W. Weissenborn zu Liv. 22, 50, 6), ohne dass ein Unterschied in der Bedeutung +waere. Die Bezeichnung homines nominis Latini ac socii Italici (Sall. Iug. 40), +so korrekt sie an sich ist, ist dem offiziellen Sprachgebrauch fremd, der wohl +ein Italia, aber nicht Italici kennt. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap08"></a>KAPITEL VIII.<br/> +Recht, Religion, Kriegswesen, Volkswirtschaft, Nationalität</h2> + +<p> +In der Entwicklung, welche waehrend dieser Epoche dem Recht innerhalb der +roemischen Gemeinde zuteil ward, ist wohl die wichtigste materielle Neuerung +die eigentuemliche Sittenkontrolle, welche die Gemeinde selbst und in +untergeordnetem Grade ihre Beauftragten anfingen, ueber die einzelnen Buerger +auszuueben. Der Keim dazu ist in dem Rechte des Beamten zu suchen, wegen +Ordnungswidrigkeiten Vermoegensbussen (multae) zu erkennen. Bei allen Bussen +von mehr als zwei Schafen und 30 Rindern, oder, nachdem durch Gemeindebeschluss +vom Jahre 324 (430) die Viehbussen in Geld umgesetzt worden waren, von mehr als +3020 Libralassen (218 Taler), kam bald nach der Vertreibung der Koenige die +Entscheidung im Wege der Provokation an die Gemeinde, und es erhielt damit das +Bruchverfahren ein urspruenglich ihm durchaus fremdes Gewicht. Unter den vagen +Begriff der Ordnungswidrigkeit liess sich alles, was man wollte, bringen und +durch die hoeheren Stufen der Vermoegensbussen alles, was man wollte, +erreichen; es war eine Milderung, die die Bedenklichkeit dieses arbitraeren +Verfahrens weit mehr offenbart als beseitigt, dass diese Vermoegensbussen, wo +sie nicht gesetzlich auf eine bestimmte Summe festgestellt waren, die Haelfte +des dem Gebuessten gehoerigen Vermoegens nicht erreichen durften. In diesen +Kreis gehoeren schon die Polizeigesetze, an denen die roemische Gemeinde seit +aeltester Zeit ueberreich war: die Bestimmungen der Zwoelf Tafeln, welche die +Salbung der Leiche durch gedungene Leute, die Mitgabe von mehr als einem Pfuhl +und mehr als drei purpurbesetzten Decken sowie von Gold und flatternden +Kraenzen, die Verwendung von bearbeitetem Holz zum Scheiterhaufen, die +Raeucherungen und Besprengungen desselben mit Weihrauch und Myrrhenwein +untersagten, die Zahl der Floetenblaeser im Leichenzug auf hoechstens zehn +beschraenkten und die Klageweiber und die Begraebnisgelage verboten - +gewissermassen das aelteste roemische Luxusgesetz; ferner die aus den +staendischen Kaempfen hervorgegangenen Gesetze gegen den Geldwucher sowohl wie +gegen Obernutzung der Gemeinweide und unverhaeltnismaessige Aneignung von +okkupablem Domanialland. Weit bedenklicher aber als diese und aehnliche +Bruchgesetze, welche doch wenigstens die Kontravention und oft auch das +Strafmass ein fuer allemal formulierten, war die allgemeine Befugnis eines +jeden mit Jurisdiktion versehenen Beamten wegen Ordnungswidrigkeit eine Busse +zu erkennen und, wenn diese das Provokationsmass erreichte und der Gebuesste +sich nicht in die Strafe fuegte, die Sache an die Gemeinde zu bringen. Schon im +Laufe des fuenften Jahrhunderts ist in diesem Wege wegen sittenlosen +Lebenswandels sowohl von Maennern wie von Frauen, wegen Kornwucher, Zauberei +und aehnlicher Dinge gleichsam kriminell verfahren worden. In innerlicher +Verwandtschaft hiermit steht die gleichfalls in dieser Zeit aufkommende +Quasijurisdiktion der Zensoren, welche ihre Befugnis, das roemische Budget und +die Buergerlisten festzustellen, benutzten, teils um von sich aus Luxussteuern +aufzulegen, welche von den Luxusstrafen nur der Form nach sich unterschieden, +teils besonders um auf die Anzeige anstoessiger Handlungen hin dem tadelhaften +Buerger die politischen Ehrenrechte zu schmaelern oder zu entziehen. Wie weit +schon jetzt diese Bevormundung ging, zeigt, dass solche Strafen wegen +nachlaessiger Bestellung des eigenen Ackers verhaengt wurden, ja dass ein Mann +wie Publius Cornelius Rufmus (Konsul 464, 477 290, 277) von den Zensoren des +Jahres 479 (275) aus dem Ratsherrenverzeichnis gestrichen ward, weil er +silbernes Tafelgeraet zum Werte von 3360 Sesterzen (240 Taler) besass. +Allerdings hatten nach der allgemein fuer Beamtenverordnungen gueltigen Regel +die Verfuegungen der Zensoren nur fuer die Dauer ihrer Zensur, das heisst +durchgaengig fuer die naechsten fuenf Jahre rechtliche Kraft, und konnten von +den naechsten Zensoren nach Gefallen erneuert oder nicht erneuert werden; aber +nichtsdestoweniger war diese zensorische Befugnis von einer so ungeheuren +Bedeutung, dass infolge dessen die Zensur aus einem Unteramt an Rang und +Ansehen von allen roemischen Gemeindeaemtern das erste ward. Das Senatsregiment +ruhte wesentlich auf dieser doppelten, mit ebenso ausgedehnter wie arbitraerer +Machtvollkommenheit versehenen Ober- und Unterpolizei der Gemeinde und der +Gemeindebeamten. Dieselbe hat wie jedes aehnliche Willkuerregiment viel +genuetzt und viel geschadet, und es soll dem nicht widersprochen werden, der +den Schaden fuer ueberwiegend haelt; nur darf es nicht vergessen werden, dass +bei der allerdings aeusserlichen, aber straffen und energischen Sittlichkeit +und dem gewaltig angefachten Buergersinn, welche diese Zeit recht eigentlich +bezeichnen, der eigentlich gemeine Missbrauch doch von diesen Institutionen +fern blieb und, wenn die individuelle Freiheit hauptsaechlich durch sie +niedergehalten worden ist, auch die gewaltige und oft gewaltsame +Aufrechthaltung des Gemeinsinns und der guten alten Ordnung und Sitte in der +roemischen Gemeinde eben auf diesen Institutionen beruhen. +</p> + +<p> +Daneben macht in der roemischen Rechtsentwicklung zwar langsam, aber dennoch +deutlich genug eine humanisierende und modernisierende Tendenz sich geltend. +Die meisten Bestimmungen der Zwoelf Tafeln, welche mit dem Solonischen Gesetz +uebereinkommen und deshalb mit Grund fuer materielle Neuerungen gehalten werden +duerfen, tragen diesen Stempel; so die Sicherung des freien Assoziationsrechts +und der Autonomie der also entstandenen Vereine; die Vorschrift ueber die +Grenzstreifen, die dem Abpfluegen wehrte; die Milderung der Strafe des +Diebstahls, indem der nicht auf frischer Tat ertappte Dieb sich fortan durch +Leistung des doppelten Ersatzes von dem Bestohlenen loesen konnte. Das +Schuldrecht ward in aehnlichem Sinn, jedoch erst ueber ein Jahrhundert nachher, +durch das Poetelische Gesetz gemildert. Die freie Bestimmung ueber das +Vermoegen, die dem Herrn desselben bei Lebzeiten schon nach aeltestem +roemischen Recht zugestanden hatte, aber fuer den Todesfall bisher geknuepft +gewesen war an die Einwilligung der Gemeinde, wurde auch von dieser Schranke +befreit, indem das Zwoelftafelgesetz oder dessen Interpretation dem +Privattestament dieselbe Kraft beilegte, welche dem von den Kurien bestaetigten +zukam; es war dies ein wichtiger Schritt zur Sprengung der +Geschlechtsgenossenschaften und zur voelligen Durchfuehrung der +Individualfreiheit im Vermoegensrecht. Die furchtbar absolute vaeterliche +Gewalt wurde beschraenkt durch die Vorschrift, dass der dreimal vom Vater +verkaufte Sohn nicht mehr in dessen Gewalt zurueckfallen, sondern fortan frei +sein solle; woran bald durch eine - streng genommen freilich widersinnige - +Rechtsdeduktion die Moeglichkeit angeknuepft ward, dass sich der Vater +freiwillig der Herrschaft ueber den Sohn begebe durch Emanzipation. Im Eherecht +wurde die Zivilehe gestattet; und wenn auch mit der rechten buergerlichen +ebenso notwendig wie mit der rechten religioesen die volle eheherrliche Gewalt +verknuepft war, so lag doch in der Zulassung der ohne solche Gewalt +geschlossenen Verbindung an Ehestatt der erste Anfang zur Lockerung der +Vollgewalt des Eheherrn. Der Anfang einer gesetzlichen Noetigung zum ehelichen +Leben ist die Hagestolzensteuer (aes uxorium), mit deren Einfuehrung Camillus +als Zensor im Jahre 351 (403) seine oeffentliche Laufbahn begann. +</p> + +<p> +Durchgreifendere Aenderungen als das Recht selbst erlitt die politisch +wichtigere und ueberhaupt veraenderlichere Rechtspflegeordnung. Vor allen +Dingen gehoert dahin die wichtige Beschraenkung der oberrichterlichen Gewalt +durch die gesetzliche Aufzeichnung des Landrechts und die Verpflichtung des +Beamten, fortan nicht mehr nach dem schwankenden Herkommen, sondern nach dem +geschriebenen Buchstaben im Zivil- wie im Kriminalverfahren zu entscheiden +(303, 304 451, 450). Die Einsetzung eines ausschliesslich fuer die Rechtspflege +taetigen roemischen Oberbeamten im Jahre 387 (367) und die gleichzeitig in Rom +erfolgte und unter Roms Einfluss in allen latinischen Gemeinden nachgeahmte +Gruendung einer besonderen Polizeibehoerde erhoehten die Schnelligkeit und +Sicherheit der Justiz. Diesen Polizeiherren oder den Aedilen kam natuerlich +zugleich eine gewisse Jurisdiktion zu, insofern sie teils fuer die auf offenem +Markt abgeschlossenen Verkaeufe, also namentlich fuer die Vieh- und +Sklavenmaerkte die ordentlichen Zivilrichter waren, teils in der Regel sie es +waren, welche in dem Buss- und Bruechverfahren als Richter erster Instanz oder, +was nach roemischem Recht dasselbe ist, als oeffentliche Anklaeger fungierten. +Infolgedessen lag die Handhabung der Bruechgesetze und ueberhaupt das ebenso +unbestimmte wie politisch wichtige Bruechrecht hauptsaechlich in ihrer Hand. +Aehnliche, aber untergeordnetere und besonders gegen die geringen Leute +gerichtete Funktionen standen den zuerst 465 (289) ernannten drei Nacht- oder +Blutherren (tres viri nocturni oder capitales) zu: sie wurden mit der +naechtlichen Feuer- und Sicherheitspolizei und mit der Aufsicht ueber die +Hinrichtungen beauftragt, woran sich sehr bald, vielleicht schon von Haus aus +eine gewisse summarische Gerichtsbarkeit geknuepft hat ^1. Mit der steigenden +Ausdehnung der roemischen Gemeinde wurde es endlich, teils mit Ruecksicht auf +die Gerichtspflichtigen, notwendig in den entfernteren Ortschaften eigene, +wenigstens fuer die geringeren Zivilsachen kompetente Richter niederzusetzen, +was fuer die Passivbuergergemeinden Regel war, aber vielleicht selbst auf die +entfernteren Vollbuergergemeinden erstreckt ward ^2 - die ersten Anfaenge einer +neben der eigentlich roemischen sich entwickelnden roemisch-munizipalen +Jurisdiktion. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Die frueher aufgestellte Behauptung, dass diese Dreiherren bereits der +aeltesten Zeit angehoeren, ist deswegen irrig, weil der aeltesten Staatsordnung +Beamtenkollegien von ungerader Zahl fremd sind (Roemische Chronologie bis auf +Caesar. z. Aufl. Berlin 1859, S. 15, A. 12). Wahrscheinlich ist die gut +beglaubigte Nachricht, dass sie zuerst 465 (289) ernannt wurden (Liv. ep. 11), +einfach festzuhalten und die auch sonst bedenkliche Deduktion des Faelschers +Licinius Macer (bei Liv. 7, 46), welche ihrer vor 450 (304) Erwaehnung tut, +einfach zu verwerfen. Anfaenglich wurden ohne Zweifel, wie dies bei den meisten +der spaeteren magistratus minores der Fall gewesen ist, die Dreiherren von den +Oberbeamten ernannt; das papirische Plebiszit, das die Ernennung derselben auf +die Gemeinde uebertrug (Festus v. sacramentum p. 344 M.), ist auf jeden Fall, +da es den Praetor nennt, qui inter civis ius dicit, erst nach Einsetzung der +Fremdenpraetur, also fruehestens gegen die Mitte des 6. Jahrhunderts erlassen. +</p> + +<p> +^2 Dahin fuehrt, was Liv. 9, 20 ueber die Reorganisation der Kolonie Antium +zwanzig Jahre nach ihrer Gruendung berichtet; und es ist an sich klar, dass +wenn man dem Ostienser recht wohl auferlegen konnte, seine Rechtshaendel alle +in Rom abzumachen, dies fuer Ortschaften wie Antium und Sena sich nicht +durchfuehren liess. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +In dem Zivilverfahren, welches indes nach den Begriffen dieser Zeit die meisten +gegen Mitbuerger begangenen Verbrechen einschloss, wurde die wohl schon frueher +uebliche Teilung des Verfahrens in Feststellung der Rechtsfrage vor dem +Magistrat (ius) und Entscheidung derselben durch einen vom Magistrat ernannten +Privatmann (iudicium) mit Abschaffung des Koenigtums gesetzliche Vorschrift; +und dieser Trennung hat das roemische Privatrecht seine logische und praktische +Schaerfe und Bestimmtheit wesentlich zu verdanken ^3. Im Eigentumsprozess wurde +die bisher der unbedingten Willkuer der Beamten anheimgegebene Entscheidung +ueber den Besitzstand allmaehlich rechtlichen Regeln unterworfen und neben dem +Eigentums- das Besitzrecht entwickelt, wodurch abermals die Magistratsgewalt +einen wichtigen Teil ihrer Macht einbuesste. Im Kriminalverfahren wurde das +Volksgericht, die bisherige Gnaden- zur rechtlich gesicherten +Appellationsinstanz. War der Angeklagte nach Verhoerung (quaestio) von dem +Beamten verurteilt und berief sich auf die Buergerschaft, so schritt der +Magistrat vor dieser zu dem Weiterverhoer (anquisitio), und wenn er nach +dreimaliger Verhandlung vor der Gemeinde seinen Spruch wiederholt hatte, wurde +im vierten Termin das Urteil von der Buergerschaft bestaetigt oder verworfen. +Milderung war nicht gestattet. Denselben republikanischen Sinn atmen die +Saetze, dass das Haus den Buerger schuetze und nur ausserhalb des Hauses eine +Verhaftung stattfinden koenne; dass die Untersuchungshaft zu vermeiden und es +jedem angeklagten und noch nicht verurteilten Buerger zu gestatten sei, durch +Verzicht auf sein Buergerrecht den Folgen der Verurteilung, soweit sie nicht +das Vermoegen, sondern die Person betrafen, sich zu entziehen - Saetze, die +allerdings keineswegs gesetzlich formuliert wurden und den anklagenden Beamten +also nicht rechtlich banden, aber doch durch ihren moralischen Druck namentlich +fuer die Beschraenkung der Todesstrafe von dem groessten Einfluss gewesen sind. +Indes wenn das roemische Kriminalrecht fuer den starken Buergersinn wie fuer +die steigende Humanitaet dieser Epoche ein merkwuerdiges Zeugnis ablegt, so +litt es dagegen praktisch namentlich unter den hier besonders schaedlich +nachwirkenden staendischen Kaempfen. Die aus diesen hervorgegangene +konkurrierende Kriminaljurisdiktion erster Instanz der saemtlichen +Gemeindebeamten war die Ursache, dass es in dem roemischen Kriminalverfahren +eine feste Instruktionsbehoerde und eine ernsthafte Voruntersuchung fortan +nicht mehr gab; und indem das Kriminalurteil letzter Instanz in den Formen und +von den Organen der Gesetzgebung gefunden ward, auch seinen Ursprung aus dem +Gnadenverfahren niemals verleugnete, ueberdies noch die Behandlung der +polizeilichen Bussen auf das aeusserlich sehr aehnliche Kriminalverfahren +nachteilig zurueckwirkte, wurde nicht etwa missbraeuchlich, sondern +gewissermassen verfassungsmaessig die Entscheidung in den Kriminalsachen nicht +nach festem Gesetz, sondern nach dem willkuerlichen Belieben der Richter +gefaellt. Auf diesem Wege ward das roemische Kriminalverfahren vollstaendig +grundsatzlos und zum Spielball und Werkzeug der politischen Parteien +herabgewuerdigt; was um so weniger entschuldigt werden kann, als dies Verfahren +zwar vorzugsweise fuer eigentliche politische Verbrechen, aber doch auch fuer +andere, zum Beispiel fuer Mord und Brandstiftung zur Anwendung kam. Dazu kam +die Schwerfaelligkeit jenes Verfahrens, welche im Verein mit der republikanisch +hochmuetigen Verachtung des Nichtbuergers es verschuldet hat, dass man sich +immer mehr gewoehnte, ein summarisches Kriminal- oder vielmehr Polizeiverfahren +gegen Sklaven und geringe Leute neben jenem foermlichen zu dulden. Auch hier +ueberschritt der leidenschaftliche Streit um die politischen Prozesse die +natuerlichen Grenzen und fuehrte Institutionen herbei, die wesentlich dazu +beigetragen haben, die Roemer allmaehlich der Idee einer festen sittlichen +Rechtsordnung zu entwoehnen. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +^3 Man pflegt die Roemer als das zur Jurisprudenz privilegierte Volk zu preisen +und ihr vortreffliches Recht als eine mystische Gabe des Himmels anzustaunen; +vermutlich besonders, um sich die Scham zu ersparen ueber die Nichtswuerdigkeit +des eigenen Rechtszustandes. Ein Blick auf das beispiellos schwankende und +unentwickelte roemische Kriminalrecht koennte von der Unhaltbarkeit dieser +unklaren Vorstellungen auch diejenigen ueberzeugen, denen der Satz zu einfach +scheinen moechte, dass ein gesundes Volk ein gesundes Recht hat und ein krankes +ein krankes. Abgesehen von allgemeineren staatlichen Verhaeltnissen, von +welchen die Jurisprudenz eben auch und sie vor allem abhaengt, liegen die +Ursachen der Trefflichkeit des roemischen Zivilrechts hauptsaechlich in zwei +Dingen: einmal darin, dass der Klaeger und der Beklagte gezwungen wurden, vor +allen Dingen die Forderung und ebenso die Einwendung in bindender Weise zu +motivieren und zu formulieren; zweitens darin, dass man fuer die gesetzliche +Fortbildung des Rechtes ein staendiges Organ bestellte und dies an die Praxis +unmittelbar anknuepfte. Mit jenem schnitten die Roemer die advokatische +Rabulisterei, mit diesem die unfaehige Gesetzmacherei ab, soweit sich +dergleichen abschneiden laesst, und mit beiden zusammen genuegten sie, soweit +es moeglich ist, den zwei entgegenstehenden Forderungen, dass das Recht stets +fest und dass es stets zeitgemaess sein soll. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Weniger sind wir imstande, die Weiterbildung der roemischen +Religionsvorstellungen in dieser Epoche zu verfolgen. Im allgemeinen hielt man +einfach fest an der einfachen Froemmigkeit der Ahnen und den Aber- wie den +Unglauben in gleicher Weise fern. Wie lebendig die Idee der Vergeistigung alles +Irdischen, auf der die roemische Religion beruhte, noch am Ende dieser Epoche +war, beweist der vermutlich doch erst infolge der Einfuehrung des +Silbercourants im Jahre 485 (269) neu entstandene Gott “Silberich” +(Argentinus), der natuerlicherweise des aelteren Gottes “Kupferich” +(Aesculanus) Sohn war. +</p> + +<p> +Die Beziehungen zum Ausland sind dieselben wie frueher; aber auch hier und hier +vor allem ist der hellenische Einfluss im Steigen. Erst jetzt beginnen den +hellenischen Goettern in Rom selber sich Tempel zu erheben. Der aelteste war +der Tempel der Kastoren, welcher in der Schlacht am Regillischen See gelobt und +am 15. Juli 269 (485) eingeweiht sein soll. Die Sage, welche an denselben sich +knuepft, dass zwei uebermenschlich schoene und grosse Juenglinge auf dem +Schlachtfelde in den Reihen der Roemer mitkaempfend und unmittelbar nach der +Schlacht ihre schweisstriefenden Rosse auf dem roemischen Markt am Quell der +Juturna traenkend und den grossen Sieg verkuendend gesehen worden seien, traegt +ein durchaus unroemisches Gepraege und ist ohne allen Zweifel der bis in die +Einzelheiten gleichartigen Epiphanie der Dioskuren in der beruehmten, etwa ein +Jahrhundert vorher zwischen den Krotoniaten und den Lokrern am Flusse Sagras +geschlagenen Schlacht in sehr frueher Zeit nachgedichtet. Auch der delphische +Apoll wird nicht bloss beschickt, wie es ueblich ist, bei allen unter dem +Einfluss griechischer Kultur stehenden Voelkern, und nicht bloss nach +besonderen Erfolgen, wie nach der Eroberung von Veii, mit dem Zehnten der Beute +(360 394) beschenkt, sondern es wird auch ihm ein Tempelinder Stadt gebaut (323 +431, erneuert 401 353). Dasselbe geschah gegen das Ende dieser Periode fuer die +Aphrodite (459 295), welche in raetselhafter Weise mit der alten roemischen +Gartengoettin Venus zusammenfloss ^4, und fuer den von Epidauros im Peloponnes +erbetenen und feierlich nach Rom gefuehrten Asklapios oder Aesculapius (463 +291). Einzeln wird in schweren Zeitlaeuften Klage vernommen ueber das +Eindringen auslaendischen Aberglaubens, vermutlich etruskischer Haruspizes (so +326 428); wo aber dann die Polizei nicht ermangelt, ein billiges Einsehen zu +tun. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +^4 In der spaeteren Bedeutung als Aphrodite erscheint die Venus wohl zuerst bei +der Dedikation des in diesem Jahre geweihten Tempels (Liv. 10, 31; W. A. +Becker, Topographie der Stadt Rom [Becker, Handbuch, 1]. Leipzig 1843, S. 472). +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +In Etrurien dagegen wird, waehrend die Nation in politischer Nichtigkeit und +traeger Opulenz stockte und verdarb, das theologische Monopol des Adels, der +stumpfsinnige Fatalismus, die wueste und sinnlose Mystik, die Zeichendeuterei +und das Bettelprophetenwesen sich allmaehlich zu jener Hoehe entwickelt haben, +auf der wir sie spaeter dort finden. +</p> + +<p> +In dem Priesterwesen traten unseres Wissens durchgreifende Veraenderungen nicht +ein. Die verschaerfte Einziehung, welche fuer die zur Bestreitung der Kosten +des oeffentlichen Gottesdienstes angewiesenen Prozessbussen um das Jahr 465 +(289) verfuegt wurde, deutet auf das Steigen des sakralen Staatsbudgets, wie es +die vermehrte Zahl der Staatsgoetter und Tempel mit Notwendigkeit mit sich +brachte. Unter den ueblen Folgen des Staendehaders ist es schon angefuehrt +worden, dass man den Kollegien der Sachverstaendigen einen unstatthaften +Einfluss einzuraeumen begann und sich ihrer bediente, um politische Akte zu +kassieren, wodurch teils der Glaube im Volke erschuettert, teils den Pfaffen +ein sehr schaedlicher Einfluss auf die oeffentlichen Geschaefte zugestanden +ward. +</p> + +<p> +Im Kriegswesen trat in dieser Epoche eine vollstaendige Revolution ein. Die +uralte graecoitalische Heerordnung, welche gleich der homerischen auf der +Aussonderung der angesehensten und tuechtigsten, in der Regel zu Pferde +fechtenden Kriegsleute zu einem eigenen Vordertreffen beruht haben mag, war in +der spaeteren Koenigszeit durch die legio, die altdorische Hoplitenphalanx von +wahrscheinlich acht Gliedern Tiefe ersetzt worden, welche fortan das +Schwergewicht des Kampfes uebernahm, waehrend die Reiter auf die Fluegel +gestellt und, je nach den Umstaenden zu Pferde oder abgesessen, hauptsaechlich +als Reserve verwandt wurden. Aus dieser Herstellung entwickelte sich ungefaehr +gleichzeitig in Makedonien die Sarissenphalanx und in Italien die +Manipularordnung, jene durch Verdichtung und Vertiefung, diese durch Aufloesung +und Vermannigfaltigung der Glieder, zunaechst durch die Teilung der alten legio +von 8400 in zwei legiones von je 4200 Mann. Die alte dorische Phalanx hatte +durchaus auf dem Nahgefecht mit dem Schwert und vor allem dem Spiess beruht und +den Wurfwaffen nur eine beilaeufige und untergeordnete Stellung im Treffen +eingeraeumt. In der Manipularlegion wurde die Stosslanze auf das dritte Treffen +beschraenkt und den beiden ersten anstatt derselben eine neue und eigentuemlich +italische Wurfwaffe gegeben, das Pilum, ein fuenftehalb Ellen langes +viereckiges oder rundes Holz mit drei- oder vierkantiger eiserner Spitze, das +vielleicht urspruenglich zur Verteidigung der Lagerwaelle erfunden worden war, +aber bald von dem letzten auf die ersten Glieder ueberging und von dem +vorrueckenden Gliede auf eine Entfernung von zehn bis zwanzig Schritten in die +feindlichen Reihen geworfen ward. Zugleich gewann das Schwert eine bei weitem +groessere Bedeutung als das kurze Messer der Phalangiten hatte haben koennen; +denn die Wurfspeersalve war zunaechst nur bestimmt, dem Angriff mit dem Schwert +die Bahn zu brechen. Wenn ferner die Phalanx, gleichsam eine einzige gewaltige +Lanze, auf einmal auf den Feind geworfen werden musste, so wurden in der neuen +italischen Legion die kleineren, im Phalangensystem wohl auch vorhandenen, aber +in der Schlachtordnung unaufloeslich fest verknuepften Einheiten taktisch +voneinander gesondert. Das geschlossene Quadrat teilte sich nicht bloss, wie +gesagt, in zwei gleich starke Haelften, sondern jede von diesen trat weiter in +der Tiefrichtung auseinander in drei Treffen, das der Hastaten, das der +Principes und das der Triarier, von ermaessigter, wahrscheinlich in der Regel +nur vier Glieder betragender Tiefe und loeste in der Frontrichtung sich auf in +je zehn Haufen (manipuli), so dass zwischen je zwei Treffen und je zwei Haufen +ein merklicher Zwischenraum blieb. Es war nur eine Fortsetzung derselben +Individualisierung, wenn der Gesamtkampf auch der verkleinerten taktischen +Einheit zurueck- und der Einzelkampf in den Vordergrund trat, wie dies aus der +schon erwaehnten entscheidenden Rolle des Handgemenges und Schwertgefechtes +deutlich hervorgeht. Eigentuemlich entwickelte sich auch das System der +Lagerverschanzung; der Platz, wo der Heerhaufe wenn auch nur fuer eine einzige +Nacht sein Lager nahm, ward ohne Ausnahme mit einer regelmaessigen Umwallung +versehen und gleichsam in eine Festung umgeschaffen. Wenig aenderte sich +dagegen in der Reiterei, die auch in der Manipularlegion die sekundaere Rolle +behielt, welche sie neben der Phalanx eingenommen hatte. Auch das +Offiziersystem blieb in der Hauptsache ungeaendert; nur wurden jetzt jeder der +zwei Legionen des regelmaessigen Heeres ebenso viele Kriegstribune vorgesetzt, +wie sie bisher das gesamte Heer befehligt hatten, also die Zahl der +Stabsoffiziere verdoppelt. Es duerfte auch in dieser Zeit sich die scharfe +Grenze festgestellt haben zwischen den Subalternoffizieren, welche sich ihren +Platz an der Spitze der Manipel als Gemeine mit dem Schwerte zu gewinnen hatten +und in regelmaessigem Avancement von den niederen in die hoeheren Manipel +uebergingen, und den je sechs und sechs den ganzen Legionen vorgesetzten +Kriegstribunen, fuer welche es kein regelmaessiges Avancement gab und zu denen +man gewoehnlich Maenner aus der besseren Klasse nahm. Namentlich muss es dafuer +von Bedeutung geworden sein, dass, waehrend frueher die Subaltern- wie die +Stabsoffiziere gleichmaessig vom Feldherrn ernannt wurden, seit dem Jahre 392 +(362) ein Teil der letzteren Posten durch Buergerschaftswahl vergeben ward. +Endlich blieb auch die alte, furchtbar strenge Kriegszucht unveraendert. Nach +wie vor war es dem Feldherrn gestattet, jedem in seinem Lager dienenden Mann +den Kopf vor die Fuesse zu legen und den Stabsoffizier so gut wie den gemeinen +Soldaten mit Ruten auszuhauen; auch wurden dergleichen Strafen nicht bloss +wegen gemeiner Verbrechen erkannt, sondern ebenso, wenn sich ein Offizier +gestattet hatte, von dem erteilten Befehle abzuweichen, oder wenn eine +Abteilung sich hatte ueberrumpeln lassen oder vom Schlachtfeld gewichen war. +Dagegen bedingt die neue Heerordnung eine weit ernstere und laengere +militaerische Schule als die bisherige phalangitische, worin das Schwergewicht +der Masse auch die Ungeuebten zusammenhielt. Wenn dennoch kein eigener +Soldatenstand sich entwickelte, sondern das Heer nach wie vor Buergerheer +blieb, so ward dies hauptsaechlich dadurch erreicht, dass man die bisherige +Gliederung der Soldaten nach dem Vermoegen aufgab und sie nach dem Dienstalter +ordnete. Der roemische Rekrut trat jetzt ein unter die leichtbewaffneten, +ausserhalb der Linie besonders mit Steinschleudern fechtenden +“Sprenkler” (rorarii) und avancierte aus diesem allmaehlich in das +erste und weiter in das zweite Treffen, bis endlich die langgedienten und +erfahrenen Soldaten in dem an Zahl schwaechsten, aber in dem ganzen Heer Ton +und Geist angebenden Triarierkorps sich zusammenfanden. +</p> + +<p> +Die Vortrefflichkeit dieser Kriegsordnung, welche die naechste Ursache der +ueberlegenen politischen Stellung der roemischen Gemeinde geworden ist, beruht +wesentlich auf den drei grossen militaerischen Prinzipien der Reserve, der +Verbindung des Nah- und Ferngefechts und der Verbindung von Offensive und +Defensive. Das Reservesystem war schon in der aelteren Verwendung der Reiterei +angedeutet, hier aber durch die Gliederung des Heeres in drei Treffen und die +Aufsparung der Veteranenkernschar fuer den letzten und entscheidenden Stoss +vollstaendig entwickelt. Wenn die hellenische Phalanx den Nahkampf, die +orientalischen mit Bogen und leichten Wurfspeeren bewaffneten Reitergeschwader +den Fernkampf einseitig ausgebildet hatten, so wurde durch die roemische +Verbindung des schweren Wurfspiesses mit dem Schwerte, wie mit Recht gesagt +worden ist, ein aehnlicher Erfolg erreicht wie in der modernen Kriegfuehrung +durch die Einfuehrung der Bajonettflinte; es arbeitete die Wurfspeersalve dem +Schwertkampf genau in derselben Weise vor wie jetzt die Gewehrsalve dem Angriff +mit dem Bajonett. Endlich das ausgebildete Lagersystem gestattete es den +Roemern, die Vorteile des Belagerungs- und des Offensivkrieges miteinander zu +verbinden und die Schlacht je nach Umstaenden zu verweigern oder zu liefern, +und im letzteren Fall sie unter den Lagerwaellen gleichwie unter den Mauern +einer Festung zu schlagen - der Roemer, sagt ein roemisches Sprichwort, siegt +durch Stillsitzen. +</p> + +<p> +Dass diese neue Kriegsordnung im wesentlichen eine roemische oder wenigstens +italische Um- und Fortbildung der alten hellenischen Phalangentaktik ist, +leuchtet ein; wenn gewisse Anfaenge des Reservesystems und der +Individualisierung der kleineren Heerabteilungen schon bei den spaeteren +griechischen Strategen, namentlich bei Xenophon begegnen, so folgt daraus nur, +dass man die Mangelhaftigkeit des alten Systems auch hier empfunden, aber doch +nicht vermocht hat, sie zu beseitigen. Vollstaendig entwickelt erscheint die +Manipularlegion im Pyrrhischen Kriege; wann und unter welchen Umstaenden und ob +sie auf einmal oder nach und nach entstanden ist, laesst sich nicht mehr +nachweisen. Die erste von der aelteren italisch-hellenischen gruendlich +verschiedene Taktik, die den Roemern gegenuebertrat, war die keltische +Schwerterphalanx; es ist nicht unmoeglich, dass man durch die Gliederung der +Armee und die Frontalintervalle der Manipel ihren ersten und allein +gefaehrlichen Stoss abwehren wollte und abgewehrt hat; und damit stimmt es +zusammen, wenn in manchen einzelnen Notizen der bedeutendste roemische Feldherr +der Gallierzeit, Marcus Furius Camillus, als Reformator des roemischen +Kriegswesens erscheint. Die weiteren an den Samnitischen und Pyrrhischen Krieg +anknuepfenden Ueberlieferungen sind weder hinreichend beglaubigt noch mit +Sicherheit einzureihen ^5; so wahrscheinlich es auch an sich ist, dass der +langjaehrige samnitische Bergkrieg auf die individuelle Entwicklung des +roemischen Soldaten, und der Kampf gegen einen der ersten Kriegskuenstler aus +der Schule des grossen Alexander auf die Verbesserung des Technischen im +roemischen Heerwesen nachhaltig eingewirkt hat. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +^5 Nach der roemischen Tradition fuehrten die Roemer urspruenglich viereckige +Schilde; worauf sie von den Etruskern den runden Hoplitenschild (clupeus, +αςπίς)von den Samniten den spaeteren viereckigen Schild (scutum, θυρεός) und +den Wurfspeer (veru) entlehnten (Diodor. Vat. fr. p. 54; Sall. Catil. 51, 38; +Verg. Aen. 7, 665; Fest. v. Samnites p. 327 Mueller und die bei Marquardt, +Handbuch, Bd. 3, 2, S. 241 angefuehrten). Allein dass der Hoplitenschild, das +heisst die dorische Phalangentaktik nicht den Etruskern, sondern den Hellenen +unmittelbar nachgeahmt ward, darf als ausgemacht gelten. Was das Scutum +anlangt, so wird dieser grosse zylinderfoermig gewoelbte Lederschild allerdings +wohl an die Stelle des platten kupfernen Clupeus getreten sein, als die Phalanx +in Manipel auseinandertrat; allein die unzweifelhafte Herleitung des Wortes aus +dem Griechischen macht misstrauisch gegen die Herleitung der Sache von den +Samniten. Von den Griechen kam den Roemern auch die Schleuder (funda aus +σφενδόνη, wie fides aus σφίδη, oben). Das Pilum gilt den Alten durchaus als +roemische Erfindung. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +In der Volkswirtschaft war und blieb der Ackerbau die soziale und politische +Grundlage sowohl der roemischen Gemeinde als des neuen italischen Staates. Aus +den roemischen Bauern bestand die Gemeindeversammlung und das Heer; was sie als +Soldaten mit dem Schwerte gewonnen hatten, sicherten sie als Kolonisten mit dem +Pfluge. Die Ueberschuldung des mittleren Grundbesitzes fuehrte die furchtbaren +inneren Krisen des dritten und vierten Jahrhunderts herbei, an denen die junge +Republik zugrunde gehen zu muessen schien; die Wiedererhebung der latinischen +Bauernschaft, welche waehrend des fuenften teils durch die massenhaften +Landanweisungen und Inkorporationen, teils durch das Sinken des Zinsfusses und +die steigende Volksmenge Roms bewirkt ward, war zugleich Wirkung und Ursache +der gewaltigen Machtentwicklung Roms - wohl erkannte Pyrrhos’ scharfer +Soldatenblick die Ursache des politischen und militaerischen Uebergewichts der +Roemer in dem bluehenden Zustande der roemischen Bauernwirtschaften. Aber auch +das Aufkommen der Grosswirtschaft in dem roemischen Ackerbau scheint in diese +Zeit zu fallen. In der aelteren Zeit gab es wohl auch schon einen - wenigstens +verhaeltnismaessig - grossen Grundbesitz; aber dessen Bewirtschaftung war keine +Gross-, sondern nur eine vervielfaeltigte Kleinwirtschaft (I, 204). Dagegen +darf die mit der aelteren Wirtschaftsweise zwar nicht unvereinbare, aber doch +der spaeteren bei weitem angemessenere Bestimmung des Gesetzes vom Jahre 387 +(367), dass der Grundbesitzer neben den Sklaven eine verhaeltnismaessige Zahl +freier Leute zu verwenden verbunden sei, wohl als die aelteste Spur der +spaeteren zentralisierten Gutswirtschaft angesehen werden ^6; und es ist +bemerkenswert, dass gleich hier bei ihrem ersten Vorkommen dieselbe wesentlich +auf dem Sklavenhalten ruht. Wie sie aufkam, muss dahingestellt bleiben; +moeglich ist es, dass die karthagischen Pflanzungen auf Sizilien schon den +aeltesten roemischen Gutsbesitzern als Muster gedient haben und vielleicht +steht selbst das Aufkommen des Weizens in der Landwirtschaft neben dem Spelt, +das Varro um die Zeit der Dezemvirn setzt, mit dieser veraenderten +Wirtschaftsweise in Zusammenhang. Noch weniger laesst sich ermitteln, wie weit +diese Wirtschaftsweise schon in dieser Epoche um sich gegriffen hat; nur daran, +dass sie noch nicht Regel gewesen sein und den italischen Bauernstand noch +nicht absorbiert haben kann, laesst die Geschichte des Hannibalischen Krieges +keinen Zweifel. Wo sie aber aufkam, vernichtete sie die aeltere, auf dem +Bittbesitz beruhende Klientel; aehnlich wie die heutige Gutswirtschaft +grossenteils durch Niederlegung der Bauernstellen und Verwandlung der Hufen in +Hoffeld entstanden ist. Es ist keinem Zweifel unterworfen, dass zu der +Bedraengnis des kleinen Ackerbauernstandes eben das Einschraenken dieser +Ackerklientel hoechst wesentlich mitgewirkt hat. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +^6 Auch Varro (rust. 1, 2, 9) denkt sich den Urheber des Licinischen +Ackergesetzes offenbar als Selbstbewirtschafter seiner ausgedehnten +Laendereien; obgleich uebrigens die Anekdote leicht erfunden sein kann, um den +Beinamen zu erklaeren. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Ueber den inneren Verkehr der Italiker untereinander sind die schriftlichen +Quellen stumm; einigen Aufschluss geben lediglich die Muenzen. Dass in Italien, +von den griechischen Staedten und dem etruskischen Populonia abgesehen, +waehrend der ersten drei Jahrhunderte Roms nicht gemuenzt ward und als +Tauschmaterial anfangs das Vieh, spaeter Kupfer nach dem Gewicht diente, wurde +schon gesagt. In die gegenwaertige Epoche faellt der Uebergang der Italiker vom +Tausch- zum Geldsystem, wobei man natuerlich zunaechst auf griechische Muster +sich hingewiesen sah. Es lag indes in den Verhaeltnissen, dass in Mittelitalien +statt des Silbers das Kupfer zum Muenzmetall ward und die Muenzeinheit sich +zunaechst anlehnte an die bisherige Werteinheit, das Kupferpfund; womit es +zusammenhaengt, dass man die Muenzen goss, statt sie zu praegen, denn kein +Stempel haette ausgereicht fuer so grosse und schwere Stuecke. Doch scheint von +Haus aus zwischen Kupfer und Silber ein festes Gleichungsverhaeltnis (250 : 1) +normiert und die Kupfermuenze mit Ruecksicht darauf ausgebracht worden zu sein, +so dass zum Beispiel in Rom das grosse Kupferstueck, der As, dem Werte nach +einem Skrupel (= 1/288 Pfund) Silber gleichkam. Geschichtlich bemerkenswerter +ist es, dass die Muenze in Italien hoechst wahrscheinlich von Rom ausgegangen +ist und zwar eben von den Dezemvirn, die in der Solonischen Gesetzgebung das +Vorbild auch zur Regulierung des Muenzwesens fanden, und dass sie von Rom aus +sich verbreitete ueber eine Anzahl latinischer, etruskischer, umbrischer und +ostitalischer Gemeinden; zum deutlichen Beweise der ueberlegenen Stellung, die +Rom schon seit dem Anfang des vierten Jahrhunderts in Italien behauptete. Wie +alle diese Gemeinden formell unabhaengig nebeneinander standen, war gesetzlich +auch der Muenzfuss durchaus oertlich und jedes Stadtgebiet ein eigenes +Muenzgebiet; indes lassen sich doch die mittel- und norditalischen +Kupfermuenzfuesse in drei Gruppen zusammenfassen, innerhalb welcher man die +Muenzen im gemeinen Verkehr als gleichartig behandelt zu haben scheint. Es sind +dies teils die Muenzen der noerdlich vom Ciminischen Walde gelegenen +etruskischen und der umbrischen Staedte, teils die Muenzen von Rom und Latium, +teils die des oestlichen Litorals. Dass die roemischen Muenzen mit dem Silber +nach dem Gewicht geglichen waren, ist schon bemerkt worden: diejenigen der +italischen Ostkueste finden wir dagegen in ein bestimmtes Verhaeltnis gesetzt +zu den Silbermuenzen, die im suedlichen Italien seit alter Zeit gangbar waren +und deren Fuss sich auch die italischen Einwanderer, zum Beispiel die Brettier, +Lucaner, Nolaner, ja die latinischen Kolonien daselbst wie Cales und Suessa und +sogar die Roemer selbst fuer ihre unteritalischen Besitzungen aneigneten. +Danach wird auch der italische Binnenhandel in dieselben Gebiete zerfallen +sein, welche unter sich verkehrten gleich fremden Voelkern. +</p> + +<p> +Im ueberseeischen Verkehr bestanden die frueher bezeichneten +sizilisch-latinischen, etruskisch-attischen und adriatisch-tarentinischen +Handelsbeziehungen auch in dieser Epoche fort oder gehoeren ihr vielmehr recht +eigentlich an; denn obwohl die derartigen, in der Regel ohne Zeitangabe +vorkommenden Tatsachen der Obersicht wegen schon bei der ersten Periode +zusammengefasst worden sind, erstrecken sich diese Angaben doch ebensowohl auf +die gegenwaertige mit. Am deutlichsten sprechen auch hierfuer die Muenzen. Wie +die Praegung des etruskischen Silbergeldes auf attischen Fuss und das +Eindringen des italischen und besonders latinischen Kupfers in Sizilien fuer +die ersten beiden Handelszuege zeugen, so spricht die eben erwaehnte +Gleichstellung des grossgriechischen Silbergeldes mit der picenischen und +apulischen Kupfermuenze nebst zahlreichen anderen Spuren fuer den regen Verkehr +der unteritalischen Griechen, namentlich der Tarentiner mit dem ostitalischen +Litoral. Dagegen scheint der frueher wohl lebhaftere Handel zwischen den +Latinern und den kampanischen Griechen durch die sabellische Einwanderung +gestoert worden zu sein und waehrend der ersten hundertundfuenfzig Jahre der +Republik nicht viel bedeutet zu haben; die Weigerung der Samniten, in Capua und +Cumae den Roemern in der Hungersnot von 343 (411) mit ihrem Getreide zu Hilfe +zu kommen, duerfte eine Spur der zwischen Latium und Kampanien veraenderten +Beziehungen sein, bis im Anfang des fuenften Jahrhunderts die roemischen Waffen +die alten Verhaeltnisse wiederherstellten und steigerten. Im einzelnen mag es +noch gestattet sein, als eines der seltenen datierten Fakten aus der Geschichte +des roemischen Verkehrs der Notiz zu gedenken, welche aus der ardeatischen +Chronik erhalten ist, dass im Jahre 454 (300) der erste Barbier aus Sizilien +nach Ardea kam, und einen Augenblick bei dem gemalten Tongeschirr zu verweilen, +das vorzugsweise aus Attika, daneben aus Kerkyra und Sizilien nach Lucanien, +Kampanien und Etrurien gesandt ward, um dort zur Ausschmueckung der +Grabgemaecher zu dienen und ueber dessen merkantilische Verhaeltnisse wir +zufaellig besser als ueber irgendeinen anderen ueberseeischen Handelsartikel +unterrichtet sind. Der Anfang dieser Einfuhr mag um die Zeit der Vertreibung +der Tarquinier fallen, denn die noch sehr sparsam in Italien vorkommenden +Gefaesse des aeltesten Stils duerften in der zweiten Haelfte des dritten +Jahrhunderts der Stadt (500-450) gemalt sein, waehrend die zahlreicheren des +strengen Stils der ersten (450-400), die des vollendet schoenen der zweiten +Haelfte des vierten (400-350) angehoeren, und die ungeheuren Massen der +uebrigen, oft durch Pracht und Groesse, aber selten durch vorzuegliche Arbeit +sich auszeichnenden Vasen im ganzen dem folgenden Jahrhundert (350-250) +beizulegen sein werden. Es waren allerdings wieder die Hellenen, von denen die +Italiker diese Sitte der Graeberschmueckung entlehnten; aber wenn die +bescheidenen Mittel und der feine Takt der Griechen sie bei diesen in engen +Grenzen hielten, ward sie in Italien mit barbarischer Opulenz und barbarischer +Verschwendung weit ueber das urspruengliche und schickliche Mass ausgedehnt. +Aber es ist bezeichnend, dass es in Italien lediglich die Laender der +hellenischen Halbkultur sind, in welchen diese Ueberschwenglichkeit begegnet; +wer solche Schrift zu lesen versteht, wird in den etruskischen und kampanischen +Leichenfeldern, den Fundgruben unserer Museen, den redenden Kommentar zu den +Berichten der Alten ueber die im Reichtum und Uebermut erstickende etruskische +und kampanische Halbbildung erkennen. Dagegen blieb das schlichte samnitische +Wesen diesem toerichten Luxus zu allen Zeiten fern; in dem Mangel des +griechischen Grabgeschirrs tritt ebenso fuehlbar wie in dem Mangel einer +samnitischen Landesmuenze die geringe Entwicklung des Handelsverkehrs und des +staedtischen Lebens in dieser Landschaft hervor. Noch bemerkenswerter ist es, +dass auch Latium, obwohl den Griechen nicht minder nahe wie Etrurien und +Kampanien und mit ihnen im engsten Verkehr, dieser Graeberpracht sich fast ganz +enthalten hat. Es ist wohl mehr als wahrscheinlich, namentlich wegen der ganz +abweichenden Beschaffenheit der Graeber in dem einzigen Praeneste, dass wir +hierin den Einfluss der strengen roemischen Sittlichkeit, oder, wenn man lieber +will, der straffen roemischen Polizei wiederzuerkennen haben. Im engsten +Zusammenhange damit stehen die bereits erwaehnten Interdikte, welche schon das +Zwoelftafelgesetz gegen purpurne Bahrtuecher und den Goldschmuck als +Totenmitgift schleudert, und die Verbannung des silbernen Geraetes mit Ausnahme +des Salzfasses und der Opferschale aus dem roemischen Hausrat wenigstens durch +das Sittengesetz und die Furcht vor der zensorischen Ruege; und auch in dem +Bauwesen werden wir demselben, allem gemeinen wie edlen Luxus feindlichen Sinn +wiederbegegnen. Indes mochte auch Rom durch solche Einwirkung von oben her +laenger als Volsinii und Capua eine gewisse aeussere Einfachheit bewahren, so +werden sein Handel und Gewerbe, auf denen ja neben dem Ackerbau seine Bluete +von Haus aus beruhte, darum noch nicht als unbedeutend gedacht werden duerfen +und nicht minder den Einfluss der neuen Machtstellung Roms empfunden haben. +</p> + +<p> +Zu der Entwicklung eines eigentlichen staedtischen Mittelstandes, einer +unabhaengigen Handwerker- und Kaufmannschaft kam es in Rom nicht. Die Ursache +war neben der frueh eingetretenen unverhaeltnismaessigen Zentralisierung des +Kapitals vornehmlich die Sklavenwirtschaft. Es war im Altertum ueblich und in +der Tat eine notwendige Konsequenz der Sklaverei, dass die kleineren +staedtischen Geschaefte sehr haeufig von Sklaven betrieben wurden, welche ihr +Herr als Handwerker oder Kaufleute etablierte, oder auch von Freigelassenen, +fuer welche der Herr nicht bloss sehr oft das Geschaeftskapital hergab, sondern +von denen er sich auch regelmaessig einen Anteil, oft die Haelfte des +Geschaeftsgewinns ausbedang. Der Kleinbetrieb und der Kleinverkehr in Rom waren +ohne Zweifel in stetigem Steigen; es finden sich auch Belege dafuer, dass die +dem grossstaedtischen Luxus dienstbaren Gewerbe anfingen, sich in Rom zu +konzentrieren - so ist das ficoronische Schmuckkaestchen im fuenften +Jahrhundert der Stadt von einem praenestinischen Meister verfertigt und nach +Praeneste verkauft, aber dennoch in Rom gearbeitet worden ^7. Allein da der +Reinertrag auch des Kleingeschaefts zum groessten Teil in die Kassen der +grossen Haeuser floss, so kam ein industrieller und kommerzieller Mittelstand +nicht in entsprechender Ausdehnung empor. Ebensowenig sonderten sich die +Grosshaendler und grossen Industriellen scharf von den grossen Grundbesitzern. +Einerseits waren die letzteren seit alter zugleich Geschaeftsbetreibende und +Kapitalisten und in ihren Haenden Hypothekardarlehen, Grosshandel und +Lieferungen und Arbeiten fuer den Staat vereinigt. Anderseits war es bei dem +starken sittlichen Akzent, der in dem roemischen Gemeinwesen auf den +Grundbesitz fiel, und bei seiner politischen Alleinberechtigung, welche erst +gegen das Ende dieser Epoche einige Einschraenkungen erlitt, ohne Zweifel schon +in dieser Zeit gewoehnlich, dass der glueckliche Spekulant mit einem Teil +seiner Kapitalien sich ansaessig machte. Es geht auch aus der politischen +Bevorzugung der ansaessigen Freigelassenen deutlich genug hervor, dass die +roemischen Staatsmaenner dahin wirkten, auf diesem Wege die gefaehrliche Klasse +der nicht grundsaessigen Reichen zu vermindern. +</p> + +<p> +——————————————————————————— +</p> + +<p> +^7 Die Vermutung, dass der Kuenstler, welcher an diesem Kaestchen fuer die +Dindia Macolnia in Rom gearbeitet hat, Novius Plautius, ein Kampaner, gewesen +sei, wird durch die neuerlich gefundenen alten praenestinischen Grabsteine +widerlegt, auf denen unter andern Macolniern und Plautiern auch ein Lucius +Magulnius des Plautius Sohn (L. Magolnio Pla. f.) vorkommt. +</p> + +<p> +——————————————————————————— +</p> + +<p> +Aber wenn auch in Rom weder ein wohlhabender staedtischer Mittelstand noch eine +streng geschlossene Kapitalistenklasse sich bildete, so war das +grossstaedtische Wesen doch an sich in unaufhaltsamem Steigen. Deutlich weist +darauf hin die zunehmende Zahl der in der Hauptstadt zusammengedraengten +Sklaven, wovon die sehr ernsthafte Sklavenverschwoerung des Jahres 335 (419) +zeugt, und noch mehr die steigende, allmaehlich unbequem und gefaehrlich +werdende Menge der Freigelassenen, worauf die im Jahre 397 (357) auf die +Freilassungen gelegte ansehnliche Steuer und die Beschraenkung der politischen +Rechte der Freigelassenen im Jahre 450 (304) einen sicheren Schluss gestatten. +Denn es lag nicht bloss in den Verhaeltnissen, dass die grosse Majoritaet der +freigelassenen Leute sich dem Gewerbe oder dem Handel widmen musste, sondern es +war auch die Freilassung selbst bei den Roemern, wie gesagt, weniger eine +Liberalitaet als eine industrielle Spekulation, indem der Herr bei dem Anteil +an dem Gewerb- oder Handelsgewinn des Freigelassenen oft besser seine Rechnung +fand als bei dem Anrecht auf den ganzen Reinertrag des Sklavengeschaefts. Die +Zunahme der Freilassungen muss deshalb mit der Steigerung der kommerziellen und +industriellen Taetigkeit der Roemer notwendig Hand in Hand gegangen sein. +</p> + +<p> +Einen aehnlichen Fingerzeig fuer die steigende Bedeutung des staedtischen +Wesens in Rom gewaehrt die gewaltige Entwicklung der staedtischen Polizei. Es +gehoert zum grossen Teil wohl schon dieser Zeit an, dass die vier Aedilen unter +sich die Stadt in vier Polizeibezirke teilten und dass fuer die ebenso wichtige +wie schwierige Instandhaltung des ganz Rom durchziehenden Netzes von kleineren +und groesseren Abzugskanaelen sowie der oeffentlichen Gebaeude und Plaetze, +fuer die gehoerige Reinigung und Pflasterung der Strassen, fuer die Beseitigung +den Einsturz drohender Gebaeude, gefaehrlicher Tiere, uebler Gerueche, fuer die +Fernhaltung der Wagen ausser in den Abend- und Nachtstunden und ueberhaupt fuer +die Offenhaltung der Kommunikation, fuer die ununterbrochene Versorgung des +hauptstaedtischen Marktes mit gutem und billigem Getreide, fuer die Vernichtung +gesundheitsschaedlicher Waren und falscher Masse und Gewichte, fuer die +besondere Ueberwachung von Baedern, Schenken, schlechten Haeusern von den +Aedilen Fuersorge getroffen ward. +</p> + +<p> +Im Bauwesen mag wohl die Koenigszeit, namentlich die Epoche der grossen +Eroberungen, mehr geleistet haben als die ersten zwei Jahrhunderte der +Republik. Anlagen wie die Tempel auf dem Kapitol und dem Aventin und der grosse +Spielplatz moegen den sparsamen Vaetern der Stadt ebenso wie den fronenden +Buergern ein Greuel gewesen sein, und es ist bemerkenswert, dass das vielleicht +bedeutendste Bauwerk der republikanischen Zeit vor den Samnitischen Kriegen, +der Cerestempel am Circus, ein Werk des Spurius Cassius (261 493) war, welcher +in mehr als einer Hinsicht wieder in die Traditionen der Koenige +zurueckzulenken suchte. Auch den Privatluxus hielt die regierende Aristokratie +mit einer Strenge nieder, wie sie die Koenigsherrschaft bei laengerer Dauer +sicher nicht entwickelt haben wuerde. Aber auf die Laenge vermochte selbst der +Senat sich nicht laenger gegen das Schwergewicht der Verhaeltnisse zu stemmen. +Appius Claudius war es, der in seiner epochemachenden Zensur (442 312) das +veraltete Bauernsystem des Sparschatzsammelns beiseite warf und seine +Mitbuerger die oeffentlichen Mittel in wuerdiger Weise gebrauchen lehrte. Er +begann das grossartige System gemeinnuetziger oeffentlicher Bauten, das, wenn +irgendetwas, Roms militaerische Erfolge auch von dem Gesichtspunkt der +Voelkerwohlfahrt aus gerechtfertigt hat und noch heute in seinen Truemmern +Tausenden und Tausenden, welche von roemischer Geschichte nie ein Blatt gelesen +haben, eine Ahnung gibt von der Groesse Roms. Ihm verdankt der roemische Staat +die erste grosse Militaerchaussee, die roemische Stadt die erste Wasserleitung. +Claudius’ Spuren folgend, schlang der roemische Senat um Italien jenes +Strassen- und Festungsnetz, dessen Gruendung frueher beschrieben ward und ohne +das, wie von den Achaemeniden bis hinab auf den Schoepfer der Simplonstrasse +die Geschichte aller Militaerstaaten lehrt, keine militaerische Hegemonie +bestehen kann. Claudius’ Spuren folgend, baute Manius Curius aus dem +Erloes der Pyrrhischen Beute eine zweite hauptstaedtische Wasserleitung (482 +272) und oeffnete schon einige Jahre vorher (464 290) mit dem sabinischen +Kriegsgewinn dem Velino, da wo er oberhalb Terni in die Nera sich stuerzt, das +heute noch von ihm durchflossene breitere Bett, um in dem dadurch +trockengelegten schoenen Tal von Rieti fuer eine grosse Buergeransiedlung Raum +und auch fuer sich eine bescheidene Hufe zu gewinnen. Solche Werke verdunkelten +selbst in den Augen verstaendiger Leute die zwecklose Herrlichkeit der +hellenischen Tempel. Auch das buergerliche Leben wurde jetzt ein anderes. Um +die Zeit des Pyrrhos begann auf den roemischen Tafeln das Silbergeschirr sich +zu zeigen ^8 und das Verschwinden der Schindeldaecher in Rom datieren die +Chronisten von dem Jahre 470 (284). Die neue Hauptstadt Italiens legte endlich +ihr dorfartiges Ansehen allmaehlich ab und fing nun auch an, sich zu +schmuecken. Zwar war es noch nicht Sitte, in den eroberten Staedten zu Roms +Verherrlichung die Tempel ihrer Zierden zu berauben; aber dafuer prangten an +der Rednerbuehne des Marktes die Schnaebel der Galeeren von Antium und an +oeffentlichen Festtagen laengs der Hallen am Markte die von den Schlachtfeldern +Samniums heimgebrachten goldbeschlagenen Schilde. Besonders der Ertrag der +Bruechgelder diente zur Pflasterung der Strassen in und vor der Stadt oder zur +Errichtung und Ausschmueckung oeffentlicher Gebaeude. Die hoelzernen Buden der +Fleischer, welche an den beiden Langseiten des Marktes sich hinzogen, wichen +zuerst an der palatinischen, dann auch an der den Carinen zugewandten Seite den +steinernen Hallen der Geldwechsler; dadurch ward dieser Platz zur roemischen +Boerse. Die Bildsaeulen der gefeierten Maenner der Vergangenheit, der Koenige, +Priester und Helden der Sagenzeit, des griechischen Gastfreundes, der den +Zehnmaennern die Solonischen Gesetze verdolmetscht haben sollte, die +Ehrensaeulen und Denkmaeler der grossen Buergermeister, welche die Veienter, +die Latiner, die Samniten ueberwunden hatten, der Staatsboten, die in +Vollziehung ihres Auftrages umgekommen waren, der reichen Frauen, die ueber ihr +Vermoegen zu oeffentlichen Zwecken verfuegt hatten, ja sogar schon gefeierter +griechischer Weisen und Helden, wie des Pythagoras und des Alkibiades, wurden +auf der Burg oder auf dem roemischen Markte aufgestellt. Also ward, nachdem die +roemische Gemeinde eine Grossmacht geworden war, Rom selber eine Grossstadt. +</p> + +<p> +———————————————————- +</p> + +<p> +^8 Der wegen seines silbernen Tafelgeraets gegen Publius Cornelius Rufinus +(Konsul 464, 477 290, 277) verhaengten zensorischen Makel wurde schon gedacht. +Fabius’ befremdliche Angabe (bei Strabon 5, p. 228), dass die Roemer +zuerst nach der Besiegung der Sabiner sich dem Luxus ergeben haetten (αισθέσθαι +τού πλόντου), ist offenbar nur eine άbersetzung derselben Anekdote ins +Historische; denn die Besiegung der Sabiner faellt in Rufinus’ erstes +Konsulat. +</p> + +<p> +——————————————————- +</p> + +<p> +Endlich trat denn auch Rom als Haupt der roemisch-italischen Eidgenossenschaft +wie in das hellenistische Staatensystem, so auch in das hellenische Geld- und +Muenzwesen ein. Bis dahin hatten die Gemeinden Nord- und Mittelitaliens mit +wenigen Ausnahmen einzig Kupfercourant, die sueditalischen Staedte dagegen +durchgaengig Silbergeld geschlagen und es der Muenzfuesse und Muenzsysteme +gesetzlich so viele gegeben, als es souveraene Gemeinden in Italien gab. Im +Jahre 485 (269) wurden alle diese Muenzstaetten auf die Praegung von +Scheidemuenze beschraenkt, ein allgemeiner, fuer ganz Italien geltender +Courantfuss eingefuehrt und die Courantpraegung in Rom zentralisiert, nur dass +Capua seine eigene, zwar unter roemischem Namen, aber auf abweichenden Fuss +gepraegte Silbermuenze auch ferner behielt. Das neue Muenzsystem beruhte auf +dem gesetzlichen Verhaeltnisse der beiden Metalle, wie dasselbe seit langem +feststand; die gemeinsame Muenzeinheit war das Stueck von zehn, nicht mehr +pfuendigen, sondern auf das Drittelpfund reduzierten Assen, der Denarius, in +Kupfer 3 1/3, in Silber 1/72 eines roemischen Pfundes, eine Kleinigkeit mehr +als die attische Drachme. Zunaechst herrschte in der Praegung noch die +Kupfermuenze vor und wahrscheinlich ist der aelteste Silberdenar hauptsaechlich +fuer Unteritalien und fuer den Verkehr mit dem Ausland geschlagen worden. Wie +aber der Sieg der Roemer ueber Pyrrhos und Tarent und die roemische +Gesandtschaft nach Alexandreia dem griechischen Staatsmanne dieser Zeit zu +denken geben mussten, so mochte auch der einsichtige griechische Kaufmann wohl +nachdenklich diese neuen roemischen Drachmen betrachten, deren flaches, +unkuenstlerisches und einfoermiges Gepraege neben dem gleichzeitigen +wunderschoenen der Muenzen des Pyrrhos und der Sikelioten freilich duerftig und +unansehnlich erscheint, die aber dennoch keineswegs, wie die Barbarenmuenzen +des Altertums, sklavisch nachgeahmt und in Schrot und Korn ungleich sind, +sondern mit ihrer selbstaendigen und gewissenhaften Praegung von Haus aus jeder +griechischen ebenbuertig sich an die Seite stellen. +</p> + +<p> +Wenn also von der Entwicklung der Verfassungen, von den Voelkerkaempfen um +Herrschaft und Freiheit, wie sie Italien und insbesondere Rom von der +Verbannung des Tarquinischen Geschlechts bis zur Ueberwaeltigung der Samniten +und der italischen Griechen bewegten, der Blick sich wendet zu den stilleren +Kreisen des menschlichen Daseins, die die Geschichte doch auch beherrscht und +durchdringt, so begegnet ihm ebenfalls ueberall die Nachwirkung der +grossartigen Ereignisse, durch welche die roemische Buergerschaft die Fesseln +des Geschlechterregiments sprengte und die reiche Fuelle der nationalen +Bildungen Italiens allmaehlich unterging, um ein einziges Volk zu bereichern. +Durfte auch der Geschichtschreiber es nicht versuchen, den grossen Gang der +Ereignisse in die grenzenlose Mannigfaltigkeit der individuellen Gestaltung +hinein zu verfolgen, so ueberschritt er doch seine Aufgabe nicht, wenn er, aus +der zertruemmerten Ueberlieferung einzelne Bruchstuecke ergreifend, hindeutete +auf die wichtigsten Aenderungen, die in dieser Epoche im italischen Volksleben +stattgefunden haben. Wenn dabei noch mehr als frueher das roemische in den +Vordergrund trat, so ist dies nicht bloss in den zufaelligen Luecken unserer +Ueberlieferung begruendet; vielmehr ist es eine wesentliche Folge der +veraenderten politischen Stellung Roms, dass die latinische Nationalitaet die +uebrigen italischen immer mehr verdunkelt. Es ist schon darauf hingewiesen +worden, dass in dieser Epoche die Nachbarlaender, das suedliche Etrurien, die +Sabina, das Volskerland sich zu romanisieren anfingen, wovon der fast +gaenzliche Mangel von Sprachdenkmaelern der alten Landesdialekte und das +Vorkommen sehr alter roemischer Inschriften in diesen Gegenden Zeugnis ablegt; +die Aufnahme der Sabiner in das volle Buergerrecht am Ende dieser Periode +spricht dafuer, dass die Latinisierung Mittelitaliens schon damals das bewusste +Ziel der roemischen Politik war. Die zahlreich durch ganz Italien zerstreuten +Einzelassignationen und Kolonialgruendungen sind nicht bloss militaerisch, +sondern auch sprachlich und national die vorgeschobenen Posten des latinischen +Stammes. Die Latinisierung der Italiker ueberhaupt ward schwerlich schon damals +beabsichtigt; im Gegenteil scheint der roemische Senat den Gegensatz der +latinischen gegen die uebrigen Nationalitaeten absichtlich aufrecht erhalten zu +haben und gestattete zum Beispiel die Einfuehrung des Lateinischen in den +offiziellen Sprachgebrauch den kampanischen Halbbuergergemeinden noch nicht. +Indes die Natur der Verhaeltnisse ist staerker als selbst die staerkste +Regierung; mit dem latinischen Volke gewannen auch dessen Sprache und Sitte in +Italien zunaechst das Prinzipat und fingen bereits an, die uebrigen italischen +Nationalitaeten zu untergraben. +</p> + +<p> +Gleichzeitig wurden dieselben von einer anderen Seite und mit einem anders +begruendeten Uebergewicht angegriffen durch den Hellenismus. Es war dies die +Epoche, wo das Griechentum seiner geistigen Ueberlegenheit ueber die uebrigen +Nationen anfing, sich bewusst zu werden und nach allen Seiten hin Propaganda zu +machen. Auch Italien blieb davon nicht unberuehrt. Die merkwuerdigste +Erscheinung in dieser Art bietet Apulien, das seit dem fuenften Jahrhundert +Roms allmaehlich seine barbarische Mundart ablegte und sich im stillen +hellenisierte. Es erfolgte dies aehnlich wie in Makedonien und Epeiros nicht +durch Kolonisierung, sondern durch Zivilisierung, die mit dem tarentinischen +Landhandel Hand in Hand gegangen zu sein scheint - wenigstens spricht es fuer +die letztere Annahme, dass die den Tarentinern befreundeten Landschaften der +Poediculer und Daunier die Hellenisierung vollstaendiger durchfuehrten als die +Tarent naeher wohnenden, aber bestaendig mit ihm hadernden Sallentiner, und +dass die am fruehesten graezisierten Staedte, zum Beispiel Arpi, nicht an der +Kueste gelegen waren. Dass auf Apulien das griechische Wesen staerkeren +Einfluss uebte als auf irgendeine andere italische Landschaft, erklaert sich +teils aus seiner Lage, teils aus der geringen Entwicklung einer eigenen +nationalen Bildung, teils wohl auch aus seiner dem griechischen Stamm minder +fremd als die uebrigen italischen gegenueberstehenden Nationalitaet. Indes ist +schon frueher darauf aufmerksam gemacht worden, dass auch die suedlichen +sabellischen Staemme, obwohl zunaechst sie im Verein mit syrakusanischen +Tyrannen das hellenische Wesen in Grossgriechenland knickten und verdarben, +doch zugleich durch die Beruehrung und Mischung mit den Griechen teils +griechische Sprache neben der einheimischen annahmen, wie die Brettier und +Nolaner, teils wenigstens griechische Schrift und griechische Sitte, wie die +Lucaner und ein Teil der Kampaner. Etrurien zeigt gleichfalls die Ansaetze +einer verwandten Entwicklung in den bemerkenswerten dieser Epoche angehoerenden +Vasenfunden, in denen es mit Kampanien und Lucanien rivalisiert; und wenn +Latium und Samnium dem Hellenismus fernergeblieben sind, so fehlt es doch auch +hier nicht an Spuren des beginnenden und immer steigenden Einflusses +griechischer Bildung. In allen Zweigen der roemischen Entwicklung dieser +Epoche, in Gesetzgebung und Muenzwesen, in der Religion, in der Bildung der +Stammsage stossen wir auf griechische Spuren, und namentlich seit dem Anfang +des fuenften Jahrhunderts, das heisst seit der Eroberung Kampaniens, erscheint +der griechische Einfluss auf das roemische Wesen in raschem und stets +zunehmendem Wachstum. In das vierte Jahrhundert faellt die Einrichtung der auch +sprachlich merkwuerdigen “graecostasis”, einer Tribuene auf dem +roemischen Markt fuer die vornehmen griechischen Fremden, zunaechst die +Massalioten. Im folgenden fangen die Jahrbuecher an, vornehme Roemer mit +griechischen Beinamen, wie Philippos oder roemisch Pilipus, Philon, Sophos, +Hypsaeos aufzuweisen. Griechische Sitten dringen ein; so der nichtitalische +Gebrauch, Inschriften zur Ehre des Toten auf dem Grabmal anzubringen, wovon die +Grabschrift des Lucius Scipio, Konsul 456 (298), das aelteste uns bekannte +Beispiel ist; so die gleichfalls den Italikern fremde Weise, ohne +Gemeindebeschluss an oeffentlichen Orten den Vorfahren Ehrendenkmaeler zu +errichten, womit der grosse Neuerer Appius Claudius den Anfang machte, als er +in dem neuen Tempel der Bellona Erzschilde mit den Bildern und den Elogien +seiner Vorfahren aufhaengen liess (442 312); so die im Jahre 461 (293) bei dem +roemischen Volksfest eingefuehrte Erteilung von Palmzweigen an die +Wettkaempfer; so vor allem die griechische Tischsitte. Die Weise, bei Tische +nicht wie ehemals auf Baenken zu sitzen, sondern auf Sofas zu liegen; die +Verschiebung der Hauptmahlzeit von der Mittag- auf die Stunde zwischen zwei und +drei Uhr nachmittags nach unserer Rechnung; die Trinkmeister bei den +Schmaeusen, welche meistens durch Wuerfelung aus den Gaesten fuer den Schmaus +bestellt werden und nun den Tischgenossen vorschreiben, was, wie und wann +getrunken werden soll; die nach der Reihe von den Gaesten gesungenen +Tischlieder, die freilich in Rom nicht Skolien, sondern Ahnengesaenge waren - +alles dies ist in Rom nicht urspruenglich und doch schon in sehr alter Zeit den +Griechen entlehnt; denn zu Catos Zeit waren diese Gebraeuche bereits gemein, ja +zum Teil schon wieder abgekommen. Man wird daher ihre Einfuehrung spaetestens +in diese Zeit zu setzen haben. Charakteristisch ist auch die Errichtung der +Bildsaeulen des “weisesten und des tapfersten Griechen” auf dem +roemischen Markt, die waehrend der Samnitischen Kriege auf Geheiss des +pythischen Apollon stattfand; man waehlte, offenbar unter sizilischem oder +kampanischem Einfluss, den Pythagoras und den Alkibiades, den Heiland und den +Hannibal der Westhellenen. Wie verbreitet die Kenntnis des Griechischen schon +im fuenften Jahrhundert unter den vornehmen Roemern war, beweisen die +Gesandtschaften der Roemer nach Tarent, wo der Redner der Roemer, wenn auch +nicht im reinsten Griechisch, doch ohne Dolmetsch sprach, und des Kineas nach +Rom. Es leidet kaum einen Zweifel, dass seit dem fuenften Jahrhundert die +jungen Roemer, die sich den Staatsgeschaeften widmeten, durchgaengig die Kunde +der damaligen Welt- und Diplomatensprache sich erwarben. +</p> + +<p> +So schritt auf dem geistigen Gebiet der Hellenismus ebenso unaufhaltsam +vorwaerts, wie der Roemer arbeitete, die Erde sich untertaenig zu machen; und +die sekundaeren Nationalitaeten, wie die samnitische, keltische, etruskische, +verloren, von zwei Seiten her bedraengt, immer mehr an Ausdehnung wie an +innerer Kraft. +</p> + +<p> +Wie aber die beiden grossen Nationen, beide angelangt auf dem Hoehepunkt ihrer +Entwicklung, in feindlicher wie in freundlicher Beruehrung anfangen sich zu +durchdringen, tritt zugleich ihre Gegensaetzlichkeit, der gaenzliche Mangel +alles Individualismus in dem italischen und vor allem in dem roemischen Wesen +gegenueber der unendlichen stammlichen, oertlichen und menschlichen +Mannigfaltigkeit des Hellenismus in voller Schaerfe hervor. Es gibt keine +gewaltigere Epoche in der Geschichte Roms als die Epoche von der Einsetzung der +roemischen Republik bis auf die Unterwerfung Italiens; in ihr wurde das +Gemeinwesen nach innen wie nach aussen begruendet, in ihr das einige Italien +erschaffen, in ihr das traditionelle Fundament des Landrechts und der +Landesgeschichte erzeugt, in ihr das Pilum und der Manipel, der Strassen- und +Wasserbau, die Guts- und Geldwirtschaft begruendet, in ihr die Kapitolinische +Woelfin gegossen und das ficoronische Kaestchen gezeichnet. Aber die +Individualitaeten, welche zu diesem Riesenbau die einzelnen Steine +herbeigetragen und sie zusammengefuegt haben, sind spurlos verschollen und die +italischen Voelkerschaften nicht voelliger in der roemischen aufgegangen als +der einzelne roemische Buerger in der roemischen Gemeinde. Wie das Grab in +gleicher Weise ueber dem bedeutenden wie ueber dem geringen Menschen sich +schliesst, so steht auch in der roemischen Buergermeisterliste der nichtige +Junker ununterscheidbar neben dem grossen Staatsmann. Von den wenigen +Aufzeichnungen, welche aus dieser Zeit bis auf uns gekommen sind, ist keine +ehrwuerdiger und keine zugleich charakteristischer als die Grabschrift des +Lucius Cornelius Scipio, der im Jahre 456 (298) Konsul war und drei Jahre +nachher in der Entscheidungsschlacht bei Sentinum mitfocht. Auf dem schoenen +Sarkophag in edlem dorischen Stil, der noch vor achtzig Jahren den Staub des +Besiegers der Samniten einschloss, ist der folgende Spruch eingeschrieben: +</p> + +<p> +Corneliús Lucíus - Scípió Barbátus, +</p> + +<p> +Gnaivód patré prognátus, - fórtis vír sapiénsque, +</p> + +<p> +Quoiús fórma vírtu - teí parísuma fúit, +</p> + +<p> +Consól censór aidílis - queí fuít apúd vos, +</p> + +<p> +Taurásiá Cisaúna - Sámnió cépit, +</p> + +<p> +Subigít omné Loucánam - ópsidésque abdoúcit. +</p> + +<p> +Cornelius Lucius - Scipio Barbatus, +</p> + +<p> +Des Vaters Gnaevos Sohn, ein - Mann so klug wie tapfer, +</p> + +<p> +Des Wohlgestalt war seiner - Tugend angemessen, +</p> + +<p> +Der Konsul, Zensor war bei - euch wie auch Aedilis, +</p> + +<p> +Taurasia, Cisauna - nahm er ein in Samnium, +</p> + +<p> +Bezwingt Lucanien ganz und - fuehret weg die Geiseln. +</p> + +<p> +So wie diesem roemischen Staatsmann und Krieger mochte man unzaehligen anderen, +die an der Spitze des roemischen Gemeinwesens gestanden haben, es nachruehmen, +dass sie adlige und schoene, tapfere und kluge Maenner gewesen; aber weiter war +auch nichts von ihnen zu melden. Es ist wohl nicht bloss Schuld der +Ueberlieferung, dass keiner dieser Cornelier, Fabier, Papirier und wie sie +weiter heissen, uns in einem menschlich bestimmten Bild entgegentritt. Der +Senator soll nicht schlechter und nicht besser, ueberhaupt nicht anders sein +als die Senatoren alle; es ist nicht noetig und nicht wuenschenswert, dass ein +Buerger die uebrigen uebertreffe, weder durch prunkendes Silbergeraet und +hellenische Bildung noch durch ungemeine Weisheit und Trefflichkeit. Jene +Ausschreitungen straft der Zensor und fuer diese ist kein Raum in der +Verfassung. Das Rom dieser Zeit gehoert keinem einzelnen an; die Buerger +muessen sich alle gleichen, damit jeder einem Koenig gleich sei. +</p> + +<p> +Allerdings macht schon jetzt daneben die hellenische Individualentwicklung sich +geltend; und die Genialitaet und Gewaltsamkeit derselben traegt eben wie die +entgegengesetzte Richtung den vollen Stempel dieser grossen Zeit. Es ist nur +ein einziger Mann hier zu nennen; aber in ihm ist auch der Fortschrittsgedanke +gleichsam inkarniert. Appius Claudius (Zensor 442 312; Konsul 447, 458 307, +296), der Ururenkel des Dezemvirs, war ein Mann von altem Adel und stolz auf +die lange Reihe seiner Ahnen; aber dennoch ist er es gewesen, der die +Beschraenkung des vollen Gemeindebuergerrechts auf die ansaessigen Leute +gesprengt, der das alte Finanzsystem gebrochen hat. Von Appius Claudius +datieren nicht bloss die roemischen Wasserleitungen und Chausseen, sondern auch +die roemische Jurisprudenz, Eloquenz, Poesie und Grammatik - die +Veroeffentlichung eines Klagspiegels, aufgezeichnete Reden und pythagoreische +Sprueche, selbst Neuerungen in der Orthographie werden ihm beigelegt. Man darf +ihn darum noch nicht unbedingt einen Demokraten nennen, noch ihn jener +Oppositionspartei beizaehlen, die in Manius Curius ihren Vertreter fand; in ihm +war vielmehr der Geist der alten und neuen patrizischen Koenige maechtig, der +Geist der Tarquinier und der Caesaren, zwischen denen er in dem +fuenfhundertjaehrigen Interregnum ausserordentlicher Taten und gewoehnlicher +Maenner die Verbindung macht. Solange Appius Claudius an dem oeffentlichen +Leben taetigen Anteil nahm, trat er in seiner Amtsfuehrung wie in seinem +Lebenswandel, keck und ungezogen wie ein Athener, nach rechts wie nach links +hin Gesetzen und Gebraeuchen entgegen; bis dann, nachdem er laengst von der +politischen Buehne abgetreten war, der blinde Greis wie aus dem Grabe +wiederkehrend, in der entscheidenden Stunde den Koenig Pyrrhos im Senate +ueberwand und Roms vollendete Herrschaft ueber Italien zuerst foermlich und +feierlich aussprach. Aber der geniale Mann kam zu frueh oder zu spaet; die +Goetter blendeten ihn wegen seiner unzeitigen Weisheit. Nicht das Genie des +einzelnen herrschte in Rom und durch Rom in Italien, sondern der eine +unbewegliche, von Geschlecht zu Geschlecht im Senat fortgepflanzte politische +Gedanke, in dessen leitende Maximen schon die senatorischen Knaben sich +hineinlebten, indem sie in Begleitung ihrer Vaeter mit zum Rate gingen und an +der Tuer des Saales der Weisheit derjenigen Maenner lauschten, auf deren +Stuehlen sie dereinst bestimmt waren zu sitzen. So wurden ungeheure Erfolge um +ungeheuren Preis erreicht; denn auch der Nike folgt ihre Nemesis. Im roemischen +Gemeinwesen kommt es auf keinen Menschen besonders an, weder auf den Soldaten +noch auf den Feldherrn, und unter der starren sittlich-polizeilichen Zucht wird +jede Eigenartigkeit des menschlichen Wesens erstickt. Rom ist gross geworden +wie kein anderer Staat des Altertums; aber es hat seine Groesse teuer bezahlt +mit der Aufopferung der anmutigen Mannigfaltigkeit, der bequemen Laesslichkeit, +der innerlichen Freiheit des hellenischen Lebens. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap09"></a>KAPITEL IX.<br/> +Kunst und Wissenschaft</h2> + +<p> +Die Entwicklung der Kunst und namentlich der Dichtkunst steht im Altertum im +engsten Zusammenhang mit der Entwicklung der Volksfeste. Das schon in der +vorigen Epoche wesentlich unter griechischem Einfluss, zunaechst als +ausserordentliche Feier, geordnete Dankfest der roemischen Gemeinde, die +“grossen” oder “roemischen Spiele”, nahm waehrend der +gegenwaertigen an Dauer wie an Mannigfaltigkeit der Belustigungen zu. +Urspruenglich beschraenkt auf die Dauer eines Tages wurde das Fest nach der +gluecklichen Beendigung der drei grossen Revolutionen von 245, 260 und 387 +(509, 494 und 367) jedesmal um einen Tag verlaengert und hatte am Ende dieser +Periode also bereits eine viertaegige Dauer ^1. Wichtiger noch war es, dass das +Fest wahrscheinlich mit Einsetzung der von Haus aus mit der Ausrichtung und +Ueberwachung desselben betrauten kurulischen Aedilitaet (387 367) seinen +ausserordentlichen Charakter und damit seine Beziehung auf ein bestimmtes +Feldherrngeluebde verlor und in die Reihe der ordentlichen, jaehrlich +wiederkehrenden als erstes unter allen eintrat. Indes blieb die Regierung +beharrlich dabei, das eigentliche Schaufest, namentlich das Hauptstueck, das +Wagenrennen, nicht mehr als einmal am Schluss des Festes stattfinden zu lassen; +an den uebrigen Tagen war es wohl zunaechst der Menge ueberlassen, sich selber +ein Fest zu geben, obwohl Musikanten, Taenzer, Seilgaenger, Taschenspieler, +Possenreisser und dergleichen Leute mehr nicht verfehlt haben werden, gedungen +oder nicht gedungen, dabei sich einzufinden. Aber um das Jahr 390 (364) trat +eine wichtige Veraenderung ein, welche mit der vielleicht gleichzeitig +erfolgten Fixierung und Verlaengerung des Festes in Zusammenhang stehen wird: +man schlug von Staats wegen waehrend der ersten drei Tage im Rennplatz ein +Brettergeruest auf und sorgte fuer angemessene Vorstellungen auf demselben zur +Unterhaltung der Menge. Um indes nicht auf diesem Wege zu weit gefuehrt zu +werden, wurde fuer die Kosten des Festes eine feste Summe von 200000 Assen +(14500 Taler) ein fuer allemal aus der Staatskasse ausgeworfen und diese ist +auch bis auf die Punischen Kriege nicht gesteigert worden; den etwaigen +Mehrbetrag mussten die Aedilen, welche diese Summe zu verwenden hatten, aus +ihrer Tasche decken und es ist nicht wahrscheinlich, dass sie in dieser Zeit +oft und betraechtlich vom Eigenen zugeschossen haben. Dass die neue Buehne im +allgemeinen unter griechischem Einfluss stand, beweist schon ihr Name (scaena +σκηνή). Sie war zwar zunaechst lediglich fuer Spielleute und Possenreisser +jeder Art bestimmt, unter denen die Taenzer zur Floete, namentlich die damals +gefeierten etruskischen, wohl noch die vornehmsten sein mochten; indes war nun +doch eine oeffentliche Buehne in Rom entstanden und bald oeffnete dieselbe sich +auch den roemischen Dichtern. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Was Dionys (6, 95; vgl. B. G. Niebuhr, Roemische Geschichte. Bd. 2, S. 40) +und, schoepfend aus einer anderen Dionysischen Stelle, Plutarch (Cam. 42) von +dem latinischen Fest berichtet, ist, wie ausser anderen Gruenden schlagend die +Vergleichung der letzteren Stelle mit Liv. 6, 42 (F. W. Ritschl, Parerga zu +Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 313) zeigt, vielmehr von den +roemischen Spielen zu verstehen; Dionys hat, und zwar nach seiner Gewohnheit im +Verkehrten beharrlich, den Ausdruck ludi maximi missverstanden. +</p> + +<p> +Uebrigens gab es auch eine Ueberlieferung, wonach der Ursprung des Volksfestes, +statt wie gewoehnlich auf die Besiegung der Latiner durch den ersten +Tarquinius, vielmehr auf die Besiegung der Latiner am Regiller See +zurueckgefuehrt ward (Cic. div. 1, 26, 55; Dion. Hal. 7, 71). Dass die +wichtigen, an der letzten Stelle aus Fabius aufbehaltenen Angaben in der Tat +auf das gewoehnliche Dankfest und nicht auf eine besondere Votivfeierlichkeit +gehen, zeigt die ausdrueckliche Hinweisung auf die jaehrliche Wiederkehr der +Feier und die genau mit der Angabe bei dem falschen Asconius (Ps. Ascon. p. 142 +Or.) stimmende Kostensumme. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +Denn an Dichtern fehlte es in Latium nicht. Latinische “Vaganten” +oder “Baenkelsaenger” (grassatores, spatiatores) zogen von Stadt zu +Stadt und von Haus zu Haus und trugen ihre Lieder (saturae) mit +gestikulierendem Tanz zur Floetenbegleitung vor. Das Mass war natuerlich das +einzige, das es damals gab, das sogenannte saturnische. Eine bestimmte Handlung +lag den Liedern nicht zugrunde, und ebensowenig scheinen sie dialogisiert +gewesen zu sein; man wird sich dieselben nach dem Muster jener eintoenigen, +bald improvisierten, bald rezitierten Ballaten und Tarantellen vorstellen +duerfen, wie man sie heute noch in den roemischen Osterien zu hoeren bekommt. +Dergleichen Lieder kamen denn auch frueh auf die oeffentliche Buehne und sind +allerdings der erste Keim des roemischen Theaters geworden. Aber diese Anfaenge +der Schaubuehne sind in Rom nicht bloss, wie ueberall, bescheiden, sondern in +bemerkenswerter Weise gleich von vornherein bescholten. Schon die Zwoelf Tafeln +treten dem ueblen und nichtigen Singsang entgegen, indem sie nicht bloss auf +Zauber-, sondern selbst auf Spottlieder, die man auf einen Mitbuerger +verfertigt oder ihm vor der Tuere absingt, schwere Kriminalstrafen setzen und +die Zuziehung von Klagefrauen bei der Bestattung verbieten. Aber weit strenger +als durch die gesetzlichen Restriktionen ward die beginnende Kunstuebung durch +den sittlichen Bann getroffen, welchen der philisterhafte Ernst des roemischen +Wesens gegen diese leichtsinnigen und bezahlten Gewerbe schleuderte. “Das +Dichterhandwerk”, sagt Cato, “war sonst nicht angesehen; wenn +jemand damit sich abgab oder bei den Gelagen sich anhaengte, so hiess er ein +Bummler.” Wer nun aber gar Tanz, Musik und Baenkelgesang fuer Geld +betrieb, ward bei der immer mehr sich festsetzenden Bescholtenheit eines jeden +durch Dienstverrichtungen gegen Entgelt gewonnenen Lebensunterhalts von einem +zwiefachen Makel getroffen. Wenn daher das Mitwirken bei den landueblichen +maskierten Charakterpossen als ein unschuldiger jugendlicher Mutwille +betrachtet ward, so galt das Auftreten auf der oeffentlichen Buehne fuer Geld +und ohne Masken geradezu fuer schaendlich, und der Saenger und Dichter stand +dabei mit dem Seiltaenzer und dem Hanswurst voellig in gleicher Reihe. +Dergleichen Leute wurden durch die Sittenmeister regelmaessig fuer unfaehig +erklaert, in dem Buergerheer zu dienen und in der Buergerversammlung zu +stimmen. Es wurde ferner nicht bloss, was allein schon bezeichnend genug ist, +die Buehnendirektion betrachtet als zur Kompetenz der Stadtpolizei gehoerig, +sondern es ward auch der Polizei wahrscheinlich schon in dieser Zeit gegen die +gewerbmaessigen Buehnenkuenstler eine ausserordentliche arbitraere Gewalt +eingeraeumt. Nicht allein hielten die Polizeiherren nach vollendeter +Auffuehrung ueber sie Gericht, wobei der Wein fuer die geschickten Leute ebenso +reichlich floss, wie fuer den Stuemper die Pruegel fielen, sondern es waren +auch saemtliche staedtische Beamte gesetzlich befugt, ueber jeden Schauspieler +zu jeder Zeit und an jedem Orte koerperliche Zuechtigung und Einsperrung zu +verhaengen. Die notwendige Folge davon war, dass Tanz, Musik und Poesie, +wenigstens soweit sie auf der oeffentlichen Buehne sich zeigten, den +niedrigsten Klassen der roemischen Buergerschaft und vor allem den Fremden in +die Haende fielen; und wenn in dieser Zeit die Poesie dabei noch ueberhaupt +eine zu geringe Rolle spielte, als dass fremde Kuenstler mit ihr sich +beschaeftigt haetten, so darf dagegen die Angabe, dass in Rom die gesamte +sakrale und profane Musik wesentlich etruskisch, also die alte, einst offenbar +hochgehaltene latinische Floetenkunst durch die fremdlaendische unterdrueckt +war, schon fuer diese Zeit gueltig erachtet werden. +</p> + +<p> +Von einer poetischen Literatur ist keine Rede. Weder die Maskenspiele noch die +Buehnenrezitationen koennen eigentlich feste Texte gehabt haben, sondern wurden +je nach Beduerfnis regelmaessig von den Vortragenden selbst verfertigt. Von +schriftstellerischen Arbeiten aus dieser Zeit wusste man spaeterhin nichts +aufzuzeigen als eine Art roemischer ‘Werke und Tage’, eine +Unterweisung des Bauern an seinen Sohn ^2, und die schon erwaehnten +pythagoreischen Gedichte des Appius Claudius, den ersten Anfang +hellenisierender roemischer Poesie. Uebrig geblieben ist von den Dichtungen +dieser Epoche nichts als eine und die andere Grabschrift im saturnischen Masse. +</p> + +<p> +Wie die Anfaenge der roemischen Schaubuehne so gehoeren auch die Anfaenge der +roemischen Geschichtschreibung in diese Epoche, sowohl der gleichzeitigen +Aufzeichnung der merkwuerdigen Ereignisse wie der konventionellen Feststellung +der Vorgeschichte der roemischen Gemeinde. +</p> + +<p> +Die gleichzeitige Geschichtschreibung knuepft an das Beamtenverzeichnis an. Das +am weitesten zurueckreichende, das den spaeteren roemischen Forschern +vorgelegen hat und mittelbar auch uns noch vorliegt, scheint aus dem Archiv des +kapitolinischen Jupitertempels herzuruehren, da es von dem Konsul Marcus +Horatius an, der denselben am 13. September seines Amtsjahres einweihte, die +Namen der jaehrigen Gemeindevorsteher auffuehrt, auch auf das unter den Konsuln +Publius Servilius und Lucius Aebutius (nach der jetzt gangbaren Zaehlung 291 +der Stadt 463) bei Gelegenheit einer schweren Seuche erfolgte Geloebnis: von da +an jedes hundertste Jahr in die Wand des kapitolinischen Tempels einen Nagel zu +schlagen, Ruecksicht nimmt. Spaeterhin sind es die Mass- und Schriftgelehrten +der Gemeinde, das heisst die Pontifices, welche die Namen der jaehrigen +Gemeindevorsteher von Amts wegen verzeichnen und also mit der aelteren Monat- +eine Jahrtafel verbinden; beide werden seitdem unter dem - eigentlich nur der +Gerichtstagtafel zukommenden - Namen der Fasten zusammengefasst. Diese +Einrichtung mag nicht lange nach der Abschaffung des Koenigtums getroffen sein, +da in der Tat, um die Reihenfolge der oeffentlichen Akte konstatieren zu +koennen, die offizielle Verzeichnung der Jahrbeamten dringendes praktisches +Beduerfnis war; aber wenn es ein so altes offizielles Verzeichnis der +Gemeindebeamten gegeben hat, so ist dies wahrscheinlich im gallischen Brande +(364 390) zugrunde gegangen und die Liste des Pontifikalkollegiums nachher aus +der von dieser Katastrophe nicht betroffenen kapitolinischen, so weit diese +zurueckreichte, ergaenzt worden. Dass das uns vorliegende Vorsteherverzeichnis +zwar in den Nebensachen, besonders den genealogischen Angaben nach der Hand aus +den Stammbaeumen des Adels vervollstaendigt worden ist, im wesentlichen aber +von Anfang an auf gleichzeitige und glaubwuerdige Aufzeichnungen zurueckgeht, +leidet keinen Zweifel; die Kalenderjahre aber gibt dasselbe nur unvollkommen +und annaehernd wieder, da die Gemeindevorsteher nicht mit dem Neujahr, ja nicht +einmal mit einem ein fuer allemal festgestellten Tage antraten, sondern aus +mancherlei Veranlassungen der Antrittstag sich hin und her schob und die +haeufig zwischen zwei Konsulaten eintretenden Zwischenregierungen in der +Rechnung nach Amtsjahren ganz ausfielen. Wollte man dennoch nach dieser +Vorsteherliste die Kalenderjahre zaehlen, so war es noetig, den Antritts- und +Abgangstag eines jeden Kollegiums nebst den etwaigen Interregnen mit +anzumerken; und auch dies mag frueh geschehen sein. Ausserdem aber wurde die +Liste der Jahrbeamten zur Kalenderjahrliste in der Weise hergerichtet, dass man +durch Akkommodation jedem Kalenderjahr ein Beamtenpaar zuteilte und, wo die +Liste nicht ausreichte, Fuelljahre einlegte, welche in der spaeteren +(Varronischen) Tafel mit den Ziffern 379-383, 421, 430, 445, 453 bezeichnet +sind. Vom Jahre 291 (463) ist die roemische Liste nachweislich, zwar nicht im +einzelnen, wohl aber im ganzen, mit dem roemischen Kalender in +Uebereinstimmung, also insoweit chronologisch sicher, als die Mangelhaftigkeit +des Kalenders selbst dies verstattet; die jenseits jenes Jahres liegenden 47 +Jahrstellen entziehen sich der Kontrolle, werden aber wenigstens in der +Hauptsache gleichfalls richtig sein ^3; was jenseits des Jahres 245 (509) +liegt, ist chronologisch verschollen. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +^2 Erhalten ist davon das Bruchstueck: +</p> + +<p> +Bei trocknem Herbste, nassem - Fruehling, wirst du, Knabe, +</p> + +<p> +Einernten grosse Spelte. +</p> + +<p> +Wir wissen freilich nicht, mit welchem Rechte dieses Gedicht spaeterhin als das +aelteste roemische galt (Macr. Sat. 5, 20; Fest. v. flaminius p. 93 M; Serv. +georg. 1, 101; Plin. nat. 17, 2, 14). +</p> + +<p> +^3 Nur die ersten Stellen in der Liste geben Anlass zum Verdacht und moegen +spaeter hinzugefuegt sein, um die Zahl der Jahre von der Koenigsflucht bis zum +Stadtbrande auf 120 abzurunden. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +Eine gemeingebraeuchliche Aera hat sich nicht gebildet; doch ist in sakralen +Verhaeltnissen gezaehlt worden nach dem Einweihungsjahr des kapitolinischen +Jupitertempels, von wo ab ja auch die Beamtenliste lief. +</p> + +<p> +Nahe lag es, neben den Namen der Beamten die wichtigsten unter ihrer +Amtsfuehrung vorgefallenen Ereignisse anzumerken; und aus solchen, dem +Beamtenkatalog beigefuegten Nachrichten ist die roemische Chronik, ganz wie aus +den der Ostertafel beigeschriebenen Notizen die mittelalterliche, +hervorgegangen. Aber erst spaet kam es zu der Anlegung einer foermlichen, die +Namen saemtlicher Beamten und die merkwuerdigen Ereignisse Jahr fuer Jahr +stetig verzeichnenden Chronik (liber annalis) durch die Pontifices. Vor der +unter dem 5. Juni 351 (403) angemerkten Sonnenfinsternis, womit wahrscheinlich +die vom 20. Juni 354 (400) gemeint ist, fand sich in der spaeteren Stadtchronik +keine Sonnenfinsternis nach Beobachtung verzeichnet; die Zensuszahlen derselben +fangen erst seit dem Anfang des fuenften Jahrhunderts der Stadt an, glaublich +zu lauten; die vor dem Volk gefuehrten Busssachen und die von Gemeinde wegen +gesuehnten Wunderzeichen scheint man erst seit der zweiten Haelfte des fuenften +Jahrhunderts regelmaessig in die Chronik eingetragen zu haben. Allem Anschein +nach hat die Einrichtung eines geordneten Jahrbuchs und, was sicher damit +zusammenhaengt, die eben eroerterte Redaktion der aelteren Beamtenliste zum +Zweck der Jahrzaehlung mittels Einlegung der chronologisch noetigen Fuelljahre +in der ersten Haelfte des fuenften Jahrhunderts stattgefunden. Aber auch +nachdem sich die Uebung festgestellt hatte, dass es dem Oberpontifex obliege, +Kriegslaeufte und Kolonisierungen, Pestilenz und teuere Zeit, Finsternisse und +Wunder, Todesfaelle der Priester und anderer angesehener Maenner, die neuen +Gemeindebeschluesse, die Ergebnisse der Schatzung Jahr fuer Jahr aufzuschreiben +und diese Anzeichnungen in seiner Amtwohnung zu bleibendem Gedaechtnis und zu +jedermanns Einsicht aufzustellen, war man damit von einer wirklichen +Geschichtschreibung noch weit entfernt. Wie duerftig die gleichzeitige +Aufzeichnung noch am Schlusse dieser Periode war und wie weiten Spielraum sie +der Willkuer spaeterer Annalisten gestattete, zeigt mit schneidender +Deutlichkeit die Vergleichung der Berichte ueber den Feldzug vom Jahre 456 +(298) in den Jahrbuechern und auf der Grabschrift des Konsuls Scipio ^4. Die +spaeteren Historiker waren augenscheinlich ausserstande, aus diesen +Stadtbuchnotizen einen lesbaren und einigermassen zusammenhaengenden Bericht zu +gestalten; und auch wir wuerden, selbst wenn uns das Stadtbuch noch in seiner +urspruenglichen Fassung vorlaege, schwerlich daraus die Geschichte der Zeit +pragmatisch zu schreiben vermoegen. Indes gab es solche Stadtchroniken nicht +bloss in Rom, sondern jede latinische Stadt hat wie ihre Pontifices, so auch +ihre Annalen besessen, wie dies aus einzelnen Notizen zum Beispiel fuer Ardea, +Ameria, Interamna am Nar deutlich hervorgeht; und mit der Gesamtheit dieser +Stadtchroniken haette vielleicht sich etwas Aehnliches erreichen lassen, wie es +fuer das fruehere Mittelalter durch die Vergleichung der verschiedenen +Klosterchroniken erreicht worden ist. Leider hat man in Rom spaeterhin es +vorgezogen, die Luecke vielmehr durch hellenische oder hellenisierende Luege zu +fuellen. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +^4 1, 470. Nach den Annalen kommandiert Scipio in Etrurien, sein Kollege in +Samnium und ist Lucanien dies Jahr im Bunde mit Rom; nach der Grabschrift +erobert Scipio zwei Staedte in Samnium und ganz Lucanien. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +Ausser diesen freilich duerftig angelegten und unsicher gehandhabten +offiziellen Veranstaltungen zur Feststellung der verflossenen Zeiten und +vergangenen Ereignisse koennen in dieser Epoche kaum Aufzeichnungen vorgekommen +sein, welche der roemischen Geschichte unmittelbar gedient haetten. Von +Privatchroniken findet sich keine Spur. Nur liess man sich in den vornehmen +Haeusern es angelegen sein, die auch rechtlich so wichtigen Geschlechtstafeln +festzustellen und den Stammbaum zu bleibendem Gedaechtnis auf die Wand des +Hausflurs zu malen. An diesen Listen, die wenigstens auch die Aemter nannten, +fand nicht bloss die Familientradition einen Halt, sondern es knuepften sich +hieran auch wohl frueh biographische Aufzeichnungen. Die Gedaechtnisreden, +welche in Rom bei keiner vornehmen Leiche fehlen durften und regelmaessig von +dem naechsten Verwandten des Verstorbenen gehalten wurden, bestanden wesentlich +nicht bloss in der Aufzaehlung der Tugenden und Wuerden des Toten, sondern auch +in der Aufzaehlung der Taten und Tugenden seiner Ahnen; und so gingen auch sie +wohl schon in fruehester Zeit traditionell von einer Generation auf die andere +ueber. Manche wertvolle Nachricht mochte hierdurch erhalten, freilich auch +manche dreiste Verdrehung und Faelschung in die Ueberlieferung eingefuehrt +werden. +</p> + +<p> +Aber wie die Anfaenge der wirklichen Geschichtschreibung gehoeren ebenfalls in +diese Zeit die Anfaenge der Aufzeichnung und konventionellen Entstellung der +Vorgeschichte Roms. Die Quellen dafuer waren natuerlich dieselben wie ueberall. +Einzelne Namen, wie die der Koenige Numa, Ancus, Tullus, denen die +Geschlechtsnamen wohl erst spaeter zugeteilt worden sind, und einzelne +Tatsachen, wie die Besiegung der Latiner durch Koenig Tarquinius und die +Vertreibung des tarquinischen Koenigsgeschlechts mochten in allgemeiner, +muendlich fortgepflanzter wahrhafter Ueberlieferung fortleben. Anderes lieferte +die Tradition der adligen Geschlechter, wie zum Beispiel die Fabiererzaehlungen +mehrfach hervortreten. In anderen Erzaehlungen wurden uralte +Volksinstitutionen, besonders mit grosser Lebendigkeit rechtliche Verhaeltnisse +symbolisiert und historisiert; so die Heiligkeit der Mauern in der Erzaehlung +vom Tode des Remus, die Abschaffung der Blutrache in der von dem Ende des +Koenigs Tatius, die Notwendigkeit der die Pfahlbruecke betreffenden Ordnung in +der Sage von Horatius Cocles ^5, die Entstehung des Gnadenurteils der Gemeinde +in der schoenen Erzaehlung von den Horatiern und Curiatiern, die Entstehung der +Freilassung und des Buergerrechts der Freigelassenen in derjenigen von der +Tarquinierverschwoerung und dem Sklaven Vindicius. Ebendahin gehoert die +Geschichte der Stadtgruendung selbst, welche Roms Ursprung an Latium und die +allgemeine latinische Metropole Alba anknuepfen soll. Zu den Beinamen der +vornehmen Roemer entstanden historische Glossen, wie zum Beispiel Publius +Valerius der “Volksdiener” (Poplicola) einen ganzen Kreis +derartiger Anekdoten um sich gesammelt hat, und vor allem knuepften an den +heiligen Feigenbaum und andere Plaetze und Merkwuerdigkeiten der Stadt sich in +grosser Menge Kuestererzaehlungen von der Art derjenigen an, aus denen ueber +ein Jahrtausend spaeter auf demselben Boden die Mirabilia Urbis erwuchsen. Eine +gewisse Zusammenknuepfung dieser verschiedenen Maerchen, die Feststellung der +Reihe der sieben Koenige, die ohne Zweifel auf der Geschlechterrechnung ruhende +Ansetzung ihrer Regierungszeit insgesamt auf 240 Jahre ^6 und selbst der Anfang +offizieller Aufzeichnung dieser Ansetzungen hat wahrscheinlich schon in dieser +Epoche stattgefunden: die Grundzuege der Erzaehlung und namentlich deren +Quasichronologie treten in der spaeteren Tradition mit so unwandelbarer +Festigkeit auf, dass schon darum ihre Fixierung nicht in, sondern vor die +literarische Epoche Roms gesetzt werden muss. Wenn bereits im Jahre 458 (296) +die an den Zitzen der Woelfin saugenden Zwillinge Romulus und Remus in Erz +gegossen an dem heiligen Feigenbaum aufgestellt wurden, so muessen die Roemer, +die Latium und Samnium bezwangen, die Entstehungsgeschichte ihrer Vaterstadt +nicht viel anders vernommen haben als wir sie bei Livius lesen; sogar die +Aboriginer, das sind die “Vonanfanganer”, dies naive Rudiment der +geschichtlichen Spekulation des latinischen Stammes, begegnen schon um 465 +(289) bei dem sizilischen Schriftsteller Kallias. Es liegt in der Natur der +Chronik, dass sie zu der Geschichte die Vorgeschichte fuegt und wenn nicht bis +auf die Entstehung von Himmel und Erde, doch wenigstens bis auf die Entstehung +der Gemeinde zurueckgefuehrt zu werden verlangt; und es ist auch ausdruecklich +bezeugt, dass die Tafel der Pontifices das Gruendungsjahr Roms angab. Danach +darf angenommen werden, dass das Pontifikalkollegium, als es in der ersten +Haelfte des fuenften Jahrhunderts anstatt der bisherigen spaerlichen und in der +Regel wohl auf die Beamtennamen sich beschraenkenden Aufzeichnungen zu der +Anlegung einer foermlichen Jahreschronik fortschritt, auch die zu Anfang +fehlende Geschichte der Koenige Roms und ihres Sturzes hinzufuegte und, indem +es auf den Einweihungstag des kapitolinischen Tempels, den 13. September 245 +(509), zugleich die Stiftung der Republik setzte, einen freilich nur +scheinhaften Zusammenhang zwischen der zeitlosen und der annalistischen +Erzaehlung herstellte. Dass bei dieser aeltesten Aufzeichnung der Urspruenge +Roms auch der Hellenismus seine Hand im Spiele gehabt hat, ist kaum zu +bezweifeln; die Spekulation ueber Ur- und spaetere Bevoelkerung, ueber die +Prioritaet des Hirtenlebens vor dem Ackerbau und die Umwandlung des Menschen +Romulus in den Gott Quirinus sehen ganz griechisch aus, und selbst die Truebung +der echt nationalen Gestalten des frommen Numa und der weisen Egeria durch die +Einmischung fremdlaendischer pythagoreischer Urweisheit scheint keineswegs zu +den juengsten Bestandteilen der roemischen Vorgeschichte zu gehoeren. +</p> + +<p> +———————————————————- +</p> + +<p> +^5 Diese Richtung der Sage erhellt deutlich aus dem aelteren Plinius (nat. 36, +15, 100). +</p> + +<p> +^6 Man rechnete, wie es scheint, drei Geschlechter auf ein Jahrhundert und +rundete die Ziffer 233 1/3 auf 240 ab, aehnlich wie die Epoche zwischen der +Koenigsflucht und dem Stadtbrand auf 120 Jahre abgerundet ward. Wodurch man +gerade auf diese Zahlen gefuehrt ward, zeigt zum Beispiel die oben eroerterte +Feststellung des Flaechenmasses. +</p> + +<p> +——————————————————— +</p> + +<p> +Analog diesen Anfaengen der Gemeinde sind auch die Stammbaeume der edlen +Geschlechter in aehnlicher Weise vervollstaendigt und in beliebter heraldischer +Manier durchgaengig auf erlauchte Ahnen zurueckgefuehrt worden; wie denn zum +Beispiel die Aemilier, Calpurnier, Pinarier und Pomponier von den vier Soehnen +des Numa: Mamercus, Calpus, Pinus und Pompo, die Aemilier ueberdies noch von +dem Sohne des Pythagoras Mamercus, der “Wohlredende” (αιμύλος) +genannt, abstammen wollten. +</p> + +<p> +Dennoch darf trotz der ueberall hervortretenden hellenischen Reminiszenzen +diese Vorgeschichte der Gemeinde wie der Geschlechter wenigstens relativ eine +nationale genannt werden, insofern sie teils in Rom entstanden, teils ihre +Tendenz zunaechst nicht darauf gerichtet ist, eine Bruecke zwischen Rom und +Griechenland, sondern eine Bruecke zwischen Rom und Latium zu schlagen. +</p> + +<p> +Es war die hellenische Erzaehlung und Dichtung, welche jener anderen Aufgabe +sich unterzog. Die hellenische Sage zeigt durchgaengig das Bestreben, mit der +allmaehlich sich erweiternden geographischen Kunde Schritt zu halten und mit +Hilfe ihrer zahllosen Wander- und Schiffergeschichten eine dramatisierte +Erdbeschreibung zu gestalten. Indes verfaehrt sie dabei selten naiv. Ein +Bericht wie der des aeltesten Rom erwaehnenden griechischen Geschichtswerkes, +der sizilischen Geschichte des Antiochos von Syrakus (geschlossen 330 424): +dass ein Mann namens Sikelos aus Rom nach Italia, das heisst nach der +brettischen Halbinsel gewandert sei - ein solcher, einfach die +Stammverwandtschaft der Roemer, Siculer und Brettier historisierender und von +aller hellenisierenden Faerbung freier Bericht ist eine seltene Erscheinung. Im +ganzen ist die Sage, und je spaeter desto mehr, beherrscht von der Tendenz, die +ganze Barbarenwelt darzustellen als von den Griechen entweder ausgegangen oder +doch unterworfen; und frueh zog sie in diesem Sinn ihre Faeden auch ueber den +Westen. Fuer Italien sind weniger die Herakles- und Argonautensage von +Bedeutung geworden, obwohl bereits Hekataeos († nach 257 497) die Saeulen des +Herakles kennt und die Argo aus dem Schwarzen Meer in den Atlantischen Ozean, +aus diesem in den Nil und zurueck in das Mittelmeer fuehrt, als die an den Fall +Ilions anknuepfenden Heimfahrten. Mit der ersten aufdaemmernden Kunde von +Italien beginnt auch Diomedes im Adriatischen, Odysseus im Tyrrhenischen Meer +zu irren, wie denn wenigstens die letztere Lokalisierung schon der Homerischen +Fassung der Sage nahe genug lag. Bis in die Zeiten Alexanders hinein haben die +Landschaften am Tyrrhenischen Meer in der hellenischen Fabulierung zum Gebiet +der Odysseussage gehoert; noch Ephoros, der mit dem Jahre 414 (340) schloss, +und der sogenannte Skylax (um 418 336) folgen wesentlich dieser. Von troischen +Seefahrten weiss die ganze aeltere Poesie nichts; bei Homer herrscht Aeneas +nach Ilions Fall ueber die in der Heimat zurueckbleibenden Troer. Erst der +grosse Mythenwandler Stesichoros (122-201 632-553) fuehrte in seiner +‘Zerstoerung Ilions’ den Aeneas in das Westland, um die Fabelwelt +seiner Geburts- und seiner Wahlheimat, Siziliens und Unteritaliens, durch den +Gegensatz der troischen Helden gegen die hellenischen poetisch zu bereichern. +Von ihm ruehren die seitdem feststehenden dichterischen Umrisse dieser Fabel +her, namentlich die Gruppe des Helden, wie er mit der Gattin und dem Soehnchen +und dem alten, die Hausgoetter tragenden Vater aus dem brennenden Ilion +davongeht, und die wichtige Identifizierung der Troer mit den sizilischen und +italischen Autochthonen, welche besonders in dem troischen Trompeter Misenos, +dem Eponymos des Misenischen Vorgebirges, schon deutlich hervortritt ^7. Den +alten Dichter leitete dabei das Gefuehl, dass die italischen Barbaren den +Hellenen minder fern als die uebrigen standen und das Verhaeltnis der Hellenen +und der Italiker dichterisch angemessen dem der homerischen Achaeer und Troer +gleich gefasst werden konnte. Bald mischt sich denn diese neue Troerfabel mit +der aelteren Odysseussage, indem sie zugleich sich weiter ueber Italien +verbreitet. Nach Hellanikos (schrieb um 350 400) kamen Odysseus und Aeneas +durch die thrakische und molottische (epeirotische) Landschaft nach Italien, wo +die mitgefuehrten troischen Frauen die Schiffe verbrennen und Aeneas die Stadt +Rom gruendet und sie nach dem Namen einer dieser Troerinnen benennt; aehnlich, +nur minder unsinnig, erzaehlte Aristoteles (370-432 384-322), dass ein +achaeisches, an die latinische Kueste verschlagenes Geschwader von den +troischen Sklavinnen angezuendet worden und aus den Nachkommen der also zum +Dableiben genoetigten achaeischen Maenner und ihrer troischen Frauen die +Latiner hervorgegangen seien. Damit mischten denn auch sich Elemente der +einheimischen Sage, wovon der rege Verkehr zwischen Sizilien und Italien +wenigstens gegen das Ende dieser Epoche schon die Kunde bis nach Sizilien +verbreitet hatte; in der Version von Roms Entstehung, welche der Sizilianer +Kallias um 465 (289) aufzeichnete, sind Odysseus-, Aeneas- und Romulusfabeln +ineinandergeflossen ^8. Aber der eigentliche Vollender der spaeter gelaeufigen +Fassung dieser Troerwanderung ist Timaeos von Tauromenion auf Sizilien, der +sein Geschichtswerk 492 (262) schloss. Er ist es, bei dem Aeneas zuerst +Lavinium mit dem Heiligtum der troischen Penaten und dann erst Rom gruendet; er +muss auch schon die Tyrerin Elisa oder Dido in die Aeneassage eingeflochten +haben, da bei ihm Dido Karthagos Gruenderin ist und Rom und Karthago ihm in +demselben Jahre erbaut heissen. Den Anstoss zu diesen Neuerungen gaben, neben +der eben zu der Zeit und an dem Orte, wo Timaeos schrieb, sich vorbereitenden +Krise zwischen den Roemern und den Karthagern, offenbar gewisse nach Sizilien +gelangte Berichte ueber latinische Sitten und Gebraeuche; im wesentlichen aber +kann die Erzaehlung nicht von Latium heruebergenommen, sondern nur die eigene +nichtsnutzige Erfindung der alten “Sammelvettel” gewesen sein. +Timaeos hatte von dem uralten Tempel der Hausgoetter in Lavinium erzaehlen +hoeren; aber dass diese den Lavinaten als die von den Aeneiaden aus Ilion +mitgebrachten Penaten gaelten, hat er ebenso sicher von dem Seinigen +hinzugetan, wie die scharfsinnige Parallele zwischen dem roemischen Oktoberross +und dem Trojanischen Pferde und die genaue Inventarisierung der lavinischen +Heiligtuemer - es waren, sagt der wuerdige Gewaehrsmann, Heroldstaebe von Eisen +und Kupfer und ein toenerner Topf troischer Fabrik! Freilich durften eben die +Penaten noch Jahrhunderte spaeter durchaus von keinem geschaut werden; aber +Timaeos war einer von den Historikern, die ueber nichts so genau Bescheid +wissen als ueber unwissbare Dinge. Nicht mit Unrecht riet Polybios, der den +Mann kannte, ihm nirgend zu trauen, am wenigsten aber da, wo er - wie hier - +sich auf urkundliche Beweisstuecke berufe. In der Tat war der sizilische +Rhetor, der das Grab des Thukydides in Italien zu zeigen wusste und der fuer +Alexander kein hoeheres Lob fand, als dass er schneller mit Asien fertig +geworden sei als Isokrates mit seiner ‘Lobrede’, vollkommen +berufen, aus der naiven Dichtung der aelteren Zeit den wuesten Brei zu kneten, +welchem das Spiel des Zufalls eine so seltsame Zelebritaet verliehen hat. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +^7 Auch die troischen Kolonien” auf Sizilien, die Thukydides, +Pseudoskylax und andere nennen, sowie die Bezeichnung Capuas als einer +troischen Gruendung bei Hekataeos werden auf Stesichoros und auf dessen +Identifizierung der italischen und sizilischen Eingeborenen mit den Troern +zurueckgehen. +</p> + +<p> +^8 Nach ihm vermaehlte sich eine aus Ilion nach Rom gefluechtete Frau Rome oder +vielmehr deren gleichnamige Tochter mit dem Koenig der Aboriginer Latinos und +gebar ihm drei Soehne, Romos, Romylos und Telegonos. Der letzte, der ohne +Zweifel hier als Gruender von Tusculum und Praeneste auftritt, gehoert +bekanntlich der Odysseussage an. +</p> + +<p> +————————————————————————— +</p> + +<p> +Inwieweit die hellenische Fabulierung ueber italische Dinge, wie sie zunaechst +in Sizilien entstand, schon jetzt in Italien selbst Eingang gefunden hat, ist +nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Die Anknuepfungen an den odysseischen Kreis, +welche spaeterhin in den Gruendungssagen von Tusculum, Praeneste, Antium, +Ardea, Cortona begegnen, werden wohl schon in dieser Zeit sich angesponnen +haben; und auch der Glaube an die Abstammung der Roemer von Troern oder +Troerinnen musste schon am Schluss dieser Epoche in Rom feststehen, da die +erste nachweisliche Beruehrung zwischen Rom und dem griechischen Osten die +Verwendung des Senats fuer die “stammverwandten” Ilier im Jahre 472 +(282) ist. Dass aber dennoch die Aeneasfabel in Italien verhaeltnismaessig jung +ist, beweist ihre im Vergleich mit der odysseischen hoechst duerftige +Lokalisierung; und die Schlussredaktion dieser Erzaehlungen sowie ihre +Ausgleichung mit der roemischen Ursprungssage gehoert auf jeden Fall erst der +Folgezeit an. +</p> + +<p> +Waehrend also bei den Hellenen die Geschichtschreibung, oder was so genannt +ward, sich um die Vorgeschichte Italiens in ihrer Art bemuehte, liess sie in +einer fuer den gesunkenen Zustand der hellenischen Historie ebenso +bezeichnenden wie fuer uns empfindlichen Weise die gleichzeitige italische +Geschichte so gut wie vollstaendig liegen. Kaum dass Theopomp von Chios +(schloss 418 336) der Einnahme Roms durch die Kelten beilaeufig gedachte und +Aristoteles, Kleitarchos, Theophrastos, Herakleides von Pontos († um 450 300) +einzelne Rom betreffende Ereignisse gelegentlich erwaehnten; erst mit +Hieronymos von Kardia, der als Geschichtschreiber des Pyrrhos auch dessen +italische Kriege erzaehlte, wird die griechische Historiographie zugleich +Quelle fuer die roemische Geschichte. +</p> + +<p> +Unter den Wissenschaften empfing die Jurisprudenz eine unschaetzbare Grundlage +durch die Aufzeichnung des Stadtrechts in den Jahren 303, 304 (451, 450). +Dieses unter dem Namen der Zwoelf Tafeln bekannte Weistum ist wohl das aelteste +roemische Schriftstueck, das den Namen eines Buches verdient. Nicht viel +juenger mag der Kern der sogenannten “koeniglichen Gesetze” sein, +das heisst gewisser, vorzugsweise sakraler Vorschriften, die auf Herkommen +beruhten und wahrscheinlich von dem Kollegium der Pontifices, das zur +Gesetzgebung nicht, wohl aber zur Gesetzweisung befugt war, unter der Form +koeniglicher Verordnungen zu allgemeiner Kunde gebracht wurden. Ausserdem sind +vermutlich schon seit dem Anfang dieser Periode wenn nicht die Volks-, so doch +die wichtigsten Senatsbeschluesse regelmaessig schriftlich verzeichnet worden; +wie denn ueber deren Aufbewahrung bereits in den fruehesten staendischen +Kaempfen mitgestritten ward. +</p> + +<p> +Waehrend also die Masse der geschriebenen Rechtsurkunden sich mehrte, stellten +auch die Grundlagen einer eigentlichen Rechtswissenschaft sich fest. Sowohl den +jaehrlich wechselnden Beamten als den aus dem Volke herausgegriffenen +Geschworenen war es Beduerfnis, an sachkundige Maenner sich wenden zu koennen, +welche den Rechtsgang kannten und nach Praezedentien oder in deren Ermangelung +nach Gruenden eine Entscheidung an die Hand zu geben wussten. Die Pontifices, +die es gewohnt waren, sowohl wegen der Gerichtstage als wegen aller auf die +Goetterverehrung bezueglichen Bedenken und Rechtsakte vom Volke angegangen zu +werden, gaben auch in anderen Rechtspunkten auf Verlangen Ratschlaege und +Gutachten ab und entwickelten so im Schoss ihres Kollegiums die Tradition, die +dem roemischen Privatrecht zugrunde liegt, vor allem die Formeln der rechten +Klage fuer jeden einzelnen Fall. Ein Spiegel, der all diese Klagen +zusammenfasste, nebst einem Kalender, der die Gerichtstage angab, wurde um 450 +(300) von Appius Claudius oder von dessen Schreiber Gnaeus Flavius dem Volk +bekanntgemacht. Indes dieser Versuch, die ihrer selbst noch nicht bewusste +Wissenschaft zu formulieren, steht fuer lange Zeit gaenzlich vereinzelt da. +Dass die Kunde des Rechtes und die Rechtweisung schon jetzt ein Mittel war, dem +Volk sich zu empfehlen und zu Staatsaemtern zu gelangen, ist begreiflich, wenn +auch die Erzaehlung, dass der erste plebejische Pontifex Publius Sempronius +Sophus (Konsul 450 304) und der erste plebejische Oberpontifex Tiberius +Coruncanius (Konsul 474 280) diese Priesterehren ihrer Rechtskenntnis +verdankten, wohl eher Mutmassung Spaeterer ist als Ueberlieferung. +</p> + +<p> +Dass die eigentliche Genesis der lateinischen und wohl auch der anderen +italischen Sprachen vor diese Periode faellt und schon zu Anfang derselben die +lateinische Sprache im wesentlichen fertig war, zeigen die freilich durch ihre +halb muendliche Tradition stark modernisierten Bruchstuecke der Zwoelf Tafeln, +welche wohl eine Anzahl veralteter Woerter und schroffer Verbindungen, +namentlich infolge der Weglassung des unbestimmten Subjekts, aber doch +keineswegs, wie das Arvalied, wesentliche Schwierigkeiten des Verstaendnisses +darbieten und weit mehr mit der Sprache Catos als mit der der alten Litaneien +uebereinkommen. Wenn die Roemer im Anfang des siebenten Jahrhunderts Muehe +hatten, Urkunden des fuenften zu verstehen, so kam dies ohne Zweifel nur daher, +dass es damals in Rom noch keine eigentliche Forschung, am wenigsten eine +Urkundenforschung gab. Dagegen wird in dieser Zeit der beginnenden Rechtweisung +und Gesetzesredaktion auch der roemische Geschaeftsstil zuerst sich +festgestellt haben, welcher, wenigstens in seiner entwickelten Gestalt, an +feststehenden Formeln und Wendungen, endloser Aufzaehlung der Einzelheiten und +langatmigen Perioden der heutigen englischen Gerichtssprache nichts nachgibt +und sich dem Eingeweihten durch Schaerfe und Bestimmtheit empfiehlt, waehrend +der Laie je nach Art und Laune mit Ehrfurcht, Ungeduld oder Aerger +nichtsverstehend zuhoert. Ferner begann in dieser Epoche die rationelle +Behandlung der einheimischen Sprachen. Um den Anfang derselben drohte, wie wir +sahen, das sabellische wie das latinische Idiom sich zu barbarisieren und griff +die Verschleifung der Endungen, die Verdumpfung der Vokale und der feineren +Konsonanten aehnlich um sich wie im fuenften und sechsten Jahrhundert unserer +Zeitrechnung innerhalb der romanischen Sprachen. Hiergegen trat aber eine +Reaktion ein: im Oskischen werden die zusammengefallenen Laute d und r, im +Lateinischen die zusammengefallenen Laute g und k wieder geschieden und jeder +mit seinem eigenen Zeichen versehen; o und u, fuer die es im oskischen Alphabet +von Haus aus an gesonderten Zeichen gemangelt hatte und die im Lateinischen +zwar urspruenglich geschieden waren, aber zusammenzufallen drohten, traten +wieder auseinander, ja im Oskischen wird sogar das i in zwei lautlich und +graphisch verschiedene Zeichen aufgeloest; endlich schliesst die Schreibung +sich der Aussprache wieder genauer an, wie zum Beispiel bei den Roemern +vielfaeltig s durch r ersetzt ward. Die chronologischen Spuren fuehren fuer +diese Reaktion auf das fuenfte Jahrhundert; das lateinische g zum Beispiel war +um das Jahr 300 (450) noch nicht, wohl aber um das Jahr 500 (250) vorhanden; +der erste des Papirischen Geschlechts, der sich Papirius statt Papisius nannte, +war der Konsul des Jahres 418 (336); die Einfuehrung jenes r anstatt des s wird +dem Appius Claudius, Zensor 442 (312) beigelegt. Ohne Zweifel steht die +Zurueckfuehrung einer feineren und schaerferen Aussprache im Zusammenhang mit +dem steigenden Einfluss der griechischen Zivilisation, welcher eben in dieser +Zeit sich auf allen Gebieten des italischen Wesens bemerklich macht; und wie +die Silbermuenzen von Capua und Nola weit vollkommener sind als die +gleichzeitigen Asse von Ardea und Rom, so scheint auch Schrift und Sprache +rascher und vollstaendiger sich im kampanischen Lande reguliert zu haben als in +Latium. Wie wenig trotz der darauf gewandten Muehe die roemische Sprache und +Schreibweise noch am Schlusse dieser Epoche festgestellt war, beweisen die aus +dem Ende des fuenften Jahrhunderts erhaltenen Inschriften, in denen namentlich +in der Setzung oder Weglassung von m, d und s im Auslaut und n im Inlaut und in +der Unterscheidung der Vokale o u und e i die groesste Willkuer herrscht ^9; es +ist wahrscheinlich, dass gleichzeitig die Sabeller hierin schon weiter waren, +waehrend die Umbrer von dem regenerierenden hellenischen Einfluss nur wenig +beruehrt worden sind. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +^9 In den beiden Grabschriften des Lucius Scipio, Konsul 456 (298), und des +gleichnamigen Konsuls vom Jahre 495 (259) fehlen m und d im Auslaut der +Beugungen regelmaessig, doch findet sich einmal Luciom und einmal Gnaivod; es +steht nebeneinander im Nominativ Cornelio und filios; cosol, cesor und consol +censor; aidiles, dedet, ploirume (= plurimi), hec (Nom. Sing.) neben aidilis, +cepit, quei, hic. Der Rhotazismus ist bereits vollstaendig durchgefuehrt; man +findet duonoro (= bonorum), ploirume, nicht wie im saliarischen Liede foedesum, +plusima. Unsere inschriftlichen Ueberreste reichen ueberhaupt im allgemeinen +nicht ueber den Rhotazismus hinauf; von dem aelteren s begegnen nur einzelne +Spuren, wie noch spaeterhin honos, labos neben honor und labor und die +aehnlichen Frauenvornamen Maio (maios, maior) und Mino auf neu gefundenen +Grabschriften von Praeneste. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +Durch diese Steigerung der Jurisprudenz und Grammatik muss auch der elementare +Schulunterricht, der an sich wohl schon frueher aufgekommen war, eine gewisse +Steigerung erfahren haben. Wie Homer das aelteste griechische, die Zwoelf +Tafeln das aelteste roemische Buch waren, so wurden auch beide in ihrer Heimat +die wesentliche Grundlage des Unterrichts und das Auswendiglernen des +juristisch-politischen Katechismus ein Hauptstueck der roemischen +Kindererziehung. Neben den lateinischen “Schreibmeistern” +(litteratores) gab es natuerlich, seit die Kunde des Griechischen fuer jeden +Staats- und Handelsmann Beduerfnis war, auch griechische Sprachlehrer +(grammatici ^10), teils Hofmeister-Sklaven, teils Privatlehrer, die in ihrer +Wohnung oder in der des Schuelers Anweisung zum Lesen und Sprechen des +Griechischen erteilten. Dass wie im Kriegswesen und bei der Polizei so auch bei +dem Unterricht der Stock seine Rolle spielte, versteht sich von selbst ^11. Die +elementare Stufe indes kann der Unterricht dieser Zeit noch nicht ueberstiegen +haben; es gab keine irgend wesentliche soziale Abstufung zwischen dem +unterrichteten und dem nichtunterrichteten Roemer. +</p> + +<p> +Dass die Roemer in den mathematischen und mechanischen Wissenschaften zu keiner +Zeit sich ausgezeichnet haben, ist bekannt und bewaehrt sich auch fuer die +gegenwaertige Epoche an dem fast einzigen Faktum, welches mit Sicherheit +hierhergezogen werden kann, der von den Dezemvirn versuchten Regulierung des +Kalenders. Sie wollten den bisherigen, auf der alten, hoechst unvollkommenen +Trieteris beruhenden vertauschen mit dem damaligen attischen der Oktaeteris, +welcher den Mondmonat von 29½ Tagen beibehielt, das Sonnenjahr aber statt auf +368¾ a vielmehr auf 365¼ Tage ansetzte und demnach bei unveraenderter gemeiner +Jahrlaenge von 354 Tagen nicht, wie frueher, auf je vier Jahre 59, sondern auf +je acht Jahre 90 Tage einschaltete. In demselben Sinne beabsichtigten die +roemischen Kalenderverbesserer unter sonstiger Beibehaltung des geltenden +Kalenders in den zwei Schaltjahren des vierjaehrigen Zyklus nicht die +Schaltmonate, aber die beiden Februare um je sieben Tage zu verkuerzen, also +diesen Monat in den Schaltjahren statt zu 29 und 28 zu 22 und 21 Tagen +anzusetzen. Allein mathematische Gedankenlosigkeit und theologische Bedenken, +namentlich die Ruecksicht auf das eben in die betreffenden Februartage fallende +Jahrfest des Terminus, zerruetteten die beabsichtigte Reform in der Art, dass +der Schaltjahrfebruar vielmehr 24- und 23taegig ward, also das neue roemische +Sonnenjahr in der Tat auf 366¼ Tag auskam. Einige Abhilfe fuer die hieraus +folgenden praktischen Uebelstaende ward darin gefunden, dass, unter Beseitigung +der bei den jetzt so ungleich gewordenen Monaten nicht mehr anwendbaren +Rechnung nach Monaten oder Zehnmonaten des Kalenders, man sich gewoehnte, wo es +auf genauere Bestimmungen ankam, nach Zehnmonatfristen eines Sonnenjahrs von +365 Tagen oder dem sogenannten zehnmonatlichen Jahre von 304 Tagen zu rechnen. +ueberdies kam besonders fuer baeuerliche Zwecke der auf das aegyptische +365¼taegige Sonnenjahr von Eudoxos (blueht 386 368) gegruendete Bauernkalender +auch in Italien frueh in Gebrauch. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +^10 Litterator und grammaticus verhalten sich ungefaehr wie Lehrer und Maître; +die letztere Benennung kommt nach dem aelteren Sprachgebrauch nur dem Lehrer +des Griechischen, nicht dem der Muttersprache zu. Litteratus ist juenger und +bezeichnet nicht den Schulmeister, sondern den gebildeten Mann. +</p> + +<p> +^11 Es ist doch wohl ein roemisches Bild, was Plautus (Bacch. 431) als ein +Stueck der guten alten Kindererziehung anfuehrt: +</p> + +<p> +wenn nun du darauf nach Hause kamst, +</p> + +<p> +In dem Jaeckchen auf dem Schemel sassest du zum Lehrer hin; +</p> + +<p> +Und wenn dann das Buch ihm lesend eine Silbe du gefehlt, +</p> + +<p> +Faerbte deinen Buckel er dir bunt wie einen Kinderlatz. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +Einen hoeheren Begriff von dem, was auch in diesen Faechern die Italiker zu +leisten vermochten, gewaehren die Werke der mit den mechanischen Wissenschaften +eng zusammenhaengenden Bau- und Bildkunst. Zwar eigentlich originelle +Erscheinungen begegnen auch hier nicht; aber wenn durch den Stempel der +Entlehnung, welcher der italischen Plastik durchgaengig aufgedrueckt ist, das +kuenstlerische Interesse an derselben sinkt, so heftet das historische sich nur +um so lebendiger an dieselbe, insofern sie teils von einem sonst verschollenen +Voelkerverkehr die merkwuerdigsten Zeugnisse bewahrt, teils bei dem so gut wie +vollstaendigen Untergang der Geschichte der nichtroemischen Italiker fast +allein uns die verschiedenen Voelkerschaften der Halbinsel in lebendiger +Taetigkeit nebeneinander darstellt. Neues ist hier nicht zu sagen; aber wohl +laesst sich mit schaerferer Bestimmtheit und auf breiterer Grundlage +ausfuehren, was schon oben gezeigt ward, dass die griechische Anregung die +Etrusker und die Italiker von verschiedenen Seiten her maechtig erfasst, und +dort eine reichere und ueppigere, hier, wo ueberhaupt, eine verstaendigere und +innigere Kunst ins Leben gerufen hat. +</p> + +<p> +Wie voellig die italische Architektur aller Landschaften schon in ihrer +aeltesten Periode von hellenischen Elementen durchdrungen ward, ist frueher +dargestellt worden. Die Stadtmauern, die Wasserbauten, die pyramidalisch +gedeckten Graeber, der tuscanische Tempel sind nicht oder nicht wesentlich +verschieden von den aeltesten hellenischen Bauwerken. Von einer Weiterbildung +der Architektur bei den Etruskern waehrend dieser Epoche hat sich keine Spur +erhalten; wir begegnen hier weder einer wesentlich neuen Rezeption noch einer +originellen Schoepfung - man muesste denn Prachtgraeber dahin rechnen wollen, +wie das von Varro beschriebene sogenannte Grabmal des Porsena in Chiusi, das +lebhaft an die zwecklose und sonderbare Herrlichkeit der aegyptischen Pyramiden +erinnert. +</p> + +<p> +Auch in Latium bewegte man waehrend der ersten anderthalb Jahrhunderte der +Republik sich wohl lediglich in den bisherigen Gleisen, und es ist schon gesagt +worden, dass mit der Einfuehrung der Republik die Kunstuebung eher gesunken als +gestiegen ist. Es ist aus dieser Zeit kaum ein anderes architektonisch +bedeutendes latinisches Bauwerk zu nennen als der im Jahre 261 (493) in Rom am +Circus erbaute Cerestempel, der in der Kaiserzeit als Muster des tuscanischen +Stiles gilt. Aber gegen das Ende dieser Epoche kommt ein neuer Geist in das +italische und namentlich das roemische Bauwesen: es beginnt der grossartige +Bogenbau. Zwar sind wir nicht berechtigt, den Bogen und das Gewoelbe fuer +italische Erfindungen zu erklaeren. Es ist wohl ausgemacht, dass in der Epoche +der Genesis der hellenischen Architektur die Hellenen den Bogen noch nicht +kannten und darum fuer ihre Tempel die flache Decke und das schraege Dach +ausreichen mussten; allein gar wohl kann der Keilschnitt eine juengere, aus der +rationellen Mechanik hervorgegangene Erfindung der Hellenen sein, wie ihn denn +die griechische Tradition auf den Physiker Demokritos (294-397 460-357) +zurueckfuehrt. Mit dieser Prioritaet des hellenischen Bogenbaus vor dem +roemischen ist auch vereinbar, was vielfach und vielleicht mit Recht angenommen +wird, dass die Gewoelbe an der roemischen Hauptkloake und dasjenige, welches +ueber das alte, urspruenglich pyramidalisch gedeckte kapitolinische Quellhaus +spaeterhin gespannt ward, die aeltesten erhaltenen Bauwerke sind, bei welchen +das Bogenprinzip zur Anwendung gekommen ist; denn es ist mehr als +wahrscheinlich, dass diese Bogenbauten nicht der Koenigs-, sondern der +republikanischen Periode angehoeren und in der Koenigszeit man auch in Italien +nur flache oder ueberkragte Daecher gekannt hat. Allein wie man auch ueber die +Erfindung des Bogens selbst denken mag, die Anwendung im grossen ist ueberall +und vor allem in der Baukunst wenigstens ebenso bedeutend wie die Aufstellung +des Prinzips; und diese gebuehrt unbestritten den Roemern. Mit dem fuenften +Jahrhundert beginnt der wesentlich auf den Bogen gegruendete Tor-, Bruecken- +und Wasserleitungsbau, der mit dem roemischen Namen fortan unzertrennlich +verknuepft ist. Verwandt ist hiermit noch die Entwicklung der den Griechen +fremden, dagegen bei den Roemern vorzugsweise beliebten und besonders fuer die +ihnen eigentuemlichen Kulte, namentlich den nicht griechischen der Vesta, +angewendeten Form des Rundtempels und des Kuppeldachs ^12. +</p> + +<p> +————————————————————- +</p> + +<p> +^12 Eine Nachbildung der aeltesten Hausform, wie man wohl gemeint hat, ist der +Rundtempel sicher nicht; vielmehr geht der Hausbau durchaus vom Viereck aus. +Die spaetere roemische Theologie knuepfte diese Rundform an die Vorstellung des +Erdballs oder des kugelfoermig die Zentralsonne umgebenden Weltalls (Fest. v. +rutundam p. 282; Plut. Num. 11; Ov. fast. 6, 267f.); in der Tat ist dieselbe +wohl einfach darauf zurueckzufuehren, dass fuer die zum Abhegen und Aufbewahren +bestimmte Raeumlichkeit als die bequemste wie die sicherste Form stets die +kreisrunde gegolten hat. Darauf beruhten die runden Schatzhaeuser der Hellenen +ebenso wie der Rundbau der roemischen Vorratskammer oder des Penatentempels; es +war natuerlich auch die Feuerstelle - das heisst den Altar der Vesta - und die +Feuerkammer - das heisst den Vestatempel - rund anzulegen, so gut wie dies mit +der Zisterne und der Brunnenfassung (puteal) geschah. Der Rundbau an sich ist +graecoitalisch wie der Quadratbau und jener der Kammer eigen, wie dieser dem +Wohnhaus; aber die architektonische und religioese Entwicklung des einfachen +Tholos zum Rundtempel mit Pfeilern und Saeulen ist latinisch. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +Etwas Aehnliches mag von manchen untergeordneten, aber darum nicht unwichtigen +Fertigkeiten auf diesem Gebiet gelten. Von Originalitaet oder gar von +Kunstuebung kann dabei nicht die Rede sein; aber auch aus den festgefuegten +Steinplatten der roemischen Strassen, aus ihren unzerstoerbaren Chausseen, aus +den breiten, klingend harten Ziegeln, aus dem ewigen Moertel ihrer Gebaeude +redet die unverwuestliche Soliditaet, die energische Tuechtigkeit des +roemischen Wesens. +</p> + +<p> +Wie die tektonischen, und womoeglich noch mehr, sind die bildenden und +zeichnenden Kuenste auf italischem Boden nicht so sehr durch griechische +Anregung befruchtet, als aus griechischen Samenkoernern gekeimt. Dass +dieselben, obwohl erst die juengeren Schwestern der Architektur, doch +wenigstens in Etrurien schon waehrend der roemischen Koenigszeit sich zu +entwickeln begannen, wurde bereits bemerkt; ihre hauptsaechliche Entfaltung +aber gehoert in Etrurien, und um so mehr in Latium, dieser Epoche an, wie dies +schon daraus mit Evidenz hervorgeht, dass in denjenigen Landschaften, welche +die Kelten und Samniten den Etruskern im Laufe des vierten Jahrhunderts +entrissen, von etruskischer Kunstuebung fast keine Spur begegnet. Die tuskische +Plastik warf sich zuerst und hauptsaechlich auf die Arbeit in gebranntem Ton, +in Kupfer und in Gold, welche Stoffe die reichen Tonlager und Kupfergruben und +der Handelsverkehr Etruriens den Kuenstlern darboten. Von der +Schwunghaftigkeit, womit die Tonbildnerei betrieben wurde, zeugen die +ungeheuren Massen von Reliefplatten und statuarischen Arbeiten aus gebranntem +Ton, womit Waende, Giebel und Daecher der etruskischen Tempel nach Ausweis der +noch vorhandenen Ruinen einst verziert waren, und der nachweisliche Vertrieb +derartiger Arbeiten aus Etrurien nach Latium. Der Kupferguss stand nicht +dahinter zurueck. Etruskische Kuenstler wagten sich an die Verfertigung von +kolossalen, bis zu fuenfzig Fuss hohen Bronzebildsaeulen, und in Volsinii, dem +etruskischen Delphi, sollen um das Jahr 489 (265) zweitausend Bronzestatuen +gestanden haben, wogegen die Steinbildnerei in Etrurien, wie wohl ueberall, +weit spaeter begann und ausser inneren Ursachen auch durch den Mangel eines +geeigneten Materials zurueckgehalten ward - die lunensischen (carrarischen) +Marmorbrueche waren noch nicht eroeffnet. Wer den reichen und zierlichen +Goldschmuck der suedetruskischen Graeber gesehen hat, der wird die Nachricht +nicht unglaublich finden, dass die tyrrhenischen Goldschalen selbst in Attika +geschaetzt wurden. Auch die Steinschneidekunst ward, obwohl sie juenger ist, +doch auch in Etrurien vielfaeltig geuebt. Ebenso abhaengig von den Griechen, +uebrigens den bildenden Kuenstlern vollkommen ebenbuertig, waren die sowohl in +der Umrisszeichnung auf Metall wie in der monochromatischen Wandmalerei +ungemein taetigen etruskischen Zeichner und Maler. +</p> + +<p> +Vergleichen wir hiermit das Gebiet der eigentlichen Italiker, so erscheint es +zunaechst gegen die etruskische Fuelle fast kunstarm. Allein bei genauerer +Betrachtung kann man der Wahrnehmung sich nicht entziehen, dass sowohl die +sabellische wie die latinische Nation weit mehr als die etruskische Faehigkeit +und Geschick fuer die Kunst gehabt haben muessen. Zwar auf eigentlich +sabellischem Gebiet, in der Sabina, in den Abruzzen, in Samnium, finden sich +Kunstwerke so gut wie gar nicht und mangeln sogar die Muenzen. Diejenigen +sabellischen Staemme dagegen, welche an die Kuesten der Tyrrhenischen oder +Ionischen See gelangten, haben die hellenische Kunst sich nicht bloss wie die +Etrusker aeusserlich angeeignet, sondern sie mehr oder minder vollstaendig bei +sich akklimatisiert. Schon in Velitrae, wo wohl allein in der einstmaligen +Landschaft der Volsker deren Sprache und Eigentuemlichkeit spaeterhin sich +behauptet haben, haben sich bemalte Terrakotten gefunden von lebendiger und +eigentuemlicher Behandlung. In Unteritalien ist Lucanien zwar in geringem Grade +von der hellenischen Kunst ergriffen worden; aber in Kampanien wie im +brettischen Lande haben sich Sabeller und Hellenen wie in Sprache und +Nationalitaet so auch und vor allem in der Kunst vollstaendig durchdrungen und +es stehen namentlich die kampanischen und brettischen Muenzen mit den +gleichzeitigen griechischen so vollstaendig auf einer Linie der +Kunstbehandlung, dass nur die Aufschrift sie von ihnen unterscheidet. Weniger +bekannt, aber nicht weniger sicher ist es, dass auch Latium wohl an +Kunstreichtum und Kunstmasse, aber nicht an Kunstsinn und Kunstuebung hinter +Etrurien zurueckstand. Offenbar hat die um den Anfang des 5. Jahrhunderts +erfolgte Festsetzung der Roemer in Kampanien, die Verwandlung der Stadt Cales +in eine latinische Gemeinde, der falernischen Landschaft bei Capua in einen +roemischen Buergerbezirk, zunaechst die kampanische Kunstuebung den Roemern +aufgeschlossen. Zwar mangelt bei diesen nicht bloss die in dem ueppigen +Etrurien fleissig gepflegte Steinschneidekunst voellig und begegnet nirgends +eine Spur, dass die latinischen Gewerke gleich den etruskischen Goldschmieden +und Tonarbeitern fuer das Ausland taetig gewesen sind. Zwar sind die +latinischen Tempel nicht gleich den etruskischen mit Bronze- und Tonzierat +ueberladen, die latinischen Graeber nicht gleich den etruskischen mit +Goldschmuck angefuellt worden und schillerten die Waende jener nicht wie die +der etruskischen von bunten Gemaelden. Aber nichtsdestoweniger stellt sich im +ganzen die Waage nicht zum Vorteil der etruskischen Nation. Die Erfindung des +Janusbildes, welche wie die Gottheit selbst den Latinern beigelegt werden darf, +ist nicht ungeschickt, und originellerer Art als die irgendeines etruskischen +Kunstwerks. Die schoene Gruppe der Woelfin mit den Zwillingen lehnt wohl an +aehnliche griechische Erfindungen sich an, ist aber in dieser Ausfuehrung +sicher wenn nicht in Rom, so doch von Roemern erfunden; und es ist +bemerkenswert, dass sie zuerst auf den von den Roemern in und fuer Kampanien +gepraegten Silbermuenzen auftritt. In dem oben erwaehnten Cales scheint bald +nach seiner Gruendung eine besondere Gattung figurierten Tongeschirrs erfunden +worden zu sein, das mit dem Namen der Meister und des Verfertigungsorts +bezeichnet und in weitem Umfang bis nach Etrurien hinein vertrieben worden ist. +Die vor kurzem auf dem Esquilin zum Vorschein gekommenen figurierten Altaerchen +von gebranntem Ton entsprechen in der Darstellung wie in der Ornamentik genau +den gleichartigen Weihgeschenken der kampanischen Tempel. Indes schliesst dies +nicht aus, dass auch griechische Meister fuer Rom gearbeitet haben. Der Bildner +Damophilos, der mit Gorgasos die bemalten Tonfiguren fuer den uralten +Cerestempel verfertigt hat, scheint kein anderer gewesen zu sein als der Lehrer +des Zeuxis, Demophilos von Himera (um 300 450). Am belehrendsten sind +diejenigen Kunstzweige, in denen uns teils nach alten Zeugnissen, teils nach +eigener Anschauung eine vergleichendes Urteil gestattet ist. Von latinischen +Arbeiten in Stein ist kaum etwas anderes uebrig als der am Ende dieser Periode +in dorischem Stil gearbeitete Steinsarg des roemischen Konsuls Lucius Scipio; +aber die edle Einfachheit desselben beschaemt alle aehnlichen etruskischen +Werke. Aus den etruskischen Graebern sind manche schoene Bronzen alten strengen +Kunststils, namentlich Helme, Leuchter und dergleichen Geraetstuecke erhoben +worden; aber welches dieser Werke reicht an die im Jahre 458 (296) am +ruminalischen Feigenbaum auf dem roemischen Markte aus Strafgeldern +aufgestellte bronzene Woelfin, noch heute den schoensten Schmuck des Kapitols? +Und dass auch die latinischen Metallgiesser so wenig wie die etruskischen vor +grossen Aufgaben zurueckschraken, beweist das von Spurius Carvilis (Konsul 461 +293) aus den eingeschmolzenen samnitischen Ruestungen errichtete kolossale +Erzbild des Jupiter auf dem Kapitol, aus dessen Abfall beim Ziselieren die zu +den Fuessen des Kolosses stehende Statue des Siegers hatte gegossen werden +koennen; man sah dieses Jupiterbild bis vom Albanischen Berge. Unter den +gegossenen Kupfermuenzen gehoeren bei weitem die schoensten dem suedlichen +Latium an; die roemischen und umbrischen sind leidlich, die etruskischen fast +bildlos und oft wahrhaft barbarisch. Die Wandmalereien, die Gaius Fabius in dem +452 302 dedizierten Tempel der Wohlfahrt auf dem Kapitol ausfuehrte, erwarben +in Zeichnung und Faerbung noch das Lob griechisch gebildeter Kunstrichter der +augusteischen Epoche; und es werden von den Kunstenthusiasten der Kaiserzeit +wohl auch die caeritischen, aber mit noch groesserem Nachdruck die roemischen, +lanuvinischen und ardeatischen Fresken als Meisterwerke der Malerei gepriesen. +Die Zeichnung auf Metall, welche in Latium nicht wie in Etrurien die +Handspiegel, sondern die Toilettenkaestchen mit ihren zierlichen Umrissen +schmueckte, ward in Latium in weit geringerem Umfang und fast nur in Praeneste +geuebt; es finden sich vorzuegliche Kunstwerke unter den etruskischen +Metallspiegeln wie unter den praenestinischen Kaestchen, aber es war ein Werk +der letzteren Gattung, und zwar ein hoechst wahrscheinlich in dieser Epoche in +der Werkstatt eines praenestinischen Meisters entstandenes Werk ^13, von dem +mit Recht gesagt werden konnte, dass kaum ein zweites Erzeugnis der Graphik des +Altertums so wie die ficoronische Cista den Stempel einer in Schoenheit und +Charakteristik vollendeten und noch vollkommen reinen und ernsten Kunst an sich +traegt. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +^13 Novius Plautius goss vielleicht nur die Fuesse und die Deckelgruppe; das +Kaestchen selbst kann von einem aelteren Kuenstler herruehren, aber, da der +Gebrauch dieser Kaestchen sich wesentlich auf Praeneste beschraenkt hat, kaum +von einem anderen als einem praenestinischen. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +Der allgemeine Stempel der etruskischen Kunstwerke ist teils eine gewisse +barbarische Ueberschwenglichkeit im Stoff wie im Stil, teils der voellige +Mangel innerer Entwicklung. Wo der griechische Meister fluechtig skizziert, +verschwendet der etruskische Schueler schuelerhaft den Fleiss; an die Stelle +des leichten Materials und der maessigen Verhaeltnisse griechischer Werke tritt +bei den etruskischen ein renommistisches Hervorheben der Groesse und +Kostbarkeit oder auch bloss der Seltsamkeit des Werkes. Die etruskische Kunst +kann nicht nachbilden, ohne zu uebertreiben: das Strenge wird ihr hart, das +Anmutige weichlich, das Schreckliche zum Scheusal, die Ueppigkeit zur Zote, und +immer deutlicher tritt dies hervor, je mehr die urspruengliche Anregung +zuruecktritt und die etruskische Kunst sich auf sich selber angewiesen findet. +Noch auffallender ist das Festhalten an den hergebrachten Formen und dem +hergebrachten Stil. Sei es, dass die anfaengliche freundlichere Beruehrung mit +Etrurien hier den Hellenen den Samen der Kunst auszustreuen gestattete, eine +spaetere Epoche der Feindseligkeit aber den juengeren Entwicklungsstadien der +griechischen Kunst den Eingang in Etrurien erschwerte, sei es, was +wahrscheinlicher ist, dass die rasch eintretende geistige Erstarrung der Nation +die Hauptsache dabei tat: die Kunst blieb in Etrurien auf der primitiven Stufe, +auf welcher sie bei ihrem ersten Eindringen daselbst sich befunden hatte, +wesentlich stehen - bekanntlich ist dies die Ursache gewesen; weshalb die +etruskische Kunst, die unentwickelt gebliebene Tochter der hellenischen, +solange als deren Mutter gegolten hat. Mehr noch als das strenge Festhalten des +einmal ueberlieferten Stils in den aelteren Kunstzweigen beweist die +unverhaeltnismaessig elende Behandlung der spaeter aufgekommenen, namentlich +der Bildhauerei in Stein und des Kupfergusses in der Anwendung auf Muenzen, wie +rasch aus der etruskischen Kunst der Geist entwich. Ebenso belehrend sind die +gemalten Gefaesse, die in den juengeren etruskischen Grabstaetten in so +ungeheurer Anzahl sich finden. Waeren dieselben so frueh wie die mit Umrissen +verzierten Metallplatten oder die bemalten Terrakotten bei den Etruskern +gangbar geworden, so wuerde man ohne Zweifel auch sie in Menge und in +wenigstens relativer Guete dort fabrizieren gelernt haben; aber in der Epoche, +in welcher dieser Luxus emporkam, misslang die selbsttaetige Reproduktion +vollstaendig, wie die vereinzelten mit etruskischen Inschriften versehenen +Gefaesse beweisen, und man begnuegte sich darum, dieselben zu kaufen, statt sie +zu formen. +</p> + +<p> +Aber auch innerhalb Etruriens erscheint ein weiterer bemerkenswerter +Gegensatzinder kuenstlerischen Entwicklung der suedlichen und der noerdlichen +Landschaft. Es ist Suedetrurien, hauptsaechlich die Bezirke von Caere, +Tarquinii, Volci, die die gewaltigen Prunkschaetze besonders von Wandgemaelden, +Tempeldekorationen, Goldschmuck und gemalten Tongefaessen bewahren; das +noerdliche Etrurien steht weit dahinter zurueck, und es hat zum Beispiel sich +kein gemaltes Grab noerdlich von Chiusi gefunden. Die suedlichsten etruskischen +Staedte Veii, Caere, Tarquinii sind es, die der roemischen Tradition als die +Ur- und Hauptsitze der etruskischen Kunst gelten; die noerdlichste Stadt +Volaterrae, mit dem groessten Gebiet unter allen etruskischen Gemeinden, steht +von allen auch der Kunst am fernsten. Wenn in Suedetrurien die griechische +Halbkultur, so ist in Nordetrurien vielmehr die Unkultur zu Hause. Die Ursachen +dieses bemerkenswerten Gegensatzes moegen teils in der verschiedenartigen, in +Suedetrurien wahrscheinlich stark mit nicht etruskischen Elementen gemischten +Nationalitaet, teils in der verschiedenen Maechtigkeit des hellenischen +Einflusses zu suchen sein, welcher letztere namentlich in Caere sich sehr +entschieden geltend gemacht haben muss; die Tatsache selbst ist nicht zu +bezweifeln. Um so mehr musste die fruehe Unterjochung der suedlichen Haelfte +Etruriens durch die Roemer und die sehr zeitig hier beginnende Romanisierung +der etruskischen Kunst verderblich werden; was Nordetrurien, auf sich allein +beschraenkt, kuenstlerisch zu leisten vermochte, zeigen die wesentlich ihm +angehoerenden Kupfermuenzen. +</p> + +<p> +Wenden wir die Blicke von Etrurien nach Latium, so hat freilich auch dies keine +neue Kunst geschaffen; es war einer weit spaeteren Kulturepoche vorbehalten, +aus dem Motiv des Bogens eine neue, von der hellenischen Tektonik verschiedene +Architektur zu entwickeln und sodann mit dieser harmonisch eine neue Bildnerei +und Malerei zu entfalten. Die latinische Kunst ist nirgend originell und oft +gering; aber die frisch empfindende und taktvoll waehlende Aneignung des +fremden Gutes ist auch ein hohes kuenstlerisches Verdienst. Nicht leicht hat +die latinische Kunst barbarisiert und in ihren besten Erzeugnissen steht sie +voellig im Niveau der griechischen Technik. Eine gewisse Abhaengigkeit der +Kunst Latiums wenigstens in ihren frueheren Stadien von der sicher aelteren +etruskischen soll darum nicht geleugnet werden; es mag Varro immerhin mit Recht +angenommen haben, dass bis auf die im Cerestempel von griechischen Kuenstlern +ausgefuehrten nur “tuscanische” Tonbilder die roemischen Tempel +verzierten; aber dass doch vor allem der unmittelbare Einfluss der Griechen die +latinische Kunst bestimmt hat, ist an sich schon klar und liegt auch in eben +diesen Bildwerken sowie in den latinischen und roemischen Muenzen deutlich zu +Tage. Selbst die Anwendung der Metallzeichnung in Etrurien lediglich auf den +Toilettenspiegel, in Latium lediglich auf den Toilettenkasten deutet auf die +Verschiedenartigkeit der beiden Landschaften zuteil gewordenen Kunstanregung. +Es scheint indes nicht gerade Rom gewesen zu sein, wo die latinische Kunst ihre +frischesten Blueten trieb; die roemischen Asse und die roemischen Denare werden +von den latinischen Kupfer- und den seltenen latinischen Silbermuenzen an +Feinheit und Geschmack der Arbeit bei weitem uebertroffen und auch die +Meisterwerke der Malerei und Zeichnung gehoeren vorwiegend Praeneste, Lanuvium, +Ardea an. Auch stimmt dies vollstaendig zu dem frueher bezeichneten +realistischen und nuechternen Sinn der roemischen Republik, welcher in dem +uebrigen Latium sich schwerlich mit gleicher Strenge geltend gemacht haben +kann. Aber im Lauf des fuenften Jahrhunderts und besonders in der zweiten +Haelfte desselben regte es denn doch sich maechtig auch in der roemischen +Kunst. Es war dies die Epoche, in welcher der spaetere Bogen- und Strassenbau +begann, in welcher Kunstwerke wie die Kapitolinische Woelfin entstanden, in +welcher ein angesehener Mann aus einem altadeligen roemischen Geschlechte den +Pinsel ergriff, um einen neugebauten Tempel auszuschmuecken und dafuer den +Ehrenbeinamen des “Malers” empfing. Das ist nicht Zufall. Jede +grosse Zeit erfasst den ganzen Menschen; und wie starr die roemische Sitte, wie +streng die roemische Polizei immer war, der Aufschwung, den die roemische +Buergerschaft als Herrin der Halbinsel oder richtiger gesagt, den das zum +erstenmal staatlich geeinigte Italien nahm, tritt auch in dem Aufschwung der +latinischen und besonders der roemischen Kunst ebenso deutlich hervor wie in +dem Sinken der etruskischen der sittliche und politische Verfall der Nation. +Wie die gewaltige Volkskraft Latiums die schwaecheren Nationen bezwang, so hat +sie auch dem Erz und dem Marmor ihren unvergaenglichen Stempel aufgedrueckt. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<pre> + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 2 by Theodor Mommsen + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE *** + +***** This file should be named 3061-h.htm or 3061-h.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/3/0/6/3061/ + +Updated editions will replace the previous one--the old editions will +be renamed. + +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United +States without permission and without paying copyright +royalties. 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