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+<title>Römische Geschichte Book 2, by Theodor Mommsen</title>
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+<pre>
+The Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 2 by Theodor Mommsen
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
+other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
+whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
+the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
+www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
+to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
+
+Title: Römische Geschichte Book 2
+
+Author: Theodor Mommsen
+
+Release Date: February, 2002 [Etext #3061]
+[Most recently updated: January 15, 2020]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: UTF-8
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***
+
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+
+<h1>Römische Geschichte </h1>
+
+<h4>Zweites Buch<br/>
+Von der Abschaffung des römischen Königtums bis zur Einigung Italiens
+</h4>
+
+<h2>von Theodor Mommsen</h2>
+
+<hr />
+
+<p>
+The following e-text of Mommsen&rsquo;s Roemische Geschichte contains some
+(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a
+modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek
+words, nor is there any differentiation between the different accents of
+ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.
+</p>
+
+<h2>Contents</h2>
+
+<table summary="" style="margin-left: auto; margin-right: auto">
+
+<tr>
+<td> <a href="#part02"><b>Zweites Buch&mdash;Von der Abschaffung des römischen Königtums bis zur Einigung Italiens</b></a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap01">Kapitel I. Änderung der Verfassung. Beschränkung der Magistratsgewalt.</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap02">Kapitel II. Das Volkstribunat und die Dezemvirn</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap03">Kapitel III. Die Ausgleichung der Stände und die neue Aristokratie</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap04">Kapitel IV. Sturz der etruskischen Macht. Die Kelten.</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap05">Kapitel V. Die Unterwerfung der Latiner und Kampaner unter Rom</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap06">Kapitel VI. Die Italiker gegen Rom</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap07">Kapitel VII. König Pyrrhos gegen Rom und die Einigung Italiens</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap08">Kapitel VIII. Recht, Religion, Kriegswesen, Volkswirtschaft, Nationalität</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap09">Kapitel IX. Kunst und Wissenschaft</a></td>
+</tr>
+
+</table>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="part02"></a>Zweites Buch<br/>
+Von der Abschaffung des römischen Königtums bis zur Einigung Italiens
+</h2>
+
+<p>
+&mdash; δεί ουκ εκπλήττειν τόν συγγράφεα τερατευόμενον διά τής ιστορίας τούς
+εντυγχάνοντας.
+</p>
+
+<p>
+&mdash; der Historiker soll seine Leser nicht durch Schauergeschichten in
+Erschuetterung versetzen.
+</p>
+
+<p class="right">
+Polybios
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap01"></a>KAPITEL I.<br/>
+Änderung der Verfassung. Beschränkung der Magistratsgewalt.</h2>
+
+<p>
+Der strenge Begriff der Einheit und Allgewalt der Gemeinde in allen
+Gemeindeangelegenheiten, dieser Schwerpunkt der italischen Verfassungen, legte
+in die Haende des einzigen, auf Lebenszeit ernannten Vorstehers eine furchtbare
+Gewalt, die wohl der Landesfeind empfand, aber nicht minder schwer der Buerger.
+Missbrauch und Druck konnte nicht ausbleiben, und hiervon die notwendige Folge
+waren Bestrebungen, jene Gewalt zu mindern. Aber das ist das Grossartige in
+diesen roemischen Reformversuchen und Revolutionen, dass man nie unternimmt,
+weder die Gemeinde als solche zu beschraenken noch auch nur sie entsprechender
+Organe zu berauben, dass nie die sogenannten natuerlichen Rechte des einzelnen
+gegen die Gemeinde geltend gemacht werden, sondern dass der ganze Sturm sich
+richtet gegen die Form der Gemeindevertretung. Nicht Begrenzung der Staats-,
+sondern Begrenzung der Beamtenmacht ist der Ruf der roemischen
+Fortschrittspartei von den Zeiten der Tarquinier bis auf die der Gracchen; und
+auch dabei vergisst man nie, dass das Volk nicht regieren, sondern regiert
+werden soll.
+</p>
+
+<p>
+Dieser Kampf bewegt sich innerhalb der Buergerschaft. Ihm zur Seite entwickelt
+sich eine andere Bewegung: der Ruf der Nichtbuerger um politische
+Gleichberechtigung. Dahin gehoeren die Agitationen der Plebejer, der Latiner,
+der Italiker, der Freigelassenen, welche alle, mochten sie Buerger genannt
+werden, wie die Plebejer und die Freigelassenen, oder nicht, wie die Latiner
+und die Italiker, politische Gleichheit entbehrten und begehrten.
+</p>
+
+<p>
+Ein dritter Gegensatz ist noch allgemeinerer Art: der der Vermoegenden und der
+Armen, insbesondere der aus dem Besitz gedraengten oder in demselben
+gefaehrdeten Besitzer. Die rechtlichen und politischen Verhaeltnisse Roms
+veranlassten die Entstehung zahlreicher Bauernwirtschaften teils kleiner
+Eigentuemer, die von der Gnade des Kapital-, teils kleiner Zeitpaechter, die
+von der Gnade des Grundherrn abhingen, und beraubten vielfach einzelne wie
+ganze Gemeinden des Grundbesitzes, ohne die persoenliche Freiheit anzugreifen.
+Dadurch ward das ackerbauende Proletariat schon so frueh maechtig, dass es
+wesentlich in die Schicksale der Gemeinde eingreifen konnte. Das staedtische
+Proletariat gewann erst in weit spaeterer Zeit politische Bedeutung.
+</p>
+
+<p>
+In diesen Gegensaetzen bewegte sich die innere Geschichte Roms und vermutlich
+nicht minder die uns gaenzlich verlorene der uebrigen italischen Gemeinden. Die
+politische Bewegung innerhalb der vollberechtigten Buergerschaft, der Krieg der
+Ausgeschlossenen und der Ausschliessenden, die sozialen Konflikte der
+Besitzenden und der Besitzlosen, so mannigfaltig sie sich durchkreuzen und
+ineinanderschlingen und oft seltsame Allianzen herbeifuehren, sind dennoch
+wesentlich und von Grund aus verschieden.
+</p>
+
+<p>
+Da die Servianische Reform, welche den Insassen in militaerischer Hinsicht dem
+Buerger gleichstellte, mehr aus administrativen Ruecksichten als aus einer
+politischen Parteitendenz hervorgegangen zu sein scheint, so darf als der erste
+dieser Gegensaetze, der zu inneren Krisen und Verfassungsaenderungen fuehrte,
+derjenige betrachtet werden, der auf die Beschraenkung der Magistratur
+hinarbeitet. Der frueheste Erfolg dieser aeltesten roemischen Opposition
+besteht in der Abschaffung der Lebenslaenglichkeit der Gemeindevorsteherschaft,
+das heisst in der Abschaffung des Koenigtums. Wie notwendig diese in der
+natuerlichen Entwicklung der Dinge lag, dafuer ist der schlagendste Beweis,
+dass dieselbe Verfassungsaenderung in dem ganzen Kreise der
+italisch-griechischen Welt in analoger Weise vor sich gegangen ist. Nicht bloss
+in Rom, sondern gerade ebenso bei den uebrigen Latinern sowie bei den
+Sabellern, Etruskern und Apulern, ueberhaupt in saemtlichen italischen
+Gemeinden finden wir, wie in den griechischen, in spaeterer Zeit die alten
+lebenslaenglichen durch Jahresherrscher ersetzt. Fuer den lucanischen Gau ist
+es bezeugt, dass er im Frieden sich demokratisch regierte und nur fuer den
+Krieg die Magistrate einen Koenig, das heisst einen dem roemischen Diktator
+aehnlichen Beamten bestellten; die sabellischen Stadtgemeinden, zum Beispiel
+die von Capua und Pompeii, gehorchten gleichfalls spaeterhin einem jaehrlich
+wechselnden &ldquo;Gemeindebesorger&rdquo; (medix tuticus), und aehnliche
+Institutionen moegen wir auch bei den uebrigen Volks- und Stadtgemeinden
+Italiens voraussetzen. Es bedarf hiernach keiner Erklaerung, aus welchen
+Gruenden in Rom die Konsuln an die Stelle der Koenige getreten sind; der
+Organismus der alten griechischen und italischen Politie entwickelt vielmehr
+die Beschraenkung der lebenslaenglichen Gemeindevorstandschaft auf eine
+kuerzere, meistenteils jaehrige Frist mit einer gewissen Naturnotwendigkeit aus
+sich selber. So einfach indes die Ursache dieser Veraenderung ist, so
+mannigfaltig konnten die Anlaesse sein; man mochte nach dem Tode des
+lebenslaenglichen Herrn beschliessen keinen solchen wieder zu erwaehlen, wie
+nach Romulus&rsquo; Tode der roemische Senat versucht haben soll; oder der Herr
+mochte freiwillig abdanken, was angeblich Koenig Servius Tullius beabsichtigt
+hat; oder das Volk mochte gegen einen tyrannischen Regenten aufstehen und ihn
+vertreiben, wie dies das Ende des roemischen Koenigtums war. Denn mag die
+Geschichte der Vertreibung des letzten Tarquinius, &ldquo;des
+Uebermuetigen&rdquo;, auch noch so sehr in Anekdoten ein- und zur Novelle
+ausgesponnen sein, so ist doch an den Grundzuegen nicht zu zweifeln. Dass der
+Koenig es unterliess den Senat zu befragen und zu ergaenzen, dass er
+Todesurteile und Konfiskationen ohne Zuziehung von Ratmaennern aussprach, dass
+er in seinen Speichern ungeheure Kornvorraete aufhaeufte und den Buergern
+Kriegsarbeit und Handdienste ueber die Gebuehr ansann, bezeichnet die
+Ueberlieferung in glaublicher Weise als die Ursachen der Empoerung; von der
+Erbitterung des Volkes zeugt das foermliche Geloebnis, das dasselbe Mann fuer
+Mann fuer sich und seine Nachkommen ablegte, fortan keinen Koenig mehr zu
+dulden, und der blinde Hass, der seitdem an den Namen des Koenigs sich
+anknuepfte, vor allem aber die Verfuegung, dass der &ldquo;Opferkoenig&rdquo;,
+den man kreieren zu muessen glaubte, damit nicht die Goetter den gewohnten
+Vermittler vermissten, kein weiteres Amt solle bekleiden koennen und also
+dieser zwar der erste, aber auch der ohnmaechtigste Mann im roemischen
+Gemeindewesen ward. Mit dem letzten Koenig wurde sein ganzes Geschlecht
+verbannt - ein Beweis, welche Geschlossenheit damals noch die gentilizischen
+Verbindungen hatten. Die Tarquinier siedelten darauf ueber nach Caere,
+vielleicht ihrer alten Heimat, wo ihr Geschlechtsgrab kuerzlich aufgedeckt
+worden ist. An die Stelle aber des einen lebenslaenglichen traten zwei jaehrige
+Herrscher an die Spitze der roemischen Gemeinde.
+</p>
+
+<p>
+Dies ist alles, was historisch ueber dies wichtige Ereignis als sicher
+angesehen werden kann ^1. Dass in einer grossen weitherrschenden Gemeinde, wie
+die roemische war, die koenigliche Gewalt, namentlich wenn sie durch mehrere
+Generationen bei demselben Geschlechte gewesen, widerstandsfaehiger und der
+Kampf also lebhafter war als in den kleineren Staaten, ist begreiflich; aber
+auf eine Einmischung auswaertiger Staaten in denselben deutet keine sichere
+Spur. Der grosse Krieg mit Etrurien, der uebrigens wohl nur durch
+chronologische Verwirrung in den roemischen Jahrbuechern so nahe an die
+Vertreibung der Tarquinier gerueckt ist, kann nicht als eine Intervention
+Etruriens zu Gunsten eines in Rom beeintraechtigten Landsmannes angesehen
+werden, aus dem sehr zureichenden Grunde, dass die Etrusker trotz des
+vollstaendigen Sieges doch weder das roemische Koenigtum wiederhergestellt noch
+auch nur die Tarquinier zurueckgefuehrt haben.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Die bekannte Fabel richtet groesstenteils sich selbst; zum guten Teil ist
+sie aus Beinamenerklaerung (Brutus, Poplicola, Scaevola) herausgesponnen. Aber
+sogar die scheinbar geschichtlichen Bestandteile derselben zeigen bei genauerer
+Erwaegung sich als erfunden. Dahin gehoert, dass Brutus Reiterhauptmann
+(tribunus celerum) gewesen und als solcher den Volksschluss ueber die
+Vertreibung der Tarquinier beantragt haben soll; denn es ist nach der
+roemischen Verfassung ganz unmoeglich, dass ein blosser Offizier das Recht
+gehabt habe, die Kurien zu berufen. Offenbar ist diese ganze Angabe zum Zweck
+der Herstellung eines Rechtsbodens fuer die roemische Republik ersonnen, und
+recht schlecht ersonnen, indem dabei der tribunus celerum mit dem ganz
+verschiedenen magister equitum verwechselt und dann das dem letzteren kraft
+seines praetorischen Ranges zustehende Recht, die Zenturien zu berufen, auf die
+Kurienversammlung bezogen ward.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Sind wir ueber den historischen Zusammenhang dieses wichtigen Ereignisses im
+Dunkeln, so liegt dagegen zum Glueck klar vor, worin die Verfassungsaenderung
+bestand. Die Koenigsgewalt ward keineswegs abgeschafft, wie schon das beweist,
+dass in der Vakanz nach wie vor der &ldquo;Zwischenkoenig&rdquo; eintrat; es
+traten nur an die Stelle des einen lebenslaenglichen zwei Jahreskoenige, die
+sich Feldherren (praetores) oder Richter (iudices) oder auch bloss Kollegen
+(consules) ^2 nannten. Es sind die Prinzipien der Kollegialitaet und der
+Annuitaet, die die Republik und das Koenigtum unterscheiden und die hier zuerst
+uns entgegentreten.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————
+</p>
+
+<p>
+^2 Consules sind die zusammen Springenden oder Tanzenden, wie praesul der
+Vorspringen exul der Ausspringer (ο εκπεσών), insula der Einsprung, zunaechst
+der ins Meer gefallene Felsblock.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————
+</p>
+
+<p>
+Dasjenige der Kollegialitaet, dem der dritte spaeterhin gangbarste Name der
+Jahreskoenige entlehnt war, erscheint hier in einer ganz eigentuemlichen
+Gestalt. Nicht den beiden Beamten zusammen ward die hoechste Macht uebertragen,
+sondern es hatte und uebte sie jeder Konsul fuer sich so voll und ganz, wie der
+Koenig sie gehabt und geuebt hatte. Es geht dies so weit, dass von den beiden
+Kollegen nicht etwa der eine die Rechtspflege, der andere den Heerbefehl
+uebernahm, sondern sie ebenso gleichzeitig in der Stadt Recht sprachen wie
+zusammen zum Heere abgingen; im Falle der Kollision entschied ein nach Monaten
+oder Tagen bemessener Turnus. Allerdings konnte daneben, wenigstens im
+militaerischen Oberbefehl, eine gewisse Kompetenzteilung wohl von Anfang an
+stattfinden, beispielsweise der eine Konsul gegen die Aequer, der andere gegen
+die Volsker ausruecken; aber sie hatte in keiner Weise bindende Kraft und jedem
+der Kollegen stand es rechtlich frei, in den Amtskreis des andern zu jeder Zeit
+ueberzugreifen. Wo also die hoechste Gewalt der hoechsten Gewalt entgegentrat
+und der eine Kollege das verbot, was der andere befahl, hoben die
+konsularischen Machtworte einander auf. Diese eigentuemlich wenn nicht
+roemische, so doch latinische Institution konkurrierender hoechster Gewalt, die
+im roemischen Gemeinwesen sich im ganzen genommen praktisch bewaehrt hat, zu
+der es aber schwer sein wird, in einem andern groesseren Staat eine Parallele
+zu finden, ist offenbar hervorgegangen aus dem Bestreben, die koenigliche Macht
+in rechtlich ungeschmaelerter Fuelle festzuhalten und darum das Koenigsamt
+nicht etwa zu teilen oder von einem Individuum auf ein Kollegium zu
+uebertragen, sondern lediglich es zu verdoppeln und damit, wo es noetig war, es
+durch sich selber zu vernichten.
+</p>
+
+<p>
+Fuer die Befristung gab das aeltere fuenftaegige Zwischenkoenigtum einen
+rechtlichen Anhalt. Die ordentlichen Gemeindevorsteher wurden verpflichtet,
+nicht laenger als ein Jahr, von dem Tage ihres Amtsantritts an gerechnet ^3, im
+Amte zu bleiben und hoerten, wie der Interrex mit Ablauf der fuenf Tage, so mit
+Ablauf des Jahres vor. Rechts wegen auf, Beamte zu sein. Durch diese Befristung
+des hoechsten Amtes ging die tatsaechliche Unverantwortlichkeit des Koenigs
+fuer den Konsul verloren. Zwar hatte auch der Koenig von jeher in dem
+roemischen Gemeinwesen unter, nicht ueber dem Gesetz gestanden; allein da nach
+roemischer Auffassung der hoechste Richter nicht bei sich selbst belangt werden
+durfte, hatte er wohl ein Verbrechen begehen koennen, aber ein Gericht und eine
+Strafe gab es fuer ihn nicht. Den Konsul dagegen schuetzte, wenn er Mord oder
+Landesverrat beging, sein Amt auch, aber nur, solange es waehrte; nach seinem
+Ruecktritt unterlag er dem gewoehnlichen Strafgericht wie jeder andere Buerger.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^3 Der Antrittstag fiel mit dem Jahresanfang (1. Maerz) nicht zusammen und war
+ueberhaupt nicht fest. Nach diesem richtete sich der Ruecktrittstag,
+ausgenommen, wenn ein Konsul ausdruecklich anstatt eines ausgefallenen gewaehlt
+war (consul suffectus), wo er in die Rechte und also auch in die Frist des
+Ausgefallenen eintrat. Doch sind diese Ersatzkonsuln in aelterer Zeit nur
+vorgekommen, wenn bloss der eine der Konsuln weggefallen war; Kollegien von
+Ersatzkonsuln begegnen erst in der spaeteren Republik. Regelmaessig bestand
+also das Amtsjahr eines Konsuls aus den ungleichen Haelften zweier
+buergerlicher Jahre.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Zu diesen hauptsaechlichen und prinzipiellen Aenderungen kamen andere
+untergeordnete und mehr aeusserliche, aber doch auch teilweise tief
+eingreifende Beschraenkungen hinzu. Das Recht des Koenigs, seine Aecker durch
+Buergerfronden zu bestellen, und das besondere Schutzverhaeltnis, in welchem
+die Insassenschaft zu dem Koenig gestanden haben muss, fielen mit der
+Lebenslaenglichkeit des Amtes von selber.
+</p>
+
+<p>
+Hatte ferner im Kriminalprozess sowie bei Bussen und Leibesstrafen bisher dem
+Koenig nicht bloss Untersuchung und Entscheidung der Sache zugestanden, sondern
+auch die Entscheidung darueber, ob der Verurteilte den Gnadenweg betreten
+duerfe oder nicht, so bestimmte jetzt das Valerische Gesetz (Jahr 245 Roms
+500), dass der Konsul der Provokation des Verurteilten stattgeben muesse, wenn
+auf Todes- oder Leibesstrafe nicht nach Kriegsrecht erkannt war; was durch ein
+spaeteres Gesetz (unbestimmter Zeit, aber vor dem Jahre 303 451 erlassen) auf
+schwere Vermoegensbussen ausgedehnt ward. Zum Zeichen dessen legten die
+konsularischen Liktoren, wo der Konsul als Richter, nicht als Feldherr auftrat,
+die Beile ab, die sie bisher kraft des ihrem Herrn zustehenden Blutbannes
+gefuehrt hatten. Indes drohte dem Beamten, der der Provokation nicht ihren Lauf
+liess, das Gesetz nichts anderes als die Infamie, die nach damaligen
+Verhaeltnissen im wesentlichen nichts war als ein sittlicher Makel und
+hoechstens zur Folge hatte, dass das Zeugnis des Ehrlosen nicht mehr galt. Auch
+hier liegt dieselbe Anschauung zu Grunde, dass es rechtlich unmoeglich ist, die
+alte Koenigsgewalt zu schmaelern und die infolge der Revolution dem Inhaber der
+hoechsten Gemeindegewalt gesetzten Schranken streng genommen nur einen
+tatsaechlichen und sittlichen Wert haben. Wenn also der Konsul innerhalb der
+alten koeniglichen Kompetenz handelt, so kann er damit wohl ein Unrecht, aber
+kein Verbrechen begehen und unterliegt also deswegen dem Strafrichter nicht.
+</p>
+
+<p>
+Eine in der Tendenz aehnliche Beschraenkung fand statt in der
+Zivilgerichtsbarkeit; denn wahrscheinlich wurde den Konsuln gleich mit ihrem
+Eintritt das Recht genommen, einen Rechtshandel unter Privaten nach ihrem
+Ermessen zu entscheiden.
+</p>
+
+<p>
+Die Umgestaltung des Kriminal- wie des Zivilprozesses stand in Verbindung mit
+einer allgemeinen Anordnung hinsichtlich der Uebertragung der Amtsgewalt auf
+Stellvertreter oder Nachfolger. Hatte dem Koenig die Ernennung von
+Stellvertretern unbeschraenkt frei, aber nie fuer ihn ein Zwang dazu bestanden,
+so haben die Konsuln das Recht der Gewaltuebertragung in wesentlich anderer
+Weise geuebt. Zwar die Regel, dass wenn der hoechste Beamte die Stadt verliess,
+er fuer die Rechtspflege daselbst einen Vogt zu bestellen habe, blieb auch fuer
+die Konsuln in Kraft, und nicht einmal die Kollegialitaet ward auf die
+Stellvertretung erstreckt, vielmehr diese Bestellung demjenigen Konsul
+auferlegt, welcher zuletzt die Stadt verliess. Aber das Mandierungsrecht fuer
+die Zeit, wo die Konsuln in der Stadt verweilten, wurde wahrscheinlich gleich
+bei der Einfuehrung dieses Amtes dadurch beschraenkt, dass dem Konsul das
+Mandieren fuer bestimmte Faelle vorgeschrieben, fuer alle Faelle dagegen, wo
+dies nicht geschehen war, untersagt ward. Nach diesem Grundsatz ward, wie
+gesagt, das gesamte Gerichtswesen geordnet. Der Konsul konnte allerdings die
+Kriminalgerichtsbarkeit auch im Kapitalprozess in der Weise ausueben, dass er
+seinen Spruch der Gemeinde vorlegte und diese ihn dann bestaetigte oder
+verwarf; aber er hat dies Recht, soviel wir sehen, nie geuebt, vielleicht bald
+nicht mehr ueben duerfen und vielleicht nur da ein Kriminalurteil gefaellt, wo
+aus irgendeinem Grunde die Berufung an die Gemeinde ausgeschlossen war. Man
+vermied den unmittelbaren Konflikt zwischen dem hoechsten Gemeindebeamten und
+der Gemeinde selbst und ordnete den Kriminalprozess vielmehr in der Weise, dass
+das hoechste Gemeindeamt nur der Idee nach kompetent blieb, aber immer handelte
+durch notwendige, wenn auch von ihm bestellte Vertreter. Es sind dies die
+beiden nicht staendigen Urteilsprecher fuer Empoerung und Hochverrat (duoviri
+perduellionis) und die zwei staendigen Mordspuerer, die quaestores parricidii.
+Aehnliches mag vielleicht in der Koenigszeit da vorgekommen sein, wo der Koenig
+sich in solchen Prozessen vertreten liess; aber die Staendigkeit der letzteren
+Institution und das in beiden durchgefuehrte Kollegialitaetsprinzip gehoeren
+auf jeden Fall der Republik an. Die letztere Einrichtung ist auch insofern von
+grosser Wichtigkeit geworden, als damit zum erstenmal neben die zwei staendigen
+Oberbeamten zwei Gehilfen traten, die jeder Oberbeamte bei seinem Amtsantritt
+ernannte und die folgerecht auch bei seinem Ruecktritt mit ihm abtraten, deren
+Stellung also wie das Oberamt selbst nach den Prinzipien der Staendigkeit, der
+Kollegialitaet und der Annuitaet geordnet war. Es ist das zwar noch nicht die
+niedere Magistratur selbst, wenigstens nicht in dem Sinne, den die Republik mit
+der magistratischen Stellung verbindet, insofern die Kommissarien nicht aus der
+Wahl der Gemeinde hervorgehen; wohl aber ist dies der Ausgangspunkt der spaeter
+so mannigfaltig entwickelten Institution der Unterbeamten geworden.
+</p>
+
+<p>
+In aehnlichem Sinne wurde die Entscheidung im Zivilprozess dem Oberamt
+entzogen, indem das Recht des Koenigs, einen einzelnen Prozess zur Entscheidung
+einem Stellvertreter zu uebertragen, umgewandelt ward in die Pflicht des
+Konsuls, nach Feststellung der Parteilegitimation und des Gegenstandes der
+Klage dieselbe zur Erledigung an einen von ihm auszuwaehlenden und von ihm zu
+instruierenden Privatmann zu verweisen.
+</p>
+
+<p>
+In gleicher Weise wurde den Konsuln die wichtige Verwaltung des Staatsschatzes
+und des Staatsarchivs zwar gelassen, aber doch wahrscheinlich sofort,
+mindestens sehr frueh, ihnen dabei staendige Gehilfen und zwar eben jene
+Quaestoren zugeordnet, welche ihnen freilich in dieser Taetigkeit unbedingt zu
+gehorchen hatten, ohne deren Vorwissen und Mitwirkung aber doch die Konsuln
+nicht handeln konnten. Wo dagegen solche Vorschriften nicht bestanden, musste
+der Gemeindevorstand in der Hauptstadt persoenlich eingreifen; wie denn zum
+Beispiel bei der Einleitung des Prozesses er sich unter keinen Umstaenden
+vertreten lassen kann.
+</p>
+
+<p>
+Diese zwiefache Fesselung des konsularischen Mandierungsrechts bestand fuer das
+staedtische Regiment, zunaechst fuer die Rechtspflege und die Kassenverwaltung.
+Als Oberfeldherr behielt der Konsul dagegen das Uebertragungsrecht aller oder
+einzelner ihm obliegender Geschaefte. Diese verschiedene Behandlung der
+buergerlichen und der militaerischen Gewaltuebertragung ist die Ursache
+geworden, weshalb innerhalb des eigentlichen roemischen Gemeinderegiments
+durchaus keine stellvertretende Amtsgewalt (pro magistratu) moeglich ist und
+rein staedtische Beamte nie durch Nichtbeamte ersetzt, die militaerischen
+Stellvertreter aber (pro consule, pro praetore, pro quaestore) von aller
+Taetigkeit innerhalb der eigentlichen Gemeinde ausgeschlossen werden.
+</p>
+
+<p>
+Das Recht, den Nachfolger zu ernennen, hatte der Koenig nicht gehabt, sondern
+nur der Zwischenkoenig. Der Konsul wurde in dieser Hinsicht dem letzten
+gleichgestellt; fuer den Fall jedoch, dass er es nicht ausgeuebt hatte, trat
+nach wie vor der Zwischenkoenig ein, und die notwendige Kontinuitaet des Amtes
+bestand auch in dem republikanischen Regiment ungeschmaelert fort. Indes wurde
+das Ernennungsrecht wesentlich eingeschraenkt zu Gunsten der Buergerschaft,
+indem der Konsul verpflichtet ward, fuer die von ihm bezeichneten Nachfolger
+die Zustimmung der Gemeinde zu erwirken, weiterhin nur diejenigen zu ernennen,
+die die Gemeinde ihm bezeichnete. Durch dieses bindende Vorschlagsrecht ging
+wohl in gewissem Sinne die Ernennung der ordentlichen hoechsten Beamten
+materiell auf die Gemeinde ueber; doch bestand auch praktisch noch ein sehr
+bedeutender Unterschied zwischen jenem Vorschlags- und dem foermlichen
+Ernennungsrecht. Der wahlleitende Konsul war durchaus nicht blosser
+Wahlvorstand, sondern konnte immer noch, kraft seines alten koeniglichen
+Rechts, zum Beispiel einzelne Kandidaten zurueckweisen und die auf sie
+fallenden Stimmen unbeachtet lassen, anfangs auch noch die Wahl auf eine von
+ihm entworfene Kandidatenliste beschraenken; und was noch wichtiger war, wenn
+das Konsulkollegium durch den gleich zu erwaehnenden Diktator zu ergaenzen war,
+wurde bei dieser Ergaenzung die Gemeinde nicht befragt, sondern der Konsul
+bestellte in dem Fall mit derselben Freiheit den Kollegen, wie einst der
+Zwischenkoenig den Koenig bestellt hatte.
+</p>
+
+<p>
+Die Priesterernennung, die den Koenigen zugestanden hatte, ging nicht ueber auf
+die Konsuln, sondern es trat dafuer bei den Maennerkollegien die
+Selbstergaenzung, bei den Vestalinnen und den Einzelpriestern die Ernennung
+durch das Pontifikalkollegium ein, an welches auch die Ausuebung der gleichsam
+hausherrlichen Gerichtsbarkeit der Gemeinde ueber die Priesterinnen der Vesta
+kam. Um diese fueglich nicht anders als von einem einzelnen vorzunehmenden
+Handlungen vollziehen zu koennen, setzte das Kollegium sich, vermutlich erst um
+diese Zeit, einen Vorstand, den Pontifex maximus. Diese Abtrennung der sakralen
+Obergewalt von der buergerlichen, waehrend auf den schon erwaehnten
+&ldquo;Opferkoenig&rdquo; weder die buergerliche noch die sakrale Macht des
+Koenigtums, sondern lediglich der Titel ueberging, sowie die aus dem sonstigen
+Charakter des roemischen Priestertums entschieden heraustretende, halb
+magistratische Stellung des neuen Oberpriesters ist eine der bezeichnendsten
+und folgenreichsten Eigentuemlichkeiten dieser auf Beschraenkung der
+Beamtengewalt hauptsaechlich im aristokratischen Interesse hinzielenden
+Staatsumwaelzung.
+</p>
+
+<p>
+Dass auch im aeusseren Auftreten der Konsul weit zurueckstand hinter dem mit
+Ehrfurcht und Schrecken umgebenen koeniglichen Amte, dass der Koenigsname und
+die priesterliche Weihe ihm entzogen, seinen Dienern das Beil genommen wurde,
+ist schon gesagt worden; es kommt hinzu, dass der Konsul statt des koeniglichen
+Purpurkleides nur durch den Purpursaum seines Obergewandes von dem
+gewoehnlichen Buerger sich unterschied, und dass, waehrend der Koenig
+oeffentlich vielleicht regelmaessig im Wagen erschien, der Konsul der
+allgemeinen Ordnung sich zu fuegen und gleich jedem anderen Buerger innerhalb
+der Stadt zu Fuss zu gehen gehalten war.
+</p>
+
+<p>
+Indes, diese Beschraenkungen der Amtsgewalt kamen im wesentlichen nur zur
+Anwendung gegen den ordentlichen Gemeindevorstand. Ausserordentlicher Weise
+trat neben und in gewissem Sinn anstatt der beiden von der Gemeinde gewaehlten
+Vorsteher ein einziger ein, der Heermeister (magister populi), gewoehnlich
+bezeichnet als der dictator. Auf die Wahl zum Diktator uebte die Gemeinde
+keinerlei Einfluss, sondern sie ging lediglich aus dem freien Entschluss eines
+der zeitigen Konsuln hervor, den weder der Kollege noch eine andere Behoerde
+hieran hindern konnte; gegen ihn galt die Provokation nur wie gegen den Koenig,
+wenn er freiwillig ihr wich; sowie er ernannt war, waren alle uebrigen Beamten
+von Rechts wegen ihm untertan. Dagegen war der Zeit nach die Amtsdauer des
+Diktators zwiefach begrenzt: einmal insofern er als Amtsgenosse derjenigen
+Konsuln, deren einer ihn ernannt hatte, nicht ueber deren gesetzliche Amtszeit
+hinaus im Amte bleiben durfte; sodann war als absolutes Maximum der Amtsdauer
+dem Diktator eine sechsmonatliche Frist gesetzt. Eine der Diktatur
+eigentuemliche Einrichtung war ferner, dass der &ldquo;Heermeister&rdquo;
+gehalten war, sich sofort einen &ldquo;Reitermeister&rdquo; (magister equitum)
+zu ernennen, welcher als abhaengiger Gehilfe neben ihm, etwa wie der Quaestor
+neben dem Konsul, fungierte und mit ihm vom Amte abtrat - eine Einrichtung, die
+ohne Zweifel damit zusammenhaengt, dass es dem Heermeister, vermutlich als dem
+Fuehrer des Fussvolkes, verfassungsmaessig untersagt war, zu Pferde zu steigen.
+Diesen Bestimmungen zufolge ist die Diktatur wohl aufzufassen als eine mit dem
+Konsulat zugleich entstandene Einrichtung, die den Zweck hatte, insbesondere
+fuer den Kriegsfall die Nachteile der geteilten Gewalt zeitweilig zu beseitigen
+und die koenigliche Gewalt voruebergehend wieder ins Leben zu rufen. Denn im
+Kriege vor allem musste die Gleichberechtigung der Konsuln bedenklich
+erscheinen und nicht bloss bestimmte Zeugnisse, sondern vor allem die aelteste
+Benennung des Beamten selbst und seines Gehilfen wie auch die Begrenzung auf
+die Dauer eines Sommerfeldzugs und der Ausschluss der Provokation sprechen fuer
+die ueberwiegend militaerische Bestimmung der urspruenglichen Diktatur.
+</p>
+
+<p>
+Im ganzen also blieben auch die Konsuln, was die Koenige gewesen waren, oberste
+Verwalter, Richter und Feldherren, und auch in religioeser Hinsicht war es
+nicht der Opferkoenig, der nur, damit der Name vorhanden sei, ernannt ward,
+sondern der Konsul, der fuer die Gemeinde betete und opferte und in ihrem Namen
+den Willen der Goetter mit Hilfe der Sachverstaendigen erforschte. Fuer den
+Notfall hielt man sich ueberdies die Moeglichkeit offen, die volle
+unumschraenkte Koenigsgewalt ohne vorherige Befragung der Gemeinde jeden
+Augenblick wieder ins Leben zu rufen mit Beseitigung der durch die
+Kollegialitaet und durch die besonderen Kompetenzminderungen gezogenen
+Schranken. So wurde die Aufgabe, die koenigliche Autoritaet rechtlich
+festzuhalten und tatsaechlich zu beschraenken, von den namenlosen
+Staatsmaennern, deren Werk diese Revolution war, in echt roemischer Weise
+ebenso scharf wie einfach geloest.
+</p>
+
+<p>
+Die Gemeinde gewann also durch die Aenderung der Verfassung die wichtigsten
+Rechte: das Recht, die Gemeindevorsteher jaehrlich zu bezeichnen und ueber Tod
+und Leben des Buergers in letzter Instanz zu entscheiden. Aber es konnte das
+unmoeglich die bisherige Gemeinde sein, der tatsaechlich zum Adelstande
+gewordene Patriziat. Die Kraft des Volkes war bei der &ldquo;Menge&rdquo;,
+welche namhafte und vermoegende Leute bereits in grosser Zahl in sich schloss.
+Dass diese Menge aus der Gemeindeversammlung ausgeschlossen war, obwohl sie die
+gemeinen Lasten mittrug, mochte ertragen werden, solange die
+Gemeindeversammlung selbst im wesentlichen nicht eingriff in den Gang der
+Staatsmaschine und solange die Koenigsgewalt eben durch ihre hohe und freie
+Stellung den Buergern nicht viel weniger fuerchterlich blieb als den Insassen
+und damit in der Nation die Rechtsgleichheit erhielt. Allein als die Gemeinde
+selbst zu regelmaessigen Wahlen und Entscheidungen berufen, der Vorsteher aber
+faktisch aus ihrem Herrn zum befristeten Auftragnehmer herabgedrueckt ward,
+konnte dies Verhaeltnis nicht laenger aufrecht erhalten werden; am wenigsten
+bei der Neugestaltung des Staates an dem Morgen einer Revolution, die nur durch
+Zusammenwirken der Patrizier und der Insassen hatte durchgesetzt werden
+koennen. Eine Erweiterung dieser Gemeinde war unvermeidlich; und sie ist in der
+umfassendsten Weise erfolgt, indem das gesamte Plebejat, das heisst saemtliche
+Nichtbuerger, die weder Sklaven noch nach Gastrecht lebende Buerger
+auswaertiger Gemeinden waren, in die Buergerschaft aufgenommen wurden. Der
+Kurienversammlung der Altbuerger, die bis dahin rechtlich und tatsaechlich die
+erste Autoritaet im Staate gewesen war, wurden ihre verfassungsmaessigen
+Befugnisse fast gaenzlich entzogen: nur in rein formellen oder in den die
+Geschlechtsverhaeltnisse betreffenden Akten, also hinsichtlich des dem Konsul
+oder dem Diktator nach Antritt ihres Amtes eben wie frueher dem Koenig zu
+leistenden Treugeloebnisses und des fuer die Arrogation und das Testament
+erforderlichen gesetzlichen Dispenses, sollte die Kurienversammlung die
+bisherige Kompetenz behalten, aber in Zukunft keinen eigentlichen politischen
+Schluss mehr vollziehen duerfen. Bald wurden sogar die Plebejer zum Stimmrecht
+auch in den Kurien zugelassen, und es verlor damit die Altbuergerschaft das
+Recht ueberhaupt, zusammenzutreten und zu beschliessen. Die Kurienordnung wurde
+insofern gleichsam entwurzelt, als sie auf der Geschlechterordnung beruhte,
+diese aber in ihrer Reinheit ausschliesslich bei dem Altbuergertum zu finden
+war. Indern die Plebejer in die Kurien aufgenommen wurden, gestattete man
+allerdings auch ihnen rechtlich, was frueher nur faktisch bei ihnen vorgekommen
+sein kann, sich als Familien und Geschlechter zu konstituieren, aber es ist
+bestimmt ueberliefert und auch an sich sehr begreiflich, dass nur ein Teil der
+Plebejer zur gentilizischen Konstituierung vorschritt und also die neue
+Kurienversammlung im Widerspruch mit ihrem urspruenglichen Wesen zahlreiche
+Mitglieder zaehlte, die keinem Geschlecht angehoerten.
+</p>
+
+<p>
+Alle politischen Befugnisse der Gemeindeversammlung, sowohl die Entscheidung
+auf Provokation in dem Kriminalverfahren, das ja ueberwiegend politischer
+Prozess war, als die Ernennung der Magistrate und die Annahme oder Verwerfung
+der Gesetze, wurden auf das versammelte Aufgebot der Waffenpflichtigen
+uebertragen oder ihm neu erworben, so dass die Zenturien zu den gemeinen Lasten
+jetzt auch die gemeinen Rechte empfingen. Damit gelangten die in der
+Servianischen Verfassung gegebenen geringen Anfaenge, wie namentlich das dem
+Heer ueberwiesene Zustimmungsrecht bei der Erklaerung eines Angriffskrieges, zu
+einer solchen Entwicklung, dass die Kurien durch die Zenturienversammlung
+voellig und auf immer verdunkelt wurden und man sich gewoehnte, das souveraene
+Volk in der letzteren zu erblicken. Debatte fand auch in dieser bloss dann
+statt, wenn der vorsitzende Beamte freiwillig selbst sprach oder andere
+sprechen hiess, nur dass bei der Provokation natuerlich beide Teile gehoert
+werden mussten; die einfache Majoritaet der Zenturien entschied.
+</p>
+
+<p>
+Da in der Kurienversammlung die ueberhaupt Stimmberechtigten sich voellig
+gleichstanden, also nach Aufnahme der saemtlichen Plebejer in die Kurien man
+bei der ausgebildeten Demokratie angelangt sein wuerde, so ist es begreiflich,
+dass die politischen Abstimmungen den Kurien entzogen blieben; die
+Zenturienversammlung legte das Schwergewicht zwar nicht in die Haende der
+Adligen, aber doch in die der Vermoegenden, und das wichtige Vorstimmrecht,
+welches oft tatsaechlich entschied, in die der Ritter, das ist der Reichen.
+</p>
+
+<p>
+Nicht in gleicher Weise wie die Gemeinde wurde der Senat durch die Reform der
+Verfassung betroffen. Das bisherige Kollegium der Aeltesten blieb nicht bloss
+ausschliesslich patrizisch, sondern behauptete auch seine wesentlichen
+Befugnisse, das Recht, den Zwischenkoenig zu stellen und die von der Gemeinde
+gefassten Beschluesse als verfassungsmaessige oder verfassungswidrige zu
+bestaetigen oder zu verwerfen. Ja, diese Befugnisse wurden durch die Reform der
+Verfassung noch gesteigert, indem fortan auch die Bestellung der
+Gemeindebeamten wie der Wahl der Gemeinde, so der Bestaetigung oder Verwerfung
+des patrizischen Senats unterlag - nur bei der Provokation ist seine
+Bestaetigung, soviel wir wissen, niemals eingeholt worden, da es sich hier um
+Begnadigung des Schuldigen handelte, und wenn diese von der souveraenen
+Volksversammlung erteilt war, von einer etwaigen Vernichtung dieses Aktes nicht
+fueglich die Rede sein konnte.
+</p>
+
+<p>
+Indes wenngleich durch die Abschaffung des Koenigtums die verfassungsmaessigen
+Rechte des patrizischen Senats eher gemehrt als gemindert wurden, so kam doch
+auch, und zwar der Ueberlieferung zufolge sogleich mit der Abschaffung des
+Koenigtums, fuer diejenigen Angelegenheiten, die im Senat sonst zur Sprache
+kamen und die eine freiere Behandlung zuliessen, eine Erweiterung des Senats
+auf, die auch Plebejer in denselben brachte, und die in ihren Folgen eine
+vollstaendige Umgestaltung der gesamten Koerperschaft herbeigefuehrt hat. Seit
+aeltester Zeit hat der Senat nicht allein und nicht vorzugsweise, aber doch
+auch als Staatsrat fungiert; und wenn es wahrscheinlich schon in der
+Koenigszeit nicht als verfassungswidrig angesehen ward, dass in diesem Fall
+auch Nichtsenatoren an der Versammlung teilnahmen, so wurde jetzt die
+Einrichtung getroffen, dass fuer dergleichen Verhandlungen dem patrizischen
+Senat (Patres) eine Anzahl nicht patrizischer &ldquo;Eingeschriebener&rdquo;
+(conscripti) beigegeben wurden. Eine Gleichstellung war dies freilich in keiner
+Weise: die Plebejer im Senat wurden nicht Senatoren, sondern blieben Mitglieder
+des Ritterstandes, hiessen nicht &ldquo;Vaeter&rdquo;, sondern waren nun auch
+&ldquo;Eingeschriebenen und hatten kein Recht, auf das Abzeichen der
+senatorischen Wuerde, den roten Schuh. Sie blieben ferner nicht bloss unbedingt
+ausgeschlossen von der Ausuebung der dem Senat zustehenden obrigkeitlichen
+Befugnisse (auctoritas), sondern sie mussten auch da, wo es sich bloss um einen
+Ratschlag (consilium) handelte, es sich gefallen lassen, der an die Patrizier
+gerichteten Umfrage schweigend beizuwohnen und nur bei dem Auseinandertreten
+zur Abmehrung ihre Meinung zu erkennen zu geben, &ldquo;mit den Fuessen zu
+stimmen&rdquo; (pedibus in sententiam ire, pedarii), wie der stolze Adel sagte.
+Aber dennoch fanden die Plebejer durch die neue Verfassung ihren Weg nicht
+bloss auf den Markt, sondern auch in das Rathaus, und der erste und schwerste
+Schritt zur Gleichberechtigung war auch hier getan.
+</p>
+
+<p>
+Im uebrigen aenderte sich in den den Senat betreffenden Ordnungen nichts
+Wesentliches. Unter den patrizischen Mitgliedern machte sich bald, namentlich
+bei der Umfrage, ein Rangunterschied dahin geltend, dass diejenigen, welche zu
+dem hoechsten Gemeindeamt demnaechst bezeichnet waren oder dasselbe bereits
+verwaltet hatten, vor den uebrigen in der Liste verzeichnet und bei der
+Abstimmung gefragt wurden, und die Stellung des ersten von ihnen, des Vormanns
+des Rates (princeps senatus), wurde bald ein vielbeneideter Ehrenplatz. Der
+fungierende Konsul dagegen galt als Mitglied des Senats so wenig wie der Koenig
+und seine eigene Stimme zaehlte darum nicht mit. Die Wahlen in den Rat, sowohl
+in den engeren patrizischen wie unter die bloss Eingeschriebenen, erfolgten
+durch die Konsuln eben wie frueher durch die Koenige; nur liegt es in der
+Sache, dass, wenn der Koenig vielleicht auf die Vertretung der einzelnen
+Geschlechter im Rat noch einigermassen Ruecksicht genommen hatte, den Plebejern
+gegenueber, bei denen die Geschlechterordnung nur unvollkommen entwickelt war,
+diese Erwaegung gaenzlich wegfiel und somit ueberhaupt die Beziehung des Senats
+zu der Geschlechterordnung mehr und mehr in Abnahme kam. Von einer
+Beschraenkung der waehlenden Konsuln in der Weise, dass sie nicht ueber eine
+bestimmte Zahl von Plebejern in den Senat haetten aufnehmen duerfen, ist nichts
+bekannt; es bedurfte einer solchen Ordnung auch nicht, da die Konsuln ja selbst
+dem Adel angehoerten. Dagegen ist wahrscheinlich von Haus aus der Konsul seiner
+ganzen Stellung gemaess bei der Bestellung der Senatoren tatsaechlich weit
+weniger frei und weit mehr durch Standesmeinung und Observanz gebunden gewesen
+als der Koenig. Namentlich die Regel, dass die Bekleidung des Konsulats
+notwendig den Eintritt in den Senat auf Lebenszeit herbeifuehre, wenn, was in
+dieser Zeit wohl noch vorkam, der Konsul zur Zeit seiner Erwaehlung noch nicht
+Mitglied desselben war, wird sich wohl sehr frueh gewohnheitsrechtlich
+festgestellt haben. Ebenso scheint es frueh ueblich geworden zu sein, die
+Senatorenstellen nicht sofort nach der Erledigung wieder zu besetzen, sondern
+bei Gelegenheit der Schatzung, also regelmaessig jedes vierte Jahr, die Liste
+des Senats zu revidieren und zu ergaenzen; worin doch auch eine nicht
+unwichtige Beschraenkung der mit der Auswahl betrauten Behoerde enthalten war.
+Die Gesamtzahl der Senatoren blieb wie sie war, und zwar wurden auch die
+Eingeschriebenen in dieselbe eingerechnet; woraus man wohl auch auf das
+numerische Zusammenschwinden des Patriziats zu schliessen berechtigt ist ^4.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^4 Dass die ersten Konsuln 164 Plebejer in den Senat nahmen, ist kaum als
+geschichtliche Tatsache zu betrachten, sondern eher ein Zeugnis dafuer, dass
+die spaeteren roemischen Archaeologen nicht mehr als 136 roemische
+Adelsgeschlechter nachzuweisen vermochten (Roemische Forschungen, Bd. 1, S.
+121).
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Es blieb, wie man sieht, in dem roemischen Gemeinwesen selbst bei Umwandlung
+der Monarchie in die Republik soweit immer moeglich beim alten; soweit eine
+Staatsumwaelzung ueberhaupt konservativ sein kann, ist diese es gewesen und
+keines der konstitutiven Elemente des Gemeinwesens durch sie eigentlich ueber
+den Haufen geworfen worden. Es war das bezeichnend fuer den Charakter der
+gesamten Bewegung. Die Vertreibung der Tarquinier war nicht, wie die
+klaeglichen, tief verfaelschten Berichte sie darstellen, das Werk eines von
+Mitleid und Freiheitsenthusiasmus berauschten Volkes, sondern das Werk zweier
+grosser, bereits im Ringen begriffener und der stetigen Fortdauer ihres Kampfes
+klar sich bewusster politischer Parteien, der Altbuerger und der Insassen,
+welche, wie die englischen Tories und die Whigs im Jahre 1688, durch die
+gemeinsame Gefahr das Gemeinwesen in die Willkuerregierung eines Herrn sich
+umwandeln zu sehen, auf einen Augenblick vereinigt wurden, um dann sofort
+wieder sich zu entzweien. Die Altbuergerschaft konnte ohne die Neubuerger des
+Koenigtums sich nicht entledigen; aber die Neubuerger waren bei weitem nicht
+maechtig genug, um jener mit einem Schlag das Heft aus den Haenden zu winden.
+Solche Transaktionen beschraenken sich notwendigerweise auf das geringste Mass
+gegenseitiger, durch muehsames Abdingen gewonnener Konzessionen und lassen die
+Zukunft entscheiden, wie das Schwergewicht der konstitutiven Elemente weiter
+sich stellen, wie sie ineinandergreifen oder einander entgegenwirken werden.
+Darum verkennt man die Tragweite der ersten roemischen Revolution durchaus,
+wenn man in ihr bloss die unmittelbaren Neuerungen, etwa bloss eine
+Veraenderung in der Dauer der hoechsten Magistratur sieht; die mittelbaren
+Folgen waren auch hier bei weitem die Hauptsache und wohl gewaltiger, als
+selbst ihre Urheber sie ahnten.
+</p>
+
+<p>
+Dies war die Zeit, wo, um es mit einem Worte zu sagen, die roemische
+Buergerschaft im spaeteren Sinne des Wortes entstand. Die Plebejer waren bisher
+Insassen gewesen, welche man wohl zu den Steuern und Lasten mit heranzog, die
+aber dennoch in den Augen des Gesetzes wesentlich nichts waren als geduldete
+Fremdlinge und deren Kreis gegen die eigentlichen Auslaender scharf abzustecken
+kaum noetig scheinen mochte. Jetzt wurden sie als wehrpflichtige Buerger in die
+Listen eingeschrieben; und wenn sie auch der Rechtsgleichheit noch fern
+standen, immer noch die Altbuerger zu den dem Rat der Alten verfassungsmaessig
+zustehenden Autoritaetshandlungen ausschliesslich befugt und zu den
+buergerlichen Aemtern und Priestertuemern ausschliesslich waehlbar, ja sogar
+der buergerlichen Nutzungen, zum Beispiel des Anteils an der Gemeinweide,
+vorzugsweise teilhaft blieben, so war doch der erste und schwerste Schritt zur
+voelligen Ausgleichung geschehen, seit die Plebejer nicht bloss im
+Gemeindeaufgebot dienten, sondern auch in der Gemeindeversammlung und im
+Gemeinderat bei dessen gutachtlicher Befragung stimmten und Haupt und Ruecken
+auch des aermsten Insassen so gut wie des vornehmsten Altbuergers geschuetzt
+ward durch das Provokationsrecht.
+</p>
+
+<p>
+Eine Folge dieser Verschmelzung der Patrizier und Plebejer zu der neuen
+gemeinen roemischen Buergerschaft war die Umwandlung der Altbuergerschaft in
+einen Geschlechtsadel, welcher, seit die Adelschaft auch das Recht verlor, in
+gemeiner Versammlung zu beschliessen, da die Aufnahme neuer Familien in den
+Adel durch Gemeindebeschluss noch weniger zulaessig erschien, jeder, sogar der
+Selbstergaenzung unfaehig war. Unter den Koenigen war dergleichen
+Abgeschlossenheit dem roemischen Adel fremd und die Aufnahme neuer Geschlechter
+nicht allzu selten gewesen; jetzt stellte dieses rechte Kennzeichnen des
+Junkertums sich ein als der sichere Vorbote des bevorstehenden Verlustes seiner
+politischen Vorrechte und seiner ausschliesslichen Geltung in der Gemeinde. Die
+Ausschliessung der Plebejer von allen Gemeindeaemtern und
+Gemeindepriestertuemern, waehrend sie doch zu Offiziers- und Ratsherrenstellen
+zugelassen wurden, und die mit verkehrter Hartnaeckigkeit festgehaltene
+rechtliche Unmoeglichkeit einer Ehe zwischen Altbuergern und Plebejern
+drueckten weiter dem Patriziat von vornherein den Stempel des exklusiven und
+widersinnig privilegierten Adeltums auf.
+</p>
+
+<p>
+Eine zweite Folge der neuen buergerlichen Einigung muss die festere Regulierung
+des Niederlassungsrechts sowohl den latinischen Eidgenossen als anderen Staaten
+gegenueber gewesen sein. Weniger des Stimmrechts in den Zenturien wegen, das ja
+doch nur dem Ansaessigen zukam, als wegen des Provokationsrechts, das dem
+Plebejer, aber nicht dem eine Zeitlang oder auch dauernd in Rom verweilenden
+Auslaender gewaehrt werden sollte, wurde es notwendig, die Bedingungen der
+Erwerbung des plebejischen Rechts genauer zu formulieren und die erweiterte
+Buergerschaft wiederum gegen die jetzigen Nichtbuerger abzuschliessen. Also
+geht auf diese Epoche im Sinne und Geiste des Volkes sowohl die Gehaessigkeit
+des Gegensatzes zwischen Patriziern und Plebejern zurueck wie die scharfe und
+stolze Abgrenzung der cives Romani gegen die Fremdlinge. Aber jener staedtische
+Gegensatz war voruebergehender, dieser politische dauernder Art und das Gefuehl
+der staatlichen Einheit und der beginnenden Grossmacht, das hiermit in die
+Herzen der Nation gepflanzt ward, expansiv genug, um jene kleinlichen
+Unterschiede erst zu untergraben und sodann im allmaechtigen Strom mit sich
+fortzureissen.
+</p>
+
+<p>
+Dies war ferner die Zeit, wo Gesetz und Verordnung sich schieden. Begruendet
+zwar ist der Gegensatz in dem innersten Wesen des roemischen Staates; denn auch
+die roemische Koenigsgewalt stand unter, nicht ueber dem Landrecht. Allein die
+tiefe und praktische Ehrfurcht, welche die Roemer wie jedes andere politisch
+faehige Volk vor dem Prinzip der Autoritaet hegten, erzeugte den merkwuerdigen
+Satz des roemischen Staats- und Privatrechts, dass jeder nicht auf ein Gesetz
+gegruendete Befehl des Beamten wenigstens waehrend der Dauer seines Amtes
+gelte, obwohl er mit diesem wegfiel. Es ist einleuchtend, dass hierbei, solange
+die Vorsteher auf Lebenszeit ernannt wurden, der Unterschied zwischen Gesetz
+und Verordnung tatsaechlich fast verschwinden musste und die legislative
+Taetigkeit der Gemeindeversammlung keine Entwicklung gewinnen konnte. Umgekehrt
+erhielt sie einen weiten Spielraum, seit die Vorsteher jaehrlich wechselten,
+und es war jetzt keineswegs ohne praktische Bedeutung, dass, wenn der Konsul
+bei der Entscheidung eines Prozesses eine rechtliche Nullitaet beging, sein
+Nachfolger eine neue Instruktion der Sache anordnen konnte.
+</p>
+
+<p>
+Dies war endlich die Zeit, wo die buergerliche und die militaerische Gewalt
+sich voneinander sonderten. Dort herrscht das Gesetz, hier das Beil; dort waren
+die konstitutionellen Beschraenkungen der Provokation und der regulierten
+Mandierung massgebend ^5, hier schaltete der Feldherr unumschraenkt wie der
+Koenig. Es stellte sich fest, dass der Feldherr und das Heer als solche die
+eigentliche Stadt regelmaessig nicht betreten durften. Dass organische und auf
+die Dauer wirksame Bestimmungen nur unter der Herrschaft der buergerlichen
+Gewalt getroffen werden konnte, lag nicht im Buchstaben, aber im Geiste der
+Verfassung; es kam freilich vor, dass gelegentlich diesem zuwider der Feldherr
+seine Mannschaft im Lager zur Buergerversammlung berief und rechtlich nichtig
+war ein solcher Beschluss nicht, allein die Sitte missbilligte dieses Verfahren
+und es unterblieb bald, als waere es verboten. Der Gegensatz der Quiriten und
+der Soldaten wurzelte allmaehlich fest und fester in den Gemuetern der Buerger.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^5 Es mag nicht ueberfluessig sein zu bemerken, dass auch das iudicium
+legitimum wie das quod imperio continetur auf dem Imperium des instruierenden
+Beamten beruht und der Unterschied nur darin besteht, dass das Imperium dort
+von der Lex beschraenkt, hier aber frei ist.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Indes, um diese Folgesaetze des neuen Republikanismus zu entwickeln, bedurfte
+es der Zeit; wie lebendig die Nachwelt sie empfand, der Mitwelt mochte die
+Revolution zunaechst in einem andern Lichte erscheinen. Wohl gewannen die
+Nichtbuerger dadurch das Buergerrecht und gewann die neue Buergerschaft in der
+Gemeindeversammlung weitgreifende Befugnisse; aber das Verwerfungsrecht des
+patrizischen Senats, der gleichsam wie ein Oberhaus jenen Komitien in fester
+Geschlossenheit gegenueberstand, hob rechtlich die freie Bewegung derselben
+gerade in den entscheidendsten Dingen auf und war tatsaechlich zwar nicht
+imstande, den ernstlichen Willen der Gesamtheit zu brechen, aber doch, ihn zu
+verzoegern und zu verkuemmern. Schien die Adelschaft, indem sie es aufgab,
+allein die Gemeinde zu sein, nicht allzuviel verloren zu haben, so hatte sie in
+anderen Beziehungen entschieden gewonnen. Der Koenig war freilich Patrizier wie
+der Konsul, und das Recht der Senatorenernennung steht diesem wie jenem zu;
+aber wenn jenen seine Ausnahmestellung ueber Patrizier nicht minder wie ueber
+Plebejer hinausrueckte und wenn er leicht in den Fall kommen konnte, eben gegen
+den Adel sich auf die Menge stuetzen zu muessen, so stand der Konsul, Herrscher
+auf kurze Frist, vorher und nachher aber nichts als einer aus dem Adel, und dem
+adligen Mitbuerger, welchem er heute befahl, morgen gehorchend, keineswegs
+ausserhalb seines Standes und musste der Adlige in ihm weit maechtiger sein als
+der Beamte. Wenn ja dennoch einmal ausnahmsweise ein der Adelsherrschaft
+abgeneigter Patrizier ans Regiment gerufen ward, so ward seine Amtsgewalt teils
+durch die vom schroffen Adelsgeiste durchdrungenen Priesterschaften, teils
+durch den Kollegen gelaehmt und leicht durch die Diktatur suspendiert; und was
+noch wichtiger war, es fehlte ihm das erste Element der politischen Macht, die
+Zeit. Der Vorsteher eines Gemeinwesens, welche Machtfuelle immer ihm
+eingeraeumt werden moege, wird die politische Gewalt nie in die Haende
+bekommen, wenn er nicht auf laengere Zeit an der Spitze der Geschaefte bleibt;
+denn die notwendige Bedingung jeder Herrschaft ist ihre Dauer. Folgeweise
+gewann der lebenslaengliche Gemeinderat, und zwar hauptsaechlich durch seine
+Befugnis, den Beamten in allen Stuecken zu beraten, also nicht der engere
+patrizische, sondern der weitere patrizisch-plebejische, den Jahresherrschern
+gegenueber unvermeidlich einen solchen Einfluss, dass die rechtlichen
+Verhaeltnisse sich geradezu umkehrten, der Gemeinderat wesentlich die
+Regierungsgewalt an sich nahm und der bisherige Regent herabsank zu dessen
+vorsitzendem und ausfuehrendem Praesidenten. Fuer den der Gemeinde zur Annahme
+oder Verwerfung vorzulegenden Antrag erschien die Vorberatung im Gesamtsenat
+und dessen Billigung zwar nicht als konstitutionell notwendig, aber als
+gewohnheitsmaessig geheiligt, und nicht leicht und nicht gern ging man darueber
+hinweg. Fuer wichtige Staatsvertraege, fuer die Verwaltung und Austeilung des
+Gemeindelandes, ueberhaupt fuer jeden Akt, dessen Folgen sich ueber das
+Amtsjahr erstreckten, galt dasselbe, und dem Konsul blieb nichts als die
+Erledigung der laufenden Geschaefte, die Einleitung der Zivilprozesse und das
+Kommando im Kriege. Vor allem folgenreich war die Neuerung, dass es weder dem
+Konsul noch selbst dem sonst unbeschraenkten Diktator gestattet war, den
+gemeinen Schatz anders als mit und durch den Willen des Rates anzugreifen.
+Indem der Senat es den Konsuln zur Pflicht machte, die Verwaltung der
+Gemeindekasse, die der Koenig selbst gefuehrt hatte oder doch hatte fuehren
+koennen, an zwei staendige Unterbeamte abzugeben, welche zwar von den Konsuln
+ernannt wurden und ihnen zu gehorchen hatten, aber begreiflicherweise noch weit
+mehr als die Konsuln selbst vom Senat abhingen, zog er die Leitung des
+Kassenwesens an sich, und es kann dieses Geldbewilligungsrecht des roemischen
+Senats wohl in seinen Wirkungen mit dem Steuerbewilligungsrecht in den heutigen
+konstitutionellen Monarchien zusammengestellt werden.
+</p>
+
+<p>
+Die Folgen ergeben sich von selbst. Die erste und wesentlichste Bedingung jeder
+Adelsherrschaft ist, dass die Machtfuelle im Staat nicht einem Individuum,
+sondern einer Korporation zusteht; jetzt hatte eine ueberwiegend adlige
+Korporation, der Gemeinderat, das Regiment an sich gebracht und war dabei die
+exekutive Gewalt nicht bloss dem Adel geblieben, sondern auch der regierenden
+Korporation voellig unterworfen worden. Zwar sassen im Rat eine betraechtliche
+Anzahl nichtadliger Maenner; aber da sie der Bekleidung von Aemtern, ja sogar
+der Teilnahme an der Debatte unfaehig, also von jedem praktischen Anteil am
+Regiment ausgeschlossen waren, spielten sie notwendigerweise auch im Senat eine
+untergeordnete Rolle und wurden ueberdies durch das oekonomisch wichtige
+Nutzungsrecht der Gemeinweide in pekuniaerer Abhaengigkeit von der Korporation
+gehalten. Das allmaehlich sich bildende Recht der patrizischen Konsuln,
+wenigstens jedes vierte Jahr die Ratsherrenliste zu revidieren und zu
+modifizieren, so nichtig es vermutlich der Adelschaft gegenueber war, konnte
+doch sehr wohl in ihrem Interesse gebraucht und der missliebige Plebejer
+mittels desselben aus dem Senat ferngehalten und sogar wieder ausgeschieden
+werden.
+</p>
+
+<p>
+Es ist darum durchaus wahr, dass die unmittelbare Folge der Revolution die
+Feststellung der Adelsherrschaft gewesen ist; nur ist es nicht die ganze
+Wahrheit. Wenn die Mehrzahl der Mitlebenden meinen mochte, dass die Revolution
+den Plebejern nur eine starrere Despotie gebracht habe, so sehen wir Spaeteren
+in dieser selbst schon die Knospen der jungen Freiheit. Was die Patrizier
+gewannen, ging nicht der Gemeinde verloren, sondern der Beamtengewalt; die
+Gemeinde gewann zwar nur wenige engbeschraenkte Rechte, welche weit minder
+praktisch und handgreiflich waren als die Errungenschaften des Adels, und
+welche nicht einer von Tausend zu schaetzen wissen mochte, aber in ihnen lag
+die Buergschaft der Zukunft. Bisher war politisch die Insassenschaft nichts,
+die Altbuergerschaft alles gewesen; indem jetzt jene zur Gemeinde ward, war die
+Altbuergerschaft ueberwunden; denn wieviel auch noch zu der vollen
+buergerlichen Gleichheit mangeln mochte, es ist die erste Bresche, nicht die
+Besetzung des letzten Postens, die den Fall der Festung entscheidet. Darum
+datierte die roemische Gemeinde mit Recht ihre politische Existenz von dem
+Beginn des Konsulats.
+</p>
+
+<p>
+Indes, wenn die republikanische Revolution trotz der durch sie zunaechst
+begruendeten Junkerherrschaft mit Recht ein Sieg der bisherigen Insassenschaft
+oder der Plebs genannt werden kann, so trug doch auch in der letzteren
+Beziehung die Revolution keineswegs den Charakter, den wir heutzutage als den
+demokratischen zu bezeichnen gewohnt sind. Das rein persoenliche Verdienst ohne
+Unterstuetzung der Geburt und des Reichtums mochte wohl unter der
+Koenigsherrschaft leichter als unter derjenigen des Patriziats zu Einfluss und
+Ansehen gelangen. Damals war der Eintritt in das Patriziat rechtlich keinem
+verschlossen; jetzt war das hoechste Ziel des plebejischen Ehrgeizes die
+Aufnahme in den mundtoten Anhang des Senats. Es lag dabei in der Natur der
+Sache, dass der regierende Herrenstand, soweit er ueberhaupt die Plebejer
+zuliess, nicht unbedingt den tuechtigsten Maennern, sondern vorzugsweise den
+Haeuptern der reichen und angesehenen Plebejerfamilien im Senat neben sich zu
+sitzen gestattete und die also zugelassenen Familien eifersuechtig ueber den
+Besitz der Ratsherrenstellen wachten. Waehrend also innerhalb der alten
+Buergerschaft vollstaendige Rechtsgleichheit bestanden hatte, begann die
+Neubuerger- oder die ehemalige Insassenschaft von Haus aus damit, sich in eine
+Anzahl bevorrechteter Familien. und eine zurueckgesetzte Menge zu scheiden. Die
+Gemeindemacht aber kam in Gemaessheit der Zenturienordnung jetzt an diejenige
+Klasse, welche seit der Servianischen Reform des Heer- und Steuerwesens
+vorzugsweise die buergerlichen Lasten trug, an die Ansaessigen, und zwar
+vorzugsweise weder an die grossen Gutsbesitzer noch an die Instenleute, sondern
+an den mittleren Bauernstand, wobei die Aelteren noch insofern bevorzugt waren,
+als sie, obgleich minder zahlreich, doch ebensoviel Stimmabteilungen innehatten
+wie die Jugend. Indem also der Altbuergerschaft und ihrem Geschlechteradel die
+Axt an die Wurzel und zu einer neuen Buergerschaft der Grund gelegt ward, fiel
+in dieser das Gewicht auf Grundbesitz und Alter und zeigten sich schon die
+ersten Ansaetze zu einem neuen, zunaechst auf dem faktischen Ansehen der
+Familien beruhenden Adel, der kuenftigen Nobilitaet. Der konservative
+Grundcharakter des roemischen Gemeinwesens konnte sich nicht deutlicher
+bezeichnen als dadurch, dass die republikanische Staatsumwaelzung zugleich zu
+der neuen, ebenfalls konservativen und ebenfalls aristokratischen Staatsordnung
+die ersten Linien zog.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap02"></a>KAPITEL II.<br/>
+Das Volkstribunat und die Dezemvirn</h2>
+
+<p>
+Die Altbuergerschaft war durch die neue Gemeindeordnung auf gesetzlichem Wege
+in den vollen Besitz der politischen Macht gelangt. Herrschend durch die zu
+ihrer Dienerin herabgedrueckte Magistratur, vorwiegend im Gemeinderate, im
+Alleinbesitze aller Aemter und Priestertuemer, ausgeruestet mit der
+ausschliesslichen Kunde der goettlichen und menschlichen Dinge und mit der
+ganzen Routine politischer Praxis, einflussreich in der Gemeindeversammlung
+durch den starken Anhang fuegsamer und den einzelnen Familien anhaenglicher
+Leute, endlich befugt, jeden Gemeindebeschluss zu pruefen und zu verwerfen,
+konnten die Patrizier die faktische Herrschaft noch auf lange Zeit sich
+bewahren, eben weil sie rechtzeitig auf die gesetzliche Alleingewalt verzichtet
+hatten. Zwar mussten die Plebejer ihre politische Zuruecksetzung schwer
+empfinden; allein von der rein politischen Opposition hatte der Adel
+unzweifelhaft zunaechst nicht viel zu besorgen, wenn er es verstand, die Menge,
+die nichts verlangt als gerechte Verwaltung und Schutz der materiellen
+Interessen, dem politischen Kampfe fernzuhalten. In der Tat finden wir in der
+ersten Zeit nach der Vertreibung der Koenige verschiedene Massregeln, welche
+bestimmt waren oder doch bestimmt schienen, den gemeinen Mann fuer das
+Adelsregiment besonders von der oekonomischen Seite zu gewinnen: es wurden die
+Hafenzoelle herabgesetzt, bei hohem Stand der Kornpreise grosse Quantitaeten
+Getreide fuer Rechnung des Staats aufgekauft und der Salzhandel zum
+Staatsmonopol gemacht, um den Buergern Korn und Salz zu billigen Preisen
+abgeben zu koennen, endlich das Volksfest um einen Tag verlaengert. In
+denselben Kreis gehoert die schon erwaehnte Vorschrift hinsichtlich der
+Vermoegensbussen, die nicht bloss im allgemeinen dem gefaehrlichen Bruchrecht
+der Beamten Schranken zu setzen bestimmt, sondern auch in bezeichnender Weise
+vorzugsweise auf den Schutz des kleinen Mannes berechnet war. Denn wenn dem
+Beamten untersagt ward, an demselben Tag denselben Mann um mehr als zwei Schafe
+und um mehr als dreissig Rinder ausser mit Gestattung der Provokation zu
+buessen, so kann die Ursache dieser seltsamen Ansaetze wohl nur darin gefunden
+werden, dass fuer den kleinen, nur einige Schafe besitzenden Mann ein anderes
+Maximum noetig schien als fuer den reichen Rinderherdenbesitzer - eine
+Ruecksichtnahme auf Reichtum oder Armut der Gebuessten, von der neuere
+Gesetzgebungen lernen koennten. Allein diese Ordnungen halten sich auf der
+Oberflaeche; die Grundstroemung geht vielmehr nach der entgegengesetzten
+Richtung. Mit der Verfassungsaenderung leitet in den finanziellen und
+oekonomischen Verhaeltnissen Roms eine umfassende Revolution sich ein. Das
+Koenigsregiment hatte wahrscheinlich der Kapitalmacht prinzipiell keinen
+Vorschub getan und die Vermehrung der Bauernstellen nach Kraeften gefoerdert;
+die neue Adelsregierung dagegen scheint von vornherein auf die Zerstoerung der
+Mittelklassen, namentlich des mittleren und kleinen Grundbesitzes, und auf die
+Entwicklung einerseits einer Herrschaft der Grund- und Geldherren, anderseits
+eines ackerbauenden Proletariats ausgegangen zu sein.
+</p>
+
+<p>
+Schon die Minderung der Hafenzoelle, obwohl im allgemeinen eine populaere
+Massregel, kam vorzugsweise dem Grosshandel zugute. Aber ein noch viel
+groesserer Vorschub geschah der Kapitalmacht durch das System der indirekten
+Finanzverwaltung. Es ist schwer zu sagen, worauf dasselbe in seinen letzten
+Gruenden beruht; mag es aber auch an sich bis in die Koenigszeit
+zurueckreichen, so musste doch seit der Einfuehrung des Konsulats teils der
+schnelle Wechsel der roemischen Beamten, teils die Erstreckung der finanziellen
+Taetigkeit des Aerars auf Geschaefte, wie der Ein- und Verkauf von Korn und
+Salz, die Wichtigkeit der vermittelnden Privattaetigkeit steigern und, damit
+den Grund zu jenem Staatspaechtersystem legen, das in seiner Entwicklung fuer
+das roemische Gemeinwesen so folgenreich wie verderblich geworden ist. Der
+Staat gab nach und nach alle seine indirekten Hebungen und alle komplizierteren
+Zahlungen und Verrichtungen in die Haende von Mittelsmaennern, die eine
+Rauschsumme gaben oder empfingen und dann fuer ihre Rechnung wirtschafteten.
+Natuerlich konnten nur bedeutende Kapitalisten und, da der Staat streng auf
+dingliche Sicherheit sah, hauptsaechlich nur grosse Grundbesitzer sich hierbei
+beteiligen, und so erwuchs eine Klasse von Steuerpaechtern und Lieferanten, die
+in dem reissend schnellen Wachstum ihrer Opulenz, in der Gewalt ueber den
+Staat, dem sie zu dienen schienen, und in dem widersinnigen und sterilen
+Fundament ihrer Geldherrschaft den heutigen Boersenspekulanten vollkommen
+vergleichbar sind.
+</p>
+
+<p>
+Aber zunaechst und am empfindlichsten offenbarte sich die vereinbarte Richtung
+der finanziellen Verwaltung in der Behandlung der Gemeindelaendereien, die so
+gut wie geradezu hinarbeitete auf die materielle und moralische Vernichtung der
+Mittelklassen. Die Nutzung der gemeinen Weide und der Staatsdomaenen ueberhaupt
+war ihrer Natur nach ein buergerliches Vorrecht; das formelle Recht schloss den
+Plebejer von der Mitbenutzung des gemeinen Angers aus. Da indes, abgesehen von
+dem Uebergang in das Privateigentum oder der Assignation, das roemische Recht
+feste und gleich dem Eigentum zu respektierende Nutzungsrechte einzelner
+Buerger am Gemeinlande nicht kannte, so hing es, so lange das Gemeinland
+Gemeinland blieb, lediglich von der Willkuer des Koenigs ab den Mitgenuss zu
+gestatten und zu begrenzen, und es ist nicht zu bezweifeln, dass er von diesem
+seinem Recht oder wenigstens seiner Macht haeufig zu Gunsten von Plebejern
+Gebrauch gemacht hat. Aber mit der Einfuehrung der Republik wird der Satz
+wieder scharf betont, dass die Nutzung der Gemeinweide von Rechts wegen bloss
+dem Buerger besten Rechts, das heisst dem Patrizier zusteht; und wenn auch der
+Senat zu Gunsten der reichen in ihm mitvertretenen plebejischen Haeuser nach
+wie vor Ausnahmen zuliess, so wurden doch die kleinen plebejischen
+Ackerbesitzer und die Tageloehner, die eben die Weide am noetigsten brauchten,
+in dem Mitgenuss beeintraechtigt. Es war ferner bisher fuer das auf die gemeine
+Weide aufgetriebene Vieh ein Hutgeld erlegt worden, das zwar maessig genug war,
+um das Recht, auf diese Weide zu treiben, immer noch als Vorrecht erscheinen zu
+lassen, aber doch dem gemeinen Saeckel eine nicht unansehnliche Einnahme
+abwarf. Die patrizischen Quaestoren erhoben dasselbe jetzt saeumig und
+nachsichtig und liessen allmaehlich es ganz schwinden. Bisher hatte man,
+namentlich wenn durch Eroberung neue Domaenen gewonnen waren, regelmaessig
+Landauslegungen angeordnet, bei denen alle aermeren Buerger und Insassen
+beruecksichtigt wurden; nur dasjenige Land, das zum Ackerbau sich nicht
+eignete, ward zu der gemeinen Weide geschlagen. Diese Assignationen wagte man
+zwar nicht ganz zu unterlassen und noch weniger, sie bloss zu Gunsten der
+Reichen vorzunehmen; allein sie wurden seltener und karger und an ihre Stelle
+trat das verderbliche Okkupationssystem, das heisst die Ueberlassung der
+Domaenengueter nicht zum Eigentum oder zur foermlichen Pacht auf bestimmte
+Zeitfrist, sondern zur Sondernutzung bis weiter an den ersten Okkupanten und
+dessen Rechtsnachfolger, sodass dem Staate die Ruecknahme jederzeit freistand
+und der Inhaber die zehnte Garbe oder von Oel und Wein den fuenften Teil des
+Ertrages an die Staatskasse abzuliefern hatte. Es war dies nichts anderes als
+das frueher beschriebene Precarium, angewandt auf Staatsdomaenen und mag,
+namentlich als transitorische Einrichtung bis zur Durchfuehrung der
+Assignation, auch frueher schon bei dem Gemeinlande vorgekommen sein. Jetzt
+indes wurde dieser Okkupationsbesitz nicht bloss dauernd, sondern es griffen
+auch, wie natuerlich, nur die privilegierten Personen oder deren Guenstlinge zu
+und der Zehnte und Fuenfte ward mit derselben Laessigkeit eingetrieben wie das
+Hutgeld. So traf den mittleren und kleinen Grundbesitz ein dreifacher Schlag:
+die gemeinen Buergernutzungen gingen ihm verloren; die Steuerlast stieg
+dadurch, dass die Domanialgefaelle nicht mehr ordentlich in die gemeine Kasse
+flossen; und die Landauslegungen stockten, die fuer das agrikole Proletariat,
+etwa wie heutzutage ein grossartiges und fest reguliertes Emigrationssystem es
+tun wuerde, einen dauernden Abzugskanal gebildet hatten. Dazu kam die
+wahrscheinlich schon jetzt beginnende Grosswirtschaft, welche die kleinen
+Ackerklienten vertrieb und statt deren durch Feldsklaven das Gut nutzte; ein
+Schlag, der schwerer abzuwenden und wohl verderblicher war als alle jene
+politischen Usurpationen zusammengenommen. Die schweren, zum Teil
+ungluecklichen Kriege, die dadurch herbeigefuehrten unerschwinglichen
+Kriegssteuern und Fronden taten das uebrige, um den Besitzer entweder geradezu
+vom Hof zu bringen und ihn zum Knecht, wenn auch nicht zum Sklaven seines
+Schuldherrn zu machen, oder ihn durch Ueberschuldung tatsaechlich zum
+Zeitpaechter seiner Glaeubiger herabzudruecken. Die Kapitalisten, denen hier
+ein neues Gebiet eintraeglicher und muehe- und gefahrloser Spekulation sich
+eroeffnete, vermehrten teils auf diesem Wege ihr Grundeigentum, teils liessen
+sie dem Bauern, dessen Person und Gut das Schuldrecht ihnen in die Haende gab,
+den Namen des Eigentuemers und den faktischen Besitz. Das letztere war wohl das
+Gewoehnlichste wie das Verderblichste; denn mochte damit fuer den einzelnen der
+aeusserste Ruin abgewandt sein, so drohte dagegen diese prekaere, von der Gnade
+des Glaeubigers jederzeit abhaengige Stellung des Bauern, bei der derselbe vom
+Eigentum nichts als die Lasten trug, den ganzen Bauernstand zu demoralisieren
+und politisch zu vernichten. Die Absicht des Gesetzgebers, als er statt der
+hypothekarischen Schuld den sofortigen Uebergang des Eigentums auf den
+Glaeubiger anordnete, der Ueberschuldung zuvorzukommen und die Lasten des
+Staats den wirklichen Inhabern des Grundes und Bodens aufzuwaelzen, ward
+umgangen durch das strenge persoenliche Kreditsystem, das fuer Kaufleute sehr
+zweckmaessig sein mochte, die Bauern aber ruinierte. Hatte die freie
+Teilbarkeit des Bodens schon immer die Gefahr eines ueberschuldeten
+Ackerbauproletariats nahegelegt, so musste unter solchen Verhaeltnissen, wo
+alle Lasten stiegen, alle Abhilfen sich versperrten, die Not und die
+Hoffnungslosigkeit unter der baeuerlichen Mittelklasse mit entsetzlicher
+Raschheit um sich greifen.
+</p>
+
+<p>
+Der Gegensatz der Reichen und Armen, der aus diesen Verhaeltnissen hervorging,
+faellt keineswegs zusammen mit dem der Geschlechter und Plebejer. War auch der
+bei weitem groesste Teil der Patrizier reich beguetert, so fehlte es doch
+natuerlich auch unter den Plebejern nicht an reichen und ansehnlichen Familien,
+und da der Senat, der schon damals vielleicht zur groesseren Haelfte aus
+Plebejern bestand, selbst mit Ausschliessung der patrizischen Magistrate die
+finanzielle Oberleitung an sich genommen hatte, so ist es begreiflich, dass
+alle jene oekonomischen Vorteile, zu denen die politischen Vorrechte des Adels
+missbraucht wurden, den Reichen insgesamt zugute kamen und der Druck auf dem
+gemeinen Mann um so schwerer lastete, als durch den Eintritt in den Senat die
+tuechtigsten und widerstandsfaehigsten Personen aus der Klasse der
+Unterdrueckten uebertraten in die der Unterdruecker.
+</p>
+
+<p>
+Hierdurch aber ward die politische Stellung des Adels auf die Dauer unhaltbar.
+Haette er es ueber sich vermocht, gerecht zu regieren, und den Mittelstand
+geschuetzt, wie es einzelne Konsuln aus seiner Mitte versuchten, ohne bei der
+herabgedrueckten Stellung der Magistratur durchdringen zu koennen, so konnte er
+sich noch lange im Alleinbesitz der Aemter behaupten. Haette er es vermocht,
+die reichen und ansehnlichen Plebejer zu voller Rechtsgleichheit zuzulassen,
+etwa an den Eintritt in den Senat die Gewinnung des Patriziats zu knuepfen, so
+mochten beide noch lange ungestraft regieren und spekulieren. Allein es geschah
+keines von beiden: die Engherzigkeit und Kurzsichtigkeit, die eigentlichen und
+unverlierbaren Privilegien alles echten Junkertums, verleugneten sich auch in
+Rom nicht und zerrissen die maechtige Gemeinde in nutz-, ziel- und ruhmlosem
+Hader.
+</p>
+
+<p>
+Indes die naechste Krise ging nicht von den staendisch Zurueckgesetzten aus,
+sondern von der notleidenden Bauernschaft. Die zurechtgemachten Annalen setzen
+die politische Revolution in das Jahr 244 (510), die soziale in die Jahre 259
+und 260 (495 494); sie scheinen allerdings sich rasch gefolgt zu sein, doch ist
+der Zwischenraum wahrscheinlich laenger gewesen. Die strenge Uebung des
+Schuldrechts - so lautet die Erzaehlung - erregte die Erbitterung der ganzen
+Bauernschaft. Als im Jahre 259 (495) fuer einen gefahrvollen Krieg die
+Aushebung veranstaltet ward, weigerte sich die pflichtige Mannschaft, dem Gebot
+zu folgen. Wie darauf der Konsul Publius Servilius die Anwendung der
+Schuldgesetze vorlaeufig suspendierte und sowohl die schon in Schuldhaft
+sitzenden Leute zu entlassen befahl, als auch den weiteren Lauf der
+Verhaftungen hemmte, stellten die Bauern sich und halfen den Sieg erfechten.
+Heimgekehrt vom Schlachtfeld brachte der Friede, den sie erstritten hatten,
+ihnen ihren Kerker und ihre Ketten wieder; mit erbarmungsloser Strenge wandte
+der zweite Konsul Appius Claudius die Kreditgesetze an und der Kollege, den
+seine frueheren Soldaten um Hilfe anriefen, wagte nicht sich zu widersetzen. Es
+schien, als sei die Kollegialitaet nicht zum Schutz des Volkes eingefuehrt,
+sondern zur Erleichterung des Treubruchs und der Despotie; indes man litt, was
+nicht zu aendern war. Als aber im folgenden Jahr sich der Krieg erneuerte, galt
+das Wort des Konsuls nicht mehr. Erst dem ernannten Diktator Manius Valerius
+fuegten sich die Bauern, teils aus Scheu vor der hoeheren Amtsgewalt, teils im
+Vertrauen auf seinen populaeren Sinn - die Valerier waren eines jener alten
+Adelsgeschlechter, denen das Regiment ein Recht und eine Ehre, nicht eine
+Pfruende duenkte. Der Sieg war wieder bei den roemischen Feldzeichen; aber als
+die Sieger heimkamen und der Diktator seine Reformvorschlaege dem Senat
+vorlegte, scheiterten sie an dem hartnaeckigen Widerstand des Senats. Noch
+stand das Heer beisammen, wie ueblich vor den Toren der Stadt; als die
+Nachricht hinauskam, entlud sich das lange drohende Gewitter - der Korpsgeist
+und die geschlossene militaerische Organisation rissen auch die Verzagten und
+Gleichgueltigen mit fort. Das Heer verliess den Feldherrn und seine Lagerstatt
+und zog, gefuehrt von den Legionskommandanten, den wenigstens grossenteils
+plebejischen Kriegstribunen, in militaerischer Ordnung in die Gegend von
+Crustumeria zwischen Tiber und Anio, wo es einen Huegel besetzte und Miene
+machte, in diesem fruchtbarsten Teil des roemischen Stadtgebiets eine neue
+Plebejerstadt zu gruenden. Dieser Abmarsch tat selbst den hartnaeckigsten
+Pressern auf eine handgreifliche Art dar, dass ein solcher Buergerkrieg auch
+mit ihrem oekonomischen Ruin enden muesse; der Senat gab nach. Der Diktator
+vermittelte das Vertraegnis; die Buerger kehrten zurueck in die Stadtmauern;
+die aeusserliche Einheit ward wiederhergestellt. Das Volk nannte den Manius
+Valerius seitdem &ldquo;den Grossen&rdquo; (maximus) und den Berg jenseits des
+Anio &ldquo;den heiligen&rdquo;. Wohl lag etwas Gewaltiges und Erhebendes in
+dieser ohne feste Leitung unter den zufaellig gegebenen Feldherren von der
+Menge selbst begonnenen und ohne Blutvergiessen durchgefuehrten Revolution, und
+gern und stolz erinnerten sich ihrer die Buerger. Empfunden wurden ihre Folgen
+durch viele Jahrhunderte; ihr entsprang das Volkstribunat.
+</p>
+
+<p>
+Ausser den transitorischen Bestimmungen, namentlich zur Abstellung der
+drueckendsten Schuldnot und zur Versorgung einer Anzahl Landleute durch
+Gruendung verschiedener Kolonien, brachte der Diktator verfassungsmaessig ein
+Gesetz durch, welches er ueberdies noch, ohne Zweifel um den Buergern wegen
+ihres gebrochenen Fahneneides Amnestie zu sichern, von jedem einzelnen
+Gemeindeglied beschwoeren und sodann in einem Gotteshause niederlegen liess
+unter Aufsicht und Verwahrung zweier besonders dazu aus der Plebs bestellter
+Beamten, der beiden &ldquo;Hausherren&rdquo; (aediles). Dies Gesetz stellte den
+zwei patrizischen Konsuln zwei plebejische Tribune zur Seite, welche die nach
+Kurien versammelten Plebejer zu waehlen hatten. Gegen das militaerische
+Imperium, das heisst gegen das der Diktatoren durchaus und gegen das der
+Konsuln ausserhalb der Stadt, vermochte die tribunizische Gewalt nichts; der
+buergerlichen ordentlichen Amtsgewalt aber, wie die Konsuln sie uebten, trat
+die tribunizische unabhaengig gegenueber, ohne dass doch eine Teilung der
+Gewalten stattgefunden haette. Die Tribune erhielten das Recht, welches dem
+Konsul gegen den Konsul und um so mehr gegen den niederen Beamten zustand, das
+heisst das Recht jeden von den Beamten erlassenen Befehl, durch den der davon
+betroffene Buerger sich verletzt hielt, auf dessen Anweisung durch ihren
+rechtzeitig und persoenlich eingelegten Protest zu vernichten und ebenso jeden
+von einem Beamten an die Buergerschaft gerichteten Antrag nach Ermessen zu
+hemmen oder zu kassieren, das ist das Recht der Interzession oder das
+sogenannte tribunizische Veto.
+</p>
+
+<p>
+Es lag also in der tribunizischen Gewalt zunaechst das Recht, die Verwaltung
+und die Rechtspflege willkuerlich zu hemmen, dem Militaerpflichtigen es
+moeglich zu machen, sich straflos der Aushebung zu entziehen, die Klageerhebung
+und die Rechtsvollstreckung gegen den Schuldner, die Einleitung des
+Kriminalprozesses und die Untersuchungshaft des Angeschuldigten zu verhindern
+oder aufzuheben und was dessen mehr war. Damit diese Rechtshilfe nicht durch
+die Abwesenheit der Helfer vereitelt werde, war ferner verordnet, dass der
+Tribun keine Nacht ausserhalb der Stadt zubringen duerfe und Tag und Nacht
+seine Tuer offenstehen muesse. Weiter lag es in der Gewalt des Volkstribunats,
+der Beschlussfassung der Gemeinde, die ja andernfalls kraft ihres souveraenen
+Rechts die von ihr der Plebs verliehenen Privilegien ohne weiteres haette
+zuruecknehmen koennen, durch ein einziges Wort eines einzelnen Tribunen
+Schranken zu setzen.
+</p>
+
+<p>
+Aber diese Rechte waeren wirkungslos gewesen, wenn nicht gegen den, der sich
+nicht daran kehrte, insonderheit gegen den zuwiderhandelnden Magistrat dem
+Volkstribun eine augenblicklich wirkende und unwiderstehliche Zwangsgewalt
+zugestanden haette. Es ward ihm diese in der Form erteilt, dass das
+Zuwiderhandeln gegen den seines Rechts sich bedienenden Tribun, vor allen
+Dingen das Vergreifen an seiner Persoenlichkeit, welche auf dem heiligen Berg
+jeder Plebejer Mann fuer Mann fuer sich und seine Nachkommen geschworen hatte,
+fuer jetzt und alle Zukunft vor jeder Unbill zu schuetzen, ein todeswuerdiges
+Verbrechen sein sollte und die Handhabung dieser Kriminaljustiz nicht den
+Magistraten der Gemeinde, sondern denen der Plebs uebertragen ward. Kraft
+dieses seines Richteramts konnte der Tribun jeden Buerger, vor allem den Konsul
+im Amte, zur Verantwortung ziehen, ihn, wenn er nicht freiwillig sich stellte,
+greifen lassen, ihn in Untersuchungshaft setzen oder Buergschaftstellung ihm
+gestatten und alsdann auf Tod oder Geldbusse erkennen. Zu diesem Zweck standen
+die beiden zugleich bestellten Aedilen des Volkes den Tribunen als Diener und
+Gehilfen zur Seite, zunaechst, um die Verhaftung zu bewirken, weshalb auch
+ihnen dieselbe Unangreifbarkeit durch den Gesamteid der Plebejer versichert
+ward. Ausserdem hatten die Aedilen selbst gleich den Tribunen, aber nur fuer
+die geringeren mit Bussen suehnbaren Sachen, richterliche Befugnis. Ward gegen
+den tribunizischen oder aedilizischen Spruch Berufung eingelegt, so ging diese
+nicht an die Gesamtbuergerschaft, mit der zu verhandeln die Beamten der Plebs
+ueberall nicht befugt waren, sondern an die Gesamtheit der Plebejer, die in
+diesem Fall nach Kurien zusammentrat und durch Stimmenmehrheit endgueltig
+entschied.
+</p>
+
+<p>
+Dies Verfahren war allerdings mehr ein Gewalt- als ein Rechtsakt, zumal wenn es
+gegen einen Nichtplebejer angewandt ward, wie dies doch eben in der Regel der
+Fall sein musste. Es war weder mit dem Buchstaben noch mit dem Geist der
+Verfassung irgend zu vereinigen, dass der Patrizier von Behoerden zur
+Rechenschaft gezogen ward, die nicht der Buergerschaft, sondern einer innerhalb
+der Buergerschaft gebildeten Assoziation vorstanden, und dass er gezwungen
+ward, statt an die Buergerschaft, an eben diese Assoziation zu appellieren.
+Dies war urspruenglich ohne Frage Lynchjustiz; aber die Selbsthilfe vollzog
+sich wohl von jeher in Form Rechtens und wurde seit der gesetzlichen
+Anerkennung des Volkstribunats als rechtlich statthaft betrachtet.
+</p>
+
+<p>
+Der Absicht nach war diese neue Gerichtsbarkeit der Tribune und der Aedilen und
+die daraus hervorgehende Provokationsentscheidung der Plebejerversammlung ohne
+Zweifel ebenso an die Gesetze gebunden wie die Gerichtsbarkeit der Konsuln und
+Quaestoren und der Spruch der Zenturien auf Provokation; die Rechtsbegriffe des
+Verbrechens gegen die Gemeinde und der Ordnungswidrigkeit wurden von der
+Gemeinde und deren Magistraten auf die Plebs und deren Vorsteher uebertragen.
+Indes diese Begriffe waren selbst so wenig fest und deren gesetzliche
+Begrenzung so schwierig, ja unmoeglich, dass die auf diese Kategorien hin
+geuebte Justizpflege schon an sich den Stempel der Willkuer fast unvermeidlich
+an sich trug. Seit nun aber gar in den staendischen Kaempfen die Idee des
+Rechts sich selber getruebt hatte und seit die gesetzlichen Parteifuehrer
+beiderseits mit einer konkurrierenden Gerichtsbarkeit ausgestattet waren,
+musste diese mehr und immer mehr der reinen Willkuerpolizei sich naehern.
+Namentlich traf dieselbe den Beamten. Bisher unterlag derselbe nach roemischem
+Staatsrecht, solange er Beamter war, ueberhaupt keiner Gerichtsbarkeit, und
+wenn er auch nach Niederlegung seines Amtes rechtlich fuer jede seiner
+Handlungen zur Verantwortung hatte gezogen werden koennen, so lag doch die
+Handhabung dieses Rechts in den Haenden seiner Standesgenossen und schliesslich
+der Gesamtgemeinde, zu der diese ebenfalls gehoerten. Jetzt trat in der
+tribunizischen Gerichtsbarkeit eine neue Macht auf, welche einerseits gegen den
+hoechsten Beamten schon waehrend der Amtsfuehrung einschreiten konnte,
+anderseits gegen die adligen Buerger ausschliesslich durch die nicht adligen
+gehandhabt ward, und die um so drueckender war, als weder das Verbrechen noch
+die Strafe gesetzlich formuliert wurden. Der Sache nach ward durch die
+konkurrierende Gerichtsbarkeit der Plebs und der Gemeinde Gut, Leib und Leben
+der Buerger dem willkuerlichen Belieben der Parteiversammlungen preisgegeben.
+</p>
+
+<p>
+In die Ziviljurisdiktion haben die plebejischen Institutionen nur insofern
+eingegriffen, als in den fuer die Plebs so wichtigen Freiheitsprozessen den
+Konsuln die Geschworenenernennung entzogen ward und die Sprueche hier erfolgten
+von den besonders dafuer bestimmten Zehnmaenner-Richtern (iudices decemviri,
+spaeter decemviri litibus iudicandis). An die konkurrierende Jurisdiktion
+schloss sich weiter die Konkurrenz in der gesetzgebenden Initiative. Das Recht,
+die Mitglieder zu versammeln und Beschluesse derselben zu bewirken, stand den
+Tribunen schon insofern zu, als ohne dasselbe ueberhaupt keine Assoziation
+gedacht werden kann. Ihnen aber ward dasselbe in der eminenten Weise verliehen,
+dass das autonomische Versammlungs- und Beschlussrecht der Plebs gesetzlich
+sichergestellt war vor jedem Eingriff der Magistrate der Gemeinde, ja der
+Gemeinde selbst. Allerdings war es die notwendige Vorbedingung der rechtlichen
+Anerkennung der Plebs ueberhaupt, dass die Tribune nicht daran gehindert werden
+konnten, ihre Nachfolger von der Versammlung der Plebs waehlen zu lassen und
+die Bestaetigung ihrer Kriminalsentenz durch dieselbe zu bewirken; und es ward
+ihnen denn dieses Recht auch durch das Icilische Gesetz (262 492) noch
+besonders gewaehrleistet und jedem, der dabei dem Tribun ins Wort falle oder
+das Volk auseinandergehen heisse, eine schwere Strafe gedroht. Dass demnach dem
+Tribun nicht gewehrt werden konnte, auch andere Antraege als die Wahl seines
+Nachfolgers und die Bestaetigung seiner Urteilssprueche zur Abstimmung zu
+bringen, leuchtet ein. Gueltige Volksschluesse waren derartige
+&ldquo;Beliebungen der Menge&rdquo; (plebi scita) zwar eigentlich nicht,
+sondern anfaenglich nicht viel mehr als die Beschluesse unserer heutigen
+Volksversammlungen; allein da der Unterschied zwischen den Komitien des Volkes
+und den Konzilien der Menge denn doch mehr formaler Natur war, ward wenigstens
+von plebejischer Seite die Gueltigkeit derselben als autonomischer
+Festsetzungen der Gemeinde sofort in Anspruch genommen und zum Beispiel gleich
+das Icilische Gesetz auf diesem Wege durchgesetzt.
+</p>
+
+<p>
+So war der Tribun des Volks bestellt, dem einzelnen zu Schirm und Schutz, allen
+zur Leitung und Fuehrung, versehen mit unbeschraenkter richterlicher Gewalt im
+peinlichen Verfahren, um also seinem Befehl Nachdruck geben zu koennen, endlich
+selbst persoenlich fuer unverletzlich (sacrosanctus) erklaert, indem wer sich
+an ihm oder seinem Diener vergriff, nicht bloss den Goettern verfallen galt,
+sondern auch bei den Menschen als nach rechtlich erwiesenem Frevel des Todes
+schuldig.
+</p>
+
+<p>
+Die Tribune der Menge (tribuni plebis) sind hervorgegangen aus den
+Kriegstribunen und fuehren von diesen ihren Namen; rechtlich aber haben sie
+weiter zu ihnen keinerlei Beziehung. Vielmehr stehen der Gewalt nach die
+Volkstribune und die Konsuln sich gleich. Die Appellation vom Konsul an den
+Tribun und das Interzessionsrecht des Tribuns gegen den Konsul ist, wie schon
+gesagt ward, durchaus gleichartig der Appellation vom Konsul an den Konsul und
+der Interzession des einen Konsuls gegen den andern, und beide sind nichts als
+eine Anwendung des allgemeinen Rechtssatzes, dass zwischen zwei
+Gleichberechtigten der Verbietende dem Gebietenden vorgeht. Auch die
+urspruengliche, allerdings bald vermehrte Zahl und die Jahresdauer des Amtes,
+welches fuer die Tribune jedesmal am 10. Dezember wechselte, sind den Tribunen
+mit den Konsuln gemein, ebenso die eigentuemliche Kollegialitaet, die in jedes
+einzelnen Konsuls und in jedes einzelnen Tribunen Hand die volle Machtfuelle
+des Amtes legt und bei Kollisionen innerhalb des Kollegiums nicht die Stimmen
+zaehlt, sondern das Nein dem Ja vorgehen laesst - weshalb, wo der Tribun
+verbietet, das Verbot des einzelnen trotz des Widerspruchs der Kollegen
+genuegt, wo er dagegen anklagt, er durch jeden seiner Kollegen gehemmt werden
+kann. Konsuln und Tribune haben beide volle und konkurrierende
+Kriminaljurisdiktion, wenn auch jene dieselbe mittelbar, diese unmittelbar
+ausueben; wie jenen die beiden Quaestoren, stehen diesen die beiden Aedilen
+hierin zur Seite ^1. Die Konsuln sind notwendig Patrizier, die Tribune
+notwendig Plebejer. Jene haben die vollere Macht, diese die unumschraenktere,
+denn ihrem Verbot und ihrem Gericht fuegt sich der Konsul, nicht aber dem
+Konsul sich der Tribun. So ist die tribunizische Gewalt das Abbild der
+konsularischen; sie ist aber nicht minder ihr Gegenbild. Die Macht der Konsuln
+ist wesentlich positiv, die der Tribune wesentlich negativ. Nur die Konsuln
+sind Magistrate des roemischen Volkes, nicht die Tribune; denn jene erwaehlt
+die gesamte Buergerschaft, diese nur die plebejische Assoziation. Zum Zeichen
+dessen erscheint der Konsul oeffentlich mit dem den Gemeindebeamten zukommenden
+Schmuck und Gefolge, die Tribune aber sitzen auf der Bank anstatt des
+Wagenstuhls und ermangeln der Amtsdiener, des Purpursaumes und ueberhaupt jedes
+Abzeichens der Magistratur; sogar im Gemeinderat hat der Tribun weder den
+Vorsitz noch auch nur den Beisitz. So ist in dieser merkwuerdigen Institution
+dem absoluten Befehlen das absolute Verbieten in der schaerfsten und
+schroffsten Weise gegenuebergestellt; das war die Schlichtung des Haders, dass
+die Zwietracht der Reichen und der Armen gesetzlich festgestellt und geordnet
+ward.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Dass die plebejischen Aedilen in derselben Weise den patrizischen Quaestoren
+nachgebildet sind wie die plebejischen Tribune den patrizischen Konsuln, ist
+deutlich sowohl fuer die Kriminalrechtspflege, wo nur die Tendenz der beiden
+Magistraturen, nicht die Kompetenz verschieden gewesen zu sein scheint, wie
+fuer das Archivgeschaeft. Fuer die Aedilen ist der Cerestempel, was der Tempel
+des Saturnus fuer die Quaestoren, und von jenem haben sie auch den Namen.
+Bezeichnend ist die Vorschrift des Gesetzes von 305 (349) (Liv. 3, 55), dass
+die Senatsbeschluesse dorthin an die Aedilen abgeliefert werden sollen (I,
+300), waehrend dieselben bekanntlich nach altem und spaeter nach Beilegung des
+Staendekampfes wieder ueberwiegendem Gebrauche den Quaestoren zur Aufbewahrung
+in dem Saturnustempel zugestellt wurden.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Aber was war erreicht damit, dass man die Einheit der Gemeinde brach, dass die
+Beamten einer unsteten und von allen Leidenschaften des Augenblicks abhaengigen
+Kontrollbehoerde unterworfen wurden, dass auf den Wink eines einzelnen der auf
+den Gegenthron gehobenen Oppositionshaeupter die Verwaltung im gefaehrlichsten
+Augenblick zum Stocken gebracht werden konnte, dass man die
+Kriminalrechtspflege, indem man alle Beamte dazu konkurrierend
+bevollmaechtigte, gleichsam gesetzlich aus dem Recht in die Politik verwies und
+sie fuer alle Zeiten verdarb? Es ist wohl wahr, dass das Tribunat wenn nicht
+unmittelbar zur politischen Ausgleichung der Staende beigetragen, so doch als
+eine maechtige Waffe in der Hand der Plebejer gedient hat, als diese bald
+darauf die Zulassung zu den Gemeindeaemtern begehrten. Aber die eigentliche
+Bestimmung des Tribunats war dieses nicht. Nicht dem politisch privilegierten
+Stande ward es abgerungen, sondern den reichen Grund- und Kapitalherren; es
+sollte dem gemeinen Mann billige Rechtspflege sichern und eine zweckmaessigere
+Finanzverwaltung herbeifuehren. Diesen Zweck hat es nicht erfuellt und konnte
+es nicht erfuellen. Der Tribun mochte einzelnen Unbilden, einzelnen schreienden
+Haerten steuern; aber der Fehler lag nicht im Unrecht, das man Recht hiess,
+sondern im Rechte, welches ungerecht war: und wie konnte der Tribun die
+ordentliche Rechtspflege regelmaessig hemmen? haette er es gekonnt, so war auch
+damit noch wenig geholfen, wenn nicht die Quellen der Verarmung verstopft
+wurden, die verkehrte Besteuerung, das schlechte Kreditsystem, die heillose
+Okkupation der Domaenen. Aber hieran wagte man sich nicht, offenbar weil die
+reichen Plebejer selbst an diesen Missbraeuchen kein minderes Interesse hatten
+als die Patrizier. So gruendete man diese seltsame Magistratur, deren
+handgreiflicher Beistand dem gemeinen Mann einleuchtete und die doch die
+notwendige oekonomische Reform unmoeglich durchsetzen konnte. Sie ist kein
+Beweis politischer Weisheit, sondern ein schlechtes Kompromiss zwischen dem
+reichen Adel und der fuehrerlosen Menge. Man hat gesagt, das Volkstribunat habe
+Rom vor der Tyrannis bewahrt. Waere dies wahr, so wuerde es wenig bedeuten; die
+Aenderung der Staatsform ist an sich fuer ein Volk kein Unheil, und fuer das
+roemische war es vielmehr ein Unglueck, dass die Monarchie zu spaet eingefuehrt
+ward nach Erschoepfung der physischen und geistigen Kraefte der Nation. Es ist
+aber nicht einmal richtig, wie schon das beweist, dass die italischen Staaten
+ebenso regelmaessig ohne Tyrannis geblieben sind wie sie in den hellenischen
+regelmaessig aufstanden. Der Grund liegt einfach darin, dass die Tyrannis
+ueberall die Folge des allgemeinen Stimmrechts ist und dass die Italiker
+laenger als die Griechen die nicht grundsaessigen Buerger von den
+Gemeindeversammlungen ausschlossen; als Rom hiervon abging, blieb auch die
+Monarchie nicht aus, ja knuepfte eben an an das tribunizische Amt. Dass das
+Volkstribunat auch genuetzt hat, indem es der Opposition gesetzliche Bahnen
+wies und manche Verkehrtheit abwehrte, wird niemand verkennen; aber
+ebensowenig, dass, wo es sich nuetzlich erwies, es fuer ganz andere Dinge
+gebraucht ward, als wofuer man es begruendet hatte. Das verwegene Experiment,
+den Fuehrern der Opposition ein verfassungsmaessiges Veto einzuraeumen und sie
+mit der Macht, es ruecksichtslos geltend zu machen, auszustatten, bleibt ein
+Notbehelf, der den Staat politisch aus den Angeln gehoben und die sozialen
+Missstaende durch nutzlose Palliative hingeschleppt hat.
+</p>
+
+<p>
+Indes man hatte den Buergerkrieg organisiert; er ging seinen Gang. Wie zur
+Schlacht standen die Parteien sich gegenueber, jede unter ihren Fuehrern;
+Beschraenkung der konsularischen, Erweiterung der tribunizischen Gewalt ward
+auf der einen, die Vernichtung des Tribunats auf der andern Seite angestrebt;
+die gesetzlich straflos gemachte Insubordination, die Weigerung, sich zur
+Landesverteidigung zu stellen, die Buss- und Strafklagen namentlich gegen
+Beamte, die die Rechte der Gemeinde verletzt oder auch nur ihr Missfallen
+erregt hatten, waren die Waffen der Plebejer, denen die Junker Gewalt und
+Einverstaendnisse mit den Landesfeinden, gelegentlich auch den Dolch des
+Meuchelmoerders entgegensetzten; auf den Strassen kam es zum Handgemenge und
+hueben und drueben vergriff man sich an der Heiligkeit der Magistratspersonen.
+Viele Buergerfamilien sollen ausgewandert sein und in den benachbarten
+Gemeinden einen friedlicheren Wohnsitz gesucht haben; und man mag es wohl
+glauben. Es zeugt von dem starken Buergersinn im Volk, nicht dass es diese
+Verfassung sich gab, sondern dass es sie ertrug und die Gemeinde trotz der
+heftigsten Kaempfe dennoch zusammenhielt. Das bekannteste Ereignis aus diesen
+Staendekaempfen ist die Geschichte des Gnaeus Marcius, eines tapferen Adligen,
+der von Coriolis Erstuermung den Beinamen trug. Er soll im Jahr 263 (491),
+erbittert ueber die Weigerung der Zenturien, ihm das Konsulat zu uebertragen,
+beantragt haben, wie einige sagen, die Einstellung der Getreideverkaeufe aus
+den Staatsmagazinen, bis das hungernde Volk auf das Tribunat verzichte; wie
+andere berichten, geradezu die Abschaffung des Tribunats. Von den Tribunen auf
+Leib und Leben angeklagt, habe er die Stadt verlassen, indes nur, um
+zurueckzukehren an der Spitze eines volskischen Heeres; jedoch im Begriff,
+.seine Vaterstadt fuer den Landesfeind zu erobern, habe das ernste Wort der
+Mutter sein Gewissen geruehrt und also sei von ihm der erste Verrat durch einen
+zweiten gesuehnt worden und beide durch den Tod. Wieviel darin wahr ist, laesst
+sich nicht entscheiden; aber alt ist die Erzaehlung, aus der die naive
+Impertinenz der roemischen Annalisten eine vaterlaendische Glorie gemacht hat,
+und sie oeffnet den Einblick in die tiefe sittliche und politische
+Schaendlichkeit dieser staendischen Kaempfe. Aehnlichen Schlages ist der
+Ueberfall des Kapitols durch eine Schar politischer Fluechtlinge, gefuehrt von
+dem Sabiner Appius Herdonius im Jahr 294 (460); sie riefen die Sklaven zu den
+Waffen, und erst nach heissem Kampf und mit Hilfe der herbeigeeilten Tusculaner
+ward die roemische Buergerwehr der catilinarischen Bande Meister. Denselben
+Charakter fanatischer Erbitterung tragen andere Ereignisse dieser Zeit, deren
+geschichtliche Bedeutung in den luegenseligen Familienberichten sich nicht mehr
+erfassen laesst; so das Uebergewicht des Fabischen Geschlechtes, das von 269
+bis 275 (485-479) den einen Konsul stellte, und die Reaktion dagegen, die
+Auswanderung der Fabier aus Rom und ihre Vernichtung durch die Etrusker am
+Cremera (277 477). Noch entsetzlicher war die Ermordung des Volkstribuns Gnaeus
+Genucius, der es gewagt hatte, zwei Konsulare zur Rechenschaft zu ziehen und
+der am Morgen des fuer die Anklage anberaumten Tages tot im Bette gefunden ward
+(281 473). Die unmittelbare Folge dieser Untat war das Publilische Gesetz,
+eines der folgenreichsten, das die roemische Geschichte kennt. Zwei der
+wichtigsten Ordnungen, die Einfuehrung der plebejischen Tribusversammlung und
+die wenngleich bedingte Gleichstellung des Plebiszits mit dem foermlichen, von
+der ganzen Gemeinde beschlossenen Gesetz, gehen, jene gewiss, diese
+wahrscheinlich zurueck auf den Antrag des Volkstribunen Volero Publilius vom
+Jahre 283 (471). Die Plebs hatte bis dahin ihre Beschluesse nach Kurien
+gefasst; demnach war in diesen ihren Sonderversammlungen teils ohne Unterschied
+des Vermoegens und der Ansaessigkeit bloss nach Koepfen abgestimmt worden,
+teils hatten, infolge des im Wesen der Kurienversammlung liegenden
+Zusammenstehens der Geschlechtsgenossen, die Klienten der grossen Adelsfamilien
+in der Plebejerversammlung miteinander gestimmt. Der eine wie der andere
+Umstand gab dem Adel vielfache Gelegenheit, Einfluss auf diese Versammlung zu
+ueben und besonders die Wahl der Tribune in seinem Sinne zu lenken; beides fiel
+fortan weg durch die neue Abstimmungsweise nach Quartieren. Deren waren in der
+Servianischen Verfassung zum Zweck der Aushebung vier gebildet worden, die
+Stadt und Land gleichmaessig umfassten (I, 105); spaeterhin - vielleicht im
+Jahr 259 (495) - hatte man das roemische Gebiet in zwanzig Distrikte
+eingeteilt, von denen die ersten vier die Stadt und deren naechste Umgebung
+umfassten, die uebrigen sechzehn mit Zugrundelegung der Geschlechtergaue des
+aeltesten roemischen Ackers aus dem Landgebiet gebildet wurden (I, 51). Zu
+diesen wurde, wahrscheinlich erst infolge des Publilischen Gesetzes und um die
+fuer die Abstimmung wuenschenswerte Ungleichheit der Gesamtzahl der
+Stimmabteilungen herbeizufuehren, als einundzwanzigste Tribus die
+crustuminische hinzugefuegt, die ihren Namen von dem Orte trug, wo die Plebs
+als solche sich konstituiert und das Tribunat gestiftet hatte (I, 282) und
+fortan fanden die Sonderversammlungen der Plebs nicht mehr nach Kurien statt,
+sondern nach Tribus. In diesen Abteilungen, die durchaus auf dem Grundbesitz
+beruhten, stimmten ausschliesslich die ansaessigen Leute, diese jedoch ohne
+Unterschied der Groesse des Grundbesitzes und so, wie sie in Doerfern und
+Weilern zusammen wohnten; es war also diese Tribusversammlung, die im uebrigen
+aeusserlich der nach Kurien geordneten nachgebildet ward, recht eigentlich eine
+Versammlung des unabhaengigen Mittelstandes, von der einerseits die
+Freigelassenen und Klienten der grossen Mehrzahl nach als nicht ansaessige
+Leute ausgeschlossen waren, und in der anderseits der groessere Grundbesitz
+nicht so wie in den Zenturien ueberwog. Eine allgemeine
+Buergerschaftsversammlung war diese &ldquo;Zusammenkunft der Menge&rdquo;
+(concilium plebis) noch weniger als die plebejische Kurienversammlung, da sie
+nicht bloss wie diese die saemtlichen Patrizier, sondern auch die nicht
+grundsaessigen Plebejer ausschloss; aber die Menge war maechtig genug, um es
+durchzusetzen, dass ihr Beschluss dem von den Zenturien gefassten rechtlich
+gleich gelte, falls er vorher vom Gesamtsenat gebilligt worden war. Dass diese
+letzte Bestimmung schon vor Erlass der Zwoelf Tafeln gesetzlich feststand, ist
+gewiss; ob man sie gerade bei Gelegenheit des Publilischen Plebiszits
+eingefuehrt hat, oder ob sie bereits vorher durch irgendeine andere
+verschollene Satzung ins Leben gerufen und auf das Publilische Plebiszit nur
+angewendet worden ist, laesst sich nicht mehr ausmachen. Ebenso bleibt es
+ungewiss, ob durch dies Gesetz die Zahl der Tribune von zwei auf vier vermehrt
+ward oder dies bereits vorher geschehen war.
+</p>
+
+<p>
+Einsichtiger angelegt als alle diese Parteimassregeln war der Versuch des
+Spurius Cassius, die finanzielle Allmacht der Reichen zu brechen und damit den
+eigentlichen Quell des Uebels zu verstopfen. Er war Patrizier, und keiner tat
+es in seinem Stande an Rang und Ruhm ihm zuvor; nach zwei Triumphen, im dritten
+Konsulat (268 486) brachte er an die Buergergemeinde den Antrag, das
+Gemeindeland vermessen zu lassen und es teils zum Besten des oeffentlichen
+Schatzes zu verpachten, teils unter die Beduerftigen zu verteilen; das heisst,
+er versuchte, die Entscheidung ueber die Domaenen dem Senat zu entreissen und,
+gestuetzt auf die Buergerschaft, dem egoistischen Okkupationssystem ein Ende zu
+machen. Er mochte meinen, dass die Auszeichnung seiner Persoenlichkeit, die
+Gerechtigkeit und Weisheit der Massregel durchschlagen werde, selbst in diesen
+Wogen der Leidenschaftlichkeit und der Schwaeche; allein er irrte. Der Adel
+erhob sich wie ein Mann; die reichen Plebejer traten auf seine Seite; der
+gemeine Mann war missvergnuegt, weil Spurius Cassius, wie Bundesrecht und
+Billigkeit geboten, auch den latinischen Eidgenossen bei der Assignation ihr
+Teil geben wollte. Cassius musste sterben; es ist etwas Wahres in der Anklage,
+dass er koenigliche Gewalt sich angemasst habe, denn freilich versuchte er
+gleich den Koenigen, gegen seinen Stand die Gemeinfreien zu schirmen. Sein
+Gesetz ging mit ihm ins Grab, aber das Gespenst desselben stand seitdem den
+Reichen unaufhoerlich vor Augen und wieder und wieder stand es auf gegen sie,
+bis unter den Kaempfen darueber das Gemeinwesen zugrunde ging.
+</p>
+
+<p>
+Da ward noch ein Versuch gemacht, die tribunizische Gewalt dadurch zu
+beseitigen, dass man dem gemeinen Mann die Rechtsgleichheit auf einem
+geregelteren und wirksameren Wege sicherte. Der Volkstribun Gaius Terentilius
+Arsa beantragte im Jahr 292 (462) die Ernennung einer Kommission von fuenf
+Maennern zur Entwerfung eines gemeinen Landrechts, an das die Konsuln
+kuenftighin in ihrer richterlichen Gewalt gebunden sein sollten. Aber der Senat
+weigerte sich, diesem Vorschlag seine Sanktion zu geben, und es vergingen zehn
+Jahre, ehe derselbe zur Ausfuehrung kam - Jahre des heissesten Staendekampfes,
+welche ueberdies vielfach bewegt waren durch Kriege und innere Unruhen; mit
+gleicher Hartnaeckigkeit hinderte die Adelspartei die Zulassung des Gesetzes im
+Senat und ernannte die Gemeinde wieder und wieder dieselben Maenner zu
+Tribunen. Man versuchte durch andere Konzessionen den Angriff zu beseitigen: im
+Jahre 297 (457) ward die Vermehrung der Tribune von vier auf zehn bewilligt -
+freilich ein zweifelhafter Gewinn; im folgenden Jahre durch ein Icilisches
+Plebiszit, das aufgenommen ward unter die beschworenen Privilegien der
+Gemeinde, der Aventin, bisher Tempelhain und unbewohnt, unter die aermeren
+Buerger zu Bauplaetzen erblichen Besitzes aufgeteilt. Die Gemeinde nahm, was
+ihr geboten ward, allein sie hoerte nicht auf, das Landrecht zu fordern.
+Endlich im Jahre 300 (454) kam ein Vergleich zustande; der Senat gab in der
+Hauptsache nach. Die Abfassung des Landrechts wurde beschlossen; es sollten
+dazu ausserordentlicher Weise zehn Maenner von den Zenturien gewaehlt werden,
+welche zugleich als hoechste Beamte anstatt der Konsuln zu fungieren hatten
+(decem viri consulari imperio legibus scribundis), und zu diesem Posten sollten
+nicht bloss Patrizier, sondern auch Plebejer wahlfaehig sein. Diese wurden hier
+zum erstenmal, freilich nur fuer ein ausserordentliches Amt, als waehlbar
+bezeichnet. Es war dies ein grosser Schritt vorwaerts zu der vollen politischen
+Gleichberechtigung, und er war nicht zu teuer damit verkauft, dass das
+Volkstribunat aufgehoben, das Provokationsrecht fuer die Dauer des Dezemvirats
+suspendiert und die Zehnmaenner nur verpflichtet wurden, die beschworenen
+Freiheiten der Gemeinde nicht anzutasten. Vorher indes wurde noch eine
+Gesandtschaft nach Griechenland geschickt um die Solonischen und andere
+griechische Gesetze heimzubringen, und erst nach deren Rueckkehr wurden fuer
+das Jahr 303 (451) die Zehnmaenner gewaehlt. Obwohl es freistand, auch Plebejer
+zu ernennen, so traf doch die Wahl auf lauter Patrizier - so maechtig war
+damals noch der Adel -, und erst als eine abermalige Wahl fuer 304 (450) noetig
+ward, wurden auch einige Plebejer gewaehlt - die ersten nichtadligen Beamten,
+die die roemische Gemeinde gehabt hat.
+</p>
+
+<p>
+Erwaegt man diese Massregeln in ihrem Zusammenhang, so kann kaum ein anderer
+Zweck ihnen untergelegt werden, als die Beschraenkung der konsularischen Gewalt
+durch das geschriebene Gesetz an die Stelle der tribunizischen Hilfe zu setzen.
+Von beiden Seiten musste man sich ueberzeugt haben, dass es nicht so bleiben
+konnte, wie es war, und die Permanenzerklaerung der Anarchie wohl die Gemeinde
+zugrunde richtete, aber in der Tat und Wahrheit dabei fuer niemand etwas
+herauskam. Ernsthafte Leute mussten einsehen, dass das Eingreifen der Tribune
+in die Administration sowie ihre Anklaegertaetigkeit schlechterdings schaedlich
+wirkten und der einzige wirkliche Gewinn, den das Tribunat dem gemeinen Mann
+gebracht hatte, der Schutz gegen parteiische Rechtspflege war, indem es als
+eine Art Kassationsgericht die Willkuer des Magistrats beschraenkte. Ohne
+Zweifel ward, als die Plebejer ein geschriebenes Landrecht begehrten, von den
+Patriziern erwidert, dass dann der tribunizische Rechtsschutz ueberfluessig
+werde; und hierauf scheint von beiden Seiten nachgegeben zu sein. Es ist
+vielleicht nie bestimmt ausgesprochen worden, wie es werden sollte nach
+Abfassung des Landrechts; aber an dem definitiven Verzicht der Plebs auf das
+Tribunat ist nicht zu zweifeln, da dieselbe durch das Dezemvirat in die Lage
+kam, nicht anders als auf ungesetzlichem Wege das Tribunat zurueckgewinnen zu
+koennen. Die der Plebs gegebene Zusage, dass ihre beschworenen Freiheiten nicht
+angetastet werden sollten, kann bezogen werden auf die vom Tribunat
+unabhaengigen Rechte der Plebejer, wie die Provokation und der Besitz des
+Aventin. Die Absicht scheint gewesen zu sein, dass die Zehnmaenner bei ihrem
+Ruecktritt dem Volke vorschlagen sollten, die jetzt nicht mehr nach Willkuer,
+sondern nach geschriebenem Recht urteilenden Konsuln wiederum zu waehlen.
+</p>
+
+<p>
+Der Plan, wenn er bestand, war weise; es kam darauf an, ob die leidenschaftlich
+erbitterten Gemueter hueben und drueben diesen friedlichen Austrag annehmen
+wuerden. Die Dezemvirn des Jahres 303 (451) brachten ihr Gesetz vor das Volk
+und, von diesem bestaetigt, wurde dasselbe, in zehn kupferne Tafeln
+eingegraben, auf dem Markt an der Rednerbuehne vor dem Rathaus angeschlagen. Da
+indes noch ein Nachtrag erforderlich schien, so ernannte man auf das Jahr 304
+(450) wieder Zehnmaenner, die noch zwei Tafeln hinzufuegten; so entstand das
+erste und einzige roemische Landrecht, das Gesetz der Zwoelf Tafeln. Es ging
+aus einem Kompromiss der Parteien hervor und kann schon darum tiefgreifende,
+ueber nebensaechliche und blosse Zweckmaessigkeitsbestimmungen hinausgehende
+Aenderungen des bestehenden Rechts nicht wohl enthalten haben. Sogar im
+Kreditwesen trat keine weitere Milderung ein, als dass ein - wahrscheinlich
+niedriges - Zinsmaximum (10 Prozent) festgestellt und der Wucherer mit schwerer
+Strafe - charakteristisch genug mit einer weit schwereren als der Dieb -
+bedroht ward; der strenge Schuldprozess blieb wenigstens in seinen Hauptzuegen
+ungeaendert. Aenderungen der staendischen Rechte waren begreiflicherweise noch
+weniger beabsichtigt; der Rechtsunterschied zwischen steuerpflichtigen und
+vermoegenslosen Buergern, die Ungueltigkeit der Ehe zwischen Adligen und
+Buergerlichen wurden vielmehr aufs neue im Stadtrecht bestaetigt, ebenso zur
+Beschraenkung der Beamtenwillkuer und zum Schutz des Buergers ausdruecklich
+vorgeschrieben, dass das spaetere Gesetz durchaus dem frueheren vorgehen und
+dass kein Volksschluss gegen einen einzelnen Buerger erlassen werden solle. Am
+bemerkenswertesten ist die Ausschliessung der Provokation an die Tribuskomitien
+in Kapitalsachen, waehrend die an die Zenturien gewaehrleistet ward; was sich
+daraus erklaert, dass die Strafgerichtsbarkeit von der Plebs und ihren
+Vorstehern in der Tat usurpiert war und mit dem Tribunal auch der tribunizische
+Kapitalprozess notwendig fiel, waehrend es vielleicht die Absicht war, den
+aedilizischen Multprozess beizubehalten. Die wesentliche politische Bedeutung
+lag weit weniger in dem Inhalt des Weistums als in der jetzt foermlich
+festgestellten Verpflichtung der Konsuln, nach diesen Prozessformen und diesen
+Rechtsregeln Recht zu sprechen, und in der oeffentlichen Aufstellung des
+Gesetzbuchs, wodurch die Rechtsverwaltung der Kontrolle der Publizitaet
+unterworfen und der Konsul genoetigt ward, allen gleiches und wahrhaft gemeines
+Recht zu sprechen.
+</p>
+
+<p>
+Der Ausgang des Dezemvirats liegt in tiefem Dunkel. Es blieb - so wird
+berichtet - den Zehnmaennern nur noch uebrig, die beiden letzten Tafeln zu
+publizieren und alsdann der ordentlichen Magistratur Platz zu machen. Sie
+zoegerten indes; unter dem Vorwande, dass das Gesetz noch immer nicht fertig
+sei, fuehrten sie selbst nach Ablauf des Amtsjahres ihr Amt weiter, was
+insofern moeglich war, als nach roemischem Staatsrecht die
+ausserordentlicherweise zur Revision der Verfassung berufene Magistratur durch
+die ihr gesetzte Endfrist rechtlich nicht gebunden werden kann. Die gemaessigte
+Fraktion der Aristokratie, die Valerier und Horatier an ihrer Spitze, soll
+versucht haben, im Senat die Abdankung der Dezemvirn zu erzwingen; allein das
+Haupt der Zehnmaenner, Appius Claudius, von Haus aus ein starrer Aristokrat,
+aber jetzt umschlagend zum Demagogen und zum Tyrannen, gewann das Uebergewicht
+im Senat, und auch das Volk fuegte sich. Die Aushebung eines doppelten Heeres
+ward ohne Widerspruch vollzogen und der Krieg gegen die Volsker wie gegen die
+Sabiner begonnen. Da wurde der gewesene Volkstribun Lucius Siccius Dentatus,
+der tapferste Mann in Rom, der in hundertundzwanzig Schlachten gefochten und
+fuenfundvierzig ehrenvolle Narben aufzuzeigen hatte, tot vor dem Lager
+gefunden, meuchlerisch ermordet, wie es hiess, auf Anstiften der Zehnmaenner.
+Die Revolution gaerte in den Gemuetern; zum Ausbruch brachte sie der ungerechte
+Wahrspruch des Appius in dem Prozess um die Freiheit der Tochter des
+Centurionen Lucius Verginius, der Braut des gewesenen Volkstribuns Lucius
+Icilius, welcher Spruch das Maedchen den Ihrigen entriss, um sie unfrei und
+rechtlos zu machen und den Vater bewog, seiner Tochter auf offenem Markt das
+Messer selber in die Brust zu stossen, um sie der gewissen Schande zu
+entreissen. Waehrend das Volk erstarrt ob der unerhoerten Tat die Leiche des
+schoenen Maedchens umstand, befahl der Dezemvir seinen Buetteln, den Vater und
+alsdann den Braeutigam vor seinen Stuhl zu fuehren, um ihm, von dessen Spruch
+keine Berufung galt, sofort Rede zu stehen wegen ihrer Auflehnung gegen seine
+Gewalt. Nun war das Mass voll. Geschuetzt von den brausenden Volksmassen
+entziehen der Vater und der Braeutigam des Maedchens sich den Haeschern des
+Gewaltherrn, und waehrend in Rom der Senat zittert und schwankt, erscheinen die
+beiden mit zahlreichen Zeugen der furchtbaren Tat in den beiden Lagern. Das
+Unerhoerte wird berichtet; vor allen Augen oeffnet sich die Kluft, die der
+mangelnde tribunizische Schutz in der Rechtssicherheit gelassen hat, und was
+die Vaeter getan, wiederholen die Soehne. Abermals verlassen die Heere ihre
+Fuehrer; sie ziehen in kriegerischer Ordnung durch die Stadt und abermals auf
+den heiligen Berg, wo sie abermals ihre Tribune sich ernennen. Immer noch
+weigern die Dezemvirn die Niederlegung ihrer Gewalt; da erscheint das Heer mit
+seinen Tribunen in der Stadt und lagert sich auf dem Aventin. Jetzt endlich, wo
+der Buergerkrieg schon da war und der Strassenkampf stuendlich beginnen konnte,
+jetzt entsagen die Zehnmaenner ihrer angemassten und entehrten Gewalt, und die
+Konsuln Lucius Valerius und Marcus Horatius vermitteln einen zweiten Vergleich,
+durch den das Volkstribunal wieder hergestellt wurde. Die Anklagen gegen die
+Dezemvirn endigten damit, dass die beiden schuldigsten, Appius Claudius und
+Spurius Oppius, im Gefaengnis sich das Leben nahmen, die acht anderen ins Exil
+gingen und der Staat ihr Vermoegen einzog. Weitere gerichtliche Verfolgungen
+hemmte der kluge und gemaessigte Volkstribun Marcus Duilius durch den
+rechtzeitigen Gebrauch seines Veto.
+</p>
+
+<p>
+So lautet die Erzaehlung, wie der Griffel der roemischen Aristokraten sie
+aufgezeichnet hat; unmoeglich aber kann, auch von den Nebenumstaenden
+abgesehen, die grosse Krise, der die Zwoelf Tafeln entsprangen, in solche
+romantische Abenteuerlichkeiten und politische Unbegreiflichkeiten ausgelaufen
+sein. Das Dezemvirat war nach der Abschaffung des Koenigtums und der Einsetzung
+des Volkstribunats der dritte grosse Sieg der Plebs, und die Erbitterung der
+Gegenpartei gegen die Institution wie gegen ihr Haupt Appius Claudius ist
+erklaerlich genug. Die Plebejer hatten damit das passive Wahlrecht zu dem
+hoechsten Gemeindeamt und das gemeine Landrecht errungen; und nicht sie waren
+es, die Ursache hatten, sich gegen die neue Magistratur aufzulehnen und mit
+Waffengewalt das rein patrizische Konsularregiment zu restaurieren. Dies Ziel
+kann nur von der Adelspartei verfolgt worden sein, und wenn die
+patrizisch-plebejischen Dezemvirn den Versuch gemacht haben, sich ueber die
+Zeit hinaus im Amte zu behaupten, so ist sicherlich dagegen in erster Reihe der
+Adel in die Schranken getreten; wobei er freilich nicht versaeumt haben wird
+geltend zu machen, dass ja auch der Plebs ihre verbrieften Rechte geschmaelert,
+insbesondere das Tribunat ihr genommen sei. Gelang es dann dem Adel, die
+Dezemvirn zu beseitigen, so ist es allerdings begreiflich, dass nach deren
+Sturz die Plebs jetzt abermals in Waffen zusammentrat, um die Ergebnisse sowohl
+der frueheren Revolution von 260 wie auch der juengsten Bewegung sich zu
+sichern; und nur als Kompromiss in diesem Konflikt lassen die
+Valerisch-Horatischen Gesetze von 305 (449) sich verstehen. Der Vergleich fiel
+wie natuerlich durchaus zu Gunsten der Plebejer aus und beschraenkte abermals
+in empfindlicher Weise die Gewalt des Adels. Dass das Volkstribunat wieder
+hergestellt, das dem Adel abgedrungene Stadtrecht definitiv festgehalten und
+die Konsuln danach zu richten verpflichtet wurden, versteht sich von selbst.
+Durch das Stadtrecht verloren allerdings die Tribus die angemasste
+Gerichtsbarkeit in Kapitalsachen; allein die Tribune erhielten sie zurueck,
+indem ein Weg gefunden ward, ihnen fuer solche Faelle die Verhandlung mit den
+Zenturien moeglich zu machen. Ueberdies blieb ihnen in dem Recht, auf
+Geldbussen unbeschraenkt zu erkennen und diesen Spruch an die Tribuskomitien zu
+bringen, ein ausreichendes Mittel, die buergerliche Existenz des patrizischen
+Gegners zu vernichten. Es ward ferner auf Antrag der Konsuln von den Zenturien
+beschlossen, dass kuenftig jeder Magistrat, also auch der Diktator bei seiner
+Ernennung verpflichtet werden solle, der Provokation stattzugeben; wer dem
+zuwider einen Beamten ernannte, buesste mit dem Kopfe. Im uebrigen behielt der
+Diktator die bisherige Gewalt und konnte namentlich der Tribun seine
+Amtshandlungen nicht wie die der Konsuln kassieren.
+</p>
+
+<p>
+Eine weitere Beschraenkung der konsularischen Machtfuelle war es, dass die
+Verwaltung der Kriegskasse zwei von der Gemeinde gewaehlten Zahlmeistern
+(quaestores) uebertragen ward, die zuerst fuer 307 (447) ernannt wurden. Die
+Ernennung sowohl der beiden neuen Zahlmeister fuer den Krieg wie auch der
+beiden die Stadtkasse verwaltenden ging jetzt ueber auf die Gemeinde; der
+Konsul behielt statt der Wahl nur die Wahlleitung. Die Versammlung, in der die
+Zahlmeister erwaehlt wurden, war die der saemtlichen patrizisch-plebejischen
+ansaessigen Leute und stimmte nach Quartieren ab; worin ebenfalls eine
+Konzession an die diese Versammlungen weit mehr als die Zenturiatkomitien
+beherrschende plebejische Bauernschaft liegt.
+</p>
+
+<p>
+Folgenreicher noch war es, dass den Tribunen Anteil an den Verhandlungen im
+Senat eingeraeumt ward. Zwar in den Sitzungssaal die Tribune zuzulassen, schien
+dem Senat unter seiner Wuerde; es wurde ihnen eine Bank an die Tuer gesetzt, um
+von da aus den Verhandlungen zu folgen. Das tribunizische Interzessionsrecht
+hatte sich auch auf die Beschluesse des Gesamtsenats erstreckt, seit dieser aus
+einer beratenden zu einer beschliessenden Behoerde geworden war, was wohl
+zuerst eintrat in dem Fall, wo ein Plebiszit fuer die ganze Gemeinde verbindend
+werden sollte; es war natuerlich, dass man seitdem den Tribunen eine gewisse
+Beteiligung an den Verhandlungen in der Kurie einraeumte. Um auch gegen
+Unterschiebung und Verfaelschung von Senatsbeschluessen gesichert zu sein, an
+deren Gueltigkeit ja die der wichtigsten Plebiszite geknuepft war, wurde
+verordnet, dass in Zukunft dieselben nicht bloss bei den patrizischen
+Stadtquaestoren im Saturnus-, sondern ebenfalls bei den plebejischen Aedilen im
+Cerestempel hinterlegt werden sollten. So endigte dieser Kampf, der begonnen
+war, um die Gewalt der Volkstribune zu beseitigen, mit der abermaligen und nun
+definitiven Sanktionierung ihres Rechts, sowohl einzelne Verwaltungsakte auf
+Anrufen des Beschwerten als auch jede Beschlussnahme der konstitutiven
+Staatsgewalten nach Ermessen zu kassieren. Mit den heiligsten Eiden und allem,
+was die Religion Ehrfuerchtiges darbot, und nicht minder mit den foermlichsten
+Gesetzen wurde abermals sowohl die Person der Tribune als die ununterbrochene
+Dauer und die Vollzaehligkeit des Kollegiums gesichert. Es ist seitdem nie
+wieder in Rom ein Versuch gemacht worden, diese Magistratur aufzuheben.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap03"></a>KAPITEL III.<br/>
+Die Ausgleichung der Stände und die neue Aristokratie</h2>
+
+<p>
+Die tribunizischen Bewegungen scheinen vorzugsweise aus den sozialen, nicht aus
+den politischen Missverhaeltnissen hervorgegangen zu sein und es ist guter
+Grund vorhanden zu der Annahme, dass ein Teil der vermoegenden, in den Senat
+aufgenommenen Plebejer denselben nicht minder entgegen war als die Patrizier;
+denn die Privilegien, gegen welche die Bewegung vorzugsweise sich richtete,
+kamen auch ihnen zugute, und wenn sie auch wieder in anderer Beziehung sich
+zurueckgesetzt fanden, so mochte es ihnen doch keineswegs an der Zeit scheinen,
+ihre Ansprueche auf Teilnahme an den Aemtern geltend zu machen, waehrend der
+ganze Senat in seiner finanziellen Sondermacht bedroht war. So erklaert es
+sich, dass waehrend der ersten fuenfzig Jahre der Republik kein Schritt
+geschah, der geradezu auf politische Ausgleichung der Staende hinzielte.
+</p>
+
+<p>
+Allein eine Buergschaft der Dauer trug dieses Buendnis der Patrizier und der
+reichen Plebejer doch keineswegs in sich. Ohne Zweifel hatte ein Teil der
+vornehmen plebejischen Familien von Haus aus der Bewegungspartei sich
+angeschlossen, teils aus Billigkeitsgefuehl gegen ihre Standesgenossen, teils
+infolge des natuerlichen Bundes aller Zurueckgesetzten, teils endlich, weil sie
+begriffen, dass Konzessionen an die Menge auf die Laenge unvermeidlich waren
+und dass sie, richtig benutzt, die Beseitigung der Sonderrechte des Patriziats
+zur Folge haben und damit der plebejischen Aristokratie das entscheidende
+Gewicht im Staate geben wuerden. Wenn diese Ueberzeugung, wie das nicht fehlen
+konnte, in weitere Kreise eindrang und die plebejische Aristokratie an der
+Spitze ihres Standes den Kampf gegen den Geschlechtsadel aufnahm, so hielt sie
+in dem Tribunat den Buergerkrieg gesetzlich in der Hand und konnte mit dem
+sozialen Notstand die Schlachten schlagen, um dem Adel die Friedensbedingungen
+zu diktieren und als Vermittler zwischen beiden Parteien fuer sich den Zutritt
+zu den Aemtern zu erzwingen.
+</p>
+
+<p>
+Ein solcher Wendepunkt in der Stellung der Parteien trat ein nach dem Sturz des
+Dezemvirats. Es war jetzt vollkommen klar geworden, dass das Volkstribunat sich
+nicht beseitigen liess; die plebejische Aristokratie konnte nichts Besseres
+tun, als sich dieses gewaltigen Hebels zu bemaechtigen und sich desselben zur
+Beseitigung der politischen Zuruecksetzung ihres Standes zu bedienen.
+</p>
+
+<p>
+Wie wehrlos der Geschlechtsadel der vereinigten Plebs gegenueberstand, zeigt
+nichts so augenscheinlich, als dass der Fundamentalsatz der exklusiven Partei,
+die Ungueltigkeit der Ehe zwischen Adligen und Buergerlichen, kaum vier Jahre
+nach der Dezemviralrevolution auf den ersten Streich fiel. Im Jahre 309 (445)
+wurde durch das Canuleische Plebiszit verordnet, dass die Ehe zwischen Adligen
+und Buergerlichen als eine rechte roemische gelten und die daraus erzeugten
+Kinder dem Stande des Vaters folgen sollten. Gleichzeitig wurde ferner
+durchgesetzt, dass statt der Konsuln Kriegstribune - es gab deren damals, vor
+der Teilung des Heeres in Legionen, sechs, und danach richtete sich auch die
+Zahl dieser Magistrate - mit konsularischer Gewalt ^1 und konsularischer
+Amtsdauer von den Zenturien gewaehlt werden sollten. Die naechste Ursache war
+militaerischer Art, indem die vielfachen Kriege eine groessere Zahl von
+obersten Feldherren forderten, als die Konsularverfassung sie gewaehrte; aber
+die Aenderung ist von wesentlicher Bedeutung fuer den Staendekampf geworden, ja
+vielleicht jener militaerische Zweck fuer diese Einrichtung mehr der Vorwand
+als der Grund gewesen. Zu Offizierstellen konnte nach altem Recht jeder
+dienstpflichtige Buerger oder Insasse gelangen, und es ward also damit das
+hoechste Amt, nachdem es voruebergehend schon im Dezemvirat den Plebejern
+geoeffnet worden war, jetzt in umfassender Weise saemtlichen freigewordenen
+Buergern gleichmaessig zugaenglich gemacht. Die Frage liegt nahe, welches
+Interesse der Adel dabei haben konnte, da er einmal auf den Alleinbesitz des
+hoechsten Amtes verzichten und in der Sache nachgeben musste, den Plebejern den
+Titel zu versagen und das Konsulat ihnen in dieser wunderlichen Form
+zuzugestehen ^2. Einmal aber knuepften sich an die Bekleidung des hoechsten
+Gemeindeamts mancherlei teils persoenliche, teils erbliche Ehrenrechte: so galt
+die Ehre des Triumphs als rechtlich bedingt durch die Bekleidung des hoechsten
+Gemeindeamts und wurde nie einem Offizier gegeben, der nicht dieses selbst
+verwaltet hatte; so stand es den Nachkommen eines kurulischen Beamten frei, das
+Bild eines solchen Ahnen im Familiensaal auf- und bei geeigneten Veranlassungen
+oeffentlich zur Schau zu stellen, waehrend dies fuer andere Vorfahren nicht
+statthaft war ^3. Es ist ebenso leicht zu erklaeren wie schwer zu
+rechtfertigen, dass der regierende Herrenstand weit eher das Regiment selbst
+als die daran geknuepften Ehrenrechte, namentlich die erblichen, sich entwinden
+liess und darum, als es jenes mit den Plebejern teilen musste, den tatsaechlich
+hoechsten Gemeindebeamten rechtlich nicht als Inhaber des kurulischen Sessels,
+sondern als einfachen Stabsoffizier hinstellte, dessen Auszeichnung eine rein
+persoenliche war. Von groesserer politischer Bedeutung aber als die Versagung
+des Ahnenrechts und der Ehre des Triumphs war es, dass die Ausschliessung der
+im Senat sitzenden Plebejer von der Debatte notwendig fuer diejenigen von ihnen
+fiel, die als designierte oder gewesene Konsuln in die Reihe der vor den
+uebrigen um ihr Gutachten zu fragenden Senatoren eintraten; insofern war es
+allerdings fuer den Adel von grosser Wichtigkeit, den Plebejer nur zu einem
+konsularischen Amt, nicht aber zum Konsulat selbst zuzulassen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Die Annahme, dass rechtlich den patrizischen Konsulartribunen das volle, den
+plebejischen nur das militaerische Imperium zugestanden habe, ruft nicht bloss
+manche Fragen hervor, auf die es keine Antwort gibt, zum Beispiel, was denn
+geschah, wenn, wie dies gesetzlich moeglich war, die Wahl auf lauter Plebejer
+fiel, sondern verstoesst vor allem gegen den Fundamentalsatz des roemischen
+Staatsrechts, dass das Imperium, das heisst das Recht, dem Buerger im Namen der
+Gemeinde zu befehlen, qualitativ unteilbar und ueberhaupt keiner anderen als
+einer raeumlichen Abgrenzung faehig ist. Es gibt einen Stadtrechtsbezirk und
+einen Kriegsrechtsbezirk, in welchem letzteren die Provokation und andere
+stadtrechtliche Bestimmungen nicht massgebend sind; es gibt Beamte, wie zum
+Beispiel die Prokonsuln, welche lediglich in dem letzteren zu funktionieren
+vermoegen; aber es gibt im strengen Rechtssinn keine Beamten mit bloss
+jurisdiktionellem wie keine mit bloss militaerischem Imperium. Der Prokonsul
+ist in seinem Bezirk eben wie der Konsul zugleich Oberfeldherr und Oberrichter
+und befugt, nicht bloss unter Nichtbuergern und Soldaten, sondern auch unter
+Buergern den Prozess zu instruieren. Selbst als mit der Einsetzung der Praetur
+der Begriff der Kompetenz fuer die magistratus maiores aufkommt, hat er mehr
+tatsaechliche als eigentlich rechtliche Geltung: der staedtische Praetor ist
+zwar zunaechst Oberrichter, aber er kann auch wenigstens fuer gewisse Faelle
+die Zenturien berufen und kann ein Heer befehligen; dem Konsul kommt in der
+Stadt zunaechst die Oberverwaltung und der Oberbefehl zu, aber er fungiert doch
+auch bei Emanzipation und Adoption als Gerichtsherr - die qualitative
+Unteilbarkeit des hoechsten Amtes ist also selbst hier noch beiderseits mit
+grosser Schaerfe festgehalten. Es muss also die militaerische wie die
+jurisdiktionelle Amtsgewalt oder, um diese, dem roemischen Recht dieser Zeit
+fremden Abstraktionen beiseite zu lassen, die Amtsgewalt schlechthin den
+plebejischen Konsulartribunen virtuell so gut wie den patrizischen zugestanden
+haben. Aber wohl moegen, wie W. A. Becker (Handbuch, Bd. 2, 2, S. 137) meint,
+aus denselben Gruenden, weshalb spaeterhin neben das gemeinschaftliche Konsulat
+die - tatsaechlich laengere Zeit den Patriziern vorbehaltene - Praetur gestellt
+ward, faktisch schon waehrend des Konsulartribunats die plebejischen Glieder
+des Kollegiums von der Jurisdiktion ferngehalten worden sein und insofern die
+spaetere Kompetenzteilung zwischen Konsuln und Praetoren mittels des
+Konsulartribunats sich vorbereitet haben.
+</p>
+
+<p>
+^2 Die Verteidigung, dass der Adel an der Ausschliessung der Plebejer aus
+religioeser Befangenheit festgehalten habe, verkennt den Grundcharakter der
+roemischen Religion und traegt den modernen Gegensatz zwischen Kirche und Staat
+in das Altertum hinein. Die Zulassung des Nichtbuergers zu einer buergerlich
+religioesen Verrichtung musste freilich dem rechtglaeubigen Roemer als
+suendhaft erscheinen; aber nie hat auch der strengste Orthodoxe bezweifelt,
+dass durch die lediglich und allein vom Staat abhaengige Zulassung in die
+buergerliche Gemeinschaft auch die volle religioese Gleichheit herbeigefuehrt
+werde. All jene Gewissensskrupel, deren Ehrlichkeit an sich nicht beanstandet
+werden soll, waren abgeschnitten, sowie man den Plebejern in Masse rechtzeitig
+das Patriziat zugestand. Nur das etwa kann man zur Entschuldigung des Adels
+geltend machen, dass er, nachdem er bei Abschaffung des Koenigtums den rechten
+Augenblick hierzu versaeumt hatte, spaeter selber nicht mehr imstande war, das
+Versaeumte nachzuholen.
+</p>
+
+<p>
+^3 Ob innerhalb des Patriziats die Unterscheidung dieser &ldquo;kurulischen
+Haeuser&rdquo; von den uebrigen Familien jemals von ernstlicher politischer
+Bedeutung gewesen ist, laesst sich weder mit Sicherheit verneinen noch mit
+Sicherheit bejahen, und ebensowenig wissen wir, ob es in dieser Epoche wirklich
+noch nicht kurulische Patrizierfamilien in einiger Anzahl gab.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Indes trotz dieser kraenkenden Zuruecksetzung waren doch die
+Geschlechterprivilegien, soweit sie politischen Wert hatten, durch die neue
+Institution gesetzlich beseitigt, und wenn der roemische Adel seines Namens
+wert gewesen waere, haette er jetzt den Kampf aufgeben muessen. Allein er hat
+es nicht getan. Wenn auch ein vernuenftiger und gesetzlicher Widerstand fortan
+unmoeglich war, so bot sich doch noch ein weites Feld fuer die tueckische
+Opposition der kleinen Mittel, der Schikanen und der Kniffe; und so wenig
+ehrenhaft und staatsklug dieser Widerstand war, so war er doch in einem
+gewissen Sinne erfolgreich. Er hat allerdings schliesslich dem gemeinen Mann
+Konzessionen verschafft, zu welchen die vereinigte roemische Aristokratie nicht
+leicht gezwungen worden waere; aber er hat es auch vermocht, den Buergerkrieg
+noch um ein Jahrhundert zu verlaengern und jenen Gesetzen zum Trotz das
+Regiment noch mehrere Menschenalter hindurch tatsaechlich im Sonderbesitz des
+Adels zu erhalten.
+</p>
+
+<p>
+Die Mittel, deren der Adel sich bediente, waren so mannigfach wie die
+politische Kuemmerlichkeit ueberhaupt. Statt die Frage ueber die Zulassung oder
+Ausschliessung der Buergerlichen bei den Wahlen ein fuer allemal zu
+entscheiden, raeumte man, was man einraeumen musste, nur fuer die jedesmal
+naechsten Wahlen ein; jaehrlich erneuerte sich also der eitle Kampf, ob
+patrizische Konsuln oder aus beiden Staenden Kriegstribune mit konsularischer
+Gewalt ernannt werden sollten, und unter den Waffen des Adels erwies sich
+diese, den Gegner durch Ermuedung und Langweile zu ueberwinden, keineswegs als
+die unwirksamste.
+</p>
+
+<p>
+Man zersplitterte ferner die bis dahin ungeteilte hoechste Geaalt, um die
+unvermeidliche Niederlage durch Vermehrung der Angriffspunkte in die Laenge zu
+ziehen. So wurde die der Regel nach jedes vierte Jahr stattfindende
+Feststellung des Budgets und der Buerger- und Steuerlisten, welche bisher durch
+die Konsuln bewirkt worden war, schon im Jahre 319 (435) zweien von den
+Zenturien aus dem Adel auf hoechstens achtzehn Monate ernannten Schaetzern
+(censores) uebertragen. Das neue Amt ward allmaehlich zum Palladium der
+Adelspartei, weniger noch wegen seines finanziellen Einflusses als wegen des
+daran sich knuepfenden Rechts, die erledigten Plaetze im Senat und in der
+Ritterschaft zu besetzen und bei der Feststellung der Listen von Senat, Ritter-
+und Buergerschaft einzelne Personen aus denselben zu entfernen; die hohe
+Bedeutung indes und die moralische Machtfuelle, welche spaeterhin der Zensur
+beiwohnt, hat sie in dieser Epoche noch keineswegs besessen.
+</p>
+
+<p>
+Dagegen die im Jahre 333 (421) hinsichtlich der Quaestur getroffene wichtige
+Aenderung glich diesen Erfolg der Adelspartei reichlich wieder aus. Die
+patrizisch-plebejische Quartierversammlung, vielleicht darauf sich stuetzend,
+dass wenigstens die beiden Kriegszahlmeister faktisch mehr Offiziere waren als
+Zivilbeamte und insofern der Plebejer so gut wie zum Militaertribunat auch zur
+Quaestur befaehigt erschien, setzte es durch, dass fuer die Quaestorenwahlen
+auch plebejische Bewerber zugelassen wurden und erwarb damit zum erstenmal zu
+dem aktiven Wahlrecht auch das passive fuer eines der ordentlichen Aemter. Mit
+Recht ward es auf der einen Seite als ein grosser Sieg, auf der anderen als
+eine schwere Niederlage empfunden, dass fortan zu dem Kriegs- wie zu dem
+Stadtzahlmeisteramt der Patrizier und der Plebejer aktiv und passiv gleich
+wahlfaehig waren.
+</p>
+
+<p>
+Trotz der hartnaeckigsten Gegenwehr schritt der Adel doch nur von Verlust zu
+Verlust; die Erbitterung stieg, wie die Macht sank. Er hat es wohl noch
+versucht, die der Gemeinde vertragsmaessig zugesicherten Rechte geradezu
+anzutasten; aber es waren diese Versuche weniger berechnete Parteimanoever als
+Akte einer impotenten Rachsucht. So namentlich der Prozess gegen Maelius, wie
+unsere allerdings wenig zuverlaessige Ueberlieferung ihn berichtet. Spurius
+Maelius, ein reicher Plebejer, verkaufte waehrend schwerer Teuerung (315 439)
+Getreide zu solchen Preisen, dass er den patrizischen Magazinvorsteher
+(praefectus annonae) Gaius Minucius beschaemte und kraenkte. Dieser
+beschuldigte ihn des Strebens nach der koeniglichen Gewalt; mit welchem Recht,
+koennen wir freilich nicht entscheiden, allein es ist kaum glaublich, dass ein
+Mann, der nicht einmal das Tribunat bekleidet hatte, ernstlich an die Tyrannis
+gedacht haben sollte. Indes die Behoerden nahmen die Sache ernsthaft, und auf
+die Menge Roms hat der Zeterruf des Koenigtums stets aehnliche Wirkung geuebt
+wie der Papstzeter auf die englischen Massen. Titus Quinctius Capitolinus, der
+zum sechstenmal Konsul war, ernannte den achtzigjaehrigen Lucius Quinctius
+Cincinnatus zum Diktator ohne Provokation, in offener Auflehnung gegen die
+beschworenen Gesetze. Maelius, vorgeladen, machte Miene, sich dem Befehl zu
+entziehen; da erschlug ihn der Reiterfuehrer des Diktators, Gaius Servilius
+Ahala, mit eigener Hand. Das Haus des Ermordeten ward niedergerissen, das
+Getreide aus seinen Speichern dem Volke umsonst verteilt, und die seinen Tod zu
+raechen drohten, heimlich ueber die Seite gebracht. Dieser schaendliche
+Justizmord, eine Schande mehr noch fuer das leichtglaeubige und blinde Volk als
+fuer die tueckische Junkerpartei, ging ungestraft hin; aber wenn diese gehofft
+hatte, damit das Provokationsrecht zu untergraben, so hatte sie umsonst die
+Gesetze verletzt und umsonst unschuldiges Blut vergossen.
+</p>
+
+<p>
+Wirksamer als alle uebrigen Mittel erwiesen sich dem Adel Wahlintrigen und
+Pfaffentrug. Wie arg jene gewesen sein muessen, zeigt am besten, dass es schon
+322 (432) noetig schien, ein eigenes Gesetz gegen Wahlumtriebe zu erlassen, das
+natuerlich nichts half. Konnte man nicht durch Korruption oder Drohung auf die
+Stimmberechtigten wirken, so taten die Wahldirektoren das uebrige und liessen
+zum Beispiel so viele plebejische Kandidaten zu, dass die Stimmen der
+Opposition sich zersplitterten, oder liessen diejenigen von der Kandidatenliste
+weg, die die Majoritaet zu waehlen beabsichtigte. Ward trotz alledem eine
+unbequeme Wahl durchgesetzt, so wurden die Priester befragt, ob bei derselben
+nicht eine Nichtigkeit in der Voegelschau oder den sonstigen religioesen
+Zeremonien vorgekommen sei; welche diese alsdann zu entdecken nicht
+ermangelten. Unbekuemmert um die Folgen und uneingedenk des weisen Beispiels
+der Ahnen liess man den Satz sich feststellen, dass das Gutachten der
+priesterlichen Sachverstaendigenkollegien ueber Voegelzeichen, Wunder und
+aehnliche Dinge den Beamten von Rechts wegen binde, und es in ihre Macht
+kommen, jeden Staatsakt, sei es die Weihung eines Gotteshauses oder sonst eine
+Verwaltungshandlung, sei es Gesetz oder Wahl, wegen religioeser Nullitaeten zu
+kassieren. Auf diesem Wege wurde es moeglich, dass, obwohl die Waehlbarkeit der
+Plebejer schon im Jahre 333 (421) fuer die Quaestur gesetzlich festgestellt
+worden war und seitdem rechtlich anerkannt blieb, dennoch erst im Jahre 345
+(409) der erste Plebejer zur Quaestur gelangte; aehnlich haben das
+konsularische Kriegstribunat bis zum Jahre 354 (400) fast ausschliesslich
+Patrizier bekleidet. Es zeigte sich, dass die gesetzliche Abschaffung der
+Adelsprivilegien noch keineswegs die plebejische Aristokratie wirklich und
+tatsaechlich dem Geschlechtsadel gleichgestellt hatte. Mancherlei Ursachen
+wirkten dabei zusammen: die zaehe Opposition des Adels liess sich weit leichter
+in einem aufgeregten Moment der Theorie nach ueber den Haufen werfen, als in
+den jaehrlich wiederkehrenden Wahlen dauernd niederhalten; die Hauptursache
+aber war die innere Uneinigkeit der Haeupter der plebejischen Aristokratie und
+der Masse der Bauernschaft. Der Mittelstand, dessen Stimmen in den Komitien
+entschieden, fand sich nicht berufen, die vornehmen Nichtadligen vorzugsweise
+auf den Schild zu heben, solange seine eigenen Forderungen von der plebejischen
+nicht minder wie von der patrizischen Aristokratie zurueckgewiesen wurden.
+</p>
+
+<p>
+Die sozialen Fragen hatten waehrend dieser politischen Kaempfe im ganzen geruht
+oder waren doch mit geringer Energie verhandelt worden. Seitdem die plebejische
+Aristokratie sich des Tribunats zu ihren Zwecken bemaechtigt hatte, war weder
+von der Domaenenangelegenheit noch von der Reform des Kreditwesens ernstlich
+die Rede gewesen; obwohl es weder fehlte an neugewonnenen Laendereien noch an
+verarmenden oder verarmten Bauern. Einzelne Assignationen, namentlich in
+neueroberten Grenzgebieten, erfolgten wohl, so des ardeatischen Gebiets 312
+(442), des labicanischen 336 (418), des veientischen 361 (393), jedoch mehr aus
+militaerischen Gruenden, als um dem Bauer zu helfen, und keineswegs in
+ausreichenden Umfang. Wohl machten einzelne Tribune den Versuch, das Gesetz des
+Cassius wieder aufzunehmen: so stellten Spurius Maecilius und Spurius Metilius
+im Jahre 337 (417) den Antrag auf Aufteilung saemtlicher Staatslaendereien -
+allein sie scheiterten, was charakteristisch fuer die damalige Situation ist,
+an dem Widerstand ihrer eigenen Kollegen, das heisst der plebejischen
+Aristokratie. Auch unter den Patriziern versuchten einige, der gemeinen Not zu
+helfen; allein mit nicht besserem Erfolg als einst Spurius Cassius. Patrizier
+wie dieser, und wie dieser ausgezeichnet durch Kriegsruhm und persoenliche
+Tapferkeit, soll Marcus Manlius, der Retter der Burg waehrend der gallischen
+Belagerung, als Vorkaempfer aufgetreten sein fuer die unterdrueckten Leute, mit
+denen sowohl die Kriegskameradschaft ihn verband wie der bittere Hass gegen
+seinen Rivalen, den gefeierten Feldherrn und optimatischen Parteifuehrer Marcus
+Furius Camillus. Als ein tapferer Offizier ins Schuldgefaengnis abgefuehrt
+werden sollte, trat Manlius fuer ihn ein und loeste mit seinem Gelde ihn aus;
+zugleich bot er seine Grundstuecke zum Verkauf aus, laut erklaerend, dass,
+solange er noch einen Fussbreit Landes besitze, solche Unbill nicht vorkommen
+solle. Das war mehr als genug, um die ganze Regimentspartei, Patrizier wie
+Plebejer, gegen den gefaehrlichen Neuerer zu vereinigen. Der
+Hochverratsprozess, die Anschuldigung der beabsichtigten Erneuerung des
+Koenigtums, wirkte mit dem tueckischen Zauber stereotyp gewordener
+Parteiphrasen auf die blinde Menge; sie selbst verurteilte ihn zum Tode, und
+nichts trug sein Ruhm ihm ein, als dass man das Volk zum Blutgericht an einem
+Ort versammelte, von wo die Stimmenden den Burgfelsen nicht erblickten, den
+stummen Mahner an die Rettung des Vaterlandes aus der hoechsten Gefahr durch
+die Hand desselben Mannes, welchen man jetzt dem Henker ueberlieferte (370
+384).
+</p>
+
+<p>
+Waehrend also die Reformversuche im Keim erstickt wurden, wurde das
+Missverstaendnis immer schreiender, indem einerseits infolge der gluecklichen
+Kriege die Domanialbesitzungen mehr und mehr sich ausdehnten, anderseits in der
+Bauernschaft die Ueberschuldung und Verarmung immer weiter um sich griff,
+namentlich infolge des schweren Veientischen Krieges (348-358 406-396) und der
+Einaescherung der Hauptstadt bei dem gallischen Ueberfall (364 390). Zwar als
+es indem Veientischen Kriege notwendig wurde, die Dienstzeit der Soldaten zu
+verlaengern und sie, statt wie bisher hoechstens nur den Sommer, auch den
+Winter hindurch unter den Waffen zu halten, und als die Bauernschaft, die
+vollstaendige Zerruettung ihrer oekonomischen Lage voraussehend, im Begriff
+war, ihre Einwilligung zu der Kriegserklaerung zu verweigern, entschloss sich
+der Senat zu einer wichtigen Konzession: er uebernahm den Sold, den bisher die
+Distrikte durch Umlage aufgebracht hatten, auf die Staatskasse, das heisst auf
+den Ertrag der indirekten Abgaben und der Domaenen (348 406). Nur fuer den
+Fall, dass die Staatskasse augenblicklich leer sei, wurde des Soldes wegen eine
+allgemeine Umlage (tributum) ausgeschrieben, die indes als gezwungene Anleihe
+betrachtet und von der Gemeinde spaeterhin zurueckgezahlt ward. Die Einrichtung
+war billig und weise; allein da das wesentliche Fundament, eine reelle
+Verwertung der Domaenen zum Besten der Staatskasse, ihr nicht gegeben ward, so
+kamen zu der vermehrten Last des Dienstes noch haeufige Umlagen hinzu, die den
+kleinen Mann darum nicht weniger ruinierten, dass sie offiziell nicht als
+Steuern, sondern als Vorschuesse betrachtet wurden.
+</p>
+
+<p>
+Unter solchen Umstaenden, wo die plebejische Aristokratie sich durch den
+Widerstand des Adels und die Gleichgueltigkeit der Gemeinde tatsaechlich von
+der politischen Gleichberechtigung ausgeschlossen sah und die leidende
+Bauernschaft der geschlossenen Aristokratie ohnmaechtig gegenueberstand, lag es
+nahe, beiden zu helfen durch ein Kompromiss. Zu diesem Ende brachten die
+Volkstribune Gaius Licinius und Lucius Sextius bei der Gemeinde Antraege dahin
+ein: einerseits mit Beseitigung des Konsulatribunats festzustellen, dass
+wenigstens der eine Konsul Plebejer sein muesse, und ferner den Plebejern den
+Zutritt zu dem einen der drei grossen Priesterkollegien, dem auf zehn
+Mitglieder zu vermehrenden der Orakelbewahrer (duoviri, spaeter decemviri
+sacris faciundis, 1, 191) zu eroeffnen; anderseits hinsichtlich der Domaenen
+keinen Buerger auf die Gemeinweide mehr als hundert Rinder und fuenfhundert
+Schafe auftreiben und keinen von dem zur Okkupation freigegebenen Domanialland
+mehr als fuenfhundert Iugera (= 494 preussische Morgen) in Besitz nehmen zu
+lassen, ferner die Gutsbesitzer zu verpflichten, unter ihren Feldarbeitern eine
+zu der Zahl der Ackersklaven im Verhaeltnis stehende Anzahl freier Arbeiter zu
+verwenden, endlich den Schuldnern durch Abzug der gezahlten Zinsen vom Kapital
+und Anordnung von Rueckzahlungsfristen Erleichterung zu verschaffen.
+</p>
+
+<p>
+Die Tendenz dieser Verfuegungen liegt auf der Hand. Sie sollten dem Adel den
+ausschliesslichen Besitz der kurulischen Aemter und der daran geknuepften
+erblichen Auszeichnungen der Nobilitaet entreissen, was man in bezeichnender
+Weise nur dadurch erreichen zu koennen meinte, dass man die Adligen von der
+zweiten Konsulstelle gesetzlich ausschloss. Sie sollten folgeweise die
+plebejischen Mitglieder des Senats aus der untergeordneten Stellung, in der sie
+als stumme Beisitzer sich befanden, insofern befreien, als wenigstens
+diejenigen von ihnen, die das Konsulat bekleidet hatten, damit ein Anrecht
+erwarben, mit den patrizischen Konsularen vor den uebrigen patrizischen
+Senatoren ihr Gutachten abzugeben. Sie sollten ferner dem Adel den
+ausschliesslichen Besitz der geistlichen Wuerden entziehen; wobei man aus
+naheliegenden Ursachen die altlatinischen Priestertuemer der Augurn und
+Pontifices den Altroemern liess, aber sie noetigte, das dritte, juengere und
+einem urspruenglich auslaendischen Kult angehoerige grosse Kollegium mit den
+Neubuergern zu teilen. Sie sollten endlich den geringen Leuten den Mitgenuss
+der gemeinen Buergernutzungen, den leidenden Schuldnern Erleichterung, den
+arbeitslosen Tageloehnern Beschaeftigung verschaffen. Beseitigung der
+Privilegien, buergerliche Gleichheit, soziale Reform - das waren die drei
+grossen Ideen, welche dadurch zur Anerkennung kommen sollten. Vergeblich boten
+die Patrizier gegen diese Gesetzvorschlaege ihre letzten Mittel auf; selbst die
+Diktatur und der alte Kriegsheld Camillus vermochten nur ihre Durchbringung zu
+verzoegern, nicht sie abzuwenden. Gern haette auch das Volk die Vorschlaege
+geteilt; was lag ihm am Konsulat und an dem Orakelbewahreramt, wenn nur die
+Schuldenlast erleichtert und das Gemeinland frei ward! Aber umsonst war die
+plebejische Nobilitaet nicht popular; sie fasste die Antraege in einen einzigen
+Gesetzvorschlag zusammen und nach lang-, angeblich elfjaehrigem Kampfe gab
+endlich der Senat seine Einwilligung und gingen sie im Jahre 387 (367) durch.
+</p>
+
+<p>
+Mit der Wahl des ersten nicht patrizischen Konsuls - sie fiel auf den einen der
+Urheber dieser Reform, den gewesenen Volkstribunen Lucius Sextius Lateranus -
+hoerte der Geschlechtsadel tatsaechlich und rechtlich auf, zu den politischen
+Institutionen Roms zu zaehlen. Wenn nach dem endlichen Durchgang dieser Gesetze
+der bisherige Vorkaempfer der Geschlechter, Marcus Furius Camillus, am Fusse
+des Kapitols auf einer ueber der alten Malstatt der Buergerschaft, dem
+Comitium, erhoehten Flaeche, wo der Senat haeufig zusammenzutreten pflegte, ein
+Heiligtum der Eintracht stiftete, so gibt man gern dem Glauben sich hin, dass
+er in dieser vollendeten Tatsache den Abschluss des nur zu lange
+fortgesponnenen Haders erkannte. Die religioese Weihe der neuen Eintracht der
+Gemeinde war die letzte oeffentliche Handlung des alten Kriegs- und
+Staatsmannes und der wuerdige Beschluss seiner langen und ruhmvollen Laufbahn.
+Er hatte sich auch nicht ganz geirrt; der einsichtigere Teil der Geschlechter
+gab offenbar seitdem die politischen Sonderrechte verloren und war es
+zufrieden, das Regiment mit der plebejischen Aristokratie zu teilen. Indes in
+der Majoritaet der Patrizier verleugnete das unverbesserliche Junkertum sich
+nicht. Kraft des Privilegiums, welches die Vorfechter der Legitimitaet zu allen
+Zeiten in Anspruch genommen haben, den Gesetzen nur da zu gehorchen, wo sie mit
+ihren Parteiinteressen zusammenstimmen, erlaubten sich die roemischen Adligen
+noch verschiedene Male, in offener Verletzung der vorgetragenen Ordnung, zwei
+patrizische Konsuln ernennen zu lassen; wie indes, als Antwort auf eine
+derartige Wahl fuer das Jahr 411 (343), das Jahr darauf die Gemeinde foermlich
+beschloss, die Besetzung beider Konsulstellen mit Nichtpatriziern zu gestatten,
+verstand man die darin liegende Drohung und hat es wohl noch gewuenscht, aber
+nicht wieder gewagt, an die zweite Konsulstelle zu ruehren.
+</p>
+
+<p>
+Ebenso schnitt sich der Adel nur in das eigene Fleisch durch den Versuch, den
+er bei der Durchbringung der Licinischen Gesetze machte, mittels eines
+politischen Kipp- und Wippsystems wenigstens einige Truemmer der alten
+Vorrechte fuer sich zu bergen. Unter dem Vorwande, dass das Recht
+ausschliesslich dem Adel bekannt sei, ward von dem Konsulat, als dies den
+Plebejern eroeffnet werden musste, die Rechtspflege getrennt und dafuer ein
+eigener dritter Konsul, oder, wie er gewoehnlich heisst, ein Praetor bestellt.
+Ebenso kamen die Marktaufsicht und die damit verbundenen Polizeigerichte sowie
+die Ausrichtung des Stadtfestes an zwei neu ernannte Aedilen, die von ihrer
+staendigen Gerichtsbarkeit, zum Unterschied von den plebejischen, die
+Gerichtsstuhl-Aedilen (aediles curules) genannt wurden. Allein die kurulische
+Aedilitaet ward sofort den Plebejern in der Art zugaenglich, dass adlige und
+buergerliche Kurulaedilen Jahr um Jahr abwechselten. Im Jahre 398 (356) wurde
+ferner die Diktatur, wie schon das Jahr vor den Licinischen Gesetzen (386 368),
+das Reiterfuehreramt, im Jahre 403 (351) die Zensur, im Jahre 417 (337) die
+Praetur Plebejern uebertragen und um dieselbe Zeit (415 339) der Adel, wie es
+frueher in Hinsicht des Konsulats geschehen war, auch von der einen
+Zensorstelle gesetzlich ausgeschlossen. Es aenderte nichts, dass wohl noch
+einmal ein patrizischer Augur in der Wahl eines plebejischen Diktators (427
+327) geheime, ungeweihten Augen verborgene Maengel fand und dass der
+patrizische Zensor seinem Kollegen bis zum Schlusse dieser Periode (474 280)
+nicht gestattete, das feierliche Opfer darzubringen, womit die Schatzung
+schloss; dergleichen Schikanen dienten lediglich dazu, die ueble Laune des
+Junkertums zu konstatieren. Ebensowenig aenderten etwa die Quengeleien, welche
+die patrizischen Vorsitzer des Senats nicht verfehlt haben werden, wegen der
+Teilnahme der Plebejer an der Debatte in demselben zu erheben; vielmehr stellte
+die Regel sich fest, dass nicht mehr die patrizischen Mitglieder, sondern die
+zu einem der drei hoechsten ordentlichen Aemter, Konsulat, Praetur und
+kurulischer Aedilitaet gelangten, in dieser Folge und ohne Unterschied des
+Standes zur Abgabe ihres Gutachtens aufzufordern seien, waehrend diejenigen
+Senatoren, die keines dieser Aemter bekleidet hatten, auch jetzt noch bloss an
+der Abmehrung teilnahmen. Das Recht endlich des Patriziersenats, einen
+Beschluss der Gemeinde als verfassungswidrig zu verwerfen, das derselbe
+auszuueben freilich wohl ohnehin selten gewagt haben mochte, ward ihm durch das
+Publilische Gesetz von 415 (339) und durch das nicht vor der Mitte des fuenften
+Jahrhunderts erlassene Maenische in der Art entzogen, dass er veranlasst ward,
+seine etwaigen konstitutionellen Bedenken bereits bei Aufstellung der
+Kandidatenliste oder Einbringung des Gesetzvorschlags geltend zu machen; was
+denn praktisch darauf hinauslief, dass er stets im voraus seine Zustimmung
+aussprach. In dieser Art als rein formales Recht ist die Bestaetigung der
+Volksschluesse dem Adel bis in die letzte Zeit der Republik geblieben.
+</p>
+
+<p>
+Laenger behaupteten begreiflicherweise die Geschlechter ihre religioesen
+Vorrechte; ja an manche derselben, die ohne politische Bedeutung waren, wie
+namentlich an ihre ausschliessliche Waehlbarkeit zu den drei hoechsten
+Flaminaten und dem sacerdotalen Koenigtum sowie in die Genossenschaften der
+Springer, hat man niemals geruehrt. Dagegen waren die beiden Kollegien der
+Pontifices und der Augurn, an welche ein bedeutender Einfluss auf die Gerichte
+und die Komitien sich knuepfte, zu wichtig, als dass diese Sonderbesitz der
+Patrizier haetten bleiben koennen; das Ogulnische Gesetz vom Jahre 454 (300)
+eroeffnete denn auch in diese den Plebejern den Eintritt, indem es die Zahl der
+Pontifices und der Augurn beide von sechs auf neun vermehrte und in beiden
+Kollegien die Stellen zwischen Patriziern und Plebejern gleichmaessig teilte.
+</p>
+
+<p>
+Den letzten Abschluss des zweihundertjaehrigen Haders brachte das durch einen
+gefaehrlichen Volksaufstand hervorgerufene Gesetz des Diktators Q. Hortensius
+(465-468 289-286), das anstatt der frueheren bedingten die unbedingte
+Gleichstellung der Beschluesse der Gesamtgemeinde und derjenigen der Plebs
+aussprach. So hatten sich die Verhaeltnisse umgewandelt, dass derjenige Teil
+der Buergerschaft, der einst allein das Stimmrecht besessen hatte, seitdem bei
+der gewoehnlichen Form der fuer die gesamte Buergerschaft verbindlichen
+Abstimmungen nicht einmal mehr mitgefragt ward.
+</p>
+
+<p>
+Der Kampf zwischen den roemischen Geschlechtern und Gemeinen war damit im
+wesentlichen zu Ende. Wenn der Adel von seinen umfassenden Vorrechten noch den
+tatsaechlichen Besitz der einen Konsul- und der einen Zensorstelle bewahrte, so
+war er dagegen vom Tribunat, der plebejischen Aedilitaet, von der zweiten
+Konsul- und Zensorstelle und von der Teilnahme an den rechtlich den
+Buergerschaftsabstimmungen gleichstehenden Abstimmungen der Plebs gesetzlich
+ausgeschlossen; in gerechter Strafe seines verkehrten und eigensinnigen
+Widerstrebens hatten die ehemaligen patrizischen Vorrechte sich fuer ihn in
+ebenso viele Zuruecksetzungen verwandelt. Indes der roemische Geschlechtsadel
+ging natuerlich darum keineswegs unter, weil er zum leeren Namen geworden war.
+Je weniger der Adel bedeutete und vermochte, desto reiner und ausschliesslicher
+entwickelte sich der junkerhafte Geist. Die Hoffart der &ldquo;Ramner&rdquo;
+hat das letzte ihrer Standesprivilegien um Jahrhunderte ueberlebt; nachdem man
+standhaft gerungen hatte, &ldquo;das Konsulat aus dem plebejischen Kote zu
+ziehen&rdquo;, und sich endlich widerwillig von der Unmoeglichkeit dieser
+Leistung hatte ueberzeugen muessen, trug man wenigstens schroff und verbissen
+sein Adeltum zur Schau. Man darf, um die Geschichte Roms im fuenften und
+sechsten Jahrhundert richtig zu verstehen, dies schmollende Junkertum nicht
+vergessen; es vermochte zwar nichts weiter als sich und andere zu aergern, aber
+dies hat es denn auch nach Vermoegen getan. Einige Jahre nach dem Ogulnischen
+Gesetz (458 296) kam ein bezeichnender Auftritt dieser Art vor: eine
+patrizische Frau, welche an einen vornehmen und zu den hoechsten Wuerden der
+Gemeinde gelangten Plebejer vermaehlt war, wurde dieser Missheirat wegen von
+dem adligen Damenkreise ausgestossen und zu der gemeinsamen Keuschheitsfeier
+nicht zugelassen; was denn zur Folge hatte, dass seitdem in Rom eine besondere
+adlige und eine besondere buergerliche Keuschheitsgoettin verehrt ward. Ohne
+Zweifel kam es auf Velleitaeten dieser Art sehr wenig an und hat auch der
+bessere Teil der Geschlechter sich dieser truebseligen
+Verdriesslichkeitspolitik durchaus enthalten; aber ein Gefuehl des Missbehagens
+liess sie doch auf beiden Seiten zurueck, und wenn der Kampf der Gemeinde gegen
+die Geschlechter an sich eine politische und selbst eine sittliche
+Notwendigkeit war, so haben dagegen diese lange nachzitternden Schwingungen
+desselben, sowohl die zwecklosen Nachhutgefechte nach der entschiedenen
+Schlacht als auch die leeren Rang- und Standeszaenkereien, das oeffentliche und
+private Leben der roemischen Gemeinde ohne Not durchkreuzt und zerruettet.
+</p>
+
+<p>
+Indes nichtsdestoweniger ward der eine Zweck des von den beiden Teilen der
+Plebs im Jahre 387 (367) geschlossenen Kompromisses, die Beseitigung des
+Patriziats, im wesentlichen vollstaendig erreicht. Es fragt sich weiter,
+inwiefern dies auch von den beiden positiven Tendenzen desselben gesagt werden
+kann und ob die neue Ordnung der Dinge in der Tat der sozialen Not gesteuert
+und die politische Gleichheit hergestellt hat. Beides hing eng miteinander
+zusammen; denn wenn die oekonomische Bedraengnis den Mittelstand aufzehrte und
+die Buergerschaft in eine Minderzahl von Reichen und ein notleidendes
+Proletariat aufloeste, so war die buergerliche Gleichheit damit zugleich
+vernichtet und das republikanische Gemeinwesen der Sache nach zerstoert. Die
+Erhaltung und Mehrung des Mittelstandes, namentlich der Bauernschaft, war darum
+fuer jeden patriotischen Staatsmann Roms nicht bloss eine wichtige, sondern von
+allen die wichtigste Aufgabe. Die neu zum Regiment berufenen Plebejer aber
+waren ueberdies noch, da sie zum guten Teil die gewonnenen Rechte dem
+notleidenden und von ihnen Hilfe erhoffenden Proletariat verdankten, politisch
+und sittlich besonders verpflichtet, demselben, soweit es ueberhaupt auf diesem
+Wege moeglich war, durch Regierungsmassregeln zu helfen.
+</p>
+
+<p>
+Betrachten wir zunaechst, inwiefern indem hierher gehoerenden Teil der
+Gesetzgebung von 387 (367) eine ernstliche Abhilfe enthalten war. Dass die
+Bestimmung zu Gunsten der freien Tageloehner ihren Zweck: der Gross- und
+Sklavenwirtschaft zu steuern und den freien Proletariern wenigstens einen Teil
+der Arbeit zu sichern, unmoeglich erreichen konnte, leuchtet ein; aber hier
+konnte auch die Gesetzgebung nicht helfen, ohne an den Fundamenten der
+buergerlichen Ordnung jener Zeit in einer Weise zu ruetteln, die ueber den
+Horizont derselben weit hinausging. In der Domanialfrage dagegen waere es den
+Gesetzgebern moeglich gewesen, Wandel zu schaffen; aber was geschah, reichte
+dazu offenbar nicht aus. Indem die neue Domaenenordnung die Betreibung der
+gemeinen Weide mit schon sehr ansehnlichen Herden und die Okkupation des nicht
+zur Weide ausgelegten Domanialbesitzes bis zu einem hoch gegriffenen
+Maximalsatz gestattete, raeumte sie den Vermoegenden einen bedeutenden und
+vielleicht schon unverhaeltnismaessigen Voranteil an dem Domaenenertrag ein und
+verlieh durch die letztere Anordnung dem Domanialbesitz, obgleich er rechtlich
+zehntpflichtig und beliebig widerruflich blieb, sowie dem Okkupationssystem
+selbst gewissermassen eine gesetzliche Sanktion. Bedenklicher noch war es, dass
+die neue Gesetzgebung weder die bestehenden, offenbar ungenuegenden Anstalten
+zur Eintreibung des Hutgeldes und des Zehnten durch wirksamere Zwangsmassregeln
+ersetzte, noch eine durchgreifende Revision des Domanialbesitzes vorschrieb,
+noch eine mit der Ausfuehrung der neuen Gesetze beauftragte Behoerde einsetzte.
+Die Aufteilung des vorhandenen okkupierten Domaniallandesteils unter die
+Inhaber bis zu einem billigen Maximalsatz, teils unter die eigentumslosen
+Plebejer, beiden aber zu vollem Eigentum, die Abschaffung des
+Okkupationssystems fuer die Zukunft und die Niedersetzung einer zu sofortiger
+Aufteilung kuenftiger neuer Gebietserwerbungen befugten Behoerde waren durch
+die Verhaeltnisse so deutlich geboten, dass es gewiss nicht Mangel an Einsicht
+war, wenn diese durchgreifenden Massregeln unterblieben. Man kann nicht umhin,
+sich daran zu erinnern, dass die plebejische Aristokratie, also eben ein Teil
+der hinsichtlich der Domanialnutzungen tatsaechlich privilegierten Klasse es
+war, welche die neue Ordnung vorgeschlagen hatte, und dass einer ihrer Urheber
+selbst, Gaius Licinius Stolo, unter den ersten wegen Ueberschreitung des
+Ackermaximum Verurteilten sich befand; und nicht umhin, sich die Frage
+vorzulegen, ob die Gesetzgeber ganz ehrlich verfahren und nicht vielmehr der
+wahrhaft gemeinnuetzigen Loesung der leidigen Domanialfrage absichtlich aus dem
+Wege gegangen sind. Damit soll indes nicht in Abrede gestellt werden, dass die
+Bestimmungen der Licinischen Gesetze, wie sie nun waren, dem kleinen Bauern und
+dem Tageloehner wesentlich nuetzen konnten und genuetzt haben. Es muss ferner
+anerkannt werden, dass in der naechsten Zeit nach Erlassung des Gesetzes die
+Behoerden ueber die Maximalsaetze desselben wenigstens vergleichungsweise mit
+Strenge gewacht und die grossen Herdenbesitzer und die Domanialokkupanten
+oftmals zu schweren Bussen verurteilt haben.
+</p>
+
+<p>
+Auch im Steuer- und Kreditwesen wurde in dieser Epoche mit groesserer Energie
+als zu irgendeiner Zeit vor- oder nachher darauf hingearbeitet, soweit
+gesetzliche Massregeln reichten, die Schaeden der Volkswirtschaft zu heilen.
+Die im Jahre 397 (357) verordnete Abgabe von fuenf vom Hundert des Wertes der
+freizulassenden Sklaven war, abgesehen davon, dass sie der nicht
+wuenschenswerten Vermehrung der Freigelassenen einen Hemmschuh anlegte, die
+erste in der Tat auf die Reichen gelegte roemische Steuer. Ebenso suchte man
+dem Kreditwesen aufzuhelfen. Die Wuchergesetze, die schon die Zwoelf Tafeln
+aufgestellt hatten, wurden erneuert und allmaehlich geschaerft, sodass das
+Zinsmaximum sukzessiv von zehn (eingeschaerft im Jahre 397 357) auf fuenf vom
+Hundert (407 347) fuer das zwoelfmonatliche Jahr ermaessigt und endlich (412
+342) das Zinsnehmen ganz verboten ward. Das letztere toerichte Gesetz blieb
+formell in Kraft; vollzogen aber ward es natuerlich nicht, sondern der spaeter
+uebliche Zinsfuss von eins vom Hundert fuer den Monat oder zwoelf vom Hundert
+fuer das buergerliche Gemeinjahr, der nach den Geldverhaeltnissen des Altertums
+ungefaehr damals sein mochte, was nach den heutigen der Zinsfuss von fuenf oder
+sechs vom Hundert ist, wird wohl schon in dieser Zeit sich als das Maximum der
+angemessenen Zinsen festgestellt haben. Fuer hoehere Betraege wird die
+Einklagung versagt und vielleicht auch die gerichtliche Rueckforderung
+gestattet worden sein; ueberdies wurden notorische Wucherer nicht selten vor
+das Volksgericht gezogen und von den Quartieren bereitwillig zu schweren Bussen
+verurteilt. Wichtiger noch war die Aenderung des Schuldprozesses durch das
+Poetelische Gesetz (428 oder 441 326 oder 313); es ward dadurch teils jedem
+Schuldner, der seine Zahlungsfaehigkeit eidlich erhaertete, gestattet, durch
+Abtretung seines Vermoegens seine persoenliche Freiheit sich zu retten, teils
+das bisherige kurze Exekutivverfahren bei der Darlehensschuld abgeschafft und
+festgestellt, dass kein roemischer Buerger anders als auf den Spruch von
+Geschworenen hin in die Knechtschaft abgefuehrt werden koenne.
+</p>
+
+<p>
+Dass alle diese Mittel die bestehenden oekonomischen Missverhaeltnisse wohl hie
+und da lindern, aber nicht beseitigen konnten, leuchtet ein; den fortdauernden
+Notstand zeigt die Niedersetzung einer Bankkommission zur Regulierung der
+Kreditverhaeltnisse und zur Leistung von Vorschuessen aus der Staatskasse im
+Jahre 402 (352), die Anordnung gesetzlicher Terminzahlungen im Jahre 407 (347)
+und vor allen Dingen der gefaehrliche Volksaufstand um das Jahr 467 (287), wo
+das Volk, nachdem es neue Erleichterungen in der Schuldzahlung nicht hatte
+erreichen koennen, hinaus auf das Ianiculum zog und erst ein rechtzeitiger
+Angriff der aeusseren Feinde und die in dem Hortensischen Gesetz enthaltenen
+Zugestaendnisse der Gemeinde den Frieden wiedergaben. Indes ist es sehr
+ungerecht, wenn man jenen ernstlichen Versuchen, der Verarmung des
+Mittelstandes zu steuern, ihre Unzulaenglichkeit entgegenhaelt; die Anwendung
+partialer und palliativer Mittel gegen radikale Leiden fuer nutzlos zu
+erklaeren, weil sie nur zum Teil helfen, ist zwar eines der Evangelien, das der
+Einfalt von der Niedertraechtigkeit nie ohne Erfolg gepredigt wird, aber darum
+nicht minder unverstaendig. Eher liesse sich umgekehrt fragen, ob nicht die
+schlechte Demagogie sich damals schon dieser Angelegenheit bemaechtigt gehabt
+und ob es wirklich so gewaltsamer und gefaehrlicher Mittel bedurft habe, wie
+zum Beispiel die Kuerzung der gezahlten Zinsen am Kapital ist. Unsere Akten
+reichen nicht aus, um hier ueber Recht und Unrecht zu entscheiden; allein klar
+genug erkennen wir, dass der ansaessige Mittelstand immer noch in einer
+bedrohten und bedenklichen oekonomischen Lage sich befand, dass man von oben
+herab vielfach, aber natuerlich vergeblich sich bemuehte, ihm durch
+Prohibitivgesetze und Moratorien zu helfen, dass aber das aristokratische
+Regiment fortdauernd gegen seine eigenen Glieder zu schwach und zu sehr in
+egoistischen Standesinteressen befangen war, um durch das einzige wirksame
+Mittel, das der Regierung zu Gebote stand, durch die voellige und rueckhaltlose
+Beseitigung des Okkupationssystems der Staatslaendereien, dem Mittelstande
+aufzuhelfen und vor allen Dingen die Regierung von dem Vorwurf zu befreien,
+dass sie die gedrueckte Lage der Regierten zu ihrem eigenen Vorteil ausbeute.
+</p>
+
+<p>
+Eine wirksamere Abhilfe, als die Regierung sie gewaehren wollte oder konnte,
+brachten den Mittelklassen die politischen Erfolge der roemischen Gemeinde und
+die allmaehlich sich befestigende Herrschaft der Roemer ueber Italien. Die
+vielen und grossen Kolonien, die zu deren Sicherung gegruendet werden mussten
+und von denen die Hauptmasse im fuenften Jahrhundert ausgefuehrt wurde,
+verschafften dem ackerbauenden Proletariat teils eigene Bauernstellen, teils
+durch den Abfluss auch den Zurueckgebliebenen Erleichterung daheim. Die Zunahme
+der indirekten und ausserordentlichen Einnahmen, ueberhaupt die glaenzende Lage
+der roemischen Finanzen fuehrte nur selten noch die Notwendigkeit herbei, von
+der Bauernschaft in Form der gezwungenen Anleihe Kontribution zu erheben. War
+auch der ehemalige Kleinbesitz wahrscheinlich unrettbar verloren, so musste der
+steigende Durchschnittssatz des roemischen Wohlstandes die bisherigen
+groesseren Grundbesitzer in Bauern verwandeln und auch insofern dem Mittelstand
+neue Glieder zufuehren. Die Okkupationen der Vornehmen warfen sich vorwiegend
+auf die grossen neugewonnenen Landstriche; die Reichtuemer, die durch den Krieg
+und den Verkehr massenhaft nach Rom stroemten, muessen den Zinsfuss
+herabgedrueckt haben; die steigende Bevoelkerung der Hauptstadt kam dem
+Ackerbauer in ganz Latium zugute; ein weises Inkorporationssystem vereinigte
+eine Anzahl angrenzender, frueher untertaeniger Gemeinden mit der roemischen
+und verstaerkte dadurch namentlich den Mittelstand; endlich brachten die
+herrlichen Siege und die gewaltigen Erfolge die Faktionen zum Schweigen, und
+wenn der Notstand der Bauernschaft auch keineswegs beseitigt, noch weniger
+seine Quellen verstopft wurden, so leidet es doch keinen Zweifel, dass am
+Schlusse dieser Periode der roemische Mittelstand im ganzen in einer weit
+minder gedrueckten Lage sich befand als in dem ersten Jahrhundert nach
+Vertreibung der Koenige.
+</p>
+
+<p>
+Endlich, die buergerliche Gleichheit ward durch die Reform vom Jahre 387 (367)
+und deren weitere folgerichtige Entwicklung in gewissem Sinne allerdings
+erreicht oder vielmehr wieder hergestellt. Wie einst, als die Patrizier noch in
+der Tat die Buergerschaft ausmachten, sie untereinander an Rechten und
+Pflichten unbedingt gleichgestanden hatten, so gab es jetzt wieder in der
+erweiterten Buergerschaft dem Gesetze gegenueber keinen willkuerlichen
+Unterschied. Diejenigen Abstufungen freilich, welche die Verschiedenheiten in
+Alter, Einsicht, Bildung und Vermoegen in der buergerlichen Gesellschaft mit
+Notwendigkeit hervorrufen, beherrschten natuerlicherweise auch das
+Gemeindeleben; allein der Geist der Buergerschaft und die Politik der Regierung
+wirkten gleichmaessig dahin, diese Scheidung moeglichst wenig hervortreten zu
+lassen. Das ganze roemische Wesen lief darauf hinaus, die Buerger
+durchschnittlich zu tuechtigen Maennern heranzubilden, geniale Naturen aber
+nicht emporkommen zu lassen. Der Bildungsstand der Roemer hielt mit der
+Machtentwicklung ihrer Gemeinde durchaus nicht Schritt und ward instinktmaessig
+von oben herab mehr zurueckgehalten als gefoerdert. Dass es Reiche und Arme
+gab, liess sich nicht verhindern; aber wie in einer rechten Bauerngemeinde
+fuehrte der Bauer wie der Tageloehner selber den Pflug und galt auch fuer den
+Reichen die gut wirtschaftliche Regel, gleichmaessig sparsam zu leben und vor
+allem kein totes Kapital bei sich hinzulegen - ausser dem Salzfass und dem
+Opferschaelchen sah man Silbergeraet in dieser Zeit in keinem roemischen Hause.
+Es war das nichts Kleines. Man spuert es an den gewaltigen Erfolgen, welche die
+roemische Gemeinde in dem Jahrhundert vom letzten Veientischen bis auf den
+Pyrrhischen Krieg nach aussen hin errang, dass hier das Junkertum der
+Bauernschaft Platz gemacht hatte, dass der Fall des hochadligen Fabiers nicht
+mehr und nicht weniger von der ganzen Gemeinde betrauert worden waere als der
+Fall des plebejischen Deciers von Plebejern und Patriziern betrauert ward, dass
+auch dem reichsten Junker das Konsulat nicht von selber zufiel und ein armer
+Bauersmann aus der Sabina, Manius Curius, den Koenig Pyrrhos in der
+Feldschlacht ueberwinden und aus Italien verjagen konnte, ohne darum
+aufzuhoeren, einfacher sabinischer Stellbesitzer zu sein und sein Brotkorn
+selber zu bauen.
+</p>
+
+<p>
+Indes darf es ueber dieser imponierenden republikanischen Gleichheit nicht
+uebersehen werden, dass dieselbe zum guten Teil nur formaler Art war und aus
+derselben eine sehr entschieden ausgepraegte Aristokratie nicht so sehr
+hervorging als vielmehr darin von vornherein enthalten war. Schon laengst
+hatten die reichen und angesehenen nichtpatrizischen Familien von der Menge
+sich ausgeschieden und im Mitgenuss der senatorischen Rechte, in der Verfolgung
+einer, von der der Menge unterschiedenen und sehr oft ihr entgegenwirkenden
+Politik sich mit dem Patriziat verbuendet. Die Licinischen Gesetze hoben die
+gesetzlichen Unterschiede innerhalb der Aristokratie auf und verwandelten die
+den gemeinen Mann vom Regiment ausschliessende Schranke aus einem
+unabaenderlichen Rechts- in ein nicht unuebersteigliches, aber doch schwer zu
+uebersteigendes tatsaechliches Hindernis. Auf dem einen wie dem anderen Wege
+kam frisches Blut in den roemischen Herrenstand; aber an sich blieb nach wie
+vor das Regiment aristokratisch und auch in dieser Hinsicht die roemische eine
+rechte Bauerngemeinde, in welcher der reiche Vollhufener zwar aeusserlich von
+dem armen Insten sich wenig unterscheidet und auf gleich und gleich mit ihm
+verkehrt, aber nichtsdestoweniger die Aristokratie so allmaechtig regiert, dass
+der Unbemittelte weit eher in der Stadt Buergermeister als in seinem Dorfe
+Schulze wird. Es war wichtig und segensreich, dass nach der neuen Gesetzgebung
+auch der aermste Buerger das hoechste Gemeindeamt bekleiden durfte; aber darum
+war es nichtsdestoweniger nicht bloss eine seltene Ausnahme, dass ein Mann aus
+den unteren Schichten der Bevoelkerung dazu gelangte ^4, sondern es war
+wenigstens gegen den Schluss dieser Periode wahrscheinlich schon nur moeglich
+mittels einer Oppositionswahl. Jedem aristokratischen Regiment tritt von selber
+eine entsprechende Oppositionspartei gegenueber; und da auch die formelle
+Gleichstellung der Staende die Aristokratie nur modifizierte und der neue
+Herrenstand das alte Patriziat nicht bloss beerbte, sondern sich auf denselben
+pfropfte und aufs innigste mit ihm zusammenwuchs, so blieb auch die Opposition
+bestehen und tat in allen und jeden Stuecken das gleiche. Da die Zuruecksetzung
+jetzt nicht mehr die Buergerlichen, sondern den gemeinen Mann traf, so trat die
+neue Opposition von vornherein auf als Vertreterin der geringen Leute und
+namentlich der kleinen Bauern; und wie die neue Aristokratie sich an das
+Patriziat anschloss, so schlangen sich die ersten Regungen dieser neuen
+Opposition mit den letzten Kaempfen gegen die Patrizierprivilegien zusammen.
+Die ersten Namen in der Reihe dieser neuen roemischen Volksfuehrer sind Manius
+Curius (Konsul 464, 479, 480, 290 275, 274; Zensor 481 273) und Gaius Fabricius
+(Konsul 472, 476, 481, 282, 278, 273; Zensor 479 275), beide ahnenlose und
+nichtwohlhabende Maenner, beide - gegen das aristokratische Prinzip, die
+Wiederwahl zu dem hoechsten Gemeindeamt zu beschraenken - jeder dreimal durch
+die Stimmen der Buergerschaft an die Spitze der Gemeinde gerufen, beide als
+Tribune, Konsuln und Zensoren Gegner der patrizischen Privilegien und Vertreter
+des kleinen Bauernstandes gegen die aufkeimende Hoffart der vornehmen Haeuser.
+Die kuenftigen Parteien zeichnen schon sich vor; aber noch schweigt auf beiden
+Seiten vor dem Interesse des Gemeinwohls das der Partei. Der adlige Appius
+Claudius und der Bauer Manius Curius, dazu noch heftige persoenliche Gegner,
+haben durch klugen Rat und kraeftige Tat den Koenig Pyrrhos gemeinsam
+ueberwunden; und wenn Gaius Fabricius den aristokratisch gesinnten und
+aristokratisch lebenden Publius Cornelius Rufinus als Zensor deswegen
+bestrafte, so hielt ihn dies nicht ab, demselben seiner anerkannten
+Feldherrntuechtigkeit wegen zum zweiten Konsulat zu verhelfen. Der Riss war
+wohl schon da; aber noch reichten die Gegner sich ueber ihm die Haende.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^4 Die Armut der Konsulare dieser Epoche, welche in den moralischen
+Anekdotenbuechern der spaeteren Zeit eine grosse Rolle spielt, beruht
+grossenteils auf Missverstaendnis teils des alten sparsamen Wirtschaftens,
+welches sich recht gut mit ansehnlichem Wohlstand vertraegt, teils der alten
+schoenen Sitte, verdiente Maenner aus dem Ertrag von Pfennigkollekten zu
+bestatten, was durchaus keine Armenbeerdigung ist. Auch die autoschediastische
+Beinamenerklaerung, die so viel Plattheiten in die roemische Geschichte
+gebracht hat, hat hierzu ihren Beitrag geliefert (Serranus).
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Die Beendigung der Kaempfe zwischen Alt- und Neubuergern, die
+verschiedenartigen und verhaeltnismaessig erfolgreichen Versuche, dem
+Mittelstande aufzuhelfen, die inmitten der neugewonnenen buergerlichen
+Gleichheit bereits hervortretenden Anfaenge der Bildung einer neuen
+aristokratischen und einer neuen demokratischen Partei sind also dargestellt
+worden. Es bleibt noch uebrig zu schildern, wie unter diesen Veraenderungen das
+neue Regiment sich konstituierte, und wie nach der politischen Beseitigung der
+Adelschaft die drei Elemente des republikanischen Gemeinwesens, Buergerschaft,
+Magistratur und Senat, gegeneinander sich stellten.
+</p>
+
+<p>
+Die Buergerschaft in ihren ordentlichen Versammlungen blieb nach wie vor die
+hoechste Autoritaet im Gemeinwesen und der legale Souveraen; nur wurde
+gesetzlich festgestellt, dass, abgesehen von den ein fuer allemal den Zenturien
+ueberwiesenen Entscheidungen, namentlich den Wahlen der Konsuln und Zensoren,
+die Abstimmung nach Distrikten ebenso gueltig sein solle wie die nach
+Zenturien, was fuer die patrizisch-plebejische Versammlung das
+Valerisch-Horatische Gesetz von 305 (449) einfuehrte und das Publilische von
+415 (339) erweiterte, fuer die plebejische Sonderversammlung aber das
+Hortensische um 467 (287) verordnete. Dass im ganzen dieselben Individuen in
+beiden Versammlungen stimmberechtigt waren, ist schon hervorgehoben worden,
+aber auch, dass, abgesehen von dem Ausschluss der Patrizier von der
+plebejischen Sonderversammlung, auch in der allgemeinen Distriktsversammlung
+alle Stimmberechtigten durchgaengig sich gleichstanden, in den
+Zenturiatkomitien aber die Wirksamkeit des Stimmrechts nach dem Vermoegen des
+Stimmenden sich abstufte, also insofern allerdings die erstere eine
+nivellierende und demokratische Neuerung war. Von weit groesserer Bedeutung war
+es, dass gegen das Ende dieser Periode die uralte Bedingung des Stimmrechts,
+die Ansaessigkeit, zum erstenmal in Frage gestellt zu werden anfing. Appius
+Claudius, der kuehnste Neuerer, den die roemische Geschichte kennt, legte in
+seiner Zensur 442 (312), ohne den Senat oder das Volk zu fragen, die
+Buergerliste so an, dass der nicht grundsaessige Mann in die ihm beliebige
+Tribus und alsdann nach seinem Vermoegen in die entsprechende Zenturie
+aufgenommen ward. Allein diese Aenderung griff zu sehr dem Geiste der Zeit vor,
+um vollstaendig Bestand zu haben. Einer der naechsten Nachfolger des Appius,
+der beruehmte Besieger der Samniten, Quintus Fabius Rullianus, uebernahm es in
+seiner Zensur 450 (304) sie zwar nicht ganz zu beseitigen, aber doch in solche
+Grenzen einzuschliessen, dass den Grundsaessigen und Vermoegenden effektiv die
+Herrschaft in den Buergerversammlungen blieb. Es wies die nicht grundsaessigen
+Leute saemtlich in die vier staedtischen Tribus, die jetzt aus den ersten im
+Range die letzten wurden. Die Landquartiere dagegen, deren Zahl zwischen den
+Jahren 367 (241) und 513 (387) allmaehlich von siebzehn bis auf einunddreissig
+stieg, also die von Haus aus bei weitem ueberwiegende und immer mehr das
+Uebergewicht erhaltende Majoritaet der Stimmabteilungen, wurden den saemtlichen
+ansaessigen Buergern gesetzlich vorbehalten. In den Zenturien blieb es bei der
+Gleichstellung der ansaessigen und nichtansaessigen Buerger, wie Appius sie
+eingefuehrt hatte. Auf diese Weise ward dafuer gesorgt, dass in den
+Tributkomitien die Ansaessigen ueberwogen, waehrend fuer die Zenturiatkomitien
+an sich schon die Vermoegenden den Ausschlag gaben. Durch diese weise und
+gemaessigte Festsetzung eines Mannes, der seiner Kriegstaten wegen wie mehr
+noch wegen dieser seiner Friedenstat mit Recht den Beinamen des Grossen
+(Maximus) erhielt, ward einerseits die Wehrpflicht wie billig auch auf die
+nicht ansaessigen Buerger erstreckt, anderseits dafuer Sorge getragen, dass in
+der Distriktversammlung ihrem Einfluss, insbesondere dem der meistenteils des
+Grundbesitzes entbehrenden gewesenen Sklaven, derjenige Riegel vorgeschoben
+ward, welcher in einem Staat, der Sklaverei zulaesst, ein leider
+unerlaessliches Beduerfnis ist. Ein eigentuemliches Sittengericht, das
+allmaehlich an die Schatzung und die Aufnahme der Buergerliste sich anknuepfte,
+schloss ueberdies aus der Buergerschaft alle notorisch unwuerdigen Individuen
+aus und wahrte dem Buergertum die sittliche und politische Reinheit.
+</p>
+
+<p>
+Die Kompetenz der Komitien zeigt die Tendenz, sich mehr und mehr, aber sehr
+allmaehlich zu erweitern. Schon die Vermehrung der vom Volk zu waehlenden
+Magistrate gehoert gewissermassen hierher; bezeichnend ist es besonders, dass
+seit 392 (362) die Kriegstribune einer Legion, seit 443 (311) je vier in jeder
+der vier ersten Legionen, nicht mehr vom Feldherrn, sondern von der
+Buergerschaft ernannt wurden. In die Administration griff waehrend dieser
+Periode die Buergerschaft im ganzen nicht ein; nur das Recht der
+Kriegserklaerung wurde von ihr, wie billig, mit Nachdruck festgehalten und
+namentlich auch fuer den Fall festgestellt, wo ein an Friedens Statt
+abgeschlossener laengerer Waffenstillstand ablief und zwar nicht rechtlich,
+aber tatsaechlich ein neuer Krieg begann (327 427). Sonst ward eine
+Verwaltungsfrage fast nur dann dem Volke vorgelegt, wenn die regierenden
+Behoerden unter sich in Kollision gerieten und eine derselben die Sache an das
+Volk brachte - so, als den Fuehrern der gemaessigten Partei unter dem Adel,
+Lucius Valerius und Marcus Horatius, im Jahre 305 (449) und dem ersten
+plebejischen Diktator Gaius Marcus Rutilus im Jahre 398 (356) vom Senat die
+verdienten Triumphe nicht zugestanden wurden; als die Konsuln des Jahres 459
+(295) ueber ihre gegenseitige Kompetenz nicht untereinander sich einigen
+konnten; und als der Senat im Jahre 364 (390) die Auslieferung eines
+pflichtvergessenen Gesandten an die Gallier beschloss und ein Konsulartribun
+deswegen an die Gemeinde sich wandte - es war dies der erste Fall, wo ein
+Senatsbeschluss vom Volke kassiert ward, und schwer hat ihn die Gemeinde
+gebuesst. Zuweilen gab auch die Regierung in schwierigen Fragen dem Volk die
+Entscheidung anheim: so zuerst, als Caere, nachdem ihm das Volk den Krieg
+erklaert hatte, ehe dieser wirklich begann, um Frieden bat (401 353); und
+spaeter, als der Senat den demuetig von den Samniten erbetenen Frieden ohne
+weiteres abzuschlagen Bedenken trug (436 318). Erst gegen das Ende dieser
+Periode finden wir ein bedeutend erweitertes Eingreifen der Distriktversammlung
+auch in Verwaltungsangelegenheiten, namentlich Befragung derselben bei
+Friedensschluessen und Buendnissen; es ist wahrscheinlich, dass diese
+zurueckgeht auf das Hortensische Gesetz von 467 (287).
+</p>
+
+<p>
+Indes trotz dieser Erweiterungen der Kompetenz der Buergerversammlungen begann
+der praktische Einfluss derselben auf die Staatsangelegenheiten vielmehr,
+namentlich gegen das Ende dieser Epoche, zu schwinden. Vor allem die Ausdehnung
+der roemischen Grenzen entzog der Urversammlung ihren richtigen Boden. Als
+Versammlung der Gemeindesaessigen konnte sie frueher recht wohl in genuegender
+Vollzaehligkeit sich zusammenfinden und recht wohl missen, was sie wollte, auch
+ohne zu diskutieren; aber die roemische Buergerschaft war jetzt schon weniger
+Gemeinde als Staat. Dass die zusammen Wohnenden auch miteinander stimmten,
+brachte allerdings in die roemischen Komitien, wenigstens, wenn nach Quartieren
+gestimmt ward, einen gewissen inneren Zusammenhang und in die Abstimmung hier
+und da Energie und Selbstaendigkeit; in der Regel aber waren doch die Komitien
+in ihrer Zusammensetzung wie in ihrer Entscheidung teils von der
+Persoenlichkeit des Vorsitzenden und vom Zufall abhaengig, teils den in der
+Hauptstadt domizilierten Buergern in die Haende gegeben. Es ist daher
+vollkommen erklaerlich, dass die. Buergerversammlungen, die in den beiden
+ersten Jahrhunderten. der Republik eine grosse und praktische Wichtigkeit
+haben, allmaehlich beginnen, ein reines Werkzeug in der Hand des vorsitzenden
+Beamten zu werden; freilich ein sehr gefaehrliches, da der zum Vorsitz
+berufenen Beamten so viele waren und jeder Beschluss der Gemeinde galt als der
+legale Ausdruck des Volkswillens in letzter Instanz. An der Erweiterung aber
+der verfassungsmaessigen Rechte der Buergerschaft war insofern nicht viel
+gelegen, als diese weniger als frueher eines eigenen Wollens und Handelns
+faehig war, und als es eine eigentliche Demagogie in Rom noch nicht gab -
+haette eine solche damals bestanden, so wuerde sie versucht haben, nicht die
+Kompetenz der Buergerschaft zu erweitern, sondern die politische Debatte vor
+der Buergerschaft zu entfesseln, waehrend es doch bei den alten Satzungen, dass
+nur der Magistrat die Buerger zur Versammlung zu berufen und dass er jede
+Debatte und jede Amendementsstellung auszuschliessen befugt sei, unveraendert
+sein Bewenden hatte. Zur Zeit machte sich diese beginnende Zerruettung der
+Verfassung hauptsaechlich nur insofern geltend, als die Urversammlungen sich
+wesentlich passiv verhielten und im ganzen in das Regiment weder foerdernd noch
+stoerend eingriffen.
+</p>
+
+<p>
+Was die Beamtengewalt anlangt, so war deren Schmaelerung nicht gerade das Ziel
+der zwischen Alt- und Neubuergern gefuehrten Kaempfe, wohl aber eine ihrer
+wichtigsten Folgen. Bei dem Beginn der staendischen Kaempfe, das heisst des
+Streites um den Besitz der konsularischen Gewalt, war das Konsulat noch die
+einige und unteilbare wesentliche koenigliche Amtsgewalt gewesen und hatte der
+Konsul wie ehemals der Koenig noch alle Unterbeamten nach eigener freier Wahl
+bestellt; an Ende desselben waren die wichtigsten Befugnisse: Gerichtsbarkeit,
+Strassenpolizei, Senatoren- und Ritterwahl, Schatzung und Kassenverwaltung von
+dem Konsulat getrennt und an Beamte uebergegangen, die gleich dem Konsul von
+der Gemeinde ernannt wurden und weit mehr neben als unter ihm standen. Das
+Konsulat, sonst das einzige ordentliche Gemeindeamt, war jetzt nicht mehr
+einmal unbedingt das erste: in der neu sich feststellenden Rang- und
+gewoehnlichen Reihenfolge der Gemeindeaemter stand das Konsulat zwar ueber
+Praetur, Aedilitaet und Quaestur, aber unter dem Einschaetzungsamt, an das
+ausser den wichtigsten finanziellen Geschaeften die Feststellung der Buerger-,
+Ritter- und Senatorenliste und damit eine durchaus willkuerliche sittliche
+Kontrolle ueber die gesamte Gemeinde und jeden einzelnen, geringsten wie
+vornehmsten Buerger gekommen war. Der dem urspruenglichen roemischen
+Staatsrecht mit dem Begriff des Oberamts unvereinbar erscheinende Begriff der
+begrenzten Beamtengewalt oder der Kompetenz brach allmaehlich sich Bahn und
+zerfetzte und zerstoerte den aelteren des einen und unteilbaren Imperium. Einen
+Anfang dazu machte schon die Einsetzung der staendigen Nebenaemter, namentlich
+der Quaestur; vollstaendig durchgefuehrt ward sie durch die Licinischen Gesetze
+(387 367), welche von den drei hoechsten Beamten der Gemeinde die ersten beiden
+fuer Verwaltung und Kriegfuehrung, den dritten fuer die Gerichtsleitung
+bestimmten. Aber man blieb hierbei nicht stehen. Die Konsuln, obwohl sie
+rechtlich durchaus und ueberall konkurrierten, teilten doch natuerlich seit
+aeltester Zeit tatsaechlich die verschiedenen Geschaeftskreise (provinciae)
+unter sich. Urspruenglich war dies lediglich durch freie Vereinbarung oder in
+deren Ermangelung durch Losung geschehen; allmaehlich aber griffen die anderen
+konstitutiven Gewalten im Gemeinwesen in diese faktischen Kompetenzbestimmungen
+ein. Es ward ueblich, dass der Senat Jahr fuer Jahr die Geschaeftskreise
+abgrenzte und sie zwar nicht geradezu unter die konkurrierenden Beamten
+verteilte, aber doch durch Ratschlag und Bitte auch auf die Personenfragen
+entscheidend einwirkte. Aeussersten Falls erlangte der Senat auch wohl einen
+Gemeindebeschluss, der die Kompetenzfrage definitiv entschied; doch hat die
+Regierung diesen bedenklichen Ausweg nur sehr selten angewandt. Ferner wurden
+die wichtigsten Angelegenheiten, wie zum Beispiel die Friedensschluesse, den
+Konsuln entzogen und dieselben genoetigt, hierbei an den Senat zu rekurrieren
+und nach dessen Instruktion zu verfahren. Fuer den aeussersten Fall endlich
+konnte der Senat jederzeit die Konsuln vom Amt suspendieren, indem nach einer
+nie rechtlich festgestellten und nie tatsaechlich verletzten Uebung der
+Eintritt der Diktatur lediglich von dem Beschluss des Senats abhing und die
+Bestimmung der zu ernennenden Person, obwohl verfassungsmaessig bei dem
+ernennenden Konsul, doch der Sache nach in der Regel bei dem Senat stand.
+</p>
+
+<p>
+Laenger als in dem Konsulat blieb in der Diktatur die alte Einheit und
+Rechtsfuelle des Imperium enthalten; obwohl sie natuerlich als
+ausserordentliche Magistratur der Sache nach von Haus aus eine Spezialkompetenz
+hatte, gab es doch rechtlich eine solche fuer den Diktator noch weit weniger
+als fuer den Konsul. Indes auch sie ergriff allmaehlich der neu in das
+roemische Rechtsleben eintretende Kompetenzbegriff. Zuerst 391 (363) begegnet
+ein aus theologischem Skrupel ausdruecklich bloss zur Vollziehung einer
+religioesen Zeremonie ernannter Diktator; und wenn dieser selbst noch, ohne
+Zweifel formell verfassungsmaessig, die ihm gesetzte Kompetenz als nichtig
+behandelte und ihr zum Trotz den Heerbefehl uebernahm, so wiederholte bei den
+spaeteren, gleichartig beschraenkten Ernennungen, die zuerst 403 (351) und
+seitdem sehr haeufig begegnen, diese Opposition der Magistratur sich nicht,
+sondern auch die Diktatoren erachteten fortan durch ihre Spezialkompetenzen
+sich gebunden.
+</p>
+
+<p>
+Endlich lagen in dem 412 (342) erlassenen Verbot der Kumulierung ordentlicher
+kurulischer Aemter und in der gleichzeitigen Vorschrift, dass derselbe Mann
+dasselbe Amt in der Regel nicht vor Ablauf einer zehnjaehrigen Zwischenzeit
+solle verwalten koennen, sowie in der spaeteren Bestimmung, dass das
+tatsaechlich hoechste Amt, die Zensur, ueberhaupt nicht zum zweitenmal
+bekleidet werden duerfe (489 265), weitere sehr empfindliche Beschraenkungen
+der Magistratur. Doch war die Regierung noch stark genug, um ihre Werkzeuge
+nicht zu fuerchten und darum eben die brauchbarsten absichtlich ungenutzt zu
+lassen; tapfere Offiziere wurden sehr haeufig von jenen Vorschriften entbunden
+^5, und es kamen noch Faelle vor, wie der des Quintus Fabius Rullianus, der in
+achtundzwanzig Jahren fuenfmal Konsul war, und des Marcus Valerius Corvus
+(384-483 370-271), welcher, nachdem er sechs Konsulate, das erste im
+dreiundzwanzigsten, das letzte im zweiundsiebzigsten Jahre, verwaltet und drei
+Menschenalter hindurch der Hort der Landsleute und der Schrecken der Feinde
+gewesen war, hundertjaehrig zur Grube fuhr.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^5 Wer die Konsularverzeichnisse vor und nach 412 (342) vergleicht, wird an der
+Existenz des oben erwaehnten Gesetzes ueber die Wiederwahl zum Konsulat nicht
+zweifeln; denn so gewoehnlich vor diesem Jahr die Wiederbekleidung des Amtes
+besonders nach drei bis vier Jahren ist, so haeufig sind nachher die
+Zwischenraeume von zehn Jahren und darueber. Doch finden sich, namentlich
+waehrend der schweren Kriegsjahre 434-443 (320-311), Ausnahmen in sehr grosser
+Zahl. Streng hielt man dagegen an der Unzulaessigkeit der Aemterkumulierung. Es
+findet sich kein sicheres Beispiel der Verbindung zweier der drei ordentlichen
+kurulischen (Liv. 39, 39, 4) Aemter (Konsulat, Praetur, kurulische Aedilitaet),
+wohl aber von anderen Kumulierungen, zum Beispiel der kurulischen Aedilitaet
+und des Reiterfuehreramts (Liv. 23 24, 30); der Praetur und der Zensur (Fast.
+Capitol. a 501); der Praetur und der Diktatur (Liv. 8, 12); des Konsulats und
+der Diktatur (Liv. 8, 12).
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Waehrend also der roemische Beamte immer vollstaendiger und immer bestimmter
+aus dem unbeschraenkten Herrn in den gebundenen Auftragnehmer und
+Geschaeftsfuehrer der Gemeinde sich umwandelte, unterlag die alte
+Gegenmagistratur, das Volkstribunat, gleichzeitig einer gleichartigen mehr
+innerlichen als aeusserlichen Umgestaltung. Dasselbe diente im Gemeinwesen zu
+einem doppelten Zweck. Es war von Haus aus bestimmt gewesen, den Geringen und
+Schwachen. durch eine gewissermassen revolutionaere Hilfsleistung (auxilium)
+gegen den gewalttaetigen Uebermut der Beamten zu schuetzen; es war spaeterhin
+gebraucht worden, um die rechtliche Zuruecksetzung der Buergerlichen und die
+Privilegien des Geschlechtsadels zu beseitigen. Letzteres war erreicht. Der
+urspruengliche Zweck war nicht bloss an sich mehr ein demokratisches Ideal als
+eine politische Moeglichkeit, sondern auch der plebejischen Aristokratie, in
+deren Haenden das Tribunat sich befinden musste und befand, vollkommen ebenso
+verhasst und mit der neuen, aus der Ausgleichung der Staende hervorgegangenen,
+womoeglich noch entschiedener als die bisherige aristokratisch gefaerbten,
+Gemeindeordnung vollkommen ebenso unvertraeglich, wie es dem Geschlechtsadel
+verhasst und mit der patrizischen Konsularverfassung unvertraeglich gewesen
+war. Aber anstatt das Tribunat abzuschaffen, zog man vor, es aus einem
+Ruestzeug der Opposition in ein Regierungsorgan umzuschaffen und zog die
+Volkstribune, die von Haus aus von aller Teilnahme an der Verwaltung
+ausgeschlossen und weder Beamte noch Mitglieder des Senats waren, jetzt hinein
+in den Kreis der regierenden Behoerden. Wenn sie in der Gerichtsbarkeit von
+Anfang an den Konsuln gleichstanden und schon in den ersten Stadien der
+staendischen Kaempfe gleich diesen die legislatorische Initiative erwarben, so
+empfingen sie jetzt auch, wir wissen nicht genau wann, aber vermutlich bei oder
+bald nach der schliesslichen Ausgleichung der Staende, gleiche Stellung mit den
+Konsuln gegenueber der tatsaechlich regierenden Behoerde, dem Senate. Bisher
+hatten sie, auf einer Bank an der Tuer sitzend, der Senatsverhandlung
+beigewohnt, jetzt erhielten sie gleich und neben den uebrigen Beamten ihren
+Platz im Senate selbst und das Recht, bei der Verhandlung das Wort zu
+ergreifen; wenn ihnen das Stimmrecht versagt blieb, so war dies nur eine
+Anwendung des allgemeinen Grundsatzes des roemischen Staatsrechts, dass den Rat
+nur gab, wer zur Tat nicht berufen war und also saemtlichen funktionierenden
+Beamten waehrend ihres Amtsjahrs nur Sitz, nicht Stimme im Gemeinderat zukam.
+Aber es blieb hierbei nicht. Die Tribune empfingen das unterscheidende Vorrecht
+der hoechsten Magistratur, das sonst von den ordentlichen Beamten nur den
+Konsuln und Praetoren zustand: das Recht, den Senat zu versammeln, zu befragen
+und einen Beschluss desselben zu bewirken ^6. Es war das nur in der Ordnung:
+die Haeupter der plebejischen Aristokratie mussten denen der patrizischen im
+Senate gleichgestellt werden, seit das Regiment von dem Gesellschaftsadel
+uebergegangen war auf die vereinigte Aristokratie. Indem dieses urspruenglich
+von aller Teilnahme an der Staatsverwaltung ausgeschlossene
+Oppositionskollegium jetzt, namentlich fuer die eigentlich staedtischen
+Angelegenheiten, eine zweite hoechste Exekutivstelle ward und eines der
+gewoehnlichsten und brauchbarsten Organe der Regierung, dass heisst des Senats,
+um die Buergerschaft zu lenken und vor allem um Ausschreitungen der Beamten zu
+hemmen, wurde es allerdings seinem urspruenglichen Wesen nach absorbiert und
+politisch vernichtet; indes war dieses Verfahren in der Tat durch die
+Notwendigkeit geboten. Wie klar auch die Maengel der roemischen Aristokratie
+zutage liegen und wie entschieden das stetige Wachsen der aristokratischen
+Uebermacht mit der tatsaechlichen Beseitigung des Tribunats zusammenhaengt, so
+kann doch nicht verkannt werden, dass auf die Laenge sich nicht mit einer
+Behoerde regieren liess, welche nicht bloss zwecklos war und fast auf die
+Hinhaltung des leidenden Proletariats durch truegerische Hilfsvorspiegelung
+berechnet, sondern zugleich entschieden revolutionaer und im Besitz einer
+eigentlich anarchischen Befugnis der Hemmung der Beamten-, ja der Staatsgewalt
+selbst. Aber der Glaube an das Ideale, in dem alle Macht wie alle Ohnmacht der
+Demokratie begruendet ist, hatte in den Gemuetern der Roemer aufs engste an das
+Gemeindetribunat sich geheftet, und man braucht nicht erst an Cola Rienzi zu
+erinnern, um einzusehen, dass dasselbe, wie wesenlos immer der daraus fuer die
+Menge entspringende Vorteil war, ohne eine furchtbare Staatsumwaelzung nicht
+beseitigt werden konnte. Darum begnuegte man sich mit echt buergerlicher
+Staatsklugheit, in den moeglichst wenig in die Augen fallenden Formen die Sache
+zu vernichten. Der blosse Name dieser ihrem innersten Kern nach revolutionaeren
+Magistratur blieb immer noch innerhalb des aristokratisch regierten
+Gemeinwesens gegenwaertig ein Widerspruch und fuer die Zukunft, in den Haenden
+einer dereinstigen Umsturzpartei, eine schneidende und gefaehrliche Waffe;
+indes fuer jetzt und noch auf lange hinaus war die Aristokratie so unbedingt
+maechtig und so vollstaendig im Besitz des Tribunats, dass von einer
+kollegialischen Opposition der Tribune gegen den Senat schlechterdings keine
+Spur sich findet und die Regierung der etwa vorkommenden verlorenen
+oppositionellen Regungen einzelner solcher Beamten immer ohne Muehe und in der
+Regel durch das Tribunat selbst Herr ward.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^6 Daher werden die fuer den Senat bestimmten Depeschen adressiert an Konsuln,
+Praetoren, Volkstribune und Senat (Cic. ad fam. 15, 2 und sonst).
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+In der Tat war es der Senat, der die Gemeinde regierte, und fast ohne
+Widerstand seit der Ausgleichung der Staende. Seine Zusammensetzung selbst war
+eine andere geworden. Das freie Schalten der Oberbeamten, wie es nach
+Beseitigung der alten Geschlechtervertretung in dieser Hinsicht stattgefunden
+hatte, hatte schon mit der Abschaffung der lebenslaenglichen
+Gemeindevorstandschaft sehr wesentliche Beschraenkungen erfahren.
+</p>
+
+<p>
+Ein weiterer Schritt zur Emanzipation des Senats von der Beamtengewalt erfolgte
+durch den Uebergang der Feststellung dieser Listen von den hoechsten
+Gemeindebeamten auf eine Unterbehoerde, von den Konsuln auf die Zensoren.
+Allerdings wurde, sei es gleich damals oder bald nachher, auch das Recht des
+mit der Anfertigung der Liste beauftragten Beamten, einzelne Senatoren wegen
+eines ihnen anhaftenden Makels aus derselben wegzulassen und somit aus dem
+Senat auszuschliessen, wo nicht eingefuehrt, doch wenigstens schaerfer
+formuliert ^7 und somit jenes eigentuemliche Sittengericht begruendet, auf dem
+das hohe Ansehen der Zensoren vornehmlich beruht. Allein derartige Ruegen
+konnten, da zumal beide Zensoren darueber einig sein mussten, wohl dazu dienen,
+einzelne der Versammlung nicht zur Ehre gereichende oder dem in ihr
+herrschenden Geist feindliche Persoenlichkeiten zu entfernen, nicht aber sie
+selbst in Abhaengigkeit von der Magistratur versetzen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^7 Diese Befugnis sowie die aehnlichen hinsichtlich der Ritter- und der
+Buergerliste waren wohl nicht foermlich und gesetzlich den Zensoren beigelegt,
+lagen aber tatsaechlich von jeher in ihrer Kompetenz. Das Buergerrecht vergibt
+die Gemeinde, nicht der Zensor aber wem dieser in dem Verzeichnis der
+Stimmberechtigten keine oder eine schlechtere Stelle anweist, der verliert das
+Buergerrecht nicht, kann aber die buergerlichen Befugnisse nicht oder nur an
+dem geringeren Platz ausueben bis zur Anfertigung einer neuen Liste. Ebenso
+verhaelt es sich mit dem Senat: wen der Zensor in seiner Liste auslaesst, der
+scheidet aus demselben, solange die betreffende Liste gueltig bleibt - es kommt
+vor, dass der vorsitzende Beamte sie verwirft und die aeltere Liste wieder in
+Kraft setzt. Offenbar kam also in dieser Hinsicht es nicht so sehr darauf an,
+was den Zensoren gesetzlich freistand, sondern was bei denjenigen Beamten,
+welche nach ihren Listen zu laden hatten, ihre Autoritaet vermochte. Daher
+begreift man, wie diese Befugnis allmaehlich stieg und wie mit der steigenden
+Konsolidierung der Nobilitaet dergleichen Streichungen gleichsam die Form
+richterlicher Entscheidungen annahmen und gleichsam als solche respektiert
+wurden. Hinsichtlich der Feststellung der Senatsliste hat freilich auch ohne
+Zweifel die Bestimmung des Ovinischen Plebiszits wesentlich mitgewirkt, dass
+die Zensoren &ldquo;aus allen Rangklassen die Besten&rdquo; in den Senat nehmen
+sollten.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Entscheidend aber beschraenkte das Ovinische Gesetz, welches etwa um die Mitte
+dieser Periode, wahrscheinlich bald nach den Licinischen Gesetzen durchgegangen
+ist, das Recht der Beamten, den Senat nach ihrem Ermessen zu konstituieren,
+indem es demjenigen, der kurulischer Aedil, Praetor oder Konsul gewesen war,
+sofort vorlaeufig Sitz und Stimme im Senat verlieh und die naechst eintretenden
+Zensoren verpflichtete, diese Expektanten entweder foermlich in die
+Senatorenliste einzuzeichnen oder doch nur aus denjenigen Gruenden, welche auch
+zur Ausstossung des wirklichen Senators genuegten, von der Liste
+auszuschliessen. Freilich reichte die Zahl dieser gewesenen Magistrate bei
+weitem nicht aus, um den Senat auf der normalen Zahl von dreihundert zu halten;
+und unter dieselbe durfte man, besonders da die Senatoren- zugleich
+Geschworenenliste war, ihn nicht herabgehen lassen. So blieb dem zensorischen
+Wahlrecht immer noch ein bedeutender Spielraum; indes nahmen diese, nicht durch
+die Bekleidung eines Amtes, sondern durch die zensorische Wahl erkiesten
+Senatoren - haeufig diejenigen Buerger, die ein nicht kurulisches Gemeindeamt
+verwaltet oder durch persoenliche Tapferkeit sich hervorgetan, einen Feind im
+Gefecht getoetet oder einem Buerger das Leben gerettet hatten - zwar an der
+Abstimmung, aber nicht an der Debatte teil. Der Kern des Senats und derjenige
+Teil desselben, in dem Regierung und Verwaltung sich konzentriert, ruhte also
+nach dem Ovinischen Gesetz im wesentlichen nicht mehr auf der Willkuer eines
+Beamten, sondern mittelbar auf der Wahl durch das Volk; und die roemische
+Gemeinde war auf diesem Wege zwar nicht zu der grossen Institution der Neuzeit,
+dem repraesentativen Volksregimente, aber wohl dieser Institution nahe
+gekommen, waehrend die Gesamtheit der nicht debattierenden Senatoren gewaehrte,
+was bei regierenden Kollegien so notwendig wie schwierig herzustellen ist, eine
+kompakte Masse urteilsfaehiger und urteilsberechtiger, aber schweigender
+Mitglieder.
+</p>
+
+<p>
+Die Kompetenz des Senats wurde formell kaum veraendert. Der Senat huetete sich
+wohl, durch unpopulaere Verfassungsaenderungen oder offenbare
+Verfassungsverletzungen der Opposition und der Ambition Handhaben darzubieten;
+er liess es sogar geschehen, wenn er es auch nicht foerderte, dass die
+Buergerschaftskompetenz im demokratischen Sinne ausgedehnt ward. Aber wenn die
+Buergerschaft den Schein, so erwarb der Senat das Wesen der Macht: einen
+bestimmenden Einfluss auf die Gesetzgebung und die Beamtenwahlen und das
+gesamte Gemeinderegiment.
+</p>
+
+<p>
+Jeder neue Gesetzvorschlag ward zunaechst im Senat vorberaten, und kaum wagte
+es je ein Beamter, ohne oder wider das Gutachten des Senats einen Antrag an die
+Gemeinde zu stellen; geschah es dennoch, so hatte der Senat durch die
+Beamteninterzession und die priesterliche Kassation eine lange Reihe von
+Mitteln in der Hand, um jeden unbequemen Antrag im Keime zu ersticken oder
+nachtraeglich zu beseitigen; und im aeussersten Fall hatte er als oberste
+Verwaltungsbehoerde mit der Ausfuehrung auch die Nichtausfuehrung der
+Gemeindebeschluesse in der Hand. Es nahm der Senat ferner unter
+stillschweigender Zustimmung der Gemeinde das Recht in Anspruch, in dringenden
+Faellen unter Vorbehalt der Ratifikation durch Buergerschaftsbeschluss, von den
+Gesetzen zu entbinden - ein Vorbehalt, der von Haus aus nicht viel bedeutete
+und allmaehlich so vollstaendig zur Formalitaet ward, dass man in spaeterer
+Zeit sich nicht einmal mehr die Muehe gab, den ratifizierenden
+Gemeindebeschluss zu beantragen.
+</p>
+
+<p>
+Was die Wahlen anlangt, so gingen sie, soweit sie den Beamten zustanden und von
+politischer Wichtigkeit waren, tatsaechlich ueber auf den Senat; auf diesem
+Wege erwarb derselbe, wie schon gesagt ward, das Recht, den Diktator zu
+bestellen. Groessere Ruecksicht masste allerdings auf die Gemeinde genommen
+werden: es konnte ihr das Recht nicht entzogen werden, die Gemeindeaemter zu
+vergeben; doch ward, wie gleichfalls schon bemerkt wurde, sorgfaeltig darueber
+gewacht, dass diese Beamtenwahl nicht etwa in die Vergebung bestimmter
+Kompetenzen, namentlich nicht der Oberfeldherrnstellen in bevorstehenden
+Kriegen, uebergehe. Ueberdies brachte teils der neu eingefuehrte
+Kompetenzbegriff, teils das dem Senat tatsaechlich zugestandene Recht, von den
+Gesetzen zu entbinden, einen wichtigen Teil der Aemterbesetzung in die Haende
+des Senats. Von dem Einfluss, den der Senat auf die Feststellung der
+Geschaeftskreise namentlich der Konsuln ausuebte, ist schon die Rede gewesen.
+Von dem Dispensationsrecht war eine der wichtigsten Anwendungen die Entbindung
+des Beamten von der gesetzlichen Befristung seines Amtes, welche zwar, als den
+Grundgesetzen der Gemeinde zuwider, nach roemischen Staatsrecht in dem
+eigentlichen Stadtbezirk nicht vorkommen durfte, aber ausserhalb desselben
+wenigstens insoweit galt, als der Konsul und Praetor, dem die Frist verlaengert
+war, nach Ablauf derselben fortfuhr, &ldquo;an Konsul&rdquo; oder
+&ldquo;Praetor Statt&rdquo; (pro consule, pro praetore) zu fungieren.
+Natuerlich stand dies wichtige, dem Ernennungsrecht wesentlich gleichstehende
+Recht der Fristerstreckung gesetzlich allein der Gemeinde zu und ward
+anfaenglich auch faktisch von ihr gehandhabt; aber doch wurde schon 447 (307)
+und seitdem regelmaessig den Oberfeldherren das Kommando durch blossen
+Senatsbeschluss verlaengert. Dazu kam endlich der uebermaechtige und klug
+vereinigte Einfluss der Aristokratie auf die Wahlen, welcher dieselben nicht
+immer, aber in der Regel auf die der Regierung genehmen Kandidaten lenkte.
+</p>
+
+<p>
+Was schliesslich die Verwaltung anlangt, so hing Krieg, Frieden und Buendnis,
+Kolonialgruendung, Ackerassignation, Bauwesen, ueberhaupt jede Angelegenheit
+von dauernder und durchgreifender Wichtigkeit, und namentlich das gesamte
+Finanzwesen lediglich ab von dem Senat. Er war es, der Jahr fuer Jahr den
+Beamten in der Feststellung ihrer Geschaeftskreise und in der Limitierung der
+einem jeden zur Verfuegung zu stellenden Truppen und Gelder die allgemeine
+Instruktion gab, und an ihn ward von allen Seiten in allen wichtigen Faellen
+rekurriert: keinem Beamten, mit Ausnahme des Konsuls, und keinem Privaten
+durften die Vorsteher der Staatskasse Zahlung anders leisten als nach
+vorgaengigem Senatsbeschluss. Nur in die Besorgung der laufenden
+Angelegenheiten und in die richterliche und militaerische Spezialverwaltung
+mischte das hoechste Regierungskollegium sich nicht ein; es war zu viel
+politischer Sinn und Takt in der roemischen Aristokratie, um die Leitung des
+Gemeinwesens in eine Bevormundung des einzelnen Beamten und das Werkzeug in
+eine Maschine verwandeln zu wollen.
+</p>
+
+<p>
+Dass dies neue Regiment des Senats bei aller Schonung der bestehenden Formen
+eine vollstaendige Umwaelzung des alten Gemeinwesens in sich schloss, leuchtet
+ein; dass die freie Taetigkeit der Buergerschaft stockte und erstarrte und die
+Beamten zu Sitzungspraesidenten und ausfuehrenden Kommissarien herabsanken,
+dass ein durchaus nur beratendes Kollegium die Erbschaft beider
+verfassungsmaessiger Gewalten tat und, wenn auch in den bescheidensten Formen,
+die Zentralregierung der Gemeinde ward, war revolutionaer und usurpatorisch.
+Indes wenn jede Revolution und jede Usurpation durch die ausschliessliche
+Faehigkeit zum Regimente vor dem Richterstuhl der Geschichte gerechtfertigt
+erscheint, so muss auch ihr strenges Urteil es anerkennen, dass diese
+Koerperschaft ihre grosse Aufgabe zeitig begriffen und wuerdig erfuellt hat.
+Berufen nicht durch den eitlen Zufall der Geburt, sondern wesentlich durch die
+freie Wahl der Nation; bestaetigt von vier zu vier Jahren durch das strenge
+Sittengericht der wuerdigsten Maenner; auf Lebenszeit im Amte und nicht
+abhaengig von dem Ablauf des Mandats oder von der schwankenden Meinung des
+Volkes; in sich einig und geschlossen seit der Ausgleichung der Staende; alles
+in sich schliessend, was das Volk besass von politischer Intelligenz und
+praktischer Staatskunde; unumschraenkt verfuegend in allen finanziellen Fragen
+und in der Leitung der auswaertigen Politik; die Exekutive vollkommen
+beherrschend durch deren kurze Dauer und durch die dem Senat nach der
+Beseitigung des staendischen Haders dienstbar gewordene tribunizische
+Interzession, war der roemische Senat der edelste Ausdruck der Nation und in
+Konsequenz und Staatsklugheit, in Einigkeit und Vaterlandsliebe, in Machtfuelle
+und sicherem Mut die erste politische Koerperschaft aller Zeiten - auch jetzt
+noch &ldquo;eine Versammlung von Koenigen&rdquo;, die es verstand, mit
+republikanischer Hingebung despotische Energie zu verbinden. Nie ist ein Staat
+nach aussen fester und wuerdiger vertreten worden als Rom in seiner guten Zeit
+durch seinen Senat. In der inneren Verwaltung ist es allerdings nicht zu
+verkennen, dass die im Senat vorzugsweise vertretene Geld- und
+Grundaristokratie in den ihre Sonderinteressen betreffenden Angelegenheiten
+parteiisch verfuhr und dass die Klugheit und die Energie der Koerperschaft hier
+haeufig von ihr nicht zum Heil des Staates gebraucht worden sind. Indes der
+grosse, in schweren Kaempfen festgestellte Grundsatz, dass jeder roemische
+Buerger gleich vor dem Gesetz sei in Rechten und Pflichten, und die daraus sich
+ergebende Eroeffnung der politischen Laufbahn, das heisst des Eintritts in den
+Senat fuer jedermann, erhielten neben dem Glanz der militaerischen und
+politischen Erfolge die staatliche und nationale Eintracht und nahmen dem
+Unterschied der Staende jene Erbitterung und Gehaessigkeit, die den Kampf der
+Patrizier und Plebejer bezeichnen; und da die glueckliche Wendung der aeusseren
+Politik es mit sich brachte, dass laenger als ein Jahrhundert die Reichen
+Spielraum fuer sich fanden, ohne den Mittelstand unterdruecken zu muessen, so
+hat das roemische Volk in seinem Senat laengere Zeit, als es einem Volke
+verstattet zu sein pflegt, das grossartigste aller Menschenwerke durchzufuehren
+vermocht, eine weise und glueckliche Selbstregierung.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap04"></a>KAPITEL IV.<br/>
+Sturz der etruskischen Macht. Die Kelten.</h2>
+
+<p>
+Nachdem die Entwicklung der roemischen Verfassung waehrend der zwei ersten
+Jahrhunderte der Republik dargestellt ist, ruft uns die aeussere Geschichte
+Roms und Italiens wieder zurueck in den Anfang dieser Epoche. Um diese Zeit,
+als die Tarquinier aus Rom vertrieben wurden, stand die etruskische Macht auf
+ihrem Hoehepunkt. Die Herrschaft auf der Tyrrhenischen See besassen
+unbestritten die Tusker und die mit ihnen eng verbuendeten Karthager. Wenn auch
+Massalia unter steten und schweren Kaempfen sich behauptete, so waren dagegen
+die Haefen Kampaniens und der volskischen Landschaft und seit der Schlacht von
+Alalia auch Korsika im Besitz der Etrusker. In Sardinien gruendeten durch die
+vollstaendige Eroberung der Insel (um 260 500) die Soehne des karthagischen
+Feldherrn Mago die Groesse zugleich ihres Hauses und ihrer Stadt, und in
+Sizilien behaupteten die Phoeniker waehrend der inneren Fehden der hellenischen
+Kolonien ohne wesentliche Anfechtung den Besitz der Westhaelfte. Nicht minder
+beherrschten die Schiffe der Etrusker das Adriatische Meer, und selbst in den
+oestlichen Gewaessern waren ihre Kaper gefuerchtet.
+</p>
+
+<p>
+Auch zu Lande schien ihre Macht im Steigen. Den Besitz der latinischen
+Landschaft zu gewinnen, war fuer Etrurien, das von den volskischen in seiner
+Klientel stehenden Staedten und von seinen kampanischen Besitzungen allein
+durch die Latiner geschieden war, von der entscheidendsten Wichtigkeit. Bisher
+hatte das feste Bollwerk der roemischen Macht Latium ausreichend beschirmt und
+die Tibergrenze mit Erfolg gegen Etrurien behauptet. Allein als der gesamte
+tuskische Bund, die Verwirrung und die Schwaeche des roemischen Staats nach der
+Vertreibung der Tarquinier benutzend, jetzt unter dem Koenig Lars Porsena von
+Clusium seinen Angriff maechtiger als zuvor erneuerte, fand er nicht ferner den
+gewohnten Widerstand; Rom kapitulierte und trat im Frieden (angeblich 247 507)
+nicht bloss alle Besitzungen am rechten Tiberufer an die naechstliegenden
+tuskischen Gemeinden ab und gab also die ausschliessliche Herrschaft ueber den
+Strom auf, sondern lieferte auch dem Sieger seine saemtlichen Waffen aus und
+gelobte, fortan des Eisens nur zur Pflugschar sich zu bedienen. Es schien, als
+sei die Einigung Italiens unter tuskischer Suprematie nicht mehr fern.
+</p>
+
+<p>
+Allein die Unterjochung, womit die Koalition der etruskischen und karthagischen
+Nation die Griechen wie die Italiker bedroht, ward gluecklich abgewendet durch
+das Zusammenhalten der durch Stammverwandtschaft wie durch die gemeinsame
+Gefahr aufeinander angewiesenen Voelker. Zunaechst fand das etruskische Heer,
+das nach Roms Fall in Latium eingedrungen war, vor den Mauern von Aricia die
+Grenze seiner Siegesbahn durch die rechtzeitige Hilfe der den Aricinern zur
+Hilfe herbeigeeilten Kymaeer (248 506). Wir wissen nicht, wie der Krieg
+endigte, und namentlich nicht, ob Rom schon damals den verderblichen und
+schimpflichen Frieden zerriss; gewiss ist nur, dass die Tusker auch diesmal auf
+dem linken Tiberufer sich dauernd zu behaupten nicht vermochten.
+</p>
+
+<p>
+Bald ward die hellenische Nation zu einem noch umfassenderen und noch
+entscheidenderen Kampf gegen die Barbaren des Westens wie des Ostens genoetigt.
+Es war um die Zeit der Perserkriege. Die Stellung der Tyrier zu dem Grosskoenig
+fuehrte auch Karthago in die Bahnen der persischen Politik - wie denn selbst
+ein Buendnis zwischen den Karthagern und Xerxes glaubwuerdig ueberliefert ist -
+und mit den Karthagern die Etrusker. Es war eine der grossartigsten politischen
+Kombinationen, die gleichzeitig die asiatischen Scharen auf Griechenland, die
+phoenikischen auf Sizilien warf, um mit einem Schlag die Freiheit und die
+Zivilisation vom Angesicht der Erde zu vertilgen. Der Sieg blieb den Hellenen.
+Die Schlacht bei Salamis (274 der Stadt 480) rettete und raechte das
+eigentliche Hellas; und an demselben Tag - so wird erzaehlt - besiegten die
+Herren von Syrakus und Akragas, Gelon und Theron, das ungeheure Heer des
+karthagischen Feldherrn Hamilkar, Magos Sohn, bei Himera so vollstaendig, dass
+der Krieg damit zu Ende war und die Phoeniker, die damals noch keineswegs den
+Plan verfolgten, ganz Sizilien fuer eigene Rechnung sich zu unterwerfen,
+zurueckkehrten zu ihrer bisherigen defensiven Politik. Noch sind von den
+grossen Silberstuecken erhalten, welche aus dem Schmuck der Gemahlin Gelons,
+Damareta, und anderer edler Syrakusanerinnen fuer diesen Feldzug geschlagen
+wurden, und die spaeteste Zeit gedachte dankbar des milden und tapferen Koenigs
+von Syrakus und des herrlichen, von Simonides gefeierten Sieges.
+</p>
+
+<p>
+Die naechste Folge der Demuetigung Karthagos war der Sturz der Seeherrschaft
+ihrer etruskischen Verbuendeten. Schon Anaxilas, der Herr von Rhegion und
+Zankte, hatte ihren Kapern die sizilische Meerenge durch eine stehende Flotte
+gesperrt (um 272 482); einen entscheidenden Sieg erfochten bald darauf die
+Kymaeer und Hieron von Syrakus bei Kyme (280 474) ueber die tyrrhenische
+Flotte, der die Karthager vergeblich Hilfe zu bringen versuchten. Das ist der
+Sieg, welchen Pindaros in der ersten pythischen Ode feiert, und noch ist der
+Etruskerhelm vorhanden, den Hieron nach Olympia sandte mit der Aufschrift:
+&ldquo;Hiaron des Deinomenes Sohn und die Syrakosier dem Zeus Tyrrhanisches von
+Kyma&rdquo; ^1.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Fιάρον ο Διομένεος καί τοί Συρακόσιοι τοί Δί' Τύραν' από Κύμας.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Waehrend diese ungemeinen Erfolge gegen Karthager und Etrusker Syrakus an die
+Spitze der sizilischen Griechenstaedte brachten, erhob unter den italischen
+Hellenen, nachdem um die Zeit der Vertreibung der Koenige aus Rom (243 511) das
+achaeische Sybaris untergegangen war, das dorische Tarent sich unbestritten zu
+der ersten Stelle; die furchtbare Niederlage der Tarentiner durch die Iapyger
+(280 474), die schwerste, die bis dahin ein Griechenheer erlitten hatte,
+entfesselte nur, aehnlich wie der Persersturm in Hellas, die ganze Gewalt des
+Volksgeistes in energisch demokratischer Entwicklung. Von jetzt an spielen
+nicht mehr die Karthager und die Etrusker die erste Rolle in den italischen
+Gewaessern, sondern im Adriatischen und Ionischen Meer die Tarentiner, im
+Tyrrhenischen die Massalioten und die Syrakusaner, und namentlich die letzteren
+beschraenkten mehr und mehr das etruskische Korsarenwesen. Schon Hieron hatte
+nach dem Siege bei Kyme die Insel Aenaria (Ischia) besetzt und damit die
+Verbindung zwischen den kampanischen und den noerdlichen Etruskern
+unterbrochen. Um das Jahr 302 (452) wurde von Syrakus, um der tuskischen
+Piraterie gruendlich zu steuern, eine eigene Expedition ausgesandt, die die
+Insel Korsika und die etruskische Kueste verheerte und die Insel Aethalia
+(Elba) besetzte. Ward man auch nicht voellig Herr ueber die
+etruskisch-karthagischen Piraten - wie denn das Kaperwesen zum Beispiel in
+Antium bis in den Anfang des fuenften Jahrhunderts der Stadt fortgedauert zu
+haben scheint -, so war doch das maechtige Syrakus ein starkes Bollwerk gegen
+die verbuendeten Tusker und Phoeniker. Einen Augenblick freilich schien es, als
+muesse die syrakusische Macht gebrochen werden durch die Athener, deren Seezug
+gegen Syrakus im Lauf des Peloponnesischen Krieges (339-341 415-413) die
+Etrusker, die alten Handelsfreunde Athens, mit drei Fuenfzigruderern
+unterstuetzten. Allein der Sieg blieb, wie bekannt, im Westen wie im Osten den
+Dorern. Nach dem schmaehlichen Scheitern der attischen Expedition ward Syrakus
+so unbestritten die erste griechische Seemacht, dass die Maenner, die dort an
+der Spitze des Staates standen, die Herrschaft ueber Sizilien und Unteritalien
+und ueber beide Meere Italiens ins Auge fassten; wogegen anderseits die
+Karthager, die ihre Herrschaft in Sizilien jetzt ernstlich bedroht sahen, auch
+auf ihrer Seite die Ueberwaeltigung der Syrakusaner und die Unterwerfung der
+ganzen Insel zum Ziel ihrer Politik nehmen mussten und nahmen. Der Verfall der
+sizilischen Mittelstaaten, die Steigerung der karthagischen Macht auf der
+Insel, die zunaechst aus diesen Kaempfen hervorgingen, koennen hier nicht
+erzaehlt werden; was Etrurien anlangt, so fuehrte gegen dies der neue Herr von
+Syrakus, Dionysios (reg. 348-387 406-367), die empfindlichsten Schlaege. Der
+weitstrebende Koenig gruendete seine neue Kolonialmacht vor allem in dem
+italischen Ostmeer, dessen noerdlichere Gewaesser jetzt zum erstenmal einer
+griechischen Seemacht untertan wurden. Um das Jahr 367 (387) besetzte und
+kolonisierte Dionysios an der illyrischen Kueste den Hafen Lissos und die Insel
+Issa, an der italischen die Landungsplaetze Ankon, Numana und Atria; das
+Andenken an die syrakusanische Herrschaft in dieser entlegenen Gegend bewahrten
+nicht bloss die &ldquo;Graeben des Philistos&rdquo;, ein ohne Zweifel von dem
+bekannten Geschichtschreiber und Freunde des Dionysios, der die Jahre seiner
+Verbannung (368 386f.) in Atria verlebte, angelegter Kanal an der Pomuendung;
+auch die veraenderte Benennung des italischen Ostmeers selbst, wofuer seitdem
+anstatt der aelteren Benennung des Ionischen Busens die heute noch gangbare des
+&ldquo;Meeres von Hadria&rdquo; vorkommt, geht wahrscheinlich auf diese
+Ereignisse zurueck ^2. Aber nicht zufrieden mit diesen Angriffen auf die
+Besitzungen und Handelsverbindungen der Etrusker im Ostmeer, griff Dionysios
+durch die Erstuermung und Pluenderung der reichen caeritischen Hafenstadt Pygri
+(369 385 die etruskische Macht in ihrem innersten Kern an. Sie hat denn auch
+sich nicht wieder erholt. Als nach Dionysios&rsquo; Tode die inneren Unruhen in
+Syrakus den Karthagern freiere Bahn machten und deren Flotte wieder im
+Tyrrhenischen Meer das Uebergewicht bekam, das sie seitdem mit kurzen
+Unterbrechungen behauptete, lastete dieses nicht minder schwer auf den
+Etruskern wie auf den Griechen; so dass sogar, als im Jahre 444 (310)
+Agathokles von Syrakus zum Krieg mit Karthago ruestete, achtzehn tuskische
+Kriegsschiffe zu ihm stiessen. Die Etrusker mochten fuer Korsika fuerchten, das
+sie wahrscheinlich damals noch behaupteten; die alte tuskisch-phoenikische
+Symmachie, die noch zu Aristoteles&rsquo; Zeit (370-432 384-322) bestand, ward
+damit gesprengt, aber die Schwaeche der Etrusker zur See nicht wieder
+aufgehoben.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^2 Hekataeos († nach 257 497, Rom) und noch Herodot (270 bis nach 345 484-409)
+kennen den Hatrias nur als das Podelta und das dasselbe bespuelende Meer (K. O.
+Mueller, Die Etrusker. Breslau 1828. Bd. 1, S. 140; GGM 1, p. 23). In weiterer
+Bedeutung findet sich die Benennung des Hadriatischen Meeres zuerst bei dem
+sogenannten Skylax um 418 der Stadt (336).
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Dieser rasche Zusammensturz der etruskischen Seemacht wuerde unerklaerlich
+sein, wenn nicht gegen die Etrusker zu eben der Zeit, wo die sizilischen
+Griechen sie zur See angriffen, auch zu Lande von allen Seiten her die
+schwersten Schlaege gefallen waeren. Um die Zeit der Schlachten von Salamis,
+Himera und Kyme ward, dem Berichte der roemischen Annalen zufolge, zwischen Rom
+und Veii ein vieljaehriger und heftiger Krieg gefuehrt (271-280 483-474). Die
+Roemer erlitten in demselben schwere Niederlagen; im Andenken geblieben ist die
+Katastrophe der Fabier (277 477), die infolge der inneren Krisen sich
+freiwillig aus der Hauptstadt verbannt und die Verteidigung der Grenze gegen
+Etrurien uebernommen hatten, hier aber am Bache Cremera bis auf den letzten
+waffenfaehigen Mann niedergehauen wurden. Allein der Waffenstillstand auf 400
+Monate, der anstatt Friedens den Krieg beendigte, fiel fuer die Roemer insofern
+guenstig aus, als er wenigstens den Status quo der Koenigszeit
+wiederherstellte; die Etrusker verzichteten auf Fidenae und den am rechten
+Tiberufer gewonnenen Distrikt. Es ist nicht auszumachen, inwieweit dieser
+roemisch-etruskische Krieg mit dem hellenisch-persischen und dem
+sizilisch-karthagischen in unmittelbaren Zusammenhange stand; aber moegen die
+Roemer die Verbuendeten der Sieger von Salamis und von Himera gewesen sein oder
+nicht, die Interessen wie die Folgen trafen jedenfalls zusammen.
+</p>
+
+<p>
+Wie die Latiner warfen auch die Samniten sich auf die Etrusker; und kaum war
+deren kampanische Niederlassung durch die Folgen des Treffens bei Kyme vom
+Mutterlande abgeschnitten worden, als sie auch schon nicht mehr imstande war,
+den Angriffen der sabellischen Bergvoelker zu widerstehen. Die Hauptstadt Capua
+fiel 330 (424) und die tuskische Bevoelkerung ward hier bald nach der Eroberung
+von den Samniten ausgerottet oder verjagt. Freilich hatten auch die
+kampanischen Griechen, vereinzelt und geschwaecht, unter derselben Invasion
+schwer zu leiden; Kyme selbst ward 334 (420) von den Sabellern erobert. Dennoch
+behaupteten die Griechen sich namentlich in Neapolis, vielleicht mit Hilfe der
+Syrakusaner, waehrend der etruskische Name in Kampanien aus der Geschichte
+verschwindet; kaum dass einzelne etruskische Gemeinden eine kuemmerliche und
+verlorene Existenz sich dort fristeten.
+</p>
+
+<p>
+Aber noch folgenreichere Ereignisse traten um dieselbe Zeit im noerdlichen
+Italien ein. Eine neue Nation pochte an die Pforten der Alpen: es waren die
+Kelten; und ihr erster Andrang traf die Etrusker.
+</p>
+
+<p>
+Die keltische, auch galatische oder gallische Nation hat von der
+gemeinschaftlichen Mutter eine andere Ausstattung empfangen als die italische,
+die germanische und die hellenische Schwester. Es fehlt ihr bei manchen
+tuechtigen und noch mehr glaenzenden Eigenschaften die tiefe sittliche und
+staatliche Anlage, auf welche alles Gute und Grosse in der menschlichen
+Entwicklung sich gruendet. Es galt, sagt Cicero, als schimpflich fuer den
+freien Kelten, das Feld mit eigenen Haenden zu bestellen. Dem Ackerbau zogen
+sie das Hirtenleben vor und trieben selbst in den fruchtbaren Poebenen
+vorzugsweise die Schweinezucht, von dem Fleisch ihrer Herden sich naehrend und
+in den Eichenwaeldern mit ihnen Tag und Nacht verweilend. Die Anhaenglichkeit
+an die eigene Scholle, wie sie den Italikern und den Germanen eigen ist, fehlt
+bei den Kelten; wogegen sie es lieben, in den Staedten und Flecken zusammen zu
+siedeln und diese bei ihnen frueher, wie es scheint, als in Italien Ausdehnung
+und Bedeutung gewonnen haben. Ihre buergerliche Verfassung ist unvollkommen;
+nicht bloss wird die nationale Einheit nur durch ein schwaches Band vertreten,
+was ja in gleicher Weise von allen Nationen anfaenglich gilt, sondern es
+mangelt auch in den einzelnen Gemeinden an Eintracht und festem Regiment, an
+ernstem Buergersinn und folgerechtem Streben. Die einzige Ordnung, der sie sich
+schicken, ist die militaerische, in der die Bande der Disziplin dem einzelnen
+die schwere Muehe abnehmen, sich selber zu bezwingen. &ldquo;Die
+hervorstehenden Eigenschaften der keltischen Rasse&rdquo;, sagt ihr
+Geschichtschreiber Thierry, &ldquo;sind die persoenliche Tapferkeit, in der sie
+es allen Voelkern zuvortun; ein freier, stuermischer, jedem Eindruck
+zugaenglicher Sinn; viel Intelligenz, aber daneben die aeusserste
+Beweglichkeit, Mangel an Ausdauer, Widerstreben gegen Zucht und Ordnung,
+Prahlsucht und ewige Zwietracht, die Folge der grenzenlosen Eitelkeit.&rdquo;
+Kuerzer sagt ungefaehr dasselbe der alte Cato: &ldquo;auf zwei Dinge geben die
+Kelten viel: auf das Fechten und auf den Esprit&rdquo; ^3. Solche Eigenschaften
+guter Soldaten und schlechter Buerger erklaeren die geschichtliche Tatsache,
+dass die Kelten alle Staaten erschuettert und keinen gegruendet haben. Ueberall
+finden wir sie bereit zu wandern, das heisst zu marschieren; dem Grundstueck
+die bewegliche Habe vorziehend, allem anderen aber das Gold; das Waffenwerk
+betreibend als geordnetes Raubwesen oder gar als Handwerk um Lohn und
+allerdings mit solchem Erfolge, dass selbst der roemische Geschichtschreiber
+Sallustius im Waffenwerk den Kelten den Preis vor den Roemern zugesteht. Es
+sind die rechten Lanzknechte des Altertums, wie die Bilder und Beschreibungen
+sie uns darstellen: grosse, nicht sehnige Koerper, mit zottigem Haupthaar und
+langem Schnauzbart - recht im Gegensatz zu Griechen und Roemern, die das Haupt
+und die Oberlippe schoren -, in bunten gestickten Gewaendern, die beim Kampf
+nicht selten abgeworfen wurden, mit dem breiten Goldring um den Hals, unbehelmt
+und ohne Wurfwaffen jeder Art, aber dafuer mit ungeheurem Schild nebst dem
+langen schlechtgestaehlten Schwert, dem Dolch und der Lanze, alle diese Waffen
+mit Gold geziert, wie sie denn die Metalle nicht ungeschickt zu bearbeiten
+verstanden. Zum Renommieren dient alles, selbst die Wunde, die oft
+nachtraeglich erweitert wird, um mit der breiteren Schmarre zu prunken.
+Gewoehnlich fechten sie zu Fuss, einzelne Schwaerme aber auch zu Pferde, wo
+dann jedem Freien zwei gleichfalls berittene Knappen folgen; Streitwagen finden
+sich frueh wie bei den Libyern und den Hellenen in aeltester Zeit. Mancher Zug
+erinnert an das Ritterwesen des Mittelalters; am meisten die den Roemern und
+Griechen fremde Sitte des Zweikampfes. Nicht bloss im Kriege pflegten sie den
+einzelnen Feind, nachdem sie ihn zuvor mit Worten und Gebaerden verhoehnt
+hatten, zum Kampfe zu fordern; auch im Frieden fochten sie gegeneinander in
+glaenzender Ruestung auf Leben und Tod. Dass die Zechgelage hernach nicht
+fehlten, versteht sich. So fuehrten sie unter eigener oder fremder Fahne ein
+unstetes Soldatenleben, das sie von Irland und Spanien bis nach Kleinasien
+zerstreute unter steten Kaempfen und sogenannten Heldentaten; aber was sie auch
+begannen, es zerrann wie der Schnee im Fruehling, und nirgends ist ein grosser
+Staat, nirgends eine eigene Kultur von ihnen geschaffen worden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^3 Pleraque Gallia duas res industriosissime persequitur: rem militarem et
+argute loqui. (Cato or. frg. 2, 2).
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+So schildern uns die Alten diese Nation; ueber ihre Herkunft laesst sich nur
+mutmassen. Demselben Schoss entsprungen, aus dem auch die hellenischen,
+italischen und germanischen Voelkerschaften hervorgingen, sind die Kelten ohne
+Zweifel gleich diesen aus dem oestlichen Mutterland in Europa eingerueckt, wo
+sie in fruehester Zeit das Westmeer erreichten und in dem heutigen Frankreich
+ihre Hauptsitze begruendeten ^4, gegen Norden hin uebersiedelnd auf die
+britannischen Inseln, gegen Sueden die Pyrenaeen ueberschreitend und mit den
+iberischen Voelkerschaften um den Besitz der Halbinsel ringend. An den Alpen
+indes stroemte ihre erste grosse Wanderung vorbei und erst von den westlichen
+Laendern aus begannen sie in kleineren Massen und in entgegengesetzter Richtung
+jene Zuege, die sie ueber die Alpen und den Haemus, ja ueber den Bosporus
+fuehrten und durch die sie der Schrecken der saemtlichen zivilisierten Nationen
+des Altertums geworden und durch manche Jahrhunderte geblieben sind, bis
+Caesars Siege und die von Augustus geordnete Grenzverteidigung ihre Macht fuer
+immer brachen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^4 Neuerdings ist von kundigen Sprachforschern behauptet worden, dass die
+Verwandtschaft der Kelten und der Italiker naeher sei, als selbst die der
+letzteren und der Hellenen, das heisst, dass derjenige Ast des grossen Baumes,
+von dem die west- und suedeuropaeischen Voelkerschaften indogermanischen
+Stammes entsprungen sind, zunaechst sich in Griechen und Italokelten und
+betraechtlich spaeter die letzteren sich wieder in Italiker und Kelten
+gespalten haetten. Geographisch ist diese Aufstellung sehr annehmbar, und auch
+die geschichtlich vorliegenden Tatsachen lassen sich vielleicht damit ebenfalls
+in Einklang bringen da, was bisher als graecoitalische Zivilisation angesehen
+worden ist, fueglich graecokeltoitalisch gewesen sein kann - wissen wir doch
+ueber die aelteste keltische Kulturstufe in der Tat nichts. Die sprachliche
+Untersuchung scheint indes noch nicht so weit gediehen zu sein, dass ihre
+Ergebnisse in die aelteste Voelkergeschichte eingereiht werden duerften.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die einheimische Wandersage, die hauptsaechlich Livius uns erhalten hat,
+berichtet von diesen spaeteren ruecklaeufigen Zuegen folgendermassen ^5. Die
+gallische Eidgenossenschaft, an deren Spitze damals wie noch zu Caesars Zeit
+der Gau der Biturigen (um Bourges) stand, habe unter dem Koenig Ambiatus zwei
+grosse Heeresschwaerme entsendet, gefuehrt von den beiden Neffen des Koenigs,
+und es sei der eine derselben, Sigovesus, ueber den Rhein in der Richtung auf
+den Schwarzwald zu vorgedrungen, der zweite, Bellovesus, ueber die Graischen
+Alpen (den Kleinen St. Bernhard) in das Potal hinabgestiegen. Von jenem stamme
+die gallische Niederlassung an der mittleren Donau, von diesem die aelteste
+keltische Ansiedlung in der heutigen Lombardei, der Gau der Insubrer mit dem
+Hauptort Mediolanum (Mailand). Bald sei ein zweiter Schwarm gefolgt, der den
+Gau der Cenomaner mit den Staedten Brixia (Brescia) und Verona begruendet habe.
+Unaufhoerlich stroemte es fortan ueber die Alpen in das schoene ebene Land; die
+keltischen Staemme samt den von ihnen aufgetriebenen und fortgerissenen
+ligurischen entrissen den Etruskern einen Platz nach dem andern, bis das ganze
+linke Poufer in ihren Haenden war. Nach dem Fall der reichen etruskischen Stadt
+Melpum (vermutlich in der Gegend von Mailand), zu deren Bezwingung sich die
+schon im Potal ansaessigen Kelten mit neugekommenen Staemmen vereinigt hatten
+(358? 396), gingen diese letzteren hinueber auf das rechte Ufer des Flusses und
+begannen die Umbrer und Etrusker in ihren uralten Sitzen zu bedraengen. Es
+waren dies vornehmlich die angeblich auf einer anderen Strasse, ueber den
+Poeninischen Berg (Grossen St. Bernhard) in Italien eingedrungenen Boier; sie
+siedelten sich an in der heutigen Romagna, wo die alte Etruskerstadt Felsina,
+von den neuen Herren Bononia umgenannt, ihre Hauptstadt wurde. Endlich kamen
+die Senonen, der letzte groessere Keltenstamm, der ueber die Alpen gelangt ist;
+er nahm seine Sitze an der Kueste des Adriatischen Meeres von Rimini bis
+Ancona. Aber einzelne Haufen keltischer Ansiedler muessen sogar bis tief nach
+Umbrien hinein, ja bis an die Grenze des eigentlichen Etrurien vorgedrungen
+sein; denn noch bei Todi am oberen Tiber haben sich Steinschriften in
+keltischer Sprache gefunden. Enger und enger zogen sich nach Norden und Osten
+hin die Grenzen Etruriens zusammen, und um die Mitte des vierten Jahrhunderts
+sah die tuskische Nation sich schon wesentlich auf dasjenige Gebiet
+beschraenkt, das seitdem ihren Namen getragen hat und heute noch traegt.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^5 Die Sage ueberliefern Livius (5, 34) und Iustin (24, 4) und auch Caesar
+(Gall. 6, 24) hat sie im Sinn gehabt. Die Verknuepfung indes der Wanderung des
+Bellovesus mit der Gruendung von Massalia, wodurch jene chronologisch auf die
+Mitte des zweiten Jahrhunderts der Stadt bestimmt wird, gehoert unzweifelhaft
+nicht der einheimischen, natuerlich zeitlosen Sage an, sondern der spaeteren
+chronologisierenden Forschung und verdient keinen Glauben. Einzelne Einfaelle
+und Einwanderungen moegen sehr frueh stattgefunden haben; aber das gewaltige
+Umsichgreifen der Kelten in Norditalien kann nicht vor die Zeit des Sinkens der
+etruskischen Macht, das heisst nicht vor die zweite Haelfte des dritten
+Jahrhunderts der Stadt gesetzt werden.
+</p>
+
+<p>
+Ebenso ist, nach der einsichtigen Ausfuehrung von Wickham und Cramer, nicht
+daran zu zweifeln, dass der Zug des Bellovesus wie der des Hannibal nicht ueber
+die Kottischen Alpen (Mont Genèvre) und durch das Gebiet der Tauriner, sondern
+ueber die Graischen (den Kleinen St. Bernhard) und durch das der Salasser ging;
+den Namen des Berges gibt Livius wohl nicht nach der Sage, sondern nach seiner
+Vermutung an. Ob die italischen Boier aufgrund einer echten Sagenreminiszenz
+oder nur aufgrund eines angenommenen Zusammenhangs mit den noerdlich von der
+Donau wohnhaften Boiern durch den oestlichen Pass der Poeninischen Alpen
+gefuehrt werden, muss dahingestellt bleiben.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Unter diesen, wie auf Verabredung gemeinschaftlichen Angriffen der
+verschiedensten Voelker, der Syrakusaner, Latiner, Samniten und vor allem der
+Kelten brach die eben noch so gewaltig und so ploetzlich in Latium und
+Kampanien und auf beiden italischen Meeren um sich greifende etruskische Nation
+noch gewaltsamer und noch ploetzlicher zusammen. Der Verlust der Seeherrschaft,
+die Bewaeltigung der kampanischen Etrusker gehoert derselben Epoche an, wo die
+Insubrer und Cenomaner am Po sich niederliessen; und eben um diese Zeit ging
+auch die durch Porsena wenige Jahrzehnte zuvor aufs tiefste gedemuetigte und
+fast geknechtete roemische Buergerschaft zuerst angreifend gegen Etrurien vor.
+Im Waffenstillstand mit Veii von 280 (474) hatte sie das Verlorene
+wiedergewonnen und im wesentlichen den Zustand wiederhergestellt, wie er zu der
+Zeit der Koenige zwischen beiden Nationen bestanden hatte. Als er im Jahre 309
+(445) ablief, begann zwar die Fehde aufs neue; aber es waren Grenzgefechte und
+Beutezuege, die fuer beide Teile ohne wesentliches Resultat verliefen. Etrurien
+stand noch zu maechtig da, als dass Rom einen ernstlichen Angriff haette
+unternehmen koennen. Erst der Abfall der Fidenaten, die die roemische Besatzung
+vertrieben, die Gesandten ermordeten und sich dem Koenig der Veienter, Lars
+Tolumnius, unterwarfen, veranlasste einen bedeutenderen Krieg, welcher
+gluecklich fuer die Roemer ablief: der Koenig Tolumnius fiel im Gefecht von der
+Hand des roemischen Konsuls Aulus Cornelius Cossus (326? 428), Fidenae ward
+genommen und 329 (425) ein neuer Stillstandsvertrag auf 200 Monate
+abgeschlossen. Waehrend desselben steigerte sich Etruriens Bedraengnis mehr und
+mehr und naeherten sich die keltischen Waffen schon den bisher noch verschonten
+Ansiedlungen am rechten Ufer des Po. Als der Waffenstillstand Ende 346 (408)
+abgelaufen war, entschlossen sich die Roemer auch ihrerseits zu einem
+Eroberungskrieg gegen Etrurien, der jetzt nicht bloss gegen, sondern um Veii
+gefuehrt ward.
+</p>
+
+<p>
+Die Geschichte des Krieges gegen die Veienter, Capenaten und Falisker und der
+Belagerung Veiis, die gleich der trojanischen zehn Jahre gewaehrt haben soll,
+ist wenig beglaubigt. Sage und Dichtung haben sich dieser Ereignisse
+bemaechtigt, und mit Recht; denn gekaempft ward hier mit bis dahin unerhoerter
+Anstrengung um einen bis dahin unerhoerten Kampfpreis. Es war das erstemal,
+dass ein roemisches Heer Sommer und Winter, Jahr aus Jahr ein im Felde blieb,
+bis das vorgesteckte Ziel erreicht war; das erstemal, dass die Gemeinde aus
+Staatsmitteln dem Aufgebot Sold zahlte. Aber es war auch das erstemal, dass die
+Roemer es versuchten, sich eine stammfremde Nation zu unterwerfen und ihre
+Waffen ueber die alte Nordgrenze der latinischen Landschaft hinuebertrugen. Der
+Kampf war gewaltig, der Ausgang kaum zweifelhaft. Die Roemer fanden
+Unterstuetzung bei den Latinern und den Hernikern, denen der Sturz des
+gefuerchteten Nachbarn fast nicht minder Genugtuung und Foerderung gewaehrte
+als den Roemern selbst; waehrend Veii von seiner Nation verlassen dastand und
+nur die naechsten Staedte, Capena, Falerii, auch Tarquinii, ihm Zuzug
+leisteten. Die gleichzeitigen Angriffe der Kelten wuerden diese Nichtteilnahme
+der noerdlichen Gemeinden allein schon genuegend erklaeren; es wird indes
+erzaehlt und es ist kein Grund es zu bezweifeln, dass zunaechst innere
+Parteiungen in dem etruskischen Staedtebund, namentlich die Opposition der
+aristokratischen Regierungen der uebrigen Staedte gegen das von den Veientern
+beibehaltene oder wiederhergestellte Koenigsregiment, jene Untaetigkeit der
+uebrigen Etrusker herbeigefuehrt haben. Haette die etruskische Nation sich an
+dem Kampf beteiligen koennen oder wollen, so wuerde die roemische Gemeinde kaum
+imstande gewesen sein, die bei der damaligen hoechst unentwickelten
+Belagerungskunst riesenhafte Aufgabe der Bezwingung einer grossen und festen
+Stadt zu Ende zu fuehren; vereinzelt aber und verlassen wie sie war, unterlag
+die Stadt (358 396) nach tapferer Gegenwehr dem ausharrenden Heldengeist des
+Marcus Furius Camillus, welcher zuerst seinem Volke die glaenzende Bahn der
+auslaendischen Eroberungen auftat. Von dem Jubel, den der grosse Erfolg in Rom
+erregte, ist ein Nachklang die in den Festspielen Roms bis in spaete Zeit
+fortgepflanzte Sitte des &ldquo;Veienterverkaufs&rdquo;, wobei unter den zur
+Versteigerung gebrachten parodischen Beutestuecken der aergste alte Krueppel,
+den man auftreiben konnte, im Purpurmantel und Goldschmuck den Beschluss machte
+als &ldquo;Koenig der Veienter&rdquo;. Die Stadt ward zerstoert, der Boden
+verwuenscht zu ewiger Oede. Falerii und Capena eilten, Frieden zu machen; das
+maechtige Volsinii, das in bundesmaessiger Halbheit waehrend Veiis Agonie
+geruht hatte und nach der Einnahme zu den Waffen griff, bequemte nach wenigen
+Jahren (363 391) sich gleichfalls zum Frieden. Es mag eine wehmuetige Sage
+sein, dass die beiden Vormauern der etruskischen Nation, Melpum und Veii, an
+demselben Tage jenes den Kelten, dieses den Roemern unterlagen; aber es liegt
+in ihr auf jeden Fall eine tiefe geschichtliche Wahrheit. Der doppelte Angriff
+von Norden und Sueden und der Fall der beiden Grenzfesten war der Anfang des
+Endes der grossen etruskischen Nation.
+</p>
+
+<p>
+Indes einen Augenblick schien es, als sollten die beiden Voelkerschaften, durch
+deren Zusammenwirken Etrurien sich in seiner Existenz bedroht sah, vielmehr
+untereinander sich aufreiben und auch Roms neu aufbluehende Macht von den
+fremden Barbaren zertreten werden. Diese Wendung der Dinge, die dem
+natuerlichen Lauf der Politik widersprach, beschworen ueber die Roemer der
+eigene Uebermut und die eigene Kurzsichtigkeit herauf.
+</p>
+
+<p>
+Die keltischen Scharen, die nach Melpums Fall ueber den Fluss gesetzt waren,
+ueberfluteten mit reissender Geschwindigkeit das noerdliche Italien, nicht
+bloss das offene Gebiet am rechten Ufer des Padus und laengs des Adriatischen
+Meeres, sondern auch das eigentliche Etrurien diesseits des Apennin. Wenige
+Jahre nachher (363 391) ward schon das im Herzen Etruriens gelegene Clusium
+(Chiusi an der Grenze von Toskana und dem Kirchenstaat) von den keltischen
+Senonen belagert; und so gedemuetigt waren die Etrusker, dass die bedraengte
+tuskische Stadt die Zerstoerer Veiis um Hilfe anrief. Es waere vielleicht weise
+gewesen, dieselbe zu gewaehren und zugleich die Gallier durch die Waffen und
+die Etrusker durch den gewaehrten Schutz in Abhaengigkeit von Rom zu bringen;
+allein eine solche weitblickende Intervention, die die Roemer genoetigt haben
+wuerde, einen ernsten Kampf an der tuskischen Nordgrenze zu beginnen, lag
+jenseits des Horizonts ihrer damaligen Politik. So blieb nichts uebrig, als
+sich jeder Einmischung zu enthalten. Allein toerichterweise schlug man die
+Hilfstruppen ab und schickte Gesandte; und noch toerichter meinten diese, den
+Kelten durch grosse Worte imponieren und, als dies fehlschlug, gegen Barbaren
+ungestraft das Voelkerrecht verletzen zu koennen: sie nahmen in den Reihen der
+Clusiner teil an einem Gefecht und der eine von ihnen stach darin einen
+gallischen Befehlshaber vom Pferde. Die Barbaren verfuhren in diesem Fall mit
+Maessigung und Einsicht. Sie sandten zunaechst an die roemische Gemeinde, um
+die Auslieferung der Frevler am Voelkerrecht zu fordern, und der Senat war
+bereit, dem billigen Begehren sich zu fuegen. Allein in der Masse ueberwog das
+Mitleid gegen die Landsleute die Gerechtigkeit gegen die Fremden; die
+Genugtuung ward von der Buergerschaft verweigert, ja nach einigen Berichten
+ernannte man die tapferen Vorkaempfer fuer das Vaterland sogar zur
+Konsulartribunen fuer das Jahr 364 (390) ^6, das in den roemischen Annalen so
+verhaengnisvoll werden sollte. Da brach der Brennus, das heisst der Heerkoenig
+der Gallier, die Belagerung von Clusium ab und der ganze Keltenschwarm - die
+Zahl wird auf 70000 Koepfe angegeben - wandte sich gegen Rom. Solche Zuege in
+unbekannte und ferne Gegenden waren den Galliern gelaeufig, die unbekuemmert um
+Deckung und Rueckzug als bewaffnete Auswandererscharen marschierten; in Rom
+aber ahnte man offenbar nicht, welche Gefahr in diesem so ploetzlichen und so
+gewaltigen Ueberfall lag. Erst als die Gallier im Anmarsch auf Rom waren,
+ueberschritt eine roemische Heeresmacht den Tiber und vertrat ihnen den Weg.
+Keine drei deutsche Meilen von den Toren, gegenueber der Muendung des Baches
+Allia in den Tiberfluss, trafen die Heere aufeinander und kam es am 18. Juli
+364 (390) zur Schlacht. Auch jetzt noch ging man, nicht wie gegen ein Heer,
+sondern wie gegen Raeuber, uebermuetig und tolldreist in den Kampf unter
+unerprobten Feldherren - Camillus hatte infolge des Staendehaders von den
+Geschaeften sich zurueckgezogen. Waren es doch Wilde, gegen die man fechten
+sollte; was bedurfte es des Lagers, der Sicherung des Rueckzugs? Aber die
+Wilden waren Maenner von todverachtendem Mut und ihre Fechtweise den Italikern
+so neu wie schrecklich; die blossen Schwerter in der Faust stuerzten die Kelten
+im rasenden Anprall sich auf die roemische Phalanx und rannten sie im ersten
+Stosse ueber den Haufen. Die Niederlage war vollstaendig; von den Roemern, die
+den Fluss im Ruecken gefochten hatten, fand ein grosser Teil bei dem Versuch,
+denselben zu ueberschreiten, seinen Untergang; was sich rettete, warf sich
+seitwaerts nach dem nahen Veii. Die siegreichen Kelten standen zwischen dem
+Rest des geschlagenen Heeres und der Hauptstadt. Diese war rettungslos dem
+Feinde preisgegeben; die geringe dort zurueckgebliebene oder dorthin
+gefluechtete Mannschaft reichte nicht aus, um die Mauern zu besetzen, und drei
+Tage nach der Schlacht zogen die Sieger durch die offenen Tore in Rom ein.
+Haetten sie es am ersten getan, wie sie es konnten, so war nicht bloss die
+Stadt, sondern auch der Staat verloren; die kurze Zwischenzeit machte es
+moeglich, die Heiligtuemer zu fluechten oder zu vergraben und, was wichtiger
+war, die Burg zu besetzen und notduerftig mit Lebensmitteln zu versehen. Was
+die Waffen nicht tragen konnte, liess man nicht auf die Burg - man hatte kein
+Brot fuer alle. Die Menge der Wehrlosen verlief sich in die Nachbarstaedte;
+aber manche, vor allem eine Anzahl angesehener Greise, mochten den Untergang
+der Stadt nicht ueberleben und erwarteten in ihren Haeusern den Tod durch das
+Schwert der Barbaren. Sie kamen, mordeten und pluenderten, was an Menschen und
+Gut sich vorfand und zuendeten schliesslich vor den Augen der roemischen
+Besatzung auf dem Kapitol die Stadt an allen Ecken an. Aber die
+Belagerungskunst verstanden sie nicht und die Blockade des steilen Burgfelsens
+war langwierig und schwierig, da die Lebensmittel fuer den grossen
+Heeresschwarm nur durch bewaffnete Streifpartien sich herbeischaffen liessen
+und diesen die benachbarten latinischen Buergerschaften, namentlich die
+Ardeaten, haeufig mit Mut und Glueck sich entgegenwarfen. Dennoch harrten die
+Kelten mit einer unter ihren Verhaeltnissen beispiellosen Energie sieben Monate
+unter dem Felsen aus und schon begannen der Besatzung, die der Ueberrumpelung
+in einer dunkeln Nacht nur durch das Schnattern der Heiligen Gaense im
+kapitolinischen Tempel und das zufaellige Erwachen des tapferen Marcus Manlius
+entgangen war, die Lebensmittel auf die Neige zu geben, als den Kelten ein
+Einfall der Veneter in das neu gewonnene senonische Gebiet am Padus gemeldet
+ward und sie bewog, das ihnen fuer den Abzug gebotene Loesegeld anzunehmen. Das
+hoehnische Hinwerfen des gallischen Schwertes, dass es aufgewogen werde vom
+roemischen Golde, bezeichnete sehr richtig die Lage der Dinge. Das Eisen der
+Barbaren hatte gesiegt, aber sie verkauften ihren Sieg und gaben ihn damit
+verloren.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^6 Dies ist nach der gangbaren Gleichung 390 v. Chr.; in der Tat aber fiel die
+Einnahme Roms Ol. 98, 1 = 388 v. Chr. und ist nur durch die zerruettete
+roemische Jahrzaehlung verschoben.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Die fuerchterliche Katastrophe der Niederlage und des Brandes, der 18. Juli und
+der Bach der Allia, der Platz, wo die Heiligtuemer vergraben gewesen und wo die
+Ueberrumpelung der Burg war abgeschlagen worden - all die Einzelheiten dieses
+unerhoerten Ereignisses gingen ueber von der Erinnerung der Zeitgenossen in die
+Phantasie der Nachwelt, und noch wir begreifen es kaum, dass wirklich schon
+zwei Jahrtausende verflossen sind, seit jene welthistorischen Gaense sich
+wachsamer bewiesen als die aufgestellten Posten. Und doch - mochte in Rom
+verordnet werden, dass in Zukunft bei einem Einfall der Kelten keines der
+gesetzlichen Privilegien vom Kriegsdienst befreien solle; mochte man dort
+rechnen nach den Jahren von der Eroberung der Stadt; mochte diese Begebenheit
+widerhallen in der ganzen damaligen zivilisierten Welt und ihren Weg finden bis
+in die griechischen Annalen: die Schlacht an der Allia mit ihren Resultaten ist
+dennoch kaum den folgenreichen geschichtlichen Begebenheiten beizuzaehlen. Sie
+aendert eben nichts in den politischen Verhaeltnissen. Wie die Gallier wieder
+abgezogen sind mit ihrem Golde, das nur eine spaet und schlecht erfundene
+Erzaehlung den Helden Camillus wieder nach Rom zurueckbringen laesst; wie die
+Fluechtigen sich wieder heimgefunden haben, der wahnsinnige Gedanke einiger
+mattherziger Klugheitspolitiker, die Buergerschaft nach Veii ueberzusiedeln,
+durch Camillus&rsquo; hochsinnige Gegenrede beseitigt ist, die Haeuser eilig
+und unordentlich - die engen und krummen Strassen Roms schrieben von dieser
+Zeit sich her - sich aus den Truemmern erheben, steht auch Rom wieder da in
+seiner alten gebietenden Stellung; ja es ist nicht unwahrscheinlich, dass
+dieses Ereignis wesentlich, wenn auch nicht im ersten Augenblick, dazu
+beigetragen hat, dem Gegensatz zwischen Etrurien und Rom seine Schaerfe zu
+nehmen und vor allem zwischen Latium und Rom die Bande der Einigkeit fester zu
+knuepfen. Der Kampf der Gallier und Roemer ist, ungleich dem zwischen Rom und
+Etrurien oder Rom und Samnium, nicht ein Zusammenstoss zweier politischer
+Maechte, die einander bedingen und bestimmen; er ist den Naturkatastrophen
+vergleichbar, nach denen der Organismus, wenn er nicht zerstoert wird, sofort
+wieder sich ins gleiche setzt. Die Gallier sind noch oft wiedergekehrt nach
+Latium; so im Jahre 387 (367), wo Camillus sie bei Alba schlug - der letzte
+Sieg des greisen Helden, der sechsmal konsularischer Kriegstribun, fuenfmal
+Diktator gewesen und viermal triumphierend auf das Kapitol gezogen war; im
+Jahre 393 (361), wo der Diktator Titus Quinctius Pennus ihnen gegenueber keine
+volle Meile von der Stadt an der Aniobruecke lagerte, aber ehe es noch zum
+Kampfe gekommen war, der gallische Schwarm nach Kampanien weiterzog; im Jahre
+394 (360), wo der Diktator Quintus Servilius Ahala vor dem Collinischen Tor mit
+den aus Kampanien heimkehrenden Scharen stritt; im Jahre 396 (358), wo ihnen
+der Diktator Gaius Sulpicius Peticus eine nachdrueckliche Niederlage
+beibrachte; im Jahre 404 (350), wo sie sogar den Winter ueber auf dem Albaner
+Berg kampierten und sich mit den griechischen Piraten an der Kueste um den Raub
+schlugen, bis Lucius Furius Camillus, der Sohn des beruehmten Feldherrn, im
+folgenden Jahr sie vertrieb - ein Ereignis, von dem der Zeitgenosse Aristoteles
+(370-432 384-322) in Athen vernahm. Allein diese Raubzuege, wie schreckhaft und
+beschwerlich sie sein mochten, waren mehr Ungluecksfaelle als politische
+Ereignisse und das wesentlichste Resultat derselben, dass die Roemer sich
+selbst und dem Auslande in immer weiteren Kreisen als das Bollwerk der
+zivilisierten Nationen Italiens gegen den Anstoss der gefuerchteten Barbaren
+erschienen - eine Auffassung, die ihre spaetere Weltstellung mehr als man meint
+gefoerdert hat.
+</p>
+
+<p>
+Die Tusker, die den Angriff der Kelten auf Rom benutzt hatten, um Veii zu
+berennen, hatten nichts ausgerichtet, da sie mit ungenuegenden Kraeften
+erschienen waren; kaum waren die Barbaren abgezogen, als der schwere Arm
+Latiums sie mit unvermindertem Gewicht traf. Nach wiederholten Niederlagen der
+Etrusker blieb das ganze suedliche Etrurien bis zu den Ciminischen Huegeln in
+den Haenden der Roemer, welche in den Gebieten von Veii, Capena und Falerii
+vier neue Buergerbezirke einrichteten (367 387) und die Nordgrenze sicherten
+durch die Anlage der Festungen Sutrium (371 383) und Nepete (381 373). Mit
+raschen Schritten ging dieser fruchtbare und mit roemischen Kolonisten bedeckte
+Landstrich der vollstaendigen Romanisierung entgegen. Um 396 (358) versuchten
+zwar die naechstliegenden etruskischen Staedte Tarquinii, Caere, Falerii sich
+gegen die roemischen Uebergriffe aufzulehnen, und wie tief die Erbitterung war,
+die dieselben in Etrurien erweckt hatten, zeigt die Niedermetzlung der
+saemtlichen, im ersten Feldzug gemachten roemischen Gefangenen,
+dreihundertundsieben an der Zahl, auf dem Marktplatz von Tarquinii; allein es
+war die Erbitterung der Ohnmacht. Im Frieden (403 351) musste Caere, das, als
+den Roemern zunaechst gelegen, am schwersten buesste, die halbe Landmark an Rom
+abtreten und mit dem geschmaelerten Gebiet, das ihm blieb, aus dem etruskischen
+Bunde aus- und in das Untertanenverhaeltnis zu Rom treten, welches inzwischen
+zunaechst fuer einzelne latinische Gemeinden aufgekommen war. Es schien indes
+nicht ratsam, dieser entfernteren und von der roemischen stammverschiedenen
+Gemeinde diejenige kommunale Selbstaendigkeit zu belassen, welche den
+untertaenigen Gemeinden Latiums noch verblieben war; man gab der caeritischen
+Gemeinde das roemische Buergerrecht nicht bloss ohne aktives und passives
+Wahlrecht in Rom, sondern auch unter Entziehung der Selbstverwaltung, so dass
+an die Stelle der eigenen Beamten bei der Rechtspflege und Schatzung die
+roemischen traten und am Orte selbst ein Vertreter (praefectus) des roemischen
+Praetors die Verwaltung leitete - eine hier zuerst begegnende staatsrechtliche
+Form der Untertaenigkeit, wodurch der bisher selbstaendige Staat in eine
+rechtlich fortbestehende, aber jeder eigenen Bewegung beraubte Gemeinde
+umgewandelt ward. Nicht lange nachher (411 343) trat auch Falerii, das seine
+urspruengliche latinische Nationalitaet auch unter der Tuskerherrschaft sich
+bewahrt hatte, aus dem etruskischen Bunde aus und in ewigen Bund mit Rom; damit
+war ganz Suedetrurien in der einen oder anderen Form der roemischen Suprematie
+unterworfen. Tarquinii und wohl das noerdliche Etrurien ueberhaupt begnuegte
+man sich, durch einen Friedensvertrag auf 400 Monate fuer lange Zeit zu fesseln
+(403 351).
+</p>
+
+<p>
+Auch im noerdlichen Italien ordneten sich allmaehlich die durch und gegen
+einander stuermenden Voelker wieder in dauernder Weise und in festere Grenzen.
+Die Zuege ueber die Alpen hoerten auf, zum Teil wohl infolge der verzweifelten
+Verteidigung der Etrusker in ihrer beschraenkteren Heimat und der ernstlichen
+Gegenwehr der maechtigen Roemer, zum Teil wohl auch infolge uns unbekannter
+Veraenderungen im Norden der Alpen. Zwischen Alpen und Apenninen bis hinab an
+die Abruzzen waren jetzt die Kelten im allgemeinen die herrschende Nation und
+namentlich die Herren des ebenen Landes und der reichen Weiden; aber bei ihrer
+schlaffen und oberflaechlichen Ansiedlungsweise wurzelte ihre Herrschaft nicht
+tief in der neu gewonnenen Landschaft und gestaltete sich keineswegs zum
+ausschliesslichen Besitz. Wie es in den Alpen stand und wie hier keltische
+Ansiedler mit aelteren etruskischen oder andersartigen Staemmen sich
+vermischten, gestattet unsere ungenuegende Kunde ueber die Nationalitaet der
+spaeteren Alpenvoelker nicht auszumachen; nur die Raeter in dem heutigen
+Graubuenden und Tirol duerfen als ein wahrscheinlich etruskischer Stamm
+bezeichnet werden. Die Taeler des Apennin behielten die Umbrer, den
+nordoestlichen Teil des Potals die anderssprachigen Veneter im Besitz; in den
+westlichen Bergen behaupteten sich ligurisch: Staemme, die bis Pisa und Arezzo
+hinab wohnten und das eigentliche Keltenland von Etrurien schieden. Nur in dem
+mittleren Flachland hausten die Kelten, noerdlich vom Po die Insubrer und
+Cenomaner, suedlich die Boier, an der adriatischen Kueste von Ariminum bis
+Ankon, in der sogenannten &ldquo;Gallierlandschaft&rdquo; (ager Gallicus) die
+Senonen, kleinerer Voelkerschaften zu geschweigen. Aber selbst hier muessen die
+etruskischem Ansiedlungen zum Teil wenigstens fortbestanden haben, etwa wie
+Ephesos und Milet griechisch blieben unter persischer Oberherrlichkeit. Mantua
+wenigstens, das durch seine Insellage geschuetzt war, war noch in der
+Kaiserzeit eine tuskische Stadt und auch in Atria am Po, wo zahlreiche
+Vasenfunde gemacht sind, scheint das etruskische Wesen fortbestanden zu haben;
+noch die unter dem Namen des Skylax bekannte, um 418 (336) abgefasste
+Kuestenbeschreibung nennt die Gegend von Atria und Spina tuskisches Land. Nur
+so erklaert sich auch, wie etruskische Korsaren bis weit ins fuenfte
+Jahrhundert hinein das Adriatische Meer unsicher machen konnten, und weshalb
+nicht bloss Dionysios von Syrakus die Kuesten desselben mit Kolonien bedeckte,
+sondern selbst Athen noch um 429 (325), wie eine kuerzlich entdeckte
+merkwuerdige Urkunde lehrt, zum Schutz der Kauffahrer gegen die tyrrhenischen
+Kaper die Anlage einer Kolonie im Adriatischen Meere beschloss.
+</p>
+
+<p>
+Aber mochte hier mehr oder weniger von etruskischem Wesen sich behaupten, es
+waren das einzelne Truemmer und Splitter der frueheren Machtentwicklung; der
+etruskischen Nation kam nicht mehr zugute, was hier im friedlichen Verkehr oder
+im Seekrieg von einzelnen noch etwa erreicht ward. Dagegen gingen
+wahrscheinlich von diesen halbfreien Etruskern die Anfaenge derjenigen
+Zivilisation aus, die wir spaeterhin bei den Kelten und ueberhaupt den
+Alpenvoelkern finden. Schon dass die Keltenschwaerme in den lombardischen
+Ebenen, mit dem sogenannten Skylax zu reden, das Kriegerleben aufgaben und sich
+bleibend ansaessig machten, gehoert zum Teil hierher; aber auch die Anfaenge
+der Handwerke und Kuenste und das Alphabet sind den lombardischen Kelten, ja
+den Alpenvoelkern bis in die heutige Steiermark hinein durch die Etrusker
+zugekommen.
+</p>
+
+<p>
+Also blieben nach dem Verlust der Besitzungen in Kampanien und der ganzen
+Landschaft noerdlich vom Apennin und suedlich vom Ciminischen Walde den
+Etruskern nur sehr beschraenkte Grenzen: die Zeiten der Macht und des
+Aufstrebens waren fuer sie auf immer vorueber. In engster Wechselwirkung mit
+diesem aeusseren Sinken steht der innere Verfall der Nation, zu dem die Keime
+freilich wohl schon weit frueher gelegt worden waren. Die griechischen
+Schriftsteller dieser Zeit sind voll von Schilderungen der masslosen Ueppigkeit
+des etruskischen Lebens: unteritalische Dichter des fuenften Jahrhunderts der
+Stadt preisen den tyrrhenischen Wein und die gleichzeitigen Geschichtschreiber
+Timaeos und Theopomp entwerfen Bilder von der etruskischen Weiberzucht und der
+etruskischen Tafel, welche der aergsten byzantinischen und franzoesischen
+Sittenlosigkeit nichts nachgeben. Wie wenig beglaubigt das einzelne in diesen
+Berichten auch ist, so scheint doch mindestens die Angabe begruendet zu sein,
+dass die abscheuliche Lustbarkeit der Fechterspiele, der Krebsschaden des
+spaeteren Rom und ueberhaupt der letzten Epoche des Altertums, zuerst bei den
+Etruskern aufgekommen ist; und jedenfalls lassen sie im ganzen keinen Zweifel
+an der tiefen Entartung der Nation. Auch die politischen Zustaende derselben
+sind davon durchdrungen. So weit unsere duerftige Kunde reicht, finden wir
+aristokratische Tendenzen vorwiegend, in aehnlicher Weise wie gleichzeitig in
+Rom, aber schroffer und verderblicher. Die Abschaffung des Koenigtums, die um
+die Zeit der Belagerung Veiis schon in allen Staaten Etruriens durchgefuehrt
+gewesen zu sein scheint, rief in den einzelnen Staedten ein Patrizierregiment
+hervor, das durch das lose eidgenossenschaftliche Band sich nur wenig
+beschraenkt sah. Selten nur gelang es, selbst zur Landesverteidigung alle
+etruskischen Staedte zu vereinigen, und Volsiniis nominelle Hegemonie haelt
+nicht den entferntesten Vergleich aus mit der gewaltigen Kraft, die durch Roms
+Fuehrung die latinische Nation empfing. Der Kampf gegen die ausschliessliche
+Berechtigung der Altbuerger zu allen Gemeindestellen und allen
+Gemeindenutzungen, der auch den roemischen Staat haette verderben muessen, wenn
+nicht die aeusseren Erfolge es moeglich gemacht haetten, die Ansprueche der
+gedrueckten Proletarier auf Kosten fremder Voelker einigermassen zu befriedigen
+und dem Ehrgeiz andere Bahnen zu oeffnen - dieser Kampf gegen das politische
+und was in Etrurien besonders hervortritt, gegen das priesterliche Monopol der
+Adelsgeschlechter muss Etrurien staatlich, oekonomisch und sittlich zugrunde
+gerichtet haben. Ungeheure Vermoegen, namentlich an Grundbesitz, konzentrierten
+sich in den Haenden von wenigen Adligen, waehrend die Massen verarmten; die
+sozialen Umwaelzungen, die hieraus entstanden, erhoehten die Not, der sie
+abhelfen sollten, und bei der Ohnmacht der Zentralgewalt blieb zuletzt den
+bedraengten Aristokraten, zum Beispiel in Arretium 453 (301), in Volsinii 488
+(266) nichts uebrig, als die Roemer zu Hilfe zu rufen, die denn zwar der
+Unordnung, aber zugleich auch dem Rest von Unabhaengigkeit ein Ende machten.
+Die Kraft des Volkes war gebrochen seit dem Tage von Veii und Melpum; es wurden
+wohl einige Male noch ernstliche Versuche gemacht, sich der roemischen
+Oberherrschaft zu entziehen, aber wenn es geschah, kam die Anregung dazu den
+Etruskern von aussen, von einen andern italischen Stamm, den Samniten.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap05"></a>KAPITEL V.<br/>
+Die Unterwerfung der Latiner und Kampaner unter Rom</h2>
+
+<p>
+Das grosse Werk der Koenigszeit war Roms Herrschaft ueber Latium in der Form
+der Hegemonie. Dass die Umwandlung der roemischen Verfassung sowohl auf das
+Verhaeltnis der roemischen Gemeinde zu Latium wie auf die innere Ordnung der
+latinischen Gemeinden selbst nicht ohne maechtige Rueckwirkung bleiben konnte,
+leuchtet an sich ein und geht auch aus der Ueberlieferung hervor; von den
+Schwankungen, in welche durch die Revolution in Rom die roemisch-latinische
+Eidgenossenschaft geriet, zeugt die in ungewoehnlich lebhaften Farben
+schillernde Sage von dem Siege am Regiller See, den der Diktator oder Konsul
+Aulus Postumius (255? 258? 499 496) mit Hilfe der Dioskuren ueber die Latiner
+gewonnen haben soll, und bestimmter die Erneuerung des ewigen Bundes zwischen
+Rom und Latium durch Spurius Cassius in seinem zweiten Konsulat (261 493).
+Indes geben diese Erzaehlungen eben ueber die Hauptsache, das Rechtsverhaeltnis
+der neuen roemischen Republik zu der latinischen Eidgenossenschaft, am
+wenigsten Aufschluss; und was wir sonst ueber dasselbe wissen, ist zeitlos
+ueberliefert und kann nur nach ungefaehrer Wahrscheinlichkeit hier eingereiht
+werden.
+</p>
+
+<p>
+Es liegt im Wesen der Hegemonie, dass sie durch das blosse innere Schwergewicht
+der Verhaeltnisse allmaehlich in die Herrschaft uebergeht; auch die roemische
+ueber Latium hat davon keine Ausnahme gemacht. Sie war begruendet auf die
+wesentliche Rechtsgleichheit des roemischen Staates und der latinischen
+Eidgenossenschaft; aber wenigstens im Kriegswesen und in der Behandlung der
+gemachten Eroberungen trug dies Verhaeltnis des Einheitsstaates einer- und des
+Staatenbundes anderseits die Hegemonie der Sache nach in sich. Nach der
+urspruenglichen Bundesverfassung war wahrscheinlich das Recht zu Krieg und
+Vertrag mit auswaertigen Staaten, also die volle staatliche Selbstbestimmung
+sowohl Rom wie den einzelnen Staedten des latinischen Bundes gewahrt, und es
+stellte auch wohl bei gemeinschaftlicher Kriegfuehrung Rom wie Latium das
+gleiche Kontingent, in der Regel jedes ein &ldquo;Heer&rdquo; von 8400 Mann ^1;
+aber den Oberbefehl fuehrte der roemische Feldherr, welcher dann die
+Stabsoffiziere, also die Teilfuehrer (tribuni militum), nach eigener Wahl
+ernannte. Im Falle des Sieges wurden die bewegliche Beute wie das eroberte Land
+zwischen Rom und der Eidgenossenschaft geteilt, und wenn man in dem eroberten
+Gebiet Festungen anzulegen beschloss, so wurde nicht bloss deren Besatzung und
+Bevoelkerung teils aus roemischen, teils aus eidgenoessischen Aussendlingen
+gebildet, sondern auch die neugegruendete Gemeinde als souveraener Bundesstaat
+in die latinische Eidgenossenschaft aufgenommen und mit Sitz und Stimme auf der
+latinischen Tagsatzung ausgestattet.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Die urspruengliche Gleichheit der beiden Armeen geht schon aus Liv. 1, 52;
+8, 8, 14 und Dion. Hal. 8, 15, am deutlichsten aber aus Polyb. 6, 26 hervor.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Diese Bestimmungen werden wahrscheinlich schon in der Koenigszeit, sicher in
+der republikanischen Epoche sich mehr und mehr zu Ungunsten der
+Eidgenossenschaft verschoben und Roms Hegemonie weiter entwickelt haben. Am
+fruehesten fiel ohne Zweifel weg das Kriegs- und Vertragsrecht der
+Eidgenossenschaft gegenueber dem Ausland ^2; Krieg und Vertrag kam ein fuer
+allemal an Rom. Die Stabsoffiziere fuer die latinischen Truppen muessen in
+aelterer Zeit wohl ebenfalls Latiner gewesen sein; spaeter wurden dazu wo nicht
+ausschliesslich, doch vorwiegend roemische Buerger genommen ^3. Dagegen wurde
+nach wie vor der latinischen Eidgenossenschaft insgesamt kein staerkeres
+Kontingent zugemutet als das von der roemischen Gemeinde gestellte war; und
+ebenso war der roemische Oberfeldherr gehalten, die latinischen Kontingente
+nicht zu zersplittern, sondern den von jeder Gemeinde gesandten Zuzug als
+besondere Heerabteilung unter dem von der Gemeinde bestellten Anfuehrer ^4
+zusammenzuhalten. Das Anrecht der latinischen Eidgenossenschaft auf einen
+Anteil an der beweglichen Beute wie an dem eroberten Lande blieb formell
+bestehen; aber der Sache nach ist der wesentliche Kriegsertrag ohne Zweifel
+schon in frueher Zeit an den fuehrenden Staat gekommen. Selbst bei der Anlegung
+der Bundesfestungen oder der sogenannten latinischen Kolonien waren in der
+Regel vermutlich die meisten und nicht selten alle Ansiedler Roemer; und wenn
+auch dieselben durch die Uebersiedelung aus roemischen Buergern Buerger einer
+eidgenoessischen Gemeinde wurden, so blieb doch wohl der neugepflanzten
+Ortschaft haeufig eine ueberwiegende und fuer die Eidgenossenschaft
+gefaehrliche Anhaenglichkeit an die wirkliche Mutterstadt.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^2 Dass in den spaeteren Bundesvertraegen zwischen Rom und Latium es den
+latinischen Gemeinden untersagt war ihre Kontingente von sich aus zu
+mobilisieren und allein ins Feld zu senden, sagt ausdruecklich Dionysios (8,
+15).
+</p>
+
+<p>
+^3 Diese latinischen Stabsoffiziere sind die zwoelf praefecti sociorum, welche
+spaeterhin, als die alte Phalanx sich in die spaeteren Legionen und alae
+aufgeloest hatte, ebenso je sechs und sechs den beiden alae der
+Bundesgenossenkontingente vorstehen, wie die zwoelf Kriegstribunen des
+roemischen Heeres je sechs und sechs den beiden Legionen. Dass der Konsul jene
+wie urspruenglich auch diese ernennt, sagt Polyb. 6 26, 5. Da nun nach dem
+alten Rechtssatz, dass jeder Heerespflichtige Offizier werden kann, es
+gesetzlich dem Heerfuehrer gestattet war, einen Latiner zum Fuehrer einer
+roemischen wie umgekehrt einen Roemer zum Fuehrer einer latinischen Legion zu
+bestellen, so fuehrte dies praktisch dazu, dass die tribuni militum durchaus
+und die praefecti sociorum wenigstens in der Regel Roemer waren.
+</p>
+
+<p>
+^4 Dies sind die decuriones turmarum und praefecti cohortium (Polyb. 6, 21, 5;
+Liv. 25, 14; Sall. Iug. 69 und sonst). Natuerlich wurden, wie die roemischen
+Konsuln von Rechts wegen, in der Regel auch tatsaechlich Oberfeldherren waren,
+vielleicht durchaus, mindestens sehr haeufig auch in den abhaengigen Staedten
+die Gemeindevorsteher an die Spitze der Gemeindekontingente gestellt (Liv. 23,
+19; Orelli 7022); wie denn selbst der gewoehnliche Name der latinischen
+Obrigkeiten (praetores) sie als Offiziere bezeichnet.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Die Rechte dagegen, welche die Bundesvertraege dem einzelnen Buerger einer der
+verbuendeten Gemeinden in jeder Bundesstadt zusicherten, wurden nicht
+beschraenkt. Es gehoerten dahin namentlich die volle Rechtsgleichheit in Erwerb
+von Grundbesitz und beweglicher Habe, in Handel und Wandel, Ehe und Testament,
+und die unbeschraenkte Freizuegigkeit, sodass der in einer Bundesstadt
+verbuergerte Mann nicht bloss in jeder andern sich niederzulassen rechtlich
+befugt war, sondern auch daselbst als Rechtsgenosse (municeps) mit Ausnahme der
+passiven Wahlfaehigkeit an allen privaten und politischen Rechten und Pflichten
+teilnahm, sogar wenigstens in der nach Distrikten berufenen Gemeindeversammlung
+in einer freilich beschraenkten Weise zu stimmen befugt war ^5.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^5 Es wurde ein solcher Insasse nicht wie der wirkliche Mitbuerger einem ein
+fuer allemal bestimmten Stimmbezirk zugeteilt, sondern vor jeder einzelnen
+Abstimmung nach Stimmbezirken der, in dem die Insassen diesmal zu stimmen
+hatten, durch das Los festgestellt. Der Sache nach kam dies wohl darauf hinaus,
+dass in der roemischen Tribusversammlung den Latinern eine Stimme eingeraeumt
+ward. Da der Platz in irgendeiner Tribus die Vorbedingung des ordentlichen
+Zenturiatstimmrechts war, so muss, wenn die Insassen auch in der
+Zenturienversammlung mitgestimmt haben, was wir nicht wissen, fuer diese eine
+aehnliche Losung festgesetzt gewesen sein. An den Kurien werden sie gleich den
+Plebejern teilgenommen haben.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+So etwa mag in der ersten republikanischen Zeit das Verhaeltnis der roemischen
+Gemeinde zu der latinischen Eidgenossenschaft beschaffen gewesen sein, ohne
+dass sich ausmachen liesse, was darin auf aeltere Satzungen und was auf die
+Buendnisrevision von 261 (493) zurueckgeht.
+</p>
+
+<p>
+Mit etwas groesserer Sicherheit darf die Umgestaltung der Ordnungen der
+einzelnen zu der latinischen Eidgenossenschaft gehoerigen Gemeinden nach dem
+Muster der roemischen Konsularverfassung als Neuerung bezeichnet und in diesen
+Zusammenhang gestellt werden. Denn obgleich die verschiedenen Gemeinden zu der
+Abschaffung des Koenigtums an sich recht wohl voneinander unabhaengig gelangt
+sein koennen, so verraet doch die gleichartige Benennung der neuen
+Jahreskoenige in der roemischen und den uebrigen Gemeindeverfassungen von
+Latium sowie die weitgreifende Anwendung des so eigentuemlichen
+Kollegialitaetsprinzips ^6 augenscheinlich einen aeusseren Zusammenhang; irgend
+einmal nach der Vertreibung der Tarquinier aus Rom muessen durchaus die
+latinischen Gemeindeordnungen nach dem Schema der Konsularverfassung revidiert
+worden sein. Es kann nun freilich diese Ausgleichung der latinischen
+Verfassungen mit derjenigen der fuehrenden Stadt moeglicherweise erst einer
+spaeteren Epoche angehoeren; indes spricht die innere Wahrscheinlichkeit
+vielmehr dafuer, dass der roemische Adel, nachdem er bei sich die Abschaffung
+des lebenslaenglichen Koenigtums bewirkt hatte, dieselbe Verfassungsaenderung
+auch den Gemeinden der latinischen Eidgenossenschaft angesonnen und, trotz des
+ernsten und den Bestand des roemisch-latinischen Bundes selbst in Frage
+stellenden Widerstandes, welchen teils die vertriebenen Tarquinier, teils die
+koeniglichen Geschlechter und koeniglich gesinnten Parteien der uebrigen
+Gemeinden Latiums geleistet zu haben scheinen, schliesslich in ganz Latium die
+Adelsherrschaft eingefuehrt hat. Die eben in diese Zeit fallende gewaltige
+Machtentwicklung Etruriens, die stetigen Angriffe der Veienter, der Heereszug
+des Porsena moegen wesentlich dazu beigetragen haben, die latinische Nation bei
+der einmal festgestellten Form der Einigung, das heisst bei der fortwaehrenden
+Anerkennung der Oberherrlichkeit Roms festzuhalten und dem zuliebe eine ohne
+Zweifel auch im Schosse der latinischen Gemeinden vielfach vorbereitete
+Verfassungsaenderung, ja vielleicht selbst eine Steigerung der hegemonischen
+Rechte sich gefallen zu lassen.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^6 Regelmaessig stehen bekanntlich die latinischen Gemeinden unter zwei
+Praetoren. Daneben kommen in einer Reihe von Gemeinden auch Einzelbeamte vor,
+welche dann den Diktatortitel fuehren - so in Alba (Orelli-Henzen 2293),
+Tusculum, Lanuvium (Cic. Mil. 10, 27;17, 45; Ascon. Mil. p. 32 Orelli, Orelli
+2786, 5157, 6086), Compitum (Orelli 3324), Nomentum (Orelli 208, 6138, 7032;
+vgl. W. Henzen in Bullettino dell&rsquo; Istituto 1858, S. 169) und Aricia
+(Orelli 1455). Dazu kommt der aehnliche Diktator in der civitas sine suffragio
+Caere (Orelli 3787, 5772; auch Garrucci, Diss. arch. Bd. 1, S. 31, obwohl irrig
+nach Sutrium gesetzt); ferner die gleichnamigen Beamten von Fidenae (Orelli
+112). Alle diese Aemter oder aus Aemtern hervorgegangenen Priestertuemer (der
+Diktator von Caere ist zu erklaeren nach Liv. 9, 43: Anagninis - magistratibus
+praeter quam sacrorum curatione interdictum) sind jaehrig (Orelli 208). Auch
+der Bericht Macers und der aus ihm schoepfenden Annalisten, dass Alba schon zur
+Zeit seines Falls nicht mehr unter Koenigen, sondern unter Jahresdiktatoren
+gestanden habe (Dion. Hal. 5, 74; Plut. Rom. 27; Liv. 1, 23), ist vermutlich
+bloss eine Folgerung aus der ihm bekannten Institution der ohne Zweifel gleich
+der nomentanischen jaehrigen sacerdotalen albanischen Diktatur, bei welcher
+Darstellung ueberdies die demokratische Parteistellung ihres Urhebers mit im
+Spiel gewesen sein wird. Es steht dahin, ob der Schluss gueltig ist und nicht,
+auch wenn Alba zur Zeit seiner Aufloesung unter lebenslaenglichen Herrschern
+stand, die Abschaffung des Koenigtums in Rom nachtraeglich die Verwandlung der
+albanischen Diktatur in ein Jahramt herbeifuehren konnte.
+</p>
+
+<p>
+All diese latinischen Magistraturen kommen in der Sache wie besonders auch in
+den Namen wesentlich mit der in Rom durch die Revolution festgestellten Ordnung
+in einer Weise ueberein, die durch die blosse Gleichartigkeit der politischen
+Grundverhaeltnisse nicht genuegend erklaert wird.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die dauernd geeinigte Nation vermochte es, ihre Machtstellung nach allen Seiten
+hin nicht bloss zu behaupten, sondern auch zu erweitern. Dass die Etrusker nur
+kurze Zeit im Besitze der Suprematie ueber Latium blieben und die Verhaeltnisse
+hier bald wieder in die Lage zurueckkamen, welche sie in der Koenigszeit gehabt
+hatten, wurde schon dargestellt; zu einer eigentlichen Erweiterung der
+roemischen Grenzen kam es aber nach dieser Seite hin erst mehr als ein
+Jahrhundert nach der Vertreibung der Koenige aus Rom.
+</p>
+
+<p>
+Mit den Sabinern, die das Mittelgebirge von den Grenzen der Umbrer bis hinab zu
+der Gegend zwischen Tiber und Anio einnahmen und die in der Epoche, in welche
+die Anfaenge Roms fallen, bis nach Latium selbst kaempfend und erobernd
+vordrangen, haben spaeterhin die Roemer trotz der unmittelbaren Nachbarschaft
+sich verhaeltnismaessig wenig beruehrt. Die schwache Teilnahme derselben an dem
+verzweifelten Widerstand der oestlichen und suedlichen Nachbarvoelker geht
+selbst aus den Berichten der Jahrbuecher noch hervor und, was wichtiger ist, es
+begegnen hier keine Zwingburgen, wie sie namentlich in dem volskischen Gebiet
+so zahlreich angelegt worden sind. Vielleicht haengt dies damit zusammen, dass
+die sabinischen Scharen wahrscheinlich eben um diese Zeit sich ueber
+Unteritalien ergossen; gelockt von den anmutigen Sitzen am Tifernus und
+Volturnus scheinen sie wenig in die Kaempfe eingegriffen zu haben, deren
+Schauplatz das Gebiet suedlich vom Tiber war.
+</p>
+
+<p>
+Bei weitem heftiger und dauernder war der Widerstand der Aequer, die, oestlich
+von Rom bis in die Taeler des Turano und Salto und am Nordrande des Fuciner
+Sees sitzend, mit den Sabinern und Marsern grenzten ^7, und der Volsker, welche
+suedlich von den um Ardea sesshaften Rutulern und den suedwaerts bis Cora sich
+erstreckenden Latinern die Kueste bis nahe an die Muendung des Lirisflusses
+nebst den vorliegenden Inseln und im Innern das ganze Stromgebiet des Liris
+besassen. Die mit diesen beiden Voelkern sich jaehrlich erneuernden Fehden, die
+in der roemischen Chronik so berichtet werden, dass der unbedeutendste
+Streifzug von dem folgenreichen Kriege kaum unterschieden und der historische
+Zusammenhang gaenzlich beiseite gelassen wird, sollen hier nicht erzaehlt
+werden; es genuegt hinzuweisen auf die dauernden Erfolge. Deutlich erkennen
+wir, dass es den Roemern und Latinern vor allem darauf ankam, die Aequer von
+den Volskern zu trennen und der Kommunikationen Herr zu werden; in der Gegend
+zwischen dem Suedabhang des Albaner Gebirges, den volskischen Bergen und den
+Pomptinischen Suempfen scheinen ueberdies die Latiner und die Volsker zunaechst
+sich beruehrt und selbst gemischt durcheinander gesessen zu haben ^8. In dieser
+Gegend haben die Latiner die ersten Schritte getan ueber ihre Landesgrenze
+hinaus und sind Bundesfestungen im Fremdland, sogenannte latinische Kolonien
+zuerst angelegt worden, in der Ebene Velitrae (angeblich um 260 494) unter dem
+Albaner Gebirge selbst und Suessa in der pomptinischen Niederung, in den Bergen
+Norba (angeblich 262 492) und Signia (angeblich verstaerkt 259 495), welche
+beide auf den Verbindungspunkten zwischen der aequischen und volskischen
+Landschaft liegen. Vollstaendiger noch ward der Zweck erreicht durch den
+Beitritt der Herniker zu dem Bunde der Latiner und Roemer (268 486), welcher
+die Volsker vollstaendig isolierte und dem Bunde eine Vormauer gewaehrte gegen
+die suedlich und oestlich wohnenden sabellischen Staemme; man begreift es,
+weshalb dem kleinen Volk volle Gleichheit mit den beiden anderen in Rat und
+Beuteanteil zugestanden ward. Die schwaecheren Aequer waren seitdem wenig
+gefaehrlich; es genuegte, von Zeit zu Zeit einen Pluenderzug gegen sie zu
+unternehmen. Auch die Rutuler, welche in der Kuestenebene suedlich mit Latium
+grenzten, unterlagen frueh; ihre Stadt Ardea wurde schon im Jahre 312 (442) in
+eine latinische Kolonie umgewandelt ^9. Ernstlicher widerstanden die Volsker.
+Der erste namhafte Erfolg, den nach den oben erwaehnten die Roemer ihnen
+abgewannen, ist, merkwuerdig genug, die Gruendung von Circeii im Jahre 361
+(393), das, solange Antium und Tarracina noch frei waren, nur zu Wasser mit
+Latium in Verbindung gestanden haben kann. Antium zu besetzen, ward oft
+versucht und gelang auch voruebergehend 287 (467); aber 295 (459) machte die
+Stadt sich wieder frei, und erst nach dem gallischen Brande erhielten infolge
+eines heftigen dreizehnjaehrigen Krieges (365-377 389-377) die Roemer die
+entschiedene Oberhand im antiatischen und pomptinischen Gebiet. Satricum,
+unweit Antium, wurde im Jahre 369 (385) mit einer latinischen Kolonie belegt,
+nicht lange nachher wahrscheinlich Antium selbst sowie Tarracina ^10, das
+pomptinische Gebiet ward durch die Anlage der Festung Setia (372 382,
+verstaerkt 375 379) gesichert und in den Jahren 371 f. (383) in Ackerlose und
+Buergerbezirke verteilt. Seitdem haben die Volsker wohl noch sich empoert, aber
+keine Kriege mehr gegen Rom gefuehrt.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^7 Die Landschaft der Aequer umfasst nicht bloss das Tal des Anio oberhalb von
+Tibur und das Gebiet der spaeteren latinischen Kolonien Carsioli (am oberen
+Turano) und Alba (am Fuciner See), sondern auch den Bezirk des spaeteren
+Municipiums der Aequiculi welche nichts sind als derjenige Rest der Aequer,
+welchem nach der Unterwerfung durch die Roemer und nach der Assignierung des
+groessten Teils des Gebiets an roemische oder latinische Kolonisten die
+munizipale Selbstaendigkeit verblieb.
+</p>
+
+<p>
+^8 Allem Anschein nach ist Velitrae, obwohl in der Ebene gelegen, urspruenglich
+volskisch und also latinische Kolonie, Cora dagegen auf dem Volskergebirge
+urspruenglich latinisch.
+</p>
+
+<p>
+^9 Nicht lange nachher muss die Gruendung des Dianahains im Walde von Aricia
+erfolgt sein, welche nach Catos Bericht (orig. p. 12 Jordan) ein tusculanischer
+Diktator vollzog fuer die Stadtgemeinden des alten Latiums Tusculum, Aricia,
+Lanuvium, Laurentum, Cora und Tibur und die beiden latinischen Kolonien (welche
+deshalb an der letzten Stelle stehen) Suessa Pometia und Ardea (populus
+Ardeatis Rutulus). Das Fehlen Praenestes und der kleineren Gemeinden des alten
+Latium zeigt, wie es auch in der Sache liegt, dass nicht saemtliche Gemeinden
+des damaligen Latinischen Bundes sich an der Weihung beteiligten. Dass sie vor
+372 (382) faellt, beweist das Auftreten von Pometia und das Verzeichnis stimmt
+voellig zu dem, was anderweitig ueber den Bestand des Bundes kurz nach dem
+Zutritt von Ardea sich ermitteln laesst.
+</p>
+
+<p>
+Den ueberlieferten Jahreszahlen der Gruendungen darf mehr als den meisten der
+aeltesten Ueberlieferungen Glauben beigemessen werden, da die den italischen
+Staedten gemeinsame Jahreszaehlung ab urbe condita allem Anschein nach das
+Gruendungsjahr der Kolonien durch unmittelbare Ueberlieferung bewahrt hat.
+</p>
+
+<p>
+^10 Als latinische Gemeinden erscheinen beide in dem sogenannten Cassischen
+Verzeichnis um 372 (382) nicht, wohl aber in dem karthagischen Vertrag vom
+Jahre 406 (348); in der Zwischenzeit also sind die Staedte latinische Kolonien
+geworden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Aber je entschiedenere Erfolge der Bund der Roemer, Latiner und Herniker gegen
+die Etrusker, Aequer, Volsker und Rutuler davontrug, desto mehr entwich aus ihm
+die Eintracht. Die Ursache lag zum Teil wohl in der frueher dargestellten, aus
+den bestehenden Verhaeltnissen mit innerer Notwendigkeit sich entwickelnden,
+aber darum nicht weniger schwer auf Latium lastenden Steigerung der
+hegemonischen Gewalt Roms, zum Teil in einzelnen gehaessigen Ungerechtigkeiten
+der fuehrenden Gemeinde. Dahin gehoeren vornehmlich der schmaehliche
+Schiedsspruch zwischen den Aricinern und den Rutulern in Ardea 308 (446), wo
+die Roemer, angerufen zu kompromissarischer Entscheidung ueber ein zwischen den
+beiden Gemeinden streitiges Grenzgebiet, dasselbe fuer sich nahmen, und als
+ueber diesen Spruch in Ardea innere Streitigkeiten entstanden, das Volk zu den
+Volskern sich schlagen wollte, waehrend der Adel an Rom festhielt, die noch
+schaendlichere Ausnutzung dieses Haders zu der schon erwaehnten Aussendung
+roemischer Kolonisten in die reiche Stadt, unter die die Laendereien der
+Anhaenger der antiroemischen Partei ausgeteilt wurden (312 442). Hauptsaechlich
+indes war die Ursache, weshalb der Bund sich innerlich aufloeste, eben die
+Niederwerfung der gemeinschaftlichen Feinde; die Schonung von der einen, die
+Hingebung von der anderen Seite hatte ein Ende, seitdem man gegenseitig des
+anderen nicht mehr meinte zu beduerfen. Zum offenen Bruche zwischen den
+Latinern und Hernikern einer- und den Roemern anderseits gab die naechste
+Veranlassung teils die Einnahme Roms durch die Kelten und dessen dadurch
+herbeigefuehrte augenblickliche Schwaeche, teils die definitive Besetzung und
+Aufteilung des pomptinischen Gebiets; bald standen die bisherigen Verbuendeten
+gegeneinander im Felde. Schon hatten latinische Freiwillige in grosser Anzahl
+an dem letzten Verzweiflungskampf der Antiaten teilgenommen; jetzt mussten die
+namhaftesten latinischen Staedte: Lanuvium (371 383), Praeneste (372-374, 400
+382-380, 354), Tusculum (373 381), Tibur (394, 400 360, 354) und selbst
+einzelne der im Volskerland von dem roemisch-latinischen Bunde angelegten
+Festungen wie Velitrae und Circeii mit den Waffen bezwungen werden, ja die
+Tiburtiner scheuten sich sogar nicht, mit den eben einmal wieder einrueckenden
+gallischen Scharen gemeinschaftliche Sache gegen Rom zu machen. Zum
+gemeinschaftlichen Aufstand kam es indes nicht und ohne viel Muehe bemeisterte
+Rom die einzelnen Staedte; Tusculum ward sogar (373 381) genoetigt, seine
+politische Selbstaendigkeit aufzugeben und in den roemischen Buergerverband als
+untertaenige Gemeinde (civitas sine suffragio) einzutreten, so dass die Stadt
+ihre Mauern und eine wenn auch beschraenkte Selbstverwaltung, darum auch eigene
+Beamten und eine eigene Buergerversammlung behielt, dagegen aber ihre Buerger
+als roemische das aktive und passive Wahlrecht entbehrten - der erste Fall,
+dass eine ganze Buergerschaft dem roemischen Gemeinwesen als abhaengige
+Gemeinde einverleibt wurde.
+</p>
+
+<p>
+Ernster war der Kampf gegen die Herniker (392-396 362-358), in dem der erste
+der Plebs angehoerige konsularische Oberfeldherr Lucius Genucius fiel; allein
+auch hier siegten die Roemer. Die Krise endigte damit, dass die Vertraege
+zwischen Rom und der latinischen wie der hernikischen Eidgenossenschaft im
+Jahre 396 (358) erneuert wurden. Der genauere Inhalt derselben ist nicht
+bekannt, aber offenbar fuegten beide Eidgenossenschaften abermals und
+wahrscheinlich unter haerteren Bedingungen sich der roemischen Hegemonie. Die
+in demselben Jahr erfolgte Einrichtung zweier neuer Buergerbezirke im
+pomptinischen Gebiet zeigt deutlich die gewaltig vordringende roemische Macht.
+</p>
+
+<p>
+In offenbarem Zusammenhang mit dieser Krise in dem Verhaeltnis zwischen Rom und
+Latium steht die um das Jahr 370 (384) erfolgte Schliessung der latinischen
+Eidgenossenschaft ^11, obwohl es nicht sicher zu bestimmen ist, ob sie Folge
+oder, wie wahrscheinlicher, Ursache der eben geschilderten Auflehnung Latiums
+gegen Rom war. Nach dem bisherigen Recht war jede von Rom und Latium
+gegruendete souveraene Stadt unter die am Bundesfest und Bundestag
+teilberechtigten Kommunen eingetreten, wogegen umgekehrt jede einer anderen
+Stadt inkorporierte und also staatlich vernichtete Gemeinde aus der Reihe der
+Bundesglieder gestrichen ward. Dabei ward indes nach latinischer Art die einmal
+feststehende Zahl von dreissig foederierten Gemeinden in der Art festgehalten,
+dass von den teilnehmenden Staedten nie mehr und nie weniger als dreissig
+stimmberechtigt waren und eine Anzahl spaeter eingetretener oder auch ihrer
+Geringfuegigkeit oder begangener Vergehen wegen zurueckgesetzter Gemeinden des
+Stimmrechts entbehrten. Hiernach war der Bestand der Eidgenossenschaft um das
+Jahr 370 (384) folgender Art. Von altlatinischen Ortschaften waren, ausser
+einigen jetzt verschollenen oder doch der Lage nach unbekannten, noch autonom
+und stimmberechtigt zwischen Tiber und Anio Nomentum, zwischen dem Anio und dem
+Albaner Gebirg Tibur, Gabii, Scaptia, Labici ^12, Pedum und Praeneste, am
+Albaner Gebirg Corbio, Tusculum, Bovillae, Aricia, Corioli und Lanuvium, in den
+volskischen Bergen Cora, endlich in der Kuestenebene Laurentum. Dazu kamen die
+von Rom und dem latinischen Bunde angelegten Kolonien: Ardea im ehemaligen
+Rutulergebiet und in dem der Volsker Satricum, Velitrae, Norba, Signia, Setia
+und Circeii. Ausserdem hatten siebzehn andere Ortschaften, deren Namen nicht
+sicher bekannt sind, das Recht der Teilnahme am Latinerfest ohne Stimmrecht.
+Auf diesem Bestande von siebenundvierzig teil- und dreissig stimmberechtigten
+Orten blieb die latinische Eidgenossenschaft seitdem unabaenderlich stehen;
+weder sind die spaeter gegruendeten latinischen Gemeinden, wie Sutrium, Nepete,
+Antium, Tarracina, Cales, unter dieselben eingereiht, noch die spaeter der
+Autonomie entkleideten latinischen Gemeinden, wie Tusculum und Lanuvium, aus
+dem Verzeichnis gestrichen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^11 In dem von Dionysios (5, 61) mitgeteilten Verzeichnis der dreissig
+latinischen Bundesstaedte, dem einzigen, das wir besitzen, werden genannt die
+Ardeaten, Ariciner, Bovillaner, Bubentaner (unbekannter Lage), Corner (vielmehr
+Coraner), Carventaner (unbekannter Lage), Circeienser, Coriolaner, Corbinter,
+Cabaner (vielleicht die Cabenser am Albaner Berg, Bullettino dell&rsquo;
+Istituto 1861, S. 205), Fortineer (unbekannt), Gabiner, Laurenter, Lanuviner,
+Lavinaten, Labicaner, Nomentaner, Norbaner, Praenestiner, Pedaner,
+Querquetulaner (unbekannter Lage), Satricaner, Scaptiner, Senner, Tiburtiner,
+Tusculaner, Tellenier (unbekannter Lage), Toleriner (unbekannter Lage) und
+Veliterner. Die gelegentlichen Erwaehnungen teilnahmeberechtigter Gemeinden,
+wie von Ardea (Liv. 32, 1), Laurentum (Liv. 37, 3), Lanuvium (Liv. 41, 16),
+Bovillae, Gabii, Labici (Cic. Planc. 9, 23) stimmen mit diesem Verzeichnis.
+Dionysios teilt es bei Gelegenheit der Kriegserklaerung Latiums gegen Rom im
+Jahre 256 (498) mit, und es lag darum nahe, wie dies Niebuhr getan, dies
+Verzeichnis als der bekannten Bundeserneuerung vom Jahre 261 (493) entlehnt zu
+betrachten. Allein da in diesem nach dem latinischen Alphabet geordneten
+Verzeichnis der Buchstabe g an der Stelle erscheint, die er zur Zeit der Zwoelf
+Tafeln sicher noch nicht hatte und schwerlich vor dem fuenften Jahrhundert
+bekommen hat (mein Die unteritalischen Dialekte. Leipzig 1850, S. 33), so muss
+dasselbe einer viel juengeren Quelle entnommen sein; und es ist bei weitem die
+einfachste Annahme, darin das Verzeichnis derjenigen Orte zu erkennen die
+spaeterhin als die ordentlichen Glieder der latinischen Eidgenossenschaft
+betrachtet wurden und die Dionysios, seiner pragmatisierenden Gewohnheit
+gemaess, als deren urspruenglichen Bestand auffuehrt. Es erscheint in dem
+Verzeichnis, wie es zu erwarten war, keine einzige nichtlatinische Gemeinde;
+dasselbe zaehlt lediglich urspruenglich latinische oder mit latinischen
+Kolonien belegte Orte auf - Corbio und Corioli wird niemand als Ausnahme
+geltend machen. Vergleicht man nun mit diesem Register das der latinischen
+Kolonien so sind bis zum Jahre 372 (382) gegruendet worden Suessa Pometia,
+Velitrae, Norba, Signia, Ardea, Circeii (361 393), Satricum (369 385), Sutrium
+(371 383), Nepete (371), Setia (372 382). Von den letzten drei ungefaehr
+gleichzeitigen koennen sehr wohl die beiden etruskischen etwas spaeter datieren
+als Setia, da ja die Gruendung jeder Stadt eine gewisse Zeitdauer in Anspruch
+nahm und unsere Liste von kleineren Ungenauigkeiten nicht frei sein kann. Nimmt
+man dies an, so enthaelt das Verzeichnis saemtliche bis zum Jahre 372 (382)
+ausgefuehrte Kolonien einschliesslich der beiden bald nachher aus dem
+Verzeichnis gestrichenen Satricum, zerstoert 377 (377), und Velitrae, des
+latinischen Rechts entkleidet 416 (338); es fehlen nur Suessa Pometia, ohne
+Zweifel als vor dem Jahre 372 (382) zerstoert, und Signia, wahrscheinlich weil
+im Text des Dionysios, der nur neunundzwanzig Namen nennt, hinter ΣΗΤΙΝΩΝ
+ausgefallen ist ΣΙΓΝΙΝΩΝ. Im vollkommenen Einklang hiermit mangeln in diesem
+Verzeichnis ebenso alle nach dem Jahre 372 (382) gegruendeten latinischen
+Kolonien wie alle Orte, die wie Ostia, Antemnae, Alba vor dem Jahre 370 (384)
+der roemischen Gemeinde inkorporiert wurden, wogegen die spaeter einverleibten,
+wie Tusculum, Lanuvium, Velitrae, in demselben stehen geblieben sind.
+</p>
+
+<p>
+Was das von Plinius mitgeteilte Verzeichnis von zweiunddreissig zu
+Plinius&rsquo; Zeit untergegangenen, ehemals am Albanischen Fest beteiligten
+Ortschaften betrifft, so bleiben nach Abzug von sieben, die auch bei Dionysios
+stehen (denn die Cusuetaner des Plinius scheinen die Dionysischen Carventaner
+zu sein) noch fuenfundzwanzig, meistenteils ganz unbekannte Ortschaften ohne
+Zweifel teils jene siebzehn nicht stimmenden Gemeinden, groesstenteils wohl
+eben die aeltesten, spaeter zurueckgestellten Glieder der albanischen
+Festgenossenschaft, teils eine Anzahl anderer untergegangener oder
+ausgestossener Bundesglieder, zu welchen letzteren vor allem der alte, auch von
+Plinius genannte Vorort Alba gehoert.
+</p>
+
+<p>
+^12 Allerdings berichtet Livius (4, 47), dass Labici im Jahre 336 (418) Kolonie
+geworden sei. Allein abgesehen davon, dass Diodor (13, 6) hierueber schweigt,
+kann Labici weder eine Buergerkolonie geworden sein, da die Stadt teils nicht
+an der Kueste lag, teils auch spaeter noch im Besitz der Autonomie erscheint,
+noch eine latinische, da es kein einziges zweites Beispiel einer im
+urspruenglichen Latium angelegten latinischen Kolonie gibt noch nach dem Wesen
+dieser Gruendungen geben kann. Hoechst wahrscheinlich ist hier wie anderswo, da
+zumal als verteiltes Ackermass zwei Iugera genannt werden, die gemeine Buerger-
+mit der kolonialen Assignation verwechselt worden.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Mit dieser Schliessung der Eidgenossenschaft haengt auch die geographische
+Fixierung des Umfanges von Latium zusammen. Solange die latinische
+Eidgenossenschaft noch offen war, hatte auch die Grenze von Latium mit der
+Anlage neuer Bundesstaedte sich vorgeschoben; aber wie die juengeren
+latinischen Kolonien keinen Anteil am Albaner Fest erhielten, galten sie auch
+geographisch nicht als Teil von Latium - darum werden wohl Ardea und Circeii,
+nicht aber Sutrium und Tarracina zur Landschaft Latium gerechnet.
+</p>
+
+<p>
+Aber nicht bloss wurden die nach 370 (384) mit latinischem Recht ausgestatteten
+Orte von der eidgenoessischen Gemeinschaft ferngehalten, sondern es wurden
+dieselben auch privatrechtlich insofern voneinander isoliert, als die Verkehrs-
+und wahrscheinlich auch die Ehegemeinschaft (commercium et conubium) einer
+jeden von diesen Gemeinden zwar mit der roemischen, nicht aber mit den uebrigen
+latinischen gestattet ward, so dass also zum Beispiel der Buerger von Sutrium
+wohl in Rom, aber nicht in Praeneste einen Acker zu vollem Eigentum besitzen
+und wohl von einer Roemerin, nicht aber von einer Tiburtinerin rechte Kinder
+gewinnen konnte ^13.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^13 Diese Beschraenkung der alten vollen latinischen Rechtsgemeinschaft
+begegnet zwar zuerst in der Vertragserneuerung von 416 (338) (Liv. 8, 14); da
+indes das Isolierungssystem, von dem dieselbe ein wesentlicher Teil ist, zuerst
+fuer die nach 370 (384) ausgefuehrten latinischen Kolonien begann und 416 (338)
+nur generalisiert ward, so war diese Neuerung hier zu erwaehnen.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Wenn ferner bisher innerhalb der Eidgenossenschaft eine ziemlich freie Bewegung
+gestattet worden war und zum Beispiel die sechs altlatinischen Gemeinden
+Aricia, Tusculum, Tibur, Lanuvium, Cora und Laurentum und die zwei
+neulatinischen Ardea und Suessa Pometia der aricinischen Diana ein Heiligtum
+gemeinschaftlich hatten stiften duerfen, so findet von aehnlichen der
+roemischen Hegemonie Gefahr drohenden Sonderkonfoederationen, ohne Zweifel
+nicht zufaellig, in spaeterer Zeit sich kein weiteres Beispiel.
+</p>
+
+<p>
+Ebenso wird man die weitere Umgestaltung der latinischen Gemeindeverfassungen
+und ihre voellige Ausgleichung mit der Verfassung Roms dieser Epoche
+zuschreiben duerfen; denn wenn als notwendiger Bestandteil der latinischen
+Magistratur neben den beiden Praetoren spaeterhin die beiden mit der Markt- und
+Strassenpolizei und der dazu gehoerigen Rechtspflege betrauten Aedilen
+erscheinen, so hat diese offenbar gleichzeitig und auf Anregung der fuehrenden
+Macht in allen Bundesgemeinden erfolgte Einsetzung staedtischer
+Polizeibehoerden sicher nicht vor der in das Jahr 387 (367) fallenden
+Einrichtung der kurulischen Aedilitaet in Rom, aber wahrscheinlich auch eben um
+diese Zeit stattgefunden. Ohne Zweifel war diese Anordnung nur das Glied einer
+Kette von bevormundenden und die bundesgenoessischen Gemeindeordnungen im
+polizeilich-aristokratischen Sinne umgestaltenden Massregeln.
+</p>
+
+<p>
+Offenbar fuehlte Rom nach dem Fall von Veii und der Eroberung des pomptinischen
+Gebietes sich maechtig genug, um die Zuegel der Hegemonie straffer anzuziehen
+und die saemtlichen latinischen Staedte in eine so abhaengige Stellung zu
+bringen, dass sie faktisch vollstaendig untertaenig wurden. In dieser Zeit (406
+348) verpflichteten sich die Karthager in dem mit Rom abgeschlossenen
+Handelsvertrag, den Latinern, die Rom botmaessig seien, namentlich den
+Seestaedten Ardea, Antium, Circeii, Tarracina, keinen Schaden zuzufuegen;
+wuerde aber eine der latinischen Staedte vom roemischen Buendnis abgefallen
+sein, so sollten die Phoeniker dieselbe angreifen duerfen, indes, wenn sie sie
+etwa erobern wuerden, gehalten sein, sie nicht zu schleifen, sondern sie den
+Roemern zu ueberliefern. Hier liegt es vor, durch welche Ketten die roemische
+Gemeinde ihre Schutzstaedte an sich band und was eine Stadt, die der
+einheimischen Schutzherrschaft sich entzog, dadurch einbuesste und wagte.
+</p>
+
+<p>
+Zwar blieb auch jetzt noch wenn nicht der hernikischen, doch wenigstens der
+latinischen Eidgenossenschaft ihr formelles Anrecht auf den dritten Teil von
+Kriegsgewinn und wohl noch mancher andere Ueberrest der ehemaligen
+Rechtsgleichheit; aber was nachweislich verloren ging, war wichtig genug, um
+die Erbitterung begreiflich zu machen, welche in dieser Zeit unter den Latinern
+gegen Rom herrschte. Nicht bloss fochten ueberall, wo Heere gegen Rom im Felde
+standen, latinische Reislaeufer zahlreich unter der fremden Fahne gegen ihre
+fuehrende Gemeinde; sondern im Jahre 405 (349) beschloss sogar die latinische
+Bundesversammlung, den Roemern den Zuzug zu verweigern. Allen Anzeichen nach
+stand eine abermalige Schilderhebung der gesamten latinischen
+Bundesgenossenschaft in nicht ferner Zeit bevor; und eben jetzt drohte ein
+Zusammenstoss mit einer anderen italischen Nation, die wohl imstande war, der
+vereinigten Macht des latinischen Stammes ebenbuertig zu begegnen. Nach der
+Niederwerfung der noerdlichen Volsker stand den Roemern im Sueden zunaechst
+kein bedeutender Gegner gegenueber; unaufhaltsam naeherten ihre Legionen sich
+dem Liris. Im Jahre 397 (357) ward gluecklich gekaempft mit den Privernaten,
+409 (345) Sora am oberen Liris besetzt. Schon standen also die roemischen Heere
+an der Grenze der Samniten, und das Freundschaftsbuendnis, das im Jahre 400
+(354) die beiden tapfersten und maechtigsten italischen Nationen miteinander
+schlossen, war das sichere Vorzeichen des herannahenden und mit der Krise
+innerhalb der latinischen Nation in drohender Weise sich verschlingenden
+Kampfes um die Oberherrschaft Italiens.
+</p>
+
+<p>
+Die samnitische Nation, die, als man in Rom die Tarquinier austrieb, ohne
+Zweifel schon seit laengerer Zeit im Besitz des zwischen der apulischen und der
+kampanischen Ebene aufsteigenden und beide beherrschenden Huegellandes gewesen
+war, war bisher auf der einen Seite durch die Daunier - Arpis Macht und Bluete
+faellt in diese Zeit -, auf der andern durch die Griechen und Etrusker an
+weiterem Vordringen gehindert worden. Aber der Sturz der etruskischen Macht um
+das Ende des dritten (450), das Sinken der griechischen Kolonien im Laufe des
+vierten Jahrhunderts (450-350) machten gegen Westen und Sueden ihnen Luft und
+ein samnitischer Schwarm nach dem andern zog jetzt bis an, ja ueber die
+sueditalischen Meere. Zuerst erschienen sie in der Ebene am Golf, wo der Name
+der Kampaner seit dem Anfang des vierten Jahrhunderts vernommen wird; die
+Etrusker wurden hier erdrueckt, die Griechen beschraenkt, jenen Capua (330
+424), diesen Kyme (334 420) entrissen. Um dieselbe Zeit, vielleicht schon
+frueher, zeigen sich in Grossgriechenland die Lucaner, die im Anfang des
+vierten Jahrhunderts mit Terinaeern und Thurinern im Kampf liegen und geraume
+Zeit vor 364 (390) in dem griechischen Laos sich festsetzten. Um diese Zeit
+betrug ihr Aufgebot 30000 Mann zu Fuss und 4000 Reiter. Gegen das Ende des
+vierten Jahrhunderts ist zuerst die Rede von der gesonderten Eidgenossenschaft
+der Brettier ^14, die, ungleich den andern sabellischen Staemmen, nicht als
+Kolonie, sondern im Kampf von den Lucanern sich losgemacht und mit vielen
+fremdartigen Elementen sich gemischt hatten. Wohl suchten die unteritalischen
+Griechen sich des Andranges der Barbaren zu erwehren; der Achaeische
+Staedtebund ward 361 (393) rekonstituiert und festgesetzt, dass, wenn eine der
+verbuendeten Staedte von Lucanern angegriffen werde, alle Zuzug leisten und die
+Fuehrer der ausbleibenden Heerhaufen Todesstrafe leiden sollten. Aber selbst
+die Einigung Grossgriechenlands half nicht mehr, da der Herr von Syrakus, der
+aeltere Dionysios, mit den Italikern gegen seine Landsleute gemeinschaftliche
+Sache machte. Waehrend Dionysios den grossgriechischen Flotten die Herrschaft
+ueber die italischen Meere entriss, ward von den Italikern eine Griechenstadt
+nach der andern besetzt oder vernichtet; in unglaublich kurzer Zeit war der
+bluehende Staedtering zerstoert oder veroedet. Nur wenigen griechischen Orten,
+wie zum Beispiel Neapel, gelang es muehsam und mehr durch Vertraege als durch
+Waffengewalt, wenigstens ihr Dasein und ihre Nationalitaet zu bewahren;
+durchaus unabhaengig und maechtig blieb allein Tarent, das durch seine
+entferntere Lage und durch seine in steten Kaempfen mit den Messapiern
+unterhaltene Schlagfertigkeit sich aufrecht hielt, wenngleich auch diese Stadt
+bestaendig mit den Lucanern um ihre Existenz zu fechten hatte und genoetigt
+war, in oder griechischen Heimat Buendnisse und Soeldner zu suchen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^14 Der Name selbst ist uralt, ja der aelteste einheimische Name der Bewohner
+des heutigen Kalabrien (Antiochos fr. 5 Mueller). Die bekannte Ableitung ist
+ohne Zweifel erfunden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Um die Zeit, wo Veii und die pomptinische Ebene roemisch wurden, hatten die
+samnitischen Scharen bereits ganz Unteritalien inne mit Ausnahme weniger und
+unter sich nicht zusammenhaengender griechischer Pflanzstaedte und der
+apulisch-messapischen Kueste. Die um 418 (336) abgefasste griechische
+Kuestenbeschreibung setzt die eigentlichen Samniten mit ihren &ldquo;fuenf
+Zungen&rdquo; von einem Meer zum andern an und am Tyrrhenischen neben sie in
+noerdlicher Richtung die Kampaner, in suedlicher die Lucaner, unter denen hier
+wie oefter die Brettier mitbegriffen sind und denen bereits die ganze Kueste
+von Paestum am Tyrrhenischen bis nach Thurii am Ionischen Meer zugeteilt wird.
+In der Tat, wer miteinander vergleicht, was die beiden grossen Nationen
+Italiens, die latinische und die samnitische, errungen hatten, bevor sie sich
+beruehrten, dem erscheint die Eroberungsbahn der letzteren bei weitem
+ausgedehnter und glaenzender als die der Roemer. Aber der Charakter der
+Eroberungen war ein wesentlich verschiedener. Von dem festen staedtischen
+Mittelpunkt aus, den Latium im Rom besass, dehnt die Herrschaft dieses Stammes
+langsam nach allen Seiten sich aus, zwar in verhaeltnismaessig engen Grenzen,
+aber festen Fuss fassend, wo sie hintritt, teils durch Gruendung von
+befestigten Staedten roemischer Art mit abhaengigem Bundesrecht, teils durch
+Romanisierung des eroberten Gebiets. Anders in Samnium. Es gibt hier keine
+einzelne fuehrende Gemeinde und darum auch keine Eroberungspolitik. Waehrend
+die Eroberung des veientischen und pomptinischen Gebietes fuer Rom eine
+wirkliche Machterweiterung war, wurde Samnium durch die Entstehung der
+kampanischen Staedte, der lucanischen, der brettischen Eidgenossenschaft eher
+geschwaecht als gestaerkt; denn jeder Schwarm, der neue Sitze gesucht und
+gefunden hatte, ging fortan fuer sich seine Wege. Die samnitischen Scharen
+erfuellen einen unverhaeltnismaessig weiten Raum, den sie ganz sich eigen zu
+machen keineswegs bedacht sind; die groesseren Griechenstaedte, Tarent, Thurii,
+Kroton, Metapont, Herakleia, Rhegion, Neapel, wenngleich geschwaecht und
+oefters abhaengig, bestehen fort, ja selbst auf dem platten Lande und in den
+kleineren Staedten werden die Hellenen geduldet, und Kyme zum Beispiel,
+Poseidonia, Laos, Hipponion blieben, wie die erwaehnte Kuestenbeschreibung und
+die Muenzen lehren, auch unter samnitischer Herrschaft noch Griechenstaedte. So
+entstanden gemischte Bevoelkerungen, wie denn namentlich die zwiesprachigen
+Brettier ausser samnitischen auch hellenische Elemente und selbst wohl
+Ueberreste der alten Autochthonen in sich aufnahmen; aber auch in Lucanien und
+Kampanien muessen in minderem Grade aehnliche Mischungen stattgefunden haben.
+Dem gefaehrlichen Zauber der hellenischen Kultur konnte auch die samnitische
+Nation sich nicht entziehen, am wenigsten in Kampanien, wo Neapel frueh mit den
+Einwanderern sich auf freundlichen Verkehr stellte und wo der Himmel selbst die
+Barbaren humanisierte. Nola, Nuceria, Teanum, obwohl rein samnitischer
+Bevoelkerung, nahmen griechische Weise und griechische Stadtverfassung an, wie
+denn auch die heimische Gauverfassung unter den veraenderten Verhaeltnissen
+unmoeglich fortbestehen konnte. Die kampanischen Samnitenstaedte begannen
+Muenzen zu schlagen, zum Teil mit griechischer Aufschrift; Capua ward durch
+Handel und Ackerbau der Groesse nach die zweite Stadt Italiens, die erste an
+Ueppigkeit und Reichtum. Die tiefe Entsittlichung, worin den Berichten der
+Alten zufolge diese Stadt es allen uebrigen italischen zuvorgetan hat, spiegelt
+sich namentlich in dem Werbewesen und in den Fechterspielen, die beide vor
+allem in Capua zur Bluete gelangt sind. Nirgends fanden die Werber so
+zahlreichen Zulauf wie in dieser Metropole der entsittlichten Zivilisation;
+waehrend Capua selbst sich vor den Angriffen der nachdraengenden Samniten nicht
+zu bergen wusste, stroemte die streitbare kampanische Jugend unter
+selbstgewaehlten Condottieren massenweise namentlich nach Sizilien. Wie tief
+diese Landknechtfahrten in die Geschicke Italiens eingriffen, wird spaeter noch
+darzustellen sein; fuer die kampanische Weise sind sie ebenso bezeichnend wie
+die Fechterspiele, die gleichfalls in Capua zwar nicht ihre Entstehung, aber
+ihre Ausbildung empfingen. Hier traten sogar waehrend des Gastmahls
+Fechterpaare auf und ward deren Zahl je nach dem Rang der geladenen Gaeste
+abgemessen. Diese Entartung der bedeutendsten samnitischen Stadt, die wohl ohne
+Zweifel auch mit dem hier noch nachwirkenden etruskischen Wesen eng
+zusammenhaengt, musste fuer die ganze Nation verhaengnisvoll werden; wenn auch
+der kampanische Adel es verstand, mit dem tiefsten Sittenverfall ritterliche
+Tapferkeit und hohe Geistesbildung zu verbinden, so konnte er doch fuer seine
+Nation nimmermehr werden, was die roemische Nobilitaet fuer die latinische war.
+Aehnlich wie auf die Kampaner, wenn auch in minderer Staerke, wirkte der
+hellenische Einfluss auf die Lucaner und Brettier. Die Graeberfunde in all
+diesen Gegenden beweisen, wie die griechische Kunst daselbst mit barbarischem
+Luxus gepflegt ward; der reiche Gold- und Bernsteinschmuck, das prachtvolle
+gemalte Geschirr, wie wir sie jetzt den Haeusern der Toten entheben, lassen
+ahnen, wie weit man hier schon sich entfernt hatte von der alten Sitte der
+Vaeter. Andere Spuren bewahrt die Schrift; die altnationale aus dem Norden
+mitgebrachte ward von den Lucanern und Brettiern aufgegeben und mit der
+griechischen vertauscht, waehrend in Kampanien das nationale Alphabet und wohl
+auch die Sprache unter dem bildenden Einfluss der griechischen sich
+selbstaendig entwickelte zu groesserer Klarheit und Feinheit. Es begegnen sogar
+einzelne Spuren des Einflusses griechischer Philosophie.
+</p>
+
+<p>
+Nur das eigentliche Samnitenland blieb unberuehrt von diesen Neuerungen, die,
+so schoen und natuerlich sie teilweise sein mochten, doch maechtig dazu
+beitrugen, das von Haus aus schon lose Band der nationalen Einheit immer mehr
+zu lockern. Durch den Einfluss des hellenischen Wesens kam ein tiefer Riss in
+den samnitischen Stamm. Die gesitteten &ldquo;Philhellenen&rdquo; Kampaniens
+gewoehnten sich, gleich den Hellenen selbst, vor den rauheren Staemmen der
+Berge zu zittern, die ihrerseits nicht aufhoerten, in Kampanien einzudringen
+und die entarteten aelteren Ansiedler zu beunruhigen. Rom war ein geschlossener
+Staat, der ueber die Kraft von ganz Latium verfuegte; die Untertanen mochten
+murren, aber sie gehorchten. Der samnitische Stamm war zerfahren und
+zersplittert, und die Eidgenossenschaft im eigentlichen Samnium hatte sich zwar
+die Sitten und die Tapferkeit der Vaeter ungeschmaelert bewahrt, war aber auch
+darueber mit den uebrigen samnitischen Voelker- und Buergerschaften voellig
+zerfallen.
+</p>
+
+<p>
+In der Tat war es dieser Zwist zwischen den Samniten der Ebene und den Samniten
+der Gebirge, der die Roemer ueber den Liris fuehrte. Die Sidiciner in Teanum,
+die Kampaner in Capua suchten gegen die eigenen Landsleute, die mit immer neuen
+Schwaermen ihr Gebiet brandschatzten und darin sich festzusetzen drohten, Hilfe
+bei den Roemern (411 343). Als das begehrte Buendnis verweigert ward, bot die
+kampanische Gesandtschaft die Unterwerfung der Stadt unter die Oberherrlichkeit
+Roms an, und solcher Lockung vermochten die Roemer nicht zu widerstehen.
+Roemische Gesandte gingen zu den Samniten, ihnen den neuen Erwerb anzuzeigen
+und sie aufzufordern, das Gebiet der befreundeten Macht zu respektieren. Wie
+die Ereignisse weiter verliefen, ist im einzelnen nicht mehr zu ermitteln ^15;
+wir sehen nur, dass zwischen Rom und Samnium, sei es nach einem Feldzug, sei es
+ohne vorhergehenden Krieg, ein Abkommen zustande kam, wodurch die Roemer freie
+Hand erhielten gegen Capua, die Samniten gegen Teanum und die Volsker am oberen
+Liris. Dass die Samniten sich dazu verstanden, erklaert sich aus den gewaltigen
+Anstrengungen, die eben um diese Zeit die Tarentiner machten, sich der
+sabellischen Nachbarn zu entledigen; aber auch die Roemer hatten guten Grund,
+sich mit den Samniten so schnell wie moeglich abzufinden, denn der
+bevorstehende Uebergang der suedlich an Latium angrenzenden Landschaft in
+roemischen Besitz verwandelte die laengst unter den Latinern bestehende Gaerung
+in offene Empoerung. Alle urspruenglich latinischen Staedte, selbst die in den
+roemischen Buergerverband aufgenommenen Tusculaner ergriffen die Waffen gegen
+Rom, mit einziger Ausnahme der Laurenter, waehrend dagegen von den ausserhalb
+der Grenzen Latiums gegruendeten Kolonien nur die alten Volskerstaedte
+Velitrae, Antium und Tarracina sich an der Auflehnung beteiligten. Dass die
+Capuaner, ungeachtet der eben erst freiwillig den Roemern angetragenen
+Unterwerfung, dennoch die erste Gelegenheit, der roemischen Herrschaft wieder
+ledig zu werden, bereitwillig ergriffen und, trotz des Widerstandes der an dem
+Vertrag mit Rom festhaltenden Optimatenpartei, die Gemeinde gemeinschaftliche
+Sache mit der latinischen Eidgenossenschaft machte, ist erklaerlich; wogegen
+die noch selbstaendigen Volskerstaedte, wie Fundi und Formiae, und die Herniker
+sich gleich der kampanischen Aristokratie an diesem Aufstande nicht
+beteiligten. Die Lage der Roemer war bedenklich; die Legionen, die ueber den
+Liris gegangen waren und Kampanien besetzt hatten, waren durch den Aufstand der
+Latiner von der Heimat abgeschnitten und nur ein Sieg konnte sie retten. Bei
+Trifanum (zwischen Minturnae, Suessa und Sinuessa) ward die entscheidende
+Schlacht geliefert (414 340): der Konsul Titus Manlius Imperiosus Torquatus
+erfocht ueber die vereinigten Latiner und Kampaner einen vollstaendigen Sieg.
+In den beiden folgenden Jahren wurden die einzelnen Staedte, soweit sie noch
+Widerstand leisteten, durch Kapitulation oder Sturm bezwungen und die ganze
+Landschaft zur Unterwerfung gebracht.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^15 Vielleicht kein Abschnitt der roemischen Annalen ist aerger entstellt als
+die Erzaehlung des ersten samnitisch-latinischen Krieges, wie sie bei Livius,
+Dionysios, Appian steht oder stand. Sie lautet etwa folgendermassen. Nachdem
+411 (343) beide Konsuln in Kampanien eingerueckt waren, erfocht zuerst der
+Konsul Marcus Valerius Corvus am Berge Gaurus ueber die Samniten einen schweren
+und blutigen Sieg; alsdann auch der Kollege Aulus Cornelius Cossus, nachdem er
+der Vernichtung in einem Engpass durch Hingebung einer von dem Kriegstribun
+Publius Decius gefuehrten Abteilung entgangen war. Die dritte und entscheidende
+Schlacht ward am Eingang der Caudinischen Paesse bei Suessula von den beiden
+Konsuln geschlagen; die Samniten wurden vollstaendig ueberwunden - man las
+vierzigtausend ihrer Schilde auf dem Schlachtfelde auf - und zum Frieden
+genoetigt, in welchem die Roemer Capua, das sich ihnen zu eigen gegeben,
+behielten, Teanum dagegen den Samniten ueberliessen (413 341). Glueckwuensche
+kamen von allen Seiten, selbst von Karthago. Die Latiner, die den Zuzug
+verweigert hatten und gegen Rom zu ruesten schienen, wandten ihre Waffen statt
+gegen Rom vielmehr gegen die Paeligner, waehrend die Roemer zunaechst durch
+eine Militaerverschwoerung der in Kampanien zurueckgelassenen Besatzung (412
+342), dann durch die Einnahme von Privernum (413 341) und den Krieg gegen die
+Antiaten beschaeftigt waren. Nun aber wechseln ploetzlich und seltsam die
+Parteiverhaeltnisse. Die Latiner, die umsonst das roemische Buergerrecht und
+Anteil am Konsulat gefordert hatten, erhoben sich gegen Rom in Gemeinschaft mit
+den Sidicinern, die vergeblich den Roemern die Unterwerfung angetragen hatten
+und vor den Samniten sich nicht zu retten wussten, und mit den Kampanern, die
+der roemischen Herrschaft bereits muede waren. Nur die Laurenter in Latium und
+die kampanischen Ritter hielten zu den Roemern, welche ihrerseits
+Unterstuetzung fanden bei den Paelignern und den Samniten. Das latinische Heer
+ueberfiel Samnium; das roemisch-samnitische schlug, nachdem es an den Fuciner
+See und von da an Latium vorueber in Kampanien einmarschiert war, die
+Entscheidungsschlacht gegen die vereinigten Latiner und Kampaner am Vesuv,
+welche der Konsul Titus Manlius Imperiosus, nachdem er selbst durch die
+Hinrichtung seines eigenen, gegen den Lagerbefehl siegenden Sohnes die
+schwankende Heereszucht wiederhergestellt und sein Kollege Publius Decius Mus
+die Goetter versoehnt hatte durch seinen Opfertod, endlich mit Aufbietung der
+letzten Reserve gewann. Aber erst eine zweite Schlacht, die der Konsul Manlius
+den Latinern und Kampanern bei Trifanum lieferte, machte dem Krieg ein Ende;
+Latium und Capua unterwarfen sich und wurden um einen Teil ihres Gebietes
+gestraft.
+</p>
+
+<p>
+Einsichtigen und ehrlichen Lesern wird es nicht entgehen, dass dieser Bericht
+von Unmoeglichkeiten aller Art wimmelt. Dahin gehoert das Kriegfuehren der
+Antiaten nach der Dedition von 377 (377) (Liv. 6, 33); der selbstaendige
+Feldzug der Latiner gegen die Paeligner im schneidenden Widerspruch zu den
+Bestimmungen der Vertraege zwischen Rom und Latium; der unerhoerte Marsch des
+roemischen Heeres durch das marsische und samnitische Gebiet nach Capua,
+waehrend ganz Latium gegen Rom in Waffen stand; um nicht zu reden von dem
+ebenso verwirrten wie sentimentalen Bericht ueber den Militaeraufstand von 412
+(342) und den Geschichtchen von dem gezwungenen Anfuehrer desselben, dem lahmen
+Titus Quinctius, dem roemischen Goetz von Berlichingen. Vielleicht noch
+bedenklicher sind die Wiederholungen; so ist die Erzaehlung von dem
+Kriegstribun Publius Decius nachgebildet der mutigen Tat des Marcus Calpurnius
+Flamma, oder wie er sonst hiess, im Ersten Punischen Kriege; so kehrt die
+Eroberung Privernums durch Gaius Plautius wieder im Jahre 425 (329), und nur
+diese zweite ist in den Triumphalfasten verzeichnet; so der Opfertod des
+Publius Decius bekanntlich bei dem Sohne desselben 459 (295). Ueberhaupt
+verraet in diesem Abschnitt die ganze Darstellung eine andere Zeit und eine
+andere Hand als die sonstigen glaubwuerdigeren annalistischen Berichte; die
+Erzaehlung ist voll von ausgefuehrten Schlachtgemaelden; von eingewebten
+Anekdoten, wie zum Beispiel der von dem setinischen Praetor, der auf den Stufen
+des Rathauses den Hals bricht, weil er dreist genug gewesen war, das Konsulat
+zu begehren, und den mannigfaltigen aus dem Beinamen des Titus Manlius
+herausgesponnenen; von ausfuehrlichen und zum Teil bedenklichen
+archaeologischen Digressionen, wohin zum Beispiel die Geschichte der Legion
+(von der die hoechst wahrscheinlich apokryphe Notiz ueber die aus Roemern und
+Latinern gemischten Manipel des zweiten Tarquinius bei Liv. 1, 52 offenbar ein
+zweites Bruchstueck ist), die verkehrte Auffassung des Vertrages zwischen Capua
+und Rom (meine Geschichte des roemischen Muenzwesens. Breslau 1860, S. 334, A.
+122), die Devotionsformulare, der kampanische Denar, das laurentische Buendnis,
+die bina iugera bei der Assignation gehoeren. Unter solchen Umstaenden
+erscheint es von grossem Gewicht, dass Diodoros, der anderen und oft aelteren
+Berichten folgt, von all diesen Ereignissen schlechterdings nichts kennt als
+die letzte Schlacht bei Trifanum; welche auch in der Tat schlecht passt zu der
+uebrigen Erzaehlung, die nach poetischer Gerechtigkeit schliessen sollte mit
+dem Tode des Decius.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die Folge des Sieges war die Aufloesung des latinischen Bundes. Derselbe wurde
+aus einer selbstaendigen politischen Konfoederation in eine bloss religioese
+Festgenossenschaft umgewandelt; die altverbrieften Rechte der Eidgenossenschaft
+auf ein Maximum der Truppenaushebung und einen Anteil an dem Kriegsgewinn
+gingen damit als solche zu Grunde, und was derart spaeter noch vorkam, traegt
+den Charakter der Gnadenbewilligung. An die Stelle des einen Vertrages zwischen
+Rom einer- und der latinischen Eidgenossenschaft anderseits traten im besten
+Fall ewige Buendnisse zwischen Rom und den einzelnen eidgenoessischen Orten. Zu
+diesem Vertragsverhaeltnis wurden von den altlatinischen Orten ausser Laurentum
+auch Tibur und Praeneste zugelassen, welche indes Stuecke ihres Gebiets an Rom
+abtreten mussten. Gleiches Recht erhielten die ausserhalb Latium gegruendeten
+Gemeinden latinischen Rechts, soweit sie sich nicht an dem Kriege beteiligt
+hatten. Die Isolierung der Gemeinden gegeneinander, welche fuer die nach dem
+Jahre 370 (384) gegruendeten Orte bereits frueher festgestellt worden war, ward
+also auf die gesamte Nation erstreckt. Im uebrigen blieben den einzelnen Orten
+die bisherigen Gerechtsame und ihre Autonomie. Die uebrigen altlatinischen
+Gemeinden sowie die abgefallenen Kolonien verloren saemtlich die
+Selbstaendigkeit und traten in einer oder der anderen Form in den roemischen
+Buergerverband ein. Die beiden wichtigsten Kuestenstaedte Antium (416 338) und
+Tarracina (425 329) wurden, nach dem Muster von Ostia, mit roemischen
+Vollbuergern besetzt und auf eine engbegrenzte kommunale Selbstaendigkeit
+beschraenkt, die bisherigen Buerger zu Gunsten der roemischen Kolonisten ihres
+Grundeigentums grossenteils beraubt und, soweit sie es behielten, ebenfalls in
+den Vollbuergerverband aufgenommen. Lanuvium, Aricia, Nomentum, Pedum wurden
+roemische Buergergemeinden mit beschraenkter Selbstverwaltung nach dem Muster
+von Tusculum (l, 360). Velitraes Mauern wurden niedergerissen, der Senat in
+Masse ausgewiesen und im roemischen Etrurien interniert, die Stadt
+wahrscheinlich als untertaenige Gemeinde nach caeritischem Recht konstituiert.
+Von dem gewonnenen Acker wurde ein Teil, zum Beispiel die Laendereien der
+veliternischen Ratsmitglieder, an roemische Buerger verteilt; mit diesen
+Einzelassignationen haengt die Errichtung zweier neuer Buergerbezirke im Jahre
+422 (332) zusammen. Wie tief man in Rom die ungeheure Bedeutung des gewonnenen
+Erfolges empfand, zeigt die Ehrensaeule, die man dem siegreichen Buergermeister
+des Jahres 416 (338), Gaius Maenius, auf dem roemischen Markte errichtete, und
+die Schmueckung der Rednertribuene auf demselben mit den Schnaebeln der
+unbrauchbar befundenen antiatischen Galeeren.
+</p>
+
+<p>
+In gleicher Weise ward in dem suedlichen volskischen und dem kampanischen
+Gebiet die roemische Herrschaft durchgefuehrt und befestigt. Fundi, Formiae,
+Capua, Kyme und eine Anzahl kleinerer Staedte wurden abhaengige roemische
+Gemeinden mit Selbstverwaltung; um das vor allem wichtige Capua zu sichern,
+erweiterte man kuenstlich die Spaltung zwischen Adel und Gemeinde, revidierte
+die Gemeindeverfassung im roemischen Interesse und kontrollierte die
+staedtische Verwaltung durch jaehrlich nach Kampanien gesandte roemische
+Beamte. Dieselbe Behandlung widerfuhr einige Jahre darauf dem volskischen
+Privernum, dessen Buerger, unterstuetzt von dem kuehnen fundanischen
+Parteigaenger Vitruvius Vaccus, die Ehre hatten, fuer die Freiheit dieser
+Landschaft den letzten Kampf zu kaempfen - er endigte mit der Erstuermung der
+Stadt (425 329) und der Hinrichtung des Vaccus im roemischen Kerker. Um eine
+eigene roemische Bevoelkerung in diesen Gegenden emporzubringen, teilte man von
+den im Krieg gewonnenen Laendereien, namentlich im privernatischen und im
+falernischen Gebiet, so zahlreiche Ackerlose an roemische Buerger aus, dass
+wenige Jahre nachher (436 318) auch dort zwei neue Buergerbezirke errichtet
+werden konnten. Die Anlegung zweier Festungen als Kolonien latinischen Rechts
+sicherte schliesslich das neu gewonnene Land. Es waren dies Cales (420 334)
+mitten in der kampanischen Ebene, von wo aus Teanum und Capua beobachtet werden
+konnten, und Fregellae (426 328), das den Uebergang ueber den Liris
+beherrschte. Beide Kolonien waren ungewoehnlich stark und gelangten schnell zur
+Bluete, trotz der Hindernisse, welche die Sidiciner der Gruendung von Cales,
+die Samniten der von Fregellae in den Weg legten. Auch nach Sora ward eine
+roemische Besatzung verlegt, worueber die Samniten, denen dieser Bezirk
+vertragsmaessig ueberlassen worden war, sich mit Grund, aber vergeblich
+beschwerten. Ungeirrt ging Rom seinem Ziel entgegen, seine energische und
+grossartige Staatskunst mehr als auf dem Schlachtfelde offenbarend in der
+Sicherung der gewonnenen Landschaft, die es politisch und militaerisch mit
+einem unzerreissbaren Netze umflocht.
+</p>
+
+<p>
+Dass die Samniten das bedrohliche Vorschreiten der Roemer nicht gern sahen,
+versteht sich; sie warfen ihnen auch wohl Hindernisse in den Weg, aber
+versaeumten es doch jetzt, wo es vielleicht noch Zeit war, mit der von den
+Umstaenden geforderten Energie ihnen die neue Eroberungsbahn zu verlegen. Zwar
+Teanum scheinen sie nach dem Vertrag mit Rom eingenommen und stark besetzt zu
+haben; denn waehrend die Stadt frueher Hilfe gegen Samnium in Capua und Rom
+nachsucht, erscheint sie in den spaeteren Kaempfen als die Vormauer der
+samnitischen Macht gegen Westen. Aber am oberen Liris breiteten sie wohl
+erobernd und zerstoerend sich aus, versaeumten es aber, hier auf die Dauer sich
+festzusetzen. So zerstoerten sie die Volskerstadt Fregellae, wodurch nur die
+Anlage der eben erwaehnten roemischen Kolonie daselbst erleichtert ward, und
+schreckten zwei andere Volskerstaedte, Fabrateria (Ceccano) und Luca
+(unbekannter Lage), so, dass dieselben, Capuas Beispiel folgend, sich (424 330)
+den Roemern zu eigen gaben. Die samnitische Eidgenossenschaft gestattete, dass
+die roemische Eroberung Kampaniens eine vollendete Tatsache geworden war, bevor
+sie sich ernstlich derselben widersetzte; wovon der Grund allerdings zum Teil
+in den gleichzeitigen Fehden der samnitischen Nation mit den italischen
+Hellenen, aber zum Teil doch auch in der schlaffen und zerfahrenen Politik der
+Eidgenossenschaft zu suchen ist.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap06"></a>KAPITEL VI.<br/>
+Die Italiker gegen Rom</h2>
+
+<p>
+Waehrend die Roemer am Liris und Volturnus fochten, bewegten den Suedosten der
+Halbinsel andere Kaempfe. Die reiche tarentinische Kaufmannsrepublik, immer
+ernstlicher bedroht von den lucanischen und messapischen Haufen und ihren
+eigenen Schwertern mit Recht misstrauend, gewann fuer gute Worte und besseres
+Geld die Bandenfuehrer der Heimat. Der Spartanerkoenig Archidamos, der mit
+einem starken Haufen den Stammgenossen zu Hilfe gekommen war, erlag an
+demselben Tage, wo Philipp bei Chaeroneia siegte, den Lucanern (416 338); wie
+die frommen Griechen meinten, zur Strafe dafuer, dass er und seine Leute
+neunzehn Jahre frueher teilgenommen hatten an der Pluenderung des delphischen
+Heiligtums. Seinen Platz nahm ein maechtigerer Feldhauptmann ein, Alexander der
+Molosser, Bruder der Olympias, der Mutter Alexanders des Grossen. Mit den
+mitgebrachten Scharen vereinigte er unter seinen Fahnen die Zuzuege der
+Griechenstaedte, namentlich der Tarentiner und Metapontiner; ferner die
+Poediculer (um Rubi, jetzt Ruvo), die gleich den Griechen sich von der
+sabellischen Nation bedroht sahen; endlich sogar die lucanischen Verbannten
+selbst, deren betraechtliche Zahl auf heftige innere Unruhen in dieser
+Eidgenossenschaft schliessen laesst. So sah er sich bald dem Feinde ueberlegen.
+Consentia (Cosenza), der Bundessitz, wie es scheint, der in Grossgriechenland
+angesiedelten Sabeller, fiel in seine Haende. Umsonst kommen die Samniten den
+Lucanern zu Hilfe; Alexander schlaegt ihre vereinigte Streitmacht bei Paestum,
+er bezwingt die Daunier um Sipontum, die Messapier auf der suedoestlichen
+Halbinsel; schon gebietet er von Meer zu Meer und ist im Begriff, den Roemern
+die Hand zu reichen und mit ihnen gemeinschaftlich die Samniten in ihren
+Stammsitzen anzugreifen. Aber so unerwartete Erfolge waren den Tarentiner
+Kaufleuten unerwuenscht und erschreckend; es kam zum Kriege zwischen ihnen und
+ihrem Feldhauptmann, der als gedungener Soeldner erschienen war und nun sich
+anliess, als wolle er im Westen ein hellenisches Reich begruenden gleichwie
+sein Neffe im Osten. Alexander war anfangs im Vorteil: er entriss den
+Tarentinern Herakleia, stellte Thurii wieder her und scheint die uebrigen
+italischen Griechen aufgerufen zu haben, sich unter seinem Schutz gegen die
+Tarentiner zu vereinigen, indem er zugleich es versuchte, zwischen ihnen und
+den sabellischen Voelkerschaften den Frieden zu vermitteln. Allein seine
+grossartigen Entwuerfe fanden nur schwache Unterstuetzung bei den entarteten
+und entmutigten Griechen und der notgedrungene Parteiwechsel entfremdete ihm
+seinen bisherigen lucanischen Anhang; bei Pandosia fiel er von der Hand eines
+lucanischen Emigrierten (422 332) ^1. Mit seinem Tode kehrten im wesentlichen
+die alten Zustaende wieder zurueck. Die griechischen Staedte sahen sich
+wiederum vereinzelt und wiederum lediglich darauf angewiesen, sich jede, so gut
+es gehen mochte, zu schuetzen durch Vertrag oder Tributzahlung oder auch durch
+auswaertige Hilfe, wie zum Beispiel Kroton um 430 (324) mit Hilfe von Syrakus
+die Brettier zurueckschlug. Die samnitischen Staemme erhielten aufs neue das
+Uebergewicht und konnten, unbekuemmert um die Griechen, wieder ihre Blicke nach
+Kampanien und Latium wenden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Es wird nicht ueberfluessig sein, daran zu erinnern, dass, was ueber
+Archidamos und Alexander bekannt ist, aus griechischen Jahrbuechern herruehrt
+und der Synchronismus dieser und der roemischen fuer die gegenwaertige Epoche
+noch bloss approximativ festgestellt ist. Man huete sich daher, den im
+allgemeinen unverkennbaren Zusammenhang der west- und der ostitalischen
+Ereignisse zu sehr ins einzelne verfolgen zu wollen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Hier aber war in der kurzen Zwischenzeit ein ungeheurer Umschwung eingetreten.
+Die latinische Eidgenossenschaft war gesprengt und zertruemmert, der letzte
+Widerstand der Volsker gebrochen, die kampanische Landschaft, die reichste und
+schoenste der Halbinsel, im unbestrittenen und wohlbefestigten Besitz der
+Roemer, die zweite Stadt Italiens in roemischer Klientel. Waehrend die Griechen
+und Samniten miteinander rangen, hatte Rom fast unbestritten sich zu einer
+Machtstellung emporgeschwungen, die zu erschuettern kein einzelnes Volk der
+Halbinsel die Mittel mehr besass und die alle zugleich mit roemischer
+Unterjochung bedrohte. Eine gemeinsame Anstrengung der jedes fuer sich Rom
+nicht gewachsenen Voelker konnte vielleicht die Ketten noch sprengen, ehe sie
+voellig sich befestigten; aber die Klarheit, der Mut, die Hingebung, wie eine
+solche Koalition unzaehliger, bisher grossenteils feindlich oder doch fremd
+sich gegenueberstehender Volks- und Stadtgemeinden sie erforderte, fanden sich
+nicht oder doch erst, als es bereits zu spaet war.
+</p>
+
+<p>
+Nach dem Sturz der etruskischen Macht, nach der Schwaechung der griechischen
+Republiken war naechst Rom unzweifelhaft die bedeutendste Macht in Italien die
+samnitische Eidgenossenschaft und zugleich diejenige, die von den roemischen
+Uebergriffen am naechsten und unmittelbarsten bedroht war. Ihr also kam es zu,
+in dem Kampf um die Freiheit und die Nationalitaet, den die Italiker gegen Rom
+zu fuehren hatten, die erste Stelle und die schwerste Last zu uebernehmen. Sie
+durfte rechnen auf den Beistand der kleinen sabellischen Voelkerschaften, der
+Vestiner, Frentaner, Marruciner und anderer kleinerer Gaue, die in baeuerlicher
+Abgeschiedenheit zwischen ihren Bergen wohnten, aber nicht taub waren, wenn der
+Aufruf eines verwandten Stammes sie mahnte, zur Verteidigung der gemeinsamen
+Gueter die Waffen zu ergreifen. Wichtiger waere der Beistand der kampanischen
+und grossgriechischen Hellenen, namentlich der Tarentiner, und der maechtigen
+Lucaner und Brettier gewesen; allein teils die Schlaffheit und Fahrigkeit der
+in Tarent herrschenden Demagogen und die Verwicklung der Stadt in die
+sizilischen Angelegenheiten, teils die innere Zerrissenheit der lucanischen
+Eidgenossenschaft, teils und vor allem die seit Jahrhunderten bestehende tiefe
+Verfehdung der unteritalischen Hellenen mit ihren lucanischen Bedraengern
+liessen kaum hoffen, dass Tarent und Lucanien gemeinschaftlich sich den
+Samniten anschliessen wuerden. Von den Sabinern und den Marsern als den
+naechsten und seit langem in friedlichem Verhaeltnis mit Rom lebenden Nachbarn
+der Roemer war wenig mehr zu erwarten als schlaffe Teilnahme oder Neutralitaet;
+die Apuler, die alten und erbitterten Gegner der Sabeller, waren die
+natuerlichen Verbuendeten der Roemer. Dass dagegen die fernen Etrusker, wenn
+ein erster Erfolg errungen war, dem Bunde sich anschliessen wuerden, liess sich
+erwarten, und selbst ein Aufstand in Latium und dem Volsker- und Hernikerland
+lag nicht ausser der Berechnung. Vor allen Dingen aber mussten die Samniten,
+die italischen Aetoler, in denen die nationale Kraft noch ungebrochen lebte,
+vertrauen auf die eigene Kraft, auf die Ausdauer im ungleichen Kampf, welche
+den uebrigen Voelkern Zeit gab zu edler Scham, zu gefasster Ueberlegung, zum
+Sammeln der Kraefte; ein einziger gluecklicher Erfolg konnte alsdann die
+Kriegs- und Aufruhrsflammen rings um Rom entzuenden. Die Geschichte darf dem
+edlen Volke das Zeugnis nicht versagen, dass es seine Pflicht begriffen und
+getan hat.
+</p>
+
+<p>
+Mehrere Jahre schon waehrte der Hader zwischen Rom und Samnium infolge der
+bestaendigen Uebergriffe, die die Roemer sich am Liris erlaubten und unter
+denen die Gruendung von Fregellae 426 (328) der letzte und wichtigste war. Zum
+Ausbruch des Kampfes aber gaben die Veranlassung die kampanischen Griechen.
+Seitdem Cumae und Capua roemisch geworden waren, lag den Roemern nichts so nahe
+wie die Unterwerfung der Griechenstadt Neapolis, die auch die griechischen
+Inseln im Golf beherrschte, innerhalb des roemischen Machtgebiets die einzige
+noch nicht unterworfene Stadt. Die Tarentiner und Samniten, unterrichtet von
+dem Plane der Roemer, sich der Stadt zu bemaechtigen, beschlossen, ihnen
+zuvorzukommen; und wenn die Tarentiner nicht sowohl zu fern als zu schlaff
+waren, um diesen Plan auszufuehren, so warfen die Samniten in der Tat eine
+starke Besatzung hinein. Sofort erklaerten die Roemer dem Namen nach den
+Neapoliten, in der Tat den Samniten den Krieg (427 327) und begannen die
+Belagerung von Neapolis. Nachdem dieselbe eine Weile gewaehrt hatte, wurden die
+kampanischen Griechen des gestoerten Handels und der fremden Besatzung muede;
+und die Roemer, deren ganzes Bestreben darauf gerichtet war, von der Koalition,
+deren Bildung bevorstand, die Staaten zweiten und dritten Ranges durch
+Sondervertraege fernzuhalten, beeilten sich, sowie sich die Griechen auf
+Unterhandlungen einliessen, ihnen die guenstigsten Bedingungen zu bieten: volle
+Rechtsgleichheit und Befreiung vom Landdienst, gleiches Buendnis und ewigen
+Frieden. Daraufhin ward, nachdem die Neapoliten sich der Besatzung durch List
+entledigt hatten, der Vertrag abgeschlossen (428 326).
+</p>
+
+<p>
+Im Anfang dieses Krieges hielten die sabellischen Staedte suedlich vom
+Volturnus, Nola, Nuceria, Herculaneum, Pompeii, es mit Samnium; allein teils
+ihre sehr ausgesetzte Lage, teils die Machinationen der Roemer, welche die
+optimatische Partei in diesen Staedten durch alle Hebel der List und des
+Eigennutzes auf ihre Seite zu ziehen versuchten und dabei an Capuas Vorgang
+einen maechtigen Fuersprecher fanden, bewirkten, dass diese Staedte nicht lange
+nach dem Fall von Neapolis sich entweder fuer Rom oder doch neutral erklaerten.
+</p>
+
+<p>
+Ein noch wichtigerer Erfolg gelang den Roemern in Lucanien. Das Volk war auch
+hier mit richtigem Instinkt fuer den Anschluss an die Samniten; da aber das
+Buendnis mit den Samniten auch Frieden mit Tarent nach sich zog und ein grosser
+Teil der regierenden Herren Lucaniens nicht gemeint war, die eintraeglichen
+Pluenderzuege einzustellen, so gelang es den Roemern, mit Lucanien ein Buendnis
+abzuschliessen, das unschaetzbar war, weil dadurch den Tarentinern zu schaffen
+gemacht wurde und also die ganze Macht Roms gegen Samnium verwendbar blieb.
+</p>
+
+<p>
+So stand Samnium nach allen Seiten hin allein; kaum dass einige der oestlichen
+Bergdistrikte ihm Zuzug sandten. Mit dem Jahre 428 (326) begann der Krieg im
+samnitischen Lande selbst; einige Staedte an der kampanischen Grenze, Rufrae
+(zwischen Venafrum und Teanum) und Allifae, wurden von den Roemern besetzt. In
+den folgenden Jahren durchzogen die roemischen Heere fechtend und pluendernd
+Samnium bis in das vestinische Gebiet hinein, ja bis nach Apulien, wo man sie
+mit offenen Armen empfing, ueberall im entschiedensten Vorteil. Der Mut der
+Samniten war gebrochen; sie sandten die roemischen Gefangenen zurueck und mit
+ihnen die Leiche des Fuehrers der Kriegspartei, Brutulus Papius, welcher den
+roemischen Henkern zuvorgekommen war, nachdem die samnitische Volksgemeinde
+beschlossen hatte, den Frieden von dem Feinde zu erbitten und durch die
+Auslieferung ihres tapfersten Feldherrn sich leidlichere Bedingungen zu
+erwirken. Aber als die demuetige, fast flehentliche Bitte bei der roemischen
+Volksgemeinde keine Erhoerung fand (432 322), ruesteten sich die Samniten unter
+ihrem neuen Feldherrn Gavius Pontius zur aeussersten und verzweifelten
+Gegenwehr. Das roemische Heer, das unter den beiden Konsuln des folgenden
+Jahres (433 321), Spurius Postumius und Titus Veturius, bei Calatia (zwischen
+Caserta und Maddaloni) gelagert war, erhielt die durch die Aussage zahlreicher
+Gefangenen bestaetigte Nachricht, dass die Samniten Luceria eng eingeschlossen
+haetten und die wichtige Stadt, an der der Besitz Apuliens hing, in grosser
+Gefahr schwebe. Eilig brach man auf. Wollte man zu rechter Zeit anlangen, so
+konnte kein anderer Weg eingeschlagen werden als mitten durch das feindliche
+Gebiet, da wo spaeter als Fortsetzung der Appischen Strasse die roemische
+Chaussee von Capua ueber Benevent nach Apulien angelegt ward. Dieser Weg
+fuehrte zwischen den heutigen Orten Arpaja und Montesarchio (Caudium) durch
+einen feuchten Wiesengrund, der rings von hohen und steilen Waldhuegeln
+umschlossen und nur durch tiefe Einschnitte beim Ein- und Austritt zugaenglich
+war. Hier hatten die Samniten verdeckt sich aufgestellt. Die Roemer, ohne
+Hindernis in das Tal eingetreten, fanden den Ausweg durch Verhaue gesperrt und
+stark besetzt; zurueckmarschierend erblickten sie den Eingang in aehnlicher
+Weise geschlossen und gleichzeitig kroenten die Bergraender rings im Kreise
+sich mit den samnitischen Kohorten. Zu spaet begriffen sie, dass sie sich durch
+eine Kriegslist hatten taeuschen lassen und dass die Samniten nicht bei Luceria
+sie erwarteten, sondern in dem verhaengnisvollen Pass von Caudium. Man schlug
+sich, aber ohne Hoffnung auf Erfolg und ohne ernstliches Ziel; das roemische
+Heer war gaenzlich unfaehig zu manoevrieren und ohne Kampf vollstaendig
+ueberwunden. Die roemischen Generale Boten die Kapitulation an. Nur toerichte
+Rhetorik laesst dem samnitischen Feldherrn die Wahl bloss zwischen Entlassung
+und Niedermetzelung der roemischen Armee; er konnte nichts Besseres tun als die
+angebotene Kapitulation annehmen und das feindliche Heer, die gesamte
+augenblicklich aktive Streitmacht der roemischen Gemeinde mit beiden
+hoechstkommandierenden Feldherren, gefangen machen; worauf ihm dann der Weg
+nach Kampanien und Latium offenstand und unter den damaligen Verhaeltnissen, wo
+die Volsker und Herniker und der groesste Teil der Latiner ihn mit offenen
+Armen empfangen haben wuerden, Roms politische Existenz ernstlich gefaehrdet
+war. Allein statt diesen Weg einzuschlagen und eine Militaerkonvention zu
+schliessen, dachte Gavius Pontius durch einen billigen Frieden gleich den
+ganzen Hader beendigen zu koennen; sei es, dass er die unverstaendige
+Friedenssehnsucht der Eidgenossen teilte, der das Jahr zuvor Brutulus Papius
+zum Opfer gefallen war, sei es, dass er nicht imstande war, der kriegsmueden
+Partei zu wehren, dass sie den beispiellosen Sieg ihm verdarb. Die gestellten
+Bedingungen waren maessig genug: Rom solle die vertragswidrig angelegten
+Festungen - Cales und Fregellae - schleifen und den gleichen Bund mit Samnium
+erneuern. Nachdem die roemischen Feldherren dieselben eingegangen waren und
+fuer die getreuliche Ausfuehrung sechshundert aus der Reiterei erlesene Geiseln
+gestellt, ueberdies ihr und ihrer saemtlichen Stabsoffiziere Eideswort dafuer
+verpfaendet hatten, wurde das roemische Heer entlassen, unverletzt, aber
+entehrt; denn das siegestrunkene samnitische Heer gewann es nicht ueber sich,
+den gehassten Feinden die schimpfliche Form der Waffenstreckung und des Abzuges
+unter dem Galgen durch zu erlassen.
+</p>
+
+<p>
+Allein der roemische Senat, unbekuemmert um den Eid der Offiziere und um das
+Schicksal der Geiseln, kassierte den Vertrag und begnuegte sich diejenigen, die
+ihn abgeschlossen hatten, als persoenlich fuer dessen Erfuellung verantwortlich
+dem Feinde auszuliefern. Es kann der unparteiischen Geschichte wenig darauf
+ankommen, ob die roemische Advokaten- und Pfaffenkasuistik hierbei den
+Buchstaben des Rechts gewahrt oder der Beschluss des roemischen Senats
+denselben verletzt hat; menschlich und politisch betrachtet trifft die Roemer
+hier kein Tadel. Es ist ziemlich gleichgueltig, ob nach formellem roemischen
+Staatsrecht der kommandierende General befugt oder nicht befugt war, ohne
+vorbehaltene Ratifikation der Buergerschaft Frieden zu schliessen; dem Geiste
+und der Uebung der Verfassung nach stand es vollkommen Fest, dass in Rom jeder
+nicht rein militaerische Staatsvertrag zur Kompetenz der buergerlichen Gewalten
+gehoerte und ein Feldherr, der ohne Auftrag von Rat und Buergerschaft Frieden
+schloss, mehr tat, als er tun durfte. Es war ein groesserer Fehler des
+samnitischen Feldherrn, den roemischen die Wahl zu stellen zwischen Rettung
+ihres Heeres und Ueberschreitung ihrer Vollmacht, als der roemischen, dass sie
+nicht die Seelengroesse hatten, die letztere Anmutung unbedingt
+zurueckzuweisen; und dass der roemische Senat einen solchen Vertrag verwarf,
+war recht und notwendig. Kein grosses Volk gibt, was es besitzt, anders hin als
+unter dem Druck der aeussersten Notwendigkeit; alle Abtretungsvertraege sind
+Anerkenntnisse einer solchen, nicht sittliche Verpflichtungen. Wenn jede Nation
+mit Recht ihre Ehre darein setzt, schimpfliche Vertraege mit den Waffen zu
+zerreissen, wie kann ihr dann die Ehre gebieten, an einem Vertrage gleich dem
+Caudinischen, zu dem ein ungluecklicher Feldherr moralisch genoetigt worden
+ist, geduldig festzuhalten, wenn die frische Schande brennt und die Kraft
+ungebrochen dasteht?
+</p>
+
+<p>
+So brachte der Friedensvertrag von Caudium nicht die Ruhe, die die
+Friedensenthusiasten in Samnium toerichterweise davon erhofft hatten, sondern
+nur Krieg und wieder Krieg, mit gesteigerter Erbitterung auf beiden Seiten
+durch die verscherzte Gelegenheit, das gebrochene feierliche Wort, die
+geschaendete Waffenehre, die preisgegebenen Kameraden. Die ausgelieferten
+roemischen Offiziere wurden von den Samniten nicht angenommen, teils weil sie
+zu gross dachten, um an diesen Ungluecklichen ihre Rache zu ueben, teils weil
+sie damit den Roemern wuerden zugestanden haben, dass das Buendnis nur die
+Schwoerenden verpflichtet habe, nicht den roemischen Staat. Hochherzig
+verschonten sie sogar die Geiseln, deren Leben nach Kriegsrecht verwirkt war,
+und wandten sich vielmehr sogleich zum Waffenkampf. Luceria ward von ihnen
+besetzt, Fregellae ueberfallen und erstuermt (434 320), bevor die Roemer die
+aufgeloeste Armee wieder reorganisiert hatten; was man haette erreichen
+koennen, wenn man den Vorteil nicht haette aus den Haenden fahren lassen, zeigt
+der Uebertritt der Satricaner ^2 zu den Samniten. Aber Rom war nur
+augenblicklich gelaehmt, nicht geschwaecht; voll Scham und Erbitterung bot man
+dort auf, was man an Mannschaft und Mitteln vermochte und stellte den
+erprobtesten, als Soldat wie als Feldherr gleich ausgezeichneten Fuehrer Lucius
+Papirius Cursor an die Spitze des neugebildeten Heeres. Dasselbe teilte sich;
+die eine Haelfte zog durch die Sabina und das adriatische Litoral vor Luceria,
+die andere ebendahin durch Samnium selbst, indem die letztere das samnitische
+Heer unter gluecklichen Gefechten vor sich her trieb. Man traf wieder zusammen
+unter den Mauern von Luceria, dessen Belagerung um so eifriger betrieben ward,
+als dort die roemischen Reiter gefangen sassen; die Apuler, namentlich die
+Arpaner, leisteten dabei den Roemern wichtigen Beistand, vorzueglich durch
+Beschaffung der Zufuhr. Nachdem die Samniten zum Entsatz der Stadt eine
+Schlacht geliefert und verloren hatten, ergab sich Luceria den Roemern (435
+319): Papirius genoss die doppelte Freude, die verlorengegebenen Kameraden zu
+befreien und der samnitischen Besatzung von Luceria die Galgen von Caudium zu
+vergelten. In den folgenden Jahren (435-437 319-317) ward der Krieg nicht so
+sehr in Samnium gefuehrt ^3 als in den benachbarten Landschaften. Zuerst
+zuechtigten die Roemer die samnitischen Verbuendeten in dem apulischen und
+frentanischen Gebiet und schlossen mit den apulischen Teanensern und den
+Canusinern neue Bundesvertraege ab. Gleichzeitig ward Satricum zur
+Botmaessigkeit zurueckgebracht und schwer fuer seinen Abfall bestraft. Alsdann
+zog der Krieg sich nach Kampanien, wo die Roemer die Grenzstadt gegen Samnium
+Saticula (vielleicht S. Agata de&rsquo; Goti) eroberten (438 316). Jetzt aber
+schien hier das Kriegsglueck sich wieder gegen sie wenden zu wollen. Die
+Samniten zogen die Nuceriner (438 316) und bald darauf die Nolaner auf ihre
+Seite; am oberen Liris vertrieben die Soraner selbst die roemische Besatzung
+(439 315); eine Erhebung der Ausonen bereitete sich vor und bedrohte das
+wichtige Cales; selbst in Capua regten sich lebhaft die antiroemisch Gesinnten.
+Ein samnitisches Heer rueckte in Kampanien ein und lagerte vor der Stadt, in
+der Hoffnung, durch seine Naehe der Nationalpartei das Uebergewicht zu geben
+(440 314). Allein Sora ward von den Roemern sofort angegriffen und, nachdem die
+samnitische Entsatzarmee geschlagen war (440 314), wieder genommen. Die
+Bewegungen unter den Ausonen wurden mit grausamer Strenge unterdrueckt, ehe der
+Aufstand recht zum Ausbruch kam, und gleichzeitig ein eigener Diktator ernannt,
+um die politischen Prozesse gegen die Fuehrer der samnitischen Partei in Capua
+einzuleiten und abzuurteilen, so dass die namhaftesten derselben, um dem
+roemischen Henker zu entgehen, freiwillig den Tod nahmen (440 314). Das
+samnitische Heer vor Capua ward geschlagen und zum Abzug aus Kampanien
+gezwungen; die Roemer, dem Feinde auf den Fersen folgend, ueberschritten den
+Matese und lagerten im Winter 440 (314) vor der Hauptstadt Samniums Bovianum.
+Nola war von den Verbuendeten preisgegeben; die Roemer waren einsichtig genug,
+durch den guenstigsten, dem neapolitanischen aehnlichen Bundesvertrag die Stadt
+fuer immer von der samnitischen Partei zu trennen (441 313). Fregellae, das
+seit der caudinischen Katastrophe in den Haenden der antiroemischen Partei und
+deren Hauptburg in der Landschaft am Liris gewesen war, fiel endlich auch, im
+achten Jahre nach der Einnahme durch die Samniten (441 313); zweihundert der
+Buerger, die vornehmsten der nationalen Partei, wurden nach Rom gefuehrt und
+dort zum warnenden Beispiel fuer die ueberall sich regenden Patrioten auf
+offenem Markte enthauptet.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^2 Es sind dies nicht die Einwohner von Satricum bei Antium, sondern die einer
+anderen volskischen, damals als roemische Buergergemeinde ohne Stimmrecht
+konstituierten Stadt bei Arpinum.
+</p>
+
+<p>
+^3 Dass zwischen den Roemern und Samniten 436, 437 (318, 317) ein foermlicher
+zweijaehriger Waffenstillstand bestanden habe, ist mehr als unwahrscheinlich.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Hiermit waren Apulien und Kampanien in den Haenden der Roemer. Zur endlichen
+Sicherstellung und bleibenden Beherrschung des eroberten Gebietes wurden in den
+Jahren 440 bis 442 (314 bis 312) in demselben eine Anzahl neuer Festungen
+gegruendet: Luceria in Apulien, wohin seiner isolierten und ausgesetzten Lage
+wegen eine halbe Legion als bleibende Besatzung gesandt ward, ferner Pontiae
+(die Ponzainseln) zur Sicherung der kampanischen Gewaesser, Saticula an der
+kampanisch-samnitischen Grenze als Vormauer gegen Samnium, endlich Interamna
+(bei Monte Cassino) und Suessa Aurunca (Sessa) auf der Strasse von Rom nach
+Capua. Besatzungen kamen ausserdem nach Caiatia (Cajazzo), Sora und anderen
+militaerisch wichtigen Plaetzen. Die grosse Militaerstrasse von Rom nach Capua,
+die der Zensor Appius Claudius 442 (312) chaussieren und den dazu
+erforderlichen Damm durch die Pontinischen Suempfe ziehen liess, vollendete die
+Sicherung Kampaniens. Immer vollstaendiger entwickelten sich die Absichten der
+Roemer; es galt die Unterwerfung Italiens, das durch das roemische Festungs-
+und Strassennetz von Jahr zu Jahr enger umstrickt ward. Von beiden Seiten schon
+waren die Samniten von den Roemern umsponnen; schon schnitt die Linie von Rom
+nach Luceria Nord- und Sueditalien voneinander ab, wie einst die Festungen
+Norba und Signia die Volsker und Aequer getrennt hatten; und wie damals auf die
+Herniker, stuetzte Rom sich jetzt auf die Arpaner. Die Italiker mussten
+erkennen, dass es um ihrer aller Freiheit geschehen war, wenn Samnium unterlag,
+und dass es die allerhoechste Zeit war, dem tapferen Bergvolk, das nun schon
+fuenfzehn Jahre allein den ungleichen Kampf gegen die Roemer kaempfte, endlich
+mit gesamter Kraft zu Hilfe zu kommen.
+</p>
+
+<p>
+Die naechsten Bundesgenossen der Samniten waeren die Tarentiner gewesen; allein
+es gehoert zu dem ueber Samnium und ueber Italien ueberhaupt waltenden
+Verhaengnis, dass in diesem zukunftbestimmenden Augenblick die Entscheidung in
+den Haenden dieser italischen Athener lag. Seit die urspruenglich nach alter
+dorischer Art streng aristokratische Verfassung Tarents in die vollstaendigste
+Demokratie uebergegangen war, hatte in dieser hauptsaechlich von Schiffern,
+Fischern und Fabrikanten bewohnten Stadt ein unglaublich reges Leben sich
+entwickelt; Sinn und Tun der mehr reichen als vornehmen Bevoelkerung wehrte
+allen Ernst des Lebens in dem witzig und geistreich quirlenden Tagestreiben von
+sich ab und schwankte zwischen dem grossartigsten Wagemut und der genialsten
+Erhebung und zwischen schandbarem Leichtsinn und kindischer Schwindelei. Es
+wird auch in diesem Zusammenhang, wo ueber das Sein oder Nichtsein hochbegabter
+und altberuehmter Nationen die ernsten Lose fallen, nicht unstatthaft sein,
+daran zu erinnern, dass Platon, der etwa sechzig Jahre vor dieser Zeit (389)
+nach Tarent kam, seinem eigenen Zeugnis zufolge am Dionysienfest die ganze
+Stadt berauscht sah, und dass das parodische Possenspiel, die sogenannte
+&ldquo;lustige Tragoedie&rdquo; eben um die Zeit des grossen samnitischen
+Krieges in Tarent geschaffen ward. Zu dieser Lotterwirtschaft und Lotterpoesie
+der Tarentiner Eleganten und Literaten liefert die Ergaenzung die unstete,
+uebermuetige und kurzsichtige Politik der Tarentiner Demagogen, welche
+regelmaessig da sich beteiligten, wo sie nichts zu schaffen hatten, und da
+ausblieben, wo ihr naechstes Interesse sie hinrief. Sie hatten, als nach der
+caudinischen Katastrophe Roemer und Samniten sich in Apulien gegenueberstanden,
+Gesandte dorthin geschickt, die beiden Parteien geboten, die Waffen
+niederzulegen (434 320). Diese diplomatische Intervention in dem italischen
+Entscheidungskampf konnte verstaendigerweise nichts sein als die Ankuendigung,
+dass Tarent aus seiner bisherigen Passivitaet jetzt endlich herauszutreten
+entschlossen sei. Grund genug hatte es wahrlich dazu, wie schwierig und
+gefaehrlich es auch fuer Tarent selbst war, in diesen Krieg verwickelt zu
+werden: denn die demokratische Machtentwicklung des Staates hatte sich
+lediglich auf die Flotte geworfen, und waehrend diese, gestuetzt auf die starke
+Handelsmarine Tarents, unter den grossgriechischen Seemaechten den ersten Rang
+einnahm, bestand die Landmacht, auf die es jetzt ankam, wesentlich aus
+gemieteten Soeldnern und war in tiefem Verfall. Unter diesen Umstaenden war es
+fuer die tarentinische Republik keine leichte Aufgabe, an dem Kampf zwischen
+Rom und Samnium sich zu beteiligen, auch abgesehen von der wenigstens
+beschwerlichen Fehde, in welche die roemische Politik die Tarentiner mit den
+Lucanern zu verwickeln gewusst hatte. Indes bei kraeftigem Willen waren diese
+Schwierigkeiten wohl zu ueberwinden; und beide streitende Teile fassten die
+Aufforderung der tarentinischen Gesandten, mit dem Kampf einzuhalten, in diesem
+Sinne auf. Die Samniten als die Schwaecheren zeigten sich bereit, derselben
+nachzukommen; die Roemer antworteten durch die Aufsteckung des Zeichens zur
+Schlacht. Vernunft und Ehre geboten den Tarentinern, dem herrischen Gebot ihrer
+Gesandten jetzt die Kriegserklaerung gegen Rom auf dem Fusse folgen zu lassen;
+allein in Tarent war eben weder diese noch jene am Regimente und man hatte dort
+bloss mit sehr ernsthaften Dingen sehr kindisch gespielt. Die Kriegserklaerung
+gegen Rom erfolgte nicht; statt dessen unterstuetzte man lieber gegen
+Agathokles von Syrakus, der frueher in tarentinischen Diensten gestanden hatte
+und in Ungnade entlassen worden war, die oligarchische Staedtepartei in
+Sizilien und sandte, dem Beispiel Spartas folgend, eine Flotte nach der Insel,
+die in der kampanischen See bessere Dienste getan haben wuerde (440 314).
+</p>
+
+<p>
+Energischer handelten die nord- und mittelitalischen Voelker, die namentlich
+durch die Anlegung der Festung Luceria aufgeruettelt worden zu sein scheinen.
+Zuerst (443 311) schlugen die Etrusker los, deren Waffenstillstandsvertrag von
+403 (351) schon einige Jahre frueher zu Ende gegangen war. Die roemische
+Grenzfestung Sutrium hatte eine zweijaehrige Belagerung auszuhalten, und in den
+heftigen Gefechten, die unter ihren Mauern geliefert wurden, zogen die Roemer
+in der Regel den kuerzeren, bis der Konsul des Jahres 444 (310), Quintus Fabius
+Rullianus, ein in den Samnitenkriegen erprobter Fuehrer, nicht bloss im
+roemischen Etrurien das Uebergewicht der roemischen Waffen wiederherstellte,
+sondern auch kuehn eindrang in das eigentliche, durch die Verschiedenheit der
+Sprache und die geringen Kommunikationen den Roemern bis dahin fast unbekannt
+gebliebene etruskische Land. Der Zug ueber den noch von keinem roemischen Heer
+ueberschrittenen Ciminischen Wald und die Pluenderung des reichen, lange von
+Kriegsnot verschont gebliebenen Gebiets brachte ganz Etrurien in Waffen; die
+roemische Regierung, welche die tollkuehne Expedition ernstlich missbilligte
+und die Ueberschreitung der Grenze dem verwegenen Fuehrer zu spaet untersagt
+hatte, raffte, um dem erwarteten Ansturm der gesamten etruskischen Macht zu
+begegnen, in schleunigster Eile neue Legionen zusammen. Allein ein
+rechtzeitiger und entscheidender Sieg des Rullianus, die lange im Andenken des
+Volkes fortlebende Schlacht am Vadimonischen See, machte aus dem unvorsichtigen
+Beginnen eine gefeierte Heldentat und brach den Widerstand der Etrusker.
+Ungleich den Samniten, die nun schon seit achtzehn Jahren den ungleichen Kampf
+fochten, bequemten sich schon nach der ersten Niederlage drei der maechtigsten
+etruskischen Staedte, Perusia, Cortona und Arretium, zu einem Sonderfrieden auf
+dreihundert (444 310) und, nachdem im folgenden Jahre die Roemer noch einmal
+bei Perusia die uebrigen Etrusker besiegt hatten, auch die Tarquinienser zu
+einem Frieden auf vierhundert Monate (446 308); worauf auch die uebrigen
+Staedte vom Kampfe abstanden und in Etrurien vorlaeufig Waffenruhe eintrat.
+</p>
+
+<p>
+Waehrend dieser Ereignisse hatte auch in Samnium der Krieg nicht geruht. Der
+Feldzug von 443 (311) beschraenkte sich gleich den bisherigen auf die
+Belagerung und Erstuermung einzelner samnitischer Plaetze; aber im naechsten
+Jahre nahm der Krieg eine lebhaftere Wendung. Rullianus&rsquo; gefaehrliche
+Lage in Etrurien und die ueber die Vernichtung der roemischen Nordarmee
+verbreiteten Geruechte ermutigten die Samniten zu neuen Anstrengungen; der
+roemische Konsul Gaius Marcius Rutilus wurde von ihnen besiegt und selber
+schwer verwundet. Aber der Umschwung der Dinge in Etrurien zerstoerte die neu
+aufleuchtenden Hoffnungen. Wieder trat Lucius Papirius Cursor an die Spitze der
+gegen die Samniten gesandten roemischen Truppen, und wieder blieb er Sieger in
+einer grossen und entscheidenden Schlacht (445 309), zu der die Eidgenossen
+ihre letzten Kraefte angestrengt hatten; der Kern ihrer Armee, die Buntroecke
+mit den Gold-, die Weissroecke mit den Silberschilden wurden hier aufgerieben
+und die glaenzenden Ruestungen derselben schmueckten seitdem bei festlichen
+Gelegenheiten die Budenreihen laengs des roemischen Marktes. Immer hoeher stieg
+die Not, immer hoffnungsloser ward der Kampf. Im folgenden Jahre (446 308)
+legten die Etrusker die Waffen nieder; in ebendemselben ergab die letzte Stadt
+Kampaniens, die noch zu den Samniten hielt, Nuceria, zu Wasser und zu Lande
+gleichzeitig angegriffen, unter guenstigen Bedingungen sich den Roemern. Zwar
+fanden die Samniten neue Bundesgenossen an den Umbrern im noerdlichen, an den
+Marsern und Paelignern im mittleren Italien, ja selbst von den Hernikern traten
+zahlreiche Freiwillige in ihre Reihen; allein was mit entscheidendem Gewicht
+gegen Rom in die Waagschale haette fallen koennen, wenn die Etrusker noch unter
+Waffen gestanden haetten, vermehrte jetzt bloss die Erfolge des roemischen
+Sieges, ohne denselben ernstlich zu erschweren. Den Umbrern, die Miene machten,
+einen Zug nach Rom zu unternehmen, verlegte Rullianus am oberen Tiber mit der
+Armee von Samnium den Weg, ohne dass die geschwaechten Samniten es haetten
+hindern koennen, und dies genuegte, um den umbrischen Landsturm zu zerstreuen.
+Der Krieg zog sich alsdann wieder nach Mittelitalien. Die Paeligner wurden
+besiegt, ebenso die Marser; wenngleich die uebrigen sabellischen Staemme noch
+dem Namen nach Feinde der Roemer blieben, stand doch allmaehlich Samnium von
+dieser Seite tatsaechlich allein. Aber unerwartet kam ihnen Beistand aus dem
+Tibergebiet. Die Eidgenossenschaft der Herniker, wegen ihrer unter den
+samnitischen Gefangenen vorgefundenen Landsleute von den Roemern zur Rede
+gestellt, erklaerte diesen jetzt den Krieg (448 306) - mehr wohl aus
+Verzweiflung, als aus Berechnung. Es schlossen auch einige der bedeutendsten
+hernikischen Gemeinden von vornherein sich von der Kriegfuehrung aus; aber
+Anagnia, weitaus die ansehnlichste Hernikerstadt, setzte die Kriegserklaerung
+durch. Militaerisch ward allerdings die augenblickliche Lage der Roemer durch
+diesen unerwarteten Aufstand im Ruecken der mit der Belagerung der Burgen von
+Samnium beschaeftigten Armee in hohem Grade bedenklich. Noch einmal war den
+Samniten das Kriegsglueck guenstig; Sora und Caiatia fielen ihnen in die
+Haende. Allein die Anagniner unterlagen unerwartet schnell den von Rom
+ausgesandten Truppen, und rechtzeitig machten diese auch dem in Samnium
+stehenden Heere Luft; es war eben alles verloren. Die Samniten baten um
+Frieden, indes vergeblich; noch konnte man sich nicht einigen. Erst der Feldzug
+von 449 (305) brachte die letzte Entscheidung. Die beiden roemischen
+Konsularheere drangen, Tiberius Minucius und nach dessen Fall Marcus Fulvius
+von Kampanien aus durch die Bergpaesse, Lucius Postumius vom Adriatischen Meere
+her am Biferno hinauf, in Samnium ein, um hier vor der Hauptstadt des Landes,
+Bovianum, sich die Hand zu reichen; ein entscheidender Sieg ward erfochten, der
+samnitische Feldherr Statius Gellius gefangengenommen und Bovianum erstuermt.
+Der Fall des Hauptwaffenplatzes der Landschaft machte dem
+zweiundzwanzigjaehrigen Krieg ein Ende. Die Samniten zogen aus Sora und Arpinum
+ihre Besatzungen heraus und schickten Gesandte nach Rom, den Frieden zu
+erbitten; ihrem Beispiel folgten die sabellischen Staemme, die Marser,
+Marruciner, Paeligner, Frentaner, Vestiner, Picenter. Die Bedingungen, die Rom
+gewaehrte, waren leidlich; Gebietsabtretungen wurden zwar einzeln gefordert,
+zum Beispiel von den Paelignern, allein sehr bedeutend scheinen sie nicht
+gewesen zu sein. Das gleiche Buendnis zwischen den sabellischen Staaten und den
+Roemern wurde erneuert (450 304).
+</p>
+
+<p>
+Vermutlich um dieselbe Zeit und wohl infolge des samnitischen Friedens ward
+auch Friede gemacht zwischen Rom und Tarent. Unmittelbar zwar hatten beide
+Staedte nicht gegeneinander im Felde gestanden; die Tarentiner hatten dem
+langen Kampfe zwischen Rom und Samnium von Anfang bis zu Ende untaetig
+zugesehen und nur im Bunde mit den Sallentinern gegen die Bundesgenossen Roms,
+die Lucaner, die Fehde fortgesetzt. Zwar hatten sie in den letzten Jahren des
+Samnitischen Krieges noch einmal Miene gemacht nachdruecklicher aufzutreten.
+Teils die bedraengte Lage, in welche die unaufhoerlichen lucanischen Angriffe
+sie selbst brachten, teils wohl auch das immer naeher sich ihnen aufdraengende
+Gefuehl, dass Samniums voellige Unterdrueckung auch ihre eigene Unabhaengigkeit
+bedrohe, hatten sie bestimmt, trotz der mit Alexander gemachten unerfreulichen
+Erfahrungen abermals einem Condottiere sich anzuvertrauen. Es kam auf ihren Ruf
+der spartanische Prinz Kleonymos mit fuenftausend Soeldnern, womit er eine
+ebenso starke, in Italien angeworbene Schar sowie die Zuzuege der Messapier,
+der kleineren Griechenstaedte und vor allem das tarentinische Buergerheer, 22
+000 Mann stark, vereinigte. An der Spitze dieser ansehnlichen Armee noetigte er
+die Lucaner, mit Tarent Frieden zu machen und eine samnitisch gesinnte
+Regierung einzusetzen, wogegen freilich Metapont ihnen aufgeopfert ward. Noch
+standen die Samniten unter Waffen, als dies geschah; nichts hinderte den
+Spartaner, ihnen zu Hilfe zu kommen und das Gewicht seines starken Heeres und
+seiner Kriegskunst fuer die Freiheit der italischen Staedte und Voelker in die
+Waagschale zu werfen. Allein Tarent handelte nicht, wie Rom im gleichen Falle
+gehandelt haben wuerde; und Prinz Kleonymos selbst war auch nichts weniger als
+ein Alexander oder ein Pyrrhos. Er beeilte sich nicht, einen Krieg zu beginnen,
+bei dem mehr Schlaege zu erwarten standen als Beute, sondern machte lieber mit
+den Lucanern gemeinschaftliche Sache gegen Metapont und liess es in dieser
+Stadt sich wohl sein, waehrend er redete von einem Zug gegen Agathokles von
+Syrakus und von der Befreiung der sizilischen Griechen. Darueber machten denn
+die Samniten Frieden; und als nach dessen Abschluss Rom anfing, sich um den
+Suedosten der Halbinsel ernstlicher zu bekuemmern und zum Beispiel im Jahre 447
+(307) ein roemischer Heerhaufen das Gebiet der Sallentiner brandschatzte oder
+vielmehr wohl in hoeherem Auftrag rekognoszierte, ging der spartanische
+Condottiere mit seinen Soeldnern zu Schiff und ueberrumpelte die Insel Kerkyra,
+die vortrefflich gelegen war, um von dort aus gegen Griechenland und Italien
+Piratenzuege zu unternehmen. So von ihrem Feldherrn im Stich gelassen und
+zugleich ihrer Bundesgenossen im mittleren Italien beraubt, blieb den
+Tarentinern sowie den mit ihnen verbuendeten Italikern, den Lucanern und
+Sallentinern, jetzt freilich nichts uebrig, als mit Rom ein Abkommen
+nachzusuchen, das auf leidliche Bedingungen gewaehrt worden zu sein scheint.
+Bald nachher (451 303) ward sogar ein Einfall des Kleonymos, der im
+sallentinischen Gebiet gelandet war und Uria belagerte, von den Einwohnern mit
+roemischer Hilfe abgeschlagen.
+</p>
+
+<p>
+Roms Sieg war vollstaendig; und vollstaendig ward er benutzt. Dass den
+Samniten, den Tarentinern und den ferner wohnenden Voelkerschaften ueberhaupt
+so maessige Bedingungen gestellt wurden, war nicht Siegergrossmut, die die
+Roemer nicht kannten, sondern kluge und klare Berechnung. Zunaechst und vor
+allem kam es darauf an, nicht so sehr das suedliche Italien so rasch wie
+moeglich zur formellen Anerkennung der roemischen Suprematie zu zwingen als die
+Unterwerfung Mittelitaliens, zu welcher durch die in Kampanien und Apulien
+schon waehrend des letzten Krieges angelegten Militaerstrassen und Festungen
+der Grund gelegt war, zu ergaenzen und zu vollenden und die noerdlichen und
+suedlichen Italiker dadurch in zwei militaerisch von jeder unmittelbaren
+Beruehrung miteinander abgeschnittene Massen auseinanderzusprengen. Darauf
+zielten denn auch die naechsten Unternehmungen der Roemer mit energischer
+Konsequenz. Vor allen Dingen benutzte oder machte man die Gelegenheit, mit den
+in der Tiberlandschaft einstmals mit der roemischen Einzelmacht rivalisierenden
+und noch nicht voellig beseitigten Eidgenossenschaften der Aequer und der
+Herniker aufzuraeumen. In demselben Jahre, in welchem der Friede mit Samnium
+zustande kam (450 304), ueberzog der Konsul Publius Sempronius Sophus die
+Aequer mit Krieg; vierzig Ortschaften unterwarfen sich in fuenfzig Tagen; das
+gesamte Gebiet mit Ausnahme des engen und rauhen Bergtals, das noch heute den
+alten Volksnamen traegt (Cicolano), wurde roemischer Besitz und hier am
+Nordrand des Fuciner Sees im Jahre darauf die Festung Alba mit einer Besatzung
+von 6000 Mann gegruendet, fortan die Vormauer gegen die streitbaren Marser und
+die Zwingburg Mittelitaliens; ebenso zwei Jahre darauf am oberen Turano, naeher
+an Rom, Carsioli, beide als Bundesgemeinden latinischen Rechts.
+</p>
+
+<p>
+Dass von den Hernikern wenigstens Anagnia sich an dem letzten Stadium des
+Samnitischen Krieges beteiligt hatte, gab den erwuenschten Grund, das alte
+Bundesverhaeltnis zu loesen. Das Schicksal der Anagniner war natuerlicherweise
+bei weitem haerter als dasjenige, welches ein Menschenalter zuvor den
+latinischen Gemeinden im gleichen Fall bereitet worden war. Sie mussten nicht
+bloss wie diese das roemische Passivbuergerrecht sich gefallen lassen, sondern
+verloren auch gleich den Caeriten die eigene Verwaltung; auf einem Teile ihres
+Gebiets am oberen Trerus (Sacco) wurde ueberdies ein neuer Buergerbezirk sowie
+gleichzeitig ein anderer am unteren Anio eingerichtet (455 299). Man bedauerte
+nur, dass die drei naechst Anagnia bedeutendsten hernikischen Gemeinden
+Aletrium, Verulae und Ferentinum nicht auch abgefallen waren; denn da sie die
+Zumutung, freiwillig in den roemischen Buergerverband einzutreten, hoeflich
+ablehnten und jeder Vorwand, sie dazu zu noetigen, mangelte, musste man ihnen
+wohl nicht bloss die Autonomie, sondern selbst das Recht der Tagsatzung und der
+Ehegemeinschaft auch ferner zugestehen und damit noch einen Schatten der alten
+hernikischen Eidgenossenschaft uebrig lassen.
+</p>
+
+<p>
+In dem Teil der volskischen Landschaft, welchen bis dahin die Samniten im
+Besitz gehabt, banden aehnliche Ruecksichten nicht. Hier wurden Arpinum und
+Frusino untertaenig und die letztere Stadt eines Drittels ihrer Feldmark
+beraubt, ferner am oberen Liris neben Fregellae die schon frueher mit Besatzung
+belegte Volskerstadt Sora jetzt auf die Dauer in eine latinische Festung
+verwandelt und eine Legion von 4000 Mann dahin gelegt. So war das alte
+Volskergebiet vollstaendig unterworfen und ging seiner Romanisierung mit
+raschen Schritten entgegen. In die Landschaft, welche Samnium und Etrurien
+scheidet, wurden zwei Militaerstrassen hineingefuehrt und beide durch Festungen
+gesichert. Die noerdliche, aus der spaeter die Flaminische wurde, deckte die
+Tiberlinie; sie fuehrte durch das mit Rom verbuendete Ocriculum nach Narnia,
+wie die Roemer die alte umbrische Feste Nequinum umnannten, als sie dort eine
+Militaerkolonie anlegten (455 299). Die suedliche, die spaetere Valerische,
+lief an den Fuciner See ueber die eben erwaehnten Festungen Carsioli und Alba.
+Die kleinen Voelkerschaften, in deren Gebiet diese Anlagen stattfanden, die
+Umbrer, die Nequinum hartnaeckig verteidigten, die Aequer, die noch einmal
+Alba, die Marser, die Carsioli ueberfielen, konnten Rom in seinem Gang nicht
+aufhalten; fast ungehindert schoben jene beiden maechtigen Riegel sich zwischen
+Samnium und Etrurien. Der grossen Strassen- und Festungsanlagen zur bleibenden
+Sicherung Apuliens und vor allem Kampaniens wurde schon gedacht; durch sie ward
+Samnium weiter nach Osten und Westen von dem roemischen Festungsnetz umstrickt.
+Bezeichnend fuer die verhaeltnismaessige Schwaeche Etruriens ist es, dass man
+es nicht notwendig fand, die Paesse durch den Ciminischen Wald in gleicher
+Weise durch eine Chaussee und angemessene Festungen zu sichern. Die bisherige
+Grenzfestung Sutrium blieb hier auch ferner der Endpunkt der roemischen
+Militaerlinie und man begnuegte sich damit, die Strasse von dort nach Arretium
+durch die beikommenden Gemeinden in militaerisch brauchbarem Stande halten zu
+lassen ^4.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^4 Die Operationen in dem Feldzug 537 (217) und bestimmter noch die Anlage der
+Chaussee von Arretium nach Bononia 567 (187) zeigen, dass schon vor dieser Zeit
+die Strasse von Rom nach Arretium instand gesetzt worden ist. Allein eine
+roemische Militaerchaussee kann sie in dieser Zeit dennoch nicht gewesen sein,
+da sie, nach ihrer spaeteren Benennung der &ldquo;Cassischen Strasse&rdquo; zu
+schliessen, als via consularis nicht frueher angelegt sein kann als 583 (171);
+denn zwischen Spurius Cassius, Konsul 252, 261, 268 (502, 493, 486), an den
+natuerlich nicht gedacht werden darf, und Gaius Cassius Longinus, Konsul 583
+(171), erscheint kein Cassier in den roemischen Konsuln- und Zensorenlisten.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die hochherzige samnitische Nation begriff es, dass ein solcher Friede
+verderblicher war als der verderblichste Krieg, und, was mehr ist, sie handelte
+danach. Eben fingen in Norditalien die Kelten nach langer Waffenruhe wieder an
+sich zu regen; noch standen ferner daselbst einzelne etruskische Gemeinden
+gegen die Roemer unter den Waffen und es wechselten hier kurze
+Waffenstillstaende mit heftigen, aber erfolglosen Gefechten. Noch war ganz
+Mittelitalien in Gaerung und zum Teil in offenem Aufstand; noch waren die
+Festungen in der Anlage begriffen, der Weg zwischen Etrurien und Samnium noch
+nicht voellig gesperrt. Vielleicht war es noch nicht zu spaet, die Freiheit zu
+retten; aber man durfte nicht saeumen: die Schwierigkeit des Angriffs stieg,
+die Macht der Angreifer sank mit jedem Jahre des verlaengerten Friedens. Kaum
+fuenf Jahre hatten die Waffen geruht und noch mussten all die Wunden bluten,
+welche der zweiundzwanzigjaehrige Krieg den Bauernschaften Samniums geschlagen
+hatte, als im Jahre 456 (298) die samnitische Eidgenossenschaft den Kampf
+erneuerte. Den letzten Krieg hatte wesentlich Lucaniens Verbindung mit Rom und
+die dadurch mitveranlasste Fernhaltung Tarents zu Gunsten Roms entschieden;
+dadurch belehrt, warfen die Samniten jetzt sich zuvoerderst mit aller Macht auf
+die Lucaner und brachten hier in der Tat ihre Partei ans Ruder und ein Buendnis
+zwischen Samnium und Lucanien zum Abschluss. Natuerlich erklaerten die Roemer
+sofort den Krieg; in Samnium hatte man es nicht anders erwartet. Es bezeichnet
+die Stimmung, dass die samnitische Regierung den roemischen Gesandten die
+Anzeige machte, sie sei nicht imstande, fuer ihre Unverletzlichkeit zu buergen,
+wenn sie samnitisches Gebiet betraeten.
+</p>
+
+<p>
+Der Krieg begann also von neuem (456 298), und waehrend ein zweites Heer in
+Etrurien focht, durchzog die roemische Hauptarmee Samnium und zwang die Lucaner
+Frieden zu machen und Geiseln nach Rom zu senden. Das folgende Jahr konnten
+beide Konsuln nach Samnium sich wenden; Rullianus siegte bei Tifernum, sein
+treuer Waffengefaehrte Publius Decius Mus bei Maleventum, und fuenf Monate
+hindurch lagerten zwei roemische Heere in Feindesland. Es war das moeglich,
+weil die tuskischen Staaten auf eigene Hand mit Rom Friedensverhandlungen
+angeknuepft hatten. Die Samniten, welche von Haus aus in der Vereinigung ganz
+Italiens gegen Rom die einzige Moeglichkeit des Sieges gesehen haben muessen,
+boten das Aeusserste auf, um den drohenden Sonderfrieden zwischen Etrurien und
+Rom abzuwenden; und als endlich ihr Feldherr Gellius Egnatius den Etruskern in
+ihrem eigenen Lande Hilfe zu bringen anbot, verstand sich in der Tat der
+etruskische Bundesrat dazu, auszuharren und noch einmal die Entscheidung der
+Waffen anzurufen. Samnium machte die gewaltigsten Anstrengungen, um drei Heere
+zugleich ins Feld zu stellen, das eine bestimmt zur Verteidigung des eigenen
+Gebiets, das zweite zum Einfall in Kampanien, das dritte und staerkste nach
+Etrurien; und wirklich gelangte im Jahre 458 (296) das letzte, gefuehrt von
+Egnatius selbst, durch das marsische und das umbrische Gebiet, deren Bewohner
+im Einverstaendnis waren, ungefaehrdet nach Etrurien. Die Roemer nahmen
+waehrend dessen einige feste Plaetze in Samnium und brachen den Einfluss der
+samnitischen Partei in Lucanien; den Abmarsch der von Egnatius gefuehrten Armee
+wussten sie nicht zu verhindern. Als man in Rom die Kunde empfing, dass es den
+Samniten gelungen sei, all die ungeheuren, zur Trennung der suedlichen Italiker
+von den noerdlichen gemachten Anstrengungen zu vereiteln, dass das Eintreffen
+der samnitischen Scharen in Etrurien das Signal zu einer fast allgemeinen
+Schilderhebung gegen Rom geworden sei, dass die etruskischen Gemeinden aufs
+eifrigste arbeiteten, ihre eigenen Mannschaften kriegsfertig zu machen und
+gallische Scharen in Sold zu nehmen, da ward auch in Rom jeder Nerv angespannt,
+Freigelassene und Verheiratete in Kohorten formiert - man fuehlte hueben und
+drueben, dass die Entscheidung bevorstand. Das Jahr 458 (296) jedoch verging,
+wie es scheint, mit Ruestungen und Maerschen. Fuer das folgende (459 295)
+stellten die Roemer ihre beiden besten Generale, Publius Decius Mus und den
+hochbejahrten Quintus Fabius Rullianus, an die Spitze der Armee in Etrurien,
+welche mit allen in Kampanien irgend entbehrlichen Truppen verstaerkt ward und
+wenigstens 60000 Mann, darunter ueber ein Drittel roemische Vollbuerger,
+zaehlte; ausserdem ward eine zwiefache Reserve gebildet, die erste bei Falerii,
+die zweite unter den Mauern der Hauptstadt. Der Sammelplatz der Italiker war
+Umbrien, wo die Strassen aus dem gallischen, etruskischen und sabellischen
+Gebiet zusammenliefen; nach Umbrien liessen auch die Konsuln teils am linken,
+teils am rechten Ufer des Tiber hinauf ihre Hauptmacht abruecken, waehrend
+zugleich die erste Reserve eine Bewegung gegen Etrurien machte, um womoeglich
+die etruskischen Truppen von dem Platz der Entscheidung zur Verteidigung der
+Heimat abzurufen. Das erste Gefecht lief nicht gluecklich fuer die Roemer ab;
+ihre Vorhut ward von den vereinigten Galliern und Samniten in dem Gebiet von
+Chiusi geschlagen. Aber jene Diversion erreichte ihren Zweck; minder hochherzig
+als die Samniten, die durch die Truemmer ihrer Staedte hindurchgezogen waren,
+um auf der rechten Walstatt nicht zu fehlen, entfernte sich auf die Nachricht
+von dem Einfall der roemischen Reserve in Etrurien ein grosser Teil der
+etruskischen Kontingente von der Bundesarmee, und die Reihen derselben waren
+sehr gelichtet, als es am oestlichen Abhang des Apennin bei Sentinum zur
+entscheidenden Schlacht kam. Dennoch war es ein heisser Tag. Auf dem rechten
+Fluegel der Roemer, wo Rullianus mit seinen beiden Legionen gegen das
+samnitische Heer stritt, stand die Schlacht lange ohne Entscheidung. Auf dem
+linken, den Publius Decius befehligte, wurde die roemische Reiterei durch die
+gallischen Streitwagen in Verwirrung gebracht, und schon begannen hier auch die
+Legionen zu weichen. Da rief der Konsul den Priester Marcus Livius heran und
+hiess ihn zugleich das Haupt des roemischen Feldherrn und das feindliche Heer
+den unterirdischen Goettern weihen; alsdann in den dichtesten Haufen der
+Gallier sich stuerzend suchte und fand er den Tod. Diese heldenmuetige
+Verzweiflung des hohen Mannes, des geliebten Feldherrn, war nicht vergeblich.
+Die fliehenden Soldaten standen wieder, die Tapfersten warfen dem Fuehrer nach
+sich in die feindlichen Reihen, um ihn zu raechen oder mit ihm zu sterben; und
+eben im rechten Augenblicke erschien, von Rullianus gesendet, der Konsular
+Lucius Scipio mit der roemischen Reserve auf dem gefaehrdeten linken Fluegel.
+Die vortreffliche kampanische Reiterei, die den Galliern in die Flanke und den
+Ruecken fiel, gab hier den Ausschlag; die Gallier flohen, und endlich wichen
+auch die Samniten, deren Feldherr Egnatius am Tore des Lagers fiel. 9000 Roemer
+bedeckten die Walstatt; aber der teuer erkaufte Sieg war solchen Opfers wert.
+Das Koalitionsheer loeste sich auf und damit die Koalition selbst; Umbrien
+blieb in roemischer Gewalt, die Gallier verliefen sich, der Ueberrest der
+Samniten, noch immer in geschlossener Ordnung, zog durch die Abruzzen ab in die
+Heimat. Kampanien, das die Samniten waehrend des etruskischen Krieges
+ueberschwemmt hatten, ward nach dessen Beendigung mit leichter Muehe wieder von
+den Roemern besetzt. Etrurien bat im folgenden Jahre 460 (294) um Frieden;
+Volsinii, Perusia, Arretium und wohl ueberhaupt alle dem Bunde gegen Rom
+beigetretenen Staedte gelobten Waffenruhe auf vierhundert Monate. Aber die
+Samniten dachten anders: sie ruesteten sich zur hoffnungslosen Gegenwehr mit
+jenem Mute freier Maenner, der das Glueck zwar nicht zwingen, aber beschaemen
+kann. Als im Jahre 460 (294) die beiden Konsularheere in Samnium einrueckten,
+stiessen sie ueberall auf den erbittertsten Widerstand; ja, Marcus Atilius
+erlitt eine Schlappe bei Luceria, und die Samniten konnten in Kampanien
+eindringen und das Gebiet der roemischen Kolonie Interamna am Liris verwuesten.
+Im Jahre darauf lieferten Lucius Papirius Cursor, der Sohn des Helden des
+ersten Samnitischen Krieges, und Spurius Carvilius bei Aquilonia eine grosse
+Feldschlacht gegen das samnitische Heer, dessen Kern, die 16 000 Weissroecke,
+mit heiligem Eide geschworen hatte, den Tod der Flucht vorzuziehen. Indes das
+unerbittliche Schicksal fragt nicht nach Schwueren und verzweifeltem Flehen;
+der Roemer siegte und stuermte die Festen, in die die Samniten sich und ihre
+Habe gefluechtet hatten. Selbst nach dieser grossen Niederlage wehrten sich die
+Eidgenossen gegen den immer uebermaechtigeren Feind noch jahrelang mit
+beispielloser Ausdauer in ihren Burgen und Bergen und erfochten noch manchen
+Vorteil im einzelnen; des alten Rullianus erprobter Arm ward noch einmal (462
+292) gegen sie aufgeboten, und Gavius Pontius, vielleicht der Sohn des Siegers
+von Caudium, erfocht sogar fuer sein Volk einen letzten Sieg, den die Roemer
+niedrig genug an ihm raechten, indem sie ihn, als er spaeter gefangen ward, im
+Kerker hinrichten liessen (463 291). Aber nichts regte sich weiter in Italien;
+denn der Krieg, den Falerii 461 (293) begann, verdient kaum diesen Namen. Wohl
+mochte man in Samnium sehnsuechtig die Blicke wenden nach Tarent, das allein
+noch imstande war, Hilfe zu gewaehren; aber sie blieb aus. Es waren dieselben
+Ursachen wie frueher, welche die Untaetigkeit Tarents herbeifuehrten: das
+innere Missregiment und der abermalige Uebertritt der Lucaner zur roemischen
+Partei im Jahre 456 (298); hinzu kam noch die nicht ungegruendete Furcht vor
+Agathokles von Syrakus, der eben damals auf dem Gipfel seiner Macht stand und
+anfing, sich gegen Italien zu wenden. Um das Jahr 455 (299) setzte dieser auf
+Kerkyra sich fest, von wo Kleonymos durch Demetrios den Belagerer vertrieben
+war und bedrohte nun vom Adriatischen wie vom Ionischen Meere her die
+Tarentiner. Die Abtretung der Insel an Koenig Pyrrhos von Epeiros im Jahre 459
+(295) beseitigte allerdings zum grossen Teil die gehegten Besorgnisse; allein
+die kerkyraeischen Angelegenheiten fuhren fort, die Tarentiner zu
+beschaeftigen, wie sie denn im Jahre 464 (290) den Koenig Pyrrhos im Besitz der
+Insel gegen Demetrios schuetzen halfen, und ebenso hoerte Agathokles nicht auf,
+durch seine italische Politik die Tarentiner zu beunruhigen. Als er starb (465
+289) und mit ihm die Macht der Syrakusaner in Italien zugrunde ging, war es zu
+spaet; Samnium, des siebenunddreissigjaehrigen Kampfes muede, hatte das Jahr
+vorher (464 290) mit dem roemischen Konsul Manius Curius Dentatus Friede
+geschlossen und der Form nach den Bund mit Rom erneuert. Auch diesmal wurden,
+wie im Frieden von 450 (304) dem tapferen Volke von den Roemern keine
+schimpflichen oder vernichtenden Bedingungen gestellt; nicht einmal
+Gebietsabtretungen scheinen stattgefunden zu haben. Die roemische
+Staatsklugheit zog es vor, auf dem bisher eingehaltenen Wege fortzuschreiten,
+und ehe man an die unmittelbare Eroberung des Binnenlandes ging, zunaechst das
+kampanische und adriatische Litoral fest und immer fester an Rom zu knuepfen.
+Kampanien zwar war laengst untertaenig; allein die weitblickende roemische
+Politik fand es noetig, zur Sicherung der kampanischen Kueste dort zwei
+Strandfestungen anzulegen, Minturnae und Sinuessa (459 295), deren neue
+Buergerschaften nach dem fuer Kuestenkolonien feststehenden Grundsatz in das
+volle roemische Buergerrecht eintraten. Energischer noch ward die Ausdehnung
+der roemischen Herrschaft in Mittelitalien gefoerdert. Wie die Unterwerfung der
+Aequer und Herniker die unmittelbare Folge des Ersten Samnitischen Krieges war,
+so schloss sich an das Ende des Zweiten diejenige der Sabiner. Derselbe
+Feldherr, der die Samniten schliesslich bezwang, Manius Curius, brach in
+demselben Jahre (464 290) den kurzen und ohnmaechtigen Widerstand derselben und
+zwang die Sabiner zur unbedingten Ergebung. Ein grosser Teil des unterworfenen
+Gebiets wurde von den Siegern unmittelbar in Besitz genommen und an roemische
+Buerger ausgeteilt, den uebrigbleibenden Gemeinden Cures, Reate, Amiternum,
+Nursia das roemische Untertanenrecht (civitas sine suffragio) aufgezwungen.
+Bundesstaedte gleichen Rechts wurden hier nicht gegruendet; die Landschaft kam
+vielmehr unter die unmittelbare Herrschaft Roms, die sich also ausdehnte bis
+zum Apennin und den umbrischen Bergen. Aber schon beschraenkte man sich nicht
+auf das Gebiet diesseits der Berge; der letzte Krieg hatte allzu deutlich
+gezeigt, dass die roemische Herrschaft ueber Mittelitalien nur gesichert war,
+wenn sie von Meer zu Meer reichte. Die Festsetzung der Roemer jenseits des
+Apennin beginnt mit der Anlegung der starken Festung Hatria (Atri) im Jahre 465
+(289), an der noerdlichen Abdachung der Abruzzen gegen die picenische Ebene,
+nicht unmittelbar an der Kueste und daher latinischen Rechts, aber dem Meere
+nah und der Schlussstein des gewaltigen, Nord- und Sueditalien trennenden
+Keils. Aehnlicher Art und von noch groesserer Bedeutung war die Gruendung von
+Venusia (463 291), wohin die unerhoerte Zahl von 20000 Kolonisten gefuehrt
+ward; die Stadt, an der Markscheide von Samnium, Apulien und Lucanien, auf der
+grossen Strasse zwischen Tarent und Samnium in einer ungemein festen Stellung
+gegruendet, war bestimmt, die Zwingburg der umwohnenden Voelkerschaften zu sein
+und vor allen Dingen zwischen den beiden maechtigsten Feinden Roms im
+suedlichen Italien die Verbindung zu unterbrechen. Ohne Zweifel ward zu
+gleicher Zeit auch die Suedstrasse, die Appius Claudius bis nach Capua gefuehrt
+hatte, von dort weiter bis nach Venusia verlaengert. So erstreckte sich, als
+die Samnitischen Kriege zu Ende gingen, das geschlossene, das heisst fast
+ausschliesslich aus Gemeinden roemischen oder latinischen Rechts bestehende
+Gebiet Roms nordwaerts bis zum Ciminischen Walde, oestlich bis in die Abruzzen
+und an das Adriatische Meer, suedlich bis nach Capua, waehrend die beiden
+vorgeschobenen Posten Luceria und Venusia, gegen Osten und Sueden auf den
+Verbindungslinien der Gegner angelegt, dieselben nach allen Richtungen hin
+isolierten. Rom war nicht mehr bloss die erste, sondern bereits die herrschende
+Macht auf der Halbinsel, als gegen das Ende des fuenften Jahrhunderts der Stadt
+diejenigen Nationen, welche die Gunst der Goetter und die eigene Tuechtigkeit
+jede in ihrer Landschaft an die Spitze gerufen hatten, im Rat und auf dem
+Schlachtfeld sich einander zu naehern begannen und, wie in Olympia die
+vorlaeufigen Sieger zu dem zweiten und ernsteren Kampf, so auf der groesseren
+Voelkerringstatt jetzt Karthago, Makedonien und Rom sich anschickten zu dem
+letzten und entscheidenden Wettgang.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap07"></a>KAPITEL VII.<br/>
+König Pyrrhos gegen Rom und die Einigung Italiens</h2>
+
+<p>
+In der Zeit der unbestrittenen Weltherrschaft Roms pflegten die Griechen ihre
+roemischen Herren damit zu aergern, dass sie als die Ursache der roemischen
+Groesse das Fieber bezeichneten, an welchem Alexander von Makedonien den 11.
+Juni 431 (323) in Babylon verschied. Da es nicht allzu troestlich war, das
+Geschehene zu ueberdenken, verweilte man nicht ungern mit den Gedanken bei dem,
+was haette kommen moegen, wenn der grosse Koenig, wie es seine Absicht gewesen
+sein soll, als er starb, sich gegen Westen gewendet und mit seiner Flotte den
+Karthagern das Meer, mit seinen Phalangen den Roemern die Erde streitig gemacht
+haben wuerde. Unmoeglich ist es nicht, dass Alexander mit solchen Gedanken sich
+trug; und man braucht auch nicht, um sie zu erklaeren, bloss darauf
+hinzuweisen, dass ein Autokrat, der kriegslustig und mit Soldaten und Schiffen
+versehen ist, nur schwer die Grenze seiner Kriegfuehrung findet. Es war eines
+griechischen Grosskoenigs wuerdig, die Sikelioten gegen Karthago, die
+Tarentiner gegen Rom zu schuetzen und dem Piratenwesen auf beiden Meeren ein
+Ende zu machen; die italischen Gesandtschaften, die in Babylon neben zahllosen
+andern erschienen, der Brettier, Lucaner, Etrusker ^1, boeten Gelegenheit
+genug, die Verhaeltnisse der Halbinsel kennenzulernen und Beziehungen dort
+anzuknuepfen. Karthago mit seinen vielfachen Verbindungen im Orient musste den
+Blick des gewaltigen Mannes notwendig auf sich ziehen, und wahrscheinlich lag
+es in seinen Absichten, die nominelle Herrschaft des Perserkoenigs ueber die
+tyrische Kolonie in eine wirkliche umzuwandeln; nicht umsonst fand sich ein aus
+Karthago gesandter Spion in der unmittelbaren Umgebung Alexanders. Indes
+mochten dies Traeume oder Plaene sein, der Koenig starb, ohne mit den
+Angelegenheiten des Westens sich beschaeftigt zu haben, und jene Gedanken
+gingen mit ihm zu Grabe. Nur wenige kurze Jahre hatte ein griechischer Mann die
+ganze intellektuelle Kraft des Hellenentums, die ganze materielle Fuelle des
+Ostens vereinigt in seiner Hand gehalten; mit seinem Tode ging zwar das Werk
+seines Lebens, die Gruendung des Hellenismus im Orient, keineswegs zugrunde,
+wohl aber spaltete sich sofort das kaum geeinigte Reich und unter dem steten
+Hader der verschiedenen, aus diesen Truemmern sich bildenden Staaten ward ihrer
+aller weltgeschichtliche Bestimmung, die Propaganda der griechischen Kultur im
+Osten zwar nicht aufgegeben, aber abgeschwaecht und verkuemmert. Bei solchen
+Verhaeltnissen konnten weder die griechischen noch die asiatisch-aegyptischen
+Staaten daran denken, im Okzident festen Fuss zu fassen und gegen die Roemer
+oder die Karthager sich zu wenden. Das oestliche und das westliche
+Staatensystem bestanden nebeneinander, ohne zunaechst politisch
+ineinanderzugreifen; und namentlich Rom blieb den Verwicklungen der
+Diadochenperiode wesentlich fremd. Nur Beziehungen oekonomischer Art stellten
+sich fest; wie denn zum Beispiel der rhodische Freistaat, der vornehmste
+Vertreter einer neutralen Handelspolitik in Griechenland und daher der
+allgemeine Vermittler des Verkehrs in einer Zeit ewiger Kriege, um das Jahr 448
+(306) einen Vertrag mit Rom abschloss, natuerlich einen Handelstraktat, wie er
+begreiflich ist zwischen einem Kaufmannsvolk und den Herren der caeritischen
+und kampanischen Kueste. Auch bei der Soeldnerlieferung, die von dem
+allgemeinen Werbeplatz der damaligen Zeit, von Hellas aus nach Italien und
+namentlich nach Tarent ging, wirkten die politischen Beziehungen, die zum
+Beispiel zwischen Tarent und dessen Mutterstadt Sparta bestanden, nur in sehr
+untergeordneter Weise mit; im ganzen waren die Werbungen nichts als
+kaufmaennische Geschaefte, und Sparta, obwohl es regelmaessig den Tarentinern
+zu den italischen Kriegen die Hauptleute lieferte, trat mit den Italikern darum
+so wenig in Fehde wie im nordamerikanischen Freiheitskrieg die deutschen
+Staaten mit der Union, deren Gegnern sie ihre Untertanen verkauften.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Die Erzaehlung, dass auch die Roemer Gesandte an Alexander nach Babylon
+geschickt, geht auf das Zeugnis des Kleitarchos zurueck (Plin. nat. 3, 5, 57),
+aus dem die uebrigen, diese Tatsache meldenden Zeugen (Aristos und Asklepiades
+bei Arrian 7, 15, 5; Memnon c. 25) ohne Zweifel schoepften. Kleitarchos war
+allerdings Zeitgenosse dieser Ereignisse, aber sein Leben Alexanders
+nichtsdestoweniger entschieden mehr historischer Roman als Geschichte; und bei
+dem Schweigen der zuverlaessigen Biographen (Art. a. a. O.; Liv. 9, 18) und dem
+voellig romanhaften Detail des Berichts, wonach zum Beispiel die Roemer dem
+Alexander einen goldenen Kranz ueberreicht und dieser die zukuenftige Groesse
+Roms vorhergesagt haben soll, wird man nicht umhin koennen, diese Erzaehlung zu
+den vielen anderen durch Kleitarchos in die Geschichte eingefuehrten
+Ausschmueckungen zu stellen.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Nichts anderes als ein abenteuernder Kriegshauptmann war auch Koenig Pyrrhos
+von Epeiros; er war darum nicht minder ein Gluecksritter, dass er seinen
+Stammbaum zurueckfuehrte auf Aeakos und Achilleus und dass er, waere er
+friedlicher gesinnt gewesen, als &ldquo;Koenig&rdquo; ueber ein kleines
+Bergvolk unter makedonischer Oberherrlichkeit oder auch allenfalls in
+isolierter Freiheit haette leben und sterben koennen. Man hat ihn wohl
+verglichen mit Alexander von Makedonien; und allerdings die Gruendung eines
+westhellenischen Reiches, dessen Kern Epeiros, Grossgriechenland, Sizilien
+gebildet haetten, das die beiden italischen Meere beherrscht und Rom wie
+Karthago in die Reihe der barbarischen Grenzvoelker des hellenistischen
+Staatensystems, der Kelten und Inder gedraengt haben wuerde - dieser Gedanke
+ist wohl gross und kuehn wie derjenige, der den makedonischen Koenig ueber den
+Hellespont fuehrte. Aber nicht bloss der verschiedene Ausgang unterscheidet den
+oestlichen und den westlichen Heerzug. Alexander konnte mit seiner
+makedonischen Armee, in der namentlich der Stab vorzueglich war, dem
+Grosskoenig vollkommen die Spitze bieten; aber der Koenig von Epeiros, das
+neben Makedonien stand etwa wie Hessen neben Preussen, erhielt eine
+nennenswerte Armee nur durch Soeldner und durch Buendnisse, die auf zufaelligen
+politischen Kombinationen beruhten. Alexander trat im Perserreich auf als
+Eroberer, Pyrrhos in Italien als Feldherr einer Koalition von Sekundaerstaaten;
+Alexander hinterliess sein Erbland vollkommen gesichert durch die unbedingte
+Untertaenigkeit Griechenlands und das starke, unter Antipater zurueckbleibende
+Heer, Pyrrhos buergte fuer die Integritaet seines eigenen Gebietes nichts als
+das Wort eines zweifelhaften Nachbarn. Fuer beide Eroberer hoerte, wenn ihre
+Plaene gelangen, die Heimat notwendig auf, der Schwerpunkt des neuen Reiches zu
+sein; allein eher noch war es ausfuehrbar, den Sitz der makedonischen
+Militaermonarchie nach Babylon zu verlegen als in Tarent oder Syrakus eine
+Soldatendynastie zu gruenden. Die Demokratie der griechischen Republiken, so
+sehr sie eine ewige Agonie war, liess sich in die straffen Formen des
+Militaerstaats nun einmal nicht zurueckzwingen; Philipp wusste wohl, warum er
+die griechischen Republiken seinem Reich nicht einverleibte. Im Orient war ein
+nationaler Widerstand nicht zu erwarten; herrschende und dienende Staemme
+lebten dort seit langem nebeneinander und der Wechsel des Despoten war der
+Masse der Bevoelkerung gleichgueltig oder gar erwuenscht. Im Okzident konnten
+die Roemer, die Samniten, die Karthager auch ueberwunden werden; aber kein
+Eroberer haette es vermocht, die Italiker in aegyptische Fellahs zu verwandeln
+oder aus den roemischen Bauern Zinspflichtige hellenischer Barone zu machen.
+Was man auch ins Auge fasst, die eigene Macht, die Bundesgenossen, die Kraefte
+der Gegner - ueberall erscheint der Plan des Makedoniers als eine ausfuehrbare,
+der des Epeiroten als eine unmoegliche Unternehmung; jener als die Vollziehung
+einer grossen geschichtlichen Aufgabe, dieser als ein merkwuerdiger Fehlgriff;
+jener als die Grundlegung zu einem neuen Staatensystem und einer neuen Phase
+der Zivilisation, dieser als eine geschichtliche Episode. Alexanders Werk
+ueberlebte ihn, obwohl der Schoepfer zur Unzeit starb; Pyrrhos sah mit eigenen
+Augen das Scheitern aller seiner Plaene, ehe der Tod ihn abrief. Sie beide
+waren kuehne und grosse Naturen, aber Pyrrhos nur der erste Feldherr, Alexander
+vor allem der genialste Staatsmann seiner Zeit; und wenn es die Einsicht in das
+Moegliche und Unmoegliche ist, die den Helden vom Abenteurer scheidet, so muss
+Pyrrhos diesen zugezaehlt und darf seinem groesseren Verwandten sowenig zur
+Seite gestellt werden wie etwa der Connetable von Bourbon Ludwig dem Elften.
+</p>
+
+<p>
+Und dennoch knuepft sich ein wunderbarer Zauber an den Namen des Epiroten, eine
+eigene Teilnahme, die allerdings zum Teil der ritterlichen und liebenswuerdigen
+Persoenlichkeit desselben, aber mehr doch noch dem Umstande gilt, dass er der
+erste Grieche ist, der den Roemern im Kampfe gegenuebertritt. Mit ihm beginnen
+jene unmittelbaren Beziehungen zwischen Rom und Hellas, auf denen die ganze
+spaetere Entfaltung der antiken Zivilisation und ein wesentlicher Teil der
+modernen beruht. Der Kampf zwischen Phalangen und Kohorten, zwischen der
+Soeldnerarmee und der Landwehr, zwischen dem Heerkoenigtum und dem
+Senatorenregiment, zwischen dem individuellen Talent und der nationalen Kraft -
+dieser Kampf zwischen Rom und dem Hellenismus ward zuerst durchgefochten in den
+Schlachten zwischen Pyrrhos und den roemischen Feldherren; und wenn auch die
+unterliegende Partei noch oft nachher appelliert hat an neue Entscheidung der
+Waffen, so hat doch jeder spaetere Schlachttag das Urteil lediglich bestaetigt.
+Wenn aber auf der Walstatt wie in der Kurie die Griechen unterliegen, so ist
+ihr Uebergewicht nicht minder entschieden in jedem anderen, nicht politischen
+Wettkampf, und eben schon diese Kaempfe lassen es ahnen, dass der Sieg Roms
+ueber die Hellenen ein anderer sein wird als der ueber Gallier und Phoeniker,
+und dass Aphroditens Zauber erst zu wirken beginnt, wenn die Lanze zersplittert
+und Helm und Schild beiseite gelegt ist.
+</p>
+
+<p>
+Koenig Pyrrhos war der Sohn des Aeakides, des Herrn der Molosser (um Janina),
+welcher, von Alexander geschont als Verwandter und getreuer Lehnsmann, nach
+dessen Tode in den Strudel der makedonischen Familienpolitik hineingerissen
+ward und darin zuerst sein Reich und dann das Leben verlor (441 313). Sein
+damals sechsjaehriger Sohn ward von dem Herrn der illyrischen Taulantier,
+Glaukias, gerettet und im Laufe der Kaempfe um Makedoniens Besitz, noch ein
+Knabe, von Demetrios dem Belagerer wieder zurueckgefuehrt in sein angestammtes
+Fuerstentum (447 307), um es nach wenigen Jahren durch den Einfluss der
+Gegenpartei wieder einzubuessen (um 452 302) und als landfluechtiger
+Fuerstensohn im Gefolge der makedonischen Generale seine militaerische Laufbahn
+zu beginnen. Bald machte seine Persoenlichkeit sich geltend. Unter Antigonos
+machte er dessen letzte Feldzuege mit; der alte Marschall Alexanders hatte
+seine Freude an dem geborenen Soldaten, dem nach dem Urteile des ergrauten
+Feldherrn nur die Jahre fehlten um schon jetzt der erste Kriegsmann der Zeit zu
+sein. Die unglueckliche Schlacht bei Ipsos brachte ihn als Geisel nach
+Alexandreia an den Hof des Gruenders der Lagidendynastie, wo er durch sein
+kuehnes und derbes Wesen, seinen alles nicht Militaerische gruendlich
+verachtenden Soldatensinn nicht minder des staatsklugen Koenigs Ptolemaeos
+Aufmerksamkeit auf sich zog als durch seine maennliche Schoenheit, der das
+wilde Antlitz, der gewaltige Tritt keinen Eintrag tat, die der koeniglichen
+Damen. Eben damals gruendete der kuehne Demetrios sich wieder einmal, diesmal
+in Makedonien, ein neues Reich; natuerlich in der Absicht, von dort aus die
+Alexandermonarchie zu erneuern. Es galt, ihn niederzuhalten, ihm daheim zu
+schaffen zu machen; und der Lagide, der solche Feuerseelen, wie der
+epeirotische Juengling eine war, vortrefflich fuer seine feine Politik zu
+nutzen verstand, tat nicht bloss seiner Gemahlin, der Koenigin Berenike einen
+Gefallen, sondern foerderte auch seine eigenen Zwecke, indem er dem jungen
+Fuersten seine Stieftochter, die Prinzessin Antigone zur Gemahlin gab und dem
+geliebten &ldquo;Sohn&rdquo; zur Rueckkehr in die Heimat seinen Beistand und
+seinen maechtigen Einfluss lieh (458 296). Zurueckgekehrt in sein vaeterliches
+Reich fiel ihm bald alles zu; die tapferen Epeiroten, die Albanesen des
+Altertums, hingen mit angestammter Treue und frischer Begeisterung an dem
+mutigen Juengling, dem &ldquo;Adler&rdquo;, wie sie ihn hiessen. In den um die
+makedonische Thronfolge nach Kassanders Tod (457 297) entstandenen Wirren
+erweiterte der Epeirote sein Reich; nach und nach gewann er die Landschaften an
+dem ambrakischen Busen mit der wichtigen Stadt Ambrakia, die Insel Kerkyra, ja
+selbst einen Teil des makedonischen Gebiets, und widerstand mit weit geringeren
+Streitkraeften dem Koenig Demetrios zur Bewunderung der Makedonier selbst. Ja,
+als Demetrios durch seine eigene Torheit in Makedonien vom Thron gestuerzt war,
+trug man dort dem ritterlichen Gegner, dem Verwandten der Alexandriden,
+denselben freiwillig an (467 287). In der Tat, keiner war wuerdiger als
+Pyrrhos, das koenigliche Diadem Philipps und Alexanders zu tragen. In einer
+tief versunkenen Zeit, in der Fuerstlichkeit und Niedertraechtigkeit
+gleichbedeutend zu werden begannen, leuchtete hell Pyrrhos&rsquo; persoenlich
+unbefleckter und sittenreiner Charakter. Fuer die freien Bauern des
+makedonischen Stammlandes, die, obwohl gemindert und verarmt, sich doch
+fernhielten von dem Verfall der Sitten und der Tapferkeit, den das
+Diadochenregiment in Griechenland und Asien herbeifuehrte, schien eben Pyrrhos
+recht eigentlich zum Koenig geschaffen; er, der gleich Alexander in seinem
+Haus, im Freundeskreise allen menschlichen Beziehungen sein Herz offen erhielt
+und das in Makedonien so verhasste orientalische Sultanwesen stets von sich
+abgewehrt hatte; er, der gleich Alexander anerkannt der erste Taktiker seiner
+Zeit war. Aber das seltsam ueberspannte makedonische Nationalgefuehl, das den
+elendesten makedonischen Herrn dem tuechtigsten Fremden vorzog, die
+unvernuenftige Widerspenstigkeit der makedonischen Truppen gegen jeden nicht
+makedonischen Fuehrer, welcher der groesste Feldherr aus Alexanders Schule, der
+Kardianer Eumenes erlegen war, bereitete auch der Herrschaft des epeirotischen
+Fuersten ein schnelles Ende. Pyrrhos, der die Herrschaft ueber Makedonien mit
+dem Willen der Makedonier nicht fuehren konnte, und zu machtlos, vielleicht
+auch zu hochherzig war, um sich dem Volke gegen dessen Willen aufzudraengen,
+ueberliess schon nach siebenmonatlicher Herrschaft das Land seiner
+einheimischen Missregierung und ging heim zu seinen treuen Epeiroten (467 287).
+Aber der Mann, der Alexanders Krone getragen hatte, der Schwager des Demetrios,
+der Schwiegersohn des Lagiden und des Agathokles von Syrakus, der hochgebildete
+Strategiker, der Memoiren und wissenschaftliche Abhandlungen ueber die
+Kriegskunst schrieb, konnte unmoeglich sein Leben darueber beschliessen, dass
+er zu gesetzter Zeit im Jahre die Rechnungen des koeniglichen Viehverwalters
+durchsah und von seinen braven Epeiroten die landueblichen Geschenke an Rindern
+und Schafen entgegennahm, um sich alsdann am Altar des Zeus von ihnen den Eid
+der Treue erneuern zu lassen und selbst den Eid auf die Gesetze zu wiederholen
+und, diesem allen zu mehrerer Bekraeftigung, mit ihnen die Nacht hindurch zu
+zechen. War kein Platz fuer ihn auf dem makedonischen Thron, so war ueberhaupt
+in der Heimat seines Bleibens nicht; er konnte der Erste sein und also nicht
+der Zweite. So wandten sich seine Blicke in die Weite. Die Koenige, die um
+Makedoniens Besitz haderten, obwohl sonst in nichts einig, waren gern bereit,
+gemeinschaftlich zu helfen, dass der gefaehrliche Nebenbuhler freiwillig
+ausscheide; und dass die treuen Kriegsgenossen ihm folgen wuerden, wohin er sie
+fuehrte, dessen war er gewiss. Eben damals stellten die italischen
+Verhaeltnisse sich so, dass jetzt wiederum als ausfuehrbar erscheinen konnte,
+was vierzig Jahre frueher Pyrrhos&rsquo; Verwandter, seines Vaters Vetter
+Alexander von Epeiros, und eben erst sein Schwiegervater Agathokles
+beabsichtigt hatten; und so entschloss sich Pyrrhos, auf seine makedonischen
+Plaene zu verzichten und im Westen eine neue Herrschaft fuer sich und fuer die
+hellenische Nation zu gruenden.
+</p>
+
+<p>
+Die Waffenruhe, die der Friede mit Samnium 464 (290) fuer Italien
+herbeigefuehrt hatte, war von kurzer Dauer; der Anstoss zur Bildung einer neuen
+Ligue gegen die roemische Uebermacht kam diesmal von den Lucanern. Dieser
+Voelkerschaft, die durch ihre Parteinahme fuer Rom die Tarentiner waehrend der
+Samnitischen Kriege gelaehmt und zu deren Entscheidung wesentlich beigetragen
+hatte, waren dafuer von den Roemern die Griechenstaedte in ihrem Gebiet
+preisgegeben worden; und demgemaess hatten sie nach abgeschlossenem Frieden in
+Gemeinschaft mit den Brettiern sich daran gemacht, eine nach der anderen zu
+bezwingen. Die Thuriner, wiederholt angegriffen von dem Feldherrn der Lucaner,
+Stenius Statilius, und aufs aeusserste bedraengt, wandten sich, ganz wie einst
+die Kampaner die Hilfe Roms gegen die Samniten in Anspruch genommen hatten und
+ohne Zweifel um den gleichen Preis ihrer Freiheit und Selbstaendigkeit, mit der
+Bitte um Beistand gegen die Lucaner an den roemischen Senat. Da das Buendnis
+mit diesen durch die Anlage der Festung Venusia fuer Rom entbehrlich geworden
+war, gewaehrten die Roemer das Begehren der Thuriner und geboten ihren
+Bundesfreunden von der Stadt, die sich den Roemern ergeben habe, abzulassen.
+Die Lucaner und Brettier, also von den maechtigeren Verbuendeten betrogen um
+den Anteil an der gemeinschaftlichen Beute, knuepften Verhandlungen an mit der
+samnitisch-tarentinischen Oppositionspartei, um eine neue Koalition der
+Italiker zustande zu bringen; und als die Roemer sie durch eine Gesandtschaft
+warnen liessen, setzten sie den Gesandten gefangen und begannen den Krieg gegen
+Rom mit einem neuen Angriff auf Thurii (um 469 285), indem sie zugleich nicht
+bloss die Samniten und die Tarentiner, sondern auch die Norditaliker, die
+Etrusker, Umbrer, Gallier aufriefen, mit ihnen zum Freiheitskampf sich zu
+vereinigen. In der Tat erhob sich der etruskische Bund und dang zahlreiche
+gallische Haufen; das roemische Heer, das der Praetor Lucius Caecilius den treu
+gebliebenen Arretinern zu Hilfe fuehrte, ward unter den Mauern dieser Stadt von
+den senonischen Soeldnern der Etrusker vernichtet, der Feldherr selbst fiel mit
+13000 seiner Leute (470 284). Die Senonen zaehlten zu Roms Bundesgenossen: die
+Roemer schickten demnach Gesandte an sie, um ueber die Stellung von
+Reislaeufern gegen Rom Klage zu fuehren und die unentgeltliche Rueckgabe der
+Gefangenen zu begehren. Aber auf Befehl des Senonenhaeuptlings Britomaris, der
+den Tod seines Vaters an den Roemern zu raechen hatte, erschlugen die Senonen
+die roemischen Boten und ergriffen offen die Partei der Etrusker. Ganz
+Norditalien, Etrusker, Umbrer, Gallier, stand somit gegen Rom in Waffen; es
+konnten grosse Erfolge gewonnen werden, wenn die suedlichen Landschaften diesen
+Augenblick ergriffen und auch diejenigen, die es nicht bereits getan, sich
+gegen Rom erklaerten. In der Tat scheinen die Samniten, immer fuer die Freiheit
+einzustehen willig, den Roemern den Krieg erklaert zu haben; aber geschwaecht
+und von allen Seiten eingeschlossen, wie sie waren, konnten sie dem Bunde wenig
+nuetzen, und Tarent zauderte nach seiner Gewohnheit. Waehrend unter den Gegnern
+Buendnisse verhandelt, Subsidientraktate festgesetzt, Soeldner zusammengebracht
+wurden, handelten die Roemer. Zunaechst hatten es die Senonen zu empfinden, wie
+gefaehrlich es sei, die Roemer zu besiegen. Der Konsul Publius Cornelius
+Dolabella rueckte mit einem starken Heer in ihr Gebiet; was nicht ueber die
+Klinge sprang, ward aus dem Lande ausgetrieben und dieser Stamm ausgestrichen
+aus der Reihe der italischen Nationen (471 283). Bei einem vorzugsweise von
+seinen Herden lebenden Volke war eine derartige massenhafte Austreibung wohl
+ausfuehrbar; wahrscheinlich halfen diese aus Italien vertriebenen Senonen die
+gallischen Schwaerme bilden, die bald nachher das Donaugebiet, Makedonien,
+Griechenland, Kleinasien ueberschwemmten. Die naechsten Nachbarn und
+Stammgenossen der Senonen, die Boier, erschreckt und erbittert durch die
+furchtbar schnell sich vollendende Katastrophe, vereinigten sich augenblicklich
+mit den Etruskern, die noch den Krieg fortfuehrten und deren senonische
+Soeldner jetzt gegen die Roemer nicht mehr als Mietlinge fochten, sondern als
+verzweifelte Raecher der Heimat; ein gewaltiges etruskisch-gallisches Heer zog
+gegen Rom, um fuer die Vernichtung des Senonenstammes an der Hauptstadt der
+Feinde Rache zu nehmen und vollstaendiger, als einst der Heerkoenig derselben
+Senonen es getan, Rom von der Erde zu vertilgen. Allein beim Uebergang ueber
+den Tiber in der Naehe des Vadimonischen Sees wurde das vereinigte Heer von den
+Roemern nachdruecklich geschlagen (471 283). Nachdem sie das Jahr darauf noch
+einmal bei Populonia mit nicht besserem Erfolg eine Feldschlacht gewagt hatten,
+liessen die Boier ihre Bundesgenossen im Stich und schlossen fuer sich mit den
+Roemern Frieden (472 282). So war das gefaehrlichste Glied der Ligue, das
+Galliervolk, einzeln ueberwunden, ehe noch der Bund sich vollstaendig
+zusammenfand, und dadurch Rom freie Hand gegen Unteritalien gegeben, wo in den
+Jahren 469-471 (285-283) der Kampf nicht ernstlich gefuehrt worden war. Hatte
+bis dahin die schwache roemische Armee Muehe gehabt, sich in Thurii gegen die
+Lucaner und Brettier zu behaupten, so erschien jetzt (472 282) der Konsul Gaius
+Fabricius Luscinus mit einem starken Heer vor der Stadt, befreite dieselbe,
+schlug die Lucaner in einem grossen Treffen und nahm ihren Feldherrn Statilius
+gefangen. Die kleineren nichtdorischen Griechenstaedte, die in den Roemern ihre
+Retter erkannten, fielen ihnen ueberall freiwillig zu; roemische Besatzungen
+blieben zurueck in den wichtigsten Plaetzen, in Lokri, Kroton, Thurii und
+namentlich in Rhegion, auf welche letztere Stadt auch die Karthager Absichten
+zu haben schienen. Ueberall war Rom im entschiedensten Vorteil. Die Vernichtung
+der Senonen hatte den Roemern eine bedeutende Strecke des adriatischen Litorals
+in die Haende gegeben; ohne Zweifel im Hinblick auf die unter der Asche
+glimmende Fehde mit Tarent und die schon drohende Invasion der Epeiroten eilte
+man, sich dieser Kueste sowie der Adriatischen See zu versichern. Es ward (um
+471 283) eine Buergerkolonie gefuehrt nach dem Hafenplatz Sena (Sinigaglia),
+der ehemaligen Hauptstadt des senonischen Bezirks und gleichzeitig segelte eine
+roemische Flotte aus dem Tyrrhenischen Meer in die oestlichen Gewaesser,
+offenbar, um im Adriatischen Meer zu stationieren und dort die roemischen
+Besitzungen zu decken.
+</p>
+
+<p>
+Die Tarentiner hatten seit dem Vertrag von 450 (304) mit Rom in Frieden gelebt.
+Sie hatten der langen Agonie der Samniten, der raschen Vernichtung der Senonen
+zugesehen, sich die Gruendung von Venusia, Hatria, Sena, die Besetzung von
+Thurii und Rhegion gefallen lassen, ohne Einspruch zu tun. Aber als jetzt die
+roemische Flotte auf ihrer Fahrt vom Tyrrhenischen ins Adriatische Meer in die
+tarentinischen Gewaesser gelangte und im Hafen der befreundeten Stadt vor Anker
+ging, schwoll die langgehegte Erbitterung endlich ueber; die alten Vertraege,
+die den roemischen Kriegsschiffen untersagten, oestlich vom Lakinischen
+Vorgebirg zu fahren, wurden in der Buergerversammlung von den Volksmaennern zur
+Sprache gebracht; wuetend stuerzte der Haufen ueber die roemischen
+Kriegsschiffe her, die, unversehens nach Piratenart ueberfallen, nach heftigem
+Kampfe unterlagen; fuenf Schiffe wurden genommen und deren Mannschaft
+hingerichtet oder in die Knechtschaft verkauft, der roemische Admiral selbst
+war in dem Kampf gefallen. Nur der souveraene Unverstand und die souveraene
+Gewissenlosigkeit der Poebelherrschaft erklaert diese schmachvollen Vorgaenge.
+Jene Vertraege gehoerten einer Zeit an, die laengst ueberschritten und
+verschollen war; es ist einleuchtend, dass sie wenigstens seit der Gruendung
+von Hatria und Sena schlechterdings keinen Sinn mehr hatten und dass die Roemer
+im guten Glauben an das bestehende Buendnis in den Golf einfuhren - lag es doch
+gar sehr in ihrem Interesse, wie der weitere Verlauf der Dinge zeigt, den
+Tarentinern durchaus keinen Anlass zur Kriegserklaerung darzubieten. Wenn die
+Staatsmaenner Tarents den Krieg an Rom erklaeren wollten, so taten sie bloss,
+was laengst haette geschehen sollen; und wenn sie es vorzogen, die
+Kriegserklaerung statt auf den wirklichen Grund vielmehr auf formalen
+Vertragsbruch zu stuetzen, so liess sich dagegen weiter nichts erinnern, da ja
+die Diplomatie zu allen Zeiten es unter ihrer Wuerde erachtet hat, das Einfache
+einfach zu sagen. Allein dass man, statt den Admiral zur Umkehr aufzufordern,
+die Flotte mit gewaffneter Hand ungewarnt ueberfiel, war eine Torheit nicht
+minder als eine Barbarei, eine jener entsetzlichen Barbareien der Zivilisation,
+wo die Gesittung ploetzlich das Steuerruder verliert und die nackte Gemeinheit
+vor uns hintritt, gleichsam um zu warnen vor dem kindischen Glauben, als
+vermoege die Zivilisation aus der Menschennatur die Bestialitaet auszuwurzeln.
+</p>
+
+<p>
+Und als waere damit noch nicht genug getan, ueberfielen nach dieser Heldentat
+die Tarentiner Thurii, dessen roemische Besatzung infolge der Ueberrumpelung
+kapitulierte (im Winter 472/73 282/81), und bestraften die Thuriner, dieselben,
+die die tarentinische Politik den Lucanern preisgegeben und dadurch gewaltsam
+zur Ergebung an Rom gedraengt hatte, schwer fuer ihren Abfall von der
+hellenischen Partei zu den Barbaren.
+</p>
+
+<p>
+Die Barbaren verfuhren indes mit einer Maessigung, die bei solcher Macht und
+nach solchen Kraenkungen Bewunderung erregt. Es lag im Interesse Roms, die
+tarentinische Neutralitaet so lange wie moeglich gelten zu lassen, und die
+leitenden Maenner im Senat verwarfen deshalb den Antrag, den eine Minoritaet in
+begreiflicher Erbitterung stellte, den Tarentinern sofort den Krieg zu
+erklaeren. Vielmehr wurde die Fortdauer des Friedens roemischerseits an die
+maessigsten Bedingungen geknuepft, die sich mit Roms Ehre vertrugen: Entlassung
+der Gefangenen, Rueckgabe von Thurii, Auslieferung der Urheber des Ueberfalls
+der Flotte. Mit diesen Vorschlaegen ging eine roemische Gesandtschaft nach
+Tarent (473 281), waehrend gleichzeitig, ihren Worten Nachdruck zu geben, ein
+roemisches Heer unter dem Konsul Lucius Aemilius in Samnium einrueckte. Die
+Tarentiner konnten, ohne ihrer Unabhaengigkeit etwas zu vergeben, diese
+Bedingungen eingehen, und bei der geringen Kriegslust der reichen Kaufstadt
+durfte man in Rom mit Recht annehmen, dass ein Abkommen noch moeglich sei.
+Allein der Versuch, den Frieden zu erhalten, scheiterte - sei es an dem
+Widerspruch derjenigen Tarentiner, die die Notwendigkeit erkannten, den
+Uebergriffen Roms je eher desto lieber mit den Waffen entgegenzutreten, sei es
+bloss an der Unbotmaessigkeit des staedtischen Poebels, der sich mit beliebter
+griechischer Ungezogenheit sogar an der Person des Gesandten in unwuerdiger
+Weise vergriff. Nun rueckte der Konsul in das tarentinische Gebiet ein; aber
+statt sofort die Feindseligkeiten zu eroeffnen, bot er noch einmal auf
+dieselben Bedingungen den Frieden; und da auch dies vergeblich war, begann er
+zwar die Aecker und Landhaeuser zu verwuesten und schlug die staedtischen
+Milizen, aber die vornehmeren Gefangenen wurden ohne Loesegeld entlassen und
+man gab die Hoffnung nicht auf, dass der Kriegsdruck der aristokratischen
+Partei in der Stadt das Uebergewicht geben und damit den Frieden herbeifuehren
+werde. Die Ursache dieser Zurueckhaltung war, dass die Roemer die Stadt nicht
+dem Epeirotenkoenig in die Arme treiben wollten. Die Absichten desselben auf
+Italien waren kein Geheimnis mehr. Schon war eine tarentinische Gesandtschaft
+zu Pyrrhos gegangen und unverrichteter Sache zurueckgekehrt; der Koenig hatte
+mehr begehrt, als sie zu bewilligen Vollmacht hatte. Man musste sich
+entscheiden. Dass die Buergerwehr vor den Roemern nur wegzulaufen verstand,
+davon hatte man sich sattsam ueberzeugt; es blieb nur die Wahl zwischen Frieden
+mit Rom, den die Roemer unter billigen Bedingungen zu bewilligen fortwaehrend
+bereit waren, und Vertrag mit Pyrrhos auf jede dem Koenig gutduenkende
+Bedingung, das heisst die Wahl zwischen Unterwerfung unter die roemische
+Obermacht oder unter die Tyrannis eines griechischen Soldaten. Die Parteien
+hielten in der Stadt sich fast die Waage; endlich blieb die Oberhand der
+Nationalpartei, wobei ausser dem wohl gerechtfertigten Motiv, sich, wenn einmal
+ueberhaupt einem Herrn, lieber einem Griechen als Barbaren zu eigen zu geben,
+auch noch die Furcht der Demagogen mitwirkte, dass Rom trotz seiner jetzigen,
+durch die Umstaende erzwungenen Maessigung bei geeigneter Gelegenheit nicht
+saeumen werde, Rache fuer die von dem Tarentiner Poebel veruebten
+Schaendlichkeiten zu nehmen. Die Stadt schloss also mit Pyrrhos ab. Er erhielt
+den Oberbefehl ueber die Truppen der Tarentiner und der uebrigen gegen Rom
+unter Waffen stehenden Italioten; ferner das Recht, in Tarent Besatzung zu
+halten. Dass die Stadt die Kriegskosten trug, versteht sich von selbst. Pyrrhos
+versprach dagegen, in Italien nicht laenger als noetig zu bleiben, vermutlich
+unter dem stillschweigenden Vorbehalt, die Zeit, waehrend welcher er dort
+noetig sein werde, nach eigenem Ermessen festzustellen. Dennoch waere ihm die
+Beute fast unter den Haenden entschluepft. Waehrend die tarentinischen
+Gesandten - ohne Zweifel die Haeupter der Kriegspartei - in Epeiros abwesend
+waren, schlug in der von den Roemern jetzt hart gedraengten Stadt die Stimmung
+um; schon war der Oberbefehl dem Agis, einem roemisch Gesinnten uebertragen,
+als die Rueckkehr der Gesandten mit dem abgeschlossenen Traktat in Begleitung
+von Pyrrhos&rsquo; vertrautem Minister Kineas die Kriegspartei wieder ans Ruder
+brachte. Bald fasste eine festere Hand die Zuegel und machte dem klaeglichen
+Schwanken ein Ende. Noch im Herbst 473 (281) landete Pyrrhos&rsquo; General
+Milon mit 3000 Epeiroten und besetzte die Zitadelle der Stadt; ihm folgte zu
+Anfang des Jahres 474 (280) nach einer stuermischen, zahlreiche Opfer
+fordernden Ueberfahrt der Koenig selbst. Er fuehrte nach Tarent ein
+ansehnliches, aber buntgemischtes Heer, teils bestehend aus den Haustruppen,
+den Molossern, Thesprotiern, Chaonern, Ambrakioten, teils aus dem makedonischen
+Fussvolk und der thessalischen Reiterei, die Koenig Ptolemaeos von Makedonien
+vertragsmaessig ihm ueberlassen, teils aus aetolischen, akarnanischen,
+athamanischen Soeldnern; im ganzen zaehlte man 20000 Phalangiten, 2000
+Bogenschuetzen, 500 Schleuderer, 3000 Reiter und 20 Elefanten, also nicht viel
+weniger, als dasjenige Heer betragen hatte, mit dem Alexander fuenfzig Jahre
+zuvor den Hellespont ueberschritt.
+</p>
+
+<p>
+Die Angelegenheiten der Koalition standen nicht zum besten, als der Koenig kam.
+Zwar hatte der roemische Konsul, sowie er die Soldaten Milons anstatt der
+tarentinischen Miliz sich gegenueber aufziehen sah, den Angriff auf Tarent
+aufgegeben und sich nach Apulien zurueckgezogen; aber mit Ausnahme des Gebietes
+von Tarent beherrschten die Roemer so gut wie ganz Italien. Nirgends in
+Unteritalien hatte die Koalition eine Armee im Felde, und auch in Oberitalien
+hatten die Etrusker, die allein noch in Waffen standen, in dem letzten Feldzuge
+(473 281) nichts als Niederlagen erlitten. Die Verbuendeten hatten, ehe der
+Koenig zu Schiff ging, ihm den Oberbefehl ueber ihre saemtlichen Truppen
+uebertragen und ein Heer von 350000 Mann zu Fuss und 20000 Reiter ins Feld
+stellen zu koennen erklaert; zu diesen grossen Worten bildete die Wirklichkeit
+einen unerfreulichen Kontrast. Das Heer, dessen Oberbefehl man Pyrrhos
+uebertragen, war noch erst zu schaffen, und vorlaeufig standen dazu
+hauptsaechlich nur Tarents eigene Hilfsquellen zu Gebot. Der Koenig befahl die
+Anwerbung eines italischen Soeldnerheeres mit tarentinischem Gelde und hob die
+dienstfaehigen Leute aus der Buergerschaft zum Kriegsdienst aus. So aber hatten
+die Tarentiner den Vertrag nicht verstanden. Sie hatten gemeint, den Sieg wie
+eine andere Ware fuer ihr Geld sich gekauft zu haben; es war eine Art
+Kontraktbruch, dass der Koenig sie zwingen wollte, sich ihn selber zu
+erfechten. Je mehr die Buergerschaft anfangs nach Milons Eintreffen sich
+gefreut hatte, des laestigen Postendienstes los zu sein, desto unwilliger
+stellte man jetzt sich unter die Fahnen des Koenigs; den Saeumigen musste mit
+Todesstrafe gedroht werden. Jetzt gab der Ausgang bei allen der Friedenspartei
+Recht, und es wurden sogar mit Rom Verbindungen angeknuepft oder schienen doch
+angeknuepft zu werden. Pyrrhos, auf solchen Widerstand vorbereitet, behandelte
+die Stadt fortan wie eine eroberte: die Soldaten wurden in die Haeuser
+einquartiert, die Volksversammlungen und die zahlreichen Kraenzchen (συσσίτια)
+suspendiert, das Theater geschlossen, die Promenaden gesperrt, die Tore mit
+epeirotischen Wachen besetzt. Eine Anzahl der fuehrenden Maenner wurden als
+Geiseln ueber das Meer gesandt; andere entzogen sich dem gleichen Schicksal
+durch die Flucht nach Rom. Diese strengen Massregeln waren notwendig, da es
+schlechterdings unmoeglich war, sich in irgendeinem Sinn auf die Tarentiner zu
+verlassen; erst jetzt konnte der Koenig, gestuetzt auf den Besitz der wichtigen
+Stadt, die Operationen im Felde beginnen.
+</p>
+
+<p>
+Auch in Rom wusste man sehr wohl, welchem Kampf man entgegenging. Um vor allem
+die Treue der Bundesgenossen, das heisst der Untertanen zu sichern, erhielten
+die unzuverlaessigen Staedte Besatzung und wurden die Fuehrer der Partei der
+Unabhaengigkeit, wo es notwendig schien, festgesetzt oder hingerichtet, so zum
+Beispiel eine Anzahl Mitglieder des praenestinischen Senats. Fuer den Krieg
+selbst wurden grosse Anstrengungen gemacht; es ward eine Kriegssteuer
+ausgeschrieben, von allen Untertanen und Bundesgenossen das volle Kontingent
+eingemahnt, ja die eigentlich von der Dienstpflicht befreiten Proletarier unter
+die Waffen gerufen. Ein roemisches Heer blieb als Reserve in der Hauptstadt.
+Ein zweites rueckte unter dem Konsul Tiberius Coruncanius in Etrurien ein und
+trieb Volci und Volsinii zu Paaren. Die Hauptmacht war natuerlich nach
+Unteritalien bestimmt; man beschleunigte so viel als moeglich ihren Abmarsch,
+um Pyrrhos noch in der Gegend von Tarent zu erreichen und ihn zu hindern, die
+Samniten und die uebrigen gegen Rom in Waffen stehenden sueditalischen
+Aufgebote mit seinen Truppen zu vereinigen. Einen vorlaeufigen Damm gegen das
+Umsichgreifen des Koenigs sollten die roemischen Besatzungen gewaehren, die in
+den Griechenstaedten Unteritaliens lagen. Indes die Meuterei der in Rhegion
+liegenden Truppe - es war eine der aus den kampanischen Untertanen Roms
+ausgehobenen Legionen unter einem kampanischen Hauptmann Decius - entriss den
+Roemern diese wichtige Stadt, ohne sie doch Pyrrhos in die Haende zu geben.
+Wenn einerseits bei diesem Militaeraufstand der Nationalhass der Kampaner gegen
+die Roemer unzweifelhaft mitwirkte, so konnte anderseits Pyrrhos, der zu Schirm
+und Schutz der Hellenen ueber das Meer gekommen war, unmoeglich die Truppe in
+den Bund aufnehmen, welche ihre rheginischen Wirte in den Haeusern
+niedergemacht hatte; und so blieb sie fuer sich, im engen Bunde mit ihren
+Stamm- und Frevelgenossen, den Mamertinern, das heisst den kampanischen
+Soeldnern des Agathokles, die das gegenueberliegende Messana in aehnlicher
+Weise gewonnen hatten, und brandschatzte und verheerte auf eigene Rechnung die
+umliegenden Griechenstaedte, so Kroton, wo sie die roemische Besatzung
+niedermachte, und Kaulonia, das sie zerstoerte. Dagegen gelang es den Roemern,
+durch ein schwaches Korps, das an die lucanische Grenze rueckte, und durch die
+Besatzung von Venusia die Lucaner und Samniten an der Vereinigung mit Pyrrhos
+zu hindern, waehrend die Hauptmacht, wie es scheint vier Legionen, also mit der
+entsprechenden Zahl von Bundestruppen mindestens 50000 Mann stark, unter dem
+Konsul Publius Laevinus gegen Pyrrhos marschierte. Dieser hatte sich zur
+Deckung der tarentinischen Kolonie Herakleia zwischen dieser Stadt und Pandosia
+^2 mit seinen eigenen und den tarentinischen Truppen aufgestellt (474 280). Die
+Roemer erzwangen unter Deckung ihrer Reiterei den Uebergang ueber den Siris und
+eroeffneten die Schlacht mit einem hitzigen und gluecklichen Reiterangriff; der
+Koenig, der seine Reiter selber fuehrte, stuerzte und die griechischen Reiter,
+durch das Verschwinden des Fuehrers in Verwirrung gebracht, raeumten den
+feindlichen Schwadronen das Feld. Indes Pyrrhos stellte sich an die Spitze
+seines Fussvolks, und von neuem begann ein entscheidenderes Treffen. Siebenmal
+trafen die Legionen und die Phalanx im Stoss aufeinander und immer noch stand
+der Kampf. Da fiel Megakles, einer der besten Offiziere des Koenigs, und weil
+er an diesem heissen Tage die Ruestung des Koenigs getragen hatte, glaubte das
+Heer zum zweitenmal, dass der Koenig gefallen sei; die Reihen wurden unsicher,
+schon meinte Laevinus den Sieg in der Hand zu haben und warf seine saemtliche
+Reiterei den Griechen in die Flanke. Aber Pyrrhos, entbloessten Hauptes durch
+die Reihen des Fussvolks schreitend, belebte den sinkenden Mut der Seinigen.
+Gegen die Reiter wurden die bis dahin zurueckgehaltenen Elefanten vorgefuehrt;
+die Pferde scheuten vor ihnen, die Soldaten wussten den gewaltigen Tieren nicht
+beizukommen und wandten sich zur Flucht. Die zersprengten Reiterhaufen, die
+nachsetzenden Elefanten loesten endlich auch die geschlossenen Glieder des
+roemischen Fussvolks, und die Elefanten, im Verein mit der trefflichen
+thessalischen Reiterei, richteten ein grosses Blutbad unter den Fluechtenden
+an. Haette nicht ein tapferer roemischer Soldat, Gaius Minucius, der erste
+Hastat der vierten Legion, einen der Elefanten verwundet und dadurch die
+verfolgenden Truppen in Verwirrung gebracht, so waere das roemische Heer
+aufgerieben worden; so gelang es, den Rest der roemischen Truppen ueber den
+Siris zurueckzufuehren. Ihr Verlust war gross: 7000 Roemer wurden tot oder
+verwundet von den Siegern auf der Walstatt gefunden, 2000 gefangen eingebracht;
+die Roemer selbst gaben, wohl mit Einschluss der vom Schlachtfeld
+zurueckgebrachten Verwundeten, ihren Verlust an auf 15000 Mann. Aber auch
+Pyrrhos&rsquo; Heer hatte nicht viel weniger gelitten; gegen 4000 seiner besten
+Soldaten bedeckten das Schlachtfeld und mehrere seiner tuechtigsten Obersten
+waren gefallen. Erwaegend, dass sein Verlust hauptsaechlich auf die
+altgedienten Leute traf, die bei weitem schwerer zu ersetzen waren als die
+roemische Landwehr, und dass er den Sieg nur der Ueberraschung durch den
+Elefantenangriff verdankte, die sich nicht oft wiederholen liess, mag der
+Koenig wohl, strategischer Kritiker wie er war, spaeterhin diesen Sieg einer
+Niederlage aehnlich genannt haben; wenn er auch nicht so toericht war, wie die
+roemischen Poeten nachher gedichtet haben, in der Aufschrift des von ihm in
+Tarent aufgestellten Weihgeschenkes diese Selbstkritik dem Publikum
+mitzuteilen. Politisch kam zunaechst wenig darauf an, welche Opfer der Sieg
+gekostet hatte; vielmehr war der Gewinn der ersten Schlacht gegen die Roemer
+fuer Pyrrhos ein unschaetzbarer Erfolg. Sein Feldherrntalent hatte auch auf
+diesem neuen Schlachtfeld sich glaenzend bewaehrt, und wenn irgend etwas,
+musste der Sieg von Herakleia dem hinsiechenden Bunde der Italiker Einigkeit
+und Energie einhauchen. Aber auch die unmittelbaren Ergebnisse des Sieges waren
+ansehnlich und nachhaltig. Lucanien war fuer die Roemer verloren; Laevinus zog
+die dort stehenden Truppen an sich und ging nach Apulien. Die Brettier,
+Lucaner, Samniten vereinigten sich ungehindert mit Pyrrhos. Mit Ausnahme von
+Rhegion, das unter dem Druck der kampanischen Meuterer schmachtete, fielen die
+Griechenstaedte saemtlich dem Koenig zu, ja Lokri lieferte ihm freiwillig die
+roemische Besatzung aus; von ihm waren sie ueberzeugt, und mit Recht, dass er
+sie den Italikern nicht preisgeben werde. Die Sabeller und Griechen also traten
+zu Pyrrhos ueber; aber weiter wirkte der Sieg auch nicht. Unter den Latinern
+zeigte sich keine Neigung, der roemischen Herrschaft, wie schwer sie auch
+lasten mochte, mit Hilfe eines fremden Dynasten sich zu entledigen. Venusia,
+obgleich jetzt rings von Feinden umschlossen, hielt unerschuetterlich fest an
+Rom. Den am Siris Gefangenen, deren tapfere Haltung der ritterliche Koenig
+durch die ehrenvollste Behandlung vergalt, bot er nach griechischer Sitte an,
+in sein Heer einzutreten; allein er erfuhr, dass er nicht mit Soeldnern focht,
+sondern mit einem Volke. Nicht einer, weder Roemer noch Latiner, nahm bei ihm
+Dienste.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+2 Bei dem heutigen Anglona; nicht zu verwechseln mit der bekannteren Stadt
+gleichen Namens in der Gegend von Cosenza.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Pyrrhos bot den Roemern Frieden an. Er war ein zu einsichtiger Militaer, um das
+Missliche seiner Stellung zu verkennen, und ein zu gewiegter Staatsmann, um
+nicht denjenigen Augenblick, der ihm die guenstigste Stellung gewaehrte,
+rechtzeitig zum Friedensschluss zu benutzen. Jetzt hoffte er unter dem ersten
+Eindruck der gewaltigen Schlacht, es in Rom durchsetzen zu koennen, dass die
+griechischen Staedte in Italien frei wuerden und zwischen ihnen und Rom eine
+Reihe Staaten zweiten und dritten Ranges als abhaengige Verbuendete der neuen
+griechischen Macht ins Leben traeten; denn darauf gingen seine Forderungen:
+Entlassung aller griechischen Staedte - also namentlich der kampanischen und
+lucanischen - aus der roemischen Botmaessigkeit und Rueckgabe des den Samniten,
+Dauniern, Lucanern, Brettiern abgenommenen Gebiets, das heisst namentlich
+Aufgabe von Luceria und Venusia. Konnte ein weiterer Kampf mit Rom auch
+schwerlich vermieden werden, so war es doch wuenschenswert, diesen erst zu
+beginnen, wenn die westlichen Hellenen unter einem Herrn vereinigt, Sizilien
+gewonnen, vielleicht Afrika erobert war.
+</p>
+
+<p>
+Mit solchen Instruktionen versehen, begab sich Pyrrhos&rsquo; vertrauter
+Minister, der Thessalier Kineas, nach Rom. Der gewandte Unterhaendler, den
+seine Zeitgenossen dem Demosthenes verglichen, soweit sich dem Staatsmann der
+Rhetor, dem Volksfuehrer der Herrendiener vergleichen laesst, hatte Auftrag,
+die Achtung, die der Sieger von Herakleia fuer seine Besiegten in der Tat
+empfand, auf alle Weise zur Schau zu tragen, den Wunsch des Koenigs, selber
+nach Rom zu kommen, zu erkennen zu geben, durch die im Munde des Feindes so
+wohlklingende Lob- und durch ernste Schmeichelrede, gelegentlich auch durch
+wohlangebrachte Geschenke die Gemueter zu des Koenigs Gunsten zu stimmen, kurz,
+alle Kuenste der Kabinettspolitik, wie sie an den Hoefen von Alexandreia und
+Antiocheia erprobt waren, gegen die Roemer zu versuchen. Der Senat schwankte;
+manchen erschien es der Klugheit gemaess, einen Schritt zurueck zu tun und
+abzuwarten, bis der gefaehrliche Gegner sich weiter verwickelt haben oder nicht
+mehr sein wuerde. Indes der greise und blinde Konsular Appius Claudius (Zensor
+442 312, Konsul 447, 458 307, 296), der seit langem sich von den
+Staatsgeschaeften zurueckgezogen hatte, aber in diesem entscheidenden
+Augenblick sich in den Senat fuehren liess, hauchte die ungebrochene Energie
+einer gewaltigen Natur mit seinen Flammenworten dem juengeren Geschlecht in die
+Seele. Man antwortete dem Koenig das stolze Wort, das hier zuerst vernommen und
+seitdem Staatsgrundsatz ward, dass Rom nicht unterhandle, solange auswaertige
+Truppen auf italischem Gebiet staenden, und das Wort wahr zu machen, wies man
+den Gesandten sofort aus der Stadt. Der Zweck der Sendung war verfehlt und der
+gewandte Diplomat, statt mit seiner Redekunst Effekt zu machen, hatte vielmehr
+durch diesen maennlichen Ernst nach so schwerer Niederlage sich selber
+imponieren lassen - er erklaerte daheim, dass in dieser Stadt jeder Buerger ihm
+erschienen sei wie ein Koenig; freilich, der Hofmann hatte ein freies Volk zu
+Gesicht bekommen.
+</p>
+
+<p>
+Pyrrhos, der waehrend dieser Verhandlungen in Kampanien eingerueckt war, brach
+auf die Nachricht von ihrem Abbruch sogleich auf gegen Rom, um den Etruskern
+die Hand zu reichen, die Bundesgenossen Roms zu erschuettern, die Stadt selber
+zu bedrohen. Aber die Roemer liessen sich so wenig schrecken wie gewinnen. Auf
+den Ruf des Heroldes, &ldquo;an die Stelle der Gefallenen sich einschreiben zu
+lassen&rdquo;, hatte gleich nach der Schlacht von Herakleia die junge
+Mannschaft sich scharenweise zur Aushebung gedraengt; mit den beiden
+neugebildeten Legionen und dem aus Lucanien zurueckgezogenen Korps folgte
+Laevinus, staerker als vorher, dem Marsch des Koenigs; er deckte gegen
+denselben Capua und vereitelte dessen Versuche, mit Neapel Verbindungen
+anzuknuepfen. So straff war die Haltung der Roemer, dass ausser den
+unteritalischen Griechen kein namhafter Bundesstaat es wagte, vom roemischen
+Buendnis abzufallen. Da wandte Pyrrhos sich gegen Rom selbst. Durch die reiche
+Landschaft, deren bluehenden Zustand er mit Bewunderung schaute, zog er gegen
+Fregellae, das er ueberrumpelte, erzwang den Uebergang ueber den Liris und
+gelangte bis nach Anagnia, das nicht mehr als acht deutsche Meilen von Rom
+entfernt ist. Kein Heer warf sich ihm entgegen; aber ueberall schlossen die
+Staedte Latiums ihm die Tore, und gemessenen Schrittes folgte von Kampanien aus
+Laevinus ihm nach, waehrend von Norden der Konsul Tiberius Coruncanius, der
+soeben mit den Etruskern durch einen rechtzeitigen Friedensschluss sich
+abgefunden hatte, eine zweite roemische Armee heranfuehrte und in Rom selbst
+die Reserve unter dem Diktator Gnaeus Domitius Calvinus sich zum Kampfe fertig
+machte. Dagegen war nichts auszurichten; dem Koenig blieb nichts uebrig als
+umzukehren. Eine Zeitlang stand er noch in Kampanien den vereinigten Heeren der
+beiden Konsuln untaetig gegenueber; aber es bot sich keine Gelegenheit, einen
+Hauptschlag auszufuehren. Als der Winter herankam, raeumte der Koenig das
+feindliche Gebiet und verteilte seine Truppen in die befreundeten Staedte; er
+selbst nahm Winterquartier in Tarent. Hierauf stellten auch die Roemer ihre
+Operationen ein; das Heer bezog Standquartiere bei Firmum im Picenischen, wo
+auf Befehl des Senats die am Siris geschlagenen Legionen den Winter hindurch
+zur Strafe unter Zelten kampierten.
+</p>
+
+<p>
+So endigte der Feldzug des Jahres 474 (280). Der Sonderfriede, den Etrurien im
+entscheidenden Augenblick mit Rom abgeschlossen hatte, und des Koenigs
+unvermuteter Rueckzug, der die hochgespannten Hoffnungen der italischen
+Bundesgenossen gaenzlich taeuschte, wogen zum grossen Teil den Eindruck des
+Sieges von Herakleia auf. Die Italiker beschwerten sich ueber die Lasten des
+Krieges, namentlich ueber die schlechte Mannszucht der bei ihnen einquartierten
+Soeldner, und der Koenig, muede des kleinlichen Gezaenks und des unpolitischen
+wie unmilitaerischen Gehabens seiner Bundesgenossen, fing an zu ahnen, dass die
+Aufgabe, die ihm zugefallen war, trotz aller taktischen Erfolge politisch
+unloesbar sein moege. Die Ankunft einer roemischen Gesandtschaft, dreier
+Konsulate, darunter der Sieger von Thurii, Gaius Fabricius, liess einen
+Augenblick wieder die Friedenshoffnungen bei ihm erwachen; allein es zeigte
+sich bald, dass sie nur Vollmacht hatte, wegen Loesung oder Auswechselung der
+Gefangenen zu unterhandeln. Pyrrhos schlug diese Forderung ab, allein er
+entliess zur Feier der Saturnalien saemtliche Gefangene auf ihr Ehrenwort; dass
+sie es hielten und dass der roemische Gesandte einen Bestechungsversuch abwies,
+hat man in der Folgezeit in unschicklichster und mehr fuer die Ehrlosigkeit der
+spaeteren als die Ehrenhaftigkeit der frueheren Zeit bezeichnender Weise
+gefeiert.
+</p>
+
+<p>
+Mit dem Fruehjahr 475 (279) ergriff Pyrrhos abermals die Offensive und rueckte
+in Apulien ein, wohin das roemische Heer ihm entgegenkam. In der Hoffnung durch
+einen entscheidenden Sieg die roemische Symmachie in diesen Landschaften zu
+erschuettern, bot der Koenig eine zweite Schlacht an und die Roemer
+verweigerten sie nicht. Bei Ausculum (Ascoli di Puglia) trafen beide Heere
+aufeinander. Unter Pyrrhos&rsquo; Fahnen fochten ausser seinen epeirotischen
+und makedonischen Truppen die italischen Soeldner, die Buergerwehr - die
+sogenannten Weissschilde - von Tarent und die verbuendeten Lucaner, Brettier
+und Samniten, zusammen 70000 Mann zu Fuss, davon 16000 Griechen und Epeiroten,
+ueber 8000 Reiter und 19 Elefanten. Mit den Roemern standen an diesem Tage die
+Latiner, Kampaner, Volsker, Sabiner, Umbrer, Marruciner, Paeligner, Frentaner
+und Arpaner; auch sie zaehlten ueber 70000 Mann zu Fuss, darunter 20000
+roemische Buerger, und 8000 Reiter. Beide Teile hatten in ihrem Heerwesen
+Aenderungen vorgenommen. Pyrrhos, mit scharfem Soldatenblick die Vorzuege der
+roemischen Manipularordnung erkennend, hatte auf den Fluegeln die lange Front
+seiner Phalangen vertauscht mit einer der Kohortenstellung nachgebildeten
+unterbrochenen Aufstellung in Faehnlein und, vielleicht nicht minder aus
+politischen wie aus militaerischen Gruenden, zwischen die Abteilungen seiner
+eigenen Leute die tarentinischen und samnitischen Kohorten eingeschoben; im
+Mitteltreffen allein stand die epeirotische Phalanx in geschlossener Reihe. Die
+Roemer fuehrten zur Abwehr der Elefanten eine Art Streitwagen heran, aus denen
+Feuerbecken an eisernen Stangen hervorragten und auf denen bewegliche, zum
+Herablassen eingerichtete und in Eisenstachel endende Maste befestigt waren -
+gewissermassen das Vorbild der Enterbruecken, die im Ersten Punischen Krieg
+eine so grosse Rolle spielen sollten.
+</p>
+
+<p>
+Nach dem griechischen Schlachtbericht, der minder parteiisch scheint als der
+uns auch vorliegende roemische, waren die Griechen am ersten Tage im Nachteil,
+da sie weder dazu gelangten, an den schroffen und sumpfigen Flussufern, wo sie
+gezwungen wurden, das Gefecht anzunehmen, ihre Linie zu entwickeln, noch
+Reiterei und Elefanten ins Gefecht zu bringen. Am zweiten Tage kam dagegen
+Pyrrhos den Roemern in der Besetzung des durchschnittenen Terrains zuvor und
+erreichte so ohne Verlust die Ebene, wo er seine Phalanx ungestoert entfalten
+konnte. Vergeblich stuerzten sich die Roemer verzweifelten Muts mit ihren
+Schwertern auf die Sarissen; die Phalanx stand unerschuetterlich jedem Angriff
+von vorn, doch vermochte auch sie es nicht, die roemischen Legionen zum Weichen
+zu bringen. Erst als die zahlreiche Bedeckung der Elefanten die auf den
+roemischen Streitwagen fechtende Mannschaft durch Pfeile und Schleudersteine
+vertrieben und der Bespannung die Straenge zerschnitten hatte und nun die
+Elefanten gegen die roemische Linie anprallten, kam dieselbe ins Schwanken. Das
+Weichen der Bedeckungsmannschaft der roemischen Wagen gab das Signal zur
+allgemeinen Flucht, die indes nicht sehr zahlreiche Opfer kostete, da das nahe
+Lager die Verfolgten aufnahm. Dass waehrend des Haupttreffens ein von der
+roemischen Hauptmacht abgesondertes arpanisches Korps das schwach besetzte
+epeirotische Lager angegriffen und in Brand gesteckt habe, meldet nur der
+roemische Schlachtbericht; wenn es aber auch richtig ist, so haben doch die
+Roemer auf alle Faelle mit Unrecht behauptet, dass die Schlacht unentschieden
+geblieben sei. Beide Berichte stimmen vielmehr darin ueberein, dass das
+roemische Heer ueber den Fluss zurueckging und Pyrrhos im Besitz des
+Schlachtfeldes blieb. Die Zahl der Gefallenen war nach dem griechischen
+Berichte auf roemischer Seite 6000, auf griechischer 3505 ^3; unter den
+Verwundeten war der Koenig selbst, dem ein Wurfspiess den Arm durchbohrt hatte,
+waehrend er wie immer im dichtesten Getuemmel kaempfte. Wohl war es ein Sieg,
+den Pyrrhos erfochten hatte, aber es waren unfruchtbare Lorbeeren; als
+Feldherrn wie als Soldaten machte der Sieg dem Koenig Ehre, aber seine
+politischen Zwecke hat er nicht gefoerdert. Pyrrhos bedurfte eines glaenzenden
+Erfolges, der das roemische Heer aufloeste und den schwankenden Bundesgenossen
+die Gelegenheit und den Anstoss zum Parteiwechsel gab; da aber die roemische
+Armee und die roemische Eidgenossenschaft ungebrochen geblieben und das
+griechische Heer, das nichts war ohne seinen Feldherrn, durch dessen Verwundung
+auf laengere Zeit angefesselt ward, musste er wohl den Feldzug verloren geben
+und in die Winterquartiere gehen, die der Koenig in Tarent, die Roemer diesmal
+in Apulien nahmen. Immer deutlicher offenbarte es sich, dass militaerisch die
+Hilfsquellen des Koenigs den roemischen ebenso nachstanden, wie politisch die
+lose und widerspenstige Koalition den Vergleich nicht aushielt mit der
+festgegruendeten roemischen Symmachie. Wohl konnte das Ueberraschende und
+Gewaltige in der griechischen Kriegfuehrung, das Genie des Feldherrn noch einen
+Sieg mehr wie die von Herakleia und Ausculum erfechten, aber jeder neue Sieg
+vernutzte die Mittel zu weiteren Unternehmungen und es war klar, dass die
+Roemer schon jetzt sich als die Staerkeren fuehlten und den endlichen Sieg mit
+mutiger Geduld erharrten. Dieser Krieg war nicht das feine Kunstspiel, wie die
+griechischen Fuersten es uebten und verstanden; an der vollen und gewaltigen
+Energie der Landwehr zerschellten alle strategischen Kombinationen. Pyrrhos
+fuehlte, wie die Dinge standen; ueberdruessig seiner Siege und seine
+Bundesgenossen verachtend, harrte er nur aus, weil die militaerische Ehre ihm
+vorschrieb, Italien nicht zu verlassen, bevor er seine Schutzbefohlenen vor den
+Barbaren gesichert haben wuerde. Es war bei seinem ungeduldigen Naturell
+vorauszusetzen, dass er den ersten Vorwand ergreifen wuerde, um der laestigen
+Pflicht sich zu entledigen; und die Veranlassung, sich von Italien zu
+entfernen, boten bald die sizilischen Angelegenheiten ihm dar.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^3 Diese Zahlen scheinen glaubwuerdig. Der roemische Bericht gibt, wohl an
+Toten und Verwundeten, fuer jede Seite 15000 Mann an, ein spaeterer sogar auf
+roemischer 5000, auf griechischer 20000 Tote. Es mag das hier Platz finden um
+an einem der seltenen Beispiele, wo Kontrolle moeglich ist, die fast
+ausnahmslose Unglaubwuerdigkeit der Zahlenangaben zu zeigen, in denen die Luege
+bei den Annalisten lawinenartig anschwillt.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Nach Agathokles&rsquo; Tode (465 289) fehlte es den sizilischen Griechen an
+jeder leitenden Macht. Waehrend in den einzelnen hellenischen Staedten
+unfaehige Demagogen und unfaehige Tyrannen einander abloesten, dehnten die
+Karthager, die alten Herren der Westspitze, ihre Herrschaft ungestoert aus.
+Nachdem Akragas ihnen erlegen war, glaubten sie die Zeit gekommen, um zu dem
+seit Jahrhunderten im Auge behaltenen Ziel endlich den letzten Schritt zu tun
+und die ganze Insel unter ihre Botmaessigkeit zu bringen: sie wandten sich zum
+Angriff auf Syrakus. Die Stadt, die einst mit ihren Heeren und Flotten Karthago
+den Besitz der Insel streitig gemacht hatte, war durch den inneren Hader und
+die Schwaeche des Regiments so tief herabgekommen, dass sie ihre Rettung suchen
+musste in dem Schutz ihrer Mauern und in auswaertiger Hilfe; und niemand konnte
+diese gewaehren als Koenig Pyrrhos. Pyrrhos war des Agathokles Tochtermann,
+sein Sohn, der damals sechzehnjaehrige Alexander, des Agathokles Enkel, beide
+in jeder Beziehung die natuerlichen Erben der hochfliegenden Plaene des Herrn
+von Syrakus; und wenn es mit der Freiheit doch zu Ende war, konnte Syrakus
+Ersatz darin finden, die Hauptstadt eines westhellenischen Reiches zu sein. So
+trugen die Syrakusaner gleich den Tarentinern und unter aehnlichen Bedingungen
+dem Koenig Pyrrhos freiwillig die Herrschaft entgegen (um 475 279), und durch
+eine seltene Fuegung der Dinge schien sich alles zu vereinigen zum Gelingen der
+grossartigen, zunaechst auf den Besitz von Tarent und Syrakus gebauten Plaene
+des Epeirotenkoenigs.
+</p>
+
+<p>
+Freilich war die naechste Folge von dieser Vereinigung der italischen und
+sizilischen Griechen unter eine Hand, dass auch die Gegner sich enger
+zusammenschlossen. Karthago und Rom verwandelten ihre alten Handelsvertraege
+jetzt in ein Offensiv- und Defensivbuendnis gegen Pyrrhos (475 279), dessen
+Bedingungen dahin lauteten, dass, wenn Pyrrhos roemisches oder karthagisches
+Gebiet betrete, der nicht angegriffene Teil dem angegriffenen auf dessen Gebiet
+Zuzug leisten und die Hilfstruppen selbst besolden solle; dass in solchem Falle
+Karthago die Transportschiffe zu stellen und auch mit der Kriegsflotte den
+Roemern beizustehen sich verpflichte, doch solle deren Bemannung nicht gehalten
+sein, zu Lande fuer die Roemer zu fechten; dass endlich beide Staaten sich das
+Wort gaeben, keinen Sonderfrieden mit Pyrrhos zu schliessen. Der Zweck des
+Vertrages war auf roemischer Seite, einen Angriff auf Tarent moeglich zu machen
+und Pyrrhos von der Heimat abzuschneiden, was beides ohne Mitwirkung der
+punischen Flotte nicht ausfuehrbar war, auf seiten der Karthager, den Koenig in
+Italien festzuhalten, um ihre Absichten auf Syrakus ungestoert ins Werk setzen
+zu koennen ^4. Es lag also im Interesse beider Maechte, zunaechst sich des
+Meeres zwischen Italien und Sizilien zu versichern. Eine starke karthagische
+Flotte von 120 Segeln unter dem Admiral Mago ging von Ostia, wohin Mago sich
+begeben zu haben scheint, um jenen Vertrag abzuschliessen, nach der sizilischen
+Meerenge. Die Mamertiner, die fuer ihre Frevel gegen die griechische
+Bevoelkerung Messanas die gerechte Strafe erwartete, wenn Pyrrhos in Sizilien
+und Italien ans Regiment kam, schlossen sich eng an die Roemer und Karthager
+und sicherten diesen die sizilische Seite des Passes. Gern haetten die
+Verbuendeten auch Rhegion auf der gegenueberliegenden Kueste in ihre Gewalt
+gebracht; allein verzeihen konnte Rom der kampanischen Besatzung unmoeglich,
+und ein Versuch der vereinigten Roemer und Karthager, sich der Stadt mit
+gewaffneter Hand zu bemaechtigen, schlug fehl. Von dort segelte die
+karthagische Flotte nach Syrakus und blockierte die Stadt von der Seeseite,
+waehrend gleichzeitig ein starkes phoenikisches Heer die Belagerung zu Lande
+begann (476 278). Es war hohe Zeit, dass Pyrrhos in Syrakus erschien; aber
+freilich standen in Italien die Angelegenheiten keineswegs so, dass er und
+seine Truppen dort entbehrt werden konnten. Die beiden Konsuln des Jahres 476
+(278) Gaius Fabricius Luscinus und Quintus Aemilius Papus, beide erprobte
+Generale, hatten den neuen Feldzug kraeftig begonnen, und obwohl bisher die
+Roemerin diesem Kriege nur Niederlagen erlitten hatten, waren nicht sie es,
+sondern die Sieger, die sich ermattet fuehlten und den Frieden
+herbeiwuenschten. Pyrrhos machte noch einen Versuch, ein leidliches Abkommen zu
+erlangen. Der Konsul Fabricius hatte dem Koenig einen Elenden zugesandt, der
+ihm den Antrag gemacht, gegen gute Bezahlung den Koenig zu vergiften. Zum Dank
+gab der Koenig nicht bloss alle roemischen Gefangenen ohne Loesegeld frei,
+sondern er fuehlte sich so hingerissen von dem Edelsinn seiner tapferen Gegner,
+dass er zur Belohnung ihnen selber einen ungemein billigen und guenstigen
+Frieden antrug. Kineas scheint noch einmal nach Rom gegangen zu sein und
+Karthago ernstlich gefuerchtet zu haben, dass sich Rom zum Frieden bequeme.
+Indes der Senat blieb fest und wiederholte seine fruehere Antwort. Wollte der
+Koenig nicht Syrakus den Karthagern in die Haende fallen und damit seinen
+grossen Plan sich zerstoeren lassen, so blieb ihm nichts anderes uebrig, als
+seine italischen Bundesgenossen preiszugeben und sich vorlaeufig auf den Besitz
+der wichtigsten Hafenstaedte, namentlich von Tarent und Lokri, zu beschraenken.
+Vergebens beschworen ihn die Lucaner und Samniten, sie nicht im Stich zu
+lassen; vergebens forderten die Tarentiner ihn auf, entweder seiner
+Feldherrnpflicht nachzukommen oder die Stadt ihnen zurueckzugeben. Den Klagen
+und Vorwuerfen setzte der Koenig Vertroestungen auf kuenftige bessere Zeiten
+oder auch derbe Abweisung entgegen; Milon blieb in Tarent zurueck, des Koenigs
+Sohn Alexander in Lokri und mit der Hauptmacht schiffte noch im Fruehjahr 476
+(278) sich Pyrrhos in Tarent nach Syrakus ein.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^4 Die spaeteren Roemer und mit ihnen die neueren geben dem Buendnis die
+Wendung, als haetten die Roemer absichtlich vermieden, die karthagische Hilfe
+in Italien anzunehmen. Das waere unvernuenftig gewesen, und die Tatsachen
+sprechen dagegen. Dass Mago in Ostia nicht landete, erklaert sich nicht aus
+solcher Vorsicht, sondern einfach daraus, dass Latium von Pyrrhos ganz und gar
+nicht bedroht war und karthagischen Beistandes also nicht bedurfte; und vor
+Rhegion kaempften die Karthager allerdings fuer Rom.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Nach Pyrrhos&rsquo; Abzug erhielten die Roemer freie Hand in Italien, wo
+niemand ihnen auf offenem Felde zu widerstehen wagte und die Gegner ueberall
+sich einschlossen in ihre Festen oder in ihre Waelder. Indes der Kampf ging
+nicht so schnell zu Ende, wie man wohl gehofft haben mochte, woran teils die
+Natur dieses Gebirgs- und Belagerungskrieges schuld war, teils wohl auch die
+Erschoepfung der Roemer, von deren furchtbaren Verlusten das Sinken der
+Buergerrolle von 473 (281) auf 479 (275) um 17000 Koepfe zeugt. Noch im Jahre
+476 (278) gelang es dem Konsul Gaius Fabricius, die bedeutende tarentinische
+Pflanzstadt Herakleia zu einem Sonderfrieden zu bringen, der ihr unter den
+guenstigsten Bedingungen gewaehrt ward. Im Feldzug von 477 (277) schlug man
+sich in Samnium herum, wo ein leichtsinnig unternommener Angriff auf die
+verschanzten Hoehen den Roemern viele Leute kostete, und wandte sich alsdann
+nach dem suedlichen Italien, wo die Lucaner und Brettier geschlagen wurden.
+Dagegen kam bei einem Versuch, Kroton zu ueberrumpeln, Milon von Tarent aus den
+Roemern zuvor; die epeirotische Besatzung machte alsdann sogar einen
+gluecklichen Ausfall gegen das belagernde Heer. Indes gelang es endlich dem
+Konsul dennoch, dieselbe durch eine Kriegslist zum Abmarsch zu bestimmen und
+der unverteidigten Stadt sich zu bemaechtigen (477 277). Wichtiger war es, dass
+die Lokrenser, die frueher die roemische Besatzung dem Koenig ausgeliefert
+hatten, jetzt, den Verrat durch Verrat suehnend, die epeirotische erschlugen;
+womit die ganze Suedkueste in den Haenden der Roemer war mit Ausnahme von
+Rhegion und Tarent. Indes mit diesen Erfolgen war man im wesentlichen doch
+wenig gefoerdert. Unteritalien selbst war laengst wehrlos; Pyrrhos aber war
+nicht bezwungen, solange Tarent in seinen Haenden und ihm damit die
+Moeglichkeit blieb, den Krieg nach Belieben wieder zu erneuern, und an die
+Belagerung dieser Stadt konnten die Roemer nicht denken. Selbst davon
+abgesehen, dass in dem durch Philipp von Makedonien und Demetrios den Belagerer
+umgeschaffenen Festungskrieg die Roemer gegen einen erfahrenen und
+entschlossenen griechischen Kommandanten im entschiedensten Nachteil waren,
+bedurfte es dazu einer starken Flotte, und obwohl der karthagische Vertrag den
+Roemern Unterstuetzung zur See verhiess, so standen doch Karthagos eigene
+Angelegenheiten in Sizilien durchaus nicht so, dass es diese haette gewaehren
+koennen.
+</p>
+
+<p>
+Pyrrhos&rsquo; Landung auf der Insel, welche trotz der karthagischen Flotte
+ungehindert erfolgt war, hatte dort mit einem Schlage die Lage der Dinge
+veraendert. Er hatte Syrakus sofort entsetzt, alle freien Griechenstaedte in
+kurzer Zeit in seiner Hand vereinigt und als Haupt der sikeliotischen
+Konfoederation den Karthagern fast ihre saemtlichen Besitzungen entrissen. Kaum
+vermochten mit Hilfe der damals auf dem Mittelmeer ohne Nebenbuhler
+herrschenden karthagischen Flotte sich die Karthager in Lilybaeon, die
+Mamertiner in Messana, und auch hier unter steten Angriffen, zu behaupten.
+Unter solchen Umstaenden waere in Gemaessheit des Vertrags von 475 (279) viel
+eher Rom im Fall gewesen, den Karthagern auf Sizilien Beistand zu leisten, als
+Karthago mit seiner Flotte den Roemern Tarent erobern zu helfen; ueberhaupt
+aber war man eben von keiner Seite sehr geneigt, dem Bundesgenossen die Macht
+zu sichern oder gar zu erweitern. Karthago hatte den Roemern die Hilfe erst
+angeboten, als die wesentliche Gefahr vorueber war; diese ihrerseits hatten
+nichts getan, den Abzug des Koenigs aus Italien, den Sturz der karthagischen
+Macht in Sizilien zu verhindern. Ja in offener Verletzung der Vertraege hatte
+Karthago sogar dem Koenig einen Sonderfrieden angetragen und gegen den
+ungestoerten Besitz von Lilybaeon sich erboten, auf die uebrigen sizilischen
+Besitzungen zu verzichten, sogar dem Koenig Geld und Kriegsschiffe zur
+Verfuegung zu stellen, natuerlich zur Ueberfahrt nach Italien und zur
+Erneuerung des Krieges gegen Rom. Indes es war einleuchtend, dass mit dem
+Besitz von Lilybaeon und der Entfernung des Koenigs die Stellung der Karthager
+auf der Insel ungefaehr dieselbe geworden waere, wie sie vor Pyrrhos&rsquo;
+Landung gewesen war; sich selbst ueberlassen waren die griechischen Staedte
+ohnmaechtig und das verlorene Gebiet leicht wiedergewonnen. So schlug Pyrrhos
+den nach zwei Seiten hin perfiden Antrag aus und ging daran, sich selber eine
+Kriegsflotte zu erbauen. Nur Unverstand und Kurzsichtigkeit haben dies spaeter
+getadelt; es war vielmehr ebenso notwendig als mit den Mitteln der Insel leicht
+durchzufuehren. Abgesehen davon, dass der Herr von Ambrakia, Tarent und Syrakus
+nicht ohne Seemacht sein konnte, bedurfte er der Flotte, um Lilybaeon zu
+erobern, um Tarent zu schuetzen, um Karthago daheim anzugreifen, wie es
+Agathokles, Regulus, Scipio vor- und nachher mit so grossem Erfolg getan. Nie
+stand Pyrrhos seinem Ziele naeher als im Sommer 478 (276), wo er Karthago
+gedemuetigt vor sich sah, Sizilien beherrschte und mit Tarents Besitz einen
+festen Fuss in Italien behauptete, und wo die neugeschaffene Flotte, die alle
+diese Erfolge zusammenknuepfen, sichern und steigern sollte, zur Abfahrt fertig
+im Hafen von Syrakus lag.
+</p>
+
+<p>
+Die wesentliche Schwaeche von Pyrrhos&rsquo; Stellung beruhte auf seiner
+fehlerhaften inneren Politik. Er regierte Sizilien wie er Ptolemaeos hatte in
+Aegypten herrschen sehen; er respektierte die Gemeindeverfassungen nicht,
+setzte seine Vertrauten zu Amtleuten ueber die Staedte wann und auf so lange es
+ihm gefiel, gab anstatt der einheimischen Geschworenen seine Hofleute zu
+Richtern, sprach Konfiskationen, Verbannungen, Todesurteile nach Gutduenken aus
+und selbst ueber diejenigen, die seine Ueberkunft nach Sizilien am lebhaftesten
+betrieben hatten, legte Besatzungen in die Staedte und beherrschte Sizilien
+nicht als der Fuehrer des Nationalbundes, sondern als Koenig. Mochte er dabei
+nach orientalisch-hellenistischen Begriffen sich ein guter und weiser Regent zu
+sein duenken und auch wirklich sein, so ertrugen doch die Griechen diese
+Verpflanzung des Diadochensystems nach Syrakus mit aller Ungeduld einer in
+langer Freiheitsagonie aller Zucht entwoehnten Nation; sehr bald duenkte das
+karthagische Joch dem toerichten Volk ertraeglicher als das neue
+Soldatenregiment. Die bedeutendsten Staedte knuepften mit den Karthagern, ja
+mit den Mamertinern Verbindungen an; ein starkes karthagisches Heer wagte
+wieder, sich auf der Insel zu zeigen und, ueberall von den Griechen
+unterstuetzt, machte es reissende Fortschritte. Zwar in der Schlacht, die
+Pyrrhos ihm lieferte, war das Glueck wie immer mit dem &ldquo;Adler&rdquo;;
+allein es hatte sich bei dieser Gelegenheit offenbart, wie die Stimmung auf der
+Insel war und was kommen konnte und musste, wenn der Koenig sich entfernte.
+</p>
+
+<p>
+Zu diesem ersten und wesentlichsten Fehler fuegte Pyrrhos einen zweiten: er
+ging mit der Flotte statt nach Lilybaeon nach Tarent. Augenscheinlich musste
+er, eben bei der Gaerung in den Gemuetern der Sikelioten, vor allen Dingen erst
+von dieser Insel die Karthager ganz verdraengt und damit den Unzufriedenen den
+letzten Rueckhalt abgeschnitten haben, ehe er nach Italien sich wenden durfte;
+hier war nichts zu versaeumen, denn Tarent war ihm sicher genug und an den
+uebrigen Bundesgenossen, nachdem sie einmal aufgegeben waren, jetzt wenig
+gelegen. Es ist begreiflich, dass sein Soldatensinn ihn trieb, den nicht sehr
+ehrenvollen Abzug vom Jahre 476 (278) durch eine glaenzende Wiederkehr
+auszutilgen und dass ihm das Herz blutete, wenn er die Klagen der Lucaner und
+Samniten vernahm. Allein Aufgaben, wie sie Pyrrhos sich gestellt hatte, koennen
+nur geloest werden von eisernen Naturen, die das Mitleid und selbst das
+Ehrgefuehl zu beherrschen vermoegen; und eine solche war Pyrrhos nicht.
+</p>
+
+<p>
+Die verhaengnisvolle Einschiffung fand statt gegen das Ende des Jahres 478
+(276). Unterwegs hatte die neue syrakusanische Flotte mit der karthagischen ein
+heftiges Gefecht zu bestehen und buesste darin eine betraechtliche Anzahl
+Schiffe ein. Die Entfernung des Koenigs und die Kunde von diesem ersten Unfall
+genuegten zum Sturz des sikeliotischen Reiches; auf sie hin weigerten alle
+Staedte dem abwesenden Koenig Geld und Truppen und der glaenzende Staat brach
+schneller noch als er entstanden war wiederum zusammen, teils weil der Koenig
+selbst die Treue und Liebe, auf der jedes Gemeinwesen ruht, in den Herzen
+seiner Untertanen untergraben hatte, teils weil es dem Volk an der Hingebung
+fehlte, zur Rettung der Nationalitaet auf vielleicht nur kurze Zeit der
+Freiheit zu entsagen. Damit war Pyrrhos&rsquo; Unternehmen gescheitert, der
+Plan seines Lebens ohne Aussicht dahin; er ist fortan ein Abenteurer, der es
+fuehlt, dass er viel gewesen und nichts mehr ist, der den Krieg nicht mehr als
+Mittel zum Zwecke fuehrt, sondern, um in wildem Wuerfelspiel sich zu betaeuben
+und womoeglich im Schlachtgetuemmel einen Soldatentod zu finden. An der
+italischen Kueste angelangt, begann der Koenig mit einem Versuch, sich Rhegions
+zu bemaechtigen, aber mit Hilfe der Mamertiner schlugen die Kampaner den
+Angriff ab, und in dem hitzigen Gefecht vor der Stadt ward der Koenig selbst
+verwundet, indem er einen feindlichen Offizier vom Pferde hieb. Dagegen
+ueberrumpelte er Lokri, dessen Einwohner die Niedermetzelung der epeirotischen
+Besatzung schwer buessten, und pluenderte den reichen Schatz des
+Persephonetempels daselbst, um seine leere Kasse zu fuellen. So gelangte er
+nach Tarent, angeblich mit 20000 Mann zu Fuss und 3000 Reitern. Aber es waren
+nicht mehr die erprobten Veteranen von vordem und nicht mehr begruessten die
+Italiker in ihnen ihre Retter; das Vertrauen und die Hoffnung, damit man den
+Koenig fuenf Jahre zuvor empfing, waren gewichen, den Verbuendeten Geld und
+Mannschaft ausgegangen. Den schwer bedraengten Samniten, in deren Gebiet die
+Roemer 478/79 (276/75) ueberwintert hatten, zu Hilfe rueckte der Koenig im
+Fruehjahr 479 (275) ins Feld und zwang bei Benevent auf dem Arusinischen Felde
+den Konsul Manius Curius zur Schlacht, bevor er sich mit seinem von Lucanien
+heranrueckenden Kollegen vereinigen konnte. Aber die Heeresabteilung, die den
+Roemern in die Flanke zu fallen bestimmt war, verirrte sich waehrend des
+Nachtmarsches in den Waeldern und blieb im entscheidenden Augenblick aus; und
+nach heftigem Kampf entschieden auch hier wieder die Elefanten die Schlacht,
+aber diesmal fuer die Roemer, indem sie, von den zur Bedeckung des Lagers
+aufgestellten Schuetzen in Verwirrung gebracht, auf ihre eigenen Leute sich
+warfen. Die Sieger besetzten das Lager; in ihre Haende fielen 1300 Gefangene
+und vier Elefanten - die ersten, die Rom sah, ausserdem eine unermessliche
+Beute, aus deren Erloes spaeter in Rom der Aquaedukt, welcher das Aniowasser
+von Tibur nach Rom fuehrte, gebaut ward. Ohne Truppen, um das Feld zu halten,
+und ohne Geld sandte Pyrrhos an seine Verbuendeten, die ihm zur Ausruestung
+nach Italien gesteuert hatten, die Koenige von Makedonien und Asien; aber auch
+in der Heimat fuerchtete man ihn nicht mehr und schlug die Bitte ab.
+Verzweifelnd an dem Erfolg gegen Rom und erbittert durch diese Weigerungen
+liess Pyrrhos Besatzung in Tarent und ging selber noch im selben Jahre (479
+275) heim nach Griechenland, wo eher noch als bei dem stetigen und gemessenen
+Gang der italischen Verhaeltnisse sich dem verzweifelten Spieler eine Aussicht
+eroeffnen mochte. In der Tat gewann er nicht bloss schnell zurueck, was von
+seinem Reiche war abgerissen worden, sondern er griff noch einmal und nicht
+ohne Erfolg nach der makedonischen Krone. Allein an Antigonos Gonatas&rsquo;
+ruhiger und umsichtiger Politik und mehr noch an seinem eigenen Ungestuem und
+der Unfaehigkeit, den stolzen Sinn zu zaehmen, scheiterten auch seine letzten
+Plaene; er gewann noch Schlachten, aber keinen dauernden Erfolg mehr und fand
+sein Ende in einem elenden Strassengefecht im peloponnesischen Argos (482 272).
+</p>
+
+<p>
+In Italien ist der Krieg zu Ende mit der Schlacht bei Benevent; langsam
+verenden die letzten Zuckungen der nationalen Partei. Zwar so lange der
+Kriegsfuerst, dessen maechtiger Arm es gewagt hatte, dem Schicksal in die
+Zuegel zu fallen, noch unter den Lebenden war, hielt er, wenngleich abwesend,
+gegen Rom die feste Burg von Tarent. Mochte auch nach des Koenigs Entfernung in
+der Stadt die Friedenspartei die Oberhand gewinnen, Milon, der fuer Pyrrhos
+darin den Befehl fuehrte, wies ihre Anmutungen ab und liess die roemisch
+gesinnten Staedter in dem Kastell, das sie im Gebiet von Tarent sich errichtet
+hatten, auf ihre eigene Hand mit Rom Frieden schliessen, wie es ihnen beliebte,
+ohne darum seine Tore zu oeffnen. Aber als nach Pyrrhos&rsquo; Tode eine
+karthagische Flotte in den Hafen einlief und Milon die Buergerschaft im Begriff
+sah, die Stadt an die Karthager auszuliefern, zog er es vor, dem roemischen
+Konsul Lucius Papirius die Burg zu uebergeben (482 272) und damit fuer sich und
+die Seinigen freien Abzug zu erkaufen. Fuer die Roemer war dies ein ungeheurer
+Gluecksfall. Nach den Erfahrungen, die Philipp vor Perinth und Byzanz,
+Demetrios vor Rhodos, Pyrrhos vor Lilybaeon gemacht hatten, laesst sich
+bezweifeln, ob die damalige Strategik ueberhaupt imstande war, eine
+wohlbefestigte und wohlverteidigte und von der See her zugaengliche Stadt zur
+Uebergabe zu zwingen; und welche Wendung haetten die Dinge nehmen moegen, wenn
+Tarent das in Italien fuer die Phoeniker geworden waere, was in Sizilien
+Lilybaeon fuer sie gewesen war! Indes das Geschehene war nicht zu aendern. Der
+karthagische Admiral, da er die Burg in den Haenden der Roemer sah, erklaerte,
+nur vor Tarent erschienen zu sein, um dem Vertrage gemaess den Bundesgenossen
+bei der Belagerung der Stadt Hilfe zu leisten, und ging unter Segel nach
+Afrika; und die roemische Gesandtschaft, welche wegen der versuchten Okkupation
+von Tarent Aufklaerung zu fordern und Beschwerde zu fuehren nach Karthago
+gesandt ward, brachte nichts zurueck als die feierliche und eidliche
+Bekraeftigung dieser angeblichen bundesfreundlichen Absicht, wobei man denn
+auch in Rom vorlaeufig sich beruhigte. Die Tarentiner erhielten, vermutlich
+durch Vermittlung ihrer Emigrierten, die Autonomie von den Roemern zurueck;
+aber Waffen und Schiffe mussten ausgeliefert und die Mauern niedergerissen
+werden.
+</p>
+
+<p>
+In demselben Jahre, in dem Tarent roemisch ward, unterwarfen sich endlich auch
+die Samniten, Lucaner und Brettier, welche letztere die Haelfte des
+eintraeglichen und fuer den Schiffbau wichtigen Silawaldes abtreten mussten.
+</p>
+
+<p>
+Endlich traf auch die seit zehn Jahren in Rhegion hausende Bande die Strafe
+fuer den gebrochenen Fahneneid wie fuer den Mord der rheginischen Buergerschaft
+und der Besatzung von Kroton. Es war zugleich die allgemeine Sache der Hellenen
+gegen die Barbaren, welche Rom hier vertrat; der neue Herr von Syrakus, Hieron,
+unterstuetzte darum auch die Roemer vor Rhegion durch Sendung von Lebensmitteln
+und Zuzug und machte gleichzeitig einen mit der roemischen Expedition gegen
+Rhegion kombinierten Angriff auf deren Stamm- und Schuldgenossen in Sizilien,
+die Mamertiner in Messana. Die Belagerung der letzteren Stadt zog sich sehr in
+die Laenge; dagegen wurde Rhegion, obwohl auch hier die Meuterer hartnaeckig
+und lange sich wehrten, im Jahre 484 (270) von den Roemern erstuermt, was von
+der Besatzung uebrig war, in Rom auf offenem Markte gestaeupt und enthauptet,
+die alten Einwohner aber zurueckgerufen und soviel moeglich in ihr Vermoegen
+wieder eingesetzt. So war im Jahre 484 (270) ganz Italien zur Untertaenigkeit
+gebracht. Nur die hartnaeckigsten Gegner Roms, die Samniten, setzten trotz des
+offiziellen Friedensschlusses noch als &ldquo;Raeuber&rdquo; den Kampf fort,
+sodass sogar im Jahre 485 (269) noch einmal beide Konsuln gegen sie geschickt
+werden mussten. Aber auch der hochherzigste Volksmut, die tapferste
+Verzweiflung gehen einmal zu Ende; Schwert und Galgen brachten endlich auch den
+samnitischen Bergen die Ruhe.
+</p>
+
+<p>
+Zur Sicherung dieser ungeheuren Erwerbungen wurde wiederum eine Reihe von
+Kolonien angelegt: in Lucanien Paestum und Cosa (481 273), als Zwingburgen fuer
+Samnium Beneventum (486 268) und Aesernia (um 491 263), als Vorposten gegen die
+Gallier Ariminum (486 268), in Picenum Firmum (um 490 264) und die
+Buergerkolonie Castrum novum; die Fortfuehrung der grossen Suedchaussee, welche
+an der Festung Benevent eine neue Zwischenstation zwischen Capua und Venusia
+erhielt, bis zu den Haefen von Tarent und Brundisium und die Kolonisierung des
+letzteren Seeplatzes, den die roemische Politik zum Nebenbuhler und Nachfolger
+des tarentinischen Emporiums sich ausersehen hatte, wurden vorbereitet. Die
+neuen Festungs- und Strassenanlagen veranlassten noch einige Kriege mit den
+kleinen Voelkerschaften, deren Gebiet durch dieselben geschmaelert ward, den
+Picentern (485, 486 269, 268), von denen eine Anzahl in die Gegend von Salernum
+verpflanzt ward, den Sallentinern um Brundisium (487, 488 267, 266), den
+umbrischen Sassinaten (487, 488 267, 266), welche letzte nach der Austreibung
+der Senonen das Gebiet von Ariminum besetzt zu haben scheinen. Durch diese
+Anlagen ward die Herrschaft Roms ueber das unteritalische Binnenland und die
+ganze italische Ostkueste vom Ionischen Meer bis zur keltischen Grenze
+ausgedehnt.
+</p>
+
+<p>
+Bevor wir die politische Ordnung darstellen, nach der das also geeinigte
+Italien von Rom aus regiert ward, bleibt es noch uebrig, auf die
+Seeverhaeltnisse im vierten und fuenften Jahrhundert einen Blick zu werfen. Es
+waren in dieser Zeit wesentlich Syrakus und Karthago, die um die Herrschaft in
+den westlichen Gewaessern miteinander rangen; im ganzen ueberwog trotz der
+grossen Erfolge, welche Dionysios (348-389 406-365), Agathokles (437-465
+317-289) und Pyrrhos (476-478 278-276) voruebergehend zur See erlangten, doch
+hier Karthago und sank Syrakus mehr und mehr zu einer Seemacht zweiten Ranges
+herab. Mit Etruriens Bedeutung zur See war es voellig vorbei; die bisher
+etruskische Insel Korsika kam, wenn nicht gerade in den Besitz, doch unter die
+maritime Suprematie der Karthager. Tarent, das eine Zeitlang noch eine Rolle
+gespielt hatte, ward durch die roemische Okkupation gebrochen. Die tapferen
+Massalioten behaupteten sich wohl in ihren eigenen Gewaessern; aber in die
+Vorgaenge auf den italischen griffen sie nicht wesentlich ein. Die uebrigen
+Seestaedte kamen kaum noch ernstlich in Betracht.
+</p>
+
+<p>
+Rom selber entging dem gleichen Schicksal nicht; in seinen eigenen Gewaessern
+herrschten ebenfalls fremde Flotten. Wohl war es Seestadt von Haus aus und ist
+in der Zeit seiner Frische seinen alten Traditionen niemals so untreu geworden,
+dass es die Kriegsmarine gaenzlich vernachlaessigt haette, und nie so toericht
+gewesen, bloss Kontinentalmacht sein zu wollen. Latium lieferte zum Schiffbau
+die schoensten Staemme, welche die geruehmten unteritalischen bei weitem
+uebertrafen, und die fortdauernd in Rom unterhaltenen Docks beweisen allein
+schon, dass man dort nie darauf verzichtet hat, eine eigene Flotte zu besitzen.
+Indes waehrend der gefaehrlichen Krisen, welche die Vertreibung der Koenige,
+die inneren Erschuetterungen in der roemisch-latinischen Eidgenossenschaft und
+die ungluecklichen Kriege gegen die Etrusker und die Kelten ueber Rom brachten,
+konnten die Roemer sich um den Stand der Dinge auf dem Mittelmeer nur wenig
+bekuemmern, und bei der immer entschiedener hervortretenden Richtung der
+roemischen Politik auf Unterwerfung des italischen Kontinents verkuemmerte die
+Seemacht. Es ist bis zum Ende des vierten Jahrhunderts (ca. 350) kaum von
+latinischen Kriegsschiffen die Rede, ausser dass auf einem roemischen das
+Weihgeschenk aus der veientischen Beute nach Delphi gesandt ward (360 394). Die
+Antiaten freilich fuhren fort, ihren Handel mit bewaffneten Schiffen und also
+auch gelegentlich das Piratengewerbe zu betreiben und der &ldquo;tyrrhenische
+Korsar&rdquo; Postumius, den Timoleon um 415 (339) aufbrachte, koennte
+allerdings ein Antiate gewesen sein; aber unter den Seemaechten jener Zeit
+zaehlten sie schwerlich mit und waere es der Fall gewesen, so wuerde bei der
+Stellung Antiums zu Rom darin fuer Rom nichts weniger als ein Vorteil gelegen
+haben. Wie weit es um das Jahr 400 (ca. 350) mit dem Verfall der roemischen
+Seemacht gekommen war, zeigt die Auspluenderung der latinischen Kuesten durch
+eine griechische, vermutlich sizilische Kriegsflotte im Jahre 405 (349),
+waehrend zugleich keltische Haufen das latinische Land brandschatzend
+durchzogen. Das Jahr darauf (406 348), und ohne Zweifel unter dem unmittelbaren
+Eindruck dieser bedenklichen Ereignisse, schlossen die roemische Gemeinde und
+die Phoeniker von Karthago, beiderseits fuer sich und die abhaengigen
+Bundesgenossen, einen Handels- und Schiffahrtsvertrag, die aelteste roemische
+Urkunde, von der der Text, freilich nur in griechischer Uebersetzung, auf uns
+gekommen ist ^5. Die Roemer mussten darin sich verpflichten, die libysche
+Kueste westlich vom Schoenen Vorgebirge (Cap Bon), Notfaelle ausgenommen, nicht
+zu befahren; dagegen erhielten sie freien Verkehr gleich den einheimischen auf
+Sizilien, soweit dies karthagisch war, und in Afrika und Sardinien wenigstens
+das Recht, gegen den unter Zuziehung der karthagischen Beamten festgestellten
+und von der karthagischen Gemeinde garantierten Kaufpreis ihre Waren
+abzusetzen. Den Karthagern scheint wenigstens in Rom, vielleicht in ganz Latium
+freier Verkehr zugestanden zu sein, nur machten sie sich anheischig, die
+botmaessigen latinischen Gemeinden nicht zu vergewaltigen, auch, wenn sie als
+Feinde den latinischen Boden betreten wuerden, dort nicht Nachtquartier zu
+nehmen - also ihre Seeraeuberzuege nicht in das Binnenland auszudehnen - noch
+gar Festungen im latinischen Lande anzulegen. Wahrscheinlich in dieselbe Zeit
+gehoert auch der oben schon erwaehnte Vertrag zwischen Rom und Tarent, von
+dessen Entstehungszeit nur berichtet wird, dass er laengere Zeit vor 472 (282)
+abgeschlossen ward; durch denselben verpflichteten sich die Roemer, gegen
+welche Zusicherungen tarentinischerseits wird nicht gesagt, die Gewaesser
+oestlich vom Lakinischen Vorgebirge nicht zu befahren, wodurch sie also voellig
+vom oestlichen Becken des Mittelmeeres ausgeschlossen wurden.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^5 Die Nachweisung, dass die bei Polybios (3, 22) mitgeteilte Urkunde nicht dem
+Jahre 245 (509), sondern dem Jahre 406 (348) angehoert, ist in der Roemischen
+Chronologie bis auf Caesar. 2. Aufl. Berlin 1859, S. 320f., gegeben worden.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Es waren dies Niederlagen so gut wie die an der Allia, und auch der roemische
+Senat scheint sie als solche empfunden und die guenstige Wendung, die die
+italischen Verhaeltnisse bald nach dem Abschluss der demuetigenden Vertraege
+mit Karthago und Tarent fuer Rom nahmen, mit aller Energie benutzt zu haben, um
+die gedrueckte maritime Stellung zu verbessern. Die wichtigsten Kuestenstaedte
+wurden mit roemischen Kolonien belegt: der Hafen von Caere, Pyrgi, dessen
+Kolonisierung wahrscheinlich in diese Zeit faellt; ferner an der Westkueste
+Antium im Jahre 415 (339); Tarracina im Jahre 425 (329), die Insel Pontia 441
+(313), womit, da Ardea und Circeii bereits frueher Kolonisten empfangen hatten,
+alle namhaften Seeplaetze im Gebiet der Rutuler und Volsker latinische oder
+Buergerkolonien geworden waren; weiter im Gebiet der Aurunker Minturnae und
+Sinuessa im Jahre 459 (295), im lucanischen Paestum und Cosa im Jahre 481
+(273), und am adriatischen Litoral Sena gallica und Castrum novum um das Jahr
+471 (283), Ariminum im Jahre 486 (268), wozu noch die gleich nach der
+Beendigung des Pyrrhischen Krieges erfolgte Besetzung von Brundisium
+hinzukommt. In der groesseren Haelfte dieser Ortschaften, den Buerger- oder
+Seekolonien ^6, war die junge Mannschaft vom Dienst in den Legionen befreit und
+lediglich bestimmt, die Kuesten zu ueberwachen. Die gleichzeitige
+wohlueberlegte Bevorzugung der unteritalischen Griechen vor ihren sabellischen
+Nachbarn, namentlich der ansehnlichen Gemeinden Neapolis, Rhegion, Lokri,
+Thurii, Herakleia, und deren gleichartige und unter gleichartigen Bedingungen
+gewaehrte Befreiung vom Zuzug zum Landheer vollendete das um die Kuesten
+Italiens gezogene roemische Netz.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^6 Es waren dies Pyrgi, Ostia, Antium, Tarracina, Minturnae, Sinuessa, Sena
+gallica und Castrum novum.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Aber mit einer staatsmaennischen Sicherheit, von welcher die folgenden
+Generationen haetten lernen koennen, erkannten es die leitenden Maenner des
+roemischen Gemeinwesens, dass alle diese Kuestenbefestigungen und
+Kuestenbewachungen unzulaenglich bleiben mussten, wenn nicht die Kriegsmarine
+des Staats wieder auf einen achtunggebietenden Fuss gebracht ward. Einen
+gewissen Grund dazu legte schon nach der Unterwerfung von Antium (416 338) die
+Abfuehrung der brauchbaren Kriegsgaleeren in die roemischen Docks; die
+gleichzeitige Verfuegung indes, dass die Antiaten sich alles Seeverkehrs zu
+enthalten haetten ^7, charakterisiert mit schneidender Deutlichkeit, wie
+ohnmaechtig damals die Roemer noch zur See sich fuehlten und wie voellig ihre
+Seepolitik noch aufging in der Okkupierung der Kuestenplaetze. Als sodann die
+sueditalischen Griechenstaedte, zuerst 428 (326) Neapel, in die roemische
+Klientel eintraten, machten die Kriegsschiffe, welche jede dieser Staedte sich
+verpflichtete, den Roemern als bundesmaessige Kriegshilfe zu stellen, zu einer
+roemischen Flotte wenigstens wieder einen Anfang. Im Jahre 443 (311) wurden
+weiter infolge eines eigens deswegen gefassten Buergerschaftsschlusses zwei
+Flottenherren (duoviri navales) ernannt, und diese roemische Seemacht wirkte im
+Samnitischen Kriege mit bei der Belagerung von Nuceria. Vielleicht gehoert
+selbst die merkwuerdige Sendung einer roemischen Flotte von 25 Segeln zur
+Gruendung einer Kolonie auf Korsika, welcher Theophrastos in seiner um 446
+(308) geschriebenen Pflanzengeschichte gedenkt, dieser Zeit an. Wie wenig aber
+mit allem dem unmittelbar erreicht war, zeigt der im Jahre 448 (306) erneuerte
+Vertrag mit Karthago. Waehrend die Italien und Sizilien betreffenden
+Bestimmungen des Vertrages von 406 (348) unveraendert blieben, wurde den
+Roemern ausser der Befahrung der oestlichen Gewaesser jetzt weiter die frueher
+gestattete des Atlantischen Meers, sowie der Handelsverkehr mit den Untertanen
+Karthagos in Sardinien und Afrika, endlich wahrscheinlich auch die Festsetzung
+auf Korsika ^8 untersagt, sodass nur das karthagische Sizilien und Karthago
+selbst ihrem Handel geoeffnet blieben. Man erkennt hier die mit der Ausdehnung
+der roemischen Kuestenherrschaft steigende Eifersucht der herrschenden
+Seemacht: sie zwang die Roemer, sich ihrem Prohibitivsystem zu fuegen, sich von
+den Produktionsplaetzen im Okzident und im Orient ausschliessen zu lassen - in
+diesen Zusammenhang gehoert noch die Erzaehlung von der oeffentlichen Belohnung
+des phoenikischen Schiffers, der ein in den Atlantischen Ozean ihm
+nachsteuerndes roemisches Fahrzeug mit Aufopferung seines eigenen auf eine
+Sandbank gefuehrt hatte - und ihre Schiffahrt auf den engen Raum des westlichen
+Mittelmeers vertragsmaessig zu beschraenken, um nur ihre Kueste nicht der
+Pluenderung preiszugeben und die alte und wichtige Handelsverbindung mit
+Sizilien zu sichern. Die Roemer mussten sich fuegen; aber sie liessen nicht ab
+von den Bemuehungen, ihr Seewesen aus seiner Ohnmacht zu reissen. Eine
+durchgreifende Massregel in diesem Sinne war die Einsetzung der vier
+Flottenquaestoren (quaestores classici) im Jahre 487 (267), von denen der erste
+in Ostia, dem Seehafen der Stadt Rom, seinen Sitz erhielt, der zweite von
+Cales, damals der Hauptstadt des roemischen Kampaniens, aus die kampanischen
+und grossgriechischen, der dritte von Ariminum aus die transapenninischen
+Haefen zu beaufsichtigen hatte; der Bezirk des vierten ist nicht bekannt. Diese
+neuen staendigen Beamten waren zwar nicht allein, aber doch mitbestimmt, die
+Kuesten zu ueberwachen und zum Schutze derselben eine Kriegsmarine zu bilden.
+Die Absicht des roemischen Senats, die Selbstaendigkeit zur See
+wiederzugewinnen und teils die maritimen Verbindungen Tarents abzuschneiden,
+teils den von Epeiros kommenden Flotten das Adriatische Meer zu sperren, teils
+sich von der karthagischen Suprematie zu emanzipieren, liegt deutlich zutage.
+Das schon eroerterte Verhaeltnis zu Karthago waehrend des letzten italischen
+Krieges weist davon die Spuren auf. Zwar zwang Koenig Pyrrhos die beiden
+grossen Staedte noch einmal - es war das letzte Mal - zum Abschluss einer
+Offensivallianz; allein die Lauigkeit und Treulosigkeit dieses Buendnisses, die
+Versuche der Karthager, sich in Rhegion und Tarent festzusetzen, die sofortige
+Besetzung Brundisiums durch die Roemer nach Beendigung des Krieges zeigen
+deutlich, wie sehr die beiderseitigen Interessen schon sich einander stiessen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^7 Diese Angabe ist ebenso bestimmt (Liv. 8,14: interdictum mari Antiati populo
+est) wie an sich glaubwuerdig; denn Antium war ja nicht bloss von Kolonisten,
+sondern auch noch von der ehemaligen, in der Feindschaft gegen Rom
+aufgenaehrten Buergerschaft bewohnt. Damit im Widerspruch stehen freilich die
+griechischen Berichte, dass Alexander der Grosse († 431 323) und Demetrios der
+Belagerer († 471 283) in Rom ueber antiatische Seeraeuber Beschwerde gefuehrt
+haben sollen. Der erste aber ist mit dem ueber die roemische Gesandtschaft nach
+Babylon gleichen Schlages und vielleicht gleicher Quelle. Demetrios dem
+Belagerer sieht es eher aehnlich, dass er die Piraterie im Tyrrhenischen Meer,
+das er nie mit Augen gesehen hat, durch Verordnung abschaffte, und undenkbar
+ist es gerade nicht, dass die Antiaten auch als roemische Buerger ihr altes
+Gewerbe noch trotz des Verbots unter der Hand eine Zeitlang fortgesetzt haben;
+viel wird indes auch auf die zweite Erzaehlung nicht zu geben sein.
+</p>
+
+<p>
+^8 Nach Servius (Aen. 4, 628) war in den roemisch-karthagischen Vertraegen
+bestimmt, es solle kein Roemer karthagischen, kein Karthager roemischen Boden
+betreten (vielmehr besetzen), Korsika aber zwischen beiden neutral bleiben (ut
+neque Romani ad litora Carthaginiensium accederent neque Carthaginienses ad
+litora Romanorum - Corsica esset media inter Romanos et Carthaginienses). Das
+scheint hierher zu gehoeren und die Kolonisierung von Korsika eben durch diesen
+Vertrag verhindert worden zu sein.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Begreiflicherweise suchte Rom sich gegen Karthago auf die hellenischen
+Seestaaten zu stuetzen. Mit Massalia bestand das alte enge
+Freundschaftsverhaeltnis ununterbrochen fort. Das nach Veiis Eroberung von Rom
+nach Delphi gesandte Weihgeschenk ward daselbst in dem Schatzhaus der
+Massalioten aufbewahrt. Nach der Einnahme Roms durch die Kelten ward in
+Massalia fuer die Abgebrannten gesammelt, wobei die Stadtkasse voranging; zur
+Vergeltung gewaehrte dann der roemische Senat den massaliotischen Kaufleuten
+Handelsbeguenstigungen und raeumte bei der Feier der Spiele auf dem Markt neben
+der Senatorentribuene den Massalioten einen Ehrenplatz (graecostasis) ein. Eben
+dahin gehoeren die um das Jahr 448 (306) mit Rhodos und nicht lange nachher mit
+Apollonia, einer ansehnlichen Kaufstadt an der epeirotischen Kueste, von den
+Roemern abgeschlossenen Handels- und Freundschaftsvertraege und vor allem die
+fuer Karthago sehr bedenkliche Annaeherung, welche unmittelbar nach dem Ende
+des Pyrrhischen Krieges zwischen Rom und Syrakus stattfand.
+</p>
+
+<p>
+Wenn also die roemische Seemacht zwar mit der ungeheuren Entwicklung der
+Landmacht auch nicht entfernt Schritt hielt und namentlich die eigene
+Kriegsmarine der Roemer keineswegs war, was sie nach der geographischen und
+kommerziellen Lage des Staates haette sein muessen, so fing doch auch sie an,
+allmaehlich sich aus der voelligen Nichtigkeit, zu welcher sie um das Jahr 400
+(354) herabgesunken war, wieder emporzuarbeiten; und bei den grossen
+Hilfsquellen Italiens mochten wohl die Phoeniker mit besorgten Blicken diese
+Bestrebungen verfolgen.
+</p>
+
+<p>
+Die Krise ueber die Herrschaft auf den italischen Gewaessern nahte heran; zu
+Lande war der Kampf entschieden. Zum erstenmal war Italien unter der Herrschaft
+der roemischen Gemeinde zu einem Staat vereinigt. Welche politische Befugnisse
+dabei die roemische Gemeinde den saemtlichen uebrigen italischen entzog und in
+ihren alleinigen Besitz nahm, das heisst, welcher staatsrechtliche Begriff mit
+dieser Herrschaft Roms zu verbinden ist, wird nirgends ausdruecklich gesagt,
+und es mangelt selbst, in bezeichnender und klug berechneter Weise, fuer diesen
+Begriff an einem allgemeingueltigen Ausdruck ^9. Nachweislich gehoerten dazu
+nur das Kriegs- und Vertrags- und das Muenzrecht, so dass keine italische
+Gemeinde einem auswaertigen Staat Krieg erklaeren oder mit ihm auch nur
+verhandeln und kein Courantgeld schlagen durfte, dagegen jede von der
+roemischen Gemeinde erlassene Kriegserklaerung und jeder von ihr abgeschlossene
+Staatsvertrag von Rechtswegen alle uebrigen italischen Gemeinden mit band und
+das roemische Silbergeld in ganz Italien gesetzlich gangbar ward; und es ist
+wahrscheinlich, dass die formulierten Befugnisse der fuehrenden Gemeinde sich
+nicht weiter erstreckten. Indes notwendig knuepften hieran tatsaechlich viel
+weitergehende Herrschaftsrechte sich an.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^9 Die Klausel, dass das abhaengige Volk sich verpflichtet, &ldquo;die Hoheit
+des roemischen freundlich gelten zu lassen&rdquo; (maiestatem populi Romani
+comiter conservare), ist allerdings die technische Bezeichnung dieser mildesten
+Untertaenigkeitsform, aber wahrscheinlich erst in bedeutend spaeterer Zeit
+aufgekommen (Cic. Balb. 16, 35). Auch die privatrechtliche Bezeichnung der
+Klientel, so treffend sie eben in ihrer Unbestimmtheit das Verhaeltnis
+bezeichnet (Dig. 49, 15, 7, 1), ist schwerlich in aelterer Zeit offiziell auf
+dasselbe angewendet worden.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Im einzelnen war das Verhaeltnis, in welchem die Italiker zu der fuehrenden
+Gemeinde standen, ein hoechst ungleiches, und es sind in dieser Hinsicht,
+ausser der roemischen Vollbuergerschaft, drei verschiedene Klassen von
+Untertanen zu unterscheiden. jene selbst vor allem ward so weit ausgedehnt, als
+es irgend moeglich war, ohne den Begriff eines staedtischen Gemeinwesens fuer
+die roemische Kommune voellig aufzugeben. Das alte Buergergebiet war bis dahin
+hauptsaechlich durch Einzelassignation in der Weise erweitert worden, dass das
+suedliche Etrurien bis gegen Caere und Falerii, die den Hernikern entrissenen
+Strecken am Sacco und am Anio, der groesste Teil der sabinischen Landschaft und
+grosse Striche der ehemals volskischen, besonders die pomptinische Ebene in
+roemisches Bauernland umgewandelt und meistenteils fuer deren Bewohner neue
+Buergerbezirke eingerichtet waren. Dasselbe war sogar schon mit dem von Capua
+abgetretenen Falernerbezirke am Volturnus geschehen. Alle diese ausserhalb Rom
+domizilierten Buerger entbehrten eines eigenen Gemeinwesens und eigener
+Verwaltung; auf dem assignierten Gebiet entstanden hoechstens Marktflecken
+(fora et conciliabula). In nicht viel anderer Lage befanden sich die nach den
+oben erwaehnten sogenannten Seekolonien entsandten Buerger, denen gleichfalls
+das roemische Vollbuergerrecht verblieb und deren Selbstverwaltung wenig
+bedeutete. Gegen den Schluss dieser Periode scheint die roemische Gemeinde
+damit begonnen zu haben, den naechstliegenden Passivbuergergemeinden gleicher
+oder nah verwandter Nationalitaet das Vollbuergerrecht zu gewaehren; welches
+wahrscheinlich zuerst fuer Tusculum geschehen ist ^10, ebenso vermutlich auch
+fuer die uebrigen Passivbuergergemeinden im eigentlichen Latium, dann am
+Ausgang dieser Periode (486 268) auf die sabinischen Staedte erstreckt ward,
+die ohne Zweifel damals schon wesentlich latinisiert waren und in dem letzten
+schweren Krieg ihre Treue genuegend bewaehrt hatten. Diesen Staedten blieb die
+nach ihrer frueheren Rechtsstellung ihnen zukommende beschraenkte
+Selbstverwaltung auch nach ihrer Aufnahme in den roemischen Buergerverband;
+mehr aus ihnen als aus den Seekolonien haben sich die innerhalb der roemischen
+Vollbuergerschaft bestehenden Sondergemeinwesen und damit im Laufe der Zeit die
+roemische Munizipalordnung herausgebildet. Hiernach wird die roemische
+Vollbuergerschaft am Ende dieser Epoche sich noerdlich bis in die Naehe von
+Caere, oestlich bis an den Apennin, suedlich bis nach Tarracina erstreckt
+haben, obwohl freilich von einer eigentlichen Grenze hier nicht die Rede sein
+kann und teils eine Anzahl Bundesstaedte latinischen Rechts, wie Tibur,
+Praeneste, Signia, Norba, Circeii, sich innerhalb dieser Grenzen befanden,
+teils ausserhalb derselben die Bewohner von Minturnae, Sinuessa, des
+falernischen Gebiets, der Stadt Sena Gallica und anderer Ortschaften mehr,
+ebenfalls volles Buergerrecht besassen und roemische Bauernfamilien vereinzelt
+oder in Doerfern vereinigt vermutlich schon jetzt durch ganz Italien zerstreut
+sich fanden.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^10 Dass Tusculum, wie es zuerst das Passivbuergerrecht erhielt, so auch zuerst
+dies mit dem Vollbuergerrecht vertauschte, ist an sich wahrscheinlich, und
+vermutlich wird in dieser, nicht in jener Beziehung die Stadt von Cicero (Mut.
+8, 19) municipium antiquissimum genannt.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Unter den untertaenigen Gemeinden stehen die Passivbuerger (cives sine
+suffragio), abgesehen von dem aktiven und passiven Wahlrecht, in Rechten und
+Pflichten den Vollbuergern gleich. Ihre Rechtsstellung ward durch die
+Beschluesse der roemischen Komitien und die fuer sie vom roemischen Praetor
+erlassenen Normen geregelt, wobei indes ohne Zweifel die bisherigen Ordnungen
+wesentlich zugrunde gelegt wurden. Recht sprach fuer sie der roemische Praetor
+oder dessen jaehrlich in die einzelnen Gemeinden entsandte
+&ldquo;Stellvertreter&rdquo; (praefecti). Den besser gestellten von ihnen, wie
+zum Beispiel der Stadt Capua, blieb die Selbstverwaltung und damit der
+Fortgebrauch der Landessprache und die eigenen Beamten, welche die Aushebung
+und die Schatzung besorgten. Den Gemeinden schlechteren Rechts, wie zum
+Beispiel Caere, wurde auch die eigene Verwaltung genommen, und es war dies ohne
+Zweifel die drueckendste unter den verschiedenen Formen der Untertaenigkeit.
+Indes zeigt sich, wie oben bemerkt ward, am Ende dieser Periode bereits das
+Bestreben, diese Gemeinden, wenigstens soweit sie faktisch latinisiert waren,
+der Vollbuergerschaft einzuverleiben.
+</p>
+
+<p>
+Die bevorzugteste und wichtigste Klasse unter den untertaenigen Gemeinden war
+die der latinischen Staedte, welche an den von Rom inner- und selbst schon
+ausserhalb Italien gegruendeten autonomen Gemeinden, den sogenannten
+latinischen Kolonien ebenso zahlreichen als ansehnlichen Zuwachs erhielt und
+stetig durch neue Gruendungen dieser Art sich vermehrte. Diese neuen
+Stadtgemeinden roemischen Ursprungs, aber latinischen Rechts wurden immer mehr
+die eigentlichen Stuetzen der roemischen Herrschaft ueber Italien. Es waren
+dies nicht mehr diejenigen Latiner, mit denen am Regiller See und bei Trifanum
+gestritten worden war - nicht jene alten Glieder des albischen Bundes, welche
+der Gemeinde Rom von Haus aus sich gleich, wo nicht besser achteten und welche,
+wie die gegen Praeneste zu Anfang des Pyrrhischen Krieges verfuegten furchtbar
+strengen Sicherheitsmassregeln und die nachweislich lange noch fortzuckenden
+Reibungen namentlich mit den Praenestinern beweisen, die roemische Herrschaft
+als schweres Joch empfanden. Dies alte Latium war wesentlich entweder unter
+oder in Rom aufgegangen und zaehlte nur noch wenige und mit Ausnahme von
+Praeneste und Tibur durchgaengig unbedeutende politisch selbstaendige
+Gemeinden. Das Latium der spaeteren republikanischen Zeit bestand vielmehr fast
+ausschliesslich aus Gemeinden, die von Anbeginn an in Rom ihre Haupt- und
+Mutterstadt verehrt hatten, die inmitten fremdsprachiger und anders gearteter
+Landschaften durch Sprach-, Rechts- und Sittengemeinschaft an Rom geknuepft
+waren, die als kleine Tyrannen der umliegenden Distrikte ihrer eigenen Existenz
+wegen wohl an Rom halten mussten wie die Vorposten an der Hauptarmee, die
+endlich, infolge der steigenden materiellen Vorteile des roemischen
+Buergertums, aus ihrer wenngleich beschraenkten Rechtsgleichheit mit den
+Roemern immer noch einen sehr ansehnlichen Gewinn zogen, wie ihnen denn zum
+Beispiel ein Teil der roemischen Domaene zur Sondernutzung ueberwiesen zu
+werden pflegte und die Beteiligung an den Verpachtungen und Verdingungen des
+Staats ihnen wie dem roemischen Buerger offenstand. Voellig blieben allerdings
+auch hier die Konsequenzen der ihnen gewaehrten Selbstaendigkeit nicht aus.
+Venusinische Inschriften aus der Zeit der roemischen Republik und kuerzlich zum
+Vorschein gekommene beneventanische ^11 lehren, dass Venusia so gut wie Rom
+seine Plebs und seine Volkstribune gehabt und dass die Oberbeamten von Benevent
+wenigstens um die Zeit des Hannibalischen Krieges den Konsultitel gefuehrt
+haben. Beide Gemeinden gehoeren zu den juengsten unter den latinischen Kolonien
+aelteren Rechts; man sieht, welche Ansprueche um die Mitte des fuenften
+Jahrhunderts in denselben sich regten. Auch diese sogenannten Latiner,
+hervorgegangen aus der roemischen Buergerschaft und in jeder Beziehung sich ihr
+gleich fuehlend, fingen schon an, ihr untergeordnetes Bundesrecht unwillig zu
+empfinden und nach voller Gleichberechtigung zu streben. Deswegen war denn der
+Senat bemueht, diese latinischen Gemeinden, wie wichtig sie immer fuer Rom
+waren, doch nach Moeglichkeit in ihren Rechten und Privilegien herabzudruecken
+und ihre bundesgenoessische Stellung in die der Untertaenigkeit insoweit
+umzuwandeln, als dies geschehen konnte, ohne zwischen ihnen und den
+nichtlatinischen Gemeinden Italiens die Scheidewand wegzuziehen. Die Aufhebung
+des Bundes der latinischen Gemeinden selbst sowie ihrer ehemaligen
+vollstaendigen Gleichberechtigung und der Verlust der wichtigsten denselben
+zustaendigen politischen Rechte ist schon dargestellt worden; mit der
+vollendeten Unterwerfung Italiens geschah ein weiterer Schritt und wurde der
+Anfang dazu gemacht, auch die bisher nicht angetasteten individuellen Rechte
+des einzelnen latinischen Mannes, vor allem die wichtige Freizuegigkeit, zu
+beschraenken. Fuer die im Jahre 486 (268) gegruendete Gemeinde Ariminum und
+ebenso fuer alle spaeter konstituierten autonomen Gemeinden wurde die
+Bevorzugung vor den uebrigen Untertanen beschraenkt auf die privatrechtliche
+Gleichstellung ihrer und der roemischen Gemeindebuerger im Handel und Wandel
+sowie im Erbrecht ^12. Vermutlich um dieselbe Zeit ward die den bisher
+gegruendeten latinischen Gemeinden gewidmete volle Freizuegigkeit, die Befugnis
+eines jeden ihrer Buerger, durch Uebersiedelung nach Rom das volle Buergerrecht
+daselbst zu gewinnen, fuer die spaeter eingerichteten latinischen Pflanzstaedte
+beschraenkt auf diejenigen Personen, welche in ihrer Heimat zu dem hoechsten
+Gemeindeamt gelangt waren; nur diesen blieb es gestattet, ihr koloniales
+Buergerrecht mit dem roemischen zu vertauschen. Es erscheint hier deutlich die
+vollstaendige Umaenderung der Stellung Roms. Solange Rom noch, wenn auch die
+erste, doch nur eine der vielen italischen Stadtgemeinden war, wurde der
+Eintritt selbst in das unbeschraenkte roemische Buergerrecht durchgaengig als
+ein Gewinn fuer die aufnehmende Gemeinde betrachtet und die Gewinnung dieses
+Buergerrechts den Nichtbuergern auf alle Weise erleichtert, ja oft als Strafe
+ihnen auferlegt. Seit aber die roemische Gemeinde allein herrschte und die
+uebrigen alle ihr dienten, kehrte das Verhaeltnis sich um: die roemische
+Gemeinde fing an, ihr Buergerrecht eifersuechtig zu bewahren, und machte darum
+der alten vollen Freizuegigkeit ein Ende; obwohl die Staatsmaenner dieser Zeit
+doch einsichtig genug waren, wenigstens den Spitzen und Kapazitaeten der
+hoechstgestellten Untertanengemeinden den Eintritt in das roemische
+Buergerrecht gesetzlich offenzuhalten. Auch die Latiner also hatten es zu
+empfinden, dass Rom, nachdem es hauptsaechlich durch sie sich Italien
+unterworfen hatte, jetzt ihrer nicht mehr so wie bisher bedurfte.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————
+</p>
+
+<p>
+^11 V Cervio A. f. cosol dedicavit und lunonei Quiritei sacra. C. Falcilius L.
+f. consol dedicavit.
+</p>
+
+<p>
+^12 Nach Ciceros Zeugnis (Caecin. 35) gab Sulla den Volaterranern das ehemalige
+Recht von Ariminum, das heisst, setzt der Redner hinzu, das Recht der
+&ldquo;zwoelf Kolonien&rdquo;, welche nicht die roemische Civitaet, aber volles
+Commercium mit den Roemern hatten. Ueber wenige Dinge ist soviel verhandelt
+worden wie ueber die Beziehung dieses Zwoelfstaedterechts; und doch liegt
+dieselbe nicht fern. Es sind in Italien und im Cisalpinischen Gallien,
+abgesehen von einigen frueh wieder verschwundenen, im ganzen vierunddreissig
+latinische Kolonien gegruendet worden; die zwoelf juengsten derselben -
+Ariminum, Beneventum, Firmum, Aesernia, Brundisium, Spoletium, Cremona,
+Placentia, Copia, Valentia, Bononia, Aquileia - sind hier gemeint, und da
+Ariminum von ihnen die aelteste und diejenige ist, fuer welche diese neue
+Ordnung zunaechst festgesetzt ward - vielleicht zum Teil deswegen mit, weil
+dies die erste ausserhalb Italien gegruendete roemische Kolonie war -, so
+heisst das Stadtrecht dieser Kolonien richtig das ariminensische. Damit ist
+zugleich erwiesen, was schon aus anderen Gruenden die hoechste
+Wahrscheinlichkeit fuer sich hatte, dass alle nach Aquileias Gruendung in
+Italien (im weiteren Sinn) gestifteten Kolonien zu den Buergerkolonien
+gehoerten.
+</p>
+
+<p>
+Den Umfang der Rechtsschmaelerung der juengeren latinischen Staedte im
+Gegensatz zu den aelteren vermoegen wir uebrigens nicht voellig zu bestimmen.
+Wenn die Ehegemeinschaft, wie es nicht unwahrscheinlich, aber freilich nichts
+weniger als ausgemacht ist (oben 1, 116; Diod. p. 590, 62. Frg. Vat. p. 130
+Dind.), ein Bestandteil der urspruenglichen bundesgenoessischen
+Rechtsgleichheit war, so ist sie jedenfalls den juengeren nicht mehr
+zugestanden worden.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Das Verhaeltnis endlich der nichtlatinischen Bundesgemeinden unterlag
+selbstverstaendlich den mannigfachsten Normen, wie eben der einzelne
+Bundesvertrag sie festgesetzt hatte. Manche dieser ewigen Buendnisse, wie zum
+Beispiel die der hernikischen Gemeinden, gingen ueber in voellige
+Gleichstellung mit den latinischen. Andere, bei denen dies nicht der Fall war,
+wie die von Neapel, Nola, Herakleia, gewaehrten verhaeltnismaessig sehr
+umfassende Rechte; wieder andere, wie zum Beispiel die tarentinischen und die
+samnitischen Vertraege, moegen sich der Zwingherrschaft genaehert haben.
+</p>
+
+<p>
+Als allgemeine Regel kann wohl angenommen werden, dass nicht bloss die
+latinische und hernikische, von denen es ueberliefert ist, sondern saemtliche
+italische Voelkergenossenschaften, namentlich auch die samnitische und die
+lucanische, rechtlich aufgeloest oder doch zur Bedeutungslosigkeit
+abgeschwaecht wurden und durchschnittlich keiner italischen Gemeinde mit
+anderen italischen die Verkehrs- oder Ehegemeinschaft oder gar das gemeinsame
+Beratschlagungs- und Beschlussfassungsrecht zustand. Ferner wird, wenn auch in
+verschiedener Weise, dafuer gesorgt worden sein, dass die Wehr- und Steuerkraft
+der saemtlichen italischen Gemeinden der fuehrenden zur Disposition stand.
+Wenngleich auch ferner noch die Buergermiliz einer- und die Kontingente
+&ldquo;latinischen Namens&rdquo; anderseits als die wesentlichen und
+integrierenden Bestandteile des roemischen Heeres angesehen wurden und ihm
+somit sein nationaler Charakter im ganzen bewahrt blieb, so wurden doch nicht
+bloss die roemischen Passivbuerger zu demselben mit herangezogen, sondern ohne
+Zweifel auch die nichtlatinischen foederierten Gemeinden entweder, wie dies mit
+den griechischen geschah, zur Stellung von Kriegsschiffen verpflichtet, oder,
+wie dies fuer die apulischen, sabellischen und etruskischen auf einmal oder
+allmaehlich verordnet worden sein muss, in das Verzeichnis der zuzugpflichtigen
+Italiker (formula togatorum) eingetragen. Durchgaengig scheint dieser Zuzug
+eben wie der der latinischen Gemeinden fest normiert worden zu sein, ohne dass
+doch die fuehrende Gemeinde erforderlichenfalls verhindert gewesen waere, mehr
+zu fordern. Es lag hierin zugleich eine indirekte Besteuerung, indem jede
+Gemeinde verpflichtet war, ihr Kontingent selbst auszuruesten und zu besolden.
+Nicht ohne Absicht wurden darum vorzugsweise die kostspieligsten
+Kriegsleistungen auf die latinischen oder nichtlatinischen foederierten
+Gemeinden gewaelzt, die Kriegsmarine zum groessten Teil durch die griechischen
+Staedte instand gehalten und bei dem Rossdienst die Bundesgenossen, spaeterhin
+wenigstens, in dreifach staerkerem Verhaeltnis als die roemische Buergerschaft
+angezogen, waehrend im Fussvolk der alte Satz, dass das
+Bundesgenossenkontingent nicht zahlreicher sein duerfte als das Buergerheer,
+noch lange Zeit wenigstens als Regel in Kraft blieb.
+</p>
+
+<p>
+Das System, nach welchem dieser Bau im einzelnen zusammengefuegt und
+zusammengehalten ward, laesst aus den wenigen auf uns gekommenen Nachrichten
+sich nicht mehr feststellen. Selbst das Zahlenverhaeltnis, in welchem die drei
+Klassen der Untertanenschaft zueinander und zu der Vollbuergerschaft standen,
+ist nicht mehr auch nur annaehernd zu ermitteln ^13 und ebenso die
+geographische Verteilung der einzelnen Kategorien ueber Italien nur
+unvollkommen bekannt. Die bei diesem Bau zugrunde liegenden leitenden Gedanken
+liegen dagegen so offen vor, dass es kaum noetig ist, sie noch besonders zu
+entwickeln. Vor allem ward, wie gesagt, der unmittelbare Kreis der herrschenden
+Gemeinde teils durch Ansiedelung der Vollbuerger, teils durch Verleihung des
+Passivbuergerrechts soweit ausgedehnt, wie es irgend moeglich war, ohne die
+roemische Gemeinde, die doch eine staedtische war und bleiben sollte,
+vollstaendig zu dezentralisieren. Als das Inkorporationssystem bis an und
+vielleicht schon ueber seine natuerlichen Grenzen ausgedehnt war, mussten die
+weiter hinzutretenden Gemeinden sich in ein Untertaenigkeitsverhaeltnis fuegen;
+denn die reine Hegemonie als dauerndes Verhaeltnis ist innerlich unmoeglich. So
+stellte sich, nicht durch willkuerliche Monopolisierung der Herrschaft, sondern
+durch das unvermeidliche Schwergewicht der Verhaeltnisse neben die Klasse der
+herrschenden Buerger die zweite der Untertanen. Unter den Mitteln der
+Herrschaft standen in erster Linie natuerlich die Teilung der Beherrschten
+durch Sprengung der italischen Eidgenossenschaften und Einrichtung einer
+moeglichst grossen Zahl verhaeltnismaessig geringer Gemeinden, sowie die
+Abstufung des Druckes der Herrschaft nach den verschiedenen Kategorien der
+Untertanen. Wie Cato in seinem Hausregiment dahin sah, dass die Sklaven sich
+miteinander nicht allzu gut vertragen moechten, und absichtlich Zwistigkeiten
+und Parteiungen unter ihnen naehrte, so hielt es die roemische Gemeinde im
+grossen; das Mittel war nicht schoen, aber wirksam. Nur eine weitere Anwendung
+desselben Mittels war es, wenn in jeder abhaengigen Gemeinde die Verfassung
+nach dem Muster der roemischen umgewandelt und ein Regiment der wohlhabenden
+und angesehenen Familien eingesetzt ward, welches mit der Menge in einer
+natuerlichen mehr oder minder lebhaften Opposition stand und durch seine
+materiellen und kommunalregimentlichen Interessen darauf angewiesen war, auf
+Rom sich zu stuetzen. Das merkwuerdigste Beispiel in dieser Beziehung gewaehrt
+die Behandlung von Capua, welches als die einzige italische Stadt, die
+vielleicht mit Rom zu rivalisieren vermochte, von Haus aus mit argwoehnischer
+Vorsicht behandelt worden zu sein scheint. Man verlieh dem kampanischen Adel
+einen privilegierten Gerichtsstand, gesonderte Versammlungsplaetze, ueberhaupt
+in jeder Hinsicht eine Sonderstellung, ja man wies ihm sogar nicht
+unbetraechtliche Pensionen - sechzehnhundert je von jaehrlich 450 Stateren
+(etwa 200 Taler) - auf die kampanische Gemeindekasse an. Diese kampanischen
+Ritter waren es, deren Nichtbeteiligung an dem grossen latinisch-kampanischen
+Aufstand 414 (340) zu dessen Scheitern wesentlich beitrug und deren tapfere
+Schwerter im Jahre 459 (295) bei Sentinum fuer die Roemer entschieden; wogegen
+das kampanische Fussvolk in Rhegion die erste Truppe war, die im Pyrrhischen
+Kriege von Rom abfiel. Einen anderen merkwuerdigen Beleg fuer die roemische
+Praxis: die staendischen Zwistigkeiten innerhalb der abhaengigen Gemeinden
+durch Beguenstigung der Aristokratie fuer das roemische Interesse auszubeuten,
+gibt die Behandlung, die Volsinii im Jahre 489 (265) widerfuhr. Es muessen
+dort, aehnlich wie in Rom, die Alt- und Neubuerger sich gegenuebergestanden und
+die letzteren auf gesetzlichem Wege die politische Gleichberechtigung erlangt
+haben. Infolge dessen wandten die Altbuerger von Volsinii sich an den
+roemischen Senat mit dem Gesuch um Wiederherstellung der alten Verfassung; was
+die in der Stadt herrschende Partei begreiflicherweise als Landesverrat
+betrachtete und die Bittsteller dafuer zur gesetzlichen Strafe zog. Der
+roemische Senat indes nahm Partei fuer die Altbuerger und liess, da die Stadt
+sich nicht gutwillig fuegte, durch militaerische Exekution nicht bloss die in
+anerkannter Wirksamkeit bestehende Gemeindeverfassung von Volsinii vernichten,
+sondern auch durch die Schleifung der alten Hauptstadt Etruriens das Herrentum
+Roms den Italikern in einem Exempel von erschreckender Deutlichkeit vor Augen
+legen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^13 Es ist zu bedauern, dass wir ueber die Zahlenverhaeltnisse nicht genuegende
+Auskunft zu geben imstande sind. Man kann die Zahl der waffenfaehigen
+roemischen Buerger fuer die spaetere Koenigszeit auf etwa 20000 veranschlagen.
+Nun ist aber von Albas Fall bis auf die Eroberung von Veii die unmittelbare
+roemische Mark nicht wesentlich erweitert worden; womit es vollkommen
+uebereinstimmt, dass von der ersten Einrichtung der einundzwanzigste Bezirk um
+das Jahr 259 (495) an, worin keine oder doch keine bedeutende Erweiterung der
+roemischen Grenze lag, bis auf das Jahr 367 (387) neue Buergerbezirke nicht
+errichtet wurden. Mag man nun auch die Zunahme durch den Ueberschuss der
+Geborenen ueber die Gestorbenen, durch Einwanderungen und Freilassungen noch so
+reichlich in Anschlag bringen, so ist es doch schlechterdings unmoeglich, mit
+den engen Grenzen eines Gebiets von schwerlich 30 Quadratmeilen die
+ueberlieferten Zensuszahlen in Uebereinstimmung zu bringen, nach denen die Zahl
+der waffenfaehigen roemischen Buerger in der zweiten Haelfte des dritten
+Jahrhunderts zwischen 104000 und 150000 schwankt, und im Jahre 362 (392),
+wofuer eine vereinzelte Angabe vorliegt, 152573 betrug. Vielmehr werden diese
+Zahlen mit den 84700 Buergern des Servianischen Zensus auf einer Linie stehen
+und ueberhaupt die ganze bis auf die vier Lustren des Servius Tullius
+hinaufgefuehrte und mit reichlichen Zahlen ausgestattete aeltere Zensusliste
+nichts sein als eine jener scheinbar urkundlichen Traditionen, die eben in ganz
+detaillierten Zahlenangaben sich gefallen und sich verraten.
+</p>
+
+<p>
+Erst mit der zweiten Haelfte des vierten Jahrhunderts beginnen die grossen
+Gebietserwerbungen, wodurch die Buergerrolle ploetzlich und betraechtlich
+steigen musste. Es ist glaubwuerdig ueberliefert, wie an sich glaublich, dass
+um 416 (338) man 165000 roemische Buerger zaehlte, wozu es recht gut stimmt,
+dass zehn Jahre vorher, als man gegen Latium und Gallien die ganze Miliz unter
+die Waffen rief, das erste Aufgebot zehn Legionen, also 50000 Mann betrug. Seit
+den grossen Gebietserweiterungen in Etrurien, Latium und Kampanien zaehlte man
+im fuenften Jahrhundert durchschnittlich 250000, unmittelbar vor dem ersten
+Punischen Kriege 280000 bis 290000 waffenfaehige Buerger. Diese Zahlen sind
+sicher genug, allein aus einem anderen Grunde geschichtlich nicht vollstaendig
+brauchbar: dabei naemlich sind wahrscheinlich die roemischen Vollbuerger und
+die nicht, wie die Kampaner, in eigenen Legionen dienenden &ldquo;Buerger ohne
+Stimme&rdquo;, wie zum Beispiel die Caeriten, ineinander gerechnet, waehrend
+doch die letzteren faktisch durchaus den Untertanen beigezaehlt werden muessen
+(Roemische Forschungen, Bd. 2, S. 396).
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Aber der roemische Senat war weise genug, nicht zu uebersehen, dass das einzige
+Mittel, der Gewaltherrschaft Dauer zu geben, die eigene Maessigung der
+Gewalthaber ist. Darum ward den abhaengigen Gemeinden die Autonomie gelassen
+oder verliehen, die einen Schatten von Selbstaendigkeit, einen eigenen Anteil
+an Roms militaerischen und politischen Erfolgen und vor allem eine freie
+Kommunalverfassung in sich schloss - so weit die italische Eidgenossenschaft
+reichte, gab es keine Helotengemeinde. Darum verzichtete Rom von vornherein mit
+einer in der Geschichte vielleicht beispiellosen Klarheit und Hochherzigkeit
+auf das gefaehrlichste aller Regierungsrechte, auf das Recht, die Untertanen zu
+besteuern. Hoechstens den abhaengigen keltischen Gauen moegen Tribute auferlegt
+worden sein; soweit die italische Eidgenossenschaft reichte, gab es keine
+zinspflichtige Gemeinde. Darum endlich ward die Wehrpflicht zwar wohl auf die
+Untertanen mit, aber doch keineswegs von der herrschenden Buergerschaft
+abgewaelzt; vielmehr wurde wahrscheinlich die letztere nach Verhaeltnis bei
+weitem staerker als die Bundesgenossenschaft und in dieser wahrscheinlich
+wiederum die Gesamtheit der Latiner bei weitem staerker in Anspruch genommen
+als die nichtlatinischen Bundesgemeinden; so dass es eine gewisse Billigkeit
+fuer sich hatte, wenn auch von dem Kriegsgewinn zunaechst Rom und nach ihm die
+Latinerschaft den besten Teil fuer sich nahmen.
+</p>
+
+<p>
+Der schwierigen Aufgabe, ueber die Masse der italischen zuzugpflichtigen
+Gemeinden den Ueberblick und die Kontrolle sich zu bewahren, genuegte die
+roemische Zentralverwaltung teils durch die vier italischen Quaesturen, teils
+durch die Ausdehnung der roemischen Zensur ueber die saemtlichen abhaengigen
+Staedte. Die Flottenquaestoren hatten neben ihrer naechsten Aufgabe auch von
+den neugewonnenen Domaenen die Einkuenfte zu erheben und die Zuzuege der neuen
+Bundesgenossen zu kontrollieren; sie waren die ersten roemischen Beamten, denen
+gesetzlich Sitz und Sprengel ausserhalb Rom angewiesen ward und bildeten
+zwischen dem roemischen Senat und den italischen Gemeinden die notwendige
+Mittelinstanz. Es hatte ferner, wie die spaetere Munizipalverfassung zeigt, in
+jeder italischen ^14 Gemeinde die Oberbehoerde, wie sie immer heissen mochte,
+jedes vierte oder fuenfte Jahr eine Schatzung vorzunehmen; eine Einrichtung, zu
+der die Anregung notwendig von Rom ausgegangen sein muss und welche nur den
+Zweck gehabt haben kann, mit der roemischen Zensur korrespondierend dem Senat
+den Ueberblick ueber die Wehr- und Steuerfaehigkeit des gesamten Italiens zu
+bewahren.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^14 Nicht bloss in jeder latinischen: denn die Zensur oder die sogenannte
+Quinquennalitaet kommt bekanntlich auch bei solchen Gemeinden vor, deren
+Verfassung nicht nach dem latinischen Schema konstituiert ist.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Mit dieser militaerisch-administrativen Einigung der gesamten diesseits des
+Apennin bis hinab zum Iapygischen Vorgebirg und zur Meerenge von Rhegion
+wohnhaften Voelkerschaften haengt endlich auch das Aufkommen eines neuen, ihnen
+allen gemeinsamen Namens zusammen, der &ldquo;Maenner der Toga&rdquo;, was die
+aelteste staatsrechtliche roemische, oder der Italiker, was die urspruenglich
+bei den Griechen gebraeuchliche und sodann allgemein gangbar gewordene
+Bezeichnung ist. Die verschiedenen Nationen, welche diese Landschaften
+bewohnten, moegen wohl zuerst sich als eine Einheit gefuehlt und
+zusammengefunden haben teils in dem Gegensatz gegen die Hellenen, teils und vor
+allem in der gemeinschaftlichen Abwehr der Kelten; denn mochte auch einmal eine
+italische Gemeinde mit diesen gegen Rom gemeinschaftliche Sache machen und die
+Gelegenheit nutzen, um die Unabhaengigkeit wiederzugewinnen, so brach doch auf
+die Laenge das gesunde Nationalgefuehl notwendig sich Bahn. Wie der
+&ldquo;gallische Acker&rdquo; bis in spaete Zeit als der rechtliche Gegensatz
+des italischen erscheint, so sind auch die &ldquo;Maenner der Toga&rdquo; also
+genannt worden im Gegensatz zu den keltischen &ldquo;Hosenmaennern&rdquo;
+(bracati); und wahrscheinlich hat selbst bei der Zentralisierung des italischen
+Wehrwesens in den Haenden Roms die Abwehr der keltischen Einfaelle sowohl als
+Ursache wie als Vorwand eine wichtige Rolle gespielt. Indem die Roemer teils in
+dem grossen Nationalkampf an die Spitze traten, teils die Etrusker, Latiner,
+Sabeller, Apuler und Hellenen innerhalb der sogleich zu bezeichnenden Grenzen
+gleichmaessig noetigten, unter ihren Fahnen zu fechten, erhielt die bis dahin
+schwankende und mehr innerliche Einheit geschlossene und staatsrechtliche
+Festigkeit und ging der Name Italia, der urspruenglich und noch bei den
+griechischen Schriftstellern des fuenften Jahrhunderts, zum Beispiel bei
+Aristoteles, nur dem heutigen Kalabrien eignet, ueber auf das gesamte Land der
+Togatraeger. Die aeltesten Grenzen dieser grossen von Rom gefuehrten
+Wehrgenossenschaft oder des neuen Italien reichen am westlichen Litoral bis in
+die Gegend von Livorno unterhalb des Arnus ^15, am oestlichen bis an den Aesis
+oberhalb Ancona; die ausserhalb dieser Grenzen liegenden, von Italikern
+kolonisierten Ortschaften, wie Sena gallica und Ariminum jenseits des Apennin,
+Messana in Sizilien, galten, selbst wenn sie, wie Ariminum, Glieder der
+Eidgenossenschaft oder sogar, wie Sena, roemische Buergergemeinden waren, doch
+als geographisch ausserhalb Italien gelegen. Noch weniger konnten die
+keltischen Gaue des Apennin, wenngleich vielleicht schon jetzt einzelne
+derselben in der Klientel von Rom sich befanden, den Togamaennern beigezaehlt
+werden. Das neue Italien war also eine politische Einheit geworden; es war aber
+auch im Zuge, eine nationale zu werden. Bereits hatte die herrschende
+latinische Nationalitaet die Sabiner und Volsker sich assimiliert und einzelne
+latinische Gemeinden ueber ganz Italien verstreut; es war nur die Entwicklung
+dieser Keime, dass spaeter einem jeden zur Tragung des latinischen Rockes
+Befugten auch die latinische Sprache Muttersprache war. Dass aber die Roemer
+schon jetzt dieses Ziel deutlich erkannten, zeigt die uebliche Erstreckung des
+latinischen Namens auf die ganze zuzugpflichtige italische Bundesgenossenschaft
+^16. Was immer von diesem grossartigen politischen Bau sich noch erkennen
+laesst, daraus spricht der hohe politische Verstand seiner namenlosen
+Baumeister; und die ungemeine Festigkeit, welche diese aus so vielen und so
+verschiedenartigen Bestandteilen zusammengefuegte Konfoederation spaeterhin
+unter den schwersten Stoessen bewaehrt hat, drueckte ihrem grossen Werke das
+Siegel des Erfolges auf. Seitdem die Faeden dieses so fein wie fest um ganz
+Italien geschlungenen Netzes in den Haenden der roemischen Gemeinde
+zusammenliefen, war diese eine Grossmacht und trat anstatt Tarents, Lucaniens
+und anderer durch die letzten Kriege aus der Reihe der politischen Maechte
+geloeschter Mittel- und Kleinstaaten in das System der Staaten des Mittelmeers
+ein. Gleichsam die offizielle Anerkennung seiner neuen Stellung empfing Rom
+durch die beiden feierlichen Gesandtschaften, die im Jahre 481 (273) von
+Alexandreia nach Rom und wieder von Rom nach Alexandreia gingen, und wenn sie
+auch zunaechst nur die Handelsverbindungen regelten, doch ohne Zweifel schon
+eine politische Verbuendung vorbereiteten. Wie Karthago mit der aegyptischen
+Regierung um Kyrene rang und bald mit der roemischen um Sizilien ringen sollte,
+so stritt Makedonien mit jener um den bestimmenden Einfluss in Griechenland,
+mit dieser demnaechst um die Herrschaft der adriatischen Kuesten; es konnte
+nicht fehlen, dass die neuen Kaempfe, die allerorts sich vorbereiteten,
+ineinander eingriffen und dass Rom als Herrin Italiens in den weiten Kreis
+hineingezogen ward, den des grossen Alexanders Siege und Entwuerfe seinen
+Nachfolgern zum Tummelplatz abgesteckt hatten.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^15 Diese aelteste Grenze bezeichnen wahrscheinlich die beiden kleinen
+Ortschaften ad fines, wovon die eine noerdlich von Arezzo auf der Strasse nach
+Florenz, die zweite an der Kueste unweit Livorno lag. Etwas weiter suedlich von
+dem letzteren heisst Bach und Tal von Vada noch jetzt fiume della fine, valle
+della fine (Targioni Tozzetti, Viaggi. Bd. 4, S. 430).
+</p>
+
+<p>
+^16 Im genauen geschaeftlichen Sprachgebrauch geschieht dies freilich nicht.
+Die vollstaendigste Bezeichnung der Italiker findet sich in dem Ackergesetz von
+643 (111), Zeile 21: [ceivis] Romanus sociumve nominisve Latini quibus ex
+formula togatorum [milites in terra Italia imperare solent]; ebenso wird
+daselbst Zeile 29 vom Latinus der peregrinus unterschieden und heisst es im
+Senatsbeschluss ueber die Bacchanalien von 568 (186): ne quis ceivis Romanus
+neve nominis Latini neve socium quisquam. Aber im gewoehnlichen Gebrauch wird
+von diesen drei Gliedern sehr haeufig das zweite oder das dritte weggelassen
+und neben den Roemern bald nur derer Latini nominis, bald nur der socii gedacht
+(W. Weissenborn zu Liv. 22, 50, 6), ohne dass ein Unterschied in der Bedeutung
+waere. Die Bezeichnung homines nominis Latini ac socii Italici (Sall. Iug. 40),
+so korrekt sie an sich ist, ist dem offiziellen Sprachgebrauch fremd, der wohl
+ein Italia, aber nicht Italici kennt.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap08"></a>KAPITEL VIII.<br/>
+Recht, Religion, Kriegswesen, Volkswirtschaft, Nationalität</h2>
+
+<p>
+In der Entwicklung, welche waehrend dieser Epoche dem Recht innerhalb der
+roemischen Gemeinde zuteil ward, ist wohl die wichtigste materielle Neuerung
+die eigentuemliche Sittenkontrolle, welche die Gemeinde selbst und in
+untergeordnetem Grade ihre Beauftragten anfingen, ueber die einzelnen Buerger
+auszuueben. Der Keim dazu ist in dem Rechte des Beamten zu suchen, wegen
+Ordnungswidrigkeiten Vermoegensbussen (multae) zu erkennen. Bei allen Bussen
+von mehr als zwei Schafen und 30 Rindern, oder, nachdem durch Gemeindebeschluss
+vom Jahre 324 (430) die Viehbussen in Geld umgesetzt worden waren, von mehr als
+3020 Libralassen (218 Taler), kam bald nach der Vertreibung der Koenige die
+Entscheidung im Wege der Provokation an die Gemeinde, und es erhielt damit das
+Bruchverfahren ein urspruenglich ihm durchaus fremdes Gewicht. Unter den vagen
+Begriff der Ordnungswidrigkeit liess sich alles, was man wollte, bringen und
+durch die hoeheren Stufen der Vermoegensbussen alles, was man wollte,
+erreichen; es war eine Milderung, die die Bedenklichkeit dieses arbitraeren
+Verfahrens weit mehr offenbart als beseitigt, dass diese Vermoegensbussen, wo
+sie nicht gesetzlich auf eine bestimmte Summe festgestellt waren, die Haelfte
+des dem Gebuessten gehoerigen Vermoegens nicht erreichen durften. In diesen
+Kreis gehoeren schon die Polizeigesetze, an denen die roemische Gemeinde seit
+aeltester Zeit ueberreich war: die Bestimmungen der Zwoelf Tafeln, welche die
+Salbung der Leiche durch gedungene Leute, die Mitgabe von mehr als einem Pfuhl
+und mehr als drei purpurbesetzten Decken sowie von Gold und flatternden
+Kraenzen, die Verwendung von bearbeitetem Holz zum Scheiterhaufen, die
+Raeucherungen und Besprengungen desselben mit Weihrauch und Myrrhenwein
+untersagten, die Zahl der Floetenblaeser im Leichenzug auf hoechstens zehn
+beschraenkten und die Klageweiber und die Begraebnisgelage verboten -
+gewissermassen das aelteste roemische Luxusgesetz; ferner die aus den
+staendischen Kaempfen hervorgegangenen Gesetze gegen den Geldwucher sowohl wie
+gegen Obernutzung der Gemeinweide und unverhaeltnismaessige Aneignung von
+okkupablem Domanialland. Weit bedenklicher aber als diese und aehnliche
+Bruchgesetze, welche doch wenigstens die Kontravention und oft auch das
+Strafmass ein fuer allemal formulierten, war die allgemeine Befugnis eines
+jeden mit Jurisdiktion versehenen Beamten wegen Ordnungswidrigkeit eine Busse
+zu erkennen und, wenn diese das Provokationsmass erreichte und der Gebuesste
+sich nicht in die Strafe fuegte, die Sache an die Gemeinde zu bringen. Schon im
+Laufe des fuenften Jahrhunderts ist in diesem Wege wegen sittenlosen
+Lebenswandels sowohl von Maennern wie von Frauen, wegen Kornwucher, Zauberei
+und aehnlicher Dinge gleichsam kriminell verfahren worden. In innerlicher
+Verwandtschaft hiermit steht die gleichfalls in dieser Zeit aufkommende
+Quasijurisdiktion der Zensoren, welche ihre Befugnis, das roemische Budget und
+die Buergerlisten festzustellen, benutzten, teils um von sich aus Luxussteuern
+aufzulegen, welche von den Luxusstrafen nur der Form nach sich unterschieden,
+teils besonders um auf die Anzeige anstoessiger Handlungen hin dem tadelhaften
+Buerger die politischen Ehrenrechte zu schmaelern oder zu entziehen. Wie weit
+schon jetzt diese Bevormundung ging, zeigt, dass solche Strafen wegen
+nachlaessiger Bestellung des eigenen Ackers verhaengt wurden, ja dass ein Mann
+wie Publius Cornelius Rufmus (Konsul 464, 477 290, 277) von den Zensoren des
+Jahres 479 (275) aus dem Ratsherrenverzeichnis gestrichen ward, weil er
+silbernes Tafelgeraet zum Werte von 3360 Sesterzen (240 Taler) besass.
+Allerdings hatten nach der allgemein fuer Beamtenverordnungen gueltigen Regel
+die Verfuegungen der Zensoren nur fuer die Dauer ihrer Zensur, das heisst
+durchgaengig fuer die naechsten fuenf Jahre rechtliche Kraft, und konnten von
+den naechsten Zensoren nach Gefallen erneuert oder nicht erneuert werden; aber
+nichtsdestoweniger war diese zensorische Befugnis von einer so ungeheuren
+Bedeutung, dass infolge dessen die Zensur aus einem Unteramt an Rang und
+Ansehen von allen roemischen Gemeindeaemtern das erste ward. Das Senatsregiment
+ruhte wesentlich auf dieser doppelten, mit ebenso ausgedehnter wie arbitraerer
+Machtvollkommenheit versehenen Ober- und Unterpolizei der Gemeinde und der
+Gemeindebeamten. Dieselbe hat wie jedes aehnliche Willkuerregiment viel
+genuetzt und viel geschadet, und es soll dem nicht widersprochen werden, der
+den Schaden fuer ueberwiegend haelt; nur darf es nicht vergessen werden, dass
+bei der allerdings aeusserlichen, aber straffen und energischen Sittlichkeit
+und dem gewaltig angefachten Buergersinn, welche diese Zeit recht eigentlich
+bezeichnen, der eigentlich gemeine Missbrauch doch von diesen Institutionen
+fern blieb und, wenn die individuelle Freiheit hauptsaechlich durch sie
+niedergehalten worden ist, auch die gewaltige und oft gewaltsame
+Aufrechthaltung des Gemeinsinns und der guten alten Ordnung und Sitte in der
+roemischen Gemeinde eben auf diesen Institutionen beruhen.
+</p>
+
+<p>
+Daneben macht in der roemischen Rechtsentwicklung zwar langsam, aber dennoch
+deutlich genug eine humanisierende und modernisierende Tendenz sich geltend.
+Die meisten Bestimmungen der Zwoelf Tafeln, welche mit dem Solonischen Gesetz
+uebereinkommen und deshalb mit Grund fuer materielle Neuerungen gehalten werden
+duerfen, tragen diesen Stempel; so die Sicherung des freien Assoziationsrechts
+und der Autonomie der also entstandenen Vereine; die Vorschrift ueber die
+Grenzstreifen, die dem Abpfluegen wehrte; die Milderung der Strafe des
+Diebstahls, indem der nicht auf frischer Tat ertappte Dieb sich fortan durch
+Leistung des doppelten Ersatzes von dem Bestohlenen loesen konnte. Das
+Schuldrecht ward in aehnlichem Sinn, jedoch erst ueber ein Jahrhundert nachher,
+durch das Poetelische Gesetz gemildert. Die freie Bestimmung ueber das
+Vermoegen, die dem Herrn desselben bei Lebzeiten schon nach aeltestem
+roemischen Recht zugestanden hatte, aber fuer den Todesfall bisher geknuepft
+gewesen war an die Einwilligung der Gemeinde, wurde auch von dieser Schranke
+befreit, indem das Zwoelftafelgesetz oder dessen Interpretation dem
+Privattestament dieselbe Kraft beilegte, welche dem von den Kurien bestaetigten
+zukam; es war dies ein wichtiger Schritt zur Sprengung der
+Geschlechtsgenossenschaften und zur voelligen Durchfuehrung der
+Individualfreiheit im Vermoegensrecht. Die furchtbar absolute vaeterliche
+Gewalt wurde beschraenkt durch die Vorschrift, dass der dreimal vom Vater
+verkaufte Sohn nicht mehr in dessen Gewalt zurueckfallen, sondern fortan frei
+sein solle; woran bald durch eine - streng genommen freilich widersinnige -
+Rechtsdeduktion die Moeglichkeit angeknuepft ward, dass sich der Vater
+freiwillig der Herrschaft ueber den Sohn begebe durch Emanzipation. Im Eherecht
+wurde die Zivilehe gestattet; und wenn auch mit der rechten buergerlichen
+ebenso notwendig wie mit der rechten religioesen die volle eheherrliche Gewalt
+verknuepft war, so lag doch in der Zulassung der ohne solche Gewalt
+geschlossenen Verbindung an Ehestatt der erste Anfang zur Lockerung der
+Vollgewalt des Eheherrn. Der Anfang einer gesetzlichen Noetigung zum ehelichen
+Leben ist die Hagestolzensteuer (aes uxorium), mit deren Einfuehrung Camillus
+als Zensor im Jahre 351 (403) seine oeffentliche Laufbahn begann.
+</p>
+
+<p>
+Durchgreifendere Aenderungen als das Recht selbst erlitt die politisch
+wichtigere und ueberhaupt veraenderlichere Rechtspflegeordnung. Vor allen
+Dingen gehoert dahin die wichtige Beschraenkung der oberrichterlichen Gewalt
+durch die gesetzliche Aufzeichnung des Landrechts und die Verpflichtung des
+Beamten, fortan nicht mehr nach dem schwankenden Herkommen, sondern nach dem
+geschriebenen Buchstaben im Zivil- wie im Kriminalverfahren zu entscheiden
+(303, 304 451, 450). Die Einsetzung eines ausschliesslich fuer die Rechtspflege
+taetigen roemischen Oberbeamten im Jahre 387 (367) und die gleichzeitig in Rom
+erfolgte und unter Roms Einfluss in allen latinischen Gemeinden nachgeahmte
+Gruendung einer besonderen Polizeibehoerde erhoehten die Schnelligkeit und
+Sicherheit der Justiz. Diesen Polizeiherren oder den Aedilen kam natuerlich
+zugleich eine gewisse Jurisdiktion zu, insofern sie teils fuer die auf offenem
+Markt abgeschlossenen Verkaeufe, also namentlich fuer die Vieh- und
+Sklavenmaerkte die ordentlichen Zivilrichter waren, teils in der Regel sie es
+waren, welche in dem Buss- und Bruechverfahren als Richter erster Instanz oder,
+was nach roemischem Recht dasselbe ist, als oeffentliche Anklaeger fungierten.
+Infolgedessen lag die Handhabung der Bruechgesetze und ueberhaupt das ebenso
+unbestimmte wie politisch wichtige Bruechrecht hauptsaechlich in ihrer Hand.
+Aehnliche, aber untergeordnetere und besonders gegen die geringen Leute
+gerichtete Funktionen standen den zuerst 465 (289) ernannten drei Nacht- oder
+Blutherren (tres viri nocturni oder capitales) zu: sie wurden mit der
+naechtlichen Feuer- und Sicherheitspolizei und mit der Aufsicht ueber die
+Hinrichtungen beauftragt, woran sich sehr bald, vielleicht schon von Haus aus
+eine gewisse summarische Gerichtsbarkeit geknuepft hat ^1. Mit der steigenden
+Ausdehnung der roemischen Gemeinde wurde es endlich, teils mit Ruecksicht auf
+die Gerichtspflichtigen, notwendig in den entfernteren Ortschaften eigene,
+wenigstens fuer die geringeren Zivilsachen kompetente Richter niederzusetzen,
+was fuer die Passivbuergergemeinden Regel war, aber vielleicht selbst auf die
+entfernteren Vollbuergergemeinden erstreckt ward ^2 - die ersten Anfaenge einer
+neben der eigentlich roemischen sich entwickelnden roemisch-munizipalen
+Jurisdiktion.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Die frueher aufgestellte Behauptung, dass diese Dreiherren bereits der
+aeltesten Zeit angehoeren, ist deswegen irrig, weil der aeltesten Staatsordnung
+Beamtenkollegien von ungerader Zahl fremd sind (Roemische Chronologie bis auf
+Caesar. z. Aufl. Berlin 1859, S. 15, A. 12). Wahrscheinlich ist die gut
+beglaubigte Nachricht, dass sie zuerst 465 (289) ernannt wurden (Liv. ep. 11),
+einfach festzuhalten und die auch sonst bedenkliche Deduktion des Faelschers
+Licinius Macer (bei Liv. 7, 46), welche ihrer vor 450 (304) Erwaehnung tut,
+einfach zu verwerfen. Anfaenglich wurden ohne Zweifel, wie dies bei den meisten
+der spaeteren magistratus minores der Fall gewesen ist, die Dreiherren von den
+Oberbeamten ernannt; das papirische Plebiszit, das die Ernennung derselben auf
+die Gemeinde uebertrug (Festus v. sacramentum p. 344 M.), ist auf jeden Fall,
+da es den Praetor nennt, qui inter civis ius dicit, erst nach Einsetzung der
+Fremdenpraetur, also fruehestens gegen die Mitte des 6. Jahrhunderts erlassen.
+</p>
+
+<p>
+^2 Dahin fuehrt, was Liv. 9, 20 ueber die Reorganisation der Kolonie Antium
+zwanzig Jahre nach ihrer Gruendung berichtet; und es ist an sich klar, dass
+wenn man dem Ostienser recht wohl auferlegen konnte, seine Rechtshaendel alle
+in Rom abzumachen, dies fuer Ortschaften wie Antium und Sena sich nicht
+durchfuehren liess.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+In dem Zivilverfahren, welches indes nach den Begriffen dieser Zeit die meisten
+gegen Mitbuerger begangenen Verbrechen einschloss, wurde die wohl schon frueher
+uebliche Teilung des Verfahrens in Feststellung der Rechtsfrage vor dem
+Magistrat (ius) und Entscheidung derselben durch einen vom Magistrat ernannten
+Privatmann (iudicium) mit Abschaffung des Koenigtums gesetzliche Vorschrift;
+und dieser Trennung hat das roemische Privatrecht seine logische und praktische
+Schaerfe und Bestimmtheit wesentlich zu verdanken ^3. Im Eigentumsprozess wurde
+die bisher der unbedingten Willkuer der Beamten anheimgegebene Entscheidung
+ueber den Besitzstand allmaehlich rechtlichen Regeln unterworfen und neben dem
+Eigentums- das Besitzrecht entwickelt, wodurch abermals die Magistratsgewalt
+einen wichtigen Teil ihrer Macht einbuesste. Im Kriminalverfahren wurde das
+Volksgericht, die bisherige Gnaden- zur rechtlich gesicherten
+Appellationsinstanz. War der Angeklagte nach Verhoerung (quaestio) von dem
+Beamten verurteilt und berief sich auf die Buergerschaft, so schritt der
+Magistrat vor dieser zu dem Weiterverhoer (anquisitio), und wenn er nach
+dreimaliger Verhandlung vor der Gemeinde seinen Spruch wiederholt hatte, wurde
+im vierten Termin das Urteil von der Buergerschaft bestaetigt oder verworfen.
+Milderung war nicht gestattet. Denselben republikanischen Sinn atmen die
+Saetze, dass das Haus den Buerger schuetze und nur ausserhalb des Hauses eine
+Verhaftung stattfinden koenne; dass die Untersuchungshaft zu vermeiden und es
+jedem angeklagten und noch nicht verurteilten Buerger zu gestatten sei, durch
+Verzicht auf sein Buergerrecht den Folgen der Verurteilung, soweit sie nicht
+das Vermoegen, sondern die Person betrafen, sich zu entziehen - Saetze, die
+allerdings keineswegs gesetzlich formuliert wurden und den anklagenden Beamten
+also nicht rechtlich banden, aber doch durch ihren moralischen Druck namentlich
+fuer die Beschraenkung der Todesstrafe von dem groessten Einfluss gewesen sind.
+Indes wenn das roemische Kriminalrecht fuer den starken Buergersinn wie fuer
+die steigende Humanitaet dieser Epoche ein merkwuerdiges Zeugnis ablegt, so
+litt es dagegen praktisch namentlich unter den hier besonders schaedlich
+nachwirkenden staendischen Kaempfen. Die aus diesen hervorgegangene
+konkurrierende Kriminaljurisdiktion erster Instanz der saemtlichen
+Gemeindebeamten war die Ursache, dass es in dem roemischen Kriminalverfahren
+eine feste Instruktionsbehoerde und eine ernsthafte Voruntersuchung fortan
+nicht mehr gab; und indem das Kriminalurteil letzter Instanz in den Formen und
+von den Organen der Gesetzgebung gefunden ward, auch seinen Ursprung aus dem
+Gnadenverfahren niemals verleugnete, ueberdies noch die Behandlung der
+polizeilichen Bussen auf das aeusserlich sehr aehnliche Kriminalverfahren
+nachteilig zurueckwirkte, wurde nicht etwa missbraeuchlich, sondern
+gewissermassen verfassungsmaessig die Entscheidung in den Kriminalsachen nicht
+nach festem Gesetz, sondern nach dem willkuerlichen Belieben der Richter
+gefaellt. Auf diesem Wege ward das roemische Kriminalverfahren vollstaendig
+grundsatzlos und zum Spielball und Werkzeug der politischen Parteien
+herabgewuerdigt; was um so weniger entschuldigt werden kann, als dies Verfahren
+zwar vorzugsweise fuer eigentliche politische Verbrechen, aber doch auch fuer
+andere, zum Beispiel fuer Mord und Brandstiftung zur Anwendung kam. Dazu kam
+die Schwerfaelligkeit jenes Verfahrens, welche im Verein mit der republikanisch
+hochmuetigen Verachtung des Nichtbuergers es verschuldet hat, dass man sich
+immer mehr gewoehnte, ein summarisches Kriminal- oder vielmehr Polizeiverfahren
+gegen Sklaven und geringe Leute neben jenem foermlichen zu dulden. Auch hier
+ueberschritt der leidenschaftliche Streit um die politischen Prozesse die
+natuerlichen Grenzen und fuehrte Institutionen herbei, die wesentlich dazu
+beigetragen haben, die Roemer allmaehlich der Idee einer festen sittlichen
+Rechtsordnung zu entwoehnen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^3 Man pflegt die Roemer als das zur Jurisprudenz privilegierte Volk zu preisen
+und ihr vortreffliches Recht als eine mystische Gabe des Himmels anzustaunen;
+vermutlich besonders, um sich die Scham zu ersparen ueber die Nichtswuerdigkeit
+des eigenen Rechtszustandes. Ein Blick auf das beispiellos schwankende und
+unentwickelte roemische Kriminalrecht koennte von der Unhaltbarkeit dieser
+unklaren Vorstellungen auch diejenigen ueberzeugen, denen der Satz zu einfach
+scheinen moechte, dass ein gesundes Volk ein gesundes Recht hat und ein krankes
+ein krankes. Abgesehen von allgemeineren staatlichen Verhaeltnissen, von
+welchen die Jurisprudenz eben auch und sie vor allem abhaengt, liegen die
+Ursachen der Trefflichkeit des roemischen Zivilrechts hauptsaechlich in zwei
+Dingen: einmal darin, dass der Klaeger und der Beklagte gezwungen wurden, vor
+allen Dingen die Forderung und ebenso die Einwendung in bindender Weise zu
+motivieren und zu formulieren; zweitens darin, dass man fuer die gesetzliche
+Fortbildung des Rechtes ein staendiges Organ bestellte und dies an die Praxis
+unmittelbar anknuepfte. Mit jenem schnitten die Roemer die advokatische
+Rabulisterei, mit diesem die unfaehige Gesetzmacherei ab, soweit sich
+dergleichen abschneiden laesst, und mit beiden zusammen genuegten sie, soweit
+es moeglich ist, den zwei entgegenstehenden Forderungen, dass das Recht stets
+fest und dass es stets zeitgemaess sein soll.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Weniger sind wir imstande, die Weiterbildung der roemischen
+Religionsvorstellungen in dieser Epoche zu verfolgen. Im allgemeinen hielt man
+einfach fest an der einfachen Froemmigkeit der Ahnen und den Aber- wie den
+Unglauben in gleicher Weise fern. Wie lebendig die Idee der Vergeistigung alles
+Irdischen, auf der die roemische Religion beruhte, noch am Ende dieser Epoche
+war, beweist der vermutlich doch erst infolge der Einfuehrung des
+Silbercourants im Jahre 485 (269) neu entstandene Gott &ldquo;Silberich&rdquo;
+(Argentinus), der natuerlicherweise des aelteren Gottes &ldquo;Kupferich&rdquo;
+(Aesculanus) Sohn war.
+</p>
+
+<p>
+Die Beziehungen zum Ausland sind dieselben wie frueher; aber auch hier und hier
+vor allem ist der hellenische Einfluss im Steigen. Erst jetzt beginnen den
+hellenischen Goettern in Rom selber sich Tempel zu erheben. Der aelteste war
+der Tempel der Kastoren, welcher in der Schlacht am Regillischen See gelobt und
+am 15. Juli 269 (485) eingeweiht sein soll. Die Sage, welche an denselben sich
+knuepft, dass zwei uebermenschlich schoene und grosse Juenglinge auf dem
+Schlachtfelde in den Reihen der Roemer mitkaempfend und unmittelbar nach der
+Schlacht ihre schweisstriefenden Rosse auf dem roemischen Markt am Quell der
+Juturna traenkend und den grossen Sieg verkuendend gesehen worden seien, traegt
+ein durchaus unroemisches Gepraege und ist ohne allen Zweifel der bis in die
+Einzelheiten gleichartigen Epiphanie der Dioskuren in der beruehmten, etwa ein
+Jahrhundert vorher zwischen den Krotoniaten und den Lokrern am Flusse Sagras
+geschlagenen Schlacht in sehr frueher Zeit nachgedichtet. Auch der delphische
+Apoll wird nicht bloss beschickt, wie es ueblich ist, bei allen unter dem
+Einfluss griechischer Kultur stehenden Voelkern, und nicht bloss nach
+besonderen Erfolgen, wie nach der Eroberung von Veii, mit dem Zehnten der Beute
+(360 394) beschenkt, sondern es wird auch ihm ein Tempelinder Stadt gebaut (323
+431, erneuert 401 353). Dasselbe geschah gegen das Ende dieser Periode fuer die
+Aphrodite (459 295), welche in raetselhafter Weise mit der alten roemischen
+Gartengoettin Venus zusammenfloss ^4, und fuer den von Epidauros im Peloponnes
+erbetenen und feierlich nach Rom gefuehrten Asklapios oder Aesculapius (463
+291). Einzeln wird in schweren Zeitlaeuften Klage vernommen ueber das
+Eindringen auslaendischen Aberglaubens, vermutlich etruskischer Haruspizes (so
+326 428); wo aber dann die Polizei nicht ermangelt, ein billiges Einsehen zu
+tun.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^4 In der spaeteren Bedeutung als Aphrodite erscheint die Venus wohl zuerst bei
+der Dedikation des in diesem Jahre geweihten Tempels (Liv. 10, 31; W. A.
+Becker, Topographie der Stadt Rom [Becker, Handbuch, 1]. Leipzig 1843, S. 472).
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+In Etrurien dagegen wird, waehrend die Nation in politischer Nichtigkeit und
+traeger Opulenz stockte und verdarb, das theologische Monopol des Adels, der
+stumpfsinnige Fatalismus, die wueste und sinnlose Mystik, die Zeichendeuterei
+und das Bettelprophetenwesen sich allmaehlich zu jener Hoehe entwickelt haben,
+auf der wir sie spaeter dort finden.
+</p>
+
+<p>
+In dem Priesterwesen traten unseres Wissens durchgreifende Veraenderungen nicht
+ein. Die verschaerfte Einziehung, welche fuer die zur Bestreitung der Kosten
+des oeffentlichen Gottesdienstes angewiesenen Prozessbussen um das Jahr 465
+(289) verfuegt wurde, deutet auf das Steigen des sakralen Staatsbudgets, wie es
+die vermehrte Zahl der Staatsgoetter und Tempel mit Notwendigkeit mit sich
+brachte. Unter den ueblen Folgen des Staendehaders ist es schon angefuehrt
+worden, dass man den Kollegien der Sachverstaendigen einen unstatthaften
+Einfluss einzuraeumen begann und sich ihrer bediente, um politische Akte zu
+kassieren, wodurch teils der Glaube im Volke erschuettert, teils den Pfaffen
+ein sehr schaedlicher Einfluss auf die oeffentlichen Geschaefte zugestanden
+ward.
+</p>
+
+<p>
+Im Kriegswesen trat in dieser Epoche eine vollstaendige Revolution ein. Die
+uralte graecoitalische Heerordnung, welche gleich der homerischen auf der
+Aussonderung der angesehensten und tuechtigsten, in der Regel zu Pferde
+fechtenden Kriegsleute zu einem eigenen Vordertreffen beruht haben mag, war in
+der spaeteren Koenigszeit durch die legio, die altdorische Hoplitenphalanx von
+wahrscheinlich acht Gliedern Tiefe ersetzt worden, welche fortan das
+Schwergewicht des Kampfes uebernahm, waehrend die Reiter auf die Fluegel
+gestellt und, je nach den Umstaenden zu Pferde oder abgesessen, hauptsaechlich
+als Reserve verwandt wurden. Aus dieser Herstellung entwickelte sich ungefaehr
+gleichzeitig in Makedonien die Sarissenphalanx und in Italien die
+Manipularordnung, jene durch Verdichtung und Vertiefung, diese durch Aufloesung
+und Vermannigfaltigung der Glieder, zunaechst durch die Teilung der alten legio
+von 8400 in zwei legiones von je 4200 Mann. Die alte dorische Phalanx hatte
+durchaus auf dem Nahgefecht mit dem Schwert und vor allem dem Spiess beruht und
+den Wurfwaffen nur eine beilaeufige und untergeordnete Stellung im Treffen
+eingeraeumt. In der Manipularlegion wurde die Stosslanze auf das dritte Treffen
+beschraenkt und den beiden ersten anstatt derselben eine neue und eigentuemlich
+italische Wurfwaffe gegeben, das Pilum, ein fuenftehalb Ellen langes
+viereckiges oder rundes Holz mit drei- oder vierkantiger eiserner Spitze, das
+vielleicht urspruenglich zur Verteidigung der Lagerwaelle erfunden worden war,
+aber bald von dem letzten auf die ersten Glieder ueberging und von dem
+vorrueckenden Gliede auf eine Entfernung von zehn bis zwanzig Schritten in die
+feindlichen Reihen geworfen ward. Zugleich gewann das Schwert eine bei weitem
+groessere Bedeutung als das kurze Messer der Phalangiten hatte haben koennen;
+denn die Wurfspeersalve war zunaechst nur bestimmt, dem Angriff mit dem Schwert
+die Bahn zu brechen. Wenn ferner die Phalanx, gleichsam eine einzige gewaltige
+Lanze, auf einmal auf den Feind geworfen werden musste, so wurden in der neuen
+italischen Legion die kleineren, im Phalangensystem wohl auch vorhandenen, aber
+in der Schlachtordnung unaufloeslich fest verknuepften Einheiten taktisch
+voneinander gesondert. Das geschlossene Quadrat teilte sich nicht bloss, wie
+gesagt, in zwei gleich starke Haelften, sondern jede von diesen trat weiter in
+der Tiefrichtung auseinander in drei Treffen, das der Hastaten, das der
+Principes und das der Triarier, von ermaessigter, wahrscheinlich in der Regel
+nur vier Glieder betragender Tiefe und loeste in der Frontrichtung sich auf in
+je zehn Haufen (manipuli), so dass zwischen je zwei Treffen und je zwei Haufen
+ein merklicher Zwischenraum blieb. Es war nur eine Fortsetzung derselben
+Individualisierung, wenn der Gesamtkampf auch der verkleinerten taktischen
+Einheit zurueck- und der Einzelkampf in den Vordergrund trat, wie dies aus der
+schon erwaehnten entscheidenden Rolle des Handgemenges und Schwertgefechtes
+deutlich hervorgeht. Eigentuemlich entwickelte sich auch das System der
+Lagerverschanzung; der Platz, wo der Heerhaufe wenn auch nur fuer eine einzige
+Nacht sein Lager nahm, ward ohne Ausnahme mit einer regelmaessigen Umwallung
+versehen und gleichsam in eine Festung umgeschaffen. Wenig aenderte sich
+dagegen in der Reiterei, die auch in der Manipularlegion die sekundaere Rolle
+behielt, welche sie neben der Phalanx eingenommen hatte. Auch das
+Offiziersystem blieb in der Hauptsache ungeaendert; nur wurden jetzt jeder der
+zwei Legionen des regelmaessigen Heeres ebenso viele Kriegstribune vorgesetzt,
+wie sie bisher das gesamte Heer befehligt hatten, also die Zahl der
+Stabsoffiziere verdoppelt. Es duerfte auch in dieser Zeit sich die scharfe
+Grenze festgestellt haben zwischen den Subalternoffizieren, welche sich ihren
+Platz an der Spitze der Manipel als Gemeine mit dem Schwerte zu gewinnen hatten
+und in regelmaessigem Avancement von den niederen in die hoeheren Manipel
+uebergingen, und den je sechs und sechs den ganzen Legionen vorgesetzten
+Kriegstribunen, fuer welche es kein regelmaessiges Avancement gab und zu denen
+man gewoehnlich Maenner aus der besseren Klasse nahm. Namentlich muss es dafuer
+von Bedeutung geworden sein, dass, waehrend frueher die Subaltern- wie die
+Stabsoffiziere gleichmaessig vom Feldherrn ernannt wurden, seit dem Jahre 392
+(362) ein Teil der letzteren Posten durch Buergerschaftswahl vergeben ward.
+Endlich blieb auch die alte, furchtbar strenge Kriegszucht unveraendert. Nach
+wie vor war es dem Feldherrn gestattet, jedem in seinem Lager dienenden Mann
+den Kopf vor die Fuesse zu legen und den Stabsoffizier so gut wie den gemeinen
+Soldaten mit Ruten auszuhauen; auch wurden dergleichen Strafen nicht bloss
+wegen gemeiner Verbrechen erkannt, sondern ebenso, wenn sich ein Offizier
+gestattet hatte, von dem erteilten Befehle abzuweichen, oder wenn eine
+Abteilung sich hatte ueberrumpeln lassen oder vom Schlachtfeld gewichen war.
+Dagegen bedingt die neue Heerordnung eine weit ernstere und laengere
+militaerische Schule als die bisherige phalangitische, worin das Schwergewicht
+der Masse auch die Ungeuebten zusammenhielt. Wenn dennoch kein eigener
+Soldatenstand sich entwickelte, sondern das Heer nach wie vor Buergerheer
+blieb, so ward dies hauptsaechlich dadurch erreicht, dass man die bisherige
+Gliederung der Soldaten nach dem Vermoegen aufgab und sie nach dem Dienstalter
+ordnete. Der roemische Rekrut trat jetzt ein unter die leichtbewaffneten,
+ausserhalb der Linie besonders mit Steinschleudern fechtenden
+&ldquo;Sprenkler&rdquo; (rorarii) und avancierte aus diesem allmaehlich in das
+erste und weiter in das zweite Treffen, bis endlich die langgedienten und
+erfahrenen Soldaten in dem an Zahl schwaechsten, aber in dem ganzen Heer Ton
+und Geist angebenden Triarierkorps sich zusammenfanden.
+</p>
+
+<p>
+Die Vortrefflichkeit dieser Kriegsordnung, welche die naechste Ursache der
+ueberlegenen politischen Stellung der roemischen Gemeinde geworden ist, beruht
+wesentlich auf den drei grossen militaerischen Prinzipien der Reserve, der
+Verbindung des Nah- und Ferngefechts und der Verbindung von Offensive und
+Defensive. Das Reservesystem war schon in der aelteren Verwendung der Reiterei
+angedeutet, hier aber durch die Gliederung des Heeres in drei Treffen und die
+Aufsparung der Veteranenkernschar fuer den letzten und entscheidenden Stoss
+vollstaendig entwickelt. Wenn die hellenische Phalanx den Nahkampf, die
+orientalischen mit Bogen und leichten Wurfspeeren bewaffneten Reitergeschwader
+den Fernkampf einseitig ausgebildet hatten, so wurde durch die roemische
+Verbindung des schweren Wurfspiesses mit dem Schwerte, wie mit Recht gesagt
+worden ist, ein aehnlicher Erfolg erreicht wie in der modernen Kriegfuehrung
+durch die Einfuehrung der Bajonettflinte; es arbeitete die Wurfspeersalve dem
+Schwertkampf genau in derselben Weise vor wie jetzt die Gewehrsalve dem Angriff
+mit dem Bajonett. Endlich das ausgebildete Lagersystem gestattete es den
+Roemern, die Vorteile des Belagerungs- und des Offensivkrieges miteinander zu
+verbinden und die Schlacht je nach Umstaenden zu verweigern oder zu liefern,
+und im letzteren Fall sie unter den Lagerwaellen gleichwie unter den Mauern
+einer Festung zu schlagen - der Roemer, sagt ein roemisches Sprichwort, siegt
+durch Stillsitzen.
+</p>
+
+<p>
+Dass diese neue Kriegsordnung im wesentlichen eine roemische oder wenigstens
+italische Um- und Fortbildung der alten hellenischen Phalangentaktik ist,
+leuchtet ein; wenn gewisse Anfaenge des Reservesystems und der
+Individualisierung der kleineren Heerabteilungen schon bei den spaeteren
+griechischen Strategen, namentlich bei Xenophon begegnen, so folgt daraus nur,
+dass man die Mangelhaftigkeit des alten Systems auch hier empfunden, aber doch
+nicht vermocht hat, sie zu beseitigen. Vollstaendig entwickelt erscheint die
+Manipularlegion im Pyrrhischen Kriege; wann und unter welchen Umstaenden und ob
+sie auf einmal oder nach und nach entstanden ist, laesst sich nicht mehr
+nachweisen. Die erste von der aelteren italisch-hellenischen gruendlich
+verschiedene Taktik, die den Roemern gegenuebertrat, war die keltische
+Schwerterphalanx; es ist nicht unmoeglich, dass man durch die Gliederung der
+Armee und die Frontalintervalle der Manipel ihren ersten und allein
+gefaehrlichen Stoss abwehren wollte und abgewehrt hat; und damit stimmt es
+zusammen, wenn in manchen einzelnen Notizen der bedeutendste roemische Feldherr
+der Gallierzeit, Marcus Furius Camillus, als Reformator des roemischen
+Kriegswesens erscheint. Die weiteren an den Samnitischen und Pyrrhischen Krieg
+anknuepfenden Ueberlieferungen sind weder hinreichend beglaubigt noch mit
+Sicherheit einzureihen ^5; so wahrscheinlich es auch an sich ist, dass der
+langjaehrige samnitische Bergkrieg auf die individuelle Entwicklung des
+roemischen Soldaten, und der Kampf gegen einen der ersten Kriegskuenstler aus
+der Schule des grossen Alexander auf die Verbesserung des Technischen im
+roemischen Heerwesen nachhaltig eingewirkt hat.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^5 Nach der roemischen Tradition fuehrten die Roemer urspruenglich viereckige
+Schilde; worauf sie von den Etruskern den runden Hoplitenschild (clupeus,
+αςπίς)von den Samniten den spaeteren viereckigen Schild (scutum, θυρεός) und
+den Wurfspeer (veru) entlehnten (Diodor. Vat. fr. p. 54; Sall. Catil. 51, 38;
+Verg. Aen. 7, 665; Fest. v. Samnites p. 327 Mueller und die bei Marquardt,
+Handbuch, Bd. 3, 2, S. 241 angefuehrten). Allein dass der Hoplitenschild, das
+heisst die dorische Phalangentaktik nicht den Etruskern, sondern den Hellenen
+unmittelbar nachgeahmt ward, darf als ausgemacht gelten. Was das Scutum
+anlangt, so wird dieser grosse zylinderfoermig gewoelbte Lederschild allerdings
+wohl an die Stelle des platten kupfernen Clupeus getreten sein, als die Phalanx
+in Manipel auseinandertrat; allein die unzweifelhafte Herleitung des Wortes aus
+dem Griechischen macht misstrauisch gegen die Herleitung der Sache von den
+Samniten. Von den Griechen kam den Roemern auch die Schleuder (funda aus
+σφενδόνη, wie fides aus σφίδη, oben). Das Pilum gilt den Alten durchaus als
+roemische Erfindung.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+In der Volkswirtschaft war und blieb der Ackerbau die soziale und politische
+Grundlage sowohl der roemischen Gemeinde als des neuen italischen Staates. Aus
+den roemischen Bauern bestand die Gemeindeversammlung und das Heer; was sie als
+Soldaten mit dem Schwerte gewonnen hatten, sicherten sie als Kolonisten mit dem
+Pfluge. Die Ueberschuldung des mittleren Grundbesitzes fuehrte die furchtbaren
+inneren Krisen des dritten und vierten Jahrhunderts herbei, an denen die junge
+Republik zugrunde gehen zu muessen schien; die Wiedererhebung der latinischen
+Bauernschaft, welche waehrend des fuenften teils durch die massenhaften
+Landanweisungen und Inkorporationen, teils durch das Sinken des Zinsfusses und
+die steigende Volksmenge Roms bewirkt ward, war zugleich Wirkung und Ursache
+der gewaltigen Machtentwicklung Roms - wohl erkannte Pyrrhos&rsquo; scharfer
+Soldatenblick die Ursache des politischen und militaerischen Uebergewichts der
+Roemer in dem bluehenden Zustande der roemischen Bauernwirtschaften. Aber auch
+das Aufkommen der Grosswirtschaft in dem roemischen Ackerbau scheint in diese
+Zeit zu fallen. In der aelteren Zeit gab es wohl auch schon einen - wenigstens
+verhaeltnismaessig - grossen Grundbesitz; aber dessen Bewirtschaftung war keine
+Gross-, sondern nur eine vervielfaeltigte Kleinwirtschaft (I, 204). Dagegen
+darf die mit der aelteren Wirtschaftsweise zwar nicht unvereinbare, aber doch
+der spaeteren bei weitem angemessenere Bestimmung des Gesetzes vom Jahre 387
+(367), dass der Grundbesitzer neben den Sklaven eine verhaeltnismaessige Zahl
+freier Leute zu verwenden verbunden sei, wohl als die aelteste Spur der
+spaeteren zentralisierten Gutswirtschaft angesehen werden ^6; und es ist
+bemerkenswert, dass gleich hier bei ihrem ersten Vorkommen dieselbe wesentlich
+auf dem Sklavenhalten ruht. Wie sie aufkam, muss dahingestellt bleiben;
+moeglich ist es, dass die karthagischen Pflanzungen auf Sizilien schon den
+aeltesten roemischen Gutsbesitzern als Muster gedient haben und vielleicht
+steht selbst das Aufkommen des Weizens in der Landwirtschaft neben dem Spelt,
+das Varro um die Zeit der Dezemvirn setzt, mit dieser veraenderten
+Wirtschaftsweise in Zusammenhang. Noch weniger laesst sich ermitteln, wie weit
+diese Wirtschaftsweise schon in dieser Epoche um sich gegriffen hat; nur daran,
+dass sie noch nicht Regel gewesen sein und den italischen Bauernstand noch
+nicht absorbiert haben kann, laesst die Geschichte des Hannibalischen Krieges
+keinen Zweifel. Wo sie aber aufkam, vernichtete sie die aeltere, auf dem
+Bittbesitz beruhende Klientel; aehnlich wie die heutige Gutswirtschaft
+grossenteils durch Niederlegung der Bauernstellen und Verwandlung der Hufen in
+Hoffeld entstanden ist. Es ist keinem Zweifel unterworfen, dass zu der
+Bedraengnis des kleinen Ackerbauernstandes eben das Einschraenken dieser
+Ackerklientel hoechst wesentlich mitgewirkt hat.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^6 Auch Varro (rust. 1, 2, 9) denkt sich den Urheber des Licinischen
+Ackergesetzes offenbar als Selbstbewirtschafter seiner ausgedehnten
+Laendereien; obgleich uebrigens die Anekdote leicht erfunden sein kann, um den
+Beinamen zu erklaeren.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Ueber den inneren Verkehr der Italiker untereinander sind die schriftlichen
+Quellen stumm; einigen Aufschluss geben lediglich die Muenzen. Dass in Italien,
+von den griechischen Staedten und dem etruskischen Populonia abgesehen,
+waehrend der ersten drei Jahrhunderte Roms nicht gemuenzt ward und als
+Tauschmaterial anfangs das Vieh, spaeter Kupfer nach dem Gewicht diente, wurde
+schon gesagt. In die gegenwaertige Epoche faellt der Uebergang der Italiker vom
+Tausch- zum Geldsystem, wobei man natuerlich zunaechst auf griechische Muster
+sich hingewiesen sah. Es lag indes in den Verhaeltnissen, dass in Mittelitalien
+statt des Silbers das Kupfer zum Muenzmetall ward und die Muenzeinheit sich
+zunaechst anlehnte an die bisherige Werteinheit, das Kupferpfund; womit es
+zusammenhaengt, dass man die Muenzen goss, statt sie zu praegen, denn kein
+Stempel haette ausgereicht fuer so grosse und schwere Stuecke. Doch scheint von
+Haus aus zwischen Kupfer und Silber ein festes Gleichungsverhaeltnis (250 : 1)
+normiert und die Kupfermuenze mit Ruecksicht darauf ausgebracht worden zu sein,
+so dass zum Beispiel in Rom das grosse Kupferstueck, der As, dem Werte nach
+einem Skrupel (= 1/288 Pfund) Silber gleichkam. Geschichtlich bemerkenswerter
+ist es, dass die Muenze in Italien hoechst wahrscheinlich von Rom ausgegangen
+ist und zwar eben von den Dezemvirn, die in der Solonischen Gesetzgebung das
+Vorbild auch zur Regulierung des Muenzwesens fanden, und dass sie von Rom aus
+sich verbreitete ueber eine Anzahl latinischer, etruskischer, umbrischer und
+ostitalischer Gemeinden; zum deutlichen Beweise der ueberlegenen Stellung, die
+Rom schon seit dem Anfang des vierten Jahrhunderts in Italien behauptete. Wie
+alle diese Gemeinden formell unabhaengig nebeneinander standen, war gesetzlich
+auch der Muenzfuss durchaus oertlich und jedes Stadtgebiet ein eigenes
+Muenzgebiet; indes lassen sich doch die mittel- und norditalischen
+Kupfermuenzfuesse in drei Gruppen zusammenfassen, innerhalb welcher man die
+Muenzen im gemeinen Verkehr als gleichartig behandelt zu haben scheint. Es sind
+dies teils die Muenzen der noerdlich vom Ciminischen Walde gelegenen
+etruskischen und der umbrischen Staedte, teils die Muenzen von Rom und Latium,
+teils die des oestlichen Litorals. Dass die roemischen Muenzen mit dem Silber
+nach dem Gewicht geglichen waren, ist schon bemerkt worden: diejenigen der
+italischen Ostkueste finden wir dagegen in ein bestimmtes Verhaeltnis gesetzt
+zu den Silbermuenzen, die im suedlichen Italien seit alter Zeit gangbar waren
+und deren Fuss sich auch die italischen Einwanderer, zum Beispiel die Brettier,
+Lucaner, Nolaner, ja die latinischen Kolonien daselbst wie Cales und Suessa und
+sogar die Roemer selbst fuer ihre unteritalischen Besitzungen aneigneten.
+Danach wird auch der italische Binnenhandel in dieselben Gebiete zerfallen
+sein, welche unter sich verkehrten gleich fremden Voelkern.
+</p>
+
+<p>
+Im ueberseeischen Verkehr bestanden die frueher bezeichneten
+sizilisch-latinischen, etruskisch-attischen und adriatisch-tarentinischen
+Handelsbeziehungen auch in dieser Epoche fort oder gehoeren ihr vielmehr recht
+eigentlich an; denn obwohl die derartigen, in der Regel ohne Zeitangabe
+vorkommenden Tatsachen der Obersicht wegen schon bei der ersten Periode
+zusammengefasst worden sind, erstrecken sich diese Angaben doch ebensowohl auf
+die gegenwaertige mit. Am deutlichsten sprechen auch hierfuer die Muenzen. Wie
+die Praegung des etruskischen Silbergeldes auf attischen Fuss und das
+Eindringen des italischen und besonders latinischen Kupfers in Sizilien fuer
+die ersten beiden Handelszuege zeugen, so spricht die eben erwaehnte
+Gleichstellung des grossgriechischen Silbergeldes mit der picenischen und
+apulischen Kupfermuenze nebst zahlreichen anderen Spuren fuer den regen Verkehr
+der unteritalischen Griechen, namentlich der Tarentiner mit dem ostitalischen
+Litoral. Dagegen scheint der frueher wohl lebhaftere Handel zwischen den
+Latinern und den kampanischen Griechen durch die sabellische Einwanderung
+gestoert worden zu sein und waehrend der ersten hundertundfuenfzig Jahre der
+Republik nicht viel bedeutet zu haben; die Weigerung der Samniten, in Capua und
+Cumae den Roemern in der Hungersnot von 343 (411) mit ihrem Getreide zu Hilfe
+zu kommen, duerfte eine Spur der zwischen Latium und Kampanien veraenderten
+Beziehungen sein, bis im Anfang des fuenften Jahrhunderts die roemischen Waffen
+die alten Verhaeltnisse wiederherstellten und steigerten. Im einzelnen mag es
+noch gestattet sein, als eines der seltenen datierten Fakten aus der Geschichte
+des roemischen Verkehrs der Notiz zu gedenken, welche aus der ardeatischen
+Chronik erhalten ist, dass im Jahre 454 (300) der erste Barbier aus Sizilien
+nach Ardea kam, und einen Augenblick bei dem gemalten Tongeschirr zu verweilen,
+das vorzugsweise aus Attika, daneben aus Kerkyra und Sizilien nach Lucanien,
+Kampanien und Etrurien gesandt ward, um dort zur Ausschmueckung der
+Grabgemaecher zu dienen und ueber dessen merkantilische Verhaeltnisse wir
+zufaellig besser als ueber irgendeinen anderen ueberseeischen Handelsartikel
+unterrichtet sind. Der Anfang dieser Einfuhr mag um die Zeit der Vertreibung
+der Tarquinier fallen, denn die noch sehr sparsam in Italien vorkommenden
+Gefaesse des aeltesten Stils duerften in der zweiten Haelfte des dritten
+Jahrhunderts der Stadt (500-450) gemalt sein, waehrend die zahlreicheren des
+strengen Stils der ersten (450-400), die des vollendet schoenen der zweiten
+Haelfte des vierten (400-350) angehoeren, und die ungeheuren Massen der
+uebrigen, oft durch Pracht und Groesse, aber selten durch vorzuegliche Arbeit
+sich auszeichnenden Vasen im ganzen dem folgenden Jahrhundert (350-250)
+beizulegen sein werden. Es waren allerdings wieder die Hellenen, von denen die
+Italiker diese Sitte der Graeberschmueckung entlehnten; aber wenn die
+bescheidenen Mittel und der feine Takt der Griechen sie bei diesen in engen
+Grenzen hielten, ward sie in Italien mit barbarischer Opulenz und barbarischer
+Verschwendung weit ueber das urspruengliche und schickliche Mass ausgedehnt.
+Aber es ist bezeichnend, dass es in Italien lediglich die Laender der
+hellenischen Halbkultur sind, in welchen diese Ueberschwenglichkeit begegnet;
+wer solche Schrift zu lesen versteht, wird in den etruskischen und kampanischen
+Leichenfeldern, den Fundgruben unserer Museen, den redenden Kommentar zu den
+Berichten der Alten ueber die im Reichtum und Uebermut erstickende etruskische
+und kampanische Halbbildung erkennen. Dagegen blieb das schlichte samnitische
+Wesen diesem toerichten Luxus zu allen Zeiten fern; in dem Mangel des
+griechischen Grabgeschirrs tritt ebenso fuehlbar wie in dem Mangel einer
+samnitischen Landesmuenze die geringe Entwicklung des Handelsverkehrs und des
+staedtischen Lebens in dieser Landschaft hervor. Noch bemerkenswerter ist es,
+dass auch Latium, obwohl den Griechen nicht minder nahe wie Etrurien und
+Kampanien und mit ihnen im engsten Verkehr, dieser Graeberpracht sich fast ganz
+enthalten hat. Es ist wohl mehr als wahrscheinlich, namentlich wegen der ganz
+abweichenden Beschaffenheit der Graeber in dem einzigen Praeneste, dass wir
+hierin den Einfluss der strengen roemischen Sittlichkeit, oder, wenn man lieber
+will, der straffen roemischen Polizei wiederzuerkennen haben. Im engsten
+Zusammenhange damit stehen die bereits erwaehnten Interdikte, welche schon das
+Zwoelftafelgesetz gegen purpurne Bahrtuecher und den Goldschmuck als
+Totenmitgift schleudert, und die Verbannung des silbernen Geraetes mit Ausnahme
+des Salzfasses und der Opferschale aus dem roemischen Hausrat wenigstens durch
+das Sittengesetz und die Furcht vor der zensorischen Ruege; und auch in dem
+Bauwesen werden wir demselben, allem gemeinen wie edlen Luxus feindlichen Sinn
+wiederbegegnen. Indes mochte auch Rom durch solche Einwirkung von oben her
+laenger als Volsinii und Capua eine gewisse aeussere Einfachheit bewahren, so
+werden sein Handel und Gewerbe, auf denen ja neben dem Ackerbau seine Bluete
+von Haus aus beruhte, darum noch nicht als unbedeutend gedacht werden duerfen
+und nicht minder den Einfluss der neuen Machtstellung Roms empfunden haben.
+</p>
+
+<p>
+Zu der Entwicklung eines eigentlichen staedtischen Mittelstandes, einer
+unabhaengigen Handwerker- und Kaufmannschaft kam es in Rom nicht. Die Ursache
+war neben der frueh eingetretenen unverhaeltnismaessigen Zentralisierung des
+Kapitals vornehmlich die Sklavenwirtschaft. Es war im Altertum ueblich und in
+der Tat eine notwendige Konsequenz der Sklaverei, dass die kleineren
+staedtischen Geschaefte sehr haeufig von Sklaven betrieben wurden, welche ihr
+Herr als Handwerker oder Kaufleute etablierte, oder auch von Freigelassenen,
+fuer welche der Herr nicht bloss sehr oft das Geschaeftskapital hergab, sondern
+von denen er sich auch regelmaessig einen Anteil, oft die Haelfte des
+Geschaeftsgewinns ausbedang. Der Kleinbetrieb und der Kleinverkehr in Rom waren
+ohne Zweifel in stetigem Steigen; es finden sich auch Belege dafuer, dass die
+dem grossstaedtischen Luxus dienstbaren Gewerbe anfingen, sich in Rom zu
+konzentrieren - so ist das ficoronische Schmuckkaestchen im fuenften
+Jahrhundert der Stadt von einem praenestinischen Meister verfertigt und nach
+Praeneste verkauft, aber dennoch in Rom gearbeitet worden ^7. Allein da der
+Reinertrag auch des Kleingeschaefts zum groessten Teil in die Kassen der
+grossen Haeuser floss, so kam ein industrieller und kommerzieller Mittelstand
+nicht in entsprechender Ausdehnung empor. Ebensowenig sonderten sich die
+Grosshaendler und grossen Industriellen scharf von den grossen Grundbesitzern.
+Einerseits waren die letzteren seit alter zugleich Geschaeftsbetreibende und
+Kapitalisten und in ihren Haenden Hypothekardarlehen, Grosshandel und
+Lieferungen und Arbeiten fuer den Staat vereinigt. Anderseits war es bei dem
+starken sittlichen Akzent, der in dem roemischen Gemeinwesen auf den
+Grundbesitz fiel, und bei seiner politischen Alleinberechtigung, welche erst
+gegen das Ende dieser Epoche einige Einschraenkungen erlitt, ohne Zweifel schon
+in dieser Zeit gewoehnlich, dass der glueckliche Spekulant mit einem Teil
+seiner Kapitalien sich ansaessig machte. Es geht auch aus der politischen
+Bevorzugung der ansaessigen Freigelassenen deutlich genug hervor, dass die
+roemischen Staatsmaenner dahin wirkten, auf diesem Wege die gefaehrliche Klasse
+der nicht grundsaessigen Reichen zu vermindern.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^7 Die Vermutung, dass der Kuenstler, welcher an diesem Kaestchen fuer die
+Dindia Macolnia in Rom gearbeitet hat, Novius Plautius, ein Kampaner, gewesen
+sei, wird durch die neuerlich gefundenen alten praenestinischen Grabsteine
+widerlegt, auf denen unter andern Macolniern und Plautiern auch ein Lucius
+Magulnius des Plautius Sohn (L. Magolnio Pla. f.) vorkommt.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Aber wenn auch in Rom weder ein wohlhabender staedtischer Mittelstand noch eine
+streng geschlossene Kapitalistenklasse sich bildete, so war das
+grossstaedtische Wesen doch an sich in unaufhaltsamem Steigen. Deutlich weist
+darauf hin die zunehmende Zahl der in der Hauptstadt zusammengedraengten
+Sklaven, wovon die sehr ernsthafte Sklavenverschwoerung des Jahres 335 (419)
+zeugt, und noch mehr die steigende, allmaehlich unbequem und gefaehrlich
+werdende Menge der Freigelassenen, worauf die im Jahre 397 (357) auf die
+Freilassungen gelegte ansehnliche Steuer und die Beschraenkung der politischen
+Rechte der Freigelassenen im Jahre 450 (304) einen sicheren Schluss gestatten.
+Denn es lag nicht bloss in den Verhaeltnissen, dass die grosse Majoritaet der
+freigelassenen Leute sich dem Gewerbe oder dem Handel widmen musste, sondern es
+war auch die Freilassung selbst bei den Roemern, wie gesagt, weniger eine
+Liberalitaet als eine industrielle Spekulation, indem der Herr bei dem Anteil
+an dem Gewerb- oder Handelsgewinn des Freigelassenen oft besser seine Rechnung
+fand als bei dem Anrecht auf den ganzen Reinertrag des Sklavengeschaefts. Die
+Zunahme der Freilassungen muss deshalb mit der Steigerung der kommerziellen und
+industriellen Taetigkeit der Roemer notwendig Hand in Hand gegangen sein.
+</p>
+
+<p>
+Einen aehnlichen Fingerzeig fuer die steigende Bedeutung des staedtischen
+Wesens in Rom gewaehrt die gewaltige Entwicklung der staedtischen Polizei. Es
+gehoert zum grossen Teil wohl schon dieser Zeit an, dass die vier Aedilen unter
+sich die Stadt in vier Polizeibezirke teilten und dass fuer die ebenso wichtige
+wie schwierige Instandhaltung des ganz Rom durchziehenden Netzes von kleineren
+und groesseren Abzugskanaelen sowie der oeffentlichen Gebaeude und Plaetze,
+fuer die gehoerige Reinigung und Pflasterung der Strassen, fuer die Beseitigung
+den Einsturz drohender Gebaeude, gefaehrlicher Tiere, uebler Gerueche, fuer die
+Fernhaltung der Wagen ausser in den Abend- und Nachtstunden und ueberhaupt fuer
+die Offenhaltung der Kommunikation, fuer die ununterbrochene Versorgung des
+hauptstaedtischen Marktes mit gutem und billigem Getreide, fuer die Vernichtung
+gesundheitsschaedlicher Waren und falscher Masse und Gewichte, fuer die
+besondere Ueberwachung von Baedern, Schenken, schlechten Haeusern von den
+Aedilen Fuersorge getroffen ward.
+</p>
+
+<p>
+Im Bauwesen mag wohl die Koenigszeit, namentlich die Epoche der grossen
+Eroberungen, mehr geleistet haben als die ersten zwei Jahrhunderte der
+Republik. Anlagen wie die Tempel auf dem Kapitol und dem Aventin und der grosse
+Spielplatz moegen den sparsamen Vaetern der Stadt ebenso wie den fronenden
+Buergern ein Greuel gewesen sein, und es ist bemerkenswert, dass das vielleicht
+bedeutendste Bauwerk der republikanischen Zeit vor den Samnitischen Kriegen,
+der Cerestempel am Circus, ein Werk des Spurius Cassius (261 493) war, welcher
+in mehr als einer Hinsicht wieder in die Traditionen der Koenige
+zurueckzulenken suchte. Auch den Privatluxus hielt die regierende Aristokratie
+mit einer Strenge nieder, wie sie die Koenigsherrschaft bei laengerer Dauer
+sicher nicht entwickelt haben wuerde. Aber auf die Laenge vermochte selbst der
+Senat sich nicht laenger gegen das Schwergewicht der Verhaeltnisse zu stemmen.
+Appius Claudius war es, der in seiner epochemachenden Zensur (442 312) das
+veraltete Bauernsystem des Sparschatzsammelns beiseite warf und seine
+Mitbuerger die oeffentlichen Mittel in wuerdiger Weise gebrauchen lehrte. Er
+begann das grossartige System gemeinnuetziger oeffentlicher Bauten, das, wenn
+irgendetwas, Roms militaerische Erfolge auch von dem Gesichtspunkt der
+Voelkerwohlfahrt aus gerechtfertigt hat und noch heute in seinen Truemmern
+Tausenden und Tausenden, welche von roemischer Geschichte nie ein Blatt gelesen
+haben, eine Ahnung gibt von der Groesse Roms. Ihm verdankt der roemische Staat
+die erste grosse Militaerchaussee, die roemische Stadt die erste Wasserleitung.
+Claudius&rsquo; Spuren folgend, schlang der roemische Senat um Italien jenes
+Strassen- und Festungsnetz, dessen Gruendung frueher beschrieben ward und ohne
+das, wie von den Achaemeniden bis hinab auf den Schoepfer der Simplonstrasse
+die Geschichte aller Militaerstaaten lehrt, keine militaerische Hegemonie
+bestehen kann. Claudius&rsquo; Spuren folgend, baute Manius Curius aus dem
+Erloes der Pyrrhischen Beute eine zweite hauptstaedtische Wasserleitung (482
+272) und oeffnete schon einige Jahre vorher (464 290) mit dem sabinischen
+Kriegsgewinn dem Velino, da wo er oberhalb Terni in die Nera sich stuerzt, das
+heute noch von ihm durchflossene breitere Bett, um in dem dadurch
+trockengelegten schoenen Tal von Rieti fuer eine grosse Buergeransiedlung Raum
+und auch fuer sich eine bescheidene Hufe zu gewinnen. Solche Werke verdunkelten
+selbst in den Augen verstaendiger Leute die zwecklose Herrlichkeit der
+hellenischen Tempel. Auch das buergerliche Leben wurde jetzt ein anderes. Um
+die Zeit des Pyrrhos begann auf den roemischen Tafeln das Silbergeschirr sich
+zu zeigen ^8 und das Verschwinden der Schindeldaecher in Rom datieren die
+Chronisten von dem Jahre 470 (284). Die neue Hauptstadt Italiens legte endlich
+ihr dorfartiges Ansehen allmaehlich ab und fing nun auch an, sich zu
+schmuecken. Zwar war es noch nicht Sitte, in den eroberten Staedten zu Roms
+Verherrlichung die Tempel ihrer Zierden zu berauben; aber dafuer prangten an
+der Rednerbuehne des Marktes die Schnaebel der Galeeren von Antium und an
+oeffentlichen Festtagen laengs der Hallen am Markte die von den Schlachtfeldern
+Samniums heimgebrachten goldbeschlagenen Schilde. Besonders der Ertrag der
+Bruechgelder diente zur Pflasterung der Strassen in und vor der Stadt oder zur
+Errichtung und Ausschmueckung oeffentlicher Gebaeude. Die hoelzernen Buden der
+Fleischer, welche an den beiden Langseiten des Marktes sich hinzogen, wichen
+zuerst an der palatinischen, dann auch an der den Carinen zugewandten Seite den
+steinernen Hallen der Geldwechsler; dadurch ward dieser Platz zur roemischen
+Boerse. Die Bildsaeulen der gefeierten Maenner der Vergangenheit, der Koenige,
+Priester und Helden der Sagenzeit, des griechischen Gastfreundes, der den
+Zehnmaennern die Solonischen Gesetze verdolmetscht haben sollte, die
+Ehrensaeulen und Denkmaeler der grossen Buergermeister, welche die Veienter,
+die Latiner, die Samniten ueberwunden hatten, der Staatsboten, die in
+Vollziehung ihres Auftrages umgekommen waren, der reichen Frauen, die ueber ihr
+Vermoegen zu oeffentlichen Zwecken verfuegt hatten, ja sogar schon gefeierter
+griechischer Weisen und Helden, wie des Pythagoras und des Alkibiades, wurden
+auf der Burg oder auf dem roemischen Markte aufgestellt. Also ward, nachdem die
+roemische Gemeinde eine Grossmacht geworden war, Rom selber eine Grossstadt.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^8 Der wegen seines silbernen Tafelgeraets gegen Publius Cornelius Rufinus
+(Konsul 464, 477 290, 277) verhaengten zensorischen Makel wurde schon gedacht.
+Fabius&rsquo; befremdliche Angabe (bei Strabon 5, p. 228), dass die Roemer
+zuerst nach der Besiegung der Sabiner sich dem Luxus ergeben haetten (αισθέσθαι
+τού πλόντου), ist offenbar nur eine άbersetzung derselben Anekdote ins
+Historische; denn die Besiegung der Sabiner faellt in Rufinus&rsquo; erstes
+Konsulat.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Endlich trat denn auch Rom als Haupt der roemisch-italischen Eidgenossenschaft
+wie in das hellenistische Staatensystem, so auch in das hellenische Geld- und
+Muenzwesen ein. Bis dahin hatten die Gemeinden Nord- und Mittelitaliens mit
+wenigen Ausnahmen einzig Kupfercourant, die sueditalischen Staedte dagegen
+durchgaengig Silbergeld geschlagen und es der Muenzfuesse und Muenzsysteme
+gesetzlich so viele gegeben, als es souveraene Gemeinden in Italien gab. Im
+Jahre 485 (269) wurden alle diese Muenzstaetten auf die Praegung von
+Scheidemuenze beschraenkt, ein allgemeiner, fuer ganz Italien geltender
+Courantfuss eingefuehrt und die Courantpraegung in Rom zentralisiert, nur dass
+Capua seine eigene, zwar unter roemischem Namen, aber auf abweichenden Fuss
+gepraegte Silbermuenze auch ferner behielt. Das neue Muenzsystem beruhte auf
+dem gesetzlichen Verhaeltnisse der beiden Metalle, wie dasselbe seit langem
+feststand; die gemeinsame Muenzeinheit war das Stueck von zehn, nicht mehr
+pfuendigen, sondern auf das Drittelpfund reduzierten Assen, der Denarius, in
+Kupfer 3 1/3, in Silber 1/72 eines roemischen Pfundes, eine Kleinigkeit mehr
+als die attische Drachme. Zunaechst herrschte in der Praegung noch die
+Kupfermuenze vor und wahrscheinlich ist der aelteste Silberdenar hauptsaechlich
+fuer Unteritalien und fuer den Verkehr mit dem Ausland geschlagen worden. Wie
+aber der Sieg der Roemer ueber Pyrrhos und Tarent und die roemische
+Gesandtschaft nach Alexandreia dem griechischen Staatsmanne dieser Zeit zu
+denken geben mussten, so mochte auch der einsichtige griechische Kaufmann wohl
+nachdenklich diese neuen roemischen Drachmen betrachten, deren flaches,
+unkuenstlerisches und einfoermiges Gepraege neben dem gleichzeitigen
+wunderschoenen der Muenzen des Pyrrhos und der Sikelioten freilich duerftig und
+unansehnlich erscheint, die aber dennoch keineswegs, wie die Barbarenmuenzen
+des Altertums, sklavisch nachgeahmt und in Schrot und Korn ungleich sind,
+sondern mit ihrer selbstaendigen und gewissenhaften Praegung von Haus aus jeder
+griechischen ebenbuertig sich an die Seite stellen.
+</p>
+
+<p>
+Wenn also von der Entwicklung der Verfassungen, von den Voelkerkaempfen um
+Herrschaft und Freiheit, wie sie Italien und insbesondere Rom von der
+Verbannung des Tarquinischen Geschlechts bis zur Ueberwaeltigung der Samniten
+und der italischen Griechen bewegten, der Blick sich wendet zu den stilleren
+Kreisen des menschlichen Daseins, die die Geschichte doch auch beherrscht und
+durchdringt, so begegnet ihm ebenfalls ueberall die Nachwirkung der
+grossartigen Ereignisse, durch welche die roemische Buergerschaft die Fesseln
+des Geschlechterregiments sprengte und die reiche Fuelle der nationalen
+Bildungen Italiens allmaehlich unterging, um ein einziges Volk zu bereichern.
+Durfte auch der Geschichtschreiber es nicht versuchen, den grossen Gang der
+Ereignisse in die grenzenlose Mannigfaltigkeit der individuellen Gestaltung
+hinein zu verfolgen, so ueberschritt er doch seine Aufgabe nicht, wenn er, aus
+der zertruemmerten Ueberlieferung einzelne Bruchstuecke ergreifend, hindeutete
+auf die wichtigsten Aenderungen, die in dieser Epoche im italischen Volksleben
+stattgefunden haben. Wenn dabei noch mehr als frueher das roemische in den
+Vordergrund trat, so ist dies nicht bloss in den zufaelligen Luecken unserer
+Ueberlieferung begruendet; vielmehr ist es eine wesentliche Folge der
+veraenderten politischen Stellung Roms, dass die latinische Nationalitaet die
+uebrigen italischen immer mehr verdunkelt. Es ist schon darauf hingewiesen
+worden, dass in dieser Epoche die Nachbarlaender, das suedliche Etrurien, die
+Sabina, das Volskerland sich zu romanisieren anfingen, wovon der fast
+gaenzliche Mangel von Sprachdenkmaelern der alten Landesdialekte und das
+Vorkommen sehr alter roemischer Inschriften in diesen Gegenden Zeugnis ablegt;
+die Aufnahme der Sabiner in das volle Buergerrecht am Ende dieser Periode
+spricht dafuer, dass die Latinisierung Mittelitaliens schon damals das bewusste
+Ziel der roemischen Politik war. Die zahlreich durch ganz Italien zerstreuten
+Einzelassignationen und Kolonialgruendungen sind nicht bloss militaerisch,
+sondern auch sprachlich und national die vorgeschobenen Posten des latinischen
+Stammes. Die Latinisierung der Italiker ueberhaupt ward schwerlich schon damals
+beabsichtigt; im Gegenteil scheint der roemische Senat den Gegensatz der
+latinischen gegen die uebrigen Nationalitaeten absichtlich aufrecht erhalten zu
+haben und gestattete zum Beispiel die Einfuehrung des Lateinischen in den
+offiziellen Sprachgebrauch den kampanischen Halbbuergergemeinden noch nicht.
+Indes die Natur der Verhaeltnisse ist staerker als selbst die staerkste
+Regierung; mit dem latinischen Volke gewannen auch dessen Sprache und Sitte in
+Italien zunaechst das Prinzipat und fingen bereits an, die uebrigen italischen
+Nationalitaeten zu untergraben.
+</p>
+
+<p>
+Gleichzeitig wurden dieselben von einer anderen Seite und mit einem anders
+begruendeten Uebergewicht angegriffen durch den Hellenismus. Es war dies die
+Epoche, wo das Griechentum seiner geistigen Ueberlegenheit ueber die uebrigen
+Nationen anfing, sich bewusst zu werden und nach allen Seiten hin Propaganda zu
+machen. Auch Italien blieb davon nicht unberuehrt. Die merkwuerdigste
+Erscheinung in dieser Art bietet Apulien, das seit dem fuenften Jahrhundert
+Roms allmaehlich seine barbarische Mundart ablegte und sich im stillen
+hellenisierte. Es erfolgte dies aehnlich wie in Makedonien und Epeiros nicht
+durch Kolonisierung, sondern durch Zivilisierung, die mit dem tarentinischen
+Landhandel Hand in Hand gegangen zu sein scheint - wenigstens spricht es fuer
+die letztere Annahme, dass die den Tarentinern befreundeten Landschaften der
+Poediculer und Daunier die Hellenisierung vollstaendiger durchfuehrten als die
+Tarent naeher wohnenden, aber bestaendig mit ihm hadernden Sallentiner, und
+dass die am fruehesten graezisierten Staedte, zum Beispiel Arpi, nicht an der
+Kueste gelegen waren. Dass auf Apulien das griechische Wesen staerkeren
+Einfluss uebte als auf irgendeine andere italische Landschaft, erklaert sich
+teils aus seiner Lage, teils aus der geringen Entwicklung einer eigenen
+nationalen Bildung, teils wohl auch aus seiner dem griechischen Stamm minder
+fremd als die uebrigen italischen gegenueberstehenden Nationalitaet. Indes ist
+schon frueher darauf aufmerksam gemacht worden, dass auch die suedlichen
+sabellischen Staemme, obwohl zunaechst sie im Verein mit syrakusanischen
+Tyrannen das hellenische Wesen in Grossgriechenland knickten und verdarben,
+doch zugleich durch die Beruehrung und Mischung mit den Griechen teils
+griechische Sprache neben der einheimischen annahmen, wie die Brettier und
+Nolaner, teils wenigstens griechische Schrift und griechische Sitte, wie die
+Lucaner und ein Teil der Kampaner. Etrurien zeigt gleichfalls die Ansaetze
+einer verwandten Entwicklung in den bemerkenswerten dieser Epoche angehoerenden
+Vasenfunden, in denen es mit Kampanien und Lucanien rivalisiert; und wenn
+Latium und Samnium dem Hellenismus fernergeblieben sind, so fehlt es doch auch
+hier nicht an Spuren des beginnenden und immer steigenden Einflusses
+griechischer Bildung. In allen Zweigen der roemischen Entwicklung dieser
+Epoche, in Gesetzgebung und Muenzwesen, in der Religion, in der Bildung der
+Stammsage stossen wir auf griechische Spuren, und namentlich seit dem Anfang
+des fuenften Jahrhunderts, das heisst seit der Eroberung Kampaniens, erscheint
+der griechische Einfluss auf das roemische Wesen in raschem und stets
+zunehmendem Wachstum. In das vierte Jahrhundert faellt die Einrichtung der auch
+sprachlich merkwuerdigen &ldquo;graecostasis&rdquo;, einer Tribuene auf dem
+roemischen Markt fuer die vornehmen griechischen Fremden, zunaechst die
+Massalioten. Im folgenden fangen die Jahrbuecher an, vornehme Roemer mit
+griechischen Beinamen, wie Philippos oder roemisch Pilipus, Philon, Sophos,
+Hypsaeos aufzuweisen. Griechische Sitten dringen ein; so der nichtitalische
+Gebrauch, Inschriften zur Ehre des Toten auf dem Grabmal anzubringen, wovon die
+Grabschrift des Lucius Scipio, Konsul 456 (298), das aelteste uns bekannte
+Beispiel ist; so die gleichfalls den Italikern fremde Weise, ohne
+Gemeindebeschluss an oeffentlichen Orten den Vorfahren Ehrendenkmaeler zu
+errichten, womit der grosse Neuerer Appius Claudius den Anfang machte, als er
+in dem neuen Tempel der Bellona Erzschilde mit den Bildern und den Elogien
+seiner Vorfahren aufhaengen liess (442 312); so die im Jahre 461 (293) bei dem
+roemischen Volksfest eingefuehrte Erteilung von Palmzweigen an die
+Wettkaempfer; so vor allem die griechische Tischsitte. Die Weise, bei Tische
+nicht wie ehemals auf Baenken zu sitzen, sondern auf Sofas zu liegen; die
+Verschiebung der Hauptmahlzeit von der Mittag- auf die Stunde zwischen zwei und
+drei Uhr nachmittags nach unserer Rechnung; die Trinkmeister bei den
+Schmaeusen, welche meistens durch Wuerfelung aus den Gaesten fuer den Schmaus
+bestellt werden und nun den Tischgenossen vorschreiben, was, wie und wann
+getrunken werden soll; die nach der Reihe von den Gaesten gesungenen
+Tischlieder, die freilich in Rom nicht Skolien, sondern Ahnengesaenge waren -
+alles dies ist in Rom nicht urspruenglich und doch schon in sehr alter Zeit den
+Griechen entlehnt; denn zu Catos Zeit waren diese Gebraeuche bereits gemein, ja
+zum Teil schon wieder abgekommen. Man wird daher ihre Einfuehrung spaetestens
+in diese Zeit zu setzen haben. Charakteristisch ist auch die Errichtung der
+Bildsaeulen des &ldquo;weisesten und des tapfersten Griechen&rdquo; auf dem
+roemischen Markt, die waehrend der Samnitischen Kriege auf Geheiss des
+pythischen Apollon stattfand; man waehlte, offenbar unter sizilischem oder
+kampanischem Einfluss, den Pythagoras und den Alkibiades, den Heiland und den
+Hannibal der Westhellenen. Wie verbreitet die Kenntnis des Griechischen schon
+im fuenften Jahrhundert unter den vornehmen Roemern war, beweisen die
+Gesandtschaften der Roemer nach Tarent, wo der Redner der Roemer, wenn auch
+nicht im reinsten Griechisch, doch ohne Dolmetsch sprach, und des Kineas nach
+Rom. Es leidet kaum einen Zweifel, dass seit dem fuenften Jahrhundert die
+jungen Roemer, die sich den Staatsgeschaeften widmeten, durchgaengig die Kunde
+der damaligen Welt- und Diplomatensprache sich erwarben.
+</p>
+
+<p>
+So schritt auf dem geistigen Gebiet der Hellenismus ebenso unaufhaltsam
+vorwaerts, wie der Roemer arbeitete, die Erde sich untertaenig zu machen; und
+die sekundaeren Nationalitaeten, wie die samnitische, keltische, etruskische,
+verloren, von zwei Seiten her bedraengt, immer mehr an Ausdehnung wie an
+innerer Kraft.
+</p>
+
+<p>
+Wie aber die beiden grossen Nationen, beide angelangt auf dem Hoehepunkt ihrer
+Entwicklung, in feindlicher wie in freundlicher Beruehrung anfangen sich zu
+durchdringen, tritt zugleich ihre Gegensaetzlichkeit, der gaenzliche Mangel
+alles Individualismus in dem italischen und vor allem in dem roemischen Wesen
+gegenueber der unendlichen stammlichen, oertlichen und menschlichen
+Mannigfaltigkeit des Hellenismus in voller Schaerfe hervor. Es gibt keine
+gewaltigere Epoche in der Geschichte Roms als die Epoche von der Einsetzung der
+roemischen Republik bis auf die Unterwerfung Italiens; in ihr wurde das
+Gemeinwesen nach innen wie nach aussen begruendet, in ihr das einige Italien
+erschaffen, in ihr das traditionelle Fundament des Landrechts und der
+Landesgeschichte erzeugt, in ihr das Pilum und der Manipel, der Strassen- und
+Wasserbau, die Guts- und Geldwirtschaft begruendet, in ihr die Kapitolinische
+Woelfin gegossen und das ficoronische Kaestchen gezeichnet. Aber die
+Individualitaeten, welche zu diesem Riesenbau die einzelnen Steine
+herbeigetragen und sie zusammengefuegt haben, sind spurlos verschollen und die
+italischen Voelkerschaften nicht voelliger in der roemischen aufgegangen als
+der einzelne roemische Buerger in der roemischen Gemeinde. Wie das Grab in
+gleicher Weise ueber dem bedeutenden wie ueber dem geringen Menschen sich
+schliesst, so steht auch in der roemischen Buergermeisterliste der nichtige
+Junker ununterscheidbar neben dem grossen Staatsmann. Von den wenigen
+Aufzeichnungen, welche aus dieser Zeit bis auf uns gekommen sind, ist keine
+ehrwuerdiger und keine zugleich charakteristischer als die Grabschrift des
+Lucius Cornelius Scipio, der im Jahre 456 (298) Konsul war und drei Jahre
+nachher in der Entscheidungsschlacht bei Sentinum mitfocht. Auf dem schoenen
+Sarkophag in edlem dorischen Stil, der noch vor achtzig Jahren den Staub des
+Besiegers der Samniten einschloss, ist der folgende Spruch eingeschrieben:
+</p>
+
+<p>
+Corneliús Lucíus - Scípió Barbátus,
+</p>
+
+<p>
+Gnaivód patré prognátus, - fórtis vír sapiénsque,
+</p>
+
+<p>
+Quoiús fórma vírtu - teí parísuma fúit,
+</p>
+
+<p>
+Consól censór aidílis - queí fuít apúd vos,
+</p>
+
+<p>
+Taurásiá Cisaúna - Sámnió cépit,
+</p>
+
+<p>
+Subigít omné Loucánam - ópsidésque abdoúcit.
+</p>
+
+<p>
+Cornelius Lucius - Scipio Barbatus,
+</p>
+
+<p>
+Des Vaters Gnaevos Sohn, ein - Mann so klug wie tapfer,
+</p>
+
+<p>
+Des Wohlgestalt war seiner - Tugend angemessen,
+</p>
+
+<p>
+Der Konsul, Zensor war bei - euch wie auch Aedilis,
+</p>
+
+<p>
+Taurasia, Cisauna - nahm er ein in Samnium,
+</p>
+
+<p>
+Bezwingt Lucanien ganz und - fuehret weg die Geiseln.
+</p>
+
+<p>
+So wie diesem roemischen Staatsmann und Krieger mochte man unzaehligen anderen,
+die an der Spitze des roemischen Gemeinwesens gestanden haben, es nachruehmen,
+dass sie adlige und schoene, tapfere und kluge Maenner gewesen; aber weiter war
+auch nichts von ihnen zu melden. Es ist wohl nicht bloss Schuld der
+Ueberlieferung, dass keiner dieser Cornelier, Fabier, Papirier und wie sie
+weiter heissen, uns in einem menschlich bestimmten Bild entgegentritt. Der
+Senator soll nicht schlechter und nicht besser, ueberhaupt nicht anders sein
+als die Senatoren alle; es ist nicht noetig und nicht wuenschenswert, dass ein
+Buerger die uebrigen uebertreffe, weder durch prunkendes Silbergeraet und
+hellenische Bildung noch durch ungemeine Weisheit und Trefflichkeit. Jene
+Ausschreitungen straft der Zensor und fuer diese ist kein Raum in der
+Verfassung. Das Rom dieser Zeit gehoert keinem einzelnen an; die Buerger
+muessen sich alle gleichen, damit jeder einem Koenig gleich sei.
+</p>
+
+<p>
+Allerdings macht schon jetzt daneben die hellenische Individualentwicklung sich
+geltend; und die Genialitaet und Gewaltsamkeit derselben traegt eben wie die
+entgegengesetzte Richtung den vollen Stempel dieser grossen Zeit. Es ist nur
+ein einziger Mann hier zu nennen; aber in ihm ist auch der Fortschrittsgedanke
+gleichsam inkarniert. Appius Claudius (Zensor 442 312; Konsul 447, 458 307,
+296), der Ururenkel des Dezemvirs, war ein Mann von altem Adel und stolz auf
+die lange Reihe seiner Ahnen; aber dennoch ist er es gewesen, der die
+Beschraenkung des vollen Gemeindebuergerrechts auf die ansaessigen Leute
+gesprengt, der das alte Finanzsystem gebrochen hat. Von Appius Claudius
+datieren nicht bloss die roemischen Wasserleitungen und Chausseen, sondern auch
+die roemische Jurisprudenz, Eloquenz, Poesie und Grammatik - die
+Veroeffentlichung eines Klagspiegels, aufgezeichnete Reden und pythagoreische
+Sprueche, selbst Neuerungen in der Orthographie werden ihm beigelegt. Man darf
+ihn darum noch nicht unbedingt einen Demokraten nennen, noch ihn jener
+Oppositionspartei beizaehlen, die in Manius Curius ihren Vertreter fand; in ihm
+war vielmehr der Geist der alten und neuen patrizischen Koenige maechtig, der
+Geist der Tarquinier und der Caesaren, zwischen denen er in dem
+fuenfhundertjaehrigen Interregnum ausserordentlicher Taten und gewoehnlicher
+Maenner die Verbindung macht. Solange Appius Claudius an dem oeffentlichen
+Leben taetigen Anteil nahm, trat er in seiner Amtsfuehrung wie in seinem
+Lebenswandel, keck und ungezogen wie ein Athener, nach rechts wie nach links
+hin Gesetzen und Gebraeuchen entgegen; bis dann, nachdem er laengst von der
+politischen Buehne abgetreten war, der blinde Greis wie aus dem Grabe
+wiederkehrend, in der entscheidenden Stunde den Koenig Pyrrhos im Senate
+ueberwand und Roms vollendete Herrschaft ueber Italien zuerst foermlich und
+feierlich aussprach. Aber der geniale Mann kam zu frueh oder zu spaet; die
+Goetter blendeten ihn wegen seiner unzeitigen Weisheit. Nicht das Genie des
+einzelnen herrschte in Rom und durch Rom in Italien, sondern der eine
+unbewegliche, von Geschlecht zu Geschlecht im Senat fortgepflanzte politische
+Gedanke, in dessen leitende Maximen schon die senatorischen Knaben sich
+hineinlebten, indem sie in Begleitung ihrer Vaeter mit zum Rate gingen und an
+der Tuer des Saales der Weisheit derjenigen Maenner lauschten, auf deren
+Stuehlen sie dereinst bestimmt waren zu sitzen. So wurden ungeheure Erfolge um
+ungeheuren Preis erreicht; denn auch der Nike folgt ihre Nemesis. Im roemischen
+Gemeinwesen kommt es auf keinen Menschen besonders an, weder auf den Soldaten
+noch auf den Feldherrn, und unter der starren sittlich-polizeilichen Zucht wird
+jede Eigenartigkeit des menschlichen Wesens erstickt. Rom ist gross geworden
+wie kein anderer Staat des Altertums; aber es hat seine Groesse teuer bezahlt
+mit der Aufopferung der anmutigen Mannigfaltigkeit, der bequemen Laesslichkeit,
+der innerlichen Freiheit des hellenischen Lebens.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap09"></a>KAPITEL IX.<br/>
+Kunst und Wissenschaft</h2>
+
+<p>
+Die Entwicklung der Kunst und namentlich der Dichtkunst steht im Altertum im
+engsten Zusammenhang mit der Entwicklung der Volksfeste. Das schon in der
+vorigen Epoche wesentlich unter griechischem Einfluss, zunaechst als
+ausserordentliche Feier, geordnete Dankfest der roemischen Gemeinde, die
+&ldquo;grossen&rdquo; oder &ldquo;roemischen Spiele&rdquo;, nahm waehrend der
+gegenwaertigen an Dauer wie an Mannigfaltigkeit der Belustigungen zu.
+Urspruenglich beschraenkt auf die Dauer eines Tages wurde das Fest nach der
+gluecklichen Beendigung der drei grossen Revolutionen von 245, 260 und 387
+(509, 494 und 367) jedesmal um einen Tag verlaengert und hatte am Ende dieser
+Periode also bereits eine viertaegige Dauer ^1. Wichtiger noch war es, dass das
+Fest wahrscheinlich mit Einsetzung der von Haus aus mit der Ausrichtung und
+Ueberwachung desselben betrauten kurulischen Aedilitaet (387 367) seinen
+ausserordentlichen Charakter und damit seine Beziehung auf ein bestimmtes
+Feldherrngeluebde verlor und in die Reihe der ordentlichen, jaehrlich
+wiederkehrenden als erstes unter allen eintrat. Indes blieb die Regierung
+beharrlich dabei, das eigentliche Schaufest, namentlich das Hauptstueck, das
+Wagenrennen, nicht mehr als einmal am Schluss des Festes stattfinden zu lassen;
+an den uebrigen Tagen war es wohl zunaechst der Menge ueberlassen, sich selber
+ein Fest zu geben, obwohl Musikanten, Taenzer, Seilgaenger, Taschenspieler,
+Possenreisser und dergleichen Leute mehr nicht verfehlt haben werden, gedungen
+oder nicht gedungen, dabei sich einzufinden. Aber um das Jahr 390 (364) trat
+eine wichtige Veraenderung ein, welche mit der vielleicht gleichzeitig
+erfolgten Fixierung und Verlaengerung des Festes in Zusammenhang stehen wird:
+man schlug von Staats wegen waehrend der ersten drei Tage im Rennplatz ein
+Brettergeruest auf und sorgte fuer angemessene Vorstellungen auf demselben zur
+Unterhaltung der Menge. Um indes nicht auf diesem Wege zu weit gefuehrt zu
+werden, wurde fuer die Kosten des Festes eine feste Summe von 200000 Assen
+(14500 Taler) ein fuer allemal aus der Staatskasse ausgeworfen und diese ist
+auch bis auf die Punischen Kriege nicht gesteigert worden; den etwaigen
+Mehrbetrag mussten die Aedilen, welche diese Summe zu verwenden hatten, aus
+ihrer Tasche decken und es ist nicht wahrscheinlich, dass sie in dieser Zeit
+oft und betraechtlich vom Eigenen zugeschossen haben. Dass die neue Buehne im
+allgemeinen unter griechischem Einfluss stand, beweist schon ihr Name (scaena
+σκηνή). Sie war zwar zunaechst lediglich fuer Spielleute und Possenreisser
+jeder Art bestimmt, unter denen die Taenzer zur Floete, namentlich die damals
+gefeierten etruskischen, wohl noch die vornehmsten sein mochten; indes war nun
+doch eine oeffentliche Buehne in Rom entstanden und bald oeffnete dieselbe sich
+auch den roemischen Dichtern.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Was Dionys (6, 95; vgl. B. G. Niebuhr, Roemische Geschichte. Bd. 2, S. 40)
+und, schoepfend aus einer anderen Dionysischen Stelle, Plutarch (Cam. 42) von
+dem latinischen Fest berichtet, ist, wie ausser anderen Gruenden schlagend die
+Vergleichung der letzteren Stelle mit Liv. 6, 42 (F. W. Ritschl, Parerga zu
+Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 313) zeigt, vielmehr von den
+roemischen Spielen zu verstehen; Dionys hat, und zwar nach seiner Gewohnheit im
+Verkehrten beharrlich, den Ausdruck ludi maximi missverstanden.
+</p>
+
+<p>
+Uebrigens gab es auch eine Ueberlieferung, wonach der Ursprung des Volksfestes,
+statt wie gewoehnlich auf die Besiegung der Latiner durch den ersten
+Tarquinius, vielmehr auf die Besiegung der Latiner am Regiller See
+zurueckgefuehrt ward (Cic. div. 1, 26, 55; Dion. Hal. 7, 71). Dass die
+wichtigen, an der letzten Stelle aus Fabius aufbehaltenen Angaben in der Tat
+auf das gewoehnliche Dankfest und nicht auf eine besondere Votivfeierlichkeit
+gehen, zeigt die ausdrueckliche Hinweisung auf die jaehrliche Wiederkehr der
+Feier und die genau mit der Angabe bei dem falschen Asconius (Ps. Ascon. p. 142
+Or.) stimmende Kostensumme.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Denn an Dichtern fehlte es in Latium nicht. Latinische &ldquo;Vaganten&rdquo;
+oder &ldquo;Baenkelsaenger&rdquo; (grassatores, spatiatores) zogen von Stadt zu
+Stadt und von Haus zu Haus und trugen ihre Lieder (saturae) mit
+gestikulierendem Tanz zur Floetenbegleitung vor. Das Mass war natuerlich das
+einzige, das es damals gab, das sogenannte saturnische. Eine bestimmte Handlung
+lag den Liedern nicht zugrunde, und ebensowenig scheinen sie dialogisiert
+gewesen zu sein; man wird sich dieselben nach dem Muster jener eintoenigen,
+bald improvisierten, bald rezitierten Ballaten und Tarantellen vorstellen
+duerfen, wie man sie heute noch in den roemischen Osterien zu hoeren bekommt.
+Dergleichen Lieder kamen denn auch frueh auf die oeffentliche Buehne und sind
+allerdings der erste Keim des roemischen Theaters geworden. Aber diese Anfaenge
+der Schaubuehne sind in Rom nicht bloss, wie ueberall, bescheiden, sondern in
+bemerkenswerter Weise gleich von vornherein bescholten. Schon die Zwoelf Tafeln
+treten dem ueblen und nichtigen Singsang entgegen, indem sie nicht bloss auf
+Zauber-, sondern selbst auf Spottlieder, die man auf einen Mitbuerger
+verfertigt oder ihm vor der Tuere absingt, schwere Kriminalstrafen setzen und
+die Zuziehung von Klagefrauen bei der Bestattung verbieten. Aber weit strenger
+als durch die gesetzlichen Restriktionen ward die beginnende Kunstuebung durch
+den sittlichen Bann getroffen, welchen der philisterhafte Ernst des roemischen
+Wesens gegen diese leichtsinnigen und bezahlten Gewerbe schleuderte. &ldquo;Das
+Dichterhandwerk&rdquo;, sagt Cato, &ldquo;war sonst nicht angesehen; wenn
+jemand damit sich abgab oder bei den Gelagen sich anhaengte, so hiess er ein
+Bummler.&rdquo; Wer nun aber gar Tanz, Musik und Baenkelgesang fuer Geld
+betrieb, ward bei der immer mehr sich festsetzenden Bescholtenheit eines jeden
+durch Dienstverrichtungen gegen Entgelt gewonnenen Lebensunterhalts von einem
+zwiefachen Makel getroffen. Wenn daher das Mitwirken bei den landueblichen
+maskierten Charakterpossen als ein unschuldiger jugendlicher Mutwille
+betrachtet ward, so galt das Auftreten auf der oeffentlichen Buehne fuer Geld
+und ohne Masken geradezu fuer schaendlich, und der Saenger und Dichter stand
+dabei mit dem Seiltaenzer und dem Hanswurst voellig in gleicher Reihe.
+Dergleichen Leute wurden durch die Sittenmeister regelmaessig fuer unfaehig
+erklaert, in dem Buergerheer zu dienen und in der Buergerversammlung zu
+stimmen. Es wurde ferner nicht bloss, was allein schon bezeichnend genug ist,
+die Buehnendirektion betrachtet als zur Kompetenz der Stadtpolizei gehoerig,
+sondern es ward auch der Polizei wahrscheinlich schon in dieser Zeit gegen die
+gewerbmaessigen Buehnenkuenstler eine ausserordentliche arbitraere Gewalt
+eingeraeumt. Nicht allein hielten die Polizeiherren nach vollendeter
+Auffuehrung ueber sie Gericht, wobei der Wein fuer die geschickten Leute ebenso
+reichlich floss, wie fuer den Stuemper die Pruegel fielen, sondern es waren
+auch saemtliche staedtische Beamte gesetzlich befugt, ueber jeden Schauspieler
+zu jeder Zeit und an jedem Orte koerperliche Zuechtigung und Einsperrung zu
+verhaengen. Die notwendige Folge davon war, dass Tanz, Musik und Poesie,
+wenigstens soweit sie auf der oeffentlichen Buehne sich zeigten, den
+niedrigsten Klassen der roemischen Buergerschaft und vor allem den Fremden in
+die Haende fielen; und wenn in dieser Zeit die Poesie dabei noch ueberhaupt
+eine zu geringe Rolle spielte, als dass fremde Kuenstler mit ihr sich
+beschaeftigt haetten, so darf dagegen die Angabe, dass in Rom die gesamte
+sakrale und profane Musik wesentlich etruskisch, also die alte, einst offenbar
+hochgehaltene latinische Floetenkunst durch die fremdlaendische unterdrueckt
+war, schon fuer diese Zeit gueltig erachtet werden.
+</p>
+
+<p>
+Von einer poetischen Literatur ist keine Rede. Weder die Maskenspiele noch die
+Buehnenrezitationen koennen eigentlich feste Texte gehabt haben, sondern wurden
+je nach Beduerfnis regelmaessig von den Vortragenden selbst verfertigt. Von
+schriftstellerischen Arbeiten aus dieser Zeit wusste man spaeterhin nichts
+aufzuzeigen als eine Art roemischer &lsquo;Werke und Tage&rsquo;, eine
+Unterweisung des Bauern an seinen Sohn ^2, und die schon erwaehnten
+pythagoreischen Gedichte des Appius Claudius, den ersten Anfang
+hellenisierender roemischer Poesie. Uebrig geblieben ist von den Dichtungen
+dieser Epoche nichts als eine und die andere Grabschrift im saturnischen Masse.
+</p>
+
+<p>
+Wie die Anfaenge der roemischen Schaubuehne so gehoeren auch die Anfaenge der
+roemischen Geschichtschreibung in diese Epoche, sowohl der gleichzeitigen
+Aufzeichnung der merkwuerdigen Ereignisse wie der konventionellen Feststellung
+der Vorgeschichte der roemischen Gemeinde.
+</p>
+
+<p>
+Die gleichzeitige Geschichtschreibung knuepft an das Beamtenverzeichnis an. Das
+am weitesten zurueckreichende, das den spaeteren roemischen Forschern
+vorgelegen hat und mittelbar auch uns noch vorliegt, scheint aus dem Archiv des
+kapitolinischen Jupitertempels herzuruehren, da es von dem Konsul Marcus
+Horatius an, der denselben am 13. September seines Amtsjahres einweihte, die
+Namen der jaehrigen Gemeindevorsteher auffuehrt, auch auf das unter den Konsuln
+Publius Servilius und Lucius Aebutius (nach der jetzt gangbaren Zaehlung 291
+der Stadt 463) bei Gelegenheit einer schweren Seuche erfolgte Geloebnis: von da
+an jedes hundertste Jahr in die Wand des kapitolinischen Tempels einen Nagel zu
+schlagen, Ruecksicht nimmt. Spaeterhin sind es die Mass- und Schriftgelehrten
+der Gemeinde, das heisst die Pontifices, welche die Namen der jaehrigen
+Gemeindevorsteher von Amts wegen verzeichnen und also mit der aelteren Monat-
+eine Jahrtafel verbinden; beide werden seitdem unter dem - eigentlich nur der
+Gerichtstagtafel zukommenden - Namen der Fasten zusammengefasst. Diese
+Einrichtung mag nicht lange nach der Abschaffung des Koenigtums getroffen sein,
+da in der Tat, um die Reihenfolge der oeffentlichen Akte konstatieren zu
+koennen, die offizielle Verzeichnung der Jahrbeamten dringendes praktisches
+Beduerfnis war; aber wenn es ein so altes offizielles Verzeichnis der
+Gemeindebeamten gegeben hat, so ist dies wahrscheinlich im gallischen Brande
+(364 390) zugrunde gegangen und die Liste des Pontifikalkollegiums nachher aus
+der von dieser Katastrophe nicht betroffenen kapitolinischen, so weit diese
+zurueckreichte, ergaenzt worden. Dass das uns vorliegende Vorsteherverzeichnis
+zwar in den Nebensachen, besonders den genealogischen Angaben nach der Hand aus
+den Stammbaeumen des Adels vervollstaendigt worden ist, im wesentlichen aber
+von Anfang an auf gleichzeitige und glaubwuerdige Aufzeichnungen zurueckgeht,
+leidet keinen Zweifel; die Kalenderjahre aber gibt dasselbe nur unvollkommen
+und annaehernd wieder, da die Gemeindevorsteher nicht mit dem Neujahr, ja nicht
+einmal mit einem ein fuer allemal festgestellten Tage antraten, sondern aus
+mancherlei Veranlassungen der Antrittstag sich hin und her schob und die
+haeufig zwischen zwei Konsulaten eintretenden Zwischenregierungen in der
+Rechnung nach Amtsjahren ganz ausfielen. Wollte man dennoch nach dieser
+Vorsteherliste die Kalenderjahre zaehlen, so war es noetig, den Antritts- und
+Abgangstag eines jeden Kollegiums nebst den etwaigen Interregnen mit
+anzumerken; und auch dies mag frueh geschehen sein. Ausserdem aber wurde die
+Liste der Jahrbeamten zur Kalenderjahrliste in der Weise hergerichtet, dass man
+durch Akkommodation jedem Kalenderjahr ein Beamtenpaar zuteilte und, wo die
+Liste nicht ausreichte, Fuelljahre einlegte, welche in der spaeteren
+(Varronischen) Tafel mit den Ziffern 379-383, 421, 430, 445, 453 bezeichnet
+sind. Vom Jahre 291 (463) ist die roemische Liste nachweislich, zwar nicht im
+einzelnen, wohl aber im ganzen, mit dem roemischen Kalender in
+Uebereinstimmung, also insoweit chronologisch sicher, als die Mangelhaftigkeit
+des Kalenders selbst dies verstattet; die jenseits jenes Jahres liegenden 47
+Jahrstellen entziehen sich der Kontrolle, werden aber wenigstens in der
+Hauptsache gleichfalls richtig sein ^3; was jenseits des Jahres 245 (509)
+liegt, ist chronologisch verschollen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^2 Erhalten ist davon das Bruchstueck:
+</p>
+
+<p>
+Bei trocknem Herbste, nassem - Fruehling, wirst du, Knabe,
+</p>
+
+<p>
+Einernten grosse Spelte.
+</p>
+
+<p>
+Wir wissen freilich nicht, mit welchem Rechte dieses Gedicht spaeterhin als das
+aelteste roemische galt (Macr. Sat. 5, 20; Fest. v. flaminius p. 93 M; Serv.
+georg. 1, 101; Plin. nat. 17, 2, 14).
+</p>
+
+<p>
+^3 Nur die ersten Stellen in der Liste geben Anlass zum Verdacht und moegen
+spaeter hinzugefuegt sein, um die Zahl der Jahre von der Koenigsflucht bis zum
+Stadtbrande auf 120 abzurunden.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Eine gemeingebraeuchliche Aera hat sich nicht gebildet; doch ist in sakralen
+Verhaeltnissen gezaehlt worden nach dem Einweihungsjahr des kapitolinischen
+Jupitertempels, von wo ab ja auch die Beamtenliste lief.
+</p>
+
+<p>
+Nahe lag es, neben den Namen der Beamten die wichtigsten unter ihrer
+Amtsfuehrung vorgefallenen Ereignisse anzumerken; und aus solchen, dem
+Beamtenkatalog beigefuegten Nachrichten ist die roemische Chronik, ganz wie aus
+den der Ostertafel beigeschriebenen Notizen die mittelalterliche,
+hervorgegangen. Aber erst spaet kam es zu der Anlegung einer foermlichen, die
+Namen saemtlicher Beamten und die merkwuerdigen Ereignisse Jahr fuer Jahr
+stetig verzeichnenden Chronik (liber annalis) durch die Pontifices. Vor der
+unter dem 5. Juni 351 (403) angemerkten Sonnenfinsternis, womit wahrscheinlich
+die vom 20. Juni 354 (400) gemeint ist, fand sich in der spaeteren Stadtchronik
+keine Sonnenfinsternis nach Beobachtung verzeichnet; die Zensuszahlen derselben
+fangen erst seit dem Anfang des fuenften Jahrhunderts der Stadt an, glaublich
+zu lauten; die vor dem Volk gefuehrten Busssachen und die von Gemeinde wegen
+gesuehnten Wunderzeichen scheint man erst seit der zweiten Haelfte des fuenften
+Jahrhunderts regelmaessig in die Chronik eingetragen zu haben. Allem Anschein
+nach hat die Einrichtung eines geordneten Jahrbuchs und, was sicher damit
+zusammenhaengt, die eben eroerterte Redaktion der aelteren Beamtenliste zum
+Zweck der Jahrzaehlung mittels Einlegung der chronologisch noetigen Fuelljahre
+in der ersten Haelfte des fuenften Jahrhunderts stattgefunden. Aber auch
+nachdem sich die Uebung festgestellt hatte, dass es dem Oberpontifex obliege,
+Kriegslaeufte und Kolonisierungen, Pestilenz und teuere Zeit, Finsternisse und
+Wunder, Todesfaelle der Priester und anderer angesehener Maenner, die neuen
+Gemeindebeschluesse, die Ergebnisse der Schatzung Jahr fuer Jahr aufzuschreiben
+und diese Anzeichnungen in seiner Amtwohnung zu bleibendem Gedaechtnis und zu
+jedermanns Einsicht aufzustellen, war man damit von einer wirklichen
+Geschichtschreibung noch weit entfernt. Wie duerftig die gleichzeitige
+Aufzeichnung noch am Schlusse dieser Periode war und wie weiten Spielraum sie
+der Willkuer spaeterer Annalisten gestattete, zeigt mit schneidender
+Deutlichkeit die Vergleichung der Berichte ueber den Feldzug vom Jahre 456
+(298) in den Jahrbuechern und auf der Grabschrift des Konsuls Scipio ^4. Die
+spaeteren Historiker waren augenscheinlich ausserstande, aus diesen
+Stadtbuchnotizen einen lesbaren und einigermassen zusammenhaengenden Bericht zu
+gestalten; und auch wir wuerden, selbst wenn uns das Stadtbuch noch in seiner
+urspruenglichen Fassung vorlaege, schwerlich daraus die Geschichte der Zeit
+pragmatisch zu schreiben vermoegen. Indes gab es solche Stadtchroniken nicht
+bloss in Rom, sondern jede latinische Stadt hat wie ihre Pontifices, so auch
+ihre Annalen besessen, wie dies aus einzelnen Notizen zum Beispiel fuer Ardea,
+Ameria, Interamna am Nar deutlich hervorgeht; und mit der Gesamtheit dieser
+Stadtchroniken haette vielleicht sich etwas Aehnliches erreichen lassen, wie es
+fuer das fruehere Mittelalter durch die Vergleichung der verschiedenen
+Klosterchroniken erreicht worden ist. Leider hat man in Rom spaeterhin es
+vorgezogen, die Luecke vielmehr durch hellenische oder hellenisierende Luege zu
+fuellen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^4 1, 470. Nach den Annalen kommandiert Scipio in Etrurien, sein Kollege in
+Samnium und ist Lucanien dies Jahr im Bunde mit Rom; nach der Grabschrift
+erobert Scipio zwei Staedte in Samnium und ganz Lucanien.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Ausser diesen freilich duerftig angelegten und unsicher gehandhabten
+offiziellen Veranstaltungen zur Feststellung der verflossenen Zeiten und
+vergangenen Ereignisse koennen in dieser Epoche kaum Aufzeichnungen vorgekommen
+sein, welche der roemischen Geschichte unmittelbar gedient haetten. Von
+Privatchroniken findet sich keine Spur. Nur liess man sich in den vornehmen
+Haeusern es angelegen sein, die auch rechtlich so wichtigen Geschlechtstafeln
+festzustellen und den Stammbaum zu bleibendem Gedaechtnis auf die Wand des
+Hausflurs zu malen. An diesen Listen, die wenigstens auch die Aemter nannten,
+fand nicht bloss die Familientradition einen Halt, sondern es knuepften sich
+hieran auch wohl frueh biographische Aufzeichnungen. Die Gedaechtnisreden,
+welche in Rom bei keiner vornehmen Leiche fehlen durften und regelmaessig von
+dem naechsten Verwandten des Verstorbenen gehalten wurden, bestanden wesentlich
+nicht bloss in der Aufzaehlung der Tugenden und Wuerden des Toten, sondern auch
+in der Aufzaehlung der Taten und Tugenden seiner Ahnen; und so gingen auch sie
+wohl schon in fruehester Zeit traditionell von einer Generation auf die andere
+ueber. Manche wertvolle Nachricht mochte hierdurch erhalten, freilich auch
+manche dreiste Verdrehung und Faelschung in die Ueberlieferung eingefuehrt
+werden.
+</p>
+
+<p>
+Aber wie die Anfaenge der wirklichen Geschichtschreibung gehoeren ebenfalls in
+diese Zeit die Anfaenge der Aufzeichnung und konventionellen Entstellung der
+Vorgeschichte Roms. Die Quellen dafuer waren natuerlich dieselben wie ueberall.
+Einzelne Namen, wie die der Koenige Numa, Ancus, Tullus, denen die
+Geschlechtsnamen wohl erst spaeter zugeteilt worden sind, und einzelne
+Tatsachen, wie die Besiegung der Latiner durch Koenig Tarquinius und die
+Vertreibung des tarquinischen Koenigsgeschlechts mochten in allgemeiner,
+muendlich fortgepflanzter wahrhafter Ueberlieferung fortleben. Anderes lieferte
+die Tradition der adligen Geschlechter, wie zum Beispiel die Fabiererzaehlungen
+mehrfach hervortreten. In anderen Erzaehlungen wurden uralte
+Volksinstitutionen, besonders mit grosser Lebendigkeit rechtliche Verhaeltnisse
+symbolisiert und historisiert; so die Heiligkeit der Mauern in der Erzaehlung
+vom Tode des Remus, die Abschaffung der Blutrache in der von dem Ende des
+Koenigs Tatius, die Notwendigkeit der die Pfahlbruecke betreffenden Ordnung in
+der Sage von Horatius Cocles ^5, die Entstehung des Gnadenurteils der Gemeinde
+in der schoenen Erzaehlung von den Horatiern und Curiatiern, die Entstehung der
+Freilassung und des Buergerrechts der Freigelassenen in derjenigen von der
+Tarquinierverschwoerung und dem Sklaven Vindicius. Ebendahin gehoert die
+Geschichte der Stadtgruendung selbst, welche Roms Ursprung an Latium und die
+allgemeine latinische Metropole Alba anknuepfen soll. Zu den Beinamen der
+vornehmen Roemer entstanden historische Glossen, wie zum Beispiel Publius
+Valerius der &ldquo;Volksdiener&rdquo; (Poplicola) einen ganzen Kreis
+derartiger Anekdoten um sich gesammelt hat, und vor allem knuepften an den
+heiligen Feigenbaum und andere Plaetze und Merkwuerdigkeiten der Stadt sich in
+grosser Menge Kuestererzaehlungen von der Art derjenigen an, aus denen ueber
+ein Jahrtausend spaeter auf demselben Boden die Mirabilia Urbis erwuchsen. Eine
+gewisse Zusammenknuepfung dieser verschiedenen Maerchen, die Feststellung der
+Reihe der sieben Koenige, die ohne Zweifel auf der Geschlechterrechnung ruhende
+Ansetzung ihrer Regierungszeit insgesamt auf 240 Jahre ^6 und selbst der Anfang
+offizieller Aufzeichnung dieser Ansetzungen hat wahrscheinlich schon in dieser
+Epoche stattgefunden: die Grundzuege der Erzaehlung und namentlich deren
+Quasichronologie treten in der spaeteren Tradition mit so unwandelbarer
+Festigkeit auf, dass schon darum ihre Fixierung nicht in, sondern vor die
+literarische Epoche Roms gesetzt werden muss. Wenn bereits im Jahre 458 (296)
+die an den Zitzen der Woelfin saugenden Zwillinge Romulus und Remus in Erz
+gegossen an dem heiligen Feigenbaum aufgestellt wurden, so muessen die Roemer,
+die Latium und Samnium bezwangen, die Entstehungsgeschichte ihrer Vaterstadt
+nicht viel anders vernommen haben als wir sie bei Livius lesen; sogar die
+Aboriginer, das sind die &ldquo;Vonanfanganer&rdquo;, dies naive Rudiment der
+geschichtlichen Spekulation des latinischen Stammes, begegnen schon um 465
+(289) bei dem sizilischen Schriftsteller Kallias. Es liegt in der Natur der
+Chronik, dass sie zu der Geschichte die Vorgeschichte fuegt und wenn nicht bis
+auf die Entstehung von Himmel und Erde, doch wenigstens bis auf die Entstehung
+der Gemeinde zurueckgefuehrt zu werden verlangt; und es ist auch ausdruecklich
+bezeugt, dass die Tafel der Pontifices das Gruendungsjahr Roms angab. Danach
+darf angenommen werden, dass das Pontifikalkollegium, als es in der ersten
+Haelfte des fuenften Jahrhunderts anstatt der bisherigen spaerlichen und in der
+Regel wohl auf die Beamtennamen sich beschraenkenden Aufzeichnungen zu der
+Anlegung einer foermlichen Jahreschronik fortschritt, auch die zu Anfang
+fehlende Geschichte der Koenige Roms und ihres Sturzes hinzufuegte und, indem
+es auf den Einweihungstag des kapitolinischen Tempels, den 13. September 245
+(509), zugleich die Stiftung der Republik setzte, einen freilich nur
+scheinhaften Zusammenhang zwischen der zeitlosen und der annalistischen
+Erzaehlung herstellte. Dass bei dieser aeltesten Aufzeichnung der Urspruenge
+Roms auch der Hellenismus seine Hand im Spiele gehabt hat, ist kaum zu
+bezweifeln; die Spekulation ueber Ur- und spaetere Bevoelkerung, ueber die
+Prioritaet des Hirtenlebens vor dem Ackerbau und die Umwandlung des Menschen
+Romulus in den Gott Quirinus sehen ganz griechisch aus, und selbst die Truebung
+der echt nationalen Gestalten des frommen Numa und der weisen Egeria durch die
+Einmischung fremdlaendischer pythagoreischer Urweisheit scheint keineswegs zu
+den juengsten Bestandteilen der roemischen Vorgeschichte zu gehoeren.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^5 Diese Richtung der Sage erhellt deutlich aus dem aelteren Plinius (nat. 36,
+15, 100).
+</p>
+
+<p>
+^6 Man rechnete, wie es scheint, drei Geschlechter auf ein Jahrhundert und
+rundete die Ziffer 233 1/3 auf 240 ab, aehnlich wie die Epoche zwischen der
+Koenigsflucht und dem Stadtbrand auf 120 Jahre abgerundet ward. Wodurch man
+gerade auf diese Zahlen gefuehrt ward, zeigt zum Beispiel die oben eroerterte
+Feststellung des Flaechenmasses.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————
+</p>
+
+<p>
+Analog diesen Anfaengen der Gemeinde sind auch die Stammbaeume der edlen
+Geschlechter in aehnlicher Weise vervollstaendigt und in beliebter heraldischer
+Manier durchgaengig auf erlauchte Ahnen zurueckgefuehrt worden; wie denn zum
+Beispiel die Aemilier, Calpurnier, Pinarier und Pomponier von den vier Soehnen
+des Numa: Mamercus, Calpus, Pinus und Pompo, die Aemilier ueberdies noch von
+dem Sohne des Pythagoras Mamercus, der &ldquo;Wohlredende&rdquo; (αιμύλος)
+genannt, abstammen wollten.
+</p>
+
+<p>
+Dennoch darf trotz der ueberall hervortretenden hellenischen Reminiszenzen
+diese Vorgeschichte der Gemeinde wie der Geschlechter wenigstens relativ eine
+nationale genannt werden, insofern sie teils in Rom entstanden, teils ihre
+Tendenz zunaechst nicht darauf gerichtet ist, eine Bruecke zwischen Rom und
+Griechenland, sondern eine Bruecke zwischen Rom und Latium zu schlagen.
+</p>
+
+<p>
+Es war die hellenische Erzaehlung und Dichtung, welche jener anderen Aufgabe
+sich unterzog. Die hellenische Sage zeigt durchgaengig das Bestreben, mit der
+allmaehlich sich erweiternden geographischen Kunde Schritt zu halten und mit
+Hilfe ihrer zahllosen Wander- und Schiffergeschichten eine dramatisierte
+Erdbeschreibung zu gestalten. Indes verfaehrt sie dabei selten naiv. Ein
+Bericht wie der des aeltesten Rom erwaehnenden griechischen Geschichtswerkes,
+der sizilischen Geschichte des Antiochos von Syrakus (geschlossen 330 424):
+dass ein Mann namens Sikelos aus Rom nach Italia, das heisst nach der
+brettischen Halbinsel gewandert sei - ein solcher, einfach die
+Stammverwandtschaft der Roemer, Siculer und Brettier historisierender und von
+aller hellenisierenden Faerbung freier Bericht ist eine seltene Erscheinung. Im
+ganzen ist die Sage, und je spaeter desto mehr, beherrscht von der Tendenz, die
+ganze Barbarenwelt darzustellen als von den Griechen entweder ausgegangen oder
+doch unterworfen; und frueh zog sie in diesem Sinn ihre Faeden auch ueber den
+Westen. Fuer Italien sind weniger die Herakles- und Argonautensage von
+Bedeutung geworden, obwohl bereits Hekataeos († nach 257 497) die Saeulen des
+Herakles kennt und die Argo aus dem Schwarzen Meer in den Atlantischen Ozean,
+aus diesem in den Nil und zurueck in das Mittelmeer fuehrt, als die an den Fall
+Ilions anknuepfenden Heimfahrten. Mit der ersten aufdaemmernden Kunde von
+Italien beginnt auch Diomedes im Adriatischen, Odysseus im Tyrrhenischen Meer
+zu irren, wie denn wenigstens die letztere Lokalisierung schon der Homerischen
+Fassung der Sage nahe genug lag. Bis in die Zeiten Alexanders hinein haben die
+Landschaften am Tyrrhenischen Meer in der hellenischen Fabulierung zum Gebiet
+der Odysseussage gehoert; noch Ephoros, der mit dem Jahre 414 (340) schloss,
+und der sogenannte Skylax (um 418 336) folgen wesentlich dieser. Von troischen
+Seefahrten weiss die ganze aeltere Poesie nichts; bei Homer herrscht Aeneas
+nach Ilions Fall ueber die in der Heimat zurueckbleibenden Troer. Erst der
+grosse Mythenwandler Stesichoros (122-201 632-553) fuehrte in seiner
+&lsquo;Zerstoerung Ilions&rsquo; den Aeneas in das Westland, um die Fabelwelt
+seiner Geburts- und seiner Wahlheimat, Siziliens und Unteritaliens, durch den
+Gegensatz der troischen Helden gegen die hellenischen poetisch zu bereichern.
+Von ihm ruehren die seitdem feststehenden dichterischen Umrisse dieser Fabel
+her, namentlich die Gruppe des Helden, wie er mit der Gattin und dem Soehnchen
+und dem alten, die Hausgoetter tragenden Vater aus dem brennenden Ilion
+davongeht, und die wichtige Identifizierung der Troer mit den sizilischen und
+italischen Autochthonen, welche besonders in dem troischen Trompeter Misenos,
+dem Eponymos des Misenischen Vorgebirges, schon deutlich hervortritt ^7. Den
+alten Dichter leitete dabei das Gefuehl, dass die italischen Barbaren den
+Hellenen minder fern als die uebrigen standen und das Verhaeltnis der Hellenen
+und der Italiker dichterisch angemessen dem der homerischen Achaeer und Troer
+gleich gefasst werden konnte. Bald mischt sich denn diese neue Troerfabel mit
+der aelteren Odysseussage, indem sie zugleich sich weiter ueber Italien
+verbreitet. Nach Hellanikos (schrieb um 350 400) kamen Odysseus und Aeneas
+durch die thrakische und molottische (epeirotische) Landschaft nach Italien, wo
+die mitgefuehrten troischen Frauen die Schiffe verbrennen und Aeneas die Stadt
+Rom gruendet und sie nach dem Namen einer dieser Troerinnen benennt; aehnlich,
+nur minder unsinnig, erzaehlte Aristoteles (370-432 384-322), dass ein
+achaeisches, an die latinische Kueste verschlagenes Geschwader von den
+troischen Sklavinnen angezuendet worden und aus den Nachkommen der also zum
+Dableiben genoetigten achaeischen Maenner und ihrer troischen Frauen die
+Latiner hervorgegangen seien. Damit mischten denn auch sich Elemente der
+einheimischen Sage, wovon der rege Verkehr zwischen Sizilien und Italien
+wenigstens gegen das Ende dieser Epoche schon die Kunde bis nach Sizilien
+verbreitet hatte; in der Version von Roms Entstehung, welche der Sizilianer
+Kallias um 465 (289) aufzeichnete, sind Odysseus-, Aeneas- und Romulusfabeln
+ineinandergeflossen ^8. Aber der eigentliche Vollender der spaeter gelaeufigen
+Fassung dieser Troerwanderung ist Timaeos von Tauromenion auf Sizilien, der
+sein Geschichtswerk 492 (262) schloss. Er ist es, bei dem Aeneas zuerst
+Lavinium mit dem Heiligtum der troischen Penaten und dann erst Rom gruendet; er
+muss auch schon die Tyrerin Elisa oder Dido in die Aeneassage eingeflochten
+haben, da bei ihm Dido Karthagos Gruenderin ist und Rom und Karthago ihm in
+demselben Jahre erbaut heissen. Den Anstoss zu diesen Neuerungen gaben, neben
+der eben zu der Zeit und an dem Orte, wo Timaeos schrieb, sich vorbereitenden
+Krise zwischen den Roemern und den Karthagern, offenbar gewisse nach Sizilien
+gelangte Berichte ueber latinische Sitten und Gebraeuche; im wesentlichen aber
+kann die Erzaehlung nicht von Latium heruebergenommen, sondern nur die eigene
+nichtsnutzige Erfindung der alten &ldquo;Sammelvettel&rdquo; gewesen sein.
+Timaeos hatte von dem uralten Tempel der Hausgoetter in Lavinium erzaehlen
+hoeren; aber dass diese den Lavinaten als die von den Aeneiaden aus Ilion
+mitgebrachten Penaten gaelten, hat er ebenso sicher von dem Seinigen
+hinzugetan, wie die scharfsinnige Parallele zwischen dem roemischen Oktoberross
+und dem Trojanischen Pferde und die genaue Inventarisierung der lavinischen
+Heiligtuemer - es waren, sagt der wuerdige Gewaehrsmann, Heroldstaebe von Eisen
+und Kupfer und ein toenerner Topf troischer Fabrik! Freilich durften eben die
+Penaten noch Jahrhunderte spaeter durchaus von keinem geschaut werden; aber
+Timaeos war einer von den Historikern, die ueber nichts so genau Bescheid
+wissen als ueber unwissbare Dinge. Nicht mit Unrecht riet Polybios, der den
+Mann kannte, ihm nirgend zu trauen, am wenigsten aber da, wo er - wie hier -
+sich auf urkundliche Beweisstuecke berufe. In der Tat war der sizilische
+Rhetor, der das Grab des Thukydides in Italien zu zeigen wusste und der fuer
+Alexander kein hoeheres Lob fand, als dass er schneller mit Asien fertig
+geworden sei als Isokrates mit seiner &lsquo;Lobrede&rsquo;, vollkommen
+berufen, aus der naiven Dichtung der aelteren Zeit den wuesten Brei zu kneten,
+welchem das Spiel des Zufalls eine so seltsame Zelebritaet verliehen hat.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^7 Auch die troischen Kolonien&rdquo; auf Sizilien, die Thukydides,
+Pseudoskylax und andere nennen, sowie die Bezeichnung Capuas als einer
+troischen Gruendung bei Hekataeos werden auf Stesichoros und auf dessen
+Identifizierung der italischen und sizilischen Eingeborenen mit den Troern
+zurueckgehen.
+</p>
+
+<p>
+^8 Nach ihm vermaehlte sich eine aus Ilion nach Rom gefluechtete Frau Rome oder
+vielmehr deren gleichnamige Tochter mit dem Koenig der Aboriginer Latinos und
+gebar ihm drei Soehne, Romos, Romylos und Telegonos. Der letzte, der ohne
+Zweifel hier als Gruender von Tusculum und Praeneste auftritt, gehoert
+bekanntlich der Odysseussage an.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Inwieweit die hellenische Fabulierung ueber italische Dinge, wie sie zunaechst
+in Sizilien entstand, schon jetzt in Italien selbst Eingang gefunden hat, ist
+nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Die Anknuepfungen an den odysseischen Kreis,
+welche spaeterhin in den Gruendungssagen von Tusculum, Praeneste, Antium,
+Ardea, Cortona begegnen, werden wohl schon in dieser Zeit sich angesponnen
+haben; und auch der Glaube an die Abstammung der Roemer von Troern oder
+Troerinnen musste schon am Schluss dieser Epoche in Rom feststehen, da die
+erste nachweisliche Beruehrung zwischen Rom und dem griechischen Osten die
+Verwendung des Senats fuer die &ldquo;stammverwandten&rdquo; Ilier im Jahre 472
+(282) ist. Dass aber dennoch die Aeneasfabel in Italien verhaeltnismaessig jung
+ist, beweist ihre im Vergleich mit der odysseischen hoechst duerftige
+Lokalisierung; und die Schlussredaktion dieser Erzaehlungen sowie ihre
+Ausgleichung mit der roemischen Ursprungssage gehoert auf jeden Fall erst der
+Folgezeit an.
+</p>
+
+<p>
+Waehrend also bei den Hellenen die Geschichtschreibung, oder was so genannt
+ward, sich um die Vorgeschichte Italiens in ihrer Art bemuehte, liess sie in
+einer fuer den gesunkenen Zustand der hellenischen Historie ebenso
+bezeichnenden wie fuer uns empfindlichen Weise die gleichzeitige italische
+Geschichte so gut wie vollstaendig liegen. Kaum dass Theopomp von Chios
+(schloss 418 336) der Einnahme Roms durch die Kelten beilaeufig gedachte und
+Aristoteles, Kleitarchos, Theophrastos, Herakleides von Pontos († um 450 300)
+einzelne Rom betreffende Ereignisse gelegentlich erwaehnten; erst mit
+Hieronymos von Kardia, der als Geschichtschreiber des Pyrrhos auch dessen
+italische Kriege erzaehlte, wird die griechische Historiographie zugleich
+Quelle fuer die roemische Geschichte.
+</p>
+
+<p>
+Unter den Wissenschaften empfing die Jurisprudenz eine unschaetzbare Grundlage
+durch die Aufzeichnung des Stadtrechts in den Jahren 303, 304 (451, 450).
+Dieses unter dem Namen der Zwoelf Tafeln bekannte Weistum ist wohl das aelteste
+roemische Schriftstueck, das den Namen eines Buches verdient. Nicht viel
+juenger mag der Kern der sogenannten &ldquo;koeniglichen Gesetze&rdquo; sein,
+das heisst gewisser, vorzugsweise sakraler Vorschriften, die auf Herkommen
+beruhten und wahrscheinlich von dem Kollegium der Pontifices, das zur
+Gesetzgebung nicht, wohl aber zur Gesetzweisung befugt war, unter der Form
+koeniglicher Verordnungen zu allgemeiner Kunde gebracht wurden. Ausserdem sind
+vermutlich schon seit dem Anfang dieser Periode wenn nicht die Volks-, so doch
+die wichtigsten Senatsbeschluesse regelmaessig schriftlich verzeichnet worden;
+wie denn ueber deren Aufbewahrung bereits in den fruehesten staendischen
+Kaempfen mitgestritten ward.
+</p>
+
+<p>
+Waehrend also die Masse der geschriebenen Rechtsurkunden sich mehrte, stellten
+auch die Grundlagen einer eigentlichen Rechtswissenschaft sich fest. Sowohl den
+jaehrlich wechselnden Beamten als den aus dem Volke herausgegriffenen
+Geschworenen war es Beduerfnis, an sachkundige Maenner sich wenden zu koennen,
+welche den Rechtsgang kannten und nach Praezedentien oder in deren Ermangelung
+nach Gruenden eine Entscheidung an die Hand zu geben wussten. Die Pontifices,
+die es gewohnt waren, sowohl wegen der Gerichtstage als wegen aller auf die
+Goetterverehrung bezueglichen Bedenken und Rechtsakte vom Volke angegangen zu
+werden, gaben auch in anderen Rechtspunkten auf Verlangen Ratschlaege und
+Gutachten ab und entwickelten so im Schoss ihres Kollegiums die Tradition, die
+dem roemischen Privatrecht zugrunde liegt, vor allem die Formeln der rechten
+Klage fuer jeden einzelnen Fall. Ein Spiegel, der all diese Klagen
+zusammenfasste, nebst einem Kalender, der die Gerichtstage angab, wurde um 450
+(300) von Appius Claudius oder von dessen Schreiber Gnaeus Flavius dem Volk
+bekanntgemacht. Indes dieser Versuch, die ihrer selbst noch nicht bewusste
+Wissenschaft zu formulieren, steht fuer lange Zeit gaenzlich vereinzelt da.
+Dass die Kunde des Rechtes und die Rechtweisung schon jetzt ein Mittel war, dem
+Volk sich zu empfehlen und zu Staatsaemtern zu gelangen, ist begreiflich, wenn
+auch die Erzaehlung, dass der erste plebejische Pontifex Publius Sempronius
+Sophus (Konsul 450 304) und der erste plebejische Oberpontifex Tiberius
+Coruncanius (Konsul 474 280) diese Priesterehren ihrer Rechtskenntnis
+verdankten, wohl eher Mutmassung Spaeterer ist als Ueberlieferung.
+</p>
+
+<p>
+Dass die eigentliche Genesis der lateinischen und wohl auch der anderen
+italischen Sprachen vor diese Periode faellt und schon zu Anfang derselben die
+lateinische Sprache im wesentlichen fertig war, zeigen die freilich durch ihre
+halb muendliche Tradition stark modernisierten Bruchstuecke der Zwoelf Tafeln,
+welche wohl eine Anzahl veralteter Woerter und schroffer Verbindungen,
+namentlich infolge der Weglassung des unbestimmten Subjekts, aber doch
+keineswegs, wie das Arvalied, wesentliche Schwierigkeiten des Verstaendnisses
+darbieten und weit mehr mit der Sprache Catos als mit der der alten Litaneien
+uebereinkommen. Wenn die Roemer im Anfang des siebenten Jahrhunderts Muehe
+hatten, Urkunden des fuenften zu verstehen, so kam dies ohne Zweifel nur daher,
+dass es damals in Rom noch keine eigentliche Forschung, am wenigsten eine
+Urkundenforschung gab. Dagegen wird in dieser Zeit der beginnenden Rechtweisung
+und Gesetzesredaktion auch der roemische Geschaeftsstil zuerst sich
+festgestellt haben, welcher, wenigstens in seiner entwickelten Gestalt, an
+feststehenden Formeln und Wendungen, endloser Aufzaehlung der Einzelheiten und
+langatmigen Perioden der heutigen englischen Gerichtssprache nichts nachgibt
+und sich dem Eingeweihten durch Schaerfe und Bestimmtheit empfiehlt, waehrend
+der Laie je nach Art und Laune mit Ehrfurcht, Ungeduld oder Aerger
+nichtsverstehend zuhoert. Ferner begann in dieser Epoche die rationelle
+Behandlung der einheimischen Sprachen. Um den Anfang derselben drohte, wie wir
+sahen, das sabellische wie das latinische Idiom sich zu barbarisieren und griff
+die Verschleifung der Endungen, die Verdumpfung der Vokale und der feineren
+Konsonanten aehnlich um sich wie im fuenften und sechsten Jahrhundert unserer
+Zeitrechnung innerhalb der romanischen Sprachen. Hiergegen trat aber eine
+Reaktion ein: im Oskischen werden die zusammengefallenen Laute d und r, im
+Lateinischen die zusammengefallenen Laute g und k wieder geschieden und jeder
+mit seinem eigenen Zeichen versehen; o und u, fuer die es im oskischen Alphabet
+von Haus aus an gesonderten Zeichen gemangelt hatte und die im Lateinischen
+zwar urspruenglich geschieden waren, aber zusammenzufallen drohten, traten
+wieder auseinander, ja im Oskischen wird sogar das i in zwei lautlich und
+graphisch verschiedene Zeichen aufgeloest; endlich schliesst die Schreibung
+sich der Aussprache wieder genauer an, wie zum Beispiel bei den Roemern
+vielfaeltig s durch r ersetzt ward. Die chronologischen Spuren fuehren fuer
+diese Reaktion auf das fuenfte Jahrhundert; das lateinische g zum Beispiel war
+um das Jahr 300 (450) noch nicht, wohl aber um das Jahr 500 (250) vorhanden;
+der erste des Papirischen Geschlechts, der sich Papirius statt Papisius nannte,
+war der Konsul des Jahres 418 (336); die Einfuehrung jenes r anstatt des s wird
+dem Appius Claudius, Zensor 442 (312) beigelegt. Ohne Zweifel steht die
+Zurueckfuehrung einer feineren und schaerferen Aussprache im Zusammenhang mit
+dem steigenden Einfluss der griechischen Zivilisation, welcher eben in dieser
+Zeit sich auf allen Gebieten des italischen Wesens bemerklich macht; und wie
+die Silbermuenzen von Capua und Nola weit vollkommener sind als die
+gleichzeitigen Asse von Ardea und Rom, so scheint auch Schrift und Sprache
+rascher und vollstaendiger sich im kampanischen Lande reguliert zu haben als in
+Latium. Wie wenig trotz der darauf gewandten Muehe die roemische Sprache und
+Schreibweise noch am Schlusse dieser Epoche festgestellt war, beweisen die aus
+dem Ende des fuenften Jahrhunderts erhaltenen Inschriften, in denen namentlich
+in der Setzung oder Weglassung von m, d und s im Auslaut und n im Inlaut und in
+der Unterscheidung der Vokale o u und e i die groesste Willkuer herrscht ^9; es
+ist wahrscheinlich, dass gleichzeitig die Sabeller hierin schon weiter waren,
+waehrend die Umbrer von dem regenerierenden hellenischen Einfluss nur wenig
+beruehrt worden sind.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^9 In den beiden Grabschriften des Lucius Scipio, Konsul 456 (298), und des
+gleichnamigen Konsuls vom Jahre 495 (259) fehlen m und d im Auslaut der
+Beugungen regelmaessig, doch findet sich einmal Luciom und einmal Gnaivod; es
+steht nebeneinander im Nominativ Cornelio und filios; cosol, cesor und consol
+censor; aidiles, dedet, ploirume (= plurimi), hec (Nom. Sing.) neben aidilis,
+cepit, quei, hic. Der Rhotazismus ist bereits vollstaendig durchgefuehrt; man
+findet duonoro (= bonorum), ploirume, nicht wie im saliarischen Liede foedesum,
+plusima. Unsere inschriftlichen Ueberreste reichen ueberhaupt im allgemeinen
+nicht ueber den Rhotazismus hinauf; von dem aelteren s begegnen nur einzelne
+Spuren, wie noch spaeterhin honos, labos neben honor und labor und die
+aehnlichen Frauenvornamen Maio (maios, maior) und Mino auf neu gefundenen
+Grabschriften von Praeneste.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Durch diese Steigerung der Jurisprudenz und Grammatik muss auch der elementare
+Schulunterricht, der an sich wohl schon frueher aufgekommen war, eine gewisse
+Steigerung erfahren haben. Wie Homer das aelteste griechische, die Zwoelf
+Tafeln das aelteste roemische Buch waren, so wurden auch beide in ihrer Heimat
+die wesentliche Grundlage des Unterrichts und das Auswendiglernen des
+juristisch-politischen Katechismus ein Hauptstueck der roemischen
+Kindererziehung. Neben den lateinischen &ldquo;Schreibmeistern&rdquo;
+(litteratores) gab es natuerlich, seit die Kunde des Griechischen fuer jeden
+Staats- und Handelsmann Beduerfnis war, auch griechische Sprachlehrer
+(grammatici ^10), teils Hofmeister-Sklaven, teils Privatlehrer, die in ihrer
+Wohnung oder in der des Schuelers Anweisung zum Lesen und Sprechen des
+Griechischen erteilten. Dass wie im Kriegswesen und bei der Polizei so auch bei
+dem Unterricht der Stock seine Rolle spielte, versteht sich von selbst ^11. Die
+elementare Stufe indes kann der Unterricht dieser Zeit noch nicht ueberstiegen
+haben; es gab keine irgend wesentliche soziale Abstufung zwischen dem
+unterrichteten und dem nichtunterrichteten Roemer.
+</p>
+
+<p>
+Dass die Roemer in den mathematischen und mechanischen Wissenschaften zu keiner
+Zeit sich ausgezeichnet haben, ist bekannt und bewaehrt sich auch fuer die
+gegenwaertige Epoche an dem fast einzigen Faktum, welches mit Sicherheit
+hierhergezogen werden kann, der von den Dezemvirn versuchten Regulierung des
+Kalenders. Sie wollten den bisherigen, auf der alten, hoechst unvollkommenen
+Trieteris beruhenden vertauschen mit dem damaligen attischen der Oktaeteris,
+welcher den Mondmonat von 29½ Tagen beibehielt, das Sonnenjahr aber statt auf
+368¾ a vielmehr auf 365¼ Tage ansetzte und demnach bei unveraenderter gemeiner
+Jahrlaenge von 354 Tagen nicht, wie frueher, auf je vier Jahre 59, sondern auf
+je acht Jahre 90 Tage einschaltete. In demselben Sinne beabsichtigten die
+roemischen Kalenderverbesserer unter sonstiger Beibehaltung des geltenden
+Kalenders in den zwei Schaltjahren des vierjaehrigen Zyklus nicht die
+Schaltmonate, aber die beiden Februare um je sieben Tage zu verkuerzen, also
+diesen Monat in den Schaltjahren statt zu 29 und 28 zu 22 und 21 Tagen
+anzusetzen. Allein mathematische Gedankenlosigkeit und theologische Bedenken,
+namentlich die Ruecksicht auf das eben in die betreffenden Februartage fallende
+Jahrfest des Terminus, zerruetteten die beabsichtigte Reform in der Art, dass
+der Schaltjahrfebruar vielmehr 24- und 23taegig ward, also das neue roemische
+Sonnenjahr in der Tat auf 366¼ Tag auskam. Einige Abhilfe fuer die hieraus
+folgenden praktischen Uebelstaende ward darin gefunden, dass, unter Beseitigung
+der bei den jetzt so ungleich gewordenen Monaten nicht mehr anwendbaren
+Rechnung nach Monaten oder Zehnmonaten des Kalenders, man sich gewoehnte, wo es
+auf genauere Bestimmungen ankam, nach Zehnmonatfristen eines Sonnenjahrs von
+365 Tagen oder dem sogenannten zehnmonatlichen Jahre von 304 Tagen zu rechnen.
+ueberdies kam besonders fuer baeuerliche Zwecke der auf das aegyptische
+365¼taegige Sonnenjahr von Eudoxos (blueht 386 368) gegruendete Bauernkalender
+auch in Italien frueh in Gebrauch.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^10 Litterator und grammaticus verhalten sich ungefaehr wie Lehrer und Maître;
+die letztere Benennung kommt nach dem aelteren Sprachgebrauch nur dem Lehrer
+des Griechischen, nicht dem der Muttersprache zu. Litteratus ist juenger und
+bezeichnet nicht den Schulmeister, sondern den gebildeten Mann.
+</p>
+
+<p>
+^11 Es ist doch wohl ein roemisches Bild, was Plautus (Bacch. 431) als ein
+Stueck der guten alten Kindererziehung anfuehrt:
+</p>
+
+<p>
+wenn nun du darauf nach Hause kamst,
+</p>
+
+<p>
+In dem Jaeckchen auf dem Schemel sassest du zum Lehrer hin;
+</p>
+
+<p>
+Und wenn dann das Buch ihm lesend eine Silbe du gefehlt,
+</p>
+
+<p>
+Faerbte deinen Buckel er dir bunt wie einen Kinderlatz.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Einen hoeheren Begriff von dem, was auch in diesen Faechern die Italiker zu
+leisten vermochten, gewaehren die Werke der mit den mechanischen Wissenschaften
+eng zusammenhaengenden Bau- und Bildkunst. Zwar eigentlich originelle
+Erscheinungen begegnen auch hier nicht; aber wenn durch den Stempel der
+Entlehnung, welcher der italischen Plastik durchgaengig aufgedrueckt ist, das
+kuenstlerische Interesse an derselben sinkt, so heftet das historische sich nur
+um so lebendiger an dieselbe, insofern sie teils von einem sonst verschollenen
+Voelkerverkehr die merkwuerdigsten Zeugnisse bewahrt, teils bei dem so gut wie
+vollstaendigen Untergang der Geschichte der nichtroemischen Italiker fast
+allein uns die verschiedenen Voelkerschaften der Halbinsel in lebendiger
+Taetigkeit nebeneinander darstellt. Neues ist hier nicht zu sagen; aber wohl
+laesst sich mit schaerferer Bestimmtheit und auf breiterer Grundlage
+ausfuehren, was schon oben gezeigt ward, dass die griechische Anregung die
+Etrusker und die Italiker von verschiedenen Seiten her maechtig erfasst, und
+dort eine reichere und ueppigere, hier, wo ueberhaupt, eine verstaendigere und
+innigere Kunst ins Leben gerufen hat.
+</p>
+
+<p>
+Wie voellig die italische Architektur aller Landschaften schon in ihrer
+aeltesten Periode von hellenischen Elementen durchdrungen ward, ist frueher
+dargestellt worden. Die Stadtmauern, die Wasserbauten, die pyramidalisch
+gedeckten Graeber, der tuscanische Tempel sind nicht oder nicht wesentlich
+verschieden von den aeltesten hellenischen Bauwerken. Von einer Weiterbildung
+der Architektur bei den Etruskern waehrend dieser Epoche hat sich keine Spur
+erhalten; wir begegnen hier weder einer wesentlich neuen Rezeption noch einer
+originellen Schoepfung - man muesste denn Prachtgraeber dahin rechnen wollen,
+wie das von Varro beschriebene sogenannte Grabmal des Porsena in Chiusi, das
+lebhaft an die zwecklose und sonderbare Herrlichkeit der aegyptischen Pyramiden
+erinnert.
+</p>
+
+<p>
+Auch in Latium bewegte man waehrend der ersten anderthalb Jahrhunderte der
+Republik sich wohl lediglich in den bisherigen Gleisen, und es ist schon gesagt
+worden, dass mit der Einfuehrung der Republik die Kunstuebung eher gesunken als
+gestiegen ist. Es ist aus dieser Zeit kaum ein anderes architektonisch
+bedeutendes latinisches Bauwerk zu nennen als der im Jahre 261 (493) in Rom am
+Circus erbaute Cerestempel, der in der Kaiserzeit als Muster des tuscanischen
+Stiles gilt. Aber gegen das Ende dieser Epoche kommt ein neuer Geist in das
+italische und namentlich das roemische Bauwesen: es beginnt der grossartige
+Bogenbau. Zwar sind wir nicht berechtigt, den Bogen und das Gewoelbe fuer
+italische Erfindungen zu erklaeren. Es ist wohl ausgemacht, dass in der Epoche
+der Genesis der hellenischen Architektur die Hellenen den Bogen noch nicht
+kannten und darum fuer ihre Tempel die flache Decke und das schraege Dach
+ausreichen mussten; allein gar wohl kann der Keilschnitt eine juengere, aus der
+rationellen Mechanik hervorgegangene Erfindung der Hellenen sein, wie ihn denn
+die griechische Tradition auf den Physiker Demokritos (294-397 460-357)
+zurueckfuehrt. Mit dieser Prioritaet des hellenischen Bogenbaus vor dem
+roemischen ist auch vereinbar, was vielfach und vielleicht mit Recht angenommen
+wird, dass die Gewoelbe an der roemischen Hauptkloake und dasjenige, welches
+ueber das alte, urspruenglich pyramidalisch gedeckte kapitolinische Quellhaus
+spaeterhin gespannt ward, die aeltesten erhaltenen Bauwerke sind, bei welchen
+das Bogenprinzip zur Anwendung gekommen ist; denn es ist mehr als
+wahrscheinlich, dass diese Bogenbauten nicht der Koenigs-, sondern der
+republikanischen Periode angehoeren und in der Koenigszeit man auch in Italien
+nur flache oder ueberkragte Daecher gekannt hat. Allein wie man auch ueber die
+Erfindung des Bogens selbst denken mag, die Anwendung im grossen ist ueberall
+und vor allem in der Baukunst wenigstens ebenso bedeutend wie die Aufstellung
+des Prinzips; und diese gebuehrt unbestritten den Roemern. Mit dem fuenften
+Jahrhundert beginnt der wesentlich auf den Bogen gegruendete Tor-, Bruecken-
+und Wasserleitungsbau, der mit dem roemischen Namen fortan unzertrennlich
+verknuepft ist. Verwandt ist hiermit noch die Entwicklung der den Griechen
+fremden, dagegen bei den Roemern vorzugsweise beliebten und besonders fuer die
+ihnen eigentuemlichen Kulte, namentlich den nicht griechischen der Vesta,
+angewendeten Form des Rundtempels und des Kuppeldachs ^12.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^12 Eine Nachbildung der aeltesten Hausform, wie man wohl gemeint hat, ist der
+Rundtempel sicher nicht; vielmehr geht der Hausbau durchaus vom Viereck aus.
+Die spaetere roemische Theologie knuepfte diese Rundform an die Vorstellung des
+Erdballs oder des kugelfoermig die Zentralsonne umgebenden Weltalls (Fest. v.
+rutundam p. 282; Plut. Num. 11; Ov. fast. 6, 267f.); in der Tat ist dieselbe
+wohl einfach darauf zurueckzufuehren, dass fuer die zum Abhegen und Aufbewahren
+bestimmte Raeumlichkeit als die bequemste wie die sicherste Form stets die
+kreisrunde gegolten hat. Darauf beruhten die runden Schatzhaeuser der Hellenen
+ebenso wie der Rundbau der roemischen Vorratskammer oder des Penatentempels; es
+war natuerlich auch die Feuerstelle - das heisst den Altar der Vesta - und die
+Feuerkammer - das heisst den Vestatempel - rund anzulegen, so gut wie dies mit
+der Zisterne und der Brunnenfassung (puteal) geschah. Der Rundbau an sich ist
+graecoitalisch wie der Quadratbau und jener der Kammer eigen, wie dieser dem
+Wohnhaus; aber die architektonische und religioese Entwicklung des einfachen
+Tholos zum Rundtempel mit Pfeilern und Saeulen ist latinisch.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Etwas Aehnliches mag von manchen untergeordneten, aber darum nicht unwichtigen
+Fertigkeiten auf diesem Gebiet gelten. Von Originalitaet oder gar von
+Kunstuebung kann dabei nicht die Rede sein; aber auch aus den festgefuegten
+Steinplatten der roemischen Strassen, aus ihren unzerstoerbaren Chausseen, aus
+den breiten, klingend harten Ziegeln, aus dem ewigen Moertel ihrer Gebaeude
+redet die unverwuestliche Soliditaet, die energische Tuechtigkeit des
+roemischen Wesens.
+</p>
+
+<p>
+Wie die tektonischen, und womoeglich noch mehr, sind die bildenden und
+zeichnenden Kuenste auf italischem Boden nicht so sehr durch griechische
+Anregung befruchtet, als aus griechischen Samenkoernern gekeimt. Dass
+dieselben, obwohl erst die juengeren Schwestern der Architektur, doch
+wenigstens in Etrurien schon waehrend der roemischen Koenigszeit sich zu
+entwickeln begannen, wurde bereits bemerkt; ihre hauptsaechliche Entfaltung
+aber gehoert in Etrurien, und um so mehr in Latium, dieser Epoche an, wie dies
+schon daraus mit Evidenz hervorgeht, dass in denjenigen Landschaften, welche
+die Kelten und Samniten den Etruskern im Laufe des vierten Jahrhunderts
+entrissen, von etruskischer Kunstuebung fast keine Spur begegnet. Die tuskische
+Plastik warf sich zuerst und hauptsaechlich auf die Arbeit in gebranntem Ton,
+in Kupfer und in Gold, welche Stoffe die reichen Tonlager und Kupfergruben und
+der Handelsverkehr Etruriens den Kuenstlern darboten. Von der
+Schwunghaftigkeit, womit die Tonbildnerei betrieben wurde, zeugen die
+ungeheuren Massen von Reliefplatten und statuarischen Arbeiten aus gebranntem
+Ton, womit Waende, Giebel und Daecher der etruskischen Tempel nach Ausweis der
+noch vorhandenen Ruinen einst verziert waren, und der nachweisliche Vertrieb
+derartiger Arbeiten aus Etrurien nach Latium. Der Kupferguss stand nicht
+dahinter zurueck. Etruskische Kuenstler wagten sich an die Verfertigung von
+kolossalen, bis zu fuenfzig Fuss hohen Bronzebildsaeulen, und in Volsinii, dem
+etruskischen Delphi, sollen um das Jahr 489 (265) zweitausend Bronzestatuen
+gestanden haben, wogegen die Steinbildnerei in Etrurien, wie wohl ueberall,
+weit spaeter begann und ausser inneren Ursachen auch durch den Mangel eines
+geeigneten Materials zurueckgehalten ward - die lunensischen (carrarischen)
+Marmorbrueche waren noch nicht eroeffnet. Wer den reichen und zierlichen
+Goldschmuck der suedetruskischen Graeber gesehen hat, der wird die Nachricht
+nicht unglaublich finden, dass die tyrrhenischen Goldschalen selbst in Attika
+geschaetzt wurden. Auch die Steinschneidekunst ward, obwohl sie juenger ist,
+doch auch in Etrurien vielfaeltig geuebt. Ebenso abhaengig von den Griechen,
+uebrigens den bildenden Kuenstlern vollkommen ebenbuertig, waren die sowohl in
+der Umrisszeichnung auf Metall wie in der monochromatischen Wandmalerei
+ungemein taetigen etruskischen Zeichner und Maler.
+</p>
+
+<p>
+Vergleichen wir hiermit das Gebiet der eigentlichen Italiker, so erscheint es
+zunaechst gegen die etruskische Fuelle fast kunstarm. Allein bei genauerer
+Betrachtung kann man der Wahrnehmung sich nicht entziehen, dass sowohl die
+sabellische wie die latinische Nation weit mehr als die etruskische Faehigkeit
+und Geschick fuer die Kunst gehabt haben muessen. Zwar auf eigentlich
+sabellischem Gebiet, in der Sabina, in den Abruzzen, in Samnium, finden sich
+Kunstwerke so gut wie gar nicht und mangeln sogar die Muenzen. Diejenigen
+sabellischen Staemme dagegen, welche an die Kuesten der Tyrrhenischen oder
+Ionischen See gelangten, haben die hellenische Kunst sich nicht bloss wie die
+Etrusker aeusserlich angeeignet, sondern sie mehr oder minder vollstaendig bei
+sich akklimatisiert. Schon in Velitrae, wo wohl allein in der einstmaligen
+Landschaft der Volsker deren Sprache und Eigentuemlichkeit spaeterhin sich
+behauptet haben, haben sich bemalte Terrakotten gefunden von lebendiger und
+eigentuemlicher Behandlung. In Unteritalien ist Lucanien zwar in geringem Grade
+von der hellenischen Kunst ergriffen worden; aber in Kampanien wie im
+brettischen Lande haben sich Sabeller und Hellenen wie in Sprache und
+Nationalitaet so auch und vor allem in der Kunst vollstaendig durchdrungen und
+es stehen namentlich die kampanischen und brettischen Muenzen mit den
+gleichzeitigen griechischen so vollstaendig auf einer Linie der
+Kunstbehandlung, dass nur die Aufschrift sie von ihnen unterscheidet. Weniger
+bekannt, aber nicht weniger sicher ist es, dass auch Latium wohl an
+Kunstreichtum und Kunstmasse, aber nicht an Kunstsinn und Kunstuebung hinter
+Etrurien zurueckstand. Offenbar hat die um den Anfang des 5. Jahrhunderts
+erfolgte Festsetzung der Roemer in Kampanien, die Verwandlung der Stadt Cales
+in eine latinische Gemeinde, der falernischen Landschaft bei Capua in einen
+roemischen Buergerbezirk, zunaechst die kampanische Kunstuebung den Roemern
+aufgeschlossen. Zwar mangelt bei diesen nicht bloss die in dem ueppigen
+Etrurien fleissig gepflegte Steinschneidekunst voellig und begegnet nirgends
+eine Spur, dass die latinischen Gewerke gleich den etruskischen Goldschmieden
+und Tonarbeitern fuer das Ausland taetig gewesen sind. Zwar sind die
+latinischen Tempel nicht gleich den etruskischen mit Bronze- und Tonzierat
+ueberladen, die latinischen Graeber nicht gleich den etruskischen mit
+Goldschmuck angefuellt worden und schillerten die Waende jener nicht wie die
+der etruskischen von bunten Gemaelden. Aber nichtsdestoweniger stellt sich im
+ganzen die Waage nicht zum Vorteil der etruskischen Nation. Die Erfindung des
+Janusbildes, welche wie die Gottheit selbst den Latinern beigelegt werden darf,
+ist nicht ungeschickt, und originellerer Art als die irgendeines etruskischen
+Kunstwerks. Die schoene Gruppe der Woelfin mit den Zwillingen lehnt wohl an
+aehnliche griechische Erfindungen sich an, ist aber in dieser Ausfuehrung
+sicher wenn nicht in Rom, so doch von Roemern erfunden; und es ist
+bemerkenswert, dass sie zuerst auf den von den Roemern in und fuer Kampanien
+gepraegten Silbermuenzen auftritt. In dem oben erwaehnten Cales scheint bald
+nach seiner Gruendung eine besondere Gattung figurierten Tongeschirrs erfunden
+worden zu sein, das mit dem Namen der Meister und des Verfertigungsorts
+bezeichnet und in weitem Umfang bis nach Etrurien hinein vertrieben worden ist.
+Die vor kurzem auf dem Esquilin zum Vorschein gekommenen figurierten Altaerchen
+von gebranntem Ton entsprechen in der Darstellung wie in der Ornamentik genau
+den gleichartigen Weihgeschenken der kampanischen Tempel. Indes schliesst dies
+nicht aus, dass auch griechische Meister fuer Rom gearbeitet haben. Der Bildner
+Damophilos, der mit Gorgasos die bemalten Tonfiguren fuer den uralten
+Cerestempel verfertigt hat, scheint kein anderer gewesen zu sein als der Lehrer
+des Zeuxis, Demophilos von Himera (um 300 450). Am belehrendsten sind
+diejenigen Kunstzweige, in denen uns teils nach alten Zeugnissen, teils nach
+eigener Anschauung eine vergleichendes Urteil gestattet ist. Von latinischen
+Arbeiten in Stein ist kaum etwas anderes uebrig als der am Ende dieser Periode
+in dorischem Stil gearbeitete Steinsarg des roemischen Konsuls Lucius Scipio;
+aber die edle Einfachheit desselben beschaemt alle aehnlichen etruskischen
+Werke. Aus den etruskischen Graebern sind manche schoene Bronzen alten strengen
+Kunststils, namentlich Helme, Leuchter und dergleichen Geraetstuecke erhoben
+worden; aber welches dieser Werke reicht an die im Jahre 458 (296) am
+ruminalischen Feigenbaum auf dem roemischen Markte aus Strafgeldern
+aufgestellte bronzene Woelfin, noch heute den schoensten Schmuck des Kapitols?
+Und dass auch die latinischen Metallgiesser so wenig wie die etruskischen vor
+grossen Aufgaben zurueckschraken, beweist das von Spurius Carvilis (Konsul 461
+293) aus den eingeschmolzenen samnitischen Ruestungen errichtete kolossale
+Erzbild des Jupiter auf dem Kapitol, aus dessen Abfall beim Ziselieren die zu
+den Fuessen des Kolosses stehende Statue des Siegers hatte gegossen werden
+koennen; man sah dieses Jupiterbild bis vom Albanischen Berge. Unter den
+gegossenen Kupfermuenzen gehoeren bei weitem die schoensten dem suedlichen
+Latium an; die roemischen und umbrischen sind leidlich, die etruskischen fast
+bildlos und oft wahrhaft barbarisch. Die Wandmalereien, die Gaius Fabius in dem
+452 302 dedizierten Tempel der Wohlfahrt auf dem Kapitol ausfuehrte, erwarben
+in Zeichnung und Faerbung noch das Lob griechisch gebildeter Kunstrichter der
+augusteischen Epoche; und es werden von den Kunstenthusiasten der Kaiserzeit
+wohl auch die caeritischen, aber mit noch groesserem Nachdruck die roemischen,
+lanuvinischen und ardeatischen Fresken als Meisterwerke der Malerei gepriesen.
+Die Zeichnung auf Metall, welche in Latium nicht wie in Etrurien die
+Handspiegel, sondern die Toilettenkaestchen mit ihren zierlichen Umrissen
+schmueckte, ward in Latium in weit geringerem Umfang und fast nur in Praeneste
+geuebt; es finden sich vorzuegliche Kunstwerke unter den etruskischen
+Metallspiegeln wie unter den praenestinischen Kaestchen, aber es war ein Werk
+der letzteren Gattung, und zwar ein hoechst wahrscheinlich in dieser Epoche in
+der Werkstatt eines praenestinischen Meisters entstandenes Werk ^13, von dem
+mit Recht gesagt werden konnte, dass kaum ein zweites Erzeugnis der Graphik des
+Altertums so wie die ficoronische Cista den Stempel einer in Schoenheit und
+Charakteristik vollendeten und noch vollkommen reinen und ernsten Kunst an sich
+traegt.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^13 Novius Plautius goss vielleicht nur die Fuesse und die Deckelgruppe; das
+Kaestchen selbst kann von einem aelteren Kuenstler herruehren, aber, da der
+Gebrauch dieser Kaestchen sich wesentlich auf Praeneste beschraenkt hat, kaum
+von einem anderen als einem praenestinischen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Der allgemeine Stempel der etruskischen Kunstwerke ist teils eine gewisse
+barbarische Ueberschwenglichkeit im Stoff wie im Stil, teils der voellige
+Mangel innerer Entwicklung. Wo der griechische Meister fluechtig skizziert,
+verschwendet der etruskische Schueler schuelerhaft den Fleiss; an die Stelle
+des leichten Materials und der maessigen Verhaeltnisse griechischer Werke tritt
+bei den etruskischen ein renommistisches Hervorheben der Groesse und
+Kostbarkeit oder auch bloss der Seltsamkeit des Werkes. Die etruskische Kunst
+kann nicht nachbilden, ohne zu uebertreiben: das Strenge wird ihr hart, das
+Anmutige weichlich, das Schreckliche zum Scheusal, die Ueppigkeit zur Zote, und
+immer deutlicher tritt dies hervor, je mehr die urspruengliche Anregung
+zuruecktritt und die etruskische Kunst sich auf sich selber angewiesen findet.
+Noch auffallender ist das Festhalten an den hergebrachten Formen und dem
+hergebrachten Stil. Sei es, dass die anfaengliche freundlichere Beruehrung mit
+Etrurien hier den Hellenen den Samen der Kunst auszustreuen gestattete, eine
+spaetere Epoche der Feindseligkeit aber den juengeren Entwicklungsstadien der
+griechischen Kunst den Eingang in Etrurien erschwerte, sei es, was
+wahrscheinlicher ist, dass die rasch eintretende geistige Erstarrung der Nation
+die Hauptsache dabei tat: die Kunst blieb in Etrurien auf der primitiven Stufe,
+auf welcher sie bei ihrem ersten Eindringen daselbst sich befunden hatte,
+wesentlich stehen - bekanntlich ist dies die Ursache gewesen; weshalb die
+etruskische Kunst, die unentwickelt gebliebene Tochter der hellenischen,
+solange als deren Mutter gegolten hat. Mehr noch als das strenge Festhalten des
+einmal ueberlieferten Stils in den aelteren Kunstzweigen beweist die
+unverhaeltnismaessig elende Behandlung der spaeter aufgekommenen, namentlich
+der Bildhauerei in Stein und des Kupfergusses in der Anwendung auf Muenzen, wie
+rasch aus der etruskischen Kunst der Geist entwich. Ebenso belehrend sind die
+gemalten Gefaesse, die in den juengeren etruskischen Grabstaetten in so
+ungeheurer Anzahl sich finden. Waeren dieselben so frueh wie die mit Umrissen
+verzierten Metallplatten oder die bemalten Terrakotten bei den Etruskern
+gangbar geworden, so wuerde man ohne Zweifel auch sie in Menge und in
+wenigstens relativer Guete dort fabrizieren gelernt haben; aber in der Epoche,
+in welcher dieser Luxus emporkam, misslang die selbsttaetige Reproduktion
+vollstaendig, wie die vereinzelten mit etruskischen Inschriften versehenen
+Gefaesse beweisen, und man begnuegte sich darum, dieselben zu kaufen, statt sie
+zu formen.
+</p>
+
+<p>
+Aber auch innerhalb Etruriens erscheint ein weiterer bemerkenswerter
+Gegensatzinder kuenstlerischen Entwicklung der suedlichen und der noerdlichen
+Landschaft. Es ist Suedetrurien, hauptsaechlich die Bezirke von Caere,
+Tarquinii, Volci, die die gewaltigen Prunkschaetze besonders von Wandgemaelden,
+Tempeldekorationen, Goldschmuck und gemalten Tongefaessen bewahren; das
+noerdliche Etrurien steht weit dahinter zurueck, und es hat zum Beispiel sich
+kein gemaltes Grab noerdlich von Chiusi gefunden. Die suedlichsten etruskischen
+Staedte Veii, Caere, Tarquinii sind es, die der roemischen Tradition als die
+Ur- und Hauptsitze der etruskischen Kunst gelten; die noerdlichste Stadt
+Volaterrae, mit dem groessten Gebiet unter allen etruskischen Gemeinden, steht
+von allen auch der Kunst am fernsten. Wenn in Suedetrurien die griechische
+Halbkultur, so ist in Nordetrurien vielmehr die Unkultur zu Hause. Die Ursachen
+dieses bemerkenswerten Gegensatzes moegen teils in der verschiedenartigen, in
+Suedetrurien wahrscheinlich stark mit nicht etruskischen Elementen gemischten
+Nationalitaet, teils in der verschiedenen Maechtigkeit des hellenischen
+Einflusses zu suchen sein, welcher letztere namentlich in Caere sich sehr
+entschieden geltend gemacht haben muss; die Tatsache selbst ist nicht zu
+bezweifeln. Um so mehr musste die fruehe Unterjochung der suedlichen Haelfte
+Etruriens durch die Roemer und die sehr zeitig hier beginnende Romanisierung
+der etruskischen Kunst verderblich werden; was Nordetrurien, auf sich allein
+beschraenkt, kuenstlerisch zu leisten vermochte, zeigen die wesentlich ihm
+angehoerenden Kupfermuenzen.
+</p>
+
+<p>
+Wenden wir die Blicke von Etrurien nach Latium, so hat freilich auch dies keine
+neue Kunst geschaffen; es war einer weit spaeteren Kulturepoche vorbehalten,
+aus dem Motiv des Bogens eine neue, von der hellenischen Tektonik verschiedene
+Architektur zu entwickeln und sodann mit dieser harmonisch eine neue Bildnerei
+und Malerei zu entfalten. Die latinische Kunst ist nirgend originell und oft
+gering; aber die frisch empfindende und taktvoll waehlende Aneignung des
+fremden Gutes ist auch ein hohes kuenstlerisches Verdienst. Nicht leicht hat
+die latinische Kunst barbarisiert und in ihren besten Erzeugnissen steht sie
+voellig im Niveau der griechischen Technik. Eine gewisse Abhaengigkeit der
+Kunst Latiums wenigstens in ihren frueheren Stadien von der sicher aelteren
+etruskischen soll darum nicht geleugnet werden; es mag Varro immerhin mit Recht
+angenommen haben, dass bis auf die im Cerestempel von griechischen Kuenstlern
+ausgefuehrten nur &ldquo;tuscanische&rdquo; Tonbilder die roemischen Tempel
+verzierten; aber dass doch vor allem der unmittelbare Einfluss der Griechen die
+latinische Kunst bestimmt hat, ist an sich schon klar und liegt auch in eben
+diesen Bildwerken sowie in den latinischen und roemischen Muenzen deutlich zu
+Tage. Selbst die Anwendung der Metallzeichnung in Etrurien lediglich auf den
+Toilettenspiegel, in Latium lediglich auf den Toilettenkasten deutet auf die
+Verschiedenartigkeit der beiden Landschaften zuteil gewordenen Kunstanregung.
+Es scheint indes nicht gerade Rom gewesen zu sein, wo die latinische Kunst ihre
+frischesten Blueten trieb; die roemischen Asse und die roemischen Denare werden
+von den latinischen Kupfer- und den seltenen latinischen Silbermuenzen an
+Feinheit und Geschmack der Arbeit bei weitem uebertroffen und auch die
+Meisterwerke der Malerei und Zeichnung gehoeren vorwiegend Praeneste, Lanuvium,
+Ardea an. Auch stimmt dies vollstaendig zu dem frueher bezeichneten
+realistischen und nuechternen Sinn der roemischen Republik, welcher in dem
+uebrigen Latium sich schwerlich mit gleicher Strenge geltend gemacht haben
+kann. Aber im Lauf des fuenften Jahrhunderts und besonders in der zweiten
+Haelfte desselben regte es denn doch sich maechtig auch in der roemischen
+Kunst. Es war dies die Epoche, in welcher der spaetere Bogen- und Strassenbau
+begann, in welcher Kunstwerke wie die Kapitolinische Woelfin entstanden, in
+welcher ein angesehener Mann aus einem altadeligen roemischen Geschlechte den
+Pinsel ergriff, um einen neugebauten Tempel auszuschmuecken und dafuer den
+Ehrenbeinamen des &ldquo;Malers&rdquo; empfing. Das ist nicht Zufall. Jede
+grosse Zeit erfasst den ganzen Menschen; und wie starr die roemische Sitte, wie
+streng die roemische Polizei immer war, der Aufschwung, den die roemische
+Buergerschaft als Herrin der Halbinsel oder richtiger gesagt, den das zum
+erstenmal staatlich geeinigte Italien nahm, tritt auch in dem Aufschwung der
+latinischen und besonders der roemischen Kunst ebenso deutlich hervor wie in
+dem Sinken der etruskischen der sittliche und politische Verfall der Nation.
+Wie die gewaltige Volkskraft Latiums die schwaecheren Nationen bezwang, so hat
+sie auch dem Erz und dem Marmor ihren unvergaenglichen Stempel aufgedrueckt.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<pre>
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 2 by Theodor Mommsen
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***
+
+***** This file should be named 3061-h.htm or 3061-h.zip *****
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+Updated editions will replace the previous one--the old editions will
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+law means that no one owns a United States copyright in these works,
+so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
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+of this license, apply to copying and distributing Project
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+and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive
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+for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
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+1.E.8.
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+used on or associated in any way with an electronic work by people who
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+things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
+even without complying with the full terms of this agreement. See
+paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
+Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
+agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm
+electronic works. See paragraph 1.E below.
+
+1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the
+Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
+of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
+works in the collection are in the public domain in the United
+States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
+United States and you are located in the United States, we do not
+claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
+displaying or creating derivative works based on the work as long as
+all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
+that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting
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+ Literary Archive Foundation."
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+ any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
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+ receipt of the work.
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+ distribution of Project Gutenberg-tm works.
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+DAMAGE.
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+receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
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+received the work on a physical medium, you must return the medium
+with your written explanation. The person or entity that provided you
+with the defective work may elect to provide a replacement copy in
+lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
+or entity providing it to you may choose to give you a second
+opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
+the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
+without further opportunities to fix the problem.
+
+1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
+in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
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+LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
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+additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
+Defect you cause.
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+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
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+computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
+exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
+from people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
+generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
+Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
+www.gutenberg.org
+
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
+U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
+mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
+volunteers and employees are scattered throughout numerous
+locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
+Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
+date contact information can be found at the Foundation's web site and
+official page at www.gutenberg.org/contact
+
+For additional contact information:
+
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
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+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
+DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
+state visit www.gutenberg.org/donate
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including checks, online payments and credit card donations. To
+donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.
+
+Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
+Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
+freely shared with anyone. For forty years, he produced and
+distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
+volunteer support.
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
+the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
+necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
+edition.
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search
+facility: www.gutenberg.org
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
+subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
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+
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